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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/24

17. Wahlperiode

25.04.2018

 

24. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 25. April 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 6

1   Gemeinsam für Aufstieg, Sicherheit und Zukunft der Arbeit – Start der Ruhr-Konferenz

Unterrichtung
der Landesregierung. 6

Ministerpräsident Armin Laschet 6

Thomas Kutschaty (SPD) 10

Bodo Löttgen (CDU) 13

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 15

Christof Rasche (FDP) 17

Christian Loose (AfD) 20

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 23

Michael Hübner (SPD) 26

Josef Hovenjürgen (CDU) 27

Verena Schäffer (GRÜNE) 30

Ralf Witzel (FDP) 31

Dr. Martin Vincentz (AfD) 32

2   Der Integrationsplan für NRW muss fortgeführt werden

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/818

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/2383

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1247

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1248

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2471

In Verbindung mit:

Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen weiter fördern! Aufenthaltssicherheit für die gesamte Ausbildungsdauer schaffen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2407. 33

Heike Wermer (CDU) 33

Ibrahim Yetim (SPD) 35

Stefan Lenzen (FDP) 38

Berivan Aymaz (GRÜNE) 40

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 41

Minister Dr. Joachim Stamp. 43

Katharina Gebauer (CDU) 44

Gordan Dudas (SPD) 45

Sigrid Beer (GRÜNE) 46

Minister Dr. Joachim Stamp. 46

Ergebnis. 47

3   Innovative Antriebe fördern und technologieoffenen Fortschritt ermöglichen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2403. 47

Charlotte Quik (CDU) 47

Bodo Middeldorf (FDP) 48

Carsten Löcker (SPD) 49

Arndt Klocke (GRÜNE) 50

Dr. Christian Blex (AfD) 52

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 53

Ergebnis. 54

4   Gewässerschutz voranbringen – Mikroplastik reduzieren!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2389. 55

Barbara Steffens (GRÜNE) 55

Thorsten Schick (CDU) 57

Frank Börner (SPD) 58

Markus Diekhoff (FDP) 59

Dr. Christian Blex (AfD) 60

Ministerin Christina Schulze Föcking. 61

Dr. Ralf Nolten (CDU) 63

André Stinka (SPD) 64

Ergebnis. 65

5   Nordrhein-Westfalen solidarisiert sich mit der „Gemeinsamen Erklärung 2018“

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2397. 65

Markus Wagner (AfD) 65

Heike Wermer (CDU) 67

Ibrahim Yetim (SPD) 68

Stefan Lenzen (FDP) 71

Berivan Aymaz (GRÜNE) 73

Minister Dr. Joachim Stamp. 73

Ergebnis. 74

6   Fragestunde

Drucksache 17/2450. 74

Mündliche Anfrage 13

des Abgeordneten
Arndt Klocke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie will der Ministerpräsident das jetzt rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zum Luftreinhalteplan Düsseldorf umzusetzen?. 74

Auf welche Weise haben die Landesregierung und der Ministerpräsident welche Auffassungen in Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Bezirksregierungen wissen lassen?  74

Minister Hendrik Wüst 74

Mündliche Anfrage 14

des Abgeordneten
Christian Dahm (SPD)

Welchen genauen Beitrag leistete die Stabsstelle Umweltkriminalität im Fall des „Kerosinlecks Shell“ und wie ist dieser Beitrag im MULNV dokumentiert?. 80

Welche Anteile hatten die Arbeitsbereiche Greifvogelschutz, Abfallrecht, Verbraucher- und Lebensmittelrecht, Bodenschutz, Wasser- und Immissionsschutz an der geleisteten Arbeit und den bearbeiteten Fällen der Stabsstelle Umweltkriminalität?. 80

Ministerin Christina Schulze Föcking. 80

Mündliche Anfrage 15

des Abgeordneten
Mehrdad Mostofizadeh (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beantwortung in der
nächsten Fragestunde)

Mündliche Anfrage 16

der Abgeordneten
Sigrid Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beantwortung in der
nächsten Fragestunde)

7   Wohnraummangel braucht mehr Wohnungen statt sozialen Wohnungsbau gegen Eigenheimförderung auszuspielen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/816

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen
Drucksache 17/2435

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2472. 92

Fabian Schrumpf (CDU) 92

Jochen Ott (SPD) 93

Stephen Paul (FDP) 95

Arndt Klocke (GRÜNE) 97

Roger Beckamp (AfD) 98

Ministerin Ina Scharrenbach. 99

Ergebnis. 101

8   Für eine offensive Familienförderung in Nordrhein-Westfalen: Familienzentren evaluieren und weiterentwickeln!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2401. 102

Jens Kamieth (CDU) 102

Marcel Hafke (FDP) 103

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 103

Josefine Paul (GRÜNE) 104

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 106

Marcus Pretzell (fraktionslos) 106

Minister Dr. Joachim Stamp. 107

Ergebnis. 108

9   Schafhaltung in NRW erhalten – Weidetierprämie umsetzen!

Antrag
der Fraktion SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2391 – Neudruck. 108

Norwich Rüße (GRÜNE) 108

Annette Watermann-Krass (SPD) 109

Rainer Deppe (CDU) 110

Stephan Haupt (FDP) 111

Dr. Christian Blex (AfD) 112

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 112

Ergebnis. 113

10 Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine Nordrhein-Westfalen – Rückkehr zur deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2394

erste Lesung. 113

Dr. Christian Blex (AfD) 113

Heinrich Frieling (CDU) 114

Frank Börner (SPD) 116

Markus Diekhoff (FDP) 116

Norwich Rüße (GRÜNE) 117

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 118

Ergebnis. 118

11 Zukunft der EU-Finanzen und EU-Förder-politik nach 2020 sichern

Antrag
der Fraktion der SPD

Drucksache 17/1442

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Internationales
Drucksache 17/2297. 118

Oliver Krauß (CDU) 118

Rüdiger Weiß (SPD) 120

Thomas Nückel (FDP) 121

Johannes Remmel (GRÜNE) 122

Sven Werner Tritschler (AfD) 123

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 124

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 125

Michael Hübner (SPD) 126

Ergebnis. 127

12 Gründung eines Beirates für die niederdeutsche Sprache und niederdeutsche Heimat

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2399

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2469. 127

Heike Wermer (CDU) 127

Stephen Paul (FDP) 128

Karl Schultheis (SPD) 128

Josefine Paul (GRÜNE) 129

Herbert Strotebeck (AfD) 130

Ministerin Ina Scharrenbach. 131

Ergebnis. 132

13 Bundesratsinitiative mit dem Ziel, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu stärken – Transparenz und Aufklärung statt wirtschaftlicher Interessen der Pharmaindustrie

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2393. 132

Dr. Martin Vincentz (AfD) 132

Peter Preuß (CDU) 133

Serdar Yüksel (SPD) 134

Susanne Schneider (FDP) 134

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 135

Minister Karl-Josef Laumann. 135

Ergebnis. 136

14 Gesetz zur Zustimmung zum Einundzwanzigsten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Einundzwanzigster Rundfunkänderungsstaatsvertrag) und zur Änderung weiterer Gesetze (16. Rundfunkänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1565

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 17/2436

zweite Lesung. 136

Andrea Stullich (CDU) 136

Alexander Vogt (SPD) 137

Thomas Nückel (FDP) 137

Oliver Keymis (GRÜNE) 138

Sven Werner Tritschler (AfD) 139

Minister Karl-Josef Laumann. 140

Alexander Vogt (SPD) 141

Sven Werner Tritschler (AfD) 142

Ergebnis. 142

15 Zuführung zum Pensionsfonds auch in den nächsten Jahren erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2408. 142

Ergebnis. 142

16 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 4. Quartal des Haushaltsjahres 2017 sowie unter 25.000 Euro im gesamten Haushaltsjahr 2017

Vorlage 17/667

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/2429. 142

Ergebnis. 143

17 Jahresbericht 2017 des Kontrollgremiums gemäß § 23 VSG NRW

Unterrichtung
gemäß § 28 VSG NRW

Drucksache 17/2237
. 143

Ergebnis. 143

18 Gesetz zur Änderung des EA-Gesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung

Drucksache 17/2410

erste Lesung. 143

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart
zu Protokoll (siehe Anlage)

Ergebnis. 143

19 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 6
gem. § 82 Abs. 2 GO

Drucksache 17/2453
. 143

Ergebnis. 143

20 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/11
gemäß § 97
. 143

Ergebnis. 143

Anlage  145

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des EA-Gesetzes NRW“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 145

 

 

Entschuldigt waren:

Minister Peter Biesenbach        
(ab 15 Uhr)

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen      
(ab 18 Uhr)

Minister Herbert Reul    
(von 15 bis 17 Uhr)

Ministerin Christina Schulze Föcking

Angela Erwin (CDU)

Hartmut Ganzke (SPD)

Armin Jahl (SPD)

René Schneider (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Verena Schäffer (GRÜNE)

 


Beginn: 10:06 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle herzlich willkommen zu unserer heutigen, 24. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich fünf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag hat am heutigen Tage Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. Wir wollen ihr alle gemeinsam herzlich gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Damit treten wir in die heutige Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   Gemeinsam für Aufstieg, Sicherheit und Zukunft der Arbeit – Start der Ruhr-Konferenz

Unterrichtung
der Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 16. April 2018 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu dem oben genannten Thema zu unterrichten.

Die Unterrichtung erfolgt durch Herrn Ministerpräsidenten Laschet. Ich erteile Herrn Ministerpräsidenten Laschet somit das Wort.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2018 ist das Jahr einer historischen Zäsur für das Ruhrgebiet, für Nordrhein-Westfalen, aber auch für Deutschland und Europa. In diesem Jahr schließen die letzten beiden Steinkohlebergwerke, zuerst Ibbenbüren und dann am 21. Dezember Prosper-Haniel in Bottrop.

Damit geht eine 200-jährige Industriegeschichte zu Ende. Kohle und Stahl haben ihren Beitrag zur Entwicklung Nordrhein-Westfalens geleistet. Sie waren der Treibstoff für das deutsche Wirtschaftswunder, das den sozialen Frieden in der jungen deutschen Demokratie gestärkt hat.

Selbst die Anfänge der Europäischen Union liegen in der Montanunion. Sie liegen in der Europäisierung der Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets. Der erste frei gewählte Ministerpräsident Karl Arnold hat bereits in seiner Neujahrsansprache am 1. Januar 1949 – die Bundesrepublik war noch gar nicht gegründet; Konrad Adenauer saß als Fraktionsvorsitzender hier im Landtag, war aber noch nicht Bundeskanzler – formuliert: „Wir müssen die Kohle- und Stahlindustrie in einen europäischen Verbund bringen“, und er hat so etwas wie die Montanunion vorgeschlagen.

Die ist hier in Nordrhein-Westfalen entstanden. Deshalb ist es nicht zu viel gesagt, wenn man festhält: Unser heutiger Wohlstand, unsere soziale Stabilität und unsere europäische Verantwortung haben ihre Wurzeln an Rhein, Ruhr, Lippe und Emscher.

Das Ruhrgebiet war dann lange Motor für Wachstum und Innovation in ganz Deutschland. Deshalb sind Wehmut und Nostalgie wahrscheinlich eine Empfindung, die viele Menschen an diesem 21. Dezember 2018 und am Jahresende erleben werden. Sie sind berechtigt und verständlich.

Aber dabei darf es nicht bleiben. Unser Ziel als Landesregierung ist es, dieses endgültige Aus für die Zechen an der Ruhr auch in der bundesdeutschen Wahrnehmung nicht nur mit der berechtigten Wehmut, sondern auch mit einem Signal des Aufbruchs zu verbinden.

Es muss deutlich werden: In dieser Region steckt unendlich viel Potenzial für eine neue Dynamik. Mit der Ruhrkonferenz geben wir der Metropolregion Ruhr zum richtigen Zeitpunkt einen starken Impuls.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist meine große Hoffnung, dass wir gerade hier im Landtag zu diesem Thema einen großen parteiübergreifenden Konsens erreichen. Denn in manchen Städten regiert die CDU, in manchen die SPD – die SPD in mehr Städten als die CDU –; in der Bundesregierung gibt es eine CDU/SPD-Koalition; in NRW arbeitet eine Koalition aus CDU und FDP. Es wirken also unterschiedliche Parteien zusammen – hier CDU/FDP, dort SPD/CDU; in den Städten gibt es sehr vielfältige Mehrheitsverhältnisse; im RVR bestehen wieder neue Mehrheitsverhältnisse. Es ist wichtig, dass wir als Politik das schaffen – wir erwarten ja auch von den Städten, über die eigenen Grenzen hinauszudenken – und alle Chancen nutzen.

Natürlich gibt es Herausforderungen und Probleme. Wenn alles gut wäre, bräuchten wir uns um das Thema nicht zu kümmern. Aber es gibt auch gute Zeichen und Signale. Beispielsweise sagt die aktuellste IHK-Umfrage, dass es im Ruhrgebiet so gut wie seit Langem nicht mehr läuft. Wir haben im März bei der Arbeitslosenquote zum allerersten Mal seit 1980 – nicht seit 1990, wie man sonst immer misst – mit 9,8 % wieder einen einstelligen Wert erreicht.

Das liegt auch an der bundesweiten Entwicklung; klar. Aber sie kommt jetzt endlich auch im Ruhrgebiet an. Karl-Josef Laumann hatte zum Ausbildungskonsens eingeladen. Vor wenigen Tagen saßen wir dort unter anderem mit der Leiterin der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Sie hat für das nächste Jahr Zahlen über Ausbildungsplätze vorgelegt: in Südwestfalen plus 1,4 %; im Bergischen Land plus 2 %; im Bund plus 3,2 %; im Ruhrgebiet plus 10 %. Ein Plus von 10 % bei neuen Ausbildungsplätzen ist ein gutes Signal für viele junge Menschen, dass sich hier etwas tut.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Selbst der Tourismus boomt. Wenn man das jemandem außerhalb Nordrhein-Westfalens erzählt, beginnt er, am Verstand des Redners zu zweifeln. Aber der Tourismus boomt seit Jahren. Wir haben im achten Jahr steigende Touristenzahlen – was natürlich mit der starken Kulturlandschaft zusammenhängt. Die Ruhrfestspiele, die Ruhrtriennale, das Klavier-Festival Ruhr und viele andere Veranstaltungen locken Menschen ins Ruhrgebiet.

Im Gasometer findet gerade die große Ausstellung „Der Berg ruft“ – einer der Höhepunkte ist das Matterhorn – statt, die ich vor wenigen Tagen mit eröffnet habe. Die Erwartung ist, dass aus diesem Anlass erneut wie bei der letzten Ausstellung bis zu 1 Million Menschen nach Oberhausen fahren, um dort etwas Einzigartiges zu erleben.

Deshalb müssen wir die vorhandenen Standortvorteile, nämlich die Urbanität, die Hochschuldichte, das Know-how bei der industriellen Produktion, die Lage im Herzen Europas, das viele Grün – Essen war im letzten Jahr „Grüne Hauptstadt Europas“ – und die vielen Kultur- und Sportstätten, nutzen, damit aus diesen Möglichkeiten neue Chancen entstehen.

Ich war wenige Tage Ministerpräsident, als Facebook zu mir kam. Sie betreiben derzeit in Berlin das Zentrum, in dem illegale Netzinhalte gelöscht werden, wenn das durch das Gesetz geboten ist, und haben gesagt: Wir wollen einen zweiten Standort einrichten und haben mehrere Orte in Deutschland und Europa im Blick.

Facebook ist dann nach Essen gegangen; denn so viel interkulturelle Kompetenz und so viele junge Leute, die mehrere Sprachen sprechen – Türkisch, Arabisch, Italienisch, Spanisch –, gibt es nirgendwo anders. Rund um diese inzwischen erfolgte Ansiedlung sollen 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Das zeigt: Potenzial ist da, wenn man es mit neuen Ansiedlungen verbindet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Oder nehmen Sie die Entscheidung für einen neuen Standort der Produktion eines Stoffes für 3D-Druck in Marl, die Evonik jetzt gefasst hat. Solche Entscheidungen zeigen, dass große Industrieansiedlungen in Deutschland noch möglich sind. Es ist ja häufig der Eindruck erweckt worden, als sei das gar nicht mehr denkbar, weil alles nur noch nach Asien gehen könne.

Singapur und andere Länder haben massiv mit Steuervorteilen geworben. Aber am Ende ist die Entscheidung für Marl im nördlichen Ruhrgebiet gefallen, weil hier Kompetenzen von Chemieunternehmen und Energieunternehmen zusammen ihre Wirkung zeigen.

In diesen Tagen gibt es viele, die sagen: Wir wollen wieder eine Batteriezellenproduktion in Deutschland ermöglichen. – Vier, fünf unterschiedliche Akteure äußern auch öffentlich und in persönlichen Gesprächen ihr Interesse. Sie sagen dann: Wir können das nicht irgendwo auf der grünen Wiese machen, sondern müssen in einer Industrieregion sein; wir brauchen die Chemie in der Nähe; wir brauchen übrigens auch bezahlbare Energiepreise.

Insofern ist vieles, was im Moment in Berlin diskutiert wird, auch für die Zukunft des Ruhrgebiets entscheidend. Auch in Berlin in der Energiepolitik fallen Entscheidungen, die es uns ermöglichen, dass das Ruhrgebiet, dass Nordrhein-Westfalen Industrieland bleibt. Und diese Zusammenhänge muss man erklären.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb ist das ganz wichtig. Die Positivbeispiele zeigen, dass wir bisher auch hinter Möglichkeiten zurückbleiben. Die Regierung von Ministerpräsident Rüttgers und dem heutigen Minister Pinkwart hat im Jahr 2007 entschieden: Wir steigen aus der Subventionierung der Steinkohle aus. – Das war damals eine schwer umstrittene Entscheidung, die für viele auch schmerzhaft war. Sie war aber – im Einklang mit dem Saarland und mit dem Bund – mit zwei Versprechen verbunden.

Das erste Versprechen war: Niemand fällt ins Bergfreie. – Wenn jetzt am Ende des Jahres 2018 die letzten Bergwerke geschlossen werden, ist kein Mensch persönlich ins Bergfreie gefallen und niemand alleingelassen worden, weil eine klare Perspektive vorhanden war.

(Beifall von der CDU und der FDP )

Das zweite Versprechen war: Das, was wir an Milliardensubventionen für die Steinkohle einsparen, wird in Bildung, Forschung und Technologie gesteckt. – Damals sind, Herr Minister Pinkwart, vier neue Fachhochschulen entstanden, die heute sehr erfolgreich sind.

Der GesundheitsCampus Bochum und die Fachhochschule für Gesundheit sind bundesweit einzigartig.

Die Fachhochschule Hamm-Lippstadt ist eine der innovativsten Hochschulen mit neuen Studiengängen. Ich habe selbst erlebt, dass sie einen Studiengang entwickelt hat, in dem sie Design und Elektrotechnik verbindet. Das ist gerade in der neuen industriellen Produktion ein ganz wichtiger Gedanke.

Die Fachhochschule Ruhr West in Mülheim und Bottrop und auch die Hochschule Rhein-Waal sind damals entstanden aufgrund des Versprechens: Subventionen bei der Steinkohle wegnehmen und in Bildung und Forschung investieren. – Das war der richtige Weg. Diesen Weg müssen wir jetzt weiter beschreiten.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Ruhrkonferenzen gab es schon, und zwar 1979 und 1988. Diese Konferenzen waren eher durch die Krise geprägt. Die Rheinhausen-Krise lag gerade hinter uns. Damals hat man dann entschieden: Wir brauchen jetzt ein Zusammengehen, um die Auswirkungen sozial abzufedern. – Helmut Kohl und Johannes Rau haben 1988 zu einer großen Ruhrkonferenz eingeladen.

Der Unterschied zu heute ist: Jetzt ist keine Krisenzeit. Es ist eine Zeit mit großen Chancen, die wir nun in eine neue Dynamik übersetzen müssen. Deshalb ist der Ansatz heute ein anderer als vor 30 Jahren.

Wir wollen dort, wo das industrielle Know-how zu Hause ist und Strukturwandel kein Fremdwort ist, dies mit den Chancen digitaler Geschäftsmodelle verbinden, mit den Stärken der deutschen Industrie, mit Instituten für die Spitzenforschung, mit Start-ups, die wir fördern, und mit der Gründung von Unternehmen aus den Hochschulen heraus in die industrielle Produktion hinein.

Im Westen ist das auch über Grenzen hinweg gelungen. Die Einstellung des Steinkohlebergbaus im Westen, in der Aachener Region, war nur zu bewältigen, indem man über Grenzen hinweg mit dem Forschungszentrum Jülich, mit der RWTH, mit den alten Bergbauregionen eine Technologieorganisation gegründet hat. Inzwischen werden in Nordrhein-Westfalen sogar wieder Autos produziert und elektromobil neue Arbeitsplätze entstehen – aus dem Wissen der Hochschule.

(Michael Hübner [SPD]: Dabei müssen Sie selber grinsen!)

Diese Idee, aus den Hochschulen heraus in einer Art Campus auch industrielle Produktion wieder zu ermöglichen, kann auch im Ruhrgebiet realisiert werden. Auch darauf setzen wir.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann brauchen wir die leistungsfähigsten und umweltschonendsten Verkehrssysteme. Es gibt keinen anderen Raum, der so dicht besiedelt ist und in dem so viele Menschen sich jeden Morgen von einem Ort zum anderen bewegen. Wir brauchen Impulse für Elektromobilität, digitale Mobilitätskonzepte und autonomes Fahren.

Aber wir brauchen auch die Menschen, die heute noch sagen, das gehe alles an ihnen vorbei, und die in besonders schwierigen Vierteln Protest wählen. Deshalb gibt es zwei wichtige Voraussetzungen, die den Menschen signalisieren: Wir lassen euch nicht allein.

Erstens. An jedem Ort muss innere Sicherheit gewährleistet sein. Man muss sich dort sicher fühlen, wo man lebt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und wenn kriminelle Banden Geschäftsmodelle kreieren, Bulgaren und Rumänen illegal anwerben, Schrottimmobilien kaufen,

(Michael Hübner [SPD]: Das ist jetzt der Inhalt der Ruhrkonferenz?)

muss man dieses vom ersten Haus an untersagen und mit allen Mitteln unterbinden, die das Recht bietet. – Das ist das Erste.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das Zweite: Wer in dem Viertel lebt, muss sehen: Ich habe eine Chance.

(Michael Hübner [SPD]: So eine Stigmatisierung hat das Ruhrgebiet nicht verdient, Herr Ministerpräsident!)

– Passen Sie einmal auf: Das ist keine Stigmatisierung.

(Michael Hübner [SPD]: Doch!)

Reden Sie einmal mit dem Oberbürgermeister von Duisburg.

(Michael Hübner [SPD]: Habe ich am Montag!)

Gehen Sie mal in die Henriettenstraße. Schauen Sie sich die Häuser an.

(Michael Hübner [SPD]: Wann haben Sie das das letzte Mal gemacht?)

Sie haben doch den Kontakt zu den Anwohnern längst verloren, weil Sie nicht mehr mit ihnen reden.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Ich war in der Henriettenstraße und habe mir die Häuser angeschaut. Da lehnte eine ältere Frau in der Tür und beschrieb mir: Hier hatten früher die Bergleute ihre Wohnungen angekauft. Hier gab es Eigentumswohnungen.

(Michael Hübner [SPD]: Angekauft? Wahrscheinlich! Das zeigt, dass Sie davon nichts verstehen!)

Die Eigentumswohnung da drüben wird demnächst für 4.000 € verkauft, weil der Wert verfallen ist und man sich um die Viertel nicht gekümmert hat. – Das wollen wir ändern. Das kann so nicht bleiben.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Das Nächste ist: In diesen Vierteln müssen die besten Schulen sein. Wir haben doch heute die Situation, dass in den besten Vierteln die besten Schulen sind, weil Fördervereine besserverdienender Eltern am Ende alles möglich machen.

(Nadja Lüders [SPD]: Die besten Grundschulen sind bundesweit in der Nordstadt in Dortmund!)

Deshalb ist die Idee, mit 30 Talentschulen zu beginnen. Es müssen mehr werden. In den schwierigsten Vierteln brauchen wir die besten Schulen, den kleinsten Lehrerschlüssel und die beste digitale Ausstattung, um den Kindern einen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Das ist unser Konzept für diese Region.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aufstieg ist das, was man den jungen Leuten versprechen muss, die dort derzeit sagen: Für mich hat das Leben ohnehin keine Perspektive mehr. – Sie kennen doch genau diejenigen, die das aussprechen. Beim Aufstieg durch Bildung müssten doch Sozialdemokraten an der Seite der Landesregierung stehen, wenn Sie das ernst nehmen, was auch Ihrer Programmatik entspricht.

Deshalb müssen wir hier jetzt ein Vielfaches leisten: wirtschaftliche Impulse, innere Sicherheit, Bildung und neue Arbeitsplätze durch Innovation aus den Hochschulen heraus in die Region. Das nehmen wir uns vor.

Daher habe ich vor zehn Tagen beim Initiativkreis Ruhr diese Grundidee vorgestellt. 1988 waren es eben auch die Unternehmer, die Kirchen, die Gewerkschaften, die gesellschaftlichen Gruppen, die gesagt haben: Wir wollen rund um Alfred Herrhausen und Bischof Hengsbach diese Montankonferenz der Politik durch eigene Ideen begleiten, wie wir denn das Ruhrgebiet nach vorne bringen können.

Es gibt viele, die inzwischen aktiv sind: die TalentMetropole Ruhr, der Gründerfonds, die Gründerallianz, die InnovationCity, die kulturellen Veranstaltungen wie das Klavier-Festival Ruhr. Sie sind aus dieser Bürgerinitiative entstanden – jenseits dessen, was auch die Politik für das Ruhrgebiet tun kann.

Dass vor wenigen Tagen 14 Städte, viele aus dem Ruhrgebiet – Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen und Recklinghausen –, gemeinsam verkündet haben, dass sie die Vision haben, sich um die Olympischen Spiele 2032 zu bewerben, hat gezeigt: Man kann auch über die Tagespolitik hinausschauen.

Wenn es gelingt, dass die Städte zusammen Konzepte entwickeln, Mobilitätskonzepte entwickeln, über eine verbesserte Zusammenarbeit nachdenken, ihre Sportstätten, die sie ohnehin schon haben, für eine solche nachhaltige Bewerbung nutzen, ist das etwas Schönes, wenn es klappt. Und wenn es nicht klappt, hat es trotzdem dazu gedient, dass wir einen großen Schub der Gemeinsamkeit in dieser Region über alle Parteigrenzen hinweg schaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das Gleiche gilt für die Bewerbung des RVR gemeinsam mit der Emschergenossenschaft um die Durchführung der Internationalen Gartenausstellung 2027.

(Michael Hübner [SPD]: Die unterstützen wir voll und ganz!)

Die Landesregierung prüft derzeit, wie wir dieses Konzept fördern können.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Machen Sie doch einmal eine Förderzusage! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Bis wann denn, Herr Ministerpräsident?)

Ich wünsche mir in allen Bereichen für das Ruhrgebiet, dass Städte, Gemeinden, Kreise, Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Verbände, Kirchen und Vereine ihre jeweilige Stärke einbringen und diesen Prozess begleiten.

Ich bin froh, dass der Initiativkreis Ruhr diese neue Ruhrkonferenz positiv aufgenommen hat. Minister Holthoff-Pförtner wird für die Landesregierung dieses Konzept koordinieren. Unser Ansatz ist, Ideen einzubringen, mitzuarbeiten, anzupacken und Teil dieser Verantwortungsgemeinschaft zu werden.

Sie spüren, wie viele Ideen heute kommen. Der Autor Gerhard Spörl hat vor ein paar Tagen ein Buch über das Ruhrgebiet vorgestellt. Da gab es Bürgermeister quer durch das Ruhrgebiet, Vorstandsvorsitzende – eine bunt gemischte Gesellschaft. Die kurze Diskussion brachte bestimmt zehn bis 15 Ideen, bei denen man gesagt hat: Die müssen wir jetzt nur noch umsetzen; die müssen wir anpacken.

Dies jetzt zu koordinieren, wird die Aufgabe der Ruhrkonferenz sein. Ein Projektteam wird im Ruhrgebiet angesiedelt auf der Zeche Zollverein – „Im Welterbe 10“ ist, glaube ich, die Adresse. Dort sitzt ein permanentes Team der Landesregierung, das alle diese Aktivitäten koordiniert, unter Federführung von Minister Holthoff-Pförtner. Es wird einen Dialog mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft über bereits laufende und geplante Projekte und Projektideen hinaus geben.

Es wird auch Themenforen sowie Tandems zwischen jedem Minister und einer Person aus der Zivilgesellschaft des Ruhrgebiets geben. Diese Tandems werden die jeweiligen Fachgebiete vorstellen, entwickeln und neue Ideen als Schnittstelle zwischen Region und Landesregierung koordinieren. Die Landesregierung hat eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, in der alle Ressorts in Zukunft ihre Arbeiten administrativ koordinieren.

Der Nordrhein-Westfalen-Tag 2018 wird im Ruhrgebiet – übrigens zum allerersten Mal, seit es NRW-Tage gibt –, und zwar in Essen, stattfinden. Wir werden den Prozess mit den Bürgern so organisieren, dass auch sie ihre Ideen einbringen können.

(Michael Hübner [SPD]: In der „Grünen Hauptstadt“!)

– Herr Hübner?

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU]: Herr Hübner hätte ihn gerne in Gladbeck!)

– Okay.

Vielleicht hätte auch irgendeine Landesregierung vor uns einmal auf die Idee kommen können, einen NRW-Tag ins Ruhrgebiet zu bringen. Er wird jetzt dort stattfinden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Genau dieser Prozess, die Bürger einzubeziehen, ist wichtig.

Die Haltung muss sich ändern. Vielleicht ist ein schon oft gehörtes Zitat noch im Bewusstsein. Kaiser Wilhelm soll einmal gesagt haben: Im Ruhrgebiet, wo die Proleten zu Hause waren, sollte man weder Kasernen noch Universitäten ansiedeln. – Das war eine Haltung der Arroganz gegenüber einer Industrieregion.

Ministerpräsident Franz Meyers hat dann gesagt: Wir gründen jetzt Universitäten im Ruhrgebiet. – Die Ruhr-Universität war die erste. Heinz Kühn hat das fortgesetzt. Der Gründungsrektor der Ruhr-Universität war Kurt Biedenkopf. Der erste AStA-Vorsitzende war Christoph Zöpel.

(Zuruf von der SPD: Wow!)

Es waren also wichtige Figuren der Landesgeschichte, die genau aus den Hochschulen heraus Veränderungen bewirkt haben. Heute haben wir 280.000 Studierende, 280.000 junge Menschen, die die Zukunft dieses Landes sind. Deren Wissen zu nutzen, das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

(Michael Hübner [SPD]: Und das alles wegen Kaiser Wilhelm!)

Einige fragen: Was ist denn mit den anderen Regionen? Wer darf da mitmachen, und wer darf da nicht mitmachen? Ich finde, wir dürfen auch hier nicht nach Strukturen denken. Wenn die Dortmunder andere Akzente setzen und eher nach Westfalen gucken, wenn der nördliche Teil des Ruhrgebiets, der zur Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer Münster gehört, von dort neue Impulse erfährt, dann ist das wünschenswert.

(Nadja Lüders [SPD]: Dann ist ja alles gut!)

Die Ruhr fließt übrigens auch, Frau Lüders, durch das Sauerland.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist ja eine Erkenntnis! – Zuruf von der SPD: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Wir können uns verabreden, den Dialog entweder mit Albernheit oder mit Ernsthaftigkeit zu führen. Ich will ihn mit Ernsthaftigkeit führen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Sie sind ja eben schon bei den Problemvierteln laut geworden. Ich würde das auch. Wenn bestimmte populistische Parteien gerade da punkten, muss uns das doch wachrütteln. Aber wenn im Kreis Unna der nördliche Teil eher Richtung Münsterland guckt und der südliche Teil eher nach Südwestfalen guckt, dann ist das doch etwas Gutes. Darauf können wir doch nicht nur mit unseren Strukturen antworten. Denn wenn uns das gelingt,

(Zuruf von der SPD: Und was ist der Schluss daraus?)

dass all diese Teile mit ihren jeweiligen Partnern ihre Stärken nutzen,

(Zurufe von der SPD)

dann nutzt es dem ganzen Land Nordrhein-Westfalen. Deshalb machen wir diese Konferenz.

(Lang anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Laschet, für die Unterrichtung. – Ich eröffne nunmehr die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Kutschaty von der SPD das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche heute zum ersten Mal als neu gewählter Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion zu Ihnen. Ich biete allen demokratischen Parteien in diesem Hause eine konstruktive, vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Meine Tür steht Ihnen immer offen. Ich bin jederzeit bereit, gemeinsam mit Ihnen um die besten Ideen für unser Landes zu streiten. Ich biete Ihnen auch ausdrücklich die Unterstützung an, die Sie brauchen, wenn Sie große, notwendige Reformvorhaben für unser Land auf den Weg bringen wollen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, für echte Reformvorhaben und eine innovative Politik würden Sie die Unterstützung der SPD-Fraktion erhalten, nicht aber für das, was Sie uns gerade geboten haben.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)

Das war eine geografisch nett unterlegte Geschichtsstunde, aber für die Zukunft des Ruhrgebiets schlicht zu wenig. Was haben Sie im Wahlkampf nicht alles gefordert! Fordernder und klarer müsse Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Bund auftreten. – Das waren Ihre Worte als damaliger Oppositionsführer, Herr Laschet. Von diesen Worten ist nicht viel übrig geblieben. Ihre Ausführungen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die wir gerade hören mussten, waren – im Gegenteil – ziellos, ambitionslos und in weiten Teilen sogar inhaltsleer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So spricht niemand, der eine Vision von der Metropolregion Ruhr hat. Ihre Rede sorgt nicht für Aufbruchstimmung im Ruhrgebiet. Ihre Rede, Herr Laschet, sorgt für eine Enttäuschung im Ruhrgebiet. Sie haben uns doch heute eigentlich nur über zwei Dinge unterrichtet: erstens über die gähnende Leere im Ideenspeicher Ihrer Regierung

(Beifall von der SPD)

und zweitens über den schier unerschöpflichen Vorrat an Phrasen und Leerformeln Ihrer PR-Abteilung.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben gerade gesagt, das Ruhrgebiet solle Arbeit, Sicherheit und – wer hätte es gedacht? – natürlich auch eine Zukunft haben, und auch um Bildung müsse man sich kümmern, natürlich nach Möglichkeit alles digital. Alles auch irgendwie! – Herr Ministerpräsident, dieses Floskelbingo hätten Sie uns heute besser erspart.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von einem Ministerpräsidenten kann, von einem Ministerpräsidenten muss man mehr erwarten: eine Strategie mit konkreten Zielvorstellungen, mit Zwischenschritten, Maßnahmen und einzelnen Projekten. Nichts dergleichen haben Sie heute vorgestellt. Nichts dergleichen ist offensichtlich bei Ihnen vorhanden.

Dabei haben Sie noch in Ihrer Regierungserklärung den Eindruck erweckt, Sie wollten eine Vision für das Ruhrgebiet entwerfen. Für Sie und Ihre Regierung erschöpft sich Politik in unverbindlichen Ankündigungen, Schaufensterdekorationen und PR-Strategien. Das ist der Grund, weshalb alles, was Sie gerade vorgetragen haben, so klein, unecht und aufgesetzt wirkt, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wie wenig Sie Ihren eigenen Versprechungen gerecht werden, zeigt das, was Sie uns gerade zur angekündigten Ruhrgebietskonferenz zu erklären versucht haben. Noch im Dezember wollten Sie das ganz große Rad drehen. Noch größer als die Montankonferenz vor 30 Jahren sollte die neue Ruhrkonferenz werden. Nicht nur Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Kirchen und regionale Akteure wollte Ihre Koalition an einen Tisch holen, sondern auch die EU-Kommission. Von dieser Konferenz werde ein Impuls für die nächsten 20 Jahre ausgehen. Es werde eine Konferenz der konkreten Ergebnisse und keine Showveranstaltung. Das wurde uns damals von der Union versprochen.

Was auch immer Sie in den letzten Monaten versucht haben, Ihr großspuriges Prestigeprojekt auf die Beine zu stellen, Herr Laschet, Sie sind damit gescheitert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt lesen und hören wir, dass Ihr Kabinett, Ihre einzelnen Landesministerinnen und -minister, Tandemteams bilden und sich mit Themen vor Ort beschäftigen soll. Dafür dürfen die Besucher des NRW-Tages – als Essener freue ich mich auf den NRW-Tag – an einem Stand vorbeikommen und ihre Wünsche und Erwartungen kundtun. Wissen Sie, was das ist, Herr Laschet? – Ihre Ruhrgebietskonferenz beschränkt sich auf Arbeitskreise mit Straßenumfrage. Mehr ist daraus nicht geworden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist nicht neu, das ist nicht innovativ, und es ist schon gar nicht erfolgversprechend. Im Gegenteil: Es hat die besten Chancen, zu einem schwarzen Loch zu werden, in dem es weder Raum noch Zeit gibt, ein schwarzes Loch, das jede noch so gut vorhandene Idee im Ruhrgebiet einsaugt und sie nie wieder freigibt.

Jetzt stehen Sie, Herr Laschet, rat- und hilflos vor der Steilwand aus Erwartungen, die Sie mit Ihrer unnachahmlichen Art für Schaufensterpolitik aufgebaut und geschaffen haben. Ursprünglich sollte Ihre Konferenz der Beginn eines Aufbruchs in ein neues Zeitalter sein. Und nun gibt es einen Betriebsausflug mit der Straßenbahnlinie 107 nach Zollverein, meine Damen und Herren. Das ist zu wenig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist eine herbe Enttäuschung, was die Menschen aus dem Ruhrgebiet aus Ihrer heutigen Unterrichtung vernehmen können.

Meine Damen und Herren, es gibt in Deutschland keine andere Metropolregion, deren Stärken und Schwächen, wie ich finde, so oft analysiert worden sind wie die des Ruhrgebiets. Es gibt, glaube ich, auch kein Erkenntnisdefizit. Es gibt im Übrigen auch keinen Mangel an Ideen und Konzepten, jedenfalls nicht außerhalb dieser Landesregierung, meine Damen und Herren.

Das Ruhrgebiet ist ein europäischer Wissenschaftsstandort ersten Ranges. Es war immer ein großartiger Industriestandort mit hervorragenden Zukunfts- und Entwicklungschancen. Es kann auch eine Pionierregion für technologische Innovation werden, eine Pionierregion, in der technologischer Fortschritt in sozialen Fortschritt verwandelt wird.

So wäre das Ruhrgebiet der ideale Standort für virtuelle Kraftwerke und intelligente Stromnetze. Aus dem Wissen der Stahlindustrie, die 80 % ihrer Reststoffe recycelt, kann eine ökologische und hochinnovative Kreislaufwirtschaft erwachsen, die aus Abfall wiederverwertbare Rohstoffe macht und sie verkauft. Siemens in Mülheim entwickelt gerade auf Basis einer Turbinentechnologie neue Produkte und erschließt dafür neue Märkte und Abnehmer. Meine Damen und Herren, wir dürfen es nicht dem Zufall überlassen, ob diese Chancen und Möglichkeiten genutzt oder liegen gelassen werden.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Was wir brauchen, sind Industrieplattformen, die einen Technologieaustausch fördern, der zu neuen Wertschöpfungen, zu neuen Produkten und somit dann auch zu neuen Arbeitsplätzen führt. Das gilt auch für die sozialen Probleme in den Revierstädten, die übrigens gar nicht so sehr an der Ruhr, sondern eher an der Emscher vorhanden sind. Dort leiden zu viele Menschen unter den Folgen sozialer Ungleichheit, unter Langzeitarbeitslosigkeit und schlichtweg auch unter dem Mangel an öffentlicher Lebensqualität. Dort, im Norden des Reviers, fände eine Heimatministerin ihren wirklichen Einsatzort und nicht Arm in Arm mit Heino.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, echte Heimatpolitik verschwendet keine Zeit mit veralteten und kitschigen Heimatbildern. Sie begnügt sich auch nicht mit der Verteilung kleiner Schecks. Echte Heimatpolitik sorgt für öffentliche Lebensqualität. Sie sorgt für gute und bezahlbare Wohnungen, für die Sanierung und Verschönerung von Straßenzügen, für Grünanlagen und Spielplätze, für einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr und auch für gute Schulen, Kindertagesstätten, die gebührenfrei sind und eine vernünftige Ganztagsbetreuung bieten. Heimatpolitik verlangt also all das, wovor diese Landesregierung sich bislang erfolgreich gedrückt hat.

(Beifall von der SPD)

Und es kommt noch schlimmer: Sie hintertreiben mit Ihren Plänen für Kombilohnmodelle einen sozialen Arbeitsmarkt, der Tausenden von Arbeitslosen eine Chance auf dauerhafte Arbeit und ein eigenständiges Einkommen geben könnte.

(Beifall von der SPD)

Sie schließen die Produktionsschulen, die gerade im Ruhrgebiet für viele junge Menschen die einzige Chance für den Einstieg in eine Berufsausbildung gewesen wären.

(Beifall von der SPD – Marc Herter [SPD]: Ganz genau!)

Es wäre dem Ruhrgebiet schon geholfen, wenn die vorhandenen guten Ideen und Konzepte wenigstens ungestört durch Ihre Regierungskoalition umgesetzt werden könnten und nicht mit ideologischem Eifer Ihrer Mitte-rechts-Koalition kaputtgemacht würden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren Wir müssen, vor allen Dingen müssen wir den Städten des Ruhrgebiets wieder ihre Finanzkraft zurückgeben. Sie brauchen das – es steht ihnen zu –, damit sie sich wieder ausreichend um die Daseinsfürsorge der Menschen und die örtliche Lebensqualität kümmern können.

Die Aufwendungen der Ruhrgebietsstädte für Arbeitslosengeld II, Grundsicherung und Schuldenlast überfordern die Finanzkraft der Ruhrgebietsstädte. Deshalb sind dort auch die kommunalen Steuern und Abgaben unverhältnismäßig höher als in anderen Regionen unseres Landes.

Die sozialen Probleme im Ruhrgebiet sind aber keinesfalls nur die sozialen Probleme des Ruhrgebiets. Die Ruhrgebietsstädte sind stark gefordert und leisten unverhältnismäßig viel. Das ist nicht gerecht, meine Damen und Herren, das muss sich ändern. Ich will Ihnen auch ganz konkret sagen, Herr Ministerpräsident, was man da jetzt wirklich konkret auch mal machen könnte. Erstens muss ein kommunaler Altschuldenfonds aufgelegt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir im Ruhrgebiet brauchen diesen Altschuldenfonds, der die überforderten Städte von den Lasten der Vergangenheit befreit. Diese gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Land und Kommunen hätte den Ruhrgebietsstädten …

(Bodo Löttgen [CDU]: Die Lasten, die Sie geschaffen haben, sollen wir jetzt beseitigen! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Machen Sie so weiter, wie wir das gemacht haben. Damals ist den Ruhrgebietsstädten geholfen worden. Völlig richtig! Das war gut.

(Beifall von der SPD)

Nehmen Sie sich ruhig ein Beispiel an dem Stärkungspakt Stadtfinanzen der alten Landesregierung. Bei diesem Thema kommen Sie nicht mit.

(Beifall von der SPD)

Zweitens brauchen wir eine vernünftige Sozialstaatsreform, die in Zukunft verhindern wird, dass das Gros der Kosten des Sozialstaatsversprechens nur wenigen strukturschwachen Kommunen auferlegt wird.

Drittens. Die kommunale Daseinsvorsorge muss als Gemeinschaftsaufgabe anerkannt und darüber Element der regionalen Strukturförderung werden. Das ist ganz entscheidend.

Das sind drei ganz konkrete Vorschläge.

(Beifall von der SPD)

Machen Sie also bitte konkrete Politik für das Ruhrgebiet! Machen Sie eine gescheite Ruhrgebietskonferenz, aber keine Geschichtsstunden hier! – Vielen Dank.

(Langanhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kutschaty. – Für die CDU hat nun Herr Abgeordneter Löttgen das Wort.

Bodo Löttgen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hätte ja die Hoffnung haben können,

(Martin Börschel [SPD]: Wenn Sie schon so anfangen! – Sven Wolf [SPD]: So reden Sie über den Ministerpräsidenten? – Heiterkeit von der SPD)

sehr geehrter Herr Kutschaty, dass mit Ihrer Wahl zum neuen Fraktionsvorsitzenden auch eine Neubesetzung des Amtes des Redenschreibers für den Fraktionsvorsitzenden vorgenommen wird.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Ich muss Ihnen leider sagen, dass diese Hoffnung zumindest bei mir enttäuscht worden ist. Knapp 20 Minuten haben Sie darüber gesprochen, was Sie nicht nur in den letzten sieben, sondern in mittlerweile 45 Jahren hätten tun können. Uns heute vorzuwerfen, wir hätten es nicht gemacht, das ist schlicht und einfach eine Frechheit!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Wolfgang Jörg [SPD])

Scheitern zu prognostizieren, bevor ein Prozess überhaupt angefangen hat, sehr geehrter Herr Kutschaty, das ist nicht nur schwach, sondern das ist auch arm.

(Michael Hübner [SPD]: Welcher Prozess? Benennen Sie ihn doch mal! Vielleicht können wir von Ihnen mal ein paar Beispiele und Handlungsoptionen hören!)

Anschließend haben Sie auch noch als eigenen Vorschlag das angeführt, was der Ministerpräsident bereits in seiner Rede vorgetragen hat. Das ist noch schwächer.

(Beifall von der CDU und der FDP – Sarah Philipp [SPD]: Was war denn der eigene Vorschlag? – Christian Dahm [SPD]: Was war das für ein Vorschlag? Dass die Ruhr durch das Sauerland fließt?)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Ministerpräsident hat endlich Lösungen für Probleme beschrieben, die SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit nicht angepackt haben.

(Lachen von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Da klatscht ja noch nicht mal einer bei Ihnen!)

Ich habe in meiner Haushaltsrede vor wenigen Wochen Herrn Professor Heinrich …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nennen Sie doch einen konkreten Vorschlag aus der Rede!)

– Ich werde sie gleich alle noch einmal aufzählen, damit Sie mitschreiben können, Herr Mostofizadeh. Das konnten Sie gerade anscheinend nicht tun.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Oh! Jetzt! Ah! – Zurufe von der SPD: Oh!)

In meiner Haushaltsrede vor wenigen Wochen habe ich an dieser Stelle Herrn Professor Heinrich Theodor Grütter, den Direktor des Ruhr Museums, aus dem Film „Der lange Abschied von der Kohle“ zitiert. Er sagte – Zitat –:

„Wenn die letzte Zeche geschlossen wird, ist, glaube ich, allen Beteiligten klar, dass das, was früher war, nie wiederkommen wird und dass wir uns jetzt endgültig in die Zukunft hineinbewegen, und das ist ein mentaler Bruch.“

Zitat Ende.

Der Ministerpräsident sprach eben in seiner Unterrichtung von einer historischen Zäsur, Herr Professor Grütter von einem mentalen Bruch. Das ist genau die richtige Wortwahl für die gewaltige Herausforderung, vor der unser Land Nordrhein-Westfalen steht, von der das Ruhrgebiet aber besonders betroffen ist.

Armin Laschet hat es völlig richtig gesagt: Steinkohle war der Treibstoff für das Wirtschaftswunder, und zwar lange vor Erdöl, Erdgas, Kernkraft, Windenergie oder Solarstrom. Die im Ruhrgebiet geförderte Kohle und der hier geschmolzene Stahl machten aus Dörfern nicht nur Großstädte, sondern sie haben auch deutsche wie ausländische Arbeiter über Generationen ernährt. Ohne das Geld, das mit der Steinkohle verdient wurde, wäre der heutige Erfolg des Industrielandes Deutschland nicht möglich gewesen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber es sind nicht nur die Kohlekumpels, die sich eine entscheidende Frage stellen, vielmehr fragt sich eine ganze Region, wie es weitergeht. Die Initiative von Armin Laschet und der Landesregierung zur Ruhrkonferenz gibt eine Antwort: Wir erarbeiten mit euch den Weg, die Lösungen, die passen und die eine Perspektive bieten.

Das Ruhrgebiet, wie viele von uns es kennen und wie es sich selbst seit rund 200 Jahren definiert, steht an einem Scheideweg. Das ist keine neue Erkenntnis. Der Weg aus der Steinkohle wurde schon vor mehr als zehn Jahren beschlossen. Aus dem mehr als lesenswerten Beitrag von Frank Goosen in „DIE ZEIT“ vom 7. Januar 2010 stammt der Satz – Zitat –:

„Das Ruhrgebiet hat sich, im wahrsten Sinne des Wortes, das Recht erarbeitet, sich hemmungslos zu stilisieren und sich zu dem zu bekennen, was es einzigartig macht, nämlich eben die Arbeit. Zumindest die von früher.“

Zitat Ende.

Doch das Ausruhen auf den Lorbeeren von gestern führt nicht weiter. Das gibt der Entwicklung des Ruhrgebiets keine neue Richtung. Vielleicht aber hilft die Diagnose von außen, dass das Ruhrgebiet nicht an jedem Ort, aber vielleicht an einigen entscheidenden Stellen hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

Statt, wie häufig in der Vergangenheit von Vorgängerregierungen benutzt, alte Bergmannsromantik mit dem Gruß „Glück auf!“ zu beschwören, wäre es vielleicht angebracht, sich einmal daran zu erinnern, welche Bedeutung dieser Gruß eigentlich hat – die Kurzumschreibung dessen, was der Ministerpräsident als Ziel der Ruhrkonferenz definiert hat –:

Der Gruß beschreibt die Hoffnung der Bergleute, es mögen sich Erzgänge auftun. Auf Neudeutsch wäre das der Hashtag für: Ich wünsche dir Glück, tu einen neuen Gang auf. – Besser und kürzer kann man die Aufgabe der Ruhrkonferenz, kann der Weg, den wir gemeinsam suchen und dann auch gemeinsam gehen müssen, nicht beschrieben werden.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, verantwortliche Politik, wie sie der Ministerpräsident heute mit der Ruhrkonferenz vorgestellt hat, handelt wie ein umsichtiger Autofahrer: Konzentration auf den Blick nach vorn, und den Rückspiegel nicht aus den Augen verlieren.

Mit der Initiative haben Ministerpräsident und Landesregierung den Blick nach vorne in die Zukunft gerichtet und damit ein weithin sichtbares Signal des Aufbruchs gesendet.

(Zuruf von der SPD: Mein Gott!)

– Es ist der Beginn eines Prozesses. Sie sind immer dabei, sofort Ergebnisse zu produzieren zu wollen. Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam diesen Weg beschreiten.

(Andreas Bialas [SPD]: Das ist ein ganz kleines Licht!)

Diese Ruhrkonferenz wird Impulse geben, um die schlummernden Potenziale der Region zu wecken. Sie wird Impulse geben, um dort, wo bereits zweifelsohne eine vorhandene Dynamik vorhanden ist, diese Dynamik weiter anzuschieben.

Das Ruhrgebiet ist der dichteste Ballungsraum Deutschlands, und die Metropolregion spielt in einer Liga mit Paris, London oder Moskau. Ein kollegialer Gruß, wenn ich mir den erlauben darf, aus dem Rheinland an die Ruhr, wo wir zumindest alle gemeinsam im Jahr 2007 Weltmeister geworden sind! Die deutsche Mannschaft wohnte in meiner Heimat. Damals hieß es, und das muss auch heute gelten:

„Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht hier, sag mir wo und wann. Und wenn nicht wir, wer sonst?“

Meine Damen und Herren, die Entwicklung dieser Potenziale und ihrer Förderung ist aber nicht – und das haben Sie eben angedeutet, Herr Kutschaty – originär eine Frage des Geldes.

(Sven Wolf [SPD]: Bei den Kommunalfinanzen schon, Herr Löttgen!)

– Das ist ja das, was Sie wollen. Sie wollen Fördertöpfe bedienen, wir wollen Strukturen im Ruhrgebiet überprüfen. Das ist der Punkt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Dahm [SPD]: Wir wollen die kommunale Begleitung, Herr Kollege, Veränderungen der Sozialstrukturen allgemein!)

– Geld produziert, lieber Herr Kollege, nicht a priori Ideen.

(Sven Wolf [SPD]: Aber ohne Geld gibt es auch keine Ideen!)

– Ich habe ja nicht gesagt, dass es kein Geld gibt, sondern wir müssen überlegen, wie wir die Strukturen da, wo sie schlecht sind, wirksamer machen können, und das im öffentlichen, im sozialen Bereich, aber auch im Bereich der Hochschulen und der Wirtschaft.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jetzt kommt der erste Vorschlag! – Lachen von der SPD)

Ich will damit nur sagen: Auch die anderen Regionen unseres Landes, das Rheinland, das rheinische Braunkohlerevier, Lipperland, Bergisches Land, Münsterland, Eifel, Sauerland, Siegerland, der ländliche Raum ebenso wie die großen Städte formulieren zurecht ihren Anspruch auf Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Die Gießkanne, meine Damen und Herren, gehört in den Garten. Die finanzielle Gießkanne darf nicht zum Instrument der Politik werden. Es wird Aufgabe der Ruhrkonferenz sein, Strategien zu entwickeln, Stärken zu identifizieren und weiter auszubauen, existierende Ideen weiter zu denken, Kräfte zu bündeln und neben den bereits vorhandenen neue Leuchttürme zu errichten, die klare Orientierung für die Menschen geben.

Es darf ausdrücklich nicht darum gehen – und das ist das, was Sie so verkörpert haben –, alte Strukturen in neue Zeiten einzupassen. Denn das Runde, lieber Herr Kutschaty, passt eben nur beim Fußball in das Eckige. Für die Zukunft des Ruhrgebietes wie übrigens auch für den ganzen Industriestandort Nordrhein-Westfalen sollten Begriffe wie Digitalisierung, angewandte Spitzenforschung, umwelt- und klimafreundliche Mobilität, hochwertige Industriefertigung, gute Ausbildung – haben Sie mitgeschrieben, sehr geehrter Herr Kollege? – im Mittelpunkt stehen.

Wenn das keine Vorschläge sind, dann weiß ich nicht, was Sie wollen.

Ich habe zu Beginn Herrn Professor Grütter zitiert, und ich möchte es am Ende noch einmal tun. Denn für ihn ist jetzt der Moment, in dem alle Fragen der Neuorientierung zielgerichtet noch einmal zur Verhandlung stehen. Das ist, so sagt er, noch einmal die Chance des Ruhrgebiets zur Neuausrichtung für die nächsten Jahrzehnte.

Ich glaube, dass diese Neuausrichtung in vollem Gange ist, dass es dem Fleiß der Arbeitnehmer und Unternehmer sowie ihrem unternehmerischen Weitblick zu verdanken ist, dass es bereits Hunderttausende neue Arbeitsplätze im Ruhrgebiet gibt: in der Bildung, in der Forschung, in der Wissenschaft – Herr Ministerpräsident hat die Hochschulen angesprochen –, im Mobilitätssektor, bei den Dienstleistungen, in der Hochtechnologie, Chemie und Energie.

Diese bestehende Dynamik aufzugreifen, wird und soll die Ruhrkonferenz leisten. Es ist daher eine zielführende Idee des Ministerpräsidenten, die gesamte Landesregierung einzubinden, jedes Ressort und jeden Fachminister mit seiner Fachkompetenz an den Start zu bringen.

Der Startschuss für die Ruhrkonferenz ist gefallen. Er markiert zugleich die Einlösung eines Wahlversprechens. Die NRW-Koalition hat zugesagt, im selben Jahr, in dem die letzte Zeche schließt, eine Konferenz zur Zukunft des Ruhrgebietes durchzuführen. Die NRW-Koalition hält ihre Zusagen ein – für die Menschen im Ruhrgebiet ebenso wie für alle anderen Regionen unserer Heimat.

(Beifall von der CDU und der FDP – Gordan Dudas [SPD]: Hauptsache Sauerland!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Für die Grünen hat nun Herr Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war auf die Rede des Ministerpräsidenten sehr gespannt, da wir uns erhofft hatten, Neues zu erfahren. Lieber Herr Ministerpräsident, wir haben nichts, aber auch gar nichts Neues erfahren, was das Ruhrgebiet nach vorne bringen soll.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin mir auch relativ sicher, warum Sie das Instrument der Unterrichtung gewählt haben: weil Sie nicht in der Lage waren, eine gemeinsame Erklärung der Landesregierung vorzulegen. Sie haben keine Vorschläge gemacht, was die Landesregierung tun will, um im Ruhrgebiet voranzukommen. Sie haben nicht beschrieben, was Ihre Floskeln im Konkreten bedeuten sollen. – Herr Ministerpräsident, Ihre Rede war eine einzige Enttäuschung für dieses Parlament und auch für die Menschen, die im Ruhrgebiet leben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Weil eben Herr Löttgen vorgeworfen hat, dass man nicht zu Beginn ein Scheitern prognostizieren sollte, will ich Ihnen ganz klar sagen: Es darf gar kein Scheitern geben. Die Menschen im Ruhrgebiet und auch in ganz Nordrhein-Westfalen können nicht scheitern. Was wir tun können, ist, ihnen das Leben schwerer zu machen und ihnen Ballast vor die Füße zu werfen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das habt ihr doch gemacht! Abenteuerlich!)

Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Dieser Ministerpräsident und diese Landesregierung müssen klar aufzeigen, wohin der Weg geht, und sollten sich nicht mit Floskeln hier zwölf Minuten lang vor dem Parlament blamieren. Das ist eine Blamage, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich will, weil Herr Minister Holthoff-Pförtner dafür auch zuständig ist, sagen: Es war ein schlechter Start. Wir haben bis heute nicht nur noch keine konkreten Vorschläge erfahren, sondern das, was ich bisher vernommen habe, ist, dass man sich mit dem Initiativkreis zusammengesetzt hat und dabei übereingekommen ist, einen Minister und jemanden aus der Zivilgesellschaft zu nehmen, die sich darum kümmern.

In allen Ehren, der Initiativkreis vertritt 70 Unternehmen im Ruhrgebiet, wir haben aber insgesamt 255.000 Unternehmen. Mit denen muss gesprochen werden, Herr Ministerpräsident, und nicht mit einem ausgewählten Kreis von dekorierten Menschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, was die Struktur betrifft, ist: Die fünf Millionen Menschen, die in der Ruhrregion leben, haben demokratisch verfasste Parlamente und auch eine Klammer mit dem Regionalverbund Ruhr.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die habt ihr doch ausgebootet mit eurem Naturschutzgesetz!)

– Was erzählst du denn?

Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus, dass Sie selbstverständlich auf diese Parlamente, auf die vielen klugen Köpfe im Ruhrgebiet zugehen und dass wir gemeinsam eine Struktur entwickeln, die uns nach vorne bringt. Denn das haben wir von der IBA Emscher Park gelernt:

Nur mit einer konkreten Beteiligung der klugen und fleißigen Menschen im Ruhrgebiet kann überhaupt etwas entstehen, und nicht von oben aufgepfropft. Das ist der völlig falsche Weg.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, eines will ich Ihnen sehr klar sagen: Wir reden heute sehr wohl über Geld. Denn ohne einen konkreten Entschuldungsfonds, der die kommunalen Haushalte im Ruhrgebiet, im Bergischen Dreieck und auch die anderen Kommunen, die davon betroffen sind, nicht von den Kassenkrediten entlastet, sind alle anderen Projekte Maskerade und führen in den Nebel und nicht dazu, dass die Kommunen im Ruhrgebiet handlungsfähig sind.

Das müssen wir sehr konkret heute oder spätestens in diesem Jahr hier entscheiden. Sonst wird das nichts mit der Ruhrkonferenz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben gesagt: Es ist keine Krisenzeit. Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Das Land hat mehr Einnahmen denn je, und wir haben auch Einnahmen aus einem Stärkungspakt, der mit 350 Millionen € vom Land und mit etlichen zusätzlichen Mitteln dotiert ist. Nehmen Sie dieses Geld, Herr Ministerpräsident!

Nehmen Sie den Bund bei der Hand, Herr Kollege Kutschaty! Das muss ich Ihnen an dieser Stelle auch noch sagen: Das Verhalten der Bundesregierung mit Beteiligung der SPD ist hier alles andere als rühmlich gewesen. Die Sozialausgaben gehen weiterhin in die Höhe, die Beteiligung des Bundes ist nicht gekommen, und einem Altschuldenfonds, wie es unsere Fraktion im Bundestag seit acht Jahren immer wieder vorbringt, hat die SPD auch nicht zugestimmt. Wir wären ein ganzes Stück weiter, wenn wir es früher verabredet hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer ganz konkreter Punkt, den Sie hier auch angesprochen haben, Herr Ministerpräsident, ohne irgendetwas auszuführen, ist das Thema Mobilität. Wir müssen im Ruhrgebiet – ich meine, auch in ganzen Land Nordrhein-Westfalen; aber im Ruhrgebiet ist es wie im Brennglas – eine Mobilität schaffen, die zunehmend ohne das Auto auskommt. Das Auto verbraucht einfach zu viel Platz. Wir brauchen ÖPNV; wir brauchen Strukturen, die das Fahrrad fördern, und da ist der Radschnellweg Ruhr sicherlich ein guter Ansatz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch nichts schönreden. Der Radwegeanteil im Ruhrgebiet beträgt nicht einmal 10 %. In Essen sind es 8 %, und in den Nachbarstädten sieht es nicht besser aus. Das heißt, dass wir von den 25 %, die wir mindestens brauchen, sehr weit entfernt sind.

Dazu schlage ich Ihnen ganz konkret vor – das hat eine Enquetekommission in den Jahren 2002 bis 2005 übrigens auch schon einmal vorgeschlagen –:

Machen Sie Förderbedingungen an das Ruhrgebiet von regionalen Förderkonzepten abhängig! Zwingen Sie die Kommunen meinetwegen dazu, darzulegen: Wo ist der Verkehrsnutzen, der überregional da ist, nicht nur von der Außenstadtseite bis zur Innenstadtseite? Das können Sie alles machen. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Das führt dazu, dass das Kirchturmdenken, was Sie immer auch beschreiben, eben nicht möglich ist. Das können wir gemeinsam und konkret miteinander verabreden. Aber setzen Sie nicht weiterhin einseitig auf die Autoförderung! Das führt in die völlig falsche Richtung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt, was das Stichwort Solidarität der Menschen im Ruhrgebiet anbetrifft: Ich habe diese Woche einen Artikel in der „Rheinischen Post“ gelesen, der mich, ehrlich gesagt, wirklich geärgert hat. Ich habe als Kommunalpolitiker auch immer massiv dagegen mobil gemacht, dass einzelne Ruhrgebietsfürsten, weil sie sich selbst besser verkaufen wollten, kommunale Bündnisse oder interkommunale Kooperationen verhindert haben. Das stimmt. Das ist aber, glaube ich, nach meiner Beobachtung nicht viel anders als in manch anderen Regionen.

Aber anders war es beim Projekt „Kulturhaupthauptstadt 2010“, wobei man sehr wohl in der Region zusammengearbeitet hat.

Dann gibt es das Projekt „IGA 2027“. Das mir persönlich das wichtigste Projekt, weil es zeigt, dass es auch wirtschaftlich so ist, ist die Umweltzone Ruhr. Ohne dass einzelne Städte in der Mitte einen Nutzen davon hatten, hat man sich gemeinsam von unten verabredet, diese Umweltzone zu bilden.

Das zeigt, dass das Ruhrgebiet sehr wohl in der Lage ist, auf Egoismen zu verzichten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür braucht man eine ganz konkrete Vorbereitung vom Land und ein Zugehen auf die Region. Dann funktioniert dort auch eine ganze Menge, wenn wir es denn wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zwei letzte Punkte, die Sie konkret beschrieben haben, für die Sie jedoch keine Lösung angeboten haben, möchte ich hier noch ansprechen.

Wir waren am Montag auf einer Reise durch das Ruhrgebiet mit der Kommission „Für die Würde unserer Städte“. Dort haben wir unter anderem Thomas Kufen, den Oberbürgermeister von Essen, getroffen. Dort ging es um das Thema Integration. Herr Kufen hat gesagt – das fand ich beachtlich –, dass Essen und das ganze Ruhrgebiet sehr wohl bereit seien, die Menschen, die keine Heimat fänden, weil sie beispielsweise in Dresden oder Chemnitz abgelehnt würden, zusätzlich im Ruhrgebiet aufzunehmen.

Zur Wahrheit gehört dann aber auch, dass das, was die Kanzlerin uns gesagt hat, „Wir schaffen das!“, auch verbunden werden muss mit „Wie schaffen wir das?“

Wir brauchen eine klare Perspektive, dass der Bund für die Kosten der Integration einsteht, dass der Bund die Außenpolitik nicht auf dem Rücken der Städte ablädt und dass das Land – das haben Sie selbst auch gesagt – selbstverständlich in die Stadtteile, wo es am meisten brennt, die meisten Lehrerinnen und Lehrer und die meisten Sozialpädagogen schickt. Da haben Sie uns an Ihrer Seite, auch wenn Sie dann in die Schulen gehen, wo es nicht so schlimm ist, und sagen: Hier kommen die Leute heute nicht hin; wir brauchen die in Katernberg, in Altenessen, in der Gelsenkirchener Nordstadt usw. – Das müssen wir dann auch gemeinsam hier entscheiden. Das wäre eine klare Richtungsentscheidung dieser Landesregierung, wenn sie das denn tun will.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Herzliche Einladung!)

Letzter Punkt, das Thema „Arbeit“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Kutschaty hat es vorhin angesprochen. Es war natürlich ein Fehler, das Thema „Produktionsschulen“ hier zu streichen und die Strukturen im Ruhrgebiet kaputt zu machen. Aber mir persönlich ist es ganz wichtig, heute von dieser Stelle aus zu sagen: Alles, was – neben dem Entschuldungsfonds für die Kommunen im Ruhrgebiet – über das hinausgeht, was wir heute tun, muss eine ganz wichtige Überschrift haben: Wir müssen Arbeitsplätze im Ruhrgebiet sichern und ausbauen.

Dazu gehören zwei Säulen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die erste Säule ist, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass wir rund die Hälfte der Arbeitslosen in struktureller Arbeitslosigkeit haben, und für die brauchen wir Konzepte des sozialen Arbeitsmarktes. Deswegen muss das, was im Bund verabredet worden ist, Hand und Fuß bekommen. Ich habe die Befürchtung, dass es nur ein Anschlussprojekt ist für bereits vorhandene Programme. Herr Arbeitsminister, da brauchen wir jetzt sehr wohl konkrete Vorschläge, wie es gehen soll.

Außerdem brauchen wir Initiativen in Arbeit, die dazu führen, dass diejenigen, die an der Uni arbeiten, die in der Region etwas tun, in der Region bleiben und einen Anhaltspunkt haben, dort etwas zu machen.

Denn wir Menschen im Ruhrgebiet, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich lebe dort seit 45 Jahren, auch wenn in einen kleinen niedersächsischen Migrationshintergrund habe –, halten zwar nicht alle zusammen; das sind Geschichten. Aber im Ruhrgebiet gibt es sehr viele kluge Köpfe, die die Ärmel hochkrempeln und für diese Region stehen und auch arbeiten, egal, ob sie aus Schalke, Gelsenkirchen oder aus Katernberg kommen. Das ist aller Mühen wert, und das sollte hier heute auch sehr klar erklärt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rasche jetzt das Wort.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte nun das Vergnügen, zwei Redner aus der Opposition zu hören, die beide aus der wunderschönen Stadt Essen kommen. Beide hatten in der Regierungszeit von SPD und Grünen Positionen inne, die sehr verantwortungsvoll waren und die mit sehr viel Einfluss verbunden waren. Und genau für die Politik, die diese beiden Herren betrieben haben, wurde die alte Koalition am 14. Mai des vergangenen Jahres abgewählt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dass beide Kollegen in ihren Reden ihre alte Politik fortsetzen und daran anknüpfen, scheint mir eine ganz besondere und bemerkenswerte Strategie zu sein, um die nächste Landtagswahl für SPD und Grüne zu gewinnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wird das nicht funktionieren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Sebastian Watermeier [SPD])

Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land mit unterschiedlichen Regionen, Metropolen, Ballungsräumen und ländlichen Bereichen. Die Interessen der NRW-Koalition dienen natürlich dem ganzen Land. Sie gelten dem ganzen Land, allen Regionen und allen Menschen.

In diesem Fall kommt dem Gebiet der Ruhr, dem Ruhrgebiet, eine ganz besondere Bedeutung zu – aus Sicht von ganz Deutschland und aus Sicht von Nordrhein-Westfalen. Denn genauso wie die Bereiche in ganz Nordrhein-Westfalen unterschiedlich sind, so ist es auch im Ruhrgebiet. Dort gibt es sehr unterschiedliche Regionen, sehr unterschiedliche Entwicklungen und auch sehr unterschiedliche, aber sehr große Herausforderungen.

Die Stärkung der verschiedenen Regionen im Bereich der Ruhr, aber auch in ganz Nordrhein-Westfalen,

(Frank Müller [SPD]: Was denn jetzt? – Michael Hübner [SPD]: Gebiet der Ruhr!)

und diesen Regionen neue Perspektiven zu verschaffen und Chancen einzuräumen – egal wo man lebt –, ist eine Gemeinschaftsaufgabe für dieses Hohe Haus, für uns alle. Daran müssen sich der Bund, die Kommunen und natürlich auch das Land Nordrhein-Westfalen beteiligen.

Das muss, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Parteigrenzen hinweg geschehen. Die Aufgabe ist so groß, dass sich hier kein Parteiklüngel lohnt. Das würden die Bürgerinnen und Bürger uns übel nehmen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich verstehe ja, Herr Kutschaty – Glückwunsch zur gestrigen Wahl und auf eine gute Zusammenarbeit; das meine ich ehrlich –, dass die SPD in einer schwierigen Position ist.

(Christian Dahm [SPD]: Glaube ich nicht! – Heiterkeit von der SPD)

Wenn sie konstruktiv mit diesem Prozess umgeht, dann ist das gut für das Ruhrgebiet, aber vielleicht wird die SPD davon nicht profitieren. Wählt sie die andere Alternative – so, wie sie es vorhin getan hat – und beschimpft den gesamten Prozess, um selber davon zu profitieren und sich zu profilieren, dann schadet sie allerdings dem Ruhrgebiet.

(Beifall von der FDP und der CDU – Frank Müller [SPD]: Stimmt doch gar nicht! – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen im Ruhrgebiet das durchschauen werden, und die SPD wird davon niemals profitieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Richtig ist, dass wir gemeinsam die Perspektiven für die Menschen an Ruhr, Emscher – das habe ich eben auch gehört – und Lippe in den Blick nehmen.

(Heike Gebhard [SPD]: Wieder was gelernt!)

Dass hier im Hohen Haus heute eine Debatte dazu geführt wird, ist genau richtig – vielen Dank an den Ministerpräsidenten, Armin Laschet. Hätte er diese Unterrichtung nicht vorgenommen, hätten Sie ihm doch vorgeworfen, dass er sich mit diesem Thema überall beschäftigt – im ganzen Land –, aber nicht in diesem Hohen Haus. Diesen Vorwurf können Sie jetzt nicht mehr unterbreiten, und Sie kamen dann mit den typischen Phrasen, um zu versuchen, den Ministerpräsidenten anzugreifen.

Wichtig für den Prozess sind aus meiner Sicht insbesondere zwei Dinge: sowohl positiv als auch offen an die neue Aufgabe heranzugehen. Wir erleben doch alle viel zu oft, mal geschrieben, mal gesprochen, wie schlecht das Ruhrgebiet dargestellt wird – viel schlechter, als es ist. Denn so schlecht ist es überhaupt nicht; in vielen Bereichen ist es sogar sehr gut. Dieses Negativszenario der Schilderung muss endlich beendet werden.

(Frank Müller [SPD]: Der Ministerpräsident hat gerade was anderes erzählt!)

Man muss das Ruhrgebiet mindestens so darstellen, wie es wirklich ist, aber auf keinen Fall schlechter.

Der zweite Punkt, der mir besonders wichtig ist: Wir müssen mit den Menschen im Ruhrgebiet reden und nicht über sie. Genau deshalb ist dieser Prozess auch so angelegt.

Wir haben vorhin den Vorwurf aus der Opposition gehört, wir hätten kein Papier mit konkreten Vorschlägen – erstens, zweitens, drittens, viertens, fünftens – dazu vorgelegt, wie wir die Situation an Ruhr, Lippe und Emscher verbessern wollen. Merken Sie denn gar nicht, dass wir ganz anders an diesen Prozess herangehen? Wie erarbeiten diese Lösungen mit den Menschen vor Ort, die sich dort größtenteils auch viel besser auskennen als wir und die, was die Probleme vor Ort betrifft, einen ganz anderen Erfahrungsschatz haben als wir.

Dann, wenn wir diesen Prozess abgeschlossen haben, legen wir natürlich die Lösungen gemeinsam auf den Tisch. So werden wir das Gebiet und die Region nach vorne bringen. Das würde noch besser gelingen, wenn Sie diesen Prozess unterstützen und nicht boykottieren würden, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich sprach gerade – das hat der Kollege Kutschaty auch getan – von einem Ruhrgebiet mit vielen Stärken: größter Binnenhafen Europas, der größte Kanalhafen Deutschlands in Dortmund, DAX-Unterneh-men, eine starke Wirtschaft – gerade in den Bereichen Energie, Wohnen und Bauen –, viele Potenziale in Zukunftsmärkten, gerade im Ruhrgebiet. Es gibt auch andere tolle Merkmale: die Zeche Zollverein, die Lichtburg in Essen, der Gasometer. Die Leute, die im Ruhrgebiet wohnen, können stolz darauf sein, dass sie dort wohnen.

Das Lebensgefühl an der Ruhr ist vielfältig: die Cranger Kirmes – eines der größten Volksfeste Deutschlands –, die Weihnachtsmärkte, zum Beispiel in Dortmund, die Millionen Menschen anziehen, und auch der Sport sind untrennbar mit der Region verbunden. Auch darauf kann man stolz sein.

(Sven Wolf [SPD]: Jetzt kommt das mit Fußball!)

Mag dieser Verein aus dem Süden Deutschlands im Fußball Deutscher Meister sein – was die Stimmung in den Stadien angeht, sind es allemal der BVB und Schalke 04.

(Sven Wolf [SPD]: Gladbach ist aber auch nicht schlecht! – Zuruf von Frank Müller [SPD])

Also: Wir nehmen die Menschen mit und reden mit ihnen. Und die Menschen an der Ruhr und an der Emscher erwartet von uns, dass wir geschlossen vorgehen und Respekt vor den Menschen haben – Respekt vor deren Leistungen, Respekt vor ihren Hoffnungen und eben auch Respekt vor ihren Problemen und davor, diese Probleme mit Lösungen zu versehen.

Wir sollten dabei alle Menschen im Ruhrgebiet und auch die konkreten Sorgen der einfachen Menschen mitnehmen. Und mit „einfache Menschen“ meinen die Menschen im Ruhrgebiet eher den Kunden der Stadtwerke als den Geschäftsführer der Stadtwerke, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vier Punkte, die mir wichtig sind, möchte ich die Zukunft betreffend noch ansprechen.

Erstens: Bildung bleibt der Schlüssel.

Wir müssen alle Schulen stärken, nicht nur eine Schulform, und die Talentschulen werden hinzukommen.

Wir müssen den Hochschulstandort Ruhr weiterhin stärken. Wir erleben gerade eine beeindruckende Bilanz. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich dort die Zahl der Studierenden um 82 % gesteigert. 82 %! Dazu haben viele beigetragen, eigentlich so gut wie alle hier in diesem Hohen Haus: die Regierung unter der Ägide von Rüttgers und Pinkwart zum Beispiel mit der Gründung der Fachhochschulen in Mülheim/Bottrop oder auch Hamm-Lippstadt, aber natürlich ist auch unter der Ägide von Johannes Rau unglaublich viel für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen getan worden. Das erkennen wir auch an, selbstverständlich.

Das Sicherheitsbedürfnis – das ist der zweite Punkt – müssen wir ernst nehmen. Kriminalität ist kein Phänomen allein im Ruhrgebiet, nein. Aber in einigen Stadtteilen im Ruhrgebiet gibt es sehr, sehr große Probleme. Die müssen wir angehen. Innenminister Reul tut das mit Null-Toleranz. Diesen Weg gehen wir weiter.

In der Flüchtlingspolitik müssen wir dann tatsächlich auch in Zukunft – wie es Joachim Stamp bewiesen hat – bis an die Grenze des Rechtsstaates gehen. So gewinnen wir das Vertrauen der Menschen an Ruhr und Emscher.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dritter Punkt: soziale Fragen beantworten. Auch das gehört doch dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD.

Wohnraum schaffen! Wir müssen dort bauen, bauen und bauen, damit wir am Ende unser gemeinsames Ziel „bezahlbaren Wohnraum“ erreichen.

Wir müssen soziale Einrichtungen unterstützen, und wenn es dann auch mal schwierig wird, müssen wir sie sogar besuchen.

Wir müssen das Ehrenamt gerade dort an Ruhr und Emscher fördern.

Der vierte Punkt ist, den Standort Ruhr konsequent zu stärken. Positive wirtschaftliche Entwicklungen müssen verstetigt werden. Dazu gehört dann natürlich auch Wachstum. Dazu sind neue Möglichkeiten notwendig. Wir brauchen mehr Raum, wir brauchen mehr Entfesselung, und wir brauchen Korrekturen am LEP. Das alles ist diese Regierung angegangen.

Wir haben doch eben schon einmal das Stichwort „newPark“ gehört. Gerade newPark ist doch das Symbol in der Region, lieber Kollege Hovenjürgen, wie man mit Industriestandorten und innovativen Ideen umgeht. Man kann sie ausbremsen oder man kann sie stützen. Da fand ich es bewundernswert, wie der Kollege Hans-Peter Müller von der SPD mit dieser Frage umgegangen ist.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Er sprach damals von einer gekonnten Blutgrätsche des grünen Koalitionspartners, in Person Johannes Remmel. Noch einmal: gekonnte Blutgrätsche. – Das ist der Unterschied zwischen der alten Regierung Kraft und Löhrmann und der neuen Regierung. Die einen arbeiten mit einer Blutgrätsche, und die neue Regierung arbeitet mit Doppelpass.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So erreichen wir unser Ziel, und Sie erreichen nichts.

Mobilitätsausbau gehört dazu. Die digitale Infrastruktur muss ausgebaut werden. Selbst bei den Radwegen sind wir dabei; auch die sollen ausgebaut werden. Aber alleine werden die niemals die Lösung sein. Wir brauchen intelligente und innovative Lösungen in vielen Bereichen.

Ich freue mich sehr darüber, Herr Kollege Wüst, dass autonomes Fahren jetzt auch in der Binnenschifffahrt angekommen ist, und zwar mit einer Teststrecke nicht in Brandenburg – so wie vorgeschlagen –, sondern bei uns in Nordrhein-Westfalen, nämlich in Duisburg.

„Start-ups und Förderkultur“ ist ein weiteres Thema. Wir lesen gerade heute in einer Broschüre von der IHK in Dortmund von einem Start-up-Fieber in Dortmund. Das soll sich ausbreiten auf das gesamte Ruhrgebiet. Dann würden wir die Region nach vorne bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ein letztes Stichwort in diesem Zusammenhang: Olympische Spiele. Auch die können spannend sein und ein echtes Ass im Ärmel für die Entwicklung von Nordrhein-Westfalen und der Region.

Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal der Appell: Lassen Sie uns gemeinsam an diese gewaltige Aufgabe herangehen, gemeinsam mit den vielen Köpfen, mit den vielen Menschen an Ruhr, Emscher und Lippe, damit wir uns nicht hinterher dem Vorwurf ausgesetzt sehen, wir hätten nicht alle Möglichkeiten genutzt, nur um politisch zu profitieren, sondern damit man uns hinterher dafür lobt, und zwar uns gemeinsam, dass wir etwas Positives für das Ruhrgebiet erreicht haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierung plant nun eine sogenannte Ruhrkonferenz. Vergessen sei zunächst einmal, dass wir das schon 1979 und 1988 hatten und dass dies die Ideenlosigkeit der aktuellen Regierung zeigt. Schließlich wolle man ja Ideen sammeln, die man anscheinend selber nicht hat.

So heißt es nun zur Ruhrkonferenz in der Presse – hier zitiere ich –:

„Mit der Konferenz solle ein Versprechen eingelöst werden, das einst an den Ausstieg aus der Kohlesubvention gekoppelt worden war: Die Investition in Bildung, Forschung und neue Technologien an der Ruhr, …“

So laut Presse eine Erklärung von Herrn Laschet.

Nun gut, bei Ihrem Versprechen geht es zunächst um den Wegfall der Kohlesubventionen. Der Ausstieg aus den Kohlesubventionen läuft nun schon seit mehreren Jahren oder sogar Jahrzehnten.

Doch wo sind im Gegenzug die Investitionen in die Bildung geblieben? Unsere Schulen sind – um es milde auszudrücken – marode. Es mangelt an allen Ecken. Hier möchte ich nur ein Beispiel bringen. Die Regierung und auch die Kommunen sind nicht in der Lage, ordentliche Toiletten für die Kinder zur Verfügung zu stellen. So müssen Eltern häufig in Eigenleistung sanitäre Einrichtungen streichen, oder Schulen verlangen ein Toilettengeld von den Schülern, damit die Kinder wenigstens auf ein sauberes Klo gehen können. So geschehen in einer Grundschule in Köln-Kalk, die 2016 anfing, Toilettengelder einzusammeln.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das darf doch wohl nicht wahr sein!)

In einigen Städten können sich deshalb die privaten Schulen vor Anmeldungen nicht mehr retten, da die Eltern die staatlichen Schulen für zu marode oder vielleicht auch für gesellschaftlich nicht mehr ausgewogen halten. So schicken ja selbst Politiker der ehemals sozialen Partei SPD ihre Kinder auf die Privatschule. Oder statt auf die rot-grün gewünschte Gesamtschule schickt man sein Kind lieber auf das elitäre Gymnasium – nicht wahr, Frau Kraft?

(Beifall von der AfD)

Der Druck durch die Zuwanderung erschwert den Unterricht an den Schulen in NRW zusätzlich.

Die zwanghafte Inklusion erschwert den Unterricht an den Schulen weiter. Denn die passenden Lehrer für diese förderbedürftigen Kinder fehlen. So werden gerade die förderbedürftigen Kinder zurückgelassen.

Aber schauen wir uns doch mal die Bildung für die Kleinsten in unserem Land an. So ist NRW bei den Betreuungsplätzen für U3 Schlusslicht. Selbst Herr Minister Stamp hat erkannt, dass eine Besserung dauern wird. Ganz ernsthaft: Brauchen Sie jetzt echt einen Stuhlkreis mit netten Fachleuten, um dieses Desaster zu erkennen? – Unseres Erachtens würde es reichen, wenn Sie endlich Ihre rosarote Brille abnehmen würden.

(Beifall von der AfD)

Kommen wir nun zum zweiten Punkt Ihres Versprechens: neue Technologien an der Ruhr. Ich komme gerne auf unsere Musterstadt der Geldverschwendung zu sprechen: Bochum.

Bochum zum Ersten: Bochum bekommt dank 90 % Förderung vom Land bald Fahrradgaragen mit einem Solardach obendrauf. Mehrkosten für den Bürger: eine halbe Million €. Und da ist selbstverständlich der produzierte Strom bereits eingerechnet.

Bochum zum Zweiten: Die städtische BOGESTRA – das ist die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG – schafft jetzt 20 Elektrobusse an. Mehrkosten für den Bürger: 15 Millionen €. Während das Projekt aus dem Umfeld der BOGESTRA für unsinnig gehalten wird, wird es politisch durchgedrückt. Das ist aber kein Problem für Bochum; denn 60 % der Mehrkosten bei den Bussen und 90 % der Mehrkosten bei der Infrastruktur werden vom Land getragen. Und wenn ich sage „vom Land getragen“, dann meine ich: vom Steuerzahler, vom Bürger in NRW.

(Beifall von der AfD)

Dann ist auch klar, warum es kein Geld mehr für die maroden Schulen gibt. Sind das die Ideen von den neuen Technologien an der Ruhr, von denen Sie, Herr Laschet, sprachen: hochsubventionierte Leuchtturmprojekte, um die subventionierte Steinkohle abzulösen? Das, Herr Laschet, funktioniert nur, solange Ihnen das Geld anderer Leute nicht ausgeht.

Im Geldverschwenden waren alle Parteien des letzten Jahrtausends, also SPD, Grüne, CDU und FDP, wirklich immer brillant. So erinnern wir uns, dass sich, in Zeiten der letzten gemeinsamen Regierung von FDP und CDU, von 2009 bis 2013 allein die EEG-Kosten von 10 auf 18 Milliarden € fast verdoppelt haben. Und nicht genug: Es ging dann mit CDU und SPD weiter auf jetzt über 25 Milliarden € EEG-Kosten jährlich. Diese Subventionen gehen noch 20 Jahre weiter, selbst wenn wir heute aufhören würden, neue Windkrafträder oder Solaranlagen zu bauen.

Wir wundern uns nicht, warum die Arbeitslosenzahlen im nördlichen Ruhrgebiet nahezu überall zweistellig sind; denn Sie, liebe Parteien des letzten Jahrtausends, haben die Industrie in Deutschland und speziell in NRW zugrunde gerichtet.

(Beifall von der AfD)

Europaweit haben wir die höchsten Strompreise, und den energieintensiven Unternehmen drohen Sie immer wieder mit dem Wegfall der Befreiung von der EEG. Das kann jederzeit beendet werden. Die meisten energieintensiven Unternehmen liegen übrigens in NRW. Das trifft insbesondere die chemische Industrie und auch die Stahlindustrie. Was glauben Sie, was die energieintensiven Unternehmen in NRW bei der nächsten größeren Revision machen? – Sie werden sich natürlich überlegen, ob das Geld noch ausgegeben werden soll, um einen Standort in NRW zu erhalten, oder ob man nicht lieber in ein günstigeres anderes Land abhaut.

(Beifall von der AfD)

Und dann verlieren wieder Tausende Malocher ihren Arbeitsplatz – Opel weg, Nokia weg, Teile von thyssenkrupp weg, und jetzt steht Evonik mit dem nächsten Arbeitsplatzabbau in der Presse. Und das sind nur die großen Unternehmen. Viele kleinere Unternehmen verschwinden nämlich mehr oder weniger von der Politik unbemerkt. Aber jeder Malocher, der seinen Job aufgrund Ihrer Politik verliert, ist einer zu viel.

(Beifall von der AfD)

Sie hören immer noch nicht auf. Weiterhin wird viel Geld in einem unsinnigen Kampf gegen den natürlichen Klimawandel ausgegeben. Nicht mal die Vertreter der Industrie, also die Vertreter von BDI und IHK, konnten in einer Anhörung schlüssig erklären, warum wir in NRW diese 50 Millionen € jährlich ausgeben sollten. Und was ist eigentlich mit den Zehntausenden von Arbeitsplätzen bei RWE, E.ON oder STEAG, die bereits verloren sind?

Mit Ihren hochsubventionierten wetterabhängigen Energieerzeugern, also Sonne und Strom, haben Sie den Börsenpreis auf drei Cent pro Kilowattstunde gedrückt. Das geschieht ganz automatisch; denn der Netzbetreiber muss den teuren Strom aufkaufen und ihn dann zu jedem möglichen Preis an die Börse geben – egal, was dabei herauskommt. Was sich auf den ersten Blick positiv anhört – die Senkung des Börsenpreises auf drei Cent –, ist in Wahrheit ein Desaster für die Kraftwerksbetreiber an Rhein und Ruhr.

(Beifall von der AfD)

Deshalb verwundert es auch nicht, dass E.ON und innogy nur noch zusammen überleben können und bald weitere 5.000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Wieder verlieren Tausende Mitarbeiter ihren Job aufgrund Ihrer Politik, aufgrund der Politik der Parteien des letzten Jahrtausends. Deshalb verlieren Sie immer mehr Stimmen an die Partei des 21. Jahrhunderts, an die Alternative für Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Um diesen Missstand zu erkennen, brauchen Sie jetzt extra einen Stuhlkreis mit Namen „Ruhrkonferenz“?

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Das ist doch Stuhlgang, was Sie machen!)

Ganz ehrlich: Für jeden Malocher im Ruhrgebiet – jeder wird Ihnen das in zehn Minuten erklären können – ist das ein Schlag ins Gesicht.

(Beifall von der AfD)

Wir hatten mal einen Pulsschlag aus Stahl. Daraus haben Sie den Pulsschlag eines Sterbenden gemacht. Rot-Grün hat den Strick um diesen Sterbenden gelegt, und Sie sägen gerade an dem Stuhl. Und was machen Sie jetzt? – Sie veranstalten eine Gesprächsrunde, um sich das Ganze anzugucken, anstatt das Seil durchzuschlagen und endlich mit Ihrer wirtschaftsfeindlichen Politik aufzuhören.

(Beifall von der AfD – Dr. Günther Bergmann [CDU]: Lächerlich, was Sie erzählen!)

Vor zwei Wochen habe ich eine Vereinigung von Mittelstandsunternehmen besucht. Die Unternehmen haben mich gefragt, ob es jetzt mit Schwarz-Gelb besser für sie wird. Ich konnte nur sagen, dass der wirtschaftliche Tod in NRW jetzt nur etwas schleichender daherkommt.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Schwarz-Gelb führt eine Phantomdebatte beim Diesel, und Frau Merkel schwätzt vom Ende des Verbrennungsmotors – das ist die Politik von Schwarz-Gelb. In der Anhörung zum Diesel wird jetzt diskutiert, dass man Ausnahmen für die Handwerker schaffen möge, damit diese von einem Fahrverbot nicht betroffen würden. Als wenn die Städte das überhaupt kontrollieren könnten!

Sagen Sie es doch klar: Die EU hat aufgrund grüner Lobbyvereine einen träumerischen Grenzwert gesetzt, der mit der Realität der Bürger überhaupt nichts zu tun hat. Setzen Sie sich also lieber dafür ein, dass die Grenzwerte aufgrund toxikologischer Sachgründe festgelegt werden, anstatt das Thema in irgendwelchen Konferenzen wegdiskutieren zu wollen!

(Beifall von der AfD)

Sie fragen ernsthaft, was im Ruhrgebiet falsch läuft? – Das sind zwei einfache Dinge: das Leuchtturmdenken und der Filz. Da wird in einer Stadt wie Bochum das x-te Musikhaus für die oberen Zehntausend gebaut, obwohl in Dortmund und Essen ähnliche Angebote vorhanden sind.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Mehrkosten für die Bürger: 8 Millionen € jährlich. – Oder es wird zum Beispiel in einer Stadt ein Grundstück für 300.000 € an einen Parteifreund verkauft, obwohl es Bieter gab, die 800.000 € geboten haben; denn der Parteifreund hatte das „richtige Konzept“ vorgelegt.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Grün!)

Aber kein Problem: Das alles passiert ja im nichtöffentlichen Teil der Beratungen der Städte, und keiner sieht es und darf davon berichten.

(Beifall von der AfD)

Oder es werden Asylbewerber in Hotels von Parteifreunden untergebracht, die damit Millionen verdienen. Oder es melden sich in Duisburg 6.000 Rumänen und Bulgaren in einem Haus an, ohne dass es irgendjemandem komisch vorkommt. Oder es wird eine Wohn- und Schlafstätte für Obdachlose geschlossen, und das Geld wird dann für kostenloses WLAN in Asylbewerberheimen eingesetzt. Das alles haben wir erlebt. Oder es werden Islamisten durchgefüttert, statt diese endlich abzuschieben.

Mal ganz ehrlich, Herr Ministerpräsident Laschet: Fangen Sie einfach an, mit offenen Augen durch unser Land zu gehen. Dann brauchen Sie auch keine Ruhrkonferenz.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der AfD: So ist es!)

Noch ein Satz zur SPD: Herr Römer schlägt als Alternative einen Ruhrgebietsbeauftragten vor. – Das ist wirklich innovativ. Sie haben das Ruhrgebiet in den letzten 40 Jahren ruiniert, und jetzt wollen Sie einen Beauftragten für Strukturwandel einsetzen. Einfallsloser könnte es nicht sein.

Wir haben Ihnen bereits gesagt, was falsch läuft. Schlüsse daraus zu ziehen, ist eigentlich relativ einfach. Ich möchte es aber noch einmal anhand von vier Punkten zusammenfassen.

Erster Punkt: Beenden Sie die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme. NRW sollte Nein zu jeglicher neuer Zuweisung sagen, bis endlich die Regeln von Dublin II eingehalten werden und die europäischen Grenzen gesichert sind.

(Beifall von der AfD)

Denn wie sagte schon der Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman, übrigens Sohn von jüdisch-ungarischen Einwanderern: Ein Land hat entweder offene Grenzen, oder es ist ein Sozialstaat. Beides gleichzeitig geht nicht.

(Beifall von der AfD)

Zweiter Punkt: Beenden Sie die feindliche Energiepolitik. Kein neues Windrad, keine neue Solaranlage, keine neue Biogasanlage auf dem Boden NRWs, bis diese unsäglichen Subventionen eingestellt werden. Denn jede neue subventionierte Anlage schnürt die Luft für die konventionellen Kraftwerke ab, kostet Arbeitsplätze bei E.ON, RWE und STEAG sowie ihren Zulieferern.

(Beifall von der AfD)

Dritter Punkt: Beenden Sie die Experimente an unseren Schulen, damit die Kinder den Unterricht bekommen, den sie auch wirklich individuell benötigen.

Und schließlich vierter und letzter Punkt: Beenden Sie endlich die Subventionierung von Städten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Wenn Städte wie Bochum die Ausweisung von Gewerbeflächen verkleinern und damit die Unternehmen abschrecken, dann dürfen sie nicht noch belohnt werden. Wenn Städte ihren Kulturetat aufblasen, dann dürfen sie nicht auch noch mit höheren Zuweisungen belohnt werden. Wenn Städte mit Bürgergeldern zocken – zum Beispiel Zinswetten eingehen, Fremdwährungsspekulationen vornehmen oder riskante Unternehmen wie STEAG kaufen –, dann dürfen sie nicht mit höheren Zuweisungen belohnt werden.

(Beifall von der AfD)

Sie führen aber mit dem GFG die Dauersubventionierung dieser Städte genauso fort, wie Rot-Grün sie angefangen hat. Deshalb sind Sie auch mitschuldig an der Misere dieser Städte. Denn solange das Geld fließt, werden diese weiterhin keine Reformen durchführen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet, unser Land braucht keine neuen Stuhlkreise. Unser Land braucht endlich eine Partei des 21. Jahrhunderts, nämlich die Alternative für Deutschland, die auch gewillt ist, Reformen wirklich durchzusetzen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Loose für die AfD. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten in den letzten Monaten wiederholt Gelegenheit, uns über Nordrhein-Westfalen auszutauschen – über das, was an Herausforderungen, aber auch an Chancen vor uns liegt.

Auch haben wir hier darüber diskutiert, dass sich Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren mit seinem Wachstum unterdurchschnittlich entwickelt hat. Das Land ist mit 0,62 % des Bruttoinlandprodukts langsamer gewachsen als der Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland. Das führte insgesamt dazu, dass wir im Bundesvergleich allein 160.000 Arbeitslose mehr haben, als wir eigentlich hätten, wenn sich Nordrhein-Westfalen dynamischer entwickelt hätte.

Deswegen haben wir mit der Regierungsübernahme gesagt: In Nordrhein-Westfalen muss sich etwas ändern. Wir müssen die Rahmenbedingungen richtiger setzen. Wir brauchen wieder mehr Freiraum für die Menschen in diesem Land, für die Kommunen bei der Ausweisung von Wohnbauflächen und für die Unternehmen für die Ausweisung von Gewerbeflächen. Das geschieht, indem wir sie von überbordender Bürokratie befreien.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Mostofizadeh, es hat mir unglaublich gefallen, dass Sie gesagt haben, wir sollten die Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht behindern. – Ich hatte bisher den Eindruck, dass sich die Menschen sehr behindert gefühlt haben, und zwar nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Arbeitnehmer in diesem Land.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Genau da setzen wir an, indem wir dem Land wieder mehr Spielräume eröffnen.

Im Kontext dieser Politik für Nordrhein-Westfalen hat die Metropole Ruhr in Anbetracht ihrer Größe und Bedeutung natürlich einen ganz besonderen Stellenwert.

Zur Beschreibung der Ausgangslage will ich zunächst einmal darauf hinweisen, dass eine Politik, wie ich sie hier kurz in Ansätzen beschrieben habe, durchaus in die richtige Richtung weisen kann. Denn wir haben 2005 in der Landesregierung – der Ministerpräsident hat es deutlich gemacht – schon einmal vor der Herausforderung gestanden, für Nordrhein-Westfalen einen weiteren Teil des Strukturwandels aus den alten Industrien heraus anzugehen.

Damals war nicht ganz sicher, wie das Ganze für die Metropole Ruhr ablaufen würde. Das Ergebnis war nicht klar. Es sollte so sozialverträglich wie möglich geschehen. Deswegen haben wir es bis 2018 gestreckt. Dieses Jahr schließen die letzten Zechen. Wir haben das nicht sofort gemacht, sondern das wurde über einen langen Zeitraum hinweg organisiert.

Ich füge hinzu: Wir haben das – in unterschiedlichen Konstellationen – auch mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland bzw. des Bundes getan. Ohne diese Unterstützung wäre es gar nicht möglich gewesen, das alles sozialverträglich zu organisieren. Es geschah aber gleichzeitig – das ist doch zentral – unter den richtigen Rahmenbedingungen für Nordrhein-Westfalen.

Ich darf an unser Hochschulfreiheitsgesetz erinnern, das damals von den Hochschulen in der Metropole Ruhr sehr dynamisch aufgenommen worden ist. Ich erinnere auch – der Ministerpräsident hat es gesagt – an die Gründung von vier neuen Fachhochschulen. Damit haben wir – neben vielen anderen Forschungsinstituten, die in dieser Zeit in der Metropole Ruhr entstanden sind – einen Impuls gesetzt.

Wir haben deutlich gemacht: Wir meinen es ernst. Wir wollen nicht mehr in tiefe Schächte, sondern in helle Köpfe investieren. Das haben wir damals eingeleitet, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich füge hinzu, damit das hier eine verträgliche Debatte bleibt – denn wir können es doch nur gemeinsam machen; das ist doch unser aller Land –: Bei den Rahmenbedingungen hätte die Vorgängerregierung manches lieber gelassen. Aber sie hat natürlich andere Themen auch weitergeführt. Das ist überhaupt keine Frage; anders wäre es nicht gegangen.

Ich will einmal Zahlen nennen, die uns hoffnungsvoll stimmen sollten: Von 2005 bis 2014 ist das Bruttoinlandsprodukt Nordrhein-Westfalens um 24,4 % gewachsen und das der Metropole Ruhr um 24,3 %. – Es ist doch bemerkenswert, dass in einer Phase dieses noch einmal eingreifenden Strukturwandels die Metropole Ruhr genauso stark wie Nordrhein-Westfalen insgesamt gewachsen ist.

Und es kommt noch besser: Pro Kopf ist die Ruhrregion sogar stärker als Nordrhein-Westfalen gewachsen. Nordrhein-Westfalen ist im Durchschnitt um 26,1 % gewachsen, die Metropole Ruhr um 28,7 %. Am stärksten im Vergleich zu allen anderen Städten Nordrhein-Westfalens ist im Übrigen die Stadt Essen gewachsen.

Das sollte uns doch ermutigen. Wenn wir den Strukturwandel richtig angehen, wenn wir uns auch langfristig darauf einstellen und mutig daran arbeiten, die Menschen mitnehmen, dann können wir den Strukturwandel in diesem Land wirksam und nachhaltig organisieren.

Die Metropole Ruhr hat es seit Jahrzehnten vorgemacht. Sie ist weitgehend auf dem Niveau angekommen, das Nordrhein-Westfalen insgesamt vorzuweisen hat. Wir sind mit dem Niveau noch nicht zufrieden – weder für die Metropole Ruhr noch für Nordrhein-Westfalen. Insgesamt müssen wir es weiterentwickeln.

(Beifall von der CDU, der FDP und Michael Hübner [SPD])

Dabei müssen wir uns mit den Stärken und Schwächen, mit den neuen Herausforderungen, aber auch mit den neuen Chancen auseinandersetzen. Hierbei ist es ganz entscheidend, die Stärken der Metropole Ruhr deutlich hervorzuheben und zu benennen, um in Zukunft Menschen für diese Region zu gewinnen, wie das auch für die anderen Landesteile der Fall ist.

Der Ministerpräsident hat unsere Stärken noch einmal ganz deutlich markiert, und er hat Schwächen angesprochen. Das hat auch die Debatte gezeigt. Es wäre sozusagen naiv, über gewisse Schwächen, die wir schwerpunktmäßig noch haben, nicht zu reden. Die gibt es in anderen Landesteilen von NRW genauso wie in anderen Teilen Deutschlands. Auch in Hamburg gibt es nicht nur Licht, sondern auch Schatten. Das gilt für Berlin und andere Regionen. Auch mit diesen Punkten müssen wir uns beschäftigen.

Einen Fehler, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir aber nicht machen: Wir sollten, wenn wir über die Metropole Ruhr reden, nicht vorrangig über die Schwächen sprechen, sondern mehr über die Stärken, über das neue Ruhrgebiet. Dazu kann man sehr schöne Beispiele anführen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Michael Hübner [SPD])

Wir sind in Nordrhein-Westfalen weg von den alten Industrien hin zum Umbau zur Industrie und Dienstleitung 4.0, wie es gelegentlich gerne heißt, angekommen. Wir sind aber auch bei den ökologischen Herausforderungen angekommen – das will ich mit Blick auf meinen Vorredner sagen –, auf die wir eine Antwort finden müssen.

Dafür gibt es zwei oder vielleicht auch drei Wege:

Ein Weg ist es vielleicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Daran sollten wir uns nicht beteiligen.

Es ist aber auch kein guter Weg, einfach ein Gegeneinander von Wirtschaft und Umwelt zu betreiben. Das führt nicht zu einer besseren Zukunft.

Das Einzige, das uns nach meiner festen Überzeugung hilft, ist, die ehrgeizigen ökologischen Ziele und Herausforderungen mutig anzugehen, indem wir sie mit marktwirtschaftlichen, mit innovativen, auch die Digitalisierung nutzenden Instrumenten in unser System integrieren, und die Wirtschaft mittel- und langfristig so darauf vorzubereiten, dass sie höchste ökologische Anforderungen mit wirtschaftlichen Instrumenten erfolgreich erfüllen kann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In Nordrhein-Westfalen, in der Metropole Ruhr ist schon viel gelungen. Wir haben Chemie 4.0. Wir haben Stahl 4.0. Wir diskutieren doch mit den Unternehmen darüber. Es finden schon Forschungsaktivitäten und Prototypeninvestitionen statt. Das wollen wir in der Metropolregion, aber auch darüber hinaus weiter ausbauen.

Thema „Logistik“: Das bedeutet nicht, dass jemand irgendwo eine Halle und einige wenige Beschäftigte hat, die vielleicht noch nicht einmal qualifiziert sind, dass von dort aus viele Lkws wegfahren, sondern Logistik ist dann ein wertschöpfungsintensiver Teil, wenn man die Technologie dahinter beherrscht.

Wo ist denn Logistik 4.0 erfunden worden? – Das war doch hier in Nordrhein-Westfalen, im Dortmunder Fraunhofer-Zentrum für Logistik, auch das ganze Thema „IoT“, schon vor über zehn Jahren. Hier ist ein bundesweites Spitzencluster gewonnen worden. Von Dortmund aus werden auch neue Themen wie etwa „Blockchain“ entwickelt. Das sind die Kraftzentren, die wir durch Vernetzung in der Metropolregion, aber auch mit den Nachbarregionen, beispielsweise Südwestfalen, weiterentwickeln wollen.

Es wird in Zukunft darauf ankommen, auf diese Stärken nicht nur aufmerksam zu machen, sondern sie gezielt zu fördern, um die Stärken Nordrhein-Westfalens ausspielen zu können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ganz zentral ist – ein spannender Punkt –, nicht nur vermeintliche Schwächen zu neutralisieren, sondern ich sehe auch eine riesige Chance für Nordrhein-Westfalen darin, aus vermeintlichen Schwächen – zum Beispiel einer noch relativ hohen Arbeitslosigkeit, vergleichsweise relativ niedrigen Mieten und einem vergleichsweise noch günstigen Gewerbeflächenangebot, wenn wir das durch den LEP noch erweitern, während es woanders schon Überfüllungskosten und kaum noch Expansionsmöglichkeiten gibt –, Stärken zu machen. Denn wir haben zwar einen Rückstand, aber wir haben noch Schlüsselressourcen, die andere in dem Umfang nicht mehr haben.

Ich will ein Beispiel nennen. Ich habe unlängst mit Freude zur Kenntnis genommen, dass an der Ruhr-Universität Bochum ein Forschungszentrum von VW eingeweiht worden ist. Bisher war dieser Weltkonzern noch nicht in Nordrhein-Westfalen mit Forschungsaktivitäten vertreten, was man bedauern kann. Sie sind in Bochum mit 400 Forschern und Entwicklern an den Start gegangen und wollen dort über 1.000 Forschungs- und Entwicklungsstellen aufbauen.

Nach der kleinen Einweihung habe ich die Geschäftsführung gefragt: Warum gehen Sie denn nach Bochum? Die Antwort lautete: Zunächst hatten wir überlegt, nach Stuttgart zu gehen. Aber dann haben wir festgestellt, dass es in Stuttgart keine klugen Köpfe mehr gibt. Wenn wir die klugen Köpfe nach Stuttgart holen wollen, haben wir keinen Wohnraum für sie. Selbst wenn wir den hätten, haben wir trotzdem keine freien Gewerbe- und Forschungsflächen mehr. Dann ist es doch viel klüger, dahin zu gehen, wo die klugen Köpfe sind, die dort noch Wohnraum finden, und wo wir Gewerbe- und Forschungsflächen finden. – Dann haben sie sich für Bochum entschieden.

Ich sage Ihnen hier im Parlament voraus, dass wir solche Ansiedlungen in der Metropole Ruhr, in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Monaten und Jahren weiterhin sehen werden. Der Ministerpräsident hat die Batterietechnologie und anderes angesprochen. Warum? – Weil wir die Ressourcen dafür haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben in den letzten Jahren zum Teil dabei zugesehen, dass die klugen Köpfe – wir haben mehr als 700.000 Studenten in NRW, mehr als 250.000 allein in der Metropole Ruhr – weggegangen sind: nach Süddeutschland, nach Berlin und anderswohin. Wir müssen den Braindrain einfach nur umkehren.

Was ist denn wichtig für die Industrien der Zukunft? – Sie wollen kluge Köpfe haben. Dafür brauchen wir beste Bildung. Wir brauchen für kluge Köpfe aber auch ein gutes Umfeld. Wir brauchen attraktiven Wohnraum und eine gute Kinderbetreuung.

Wir brauchen auch das kulturelle Umfeld. Das will ich hier erwähnen, weil in der Debatte der Eindruck entstanden ist, es würde zu viel Geld zum Beispiel für Kultur ausgegeben. Nein, das ist falsch. Man kann vielleicht manche Angebote noch verbessern und optimieren, auch durch Abstimmung. Das alles will ich gar nicht leugnen. Aber ein ganz wichtiges Asset der Metropole Ruhr ist es doch, dass wir so tolle Kultureinrichtungen haben. Es muss doch unser Ziel sein, diese Stärken gezielt weiterzuentwickeln.

Denn eines wissen wir aus empirischen Studien weltweit: Die klugen Köpfe gehen dahin, wo sie auf die besten Rahmenbedingungen treffen, wo sie sozusagen auch die Smart Factors bekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen brauchen wir diese Stärken, die wir haben. Wir müssen sie nur stärker ausspielen.

Ich füge eines hinzu: Was solche Köpfe auch wollen, ist, dass es – im positiven Sinne – unternehmerisch zugeht. Das gilt auch für die Arbeitnehmer. Sie wünschen sich, dass sie die Dinge mit in die Hand nehmen können, dass sie selbst Ideen einbringen können, dass sie sich ein Stück weit selbst verwirklichen können. Das geschieht in den spannenden Regionen in Deutschland und weltweit. Es geht darum, dass wir eine Kultur dafür schaffen.

Ich fand es wirklich toll, Herr Mostofizadeh, dass Sie gesagt haben, ein solcher Wandel sollte nicht von oben kommen, er sollte von den Menschen ausgehen. Das ist eine sehr kluge Einsicht in die Dinge. Genau das erwarten die Menschen. Sie wollen ernst genommen werden.

(Beifall von der CDU)

Deswegen finde ich den Prozess begrüßenswert, den der Ministerpräsident hier vorgetragen hat und den mein Kollege Holthoff-Pförtner in den letzten Monaten so intensiv ausgearbeitet hat. Es geht nicht darum, dass die Regierung erklärt: Hier ist die Lösung, jetzt müsst ihr sie nur noch umsetzen.

Vielmehr müssen wir einen Prozess gestalten, Stärken erkennen, Schwächen als Herausforderung wahrnehmen und dann die Menschen einladen, mit eigenen Ideen, mit eigenen Initiativen dabei mitzuhelfen, diese Stärken im eigenen Interesse und im Interesse der Regionen unseres Landes zum Vorteil Nordrhein-Westfalens insgesamt zur Geltung zu bringen.

Das ist genau der Prozess einer modernen Politik. Das ist Strukturpolitik des 21. Jahrhunderts!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen, sie beteiligen und durch gute Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass wir schneller, wettbewerbsfähiger, innovativer und digitaler werden. Das ist das, was die Menschen erwarten.

Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken äußern, weil hier auch gesagt wurde, die Industrie sei enttäuscht über die neue Landesregierung. Ich hatte gestern die Freude, für die Landesregierung an einer Veranstaltung des „Handelsblatts“ zum Thema „Chemie 4.0“ teilzunehmen. Dort hat Herr Bock, Chef von BASF und Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie, gesprochen.

Ich habe das vorgetragen, was wir uns nicht nur vorgenommen, sondern teilweise schon in konkreten Schritten umgesetzt haben. Daraufhin hat Herr Bock erklärt, er hätte nur Haken daran gemacht; er wünschte sich eine solche Politik auch in anderen Bundesländern und für die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich denke, wenn wir konsequent an den Themen gemeinsam weiterarbeiten, haben wir gute Chancen, die Metropole Ruhr und damit auch Nordrhein-Westfalen stärker zu machen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Professor Pinkwart. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hübner.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Herr Mostofizadeh, jetzt wurden Sie das erste Mal von einem Hochschulprofessor gelobt, und Sie haben gar nicht zugehört! – Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart setzt sich auf den Platz des Ministerpräsidenten in der Regierungsbank, der wiederum auf dessen Platz sitzt.)

Michael Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Herr – wie soll ich sagen? – Ministerpräsident Pinkwart! Sie haben die Plätze getauscht, sehe ich gerade. Ich möchte mich bei Minister Pinkwart ganz herzlich für die konstruktiven Worte bedanken, weil wir aus der Sozialdemokratie, auch aus der Sozialdemokratie des Ruhrgebiets, sehr wohl anerkennen, wenn jemand Interesse für diese Region hat.

Das fängt schon bei der Wortfindung an. Das will ich ausdrücklich sagen, auch in Richtung von Herrn Laschet. Herr Minister Pinkwart, Sie haben das Ruhrgebiet immer als Metropolregion angesprochen. Sie haben das richtige Wort gefunden, wie wir uns im RVR-Bereich und international präsentieren.

Wir sind eine international begehrte Region; das will ich ausdrücklich feststellen. Für viele industrielle Anwender, die auf das Ruhrgebiet schauen, die sich im Ruhrgebiet ansiedeln wollen, ist es eine bekannte Marke geworden. Da hat sich das Ruhrgebiet sehr viel Mühe gegeben.

Es hat keinen Sinn, Herr Ministerpräsident, dann zu sagen: Die Ruhr fließt auch im Sauerland. – Das wird dem Thema nicht gerecht, Herr Ministerpräsident. Ich bitte schon darum, dass sich Ihre Redenschreiber ein bisschen mehr darum bemühen, die richtigen Worte zu setzen, damit wir die Ernsthaftigkeit erkennen können, mit der Sie sich diesem Thema widmen.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Ich will noch einmal betonen: Ich bedanke mich außerordentlich bei Minister Pinkwart für die ernsthafte Debatte. Das, was Sie hier abgeliefert haben, Herr Ministerpräsident, war, gelinde gesagt, unvollendet. Einen schönen Gruß an Ihre Redenschreiber: Es war nicht in Ordnung, wie Sie das Ruhrgebiet gerade behandelt haben.

(Beifall von der SPD)

Das gilt auch für die Worte rund um das Matterhorn, die Sie verwendet haben – ich musste über den Begriff ein bisschen lächeln –, oder für Singapur und anderes.

Ich will noch einmal die Kurve dazu kriegen: Singapur und andere schauen auf das Ruhrgebiet. Sie schauen darauf, wie wir den Strukturwandel zuletzt geschafft haben, und erkennen gleichzeitig, dass er etwas Unvollendetes ist.

Dazu will ich Ihnen einen kleinen Rückblick geben: Schon 1971 – es ist ja jetzt keine neue Situation, dass Zechen im Ruhrgebiet schließen –, Frau Landtagspräsidentin, wurde die letzte Zeche in Bochum und auch in meiner Heimatstadt Gladbeck geschlossen. Damals haben wir überlegt: Wie geht man mit dem Ruhrgebiet um? Die Antwort: Wir müssen industrielle Neuansiedlungen schaffen. Damals wurde Siemens in Gladbeck angesiedelt. In Bochum wurde neben der richtigen Entscheidung, sich um die Wissenschaft zu kümmern, Opel angesiedelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über diese beiden Unternehmen reden, dann merken Sie, dass beides Geschichte ist: Siemens in Gladbeck gibt es nicht mehr, und Opel in Bochum gibt es nicht mehr.

Wir müssen uns Gedanken über die Folgenutzung machen. Aus den Überlegungen zu Industrie 4.0 müssen wir zu einem Strukturwandel 4.0 kommen. Dazu muss diese Landesregierung Antworten liefern, Herr Ministerpräsident, die das Ruhrgebiet erwartet, und natürlich Hilfestellung leisten. Ansonsten ist das alles leeres Gewäsch, was hier vorgetragen worden ist, Herr Ministerpräsident.

Aktuelle Initiativen sind übrigens auch bei Identifikationsprojekten nicht zu erkennen, die im Ruhrgebiet mit großer Unterstützung, aber auch mit großem Engagement der Städte und Gemeinden auf den Weg gebracht worden sind. Mit „mit großer Unterstützung“ meine ich beispielsweise das Projekt IBA.

Lieber Kollege Mostofizadeh, wir konnten uns am Montag von dem Erfolg eines IBA-Projektes in Gelsenkirchen überzeugen. Der Wissenschaftspark Gelsenkirchen steht auf einem ehemaligen Gussstahlwerk. Er ist dort errichtet worden, weil Karl Ganser damals gesagt hat: Wir müssen auch mal den Bruch im Ruhrgebiet wollen. – Es war auch eine Strategie, Wissenschaft und Forschung an einen Arbeiterstandort zu bringen. Das große Institut Arbeit und Technik ist dort angesiedelt worden. Ich meine, das war eine richtige Entscheidung.

Heute müssen wir uns aber auch – das haben wir uns am Montag sehr genau angeschaut – um das Drumherum kümmern. Wie kommen die Menschen, das Know-how, von dem Sie gesprochen haben, ins Ruhrgebiet? Wie halten wir sie im Ruhrgebiet, wie halten wir sie an solchen Standorten?

Rund um den Wissenschaftspark – für diejenigen, die es nicht wissen: es handelt sich um die Bochumer Straße – besteht eher eine andere Struktur an Wohnungen, die dort akzeptiert werden. Die Stadt Gelsenkirchen bemüht sich darum, genau solche Anreize zu setzen und günstiges Wohnen für die FH-Studenten und die Menschen, die sich im Wissenschaftspark engagieren, die dort Arbeit gefunden haben, in Buer zu organisieren, um zu zeigen, dass das Ruhrgebiet auch in seinem Kern etwas Spannendes ist und es sich lohnt, dort hinzuschauen.

Aber auch da geht der Impuls von Gelsenkirchen aus. Die Unterstützung muss über das Land und den Bund organisiert werden. Darauf geben Sie keine Antwort, Herr Ministerpräsident. Das ist wirklich dramatisch. Wenn es um das Thema „Wohnen“ in solchen Stadtteilen geht, geben Sie hier keine Antwort, sondern setzen ganz im Gegenteil auch noch die falschen Ansätze in der Wohnungsbauförderpolitik.

(Beifall von der SPD)

Ich will noch ein zweites erfolgreiches Projekt ansprechen: die Kulturhauptstadt 2010. Alle Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet haben sich zusammengetan. Die Unterstützung des Landes wurde signalisiert und auf den Weg gebracht. Es wurde zu einem Erfolg. Die Metropole Ruhr hat damit das erreicht, was Sie, Herr Ministerpräsident, ein bisschen abfällig nebenbei bemerkt haben. Neuerdings fahren wieder viele Touristen ins Ruhrgebiet. Ja, warum denn wohl? – Weil das Ruhrgebiet zusammengehalten hat, weil es das auf den Weg gebracht hat. Die Touristen erkennen: Das ist eine tolle Region.

Auch das brauchen wir für den Know-how-Transfer, für die intelligenten Menschen im Ruhrgebiet. Ich finde es richtig, dass wir das so auf den Weg gebracht haben.

(Beifall von der SPD)

Jetzt wird es interessant. Vielleicht erinnern Sie sich noch – wahrscheinlich nicht – an eine Kleine Anfrage, die die Kollegen Sebastian Watermeier, Lisa Kap-teinat und ich zu dem nächsten zentralen Identifikationsprojekt im Ruhrgebiet, der IGA 2027, gestellt haben; Mehrdad Mostofizadeh hat es schon angesprochen. Wo ist denn da die Unterstützung der Landesregierung?

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Außer warmen Worten war der Antwort nichts zu entnehmen. Die Worte waren genauso lauwarm wie Ihr Vortrag zu Beginn dieser Debatte, Herr Ministerpräsident.

(Ralf Witzel [FDP]: Was haben Sie denn gemacht bis zu Ihrer Abwahl?)

Das ist keine Unterstützung für das Ruhrgebiet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte noch zu einem Punkt etwas sagen, weil sich mehrere Fraktionen – eine nicht, die möchte nur weiterhin darüber philosophieren – die Zeit genommen haben, um mit dem Aktionsbündnis am Montag durch das Ruhrgebiet zu reisen. Sie haben sich Projekte – das sage ich mit Hinweis auf Minister Reul, der gerade nicht hier ist und sich häufiger zu No-go-Areas äußert –, wenn Sie so wollen, in No-go-Areas in Duisburg und in Gelsenkirchen angesehen.

(Christian Dahm [SPD]: Da habt ihr euch hineingetraut?)

Man fühlte sich dort übrigens sehr sicher. Es ist eine Stigmatisierung, die Sie auf den Weg gebracht haben, die nicht in Ordnung ist. Auch die Vorgängerlandesregierung hat auf Sicherheit und Ordnung im Ruhrgebiet und überall im Land Wert gelegt. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Daran müssen Sie anknüpfen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ein ganz zentraler Punkt ist bei allen Bürgermeistern herausgekommen, unabhängig davon, ob sie von der SPD oder von der CDU sind, ob es Kollege Kufen ist, der früher im Landtag war, Sören Link in Duisburg oder Frank Baranowski in Gelsenkirchen: Das größte Problem im Ruhrgebiet sind die hohen Sozialkosten. Die gleichen wir zum Teil über das Gemeindefinanzierungsgesetz, über den Soziallastenansatz aus. Wenn wir das nicht mehr tun, werden die Probleme im Ruhrgebiet wieder größer.

Das, was hier teilweise vorgetragen worden ist, macht mir große Sorgen. Es heißt: Es gibt das Ruhrgebiet, aber es gibt auch ganz viele andere Regionen. – Dann weiß ich doch – Nachtigall, ick hör dir trapsen –, wo es hingeht. Das soll nicht mehr ausgeglichen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Lieber Herr Ministerpräsident, ich erwarte von Ihnen, dass Sie bei den Soziallasten und bei den Altschulden deutliches Engagement auch in Richtung Berlin zeigen, damit wir weiterkommen und das Ruhrgebiet die Unterstützung erfährt, die es sich aus der Zeit heraus, als es das Land groß und stark gemacht hat, verdient hat. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Hovenjürgen das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Hübner, die Internationale Gartenbauausstellung ist, glaube ich, das schlechteste Beispiel, das Sie heute verwenden können. Denn die Verbandsdirektorin hat in der Verbandsversammlung erklärt, es gebe eine feste Zusage der alten Landesregierung, die Förderung der Internationalen Gartenbauausstellung in der Größenordnung einer Regionalen durchzuführen.

(Michael Hübner [SPD]: Die halten sich doch gar nicht daran! – Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Nach Nachfrage in den Häusern steht allerdings fest: Es hat keinerlei Zusagen gegeben; es gibt keinerlei Vorplanung.

(Michael Hübner [SPD]: Und was machen Sie jetzt?)

So viel zur Zuverlässigkeit Ihrer Zusagen, um das auch noch einmal ganz deutlich zu sagen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Übrigen, lieber Kollege Hübner, löst man im Ruhrgebiet keine Probleme, wenn man nicht auch über die Schwächen redet, sodass man an ihnen arbeiten kann und das Ruhrgebiet stärken kann, indem man diese Schwächen beseitigt. Das Leugnen von Schwächen hat noch niemanden geholfen. So etwas löst keine Probleme. Das ist das Problem.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Hinzu kommt, dass wir auch im Ruhrgebiet bereit sein müssen, unsere Hausaufgaben selbst zu machen. Zu den Hausaufgaben gehört, dass man zur Gewinnung von Arbeit und zur Gewinnung von Ansiedlung auch bereit sein muss, Fläche zu akquirieren.

Aber was machen wir in der Regionalplanung? Was macht die Regionalplanung im Ruhrgebiet? Sie reduziert Fläche, und zwar im Gegensatz zu allen anderen Regionen um uns herum.

Was löst das aus? Dass wir zum Beispiel am Rande des Ruhrgebiets zu einer Verzerrung von Angebotssituationen kommen, die die Randlagen des Ruhrgebiets in Riesenschwierigkeiten bringen.

Ich will ein Beispiel nennen. Eine Kommune am Rande des Ruhrgebiets: in der Vorplanung der Regionalplanung 18 ha, davon 8 ha Wohnbaufläche und 8 ha Gewerbefläche. Eine Nachbarstadt mit 49.000 Einwohnern im Bereich der Regionalplanung Münster: 210 ha Wohnbau-, Gewerbe- und Industriefläche. Hinzu kommt noch Folgendes: In dieser Nachbarstadt liegt die Grundsteuer B bei 440 Punkten, während in der Kommune mit den nur 18 ha 825 Punkte Grundsteuer B anfallen.

(Michael Hübner [SPD]: Was machen wir denn jetzt? Grundsteuer senken!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Wettbewerbsgleichheit und über Entwicklung reden wollen, müssen wir auch darüber sprechen, dass wir – neben dem Positiven, das der Stärkungspakt bewirkt hat – über den Stärkungspakt zur Hochsteuerregion geworden sind, lieber Kollege. Jetzt müssen wir gemeinsam daran arbeiten, dass wir wieder wettbewerbsfähig werden.

(Zuruf von der SPD: Grundsteuer senken! – Weitere Zurufe von der SPD)

Lieber Kollege, ich vermisse Ihre Beiträge in der Verbandsversammlung, um dafür Werbung zu betreiben.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Michael Hübner [SPD]: Ich bin gar nicht Mitglied der Verbandsversammlung!)

Im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Loose sage ich auch noch einmal eines: Herr Loose hat hier bewiesen, dass er offensichtlich vom Ruhrgebiet keine Ahnung hat. Er hat hier gesagt: Wenn Städte die GFG-Mittel nicht sachgerecht eingesetzt haben, dann gehören sie quasi bestraft, indem man sie ihnen streicht.

Lieber Kollege Loose, dann würden Sie für falsches politisches Handeln, das Sie diagnostizieren, die Menschen, die in diesen Städten wohnen, bestrafen.

(Zuruf von der AfD)

Ist das die richtige Politik? Ich glaube nicht. So geht man nicht mit Menschen um. Das macht man nicht. Das ist eine unanständige Politik.

(Andreas Keith [AfD]: Niemand will die Menschen bestrafen!)

Ich kann nur feststellen: Die AfD ist keine Alternative für Deutschland – mit Sicherheit nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der AfD)

Lieber Kollege Mostofizadeh, das, was Sie hier vorgetragen haben – dass man die Menschen im Ruhrgebiet mitnehmen muss, dass man sie an Entscheidungen beteiligen muss –, hat mich sehr beeindruckt. Nur muss ich mich dann natürlich auch fragen, warum Sie denn dem Naturschutzgesetz zugestimmt haben, in dem definitiv ein Vetorecht für Naturschutzbeiräte festgelegt wurde.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Im Moment bitte nicht. Ich möchte so vortragen, Frau Präsidentin.

Dieses Vetorecht setzt gewählte Gremien außer Kraft. Was ist das eigentlich für eine Art von Beteiligung, wenn Sie diejenigen, die von der Bevölkerung für Entscheidungen gewählt sind, über eine Gesetzgebung auskontern,

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

womit Sie Ihrem Umweltminister damals die Möglichkeit geben wollten, über das, was im Außenbereich entwickelt werden könnte, selbst zu entscheiden, und zwar unter Ausblendung der Interessenlagen derer, die vor Ort gewählt worden sind? Das ist Ihre Verantwortung, lieber Kollege Mostofizadeh.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir haben beim newPark erlebt, wie Sie die Region unterstützt haben. Das ist übrigens die einzige Fläche im westfälischen Teil unseres Landes,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

die wir für großflächige Ansiedlungen entwickeln konnten. Mit wie vielen Instrumenten haben Sie versucht – leider unterstützt von den Sozialdemokraten; ich nehme meinen Freund Hans-Peter Müller da ausdrücklich aus, weil wir in der Region an einem Strang gezogen haben –, diese Entwicklungschance für die Emscher-Lippe-Region zu konterkarieren?

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Es war peinlich, es war erbärmlich, und Sie haben uns im Regen stehen lassen. Wir haben gekämpft wie die Löwen. Nur: Wir hatten Sie nicht an unserer Seite. – Das ist die Wahrheit, um einmal darüber zu reden, wer denn hier Versäumnisse begangen hat!

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen noch einmal: Ich bin dem Ministerpräsidenten und auch dem Wirtschaftsminister ausdrücklich dankbar für die Dinge, die sie hier vorgetragen haben. Wir machen nicht Politik, indem wir Milliarden ins Ruhrgebiet geben und erst danach einmal schauen, wofür.

(Bodo Löttgen [CDU]: Haha!)

Vielmehr wollen wir eine Politik entwickeln, indem wir mit den Menschen vor Ort Ideen entwickeln und aus ihren Ideen heraus gemeinsam, von uns unterstützt, ihre Zukunft entwickeln.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Wir wollen ihnen die Politik nicht aufstülpen, sondern sie mitnehmen. Das haben Sie bis heute nicht verstanden. Nehmen Sie die Menschen bei der Entwicklung ihrer Zukunft mit, und stülpen Sie sie ihnen nicht einfach über!

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Wenn Sie, lieber Herr Hübner, einmal in die Geschichte des Ruhrgebiets schauen und darauf blicken, was wir an Problemen haben und wie sich diese Probleme entwickelt haben, müssen Sie doch eigentlich auch einmal bereit sein, zu fragen: Tragen wir als Sozialdemokraten nicht eine Mitverantwortung an den Problemen, in denen sich diese Region befindet? Müssen wir nicht auch einen Teil unserer Politikansätze ändern, damit wir zu einem anderen Politikergebnis kommen als dem, was wir zurzeit antreffen?

Eines lässt sich nicht leugnen, lieber Kollege Hübner: Die Istsituation ist Ihre Verantwortung. Das, was wir jetzt daraus machen, ist unsere Verantwortung.

(Michael Hübner [SPD]: Was machen Sie denn?)

– Wir reden mit den Menschen, um Projekte zu entwickeln, die ihnen Zukunft ermöglichen.

Sie haben die Situation zu verantworten, dass es so wenig Fläche im Ruhrgebiet und keine Entwicklungsperspektive gibt. Es gibt keine wirklichen Vorstellungen, wie man die Entfesselung definitiv nutzt.

(Michael Hübner [SPD]: Was macht ihr denn jetzt?)

– Wir nutzen im Ruhrgebiet die Entfesselungssituationen, lieber Herr Hübner, die diese Landesregierung schafft, damit wir weiterkommen. Sie sind ja nicht einmal bereit, über diese Instrumente nachzudenken.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Sie sind eingeladen, mit uns zusammen die Situation im Ruhrgebiet zu verbessern, indem wir Fläche entwickeln, mehr Fläche zur Verfügung stellen und nicht Fläche reduzieren.

Wir bieten Ihnen ausdrücklich an, das in der Verbandsversammlung des Ruhrgebiets zu tun. Das bieten wir Ihnen als Sozialdemokraten ausdrücklich an. Nehmen Sie doch einfach einmal ein wenig Verstand an. Das ist gar nicht so schwierig.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Ich bin doch gar nicht Mitglied der Verbandsversammlung!)

Wir bieten Ihnen ausdrücklich an, mit Ihnen zusammen dabei behilflich zu sein, mehr Fläche im Ruhrgebiet zu generieren. Diese Möglichkeit steht jetzt auch über die LEP-Änderung durch die Landesregierung als Fakt im Raum. Wir können diese Instrumente ergreifen. Sie sind eingeladen, mitzugehen. Wir werden gespannt darauf blicken, wie Sie denn mit diesen Fragen umgehen werden. Noch einmal: Wir lassen Sie da nicht aus der Verantwortung.

(Michael Hübner [SPD]: Ich wäre froh, wenn du Verantwortung übernehmen würdest!)

Wir sind bereit, Fläche für Arbeit zur Verfügung zu stellen, damit Arbeit sich ansiedeln kann, damit die Menschen im Ruhrgebiet die Chance haben, in ihrer Heimat Arbeit zu finden. Wir möchten nicht, dass die Menschen morgens auf die Straße müssen, um der Arbeit hinterherzureisen. Nein, die Menschen müssen vor Ort Arbeit finden. Sie, Grüne und Rote, und alle, die gerne daran mitwirken wollen, können zusammen mit uns dafür sorgen, dass wir zum Beispiel den Bestandsschutz nicht nur auf den Betrieb beschränken, sondern auch auf die Fläche erweitern, damit wir nicht permanent durch Betriebsaufgaben Flächen im Ruhrgebiet verlieren. Wir müssen Arbeit halten und neue Arbeit entwickeln. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Michael Hübner [SPD]: Sag doch einmal, wie!)

Von Ihnen habe ich dazu heute nichts gehört. Und das ist das eigentlich Enttäuschende.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Hier sitzt die Ermöglichung. Da sitzt die Behinderung. Sie kennen Gießkanne. Wir kennen Chancenförderung. Wir sind für Chancenförderung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Abgeordnete Schäffer das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laschet, nach Ihrer Unterrichtung habe ich mich gefragt: Wann kommt denn jetzt eigentlich die Unterrichtung? Denn das, was Sie hier geliefert haben – Geschichte, Analyse –, kennen wir alles. Um diese Unterrichtung abzukürzen, hätte eigentlich die Zeitungslektüre gereicht; denn daraus haben wir schon alles erfahren.

Aber wie denn jetzt der Prozess funktionieren soll, was Sie denn jetzt planen mit dieser Ruhrkonferenz, das haben wir heute hier im Landtag nicht erfahren. Das war keine Unterrichtung – ganz im Gegenteil.

Ich frage mich auch, Herr Laschet: Wer ist in dieser Landesregierung denn jetzt eigentlich zuständig von Ihren Ministern? Ist es denn jetzt Herr Holthoff-Pförtner, oder ist es Herr Pinkwart?

(Ministerpräsident Armin Laschet: Alle!)

Mit ist das nicht klar.

(Ministerpräsident Armin Laschet: Alle!)

Natürlich wäre es wahrscheinlich fachlich richtiger, Herrn Pinkwart zu benennen. Aber klären Sie doch einmal die Zuständigkeit. Es wäre für das Ruhrgebiet auch wichtig, hier einen Ansprechpartner zu haben. Auch das ist heute hier nicht klar geworden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, das Ruhrgebiet ist mit seinen über 5 Millionen Einwohnern die neuntgrößte Metropolregion Europas. Was das Ruhrgebiet so anziehend macht, ist aber nicht allein die Größe des Ruhrgebiets. Es sind die Menschen im Ruhrgebiet; es ist ihre Kultur; es sind die Hochschulen; es ist die Gründerkultur; es sind die kulturellen Angebote, die von Industriekultur bis zu Natur reichen und wovon zunehmend auch der Tourismus im Ruhrgebiet profitiert.

Man könnte also meinen, im Ruhrgebiet sei alles gut. Wir wissen aber, dass dem so nicht ist. Sonst würden wir heute nicht hier stehen; sonst würden wir heute nicht darüber diskutieren.

Die Fahrt am Montag ist ja schon mehrfach angesprochen worden. Herr Junkernheinrich hat noch einmal sehr deutlich auf die finanzielle Situation gerade in den Ruhrgebietsstädten hingewiesen. Dort sind auch einige Zahlen genannt worden, die ich als Kurzbeispiele nennen will.

Die Sozialausgaben für die kreisfreien Städte des Aktionsbündnisses, worunter viele Ruhrgebietskommunen fallen, liegen mit knapp 55 % über dem Durchschnitt der West-Flächenländer. Die Altschulden – es ist wichtig, auch darauf einen Blick zu werfen – liegen mit 431 % über dem Durchschnitt der West-Flächenländer.

Ich glaube, dass man anhand dieser Zahlen schon sehr deutlich sieht, wo der Schuh drückt. Daran wird doch deutlich, dass es völlig utopisch ist, zu glauben, dass sich die Kommunen aus eigener Kraft aus dieser Verschuldung befreien könnten.

Herr Laschet, Sie haben in der Presse angekündigt, Sie wollten Visionen entwickeln; Sie wollten Ideen für das Ruhrgebiet entwickeln. Ich glaube, dass das nicht reicht. Wir sind doch im Ruhrgebiet schon längst weiter. Wir wissen doch, was wir im Ruhrgebiet brauchen und was wir dort an Problemen und Herausforderungen haben.

Deshalb erwarten wir auch von der Landesregierung, Herr Laschet, gerade angesichts der finanziellen Lage der Kommunen, dass Sie hier endlich handeln und im Bereich der Altschulden endlich für eine Problemlösung sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann reicht es nicht, wenn Frau Scharrenbach sich hier hinstellt und ankündigt, wie sie das kurz vor Weihnachten getan hat, dass sich die Landesregierung mit der Altschuldenproblematik mal auseinandersetzen will. Das reicht nicht.

Die Anhörung am Freitag im Kommunalausschuss hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass rasches Handeln gerade vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen dringend geboten ist. Wir wissen, dass nur die Lösung der Altschuldenproblematik langfristig endlich wieder Spielräume im Ruhrgebiet eröffnet, sodass wir Investitionen in den Kommunen tätigen können. Denn wir brauchen endlich Investitionen in Mobilität, in Bildung, in Integration und Stadtentwicklung. Und dafür brauchen wir die Lösung der Altschuldenproblematik.

Herr Laschet, Sie sind gefragt, sich auf Bundesebene nicht nur für die Lösung der Problematik der Sozialausgaben einzusetzen, sondern auch dafür, dass es endlich einen Altschuldenfonds gibt. Das wäre nach dem Stärkungspakt jetzt der nächste konsequente Schritt, den wir endlich brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

Herr Holthoff-Pförtner, ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie keine Geber- und keine Krisenkonferenz wollen; Sie wollen Ideen sammeln und nicht Geld sammeln. Ehrlich gesagt, offenbart das doch die Ideenlosigkeit der Landesregierung für das Ruhrgebiet. Sie haben offenbar keine Ideen, obwohl diese eigentlich bereits auf dem Tisch liegen. Wir wissen, was wir im Ruhrgebiet brauchen.

Das nächste Großprojekt steht mit der IGA 2027 bereits vor der Tür. Herr Hovenjürgen, da reicht es nicht, nach zehn Monaten Landesregierung darauf zu verweisen, was vorher gelaufen ist. Sie sind jetzt in der Pflicht, Herr Laschet, endlich die Förderzusagen für das Ruhrgebiet zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es reicht nicht, wenn Sie immer sagen, dass Sie prüfen und prüfen und prüfen. Sie müssen die Förderzusage machen. Denn bis Mitte dieses Jahres muss die Förderung feststehen, damit die IGA im Ruhrgebiet stattfinden kann.

Herr Laschet, das noch zum Abschluss: Wir als Grüne werden uns der Konferenz nicht verschließen – im Gegenteil. Wir sehen die Chancen für die Region. Aber es reicht nicht, wenn Sie bei vagen Ankündigungen bleiben. Es braucht die Beteiligung der Politik und der Menschen im Ruhrgebiet.

Im Übrigen reicht es auch nicht aus, wenn Sie als Erstes zum Initiativkreis gehen, in dem nur ein kleiner Teil der Wirtschaft im Ruhrgebiet organisiert ist. Sie hätten als Erstes die Politik informieren müssen. Sie müssen uns mit an den Tisch nehmen. Denn wir sind doch die Handelnden im Ruhrgebiet. Wir brauchen auch keine neue Ideensammlung, sondern konkrete Antworten auf konkrete Herausforderungen, die wir im Ruhrgebiet haben.

Wenn im Endeffekt das Ziel sein soll – aber ich bin mir heute nicht ganz sicher, ob das wirklich Ihr Ziel ist; ich habe die Befürchtung, dass Sie gar nicht wissen, wohin Sie eigentlich wollen –, dass wir endlich konkrete Antworten finden, dann sind wir als Grüne sehr gerne dabei und begleiten die Ruhrkonferenz gerne kritisch, aber konstruktiv, weil wir wissen, dass sie Chancen für das Ruhrgebiet bietet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Witzel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Es ist uns ein großes Anliegen, hier eine Debatte zu führen – heute sicherlich auch nicht zum letzten Mal – über die Zukunftschancen und die zukünftige Entwicklung des Ruhrgebiets, und zwar aus einer positiven Betrachtung von Chancen heraus und nicht aus einer Defizitperspektive, wie es SPD und Grüne viel zu lange und viel zu häufig getan haben.

Sie haben den Menschen gerne das Blaue vom Himmel und das Schwarze aus der Erde versprochen, bis Sie festgestellt haben, dass es nicht funktioniert, sich gegen den Strukturwandel zu stemmen und Modernität in der Entwicklung abzulehnen. Wir hingegen haben bereits in der 14. Wahlperiode eine mutige Entscheidung für das Auslaufen des Bergbaus in Nordrhein-Westfalen getroffen und versprochen, hier umzusteuern.

Sie haben Ängste geschürt, was denn alles passieren würde nach dem, was die Regierung Rüttgers/Pinkwart damals auf den Weg gebracht hat. Sie haben damit politische Kräfte am Rand gestärkt, die von den Ängsten leben.

Heute haben Sie wieder auf diese Vorstellung eingezahlt, als Sie von der Vergeblichkeitsfalle gesprochen haben. Welche Mentalität löst es denn aus, wenn man der jungen Generation sagt: „Es ist egal, was ihr tut; das ist sowieso alles vergeblich; ihr habt ja so schwere Lasten zu tragen“? – Nein, das ist der falsche Weg. Richtig sind eine differenzierte Betrachtung und ein Blick auf die Chancen.

Natürlich haben wir sehr klare Vorstellungen vom Ruhrgebiet. Es ist zum einen natürlich die Erkenntnis, dass es auch zukünftig einen starken industriellen Kern geben soll und muss. Das Ruhrgebiet hat keine Zukunft als Kurort und auch nicht als Freilichtmuseum. Ihr abgewählter Wirtschaftsminister Garrelt Duin hat das zwar erkannt. Er hat jedoch für seine Position keine Rückendeckung innerhalb der Koalition bekommen.

(Beifall von der FDP)

Wir haben das erkannt. Diese schwarz-gelbe Regierung steht zum industriellen Kern des Ruhrgebiets. Deshalb bringen wir jetzt die PS auf die Straße. Deshalb wird hier der Landesentwicklungsplan in Angriff genommen. Deshalb wird das Ruhrgebiet wie das Land insgesamt auch entfesselt, damit diejenigen, die etwas vorhaben, die etwas auf den Weg bringen wollen, die anpacken wollen, nicht länger vom Staat und durch staatliche Bürokratie dabei behindert werden, sondern ermutigt werden, sich einzubringen, Leistung zu erbringen und am Standort Nordrhein-Westfalen und im Ruhrgebiet zu investieren.

Wir wissen auch, dass dieser industrielle Kern um neue Branchen, um Zukunftsfelder in Wissenschaft, Forschung und Technologie, ergänzt werden muss. Vieles davon haben wir in den letzten Jahren unserer früheren schwarz-gelben Landesregierung bereits auf den Weg gebracht. Es ist schön, zu sehen, dass das Ruhrgebiet mittlerweile auch ein ganz wichtiger Standort für Medizin und Medizintechnologie ist, was vor vielen Jahren sicherlich nicht absehbar war.

Das Ganze müssen wir nun mit der nötigen Infrastruktur kombinieren. Darin besteht auch die Aufgabe der öffentlichen Hand. Das darf man nicht tun, wie es hier von den Grünen vorgetragen worden ist, indem man den Menschen vorschreibt, dass sie 25 % ihrer Wegstrecken als Fußverkehr zurückzulegen haben. Wir sollten den Menschen keine ideologischen Vorschriften machen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Herr Witzel!)

Denn wir brauchen beides. Wir brauchen zum einen den klassischen Verkehrswegeausbau, weil auch eine Zukunft der E-Mobilität Straßen braucht, auf denen sie stattfindet.

Es reicht aber nicht aus, nur in klassische Infrastruktur zu investieren. Wir brauchen zum anderen auch große Fortschritte bei der Digitalisierung, damit die Unternehmen hier die Chance haben, international mit dem mitzuhalten, was in ganz anderen Teilen der Welt passiert.

Deshalb sind die Notwendigkeiten in Sachen Infrastruktur für uns: klassischer Infrastrukturausbau, Sanierung von all dem, was Sie marode hinterlassen haben, aber natürlich auch, bei der Digitalisierung in unserem Land und im Ruhrgebiet einen Riesenschritt nach vorne zu machen.

(Beifall von der FDP und Matthias Kerkhoff [CDU])

Deshalb ist unser Lösungsvorschlag für die weitere Ruhrgebietsentwicklung, diejenigen zu unterstützen, die eine Trendwende einleiten wollen, zu Veränderungen bereit sind und einen Turnaround in ihrer Region wollen – Stichwort „Turnaround Schulen“.

Genau dort, wo es am schwierigsten ist, wo Sie von SPD und Grünen die größte Kinderarmut in unserem Land hinterlassen haben, sollen den Menschen neue Hoffnungen gegeben werden und neue Zukunftschancen eingeräumt werden, damit ein Aufstiegsversprechen wieder erlebbar wird und von Menschen für realistisch gehalten wird, sodass sie für ihre zukünftige Entwicklung in der Region eigene Anstrengungen unternehmen.

Das ist das, was das Ruhrgebiet am besten voranbringt. Deshalb werden wir diesen Weg weitergehen. Wir laden Sie noch einmal herzlich dazu ein, sich konstruktiv in diesen Prozess einzubringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Matthias Kerkhoff [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort. Bitte schön.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letztem Redner obliegt einem immer die Möglichkeit, noch einmal auf das zurückzuschauen, was wir heute gehört haben. Die wichtigsten Punkte waren sicher die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, die Förderung zukunftsweisender Technologien, Stadterneuerungen, Verbesserungen des Wohnumfeldes, Umweltschutz für ein modernes Ruhrgebiet, die Stärkung der Investitionskraft und die Förderung des kulturellen Lebens im Ruhrgebiet.

Das alles sind Ziele, die wir heute gehört haben. Ich habe sie aber genauso im Aktionsprogramm Ruhr des Kabinetts Rau I von 1979 gelesen. Dass diese Themen heute immer noch so aktuell sind, zeigt nicht nur, wie unglaublich das Wirken der SPD in den letzten Dekaden, muss man mittlerweile sagen, war, sondern auch, wie ideenlos die CDU letztlich ist, dass sie uns diese Dinge jetzt einfach erneut vorkaut.

Herr Löttgen spricht davon, wir hätten heute ganz viele Lösungen gehört. Dabei ist die Ruhrkonferenz doch eher die Suche nach den Lösungen. Ich wusste nicht, Herr Löttgen, dass Sie es so sehr mit Konfuzius nehmen, wenn Sie sagen, der Weg sei bereits das Ziel.

Viele Bürger werden wahrscheinlich sagen, es sei gut, dass die Politik sich jetzt mit Fachleuten trifft, um sich bei ihnen vielleicht einige Lösungen zu besorgen. Auf der anderen Seite hat man aber den Eindruck, die Regierung unter Ministerpräsident Laschet suche immer noch nach dem eigenen Fingerabdruck und könne nicht so richtig mit den Traditionen des politischen Scheiterns von SPD und Grünen brechen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Vincentz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Das bleibt auch beim Blick in die Runde so. Damit sind wir am Ende der Unterrichtung.

Wir kommen nun zu:

2   Der Integrationsplan für NRW muss fortgeführt werden

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/818

Beschlussempfehlung und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/2383

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1247

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1248

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2471

In Verbindung mit:

Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen weiter fördern! Aufenthaltssicherheit für die gesamte Ausbildungsdauer schaffen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2407

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU der Abgeordneten Heike Wermer das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Wochenende sind wir Zeuge eines einmaligen Vorgangs geworden. Wer am vergangenen Sonntag die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aufgeschlagen hat, fand dort auf Seite 7 eine ganzseitige Anzeige der Sozialverbände. In dieser Anzeige warnten diese Sozialverbände vor der – ich darf zitieren – lebens- und menschenfeindlichen Politik der AfD.

(Beifall von der CDU und Johannes Remmel [GRÜNE])

Der Anlass für die Sozialverbände, diesen Schritt zu gehen, war eine unsägliche Anfrage der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die auf abstoßende Art und Weise einen Zusammenhang zwischen Migration, Inzest und Schwerbehinderten herstellt.

(Zuruf: Pfui!)

Nicht nur in dieser konkreten Anfrage offenbart sich die strukturelle Grund- und Geisteshaltung dieser Partei.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Immer wieder durften wir auch schon hier im Hohen Haus diese menschenfeindliche Politik beobachten.

(Zurufe von der AfD: Oha!)

Den Sozialverbänden gebührt für ihre Zivilcourage und offene Ansprache unser Dank und unsere Anerkennung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Selbst wenn wir anderen Fraktionen immer wieder miteinander politisch streiten, so tun wir dies bei allen Unterschieden konstruktiv und lösungsorientiert und fühlen uns allen Menschen dabei verpflichtet.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Beim rechtsreaktionären Rand verhält es sich genau umgekehrt. Das ist auch der Grund, warum wir mit Blick auf das Thema der heutigen Anträge besondere Achtsamkeit, Sorgfalt und Weitsicht walten lassen sollten.

Wir haben in den zurückliegenden Wochen den vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion zur Fortsetzung des Integrationsplans in zahlreichen Ausschüssen dieses Hohen Hauses diskutiert. Wir haben den Antrag in fast allen Ausschüssen abgelehnt und, meine Damen und Herren von SPD und Grünen, werden das auch heute hier tun.

Mir ist es aber ein Anliegen, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, in diesem Zusammenhang Folgendes wissen zu lassen: Die Ablehnung Ihres Antrags bedeutet nicht, dass wir Ihre Anstrengungen aus der vergangenen Wahlperiode nicht anerkennen würden. Das haben wir unter anderem auch dadurch deutlich gemacht, dass wir das Programm „KOMM-AN NRW“ bis zum Ende des Jahres 2018 finanziert haben. Sie haben punktuelle Antworten auf die damals aktuellen Herausforderungen gegeben. Dafür gebührt Ihnen auch unser Respekt.

Gleichzeitig bin ich der festen Überzeugung, dass ein Weiter-so nicht ausreicht. Wir brauchen Weiterentwicklung – Weiterentwicklung im Sinne einer Richtungsentscheidung. Wir müssen ein Ziel bestimmen, auf das wir gemeinsam hinarbeiten und an dem sich die Maßnahmen einer stimmigen Integrationsstrategie ausrichten.

Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit lange und oft zäh über die Frage debattiert, ob wir ein Einwanderungsland sind, ja oder nein – gerade die CDU. Natürlich können wir uns nicht mit klassischen Vielvölkerstaaten wie zum Beispiel der USA vergleichen.

Andererseits muss man schon sehr blind sein, wenn man die Realität auf unseren Straßen oder in unseren Cafés nicht wahrnimmt. Man kann die Frage je nach Blickwinkel mit Ja oder Nein beantworten. Das ist der politische Streit, den wir führen. Man kommt aber zu keinem allgemeingültigen Ergebnis.

Wir sollten uns daher nicht länger mit der Vergangenheit aufhalten, sondern in die Zukunft schauen. Welchen Weg wollen wir für eine funktionierende Integration einschlagen? Ist es nicht das Bild einer friedlich zusammenlebenden Gesellschaft, die sich durch Vielfalt und Toleranz auszeichnet? Nur gemeinsam können und werden wir unser Land voranbringen. Wie wollen wir Integration gestalten?

Uns als NRW-Koalition ist es ein Anliegen, Integration gemeinsam mit den unterschiedlichsten Akteuren zu denken und umzusetzen. Deshalb befürworten wir einen Beirat für die Integrationsstrategie 2030, der sich aus Zivilgesellschaft und Politik zusammensetzt. Wir wollen vonseiten der Politik eben nicht alles vorschreiben, sondern die Zivilgesellschaft aktiv einbinden. Integration geht alle an. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wen müssen wir in den Blick nehmen? Integration betrifft nicht nur die Flüchtlinge, die schon hier sind oder noch zu uns kommen, sondern auch die Zugewanderten, die seit Generationen hier leben oder noch nach Deutschland einwandern werden.

Für alle Gruppen muss gelten: Wer Teil unserer Gesellschaft werden möchte, muss die hier geltenden Gesetze und Normen akzeptieren und sich daran halten. Wir leben in einer Zeit, in der der demografische Wandel und der Fachkräftemangel keine Zukunftsmusik, sondern erlebbare Realität sind. Deshalb ist es hinsichtlich eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes unser gutes Recht, zu definieren, wer nach Deutschland einwandern darf und wer nicht, und zwar unabhängig von der Frage des Asylschutzes.

Wir wollen uns sowohl an volkswirtschaftlichen Erfordernissen als auch an Qualifikation, Alter, Sprache, Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzes und Sicherung des Lebensunterhalts orientieren.

Warum setzen wir auf die vier Säulen Sprache, Bildung, Arbeit und Wertevermittlung? – Nur, wer die deutsche Sprache beherrscht, hat gute Voraussetzungen für Integration. Sprache ist der Schlüssel zur Bildung, Bildung ist der Schlüssel zur Arbeit, Arbeit ist der Schlüssel zu einem eigenständigen selbstbestimmten Leben. So ist man finanziell und vom Staat unabhängig. Wer mit eigener Hände Arbeit etwas schafft, der verschafft sich auch eine ganz andere Qualität von Selbstzufriedenheit. Er fühlt sich gebraucht und anerkannt.

Deshalb müssen wir an diesen Rahmenbedingungen arbeiten und sie von jedem einzelnen Menschen und von allen politischen Beteiligten einfordern. Wir leben in einer freien und offenen Gesellschaft. Wir genießen die Vorzüge einer liberalen Demokratie. Liberalität darf aber nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Liberal heißt nicht, erlaubt ist, was gefällt. Liberalität endet dort, wo unsere offene und liberale Gesellschaft und Gesetze gefährdet werden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Wer gegen unsere Gesetze verstößt, muss mit unseren Konsequenzen rechnen und leben.

Der vorliegende Entschließungsantrag der NRW-Koalition skizziert deshalb unseren Ansatz aus Weltoffenheit und Ordnung, der unsere Vision von einer gelungenen Integration aufzeigt. Wir werden jetzt die vor uns liegenden Wochen und Monate nutzen, um unter Einbeziehung eines Integrationsbeirats die strukturellen Rahmenbedingungen für NRW zu schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Wermer. Der Abgeordnete Wagner von der Fraktion der AfD hat sich für eine Kurzintervention gemeldet. – Bitte schön, Herr Kollege Wagner.

Markus Wagner (AfD): Schönen Dank.

(Andreas Keith [AfD]: Herr Klocke ist auch da!)

Frau Kollegin Wermer, zunächst nehmen Sie bitte mal zur Kenntnis, dass die mitverantwortliche Verfasserin der Kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag, die Abgeordnete Frau Höchst, selbst Mutter eines behinderten Kindes ist. Darüber hinaus sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Thema, um das es in dieser Anfrage geht, bereits 2015 vom Verlag Heise, 2011 von der „taz“, 2009 vom „Spiegel“, 2008 von „Kontraste“ und 2011 von der „FAZ“ behandelt worden ist. Dazu zitiere ich gerne die Bündnis-90/Die-Grünen-EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer, die sagte:

„Die „KONTRASTE“-Recherchen haben noch einmal eindrucksvoll belegt, dass wir das Thema Aufklärung …“

– zu diesem Thema der Kleinen Anfrage –

„… dringend anpacken müssen.

Ich nehme für mich noch mal ganz konkret mit, dass ich die Kommission durch eine Anfrage auffordern werde, Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit gerade auch die jungen Mädchen, die jungen Frauen diese Informationen bekommen, denn nur dann ist eine freie Entscheidung möglich.“

Die Art und Weise, wie Sie gerade diese Kleine Anfrage verunglimpft haben, spricht Bände.

Darüber hinaus bin ich sehr erstaunt, auf welchem Wege die CDU ihre seit Langem erwartete Integrationsstrategie 2030 vorstellt, nämlich wenige Stunden vor der Debatte zu einem SPD-Antrag im Plenum. Das kennt man inzwischen von Ihnen. Aber immerhin fordern Sie in Punkt 12 ein Einwanderungsgesetz als Gegenpol zum Flüchtlingsschutz. Für das gute Abschreiben aus dem AfD-Grundsatzprogramm von 2013 gebe ich Ihnen gerne ein Fleißsternchen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wagner. – Es hat nun Frau Kollegin Wermer 90 Sekunden lang die Möglichkeit, darauf zu erwidern. Bitte schön.

Heike Wermer (CDU): Herr Wagner, vielen Dank für Ihre Kommentare. Wenn Sie diesen Beitrag der AfD im Bundestag so differenziert sehen,

(Andreas Keith [AfD]: Die haben wir gelesen!)

dann hätte man das auch vorher differenzierter darstellen können.

(Andreas Keith [AfD]: Zuhören!)

– Jetzt spreche ich! Ich unterstelle Ihnen, dass Sie permanent pauschal mit diesen Ängsten und mit dieser Doppeldeutigkeit arbeiten.

(Allgemeiner Beifall – Andreas Keith [AfD]: Sie unterstellen das! Sie tun das!)

Wir haben das oft genug bei etlichen Anträgen von Ihnen erleben dürfen. Und auf die Sternchen zu unserem Entschließungsantrag kann ich herzlich verzichten. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall – Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wermer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Yetim das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor über zwei Jahren haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hier im Plenum den Antrag für einen Integrationsplan eingebracht. In allen Ausschüssen gab es dazu Beratungen und Expertenanhörungen. Wir hatten bei der Anhörung des Integrationsausschusses mehr als 40 Experten, die sich eingebracht haben. Das waren kommunale Spitzenverbände, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Arbeits-agenturen, Kirchen usw. Die ganze Bandbreite der Zivilgesellschaft war also dabei. Daraus entstanden ist damals ein Gesamtkonzept, wie die Integration von Geflüchteten in Nordrhein-Westfalen gelingen kann.

Der Integrationsplan für Nordrhein-Westfalen wurde hier im September 2016 verabschiedet und stellt eine Gesamtstrategie dar, wie wir – das war der Beweggrund, damit anzufangen – die Fehler der Vergangenheit, nämlich als die Gastarbeiter zu uns gekommen sind, vermeiden können, weil uns allen klar war, dass sehr viele Geflüchtete bei uns bleiben oder auf jeden Fall für eine bestimmt Zeit bei uns bleiben werden. Ich finde nach wie vor, dass uns das gelungen ist. Die letzte Anhörung des Integrationsausschusses hat uns darin noch einmal bestätigt.

Kolleginnen und Kollegen, dieser Integrationsplan bietet die Grundlage dafür, dass die Menschen, die zu uns kommen, integriert werden. Ich will noch einmal die fünf wichtigsten Handlungsfelder aufzählen: Das war einmal die Sprach- und Wertevermittlung, das war der Bereich Bildung und Ausbildung, der Bereich Arbeit und berufliche Qualifikationen, der Bereich Zusammenleben, Wohnen, Sport und Kultur, aber auch Stärkung der Zivilgesellschaft.

Wenn ich über die Stärkung der Zivilgesellschaft spreche, Kolleginnen und Kollegen, dann will ich direkt auf einen Antrag der AfD eingehen, in dem gefordert wird, dass wir die Initiative „Durch Begegnung Brücken bauen“ stärken. Diese Initiative kümmert sich um das friedliche Zusammenleben, will es fördern, will die religiöse Diskriminierung bekämpfen. Das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion ist für uns von höchstem Wert. Deshalb haben wir im Integrationsplan die Wertevermittlung und auch die Stärkung der Zivilgesellschaft aufgegriffen.

Die Herausforderung, den Antisemitismus zu bekämpfen, ist für uns alle sehr klar – nein, nicht für alle, aber für den größten Teil. Deswegen fordern wir als SPD-Landtagsfraktion einen Antisemitismusbeauftragten. Dass jetzt aber ausgerechnet die AfD den Antisemitismus in unserem Land bekämpfen möchte, überrascht mich.

(Roger Beckamp [AfD]: Ist doch toll! Überraschungen sind doch toll!)

Es ist auch ein Stück weit, wenn nicht sogar ganz scheinheilig. Das will ich ganz deutlich sagen. Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender, Georg Pazderski, bezeichnet den Antisemitismus als importiert, negiert aber Ihren eigenen Anteil am Erstarken der rechten Übergriffe.

(Beifall von der SPD – Roger Beckamp [AfD]: Sie öffnen die Grenzen!)

Ihr Kollege und Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag bezeichnet das Holocaust-Denkmal in Berlin als Denkmal der Schande und wird von Ihnen auch noch dafür gefeiert. Dadurch wird sehr deutlich, wo Sie in dieser Debatte stehen.

Ich bin deshalb den Kollegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Opel, sehr dankbar, dass sie nicht zugelassen haben, dass sich Ihre Truppe da solidarisieren kann.

(Beifall von der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Es war ein sehr deutliches Zeichen, dass man mit Ihrer Ideologie nichts zu tun haben will.

Es gibt viele weitere Beispiele, die sehr deutlich machen, dass es in Ihrer Partei genügend Teilnehmer für das Projekt „Durch Begegnung Brücken bauen“ gibt. Nehmen Sie daran teil. Ich bin sicher, dass der Träger dieses Projekts, die jüdische Gemeinde, auf Ihre Unterstützung keinerlei Wert legt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Yetim, der Abgeordnete Wagner hat sich für eine Zwischenfrage gemeldet. Ich frage, ob Sie diese zulassen.

Ibrahim Yetim (SPD): Nein, um Gottes willen!

(Markus Wagner [AfD]: Nein, um Himmels willen, Sie könnten ja neue Erkenntnisse gewinnen!)

Im zweiten Entschließungsantrag der AfD wird unter anderem die Streichung der Mittel für das Projekt „Sach wat“ des Caritasverbands Essen gefordert.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Genau!)

Dieses Projekt schult Menschen, die sich gegen rechtspopulistische Stimmungsmache einsetzen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Ach, das ist doch keine Schulung!)

Die Kritik der AfD an diesem Projekt gilt der Haltung der Caritas,

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Genau, die undemokratische Haltung der Caritas!)

die ich sehr begrüße, denn das fehlt uns in dieser Gesellschaft: Haltung. Der Caritasverband sagt, angesichts erstarkender rechtspopulistischer Kräfte wie der AfD habe man es als Pflicht empfunden, etwas zu tun.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Ja!)

Was ist an diesem Satz falsch? – Ich sage Ihnen das ganz deutlich:

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Ich glaube, Sie sind die Nachfolger derjenigen, die dieses Land schon einmal zerstört haben. Deswegen brauchen wir mehr von diesen Projekten, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Eine Fortführung des Integrationsplans ist aus unserer Sicht absolut notwendig – deshalb dieser Antrag. Mehr noch: Wir sehen an vielen Stellen, dass es einer Weiterentwicklung bedarf. Das ist so, weil wir keinen Fünfjahresplan aufgelegt haben, sondern eine Gesamtstrategie, die über viele Jahre andauern wird. Deshalb brauchen wir das, und wir wissen alle, dass es zur Integration Zeit braucht; wir haben das schon mal gesehen. Deswegen sind dieser Integrationsplan und auch unser Antrag, ihn weiterzuentwickeln, absolut richtig.

Das betrifft zum Beispiel die Arbeitsmarktintegration. Dazu haben wir einen weiteren Antrag auf den Weg gebracht, den wir hier mitdiskutieren und über den wir entscheiden werden. Mein Kollege Gordan Dudas wird dafür im zweiten Block noch Erklärungen abliefern.

Kolleginnen und Kollegen, die Mitte-rechts-Koalition sollte die Vorreiterrolle in der Integrationspolitik, die Nordrhein-Westfalen hat, nicht verspielen. Wir haben – leider – seit zwölf Monaten keine Ideen von Ihnen gehört oder gesehen, wie die Integration gestaltet werden kann. Das hat sicher damit zu tun, dass Sie seit Monaten mit den Integrationsräten im Streit sind und sich im Rechtfertigungsmodus für die populistische Übernahme des Kopftuchverbots aus Österreich befinden. Mit Integrationspolitik setzen Sie sich leider nicht auseinander.

Bezüglich der von Ihnen angekündigten Integrationsstrategie sind wir uns nicht sicher, ob die bis 2030 umgesetzt ist oder ob Sie uns diese dann – als Oppositionspartei – erst vorstellen wollen. Bis 2030 werden Sie sicher etwas bringen, aber auf jeden Fall ist es dann zu spät.

Der Entschließungsantrag der Mitte-rechts-Koalition, den wir heute Morgen auf den Tisch bekommen haben, ist nett, und es ist auch schön, dass wir darin Ihre Gedanken lesen können. Ich habe mich gefragt, was Ihre Forderungen sind. Ihre Gedanken und die Wiederholung Ihres Koalitionsvertrags sind noch keine Idee für die Integrationspolitik in diesem Land.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Worüber stimmen wir bei diesem Antrag eigentlich ab? – Der Integrationsplan Nordrhein-Westfalen hat fünf Handlungsfelder; ich habe sie Ihnen gerade vorgestellt. Sie übernehmen diese zum größten Teil. Was bei Ihnen aber wegfällt, ist das wichtige Feld des friedlichen Zusammenlebens.

Deshalb fordern wir die Mitte-rechts-Koalition auf, Verantwortung zu übernehmen und zum Beispiel durch einen Erlass zu regeln, dass diejenigen, die sich integrieren wollen und zum Beispiel eine Einstiegsqualifizierung absolvieren möchten, Rechtssicherheit bekommen, das heißt, Verantwortung zu übernehmen und in der Integrationspolitik auch mal einen Schritt nach vorne zu gehen.

Ich lese dann, dass Sie angeblich von 2005 bis 2010 Motor der Integrationspolitik waren. Frau Wermer hat vorhin darauf hingewiesen, dass die Integrationspolitik von Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode gut war. Deshalb verstehe ich das in diesem Zusammenhang nicht. Das haben Sie, Frau Wermer, wahrscheinlich übersehen.

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Ich frage Sie sehr deutlich: Was hat diese Mitte-rechts-Koalition seit einem Jahr in diesem Bereich angestoßen?

(Gordan Dudas [SPD]: Der Motor lief im Leerlauf! – Gegenruf von Henning Rehbaum [CDU]: Ihr!)

Stattdessen beschäftigen Sie sich, wie ich gerade ausgeführt habe, mit anderen Dingen – Kopftuchverbot, Abschaffung der Integrationsräte –, aber nicht mit der Integrationspolitik.

Sie wollen verpflichtende Bildungsangebote prüfen. Ich weise darauf hin: In der letzten Legislaturperiode, als wir 2016 den Integrationsplan aufgestellt haben, waren CDU und FDP in der Opposition. Ich frage mich: Was haben Sie eigentlich seitdem getan, wenn Sie denn verpflichtende Bildungsangebote wollen? Es liegt immer noch nichts vor, und Sie reden immer noch davon, dass Sie das prüfen wollen. Da fehlt mir irgendetwas.

In dieser Zeit hätte man schon etwas auf den Weg bringen können. Das haben Sie nicht getan. Deswegen bleibt es dabei: Die Mitte-rechts-Koalition ist nicht der Motor der Integrationspolitik, sondern sie ist der Hemmschuh der Integrationspolitik.

Lassen Sie mich als Bergmann zum Abschluss deutlich sagen – ich weiß, dass Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Löttgen, das nicht so gerne hört; verzeihen Sie mir das –: Glück auf!

(Beifall von der SPD – Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Yetim, auch Sie darf ich zurück zum Redepult bitten. Das Signal zeigt es an,

(Ibrahim Yetim [SPD]: Ich habe es nicht gesehen!)

dass es auch hier eine Kurzintervention gibt, und zwar des Abgeordneten Wagner von der Fraktion der AfD.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Sehr überraschend!)

– Bitte schön, Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege Yetim, da Sie mich nicht fragen lassen, müssen Sie mich jetzt halt sprechen lassen.

Sie haben vorhin auf unseren stellvertretenden Bundesvorsitzenden Pazderski hingewiesen, der seinerseits wiederum darauf hingewiesen hat, dass wir es mit einem importierten Antisemitismus zu tun haben. – Ich erinnere Sie daran, dass Bundeskanzlerin Merkel – das ist übrigens die Frau, mit der Sie in Berlin koalieren – kürzlich festgestellt hat, dass wir einen zuwandernden Antisemitismus in Deutschland haben. Das ist das eine.

Das Zweite ist: Wenn ich mich recht erinnere, sind die verantwortlichen Personen für die Echo-Preisverleihung an die beiden Rapper mit ihren antisemitischen Texten Mitglieder der CDU, der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche. Hinzu kommt noch irgendeine Person, die mir jetzt nicht bekannt ist. Von der AfD war, glaube ich, keiner dabei.

Zum Dritten: das Thema „Höcke“. Herr Höcke hat von einem „Denkmal der Schande“ gesprochen und mittlerweile mehrfach klargestellt, dass er damit die Schande des deutschen Volkes meinte. Das ist Ihnen offensichtlich immer noch entgangen.

(Lachen von der CDU und den GRÜNEN)

Von daher gebe ich Ihnen jetzt auch gerne diese Nachhilfestunde.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Herr Kollege Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Herr Wagner, ich mache das in aller Kürze und sage Ihnen ganz deutlich: Das, was Sie umtreibt, ist der Antisemitismus. Das gehört mit zu Ihrer DNA. Ich bin ganz sicher, dass Sie damit ein Problem haben.

Keiner von uns, von den demokratischen Parteien, negiert, dass es auch bei Flüchtlingen Antisemitismus gibt. Keiner! Was wir im Gegensatz zu Ihnen aber nicht tun, ist, verallgemeinern. Das tun Sie. Sie sagen: Alle diejenigen, die zu uns kommen, die einen muslimischen Hintergrund haben, sind Antisemiten.

Das merken wir hier in der Debatte immer: Sie verallgemeinern. Für Sie sind die Flüchtlinge an allem schuld. Die sind am Antisemitismus schuld, und die sind auch am Sterben der Bienen schuld.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Christian Loose [AfD])

So weit ist es ja mittlerweile gekommen. Machen Sie uns nichts vor!

Was den Höcke betrifft, fangen Sie auch wieder damit an. Sie versuchen, zu relativieren.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Sie haben diese Gesellschaft auf die Bäume gebracht. Sie haben etwas in die Debatte gebracht, was unterirdisch ist, was unsäglich ist, was unserer grundsätzlich demokratischen Haltung hier in diesem Land komplett widerspricht. Und danach sagen Sie dann:

(Zuruf von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Das war alles gar nicht so gemeint. Sie haben uns falsch verstanden. – So ist es doch.

Genau deswegen – Herr Wagner, das sage ich Ihnen ganz deutlich – wird man Sie nicht ernst nehmen. Ich bin sicher, 2022 spielen Sie keine Rolle mehr.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das waren Kurzintervention und Entgegnung.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yetim. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lenzen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Zwischenfragen und die Kurzintervention haben es gezeigt: Wenn wir über den Integrationsplan sprechen, die Integrationsstrategie 2030, können wir uns unter den demokratischen Fraktionen gerne sachlich austauschen und auseinandersetzen, aber die Wortmeldungen der AfD-Fraktion zu meiner Rechten schlagen eher auf den Magen, als dass man wirklich darauf noch einmal ein Wort erwidern müsste.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Es wundert mich nicht und ist auch klar, dass sich der Kollege Yetim und die SPD als ehemalige Regierungsfraktion letztendlich für die Fortsetzung ihrer Politik einsetzen. Das ist, denke ich, nachvollziehbar.

Genauso werden Sie wohl auch akzeptieren, dass wir als NRW-Koalition gewählt wurden, um neue Schwerpunkte zu setzen. So reden wir auch jetzt – auch mit unserem Entschließungsantrag von CDU und FDP – über das Thema „Integrationsstrategie 2030“. Diese Strategie wollen wir für das Land erarbeiten. Wir wollen dazu – das haben wir ja auch schon gehört – einen Beirat nutzen, dazu alle Akteure der Zivilgesellschaft, Verbände, Migrantenorganisationen, das Ehrenamt wie auch die staatlichen Stellen auf allen Ebenen einladen und darin einbinden, um gemeinsam mit der Landesregierung diese Integrationsstrategie 2030 zu erarbeiten.

Wo unterscheidet sich das vom Integrationsplan, der von Rot-Grün auf den Weg gebracht wurde? – Wir wollen wegkommen von diesem Sammelsurium unverbundener Einzelmaßnahmen. Aber darüber haben wir ja auch gesprochen, und das sagt auch die Kollegin Wermer: Auch der Integrationsplan enthält gute Punkte. – Deswegen werden wir uns jede Maßnahme einzeln anschauen und gucken, wie wir sie besser bündeln und besser auf Programme des Bundes abstimmen können. Dann werden auch erfolgreiche Konzepte auch einer Vorgängerregierung fortgeführt. Aber genauso werden wir neue Ansätze einbauen.

Ein ganz entscheidender Punkt bei diesem Paradigmenwechsel, den wir vonseiten der FDP und der NRW-Koalition sehen, ist: Wir brauchen mehr Verbindlichkeit in der Integrationspolitik.

Es ist auch ganz wichtig, noch einmal klarzustellen, dass wir es allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft ermöglichen wollen, dass sie hier die Chance auf sozialen Aufstieg und auf eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben.

Aber dazu gehört auch das Prinzip „Fordern und Fördern“. Wir wollen Integration fördern, aber auch Integrationsanstrengungen einfordern. Da setzen wir auf mehr Verbindlichkeit im Hinblick auf die Vermittlung von Sprache, Bildung und Arbeit, aber auch die aktive Wertevermittlung.

Machen wir uns nichts vor: Die eigentliche Integrationsarbeit wird doch vor Ort geleistet. Wo findet sie eigentlich statt? – In Städten, Gemeinden, im Kindergarten, auf dem Schulhof, beim Sport, in den Vereinen, in der Nachbarschaft. Deshalb wollen wir und werden wir auch weiterhin die Kommunen bei ihrer Integrationsarbeit unterstützen.

So war es ja für uns auch folgerichtig, gemeinsam mit unserem Integrationsminister, mit unserer Regierung, mit unserem Partner CDU die Kommunalen Integrationszentren – von Rot-Grün auf den Weg gebracht – als Schaltstellen für die Integration finanziell abzusichern.

Aber es war auch für uns noch einmal ein ganz wichtiges Signal im Unterschied zur Vorgängerregierung, dass wir Spielräume in der Haushaltsaufstellung genutzt haben, um den Kommunen eine Integrationspauschale von 100 Millionen € zur Verfügung zu stellen. Da sieht man auch wieder einen Unterschied. Strukturen, die wir für gut befinden, wollen wir finanziell absichern und stärken, damit sie auf gesunden Füßen stehen. Aber wir unterscheiden uns darin, dass wir die Zusagen einhalten und den Kommunen aus der Integrationspauschale dieses Jahr 100 Millionen € zur Verfügung stellen, statt wie die Vorgängerregierung 2016 und 2017 nichts auszuzahlen und für 2018 nichts vorzusehen.

Aber es liegen ja auch schon Anträge zu der Frage vor: Wie wollen wir die Integration von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive in Arbeit und Ausbildung besser gewährleisten? – Dazu zählen für uns verpflichtende Bildungsangebote für Flüchtlinge unter 25 Jahren ohne Bildungsabschluss wie auch die Unterstützung der beruflichen Ausbildung von Flüchtlingen.

Es ist ganz entscheidend – dafür gilt mein besonderer Dank unserem Integrationsminister Joachim Stamp –, dass wir jetzt die Neufassung des Erlasses auf den Weg bringen und dass wir die Themen „Ausbildungsduldung, 3+2-Regelung“ konkretisieren. Wir brauchen endlich eine einheitliche Entscheidungspraxis landauf, landab, damit wir von einzelnen Ausländerbehörden oder Sachbearbeitern nicht mehr so abhängig sind.

Wir brauchen – und das ist auch das Ziel – für die Ausbildungsbetriebe und die Flüchtlinge mehr Rechtssicherheit. Es geht auch darum, diese Auslegungsspielräume weitgehend zu nutzen und anzuwenden.

Ihre Zwischenrufe und die Tatsache, dass Sie jetzt nach Deutschen schreien, helfen jetzt nicht. Dieses ständige Ausspielen zwischen Flüchtlingen und der hier heimischen Bevölkerung ist unsäglich.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Loose [AfD]: Zum Wohle des deutschen Volkes sind Sie gewählt worden!)

Es ist einfach schäbig.

(Zuruf von Christian Loose [AfD] – Gegenruf von Ralph Bombis [FDP])

– Beruhigen Sie sich. Von einer sachlichen Debatte haben Sie sich doch schon verabschiedet. Bleiben wir doch sachlich!

Ich gehe nun auf den Antrag der SPD und darauf ein, warum er aus unserer Sicht an einem Punkt zu kurz greift.

(Zuruf von Christian Loose [AfD] – Gegenruf von Ralph Bombis [FDP]: Das ist doch scheiße, was Sie erzählen!)

Gerade wenn wir sagen, dass Ermessensspielräume nicht zu Regeltatbeständen gemacht werden sollten, dann brauchen wir im Hinblick auf Einstiegsqualifizierung, Umschulungen und Ausbildung in Helferberufen bundesrechtliche Verbesserungen. Wichtig ist auch, dass wir uns nichts vormachen. Allein über die 3+2-Regelung würden wir durchweg eine bessere Integration in Arbeit bekommen, aber wir brauchen am Ende auch ein in sich konsistentes und modernes Einwanderungsgesetz, das klar zwischen Asyl, Flüchtlingsschutz und dem humanitären vorübergehenden Schutz sowie einer Einwanderung von qualifizierten Fachkräften unterscheidet.

Ich habe es nicht so verstanden wie der Kollege Wagner von der AfD, dass wir da irgendwo etwas abgrenzen. Vielmehr stellt für uns ein in sich konsistentes Einwanderungsgesetz weder das Asyl noch den humanitären Schutz infrage. Das Ganze soll aber auch klar regeln, wie qualifizierte Menschen, die hier arbeiten möchten, über einen sicheren Weg zu uns kommen bzw. einwandern können. Das kann man mit einem Punktesystem machen. Beispiele dafür gibt es, wie etwa in Kanada.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Es wird auch weiterhin so sein, dass wir politisch oder anders Verfolgten sowie Opfern von Krieg,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

– hören Sie doch mal zu! – Bürgerkrieg und staatlicher Willkür Schutz bieten.

(Zuruf von Christian Loose [AfD] – Gegenruf von Ralph Bombis [FDP])

Das wollen Sie vielleicht nicht, aber wir wollen den Menschen auch innerhalb der Bereiche, die ich genannt habe, einen Spurwechsel ermöglichen. Dazu gehören auch die Menschen, die sich hier vielleicht selbstständig machen möchten oder gemacht haben und darin ihre Perspektive sehen. Das gehört zu den wesentlichen Säulen unserer Integrationspolitik. Wir brauchen eine gesteuerte Einwanderung, mehr Verbindlichkeit und Unterstützung für die Menschen, die Integrationswillen zeigen. Wir wollen eine stärkere Einbindung in Arbeit und Bildung. Über den Beirat werden wir die Akteure einbinden.

Lassen Sie uns doch – und da lade ich unsere demokratischen Fraktionen ein; ich glaube, dass Sie von der AfD diesen Weg nicht mitgehen wollen – den Weg zur Integrationsstrategie 2030 gemeinsam gehen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

In diesem Sinne: Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Aymaz das Wort. Bitte schön.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu dem ursprünglich eingereichten SPD-Antrag zu sprechen. Ich finde, dass es gerade jetzt absolut nicht angebracht ist, einen solch mickrigen, zusätzlichen Antrag der AfD so groß zu debattieren und Ihnen in einem Themenbereich, von dem Sie eigentlich null Ahnung haben und bei dem Sie auch null Interesse haben, dazu beizutragen, Raum zu geben.

(Beifall von den GRÜNEN – Roger Beckamp [AfD]: Sie machen es gerade wieder!)

Der Integrationsplan ist 2016 nach umfangreichen Beratungen und mit Unterstützung von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf den Weg gebracht worden. Zahlreiche Vorschläge wurden für eine gelingende Integration der Menschen, die aus Krieg und Verfolgung zu uns geflüchtet sind, in einem Maßnahmenpaket gebündelt, und die damalige rot-grüne Regierung hat den bundesweit ersten Integrationsplan beschlossen.

Mit dem Integrationsplan wurden zum einen bestehende Strukturen konzeptionell erweitert, finanziell aufgestockt und mit mehr Personal ausgestattet, und zum anderen wurden den neuen Anforderungen entsprechende konzeptionelle Maßnahmen entwickelt.

Ziel dabei war es, die besten Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich die neu zugewanderten Menschen schnell und reibungslos in unsere Gesellschaft einbringen und integrieren können, sowie vor allen Dingen die Kommunen bei der Bewältigung der großen Herausforderung der Integration viel stärker und gezielter zu unterstützen.

In der Anhörung zur Fortführung des Integrationsplans NRW haben die Expertinnen und Experten auf die besondere Bedeutung von Integration in Ausbildung und Arbeit für die nächste Zeit hingewiesen.

In der Tat ist es so, dass die neu Zugewanderten, die 2015/2016 eingereist sind, inzwischen ihre Deutschkurse absolviert haben – teilweise erfolgreich – und jetzt einen Zugang zum Arbeitsmarkt finden müssen. Es wurde empfohlen, den Anspruch auf eine Ausbildungsduldung, also die sogenannte 3+2-Regelung, auf Einstiegsqualifizierungen auszuweiten. Ich finde diesen Punkt, den Sie, lieber Kollege Yetim, ja in Ihrem Antrag zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen aufgreifen, wichtig.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Wagner möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Ich meinte es ernst, als ich eben gesagt habe, dass ich finde, dass Sie heute nicht den Raum bekommen sollen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Christian Loose [AfD]: Sympathische Debatte! – Helmut Seifen [AfD]: Angsthasen!)

Dabei geht es im Sinne der Geflüchteten und Unternehmen darum, vor Eintritt in eine Ausbildung oder Umschulung eine bis zu einjährige Vorbereitung auf die Ausbildung rechtlich abzusichern und die Duldung auf diese Einstiegsqualifizierung auszuweiten, also eine sogenannte 1+3+2-Regelung.

Flüchtlinge in Ausbildung zu bringen, ist die eine Sache, aber dafür zu sorgen, dass diese die Ausbildung auch erfolgreich absolvieren können, ist eine andere Sache. Da hilft die Einstiegsqualifizierung ganz besonders.

Insofern werden wir heute die Erweiterung der Ausbildungsduldung auf eine vorgeschaltete Vorbereitungsphase unterstützen. Allerdings sind wir der Meinung, dass wir auch über eine Duldung hinausdenken müssen, damit Menschen, die unseren Arbeitsmarkt bereichern, nicht in die Situation einer Kettenduldung geraten.

Hier brauchen wir über die Arbeitsmarktintegration die Möglichkeit eines Spurwechsels von einem ungesicherten Aufenthalt hin zu einem sicheren Aufenthalt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb plädieren wir für eine echte Rechtsicherheit, für einen Aufenthaltstitel statt einer Ausbildungsduldung.

Ich bin natürlich gespannt, ob die GroKo in Berlin ihr Versprechen einhält, ein Einwanderungsgesetz zu beschließen, wie sie es gestalten wird und ob sie auch diese genannten Vorschläge berücksichtigen wird. Dafür werden wir Grüne auch in Berlin kämpfen. Aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sind jetzt gefragt, Druck auf Ihre Genossinnen und Genossen in Berlin auszuüben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte abschließend noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der bei den Beratungen zur Fortführung des Integrationsplans von den Sachverständigen sehr deutlich betont bzw. hervorgehoben wurde. Die Integrationsmaßnahmen müssen für alle Geflüchteten – unabhängig von der Bleibeperspektive – von Anfang an gut zugänglich sein. Dies war für uns Grüne auch schon bei der Erstellung des Integrationsplanes 2016 ein zentrales Anliegen.

Das Warten in den Landeseinrichtungen bewirkt eine künstliche Desintegration, die Menschen zerstört und Perspektivlosigkeit schafft. Außerdem verlieren Menschen in dieser Zeit Qualifikationen und Kompetenzen. Die Integration in Ausbildung und Arbeit wird zunehmend schwieriger. Das haben uns die Expertinnen und Experten einhellig vorgetragen.

Angesichts dieser Erkenntnisse, dass eine zu lange Aufenthaltsdauer fatale Folgen für die Integration hat, finde ich es kurzsichtig und verantwortungslos, dass Sie, Herr Minister Stamp, nun unter dem Deckmantel der Entlastung der Kommunen Menschen bis zu 24 Monate in zentralen Landeseinrichtungen belassen wollen. Mit Ihrem Dreistufenplan, den Sie gestern vorstellten, werden Integrationsbemühungen konterkariert, und das Land NRW entwickelt sich vom Land der Chancen zum Land der Perspektivlosigkeit.

Das schadet nicht nur den betroffenen Menschen, sondern auch unseren Städten und Gemeinden, die vermehrt mit Menschen zu tun haben werden, die Monate oder gar Jahre abgeschottet und ohne jeglichen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe gelebt haben.

Die Fragen nach der Beschulung von Kindern, nach gesundheitlicher Versorgung und dem Zugang zu Integrationsmaßnahmen – wie Sprachkurse und ehrenamtliche Unterstützung – lassen Sie weiterhin unbeantwortet.

Gerade deshalb müssen wir, finde ich, dahin gehend wirklich zusammen agieren und sicherstellen, dass sich das Land NRW weiterhin als ein Land der Chancen und Vielfalt entwickelt und nicht in Stillstand und Rückschritt verfällt. Deshalb unterstützen wir den Antrag zur Fortführung des Integrationsplanes. Wir würden auch gerne daran mitarbeiten, ihn zu entwickeln. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. Frau Aymaz, bleiben Sie noch einen Moment stehen. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Wagner von der AfD-Fraktion. Der Fraktionsvorsitzende hat das Wort. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Schönen Dank, Herr Präsident. – Frau Aymaz, Sie werden sich wohl damit abfinden müssen, dass ich in den Landtag gewählt bin und mich dementsprechend zu Wort melde. Wenn Sie meine Fragen nicht hören wollen, dann werden Sie sich jetzt eben meine Intervention anhören müssen.

Es ist schon erstaunlich: Wenn wir über Integration und in diesem Zusammenhang auch über Antisemitismus sprechen, sitzen die Vertreterinnen und Vertreter der Grünen immer auf einem besonders hohen Ross, obwohl sie doch eine zutiefst antizionistische Vergangenheit haben. Ihre Partei hat bereits 1984 damit begonnen, mit dem Abgeordneten Reents eine Reise nach Israel zu unternehmen, wo das Abschlusskommuniqué bereits vor Ende der Reise feststand. In ihm wurde Israel die alleinige Schuld an den Auseinandersetzungen im Nahen Osten zugeschrieben. Herr Ströbele – er ist Ihnen sicherlich noch bekannt – trat eine Israelreise an, während die irakischen Scud-Raketen auf Israel flogen. Er hat dort gefordert, den Verkauf von Abwehrraketen an Israel zu unterbinden, weil dies eine Eskalation hervorrufen könnte.

Die Krönung aber haben Sie 2013 vollbracht. Da haben Sie dazu aufgefordert, dass israelische Produkte aus den besetzten Gebieten hier in Deutschland – nach dem Motto „Deutsche wehrt euch, kauft nicht bei Juden!“ – gesondert gekennzeichnet sein müssten. Sie haben das als informierte Kaufentscheidung ausgegeben.

Ich sage Ihnen eines: Ihren Antizionismus und Ihren Antisemitismus tragen wir von der AfD jedenfalls nicht mit. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Aymaz, Sie haben das Wort für eine Replik, wenn Sie möchten: eins zu eins.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Es ist das typische Vorgehen der AfD, Themen zu vermengen und etwas wiederzugeben, was mit der Realität absolut nichts zu tun hat. Ich glaube, dass es nicht nur uns, sondern auch der Öffentlichkeit bekannt ist, wie klar und eindeutig wir gegen Rassismus und Antisemitismus vorgehen. Wir werden uns auch weiterhin damit beschäftigen und dagegen vorgehen – in den Parlamenten und auf der Straße. Da können Sie sich sicher sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Aymaz. – Als Nächste spricht für die AfD-Fraktion Frau Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fange einmal sachlich an. Der Integrationsplan soll fortgesetzt werden. Aber warum? – Der Integrationsplan der letzten Legislaturperiode ist ein Sammelsurium von Einzelprojekten. Nicht alle sind geeignet, die Integration zu fördern. Manche fördern vor allem die Anbieter der Maßnahme.

(Beifall von der AfD)

Eine klare Verzahnung ist nicht zu erkennen. Eine Gesamtevaluation hat nicht stattgefunden oder ist zumindest nur an sehr wenigen Stellen erkennbar. Ohne den Einzelprojekten in ihrer Gänze den individuellen Nutzen absprechen zu wollen, ist doch festzustellen, dass das Ziel, die Menschen, die zu uns gekommen sind und sich voraussichtlich auch zu einem Teil hier länger aufhalten werden, zu integrieren, mit diesem Integrationsplan nicht erreicht werden kann. Selbst der Grundbaustein, also die deutsche Sprache, wurde zumeist nicht hinreichend vermittelt. Das wurde uns in einer Expertenrunde bestätigt. Sicher liegt das auch an der Unverbindlichkeit all dieser Maßnahmen.

Die Vorstellung – auch sie war zu hören –, es müsse erst einmal darum gehen, dass sich diejenigen, die zu uns kommen, hier wohlfühlen und mit viel weniger Anpassungsanforderungen als heute konfrontiert werden sollen, halten wir als Vertreter des deutschen Volkes und als Vertreter derer, die das alles mit ihren Steuern finanzieren sollen, für absurd.

(Beifall von der AfD)

Integration bekommt so nach und nach eine ganz neue Bedeutung. Sie soll sich wohl mehr auf das Recht der vollkommenen Teilhabe als auf das finale Ziel einer Assimilation beziehen. Im Gegenteil: Anpassung an unsere Kultur und an unsere Werteordnung hält man zum Teil für unzumutbar.

Warum ist Integration so schwierig? – Sie selbst geben an, einer der wichtigsten Bausteine ist die Integration in den Arbeitsmarkt. Beleuchten wir also einmal die Situation.

Wenn jemand aus Dänemark oder den Niederlanden kommt, muss er nur die Sprache lernen. Der Rest ergibt sich meist von selbst. Das liegt zum einen daran, dass der Kulturraum, aus dem dieser EU-Zuwanderer kommt, unserem sehr ähnlich ist. Zum anderen liegt es daran, dass das Niveau der Ausbildung der Menschen, die aus der EU kommen, in der Regel vergleichbar ist.

Die Menschen, die seit 2014/2015 zu uns kamen und immer noch zu uns kommen, kommen aus einem anderen Kulturkreis – zum größten Teil ohne vergleichbare Schul- oder Berufsausbildung. Laut Herrn Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit und zugleich Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, haben nur 40 % der zu uns Gekommenen überhaupt Arbeitserfahrung.

(Zuruf von der Regierungsbank: Er ist in Rente!)

– Das hat er zu der Zeit aber gesagt. – Das heißt im Umkehrschluss: 60 % derer, die zu uns gekommen sind, haben noch nie gearbeitet. Wer sich da vormacht, dass diese Menschen in absehbarer Zeit das Anforderungsniveau dringend gesuchter Facharbeiter erreichen werden, ist ein Fantast.

Sie müssen sich schon fragen lassen, warum das mit den hiesigen Langzeitarbeitssuchenden bisher nicht gelungen ist. Die BfA meldet für Nordrhein-Westfalen aktuell 330.000 Arbeitslose und 570.000 Arbeitssuchende für das Profil „Helfer“. Für das Anforderungsprofil „Fachkraft“ sind 235.000 Arbeitslose und 400.000 Arbeitssuchende registriert. Eine Analyse aus 2017 ergab, dass es für 10,2 Arbeitslose nur eine offene Stelle für das Profil „Helfer“ gab.

Sie können selbst ausrechnen, wie das Verhältnis aussieht, wenn wir die Arbeitssuchenden hinzuaddieren. Gerade in NRW sind wir dank Ihrer industriefeindlichen Politik von einer Vollbeschäftigung deutlich entfernt.

(Beifall von der AfD)

Obwohl bei den meisten der zu uns Gekommenen die Grundqualifikation Sprache längst nicht ausreichend ist, stellen zum Beispiel die IHK und die SPD fest, dass das wichtigste Kriterium der Integration, also der Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, verbessert werden muss. Die erst seit einem Jahr in Kraft getretene 3+2-Regelung habe sich bewährt, heißt es. Nun muss auch noch die Vorqualifikation über ein Jahr gesichert werden.

Das heißt, auch schon während der Teilnahme an Deutsch- und Integrationskursen oder Langzeitpraktika soll gesichert werden, dass keine Ausreiseaufforderung erfolgen bzw. auch keine Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Duldung soll also insgesamt für sechs Jahre gesichert werden. Das heißt natürlich auch, bestehende Gesetze zum Aufenthalt würden mehr und mehr ausgehebelt.

Aber über wen reden wir hier eigentlich? – Es geht doch nicht um Flüchtlinge, die einen längerfristigen Aufenthaltstitel gemäß Art. 16a Grundgesetz haben oder erwarten können. Es geht auch nicht um Menschen, die einen ähnlich gestalteten Artikel gemäß Genfer Flüchtlingskonvention haben oder erwarten. Wir reden hauptsächlich von denen, die maximal subsidiär schutzberechtigt sind, also zum Beispiel über Kriegsflüchtlinge oder Menschen mit einem Duldungsstatus, zum Beispiel aus Herkunftsländern, in die sich eine Rückführung aktuell schwierig gestaltet.

Tatsächlich ist es so, dass aber deren Aufenthaltsdauer zeitlich enger begrenzt angenommen werden muss, da sich die Situation schneller ändern kann. Wäre dies nicht so gewünscht, hätten wir die entsprechenden Gesetze nicht, auf deren Einhaltung wir aber bestehen.

Wir schlagen für diese Menschen eine schnelle Ausbildung vor – nicht nach den Regeln der IHK oder der Handelskammern, sondern als effiziente Fortbildung in Fähigkeiten, die auch in den Heimatländern dieser Personen absehbar gebraucht werden.

(Beifall von der AfD)

Dabei wird es sich nicht um eine Ausbildung als Fachkraft für Fruchtsafttechnik oder Brauer und Mälzer handeln, sondern es sollte selbstverständlich um Fähigkeiten gehen, die im Anlernverfahren dem Ausbildungsniveau der meisten Heimatländer angepasst werden können. Denn „Heimat mit Zukunft“ oder „Fit for Return“ sollte für diese Zielgruppe das Hauptziel sein.

(Beifall von der AfD)

Nun gibt es seit 2016 für alle mit einem Ausbildungs- und Anschlussarbeitsvertrag die besondere 3+2-Regel, also fünf Jahre sicher bleiben zu können. Der Erlass vom 21.12.2016 regelt Näheres sehr ausführlich und ist nur in Verbindung mit laufenden Dublin-Verfahren zu Recht restriktiv. – Ob sich dieses wirklich bewährt hat, sehen wir natürlich erst 2019/2020, sehr geehrte Damen und Herren von der SPD, nämlich dann, wenn die ersten Ausbildungen abgeschlossen sein müssten.

Weder am Erlass noch an der finanziellen Ausgestaltung sehen wir einen gravierenden Änderungs- oder Ergänzungsbedarf. Daher werden wir auch dem neuen SPD-Antrag nicht zustimmen.

Der bedauerlicherweise erst heute eingegangene Entschließungsantrag von CDU und FDP enthält neben einigen sehr fragwürdigen Formulierungen auch Ansätze, die wir absolut unterschreiben können. Andere enthalten wohlwollende Floskeln oder sogar grundlegenden Diskussionsbedarf. Diesem Antrag, der in den Ausschuss gehört hätte, werden wir daher ebenfalls nicht zustimmen. Denn er hätte an vielen Stellen sehr viel konkreter sein sollen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, Sie kommen zum Schluss? Sie haben Ihre Redezeit schon überzogen.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Okay, dann lasse ich den letzten Teil weg.

Vizepräsident Oliver Keymis: Wie Sie meinen.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Als Nächstes redet der Minister, Herr Dr. Stamp, für die Landesregierung.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf Frau Wermer und Herrn Lenzen eingehen. Es ist in Ihrem Entschließungsantrag angedeutet und in den Reden eben vorgetragen worden, dass Sie anregen, bei der Entwicklung unserer Integrationsstrategie 2030 einen Integrationsbeirat zu gründen.

Den hat es auch unter der Regierung von CDU und FDP in den Jahren von 2005 bis 2010 gegeben. Ich habe damals für die Freien Demokraten diesem Integrationsbeirat angehört und habe die Arbeit dieses Beirats als eine außerordentliche Bereicherung der Debatte empfunden. Deswegen kann ich Ihnen an dieser Stelle zusagen, dass wir diesen Integrationsbeirat einrichten und in den nächsten Wochen auch vorstellen werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen eine Integrationsstrategie 2030 entwickeln, weil wir langfristig denken und weil wir langfristig zeigen müssen – wir sehen die Debatten in dieser Republik, bei denen wir eine Orientierung geben wollen –, wo Deutschland hin will und wo wir in Nordrhein-Westfalen als ganz besonderes Einwanderungsbundesland hin wollen.

Wir haben dazu zunächst einmal eine strukturell wichtige Entscheidung getroffen, die auch in der Anhörung zu Ihrem Antrag von nahezu allen Experten goutiert worden ist, was aber in der Vergangenheit Rot-Grün nicht gelungen war, nämlich die ausländerrechtliche Abteilung aus dem Innenministerium und die Integrationsabteilung zusammenzulegen, damit man in Nordrhein-Westfalen eine Integrationspolitik aus einem Guss machen kann. Allein das ist schon ein ganz großer Fortschritt, dass wir diese Grundlage jetzt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben ja bereits die ersten Schritte auf den Weg gebracht, indem wir zunächst einmal bestimmte finanzielle Entscheidungen getroffen haben, indem wir Planungssicherheit in die Kommunen gegeben haben, was die kommunalen Integrationszentren und was die KOMM-AN-Mittel angeht. Wir haben darüber hinaus den Kommunen 100 Millionen € Integrationspauschale zur Verfügung gestellt, die wir jetzt unbürokratisch auskehren werden. Auch das ist ein großer Fortschritt gegenüber der Politik von Rot-Grün, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Manches aus dem Integrationsplan der Vorgängerregierung werden wir fortsetzen. Es gibt ja auch einen Grundkonsens in bestimmten Haltungsfragen, Herr Kollege Yetim. Es ist für uns auch klar, dass es weiter ganz entscheidend um die vier Handlungsfelder gehen wird: um Sprache, um Bildung, um Arbeit und um Wertevermittlung. Ich glaube, da haben wir auch keinerlei Dissens.

Aber das, meine Damen und Herren, was wir zu Zeiten der Opposition kritisiert haben, wollen wir jetzt auch verändern. In der Vergangenheit ist vieles von dem, was gut gemeint und richtig angedacht war, schlichtweg zu unsystematisch gewesen und auch zu unverbindlich geblieben.

Deswegen ist es notwendig, dass wir auch Strukturen verändern und dass wir das, was wir an Paradigmenwechsel bei uns im Hause vorgenommen haben, was wir hier an struktureller Veränderung haben – nämlich beide Bereiche, Ausländerrecht und Integrationspolitik, zusammen zu denken –, auch in die Kommunen tragen.

Ich bin der Stadt Wuppertal dankbar. Ich hatte die große Freude, dort letztens das Haus der Integration mit eröffnen zu können. Dort ist das Ausländeramt unter einem Dach mit der Integrationsabteilung, mit dem kommunalen Integrationszentrum, aber auch noch mit dem Jobcenter und dem Integration Point untergebracht. Dort wird eine Politik aus einem Guss passgenau entwickelt. Das ist das Beste, was wir für Integration, vor allem auch für die Integration in Arbeit tun können. Dieses Modell von Wuppertal ist für uns ein Stück weit Vorbild. In diesem Geist, in diesem Stil wollen wir die Ämter in Nordrhein-Westfalen insgesamt entwickeln, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen auch sehen, dass wir die kommunalen Integrationszentren deutlich weiterentwickeln. Wir haben auch hier vielerorts Parallelstrukturen. Wir haben zum Teil hervorragend arbeitende kommunale Strukturen. Aber wir müssen teilweise auch erleben – das ist die Erfahrung, die wir immer wieder machen; das wird Ihnen bei den Gesprächen vor Ort teilweise genauso gehen –, dass viele Akteure parallel und aneinander vorbei arbeiten.

Deswegen brauchen wir insgesamt auch eine Überprüfung der Wirksamkeit der Mittel, die wir in die Integrationsarbeit investieren. Deshalb müssen wir genau überprüfen, was ist wirklich so investiert, dass es tatsächlich zur Integration beiträgt, und wo können wir umsteuern und effizienter werden, damit wir einen Fortschritt für Nordrhein-Westfalen erzielen.

Wir brauchen also einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Verbindlichkeit. Das ist unsere Haltung zu diesem Thema.

Wir laden Sie als Opposition ganz herzlich ein, daran mitzuwirken. Das ist etwas, was wir umgekehrt auch versucht haben. Wir können uns gut an die Verhandlungen erinnern, Frau Kollegin Beer, in denen alles, was uns wichtig war, in ein Körbchen kam, über das später gesprochen werden sollte. Wir werden gern schauen, ob wir gute Ideen von Ihnen nicht erst in ein Körbchen tun, sondern vielleicht von vornherein mit verwirklichen.

Das ist jedenfalls unsere Einladung an die Opposition. Ich würde mich freuen, wenn Sie daran mitwirken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Nun spricht Frau Gebauer für die CDU-Fraktion.

Katharina Gebauer (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln den Antrag zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in Verbindung mit dem Antrag zum Integrationsplan. Genauso wie beim Integrationsplan geht es uns nicht um die Frage, ob wir Integration und Arbeitsmarktintegration fördern, sondern es geht um das Wie.

In der Zielrichtung sind wir uns einig. Es geht darum, die Geflüchteten, die bei uns bleiben, in Ausbildung und Arbeit zu bringen, und das möglichst schnell. Das müssen wir trotz aller Barrieren durch unterschiedliche Sprachen und Kulturen erreichen. Einig sind wir uns auch darin, dass eine abgeschlossene Berufsausbildung eine besonders nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt darstellt.

Wir stehen hinter dem Koalitionsvertrag – sowohl in Düsseldorf als auch in Berlin.

Es ist sinnvoll und richtig, dass die 3+2-Regelung bundesweit einheitlich angewendet wird. Das bedeutet eine Duldung für drei Jahre Ausbildung und im Anschluss für zwei Jahre Arbeit in einem erlernten Beruf. Diesen Punkt finden Sie daher in unserem Entschließungsantrag zur Integrationsstrategie 2030.

Schon kurz vor der Landtagswahl hatte Rot-Grün die Erfahrung mit der Regelung als ganz überwiegend positiv beurteilt. Auf eine Kleine Anfrage unserer Kollegen Bernhard Tenhumberg und Walter Kern antwortete Ihr Innenminister Jäger, dass in dem Erlass – ich zitiere – „klarstellende und ermessenslenkende Hinweise für die Ausländerbehörden und Bezirksregierungen“ enthalten sind. Auf der Homepage von unternehmer nrw heißt es zur 3+2-Regelung:

„Zu begrüßen ist, dass NRW damit diese Regelung des Integrationsgesetzes – auch im Vergleich zu anderen Bundesländern – sehr im Sinne der Rechtssicherheit für die Auszubildenden und ihren Ausbildungsbetrieb auslegt und anwendet.“

Es gibt also Lob und Anerkennung dafür, dass wir diese Regelung in Nordrhein-Westfalen richtig im Sinne des Integrationsgesetzes auslegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Da die Regelung von den Ausländerbehörden in Deutschland jedoch unterschiedlich angewendet wird, wird eine Klarstellung erfolgen müssen. Insofern können wir die zweite Forderung Ihres Antrags vorbehaltlos unterstützen.

Wir sollen auch nicht vergessen, dass es neben dem Erlass der alten rot-grünen Landesregierung auch noch einen weiteren Erlass schon unter Schwarz-Gelb gegeben hat, um Unsicherheiten in den Griff zu bekommen.

Trotzdem kommt es auch in Nordrhein-Westfalen noch zu unterschiedlichen Entscheidungen darüber, wem und warum die Duldung versagt wird. In unserem Entschließungsantrag heißt es deswegen, dass wir eine einheitliche Landespraxis sicherstellen wollen.

Aber, liebe SPD, Sie gehen in Ihrem Antrag weiter. Sie möchten auch eine bundeseinheitliche Regelung hinsichtlich Einstiegsqualifizierung und Umschulungsmaßnahmen. Eine Regelung würde dann 1+3+2 heißen. Das trägt der Realität Rechnung. Die meisten Geflüchteten sind nämlich nicht ausbildungsfähig. Wie denn auch? Sprachbarrieren müssen überwunden werden, die Betriebe müssen die Menschen erst kennenlernen, bevor sie ihnen eine Ausbildungschance geben. Auch Umschulungen können sinnvoll sein.

Aber eine Regelung 1+3+2 kann NRW nicht im Alleingang umsetzen. Damit sind wieder viele Fragen verbunden, die im Bund geklärt werden müssen: Wie sieht es mit den Helferausbildungen aus? Wie sieht es mit der Duldung enger Familienangehöriger aus? Eine junge Mutter oder ein junger Vater werden kaum eine Ausbildung anfangen, wenn unklar ist, ob ihr oder sein Kind bleiben kann.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Das stimmt! Auch das muss geändert werden!)

Daher haben wir in unseren Entschließungsantrag aufgenommen, dass wir uns auf Bundesebene für Rechtssicherheit hinsichtlich der Einstiegsqualifizierung einsetzen.

(Beifall von der CDU)

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch schauen, für wen diese Regelung gemacht worden ist, nämlich für die Flüchtlinge, die aufgrund von Bürgerkrieg und politischer Verfolgung geschützt sind. Diese Regelung ist nicht für Arbeitsmigranten aus sicheren Herkunftsländern bestimmt. Wir dürfen die 3+2-Regelung nicht auf weitere Personengruppen ausweiten. Die Regel kann kein Einwanderungsgesetz ersetzen.

Wir wollen keine falschen Anreize schaffen. Deswegen geht es um Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Aber die Frage der Ausbildungsduldung wird uns weiter beschäftigen. Daher bitte ich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, dem Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebauer. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Dudas.

Gordan Dudas (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Der Integrationsplan für NRW muss fortgeführt werden. Nur wenn wir uns im laufenden Prozess wahrhaftig um Probleme kümmern, sie anpacken und, wo nötig, nachsteuern, geht es voran.

Ich möchte daher an dieser Stelle ein besonderes Augenmerk auf den Aspekt der Arbeitsmarktintegration legen. Der Wert der Arbeit und die damit verbundene Integration in die Gesellschaft sowie der Platz im Leben sind eben auch in der Flüchtlingsfrage essenziell. Es ist nicht nur arbeitsmarktpolitisch notwendig, die beruflichen Potenziale von Geflüchteten auszuschöpfen und ihnen Aufstiege zu ermöglichen, sondern es ist, wie der DGB erst kürzlich herausgestellt hat, auch ein Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Daher ist es wichtig, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Chancen zu nutzen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist dabei die Voraussetzung für eine dauerhafte und nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt.

Hier ist in den vergangenen Jahren schon einiges geschehen. Nehmen wir die sogenannte 3+2-Regelung. Was sich nach Matheunterricht anhört, bedeutet in der Praxis eine Rechtssicherheit sowohl für die Geflüchteten als auch für die ausbildenden Unternehmen. Neben einer Duldung für die Zeit der Ausbildung von drei Jahren wird für eine anschließende Weiterbeschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis von zwei Jahren erteilt. Durch die mit dieser Regelung geschaffene Rechtssicherheit wurden die Voraussetzungen für alle Beteiligten verbessert.

Aber auch hier gilt: Was gut ist, kann trotzdem besser werden. Denn nicht zuletzt die Industrie- und Handelskammern haben angemahnt, dass die 3+2-Regelung in den Kommunen unterschiedlich ausgelegt und immer wieder zum Nachteil sowohl von Geflüchteten als auch von ausbildenden Unternehmen angewendet wird. Hier fordern wir die Landesregierung auf, durch einen Erlass tätig zu werden.

Es ist gut und richtig, dass im Koalitionsvertrag auf Bundesebene eine einheitliche Anwendung der 3+2-Regelung verabredet wurde.

Aber damit ist es aus unserer Sicht nicht getan. Für einen guten Einstieg in die Berufsausbildung ist auch eine Einstiegsqualifizierung sinnvoll und notwendig; denn natürlich ist es wichtig, dass die Auszubildenden nicht nur die richtige Ausbildung für sich finden, sondern auch schon durch Langzeitpraktika an Orientierung gewinnen.

Der DGB empfiehlt zu Recht einen Abschiebeschutz für diese Fälle. Hier wäre analog zur 3+2-Regelung eine 1+3+2-Regelung notwendig, also ein Jahr Einstiegsqualifizierung, drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre Duldung, damit auch da Rechtssicherheit herrscht. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich über den Bundesrat dafür einzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Qualifikation ist ein entscheidender Schlüssel für gelingende Integration. Daher werbe ich hier um Ihre Zustimmung sowohl für eine Weiterentwicklung des Integrationsplans als auch für die Schaffung von mehr Rechtssicherheit für die Ausbildungsdauer. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dudas. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister Stamp! Ja, ich erinnere mich in der Tat sehr gut daran, auch an die Körbchen. Leider sind Sie damals gegangen, bevor wir die Körbchen bearbeiten konnten. Das erinnert mich ein bisschen an Berlin und an die Jamaika-Nummer. Aber ich freue mich darüber, dass Sie gesagt haben: Lassen Sie uns gemeinsam darüber beraten.

Ich habe Sie noch sehr intensiv im Ohr, was die Bildungsangebote in den zentralen Unterbringungen angeht. Darüber müssen wir miteinander reden, vor allen Dingen wenn die Aufenthaltszeiten dort länger sind.

Ich freue mich, wenn wir jetzt endlich den Erlass bekommen. Auch für die Petitionsarbeit wird das wesentlich sein. Ich hoffe, dass wir ihn bald zugestellt bekommen.

Wenn Sie den Spurwechsel ernst meinen, dann möchte ich Sie bitten, Ihr Augenmerk auch auf Frauen zu richten – auch aus sogenannten sicheren Herkunftsländern –, denen es gelingt, sich hier aus patriarchalischen Verhältnissen zu befreien und Integrationsleistungen vorzuweisen. Lassen Sie uns gemeinsam darauf schauen und in den Dialog kommen. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, das heute noch mit in die Debatte zu geben. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht. Wir kommen damit zur Abstimmung.

(Minister Dr. Joachim Stamp meldet sich zu Wort.)

– Herr Minister, Sie wollen noch einmal? Dann sollen Sie auch dürfen. Außerdem haben Sie noch 7:35 Minuten. Herr Dr. Stamp, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die 7:35 Minuten nicht ausnutzen, keine Sorge. Ich wollte jetzt nur die klare Zusage machen, dass es den Erlass zu der 3+2-Regelung geben wird.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen auch zu, Herr Dudas, dass Sie mit Einstiegsqualifizierungen und Umschulungen bei uns offene Türen einrennen.

Aber ich sage ebenso, dass das, was Sie aufgeschrieben haben, einige Aspekte außen vor lässt, die entsprechend behandelt werden müssen. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie wir mit den Familienangehörigen umgehen. Diesbezüglich sind wir bei der letzten Abstimmung in unserem Hause. In Kürze wird der Erlass herausgegeben. Den werden wir Ihnen dann zur Verfügung stellen, damit Sie sehen, dass Sie nicht nur offene Türen einrennen, sondern dass Sie bereits durch die offene Tür gerannt sind.

Wir brauchen insgesamt einen anderen Umgang mit Altfallregelungen; das möchte ich politisch anmerken. „Altfall“ ist ein sehr technischer Begriff, wenn wir über die Schicksale von Menschen sprechen. Wir brauchen eine Herangehensweise, um denjenigen, die länger hier sind, die hier bereits arbeiten, die Sprache lernen und für sich sorgen können, tatsächlich ein dauerhaftes Bleiberecht zu geben und sie aus den Kettenduldungen herauszuholen.

(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD])

Auch das hat sich die Regierung vorgenommen.

Frau Kollegin Beer, Sie sprachen die Situation von spezifischen Gruppen aus sicheren Herkunftsländern an. Ich darf auf den Koalitionsvertrag der GroKo hinweisen, in dem steht, dass es eine zusätzliche Rechtsberatung für vulnerable Personen geben soll. Diese Formulierung ist aus den Jamaika-Verhandlungen übernommen worden, und sie stammt von mir. Insofern können Sie sich darauf verlassen, dass das die Politik unseres Hauses sein wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung und führen fünf Abstimmungen hintereinander durch.

Die erste Abstimmung bezieht sich auf den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/818. Der Integrationsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/2383, den Antrag abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer stimmt dem Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 17/818 zu? – Die SPD-Fraktion und die Grünen stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und die AfD-Fraktion stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Wir sehen von hier oben keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/818 mit der breiten Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/1247. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP stimmen gegen diesen Antrag. Gibt es Enthaltungen? – Bei einer Enthaltung … Wir haben Sie registriert, Herr Kollege Langguth … Herr Neppe. Ich müsste doch die Brille aufsetzen, damit ich Sie als Fraktionslosen dahinten entdecke. Entschuldigen Sie, Herr Kollege Neppe. Wir haben aufgenommen, Sie haben sich enthalten. Ansonsten ist die Entscheidung eindeutig. Die Entschließung Drucksache 17/1247 ist mit breitester Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Ich rufe drittens den Entschließungsantrag der AfD Drucksache 17/1248 auf. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag der AfD zu? – Die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Herr Neppe. Jetzt haben wir es sofort gesehen: Sie enthalten sich. Gleichwohl ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/1248 mit den Stimmen von CDU, FDP, SPD und Grünen abgelehnt.

Ich rufe viertens den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/2471 auf. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – CDU und FDP stimmen dieser Entschließung zu. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und AfD stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Herr Neppe enthält sich. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/2471  mit den Stimmen von CDU- und FDP-Fraktion gegen die Stimmen von SPD, Grünen und AfD angenommen.

Fünftens rufe ich auf – das ist die letzte Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt – den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 17/2407. Die SPD-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Deshalb stimmen wir nun über diesen Antrag ab. Wer stimmt dem Antrag zu? – Die Fraktion der SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, die Fraktion AfD und Herr Neppe, fraktionslos, stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehen wir nicht. Damit ist der Antrag der SPD Drucksache 17/2407 mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD sowie Herrn Neppe, fraktionslos, abgelehnt.

(Zahlreiche Abgeordnete verlassen den Plenarsaal.)

Jetzt müssen Sie nicht alle wegen Tagesordnungspunkt 3 weglaufen.

(Allgemeine Heiterkeit)

Ich weiß, es gibt viel zu tun im Hohen Hause. Das wissen auch die Menschen, die uns zuhören und zuschauen. Aber die, die bleiben können, sollen bleiben.

Ich rufe auf:

3   Innovative Antriebe fördern und technologieoffenen Fortschritt ermöglichen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2403

Hierzu gibt es nun eine Aussprache. Es spricht für die CDU-Fraktion zunächst Frau Kollegin Quik.

Charlotte Quik (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Autofahren zum Klimaschutz, zur Luftreinhaltung und damit zum Schutz der Gesundheit des Menschen beitragen und gleichzeitig auch noch Freude beim Tanken haben – das klingt nach Utopie, ist es aber nicht. CNG heißt das Zauberwort, Compressed Natural Gas, chemisch ausgedrückt: CH4, das wir alle aus dem Chemieunterricht kennen.

Knapp 100.000 zugelassene Erdgasautos sind auf Deutschlands Straßen unterwegs – bei über 56 Millionen Kraftfahrzeugen ein verschwindend geringer Anteil. Das ist sehr bedauerlich, ist doch unter anderem die Erdgasmobilität ein wichtiger Baustein zur Einhaltung der Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommens, zu denen sich auch Nordrhein-Westfalen bekannt hat. Entscheidend sind dabei schnell und kostengünstig umsetzbare innovative Antriebsformen, um Fahrverbote zu vermeiden und die Schadstoffbilanz zu verbessern.

Bleiben wir beim Beispiel CNG. Erdgas ist technisch ausgereift, in Nordrhein-Westfalen infrastrukturell verhältnismäßig gut ausgebaut und somit die schnellste Lösung, um etwas für die Atmosphäre zu tun, insbesondere auch im Bereich des ÖPNV. Sowohl im Vergleich mit Benzin als auch mit Diesel ergeben sich deutliche Einsparpotenziale hinsichtlich der Emission von CO2, Feinstaub und Stickoxid.

Vergleicht man ein Erdgasfahrzeug mit einem benzinbetriebenen Fahrzeug, so stellt man fest: Das CNG-Auto emittiert 35 % weniger CO2, sogar 99 % weniger Feinstaub und 67 % weniger Stickoxid. Ähnlich positiv fällt auch die Bilanz im Vergleich zum Dieselfahrzeug aus. Hier ergeben sich Emissionseinsparungen von 23 % weniger CO2, 50 % weniger Feinstaub und ganzen 96 % weniger Stickoxid.

Diese Werte lassen vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Luftreinhaltung aufhorchen. Hier ist sogar noch Luft nach oben, denn die CO2-Relevanz hängt von der Art der Gewinnung des Methans ab.

Zum einen kann es konventionell aus Erdlagerstätten gewonnen werden.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Es kann zum anderen aber auch in Biogasanlagen gewonnen werden, zum Beispiel durch die Vergärung von Landschaftspflegematerial. Dann haben wir es mit Biomethan zu tun.

Die dritte Variante ist die Verwandlung von bedarfsübersteigend regenerativ erzeugtem Strom durch die Elektrolyse mit anschließender Methanisierung von Wasser zu CH4. Dann haben wir es mit Power-to-Gas zu tun.

Bei der Verwendung von konventionell gewonnenem Erdgas deckt sich die CO2-Bilanz in etwa mit der des Diesels. Bei Biomethan und Power-to-Gas wird durch die regenerative Herstellung von Methan eine deutlich bessere CO2-Bilanz erreicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Blex?

Charlotte Quik (CDU): Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. Bitte schön.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und von Arndt Klocke [GRÜNE])

Charlotte Quik (CDU): Diese Potenziale gilt es zu nutzen. Dabei ist die CNG-Mobilität nur ein Baustein im großen Puzzle der innovativen Antriebe, die die NRW-Koalition mit diesem Antrag nach vorne bringen möchte.

Oberste Prämisse ist es dabei, den Anforderungen der Luftreinhaltung zu genügen, ohne die individuelle Mobilität zu beschränken. Der sogenannte Dieselskandal, die Klagewelle der mit handfesten kommerziellen Interessen agierenden Deutschen Umwelthilfe gegen Luftreinhaltepläne und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zur grundsätzlichen Zulässigkeit differenzierter Fahrverbote führen zu großer Verunsicherung.

Als NRW-Koalition haben wir uns klar positioniert: Pauschale Fahrverbote lehnen wir ab.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern eröffnen wir mit diesem Antrag einen weiteren Lösungsansatz, neben den Maßnahmen, die bereits auf den Weg gebracht worden sind.

Neben der Partizipation am „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ der Bundesregierung, an dessen Ausgestaltung Ministerpräsident Armin Laschet im Sinne Nordrhein-Westfalens nachdrücklich mitgewirkt hat, ist dies die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur Erarbeitung weiterer Konzepte sowie das Programm „KommunalerKlimaschutz NRW“ inklusive des Sonderprogramms „Emissionsfreie Innenstädte“.

Nicht zu vergessen sind die Erhöhung der ÖPNV-Pauschale zur Nachrüstung von ÖPNV-Busflotten sowie die Förderung elektro- und wasserstoffbetriebener Linienbusse. Hinzu kommt das „Sofortprogramm Elektromobilität“; denn diese ist ein zentraler Pfeiler eines emissionsarmen Verkehrssystems mit großen wirtschaftlichen Chancen.

Dieses Maßnahmenpaket ergänzen wir nun noch durch den Anspruch, innovative Antriebsformen über einen technologieoffenen Ansatz zu stärken, um die optimalen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Wissenschaft, Forschung und Fahrzeughersteller weitere technische Fortschritte erzielen können. Dazu sieht der Antrag ein Bündel von Maßnahmen vor, die innovative Antriebe insbesondere aus dem Bereich der Gasmobilität weiter fördern sollen.

Wir sehen hier großes Potenzial für die klimafreundliche Mobilität in Nordrhein-Westfalen, insbesondere auch im ländlichen Raum, und freuen uns auf die weitere Debatte im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Quik. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NRW-Koalition und die Landesregierung werden in den kommenden Jahren die Weichen für eine durchgreifende Wende bei den Antriebstechnologien stellen. Wir haben den Anspruch, die Grundlagen für eine saubere, für eine bezahlbare, aber auch für eine komfortable Mobilität in unserem Land zu schaffen. Dafür gibt es einige Gründe. Viele davon haben wir in den vergangenen Sitzungen bereits diskutiert, allen voran die Vermeidung von Dieselfahrverboten in unseren Innenstädten.

Nur mit dem verstärkten Einsatz innovativer Antriebe werden wir die Grenzwerte nachhaltig unterschreiten können. Wir wollen gleichzeitig – das sage ich für die FDP-Fraktion in aller Deutlichkeit – einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele von Paris leisten. Auch hierfür ist die Senkung der Schadstoffemissionen von Fahrzeugen ein entscheidender Stellhebel.

Aber natürlich muss es uns auch um die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie gehen. In einem Land, das maßgeblich von seiner Autoindustrie lebt, kann es der Politik nicht egal sein, was mit dieser Schlüsselindustrie passiert. An ihr hängt eine Vielzahl von Zuliefererbetrieben, insbesondere in NRW. Sie bei der Mobilitätswende hin zu alternativen Antrieben zu unterstützten, das muss genauso eines unserer vordringlichen Ziele sein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Daran arbeitet die Landesregierung intensiv.

Ein Weg ist die Förderung der E-Mobilität. Mit hohem Mitteleinsatz sowie intelligenten Ansätzen und Instrumenten holt der Wirtschaftsminister, Herr Pinkwart, diese Technologie aus ihrem Schattendasein. Unser Ziel ist es, den Markthochlauf der E-Mobilität zu verstetigen und NRW zu einem der führenden Standorte in Sachen E-Mobilität zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Aber zur Wahrheit gehört auch – das sage ich hier in aller Offenheit –: Bis zur durchgreifenden Umsetzung wird es Zeit brauchen. Technische Verbesserungen, Akzeptanzsteigerungen, eine Senkung der Herstellungskosten – das alles wird nicht von heute auf morgen zu realisieren sein.

Noch etwas gehört zur Wahrheit – und auch das will ich offen sagen –: Das ist die Unsicherheit, unter der wir heute Entscheidungen treffen, die sich auf eine vollständig neue Generation von Mobilitätssystemen beziehen. Es ist die Unsicherheit, dass sich durch heute noch nicht absehbare technologische Entwicklungen möglicherweise bestimmte Wege als falsch, aber andere eben auch als richtig erweisen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir in viele verschiedene Richtungen denken, dass wir Technologieoffenheit ermöglichen. Wir wollen alle denkbaren innovativen Antriebsformen in den Blick nehmen, insbesondere auch solche, die, wie die Gastechnologie, als Übergangstechnologie einen schnellen Erfolg versprechen.

Der heute vorliegende Antrag ergänzt daher alle unsere Bemühungen um sinnvolle weitere Alternativen. Es muss in unserem Interesse sein, dass bestehende Förderanreize gerade bei dem Thema „Gasmobilität“ fortgeführt werden. Darum wollen wir uns für eine Verlängerung der Steuervergünstigung auf Bundesebene einsetzen.

Auch andere Energieträger können uns auf dem Weg zu emissionsarmer und schließlich emissionsfreier Mobilität helfen. Wasserstoff und synthetisches Gas bieten hier hervorragende Chancen, gerade beim Schwerlastverkehr und in der Binnenschifffahrt, die in den letzten Wochen und Monaten insbesondere in Nordrhein-Westfalen in den Fokus gerückt ist.

Die Landesregierung sucht in all diesen Fragen den intensiven kontinuierlichen Austausch mit der Industrie. Wir wollen bestmögliche Lösungen frühzeitig erkennen und unterstützen. Wir wollen vor allen Dingen Anreize setzen und Innovationsprozesse vorantreiben. Das ist zentraler Gegenstand des Antrages, den wir hier vorgelegt haben, meine Damen und Herren. Das gilt im Übrigen selbstverständlich auch für die politische Debatte um den besten Weg.

Deshalb freuen wir uns über den politischen Diskurs in den Ausschüssen. Wir laden die Opposition ausdrücklich ein, an diesem Prozess mitzuwirken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Middeldorf. Dann wollen wir einmal sehen, ob die Opposition das annimmt. – Herr Löcker, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.

Carsten Löcker (SPD): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich haben wir Ihren Antrag wohlwollend gelesen. Im Prinzip – das sage ich hier ganz klar – kann niemand gegen innovative Antriebstechnologien sein; das ist sozusagen ein Selbstläufer. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns in der Debatte entsprechend einlassen.

Ich habe mir gedacht: Schau doch mal in die Parlamentsdatenbank der letzten Jahre, wie viele Anträge und Initiativen es zu diesem Thema bereits gegeben hat. – Und siehe da, es gab eine ganze Reihe von Initiativen. Alle in dem Antrag aufgeführten Antriebstechnologien und Optionen sind bereits in der Vergangenheit zur Anwendung gekommen. Das, was hier aufgezählt wird, ist ja nichts Neues. Alle Technologien sind mit Landesförderung in einen Testbetrieb gegangen. Alles das, was hier aufgezählt wird, wird bereits entsprechend angewendet. Es gibt Erfahrungen, was wir mit diesen Technologien erreichen können. Auch das muss man in dem Zusammenhang festhalten.

Mit Blick auf die Tribüne frage ich: Was denn nun? Die Technologieoptionen sind auf dem Tisch. Man muss die Frage stellen: Ist es nicht endlich an der Zeit, dass die Politik eine deutliche Richtung vorgibt, welche Antriebstechnologien in Zukunft auch staatlicherseits besonders gefördert werden, damit – das ist ja wohl das Ziel – die Autokäufer und Unternehmer das von der Autoindustrie verspielte Vertrauen endlich zurückbekommen? Das ist doch die Kernfrage, mit der wir uns hier auseinandersetzen.

Jetzt stellen Sie einen Antrag, der schlussendlich aus wiederholten Problembeschreibungen besteht. Sie zählen gerne noch einmal alles auf, angereichert mit Appellen an die Bundesregierung, bitte endlich etwas mehr zu tun. Ich könnte auch von Prüfaufträgen, Kaffee- und Kuchengesprächen reden, wie es Ihr Kollege einmal formuliert hat.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Dann wird abschließend noch die „böse“ Vorgängerregierung beschimpft, sie hätte nur heiße Luft produziert. Ihr Antrag dagegen ist nur noch ein warmes Lüftchen; das muss man einmal ausdrücklich sagen.

Ihr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium war da schon mutiger. Er hat auf einer öffentlichen Veranstaltung gesagt – ich zitiere, Herr Präsident –: Es wird Brei für die Förderung der Elektromobilität regnen. – Das hat er wortwörtlich gesagt.

Jetzt frage ich mich, worüber wir heute Morgen diskutieren wollen. Man muss die Auffassung, die der Staatssekretär formuliert hat, ja nicht teilen. Dass Sie sich aber überhaupt nicht dahin gehend festlegen wollen, was Sie wirklich substanziell fördern wollen, ist glatt das Gegenteil, der Gegenentwurf zu dem, was die Bundesregierung ausgelobt hat.

Die Bundesregierung hat sich bereits festgelegt. Somit stellt sich nur noch die Frage, wann Sie sich festlegen. Wann legen Sie sich in dieser Sache fest? Sie zählen hier Optionen auf und tun so, als ob man noch zwei, drei Jahre lang diskutieren müsse, um endlich ans Ziel zu kommen.

Ihr unbedingter Fortschrittsglaube – den teilen wir übrigens durchaus –, dass sich hier und da sicher noch neue Antriebstechnologien ergeben könnten, in allen Ehren, aber mit Blick auf den Dieselgate wird es höchste Zeit, entsprechende konkretere Bekenntnisse abzulegen.

Ich möchte aber tagesaktuell ein kleines Schlaglicht auf die staugeplagte Innenstadt der Landeshauptstadt Düsseldorf werfen. Sie haben sicher vor zwei Tagen gelesen, dass die Landeshauptstadt jetzt Bundeshauptstadt ist, was den Stau angeht. So schrieb die „Rheinische Post“ vorgestern: „Jeden Morgen schlängeln sich Tausende Fahrzeuge über die Autobahnen in die Stadt.“ Das gilt nicht nur für Düsseldorf, sondern auch für andere Großstädte.

Hinzu kommt, dass sich jeder Zweite gegen den ÖPNV entscheidet, weil die Menschen das Gefühl haben, dass sie so viel zu lange unterwegs sind.

In dem Zusammenhang möchte ich das Schlagwort „Technologieoffenheit“ nennen, das Sie ja gerne anführen. Ihr Konvolut der vielen Worthülsen zeigt es uns deutlich, dass die Mitte-rechts-Koalition es noch immer nicht geschafft hat, den Fokus auf die eigentliche Gemengelage zu richten, mit der wir es im Bundesland Nordrhein-Westfalen zu tun haben. Technologieoffenheit ist sicher ein wichtiger Aspekt, aber es ist eben auch Ausdruck eines Verharrens, noch einmal zu diskutieren und sich noch festlegen zu müssen. Man könnte es auch als Stillstand bezeichnen. Das Kernproblem in den Innenstädten lösen wir damit nicht.

Wissenschaft und Forschung müssen für die Zukunft Antworten liefern. Wer will das bestreiten? Aber die Richtung muss doch die Regierung in Nordrhein-Westfalen vorgeben und sagen, wo es hingeht, wo Geld in die Hand genommen wird, damit die Menschen wissen, welche Autos sie sich morgen kaufen können, damit die Handwerker vor Ort wissen, welches Fahrzeug sie sich besorgen können. Da bleiben Sie völlig im Ungefähren. Was für eine Art und Weise des Umgangs ist das? Unter uns Politikern können Sie das noch machen, aber die Menschen draußen im Land, die Handwerker haben eine vernünftige Antwort verdient.

(Beifall von der SPD und von Arndt Klocke [GRÜNE])

Deshalb ist es nötig, dass wir im Fachausschuss weiter darüber diskutieren, damit wir einen gemeinsamen roten Faden für dieses Bundesland entwickeln, wo wir in den nächsten zwei Jahren hinwollen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Löcker. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Löcker, es darf auch gern ein grüner Faden entwickelt werden.

(Carsten Löcker [SPD]: Das habe ich mir gedacht!)

Wir können es aber auch mehrfarbig machen.

Liebe Kollegen von CDU und FDP, gegen die Entwicklung und eine Debatte über alternative Antriebe – Herr Löcker hat es gerade gesagt – kann niemand etwas haben. Das ist sinnvoll, und es steht deshalb auch auf der Tagesordnung.

Uns Grüne stört bei dem Antrag, dass er ein Stück im Ungefähren bleibt. Das gilt nicht für die Zuschreibung, welche alternativen Antriebe zu entwickeln, welche vorhanden und welche zu prüfen sind, sondern bezieht sich auf das, was Sie unter dem Punkt „Beschlussfassung“ schreiben. Das ist doch gegenüber der Situation, in der wir jetzt stecken, sehr milde und nachlässig formuliert. Wir sind schließlich nicht mehr im Jahr 1996 oder 2000, als man noch darüber nachgedacht hat, das Thema anzugehen.

Ich erinnere mich noch – das erzähle ich auch häufiger in Runden – an den grünen Bundesparteitag im Jahr 2000 in den Messehallen in Münster. Damals hatte die deutsche Automobilindustrie zum ersten Mal auf einem Parteitag der Grünen – Sie werden sicher nachvollziehen können, dass da eher skeptisch geguckt wird – neue Modelle ausgestellt. Es waren 20 neue Modelle von VW, BMW und Mercedes. Unter anderem wurden ein Elektromobil, ein 3-l-Lupo sowie ein Wasserstoffmobil von BMW vorgestellt. Ich erinnere mich deswegen daran, weil ich damals als Mitarbeiter der grünen Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller einen Rundgang mit ihr machte, auf dem uns die Vertreter der Automobilindustrie – wie gesagt, es war im Sommer 2000 – sagten, die Zielrichtung sei es, damit bis 2005 auf dem Markt zu sein und bis 2010 einen Anteil von 20 % Elektro- oder Wasserstoffmobilen zu verkaufen.

Jeder, der hier im Plenum sitzt, und wahrscheinlich auch viele der Zuhörer auf den Tribünen wissen, dass der Anteil der alternativen Antriebe im Jahre 2018 noch unter 1 % beträgt.

Wenn Sie also in der Beschlussfassung fordern, den Dialog mit der Wirtschaft zu intensivieren, dann muss man sich wirklich fragen: Haben wir in den nächsten Monaten und Jahren noch die Zeit dafür, es der Wirtschaft zu überlassen, Handlungsvorschläge zu machen? Ich sage: Nein.

Wir stehen massiv unter Druck. Jeder, der heute die Morgennachrichten bei WDR 2 oder WDR 5 gehört hat, weiß, dass das EU-Vertragsverletzungs-verfahren unmittelbar bevorsteht. Der Druck steigt, und es wird Strafzahlungen geben, nicht nur die Androhung. Deutschland wird diese leisten müssen, wenn die Innenstädte nicht bis zum 1. Januar 2019 schadstoffärmer geworden sind.

Jetzt auf Debatten zu setzen, die man längst hätte führen können, ist leider zu wenig, so notwendig sie auch sein mögen. Wir werden das noch im Ausschuss debattieren, möglicherweise sogar in einer Anhörung. Daran haben wir Grüne ein großes Interesse.

Ich würde Sie noch gern auf einen Widerspruch in Ihrem Antrag hinweisen. Auf Seite 2 wirft Herr Middeldorf den rot-grünen Landesregierungen von 2010 bis 2017 „fahrlässige Untätigkeit“ vor, obwohl er diese Zeit gar nicht so richtig miterlebt hat. Auf Seite 3 finden wir dann aber ein Bündel an Maßnahmen, die der Vorgänger von Herrn Professor Pinkwart, Johannes Remmel, allesamt auf den Weg gebracht hat und die Sie jetzt weiterfinanzieren. Diese werden ausdrücklich gelobt. Dazu gehört das Sonderprogramm „Emissionsfreie Innenstädte“, das Programm „KommunalerKlimaschutz NRW“, die Aufstockung der ÖPNV-Pauschale etc. pp.

Wir freuen uns natürlich, dass Sie das positiv bemerken. Aber es wäre doch sauberer gewesen, auch darauf hinzuweisen, dass Sie die Nutznießer der Vorgängerregierung sind

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

und die Programme, die auf den Weg gebracht worden sind, weiterführen, sogar noch eine Schippe drauflegen. Das können wir nur unterstützen. Aber es ist unredlich, es so darzustellen, als hätten Sie das erfunden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte noch auf die Anhörung zu sprechen kommen, die vor zehn Tagen hier im Plenarsaal stattgefunden hat. Es gab Anträge von Grünen und SPD genau zu der Forderung, über die wir uns im Parlament alle einig sind: Wir wollen Dieselfahrverbote verhindern.

In dieser Anhörung – ich sehe Sie noch alle miteinander hier vorne sitzen: die Vertreter der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, des Städte- und Gemeindebundes, des Städtetages sowie des Umweltbundesamtes – haben alle die Forderung nach einer schnellen Hardwarenachrüstung und einer Einführung der „Blauen Plakette“, die im Antrag der Grünen und im Antrag der SPD aufgeführt worden ist, unterstützt.

Unter anderem unterstützen das natürlich auch viele Oberbürgermeister aus Nordrhein-Westfalen, auch mit CDU-Parteibuch, zum Beispiel der Essener Oberbürgermeister oder die von der CDU mit unterstützte unabhängige Oberbürgermeisterin von Köln.

Von den 15 Personen, die hier saßen, hat ein einziger Vertreter in eine andere Richtung argumentiert. Das war der Vertreter des VDA. Er hat eins zu eins die Argumente genannt, und zwar fast in der gleichen Reihenfolge, die Armin Laschet bei der Unterrichtung zwei Wochen vorher hier auch vorgetragen hatte. Das heißt: Der Ministerpräsident, der eigentlich die Gesundheit der Menschen, die Interessen der Städte und natürlich auch die Arbeitsplätze, die in der Automobilindustrie zu schützen sind, insgesamt zu bedenken hat, hat genau die gleichen Argumente genannt, die der VDA-Vertreter als Einziger bei dieser Anhörung vorgebracht hat.

Dazu findet sich, ehrlich gesagt, in Ihrem Antrag nichts. Was ist also die konkrete Antwort auf die Situation, auf die Debattenlage, die wir jetzt haben? Es ist ein wissenschaftlich nicht uninteressanter Antrag, den wir sicherlich im Ausschuss und auch in der Anhörung diskutieren werden.

Sie müssten aber konkret den Schluss daraus ziehen, jetzt schnell aktiv zu werden, die Programme, die es gibt, auszubauen und vor allen Dingen Druck auf die Automobilindustrie dahin gehend zu machen, dass sie dort, wo manipuliert worden ist, auch die Nachrüstung zu zahlen hat. Davon finde ich in dem Antrag leider nichts. Damit wir ihn unterstützen könnten, müsste das natürlich entsprechend berücksichtigt werden.

Wir werden trotzdem im Ausschuss debattieren. Vielleicht kommen Sie ja noch zu einem Schwenk in Ihrer Argumentation. Bisher vermisst man das auch auf Bundesebene. In der Kette Ramsauer–Dobrindt–Scheuer lässt sich leider nicht feststellen, dass hier einmal Gas gegeben wird, damit wir Fahrverbote auch verhindern können. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die AfD hat Herr Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Und – Zitat Herr Löcker – mit Blick auf die Tribüne: Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich den Titel des vorliegenden Antrags der Laschet-Parteien las, hatte ich für einen kurzen Augenblick, aber wirklich nur für einen ganz kurzen Augenblick, gehofft, dass Sie endlich verstünden, warum nicht das einseitige Protegieren einer Sackgassen-Technologie, sondern nur Technologieoffenheit die in der Wirtschaft schlummernden Kräfte wecken kann.

Frau Umweltministerin Schulze Föcking ist hier bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und hat den Tesla endlich verschrottet, der in seiner Anschaffung läppische 110.000 € gekostet hat und den der grüne Ex-Umweltminister Remmel nach einer Probezeit von nur 43 Fahrten bereits ausrangierte.

(Beifall von der AfD)

Der hier vorliegende Antrag ist jedoch eine Mogelpackung. Er erweckt den Anschein, als ginge es Ihnen um Technologieoffenheit. Aber in Wahrheit lässt der Antragstext schnell durchblicken, dass Sie mit dem gleichen Grün-Sprech reden wie die öko-religiösen Fundamentalisten. So sei die Elektromobilität ein zentraler Pfeiler eines emissionsarmen Verkehrssystems, so müsse der öffentliche Verkehr mehr elektrifiziert werden und so müsse der Landtag die Landesregierung beauftragen, insbesondere die Elektromobilität zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, die Elektromobilität befindet sich nicht, wie von Ihnen behauptet, in einer Markthochlaufphase – lesen Sie Ihren Antrag –; sie befindet sich immer noch in der Innovationsphase. Lesen hilft manchmal übrigens. Und was hier passiert, ist eine riesige Steuergeldverschwendung.

(Beifall von der AfD)

Mein Kollege Herr Loose hat heute Morgen zum ersten Tagesordnungspunkt bereits ein trauriges Beispiel für die Geldverschwendung durch die Elektromobilität genannt, das hier noch einmal aufgeführt werden muss. Die BOGESTRA hat am 20. September 2017 stolz das Anschaffungsvorhaben von zehn Solo-E-Bussen für 2018 verkündet.

(Carsten Löcker [SPD]: Das ist doch vernünftig!)

Vor einem Monat war dann die erste Ernüchterung in der „WAZ“ zu lesen: Erst Anfang 2020 könne der Wirkbetrieb für die geplanten Linien 354 und 380 mit Elektrobussen aufgenommen werden. – Anfang 2020! Statt der ursprünglich veranschlagten Investitionssumme von 10 Millionen € werden es jetzt mindestens 20 Millionen € sein. Und jetzt kommt es: mit einer Ladestation für jeden zweiten Elektrobus. Die Reichweite der Elektrobusse ist ein Witz, der sich selbst schreibt. Der Elektrobus kommt gerade einmal auf 125 km, bis der Akkumulator seinen Geist aufgibt. 125 km! Nach zwei Umläufen pro Linie ist Schluss mit dem Elektrobus.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wo ist denn das Problem?)

– Hören Sie doch zu, und lernen Sie. Lernen Sie einmal!

(Carsten Löcker [SPD]: Das wissen wir doch alles!)

Das ist zu wenig, dachte sich auch der Nahverkehrsbetrieb, und schrieb gleich ein paar Elektrobusse mehr für die Reserve aus. Es werden einfach zwei- bis dreimal so viele Elektrobusse ausgeschrieben, wie es bis jetzt normale Busse gibt. Der Steuerzahler bezahlt es ja.

(Carsten Löcker [SPD]: Wie lange wollen Sie noch warten?)

Koste es, was es wolle! Und weil die beiden Haupteigentümer, die Stadt Bochum und die Stadt Gelsenkirchen, aus politischen Gründen ausdrücklich eine elektrisch betriebene Heizung wünschen, geht entweder im Winter die Reichweite in den Keller, oder es fahren erstmals in Deutschland fahrplanmäßig Kühlschränke.

(Beifall von der AfD)

Im Sommer fahren dann entsprechend Backöfen, da ja auch die Klimaanlage zu einer noch geringeren Reichweite als 125 km führen würde.

Übrigens sagen Ihnen das auch die Verkehrsbetriebe. Ganz optimistisch wird geschätzt, dass die Akkumulatoren vielleicht einmal innerhalb der typischen Lebensdauer eines Fahrzeugs ausgetauscht werden müssen – anscheinend fünf bis sechs Jahre für Sie.

Es gibt nichts. Es gibt keinerlei Erfahrungswerte. Sie wissen nicht, wie hoch die Wartungskosten sein werden. Sie wissen nicht, wie oft ein Akkumulator im Lebenszyklus eines Fahrzeuges ersetzt werden muss. Sie wissen nicht, wie Sie ausgemusterte Akkumulatoren entsorgen wollen. Sie wissen nicht, woher Sie das Lithium nehmen sollen.

(Carsten Löcker [SPD]: Holt einmal darüber Erfahrungen ein, die man anwenden kann!)

Aber Sie wissen, dass Sie unbedingt Elektrobusse haben wollen – und am besten ganz, ganz viele davon.

(Helmut Seifen [AfD]: Wie kleine Kinder!)

Fakt ist: Elektrobusse können nicht wirtschaftlich betrieben werden – Punkt.

Liebe CDU, liebe FDP, liebe Laschet-Parteien, mit Ihrem grünen Wunschdenken mögen Sie vielleicht den Schönwetter-Demokraten von links außen gefallen. Aber bei uns beißen Sie auf Brüsseler Granit. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Professor Pinkwart das Wort. Bitte schön.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist immer wieder gut, wenn wir über die Möglichkeiten sprechen, wie wir auch unsere Mobilität möglichst wirtschaftlich und umweltfreundlich organisieren können. Ich wundere mich in Anbetracht des letzten Beitrages nur, wie wenig der Blick auf das gerichtet wird, was außerhalb Deutschlands stattfindet.

Wenn ich mir anschaue, wo unser Hauptwettbewerber ist, gerade was die Automobilität und ihre Technologie anbetrifft, und sehe, wie es China gelingt, die Automobilindustrie hin zu neuen Ufern zu führen, zu neuen Antriebstechnologien, und wie China in der Lage ist, nicht nur vier, sechs, acht oder zehn Elektrobusse einzuführen – sie schaffen es auch, eine ganze Stadt mit Zigtausenden Bussen ganz schnell auf Elektromobilität umzustellen –, kann ich nur sagen: Wenn wir bei den Reden wie der letzten Rede bleiben, wird Deutschland, wird Europa seine Wettbewerbsfähigkeit gänzlich verlieren.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen ein Umdenken, allerdings – da ist der Antrag der Koalitionsfraktion genau richtig – natürlich nicht nur in eine Richtung.

Präsident André Kuper: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Nein. Ich würde das gerne erst zu Ende führen, wenn ich darf, Herr Präsident. Gleich.

Uns zeichnet als Technologieland aus – das ist auch gut so –, dass wir neben der Benziner-Technologie auch den Diesel ganz hervorragend entwickelt haben zu einem hoch leistungsfähigen Motor, der sich sowohl in der Oberklasse als auch bei den Lasttransportern einen guten Namen erarbeitet hat und gerade, was das Thema CO2 anbetrifft, enorm dazu beigetragen hat, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das muss man fairerweise auch einmal in Erinnerung rufen.

Aber Deutschland hat es eben auch vermocht, dass wir bei der Elektromobilität, zumindest auf der Forschungsseite, in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte haben erzielen können, gerade auch hier in Nordrhein-Westfalen – Gott sei Dank –, und die Industrie nun in der Lage ist, diese Technologie in eine Serienreife zu führen und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auch in der Breite zu verbessern.

Darüber hinaus haben wir auch das Gas – das ist hier aufgegriffen worden – schon genutzt. Hier gibt es auch ein Tankstellennetz, das aufgebaut worden ist. Es ist sicherlich wichtig für uns, auch mit Blick auf die Emissionswerte, dass wir das Liquefied Petroleum Gas hier intensiver nutzen. Das ist insbesondere für die größeren Fahrzeuge ganz spannend, wenn wir an Lkw usw. denken. Aber auch für die Nachrüstung von Benzinern und von größeren Dieselfahrzeugen ist das durchaus eine Option.

Hierzu steht ein Netzwerk zur Verfügung. Es ist gut, wenn wir auch solche Technologien in einem breiten Mix weiterentwickeln.

Hierfür steht die Landesregierung. Wir legen uns nicht auf eine Technologie fest, sondern wollen die Technologie in der Breite fördern. Dazu gehören natürlich auch die Wasserstoff-Technologie, die Brennstoffzellen-Technologie und synthetische Kraftstoffe, damit wir vor allen Dingen die Sektorenkopplung vorantreiben können, die in Deutschland durch die Fehler der Energiewende leider nie zu Ende gedacht worden ist.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Denn wir haben uns ausschließlich auf den Strombereich konzentriert, auch mit dem EEG, und nicht dafür gesorgt, dass die Mobilität und der Wärmebereich integriert gedacht werden. Dazu brauchen wir neue Konzepte. An diesen Konzepten arbeiten wir in Nordrhein-Westfalen.

Wir freuen uns dabei immer, wenn uns die Opposition dafür lobt, dass wir frühere Programme weiterführen. Aber ich will auch ergänzen, dass wir etwa bei der Infrastruktur für die Elektromobilität in Nordrhein-Westfalen, lieber Herr Klocke, kräftig aufholen mussten. Das haben wir umgehend mit neuen Programmen getan – sowohl Kollege Wüst für die Bus-Infrastruktur und den öffentlichen Personennahverkehr als auch mein Haus mit der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge von Privathaushalten, Gewerbetreibenden und Kommunen.

Wir haben umgehend auf die Schwächen des Standortes reagiert und Nordrhein-Westfalen jetzt auf eine Ebene gebracht, die es uns erlaubt, ein Standort zu werden, an dem Start-ups wie StreetScooter und e.Go, aber auch Unternehmen wie Ford und Mercedes, die die neuen Technologien aufgreifen wollen, ihre neuen Fahrzeuge auch zum Einsatz bringen können, weil die Infrastruktur dafür gegeben ist.

Der Ministerpräsident hat heute Morgen gesagt, dass wir natürlich auch Batteriezellenproduktion hier haben wollen. Daher muss sich dieses Bundesland – neben der Elektromobilitätsforschung und der Produktion von solchen Fahrzeugen – auch dafür einsetzen, dass die Bevölkerung für diese Technologie offen ist und diese Technologie selbst zum Einsatz bringt. Dann können wir die Vorteile umfassend ausschöpfen – im Interesse der Umwelt und des Klimas in unseren Innenstädten, aber auch zum Wohle von Arbeit und Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Möchten Sie die Frage jetzt noch beantworten?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Wer hatte eine Frage?

Präsident André Kuper: Herr Loose von der AfD.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Bitte.

Christian Loose (AfD): Danke, Herr Minister. – Sie sind ja auch Wirtschaftsminister. Sie sprachen von China, das jetzt Elektrobusse umsetzt. Im Sozialismus zählt halt keine Wirtschaftlichkeit. In einer Marktwirtschaft wie in Deutschland ist sie aber Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Markt.

Nun die Frage: Liegt Ihnen als Minister irgendeine Wirtschaftlichkeitsrechnung für Elektrobusse vor, die einen positiven Beitrag zeigt? – Danke.

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Wir haben, glaube ich, alle noch vor Augen, wie das von Ihnen genannte Land es vermocht hat, beim Thema „Fotovoltaik“ ein Land wie Deutschland, das die Marktwirtschaft einmal erfunden hat und viel zu lange subventioniert an solchen Energieträgern gearbeitet hat, auszustechen, indem es nicht subventioniert hat, sondern in die Größenordnung hineingegangen ist. Und das ist genau der Punkt. Wir werden das sehen.

Die Vorgänger-Bundesregierung hatte sich vorgenommen, dass wir bis 2020 1 Million Elektrofahrzeuge in Deutschland haben. Im Moment haben wir 60.000. Die Chinesen haben schon fast 1 Million Elektrofahrzeuge. Sie setzen das um. Auf diese Weise gehen sie natürlich in die Serienfertigung. Damit gibt es die Economies of Scale. Dann brauchen Sie gar keine staatsgelenkte Wirtschaft, sondern können auch in der Marktwirtschaft zu Wettbewerbsbedingungen neue Technologien umsetzen.

Das ist genau das, was wir hier machen müssen. Wir müssen zusehen, dass wir diese neuen Technologien in Serie bekommen und dass sie in einer größeren Stückzahl hier gekauft und produziert werden können. Dann bleiben wir wettbewerbsfähig.

Machen wir das nicht, werden wir sie – wie wir es in anderen Bereichen leider schon erlebt haben – am Ende des Tages nur aus dem Ausland einkaufen. Das wäre gegen die Interessen unseres Standortes.

(Beifall von der FDP und Johannes Remmel [GRÜNE] – Vereinzelt Beifall von der CDU – Dr. Christian Blex [AfD]: Sie haben aber keine eigene Studie! Also: Danke!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegt keine weitere Wortmeldung vor. Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zu Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2403 an den Verkehrsausschuss – federführend – und mitberatend an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Aussprache soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem so folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Grünen, CDU, FDP und AfD sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Langguth und Pretzell. Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Gewässerschutz voranbringen – Mikroplastik reduzieren!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2389

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu ihrer Abschiedsrede der Abgeordneten Frau Steffens das Wort – nicht aber, ohne zuvor noch ein paar Worte zu sagen.

Frau Kollegin Steffens war von Juni 2000 bis zum 15. März 2013 Abgeordnete des Landtags und ist es jetzt noch einmal seit Juni 2017. Von Juli 2010 und Juni 2017 ist sie als Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen aktiv gewesen.

Über diese vielen Jahre haben Sie sich also in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Dafür danke ich Ihnen stellvertretend für alle 199 Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und Marcus Pretzell [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der Regierungsbank)

Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Abschiedsrede und natürlich auch alles Gute für die nächsten Lebensabschnitte! – Bitte sehr.

Barbara Steffens*) (GRÜNE): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Lieber Abgeordnete! Trotzdem komme ich erst einmal inhaltlich zu dem Antrag. Sie wissen ja, dass ich aus Überzeugung Parlamentarierin bin. Bei diesem Antrag halte ich nicht nur die Rede, um mich zu verabschieden, sondern dabei geht es mir auch wirklich um den Inhalt und die Sache.

Es handelt sich wieder um einen Antrag zum Thema „Wasserqualität“. Es gab hier schon zu vielen anderen damit verbundenen Bereichen Reden und Anträge, zum Beispiel zu den Themen „Gülle und Abwasser“ oder „multiresistente Erreger“. Heute geht es um das Thema „Mikroplastik und unser Wasser“.

Wasser ist eine unserer wesentlichen und wichtigen Lebensgrundlagen. Wir dürfen damit nicht leichtfertig umgehen. Bezogen auf Plastik geschieht das allerdings im Moment. Ob es aus Gedankenlosigkeit oder aus Profitgier passiert, sei einmal dahingestellt. Aber unsere Umwelt wird nun einmal dadurch belastet.

So praktisch Kunststoffe für viele Bereiche sind und so faszinierend Nanotechnologie auch ist: All das darf unsere Lebensgrundlage nicht nachhaltig und dauerhaft gefährden. Es ist wichtig, dass wir die Chancen nutzen, aber auch, dass wir die Risiken minimieren und mitdenken und dass wir Lösungen für die negativen Auswirkungen von Anfang an und nicht erst am Ende – „end of pipe“ – mitdenken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von 1994 bis heute hat sich die Menge des Plastik-abfalls fast verdoppelt. 2015 waren es in Deutschland fast 6 Millionen t. Davon werden nur 20 % recycelt. Die Qualität leidet beim Recyceln, und neuer Kunststoff kostet sehr wenig. Wir produzieren also immer mehr und mehr.

Aus dem weggeworfenen Kunststoff, aus den Verpackungen, aus Plastikflaschen, die sich zersetzen, beim Waschen von Synthetik-Kleidung, bei Reinigungsmitteln und Waschpulver, bei Shampoo und Kosmetik: Überall da fallen am Ende Mikroplastikpartikel an. Es sind unzählige Quellen.

Deshalb gibt es nicht nur eine Dimension als Antwort. Vielmehr müssen wir an mehreren Punkten anpacken. Wir müssen die Herstellung und die Einträge in die Umwelt minimieren.

In den Niederlanden gibt es den ersten Supermarkt, der entsprechend aktiv ist. Er will in 74 weiteren Geschäften keinerlei Kunststoffverpackungen mehr anbieten, sondern nur noch natürlich hergestellte, biologisch abbaubare Materialien; innerhalb von zwölf Wochen sind sie Kompost.

Schon seit 2008 existiert in Ruanda ein Verbot von Plastiktüten. Jetzt will man dort ein grundsätzliches Plastikverbot einführen.

Wir brauchen auch eine deutsche Strategie zur Minimierung. Außerdem müssen wir eine Strategie entwickeln, wie wir die Mikroplastikmengen, die bereits in den Gewässern sind, wieder entfernen und aus dem Kreislauf zurückholen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Uns liegt ganz aktuell – da kann man auch nicht mal wieder die Augen zumachen, wie das der eine oder andere in diesem Plenum gerne tut – die Studie des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven vor. Sie macht klar, wie groß sogar die Belastung des Eiskerns in der Arktis mit Mikroplastik ist. Kleinste Teilchen von unter 5 mm bis hinunter zu 11 µm sind nachgewiesen worden – mehr als 12.000 Mikroplastikteilchen pro Liter Meereis von 17 verschiedenen Kunststoffarten.

Man kann die Herkunft des Kunststoffes auch nachweisen: Es sind Verpackungen, Zigarettenfilter, Lacke von Schiffsanstrichen, Nylon. Unglaublich viele Substanzen werden dort nachgewiesen. Wir wissen, dass sie sich in Kleinsttieren, Kleinstlebewesen, Ruderfußkrebsen, Wimpertierchen und dann auch in Muscheln und Fischen wiederfinden. Am Ende finden wir sie bei uns wieder.

Schon heute kann bei Tieren nachgewiesen werden, dass es Entzündungsreaktionen gibt, dass sie weniger fressen und dass ihre Fortpflanzung weniger erfolgreich ist. Die Dimension der Folgen, die wir durch unser leichtfertiges Handeln in Kauf nehmen, ist also sehr groß. Dem müssen wir Einhalt gebieten.

Es trifft nicht nur die Tiere; es sind nicht nur die Lebewesen im Wasser betroffen. In den Industriestaaten – und dazu gehören wir nun einmal –

(Dr. Christian Blex [AfD]: Noch!)

lässt sich nahezu in jeder Urin- oder Blutprobe Bisphenol A nachweisen. Das ist einer der Weichmacher der Kunststoffe, der in vielen Plastikprodukten des Alltags wie Flaschen und Verpackungen vorhanden ist. Wir nehmen diese Mikropartikel zu uns. Sie werden nachgewiesen; das Bisphenol A ist da.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wir wissen, welche Folgen und Konsequenzen das hat: Bei übermäßiger Aufnahme können Krankheiten, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Krankheiten auftreten. Viele der Zivilisationserkrankungen, die zunehmen, werden von diesen Substanzen und Stoffen unterstützt. Das ist nicht die einzige Ursache. Aber es ist ein Faktor, der dieses mit befördert.

(Zurufe)

– Da können Sie so viel dazwischenbrüllen, wie Sie es immer wieder tun. Es ist so. Vor diesen Realitäten kann man die Augen nicht verschließen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Da dürfen wir nicht einfach so weitermachen. Jeder und jede kann etwas tun. Man kann Kosmetika und Waschmittel verpackungsarm einkaufen; klar. Aber das reicht nicht. Wir können das Problem nicht individualisieren. Vielmehr muss die Politik hier Verantwortung übernehmen – im Interesse unseres Landes, unserer Umwelt und unserer Gesundheit.

Mit dem politischen Teil habe ich auch eine gute Überleitung. Die Gesundheit der Menschen lag mir immer am Herzen. Sie liegt mir auch weiterhin am Herzen.

Das ist – Herr Präsident, Sie haben es eben gesagt – meine letzte Rede hier im Haus. Nach 26 Jahren landespolitischen Aktivitäten bei den Grünen, 13 Jahren, wie Sie eben gesagt haben, als Landtagsabgeordneter und sieben Jahren als Ministerin werde ich Mitte Mai dieses Jahres mein Mandat niederlegen. Es ist meine letzte Rede.

Ich möchte mich deswegen an dieser Stelle bedanken.

Erst einmal politisch: Ich bin sehr froh darüber, dass ich als Parteivorsitzende – ich glaube, wenn ich hier in die Reihen gucke, dass ich die Letzte bin, die von der damaligen Runde übrig geblieben ist – mit Herrn Priggen, Frau Höhn und Herrn Vesper die erste rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen verhandeln durfte. Danach sind viele Ministerpräsidenten und viele Verhandlungsrunden gefolgt – mit Herrn Clement, mit Herrn Steinbrück und als Krönung dann endlich mit einer Frau, Hannelore Kraft, und einem etwas anderen Regierungsstil.

Ich durfte also viele Koalitionen begleiten. Ich durfte als Abgeordnete zehn Jahre lang Sprecherin für Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gesundheits- und Pflegepolitik sein. Ich durfte Frauen- und Queerpolitik machen.

Dafür bin ich dankbar. Denn ich bin als Überzeugungstäterin in die Politik gekommen. Ich wollte und will etwas verbessern und dafür sorgen, dass den Menschen in dieser Welt an vielen Stellen unnötige Probleme erspart werden.

Ich möchte mich deswegen bei den vielen, die es mir ermöglicht haben, diese Chancen an den unterschiedlichen Stellen zu nutzen, bedanken. Ich möchte mich bei den Wählern und Wählerinnen bedanken, die immer wieder den Grünen ihre Stimme gegeben haben, um in den unterschiedlichen Konstellationen hier Politik zu gestalten, und vor allen Dingen bei denen, die nicht nur alle fünf Jahre ihr Kreuzchen gemacht haben, sondern sich darüber hinaus in dieser Demokratie aktiv beteiligt haben, die Mails geschrieben haben – am Anfang kamen noch mehr Briefe als Mails –, in denen sie ihr Schicksal und ihre Probleme beschrieben haben, und die uns mit ihren Problembeschreibungen einfach berührt haben.

Viele dieser einzelnen Initiativen der Menschen haben ganze Prozesse ausgelöst. Manchmal haben sie wirklich Gesetze oder Änderungen im politischen Handeln zur Folge gehabt. Ich bin dafür dankbar.

Ich bin auch den Verbänden und Initiativen dankbar, die mir in all den Jahren ihren Blick, ihre Augen und ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Denn Abgeordnete sind Menschen wie jeder andere. Sie haben draußen im Land vorher ihren Job gemacht und ihre Aufgaben erfüllt. Dann ist man plötzlich für ganz viele Bereiche zuständig. Wenn einem nicht Menschen ihre Augen, ihren Blick, ihr Wissen und ihre Empathie leihen und helfen, damit man politische Sachen und Fakten auch mit ihren Augen sieht, kann man als Abgeordnete zwar vielleicht Entscheidungen treffen; aber man schmort im eigenen Saft und man kann nicht für dieses Land die bestmöglichen Entscheidungen treffen. Also auch herzlichen Dank an all diejenigen, die mich da über Jahre hinweg unterstützt haben!

Aber auch herzlichen Dank an die Landtagsabgeordneten! Im Laufe der Jahre habe ich ja viele aus den unterschiedlichsten Fraktionen in den verschiedensten Parlamenten erlebt. Natürlich bedanke ich mich auch bei meinen grünen Abgeordneten. Aber es gab auch viele CDU-, FDP- und SPD-Abgeordnete, mit denen man gerungen und gestritten hat, aber immer im Interesse des Landes versucht hat, zu kämpfen und auch Veränderungen voranzubringen.

Auch gilt mein Dank den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Landtags in den unterschiedlichsten Funktionen. Denn das ist das Backoffice, ohne das man hier letztendlich nicht wirklich funktionieren kann.

Der allerletzte Dank gehört meinen beiden Söhnen, die mehr oder weniger hier mit großgeworden sind. Den Ersten sieht man noch auf den Verhandlungsbildern mit Johannes Rau. Der Zweite pendelte hier immer auf den Gängen hin und her. Ich möchte mich bei ihnen bedanken, weil sie natürlich an der einen oder anderen Stelle zurückstecken mussten. Gerade als alleinerziehende Ministerin war das nicht immer ganz einfach. Mein Dank gehört also meinen Söhnen. Im Übrigen glaube ich, dass sie das trotzdem alles sehr gut für sich verinnerlicht haben. Sie mussten lernen, zu argumentieren, um bei mir zu Wort zu kommen. Meines Erachtens haben sie das gut hingekriegt. Vor allen Dingen haben sie mich immer wieder geerdet.

Eines ist in dieser Legislaturperiode anders. Das sage ich auch mit Blick auf diesen Plenartag. So sehr es einem auf der einen Seite schwerfällt, nach so vielen Jahren loszulassen, gibt es auf der anderen Seite etwas, was einem das doch wieder etwas leichter macht. Denn in diesen Landtag sind eine Kälte, eine Feindseligkeit, eine Frauenfeindlichkeit, eine Homophobie, rassistische Positionen und menschenverachtende Haltungen eingezogen,

(Zuruf von der AfD: Das haben wir auch festgestellt!)

die, wie ich finde, nicht zu diesem Land und zu diesem Parlament gehören.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Zurufe von der AfD)

Eine solche Dimension haben wir zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen in dieser Form. Ich hoffe, dass das in dieser Legislaturperiode nicht nur das erste Mal ist, sondern dann auch das letzte Mal war.

Der heutige Tagesordnungspunkt 2 hat uns noch einmal ganz deutlich gezeigt, in welche Richtung hier die Stimmungen gehen. Das ist nicht die Stimme des Volkes. Denn für das Volk reden wir alle in diesem Parlament. Wir alle sind die Stimme des Volkes und vertreten die Menschen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der AfD)

Meine Damen und Herren Abgeordnete, wir, all die Demokraten und Demokratinnen in Nordrhein-Westfalen, müssen den Menschen wieder eine politische Heimat bieten, damit sie nicht aus Wut und um der Politik einmal etwas zu zeigen, diejenigen wählen, die eigentlich nicht für sie sprechen, sondern die ihnen schaden, und damit sie nicht aus politischer Verdrossenheit und Vertrauensverlust in die falsche Richtung gehen.

Politik muss wieder authentischer, ehrlicher und auch so werden, dass unbequeme Wahrheiten nicht weggeredet werden,

(Helmut Seifen [AfD]: Dann geben Sie ja zu, dass Sie lügen!)

sondern dass zu ihnen gestanden wird

(Markus Wagner [AfD]: Kein Mikropartikel kann so giftig sein wie Ihre Rede!)

und dass politische Botschaften nicht schöngeredet werden, sondern dass sie klar benannt werden. Deswegen hoffe ich, dass das diesem Parlament auch in dieser Legislaturperiode gelingen wird.

Persönlich wünsche ich Ihnen allen Gesundheit und eine gute Hand für diese wesentlichen und wichtigen Aufgaben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD – Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden Barbara Steffens [GRÜNE] Blumen überreicht.)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Für die CDU erteile ich dem Kollegen Schick das Wort.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Steffens, ich schließe mich ausdrücklich den Wünschen des Präsidenten an und wünsche Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute.

Sie haben gesagt, dass Ihnen das Thema „Mikroplastik“ besonders am Herzen liegt. Ich kann Ihnen insofern das Abschiedsgeschenk machen, dass ich mich ernsthaft mit dieser Thematik beschäftigen werde; denn das Thema „Mikroplastik“, also kleine Kunststoffteilchen mit einem Durchmesser von unter 5 mm, beschäftigt nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Industrie und die Parlamente seit geraumer Zeit.

Das Vorhandensein solcher Partikel in den Gewässern ist durch Untersuchungen von Umweltämtern aus fünf Bundesländern nachgewiesen. Hauptsächlich handelt es sich bei der Untersuchung um unregelmäßig geformte Partikel mit Durchmessern zwischen 0,3 und 0,02 mm, also einem Bruchteil eines Stecknadelkopfes, die von größeren Plastikobjekten stammen.

Natürlich sind wir uns alle einig, dass unbelastete Gewässer wichtig sind. Die Bürgerinnen und Bürger müssen vor gesundheitsschädlichen Einflüssen im Wasser geschützt werden. Die Auswirkungen von Mikroplastik auf Umwelt und Lebewesen bleiben zum jetzigen Zeitpunkt aber noch etwas vage. Deshalb benötigen wir tiefergehende Forschungsaktivitäten.

Kommen wir zum Antrag der Grünen. Richtig beschreibt dieser den Unterschied zwischen primären und sekundären Mikroplastikteilchen. Auch den generellen Ansatz zur Erforschung des Risikos sowie den Wunsch zur Reduzierung von Plastikmüll begrüßen wir. Kunststoffabfälle bauen sich nur langsam ab, also darf nur so wenig wie möglich davon in die Umwelt geraten. Es besteht in dem Bereich noch erheblicher Forschungsbedarf, den es zu unterstützen gilt.

Aber welchen Handlungsbedarf haben wir heute? – Die Feststellung, dass der Eintrag von Mikroplastik in unsere Gewässer aktiv zu verhindern sei, wurde bereits im Mai 2015 auf der 82. Umweltministerkonferenz festgestellt. Die Feststellung ist also nicht neu. Wir als NRW-Koalition stehen zu unserer Aussage im Koalitionsvertrag. Wir haben erkannt, dass Mikroplastik eine potenzielle Bedrohung der Vielfalt unserer Gewässer darstellt. Es gilt, sich diesen Problemen zu widmen und zuerst die Forschung und den Erkenntnisgewinn in diesem Bereich voranzutreiben. Schließlich werden wir Lösungswege erarbeiten.

Dabei spielt der Dialog wieder einmal eine große Rolle. So setzen wir insbesondere auf kooperative Ansätze mit den Verursachern innerhalb und außerhalb der Wirtschaft. Wir begrüßen die Selbstverpflichtung der Industrie, bis 2020 auf Mikroplastik in Kosmetikprodukten zu verzichten, und werden natürlich die Einhaltung aktiv einfordern. Auch wenn bereits die ersten Stimmen laut werden, die Industrie halte sich nicht an die Abmachung, ist das Jahr 2020 noch nicht erreicht, und für eine Bilanz ist es noch zu früh.

Jeden Tag werden viele neue chemische Verbindungen entdeckt, häufig mit dem Ziel, diese dann später in eine kommerzielle Nutzung zu führen. Es muss gewährleistet werden, dass noch vor dem In-den-Verkehr-Bringen der Produkte die Inhaltsstoffe auf ihre Entfernbarkeit und Abbaubarkeit hin untersucht werden. Nur solche Stoffe sollten zugelassen werden, die sich nach Gebrauch und Entsorgung unschädlich abbauen lassen.

Die EU hat Anfang des Jahres eine Strategie für den Umgang mit Plastik vorgestellt. Danach sollen ab 2030 alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recyclingfähig sein. Dadurch soll auch die Nachfrage nach recyceltem Kunststoff erhöht und der Kunststoffabfall reduziert werden. Die Kreislaufwirtschaft spielt demnach eine entscheidende Rolle in dieser Thematik. Eine immer stärkere Nutzung von Abfall als Rohstoffressource wollen wir unterstützen.

Natürlich geht es auch um Abfallvermeidung. Jedes eingesparte Stück Plastik kann nicht mehr in Flüsse und Meere gelangen und wird dort nicht zu Mikroplastikteilchen zerrieben. Dazu will die EU beispielsweise den Verbrauch von Plastiktüten verringern. Heute sind es rund 200 Tüten pro Kopf und Jahr, im Jahr 2025 sollen es nur noch 40 Tüten sein. Weiterhin hat die EU vorgeschlagen, ein besseres Verständnis für die Quellen und Eintragspfade von Mi-kroplastik herzustellen.

Das im Antrag der Grünen geforderte Verbot von Mikroplastikteilchen in Kosmetika und anderen Produkten ist bereits in der Kunststoffstrategie der EU enthalten. Dies soll im Rahmen von REACH umgesetzt werden.

Es lässt sich zusammenfassen: Der Antrag beschäftigt sich im Kern mit einer wichtigen Thematik. Weitere Forschung und Risikoabschätzung ist dringend notwendig. Die NRW-Koalition, der Bund und auch die EU haben das Problem schon länger erkannt. Über das „wie“ diskutieren wir gerne weiter im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Schick. – Und nun spricht Herr Börner für die SPD-Fraktion.

Frank Börner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mit einem Zitat der alten Griechen starten:

„Das Prinzip aller Dinge ist Wasser; aus Wasser ist alles, und ins Wasser kehrt alles zurück.“

Im heutigen Sprachgebrauch gibt es Formulierungen wie „klar wie Wasser“ oder „klar wie saubere Luft“. Wir sind auf dem guten Weg, diese Redewendungen zu konterkarieren.

Der Versuch, öffentliche Güter wie gutes Trinkwasser zu privatisieren, hat in Europa glücklicherweise nicht geklappt. Moderne Klärwerke und moderne Trinkwasseraufbereitungsstellen sichern, dass wir in Mitteleuropa aus jedem Wasserhahn bedenkenlos trinken können. Wir sind aber dabei, diesen Zustand, um den uns frühere Generationen und der Großteil der Welt beneiden, zu zerstören. Längst lassen sich Reste aus Medikamenten im Grundwasser finden. Das geht zurück auf unser Gesundheitssystem, auf Medikamente, das geht zurück auf den hemmungslosen Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft. Mit viel Geld der Gebührenzahler müssen wir dann mithilfe einer vierten Reinigungsstufe diese Reste wieder herausholen.

Auf dem Weg der Industrialisierung unserer Gesellschaft haben wir gewaltige Mengen Plastikmüll in die Meere gekippt. Fische verenden qualvoll, da sich dieser Müll in ihren Mägen wiederfindet. Strände vermüllen und müssen aufwändig gereinigt werden.

Wenn wir heute aufhören würden, Müll in unsere Meere einzubringen, würde sich diese optisch erkennbare Müllproblematik lösen – durch Wasserbewegung, Reibung, UV-Licht zerreibt sich der Müll und verschwindet optisch wieder. Was bleibt und was sich dann nicht weiter zersetzt, sind kleine Mikroplastikteile. Diese setzen sich im Meer ab und bedecken und gefährden Wasserpflanzen und Organismen auf dem Meeresboden.

Mit dem Wasser nehmen Fische Mikroplastik zu sich. Die unterschiedlichen chemischen Wirkungen lassen Fische erkranken. Mikroplastik wirkt auf das Gewebe der Fische ein. Das kontaminierte Fischfleisch landet am Ende auf unseren Tellern und gefährdet unsere Gesundheit.

Aber auch hier bei uns entstehen Mikroplastikteile. Immer mehr Kosmetik- und Hygieneartikel enthalten Mikroplastik, das direkt ins Abwasser gelangt. Bei der Abnutzung von Textilkunststofffasern oder auch Autoreifen werden weitere Mikroplastikteile produziert.

Es ist an der Zeit, hier endlich aktiv zu werden. Wir müssen weiter erforschen, wie genau und auf welchen Eintragspfaden Mikroplastik in die Umwelt eingebracht wird. An diesen Quellen müssen wir ansetzen. Ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik- und Hygieneartikeln, aber auch in Reinigungsmitteln scheint zielführend zu sein. Neben dem Verbot sollten wir bei den Verbrauchern werben, solche Artikel nicht mehr zu nutzen. Hier ist ein gemeinsames Handeln Europas notwendig.

Wir müssen unsere Klärwerke überprüfen, ob sie die Mikroplastikteile zurückhalten können. Bei Produkten, die wir produzieren und nutzen, müssen wir den gesamten Lebenszyklus betrachten. Dabei geht es um die Phasen der Produktion, der Nutzung und der Weiterverwendung bzw. Entsorgung.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, saubere Luft, sauberes Wasser und sauberer Boden sind existenziell für unser Leben auf diesem Planeten. Es gilt, dieses zu bewahren. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP hat nun Herr Kollege Diekhoff das Wort.

Markus Diekhoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift durchaus ein wichtiges Thema auf, scheint aber ein wenig mit der heißen Nadel gestrickt zu sein, weshalb er, wenn er denn zur Abstimmung stände, in der Form noch nicht zustimmungsfähig wäre. Ich erläutere gerne einmal, warum. Sie möchten, dass der Landtag feststellt:

„Die Erkenntnisse über das Vorkommen von Mikroplastik in unseren Gewässern haben zugenommen und die Auswirkungen für Mensch und Umwelt sind bislang nicht eingehend erforscht.“

Da gehen wir völlig dʼaccord. Das ist klar. Ich glaube, das ist völlig unbestritten.

Zweitens fordern Sie, dass der Landtag feststellt:

„Um den chemischen Zustand der Gewässer zu verbessern und die Ziele der EG-Wasserrah-menrichtlinie zu erreichen, sind wirksame Maßnahmen zur Reduzierung von Mikroplastik notwendig.“

Da sind wir ebenfalls dʼaccord, das ist völlig unbestritten. Auch da sind wir, glaube ich, im Haus alle einig.

Dann geht es weiter:

„Bei den Gewässerschutzmaßnahmen und deren Finanzierung muss der konsequenten Umsetzung des Verursacher- und Einleitungsprinzips grundsätzlich Vorrang eingeräumt werden.“

Da fängt der Antrag schon an, in seiner Form etwas widersprüchlich zu werden.

Erstens ist laut Studien umstritten, ob die im weiteren Kontext dann von Ihnen geforderte vierte Reinigungsstufe überhaupt geeignet ist, Mikroplastik zu entfernen. Daher wäre ihre Einführung in dem Moment erst einmal irrsinnig.

Zweitens fordern Sie hier das Verursacherprinzip bei der Kostenübernahme für die Reinigung, gleichzeitig aber im weiteren Verlauf des Antrages, dass der Verbraucher für den Aufwand nicht zahlen soll. Das wird sehr schwierig sein, da die entsprechenden Investitionen über die Wassergebühren umgelegt werden. Am Ende würde der Verbraucher dann ohnehin die Kosten zahlen. Weiterhin wären die Verbraucher, wenn sie Abwasser mit Mikroplastik einleiten, selbst Verursacher und müssten dann zahlungspflichtig werden.

Drittens kriegen wir dadurch das Problem deshalb nicht in den Griff, weil wir – das haben Sie selbst aufgeschlüsselt – auch das Problem des sekundären Mikroplastiks haben, sodass die Reinigungsstufe eigentlich eine sehr teure Geschichte ist. Deshalb müssen wir eher in Richtung Vermeidung an der Quelle gehen, als es hinterher herauszuziehen.

Das ist auch nicht unbekannt. Die Amtschefkonferenz beschäftigt sich seit 2015 mit dem Thema. Da wurde auch schon das Ziel vereinbart, dass die Verhinderung des Eintrags in Gewässer aktiv verfolgt werden soll und dass, wenn die Industrie nicht handelt, sich die EU für ein EU-weites Verbot – das wäre der nächste Schritt, der hilft – einsetzen soll. Diese Selbstverpflichtung wurde damals auch von Johannes Remmel ausdrücklich begrüßt und unterstützt.

Die Selbstverpflichtung der Kosmetikindustrie hat bereits entsprechende Erfolge erzielt. Es gibt eine laufende Länderuntersuchung zu den Eintragungspfaden aus Kläranlagen. Die Ergebnisse werden aber erst 2018 erwartet. Es gibt ein Forschungsprojekt an der RWTH Aachen zum Eintrag von Mikrokunststoffen, das MiKaMi. Die Auswertung wird ebenfalls erst 2018 erwartet. Es wurde unter Johannes Remmel in Auftrag gegeben. Es wäre deswegen etwas unseriös, mit solchen Forderungen schon jetzt – vor dem Abschluss des Projektes – in die Politik zu gehen.

Die Forderung nach der vierten Reinigungsstufe – das habe ich gerade schon gesagt – ist der Verhinderung an der Quelle nachzuordnen. Von daher ist das nicht sinnvoll.

Es gibt – darüber haben wir vor Kurzem schon einmal gesprochen – noch ein Pilotprojekt des MULNV zur Eliminierung multiresistenter Keime. Auch da ist die Rückhaltung von Mikroplastik mit inbegriffen. Von daher ist die Landesregierung bei dem Thema schon weiter.

Es gibt Studien der Umweltämter, auf die Sie sich im Antrag auch berufen, nach denen ein erheblicher weiterer Forschungsbedarf gesehen wird. Das müssen wir natürlich auch abwarten.

Auf Bundesebene gibt es Förderprojekte.

Sie fordern, Zulassungsverfahren bei hygienischen Produkten mit Blick auf Mikroplastik zu verändern. – Das kann aber auch erst Sinn machen, wenn das rechtssicher ist, wenn wir eine entsprechende Definition und die wissenschaftlichen Grundlagen haben. Das ist eben erst nach Abschluss all dieser Forschungsprojekte möglich.

Zudem hat es schon 2015 eine neue Festlegung von Recyclingquoten gegeben. 2018 wurde von der EU-Kommission eine europäische Strategie für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen vorgelegt. Also, die europäischen Rahmenbedingungen, die auch gefordert werden, sind ebenfalls im Aufbau.

Es bleibt also festzuhalten: Mikroplastik hat potenziell negative Auswirkungen. Um aber zu klären, in welcher Größenordnung und vor allem wo Eintragungspfade vorhanden sind, müssen wir noch etwas weiter forschen. Bevor nicht gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wäre es deswegen verfehlt, teure Maßnahmen, die auch die Verbraucher bezahlen müssen, auf den Weg zu bringen.

Wenn das vorliegt, wird die Landesregierung weiterhin verantwortungsvoll handeln. Insofern sind wir schon etwas weiter als dieser Antrag. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD hat Herr Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex*) (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Steffens, Ihnen viel Erfolg als Lobbyistin bei einer gesetzlichen Krankenkasse. Das ist ein durchaus beachtlicher Erfolg für eine zweifache Studienabbrecherin. Was man als Berufspolitikerin im Leben nicht so alles erreichen kann!

Meine Damen und Herren, Kunststoffe sind ein Segen für die moderne Zivilisation und für die breite Bevölkerung. Aufgrund ihrer Elastizität, Härte, Beständigkeit, Leichtigkeit und Festigkeit weisen sie chemische und physikalische Eigenschaften auf, wie sie nirgendwo sonst auf der Welt unter natürlichen Stoffen zu finden sind. So gibt es beispielsweise für die Blutbeutel aus Kunststoff noch keinen sinnvollen Ersatz.

Kunststoffe lassen sich spezifisch für ihren Verwendungszweck herstellen und kostengünstig produzieren. Deswegen sind die Kunststoffprodukte auch überall auf der ganzen Welt zu finden. Sie sind nicht nur für die besserverdienenden Gutmenschinnen, sondern auch für die ärmsten unserer Gesellschaft erschwinglich. Aber gerade weil Kunststoffe nicht natürlichen Ursprungs sind, sind sie den grünen Utopistinnen ein Dorn im Auge. Denn sie führen einen Krieg gegen alle Dinge anthropogenen Ursprungs:

Was macht ein Unkrautvernichter? – Er vernichtet Unkraut. Das gehört verboten.

Was macht ein Verbrennungsmotor? – Er verbrennt Kraftstoff. Das gehört verboten.

Der Verschleiß von Reifen setzt sekundäres Mikroplastik frei.

(Zurufe von den GRÜNEN)

– Ich bitte Sie, ein Verbot von Reifen mag zwar zu Ihrer Strategie zur Abschaffung der Mobilität passen, aber ohne Verschleiß wäre selbst für Sie jede Fahrradfahrt eine lebensgefährliche Schlitterpartie.

(Beifall von der AfD)

Selbst wenn Sie spazieren gehen, produzieren Sie zwangsläufig durch den Abrieb der Sohle sekundäres Mikroplastik.

(Zuruf: Barfuß gehen!)

Wenn eines Tages Ihr Wunsch nach einem Komplettverbot von Kunststofffasern in der Textilindustrie durchgesetzt wird, weil jeder Waschgang wieder sekundäres Mikroplastik produziert, ist es zu einem gesellschaftlichen Nudismus nicht mehr weit. Die soziale Kälte der Grüninnen wird nicht alle treffen, sondern nur diejenigen in unserer Gesellschaft, die sich Naturwolle nicht mehr leisten können.

Kunststoffe sind allgegenwärtig. Da sie sehr eng mit unserem gesellschaftlichen Leben verbunden sind, wird uns blinder Aktionismus, der uns dazu verleiten soll, überall da, wo Kunststoffe sind, auch Kunststoffe zu besteuern, nicht weiterhelfen.

(Zurufe und Lachen von den GRÜNEN)

Die Zivilisation, wie wir sie kennen, würde schneller zu Staub zerfallen, als sich sekundäres Mikroplastik aus Kunststoff bilden kann.

So sind heute aus ökoideologischen Gründen Plastiktüten im deutschen Supermarkt kostenpflichtig, obwohl deren Eintrag in die Meere bis heute nicht geklärt ist. Nordrhein-Westfalen hat übrigens keinen Küstenstreifen.

Jede Maßnahme muss in Ruhe geprüft werden. Dieser Weitblick fehlt mir jedoch im Forderungskatalog des vorliegenden Antrags.

Wenn wir von den Einträgen in die Weltmeere sprechen, müssen wir uns auch im internationalen Vergleich sehen. China hat die größte Küstenpopulation mit 262 Millionen Menschen. Bis zu 3,53 Millionen t Kunststoff pro Jahr gelangen dort in die Weltmeere.

Und die Grüninnen fordern für Deutschland noch energischere Recyclingquoten. Dabei haben wir bereits die höchste Recyclingquote in der Welt. Es ist übrigens schizophren, für mehr Mehrweg mit PET-Flaschen zu werben, sich aber gleichzeitig über Mikroplastik in der Umwelt zu echauffieren.

Wenn sich grüne Bessermenschinnen nicht jeden Tag ihre Haare waschen, ihre Zähne putzen oder ihre Haut eincremen wollen, ist das zwar ziemlich eklig, aber immer noch ihre persönliche Entscheidung. Sie sollten nur nicht andere dazu zwingen, es ihnen gleichzutun.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Deswegen erwähnen die Grünen den Kosmetikdialog auch nur beiläufig. Dort steckt sehr viel mehr Dynamik, als die Liebhaber von Verboten zugeben wollen. Bereits im Oktober 2015 haben sich die Mitglieder des europäischen Kosmetikverbands „Cosmetics Europe“ zu gemeinsamen Schritten bereit erklärt. Dagegen hat der Landtag NRW dieses Thema erstmalig am 20. Januar 2016 im Umweltausschuss beraten, während die Kosmetikhersteller mit ihrer Selbstverpflichtung, Mikroplastik bis 2020 zu verbannen, sehr viel früher begonnen haben.

Die Industrie macht eines: Sie sucht erst nach vertretbaren Alternativen und steigt dann um.

Die Liebhaberinnen der Verbotspartei waren dagegen immer schon ungeduldig und können nicht bis 2020 abwarten. Sie versuchen, auf einer Welle des Ökopopulismus zu reiten und wieder Stimmung gegen die Menschen und die Industrie zu machen.

(Beifall von der AfD)

Eine einseitige Generalisierung zulasten der Industrie, wie in Ihrem vorliegenden Antrag erfolgt, bedeutet einen Rückschritt auf allen Ebenen der partizipatorischen Demokratie. Stattdessen muss jeder Einzelfall sachlich und nüchtern geprüft werden. Und wir müssen den Dialog mit der Industrie fortsetzen. Denn nur im Dialog erreichen wir Fortschritte.

Wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort. Bitte schön.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mikroplastik in Gewässern ist eines der relevanten Umweltthemen in der aktuellen öffentlichen Diskussion. Wegen der hohen Beständigkeit von Plastik in der Umwelt in Kombination mit ständig steigenden Produktionszahlen und somit potenziell wachsenden Umwelteinträgen gilt es, Minderungsstrategien zu entwickeln.

Dazu brauchen wir fundiertes Wissen über den Stoff. Im Fall von Mikroplastik bestehen erhebliche Wissenslücken. Das beginnt schon mit der Definition des Begriffes. Das Wort „Mikroplastik“ hat sich etabliert, als handle es sich um einen einzigen Stoff. Tatsächlich ist „Plastik“ aber ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Kunststoffen. Jeder ist für ganz bestimmte Anwendungsbereiche entwickelt, und entsprechend der unterschiedlichen Eigenschaften verhalten sich die Partikel auch in der Umwelt und in ihrer Wirkung auf Organismen unterschiedlich.

Zudem reden wir bei dem Thema häufig über unterschiedliche Partikelgrößen. Während sich die Obergrenze von 5 mm in nahezu allen wissenschaftlichen Disziplinen durchgesetzt hat, fehlt noch immer eine allgemein anerkannte Festlegung auf eine einheitliche untere Größengrenze.

Der Verweis der antragstellenden Fraktion auf eine Untergrenze von 1 µm findet sich nur in wenigen Veröffentlichungen wieder. Die meisten Veröffentlichungen nutzen sogar niedrigere Untergrenzen, wie zum Beispiel die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit 0,1 µm.

Je nachdem, welche untere Größengrenze zur Anwendung kommt, werden unterschiedlich viele Partikel in Umweltproben gefunden. Aber ob Mikroplastikteilchen ein Risiko darstellen, hängt letztlich auch von ihrer Größe ab. Je kleiner die Partikel sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch kleinste Organismen diese aufnehmen.

Unabhängig von langwierigen Definitionsdiskussionen sage ich klar: Kunststoffe gehören nicht in die Umwelt. Ich glaube, da sind wir uns in großen Teilen auch einig.

Um aber zu wissen, wo wir ansetzen müssen, benötigen wir Informationen über die Belastung unserer Gewässer und die Relevanz der Eintragspfade. NRW hat deshalb bereits eine eigene Pilotstudie in Auftrag gegeben. Ziel dieser Studie war es, einen Überblick über die aktuelle Situation zum Vorkommen von Mikroplastik in den eigenen Gewässern zu erlangen. Damit gab es auch einen Erkenntnisgewinn über die Verteilung von Mikroplastik in Fließgewässern.

Um den Wissensgewinn zu maximieren, wurde die Studie mit den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz abgestimmt. Mit der Universität Bayreuth konnte ein auf dem Gebiet der Mikroplastikanalysen erfahrener Kooperationspartner für das länderübergreifende Monitoring gewonnen werden. Letztlich entstand so einer der weltweit größten Datensätze zum Vorkommen von Mikroplastik in Binnengewässern.

Unter der Federführung Nordrhein-Westfalens wurden die Ergebnisse in einem ersten Bericht zusammengefasst, der seit dem 15. März 2018 über die Internetseite des LANUV öffentlich verfügbar ist. Die Ergebnisse zeigen eine Verteilung von Mikroplastik über alle bundesweit untersuchten Gewässer vom Alpenvorland bis zum Niederrhein. Wir müssen inzwischen von einer zivilisatorischen Grundlast in unseren Gewässern ausgehen.

Die Pilotstudie kann natürlich zunächst nur einen ersten Überblick über das Vorkommen von Mikroplastik bieten. Dennoch geben diese Momentaufnahmen gute Hinweise auf mögliche Hotspots, auf die genauer geschaut werden muss. Das sind in Nordrhein-Westfalen die Emscher und die Ruhr im Mündungsbereich.

Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, passiert gerade in einem Folgeprojekt. Solche Hotspots werden in Wiederholungsmessungen überprüft, um Erkenntnisse über die Quellen und Eintragspfade von Mikroplastik zu erlangen. Nur über fundiertes Wissen können Maßnahmen gezielt geplant werden.

Ein Blick auf die Ergebnisse verdeutlicht außerdem, wie wichtig eindeutige Größenangaben sind. Gerade die sehr kleinen Partikel tragen maßgeblich zu den Gesamtkonzentrationen bei.

Sowohl bei den Probenamen und Analysemethoden als auch bei der Datenauswertung besteht auch nach dieser länderübergreifenden Pilotstudie noch weiterer Optimierungsbedarf. Erst danach kann eine Standardisierung erfolgen.

Die Frage ist ja, wie Mikroplastik in die Gewässer gelangt. Wie beschrieben wird bei Mikroplastik je nach Herkunft zwischen primärem und sekundärem Mikroplastik unterschieden. Die Eintragspfade können sich bei den verschiedenen Typen unterscheiden. Rohgranulate zur industriellen Weiterverarbeitung gelangen hauptsächlich durch unbeabsichtigten Verlust bei Transport und Lagerung in die Umwelt. Bei Kunststoffpartikeln, die gezielt in Größenklassen unter 5 mm für bestimmte Anwendungsgebiete hergestellt werden, erfolgt der Eintrag in die Umwelt häufig über den Abwasserpfad.

Primäres Mikroplastik finden wir beispielsweise, wie eben schon mehrfach genannt, in Reinigungsmitteln und kosmetischen Produkten, den bekannten Peelings oder Zahnpasta, aber auch in Schleifmitteln. Sekundäres Mikroplastik, das über Zerfall oder Abrieb aus größeren Kunststoffprodukten entsteht, gelangt vor allem diffus in die Gewässer.

Was können wir aber gegen diesen Eintrag in die Gewässer tun? Es konnte gezeigt werden, dass Mikroplastik in kommunalen Kläranlagen nicht vollständig zurückgehalten wird. Jedoch sind die bisherigen Ergebnisse zu der tatsächlichen Menge sehr unterschiedlich, auch weil es keine vereinheitlichte Messmethode gibt.

Ohne eine verlässliche Aussage, worauf eine Technik zum Rückhalt in einer Kläranlage ausgerichtet sein muss, ist die Entwicklung, Planung oder Umsetzung derselben derzeit nicht zielgerichtet möglich. Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass herkömmliche mechanisch-biologische Kläranlagen nur eingeschränkt in der Lage sind, Mikroplastik aus dem Abwasser zu entfernen. Das sagte der Kollege Diekhoff bereits.

Auch wenn häufig in Bezug auf Mikroplastik nach einem Ausbau der vierten Reinigungsstufe verlangt wird, sind die als vierte Reinigungsstufe geltenden Verfahrenstechniken, Ozonierung oder Aktivkohle, nicht geeignet. Diese sind auf die Eliminierung von Mikroschadstoffen, nicht aber auf das Entfernen von partikulärem Mikroplastik aus dem Abwasser ausgerichtet.

Auch bei Untersuchungen zur Rückhaltekapazität von Kläranlagen ist zunächst zu klären, welcher exakte Größenbereich von Partikeln betrachtet wird. Weitere Erkenntnisse zum Verhalten von Mikroplastik in Kläranlagen werden in Nordrhein-Westfalen aus dem derzeit laufenden Projekt zum Eintrag von Mikrokunststoffen aus abwassertechnischen Anlagen Ende 2018 erwartet.

Die Landesregierung unterstützt die Betreiber von Kläranlagen auch bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der erforderlichen Techniken zur Reduzierung des Eintrags im Rahmen von Pilotprojekten. Wir prüfen derzeit ein Pilotprojekt, in dem nicht nur der Rückhalt von Mikroschadstoffen, sondern auch der Rückhalt von Mikroplastik mit untersucht werden soll.

Basierend auf den Erkenntnissen der laufenden Untersuchungen sowie weiterer Pilotprojekte prüfen wir, ob eine technische Nachrüstung kommunaler Kläranlagen überhaupt wirksam sein würde.

Zudem müssen wir auch bei der Quelle ansetzen. Hier können Antworten im Rahmen breit angelegter Forschungsprojekte gegeben werden. Ein Fokus liegt auf der aktuellen Fördermaßnahme „Plastik in der Umwelt – Quellen senken – Lösungsansätze“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Aber auch weitere nationale und internationale Projekte tragen aktuell dazu bei, die großen Wissenslücken über die Eintragspfade und das Umweltverhalten von Kunststoffpartikeln sowie deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu schließen.

Ich denke, das ist ein wichtiges Thema. Da sollten wir an einem Strang ziehen. Für etwas anderes ist uns die Umwelt viel zu wichtig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU erteile ich dem Kollegen Dr. Nolten das Wort.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gran Canal von Mexiko City war vor 15 Jahren eine große, breite, stinkende Kloake, kilometerlang, mit einer Müllschicht obendrauf. Wie kam das Plastik hinein? Hineingekippt, hineingeworfen, bei Starkregenereignissen mitgenommen, hineingeweht von einer der zahlreichen wilden Müllkippen.

Nun haben wir hier keine großen Abwasserkanäle, die ins Meer führen oder in großen Senken verschwinden. Die Frage aber bleibt: Wie kommt das Plastik, wie kommen die Mikroplastikpartikel in die Gewässer? Geschätzt etwa 6 Millionen Tonnen Kunststoff werden hier in Deutschland als Abfall erfasst, verbrannt, im günstigsten Fall recycelt. Etwa 1.400 Tonnen landen direkt oder über unsere Flüsse im Meer. Manchmal machen uns solche Einträge auch fassungslos wie jüngst in Schleswig-Holstein, als geschredderte Lebensmittelverpackungen, daumengroße Schnipsel, die Ufer der Schlei auf Kilometer hin verunreinigten.

Wie bereits erwähnt sind die Erscheinungsformen von Mikroplastik sehr unterschiedlich. Ob, wie und in welchem Maße sie die menschliche Gesundheit beeinträchtigen – wir wissen noch zu wenig darüber. So verschieden die Stoffe und Strukturen bei diesen Mikroplastikpartikeln sind, so unterschiedlich sind vermutlich auch die Eintragswege. Mikroplastikpartikel sind überall: im Boden, in der Luft, im biotischen Bereich, in Lebensmitteln, in uns und eben auch im Wasser.

Mikroplastik wurde in einer internationalen Studie in über 80 % der Leitungswasserproben weltweit nachgewiesen. Es findet sich auf allen Kontinenten, im ländlichen wie auch im urbanen Bereich. Auch in Gewässern, in die keine Abwässer eingeleitet werden, sind Mikrofasern gemessen worden. Mikrofasern werden vom Wind über Grenzen und Regionen hinweg verweht, regnen auf uns, unsere Siedlungen und die Natur herab – tonnenweise.

Sie vollständig in Abwasserströmen zu entfernen, ist heute noch nahezu unmöglich; verschiedene Analysen von Kläranlagenabläufen zeigen dies. Ist das Mikroplastik erst einmal in den Flüssen oder im Meer, werden wir es aus heutiger Sicht nicht mehr entfernen können. Bei der Persistenz vieler Materialien ist das eine missliche Situation. Die naheliegende Konsequenz haben die Vorredner schon aufgezeigt: restriktives Inverkehrbringen von Plastik in jeder Form.

Wie können wir technisch und ökonomisch sinnvoll die Eliminierung der Mikroplastikpartikel betreiben? Wo sollte die reguläre Überwachung konkret ansetzen? Wie werden Grenzwerte für Luft, Wasser und Boden definiert? Mit welchen Referenzanalysemethoden wird gemessen? Die wenigen vorhandenen Studien basieren auf unterschiedlichen Nachweisverfahren und sind in ihren Ergebnissen nicht direkt vergleichbar.

Die Vielfalt der Eintragungswege wird eine Reihe von Maßnahmen zur Erfassung der Mikroplastikpartikel am Entstehungsort erforderlich machen. So laufen Forschungsvorhaben zum Erfassen des Reifenabriebs über den Einbau von Mikrofiltern in Einlaufschächten der Straßenentwässerung. Es wird die Aufrüstung von Waschmaschinen diskutiert. Eine Waschmaschinenladung soll bis zu 700.000 Mikrofasern abgeben. Aber auch über die sachgerechte Behandlung der so gewonnenen Filterrückstände müssen wir nachdenken.

Es bleibt die Frage: Was tun wir, damit aus dem Abwasser heraus keine oder nur möglichst geringe Einträge in das aquatische System erfolgen?

Die Forderung nach der vierten Reinigungsstufe erfolgt bei den Grünen manchmal schon etwas mantrahaft. Nun soll die Landesregierung einen Fahrplan für die notwendige vierte Reinigungsstufe von Kläranlagen vorlegen, der auch die Erprobung von Modellprojekten vorsieht.

Die Modellprojekte laufen – im Land, in anderen Bundesländern und im benachbarten Ausland; Herr Diekhoff hat eben schon auf MiKaMi, eines dieser Forschungsprojekte, verwiesen. Es existieren mehrere Pilotanlagen mit Aktivkohleabsorption oder mit Ozonung. Biologische Varianten sind zurzeit nicht praxisreif. Inwieweit sich die von Forschern in Großbritannien und den USA ermittelten Superphagen, die ein plastikzersetzendes Enzym erzeugen, im großtechnischen Maßstab durchsetzen lassen, ist ja nun noch offen. Bioreaktoren mit anschließender Mikrofiltration zeigen zurzeit noch mäßige Erfolge. Die Schlussfiltration mittels Scheibentuchfilter zeigt hingegen gute Ergebnisse. Es sind also Ansätze vorhanden.

Vor zwei Wochen haben wir an der Kläranlage Aachen-Soers die europaweit größte Ozonungsanlage in Betrieb genommen. Zugleich hat das Institut für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen dort sein neues Laborgebäude der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine permanente wissenschaftliche Begleitung der Pilotanlage ist so gewährleistet. Das ist der Ansatz, den die CDU verfolgt, den die NRW-Koalition verfolgt: keine Vorfestlegung zum Bau von Reinigungsstufen, wo häufig genug noch nicht einmal Eintragsvolumen und Struktur, das Strömungsverhalten oder der Abscheidegrad von Mikroplastik feststehen; wo offen ist, welche Keim- und Mikroschadstoffbelastungen lokal bestehen.

Wir sind nicht in Mexiko City, wo in der Abgeschiedenheit eine mehrere Quadratkilometer große Kläranlage für die Abwässer von über 10 Millionen Menschen gebaut wurde, zum Teil auch mit deutscher Technik. Dort kann ich ein jungfräuliches Konzept umsetzen, sozusagen auf der grünen Wiese, wenn sie denn grün wäre. Dort habe ich nahezu unbegrenzte Flächen für Erweiterungen der Anlagen jeglicher Art.

Die nordrhein-westfälische Realität ist eine andere. Wir haben bestehende, zum Teil schon erweiterte Anlagen. Wo sie in der Nähe jüngst ausgewiesener Hochwassergefährdungsbereiche, wo sie in engen Bach- und Flusstälern oder zwischen heranrückender Wohnbebauung liegen, müssen Lage und Abfolge weiterer Reinigungsstufen sehr genau überlegt werden. Ergänzende Sandfänge, Vorklärungen vorab, Nachklärbecken, Retentionsbodenfilter, Sandfiltration, Schönungsteiche benötigen zum Teil mehrere Hektar Fläche. Die Entscheidung für den Bau einer bestimmten technischen Einheit und die Entscheidung über die Positionierung auf dem Gelände einer Kläranlage brauchen Sicherheit hinsichtlich der Prozessgestaltung und der Zielerreichung. Denn nur Aufbau und Technik werden darüber entscheiden, wie hoch der Eliminierungsgrad jeder einzelnen Kläranlage ist.

Angesichts der immensen Aufwendungen im Abwasserbereich müssen die wissenschaftlichen Begleitstudien zu Pilotanlagen mit Aussagen zur technischen Machbarkeit und zu den finanziellen Auswirkungen abgewartet werden. Nur so vermeiden wir kontraproduktive Ergebnisse wie die Entstehung von Metaboliten oder einen immens hohen Stromverbrauch auf den Anlagen. Eine Vorabzusage zur flächendeckenden vierten Reinigungsstufe ist für die NRW-Koalition keine Option.

NRW war in der Vergangenheit vielleicht nicht an der Speerspitze der Bewegung bei der Eliminierung von Mikroplastik. Mein Fazit lautet aber: Es zeigt sich hier, zumindest bei den allermeisten, eine große Gemeinsamkeit hinsichtlich der Problemeinschätzung und des Willens zur Behebung dieses Problems. – Über die konkreten Ansätze gerade bei der Abwasserbehandlung können und werden wir im Ausschuss trefflich diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Nolten. – Für die SPD-Fraktion spricht Kollege André Stinka.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu meiner Rede komme, kommt natürlich auch von der SPD-Landtagsfraktion ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit mit der Kollegin Steffens in den letzten Jahren. Viele Themen wurden angesprochen, die auch diskutiert worden sind, um Nordrhein-Westfalen voranzubringen. Ich glaube, das ist uns auch in vielen Bereichen gut gelungen. Vielen Dank noch einmal!

(Beifall von der SPD)

Ich bin Herrn Dr. Nolten sehr dankbar für seine Ausführungen in Bezug auf Mexico City. Der Antrag, der uns heute vorliegt, macht noch einmal deutlich, dass kein Bundesland und kein Nationalstaat, sondern vielmehr alle gemeinsam daran arbeiten müssen, beispielsweise der Meeresverschmutzung zu begegnen. Die Tüten, die Flaschen, die Kunststoffabfälle, die ins Meer gelangen, werden ja produziert. Sie werden als Abfall gelagert. Die wohlhabenden Industrienationen lagern Abfälle auch in Ländern ab, die von diesen Einnahmen leben, aber häufig keine sachgerechte Abfallentsorgung gewährleisten können.

Warum beginne ich mit diesen Ausführungen? Der Antrag macht deutlich, dass der Prozess der Agenda 2030 und eine nachhaltige Welt nicht vor den Toren irgendwelcher Küsten haltmachen, sondern dass wir alle gemeinsam sprichwörtlich in einem Boot sitzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deswegen soll der Antrag von uns Sozialdemokraten Unterstützung erhalten.

Natürlich hat das Wasser- und Industrieland Nordrhein-Westfalen eine besondere Bedeutung. Hier leben 18 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Hier sind Industrien, die viele Kunststoffe verarbeiten und die in der Kosmetikindustrie unterwegs sind. Auch ohne Küste wird Nordrhein-Westfalen ganz stark belastet.

Die Ministerin hat das ausgeführt, hat aber einen großen Fluss in Nordrhein-Westfalen vergessen. Der Rhein ist weltweit der am stärksten mit Mikroplastik belastete Fluss. Nach einer Studie der Universität Basel werden 25 bis 30 kg kleinster Plastikteilchen pro Tag über den Rhein transportiert. Alle, die sich mit Wasserreinhaltung beschäftigen und denen das Lebensmittel Wasser wichtig ist, wissen, dass wir langfristig nicht daran vorbeikommen, hier Lösungen zu finden. Einige Hinweise dazu sind von den Vorrednern gegeben worden.

Für mich und für uns als Sozialdemokraten ist aber wichtig, dass Nordrhein-Westfalen hier eine führende Position übernimmt. Wenn sich ein Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland mit Wasserreinhaltung und Wasserforschung auskennt, dann ist das Nordrhein-Westfalen. Wir müssen im Konzert der Bundesländer diejenigen sein, die sich klar an die Spitze stellen und sich mit Forschung, Technologie und der Industrie gemeinsam nicht nur in Dialogrunden zusammensetzen, sondern nach Vorliegen der Erkenntnisse dann auch rechtliche Schritte einleiten.

Ich will hier insbesondere auf die Johannes-Rau-Forschungsgesellschaft eingehen, die im Bereich der Wasserforschung einen Spitzenplatz in Europa, wenn nicht sogar weltweit einnimmt.

Deswegen appelliert die SPD-Landtagsfraktion noch einmal: Es geht hier darum, ein globales Problem am Schopf zu packen und deutlich zu machen, dass wir alle Verantwortung tragen – ob mit oder ohne Küste. Es geht auch darum, unser Wissen in diese Debatte einzubringen und die Folgen ernst zu nehmen.

Wenn wir uns heute in Dialogrunden ergehen, aber nicht zu Konsequenzen kommen, werden wir später hohe Folgekosten haben, die an den Verursacher weitergegeben werden müssen. Deswegen sind wir gehalten, uns im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und des Agenda-Prozesses jetzt auf den Weg zu machen. Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4, die ich hiermit auch schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2389 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll und wird dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Sich enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

5   Nordrhein-Westfalen solidarisiert sich mit der „Gemeinsamen Erklärung 2018“

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2397

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die AfD-Fraktion jetzt Herr Abgeordneter Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wieder hergestellt wird.

(Beifall von der AfD)

Diesen Minimalanspruch an einen zivilisierten Staat müssen in unserem Land mittlerweile Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler, müssen jetzt schon knapp 150.000 Bürger mittels einer „Gemeinsamen Erklärung 2018“ bei der Politik einfordern.

Nicht nur, dass wir diese Selbstverständlichkeiten einfordern. Nein, die Unterzeichner dieser Erklärung werden auch noch beschimpft und in die rechte Ecke gestellt. Es gäbe ja angeblich gar keine illegale Masseneinwanderung, heißt es da zum Beispiel im vom Bürger zwangsfinanzierten ARD-Magazin „ttt – titel, thesen, temperamente“, um dann natürlich nicht mit den Unterzeichnern zu reden, sondern über sie zu hetzen und die Nazikeule zu schwingen, was auch in diesem Hause gerne geschieht, wie die Rede von Frau Steffens eben eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.

(Beifall von der AfD)

Das ist natürlich ein Grund mehr, auch endlich die Rundfunkzwangsgebühr abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die für die Grünen im ersten gesamtdeutschen Bundestag saß – eine Rassistin? Der Bestsellerautor Uwe Tellkamp, dessen Bücher, beispielsweise „Der Turm“, wohl zur besten deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte gehören – ein tumber Dunkeldeutscher? Professor Bassam Tibi, der sich immer für Integration und Euroislam eingesetzt hat – ein menschenverachtender Rechtsextremist? Die vielen Ingenieure, Neurologen, Bäcker, Buchautoren, Rechtsanwälte, Richter und Pfarrer – alle verrückt, blind, doof und natürlich rechtspopulistisch?

Ja klar. Die Dreistigkeit, mit der von Seiten des politisch-medialen Komplexes gegen diese Menschen vorgegangen wird, ist atemberaubend. So benutzt der Ombudsmann der „Bild“-Zeitung die Stasispitzelei gegen die Initiatorin der Erklärung, Vera Lengsfeld, auch noch gegen sie. Meine Damen und Herren, das ist einfach nur noch widerlich.

(Beifall von der AfD)

Das ist nur eines von vielen Beispielen der perfiden Infamie einer ums Überleben kämpfenden Pseudoelite in den alten Medien und Parteien, die dabei ist, ihre Deutungshoheit zu verlieren, ja, die dabei ist, sich in ihrem verzweifelten Machterhaltungskampf auch menschlich, moralisch zu delegitimieren.

(Beifall von der AfD)

Das Demonstrationsrecht, welches in seiner Genese ein Recht des Bürgers ist, gegen die Repräsentanten des Staates zu demonstrieren, wird mittlerweile von eben diesen umfunktioniert, um gegen die Bürger zu demonstrieren. So steht die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit der linksextremen Antifa in Kandel zusammen,

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

um die Menschen zu beschimpfen, die um die Opfer der von ihr mitverantworteten Migrantengewalt trauern –

(Helmut Seifen [AfD]: Unglaublich!)

mit einer Antifa, die während der Demonstration auf Polizisten einschlägt.

Das sind Ihre letzten Helfer, meine Damen und Herren. Ich kann Ihnen nur sagen: Unsere Freunde und Helfer sind und bleiben die Polizisten, die für unsere Freiheit sorgen.

(Beifall von der AfD)

Es gibt also keine illegale Masseneinwanderung? Das denken wir von der AfD und die Bürger sich nur aus? – Dann schauen wir doch einfach mal, was beispielsweise das Oberlandesgericht Koblenz dazu sagt. Ich zitiere:

„Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt“ und „die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“

Aktenzeichen 13 UF 32/17! – Aber ich höre Sie hier auch schon sagen, auch das OLG Koblenz ist natürlich rechtspopulistisch, und das wird dann aus Ihrer Sicht wohl auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags sein. Der sah sich nämlich ebenfalls außerstande nachzuvollziehen, auf welcher Rechtsgrundlage Merkel und die politische Klasse eigentlich unsere Grenzen und damit unsere staatliche Ordnung aufgeben.

(Helmut Seifen [AfD]: Sehr interessant!)

Ein weiteres Zitat:

„Das EuGH-Urteil bestätigt, die Bundesregierung hat erst die überfällige Reform des Dublin-Systems verschleppt und sich dann in der Flüchtlingskrise des Rechtsbruchs schuldig gemacht.“

Sagt wer? – Sagt Alexander Graf Lambsdorff von der FDP.

(Zuruf von der AfD: Aha!)

Und an Sie, liebe Kollegen der Union: Die Verfassungsrichter a. D., die Professoren Udo Di Fabio und Hans-Jürgen Papier, haben Sie auf Ihrem parteipolitischen Ticket doch für das Bundesverfassungsgericht nominiert. Mit Ziffer 3 unseres Antrages beauftragen Sie Udo Di Fabio, die Klage für NRW gegen den Bund zu führen. Und ist Ihr Parteimitglied Lengsfeld für Sie ebenso rechtspopulistisch wie für die SPD ihr Mitglied Thilo Sarrazin, der die Erklärung ja auch unterschrieben hat?

Merken Sie eigentlich gar nicht, dass Sie mit Ihrer hypo-moralischen Gesinnungsethik nicht mehr eine Minderheit ausgrenzen und mundtot machen wollen, sondern dass Sie, die paar Tausend Parteifunktionäre und Ihre journalistischen Helfershelfer, nur noch eine Minderheit darstellen, die einer Mehrheit vorschreiben will, was sie zu sagen und zu denken hat?

(Beifall von der AfD)

Welcher normale Mensch – ich komme gleich zum Ende – hängt denn einfach die Haustür aus, lässt jeden herein, ohne danach zu sehen, wer er ist und was er vorhat? Welcher normale Mensch überlässt jedem einfach mietfrei und dauerhaft ein Zimmer, einen gefüllten Kühlschrank, Taschengeld und zahlt seine Arztrechnungen, ohne selbst darüber zu entscheiden, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Markus Wagner (AfD): … ob er dies tut, und wenn überhaupt, wie lange und unter welchen Bedingungen er dies tut. Ich kann es Ihnen sagen: keiner. Auch keiner von Ihnen würde das tun. Von daher lassen Sie das auch endlich wieder für unser Land gelten. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Nach dem Abgeordneten Wagner der AfD-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Wermer von der CDU-Fraktion das Wort.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Um es kurz zu sagen: Wir von der CDU-Fraktion werden den vorliegenden Antrag der AfD ablehnen.

(Markus Wagner [AfD]: Nicht überraschend!)

Wir lehnen den Antrag aber nicht ab, weil er aus Ihrer Feder stammt. Wir lehnen ihn ab, weil er keinen konstruktiven Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Debatte leistet.

Im Antrag ist davon die Rede, die „Gemeinsame Erklärung 2018“ sei von führenden deutschen Intellektuellen veröffentlicht und unterzeichnet worden. – Mit Erlaubnis darf ich zitieren, dass diese „mit wachsendem Befremden beobachten …, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird.“ Die Erklärenden solidarisierten sich „mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an unseren Grenzen wiederhergestellt wird.“ – So liest man bei Ihnen.

Leider sucht man in der Erklärung nach einem genauen intellektuellen Beitrag vergebens. Trotzdem verstecken Sie sich hinter den Unterzeichnern, meine Damen und Herren von der AfD. Leider zielt die Erklärung nämlich nicht auf eine Lösung ab. Sie kann somit keinen wirklichen Beitrag für eine politische Debatte leisten. Liefert die Erklärung differenzierte, tiefergehende Analysen? Liefert sie ein schlüssiges, progressives Konzept?

Nein, im Gegenteil. Es wird beobachtet, gefolgt von einer Solidarisierungsbekundung. Mehr geschieht nicht. Das ist die passivste Möglichkeit, sich zu beteiligen. Ich lese weiter im Antrag, die geplante Petition solle einen „eingetretenen Kontrollverlust im Inneren“ thematisieren. Und weiter beschreibt die Initiatorin Vera Lengsfeld, wer die sogenannten Massen sind, die angeblich Tag für Tag in Deutschland einmarschieren: „einwandernde Terroristen, Gefährder“, die sogleich Antisemitismus importierten und eine Gefährdung von Frauen im öffentlichen Raum darstellten.

Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage: Kann es sich bei dieser undifferenzierter Beobachtung um einen intellektuellen Beitrag handeln?

(Zuruf von der AfD)

Ich denke, nein. Hier wird mit dem Schlagwort einer „illegalen Masseneinwanderung“ die eigentliche Problemlage dramatisiert. Genau das verhindert doch einen sachlichen Diskurs. Dadurch, dass eine Behauptung immer und immer wieder wiederholt wird, wird sie nicht richtiger.

(Nic Peter Vogel [AfD]: Wir schaffen das!)

Mit Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der AfD, wollen Sie sich bei den Bürgern anbiedern. Aber in Wahrheit instrumentalisieren Sie diese erneut mit Ihren eigentümlichen Schlüssen.

(Beifall von der CDU)

Es wird einem Bauchgefühl Ausdruck verliehen – und das, meine Damen und Herren, hat wenig mit einer kritischen und sachlichen Reflektion zu tun. Es ist nicht verwunderlich, dass Sie wieder einmal versuchen, mit Gefühlen zu argumentieren. Ihr Ziel ist nicht die Bestandsaufnahme oder gar die Analyse der tatsächlichen Lage oder gar eine konstruktive Lösung.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Wermer, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Beckamp der AfD-Fraktion würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Heike Wermer (CDU): Nein. – Nein, da erwarte ich nichts Konstruktives.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Ihr Anliegen ist es immer wieder, eine Stimmung aufzugreifen und für sich zu instrumentalisieren. Sie wollen Angst verbreiten –

(Helmut Seifen [AfD]: Immer dieselben Worthülsen, das geht einem auf den Keks!)

eine Angst, die der Motor Ihrer Politik ist, um ganz ehrlich zu sein. Und diese Angst ist das, was Sie im Feststellungsteil Ihres Antrag als „demokratie-theoretischen Auftrag“ beschreiben.

(Zuruf von der AfD)

– Ja, das ist bei Ihnen genauso, kann ich Ihnen genauso sagen. Debatten führt man nicht mit Erklärungen. Das gilt im Übrigen auch für die Gegenerklärung zu dieser „Gemeinsamen Erklärung“, die in die gegenteilige Richtung zielt. Politische Debatten sollte man rational und zielorientiert führen. Das gilt vor allem bei uns im Hohen Haus.

Wir progressiven Kräfte sind daran interessiert, politische Lösungen voranzutreiben, die für das Gemeinwohl verträglich sind. Wir streiten und ringen um den besten Lösungsweg – so uneins wir uns auch an vielen Stellen sein mögen.

Der Gegenentwurf hierzu zeigt sich im vorliegenden Antrag der AfD. Dieser ist nicht besonders verantwortungsbewusst, auch wenn Sie das von sich behaupten wollen. Mehr noch, Sie schieben führend Intellektuelle vor, damit Sie keine sachliche Debatte führen müssen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Frau Kollegin Wermer. Sie haben es gesehen? – Frau Kollegin Wermer bleibt hier stehen, weil Herr Abgeordneter Loose eine Kurzintervention angemeldet hat. – Das Mikrofon ist frei.

Christian Loose (AfD): Danke schön. Zwischenfragen werden hier ja nicht mehr erlaubt. Der Disput ist also nicht gewünscht. – Sie sprechen von einer „Behauptung der Masseneinwanderung“, Sie sprechen von Gefühlen, dass Stimmung gemacht wird.

Die Masseneinwanderung ist aber ein Fakt, auch die illegale Masseneinwanderung. Nach Angaben der Bundespolizei wurden im Jahr 2017 über 50.000 illegale Einreisen registriert. Es wird aber weiterhin nur sehr eingeschränkt kontrolliert. Das heißt, die wahren Zahlen liegen deutlich darüber. Und diese Einreisen sind illegal. Nach der Dublin-III-Verordnung ist das Land, in dem ein Flüchtling zuerst EU-Boden betritt, für dessen Asylverfahren zuständig.

Am 26. Juli 2017 bestätigte der Europäische Gerichtshof genau das. Ohne Asylantrag hält sich der Einreisende illegal in der EU auf. Nach dem EuGH gilt das auch, wenn nach dem Erstbetreten eine Weiterreise geduldet werde. Der Grenzüberschritt wird durch Ihre willkürliche Duldung von Aus-, Durch- und Einreisen eben nicht legal. Nach sechs Monaten ohne Ausweisung wird allerdings Deutschland für das Asylverfahren zuständig, aber die Einreise wird auch dadurch immer noch nicht legal.

Es bleibt bei einer illegalen Einreise, egal wer für das Asylverfahren zuständig ist. Und das gilt auch in den Fällen der ausnahmsweisen Ermessensausübung nach Art. 17 der EU-Verordnung. Das bestätigt das OLG Koblenz, wie bereits ausgeführt. Seitdem hat sich nichts geändert. Und dieser richterlichen Feststellung der Illegalität ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Zeit.

Christian Loose (AfD): Jetzt sagen Sie bitte: Ist das auch alles ein Gefühl von diesen Richtern?

(Beifall von der AfD)

Heike Wermer (CDU): Herr Loose, vielen Dank für das Kurzreferat. Auch da wieder: Ich vermisse konstruktive Lösungsvorschläge. Und das liefert Ihr Antrag auch nicht.

(Zurufe von der AfD)

Von daher brauche ich da gar nichts weiter zu sagen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Christian Loose [AfD]: Sie haben behauptet, dass es keine illegale Masseneinwanderung gibt. Also haben Sie gelogen. Das habe ich Ihnen gerade widerlegt! – Weitere Zurufe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Wermer. – Wenn jetzt wieder Ruhe einkehrt, hat Herr Kollege Yetim für die SPD-Fraktion das Wort.

Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wagner, das, was Sie hier gerade ausgeführt haben, ist wirklich so etwas von daneben, dass ich nur sagen kann: Frau Wermer, herzlichen Dank für Ihre Klarstellung und Ihre Worte. Das war wirklich gut. Dem kann ich mich voll umfänglich anschließen.

Herr Wagner spricht von einer Mehrheit, die hinter Ihrer Position stehen würde. Ich beschreibe Ihnen mal die Mehrheit: Alles, was rechts von Ihnen sitzt, das ist die Mehrheit.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das ist die Mehrheit, um das mal sehr deutlich zu sagen. Das ist die Mehrheit. Die wurden vom Volk gewählt. Und Sie sind eine kleine Minderheit, in Ihren Ansichten sowieso.

(Zuruf von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Wenn Sie dann diejenigen, die sich sehr kritisch mit der Situation seit Jahren auseinandersetzen, ob das die Presse ist oder andere, und die vor allen Dingen eins im Sinn haben, nämlich zu schauen, wie sie denjenigen, die zu uns geflüchtet sind, helfen können, wenn Sie diese als „Helfershelfer“ bezeichnen, die irgendwie Ihren Positionen entgegenstehen und unserer Position helfen würden, dann ist das, wie ich finde, an den Haaren herbeigezogen. Das ist eine Beschimpfung derjenigen, die sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Das ist es an der Stelle, und das muss man ganz deutlich auch so formulieren.

Wenn ich dann Ihren Antrag lese und Sie sich auf die angeblich führenden deutschen Intellektuellen beziehen, dann will ich Ihnen mal etwas zu Ihren deutschen Intellektuellen sagen. Der eine, Henryk Broder, betreibt einen Blog, der seit mehreren Jahren als antiislamisch gilt. Vera Lengsfeld – nach all ihren Irren und Wirrungen durch die Parteigeschichte, durch die Parteien nimmt sie an rechtsgerichteten Demonstrationen teil, mit Beatrix von Storch. Dazu muss man gar nicht viel sagen. Matthias Matussek …

(Zurufe)

– Zu Sarrazin komme ich noch, da machen Sie sich mal keine Sorgen. – Matthias Matussek, der Pegida-Kritikern die Gesinnung von HJ-Pöblern vorwirft, der nach den schlimmen Pariser Terroranschlägen sagt, dass sie endlich die Debatte über offene Grenzen und unregistrierte junge islamische Männer in eine frische Richtung bewegen würden, der sagt, homosexuelle Liebe sei defizitär.

Wenn das Ihre Intellektuellen sind, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen, weil es gerade so schön ist. Herr Professor Max Otte – ich weiß gar nicht, warum er einen Professorentitel hat –

(Vereinzelt Heiterkeit von der SPD)

bezeichnete Alexander Gaulands Äußerung zur „Entsorgung“ von Aydan Özoguz als eine Zuspitzung im Wahlkampf. Er erkennt überhaupt nicht, welche Stimmung da gegen Menschen gemacht wird, die …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yetim, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Es wird Sie bestimmt nicht wundern, dass es erneut den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei der AfD gibt, und zwar vonseiten des Herrn Abgeordneten Loose.

Ibrahim Yetim (SPD): Ich bin mir mit Frau Wermer völlig einig, dass das nicht konstruktiv sein kann. – Danke schön.

(Zurufe von der AfD: Ah! – Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das werte ich als Nein; okay.

Ibrahim Yetim (SPD): Des Weiteren betrachtet Karlheinz Weißmann das Grundgesetz als eine beliebige Konstruktion und nicht als die Verfassung des deutschen Volkes. – Ich sage Ihnen: Unser Grundgesetz hat uns über viele Jahrzehnte getragen und für Frieden und Demokratie gesorgt. Dass Sie es als eine beliebige Konstruktion bezeichnen, macht einiges deutlich.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ich frage mich, wo diejenigen sind, die ich als Intellektuelle bezeichnen würde, beispielweise Jürgen Habermas oder Martin Walser, der die AfD übrigens für ungefährlich und armselig hält. Das sind die Intellektuellen, auf die ich mich beziehen würde.

(Roger Beckamp [AfD]: Das glauben wir Ihnen!)

Zu den inhaltlichen Aspekten Ihres Antrags möchte ich nur zwei Dinge sagen. Sie schreiben in Ihrem Antrag:

„Wir wollen das Asylrecht auf seinen Zweck zurückführen, nämlich Hilfe für politisch Verfolgte und Schutz auf Zeit für tatsächliche Kriegsflüchtlinge.“

Diesen Zweck setzt das Asylrecht aktuell um. Ich bin guter Hoffnung und glaube daran, dass das Asylrecht dies auch genauso fortführen wird: Wir kümmern uns um diejenigen, die Hilfe und Schutz brauchen, weil sie verfolgt werden.

(Roger Beckamp [AfD]: Genau!)

Sie schreiben weiter:

„Wir wollen ein Einwanderungsgesetz, für das die Politik seit Jahrzehnten zu feige war.“

Das ist komplett falsch. Sie haben die aktuelle Debatte anscheinend überhaupt nicht mitbekommen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Doch!)

Die SPD steht schon seit Langem für ein Einwanderungsgesetz und die FDP und die CDU auch; das haben wir gesehen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Und wo ist es?)

Dafür gab es bis jetzt noch nicht die politischen Mehrheiten. Im aktuellen Koalitionsvertrag …

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

– Hören Sie mir doch einmal zu. Jetzt rede überwiegend ich.

… ist das Einwanderungsgesetz enthalten. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Sie schreiben hier Sachen … na ja.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: 2017!)

Sie schreiben in Ihrem Antrag davon, sich zu solidarisieren. – Als SPD-Politiker habe ich einen sehr klaren Kompass dafür. Für mich bedeutet Solidarität, dass Menschen füreinander einstehen und sich gegenseitig helfen. Sich mit einer Erklärung, die zwei Sätze umfasst, zu solidarisieren, ist für mich sehr befremdlich. Das zeigt aber auch, welches Verständnis Sie von Solidarität haben. Das muss ich einmal ganz deutlich sagen.

Zudem muss ich konstatieren, dass Sie die Debatte …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ibrahim Yetim (SPD): … heute Morgen nicht verfolgt haben, in der wir uns über den Weg der Integration derjenigen, die zu uns gekommen sind, auseinandergesetzt haben,

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Die Redezeit!)

und zwar auf einer Ebene, wie es sein sollte. Wir sind uns klar darüber, in welche Richtung es gehen muss. Wir wollen den Menschen helfen und sie integrieren.

(Zuruf von der AfD)

Darum geht es, und es geht nicht …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ibrahim Yetim (SPD): … um Stimmungsmache. Die betreiben Sie. Deswegen lehnen wir diesen Antrag auch ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Herr Kollege Yetim …

Ibrahim Yetim (SPD): Ich habe es gesehen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Sie haben es auch gesehen.

Ibrahim Yetim (SPD): Ja, ich habe es gesehen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Es gibt eine Kurzintervention, diesmal von Herrn Kollegen Wagner von der AfD. – Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Lieber Kollege Yetim, Sie glauben doch nicht, dass Sie jetzt ohne Kurzintervention davonkommen.

Sie sprachen gerade von Geflüchteten. Ich hätte deshalb gern eine Begriffsklarstellung. Ein jeder Geflüchteter hat doch einen Fluchtgrund. Jemand, der beispielweise die österreichisch-deutsche Grenze überschreitet, hat in diesem Augenblick keinen Fluchtgrund mehr. Deswegen gibt es auch Art. 16a unseres Grundgesetzes.

Sie sagten, Sie könnten nicht verstehen, wie man sich mit der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ solidarisieren kann. Ich kann nicht verstehen, dass Sie die Forderung, die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederherzustellen, nicht unterstützen können. Das ist mir völlig schleierhaft. Wir haben es – das habe ich eben in meiner Rede zitiert – mit zahlreichen Rechtsverstößen, Gesetzesbrüchen und Verfassungsbrüchen zu tun. Deshalb ist es doch einmal an der Zeit, dass wir diese benennen und beenden.

Lassen Sie mich noch eines sagen, was das Einwanderungsgesetz betrifft: Uns gibt es seit 2013. Das Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild ist in unserem Grundsatzprogramm enthalten. Die FDP hatte es schon in den 80er-Jahren in ihrem Grundsatzprogramm. Überlegen Sie einmal, wie viele Jahre FDP und SPD in dieser Zeit schon an der Regierung waren, ohne dass etwas geschehen ist. Diese Diskussion zum Einwanderungsgesetz dauert in der Tat ein bisschen sehr lange.

(Beifall von der AfD)

Ibrahim Yetim (SPD): Ich fange mit dem Einwanderungsgesetz an, Herr Wagner, vielleicht verstehen Sie es dann. Zum Wesen der Demokratie gehört, dass man Mehrheiten hat. Das ist der Kern.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wenn man keine Mehrheiten hat, dann kann man das auch nicht umsetzen. Jetzt gibt es eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, die das will. Mit einer Jamaika-Koalition hätte es das auch gegeben, das will ich ganz deutlich sagen. Das ist das Wesen der Demokratie. Das bestimmen nicht Sie oder einer, sondern das bestimmt das Parlament, das gewählt worden ist. Wenn es sich dann zu einer Gesetzesinitiative zusammenschließt, dann macht es das. So einfach ist das.

Jetzt möchte ich Ihnen noch etwas zum Thema „Flüchtlinge“ sagen: Ja, 2015/16 war eine sehr schwierige Zeit. Das haben alle gesagt. Aber die Kernaussage aller Demokraten war auch, erst einmal zu helfen. Dass natürlich auch Straftäter unter den Geflüchteten waren,

(Dr. Christian Blex [AfD]: Gesetze wurden gebrochen!)

negiert niemand von uns.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Es wurden Gesetze gebrochen!)

Wir werden deshalb aber nicht alle, die hierhergekommen sind, über einen Kamm scheren und sie als Straftäter und Vergewaltiger bezeichnen. Das tun Sie.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Das, Herr Wagner, ist der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen und dem Rest dieses Hauses. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: So ist es! – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man könnte auch sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Wieder ein Antrag der selbsternannten Alternative für Flüchtlingspolitik. Aber diesmal enttäuschen Sie mich doch, weil es anscheinend nur für Copy-and-paste gereicht hat.

(Lachen bei der AfD)

Eigene Ideen werden bei Ihnen so langsam Mangelware. Oder gab es überhaupt jemals welche?

Mir geht es um wichtige Fragen. Wir müssen einerseits über den Schutz der europäischen Außengrenzen sprechen, andererseits aber auch über den Schutz von Menschenleben.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Der deutschen Grenze!)

– Ja, Herr Dr. Blex, ich weiß. Für Sie zählen nur die deutsche Grenze und das deutsche Volk. Alles andere zählt nicht.

(Zurufe von der AfD)

Aber als Lösungsvorschlag bieten Sie jetzt die sogenannte „Gemeinsame Erklärung 2018“. Die Herausforderungen der europäischen und der deutschen Flüchtlingspolitik lassen sich aber nicht in zwei Zeilen zusammenfassen.

(Christian Loose [AfD]: Artikel 16a!)

Die Erklärung spricht davon, dass „Deutschland durch“ – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin – „die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird“. Ich zitiere weiter:

„Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“

Wer sind denn diese friedlichen Demonstranten? – Ihre Freunde von Pegida, die den Galgen für Bundeskanzlerin Merkel und den damaligen Vizekanzler Gabriel hochhielten, die Reporter der Deutschen Welle angegriffen haben? Oder meinen Sie die 5.700 „friedlichen“ Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte in den Jahren 2016 und 2017? Aber nein, Sie fordern lieber einen Bund-Länder-Streit. Das Ganze möchten Sie eher rechtlich geklärt wissen.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Sie beziehen sich auf ein Rechtsgutachten von Herrn Udo Di Fabio vom Januar 2016. Seitdem hat sich die politische Ausgangslage grundlegend geändert.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Die Rechtslage!)

Aber davor verschließen Sie die Augen. Sie sollten wissen: Die Balkanroute ist seit März 2016 faktisch geschlossen. Die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze wurden immer wieder verlängert. Eine von Ihnen postulierte unkontrollierte Massenzuwanderung entspricht demnach nicht mehr der aktuellen Realität.

(Helmut Seifen [AfD]: Leider doch!)

In Ihrem Antrag behaupten Sie ferner, nur eine Minderheit habe Asyl- oder Flüchtlingsschutz erhalten. Die Gruppe der Kriegsflüchtlinge, die gerade subsidiären Schutz erhalten, ignorieren Sie schlicht und einfach. Auch wenn Sie es gerne ignorieren, sollten Sie wissen: In den Jahren 2015 bis 2017 lag die Gesamtschutzquote bei 43 bis 62 %.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lenzen, Entschuldigung, dass ich jetzt Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der AfD, und zwar von dem Abgeordneten Beckamp.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin, auch wenn ich mich gerne meinen Vorrednern anschließen würde, weil ich nicht glaube, dass etwas Sachliches oder irgendetwas, das zur Lösung beiträgt, kommen wird, möchte ich uns doch am Schluss die Kurzintervention ersparen, wodurch wir diese unsägliche Debatte nur verlängern. Dann lassen wir sie doch zu.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das tue ich gerne, aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass die Kurzintervention bereits angemeldet war.

Stefan Lenzen (FDP): Dann nehmen wir die Zwischenfrage und die Kurzintervention, wenn es nicht anders geht.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das Mikrofon ist offen.

Roger Beckamp (AfD): Vielen Dank, Herr Lenzen. Das ist ausgesprochen großzügig.

Ich habe auch nur eine kurze Frage – Sie können gleich bewerten, ob sie sachlich ist –: Sind Sie der Ansicht, dass jeder, der die deutsche Grenze erreicht und das Wort „Asyl“ spricht, in Deutschland bleiben darf?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Rechtsstaatliche Überprüfung!)

Stefan Lenzen (FDP): Die Frage ist schon sehr interessant. Vielleicht haben Sie heute Mittag nicht zugehört.

Wir sind uns alle einig und haben eine große Mehrheit in diesem Haus, um zu sagen: Wir brauchen ein in sich konsistentes Einwanderungsgesetzbuch, das klar unterscheidet, wer nach unserer aktuellen Rechtslage Asyl bekommt und wer nicht. Wir wollen auch den zeitweisen humanitären Schutz klar regeln und festlegen, was qualifizierte Einwanderung ist.

Letztendlich leben wir in einem Rechtsstaat, in dem es klare Regeln gibt. Es wäre dann zu entscheiden, ob man den Schutzstatus vom BAMF oder durch ein Gerichtsverfahren erhält oder aberkannt bekommt.

Da Sie diese Frage so stellen, höre ich eher etwas anderes heraus. Sie wollen wieder unterstellen, es könnte auch jemand Asyl bekommen, der es nicht verdient hätte. Die Debatte zeigt nur wieder Ihre eigentliche Denkweise, weil Sie nicht sauber unterscheiden zwischen dem eigentlichen Asyl im engeren Sinne nach § 16a oder dem nach Asylgesetz § 3 Abs. 1. Darüber gehen Sie oft hinweg. Deswegen macht die Debatte meines Erachtens wenig Sinn. Es gibt monatliche Statistiken, die Sie gerne einsehen können. Vielleicht lesen Sie die einmal richtig.

Jetzt möchte ich gerne fortfahren und zu Ihrem Antrag sprechen. Ihre Ausführungen stellen eine grobe Vereinfachung dar. Sie bieten in Ihrem Antrag keinen einzigen Lösungsvorschlag. Sie jonglieren – das merken wir an Ihrer Frage – mit fragwürdigen Zahlen und wollen die politische Debatte juristisch austragen.

Dem Antrag kann und wird weder die FDP noch die NRW-Koalition zustimmen. Ich denke, SPD und Grüne werden es auch nicht tun.

Wir hatten heute Mittag eine, wie ich finde, sehr sachliche Debatte über die Herausforderungen der Migration, die wir mit einem Einwanderungsgesetz, mit einer Integrationsstrategie 2030 angehen wollen.

Die Themen „Einwanderung“, „Flucht“ und „Integration“ sind komplexe Bereiche. Für deren Bewältigung braucht es etwas mehr als zwei Sätze. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Da Sie wissen, dass die Kurzintervention angemeldet ist, erteile ich Herrn Abgeordnete Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Danke schön. – Herr Kollege, Sie weisen immer darauf hin, man müsse unterscheiden, abwägen usw. Vielleicht können Sie im Gegensatz zu dem Kollegen Yetim, der darauf gar nicht eingegangen ist, auf die Gesetzeslage zu sprechen kommen.

Sie haben gerade selbst Art. 16a Grundgesetz zitiert. Dann gehen Sie doch einmal einen Schritt weiter. Dort heißt es auch: Wer aus einem sicheren Drittstaat kommt, kann sich auf das Asylrecht in Deutschland nicht berufen. – Das ist Rechtsprechung, das ist Gesetzgebung. Das ist das Grundgesetz, gegen das seit 2015 fortlaufend verstoßen wird.

(Beifall von der AfD)

Ich weiß nicht, ob Sie es zur Kenntnis genommen haben, aber selbst Ihr Parteifreund Alexander Graf Lambsdorff hat der Bundesregierung in der Flüchtlingskrise Rechtsbruch vorgeworfen. Es geht hier zunächst um die Wiederherstellung des Rechts. Sie sprechen von Abwägen. Wir können Recht nicht abwägen. Recht gibt es oder nicht. Recht ist Gesetz. Und wenn Gesetze da sind, können sie geändert werden. Das ist parlamentarisch möglich. Aber solange sie nicht geändert sind, sind sie einzuhalten. Genau das tun die vier Fraktionen aus dem letzten Jahrhundert nicht.

(Beifall von der AfD)

Stefan Lenzen (FDP): Herr Kollege Wagner, Sie sollten wissen, wer bei uns den vollen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhält. Da greift Art. 16a zu kurz. Aber den nehmen Sie gerne und lassen § 3 Abs. 1 Asylgesetz komplett außen vor. Sie versuchen, es letzten Endes auf eine rein juristische Ebene herunterzuspielen, indem Sie eine Behauptung in den Raum stellen.

Die eigentlich subsidiär Schutzberechtigten lassen Sie bei der Betrachtung der Gesamtschutzquote komplett außen vor. Ich meine, dazu gehört mehr. Das können Sie dann gerne im Rechtsausschuss mit den Juristen diskutieren, das wäre sicher interessant.

In dem vorliegenden Antrag, in dem die „Gemeinsame Erklärung 2018“ sehr verkürzt dargestellt worden ist – in zwei Zeilen zusammengefasst –, in dem Sie fordern, uns dem Ganzen anzuschließen, kommt klar Ihre Denkweise zum Ausdruck, die offenkundig preisgibt, dass Sie von vornherein von einer illegalen Masseneinwanderung ausgehen und davon, dass eigentlich alle, die hierhergekommen sind, illegal sind. Am liebsten hätten Sie alle ganz schnell wieder aus dem Land. Dann sagen Sie doch ganz offen, was Sie möchten und verstecken sich nicht hinter Paragrafen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU – Markus Wagner [AfD]: Den Rechtsbruch der Bundesregierung hat Graf Lambsdorff bestätigt!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Der vorliegende Antrag ist voll von Endzeitrhetorik, vom Herbeireden der Apokalypse. Es ist die Rede von Kontrollverlust, von rechtsfreien Räumen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sogar die Bezeichnung „Herrschaft des Unrechts“ schleicht sich in den Antrag ein.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Meine Damen und Herren, ich finde, wer nach Syrien reist, um mit Verbrechern des Assad-Regimes zu kuscheln, der hat kein Recht, hier Reden über Recht und Unrecht zu schwingen.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

– Ja, da können Sie sich noch so sehr aufregen, Herr Blex. Sie haben das Recht verwirkt.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Dann bedienen Sie sich natürlich wie immer auch noch der Opferrolle. Das alles kennen wir schon. Das sind die bekannten Instrumente der AfD.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Sie wollen widerspruchslos Ihre menschenfeindlichen, rassistischen und völkischen Ideen unter dem Deckmantel von freier und demokratischer Debattenführung durchsetzen. Wir erheben Widerspruch. Das lassen wir nicht zu.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Aymaz, Entschuldigung, mir war nicht klar, dass Ihr Redebeitrag schon zu Ende ist. Deshalb kann ich Sie nach den beiden Zwischenfragen jetzt nicht mehr fragen. Aber es gibt auch bei Ihnen eine angemeldete Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Wagner. – Das Mikrofon ist frei.

Markus Wagner (AfD): Herzlichen Dank. – Auf diese Rede muss ich gar nicht groß eingehen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nein, spricht für sich!)

Aber …

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: So spontan können Sie gar nicht darauf reagieren! – Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Dahm [SPD]: Bravo!)

– Es ist doch interessant. Die Geschichte lehrt ja, dass es gerade die Antidemokraten sind, die immer den Begriff der Demokraten für sich vereinnahmen. Da reicht es schon, wenn wir uns das Konstrukt „Deutsche Demokratische Republik“ ansehen.

Dabei haben Sie in diesem Hohen Hause das undemokratische Verhalten eindrucksvoll bewiesen – nicht einmal, nicht zweimal, sondern fortlaufend, beginnend mit der peinlichen Posse um die Wahl des Vizepräsidenten dieses Hauses,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie hatten keine Mehrheit!)

weiterführend mit Ihrer skandalösen Verfahrensweise bei der Wahl der Verfassungsrichter, der Ausgrenzung bei selbstverständlich gemeinsamen Anträgen sowieso.

Eines muss ich Ihnen auch sagen: Man muss Ihnen fast schon Verfassungsfeindlichkeit unterstellen, wenn Sie die schlichte Einhaltung unseres Grundgesetzes ablehnen und die Verletzung des Art. 16a konsequent in Kauf nehmen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Diese Verfassungsfeindlichkeit leben Sie seit 2015 Tag für Tag. Wir möchten, dass die Verfassung endlich wieder die Geltung bekommt, die ihr zusteht.

(Beifall von der AfD)

Berivan Aymaz (GRÜNE): Das, was Sie gerade machen, grenzt an Verleumdung. Deshalb braucht es keiner weiteren Worte.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war die Kollegin Aymaz von Bündnis 90/Die Grünen. – Jetzt hat für die Landesregierung Herr Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antragsteller geht in diesem Fall von einer falschen Voraussetzung aus, weil er hier aufführt, es würde sich um eine Veröffentlichung von führenden deutschen Intellektuellen handeln.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja, genau!)

Das ist nicht der Fall. Deswegen empfehle ich Ihnen, den Antrag abzulehnen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der AfD hat eine direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Inhalt des Antrages Drucksache 17/2397 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache 17/2397 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

6   Fragestunde

Drucksache 17/2450

Mit Drucksache 17/2450 liegen Ihnen die Mündlichen Anfragen 13 bis 16 vor.

Ich rufe zunächst die

     Mündliche Anfrage 13

des Herrn Abgeordneten Arndt Klocke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf:

Wie will der Ministerpräsident das jetzt rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zum Luftreinhalteplan Düsseldorf umzusetzen?

Mit der Entscheidung vom 27. Februar hat das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit von Fahrverboten entschieden und somit eine verbindliche Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Luftreinhalteplanung geschaffen. Damit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 2016 rechtskräftig, welches das Land zur „schnellstmöglichen Einhaltung des über das Kalenderjahr gemittelten Grenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m³“ für das Stadtgebiet von Düsseldorf verpflichtet.

Ministerpräsident Armin Laschet hat am 09.03.2018 in einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass er Fahrverbote als Maßnahmen der Luftreinhalteplanung als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig einstuft. Diese Haltung habe er die Bezirksregierungen „wissen lassen“. Laut Aussage der Bezirksregierung Düsseldorf ist aber bislang keine entsprechende Weisung erfolgt.

Dennoch ist fraglich, ob nach diesen Äußerungen des Ministerpräsidenten noch eine ergebnisoffene Prüfung zur Umsetzung des Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in der zuständigen Behörde stattfinden kann.

Da der Ministerpräsident sowohl Fahrverbote als auch die verbrauchergerechte Hardwarenachrüstung ausschließt und die bisher vorgestellten Maßnahmen der Landesregierung nicht ausreichen, um die Gesundheit der Menschen zu schützen und die Einhaltung der Grenzwerte kurzfristig sicherzustellen, stellt sich die Frage, wie die Luftreinhalteziele aus Sicht der Landesregierung kurzfristig erreichbar sind und welche Maßnahmen sie dafür ergreift.

Auf welche Weise haben die Landesregierung und der Ministerpräsident welche Auffassungen in Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Bezirksregierungen wissen lassen?

Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet.

Herr Minister Wüst wird für die Landesregierung auf die vorliegende Mündliche Anfrage antworten. Herr Minister, Ihr Mikrofon ist die ganze Zeit offen, wie wir das immer hier machen. Das nur, damit Sie Bescheid wissen. Damit haben Sie die Gelegenheit zur Beantwortung.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Herrn Kollegen Klocke herzlich für die Beantragung dieser Mündlichen Anfrage danken.

Verehrter Herr Kollege Klocke, Sie haben explizit nach den Auffassungen – Mehrzahl – der Landesregierung in Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gefragt. Die Landesregierung hat selbstverständlich nicht unterschiedliche Auffassungen zum Urteil, sondern eine gemeinsame Auffassung – Einzahl. Allerdings besteht selten die Gelegenheit, diese Auffassung ausführlich und zusammenhängend vorzutragen. Daher danke ich herzlich für die Gelegenheit, dies heute noch einmal tun zu dürfen.

Es gibt wenige Themen, die aktuell so die Gemüter erhitzen wie das Thema „Dieselfahrverbote“. Die Debatte wird hoch emotional geführt.

Auf der einen Seite sind die Dieselbesitzer – die Pendler, die Handwerker, die Unternehmer –, die eine Enteignung durch Fahrverbote und eine massive Beeinträchtigung ihrer Mobilität und ihres wirtschaftlichen Handelns fürchten. Auf der anderen Seite sind die Menschen, die Sorge um ihre Gesundheit haben. Weil die Debatte so hoch emotional ist und die Menschen so sehr beschäftigt, ist die Politik gut beraten, sie sehr ruhig und sachlich zu führen.

Das ist im Übrigen offenbar auch der Unterschied zwischen uns und der Deutschen Umwelthilfe. Der Deutschen Umwelthilfe scheint es in der ganzen Debatte nicht mehr um die Luftreinhaltung zu gehen, sondern nur noch darum, Dieselfahrverbote durchzusetzen. Dafür scheint ihr jedes Mittel recht zu sein.

(Beifall von der CDU)

Denken wir nur an den Klamauk der Deutschen Umwelthilfe mit dem Antrag auf Zwangsvollstreckung gegen den Ministerpräsidenten. Jedem Kundigen war klar, dass es dem Antrag der Deutschen Umwelthilfe an einer Rechtsgrundlage fehlte. Dieser Antrag wäre vor Gericht nie durchgekommen. Darum scheint es der Deutschen Umwelthilfe aber auch nie gegangen zu sein.

Vielmehr musste man den Eindruck haben, dass es ausschließlich um das Produzieren von spektakulären Schlagzeilen ging. Erster Tag: Antrag auf Zwangsvollstreckung. Zweiter Tag: Fristverlängerung beantragt. Dritter Tag: Antrag zurückgenommen – gerade noch rechtzeitig, bevor man vor Gericht scheitert, aber spät genug, um drei Tage Berichterstattung gehabt zu haben.

Das hat nichts mehr mit politischer Debatte oder juristischer Auseinandersetzung zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist meiner Ansicht nach nur Klamauk, und das ist nicht unser Ansatz.

Die Politik ist gut beraten, nicht mit den Ängsten der Menschen zu spielen. Unser Auftrag ist es, Lösungen für existierende Probleme zu finden und diese dann transparent anzugehen, und nicht, Ängste zu schüren oder Klamauk zu veranstalten. Das ist zumindest der Anspruch, den diese Landesregierung hat. Ich habe keinen Zweifel, dass dieser Anspruch mehrheitlich von diesem Hause getragen wird.

Daher, verehrter Herr Kollege Klocke, danke ich Ihnen noch mal herzlich dafür, dass Sie mir und der Landesregierung durch diese Frage die Möglichkeit geben, ruhig und sachlich zur Thematik Stellung zu beziehen.

Ich komme nun zur Sache selbst. Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen spricht sich dafür aus, Dieselfahrverbote zu vermeiden. Die Frage, ob Dieselfahrverbote auf der Grundlage des bestehenden Rechts überhaupt möglich sind, war Gegenstand des am 27. Februar vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Revisionsverfahrens zum Luftreinhalteplan in Düsseldorf.

In Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst der Auffassung der Landesregierung zugestimmt, dass das bestehende nationale Recht es den Ländern nicht ermöglicht, Dieselfahrverbote anzuordnen. Ich bin daher meinem Vorgänger Mike Groschek und unserem Kollegen und damaligen Umweltminister Johannes Remmel ausdrücklich dankbar dafür, dass dieses Verfahren angestrengt worden ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtsauffassung sowohl der rot-grünen Vorgängerregierung als auch der aktuellen Landesregierung bestätigt, dass Fahrverbote nach deutschem Recht nicht möglich sind. Das Bundesverwaltungsgericht weist jedoch darauf hin, dass das europäische Recht der Luftreinhaltung eine Prüfung von Dieselfahrverboten dann fordert, wenn sie sich als einzige geeignete Maßnahme erweisen, um den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

Bislang liegen lediglich die mündliche Urteilsbegründung und die Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar vor. Die schriftliche Begründung des Urteils wird in den kommenden Tagen erwartet. Insoweit bleibt für die abschließende Auswertung die Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung abzuwarten.

Allerdings – das halte ich für bemerkenswert – hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Pressemitteilung sehr deutlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betont. Bemerkenswert ist das deshalb, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer und bei jedem staatlichen Handeln zu wahren ist und daher in der Pressemitteilung eines Gerichts nicht besonders betont werden müsste. Dass das Gericht dennoch in seiner Pressemitteilung explizit auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingegangen ist, deutet an, welch hohe Hürden das Gericht für Dieselfahrverbote sieht.

Fahrverbote sind auch unter rechtlichen Aspekten nur das letzte Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen nicht greifen. Eine Maßnahme ist immer dann verhältnismäßig, wenn sie erstens geeignet ist, das angestrebte Ziel – sprich: die Einhaltung der NO2-Grenzwerte – zu erreichen, und wenn sie zweitens erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Das heißt, es darf kein anderes, weniger scharfes Instrument zur Verfügung stehen, mit dem das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Sie ist drittens dann verhältnismäßig, wenn sie angemessen ist.

Die Angemessenheitsprüfung ist die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Im ersten Semester Jura wird Ihnen zur Verdeutlichung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gesagt: nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Nach Ansicht der Landesregierung ist es wahrscheinlich, dass ein Dieselfahrverbot unverhältnismäßig wäre, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht laut Pressemitteilung offenbar hohe Anforderungen an ein solches Fahrverbot stellt. Lassen Sie mich ausführen, worauf sich diese Annahme der Landesregierung stützt.

Am 21. März hat der Ministerpräsident hier in diesem Hause in einer Unterrichtung vorgestellt, welche Anstrengungen die Bundesregierung sowie die Landesregierung seit ihrem Amtsantritt im Juli letzten Jahres in Sachen Luftreinhaltung unternehmen. Es handelt sich um Anstrengungen, die im Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht angemahnten strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewerten sind.

Im August 2017 fand das „Nationale Forum Diesel“ statt, auf dem wir mit Gewerkschaften, Wirtschaft und Experten unsere Position abgestimmt haben. In vier Expertengruppen hat das Land Nordrhein-Westfalen mitgearbeitet.

Erstens: Emissionsreduzierung in den im Verkehr befindlichen Fahrzeugflotten.

Zweitens: Verkehrslenkung, Digitalisierung und Vernetzung.

Drittens: Umstieg öffentlicher Fahrzeugflotten auf emissionsarme Mobilität.

Viertens: Optimierung von Antriebstechnologien und alternative Kraftstoffe.

Im September 2017 fand der Dieselgipfel mit der Bundeskanzlerin und den Kommunen statt. Hier in Nordrhein-Westfalen gab es vorab einen Termin mit den nordrhein-westfälischen Oberbürgermeistern, um diesen Gipfel vorzubereiten.

Im Oktober 2017 haben wir in Nordrhein-Westfalen eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Luftreinhaltung eingesetzt, in der sich die beteiligten Ressorts vernetzt haben, der Informationsaustausch mit den Arbeitsgruppen auf Landes- und Bundesebene stattfindet und die Informationen an die Bezirksregierungen weitergegeben werden. Dieser Prozess des Dialogs mit den Bezirksregierungen findet ständig statt.

Ende November 2017 fand der zweite Dieselgipfel des Bundes statt. Dort wurde ein konkretes Maßnahmenpaket für die betroffenen Kommunen mit einem Volumen von 1 Milliarde € beschlossen. Hieraus hat der Bund das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ auf den Weg gebracht.

Dazu gehören Maßnahmen zur Elektrifizierung in Höhe von insgesamt 393 Millionen €. Das betrifft den urbanen Wirtschaftsverkehr, die Elektrifizierung von Taxis, Mietwagen und Carsharing, die Elektrifizierung von Busflotten im öffentlichen Personennahverkehr, die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und die Förderung der Einrichtung von Ladeinfrastruktur für diese Elektrofahrzeuge.

Bei den Dieselgipfeln wurde auch die Lage der nordrhein-westfälischen Kommunen thematisiert. Nicht jede nordrhein-westfälische Kommune ist nach sieben Jahren Rot-Grün in der Lage, Elektrofahrzeuge zu kaufen. Deshalb brauchen viele unserer Kommunen einen Zwischenschritt.

Es gibt die technischen Möglichkeiten, jeden alten Dieselbus auf bessere Werte umzurüsten. Diesen Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen hat der Bund aufgegriffen und stellt weitere 107 Millionen € für diese Umrüstung alter Busse zur Verfügung, was insbesondere den Städten in Nordrhein-Westfalen zugutekommt und in Teilen auch schon umgesetzt wird.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Auch die Landesregierung hat eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. Die Landesregierung fördert den Ausbau alternativer Antriebe sowie die entsprechende Infrastruktur. Professor Pinkwart hat eben in der Plenardebatte darauf hingewiesen. Die Landesregierung fördert neue Konzepte für Städte und Gemeinden sowie Unternehmen, die Weiterentwicklung emissionsarmer konventioneller Antriebe, Forschung und Entwicklung im Bereich von Leichtbau, synthetischen Kraftstoffen und neuen Fertigungsverfahren, den Ausbau des ÖPNV und die Schaffung von elektro- und wasserstoffbetriebenen Linienbussen.

Dafür stehen verschiedene laufende Unterstützungsleistungen des Landes zur Verfügung. Um hier nur einige zu nennen: 60%ige Förderung der Mehrkosten von elektro- und wasserstoffbetriebenen Linienbussen gegenüber herkömmlichen Dieselbussen; 15 Millionen € für die Nahmobilität; 100 Millionen € im Programm „KommunalerKlimaschutz.NRW“ – mit 40 Millionen € für das Sonderprogramm „Emissionsfreie Innenstädte“. Dieses Programm stammt schon von der Vorgängerregierung; Sie sollten es kennen. Wir unterstützen die Radschnellwege. Seit dem 5. Februar 2018 fördert das Land zudem über das Sofortprogramm Elektromobilität die Errichtung von öffentlichen Ladesäulen und unterstützt die Kommunen bei der Elektrifizierung ihres Fuhrparks.

Die NRW.BANK stellt in verschiedenen Förderprogrammen zinsgünstige und zinsfreie Darlehen für Kommunen bereit, damit diese durch Ersatzinvestitionen für Lärm- und Schadstoffreduktionen sorgen können oder sich Elektrofahrzeuge und entsprechende Infrastruktur anschaffen können.

Gleichzeitig arbeiten wir an der Erhöhung von ÖPNV-Kapazitäten, auch und vor allem natürlich in den belasteten Gebieten, zum Beispiel durch die Arbeit am Rhein-Ruhr-Express oder die Reaktivierung von Bahnstrecken. Unlängst wurde im Verkehrsausschuss ja die Reaktivierung der Bahnstrecke nach Kamp-Lintfort diskutiert.

In den Kommunen gibt es ebenfalls große Aktivitäten, gerade in den letzten Monaten, zum Beispiel in Düsseldorf und Köln. Die Rheinbahn in Düsseldorf investiert 70 Millionen € in neue Leichtbaubusse und Gelenkbusse mit der Euro‑6-Norm sowie elektrisch angetriebene Busse. Die Kölner Verkehrs-Betriebe beschaffen bis 2021 rund 50 weitere E‑Busse. Mit dann 58 E‑Bussen werden die KVB voraussichtlich die größte Elektrobusflotte Deutschlands betreiben.

Die Wirkung ist groß. Aber auch darüber hinaus löst die Entwicklung der Elektromobilität natürlich in den kommenden Jahren eine enorme Dynamik aus. Der Bundespräsident hat bei seinem Besuch in Nordrhein-Westfalen im März die RWTH besucht und den StreetScooter der Deutschen Post noch einmal als Modell gewürdigt.

(Unruhe)

Die erste Produktionsstätte hat inzwischen eine so große Nachfrage, dass in Düren derzeit eine zweite Produktionsstätte eingerichtet wird, die bald die Produktion aufnimmt. Ford in Köln hat ähnliche Absichten. Insofern können wir in Nordrhein-Westfalen bei dem Thema „Elektromobilität“ an der Spitze sein.

Der Expertenrat für Elektromobilität, den der Ministerpräsident einberufen hat, beschäftigt sich mit der Förderung der Elektromobilität auf der kommunalen Ebene, mit der Zulieferindustrie am Standort Nordrhein-Westfalen und mit der Entwicklung verschiedener Speichertechnologien sowie mit dem autonomen Fahren.

Unser Ziel ist es, in fünf Jahren 100.000 elektrisch betriebene Fahrzeuge in Nordrhein-Westfalen zu haben.

Im Verkehrsministerium haben wir eine neue Fachabteilung mit dem Namen „Grundsatzangelegenheiten der Mobilität, Digitalisierung und Vernetzung“ eingerichtet. Dort steht interdisziplinäres Arbeiten im Mittelpunkt, um die Chancen der vernetzten Mobilität für unser Land auszuschöpfen. Das betrifft alle Verkehrsträger und einen besseren Verkehrsfluss verschiedener Verkehrsmittel, ob in der Nahmobilität zu Fuß und mit dem Fahrrad, aber auch mit dem Auto, dem Bus und mit der Bahn.

(Unruhe und Lachen)

Sie sehen: Bund, Land und Kommunen arbeiten bei diesem Thema – offensichtlich zu Ihrer Erheiterung – gut zusammen. Wie eingangs erwähnt, befinden sich die Ressorts der Landesregierung sowie die nachgeordneten Behörden in einem regelmäßigen Austausch zu diesem Thema. Gegenstand dieser Gespräche sind der Austausch des jeweils aktuellen Erkenntnisstandes sowie die rechtliche Bewertung dieser Kenntnisstände durch die Beteiligten.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie ganz kurz unterbreche. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Abgeordnete Klocke hat eine Anfrage an die Landesregierung gerichtet, die die Landesregierung gerade in der ihr geeignet erscheinenden Form beantwortet. Deswegen ist es auch ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Abgeordneten Klocke, ihm die Gelegenheit zu geben, hier ohne akustische Störungen der Beantwortung seiner Frage zuzuhören. Insofern wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie etwas Ruhe hier im Saal walten ließen. – Bitte sehr, Herr Minister.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich hoffe, dass das nicht von meiner Redezeit abgeht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich war nämlich gerade bei dem Punkt, der bestimmt besonderes Interesse bei Herrn Klocke auslöst. – Ich will gerne noch einmal neu ansetzen.

Wie eingangs erwähnt, befinden sich die Ressorts der Landesregierung sowie die nachgeordneten Behörden in einem regelmäßigen Austausch zu diesem Thema. Gegenstand dieser Gespräche sind der Austausch des jeweiligen aktuellen Kenntnisstandes sowie die rechtliche Bewertung dieser Kenntnisstände durch die Beteiligten. Das ist ein fortlaufender Prozess, über den auch die Öffentlichkeit regelmäßig informiert wird.

Die dargelegte aktuelle Rechtsauffassung der Landesregierung ist der Allgemeinheit unter anderem mit den Pressemitteilungen des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz vom 27. Februar und 14. März dieses Jahres bekannt gemacht worden.

Gegenüber den für die Erstellung der Luftreinhaltepläne zuständigen Bezirksregierungen ist die aktuelle Rechtsauffassung der Landesregierung im Rahmen von Dienstbesprechungen mit den Vertretern der Bezirksregierungen erfolgt.

Meine Damen, meine Herren, der Rückgang der Zahl der deutschen Kommunen mit Grenzwertüberschreitungen beläuft sich nach ersten Schätzungen auf 20 Kommunen – von 90 auf 70 allein im letzten Jahr. Das ist ein Rückgang um ein Viertel. Laut Umweltbundesamt ist von 1990 bis 2015 der Stickoxidausstoß um über 1,7 Millionen t bzw. 59 % gesunken.

Für Nordrhein-Westfalen lauten die aktuellen Zahlen, dass es 2016 noch 32 Kommunen mit Grenzwertüberschreitungen gab. Nur noch einmal zur Erinnerung: 2016 war das Jahr, in dem das erste Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf erfolgte, das nun Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewesen ist.

2017 gab es unter diesen 32 Kommunen nur vier, in denen die Messwerte gestiegen sind. Um es klar zu sagen: Nur vier sind nach Ansicht der Landesregierung genau vier zu viel. Ich will das gar nicht kleinreden. Aber in zwei Kommunen sind die Werte gleich geblieben, und in 26 Kommunen sind die Messwerte signifikant gesunken. Mehr als 80 % der betroffenen Kommunen weisen einen deutlichen Rückgang der Werte auf. Bei sechs Kommunen führt der Rückgang inzwischen sogar zur Einhaltung des Grenzwertes. Wir hatten 2017 noch 27 Kommunen mit Grenzwertüberschreitungen.

Das LANUV stellt in seinem Bericht zur Luftqualität 2017 fest, dass verglichen mit dem Vorjahr an den Verkehrsstandorten in Nordrhein-Westfalen ein Rückgang der Belastung mit Stickoxid um fast 5 % feststellbar ist. Damit ist der Rückgang im Jahr 2017 deutlich stärker ausgefallen als im Mittel der letzten Jahre.

Die Werte sinken also. Sie sind im letzten Jahr sogar proportional noch stärker gesunken als in den Jahren zuvor. Dieser dynamische Rückgang scheint sich – bei aller Vorsicht – fortzusetzen; denn die monatlich verfügbaren aktuellen Messdaten – man kann sie im Internet nachlesen – zeigen sowohl für den hochbelasteten Clevischen Ring in Köln und die dortige Messstation als auch für die Messstation in der Düsseldorfer Corneliusstraße für die ersten beiden Monate des Jahres 2018 einen Rückgang der Werte um rund 15 %. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, aber natürlich noch kein Grund zum Jubeln.

Warum ist es so wichtig, sich diese Fakten noch einmal ruhig und sachlich anzuschauen? Der überwiegende Teil der eben angeführten Maßnahmen zur Reduzierung der NOX-Werte ist erst 2018 angelaufen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die Nachrüstungsrichtlinie gibt es erst seit wenigen Wochen, und auch die 80‑%-Förderung des Bundes auf das Delta von Elektrobussen zu Dieselbussen ist erst kürzlich notifiziert worden. Die Werte sind aber 2017, noch bevor diese neuen Maßnahmen als Ergebnis der Dieselgipfel wirken konnten, deutlich zurückgegangen.

Das lässt die Vermutung zu, dass die Maßnahmen, die jetzt erst angelaufen sind, auch noch deutlichere Wirkungen entfalten werden. Sie werden dazu beitragen, die Luft in unseren Städten besser zu machen.

Hinzukommen wird die weitere technische Entwicklung. Der kontinuierliche Austausch der Fahrzeugflotten geht weiter. Berechnungen im Handbuch „Emissionsfaktoren für den Straßenverkehr“ – das ist die Quelle für Umweltämter, Landesumweltämter und das Bundesumweltamt – zeigen, dass das Problem der Stickoxidabgasbelastung in Bezug auf die aktuell produzierten Diesel gelöst ist und sich durch eine kontinuierliche Flottenerneuerung materialisieren wird. Anders gesagt: Alle Experten, auf die sich die Umweltämter stützen, sagen: Wir sprechen hier über ein Problem von nur noch wenigen Jahren, und wir sprechen vor allem über alte Dieselfahrzeuge.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal kurz auf die Deutsche Umwelthilfe eingehen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass es der Deutschen Umwelthilfe anscheinend nur um einen Feldzug gegen den Verbrennungsmotor geht und nicht um die Luftreinhaltung. Das Palaver über Dieselfahrverbote, das maßgeblich von der Deutschen Umwelthilfe initiiert wird, sorgt für eine starke Verunsicherung bei den Verbrauchern. Hier droht Attentismus, und der Flottenaustausch hin zu moderneren, besseren Kraftfahrzeugen droht ins Stocken zu geraten. Dieses Palaver ist also kontraproduktiv.

(Beifall von Matthias Kerkhoff [CDU])

Unterm Strich deutet aus Sicht der Landesregierung vieles darauf hin, dass ein Dieselfahrverbot wahrscheinlich nicht erforderlich ist. Es ist zweifelhaft, ob es überhaupt geeignet wäre, die Luftreinhaltung in unseren Städten zu verbessern.

Der Landtag hat vor Kurzem eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt. Professor Schreckenberg hat in dieser Anhörung deutlich gemacht, dass die Sperrung einzelner Strecken immer zu Umwegfahrten führt. Längere Wege bedeuten zwangsweise einen höheren Energieverbrauch sowie eine größere CO2-Produktion und einen größeren Schadstoffausstoß. Professor Schreckenberg weist – nach Ansicht der Landesregierung zu Recht – darauf hin, dass eine nachhaltige Wirkung so nicht zu erreichen wäre.

Allein vor diesem Hintergrund bestehen schon begründete Zweifel, ob ein Dieselfahrverbot überhaupt geeignet wäre. Auch die berühmte Hintergrundbelastung ist ein weiterer Grund dafür, die Geeignetheit von Dieselfahrverboten zumindest zu hinterfragen.

Bleibt noch die Angemessenheitsprüfung. Selbst wenn Dieselfahrverbote geeignet und erforderlich wären, um Grenzwertüberschreitungen zu verhindern, müssten diese auch tatsächlich angemessen sein. Ich betone noch einmal ausdrücklich: Wir haben bereits an der Geeignetheit und der Erforderlichkeit von Dieselfahrverboten begründete Zweifel.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Selbst wenn sie zuträfen, müsste immer noch im Einzelfall eine Angemessenheitsprüfung im engeren Sinne vorgenommen werden. Und welch hohe Maßstäbe das Bundesverwaltungsgericht an die Angemessenheitsprüfung stellt, hat es in seiner Pressemitteilung deutlich werden lassen. So hält es zum Beispiel Fahrverbote für Euro‑5-Diesel vor September 2019 für nicht angemessen. Ferner betont es, dass es Ausnahmeregelungen für Handwerker, Anwohner etc. geben müsste.

Die Landesregierung sieht sich durch die bisherigen Veröffentlichungen zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in ihrer Position gestärkt, dass vor einer Prüfung von Dieselfahrverboten auch aus rechtlichen Gründen erst alle anderen Maßnahmen auszuschöpfen sind, um die erforderliche Verbesserung der Luftqualität zu erreichen.

Die kontinuierlich sinkenden Belastungswerte und die umfassenden Maßnahmen, die Bund, Land und Kommunen nun auf den Weg gebracht haben, bestärken uns in der Annahme, dass die jetzt ergriffenen Maßnahmen geeignet sind, die Grenzwerte künftig einzuhalten. Die Landesregierung geht daher derzeit begründet davon aus, dass Dieselfahrverbote unverhältnismäßig wären.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Anmerkung. Als ich zum ersten Mal die Frage gelesen habe, habe ich mich gefragt, verehrter Herr Kollege Klocke, weshalb Sie den Ministerpräsidenten so falsch verstanden haben und warum Sie ihm unterstellen, sich quasi par ordre du mufti über Gesetz beziehungsweise Recht hinwegsetzen zu wollen. Klar ist mir das geworden, als ich Ihren Antrag zum Flughafen Köln/Bonn gelesen habe, den wir morgen beraten werden. Sie scheinen ganz offensichtlich der Auffassung zu sein, dass sich politischer Wille über das Recht hinwegsetzen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist mitnichten so – weder beim Flughafen noch beim Fahrverbot. Gott sei Dank leben wir in einem Rechtsstaat. Unsere vornehmste Aufgabe als Parlament ist zwar Rechtsetzung. Aber auch sie geschieht nicht vollkommen willkürlich. Das sollten wir nicht vergessen. Wer vermeintlich einfache Lösungen propagiert, ohne dabei die Grenzen des Rechtstaates zu achten und zu wahren, stärkt die Verdrossenheit und die politischen Extreme. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung der Mündlichen Anfrage 13. – Nun hat sich der Abgeordnete Klocke für eine erste Nachfrage gemeldet. Bitte schön, Herr Abgeordneter Klocke.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Ich kann Ihnen die Langversion gerne zukommen lassen.

Arndt Klocke (GRÜNE): Darüber würde ich mich sehr freuen. – Ich habe keine weiteren Nachfragen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Abgeordnete Remmel hat sich für eine Nachfrage gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Ich mache dieses unwürdige Schauspiel nicht mit. Ich ziehe zurück.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Der Abgeordnete Remmel verzichtet auf eine Nachfrage. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage dann in die Runde, ob es weitere Fragen gibt, die wir hier oben als Sitzungsvorstand übersehen haben. – Das ist nicht der Fall. Dann bedanke ich mich bei Herrn Minister für die ausführliche Beantwortung der Frage 13.

Ich rufe die

Mündliche Anfrage 14

des Abgeordneten Christian Dahm von der Fraktion der SPD auf:

Ministerin Schulze Föcking hat in der Fragestunde der 24. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen am 21. März 2018 auf die Frage des CDU-Abgeordneten Deppe, ob die Stabsstelle Umweltkriminalität am Envio-Skandal und dem Kerosinleck bei Shell an der Verfolgung und Aufklärung beteiligt gewesen sei, erklärt, das treffe nicht zu. Die Stabsstelle sei in beiden Fällen nicht beteiligt gewesen.

Am 17. und am 22. April 2018 berichtete der WDR, dass aufgrund einer beantragten Akteneinsicht die Beteiligung der Stabsstelle sowohl im Fall Envio als auch im Fall des Kerosinlecks bei Shell eindeutig dokumentiert und belegt sei. Weiterhin habe erst die Intervention der Stabsstelle die Einstellung des Verfahrens gegen Shell verhindert und eine Verurteilung von Shell zu einer Geldbuße von 1,8 Mio. € ermöglicht. Dies wurde in der Sendung „Westpol“ nochmals durch eine Aussage der Staatsanwaltschaft Köln bestärkt und bestätigt.

Der WDR stellt zugleich fest, dass die Akten der Landesregierung die mehrmals geäußerte Behauptung von Ministerin Schulze Föcking widerlegten, die Stabsstelle sei vor allem mit dem Schutz von Greifvögeln beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit belaufe sich aber nach WDR-Recherche nur auf 10 % der bearbeiteten Fälle. Diese neuen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass Ministerin Schulze Föcking den Landtag mehrmals falsch informiert hat.

Welchen genauen Beitrag leistete die Stabsstelle Umweltkriminalität im Fall des „Kerosinlecks Shell“ und wie ist dieser Beitrag im MULNV dokumentiert?

Welche Anteile hatten die Arbeitsbereiche Greifvogelschutz, Abfallrecht, Verbraucher- und Lebensmittelrecht, Bodenschutz, Wasser- und Immissionsschutz an der geleisteten Arbeit und den bearbeiteten Fällen der Stabsstelle Umweltkriminalität?

Die Landesregierung hat hierzu angekündigt, dass Frau Ministerin Schulze Föcking auf die vorliegende Mündliche Anfrage antworten wird. Ich danke Frau Ministerin Schulze Föcking dafür und schalte ihr das Mikrofon frei. Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zunächst beim Verweis auf den Beitrag der Stabsstelle eine Vorbemerkung.

Im Kontext der Tätigkeit der Stabsstelle wurden und werden aktuell in der Öffentlichkeit zahlreiche Begrifflichkeiten verwendet, die in ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich sind. Durch die erstmalige Medienberichterstattung Anfang März wurde der Eindruck vermittelt, dass die Umweltskandale bei Shell und Envio ohne die Stabsstelle nicht entdeckt und aufgeklärt worden wären. Sie wären danach nicht entdeckt und aufgeklärt worden, wenn die Stabsstelle nicht als Ermittlungseinheit mit quasi staatsanwaltlichen bzw. polizeilichen Befugnissen tätig gewesen wäre.

Die Frage des Kollege Deppe, die sich zuvor im Ausschuss abgezeichnet hatte und dort erörtert wurde, bezog sich daher nach meinem Verständnis insbesondere darauf, welche Behörden und Bereiche für die Bekämpfung, Entdeckung und Aufklärung von Delikten zuständig sind.

Dies sind – darauf hatte ich bereits am 21. März 2018 hingewiesen – mehrere Tausend Menschen auf verschiedenen Behördenebenen.

Vor diesem Hintergrund ist auch meine Antwort in der Fragestunde am 21. März 2018 zu verstehen. Die Stabsstelle hatte ausweislich ihres Einrichtungserlasses von 2004 keine polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Befugnisse. Dies habe ich auch mit meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Deppe in der Fragestunde am 21. März 2018 zum Ausdruck gebracht.

Gleichwohl – das habe ich auch nie bestritten – hat die Stabsstelle in den 14 Jahren ihres Bestehens diverse – auch bekannte – Fälle begleitet.

Selbstverständlich hat die Stabsstelle auch die Themen „Shell“ und „Envio“ begleitet. Sie hat Materialien gesammelt, rechtliche Einschätzungen abgegeben, Strafanzeigen gestellt sowie Kontakt zu den ermittelnden Stellen gehalten. Aber beide Fälle wurden sachlich und federführend nicht durch die Stabsstelle Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität, sondern durch die zuständigen Umweltbehörden entdeckt und von ihnen aufgeklärt.

Zu Ihrer konkreten Frage: Aus den vom WDR eingesehen Akten der Stabsstelle ist zu entnehmen, dass sich ein Mitarbeiter der Stabsstelle in Form einer rechtsgutachterlichen Stellungnahme, die für den Ausgang des Verfahrens eine Rolle gespielt hat, an die zuständige Staatsanwaltschaft Köln gewandt hat.

Des Weiteren zu Ihrer zweiten Teilfrage: Mit der Vorlage 14/2534 hat mein Vorgänger im Amt, Eckhard Uhlenberg, dem damaligen Landtag einen Sachstandsbericht der Stabsstelle zur Kenntnis gegeben. Zum damaligen Zeitpunkt hat die Stabsstelle für den Zeitraum 2005 bis 2008 insgesamt 650 Fallakten mit konkreten Hinweisen, Amtshilfeersuchen oder Beratungen angelegt. Davon entfielen 152 Fallakten auf den Bereich des technischen Umweltschutzes – das sind die Abteilungen IV und V –, 128 auf den Bereich der Lebensmittelsicherheit sowie 370 auf den Bereich des Natur- und Artenschutzes.

Wie bereits in der Fragestunde vom 21. März 2018 erläutert, hat es in der 15. und 16. Wahlperiode bedauerlicherweise keine entsprechenden Tätigkeitsberichte an den Landtag gegeben.

Mit Blick auf das Jahr 2017, in dem ich die Amtsgeschäfte übernommen habe, ist festzuhalten, dass sich bis zum Zeitpunkt der Umgestaltung der Zuständigkeitsstruktur für Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität im Oktober 2017 aus dem Aktenplan ca. 64 operative Aktivitäten der Stabsstelle ergeben, von denen drei Fälle der Referatsleitung und Tagungsleitung, 45 dem Natur- und Artenschutz, elf dem technischen Umweltschutz sowie fünf dem Tierschutz zuzurechnen sind.

Mein Ziel ist es, die Bekämpfung der Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität zu stärken. Mit der vorherigen Struktur war dies zu dem Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße gewährleistet. Bei Amtsantritt der Landesregierung war die Stabsstelle faktisch nur mit einer Person besetzt.

Ich habe bereits gegenüber dem Landtag und der weiteren Öffentlichkeit deutlich gemacht, wie durch eine Umorganisation innerhalb des Ministeriums die Bekämpfung der Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität gestärkt wurde. Mit der Neuaufstellung mit mehr Personal und einer stärkeren fachlichen Anbindung sollen die Breite der Umweltkriminalität besser erfasst und die zuständigen Behörden bei der Aufklärung von Missständen besser unterstützt werden. Die Aufgaben der bisherigen Stabsstelle Umweltkriminalität werden unverändert wahrgenommen und wurden dementsprechend noch erweitert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze Föcking. – Für eine erste Nachfrage hat sich der Abgeordnete Dahm gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Dahm.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Zunächst stellen wir fest, dass in der letzten Fragestunde auf die Frage des Kollegen Deppe nach der Beteiligung der Stabsstelle im Fall von Shell und Envio geantwortet worden ist: keine Beteiligung. – Das ist der Grund der heutigen Fragestunde.

Wir stellen auch fest, dass die Ministerin auf meine Frage in keinster Weise geantwortet hat. Daher stelle ich erneut die Frage: Ist die Stabsstelle Umweltkriminalität, Frau Ministerin, im Fall Envio beteiligt gewesen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – So, wie Sie es sagen, ist es nicht korrekt. Auch diese Aussage stand im Zusammenhang mit der Frage, ob die Stabsstelle den Fall Envio entdeckt und aufgeklärt hat.

Erste Hinweise auf den Fall ergaben sich aber durch auffällige Befunde im Wirkungsdauermessprogramm des LANUV im Bereich des Dortmunder Hafens. Dieser Befund wurde der zuständigen Immissionsschutzbehörde mitgeteilt, was zu einer intensiven Quellensuche im Dortmunder Hafen führte. Diese Aussage wurde vom LANUV nur bestätigt, und darauf bezog ich mich in meiner Antwort. Der Fall Envio wurde nicht von der Stabsstelle entdeckt.

(Zuruf: Das war nicht die Frage!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat sich der Abgeordnete Stinka für eine Nachfrage gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Stinka.

André Stinka (SPD): Frau Ministerin, ich glaube, wir müssen nicht darüber aufgeklärt werden, welche Aufgaben die Stabsstelle Umweltkriminalität hat.

Noch einmal zur Einlassung des Herrn Kollegen Deppe: Er hat ganz deutlich herausgestellt, dass eine Beteiligung da gewesen ist. Deswegen würde uns noch einmal interessieren: Wie war die Stabsstelle Umweltkriminalität neben dem Fall Shell auch bei Envio beteiligt, und was heißt für Sie „Stabsstelle“?

(Bodo Löttgen [CDU]: Welche Frage soll sie denn beantworten? – Gegenruf von André Stinka [SPD]: Ich glaube, die Präsidentin leitet die Sitzung und nicht Sie!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, bitte. Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Herr Kollege Stinka, vielen Dank für die Frage. Ich habe dies ja soeben in meiner Vorbemerkung klargestellt. Die Frage des Kollegen Deppe bezog sich nach meinem Verständnis insbesondere darauf, welche Behörden und welche Bereiche für die Bekämpfung, Entdeckung und Aufklärung von Delikten zuständig sind.

Vor diesem Hintergrund ist auch meine Antwort in der Fragestunde am 21. März 2018 zu verstehen. Die Stabsstelle hatte ausweislich ihres Einrichtungserlasses von 2004 keine polizeilichen oder staatsanwaltlichen Befugnisse. Dies habe ich auch mit meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Deppe in der Fragestunde am 21. März 2018 deutlich gemacht.

Gleichwohl – das habe ich auch nie bestritten; ich habe das eben auch gesagt – hat die Stabsstelle in den 14 Jahren ihres Bestehens diverse, auch bekannte, Fälle – zum Beispiel Shell, Envio – begleitet. Selbstverständlich war die Stabsstelle auch bei diesen Fällen dabei, hat Materialien gesammelt und rechtliche Einschätzungen abgegeben. Aber beide Fälle wurden sachlich und federführend nicht durch die Stabsstelle Umweltkriminalität, sondern durch die zuständigen Umweltbehörden entdeckt und aufgeklärt.

(Zurufe von der SPD: Die Frage ist noch nicht beantwortet! – Fragen wir noch einmal!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Fragestellerin hat Frau Abgeordnete Düker das Wort. Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Frau Ministerin, Sie haben die Frage des Kollegen Deppe aus der Plenarsitzung am 21. März 2018 so dargestellt, dass es eine abstrakt-allgemeine Zuständigkeitsfrage war, welche Behörden welche Befugnisse haben.

Ich lese Ihnen die Frage einfach noch einmal vor:

„Frau Ministerin, in den Medien wurde behauptet, die Stabsstelle wäre an der Verfolgung und Aufklärung zahlreicher großer Umweltskandale in Nordrhein-Westfalen aktiv beteiligt gewesen. Als Beispiele wurden da etwa der Envio-Skandal oder das Kerosinleck bei Shell genannt.

Könnten Sie vielleicht einmal darstellen, inwieweit diese Behauptungen zutreffen und“

– jetzt kommt die Frage –

„welchen Beitrag die Stabsstelle in diesen Fällen geliefert hat?“

Hier geht es nicht um Entdeckung, also darum, ob die Stabsstelle es entdeckt hat. Es ist keine Ob-Frage, sondern die Frage, welchen Beitrag sie geleistet hat. Diese Frage haben Sie auch auf Nachfragen der Kollegen bis jetzt nicht beantwortet. Es geht nicht um allgemeine Befugnisse, sondern um den konkreten Beitrag der Stabsstelle.

Diese Frage stelle ich jetzt noch einmal: Welchen konkreten Beitrag hat die Stabsstelle in diesen beiden Skandalen geleistet?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich habe dieses, liebe Frau Kollegin Düker, soeben in meiner Vorbemerkung sehr deutlich klargestellt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Nein! Das ist doch unwahr!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Nachfragerin hat Frau Abgeordnete Beer das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Danke schön, Frau Ministerin, für die bisherigen Ausführungen. Ich habe in der letzten Woche noch einmal mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass Sie bezüglich der Tätigkeit der Stabsstelle Umweltkriminalität falsch informiert worden seien. Könnten Sie das bitte konkretisieren? Von wem wurden Sie wann genau wie falsch informiert?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Beer, da müssten Sie schon konkreter werden. Ich kann Ihnen da nicht folgen.

(Lachen und Zurufe von der SPD)

– Ich habe nicht gesagt, dass ich falsch informiert wurde.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Möchte die Abgeordnete Beer direkt konkreter werden? – Bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön. – Wenn es Ihnen so schwerfällt, die Frage, die ich eben gestellt habe: „Von wem wurden Sie wann genau wie falsch informiert?“, zu beantworten, frage ich Sie: Sind Sie bereit, dem Parlament den ursprünglichen Bericht des LANUV zur Verfügung zu stellen und dann Ihre Beantwortung danebenzulegen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich wurde nicht falsch informiert, und das habe ich in der vergangenen Woche auch nicht gesagt.

(Unruhe von der SPD – Zuruf von der SPD: Es wurde ja nach dem Bericht gefragt!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben in der letzten Woche den Informationsfluss zu Ihnen in dieser Angelegenheit dargelegt. Dabei haben Sie auch ausgeführt, dass Sie falsch informiert worden seien.

Auf welche Quellen haben sich Ihre Informanten bezogen, als sie Ihnen, wie Sie, Frau Ministerin, es sagen, Fehlinformationen zugeleitet haben?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Ich habe in der vergangenen Woche lediglich noch einmal gesagt, dass ich noch einmal eine Aktenübersicht haben möchte, nicht mehr und nicht weniger.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Nun hat Herr Abgeordneter Dahm für seine zweite Nachfrage das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Christian Dahm (SPD): Ich bin schon irritiert – Frau Präsidentin, das will ich einmal ganz deutlich sagen –, wie hier die Antworten der Landesregierung, der Ministerin ausfallen. Zu dem Informationsfluss werden wir das an anderer Stelle wiederholen. Dann will ich mal zum Kern der heutigen Fragestunde kommen.

Die Medien haben ja Akteneinsicht genommen. Danach war laut WDR die letzte Akte, die von der Stabsstelle angelegt worden ist, die Akte – ich zitiere –: Schweinehaltung Betrieb Schulze Föcking, stern tv, 12.07.2017.

Von daher die konkrete Frage, Frau Ministerin: Von wem wurde die Akte angelegt, und an wen wurde sie weitergeleitet?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Das ist mir nicht bekannt.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat für seine erste Nachfrage der Abgeordnete Rüße das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wirklich schlauer werden wir auch heute anscheinend nicht. Aber ich versuche es mal mit einer Frage.

Sie haben auch heute wieder gesagt, die Stabsstelle habe keine polizeilichen Befugnisse gehabt. Ich frage Sie, wer überhaupt jemals gesagt hat, dass die Stabsstelle polizeiliche Befugnisse hat.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Herr Kollege, der Eindruck wurde teilweise in der Berichterstattung vermittelt, sodass ich dieses einfach noch einmal klarstellen wollte.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für seine zweite Nachfrage hat nun der Abgeordnete Stinka das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

André Stinka (SPD): Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf die Organisation Ihres Hauses eingehen. Sie haben in der letzten Fragestunde zu verstehen gegeben, dass die Stabsstelle der Abteilung I zugeordnet sei. Seit 2012 ist aber immer der Staatssekretär des Hauses, also in Ihrem Fall Herr Bottermann, zuständig, der früher beim LANUV war. Der müsste Ihnen ja richtig berichtet haben.

Deswegen noch einmal die Frage: Wem unterstand denn nun die Stabsstelle Umweltkriminalität tatsächlich?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Zum Schluss war dies Herr Bottermann.

(André Stinka [SPD]: Zu welchem Schluss? – Weitere Zurufe von der SPD)

– Herr Bottermann.

(Lachen bei der SPD – Michael Hübner [SPD]: Jetzt müsst ihr klatschen!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Nachfragende hat Frau Abgeordnete Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Ministerin, Sie haben heute auch noch einmal ausgeführt, dass die Aufgaben der Stabsstelle weiter unverändert, so habe ich es mitgeschrieben, im Haus wahrgenommen werden.

Dazu findet sich im Ausschussprotokoll vom 21. März 2018 eine Bestätigung. Ich zitiere:

„Der Geschäftsverteilungsplan benennt künftig ausdrücklich Grundsatzfragen der Umweltkriminalität und des Umweltstrafrechts sowie die Unterstützung der Fachabteilung bei Straftaten gegen die Umwelt.“

Im Ausschussprotokoll vom 7. März 2018 werden Sie wie folgt zitiert:

„Man sei“

– also die Stabsstelle –

„faktisch in drei Abteilungen des Hauses vertreten.“

Wir haben uns den Geschäftsverteilungsplan Ihres Hauses angeschaut und lediglich in der Abteilung VI – Verbraucherschutz – beim Referat VI-3 überhaupt nur einmal das Wort „Umweltkriminalität“ gefunden, und zwar unter „Bewertung strafrechtlich relevanter Sachverhalte“.

Wir finden das im Geschäftsverteilungsplan nicht, was Sie uns hier mehrfach erklärt haben. Deswegen meine Frage: Wo, in welcher Abteilung, in welchem Referat wird diese Arbeit, so wie Sie gesagt haben, unverändert weitergeführt?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Düker, wir haben im Geschäftsverteilungsplan, dem aktuellen vom 20. März 2018, beispielsweise in Referat I-6 – Justiziariat, Dienstrecht – unter Abschnitt 5 allgemeine Rechtsfragen und unter Punkt 5.1 spezifische Fragestellungen aus den Bereichen der Abteilungen I bis IV. Spezifische Fragestellungen für den Bereich der Abteilungen V bis VIII finden Sie unter 5.2.

Wenn Sie weitergehen in das Referat III-4, finden Sie unter Punkt 15 die illegale Greifvogelverfolgung, unter Punkt 16 Grundsatzfragen zum Umweltstrafrecht inklusive Organisation und Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen.

Wenn Sie dann in die Abteilung VI weitergehen, finden Sie beim Referat VI-3 den Lebensmittelbetrug. Dann kommen Sie unter Punkt 13 auf den Hinweis: Bewertung strafrechtlich relevanter Sachverhalte.

Im Übrigen handelt es sich bei einem Geschäftsverteilungsplan lediglich um eine behördeninterne Regelung, die die funktionellen Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung regelt und keine Außenwirkung entfaltet. Es geht daher fehl, hieraus Ableitungen hinsichtlich meiner politischen Schwerpunktsetzung zu ziehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Fragestellerin hat Frau Abgeordnete Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Ministerin, danke für die letzte Antwort. Dann möchte ich konkreter fragen: Welche konkreten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Hause sind jetzt weisungsunabhängig mit Sachverhalten der Umweltkriminalität betraut?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Zunächst einmal, Frau Kollegin Beer, herzlichen Dank für die Frage. Ich bitte Sie aber um Verständnis dafür, dass ich aus Datenschutzgründen hier keine konkreten Namen nennen kann. Ich werde nicht anfangen, die einzelnen Mitarbeiter …

(Lachen von den GRÜNEN)

– Das mag Ihnen gefallen oder nicht. Ich möchte aber gerne etwas dazu sagen.

Als die Stabsstelle eingerichtet wurde, war sie im Jahr 2004 zunächst dem Abteilungsleiter I und dann dem Staatssekretär untergeordnet. Grundsätzlich – hier geht es um ein grundsätzliches Verständnis, Frau Beer – ist festzuhalten, dass die Abteilungen im Rahmen ihrer fachlichen Zuständigkeit eigenständig agieren.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Dahm die Gelegenheit zu seiner dritten und letzten Nachfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe nach wie vor die Hoffnung, dass ich auch eine Antwort bekomme. Ich will dann auch gezielt fragen, Frau Ministerin: Wann konkret kam es zu dem Entschluss, die Stabsstelle aufzulösen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Das ist schon ein längerer Vorlauf gewesen, im Übrigen auch schon unter der alten Regierung, wo es Fragestellungen dahin gehend gab.

(Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN – Kopfschütteln von Johannes Remmel [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Nachfrager hat Herr Kollege Mostofizadeh auf dem Platz von Frau Kollegin Paul das Wort. Bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Frau Ministerin, in der letzten Plenarsitzung hat Herr Deppe gefragt – ich zitiere –:

„Frau Ministerin, in den Medien wurde behauptet, die Stabsstelle wäre an der Verfolgung und Aufklärung zahlreicher großer Umweltskandale in Nordrhein-Westfalen aktiv beteiligt gewesen. Als Beispiele wurden da etwa der Envio-Skandal oder das Kerosinleck bei Shell genannt.

Könnten Sie vielleicht einmal darstellen, inwieweit diese Behauptungen zutreffen und welchen Beitrag die Stabsstelle in diesen Fällen geliefert hat?“

Daraufhin hat die Ministerin unter anderem Folgendes geantwortet:

„Auch für das gesamte weitere Verfahren gab es nach Angaben des LANUV in der gesamten Zeit keine Kontaktaufnahme zur und durch die Stabsstelle Umweltkriminalität.“

Würden Sie diese Aussage heute aufrechterhalten?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ja, aber ich würde sie vielleicht ein Stück erweitern, damit es gar nicht erst zu Missverständnissen kommt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann machen Sie es doch!)

– Das habe ich eben ausgeführt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie müssen antworten und nicht ich! Das ist doch eine Unverschämtheit!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächste Nachfragerin hat Frau Abgeordnete Brems das Wort. Bitte schön.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gerade gesagt, dass ein längerer Vorlauf zur Entscheidung der Abschaffung der Stabsstelle geführt hat. In einem ordentlich geführten Haus würde dazu gehören, dass es eine ordentliche schriftliche Ministervorlage gibt, wenn man eine Stabsstelle einrichtet oder eben auch abschafft. Deswegen meine Frage an Sie, ob es eine solche Ministervorlage gab und von wann genau sie ist.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Kollegin, es ging vor allem um eine Neuorganisation oder um die Möglichkeit, etwas fortzuführen. Im Übrigen ist dafür der Amtschef zuständig.

(Zuruf von der SPD)

Es gab dementsprechend auch Gespräche – insgesamt, gar nicht auf den Staatssekretär an sich bezogen, sondern auch mit dem Abteilungsleiter I, beispielsweise eine Woche, nachdem ich vereidigt wurde und ins Haus kam, ohne mein Wissen. Das war noch aus einem alten Auftrag aus der Vergangenheit.

(Horst Becker [GRÜNE] schüttelt mit dem Kopf.)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat das Wort auf dem Platz der Kollegin Steffens sitzend, die später noch dran ist, zunächst der Abgeordnete Becker. Bitte schön, Herr Abgeordneter Becker.

Horst Becker (GRÜNE): Danke. – Im Anschluss an die gerade gestellte Frage und die sogenannte Antwort würde ich gerne von Ihnen wissen, Frau Ministerin: In welcher Form genau wurde denn wann die Abschaffung der Stabsstelle durch die Hausführung in Auftrag gegeben?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Becker, gut, dass Sie noch einmal explizit nachfragen. Es ging um eine Weiterentwicklung vielleicht auch der Stabsstelle, wie diese arbeiten kann. Ob es eine Auflösung ist oder eine Umverteilung in die Abteilung, das kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass es im Vorfeld viele Diskussionen um die Stabsstelle auch mit Ihnen gab.

(Horst Becker [GRÜNE] schüttelt mit dem Kopf.)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat nun der Abgeordnete Wolf das Wort, der auch auf seinem Platz sitzt. Wunderbar. Bitte schön.

Sven Wolf (SPD) Ja, Frau Präsidentin, ich sitze auf meinem Platz. Vielen Dank.

Vizepräsidentin Angela Freimuth Es ist immer ganz schwierig, liebe Kollegen; Sie wissen das ja. Wenn wir Sie in der Fragestunde ordnungsgemäß aufrufen wollen und die Kolleginnen und Kollegen nicht auf ihrem Platz sitzen, fängt erst einmal das fröhliche Gesichtserkennen und ‑zuordnen an.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Wolf. Sie haben jedenfalls das Wort.

Sven Wolf (SPD): Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, dass die Stabsstelle eine gewisse Eigenständigkeit hatte; so habe ich mir das notiert. Zunächst war sie der Abteilung I und dem Staatssekretär unterstellt. Können Sie mir bitte sagen, welche Berichtspflichten der Stabsstelle es gab? Gingen die an den Staatssekretär oder auch an die Ministerin persönlich?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Es gab keine Pflichten.

(Sven Wolf [SPD]: Gar keine?)

– Es gab keine Pflichten.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Nachfragender hat der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort – das hat auch alles so seine Richtigkeit – für seine zweite und letzte Nachfrage. Bitte schön, Herr Kollege Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich sitze auch auf meinem Platz.

(Horst Becker [GRÜNE]: Streber! – Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin, § 12 des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen regelt unter dem Titel „Veröffentlichungspflichten“ – ich zitiere –:

„Geschäftsverteilungspläne, Organigramme und Aktenpläne sind nach Maßgabe dieses Gesetzes allgemein zugänglich zu machen. Die öffentlichen Stellen sollen Verzeichnisse führen, aus denen sich die vorhandenen Informationssammlungen und ‑zwecke erkennen lassen.“

Dem Organigramm, das Ihr Haus im Internet veröffentlicht hat, sind bis auf die Ebene des Mitarbeiters in der Vervielfältigungsstelle die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses namentlich aufgeführt. Deshalb spricht nichts gegen die Beantwortung der Frage der Kollegin Beer, die Sie eben aus vermeintlichen Datenschutzgründen nicht beantworten wollten und die ich deshalb wiederhole: Welche konkreten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses sind jetzt weisungsunabhängig mit Sachverhalten der Umweltkriminalität betraut?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Gerne lege ich Ihnen, wie hier im Plenum und im Ausschuss schon geschehen, dar, wie die Personalstruktur zur Bearbeitung von Delikten im Zusammenhang von Umwelt- und Verbraucherkriminalität nunmehr aussieht.

Die faktisch bei meinem Amtsantritt – das wiederhole ich zunächst auch noch einmal – bestehende Ausstattung der Stabsstelle mit einer Person wurde nun durch die Umstrukturierung gestärkt. Da ist das Referat Justiziariat mit Herrn Dr. Günther. Im Bereich Artenschutz gibt es den ehemaligen Stabsstellenleiter Herrn Hintzmann. Im Bereich Lebensmittelbetrug ist Herr Reulecke Fortes da.

Vielleicht sollte man ein Weiteres anführen. Wir decken in dem Bereich auch die bisherige Stabsstelle mit ab, wobei das Justiziariat die Auffangfunktion übernimmt. Diese Aufgabenverteilung ist entsprechend personell hinterlegt. Da das Justiziariat mit vier Juristenstellen versehen ist, ist bei Großschadensfällen oder großen Umweltdelikten eine besondere Handlungsfähigkeit gegeben, zumal einige dieser Personen auch in relevanten fachlichen Handlungsfeldern berufliche Vorerfahrungen haben. Wie bisher wird die Arbeit insgesamt durch alle Abteilungen unterstützt. Alle Mitarbeiter im Haus unterstützen selbstverständlich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD: Vielen Dank. – Frau Ministerin, laut WDR-Berichterstattung ist eine Akte „Schweinehaltung, Betrieb Schulze Föcking“ vorhanden. Es wurde, so haben Sie ausgeführt, nicht behauptet, dass die weitergereicht wurde. Aber Sie werden mir sicherlich die Frage beantworten können, wie und wer diese Akte zuletzt bearbeitet hat.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich vermute, der Leiter der Stabsstelle. Ich kann Ihnen dazu gerne erklären – ich schätze, dass darauf Ihre Formulierung zielt –: Von der Existenz dieser Akte habe ich erst im Nachgang der Presseanfrage, die unser Haus am 11. April erreichte, erfahren.

Es ist zeitlich wie inhaltlich völlig konstruiert, einen Zusammenhang zwischen der Auflösung der Stabsstelle, der Aufgabenverlagerung in meinem Haus und einer Akte, auf der mein Name steht, herzustellen.

Wie bereits schon vom WDR berichtet wurde, enthält diese Akte neben Zeitungsausschnitten sowie einigen weiteren Ausdrucken – darunter eine sogenannte WE-Meldung, in der eine Demonstration in Essen angekündigt wird und die ohnehin an das allgemeine E-Mail-Postfach des Ministeriums gerichtet war – nur eine E-Mail an den Staatssekretär mit einem Editorial aus einer juristischen Zeitschrift im Anhang.

Diese Mail war am 28. August 2017 und nicht wie berichtet am 25. Juli 2017 versendet worden. Am 14. August 2017, also genau zwei Wochen vorher, hatte bereits der Abteilungsleiter I meines Hauses dem Leiter der Stabsstelle in einem persönlichen Gespräch deren Auflösung und die Aufgabenverlagerung angekündigt.

(Christian Dahm [SPD]: Das habe ich doch eben gefragt! Das habe ich doch gefragt! – Gegenruf von Michael Hübner [SPD]: Da muss auch der Richtige fragen!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächstes hat Frau Abgeordnete Steffens das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Barbara Steffens (GRÜNE): Frau Ministerin, Sie hatten eben den Eindruck erweckt, dass schon die vorherige Landesregierung die Abschaffung der Stabsstelle geplant habe. Ich wüsste gerne, welche konkreten Vermerke und Überlegungen zur Abschaffung der Stabsstelle Ihnen von der vorherigen Landesregierung vorliegen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Es handelt sich hier um eine Personalakte. Wir können gerne direkt sprechen, aber die Personalakte können wir hier nicht offenlegen. Wir müssen prüfen, wie das datenschutzrechtlich ist. Das kann ich Ihnen gerne nachreichen. Aber ich glaube, der Kollege neben Ihnen müsste wissen, worum es geht.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat nun der Abgeordnete Rüße das Wort für seine zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte an der Stelle noch einmal nachhaken. Sie haben heute in der Fragestunde zweimal behauptet, die Vorgängerregierung habe die Auflösung der Stabsstelle vorbereitet oder auch geplant oder wie auch immer.

Sie haben sich jetzt damit herausgeredet, es gäbe einen Zusammenhang mit einer Personalakte, und deshalb könnten Sie das nicht offenlegen. Das scheint mir ein bisschen seltsam zu sein. Es muss ja andere Vermerke und Unterlagen gegeben haben, auf deren Grundlage Sie dann erkannt haben, dass die vorherige Landesregierung dies geplant habe. Ich bitte um konkrete Beantwortung.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rüße. – Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Beantwortung.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Kollege Rüße, Fakt ist, bei Amtsübernahme war diese Stabsstelle mit einer Person besetzt. Fakt ist, in der Vergangenheit gab es da einige bemerkenswerte Dinge, sodass man überlegt hat: Wie können wir die Stabsstelle Umweltkriminalität Bereich Verbraucherschutz wieder stärken und dem Bereich wieder mehr Gewicht geben?

Ich glaube, das ist in unser aller Interesse. Das wollen wir doch auch erreichen. Wir wollen keine Schwächung; wir wollen eine Stärkung. Das habe ich jetzt schon so häufig gesagt. Es geht nicht darum, nach hinten zu schauen, sondern es geht darum, nach vorne zu schauen und dem auf den Grund zu gehen, wenn im Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz etwas passiert. Genau dies sollte jetzt gestärkt werden. Das wird auch gemacht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächstes hat Frau Abgeordnete Paul das Wort für eine Nachfrage. Bitte schön.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich würde gerne an die Frage des Kollegen Mostofizadeh zu Ihren Aussagen am 21. März anknüpfen. Er hat Ihnen vorgehalten, dass Sie am 21. März gesagt haben:

„Auch für das gesamte weitere Verfahren gab es nach Angaben des LANUV in der gesamten Zeit keine Kontaktaufnahme zur und durch die Stabsstelle Umweltkriminalität.“

Dazu haben Sie gerade ausgeführt, dass Sie diese Aussage so aufrechterhalten, aber leicht erweitern würden. Nun wissen wir aus der Berichterstattung des WDR, dass die Staatsanwaltschaft Köln sehr wohl nahelegt, dass es einen intensiven Austausch gegeben hat. Was heißt also in diesem Zusammenhang Ihre Aussage von vorhin, ja, Sie stehen zu dieser Aussage, würden sie aber erweitern? Was bedeutet in diesem Zusammenhang „die Erweiterung dieser Aussage“?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! – Frau Kollegin, herzlichen Dank für die Frage. Es gab eine rechtliche Würdigung der Vorkommnisse bei der Firma Shell durch die Stabsstelle am 20. Februar 2013. Ob und inwieweit weitere Ermittlungen angestellt wurden und es weitere Impulse gab, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Fall liegt ja in der Vergangenheit. Wir haben alle die Landtagsberichte.

Aber das gilt auch für die Frage, welchen Anteil die Stellungnahme an der Bewertung der Staatsanwaltschaft hatte.

Insofern bleibt nur festzuhalten, dass die Stabsstelle den Prozess, der letztlich zu einer Geldstrafe führte, begleitet hat. Das bestätigte auch die Staatsanwaltschaft Köln im Beitrag der Sendung „Westpol“ am vergangenen Sonntag. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Die von großer Sachkunde getragene Stellungnahme der Stabsstelle war im Verfahren gegen die Shell-Raffinerie in Godorf zuträglich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich will auf eine Sache hinweisen. In unserer Geschäftsordnung steht, dass die Fragestunde 60 Minuten nicht überschreiten soll. Es haben sich aber jetzt noch der Abgeordnete Becker, die Abgeordnete Gebhard, der Abgeordnete Wolf, der Abgeordnete Vogt und die Abgeordnete Watermann-Krass zu Wort gemeldet. Ich möchte ihr Einverständnis voraussetzen und sagen …

(Zurufe)

– In der Geschäftsordnung steht: Die Dauer der Fragestunde soll 60 Minuten nicht überschreiten.

(Weitere Zurufe)

– Ich habe an der Stelle einfach einen Hinweis gegeben, damit wir die 60 Minuten nicht völlig überschreiten. Ich werde aber dennoch die Fragesteller aufrufen und die Frau Ministerin um Beantwortung bitten.

Herr Abgeordneter Becker, Sie haben als Nächster das Wort für eine Nachfrage.

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin, ich glaube, Sie legen die Geschäftsordnung an der Stelle falsch aus. Aber das werden wir noch zu klären haben.

Ich möchte gerne der Ministerin eine Fragen stellen. Die tierschutzrechtlichen Vorwürfe gegen Ihren Familienbetrieb wurden am 17. Juli 2017 bekannt. Nach der Berichterstattung wurde in einer Leitungsrunde vom 14. August die Auflösung der Stabsstelle besprochen wurde. Ich frage Sie jetzt: Kam es innerhalb dieser vier Wochen lediglich zu dem bereits zitierten E-Mail-Kontakt zwischen der Stabsstelle und dem Staatssekretär, oder gab es weitere diesbezügliche Unternehmungen der Stabsstelle?

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Dazu ist mir nichts bekannt.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ihnen ist sehr wenig bekannt! – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin hat die Frage beantwortet; der Abgeordnete Becker hat das kommentiert.

Es hat jetzt für ihre erste Nachfrage Frau Abgeordnete Gebhard das Wort. Bitte schön.

Heike Gebhard (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin …

(Unruhe)

– Ich möchte gerne von der Ministerin verstanden werden.

Frau Ministerin, Sie haben in der letzten Fragestunde, als dies schon einmal Thema war, zugegeben, dass Sie von den 600 Akten der Stabsstelle vor deren Auflösung keine Kenntnis hatten. Ich frage mich, wie Sie ohne diese Kenntnis zu einer seriösen Entscheidung kommen konnten, die Stabsstelle aufzulösen. Wäre es nicht richtiger gewesen, sich erst einmal damit vertraut zu machen und dann zu entscheiden?

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebhard. – Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Dies wurde auch mit dem Amtschef besprochen.

(Heike Gebhard [SPD]: Es wurde was?)

– Es wurde mit dem Staatssekretär, mit dem Amtschef, besprochen.

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es hat nun der Abgeordnete Wolf das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter Wolf.

Sven Wolf (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, in Ergänzung zu dem, was Sie gerade meiner Kollegin Gebhard geantwortet haben: Von einigen Akten hatten Sie aber Kenntnis. Sie haben ja gerade selber ausgeführt, erst im Nachgang hätten Sie von der Akte „Schweinehaltung Betrieb Schulze Föcking“ erfahren. Können Sie mir sagen, wann Sie davon erfahren haben?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, bitte.

(Zurufe)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas Ruhe. Dann können wir alle die Fragen und Antworten auch verstehen.

Frau Ministerin, bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Lieber Herr Kollege, wie ich eben schon ausgeführt habe, habe ich von der Existenz dieser Akte erst im Nachgang einer Presseanfrage, die unser Haus am 11. April erreichte, erfahren.

(Zurufe)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Vogt das Wort. Bitte schön.

(Christian Dahm [SPD]: Seid euch nicht zu sicher da drüben!)

Alexander Vogt (SPD): Frau Ministerin, es ging ja jetzt einiges hin und her, ob Sie falsch informiert wurden oder doch richtig informiert wurden durch das LANUV. Ich möchte noch einmal an die Frage von Frau Kollegin Beer anschließen. Sind Sie bereit, uns als Parlament den Bericht des LANUV zur Verfügung zu stellen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sie müssen es insofern konkretisieren, als Sie mir sagen müssen, welchen Bericht Sie konkret meinen.

(Zuruf: Den, den Sie zitiert haben! – Weiterer Zuruf: Es gibt nur einen Bericht!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Vogt, wenn Sie sich noch einmal eindrücken, dann würde ich das als Sachverhaltsklärung auch zulassen. Bitte schön.

Alexander Vogt (SPD): Frau Ministerin, Sie hatten gerade aus einem Bericht, der Ihnen durchs LANUV vorgelegt wurde, zitiert und anfänglich behauptet, Sie wären über die Arbeit der Stabsstelle falsch informiert und dann anscheinend doch richtig informiert. Das konnten Sie gerade nicht aufklären. Darum noch mal meine Frage: Sind Sie bereit, die Informationen, die Ihnen schriftlich durch das LANUV mitgeteilt wurden, uns als Parlament zur Verfügung zu stellen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Selbstverständlich, wenn Sie das meinen, was mir vom LANUV zugeschickt wurde. Den Bericht kann ich Ihnen gerne zukommen lassen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Es hat sich jetzt für eine Nachfrage Frau Abgeordnete Watermann-Krass gemeldet.

Annette Watermann-Krass (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, es gab keine Berichtspflicht, und Sie fordern sie auch nicht ein. Da stelle ich mir jetzt vor, bei der Abschaffung der Stabsstelle und der Verteilung auf verschiedene Ebenen: Wie dokumentiert sich denn der intensive Austausch zur Umweltkriminalität auf der Leitungsebene?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! – Herzlichen Dank, Frau Watermann-Krass. Wie auch schon in der letzten Fragestunde ausgeführt, werden wir uns die Auswirkungen dieser Umstrukturierung natürlich insgesamt noch einmal anschauen. Nicht nur das – wir begleiten das weiter. Wir lassen uns dementsprechend natürlich auch in Abständen berichten. Herr Staatssekretär ist in Absprache.

Aber es gibt jetzt nicht einen konsequenten Bericht. Den gab es in der Vergangenheit auch nie in der Weise, dass die Stabsstelle alle vier Wochen beispielsweise schriftlich dem Minister berichten muss. Wenn es konkrete Anlässe gibt, wissen die Mitarbeiter insgesamt im Haus, dass sie jederzeit zu mir kommen können, auch das. Aber der Staatssekretär ist natürlich auch im Austausch.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Fertig.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Entschuldigung.

(Michael Hübner [SPD]: Er hat applaudiert. Das hat Sie irritiert!)

– Herr Kollege Hübner, was mich gerade irritiert hat, sage ich jetzt gar nicht. Es waren Fragen der Geschäftsordnung. Das ist ja in unser aller Sinne. – Jetzt hat sich Herr Kollege Schmeltzer auf dem Platz von Frau Kollegin Lück für eine Nachfrage gemeldet. Bitte schön.

Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin, ich bin nur einen Sitz nach links gerutscht. Ich hoffe, das kann entschuldigt werden. – Nichts ist so gut organisiert wie ein Ministerium. Nichts funktioniert in einem Ministerium, wenn es nicht auf dem Dienstweg erfolgt – ohne Vermerke, ohne Vorlagen. Keine Entscheidung wird in einem Ministerium getroffen, wenn sie nicht auch mit dem Amtschef, so wie eben dargelegt, besprochen wurde. Schon gar nicht gehen in einem Ministerium aus der Personalaktenführung Landesregierungsaufträge hervor.

Von daher die Frage, Frau Ministerin: Woher nehmen Sie die Kenntnis, die Sie haben wollen, dass Ihr Amtsvorgänger diese Stabsstelle hat auflösen wollen? Antworten Sie bitte nicht wieder mit einer Personalakte! Das glaubt Ihnen kein Mensch.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Herr Kollege, es war sehr deutlich, dass es da einige Unruhen gab und dementsprechend Bedarf vorhanden war.

(Michael Hübner [SPD]: Was für Unruhen?)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank. – Es hat sich jetzt für ihre zweite und letzte Nachfrage Frau Abgeordnete Steffens gemeldet. Bitte schön, Frau Kollegin Steffens.

Barbara Steffens (GRÜNE): Frau Ministerin, ich wüsste schon gerne ganz klar und deutlich, ob die Entscheidung zur Auflösung der Stabsstelle eine Ministerentscheidung war – und wenn ja, in welcher Form. Denn durch das Weggehen einer Personalie oder durch die Umsetzung einer Personalie wird der Stellenplan nicht verändert, sondern dann besetzt man Stellen neu. War also diese Auflösung der Stabsstelle eine Ministerentscheidung?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Kollegin, ganz herzlichen Dank. Mir ging es darum, diesen Bereich zu stärken und deshalb auch im Haus entsprechend zu verankern, damit auch dieser gesamte Bereich in einer fachlichen Breite weiter getragen wird. Dies hat der Staatssekretär dementsprechend auch umgesetzt.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Eine Ministerentscheidung – ja oder nein?)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als nächster Fragesteller hat der Abgeordnete Löcker das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Carsten Löcker (SPD): Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin Schulze Föcking, ich möchte gerne anknüpfen an die Frage. Es ist jetzt durch Ihre Einlassung deutlich geworden, dass Sie keinen kompletten Überblick über den Stand der Arbeit der Stabsstelle hatten. So viel kann man ja heute schon feststellen. Deshalb heute noch einmal die Frage abschließend: Wie konnten Sie dann eine seriös tragbare Entscheidung über die Zukunft dieser Stabsstelle treffen?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Eine Stabsstelle, Herr Kollege, hat die Funktion, Aufgaben zu bündeln oder ein neues Thema aufzugreifen und fortzuentwickeln. Je nach Anforderung können Stabsstellen auch wieder aufgelöst und die Aufgaben in die Abteilungen verlagert werden, um sie thematisch breiter aufzustellen und die vorhandenen Personalressourcen verstärkter und flexibler einzusetzen. Dadurch können die wahrgenommenen Aufgaben in die Fachabteilungen integriert werden und meines Erachtens auch so in die DNA-Struktur des Hauses übergehen.

Fazit: Mit der durchgeführten Umorganisation konnten wir die Bekämpfung der Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität dementsprechend stärken. Im Umkehrschluss, wenn ich Ihren Ausführungen oder Ihren Überlegungen folgen würde, würde es vielmehr bedeuten, dass die Arbeit der Abteilungen im Hause nachrangig wäre, so sie nicht einer Stabsstelle zugeordnet sind.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächstes hat Frau Kollegin Brems die Gelegenheit zu ihrer zweiten und letzten Nachfrage. Bitte schön.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank dafür. Eigentlich versuchen wir ja immer, Ja-Nein-Fragen zu vermeiden. Ich mache es Ihnen jetzt noch einmal einfach und wiederhole die Frage von der Kollegin Steffens, die Sie wirklich ganz einfach mit Ja oder mit Nein beantworten können, und zwar, ob diese Entscheidung zur Abschaffung der Stabsstelle oder, wie Sie es nennen, zur Umorganisation nun eine Ministerentscheidung war oder nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank. – Hier auf diesem Stuhl erfolgt gerade die Übergabe.

(Heiterkeit – Beifall)

Sie begrüßen mich ja alle sehr freundlich, und da bin ich! F– rau Brems hat gerade etwas gefragt. Ich hoffe, Sie wissen noch, was, Frau Ministerin, und Sie antworten jetzt bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich verweise diesbezüglich auf die eben gemachten Ausführungen.

(Beifall von der CDU – Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Jetzt hat Herr Klocke sich noch einmal zu Wort gemeldet.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie will gar nicht Ministerin sein, macht ja auch nichts!)

Bitte schön, Sie haben das Wort, Herr Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, der WDR meldet, und zwar WDR online am 18. April – das ist eben auch schon angesprochen worden –: Eine der letzten Akten, die in der Stabsstelle angelegt wurde, trage den Titel „Schweinehaltung Betrieb Schulze Föcking“, stern TV und das Datum. Meine Frage an Sie lautet … – Das kann die CDU gerne kommentieren; Sie müssen ja sehr aufgeregt sein. Sie plaudern dazwischen, obwohl ich nur eine Frage stelle. – Wann ich meine Frage stelle, Herr Kollege, das überlassen Sie mir.

Ich frage jetzt: Inwieweit war die Stabsstelle Umweltkriminalität nach Ihrem Wissen in die Untersuchung der tierschutzrechtlichen Vorwürfe am Hof Schulze Föcking eingebunden, Frau Ministerin?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön, Sie haben das Wort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Auch das habe ich eben zu Beginn schon ausführlich erläutert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist eine Unverschämtheit, Herr Präsident!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Dudas, der auf dem Platz von Herrn Schmeltzer sitzt, hat noch eine Frage. Bitte schön, Herr Dudas.

Gordan Dudas (SPD): Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Schmeltzer, die er vor zwei Minuten gestellt hat, haben Sie von Unruhen im Ministerium gesprochen, um es mit Ihren Worten zu sagen. Könnten Sie bitte konkretisieren, welche Art von Unruhen Sie damit gemeint haben?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich habe nicht von Unruhen im Ministerium, sondern von Unruhen bezüglich der Stabsstelle gesprochen. Dabei geht es um eine Personalakte, und ich bitte Sie deshalb noch einmal um Verständnis. Der Kollege, der in Ihrer Landesregierung dem Haus vorgestanden hat, weiß gewiss, was ich meine.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind schon ein ganzes Stück über der Zeit, und zwar fast 18 Minuten, wenn ich es richtig sehe. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.

Es stehen noch Fragen aus, zunächst die

Mündliche Anfrage 15 

des Herrn Mostofizadeh von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Kollege, möchten Sie die Anfrage schriftlich beantwortet haben, oder soll sie in die nächste Fragestunde geschoben werden?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: In die nächste Fragestunde!)

Mündlich in der nächsten Fragestunde.

Ich rufe auf die

Mündliche Anfrage 16 

der Frau Kollegin Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Möchten Sie, dass die Frage schriftlich beantwortet wird, Frau Beer, oder soll sie in die nächste Fragestunde aufgenommen werden?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Geschoben!)

Mündlich in der nächsten Fragestunde.

Dann werden wir diese Fragen in der nächsten Fragestunde wieder aufrufen.

Ich rufe nun auf:

7   Wohnraummangel braucht mehr Wohnungen statt sozialen Wohnungsbau gegen Eigenheimförderung auszuspielen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/816

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen
Drucksache 17/2435

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2472

Nun ist die Aussprache eröffnet, und für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Schrumpf das Wort.

Fabian Schrumpf (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nur 45 % der Haushalte in Deutschland wohnen in den eigenen vier Wänden. In Nordrhein-Westfalen sind es knapp über 40 %. Für die Mieternation Deutschland sind diese Zahlen weder überraschend noch per se ein Problem. Gleichwohl träumen viele Menschen von Wohneigentum. Das hierfür jedoch aufzubringende Kapital stellt trotz historisch niedriger Zinsen eine nur schwer überwindbare Hürde dar.

Wer beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ein Haus oder eine Wohnung für den durchschnittlichen Preis von 250.000 € kaufen möchte, muss zunächst rund 28.000 € an Erwerbsnebenkosten bezahlen. Darüber hinaus verlangt die Bank für eine solche Finanzierung in der Regel mindestens 25.000 € Eigenkapital. Insgesamt muss der Käufer also Ersparnisse von mehr als 50.000 € aufbringen.

Da aber nur ein geringer Teil der Menschen in unserem Land über eine solche Summe verfügt, ist der weitaus größere Teil, insbesondere junge Familien, die vor der Eigentumsbildung stehen, faktisch von der Eigentumsbildung ausgeschlossen. Dabei ist Eigentumsbildung nicht nur ein wichtiger Baustein für die Altersvorsorge, sondern auch ein essenzieller Bestandteil der Vermögensbildung und letztendlich auch der beste Schutz vor Mietpreissteigerungen.

Wir als NRW-Koalition wollen die Menschen in unserem Land, insbesondere Familien mit Kindern, dabei unterstützen, diese Hürden zu überwinden und sich auf diese Weise den Traum von den eigenen vier Wänden zu verwirklichen. Wir wollen die Menschen in unserem Land, ob Familie, Single, Jung oder Alt, im Rollstuhl oder gehandicapt, stärken, selbstbestimmt nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue öffentliche Wohnraumförderung ist dazu ein wichtiger Baustein. Damit macht die NRW-Koalition den Weg frei für mehr Mietwohnungsbau und Eigentum.

Die Politik der Vorgängerregierung hingegen hat genau das Gegenteil bewirkt. Rot-Grün hatte die Eigentumsförderung fast vollständig vor die Wand gefahren. Weite Teile des Landes, insbesondere die ländlichen Regionen, waren von ihr sogar komplett ausgenommen. Diese ideologisch motivierte Politik war kein Beitrag zur Lösung des Problems – nein, sie war Teil des Problems.

Jetzt kann ich den Einwand der Opposition bereits hören, die Mittel der Eigentumsförderung seien in der Vergangenheit doch gar nicht vollständig abgerufen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, das ist erst einmal gar nicht so falsch. Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: Dies lag nicht etwa an fehlender Nachfrage, sondern schlichtweg daran, dass Sie die Förderkonditionen – ideologisch motiviert – bewusst unattraktiv gestaltet haben. Diesen Schuh müssen alleine Sie sich anziehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit der neu gestalteten Wohnraumförderung schaffen wir nun Abhilfe und werden dem Bedarf der Bürgerinnen und Bürger nach mehr bezahlbarem Wohnraum gerecht. Die Bereitstellung von mehr Wohnraum ist und bleibt ein zentrales Anliegen der NRW-Koalition. Wir verfolgen dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der die soziale Wohnraumförderung einschließt. Dabei sind die öffentliche Förderung von mietpreisgebundenem Geschosswohnungsbau und von Wohnungseigentum zwei Seiten derselben Medaille.

Durch die mit rund 4 Milliarden € neu gestaltete mehrjährige Förderung – übrigens entgegen der Falschmeldung der Opposition bei gleichbleibender Höhe der Landesmittel – erhalten Investoren am Wohnungsmarkt zudem Verlässlichkeit und Planungssicherheit, gerade für die kommenden Jahre.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Beckamp?

Fabian Schrumpf (CDU) Ja, gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Beckamp, Sie können zwischenfragen. Bitte.

Roger Beckamp (AfD): Vielen Dank, Herr Schrumpf. – Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag, dass mehr Grundstücke für Wohnungsbau und weitere Arten insbesondere durch Bauland in öffentlicher Hand in den Blick genommen werden sollen, was durchaus sinnvoll klingt. Sie haben dabei ja schon etwas Konkretes im Sinn. Die Frage für mich ist: Wo ist denn dieses Bauland verfügbar, und zu welchen Preisen soll es abgegeben werden? Zu Marktpreisen, das wäre ja derzeit auch ein Problem, oder zu vergünstigten Preisen gerade für sozialen Wohnungsbau? Gibt es dazu schon konkrete Vorstellungen?

Fabian Schrumpf (CDU): Wir haben in dem Antrag deutlich gemacht, was für uns zu einem Mehr an Wohnungsbau gehört. Da ist natürlich die Verfügbarkeitsmachung von Flächen ein wesentlicher weiterer Baustein.

Durch die mit rund 4 Milliarden € neu gestaltete mehrjährige Förderung, also mit gleichbleibenden Landesmitteln, wird Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die kommenden Jahre hergestellt. Die neu gestaltete Eigentumsförderung bietet in Kombination mit dem auf 15.000 € erhöhten Kinderbonus gerade jungen Familien eine Förderung, die diesen Namen auch verdient. Durch Tilgungsnachlässe werden wir zudem ideologische Beschränkungen in der Eigentumsförderung aufheben.

Als letzten, aber nicht minder wichtigen Punkt möchte ich auch das Thema „Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit“ aufgreifen und die jüngsten, auch bewusst falschen Behauptungen der Opposition klarstellen. Barrierefreiheit ist und bleibt für die NRW-Koalition ein wichtiges Anliegen. Die neue Wohnraumförderung wird daher dafür Sorge tragen, dass rollstuhlgerechter Wohnraum dort wirtschaftlich errichtet werden kann, wo auch ein entsprechender Bedarf besteht.

Wir nehmen aber Abstand von starren Quotenvorgaben, die unabhängig vom jeweiligen örtlichen Bedarf für ganz Nordrhein-Westfalen gelten. Wir senken weder Standards für barrierefreies Wohnen noch diskriminieren wir Teile der Bevölkerung. Ganz im Gegenteil: Wir machen Barrierefreiheit in der neuen Bauordnung sogar zum Mindeststandard. Unser pragmatischer Ansatz löst den dogmatischen Ansatz von Rot-Grün ab und vereint damit die tatsächliche Schaffung von barrierefreien und rollstuhlgerechten Wohnungen mit der Bezahlbarkeit von Wohnraum.

(Beifall von der CDU)

Wir leisten damit also sehr viel mehr für Barrierefreiheit und die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Diesen Weg werden wir nun konsequent weiter beschreiten und uns durch Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, sicher nicht davon abbringen lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schrumpf. – Die SPD-Fraktion wird nun von Herrn Ott vertreten.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Jahr 2011 gibt es 25.000 Wohnungslose mehr in unserem Land, so sagt unser Sozialminister Laumann.

Die Frauenhäuser platzen aus allen Nähten.

In den Behindertenwerkstätten, bei Veranstaltungen erlebt, sitzen Menschen mit Tränen in den Augen, weil sie sagen, dass sie keine Wohnung bekommen könnten, nicht nur, weil es sie nicht gäbe, sondern auch, weil sie wegen der geringen Einkommen auf dem Markt keine Chance hätten.

Für junge Familien in den großen Ballungsräumen ist sowohl die Miete als auch das Eigentum nicht mehr bezahlbar.

Seniorinnen und Senioren in unserem Land haben das Problem, dass sie nicht umziehen können, weil erstens barrierefreie Wohnungen fehlen und zweitens die Kosten für die alte Wohnung viel niedriger sind als die der neuen.

Studentinnen und Studenten können nicht unbeschwert lernen, jedenfalls dann nicht, wenn sie keine reichen Eltern haben.

Azubis in unserem Land, genauso wie viele Geflüchtete, haben im Grunde genommen kaum eine Chance, vernünftig wohnen zu können.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, jetzt die Realität der politisch Handelnden in Nordrhein-Westfalen: Im Bereich des geförderten Wohnungsbaus gab es eine Steigerung vom Jahr 2014 auf das Jahr 2015 um 35 %, im Jahr 2015 auf 2016 eine Steigerung um 67 %, und dann im Jahr 2016 auf 2017 ein Minus von 14,5 %.

Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, kann man nicht davon sprechen, dass alles gut ist, und sollte keinen windelweichen Antrag schreiben, sondern deshalb muss man die Offensiven, die Mike Groschek begonnen hat, fortsetzen.

Denn wir haben auch bei der Zahl der Baugenehmigungen das Gegenteil. Wir hatten im Jahr 2016 mit 66.000 Genehmigungen eine deutliche Steigerung und im letzten Jahr bei 52.482 ein Minus von 21 %.

Das Fördervolumen haben Sie großartigerweise auch abgesenkt, um 300 Millionen € gekürzt. In den Städten Gelsenkirchen, Herten, Herne und anderen haben Sie dafür gesorgt, dass durch die Absenkung der Mietstufen von drei auf zwei für schwierige Bestände Bestandsersatz nicht mehr möglich ist. Sie haben den Wohnungsbau dort abgewürgt.

Im Bereich der Eigenheimförderung setzen Sie auf ein Instrument, das im Bereich der Eigenheimförderung im sozialen Wohnungsbau überhaupt nicht funktionieren kann, weil es sich mit den Summen, die Sie anbieten, in den großen Ballungsräumen überhaupt nicht am Markt realisieren lässt, weil die Leute durch die Grundstücksfläche überhaupt nicht in die Lage versetzt werden, dort Eigentum zu erwerben. Außerdem sorgen Sie noch dafür, dass Sie bei der ganz normalen Wohnraumförderung bei diesen Bodenpreisen und den Baukosten sämtliche Mittel verpulvern.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was Sie gut gemacht haben, will ich auch sagen, und zwar, dass Sie die Modernisierungspauschalen im Bereich des geförderten Wohnungsbaus angepasst haben. Das ist vernünftig, das hilft den kommunalen Unternehmen, aber auch den Genossenschaften und den vielen anderen Playern.

Was aber nicht so weitergeht, ist, dass Sie versuchen, hier Symbolpolitik zu machen, weil Sie sich jetzt an den Fakten, wie unser Wohnungsmarkt aussieht, orientieren müssen. Dazu gehört, dass man nicht weiter sagen kann: Wir schleifen den Mieterschutz, weil wir so mehr Wohnungen bauen können. – Das Moratorium der Landesbauordnung war ein schwerer Fehler, weil er Verunsicherung in die Landschaft getragen hat. Den Schwerpunkt nur auf Haus & Grund und Dornieden, den ich übrigens sehr schätze, zu setzen, reicht schlicht nicht aus, wenn man in der Masse geförderten Wohnungsbau auch nach vorne bringen will.

Die Flächenpolitik, nämlich preiswerte Landesflächen herauszugeben, die wir mit unserer Gesetzesinitiative damals möglich gemacht haben, müssen Sie fortsetzen und massiv nach vorne tragen. Es kann nicht wahr sein, dass wir im letzten Jahr gemeinsam darüber gestritten haben, die Kommunen zu zwingen, beschleunigte Baugenehmigungen auszustellen, aber die Initiative, das Hamburger Modell nach einem Jahr auch durchzusetzen, also jetzt, ist nicht mehr da. Stattdessen wird gar nicht mehr davon gesprochen, die Kommunen in die Lage zu versetzen oder ihnen zu sagen, wenn sie nach drei Monaten keine Baugenehmigung ausstellen, dann ist das Vorhaben eben genehmigt.

Sie sorgen dafür, dass behinderten Menschen in diesem Land ins Gesicht geschlagen wird, weil sie keine Chance haben, eine Wohnung zu bekommen. Sie sorgen dafür, dass Frauen in Not gelassen werden, obwohl sie so dringend Unterbringung brauchen. Und Sie sorgen dafür, dass Kommunen weiterhin teure Hotels anmieten, damit sie die Geflüchteten unterbringen.

Was wir also brauchen, ist kein weiteres Herumreden um den heißen Brei, sondern das zu tun, was zu tun ist. Wir brauchen eine Flächenoffensive, und zwar die sofortige preiswerte Weitergabe der Flächen, die es gibt, die im Besitz des Landes sind.

(Beifall von Sven Wolf [SPD] und Arndt Klocke [GRÜNE])

Wir brauchen die dringende Aufforderung an die Kommunen, dort auch so zu handeln und nicht weiter für teuerste Preise Wohnraum weiterzugeben. Sonst fördern wir uns mit Bundes- und Landesmitteln kaputt. Wir können das gar nicht ausgleichen.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Baugenehmigungen nach drei Monaten bearbeitet sind, so wie es in Hamburg vorgemacht worden ist.

Wir müssen dafür sorgen, dass die Infrastruktur massiv mit geplant wird. Dafür brauchen wir Konzeptvergabe, damit man aus einer Hand die Dinge angehen kann.

Wir müssen die Wohnungsaufsicht verschärfen, um massive Fehlentwicklungen gerade in Teilen des Ruhrgebiets zu verhindern, um dann neue Bestände und neue Qualitäten zu sichern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Beckamp?

Jochen Ott (SPD): Bitte, eine Zwischenfrage von Herrn Beckamp.

Roger Beckamp (AfD): Vielen Dank, Herr Ott. – Auch Sie sprachen gerade das Thema „Bauland“ in der Hand des Landes an. Da frage ich mich genauso wie bei Herrn Schrumpf: Wo ist denn dieses Bauland, innerstädtisch vor allen Dingen? Hätten Sie dafür Beispiele? Denn es wäre ja gut, wenn es da wäre, wenn man es zur Verfügung stellen könnte. Gibt es dafür konkret Beispiele? Ist es wirklich das, was die Lösung bringt? Gibt es da genug?

Jochen Ott (SPD): Wenn Sie allein das Justizzentrum in Köln neu bauen und nur den alten Justizbereich sanieren, haben Sie für das Thema „Studententische Wohnungen“ auf einen Schlag schon Tausende von Wohnungen,

(Sven Wolf [SPD]: Ja!)

ganz zu schweigen von den wunderbaren Flächen in der südlichen Innenstadt, also unserer gemeinsamen Stadt, oder vom Mülheimer Hafen. Wenn man das natürlich zum höchstmöglichen Preis verkauft, dann kann man keinen geförderten Wohnungsbau machen. Aber allein in der südlichen Innenstadt, allein in Mülheim, allein im Justizpalast haben wir in der Stadt schon viele Möglichkeiten.

Ich weiß von den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Landesteilen, dass es überall Flächen des BLB, aber auch andere öffentliche Flächen gibt, die man einsetzen kann, und durch den Druck der Großen Koalition haben wir bei der BImA jetzt auch die Möglichkeiten. Die Landesregierung muss mit ihrer Kraft auch die Kommunen dazu bringen, endlich Flächen auf den Markt zu geben. Denn sonst wird es nicht funktionieren. Es wird einfach nicht funktionieren.

Deshalb komme ich abschließend dazu, nicht nur die Wohnungsaufsicht zu verschärfen und den Milieuschutz zu stärken, sondern ein Letztes zur Eigenheimförderung. Ich bin auch Teil einer jungen Familie, und ich habe auch Eigentum erworben. Es ist auch richtig, dass das passiert, und das will ich auch. Aber das ist eine Fördermaßnahme nicht im Bereich der sozialen Wohnraumförderung, sondern das muss von der Bundesrepublik Deutschland geschehen.

Dazu müssen Sie intelligentere Vorschläge machen, nämlich zum Beispiel dafür sorgen, dass der Eigenanteil endlich auch abgesichert wird, zum Beispiel von der NRW.BANK, sodass junge Familien, die den Eigenanteil nicht bringen können, weil sie keine reichen Eltern haben, es auch wirklich hinbekommen. Machen Sie doch einmal Vorschläge dazu!

(Zuruf von den GRÜNEN)

Oder lassen Sie uns dafür sorgen, dass im Rahmen von Konzeptvergaben genau diese Möglichkeiten geschaffen werden. Last, but not least: Sorgen Sie dafür, dass gerade im ländlichen Bereich Programme hinterlegt werden, die dafür sorgen, dass bestehende Immobilien durch neue Immobilien ersetzt werden können!

(Beifall von Sven Wolf [SPD])

Sonst bauen wir uns die Fläche zu und haben irgendwo Leerstände, weil die Bestände so alt sind, dass da kein vernünftiges junges Ehepaar einzieht.

Das sind intelligente Maßnahmen. Ich bin bereit, die zu unterstützen, weil ich glaube, dass in der Politik viele Dinge auch gemeinsam gehen müssen. Aber solche Blabla-Anträge, die sie heute hier gestellt haben, täuschen nur darüber hinweg, dass Sie schlechte Zahlen vorzulegen haben und in Ihrem ersten Jahr in der Wohnungspolitik nicht gut gearbeitet haben.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Herr Paul hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Jochen Ott [SPD]: Kollege Becker hat geklatscht! – Horst Becker [GRÜNE]: Ist ja nicht das erste Mal! – Jochen Ott [SPD]: Das zweite Mal! – Heiterkeit)

Stephen Paul (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Christdemokraten und Freie Demokraten schaffen mit unserer Ministerin Ina Scharrenbach ein positives Klima für den Neubau in Nordrhein-Westfalen. Dafür wählen wir, anders als Sie jahrelang, einen ganzheitlichen Lösungsansatz. Wir brauchen weiterhin die Förderung von Mietwohnraum, ja, aber eben nicht nur. Die öffentliche Förderung des mietpreisgebundenen Geschosswohnungsbaus und die Förderung von Wohneigentum gehören zusammen.

Werte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, lieber Herr Ott, das war ja mal eine ehrliche Bestandsaufnahme, die Sie nach jahrelanger rot-grüner Regierungszeit gerade gemacht haben. Die verzweifelten Wohnungslosen, die Studenten, die in der Schlange stehen auf der Suche nach einem Zimmer – ja, das haben Sie uns hinterlassen.

Mit Ihrem Antrag zeichnen Sie jetzt aber ein völlig verzerrtes Bild, gerade so, als wollten wir Mietwohnraum nicht mehr ausreichend fördern. Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Mietwohnraumförderung bleibt auch weiterhin allein in diesem Jahr bei über einer halben Milliarde Euro, bleibt der klare Schwerpunkt unserer öffentlichen Förderung.

(Jochen Ott [SPD]: Viel zu wenig!)

Es wird weiterhin nahezu siebenmal so viel für die Wohnraumförderung bereitgestellt als für die Eigentumsförderung. Weil das Programm über fünf Jahre läuft, können Kommunen und Investoren verlässlich planen. Das ist auch nicht selbstverständlich.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch albern!)

Außerdem können sich die Menschen darauf verlassen, dass zusätzliche Mittel aus Berlin exakt für die Förderung von neuem Wohnraum in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt werden.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es Ihnen vielleicht eher darum geht, Ihr parteipolitisches Spiel als innerlich zerstrittene Opposition hier zu betreiben, Stimmung bei den verzweifelten Wohnungssuchenden zu machen, die Sie nach langer Regierungszeit hinterlassen haben, als diese tatsächlichen Probleme im Land mal anzugehen.

Das Kernproblem ist doch, dass die Preise für Mietwohnungen immer weiter steigen, übrigens trotz Ihrer ach so tollen Mietpreisbremse.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP] – Sven Wolf [SPD]: Waren Sie in der Anhörung nicht dabei?)

Das ist ja auch ein beachtenswertes Eingeständnis des Scheiterns Ihrer Politik der Mangelverwaltung, die Sie hier mit Ihrem Antrag formulieren.

(Beifall von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum steigen denn die Preise? Warum stehen denn gerade die Preise in den großen Städten so sehr? Das ist ein ganz einfacher Marktmechanismus:

(Lachen von Jochen Ott [SPD])

Das Angebot an Wohnungen ist zu gering, und wenn wir es erleichtern, mehr Wohnraum zu schaffen, dann wird auch die Preisentwicklung gedämpft werden.

(Jochen Ott [SPD]: Dann sorgen Sie doch dafür!)

Deshalb ist der Kurs unserer Landtagsmehrheit, der neue Kurs, auch genau richtig.

(Sven Wolf [SPD]: Wohnraumförderung!)

Wir bekämpfen endlich wirksam den Mangel an Wohnraum, indem wir das Ausweisen von Bauland und das tatsächliche Bauen von Wohngebäuden in Nordrhein-Westfalen erleichtern. Mit dem derzeit in Beratung befindlichen Baurechtsmodernisierungsgesetz sowie den kürzlich von Wirtschaftsminister Professor Pinkwart vorgestellten Änderungen im Landesentwicklungsplan hat unsere Landesregierung bereits Meilensteine gesetzt. Zukünftig können die Kommunen endlich wieder leichter Flächen für die Bebauung ausweisen. Wir beschleunigen die Bauverfahren, indem wir Auflagen und Hürden abbauen, damit das Bauen wieder attraktiver wird.

(Sven Wolf [SPD]: Das war doch nie das Problem! Das ist doch Quatsch!)

Zu unserer Neuausrichtung der Bau- und Wohnungspolitik gehört auch die Eigentumsförderung – dazu stehen wir – als ein wirksamer Baustein, um mehr Wohnungen zu schaffen. Denn wir unterstützen damit gerade junge Familien dabei, den Schritt ins Eigenheim zu machen und endlich in die eigenen vier Wände zu ziehen. Das ist ein großartiges Ziel für viele junge Familien. Mit jeder jungen Familie, die in ihr eigenes Haus ziehen kann, wird gleichzeitig auch wieder eine Mietwohnung für eine andere Familie frei.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ott?

Stephen Paul (FDP): Nein. Schönen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine.

Stephen Paul (FDP): Die abgewählte rot-grüne Vorgängerregierung hat diese Eigentumsförderung systematisch zerstört.

(Jochen Ott [SPD]: Sie haben es nur noch nicht kapiert!)

– Mit Fragen abzulenken, bringt doch nichts. Machen wir doch einmal eine ehrliche Bestandsaufnahme der letzten Jahre.

(Jochen Ott [SPD]: Ja, machen Sie doch mal!)

Von den gerade bereitgestellten 80 Millionen € zuletzt sind noch 24 Millionen € abgerufen worden, aber nicht, weil der Bedarf nicht da gewesen wäre, wie Sie manchmal behaupten. Sprechen Sie doch mal mit den Mitbürgern, die auf der Suche nach einer bezahlbaren Immobilie sind! Ich will es hier einmal schonungslos offenlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Fördermittel sind nicht abgerufen worden, weil die abgewählte Regierung politisch gar nicht wollte, dass die Eigentumsförderung abgerufen wird.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Sie haben die Bedingungen mit Absicht so schlecht gestaltet, und Sie haben im Prinzip ausschließlich die großen Wohnungsbauunternehmen durch die Tilgungsnachlässe bevorzugt.

Wir sorgen wieder für Gleichheit in der Förderung – für den kleinen Ersterwerber genauso wie für die großen Wohnungsbauunternehmen.

Das gleiche Bild zeigt sich übrigens auch bei der Förderung von Bestandsimmobilien. Was haben wir denn da vorgefunden? – Völlig lebensfremde Förderbedingungen! Wer die Förderung in Anspruch nehmen wollte, um ein älteres Häuschen zu kaufen, der musste sich gleichzeitig verpflichten, das Gebäude schon beim Kauf nach neuesten energetischen Standards zu sanieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Förderbedingungen waren doch rein nach ideologischen Vorgaben gestrickt.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das war doch der völlig falsche Ansatz. Diese Häuser sind schon gebaut und stehen als Wohnraum zur Verfügung. Welcher junge Käufer, der eine Eigentumsförderung beim Land beantragt, hat denn so viel Geld, dass er neben dem Hauskauf direkt auch noch eine umfangreiche Sanierung mit bezahlen kann?

Die Antwort fällt ganz leicht: so gut wie niemand. Das ist auch die Erklärung, warum die Fördermittel nicht in Anspruch genommen worden sind. Sie haben damit jungen Familien in Nordrhein-Westfalen geschadet und manches mehr angerichtet; Sie haben ja selbst die Bestandsaufnahme gemacht.

Wir werden das jetzt ändern. Zu der neuen Förderung für das Wohnen in Nordrhein-Westfalen gehört auch eine starke und wirkungsvolle Eigentumsförderung. Das macht die NRW-Koalition von CDU und FDP.

(Beifall von der FDP, der CDU und Roger Beckamp [AfD]

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Paul. – Für die grüne Fraktion spricht nun der Fraktionsvorsitzende, Herr Klocke.

(Jochen Ott [SPD]: Das Schlimme ist, dass Sie es wirklich glauben! – Gegenruf von Bernd Krückel [CDU]: Ist ja auch richtig! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: Nein, das ist Quatsch! Das ist inhaltlicher Quatsch! In der sozialen Wohnraumförderung ist das Quatsch! In der Eigenheimförderung ist das richtig, aber das ist ein ganz anderes Instrument!)

– Herr Kollege Ott, Herr Klocke hat das Wort. – Bitte schön, Herr Klocke.

(Jochen Ott [SPD]: Entschuldigung, Arndt!)

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Jochen Ott, ich kann die Aufregung durchaus nachvollziehen.

(Jochen Ott [SPD]: Danke!)

Mal gucken, vielleicht kann ich es ein bisschen kanalisieren. Ich versuche es auch sachlich. Ich steige ein mit der Eigentumsförderung.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wir haben uns ja – jedenfalls diejenigen, die dort im Beirat sind – in der letzten Woche bei der NRW.BANK die Neuausrichtung der Eigentumsförderung angesehen. Ich bin, ehrlich gesagt, der Meinung, dass dabei ein paar vernünftige Ideen waren, die ausgearbeitet worden sind. Jetzt muss man erst einmal sehen, ob das greift.

Wenn das Argument, das von Herrn Paul und auch von Kollegen der CDU angeführt worden ist, stimmt, dass es eigentlich reihenweise – Zehntausende, Hunderttausende – Menschen gibt, die ins Eigentum wollen, dann müssten sie vor dem Hintergrund der angekündigten Tilgungsnachlässe und anderer neuer Fördermodalitäten gerade jetzt darauf anspringen. Ich bin gespannt.

Sie sind jetzt am Anfang Ihrer Regierungszeit, und es ist auch legitim, etwas auszuprobieren. Nur, wenn wir in zwei oder drei Jahren immer noch an diesem Punkt sind oder sich jedenfalls nur unwesentlich etwas geändert haben sollte, dann würde sich das, was Sie hier vorgetragen haben, als Ideologie herausstellen. Wir lassen das mal offen. Man kann nicht in die Zukunft gucken, und ich habe auch keine Kristallkugel, aber ich bin gespannt, was sich da entwickelt.

Herr Kollege Schrumpf, Sie haben eben der Opposition vorgeworfen, dass wir ideologisch getrieben Stimmung bei der Barrierefreiheit machen. – Ich würde Ihnen, ehrlich gesagt, wünschen, dass Sie in Essen demnächst mal vom VdK oder vom SoVD zu einer Podiumsdiskussion eingeladen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn das waren die Verbände, die in der letzten Woche mit einer großen Pressekonferenz und mit Aktionen auf die – aus ihrer Sicht – Versäumnisse im Bereich der Barrierefreiheit bei den jetzigen Planungen der Landesregierung hingewiesen haben.

Ich habe noch nicht einmal einen Tweet dazu veröffentlicht, und es gab keine Pressemitteilung der Grünen. Ich habe das natürlich in meinen Reden schon häufiger angesprochen. Aber wenn Sie das der Opposition vorwerfen, dann würde ich Ihnen wirklich mal eine solche Veranstaltung gönnen. Dann können Sie den anwesenden Vertretern der Behindertenverbände sagen, dass das mit dem fünften Stockwerk etc. – wenn sie da nicht mehr hinkommen – alles ideologisch getrieben ist. Ich bin gespannt, wie Sie darauf reagieren.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE] und Jochen Ott [SPD])

Nun zum Antrag der Regierungsfraktionen: Sie erwarten ja nicht, dass wir dem zustimmen, aber das hätten wir früher noch nicht einmal im Studierendenparlament vorlegen können. Das ist vom Text her – Fakten und Zahlen – derart unterkomplex!

(Sven Wolf [SPD]: Unterkomplex! Sehr schön!)

– Ja, es ist unterkomplex – definitiv! Sie unterstützen den Antrag der SPD nicht, weil er darauf rekurriert, was in den Jahren 2015, 2016 und danach mit Erfolgen in rot-grüner Regierungszeit gelaufen ist. Als Grüne würden wir sagen, dass es auf eine Fortschreibung ankäme, um das, was in diesen Jahren gelaufen ist, zu verstetigen und noch mal draufzusatteln.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])

Das wäre das wohnungspolitisch Richtige. Ich kann persönlich nachvollziehen, warum Sie es nicht machen wollen. Uns aber diesen Antrag vorzulegen, das ist wirklich ein starkes Stück.

(Beifall von der SPD und von Horst Becker [GRÜNE])

Hat das einer Ihrer Praktikanten geschrieben? Es ist wirklich eine Zumutung.

Nun zu den Inhalten: Auch da fehlt es an allen Ecken und Enden, zum Beispiel beim Thema „Bodenpreise“, das der Kollege Ott vorhin auch angesprochen hat. Erst in der letzten Ausschusssitzung bei der Debatte um die Grundsteuer war das Gegenstand. Darauf wird noch nicht einmal Bezug genommen. Die Beschaffung von Flächen, die Konversion von Flächen ist eine der zentralen Fragen.

(Sven Wolf [SPD]: Die Regierung wird es mal in den Blick nehmen!)

Wie kommen wir zu mehr Flächen im Wohnungsbau? Das wird überhaupt nicht angesprochen.

Frau Ministerin, wir sind zwar nicht mehr in der Fragestunde, ich hätte aber schon eine Nachfrage zu der letzten Ausschusssitzung. Sie haben dort unter Punkt 1 ausgeführt, dass es in den Städten des Ruhrgebiets keine Flächen für weiteren Wohnungsbau mehr gibt. Meine Fraktion hat das Wortprotokoll angefordert, ich könnte es auch wörtlich vorlesen. Ich kann das gern in der nächsten Ausschusssitzung machen; uns liegt auch der Tonmitschnitt vor. Sie haben ausgeführt, dass es in den Städten des Ruhrgebiets keine Flächen mehr dafür geben würde.

Weil ich neugierig war, habe ich direkt in der Wohnungsbauabteilung beim Regionalverband Ruhr die aktuellen Zahlen nachgefragt. Dort wurde mir geantwortet, dass es aktuell 3.530 ha Flächenreserven gibt. Wenn man sie nicht ändern würde, hätte man unter den jetzigen Modalitäten im Wohnungsbau –

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

also bei den jetzigen Förderbedingungen – ausreichend Flächen für die nächsten 23 Jahre. Aufgrund der jetzt vorhandenen Flächenreserven könnte man nach dem Bezugsrahmen des RVR 115.000 Wohneinheiten im Ruhrgebiet bauen.

Frau Ministerin, mich würde wirklich interessieren, wie Sie zu der Einschätzung in der letzten Ausschusssitzung gekommen sind. Wenn es denn nicht ideologiegetrieben ist, was Sie beim LEP machen, sondern wirklich den Hintergrund hat, dass Sie zusätzliche Flächen im Wohnungsbau organisieren wollen, wie kommen Sie dann bei diesen Zahlen zu der politischen Einschätzung, dass es im Ballungsraum Ruhrgebiet nicht ausreichend Flächen gibt? Oder würden Sie sagen – das ist ja auch eine Option –, dass die Zahlen seitens des RVR nicht stimmen? Das wäre auch eine interessante Information.

Ich komme noch einmal zur grundsätzlichen Neuausrichtung bzw. zur Frage der Verstetigung der Mittel.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, aber mit Blick auf die Redezeit.

Arndt Klocke (GRÜNE): Dann schließe ich eine letzte Frage an. – Die neue Große Koalition hat festgelegt, dass sie bei der Wohnraumförderung finanziell deutlich drauflegen will. Frau Ministerin, meine Frage an Sie lautet:

Bei den Zahlen bis 2022 gehen Sie von einer Verstetigung der jetzigen Mittel aus. Wie wollen Sie den notwendigen Wohnungsneubau, den die Bundesregierung, also die Große Koalition, im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, in Nordrhein-Westfalen konkret umsetzen und verbauen, wenn Sie nicht nur verstetigen wollen? Welche weiteren Förderprogramme und mehr Geld wollen Sie in die Hand nehmen, wenn das umgesetzt werden soll, was die Bundesregierung, an der die CDU ja maßgeblich beteiligt ist, festgeschrieben hat?

Das würde uns alle hier interessieren. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Beckamp.

Roger Beckamp (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schrumpf und Herr Paul haben vieles gesagt, was richtig ist, was wir genauso sehen. Die Klage über die Verschiebung der Gelder in Richtung Eigentumsförderung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Insofern war es aber zumindest bei Herrn Klocke ganz sachlich und eingängig, dass er sagte: Warten wir es doch erst einmal ab.

Bemerkenswert ist aber bei allen vier Vorrednern, dass sie wieder einmal nicht auf eines der wesentlichen Grundprobleme eingehen, den Elefanten im Raum wieder einmal nicht benennen. Natürlich muss die AfD das machen, völlig klar.

Vielleicht ist nämlich Ihre Kritik an der Eigentumsförderung nur ein Nebenkriegsschauplatz, eine Nebelkerze. Denn die Nachfrageseite hat enorm zugenommen, natürlich. Die Leute gehen in die Ballungsräume, in die Städte.

Im Antrag der SPD heißt es, von 2009 bis 2016 sei die Bevölkerung in NRW gewachsen. Das ist falsch. Es sind nicht einfach nur mehr Menschen da, sondern es gibt zum einen eine Binnenwanderung in die Städte, und es gibt zum anderen – das ist der wesentliche Punkt – eine massive Außenwanderung. Es kommen Hunderttausende Menschen nach NRW, all die, die sich noch nicht so lange hier befinden. Das sind auch die neuen Nachfrager auf dem Markt. Sie verschärfen das Wohnungsproblem ganz massiv.

(Beifall von der AfD)

Genau diese Menschen, von denen dann Asylanträge abgelehnt werden oder nicht, sind nachher die Nachfrager im Bereich sozialer Wohnungsbau. Es geht um die unteren und mittleren Einkommen. Genau da wird nachgefragt. Das schrumpfende Angebot an Sozialwohnungen – jedes Jahr 60.000 weniger – trifft auf ein stetig wachsendes Heer an Nachfragern. Das ist ein Problem. Das ist schlichtweg Realität und der Marktmechanismus, von dem Herr Paul gesprochen hat. Er hat es nur nicht benannt. Er hat „Marktmechanismus“ gesagt. Genau, dieser Markt wird von Ihnen völlig verzerrt.

Schauen wir uns das einmal an: 2016 waren es 200.000 Asylantragsteller. 2017 waren es über 50.000. Das sind genau die Leute, die nachher diese Wohnungen nachfragen und ganz überwiegend auch bekommen, finanziert von den Gemeinden. Das sind die Verdrängungseffekte.

(Jochen Ott [SPD]: Faktenfreie Rede!)

Wir müssen über Verdrängungseffekte reden, nicht nur bei der Essener Tafel oder anderen Tafeln, sondern genauso auf dem Wohnungsmarkt.

(Jochen Ott [SPD]: Faktenfreie Rede!)

– Das ist so. Sie können gerne dagegenhalten mit „faktenfrei“, aber das ist die Realität.

(Jochen Ott [SPD]: Nein!)

Mittlerweile erkennen das sogar SPD-Oberbür-germeister, zum Beispiel Herr Link in Duisburg. Er wehrt sich massiv gegen den Zuzug aus Osteuropa, weil er sagt, sie schaffen es eben nicht. Lesen Sie es nach! Das stand gerade in der Zeitung.

(Beifall von der AfD)

Fragen Sie ihn doch! Das ist doch Ihr Mann.

(Jochen Ott [SPD]: Lächerlich!)

Ganz problematisch wird es, Herr Ott – das wissen Sie als Kölner ganz gut, glaube ich –, wenn gleichzeitig Wohnheime, Massenunterkünfte leer stehen. In Köln stehen 1.700 Wohnungen einfach leer, weil man es den Leuten ja nicht zumuten kann, dass sie in Massenunterkünften untergebracht werden. Nicht zumutbar! Einer deutschen Familie, die keinen bezahlbaren Wohnraum findet, ist es aber zuzumuten, keine Wohnung zu finden. Das ist skandalös, was Sie betreiben.

Dann sagen Sie, der soziale Frieden sei bedroht. Das ist in der Tat so, denn offene Grenzen und Sozialstaat schließen sich aus. Es ist der soziale Frieden, den Sie zerstören, wieder einmal, und genau das trauen Sie sich nicht zu benennen – leider niemand eben.

Dann schreiben Sie auch noch in Ihrem Antrag:

„Die Soziale Wohnraumförderung des Landes dient der Wohnraumversorgung … Sie hilft denen, die der Hilfe bedürfen, und sie hilft dort, wo Hilfe gebraucht wird.“

Auch das ist blanker Hohn. Wenn wir überlegen, dass knapp 50 % der Wohnungen im sozialen Wohnungsbau fehlbelegt sind, dann bezeichne ich es als blanken Hohn, wenn Sie schreiben, dass das den Leuten hilft, die Hilfe brauchen. Das stimmt nicht.

Insofern: Da müsste man rangehen. Die Schwächsten werden von Ihnen leider immer nur noch weiter nach hinten geschoben. Sie sind eher nur für Familiennachzug, noch mehr Versorgungssuchende und verschärfen das Problem.

Insofern ist zumindest die Eigentumsförderung ein richtiger Weg, um Wohnungen freizuziehen. Das ist eine gute Idee. Wir stimmen für den Antrag der CDU. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Beckamp. – Nun spricht für die Landesregierung die Ministerin, Frau Scharrenbach.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es ist ja nicht der erste Antrag der SPD, den wir im Zusammenhang mit der sozialen Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen beraten. In einem der früheren Anträge haben Sie ja selbstkritisch festgestellt, dass in den vergangenen Jahren zu wenig gebaut worden ist. Diese Feststellung ist richtig

Wenn man in früheren Jahren zu wenig baut, dann führt das bedauerlicherweise irgendwann zu einer Multiproblemlage, die die Lösung nicht einfacher macht. Deswegen hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalens Ihnen gegenüber von Anfang an die fünf Probleme benannt, die wir mit Lösungen angehen.

Das ist als Erstes – das wissen Sie – der Flaschenhals der Grundstücksverfügbarkeiten.

Das ist zweitens die Fähigkeit der Kommunen, tatsächlich Bebauungspläne auf den Weg zu bringen.

Der dritte Bereich ist das Bauordnungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. Darüber werden Sie in der nächsten Woche beraten.

Das Vierte ist die Frage der Baugenehmigungen. Auch dazu haben wir im letzten Kommunal- und Bauausschuss sehr ausführlich Stellung genommen.

Mit der Eigentumsförderung, die wir Ihnen neu vorgelegt haben, haben wir seit dem 1. Februar 2018 in der Tat einen Paradigmenwechsel in der sozialen Wohnraumförderung vorgenommen, weil wir sozialen Wohnraum in allen Segmenten fördern, im Mietwohnungsneubau genauso wie beim Eigentum genauso wie bei dem Thema „Jung kauft Alt“, also junge Familien erwerben Bestandsimmobilien am Markt.

Der Kollege Paul hat schon darauf hingewiesen, dass wir eine Ihrer Restriktionen bei der Förderung von jungen Familien herausgenommen haben; denn das war einfach lebensfremd. Wenn eine junge Familie das Geld zusammen hat, um Eigentum zu erwerben, dann hat sie es eben nicht gleichzeitig, um dieses Eigentum, um diese Bestandsimmobilie an den neuesten energetischen Standard anzupassen. Das haben wir herausgenommen, weil wir sicher sind, dass sich die Familien dann, wenn sie wieder Geld zusammengespart haben, auch um die Energieeffizienz des Gebäudes kümmern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Ott?

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Bitte schön, Herr Ott.

Jochen Ott (SPD: Herzlichen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Könnten Sie uns noch einmal kurz erläutern, wie die Einkommensgrenzen im Bereich der sozialen Wohnraumförderung eigentlich aussehen? Das nur, damit wir das einschätzen können.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sie wissen, dass die Einkommensgrenzen im WFNG NRW festgelegt sind und alle drei Jahre im Zusammenhang mit einer Indexermittlung angehoben und verändert werden. Die nächste Erhöhung steht zum 1. Januar 2019 an. Das wissen Sie, und insofern darf ich Sie auf § 13 ff. in der Einkommensermittlung verweisen, wo die Anrechnung von Einkommen für die jeweiligen Einpersonenhaushalte und Mehrpersonenhaushalte unter Berücksichtigung von Kindern und schwerbehinderten Angehörigen entsprechend geregelt ist. Wenn Sie gestatten, darf ich Sie darauf verweisen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Jochen Ott [SPD] – Gegenruf von Bernd Krückel [CDU])

Herr Ott, Sie haben auf die Ergebnisse der Wohnraumförderung 2016 hingewiesen. Ich gebe Ihnen einfach noch ein paar Informationen; denn lesen können Sie ja selbst, Sie sind ja Abgeordneter.

(Zuruf von Frank Sundermann [SPD])

Sie wissen, dass es beim Ergebnis 2016, das Sie hier angeführt haben, Vorziehungseffekte gegeben hat. Und Sie wissen, dass das Ergebnis 2016 im Wesentlichen geprägt war von der sogenannten Richtlinie für Flüchtlinge, die noch die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat. Das heißt, es gab vereinfachte Anforderungen im Mietwohnungsneubau.

Wenn Sie das Förderergebnis 2017 im Hinblick auf die Flüchtlingsbauten bereinigen, dann werden Sie feststellen, dass im Mietwohnungsneubau 2017 im Vergleich zu 2016 landesweit nur 268 Wohneinheiten weniger gebaut wurden. Das Szenario, das Sie hier malen, trifft in der Analyse der Zahlen schlicht und ergreifend nicht zu. Wenn, dann müssen Sie am Ende auch Äpfel mit Äpfeln vergleichen.

Wir haben zugesichert, dass wir über die nächsten fünf Jahre bis 2022 pro Jahr mindestens 800 Millionen € in den sozialen Wohnungsbau stecken – mindestens! „Mindestens“ deswegen, weil wir natürlich gegenüber dem Bund darauf gedrängt haben, dass der Bund auch nach 2019 in der sozialen Wohnraumförderung finanziell aktiv bleibt. Das macht er, das hat Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der Bildung der Bundeskoalition verhandelt.

2021 kommt 1 Milliarde € hinzu, und der Anteil dieser Milliarde, der auf Nordrhein-Westfalen entfällt, wird in den sozialen Wohnraum gehen. Das haben wir Ihnen früh zugesagt, und diese Zusage halten wir, sodass das Minimum in Höhe von 800 Million € gewahrt ist und sogar entsprechend aufwächst.

Lassen Sie mich kurz auf Folgendes eingehen: Immer wieder wird die Frage nach dem Studentenwohnen vorgetragen. Auch das habe ich schon im Besonderen den Abgeordneten der SPD dargelegt. Sie haben es in den vergangenen Jahren versäumt, Studieren und Wohnen zusammenzudenken. Sie haben überhaupt keine Flächen für das Studentenwohnen an den Hochschulen vorgesehen. Somit müssen Studenteneinrichtungen am Markt mit anderen Investoren um Baugrundstücke konkurrieren. Das ist Ihr Planungsversäumnis, das wir gerade anzugehen und aufzuarbeiten versuchen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Gestatten Sie mir abschließend, auf die Fragen von Herrn Klocke einzugehen. „Flächenreserve“ – das wissen Sie auch – bedeutet am Ende nicht „tatsächlich bebaubar“. Sie wissen, dass insbesondere im Ruhrgebiet die Problematik und Herausforderung der Wiederbebaubarkeit von Brachflächen besteht. Das trifft uns im Besonderen im Ruhrgebiet – auch vor dem Hintergrund der geltenden bundesrechtlichen Regelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz in Verbindung mit der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm. Sie wissen, dass ich persönlich gegenüber dem Bund dafür werbe, dass man hier zu Erleichterungen kommt, um gerade die Innenverdichtung wieder zu heben.

In Bezug auf den Regionalplanentwurf Ruhr hatte ich ausgeführt, dass es im Zusammenhang mit der vorgelegten Entwurfsplanung, die erst demnächst kommt und sich in einem Vorstadium befindet, Städten nicht gestattet worden wäre – wenn wir nicht den Landesentwicklungsplan ändern würden –, neue Wohnbaupotenziale auszuweisen. Deswegen bitte ich Sie, die Audiodatei, die Ihnen vorliegt, noch einmal konkret anzuhören.

(Sven Wolf [SPD]: Was ist denn jetzt mit den Flächenreserven? Das müssen Sie noch mal erklären?)

– Herr Wolf, Sie müssen zuhören.

(Michael Hübner [SPD]: Er hat zugehört!)

Ich habe dem Kollegen Klocke doch gerade erläutert, dass eine Flächenreserve nicht bedeutet, dass die Flächen tatsächlich bebaubar sind. Und das, offen gesagt, wissen Sie auch.

(Sven Wolf [SPD]: Ach, das sind gar keine Flächen!)

Sie können diese Rhetorik lassen, weil Sie wissen, dass es stimmt, was ich in diesem Fall sage.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, es gibt noch eine Zwischenfrage von Herrn Ott, falls Sie die zulassen möchten.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Ott.

Jochen Ott (SPD): Danke schön, dass Sie auch diese Frage zulassen. – Sie haben noch einmal davon gesprochen, dass Sie den Landesentwicklungsplan anpassen wollen und dass auch der Flächennutzungsplan entsprechend angepasst wird. Können Sie vielleicht etwas zum Zeitplan sagen? Auf welcher zeitlichen Ebene befinden wir uns denn? Bis wann werden diese Dinge angepackt?

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sie wissen, dass sich die Landesregierung vorstellt – geäußert durch einen Kabinettsbeschluss –, über das Entfesselungspaket II zur Änderung im Landesentwicklungsplan zu kommen. Sie wissen, dass das auch hier im Plenum bereits mit Anträgen begleitet wurde und teilweise noch begleitet wird. Und Sie wissen auch, dass vor dem Hintergrund von Zeitplänen das Ganze Ausfluss in Regionalplanungen finden muss. Letztendlich befindet sich die Flächennutzungsplanung auf Ebene der jeweiligen Gemeinden. Das wissen Sie. Deswegen haben wir diese Kaskade der Umsetzung.

Herr Klocke, bitte gestatten Sie mir abschließend noch einen Hinweis zu Ihrer Anmerkung, dass wir mal gucken, wie die Eigentumsförderung läuft. Ich kann Ihnen schon jetzt im April sagen, dass sie besser läuft als das, was Sie im letzten Jahr und in dem Jahr davor an Ergebnissen erzielt haben. Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Jetzt warten wir erst mal ein Jahr ab!)

Wir setzen darauf, dass die modernisierte Förderung die Menschen in Nordrhein-Westfalen wirklich erreicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Es liegen nun keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/816. Der Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen empfiehlt in Drucksache 17/2435, den Antrag abzulehnen. Nun stimmen wir direkt über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung ab.

Wer stimmt dem zu? – Die SPD-Fraktion sowie Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU- und FDP-Fraktion, AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Gibt es nicht. Damit ist der Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 17/816 mit den Stimmen von CDU, FDP, AfD und den drei Fraktionslosen abgelehnt.

Ich rufe auf den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/2472. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – CDU und FDP stimmen zu, die AfD-Fraktion sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt gegen diese Entschließung? – Die SPD und die Grünen stimmen gegen die Entschließung. Gibt es Enthaltungen? – Wir sehen von hier oben keine Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/2472 mit den Stimmen von CDU, FDP, AfD und der drei fraktionslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell angenommen.

Ich rufe auf:

8   Für eine offensive Familienförderung in Nordrhein-Westfalen: Familienzentren evaluieren und weiterentwickeln!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2401

Für die antragstellende Fraktion der CDU hat zunächst Herr Kollege Kamieth das Wort.

Jens Kamieth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die NRW-Koalition hat ein klares Ziel: Wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen beste Chancen für alle bietet – für Groß wie für Klein. Das heißt ganz konkret: Nordrhein-Westfalen soll wieder ein Land für Kinder und für Familien sein.

(Beifall von der CDU)

Für die NRW-Koalition ist Familie an sich ein hohes Gut. Unsere Gesellschaft fußt auf starken Familien. Denn wir wissen alle: Der Familienverbund ist das verlässlichste soziale Netz. Hier werden Liebe, Geborgenheit und Werte vermittelt. Hier reifen Kinder und Jugendliche zu eigenständigen, selbstbestimmten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten heran. Familie ist für uns, wenn Kinder, Geschwister und Eltern – überhaupt Menschen im Familienverbund – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Zusammenlebens dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen

Meine Damen und Herren, ebenso vielfältig wie Familien selbst sind die wachsenden Herausforderungen im Familienalltag. Das ist auch der Grund, warum wir mit einer offensiven Familienförderung als Kernelement Politik für die Familien machen.

Lassen Sie uns an dieser Stelle gemeinsam zurückblicken:

Im Jahr 2006 wurde auf Initiative von CDU und FDP damit begonnen, Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren auszubauen. Sie erinnern sich: Nordrhein-Westfalen war damals das erste Bundesland, das Familienzentren flächendeckend einführte. Das war ein Vorstoß von Armin Laschet, damals Familienminister.

Diese Erfolgsgeschichte möchte die NRW-Koalition fortführen. Nordrhein-Westfalen soll durch die quantitative und qualitative Weiterentwicklung der Familienzentren wieder zu einem Leuchtturm für Familienfreundlichkeit werden.

Warum sind uns Familienzentren so wichtig? Familienzentren bieten vorbildliche Strukturen für die Vernetzung und Bündelung von niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfeangeboten für Eltern und Familien. Familienzentren sind erfolgreiche Präventionsmodelle, ermöglichen frühestmögliche Förderung der Kinder und tragen zu mehr Qualität bei der frühkindlichen Bildung bei. Und sie sind für eines unserer Ziele unverzichtbar, nämlich allen Kindern in unserem Land unabhängig von Herkunft und sozialem Status das Rüstzeug für ein selbstbestimmtes Leben mitzugeben und Aufstieg möglich zu machen.

Familienzentren sind aber ebenso unverzichtbar bei der Förderung der Erziehungs- und Bildungskompetenz der Eltern; denn die Eltern erhalten Angebote, die ihnen helfen, ihrem Erziehungs-, Beratungs- und Betreuungsauftrag in vollem Umfang nachzukommen und dabei berufliche Ziele weiterverfolgen zu können. Familienzentren tragen somit zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei.

Meine Damen und Herren, seit der Einführung der Familienzentren hat sich die Gesellschaft deutlich verändert. Genau aus diesem Grund haben wir mit den Kollegen von der FDP auch im Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen festgelegt, dass wir eine Evaluation der Familienzentren vornehmen werden, um daraus Erkenntnisse für den Ausbau und die qualitative Weiterentwicklung zu ziehen. Wir machen aber keine Politik über Köpfe hinweg. Diese Evaluation soll unter angemessener Beteiligung aller gesellschaftlich relevanten Partner erfolgen.

Wir sind der Meinung, NRW kann und muss familienfreundlicher werden. Lassen Sie mich hinzufügen: Wir wollen auch, dass NRW familienfreundlicher wird. Wir wollen, dass es wieder Vorbild für andere Bundesländer wird; denn das ist uns schlicht und ergreifend eine Herzensangelegenheit.

Wir sind überzeugt, dass Familienzentren unser Land familienfreundlicher machen. Deswegen und weil wir allen Eltern und Kindern, insbesondere aber benachteiligten Familien, gute Bildungschancen ermöglichen wollen, beabsichtigt die NRW-Koalition, im Kindergartenjahr 2018/19 bis zu 150 neue Familienzentren zu fördern. Damit sollen unsere Kommunen die Gelegenheit erhalten, mehr Familienzentren entsprechend dem sozialen und demografischen Bedarf in die Fläche zu bringen.

Es geht uns aber nicht nur um den quantitativen Ausbau, sondern auch um die qualitative Weiterentwicklung unserer Familienzentren. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Aufstellung, die Arbeit und die Ausrichtung unserer Familienzentren auf den Prüfstand zu stellen. Wir wollen wissen, wie wir die Wirksamkeit im Sozialraum sowie die personelle und strukturelle Ausstattung verbessern können. Dabei geht es um die Frage: Was ist tatsächlich nötig?

Hierfür werbe ich, bitte um Ihre Unterstützung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kamieth. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Familien sind vielfältig und befinden sind in stetigem Wandel. Deswegen brauchen wir eine Familienförderung, die genau das berücksichtigt, und zwar egal wie der finanzielle Hintergrund oder der soziale Status der Familien aussieht.

Es geht hier um Chancengerechtigkeit für jedes Kind in Nordrhein-Westfalen. Deswegen war das Jahr 2006, als erstmalig die Familienzentren als niedrigschwellige Ansprache an Familien eingeführt wurden, ein Meilenstein.

Lassen Sie mich diese Bemerkung machen: Das war insbesondere ein großer Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut. Meines Erachtens ist es viel zielführender, Familien auf eine niedrigschwellige Art und Weise zu erreichen, als das zum Beispiel mit dem rot-grünen KeKiz-Modell der Fall war, bei dem Sie zwar Präventionsketten vor Ort aufbauen wollten, aber ohne sie mit finanziellen Mitteln zu hinterlegen. Das wurde bei den Familienzentren von Anfang an anders gemacht. Man hat nämlich finanzielle und organisatorische Unterstützung geleistet.

Meine Damen und Herren, in Nordrhein-Westfalen haben wir ca. 3.500 Familienzentren, die die Familien bei Erziehung, Betreuung und Bildung unterstützen. 1.859 davon arbeiten als Einzelfamilienzentrum. Das ist schon eine große Leistung. Ich bin froh darüber, dass die amtierende Landesregierung zum nächsten Kindergartenjahr weitere 150 Familienzentren an den Start bringen wird.

Nun geht es darum, wie wir es im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, das Augenmerk auf die Themen „Qualität“ und „Quantität“ zu legen und eine Weiterentwicklung anzustreben. Ich bin sehr froh darüber, dass wir das in dieser Landesregierung tun. Denn leider hat Rot-Grün in den letzten Jahren die Debatte über eine Evaluierung verweigert, die gerade bei dem Thema „Familienzentren“ wichtig ist, weil wir schauen müssen, dass die Mittel auch zielgerichtet dort ankommen, wo sie benötigt werden, und die Familien auch tatsächlich unterstützt werden.

Deswegen geht es jetzt darum, gesellschaftliche Änderungen in die Debatte einfließen zu lassen: bei der Angebotsstruktur, dem bedarfsgerechten Ausbau, der finanziellen oder sozialräumlichen Ausstattung und der Vernetzung vor Ort.

Daher laden wir hier und heute auch die Opposition ein, sich an dieser inhaltlichen Debatte zu beteiligen, die Evaluation zu unterstützen und hinterher mit zu Qualitätsverbesserungen bei den Familienzentren beizutragen, weil alle davon profitieren, egal welche Familie, aber insbesondere diejenigen, die in unserer Gesellschaft am meisten Unterstützung brauchen.

Ich freue mich auf eine spannende Debatte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hafke. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Dr. Maelzer das Wort.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, so weit besteht zwischen der SPD und den regierungstragenden Fraktionen Einigkeit: Familienzentren leisten wichtige Arbeit.

Deshalb war es eine der ersten Maßnahmen der damaligen SPD-geführten Regierung, die Mittel für Familienzentren anzuheben und gerade dort, wo die Bedarfe besonders groß sind, mehr Einrichtungen zu schaffen und diese mit zusätzlichem Geld zu versehen. Das war und ist richtig. Daher muss sich auch in Zukunft die Verteilung der Familienzentren an einem Sozialindex orientieren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Anforderungen, die wir an Familienzentren stellen, sind hoch. Es geht um die gute und frühe Förderung der Kinder, aber auch um die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Familienzentren sollen bei der Qualifizierung der Tagespflege unterstützen, Betreuung in den Randzeiten übernehmen oder zumindest vermitteln oder sich bei der Sprachförderung engagieren.

Wenn Familienzentren alle diese Funktionen in der Praxis gleichrangig ausüben sollen, liegen die Anforderungen an uns als Gesetzgeber klar auf der Hand: Es geht weniger um Quantität; es geht darum, die Einrichtungen finanziell besser auszustatten und insbesondere die Leitungen von Familienzentren stärker zu unterstützen.

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, wenn Ihnen die Stärkung von Familienzentren so wichtig wäre, hätten Sie schon in diesem Jahr zu Verbesserungen kommen können. Die SPD-Fraktion wollte bereits in diesem Haushalt die Förderung der Familienzentren anheben. In einem ersten Schritt sollte der Zuschuss auf 15.000 € und in Stadtteilen mit besonderem Förderbedarf auf 16.000 € erhöht werden. CDU und FDP waren dagegen. Folgt man der Logik Ihres Antrags, ist auch im kommenden Jahr nicht mit einer Aufstockung der Mittel zu rechnen.

Welchen Beitrag leistet also der hier vorliegende Antrag, um die Bedingungen der Familienzentren zu verbessern? Wenn Sie ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, müssen Sie zugeben: Er leistet überhaupt keinen Beitrag.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dieser Antrag formuliert nicht einmal eine Idee, in welche Richtung es mit den Familienzentren gehen könnte. Er ist nur Show und ohne jegliche Substanz.

(Beifall von der SPD)

Der Landtag soll die Landesregierung auffordern, Familienzentren zu evaluieren. Die ganze Überflüssigkeit Ihres Papiers machen Sie aber selbst deutlich, wenn es heißt:

„Der Landtag stellt fest: … dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene Evaluation bereits in Auftrag gegeben wurde.“

Das ist schon erbarmungswürdig. Dieser Landtag ist jetzt fast ein Jahr gewählt, und bei diesem dünnen Papier handelt es sich erst um den zweiten Antrag zur Familienpolitik, den die regierungstragenden Fraktionen hier präsentieren. Schon der erste Antrag enthielt lediglich eine Aufforderung an die Regierung, das zu tun, was längst im Gange ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist traurig für ein so entscheidendes Politikfeld. Es ist auch traurig, dass Sie als Fraktionen nicht einmal den Anspruch haben, eine gestaltende Rolle in der Familienpolitik wahrzunehmen. Sie sind einfach nur froh, da zu sein.

Fast könnte der Minister einem schon leidtun. Es mit CDU und FDP zu tun zu haben, die ohne eigene Ideen und ohne eigenen Gestaltungsanspruch auftreten, erleichtert die Arbeit nicht wirklich.

Aber, Herr Dr. Stamp – wenn Sie mir zuhören wollen –, Sie können einem nur fast leidtun. Denn verhält es sich bei Ihnen so anders? In der jüngsten Sitzung des Familienausschusses mussten Sie eingestehen, dass die vorgesehene KiBiz-Revision nicht zum Kitajahr 2019/2020 stattfinden wird. Sie setzen stattdessen die Strohfeuerpolitik der Rettungspakete fort.

Schlimmer finde ich aber, Herr Minister, dass Sie weder hier im Hohen Haus noch im zuständigen Ausschuss bereit sind, Ihre Ziele für eine Gesetzesänderung zu nennen. Die SPD hat eine Sockelfinanzierung für unsere Kitas vorgeschlagen. Das wird von vielen in der Fachwelt geteilt. Wie steht die Landesregierung dazu? Kein Kommentar seitens des Ministers! Herr Stamp, wer eigene Ziele hat, sollte auch den Mut haben, diese zu benennen und dann dafür zu streiten, statt auf Hinterzimmergespräche zu verweisen. So setzt man sich nämlich dem Vorwurf der völligen Beliebigkeit aus.

(Beifall von der SPD)

Schweigen, um jeden Kompromiss als Erfolg verkaufen zu können – da sollten auch Sie an sich selbst einen anderen Anspruch haben.

Dass die regierungstragenden Fraktionen dafür kein guter Sparringspartner sind, stellt sich leider nicht nur beim Thema „Familienzentren“ heraus.

Eine Zustimmung der SPD zu diesem substanzlosen Papier können Sie nicht erwarten.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Über die gute Arbeit der Familienzentren und die wichtigen Ansätze, die dort in der Bündelung von Betreuung, Beratung und Familienbildung, aber auch als niedrigschwellige Anlaufstelle im Stadtteil für Alltagsfragen, Erziehungsberatung etc. vorhanden sind, besteht hier Konsens. Das halten wir jetzt einmal fest. Denn es ist für die Familien in Nordrhein-Westfalen schon einmal erfreulich, dass wir darüber Konsens haben.

Ich würde auch so weit gehen, zu sagen: Von der Einführung im Kitajahr 2006/2007 als Modellprojekte unter Schwarz-Gelb über das erste KiBiz-Änderungsgesetz unter Rot-Grün, in dem gesetzliche Grundlagen für die Förderung geschaffen wurden und die Mittel erhöht wurden, bis jetzt, wo wir wieder darüber diskutieren – das Erfreuliche daran ist doch, dass wir eine gewisse Kontinuität in dieser Hinsicht haben und sagen: Das ist ein wichtiger Beitrag zur Familienförderung in Nordrhein-Westfalen, und da müssen wir uns um die Weiterentwicklung kümmern. – Also halten wir doch als Erstes einmal diese Gemeinsamkeiten fest.

Sie formulieren in Ihrem Antrag die Notwendigkeit, die möglichen und sicher auch vorhandenen – Sie haben es ja gerade noch einmal gesagt, Kollege Hafke – Veränderungen, die sich seit 2006 ergeben haben, genauer in den Blick zu nehmen. Mit Blick auf den bedarfsgerechten Ausbau, die sozialräumliche Ausgestaltung sowie die finanzielle Ausstattung hat die rot-grüne Landesregierung – das hätte man wirklich auch einmal im Antrag erwähnen können, wenn Sie die Frage schon aufwerfen – durchaus etwas getan.

Ich habe gerade erwähnt, dass mit dem Kitajahr 2012/2013 eine verlässliche Grundlage geschaffen worden ist, dass die Mittel erhöht worden sind und dass die Verteilung nach einem Sozialindex erfolgt, damit die Unterstützung vor allem zu mehr Chancengerechtigkeit und mehr Chancengleichheit beiträgt.

Ich habe auch gehört, Kollege Hafke, dass Sie unterstrichen haben, dass das weiterhin ein wichtiges Ziel ist. Ich erinnere mich an die letzte Legislaturperiode, in der gerade die Verteilung nach einem Sozialindex von Ihnen durchaus immer wieder kritisiert worden ist.

Vor diesem Hintergrund ist meine konkrete Frage an den Minister, ob der Sozialindex auch zukünftig die Verteilungsgrundlage sein soll. Denn eines ist beispielsweise bei einer Anhörung zum Ende der letzten Legislaturperiode sehr deutlich herausgekommen: Die Träger und die Verbände machen sehr deutlich, dass im Zusammenhang mit der Frage, wohin die Mittel gehen sollen und wo sie am besten eingesetzt sind – Sie haben das Stichwort „Kinderarmut“ genannt –, die Qualität beim Ausbau eindeutig Vorrang vor der Quantität haben muss.

Die Weiterentwicklung der Familienzentren ist doch gut und richtig. Kollege Maelzer hat schon darauf hingewiesen, dass wir dann vor allem über die Qualität sprechen müssen. Das ist eine Frage der Finanzierung. Das ist aber auch eine Frage der Leitungszeiten und der Leitungsfreistellung, die wir da in den Blick nehmen müssen.

Im Gütesiegel „Familienzentrum NRW“ ist ja ein ganzes Bündel an Qualitätsanforderungen formuliert. Das ist auch gut und richtig so; denn diese Qualität brauchen wir, um Familien wirklich zu unterstützen. Aber es ist auch deutlich geworden, dass die Fördersumme von 13.000 bzw. 14.000 € jährlich für diese vielfältigen Anforderungen nicht auskömmlich ist.

Ich will noch einmal auf die Reihe der qualitativen Weiterentwicklungen von 2006 über das erste KiBiz-Änderungsgesetz bis jetzt zurückkommen. Wenn wir diese Weiterentwicklung konsequent miteinander fortsetzen wollen, wäre hier eine Verbesserung der Finanzausstattung sinnvoll und geboten.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU- und der FDP-Fraktion, wenn ich mir dann den Antrag anschaue, finde ich dafür leider auch nicht mehr so viele positive Worte. Vielleicht würde ich es nicht ganz so drastisch ausdrücken wie der Kollege Mälzer.

Aber zum Ende der letzten Legislaturperiode haben Sie noch einen Antrag eingebracht, zu dem wir eine große Anhörung hatten und mit dem Sie einen Ausbau um 300 neue Familienzentren gefordert haben. Jetzt sind Sie für das Kitajahr 2018/2019 bei 150 als Ausbauziel. Das ist ungefähr das, was auch die rot-grüne Landesregierung vorher hatte.

Das will ich gar nicht kritisieren; denn ich habe ja gerade gesagt, dass die Qualität Vorrang vor der Quantität haben muss. Ich finde es allerdings erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit Sie in der realpolitischen Wirklichkeit angekommen sind. In der Opposition haben Sie noch große Töne gespuckt, und nun sind Sie schon mit einem einfachen Weiter-so zufrieden. Also kann nicht alles unter der rot-grünen Landesregierung schlecht gewesen sein.

Sie sagen, es solle evaluiert werden, und die bei der Evaluation gewonnenen Erkenntnisse sollten in die Weiterentwicklung einfließen. Daraus schließe ich: Die Grundlage der Anerkennung der neuen 150 Familienzentren ist immer noch die alte. Denn die Ergebnisse dieser Evaluation sollen ja erst im Frühjahr 2019 vorgelegt werden.

Nun kommen wir auch wieder dazu, dass die selbst ernannte NRW-Koalition der Regierung vertraut. Das ist auch gut; das ist auch die Aufgabe einer Koalition. Wir als Opposition würden allerdings ab und an gerne mehr tun, als darauf angewiesen zu sein, der Landesregierung zu vertrauen. Wir hätten gerne Konzepte, über die man auch inhaltlich diskutieren kann.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wenn Sie hier davon sprechen, dass Sie uns zu einer Diskussion über Konzepte einladen wollen, frage ich mich, warum Sie eigentlich über diesen Antrag direkt abstimmen lassen wollen und ihn nicht in den Ausschuss überweisen wollen. Denn dort diskutiert man üblicherweise fachlich und im Detail.

Ich fasse den Inhalt Ihres Antrags einmal in meinen Worten zusammen. Es geht weiter wie bisher; denn eigentlich war es ja gar nicht so schlecht. Die Regierung arbeitet. Es ist schön, dass Sie das auch einmal festgestellt haben. Eigene Konzepte haben Sie als regierungstragende Fraktionen keine.

Daraus folgt für mich der Schluss: Notwendigkeit für diesen Antrag: keine. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Kollegin Paul. – Für die AfD hat nun Frau Dworeck-Danielowski das Wort. Bitte schön.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ist in mehrfacher Hinsicht merkwürdig oder, besser gesagt, schon ein bisschen peinlich.

Sie fordern die Regierung auf, die Evaluation der Familienzentren durchzuführen, und stellen gleichzeitig im selben Antragstext fest, dass die Regierung mit dem, was die Fraktionen jetzt von ihr fordern, schon längst begonnen hat.

Aber das ist nicht die einzige Merkwürdigkeit des Antrags.

Denn einerseits ist man sich sehr sicher, dass die unter der Regierung Rüttgers kreierten Familienzentren – ich zitiere – „ein zentrales Element der Politik für Familien in unserem Land sind“, „stabile Rahmenbedingungen“ geben und deshalb „im Kindergartenjahr 2018/2019 bis zu 150 neue Zentren an den Start“ gebracht werden sollen.

Andererseits wurde die Evaluation, die uns allen belastbare Erkenntnisse darüber geben würde, ob und wie die Familienzentren überhaupt wirksam sind und wo sie Vernünftiges leisten, gerade erst in Auftrag gegeben.

Wo wir gerade dabei sind: Wenn in den vergangenen zwölf Jahren 2.500 Familienzentren geschaffen werden konnten, ist die jetzt angestrebte Zahl von 150 zusätzlichen Einrichtungen nicht wirklich etwas, was uns vom Hocker reißen kann.

Gut; im Jahr 2019 wissen wir dann mehr. Bis dahin muss man sagen, wer auch immer diesen Antrag formuliert hat: Es war offensichtlich nicht sein bester Tag.

(Beifall von der AfD)

Unabhängig davon, dass der Antrag – meine Fraktion könnte es jetzt im Chor singen – handwerklich schlecht gemacht ist, enthält er wenig Streitbares. Ganz im Gegenteil! Wir dürfen hoffen. Für die CDU und die FDP ist die Familie nämlich ein Wert an sich. Alle Achtung! Bei der FDP hatte ich bisher immer den Eindruck, Familie müsse in erster Linie mit dem Beruf vereinbar sein. Wenn man sich beispielsweise die Debattenbeiträge von Ihnen vor allen Dingen auch in der vergangenen Legislaturperiode zum Thema „Familie“ durchliest, läuft es mir, ganz ehrlich, kalt den Rücken herunter.

Wir dürfen also gespannt sein, ob Minister Stamp der FDP ein neues familienpolitisches Profil gibt oder ob wir vom Familienministerium eher eine Familienpolitik à la FDP zu erwarten haben. Denn auch wenn die Familie für Sie ein Wert an sich ist und Sie immer wieder betonen, dass die Familie den Vorrang hat und alle weiteren Institutionen lediglich die Familie unterstützen, aber nicht ersetzen sollen, kommt wenig Neues.

Das permanente Kreisen um die immer mehr an Bedeutung zunehmende Fremdbetreuung verwundert auch keinen mehr. Kita, OGS, Familienzentren usw. haben schon längst nicht mehr nur die Aufgaben, die früher der Kindergarten oder eine Spielgruppe hatte. Die Bürger sollen dem Arbeitsmarkt möglichst flexibel zur Verfügung stehen – die Antwort: flexiblere Öffnungszeiten, mehr Fremdbetreuung. Soziale Ungerechtigkeit und das Durchbrechen von Leistungsbezieher-Dynastien – die Antwort: mehr frühkindliche Bildung, also Fremdbetreuung. Unkontrollierte Massenmigration mit der Folge, dass je nach Kommune weit über die Hälfte der Kinder zu Hause gar kein Deutsch spricht – die Antwort: Integration durch frühkindliche Bildung, also Fremdbetreuung.

Folglich haben wir den Eindruck, dass die Politik einer sozialdemokratisierten CDU und einer sich permanent vergrünenden FDP

(Lachen bei der FDP)

keineswegs die Fähigkeit der Familien stärkt, ihrem Auftrag aus Art. 6 des Grundgesetzes und Art. 8 der nordrhein-westfälischen Verfassung nachzukommen. In beiden Artikeln steht: Erziehung ist vorrangiges Recht, aber auch die Pflicht der Eltern.

(Beifall von der AfD)

Letztlich ist dieser Antrag ohne Substanz; das wurde schon gesagt. Da er von der Regierung etwas fordert, was diese längst beschlossen hat und unternimmt, missbraucht er das Parlament und uns Parlamentarier als Staffage in einem unwürdigen Spiel. Wir tun nur so, als würden wir ernsthaft und entscheidungsoffen einen Antrag beraten. Dafür sollte sich jeder Parlamentarier dieses Landtags zu schade sein. Wir von der AfD sind es allemal und lehnen diesen Antrag folglich ab. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Als Nächstem darf ich dem fraktionslosen Kollegen Herrn Pretzell das Wort erteilen.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein insgesamt bemerkenswerter Antrag, weil die Regierungskoalition offenbar der Überzeugung ist, dass ihre eigene Regierung ein bisschen Druck braucht – dann aber auch nicht zu viel Druck; denn alles, was Sie in diesem Antrag von der Regierung möchten, ist eigentlich, festzustellen, dass alles, was Sie seit 2006 angepackt haben, wunderbar läuft, dass die Evaluation bereits angestoßen ist und dass die Ergebnisse dieser Evaluation dann auch innerhalb eines Jahres einmal vorliegen könnten.

Meine Damen und Herren, das ist ein typischer Fall eines Schaufensterantrags, der eigentlich unnötig ist. Wenn Sie von Ihrer Regierung etwas haben wollen, reicht doch normalerweise, sofern Sie eine vernünftige Kommunikation haben, ein Anruf. Ich glaube, Minister Stamp macht dann etwas für Sie

(Zuruf von der SPD: Absolut!)

– absolut –, zumindest innerhalb eines Jahres. Das sollte möglich sein, meine Damen und Herren.

Wenn allerdings das Einzige, was Ihnen hier in Nordrhein-Westfalen zum Thema „Familienpolitik“ einfällt – Sie haben ja in einigen wohlformulierten Worten in diesem Antrag erklärt, wie sehr Ihnen das eine Herzensangelegenheit ist –, eine Idee aus dem Jahre 2006 ist, die von der rot-grünen Regierungskoalition dann in den Folgejahren fortgeführt worden ist und die Sie jetzt evaluieren wollen, ist das traurig für Nordrhein-Westfalens Familien.

Ich hoffe sehr, dass Sie vor allem in der Familienpolitik in Zukunft ein Credo berücksichtigen werden:

Ja, es gibt eine Reihe von Familien, die Unterstützung brauchen. Das tun Sie mit den Familienzentren zu Recht.

Es gibt aber auch eine ganze Reihe anderer Familien – das ist nach wie vor die große, große Mehrheit, auch in Nordrhein-Westfalen –, die vor allem eines brauchen: eigentlich nur das Recht und die Hilfe des Staates dabei, sich selbst um ihre Familien zu kümmern, und die Ruhe, das auch zu können. Die meisten Familien wären ganz glücklich, wenn sie von staatlicher Seite einfach in Frieden gelassen würden.

Dann kann man sich in den Familienzentren auf diejenigen konzentrieren, die diese Hilfe sicherlich gerne in Anspruch nehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Frank Neppe [fraktionslos] und Alexander Langguth [fraktionslos])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Pretzell. – Für die Landesregierung darf ich nun Herrn Minister Dr. Stamp das Wort erteilen.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pretzell, genau das machen wir ja.

(Zuruf von Marcus Pretzell [fraktionslos])

Das ist ja auch der Sinn und Zweck der Sache. Aber es gibt eben auch Familien, die die Familienzentren ganz dringend brauchen. Deswegen wollen wir sie zu wesentlichen Knotenpunkten in unserem Betreuungsnetz machen. Das ist für die Kommunen vor Ort wichtig, das ist für die Familien wichtig, und es hat sich bewährt. Ich bin froh, dass CDU und FDP damals den Mut gehabt haben, dieses Projekt auf den Weg zu bringen. Es ist eine einzige Erfolgsgeschichte, die wir massiv fortsetzen werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn es ist das wesentliche Ziel der Landesregierung, die Bildungschancen aller Kinder in Nordrhein-Westfalen unabhängig von ihrer Herkunft zu verbessern. Dazu müssen wir auch die Eltern mit in den Blick nehmen und ihre Erziehungs- und Bildungskompetenz stärken.

Genau das tun wir mit den Familienzentren. Sie haben bei der Förderung gerade auch junger Familien eine Schlüsselstellung. Aber wir wissen auch, meine Damen und Herren, dass sich Familien im Wandel befinden. Dementsprechend haben sich auch die Familienzentren weiterentwickelt.

Eine erste wissenschaftliche Begleitung hat den Familienzentren 2008 eine sehr gute Bilanz bescheinigt. Der Koalitionsvertrag sieht jetzt aber vor, dass wir eine erneute ergebnisoffene Evaluation durchführen, bei der es darum geht, den bedarfsgerechten Aufbau, die qualitative Weiterentwicklung und die Verbesserung der finanziellen Förderung zu klären. Diese Evaluation haben wir bereits in Auftrag gegeben. Sie wird durch einen Beirat begleitet und natürlich wissenschaftlich durchgeführt.

Wir brauchen einen guten Überblick über die Arbeit und die Wirkungsweisen der Familienzentren, eine genaue Analyse und Bewertung und dann natürlich auch die entsprechenden Empfehlungen für die weitere Entwicklung.

Selbstverständlich werden wir diese Evaluation auch hier im Landtag zur Verfügung stellen und mit Ihnen im Fachausschuss und auch gerne hier im Plenum diskutieren.

Ich darf mich auch herzlich für die konstruktiven Beiträge von Ihnen, Frau Paul, bezüglich der Weiterentwicklung unserer Familienpolitik bedanken. Wir sind da ja in einem guten, konstruktiven und oftmals – wie sich das für die Opposition gehört – kritischen Austausch. Ich glaube, das ist auch wichtig und richtig, damit wir hier einen Fortschritt erzielen.

Ich freue mich auch immer über Anregungen fachlicher Art von Herrn Maelzer. An dieser Stelle sei mir folgender Hinweis erlaubt: Die Idee eines Sockels ist keine sozialdemokratische Idee. Sonst hätten Sie sie ja in den letzten sieben Jahren umgesetzt.

(Beifall von der FDP)

Da hatten Sie ja Gelegenheit dazu. Wie Frau Paul mir versichert hat, ist das nicht an den Grünen gescheitert, sondern Sie haben letztendlich nicht den Mut gehabt, mit den kommunalen Spitzenverbänden in die Verhandlungen über eine Reform des Kinderbildungsgesetzes zu gehen. Sie haben das sieben Jahre lang nicht gemacht.

Wir tun das jetzt. Wir sind bereits in den Verhandlungen. Ich habe Ihnen auch zugesagt, dass wir Ihnen vor dem Sommer einen genauen Fahrplan dazu verkünden werden, wie es weitergehen wird. Wir werden in gut anderthalb Jahren das schaffen, was Sie in sieben Jahren nicht hinbekommen haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Maelzer?

(Minister Dr. Joachim Stamp: Nein!)

Vielen Dank, Herr Minister. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Daher sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag nicht zu überweisen, sondern direkt abzustimmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2401. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Das sind die SPD, die Grünen und die AfD. Wer enthält sich? – Das sind die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2401 in der eben festgestellten Art und Weise angenommen.

Ich rufe auf:

9   Schafhaltung in NRW erhalten – Weidetierprämie umsetzen!

Antrag
der Fraktion SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2391 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Grünen dem Abgeordneten Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schäferinnen und Schäfer in Nordrhein-Westfalen verdienen die Unterstützung unseres Parlaments. Das haben wir 2014 schon einmal mit einem Antrag klargemacht, und das wollen wir heute noch einmal klarmachen. Sie verdienen deshalb unsere Unterstützung, weil Schäferei einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leistet, weil sie die Tiere gut halten. Wenn man draußen Schafe sieht, ist das immer ein schöner Anblick.

Ein weiterer Aspekt ist gerade hier vor Ort nicht unwichtig: Mit der Schafbeweidung werden auch die Deiche gesichert. Insofern ist das auch ein Beitrag zum Hochwasserschutz.

Wir alle haben dieses Thema 2014 aufgegriffen und haben gesagt, dass wir etwas tun müssen, weil die Schafhaltung in ihrer Existenz bedroht ist. Wir wissen, dass seit 2000 die Hälfte der Schafe aus Nordrhein-Westfalen verschwunden ist. Viele schafhaltende Betriebe haben aufgegeben. Diese Entwicklung kann uns gemeinsam nicht ruhen lassen.

Wir wollen die Schafhaltung, weil sie über die Beweidung einen hohen Beitrag für die Artenvielfalt leistet. Beweidung ist nachgewiesenermaßen der beste Beitrag, um Grünland artenreich zu gestalten, um Vielfalt in der Natur herzustellen. Deshalb ist Schafhaltung ein wichtiger Punkt. Dummerweise bekommen die Schafhalter genau das in der Regel nicht über den Markt bezahlt. Daher brauchen sie unsere Unterstützung.

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder über das Insektensterben diskutiert und die Frage gestellt, was man denn gegen das Insektensterben tun kann. Alle zusammen haben wir gesagt: Wir wollen da etwas machen; wir müssen die Insektenvielfalt erhalten. – Dies ist eine Möglichkeit, um ganz konkret etwas zu tun, indem wir Schafbeweidung ermöglichen; denn das sorgt auch für Vielfalt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer sich mit Schäferinnen und Schäfern über die Probleme unterhält, die es in den Betrieben gibt, erfährt sehr schnell, dass sich viele Betriebe fragen: Wie geht es denn weiter? Wer übernimmt denn unseren Betrieb? – Das ist eine Debatte, die wir in der Landwirtschaft insgesamt führen, aber in der Schafhaltung in noch einmal gesteigerter Form. Wenn wir da keine neuen Perspektiven aufzeigen, werden wir es nicht schaffen, junge Menschen dafür zu begeistern, dass sie diesen Beruf ergreifen – oder wenigstens Schafhaltung im Nebenerwerb betreiben. Auch das kann ja ein Weg sein.

Ein wichtiger Einschnitt war die Agrarreform 2003. Darum kreist ja unser Antrag. Damals haben wir alle zusammen beschlossen, dass wir die Prämien entkoppeln wollen. Für die Schafhalter hieß das, dass die Prämien von den einzelnen Tieren weggenommen und insgesamt auf die Fläche umgelegt werden. Das war vielleicht noch für diejenigen Schafhalter in Ordnung, die in großem Stil über Fläche verfügten. Da gibt es natürlich immer auch ein paar Gewinner. Aber die Mehrheit der Schafhalter hat ganz klar verloren; denn viele Schafhalter verfügen nur über sehr wenig oder gar keine Fläche. In diesem Moment haben sie bei der europäischen Agrarreform einfach verloren und müssen seitdem auf diese Gelder verzichten.

Wir möchten deshalb, dass wir an dieser einen Stelle – wir halten die Entkopplung insgesamt nach wie vor für richtig; das war insgesamt ein richtiger Schritt, aber wir sind der Meinung, dass gerade im Punkt Schafhaltung der Schritt falsch war, weil wir da diese besondere Konstellation haben – einen anderen Weg gehen, und zwar den Weg, den mittlerweile 22 europäische Länder gehen, und die Prämie wieder an die Tierhaltung koppeln. Das möchten wir mit einer Weidetierprämie machen.

Wir möchten, dass wir dieses Signal aus dem Landtag heraus senden und sagen: Wir als Landtag von Nordrhein-Westfalen möchten die Schafhalterinnen und Schafhalter an der Stelle unterstützen. Wir wollen, dass wieder tierbezogene Prämien möglich sind, um den Betrieben die Existenz abzusichern.

(Beifall von den GRÜNEN)

An der Stelle will ich auch noch einmal klar sagen: Wenn sich die deutsche Bundesregierung hier weigert, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Wir haben diese Debatte intensiv geführt. Wenn es 22 andere Länder können, dann muss man sich als Bundesregierung doch mal überlegen, wer denn da falsch unterwegs ist. Das ist die Frage des Geisterfahrers. Wenn mir alle anderen entgegenkommen, dann bin ich vielleicht derjenige, der in die falsche Richtung fährt.

Deshalb fordern wir ganz klar die Einführung der Weidetierprämie. Wir finden, dass es ein Dankeschön an die Schäferinnen und Schäfer wert ist, dass sie sich mit der Petition auch so bemerkbar gemacht haben. Das ist Engagement. Ich finde es klasse, dass das so möglich war. Über 140.000 Unterschriften für eine Onlinepetition für Schafhaltung

(Beifall von den GRÜNEN)

ist beachtlich und zeigt, dass den Menschen hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland eine Menge an der Schafhaltung liegt.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss mit Ihnen zusammen und würde mich am Ende freuen, wenn wir da doch noch etwas Gemeinsames hinkriegen würden. – Vielen Dank.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die SPD hat nun Frau Watermann-Krass das Wort.

Annette Watermann-Krass (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitte des Monats standen mit Bock, Glocke und 120.000 Unterschriften die Schäferinnen und Schäfer vor unserem Landtag. Dort übergaben sie – Herr Rüße sagte das – die Petition „Schäferei retten“ an uns, an die Politik.

Darin beklagen sie den drohenden Untergang ihres Berufes und fordern eine Weidetierprämie. In dem Zusammenhang begrüße ich den Geschäftsführer Herrn Schenk und den Berufsschäfer Herrn Golz hier auf der Zuschauertribüne. Morgen werden sie, so habe ich der Petition entnommen, die mittlerweile 150.000 Unterschriften der Petition an die Bundeslandwirtschaftsministerin Frau Klöckner auf der Agrarministerkonferenz in Münster überreichen. Ich rechne damit, dass ihr Anliegen, das sie vorgetragen haben, auf Bundes-und Länderebene morgen behandelt wird. Wir werden im Protokoll nachschauen, was es gegeben hat.

Welche hohe Bedeutung die Schafhaltung für uns in Nordrhein-Westfalen hat, können wir täglich erleben. Wir können das aus dem schönen Panoramafenster hier im Landtag heraus sehen: die großen Schafherden auf den Rheinwiesen, umringt von Hunden, mit einem Schäfer oder einer Schäferin, und welche hervorragende Deichpflege da vonstattengeht.

Die Schafe befestigen durch ihre Tritte den Boden, halten die Grasnarbe kurz und tragen dadurch auch noch zur Artenvielfalt bei. Besser geht‘s nicht. Schafe sind also willkommene Helfer des Umweltschutzes und der Natur. Sie sorgen für den Schutz von Pflanzen und Insektenarten und auch für die Produktion von Wolle und hochwertigem Fleisch. Das sind Leistungen der Schafhalter, die es wert sind, erhalten und auch gefördert zu werden, zumal dies auch noch so geschieht, wie wir uns Tierhaltung vorstellen, nämlich sehr artgerecht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

– Danke für den Applaus der Grünen.

Doch leider haben die Zahl der Betriebe und auch die Zahl der Schafe in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren massiv abgenommen. Der Grund ist, dass die wirtschaftlichen Perspektiven für diesen Beruf immer schlechter werden. Eben wurde schon darauf hingewiesen: 2003 gab es diesen Einschnitt für die Schafhaltung durch die Agrarreform. Die damit verbundene Umlegung sämtlicher an die Tierhaltung gekoppelten Flächen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche hatte zur Folge, dass gerade die Schafhalter oft überhaupt keine Prämien mehr erhalten, weil sie über keine oder nur ganz geringe Flächen verfügen.

Wir haben deshalb bereits in der vergangenen Wahlperiode im Jahr 2014 hier an dieser Stelle über die Zukunft der Schafhalter in Nordrhein-Westfalen gesprochen. Wir waren uns einig wie selten zuvor mit einem großen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, dass etwas geschehen muss, um diesen ehrenwerten, traditionsreichen und wichtigen Berufsstand zu retten. Vielleicht gelingt uns das mit diesem Antrag ja auch.

Insgesamt 22 europäische Mitgliedsstaaten fördern ihre Schäfer mit rund 500 Millionen € im Jahr. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist die Weidetierprämie das beste Mittel für den Erhalt der extensiven Weidetierhaltung. Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, das auf eine Weidetierprämie verzichtet. Das möchten wir mit diesem Antrag ändern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Schafhalter sind innerhalb des EU-Agrarsub-ventionssystems klar benachteiligt, obwohl deren hohe ökologische Leistung überall anerkannt ist. Die Einführung einer Weidetierprämie ist eine Chance, die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Schafhalter zu sichern und deren ökologischen Mehrwert zu erhalten.

Deswegen noch einmal: Wir fordern die Landesregierung mit diesem Antrag dazu auf, sich auf der Bundesebene für eine effektive Unterstützung der Schäferinnen und Schäfer stark zu machen. Wir fordern ganz klar: erstens die Einführung einer Weidetierprämie, die sich übrigens aus EU-Mitteln finanzieren lässt, zweitens, die Förderung der extensiven Weidehaltung im Rahmen der Agrarumweltmaßnahmen stärker auszubauen, und drittens, die Schafzucht und Schafhaltung mit Landesmitteln angemessen zu unterstützen.

Generell gilt in der Agrarpolitik, die Interessen der Schafhalterinnen und Schafhalter immer mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Sie leisten eine immens wertvolle und wichtige Arbeit. Ich hoffe, die Agrarministerkonferenz von Bund und Ländern kommt in dieser Angelegenheit voran und kann den Schäferinnen und Schäfer eine Perspektive aufzeigen.

Appell am Schluss: Vielleicht gelingt es uns wie 2014, diesen Antrag gemeinsam auf den Weg zu bringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke schön, Frau Watermann-Krass. – Für die CDU hat Herr Abgeordneter Deppe das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir würden unsere Landschaft in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Deutschland und Europa nicht wiedererkennen, wenn die Schäfer keine Schafe und Ziegen halten würden. Ich glaube, das ist vielen von uns nicht so bewusst. Aber das, was die Schäfer mit ihren Tieren leisten, ist für uns alle wichtig. Denken Sie an die Deiche! Das ist eben schon erwähnt worden.

(Beifall von der CDU)

Die Sicherung der Deiche funktioniert mit Schafen am besten. Denken Sie an die Flussufer – meine Vorrednerin hat es eben erwähnt –, hier bei uns in Düsseldorf, aber natürlich an allen anderen Gewässern in Nordrhein-Westfalen auch. Denken Sie an die Senne. Die Sennelandschaft wäre nicht so erhalten, wenn wir sie nicht mit Schafen und Ziegen beweiden würden wie andere Heideflächen in Nordrhein-Westfalen, wie unsere Truppenübungsplätze. All das sind Orte, wo die Tiere und die Tierhalter ganz wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllen.

Meine Damen und Herren, Schafe sind seit jeher – nicht erst in den letzten zehn, 20 Jahren, sondern seit Jahrhunderten – im Grunde Resteverwerter – Resteverwerter von Futtermitteln, die anderweitig nicht eingesetzt werden können, Resteverwerter von Ernteresten, sie weiden Zwischenfrüchte ab, sie weiden Gras ab, das zu sehr gewachsen ist, um der Grasnarbe ein vernünftiges Überwintern zu ermöglichen.

Schafe beweiden auch Restflächen, die anderweitig nicht genutzt werden können. Einige habe ich eben erwähnt; wir könnten noch weitere erwähnen – Dünen, Deponieflächen, kleinere Restgrundstücke, die sich heute für eine moderne Landwirtschaft nicht eignen.

Das Problem ist, dass Resteverwertung in unserem Land wenig ertragreich ist. Das ist, glaube ich, unbestritten. Das ist auch kein spezifisches Problem der Schafhaltung. Trotzdem ist sie zwingend notwendig. Wir können es uns nicht leisten – ich habe es eben an den Beispielen aufgezeigt –, diese Reste nicht zu verwerten, nicht zu nutzen. Deshalb ist die Aufgabe, die Schäferinnen und Schäfer erfüllen, für uns gesellschaftlich unverzichtbar. Und das wird, glaube ich, auch in diesem Hause von niemandem infrage gestellt.

Die Entlohnung ihrer Arbeit über die reinen Produkte ist aktuell nicht zu gewährleisten. Das ist übrigens keine Besonderheit. Die Entlohnung hat sich aufgrund der Vielfältigkeit der Schafhaltung im Laufe der Geschichte geändert. Die Zeiten, in denen man mit Wolle seinen Ertrag erzielt hat, sind lange vorbei, aber es hat sie mal gegeben. Dann hat sich das in Richtung Lammfleisch weiterentwickelt. Auch da stagniert der Markt. Die Lammfleischpreise steigen übrigens in Deutschland. 5,58 € geben die Fachzeitungen an. In der Osterzeit gab es tolle Ergebnisse, aber sie reichen nicht aus. Deshalb gewinnt die Landschaftspflege immer mehr an Bedeutung.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion ist der festen Überzeugung, dass die Schaf- und Ziegenhaltung über die Markterlöse und die Flächenprämie hinaus weitere Erlöse benötigt, um die gesellschaftlich erwünschten Leistungen dieser Tierhaltungsform angemessen zu honorieren.

(Beifall von der CDU – Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Herr Rüße, danke für den Beifall.

Jetzt greifen Sie einen Baustein auf. Damit springen Sie wesentlich kürzer, als wir es 2014 in unserem gemeinsamen Antrag gemacht haben. Ich bedauere, dass der nicht zustande gekommen ist. Da haben wir andere Gründe aufgeführt, die, glaube ich, für die Schafhalter mindestens genauso wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger sind, nämlich die Flächenknappheit, die Frage der Absatzmöglichkeiten, die überbordende Bürokratie – ich erinnere nur an die Einzeltierkennzeichnung –, und ein Problem, das wir damals noch nicht thematisiert hatten, ist der Wolf.

Ausgerechnet jetzt greifen Sie einen Vorschlag auf, der die erste Säule betrifft, die Weidetierprämie. Das ist auf Bundesebene zu regeln. Das hätte man in den Koalitionsverträgen regeln können – entweder jetzt in der Großen Koalition oder bei unseren Versuchen, die Jamaika-Koalition hinzubekommen.

Wenn Sie das Konsenspapier durchlesen, Herr Rüße, was das letzte Dokument aus den Jamaika-Verhandlungen war, dann stellen Sie fest: Auch da taucht das Thema nicht auf. Das jetzt zum zentralen Thema der Landespolitik zu machen, ist der falsche Ansatz. Das wird den Schäfern auch nicht weiterhelfen.

Wir sagen: Wir müssen uns in der Landespolitik auf die zweite Säule konzentrieren. Wir müssen dort Wege finden, wie wir den Schäferinnen und Schäfern helfen können, wie wir diese gesellschaftliche Leistung angemessen honorieren können.

Die weitere Debatte werden wir im Ausschuss führen. Ich freue mich auf die Debatte und hoffe auf konstruktive Lösungen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Deppe. – Für die FDP hat der Abgeordnete Herr Haupt das Wort.

Stephan Haupt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion bekennt sich ausdrücklich zum hohen Stellenwert der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen. Wir sind zu Recht stolz auf unsere Schäferinnen und Schäfer.

Neben der Produktion von hochwertigen Lebensmitteln und Wolle ist beispielsweise die gerade schon öfter erwähnte Deich- und Grünflächenpflege ein wichtiger Bestandteil, auf den niemand verzichten möchte, schon gar nicht ich als Niederrheiner, der quasi hinterm Deich wohnt und hinterm Deich auch aufgewachsen ist.

Aus diesem Grund freuen wir uns darüber, dass die Zahl der Betriebe mit Schafen von 2016 auf 2017 gestiegen ist und die Anzahl der Schafe um 4 % zugenommen hat. Wir sind uns auch insoweit einig, als wir die finanzielle Unterstützung der Schäferinnen und Schäfer auf den Prüfstand stellen müssen.

Die geforderte Einführung der Weidetierprämie ist für uns aber nicht der richtige Weg und nicht die sachgerechte Lösung der Probleme, die es in der Schafhaltung gibt, und war es im Übrigen für Sie in den vergangenen Regierungszeiten auch nicht.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt nicht! Das ist nicht richtig! Das wissen Sie vielleicht nicht!)

Die Weidetierprämie löst einen zusätzlichen Aufwand bei den Schäferinnen und Schäfern aus. Für jedes Tier müssten Mittel beantragt werden. Deren Einsatz muss dokumentiert, nachgewiesen werden. Hierdurch binden Sie nicht nur Mittel und Zeit der Schäfer, sondern auch in der Verwaltung, die die Bearbeitung und die Kontrolle durchführen müsste.

Was wir benötigen, ist eine praxisnahe und zeitnahe Lösung. Es handelt sich bei der Weidetierprämie um eine bürokratische Subvention, die die Marktwirtschaft von vornherein ausschließt.

Gekoppelte Direktzahlungen stehen in direktem Widerspruch zu der angestrebten Marktorientierung der Landwirtschaft und führen zu Wettbewerbsverzerrungen. Dies würde auch dazu führen, dass Verpächter von Grünlandflächen Anreize hätten, die Pacht zu erhöhen, da es ja jetzt die Weidetierprämie gibt. Wir wollen jedoch die Schäfer fördern und nicht die Verpächter von Grundstücken.

Darüber hinaus müsste eine Wende zurück zur gekoppelten Förderung auf Bundesebene erfolgen. Die hierzu erforderliche Ländermehrheit ist jedoch nicht zu erzielen und würde bis zur Umsetzung auch entsprechend lange dauern. Im Rahmen der Festlegung der Förderung in der gemeinsamen Agrarpolitik sollte daher geprüft werden, ob es die Kostenstrukturen erfordern, eine Anpassung der Förderung vorzunehmen. Hierzu haben die Agrarminister der Länder bereits im vergangenen Jahr einen Beschluss gefasst.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es in Nordrhein-Westfalen heute schon weitere Förderungen gibt. Im Rahmen der Zuchtarbeit, Gesundheit und Robustheit von Nutztieren gibt es Fördermöglichkeiten, die noch nicht so stark in Anspruch genommen werden, wie wir es uns wünschen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen attraktiver zu machen, aber mit einer wirksamen und zeitnah umsetzbaren Förderung und ohne zusätzliche Bürokratiebelastung. Wir stimmen daher der Überweisung des Antrags gerne zu und freuen uns auf die weitere Diskussion im Interesse der Schafhaltung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Haupt. – Für die AfD hat Herr Abgeordneter Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Damen und Herren! Ein Teil meines konservativen Weltbildes ist der Erhalt des traditionellen Landschaftsbildes und der alten Wirtschaftsformen. An diesem traditionellen Landschaftsbild hat die Schäferei einen wichtigen Anteil, die die Aufgaben für den Naturschutz vorbildlich erfüllt.

Darüber hinaus bietet die Schafhaltung praktische Vorteile. Viele Gras- und Heideflächen brauchen eine regelmäßige Beweidung, damit dort die Artenvielfalt der Gräser und Kräuter und – davon abhängig – der Insekten erhalten wird. Auf Deichen und Überflutungsflächen halten die Schafe die Grasnarbe kurz und dicht. Außerdem verdichten und düngen sie den Boden. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zum Hochwasserschutz. Wir können Nahrung auf heimischer Grundlage ohne hohen Energieeinsatz erzeugen. Das Fleisch und die Milchprodukte aus der Schafhaltung genießen den Ruf, natürliche und unverfälschte Lebensmittel zu sein.

Die Bedenken gegen die Intensivhaltung von Tieren sind hier gegenstandslos. Die AfD-Fraktion würde sich wünschen, dass mehr Lammfleisch konsumiert und im Interesse der Schäfer ein höherer Preis erzielt wird.

Wenn wir Schäfer und Schafe erhalten wollen, müssen wir auch bedenken, was diesen Wirtschaftszweig bedroht. Der Freihandel mit Agrarprodukten, vor allen Dingen mit dem Ausland, ist ein Problem, denn Lammfleisch, Schafskäse und Wolle lassen sich in anderen Ländern in guter Qualität billiger produzieren als in Deutschland.

Bekanntlich blökt Europas größte Schafherde mit rund 16 Millionen Nutztieren in Großbritannien. Ist Großbritannien erst einmal aus der Europäischen Union ausgestiegen, wird der Konkurrenzkampf für deutsche Schäfer größer.

Die Zunahme intensiver Monokulturen lässt weniger Raum für die wandernden Schafe. Die von den Altparteien gewollte Ausbreitung der Wölfe zwingt die Schäfer zu teuren Schutzmaßnahmen und könnte in Zukunft auch erhebliche Tierverluste mit sich bringen.

Schließlich ist noch zu bedenken, inwieweit die Ausbreitung der Windkraft im offenen Gelände den Tieren Weideflächen entzieht und Schäfer und Schafe ansonsten stört.

(Rainer Deppe [CDU]: Quatsch!)

Wir befürworten und unterstützen die Petition des Bundesverbandes Berufsschäfer für die Weidetierprämie und bedauern es sehr, dass sich Deutschland bisher noch nicht zu der Weidetierprämie bekannt hat.

Bekanntlich haben wir in vielen Politikfeldern gravierende Differenzen mit den Rot-Grüninnen. Das soll uns aber nicht daran hindern, für die Sache und im Interesse der Schäfer einem Antrag von Rot-Grün zuzustimmen, wenn er denn richtig ist.

In dieser Sache wollen wir noch Folgendes ergänzen: Die Unterstützung der Schäferei seitens der öffentlichen Hand ist außerordentlich kompliziert. Die Mittel dafür werden aus Steuern aufgebracht und dann nach Brüssel überwiesen, von wo aus diese wiederum nach einem komplexen Regelwerk auf die verschiedenen Zwecke in den jeweiligen Mitgliedsländern verteilt werden. Eine Umfrage im Magazin „Schafzucht“ im Dezember 2017 zeigt, dass 64 % der Leser der Meinung sind, dass die Fördergelder nicht rechtzeitig ausgezahlt werden.

Die Förderziele und die Nebenbedingungen können in ihrer komplizierten Vielfalt nur von hauptberuflichen Fachkräften erfasst werden. Daher möchten wir das Landwirtschaftsministerium bitten, ein Förderkonzept für die Schäferei mit der Weidetierprämie als Kernelement durchzurechnen.

Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Holthoff-Pförtner in Vertretung für Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Landesregierung teilt die Einschätzung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Beweggründe des Abgeordneten Rüße. Nach der ungewöhnlich sachgerechten und äußerst interessanten Diskussion hier im Landtag und den unterschiedlichen Einschätzungen auch der Abgeordneten Deppe und Haupt würde ich der Diskussion im Ausschuss sehr gerne beiwohnen. Das muss ich wirklich sagen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Kommen Sie zu uns! Das macht immer Spaß dort!)

Die Landesregierung hält zurzeit eine Weidetierprämie für die Erhaltung der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen nicht für zwingend. Die Landesregierung erwartet aber nach der hiesigen Debatte das Ergebnis Ihrer Willensbildung im Ausschuss mit Spannung und großem Interesse.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung.  Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2391 (Neudruck) – an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Die abschließende Aussprache soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dem zustimmen? – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP und die AfD. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Somit haben wir einstimmig diese Überweisungsempfehlung angenommen.

Ich rufe auf:

10 Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine Nordrhein-Westfalen – Rückkehr zur deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2394

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Tiere sind fühlende Wesen. Und durch die Einordnung der Pflichten in Ansehung der Tiere in die Klasse der vollkommenen Pflichten nach Kant wird jeder Akt der Tierquälerei zu einem Verrat am gesamten moralischen Projekt. Tierschutz ist eine gebotene kategorische Pflicht.

Wenige Jahrzehnte nach dem Tod dieses Philosophen haben sich die ersten deutschen Tierschutzvereine nach der Vorstellung Kants gegründet. Wenn wir dagegen heute einen Blick auf die aktuelle naturethische Diskussion werfen, so haben viele Tierschützer nicht mehr die Reflexionstiefe, die die Philosophen im 18. Jahrhundert erreichten.

Denn beim Verbandsklagerecht geht es nicht um die Tiere oder ihre treuhänderische Vertretung. Es geht im Kern um einen Rechtsbehelf, der sich meist gegen eine bauordnungsrechtliche oder emissionsschutzrechtliche Genehmigung seitens der Behörde richtet. Jeder neue Stall wird nach aktuellen Tierschutzstandards und neuen Haltungsbedingungen gebaut. Im Sinne des Tierschutzes ist es daher wichtig, dass Investoren zum Bau neuer Ställe hier in Nordrhein-Westfalen ermutigt werden. Tierrecht ist deshalb nicht mit Tierschutz zu verwechseln.

Unsere Kleine Anfrage vom Anfang des Jahres hat bereits jetzt schon ergeben, dass keine Widersprüche gegen Genehmigungen seitens der Verbände für die Jahre 2015 und 2016 angemeldet wurden. Unser hoher Anspruch an die zuständigen NRW-Behörden ist also gerechtfertigt. Der im Bundesgesetz verankerte Tierschutz funktioniert.

Wenn wir einen genauen Blick auf die Verbände werfen, erkennen wir aber ein ertragreiches Wirtschaftsmodell auf dem Rücken des Tierschutzes. Das Prinzip funktioniert in etwa so: Verbände erlangen dank des Mitwirkungs- und Informationsrechts Akteneinsicht in empfindliche Betriebsgeheimnisse. Weil unsere Behörden stets tierschutzkonform handeln, fänden die Verbände nichts für ein Widerspruchsverfahren, aber immer noch genug, um medienwirksam auf ihrer Internetseite zu Spenden aufzurufen.

Das Deutsche Tierschutzbüro wurde erst im Jahr 2013 als Verein eingetragen und ist namentlich mit dem traditionsreichen Deutschen Tierschutzbund schnell verwechselt. Hat der Trittbrettfahrer 2013 noch 65.000 € im Jahr an Spenden eingesammelt, waren es drei Jahre später beachtliche 734.000 € im Jahr, Tendenz weiter steigend. Es rentiert sich also, sich als Tierschutzverein anerkennen zu lassen. Man verdient zwar nicht so viel wie Frau Horitzky von der CDU an illegalen Zuwanderern, aber immerhin.

In Wahrheit geht es aber nicht um die Tiere, es geht hier um ein Geschäftsmodell, das durch die rot-grüne Gesetzgebung erst wirtschaftlich gemacht worden ist. Ein Skandal wird von den Verbänden totgeritten, bis der nächste Skandal gefunden wurde. Vor lauter Skandalen weiß der normale Bürger gar nicht mehr, was er eigentlich noch essen darf.

Schauen Sie sich doch einmal die Satzungen der Verbände an. Eine artgerechte Tierhaltungsform ist nach Wertvorstellungen der veganen Tierschützer überhaupt nicht möglich. Wie bereits bei der Diskussion um Dieselfahrverbote durch die Deutsche Umwelthilfe deutlich geworden ist, verlieren die Parlamente immer mehr an Bedeutung. Nichtregierungsorganisationen regieren das Land.

Besonders stolz ist das Deutsche Tierschutzbüro auf seine Kampagne „Pelzpolizei“. Die Tierschützer haben sich im letzten Jahr als Fahnder getarnt und Passanten in den Fußgängerzonen von 24 Städten „freundlich“ gemaßregelt. In dem aktuellen Tätigkeitsbericht heißt es, man habe sich an der Aufmerksamkeit erfreut, welche die täuschend echte Uniform mit Aufschrift „Pelzpolizei“ erregte. Offensichtlich kann sich jeder Mensch in einer pseudo-künstlerischen Aktion als Spaßpolizist ausgeben, seitdem die Scharia-Polizei in Wuppertal vom Vorwurf, gegen das Uniformverbot verstoßen zu haben, in erster Instanz freigesprochen wurde. Jede Verwechslungsgefahr im Marken- und Urheberrecht wird härter bestraft.

Jetzt am Montag wurde zum Urheberrecht ein neues, zum Glück gutes Urteil gefällt. Nichtdestotrotz möchte ich es Ihnen nicht vorenthalten. Ein Affe hatte mit der Kamera ein Selfie gemacht. Das Foto ging um die ganze Welt und erregte die Aufmerksamkeit der sogenannten Tierschutzorganisation PETA. PETA wollte gerichtlich erzwingen, dass der Erlös aus dem Foto für Tierschutzzwecke gespendet wird, Zwecke, von denen PETA profitieren würde, wer sonst. Das Berufungsgericht in San Francisco hat zum Glück mit scharfen Worten geurteilt, das Tier sei als unwissendes Wesen für ideologische Ziele benutzt worden, und PETA könne nicht nachweisen, im Interesse des Affen gehandelt zu haben.

Wie bei dem Verbandsklagerecht ist die Krux bei einer treuhänderischen Vertretung der Tierrechte durch Tierschutzvereine, dass sich die Tierschutzvereine ihre Mandaten aussuchen und nicht umgekehrt.

Bei dem vorliegenden Aufhebungsgesetz zum Verbandsklagerecht haben wir nun, Herr Löttgen, den Bodo gemacht. Weil wir ehrliche und aufrechte Demokraten sind, geben wir auch zu, den Entwurf von der CDU kopiert zu haben. Damals haben unterschrieben: Armin Laschet, Christina Schulze Föcking, Lutz Lienenkämper und Rainer Deppe. Drei Politiker sitzen jetzt auf der Regierungsbank und Herr Deppe.

Bei der Vorstellung des CDU-Entwurfs hieß es damals, Januar oder Februar 2017, also vor der Wahl – das war Ihr Wahlversprechen, Herr Deppe; ich zitiere wörtlich –:

Meine Damen und Herren, zur Arbeit hier im Parlament, aber auch vor allem gegenüber der Öffentlichkeit gehört, dass man Klarheit vor der Wahl hat. Wir – gemeint ist Herr Deppe – sagen exakt vor der Wahl, was wir danach machen werden, und damit gar keine Zweifel aufkommen, exakt mit Gesetzesformulierungen.

Das ist jetzt über ein Jahr her, Herr Deppe. War es ein Wahlversprechen?

Liebe CDU, wir haben Ihnen genug Zeit gegeben, dass Sie Ihren Entwurf aus der Schublade holen können. Jetzt haben Sie durch uns die Chance, Farbe zu bekennen. Und ja, wir wissen, dass das Gesetz bis Ende 2018 befristet ist. Nichtsdestotrotz, Sie wollten es so, und wir ermöglichen es Ihnen, Ihre Wahlkampfversprechen einzuhalten.

Sehr geehrter Herr Präsident, ich eröffne die Beweisaufnahme.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Blex. – Der nächste Redner für die CDU-Fraktion ist Herr Kollege Frieling.

Heinrich Frieling (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Beweisaufnahme eröffnet noch immer der Richter und nicht Sie, Herr Dr. Blex, und das passiert im Gerichtssaal im Sinne der Gewaltentrennung und nicht hier heute im Plenarsaal.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD – Christian Loose [AfD]: Super!)

Dass es an juristischem Tiefgang in Ihrer Fraktion etwas fehlt, das beweist auch schon der vorliegende Gesetzentwurf. In seiner Begründung kratzt er nämlich sehr an der Oberfläche und trifft die Sache nicht unbedingt auf den Punkt. Die NRW-Koalition ist angetreten, um die Kräfte des Landes zu entfesseln, um Bürokratie abzubauen und auch, um unnötige Doppelstrukturen zu beseitigen. Daher werfen wir auch – das ist richtig – einen kritischen Blick auf das Verbandsklagerecht für die Tierschutzvereine.

Aber wir sind nicht angetreten, um irgendeinen Klamauk der AfD zu unterstützen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Klamauk und damit überflüssig nenne ich den Gesetzentwurf der AfD aus zwei Gründen:

Zum einen ist der Zeitpunkt völlig verfehlt, und daher gilt auch nicht, Dr. Blex, gut kopiert sei gleich gut gemacht. Sie haben selbst darauf hingewiesen: Das Gesetz ist befristet bis zum Ende dieses Jahres

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

und tritt dann automatisch außer Kraft, wenn es nicht verlängert wird. Jetzt, zu diesem Zeitpunkt, noch ein Aufhebungsgesetz einzubringen, das selbst vom Verfahren her, berücksichtigt man die Beratungen in den Ausschüssen und die notwendige erneute Lesung im Plenum, möglicherweise Monate braucht, bis es in Kraft tritt, ist reine Schaupolitik, nichts anderes.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von Christian Loose [AfD])

Es ist Schaupolitik, ohne den wirklichen Anspruch rechtlich zu gestalten, und damit völlig überflüssig.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Frieling, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der AfD vom Kollegen Wagner.

Heinrich Frieling (CDU): Ja, bitte.

Markus Wagner (AfD): Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Ich stelle mir eine Frage. Sie haben treffend festgestellt: Befristung bis Ende 2018. Ich stelle mir aber die Frage, warum die CDU vor diesem Hintergrund im Februar 2017 genau einen solchen Gesetzentwurf eingebracht, angekündigt hat, um genau das umzusetzen, was wir jetzt mit diesem identischen Entwurf umsetzen wollen, in dem Wissen, dass Ende 2018 die Befristung ausläuft. Das leuchtet mir nicht ein. War das ein Schaufensterantrag oder ein Schaufenstergesetzentwurf von Ihnen, oder was war das?

Heinrich Frieling (CDU): Ich habe gerade schon deutlich gemacht: Gut kopiert ist nicht gleich gut gemacht. Genau auf die Frage komme ich jetzt zu sprechen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich war dabei darzustellen, dass der Zeitpunkt sich nicht mehr dafür eignet, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, sondern es jetzt an der Reihe ist, sich die Frage zu stellen: Will man a) entweder die Befristung zum Tragen lassen kommen, auf die sich jedermann hier vorbereiten oder einstellen konnte, oder will man b) eine Verlängerung oder gar Entfristung des Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine erreichen?

(Dr. Christian Blex [AfD]: Oder die Wähler befriedigen!)

– Eins nach dem anderen. Sie hätten im Ausschuss auch zuhören können. Dann hätte sich die Frage gerade übrigens erledigt. – Ein Schnellschuss ist der Gesetzentwurf und zur falschen Zeit kommt er insbesondere deshalb, weil gerade seitens der Landesregierung das betroffene Gesetz evaluiert wird. So wie es gesetzlich vorgesehen ist und so, wie es die Ministerin im Ausschuss am 24. Januar bereits angekündigt hat,

(Dr. Christian Blex [AfD]: Ach ja!)

so ist es auch im Koalitionsvertrag vereinbart und dementsprechend für jedermann nachzulesen.

Nach Abschluss der Evaluation ist die Entscheidung über die Zukunft des Verbandsklagerechtes hier zu treffen, aber auf einer vernünftigen, auf einer sachlichen Grundlage. Da brauchen wir Sie nicht, um in irgendeiner Weise Farbe zu bekennen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Jetzt zum zweiten Grund, warum der Gesetzentwurf reiner Klamauk ist und mit seiner Begründung an der Sache völlig vorbeigeht. Die mündlich vorgetragene Begründung war reine undifferenzierte Pauschalkritik an den entsprechenden Tierschutzvereinen. Hier müssen wir doch deutlich differenzierter hinblicken.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Die schriftliche Gesetzesbegründung ist noch viel interessanter, ist nämlich eine rein juristische Ausführung zur rechtlichen Einordnung der verschiedenen Verbandsklagerechte, die es auch auf Bundesebene gibt, in die Rechtsschutzsystematik der Verwaltungsgerichtsordnung. Ihre Betrachtung, ausschließlich historisch und demnach auch bereits hinsichtlich der juristischen Methode einseitig, hilft nicht weiter. So viel übrigens zum Thema Reflektionstiefe, Herr Dr. Blex.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD] – Gegenruf von Martina Hannen [FDP])

Es ist natürlich richtig, dass die Einführung der verschiedenen Verbandsklagerechte rechtssystematisch eine Ausnahme darstellt. Die grundsätzliche Systementscheidung der Verwaltungsgerichtsordnung für den Individualrechtsschutz, bei der die Verletzung eines eigenen subjektiven Rechts geltend gemacht werden muss, steht weiterhin. Diese Anforderung findet sich bekanntlich in § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, die allen Verwaltungsjuristen auch in der analogen Anwendung in vielen Fällen bekannt ist. Aber – und so viel zu Ihrer Argumentation – bereits im Gesetzeswortlaut sieht § 42 Abs. 2 die Möglichkeit von Ausnahmen vor, gilt doch die Norm – ich darf zitieren –: „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“.

Solche gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen stellen die in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs ausführlich dargestellten Verbandsklagerechte dar. Zu den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen gehört auch das landesrechtlich eingeführte Institut des Verbandsklagerechts für Tierschutzvereine.

Damit ist Ihre Argumentation auch in juristischer Hinsicht bereits schwach bis unzureichend. Eine tragfähige inhaltliche Begründung fehlt dagegen – wie bereits gesagt – völlig, typisch für AfD-Klamauk. Welche Rolle spielt der Tierschutz bei Ihrer Begründung? Anscheinend keine. Auch die Entbürokratisierung spielt keine Rolle. Lediglich Ihre Pauschalkritik, die eben mündlich vorgetragen wurde, soll die fehlende Begründung jetzt ersetzen.

Nach der erfolgten Evaluation wird man die Frage beantworten müssen, ob das Verbandsklagerecht dem Tierschutzrecht genutzt hat oder ob es nur eine unnötige Doppelstruktur zur ohnehin hohen Sensibilität und Gründlichkeit von Verwaltungsentscheidungen darstellt.

Man wird die Frage beantworten müssen, ob die frühzeitige Beteiligung der anerkannten Tierschutzvereine Rechtssicherheit für diejenigen geschaffen hat, die in moderne Ställe investieren und damit Haltungsformen verbessern, oder ob Tierhalter verunsichert worden sind und Investitionen in bessere Haltungsformen verteuert, verzögert oder gar verhindert wurden.

Man muss prüfen, ob das Verbandsklagerecht ein effektiver Rechtsschutz ist oder ob das Instrument für ideologische Auseinandersetzungen zwischen Tierschützern und Tierhaltern missbraucht wurde. Das sind Fragen, die zu gegebener Zeit mit allen Fraktionen zu diskutieren sind, und sie sind wichtiger als der von Ihnen vorgetragene Klamauk und die rechtshistorische Belehrung.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Leider treibt es die AfD in ihrem Gesetzentwurf aber noch weiter. Es sind gar nicht mal mehr leise Zwischentöne, die diesem eher juristischen Zwischenthema einen unangenehmen und faden Beigeschmack geben. Ich gehe bereits davon aus, dass wir deshalb mit allen anderen Fraktionen gemeinsam diesen Gesetzentwurf ablehnen werden.

(Markus Wagner [AfD]: Welche Überraschung!)

Ich spreche von der mindestens zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommenden Intoleranz und Europafeindlichkeit. Bereits die Überschrift spricht hier Bände: „Rückkehr zur deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit“, heißt es dort.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Ich habe kein Problem mit der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit – im Gegenteil. Ich habe großes Vertrauen in sie, weil sie effektiven Rechtsschutz bietet und weil es ihr gelungen ist, sich auch im europäischen Rechtskontext weiterzuentwickeln.

Die AfD meint und forciert etwas anderes: die Abschottung des deutschen Rechtssystems gegen europarechtliche und andere Einflüsse und damit natürlich auch die Abschottung unseres Landes gegen Einflüsse von außen jeglicher Art –

(Markus Wagner [AfD]: Das ist ja eine Interpretation! Donnerwetter!)

und das durch eine vermeintliche Prinzipientreue. Wird denn das Rechtssystem durch die Anwendung einer gesetzlich vorgesehenen Ausnahme undeutsch? – Welch ein merkwürdiges Kriterium.

(Andreas Keith [AfD]: Was haben Sie nachts für Albträume?)

Wenn wir schon juristisch werden: Wie sieht es denn mit der viel weiter gehenden richterlichen Rechtsfortbildung aus – etwa zur Herstellung des effektiven Rechtsschutzes für die Organe in den Kommunalverfassungen? Darf das Rechtsträgerprinzip, das mittlerweile auch in Nordrhein-Westfalen Einzug gehalten hat, nicht mehr zugunsten der Anerkennung eines sachlichen Streitgegners aufgehoben werden – nur, um das Prinzip hochzuhalten und die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu erhalten?

Führen wir diese Gedanken und Argumentationen gar nicht erst fort, und lehnen wir diesen Gesetzentwurf der AfD gemeinsam ab. In diesem Sinne sehe ich den Beratungen im Ausschuss optimistisch entgegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Frieling. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Börner.

Frank Börner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einer der wichtigen Meilensteine der sozialdemokratisch geführten Landesregierung zum Tierschutz war das Gesetz zum Verbandsklagerecht der Tierschutzvereine. Endlich haben Nutztiere in unserem Land auch eine Stimme bekommen.

Bei Planungen neuer Anlagen zur Tierhaltung werden anerkannte Tierschutzverbände beteiligt. Diese Beteiligung führte dazu, dass von dem Klagerecht wenig Gebrauch gemacht wurde.

Das Gesetz zum Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände ist eine Erfolgsgeschichte. Selbst wenn bzw. gerade dann, wenn die Freunde dieses Gesetzes in diesem Hause weniger werden: Wir stehen an der Seite der Rechte der Tiere, und wir stehen an der Seite der Rechte der Tierschutzverbände.

Wir haben nicht zuletzt in dieser Legislaturperiode gelernt, dass wir dringend ein Mehr an Tierschutz und nicht ein Weniger an Tierschutz brauchen. Selbst im Stall einer Ministerin ergibt es Sinn, in Sachen Tierschutz mal genau hinzuschauen. – Glück auf.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Börner. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Diekhoff.

Markus Diekhoff*) (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ja schon einiges zum Thema gesagt worden. Ich habe eigentlich nur noch zwei Fragen an die Kollegen der AfD.

Erstens. Lesen Sie Koalitionsverträge und lesen Sie die Gesetze, die Sie abschaffen wollen, vorher auch durch? Zweitens. Liest eigentlich irgendjemand in Ihren Reihen, am besten einer von denen, die immer behaupten, sie würden völlig zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt, Ihre eigenen Anträge mal mit Verstand durch, bevor Sie sie hier präsentieren?

(Dr. Christian Blex [AfD]: Nur weil Sie die nicht verstehen, Herr Diekhoff!)

– Ja, ich will Sie auch nicht überfordern, Herr Blex. Alles gut, ich beantworte das mal für Sie:

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Sie lesen die Koalitionsverträge nicht und Gesetzentwürfe auch nicht.

(Andreas Keith [AfD]: Die Hälfte des Koalitionsvertrags hat schon im letzten der Bundesregierung so gestanden! – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Sie haben es ja eben gelernt: Es wird von alleine abgeschafft. Im Koalitionsvertrag steht ganz klar unsere Position zum Verbandsklagerecht; da brauchen wir Ihre Nachhilfe nicht.

Zur zweiten Frage: Wer es schafft, bei einem Thema wie dem Verbandsklagerecht, über das man aus guten Gründen streiten kann und das man aus guten Gründen abschaffen kann,

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

in der Begründung in zehn Sätzen eine Verbindung zum Dritten Reich zu konstruieren und das Gesetz aus Angst vor einer Überfremdung des deutschen Rechts abzulehnen, der hat ein Problem mit seinem Denken.

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

So was kommt von so was, da muss man sich nicht wundern. Wir gehen dann mal im Ausschuss in die Gruppentherapie, und alles wird gut. – Danke.

(Beifall von der FDP, der CDU und Markus Herbert Weske [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott wünscht, dass wir den Tieren beistehen, wenn sie der Hilfe bedürfen. Ein jedes Wesen hat gleiches Recht auf Schutz. – Das habe ich bereits gesagt, als wir das Verbandsklagerecht eingereicht haben. Es ist ein Zitat von Franz von Assisi; das ist 800 Jahre her.

Ich glaube, dass das immer noch Gültigkeit hat und einen guten Grund dafür liefert, warum wir das Verbandsklagerecht hier in Nordrhein-Westfalen eingeführt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben im Jahr 2002 den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. Dort steht der Tierschutz nun neben dem Naturschutz und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Von daher ist es auch der Logik geschuldet, in diesem Bereich ebenfalls ein Verbandsklagerecht einzuführen und dasselbe zu tun wie im Naturschutz.

Sie haben in Ihrem Antrag – auf diese eine Stelle möchte ich eingehen – grundsätzlich festgestellt, dass deutsche Behörden im Bereich des Tierschutzes niemals irren, sondern immer korrekt arbeiten. Ich glaube, da haben Sie die Gesamtdebatte rund um die Kastenstände irgendwie nicht verfolgt.

Da kann man sehr wohl erfahren, dass an der Stelle Behörden sehr unterschiedlich arbeiten – mindestens das – und von Kreis zu Kreis anders agieren. Ich glaube, es ist sehr gut, dass es da die Möglichkeit gibt, für die Tiere an deren Stelle rechtliches Verhalten zu überprüfen und zu gucken, ob da Normen erfüllt werden oder nicht. Das schützt auch diejenigen, die sich korrekt und gesetzeskonform verhalten.

Ich glaube auch, dass die Debatte um das Verbandsklagerecht insgesamt mittlerweile sehr abgeflaut ist, dass die Befürchtungen, die wir damals hörten, überhaupt nicht eingetroffen sind. Es gibt keine Klagewelle. Die Forschungsunternehmen sind in Nordrhein-Westfalen geblieben, und die Tierschutzverbände haben diese rechtliche Möglichkeit gar nicht über Gebühr strapaziert.

Es hat sich aber mittlerweile gezeigt, dass unter Grün-Schwarz in Baden-Württemberg auch ein Verbandsklagerecht eingerichtet wurde. Der dortige Landwirtschaftsminister Peter Hauk ist kein Grüner. Er hat gesagt, dass das Verbandsklagerecht ein Meilenstein für den Tierschutz ist. Dem kann man sich natürlich nur anschließen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darauf hat der Redner der CDU klar hingewiesen.

Es ist überhaupt nicht verständlich, warum Sie hier jetzt noch mit diesem Gesetzentwurf kommen. Von uns ist sozusagen ein Verfallsdatum in dieses Gesetz eingebaut worden, nämlich mit dem Ziel, es hier noch einmal überprüfen zu können. Denn wir wollen natürlich die Erfahrungen sammeln. Wir hatten diese massiven Befürchtungen, die im Vorfeld geäußert worden sind. Das können wir doch jetzt in aller Ruhe tun. Wir warten die Evaluation ab, und dann schauen wir gemeinsam, in welche Richtung es geht.

Dass Sie diese Evaluation anscheinend gar nicht wahrgenommen haben, ist schon ein Armutszeugnis für politische Arbeit.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich glaube, Sie haben das gar nicht gelesen, was in dem Gesetz im Ursprung steht.

Weil Ihr Gesetzentwurf deshalb – ich bediene mich einmal des Ausdrucks des Kollegen von der CDU – völliger Klamauk ist, werden wir das, was Sie hier vorgebracht haben, natürlich ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner in Vertretung für Frau Ministerin Schulze Föcking.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Abgeordneten! An dieser Stelle weist die Landesregierung noch einmal darauf hin, dass sie ohnehin verpflichtet ist, die Auswirkungen des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine nach dem Erfahrungszeitraum von fünf Jahren einer Überprüfung zu unterziehen. Die Evaluation führen wir durch. Der Beurteilungszeitraum reicht vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2017. Erst nach Abschluss dieser Evaluation sollte über die Zukunft des Gesetzes entschieden werden. Die Landesregierung sieht keinen Grund, das Ergebnis dieser Evaluation nicht abzuwarten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 10, die ich hiermit schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/2394 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in der Federführung, und die Mitberatung geht an den Rechtsausschuss. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Nein. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich kann sofort aufrufen:

11 Zukunft der EU-Finanzen und EU-Förder-politik nach 2020 sichern

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1442

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Internationales
Drucksache 17/2297

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Krauß das Wort.

Oliver Krauß (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spricht man mit Europaabgeordneten oder mit Vertretern anderer europäischer Institutionen über die aktuellen politischen Herausforderungen in Europa, so kommt das Gespräch regelmäßig auf den mehrjährigen Finanzrahmen und die Zukunft der EU-Förderpolitik.

Also behandelt Ihr vorliegender Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, zweifelsohne ein wichtiges Thema.

Aber nicht umsonst haben wir bereits im vergangenen Oktober als eine unserer ersten parlamentarischen Initiativen einen Antrag eingebracht zur Stärkung nordrhein-westfälischer Interessen in Brüssel.

Die Brisanz und die großen Herausforderungen bei der Ausgestaltung des mehrjährigen Finanzrahmens und der Kohäsionspolitik nach 2020 haben wir schon vor mehr als einem halben Jahr hier in diesem Hause betont, genauso wie die Notwendigkeit, auch wirtschaftlich stärker entwickelte Regionen, zu denen auch NRW gehört, weiterhin zu unterstützen, um sie zu Lokomotiven Europas zu machen.

Meine Damen und Herren, Anfang Mai wird die EU-Kommission einen ersten Vorschlag unterbreiten, wie sie sich die Zukunft der EU-Finanzen ab 2021 vorstellt.

Liebe Kollegen der SPD – ich kann den Kollegen Weiß jetzt gar nicht entdecken –, natürlich ist es Konsens, dass wir uns dafür einsetzen, dass es auch zukünftig Strukturfördermittel geben wird. Natürlich ist es auch Konsens, dass wir die maximal mögliche Förderhöhe für Nordrhein-Westfalen erreichen wollen.

Aber – jetzt kommen wir zum Unterschied zwischen Ihnen und der Mehrheit in diesem Hause – wir fordern nichts Utopisches, sondern wir unterstützen die Landesregierung in ihrem Bestreben, der Kohäsionspolitik im mehrjährigen Finanzrahmen auch nach 2020 die herausgehobene Rolle zuzuschreiben, die sie verdient hat.

Zum 29. März 2019 soll der Brexit vollzogen werden. Mittlerweile ist eine Übergangsphase bis Ende 2020 verabredet. Im Jahr 2021, wenn die neue Förderperiode starten wird, werden wir wohl ohne Großbritannien als Mitglied der Europäischen Union auskommen müssen.

So sehr wir die politische Entscheidung des Vereinigten Königreiches auch bedauern, wir müssen uns mit den Folgen des Brexit auseinandersetzen. Großbritannien ist aktuell – wir haben es hier schon öfter gehört – der zweitgrößte Nettozahler in der Europäischen Union. Die Lücke, die der Brexit reißen wird, beläuft sich auf bis zu 14 Milliarden € schätzungsweise.

Jetzt muss der neue mehrjährige Finanzrahmen versuchen, diese enorme Lücke weitestgehend zu kompensieren sowie gleichzeitig die bestehenden Förderprogramme zu erhalten und darüber hinaus noch neue Aufgaben wie die Sicherung unserer Außengrenzen zu übernehmen, und das alles – ich wiederhole mich an dieser Stelle – ohne Großbritannien als Beitragszahler. Die EU-Finanzen stehen also ab 2020/21 vor großen Herausforderungen.

Lassen Sie mich dazu auf die in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen eingehen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD.

(Rüdiger Weiß [SPD] betritt den Saal.)

– Herzlich willkommen, Kollege Weiß, ich bin gerade mit Ihrem Antrag beschäftigt. Darin lautet Ihre Forderung 1. a): Die Bundesregierung soll ausreichend hohe Mittel bereitstellen. – Mehr als ein Prozent des Bruttonationaleinkommens ist doch grundsätzlich Konsens.

Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien im Bund:

„Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Wir wollen einen Haushalt, der klar auf die Aufgaben der Zukunft mit europäischem Mehrwert ausgerichtet ist.“

Unter 1. b) fordern Sie dann mehr Unabhängigkeit von nationalen Budgets und nennen im Zusammenhang damit die Finanztransaktionssteuer. – Auch sie ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Neben diesem Vorschlag und dem schwierigen Ausgleich zwischen Frankreich und der Bundesrepublik – im Ausschuss hat Kollege Remmel auch die Plastiksteuer und die CO2-Steuer zitiert, um das Brexit-Manko auszugleichen – geht es uns in dieser dynamischen Zeit darum, seriös mitzuverhandeln und zu optimalen Ergebnissen für Nordrhein Westfalen zu kommen.

Unter 2. in Ihrem Antrag folgt auf Ihre Kernforderung „mindestens so hohe Fördermittel wie in der aktuellen Förderperiode“ nichts Substanzielles mehr.

Dass Fördergelder bedarfsgerecht und zielgerichtet verwendet werden sollen, versteht sich von selbst; dass bürokratische Hürden reduziert werden sollen, ebenso.

Das ist auch Basis unserer Initiative im Oktober-Plenum und übrigens auch Beschlusslage hier: sich dafür einzusetzen, dass die Regelungen zur Verwaltung und Kontrolle der EU-Strukturfonds vereinfacht werden, damit die „Regionen und Akteure die notwendige Handlungsfreiheit haben, um ihre Innovations- und Wachstumspotenziale vor Ort erschließen zu können.“

Meine Damen und Herren, man mag darüber streiten, ob es sinnvoll wäre, eigene europäische Einnahmequellen zu generieren – sei es eine Plastik- oder eine Digitalsteuer oder eben die im Antrag erwähnte Finanztransaktionssteuer. Es ist aber doch fernab der Realität, mal eben eine solche Steuer zu erheben. Sie wissen selber, wie kompliziert es ist, eine Steuer einzuführen, die alle Mitgliedsländer in etwa gleichermaßen treffen würde und die in der technischen Umsetzung handhabbar bleiben müsste.

Wir müssen also, wenn wir realistisch bleiben, für den EU-Haushalt ab 2020/21 annehmen, dass die Einnahmen weiterhin aus den festen Abgaben des Bruttoinlandsprodukts der Nationalstaaten stammen. Diese Erkenntnis hat nichts mit fehlender Vision zu tun, sondern diese Erkenntnis ist realistische Politik.

Was wir nicht vergessen dürfen: Selbstverständlich ist Deutschland in Brüssel in Summe Nettozahler. Warum also setzen wir uns so für die Ausgestaltung des mehrjährigen Finanzrahmens ein? – Weil wir als Nordrhein-Westfalen, als Land im Herzen Europas besonders davon profitieren. 2,42 Milliarden € hat Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Förderperiode aus Brüssel erhalten.

Wenn also Anfang Mai, in einer Woche, der Vorschlag der Kommission auf dem Tisch liegt, gehen die Verhandlungen über den zukünftigen mehrjährigen Finanzrahmen weiter bzw. erst richtig los. Dabei sollte es unser aller Ziel sein, die Verhandlungen bis zur Europawahl 2019 abzuschließen. Dieses ambitionierte Ziel sollten wir schon aus zwei Gründen verfolgen.

Erstens ist die Planungssicherheit für alle Förderprojekte enorm wichtig. Planungssicherheit ist die Voraussetzung dafür, dass die Projekte rechtzeitig starten und eine nachhaltige Wirkung entfalten können.

Zweitens sollte im Vorfeld der Europawahl über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert werden. Es soll diskutiert werden über die Tiefe der Integration, die wir uns zukünftig von der Europäischen Union wünschen. Aber wir sollten es vermeiden, einen Überbietungswettlauf zu starten, wer wieviel Geld in Aussicht stellt.

Die grundsätzliche Intention des SPD-Antrags, Herr Kollege Weiß, würdigen wir in angemessener Weise. Wie ich aber bereits im Ausschuss gesagt habe: Es macht keinen Sinn, einen Antrag zu stellen, der entfernt von der Realität ist und ausdrückt, was wir alle uns wünschen würden. Wir müssen die aktuellen Gegebenheiten erkennen und bestmöglich ausgestalten. Es ist verantwortungsvolle Politik, keine unrealistischen Forderungen zu erheben.

Lassen Sie uns gemeinsam auf allen Ebenen dafür kämpfen, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens bei der Ausgestaltung des mehrjährigen Finanzrahmens maximale Berücksichtigung finden werden. Lassen Sie uns davon Abstand nehmen, realitätsfremde Forderungen aufzustellen.

Daher werden wir Ihren Antrag auch heute ablehnen. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Krauß. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der gerade schmerzlich vermisste Kollege Rüdiger Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute nicht zum ersten Mal und vermutlich auch nicht zum letzten Mal über die Rolle, die NRW in der Debatte um die Zukunft der EU-Finanzen spielen soll. Hier im Plenum und, wie eben erwähnt, auch im Ausschuss wurde wiederholt festgestellt, zwischen der Landesregierung und der SPD-Fraktion bestehe zwar Einigkeit über das Ziel, nicht aber über den Weg dorthin.

Wenn ich mir die Debatten zum Thema „EU-Fördermittel und -Kohäsionspolitik“ aber genauer anschaue, dann bin ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher, ob das überhaupt noch stimmt. Unser Ziel ist es – so geht es klar und deutlich aus dem Antrag hervor –, die Interessen NRWs und seiner Bürgerinnen und Bürger auf europäischer Ebene bestmöglich zu vertreten. Dazu gehört, an einem Gesamtkonzept mitzuarbeiten, in dem NRW beim kommenden EU-Haushalt trotz der Probleme von EU-Fördermitteln profitieren kann.

Ja, der EU-Haushalt wird nach dem Brexit deutlich weniger Mittel aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten erhalten. Ja, es stehen neue Projekte wie etwa die Schaffung einer robusten, einheitlichen Sicherheitsstrategie auf der Agenda. Solche Projekte können natürlich nur dann verwirklicht werden, wenn sie mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sind. Kurz: weniger Einnahmen, mehr Ausgaben – mit dieser Situation sind wir konfrontiert.

Für die Landesregierung bedeutet das offenbar, dass man die Bedürfnisse NRWs und seiner Bürgerinnen und Bürger hintenanstellen muss. Sie denken dabei ausschließlich in den Strukturen der letzten Förderperioden und betonen immer wieder den Anspruch, realistisch bleiben zu wollen.

Wir denken Europa von einem ganz anderen Standpunkt aus. Das verdeutlicht auch dieser Antrag. Für uns ist Europa kein Fördertopf, aus dem man sich mal mehr und mal weniger bedienen kann. Für uns ist Europa ein lebendiges, sich immer weiter entwickelndes Projekt aller Bürgerinnen und Bürgern für alle Bürgerinnen und Bürger Europas.

Wer sich die Geschichte des europäischen Einigungsprozesses ansieht, wird merken, dass an dieser Situation wenig neu ist. Immer wieder gab es vermeintliche Sackgassen, Blockadesituationen. Diese wurden gelöst, indem man die Strukturen an die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger angepasst und dadurch die Legitimität des europäischen Einigungsprozesses unterstrichen hat.

Denn Europa erhält seine Legitimation vor allem dadurch, dass es ohne Abstriche und bedingungslos zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger beiträgt. Wenn wir jetzt beginnen, Abstriche bei der Kommunikation unserer Bedürfnisse zu machen, dann machen wir auch Abstriche bei der Legitimation des europäischen Einigungsprozesses.

Im Mittelpunkt darf nicht stehen, mit wie wenig Zuschüssen man sich angesichts der schwierigen Lage zufriedengeben muss. Im Mittelpunkt muss immer stehen, was das Beste für die Bürgerinnen und Bürger ist. Genau das muss nach unserer Auffassung laut und deutlich kommuniziert werden. Das ist nicht realitätsfern, wie gerade von dem Kollegen angesprochen, sondern schlicht und ergreifend das, wofür wir gewählt worden sind.

Im Übrigen sind die Vorschläge in diesem Antrag keine exklusiven sozialdemokratischen Gedankenkonstrukte. Die Kommission und das Europaparlament schlagen eine Erhöhung der nationalen Beitragssätze auf 1,1 % bzw. 1,3 % vor. Der französische Präsident plädiert für eine größere finanzielle Unabhängigkeit der Europäischen Kommission. Im Europäischen Rat wird intensiv über eine Anpassung der Dauer der Förderperioden diskutiert.

Das, was wir mit unserem Antrag fordern, ist andernorts längst Beschlusssache und Gegenstand öffentlicher Debatten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Genau diese öffentlichen Debatten halten wir – und nicht nur wir – für wichtig. Die Europäische Kommission hat letztes Jahr einen öffentlichen Diskurs angestoßen. In diesem Diskurs sollten alle – von der kleinsten Kommune bis zu den Regierungen der Mitgliedsstaaten – die Chance haben, ihre Vorstellungen über die Zukunft der EU zu teilen. Die sich im Laufe dieser öffentlichen Debatte ergebenden Impulse sollten direkt in die Planungen für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen einfließen; wir stehen ja kurz davor.

Bisher war leider kein großer Eifer der Landesregierung erkennbar, Impulse für diese europaweite Debatte zu liefern. Im Gegenteil, Sie haben beispielsweise die mittlerweile europaweit viel beachtete Kohäsionsallianz mit der Bemerkung weggewischt, sie sei nichts weiter als eine PR-Maßnahme des Ausschusses der Regionen.

In welcher Art und Weise Sie in Brüssel die Erwartungen, Bedürfnisse und Potenziale NRWs deutlich gemacht haben wollen, bleibt uns unklar. Sie verweisen stattdessen immer gern auf Bemühungen und Aktivitäten der Bundesregierung.

Selbstverständlich spielt die Bundesregierung eine zentrale Rolle in der Frage, wie die EU-Förderpolitik nach 2020 aussieht. Genau deshalb fordern wir die Landesregierung mit diesem Antrag auf, sich in Berlin für eine Erhöhung der nationalen Beitragssätze starkzumachen. Wir finden, dass sich NRW nicht verstecken sollte. Wir finden, dass weder in Brüssel noch in Berlin irgendwelche Ausreden geltend zu machen sind, die einer realistischen Einschätzung abträglich sind.

Vor mittlerweile knapp einem Jahr waren Sie es, die verkündet haben, NRW solle nun wieder deutlicher in Europa wahrgenommen werden. Es spricht leider nicht viel dafür, dass Sie diesem Ziel entscheidend nähergekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Am 2. Mai bekommen wir endlich Klarheit über die Pläne der Kommission zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen. Unabhängig davon, wie der Vorschlag der Kommission aussieht: Der Beitrag der schwarz-gelben Landesregierung zu diesem Vorschlag dürfte sehr minimal gewesen sein.

Dabei ist es gerade heute besonders wichtig, sich dafür einzusetzen, dass sich die Europäische Union weiterentwickelt und ihre Krisen überwindet, dass Europa nahe an den Bürgerinnen und Bürgern bleibt und dass NRW auch nach 2020 von der EU-Förderpolitik in dem Maße profitieren kann, wie es das bisher getan hat.

Wenn tatsächlich Einigkeit über diese Ziele besteht, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, gibt es eigentlich keinen Grund für Sie, diesen Antrag hier und heute abzulehnen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nein, Herr Weiß, nicht NRW versteckt sich, Sie verstecken sich mit diesem Antrag hinter Heißluftprojekten wie der Kohäsionsallianz.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die geplante Debattenlänge für diesen Antrag steht ohnehin im Gegensatz zu der noch möglichen Wirkung Ihres Antrags. Vielleicht soll die römische Zwei bei „Block II“ auch nur auf das Datum 2. Mai verweisen. Insofern ist der Weg, den Sie sehen, sehr kurz.

Wir lehnen diesen Antrag aus folgenden Gründen ab:

Erstens. Es wurde bereits ein entsprechender Antrag der Fraktionen der FDP und der CDU verabschiedet.

Zweitens. Mit Blick auf das gegebene Zeitfenster – wir sprechen von genau drei Werktagen – ist es faktisch nicht mehr möglich, Einfluss zu nehmen. Besonders aus diesem Grund muss man Ihren Antrag zurückweisen.

Sie betreiben eine Scheindebatte – wiederholt. Wenn ich Ihren Worten lausche, habe ich auch mehr den Eindruck, dass Sie ein bisschen an der Langeweile Ihres eigenen Antrags leiden. Denn dem Antrag fehlt die Substanz. Seine Forderungen basieren auf Vermutungen – auch auf der Vermutung, NRW hätte keinen Einfluss auf die Entscheidung, die am 2. Mai öffentlich werden wird, ausgeübt.

Viele Einflussnahmen geschehen auch besser auf anderen Wegen, als durch Forderungen öffentlich zu beschreiben, was man gerade tut. Realistische Politik sollte von tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen. Die werden wir natürlich am 2. Mai haben.

Die Kommission muss einen neuen Finanzrahmen für die Zeit nach 2020 festlegen. Die Höhe des zukünftigen Budgets ist hierbei offen. Der Abschluss der hierzu stattfindenden Beratungen wurde seitens der Kommission immerhin schon auf den 2. Mai vorverlegt. Wir müssen also nicht mehr viel Geduld aufbringen. Insofern sehe ich auch den Mehrwert des vorliegenden Antrags nicht.

Mit Blick auf den Brexit ist die Höhe des zur Verfügung stehenden Budgets noch offen. Sicher ist aber, dass weniger Mittel zur Verfügung stehen werden als vorher. Herr Oettinger hat eine Zahl genannt. Ich weiß nicht, ob sie hinhauen wird. 10 bis 15 % weniger, meint er, seien wahrscheinlich. Wir werden es sehen.

Aber hiervor die Augen zu verschließen und dennoch auf eine Erhöhung zu pochen, wie Sie es tun, ist weder förderlich noch realistisch. Sie wollen jetzt Wasserstandsmarken setzen, um hinterher einen Schuldigen zu suchen. Den haben Sie heute bereits benannt; für Sie ist jetzt schon die NRW-Landes-regierung schuld. Ich glaube, das ist nicht seriös.

Man muss auch fragen, wo der Anspruch von Ihnen, das Maximale herauszuholen, in den letzten Jahren erfüllt worden ist, als die Gelder noch da waren. Wenn man schaut, was da abgerufen worden ist und welche Strukturfördermittel man noch hätte bekommen können, dann sieht man, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der SPD sehr weit auseinanderklaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei Ihnen, Herr Kollege Weiß, habe ich das Bemühen festgestellt, das mich auch umtreibt, nämlich eine klare Position der Landesregierung und der regierungstragenden Fraktionen zur zukünftigen Finanzierung der EU zu bekommen. Wir haben sie bis heute nicht. Das ist das große Dilemma. Deshalb ist auch der Versuch, mit Ihrem Antrag etwas mehr Klarheit zu schaffen, irgendwie nicht gelungen. Das müssen wir jedenfalls heute feststellen.

Ich finde aber, dass das Parlament in Nordrhein-Westfalen einen Anspruch darauf hätte, eine Position zu bekommen und kein Versteckspiel hinter irgendwelchen Büschen: Bundesregierung, Zeitläufe. Was ist Ihre Position zu bestimmten Fragen?

Wenn man länger darüber nachdenkt und vielleicht auch in die eine oder andere Pressemitteilung der Landesregierung schaut, wird vielleicht ein Grund dafür erkennbar. Insofern bedauere ich, dass der Finanzminister heute nicht da ist.

Ich frage mich: Wer ist eigentlich – es tut mir leid, Herr Minister, dass ich an dieser Stelle kritisch werden muss – für die Europapolitik zuständig? Man könnte vielleicht meinen, dass Sie sozusagen als graue Eminenz im Hintergrund die Fäden ziehen und andere dann die Arbeit machen lassen. Das war heute Morgen schon der Fall. Sie sind ja eigentlich zuständig für die Organisation der Ruhrkonferenz. Aber da durften Sie auch nicht reden oder sollten nicht reden oder mussten nicht reden oder brauchten nicht zu reden; ich weiß es nicht.

Vor zwei Tagen hat der Finanzminister eine Veranstaltung in Brüssel durchgeführt unter dem Motto „CDU diskutiert mit CDU“; dort war keine andere politische Farbe eingeladen. Der in den Medien bekannte Herr Selmayr sollte etwas zur Finanzierung der europäischen Haushalte sagen, die Abgeordnete Lange, auch CDU, und der Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen sollten etwas sagen.

Aber warum nimmt er dann heute an der Debatte nicht teil, frage ich mich. Wenn er in Brüssel einen großen Aufschlag macht, hätte ich es gut gefunden, er hätte heute auch mit dem Parlament diskutiert und hier dargelegt, was die Position der Landesregierung ist.

Aber ich muss vermuten, dass es keine Position der Landesregierung gibt. Es gibt keine Position beispielsweise zu der Frage, ob eine Finanzierung mit eigenen Mitteln erfolgen soll. Es gibt keine Position dazu, ob die Bundesrepublik nach dem Brexit mehr Geld nach Brüssel geben soll oder nicht.

Und es gibt – das habe ich Ihnen von der Regierungsseite schon mehrfach vorgehalten – auch keine Position Ihrer Fraktion zu dem wichtigen Teil des EU-Haushalts, nämlich der Agrarfinanzierung. Sie tragen an allen Stellen das Hohelied der Agrarpolitik vor sich her. Aber was ist mit der Sicherstellung der Finanzierung? Immerhin mehr als 30 % des EU-Haushalts – das ist der Kern des EU-Haushalts – gehen in die Agrarfinanzierung, letztlich in die Finanzierung unserer ländlichen Räume. Wenn es weniger Geld gibt, dann bedeutet das auch weniger Geld für die Agrarfinanzierung. – Keine Position zu Prioritäten an dieser Stelle.

Wenn wir etwas näher über Nordrhein-Westfalen nachdenken, dann liegt es schon auf der Hand, hier eine Forderung aufzustellen, die sich mit dem Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Wir erleben nicht nur gerade einen Strukturwandel und versuchen, ihn zu bewältigen, sondern wir haben auch einen Strukturwandel vor uns.

Nun mag man über zeitliche Dimensionen streiten, ob das zehn Jahre früher oder später der Fall sein wird. Aber dass ein Strukturwandel kommt, insbesondere im Rheinischen Revier und insbesondere im Bereich der Energieversorgung und der Klimapolitik, ist nicht von der Hand zu weisen. Insofern macht es Sinn, hier klare Prioritäten zu setzen und auch Forderungen aus Nordrhein-Westfalen zu entwickeln.

Aber leider – das tut mir leid – fehlt uns hier der Diskussionspartner. Wir vermissen aufseiten der Landesregierung und der Koalitionsfraktionen die Bereitschaft, hier klare Positionen nach vorne zu entwickeln, leider zum Schaden der Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Zum SPD-Antrag als solchem: Die grundsätzliche Forderung, dass das Geld nicht weniger werden soll, können wir natürlich unterstützen, gar keine Frage.

Aber auch hier gibt es die eine oder andere Leerstelle, wenn es darum geht, wo die Finanzierung zukünftig gesichert werden soll, wenn es darum geht, die Abgrenzung Richtung Agrarpolitik vorzunehmen, und wenn es darum geht, die Herausforderungen der Zukunft – die Digitalisierung sowie die Energiepolitik und die Klimapolitik habe ich schon genannt – für Nordrhein-Westfalen stärker zu beschreiben. Deshalb werden wir uns an dieser Stelle der Stimme enthalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD spricht Herr Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über das Verhältnis von Sozialdemokraten zum Geld ist in der Geschichte schon viel gesagt worden. Aber der vorliegende Antrag beschreibt es besser als jedes Sprichwort. So heißt es beispielsweise – Zitat –:

„Deutschland profitiert in der aktuellen Förderperiode mit knapp 20 Milliarden Euro aus dem Regionalfonds (EFRE) und dem Sozialfonds (ESF).“

„Profitieren“, liebe Genossen, kommt von Profit, französisch für Gewinn, also die Differenz zwischen Aufwand und Erlös. Ab da ist es eigentlich ganz einfach nachzulesen: Deutschland ist mit großem Abstand der größte Nettozahler, hat also weit mehr Aufwand als Erlös. Den Profit machen andere.

Der bisher zweitgrößte Nettozahler, das Vereinigte Königreich, hat aufgrund einer freien Entscheidung seiner Bürger beschlossen, die EU zu verlassen und künftig wieder selbst über sein Schicksal und vor allem über seine Finanzen zu bestimmen.

(Beifall von der AfD)

Wir von der AfD – Sie hören es – haben diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Wir würden uns wünschen, dass alle Völker Europas – auch das unsrige – zumindest die Möglichkeit hätten, über das Ob und das Wie einer weiteren EU-Zentralisierung zu befinden.

Natürlich hat der Brexit auch eine Schattenseite: Mit Großbritannien fehlt zukünftig nicht nur ein ordentlicher Batzen Geld in der gemeinsamen Schatulle, es fehlt vor allen Dingen jemand, der darauf aufpasst und die schlimmsten Exzesse der Brüsseler Eliten verhindert.

(Beifall von der AfD)

Schon kommen die Begehrlichkeiten aus Brüssel, und schon meldet sich Herr Macron, der neue Posterboy aller EU-Besoffenen, zu Wort, und sie alle schielen auf die Taschen der deutschen Steuerzahler. Es stellt sich also die Grundfrage, ob die durch den Abgang der Briten verursachte Finanzlücke auf der Einnahmen- oder auf der Ausgabenseite ausgeglichen werden soll.

Deshalb ist es schon bemerkenswert, mit wie viel Begeisterung die SPD die Interessen ihres eigenen Landes verkauft. Sie fordern nicht nur eine Erhöhung der deutschen Beiträge an die EU; nein, Brüssel soll gleich selbst Steuern erheben dürfen und damit natürlich auch einen weiteren Schritt in Richtung Zentralstaat gehen.

Von der Union ist – wir haben es auch gerade gehört – kein grundsätzlicher Widerspruch vernehmbar. Es geht bei Ihnen eher um Nuancen. Nach aller bisherigen Erfahrung kann man sagen, dass die Zurückhaltung entweder in Berlin beim Koalitionspartner oder spätestens bei den Verhandlungen in Brüssel zu Ende ist.

Dabei wäre die Zäsur des Brexit eigentlich eine gute Gelegenheit gewesen, eine grundsätzliche Debatte über die EU und ihren Haushalt zu führen, wie sie seit Jahrzehnten dringend überfällig ist. Statt dem gebetsmühlenhaften Wiederholen des Mantras „immer mehr, immer enger“ wäre es an der Zeit, darüber zu sprechen, wie sich die Bürger das Europa der Zukunft vorstellen. Wollen sie, wie es offenbar den sogenannten demokratischen Mitgliedern des Hauses vorschwebt, einen Zentralstaat? Oder wollen sie, wie wir es uns vorstellen, einen schlanken Staatenbund aus guten Nachbarn, der sich auf einige wenige Politikfelder um den gemeinsamen Binnenmarkt konzentriert?

(Beifall von der AfD)

Wir machen uns da nichts vor. In Deutschland ist die Frage sicher nicht so leicht zu beantworten, aber in anderen Nationen zeichnet sich eine Antwort immer deutlicher ab. Und die wird Ihnen nicht gefallen, meine Damen und Herren.

Genauso überfällig wie eine Debatte über die Zukunft der EU ist auch eine Debatte über ihren Haushalt, insbesondere über die gemeinsame Agrarpolitik – Herr Remmel hat es gerade angesprochen –, die immer noch über ein Drittel der Ausgaben ausmacht.

Neben den absurden und schädlichen Auswirkungen dieser Politik, etwa dem Dumping von Agrarprodukten in Entwicklungsländern, ist auch hier wieder die ungleiche Verteilung augenfällig: Deutschland bekommt verhältnismäßig wenig, Frankreich dafür sehr viel. So hätte es der Bundesregierung sicher gut zu Gesicht gestanden, hier eine Reform zu fordern – auch und gerade in Richtung des vermeintlichen Visionärs aus Paris. Vermutlich wäre sein Reformwille an dieser Stelle schnell erlahmt.

Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, sind mit Ihrem Antrag jedenfalls auf dem Holzweg. Das tote Pferd EU wird auch nicht wieder dadurch lebendig, dass Sie es aus dem Säckel des deutschen Steuerzahlers mästen.

(Beifall von der AfD)

Dass Sie sich als Partei, die immer noch das D im Namen führt, als nützliche Idioten für einen weiteren Raubzug in die Kassen der deutschen Steuerzahler hergeben, wirft eher ein trübes Licht auf Ihren Zustand und deckt sich auch mit Ihren Umfragewerten.

Wir von der AfD lehnen diesen Antrag jedenfalls in aller Entschiedenheit ab und fordern die Landesregierung vielmehr dazu auf, ihren Einfluss gegen jede Ausweitung des deutschen Anteils am EU-Budget geltend zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Tritschler für die AfD-Fraktion. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der vorliegende Antrag greift inhaltlich völlig richtige Punkte auf, ist aber leider nicht neu.

Was mich ärgert – das ist übertrieben – bzw. was ich im Umgang zwischen unseren Fraktionen nicht für angemessen halte, ist: Sie begründen Dinge ohne irgendeinen Zusammenhang. Sie stellen Dinge in den Raum, binden diese zusammen und sagen, wir seien nicht dabei, Europa weiterzuentwickeln, wir seien nicht interessiert an der europäischen Entwicklung. Sie begründen das mit irgendwelchen Dingen, bei denen ich keinen Sachzusammenhang herstellen kann.

Ich teile Ihre Meinung und Sie ja auch unsere: Wenn es um so wichtige Fragen wie Nordrhein-Westfalen in der Bundesrepublik und Deutschland in Europa geht, dann handelt es sich um die Zukunftsfragen überhaupt. Es reicht schon, ohne darauf einzugehen, dass man sich das eine oder andere hier überhaupt anhören muss. – Damit meinte ich jetzt nicht Sie.

Die Kohäsionspolitik ist ein zentrales Instrument für Wachstum und Beschäftigung in der EU. Mit der Unterstützung aus diesem Fonds können Investitionen auf lokaler und regionaler Ebene generiert werden. Wir wissen, dass Nordrhein-Westfalen stark von den Finanzmitteln der europäischen Struktur- und Investitionsfonds profitiert. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen nur zustimmen, dass die Fortsetzung dieser Politik nach 2020 aus Sicht jeder Landesregierung von großer Bedeutung und wichtig ist.

Ihr heutiger Antrag hat nicht sehr viel Neues gebracht, zumal wir das Thema der – in Anführungsstrichen – „Koalition“ nicht hier im Hause, sondern mit den Regionen diskutiert haben. Mit unterschiedlichen Gründen sind wir aber eben zu unterschiedlichen Auffassungen gekommen.

Die Zeit ist nur mittlerweile weitergegangen. Die Debatte zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen und zur EU-Förderpolitik ist in vollem Gange. Das heißt, bereits am 2. Mai, also in der kommenden Woche, wird die Europäische Kommission ihren Vorschlag für den nächsten Haushaltszyklus der EU vorlegen.

Nordrhein-Westfalen hat sich – anders, als Sie es darstellen – von Anfang an in diese Diskussion intensiv eingebracht, sowohl über Berlin als auch über die nordrhein-westfälischen Abgeordneten und über den Bundesrat, übrigens in parteiübergreifender Kooperation mit unterschiedlichen Ländern.

Die Debatte um die Ausgestaltung des nächsten EU-Haushaltszyklus ist also in voller Fahrt. Der Kommissionsvorschlag Anfang Mai wird diese Diskussion weiter entfachen und Einflussmöglichkeiten bieten, die auch Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Bund und mit dem Bund, mit der EU und in Brüssel selbstbewusst und kontinuierlich vertreten wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit „kontinuierlich“ meine ich übrigens durchaus auch die Kontinuität vorheriger Landesregierungen. Wir sehen uns da nicht nur im Widerspruch, wir sehen uns sogar in der Verantwortung; denn Sie haben die 2,4 Milliarden € ja bereits genannt. Das ist eine Hausnummer. Das ist überhaupt keine Frage, das bestreiten wir nicht. Es ist auch eine große Leistung. Aber Sie haben den Brexit erwähnt. Die Voraussetzungen sind andere.

Anders als der Kollege Remmel gesagt hat, gibt es eine klare Stellungnahme von Berlin, dass Berlin – wie übrigens auch andere Länder, zum Beispiel Frankreich und Irland – durchaus bereit ist, höhere Beiträge nach Brüssel zu bezahlen. Festgelegt auf geringere Beiträge haben sich Österreich, die Niederlande und Dänemark. Aber es kommt ohnehin die große Diskussion, wie sich Europa entwickelt, ob wir ein Europa der zwei Geschwindigkeiten bekommen.

Wir haben nicht nur die Kohäsionsmittel, sondern wir haben auch andere gemeinsame Herausforderungen. Ich glaube, für unser Land, für Deutschland und für Nordrhein-Westfalen, für unsere Heimat sollten wir das, was wir für angemessen halten, gemeinsam tun.

Die Landesregierung wird sich in den Gesprächen weiterhin deutlich dafür einsetzen, ausreichende und angemessene Kohäsionsmittel für Nordrhein-Westfalen zur Verfügung zu stellen. Wir werden dafür kämpfen, das Maximale für Nordrhein-Westfalen aus den Verhandlungen über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen herauszuholen.

Für uns in Nordrhein-Westfalen ist vor allen Dingen wichtig, dass weiterhin alle Regionen von einer angemessenen Finanzausstattung der Strukturfonds profitieren. Die erheblichen strukturellen Herausforderungen sind die Integration der zu uns geflüchteten Menschen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, der demografische Wandel, die erforderlichen Fortschritte bei der Digitalisierung, das Thema „Klimawandel“ und die Dekarbonisierung unserer Industrie.

Die europäischen Struktur- und Investitionsfonds sind ein zentrales Instrument, um Innovation, Wirtschaft, Beschäftigung, Stadtentwicklung, Umwelt- und Klimaschutz zu fördern. Die Kohäsionspolitik ist unverzichtbar, um die Entwicklungsunterschiede zwischen den europäischen Regionen zu verringern, aber auch um den sozialen und territorialen Zusammenhalt zu festigen, auch in Nordrhein-Westfalen.

Unter anderem auf Initiative von Nordrhein-Westfalen haben die Länder mit einer Stellungnahme des Bundesrates im Dezember 2016 auf die von der EU-Kommission vorgelegte Halbzeitüberprüfung des Mehrjährigen Finanzrahmens reagiert und sich gleichzeitig zur Ausgestaltung der Kohäsionspolitik als einem der größten Haushaltsposten positioniert.

Wir werden diese Rolle im Sinne nordrhein-westfälischer Interessen mit starker Stimme in Brüssel vertreten, die Gestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens und die Kohäsionspolitik nach 2020 im Lande daran ausrichten.

Herr Remmel kritisierte eben, dass der eine oder andere nicht da ist. Es gibt auch keinen wirklichen Anlass für diese Diskussion. Wir sind auf einem Weg, den wir – wenn auch nicht mit allen Mehrheiten – beschlossen haben. Wir können nicht in jedem Stadium neu diskutieren, ob wir das eine oder andere vielleicht noch ändern sollten.

Ich glaube, dass der angenommene Antrag klarmacht, dass die Position der Kohäsionspolitik als zentrales Element der EU-Wirtschafts- und EU-Beschäftigungspolitik eine wichtige Rolle spielt.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dafür müssen wir auch in Nordrhein-Westfalen bürokratische Hürden abbauen. Die Landesregierung ist sehr massiv dabei.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nordrhein-Westfalen ist und bleibt Teil der Berichterstattergruppe der Europaministerkonferenz für die Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen. Auf diese Weise werden in der Europaministerkonferenz und in der Ministerpräsidentenkonferenz nachhaltig unsere Interessen vertreten. Ab 1. Juli übernimmt Nordrhein-Westfalen den Vorsitz der Europaministerkonferenz. Wir werden diesen Vorsitz aktiv nutzen, um die Stimmen in den Ländern und im Mehrjährigen Finanzrahmen der Kohäsionspolitik für die Zeit nach 2020 zu stärken.

Wir sind mit der Kommission in Brüssel und mit dem Parlament in Berlin im Gespräch. Damit gehen wir nicht jederzeit auf den Marktplatz, wobei ich nicht behaupte, dass der Landtag ein Marktplatz ist. Dafür möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen.

(Michael Hübner [SPD]: Das will ich hoffen!)

– Ich habe Ihr freudiges Gesicht schon gesehen.

Daher sehen wir keinen Anlass für eine Wiederholung des von FDP und CDU eingebrachten Antrags. Wir lehnen Ihren Antrag nicht ab, weil er abzulehnen ist, sondern weil er nichts Neues bringt und es keinen Grund gibt, ihm zuzustimmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat am Schluss seiner Rede deutlich gemacht, dass es ganz erkennbar nicht um die Frage geht, ob man einzelne Teile des Antrags der SPD für richtig oder für falsch halten muss, sondern darum, ob uns diese Debatte in der Interessenvertretung für Nordrhein-Westfalen wirklich nach vorne bringt.

Wenn Sie sich im Herbst genauso engagiert in die Beratungen des Antrags der Koalitionsfraktionen eingebracht hätten, dann hätten Sie zu einem Zeitpunkt Einfluss nehmen und Gedanken einbringen können, als es noch möglich war, Einfluss auf das zu nehmen, was Nordrhein-Westfalen schon seit Monaten in Brüssel, in Berlin und anderswo einbringt.

Damals war das Thema auch Gegenstand einer Ausschussberatung in Brüssel. Wir haben mit Generaldirektor Pillath sehr intensiv darüber diskutiert, unter welchen Voraussetzungen Nordrhein-Westfalen am besten seine Interessen wahrnimmt. Ich kann mich gut an die Diskussion erinnern.

Damals war klar: Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Kommission selbst arbeitet, bis zu der Vorlage im Mai – damals war es noch nicht der 2. Mai, sondern es sollte etwas später sein – ist nicht mehr der Punkt, an dem noch direkt eingewirkt werden kann. Das hat vorher passieren müssen und ist vorher durch die Landesregierung und durch die Bundesregierung passiert. Das Ganze ist ab dem Zeitpunkt wieder in der Verhandlung, ab dem die Kommission ihre Vorschläge vorgelegt hat. Das wird ab nächste Woche der Fall sein.

Insofern habe ich mich in der Tat gewundert, dass der sich mittlerweile leider in die Rolle des Vermutungspolitikers steigernde Sprecher der Fraktion der Grünen genauso, wie er es in den letzten Monaten in vielen Debatten am Plenarpult gemacht hat, einen Mangel an klaren Aussagen der Landesregierung beklagt, um dann Vermutungen

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch!)

und selbstreferenzielle Betrachtungen darüber anzustellen, was die Gründe dafür sein könnten, wenn denn richtig wäre, was er vermutet.

Das kann man ja tun. Es führt allerdings auch nicht zu einer zielgerichteten Europapolitik. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe auch vermisst, dass es in dieser Klarheit Positionierungen der Fraktion der Grünen zu dem Antrag der SPD gegeben hat.

Daher ist es müßig, immer zu sagen, die Regierung müsse liefern. Denn sie hat geliefert. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied zu dem, was manchmal mit der großen Posaune in der Vergangenheit angekündigt worden ist: Häufig ist es sinnvoll, im Vorfeld nicht die große Posaune herauszuholen und dann sieben Jahre Ankündigungspolitik zu machen – von präventiver Sozialpolitik über präventive Haushaltspolitik bis hin zu sonst welchen Wendungen –, sondern die Regierung im Ruhigen arbeiten zu lassen, das Ergebnis zu bewerten und dann zu schauen, ob es trägt oder nicht trägt, und zwar nach den Kriterien, die der Minister eben vorgetragen hat.

Wenn Sie das täten, könnten Sie hier einmal ganz klar sagen, wofür Sie denn stehen. Einen Antrag von Ihnen habe ich dazu nicht gesehen. Ich habe auch in der Rede keinen einzigen Punkt gehört, nach dem ich sagen könnte, wofür Sie denn stehen.

Wer also jetzt sagt, Nordrhein-Westfalen vertrete seine Interessen nicht klar genug, nimmt offensichtlich auch nicht wahr, was die Landesvertretung in Brüssel tut. Er nimmt auch nicht wahr, dass wir auf Bundesratsebene im Moment das Bemühen darum haben, dass der Bundesrat in die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen aktiv eingebunden wird. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Landesregierung dort so aktiv ist – über den Europaminister, über den Finanzminister, über die Staatskanzlei, über alle anderen.

Das ist der richtige Weg, wie man damit umgeht. Man sollte nicht die große Tröte anmachen und dann, wenn anschließend nichts herauskommt, sagen: Es tut uns sehr leid; wir haben es ja versucht. – Das ist nicht der richtige Weg.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie den Minister inzwischen richtig kennengelernt haben, wissen Sie, dass er nicht derjenige ist, der mit der großen Posaune marschiert. Wir werden aber sicher noch erleben, dass er auch als Diplomat und kluger Interessenwahrer in Brüssel für uns das eine oder andere herausholt, von dem Sie mit der großen Posaune gar nicht zu träumen gewagt haben.

Ich will noch einen Punkt nennen, der in der politischen Diskussion hier heute noch zu kurz gekommen ist, nämlich das Thema der Grenzregion. Wir sind uns darüber einig – ich glaube, im gesamten Haus und insbesondere auch im Europaausschuss des Landtags –, dass gerade die Förderung grenzüberschreitender Maßnahmen in Zukunft eine noch größere Rolle haben muss. Grenze darf nicht mehr Barriere von Entwicklung sein. Grenze darf nicht mehr Barriere von Arbeitsmarkt, von Mobilität, von Begegnung von Menschen hier in Europa, in der Europäischen Union, sein. Deshalb ist es gut, wenn auch dieses in den Programmen, die jetzt weiter nach vorne getrieben werden, eine besondere Rolle bekommt. Die Koalition wird jedenfalls dort einen Schwerpunkt der eigenen Arbeit sehen.

Daneben – damit schließt sich der Kreis zu heute Morgen – werden das eben auch schon angesprochene Thema der Kohleregionen und die Frage, wie dort Strukturwandel gefördert werden kann – ob das im Rheinischen Revier ist, ob das in der Ruhrkonferenz ist –, eine besondere Rolle spielen. Da brauchen Sie sich als SPD und Grüne übrigens keine Sorgen zu machen. Das ist bei dieser Landesregierung in allerbesten Händen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Als nächsten Redner habe ich Herrn Hübner für die SPD-Fraktion auf meiner Liste stehen. Bitte schön, Herr Hübner. Sie haben das Wort.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es jetzt auch nicht unnötig in die Länge ziehen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

– Danke schön für den Applaus bei den Koalitionsfraktionen. – Wir haben uns ja auch hinlänglich ausgetauscht.

Ich möchte mich ausdrücklich für die Ausführungen des Europaministers Holthoff-Pförtner bedanken, weil er – auch im Hinblick auf die Klarheit, die der Sprecher der Grünen, Kollege Remmel, gerade eingefordert hat – für mich noch einmal deutlich gemacht hat, dass die Landesregierung in Brüssel an den richtigen Stellschrauben dreht.

Ich glaube nur, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode zur gleichen Zeit, in der Nähe des Ablaufs der entsprechenden Förderperioden, ein Stück weiter waren.

Sie haben gerade dankenswerterweise noch einmal das Stichwort des Bürokratieabbaus insbesondere für diejenigen, die Antragsteller sind, genannt. Ich würde mich freuen, wenn noch einmal ein besonderes Augenmerk darauf verwandt würde, weil das sicher ein Thema ist, das alle bewegt, die im Strukturwandelprozess in Nordrhein-Westfalen Unterstützung gefunden haben. Ich glaube auch, dass wir das für die nächste Förderperiode noch einmal besonders in den Blick nehmen müssen.

Nicht zuletzt ist es wichtig gewesen, dass Sie das hier noch einmal klargestellt haben, weil die Regionen uns jetzt im EFRE-Begleitausschuss angeschrieben haben und genau das erwartet haben: eine Klarstellung, wie die Position der Landesregierung zu verschiedenen Punkten sein wird. Denn wir wollen natürlich, dass das zentrale Instrument – das sage ich als Vertreter der Vorgängerregierung – für den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen weiter beibehalten wird.

Dabei unterstützen wir Sie gerne. Wir erhalten den Antrag trotzdem aufrecht, zumal Sie selbst gesagt haben, dass darin viele wichtige Punkte stehen. Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, dass es hier einen großen Grundkonsens gibt. Ein Thema lassen wir hier einmal weg. Ich glaube, dass die europäische Idee eine richtige Idee ist. Darüber müssen die demokratischen Fraktionen in diesem Haus wohl nicht streiten.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe mit einem Dank. – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hübner. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/2297, den Antrag Drucksache 17/1442 abzulehnen. Somit stimmen wir über den Antrag selbst und nicht über die Beschlussempfehlung ab.

Wer stimmt dem SPD-Antrag zu? – Die SPD-Frak-tion. Wer stimmt gegen den SPD-Antrag? – CDU-Fraktion, FDP-Fraktion und AfD-Fraktion sowie die beiden noch anwesenden fraktionslosen Abgeordneten. Enthaltungen? – Bei Enthaltung der grünen Landtagsfraktion hat der Antrag Drucksache 17/1442 keine Mehrheit gefunden, weil CDU, FDP, AfD und zwei fraktionslose Kollegen dagegen gestimmt haben.

Ich rufe auf:

12 Gründung eines Beirates für die niederdeutsche Sprache und niederdeutsche Heimat

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2399

Änderungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2469

Die Aussprache ist eröffnet. Für die CDU-Fraktion hat Frau Wermer das Wort.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit der Gründung eines Heimatministeriums wurde ein wichtiges Anliegen der NRW-Koalition umgesetzt: den Heimatbegriff aufwerten, den Heimatgedanken stärken und, mehr noch, die Menschen in ihrer Heimat stärken.

Deshalb ist es für uns nur schlüssig, dass wir auch das Niederdeutsche – für viele einfach nur das Plattdeutsche oder Platt – stärken. Denn das Plattdeutsche ist nicht nur einfach ein Dialekt des Deutschen wie zum Beispiel das Kölsche, sondern eine eigenständige Sprache, eine Regionalsprache.

Für einen großen Teil unserer Bevölkerung, vor allem in Westfalen und Lippe, ist das Platt ein Zeichen von Identität und Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln. Deshalb hat sich mein Kollege Henning Rehbaum auch schon früher dafür eingesetzt und hier im Plenum auch Platt gesprochen.

Was bei ihm gut geklappt hat, dat klappt bi mi leider nich. Miene Öllern hebbt met mi nich platt küert. Dass meine Eltern mit mir kaum Platt gesprochen haben, hatte den Grund, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend Nachteile durch das Sprechen des Plattdeutschen erfahren mussten. Es wurde auch kaum schulisch thematisiert. Das Platt konnte also von Generation zu Generation kaum weitergetragen werden.

Aber nach wie vor ist das Platt prägend und lebendig in unserer Heimat. Ich selbst habe es zu Hause auf dem Hof durch meine Großeltern zu verstehen und auch in Ansätzen zu sprechen gelernt. Aber man hört es mir eben an.

(Karl Schultheis [SPD]: Sprechprobe, bitte!)

Auch wenn ich bei uns im Dorf unterwegs bin, so „kümp man foarts to’n küern“, wie man bei uns so sagt. Manche sagen auch „praoten“ dazu. Dieser informelle Plausch, gerne auf Platt, ist immer ein Teil des Heimatlebens – aber nicht nur in der Gemeinschaft und Gesellschaft vor Ort.

Auch in der Wissenschaft – ich kann hier aus eigener Erfahrung sprechen; denn ich habe als wissenschaftliche Mitarbeiterin darüber geforscht – stellt sich eine bedeutende Frage. Platt ist ein wesentlicher Bestandteil von Heimat, vor allem in Westfalen. Wie aber kommen heute noch Kinder damit in Berührung? Was für ein Verständnis haben sie von Platt? Wie können wir hier Sprach- und Heimatförderung betreiben? Ist es nicht wichtig, dass es gerade für Kinder auch selbstverständlich sein sollte, dass das Platt zumindest in bestimmten Regionen Nordrhein-Westfalens als Sprache erfahren werden kann? Wir setzen uns ja auch an anderer Stelle für Mehrsprachigkeit ein.

Wir als NRW-Koalition wollen das Platt und vor allen Dingen diejenigen unterstützen, die sich mit ihrem Engagement und Herzblut hierfür einsetzen – sowohl im Ehren- als auch im Hauptamt. Dazu zählen die Heimatverbände, Literaten, Gesprächskreise, Vereine oder Laienbühnen, die Fachstelle Niederdeutsch im Westfälischen Heimatbund, der Bundesrat für Nedderdütsch, die beim LWL angesiedelte Kommission für Mundart- und Namensforschung und die Universitäten, beispielsweise Paderborn oder Münster mit dem Zentrum für Niederdeutsch.

Wir als NRW-Koalition wollen einen echten Beirat für die niederdeutsche Sprache und Heimat ins Leben rufen – kein Koordinierungstreffen, wie es bislang der Fall war. Wir wollen einen Beirat, der breit aufgestellt und mit festgelegten Kompetenzen ausgestattet ist. Das ist auch der Wunsch der Beteiligten.

Im Norden sagt man so schön in der Kneipe: Nich lang schnacken, Kopp in‘ Nacken! – In Westfalen sagt man auf der Baustelle, wenn man schneller vorankommen will: Nich so viel küern, müern! – In diesem Sinne streben wir einen Beirat an, wie ihn andere Bundesländer schon längst haben.

Wir brauchen einen Beirat, von dem Impulse für unsere landespolitische Arbeit ausgehen. Darunter kann die Evaluierung der Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen fallen – wie auch die Empfehlung, wie wir Kinder für das Plattdeutsche sensibilisieren.

Für etwaige Umsetzungsvorschläge sind wir offen. Es wäre doch toll, wenn die Kinder in naher Zukunft über ihre Heimat sagen könnten: Kehr, wat is dat schön in NRW! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Wermer. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Paul.

Stephen Paul (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heike Wermer hat recht: Niederdeutsch ist ein Stück gelebte Heimat. Das Plattdeutsche ist ja für viele Menschen in unserem Land Teil ihrer familiären, ihrer persönlichen Identität – gerade in Westfalen und Lippe. Hier war das Niederdeutsche jahrhundertelang die alltägliche Umgangssprache – viel länger als das Hochdeutsche. Deshalb sind der Erhalt und die Pflege des Niederdeutschen auch ein kulturelles Anliegen besonders in diesen Regionen.

Wir haben daher mit der NRW-Koalition von Christdemokraten und Freien Demokraten im Dezember 2017 die Initiative ergriffen, um dieses regionale Sprachgut zu stärken. Damit haben wir einen langgehegten Wunsch vieler heimatverbundener Westfalen und Lipper erfüllt, auch beispielsweise vieler Niederrheiner. Seit Dezember 2017 können Städte und Gemeinden endlich auch hier bei uns in Nordrhein-Westfalen plattdeutsche Zusatzbezeichnungen auf ihren Ortsschildern anbringen.

Als Herforder Abgeordneter freue ich mich ganz besonders darüber, dass Ränghiusen, also die Gemeinde Rödinghausen, im Kreis Herford als erste Gemeinde in Nordrhein-Westfalen eine niederdeutsche Zusatzbezeichnung einführen wird.

Diese zweisprachigen Schilder sind sympathische Kulturträger. Sie sorgen dafür, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Heimatort und der jahrhundertelangen heimischen Regionalsprache identifizieren können. Das Niederdeutsche ist eben echtes gelebtes Kulturgut. Nicht nur Heimatvereine, auch regionale Schriftsteller, Dichter, Musiker, Gesprächskreise, Vereine, Laienbühnen – sie nutzen alle unsere alte regionale Sprache und halten sie so lebendig.

Mit der Einrichtung des Beirates für die niederdeutsche Sprache und niederdeutsche Heimat leistet nun auch das Land Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Beitrag, um dieses Kulturgut zu erhalten. Es geht auch darum – das hat Heike Wermer schon angesprochen –, gerade unseren jungen Menschen, also einer neuen Generation, die niederdeutsche Sprache näherzubringen und sie dafür auch ein Stück weit zu begeistern.

Ich freue mich daher ganz besonders auf Modellprojekte im Bereich der frühkindlichen Bildung im Primarbereich, die der neue Beirat konzipieren und durchführen wird. Mit dem heutigen Beschluss stellen wir einmal mehr unser Verständnis von einer fortschrittlichen, in die Zukunft gerichteten Heimatförderung unter Beweis.

In diesem Sinne sage ich: Kumm teo – mak met!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Paul. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Schultheis das Wort.

Karl Schultheis (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Kollegin Wermer, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es keine hochwertigen und keine minderwertigen Sprachen gibt. Das gilt auch für die Abstufung von Originalsprache und Dialekt. Als Dialektsprechender fühlte ich mich bei Ihren Äußerungen zur Originalsprache etwas diskriminiert.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das gilt aber für Sprache überhaupt. Sprache dient der Kommunikation. Ich sage das deswegen, weil diese kulturpolitische Auseinandersetzung nicht nur in diesem Rahmen eine Rolle spielt, sondern grundsätzlich, wenn es um die Kultur anderer Völker geht, die hier ja häufig als Gegenstand der Debatte doch zu gewissen Äußerungen führt.

Meine Damen und Herren, bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich um einen Wiederholungsantrag zum Antrag der CDU aus der letzten Wahlperiode.

Dieser Antrag ist jetzt etwas erweitert worden, indem man die niederdeutsche Heimat aufgenommen hat – wobei es, wenn es um den Heimatbegriff geht, der hier in der Debatte ständig im Mittelpunkt steht, sicherlich zwischen Schleswig-Holstein, wo Niederdeutsch gesprochen wird, und Westfalen auch Unterschiede gibt, was das Heimatgefühl der Menschen angeht. Den großen Heimatraum des Niederdeutschen gibt es so sicherlich nicht.

Aber nun möchte ich weiter auf den Antrag eingehen. Ich finde es ganz interessant, dass Herr Kollege Paul für die FDP gesprochen hat. Ich kann Ihnen empfehlen, einmal die Äußerungen Ihres Kollegen Nückel zu dem Antrag sowie seine Bemerkungen zum Thema „Gründung eines Beirates für die Niederdeutsche Sprache“ in der letzten Wahlperiode zu lesen. Sie klangen ganz anders als das, was Sie jetzt vorgetragen haben. Ich verweise hier auf das Protokoll der Anhörung vom 3. November 2016.

Die Ausgangslage, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist im vorliegenden Antrag im Wesentlichen richtig dargestellt – abgesehen vom dritten Absatz, dem man nicht vollumfänglich zustimmen kann.

Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass Nordrhein-Westfalen seinen Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht nachgekommen ist. NRW hat Teil II der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert. Damit hat sich NRW auch zu gewissen Leistungen des Schutzes und Erhalts dieser Sprachen verpflichtet.

Die eben genannte Anhörung hat hierzu eine Vielzahl von Informationen erbracht, die nachzulesen ich Ihnen nur empfehlen kann.

In Nordrhein-Westfalen sind der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Universitäten Münster und Paderborn, aber auch kleinere Initiativen in Schulen aktiv und in besonderer Weise für das Niederdeutsche engagiert. Es geht also immer auch darum, dass Menschen, die die Idee bzw. das Gefühl des Niederdeutschen unterstützen wollen, von der Basis her gefördert werden müssen.

Die Koordinierungsarbeit wird durch die Koordinierungsstelle für Niederdeutsch in der Staatskanzlei geleitet. Diese Stelle regelt auch die Treffen der Vertreter der niederdeutschen Sprache im fachlichen Bereich. Das ist eine Runde, die immer wieder durch neue Personen ergänzt werden kann. Das heißt, dass es einen fachlichen und inhaltlichen Austausch in der Frage des Niederdeutschen gibt. Das haben auch der Bericht des zuständigen Leiters der Koordinierungsstelle in der Staatskanzlei im Ausschuss für Kultur und Medien anlässlich der Anhörung sowie ein schriftlicher Beitrag desselben vom Juli 2016 ganz deutlich herausgestellt.

Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Der Auftrag ist aus unserer Sicht erledigt. Das Land Nordrhein-Westfalen steht zu seinen Verpflichtungen, und die Landesregierung steht zu ihren Verpflichtungen. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schultheis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich stehen auch wir Grüne zur Realisierung der UN-Charta „Kulturelle Teilhabe als Menschenrecht“ sowie zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. Wir als Grüne stehen generell zur kulturellen Vielfalt unseres Landes und zu deren Förderung. Dazu gehören ganz unterschiedliche Aspekte. Dazu zählen Dinge, die in Bezug auf die kulturelle Vielfalt neu hinzugekommen sind. Dazu zählt aber natürlich auch die kulturelle Vielfalt, die dieses Land mitgeprägt hat, die hier Tradition hat und die identitätsstiftend für Nordrhein-Westfalen und seine unterschiedlichen Regionen ist.

Das Niederdeutsche gehört ganz sicher zu unserem kulturellen Erbe. Dies zu bewahren und weiterzuentwickeln, ist auch ein Auftrag der Landespolitik. Deshalb ist es auch gut und richtig, dass wir heute noch einmal darüber diskutieren.

Der Antrag beschreibt richtigerweise, welch vielfältiges Engagement es gibt, um diese Kulturtraditionen und auch diese sprachliche Tradition zu bewahren, weiterzugeben und weiterzuentwickeln. Das erfolgt beispielweise durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement in Vereinen, aber auch im Bereich von Literatur und Bühne. Angesprochen worden sind zudem die musikalische Tradition sowie schulische Projekte usw.

Trotzdem – auch das wird im Antrag thematisiert – sprechen immer weniger Menschen Plattdeutsch. Im alltäglichen Sprachgebrauch spielt es meiner Ansicht nach heute kaum noch eine Rolle. Es ist sicherlich schade, dass gerade viele jüngere Menschen das von zu Hause gar nicht mehr mitbekommen. Auch ich spreche kein Platt. Das mag auch daran liegen, dass meine Eltern ebenfalls kein Platt gesprochen haben.

Umso wichtiger finde ich persönlich, dass zum Erhalt der Sprache auch die Erforschung einen wichtigen Beitrag zu dieser kulturellen Identität, diesem westfälischen und darüber hinausgehenden Kulturgut und dieser Kulturtradition leistet. Als Münsteranerin freue ich mich natürlich darüber, dass die Universität Münster – ebenso wie die Universität Paderborn – ebenfalls einen Beitrag dazu leistet.

Ich habe gerade gesagt, dass ich persönlich kein Platt spreche. Mehr als die allgemein geläufigen Worte „Leeze“ und „jovel“ ist bei mir von der plattdeutschen Masematte-Tradition Münsters leider nicht hängen geblieben. Das ist aber auch der Beleg dafür, dass solche Traditionen nichtsdestotrotz immer wieder Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch finden und das Plattdeutsch auf diese Art und Weise ein Stück weit lebendig halten.

Herr Kollege Schultheis hat allerdings schon darauf hingewiesen, dass die Bewahrung und der Erhalt dieser Kulturtraditionen keine ganz neue Idee sind. Es ist auch nicht richtig, dass diesbezüglich in den letzten Jahren nichts passiert ist. Es gibt die Koordinierungsstelle der Staatskanzlei, und es gibt die vom Kollegen Schultheis angesprochenen unterschiedlichen Projekte. Auch der Fachaustausch ist in dieser Art und Weise koordiniert und geregelt.

Nichtdestotrotz sagen wir als Grüne: Dieses Ansinnen – darauf ist ja schon hingewiesen worden – ist ein Ansinnen der CDU aus der letzten Legislaturperiode, das die Koalition jetzt noch einmal aufgreift. Auch wir können diesem Ansinnen grundsätzlich zustimmen. Allerdings lebt eine lebendige Kultur nicht in erster Linie von Beiräten, sondern davon, dass sie auch von den Menschen gelebt wird. Wenn allerdings ein solcher Beirat einen Beitrag dazu leisten kann, Sprache und Kultur des Niederdeutschen lebendig zu halten, wollen wir dem sicherlich nicht im Wege stehen. Aus diesem Grund können wir Ihrem Antrag heute auch zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Strotebeck.

Herbert Strotebeck (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Regionale Sprachvielfalt nicht nur zu erhalten, sondern aktiv zu fördern, ist eine gute, wichtige Sache. Hier kann Landespolitik glänzen und dem Bürger sichtbar werden. Hier kann Heimatpolitik glänzen und dem Bürger sichtbar werden – auch wenn Ministerin Scharrenbach offensichtlich nur mit politisch korrekter Heimat glänzen möchte.

Heimat, sehr geehrte Frau Ministerin, lässt sich nicht in ein politisch korrektes Korsett pressen.

(Beifall von der AfD)

Heimat ist ein greifbares Gefühl. Heimat beinhaltet Vergangenes und doch nicht Vergängliches.

Die Sprache ist für die meisten Menschen wohl der wichtigste Teil des Gefühls der Heimat. Wenn aus der Bevölkerung der Wunsch nach Förderung sprachlicher Identität erwächst, muss die Politik handeln und den Wunsch unterstützen. Genau dies geschieht mit dem vorliegenden Papier.

Lassen Sie mich erklären, warum ich mich für Sprachvielfalt und damit für den Beirat einsetze. Ich bin gerne und häufig an der Nordseeküste. Über Ostern war ich in Bayern. Aber am liebsten bin ich im Rheinland, also zu Hause. Neben der jeweiligen Landschaft freue ich mich vor allem auch über die örtlichen Dialekte. Wenn Sie auf Bayerisch, auf Platt oder auch auf Ruhrdeutsch begrüßt werden, ist das ein wohliges Gefühl, ein Gefühl von Heimat in unterschiedlichen Facetten. Solche Vielfalt, nicht nur in der Sprache, zeichnet unsere Nation aus.

(Beifall von der AfD)

Es kommt leider vor, dass Menschen ihren Dialekt unterdrücken, weil sie glauben, es sei nicht mehr opportun, im Dialekt zu sprechen. Genau gegen solches Denken kann der neue Beirat arbeiten.

Sprachwissenschaftler bestätigen, dass es häufig nur noch ältere Menschen sind, welche im Dialekt sprechen. Die deutsche Sprache würde immer einheitlicher und damit monotoner werden. Auch hier kann der Beirat Aufklärungsarbeit in Nordrhein-Westfalen leisten und zum Beispiel in Kindergärten und Schulen ansetzen. Manch ein Forscher weist auch darauf hin, dass Dialekte in vielen Regionen Deutschlands kurz vor dem Aussterben sind, während dies in Österreich und auch in der Schweiz nicht der Fall ist.

Im Dezember 2017 haben wir über die zweisprachigen Verkehrsschilder in Nordrhein-Westfalen gesprochen. Seit vergangener Woche gibt es nun das erste Straßenschild in Rödinghausen auf Plattdeutsch. Herr Paul hat das gerade – wenn ich es richtig mitbekommen habe, mit ein bisschen Stolz – erwähnt.

Schon im Dezember 2017 sagte ich Ihnen hier im Plenum, dass die AfD die Partei der kulturellen Vielfalt ist. Jeder Region ihre Kultur; jeder Nation ihre Kultur! Wir Politiker müssen lernen, selbstbewusst zu unserer Sprache und damit deutschen Kultur in ihrer Vielfalt zu stehen.

(Beifall von der AfD)

Sie schreiben in Ihrem Antrag richtig, dass Plattdeutsch Teil der kulturellen Identität der Menschen in Westfalen-Lippe ist. Genauso ist Hochdeutsch Teil des kulturellen Wesens des deutschen Volkes mit regionalen Sprachvariationen als Schnittmenge.

Sprachlich enttäuscht bin ich von Ihrem Einstieg in den Antrag. So schreiben Sie bereits im ersten Absatz von 8 Millionen Niederdeutsch „Sprechenden“ statt grammatikalisch korrekt von „Sprechern“. Auch Sie unterliegen offensichtlich der falschen Annahme, dass das grammatikalische Geschlecht etwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun habe.

Dieser ideologische Denkfehler hat unter anderem dazu geführt, dass in Nordrhein-Westfalen alle Studentenwerke in Studierendenwerke umbenannt werden mussten. In Baden-Württemberg hat das pro Studentenwerk ungefähr 100.000 € gekostet. Die Kosten für Nordrhein-Westfalen sind leider nicht bekannt. Man konnte mir auf meine Kleine Anfrage diesbezüglich keine Antwort geben.

Viele Bürger klagen über Texte, welche sprachlich immer unverständlicher verfasst werden, um ja keines der angeblich zurzeit aktuell 60 Geschlechter auszuschließen. Lassen Sie mich Ihnen sagen: Mit dem Wort „Sprecher“ schließen Sie alle Ihre Geschlechter ein. Sie müssen sich da grammatikalisch und in der Sprache nicht verrenken.

(Beifall von der AfD)

Genug zur Sprachkritik!

Kommen wir zu den Forderungen im Antrag: Eine Ihrer Forderungen ist, dass sich der Beirat aus Vertretern zusammensetzen soll, welche unter anderem das Landtagspräsidium benennt. Entscheidet das Landtagspräsidium eigenmächtig, wer in den Beirat darf und wer nicht? Wie Sie alle wissen, wurde die AfD vom Landtagspräsidium ausgegrenzt. Warum kann nicht einfach jede Partei einen Abgeordneten für den Beirat benennen?

Wir als AfD-Politiker würden gerne bei einem solchen Projekt von Beginn an einbezogen werden. Daher haben wir einen Änderungsantrag eingereicht, der von keinem der Vorredner erwähnt wurde.

Sofern Sie diesem nicht zustimmen, können wir uns beim Hauptantrag leider nur enthalten, da wir sonst möglicherweise wieder ausgegrenzt werden. Wir sollten uns alle gemeinsam für unsere Heimat einsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Strotebeck. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung unterstützt den Antrag von CDU-Fraktion und FDP-Fraktion ausdrücklich, einen Beirat für die niederdeutsche Sprache in Nordrhein-Westfalen und damit auch für die niederdeutsche Heimat und die regionalen Identitäten in unserem Land einzurichten.

Dieser Beirat, so wie er in der Aufgabenstellung formuliert wird, hat eine andere Qualität als das, was bisher in der Staatskanzlei im Rahmen des von Ihnen bereits zitierten Koordinierungskreises auf den Weg gebracht werden soll. Denn es soll zielgerichtet darin münden, dass Heimat eben von unten wachsen kann, dass wir die Menschen befähigen in dieser Frage: „Wie stärken wir regionale Identität?“ eben auch über Sprache.

Mit einem solchen Schritt gehen wir in Nordrhein-Westfalen, wenn Sie heute im Hohen Hause diesen Antrag annehmen, über die im Jahr 1998 eingegangene Verpflichtung aus der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarates hinaus. Deshalb ist es ein sehr wichtiges Zeichen, dass Sie heute hier aus diesem Hohen Hause in die Bürgerschaft der verschiedenen Regionen unseres Landes schicken.

Herr Schultheis, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass in Norddeutschland die niederdeutsche Sprache möglicherweise weiter verbreitet ist, als das in den Regionen Nordrhein-Westfalens heute der Fall ist. Aber umso mehr muss es doch Ansporn sein, dass wir Sorge dafür tragen, den Erhalt dieses kulturellen Erbes, in dem Fall sprachlichen Erbes, umzusetzen und zu befördern in dem Rahmen, wie es dann vor Ort gewünscht und gelebt werden wird.

Insofern folgen wir als Landesregierung, wenn Sie als Legislative heute beschließen, natürlich diesem Auftrag, richten sehr gern den Beirat für niederdeutsche Sprache, niederdeutsche Heimat ein, weil er eine neue Qualität darstellt in der Frage, wie wir unsere Bürgerinnen und Bürger in den Regionen unterstützen, und damit eben einen Beitrag dazu leisten, kulturelle Identität in Nordrhein-Westfalen und damit Heimat zu stärken.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Becker?

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Nicht. Gut.

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Insofern ende ich wie immer: Heimat. Zukunft. Nordrhein-Westfalen. Beschließen Sie bitte diesen Antrag. Wir richten ein, und dann fördern wir die niederdeutsche Sprache. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen damit zur Abstimmung.  Wir stimmen zunächst, weil die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP direkte Abstimmung beantragt haben, über die beiden Anträge nacheinander ab.

Erstens stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD  Drucksache 17/2469 – da ist natürlich auch direkte Abstimmung erforderlich – ab. Wer stimmt dem Änderungsantrag zu? – Die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU, FDP. Gibt es Enthaltungen? – Bei Enthaltung von Herrn Neppe, fraktionslos, ist der AfD-Antrag Drucksache 17/2469 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Damit rufen wir die zweite Abstimmung auf, nämlich die Abstimmung über den Inhalt des Antrags der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/2399. Wer stimmt diesem Antrag zu? – CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – SPD-Fraktion ist dagegen. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der AfD-Fraktion und des fraktionslosen Kollegen Neppe ist der Antrag Drucksache 17/2399 angenommen.

Wir kommen zu:

13 Bundesratsinitiative mit dem Ziel, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu stärken – Transparenz und Aufklärung statt wirtschaftlicher Interessen der Pharmaindustrie

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2393

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Multiresistente Krankenhauskeime, Meldungen über verpfuschte oder unnötige Operationen, Ärzte, die sich aus wirtschaftlichem Druck und Bergen von Bürokratie kaum mehr Zeit nehmen können, mit dem Patienten zu sprechen, ihm seine Sorgen zu nehmen, ihn umfassend aufzuklären in einer Sprache, die der Patient auch versteht, Facharzttermine, auf die man Monate warten muss, während man sich mit seinem Leiden allein gelassen fühlt, manchmal in einer wahren Odyssee von Facharzt zu Facharzt, bis endlich jemand dabei ist, der dem Leid einen Namen gibt und die diagnostizierte Krankheit dann therapiert und letztlich auch manchmal einfach nur die begrenzten Mittel einer so jungen Wissenschaft wie der Medizin!

Die Achillesferse eines jeden Hausarztes, die Viren, die für den einfachen Schnupfen verantwortlich sind, müssen heute wie vor hundert Jahren ausgehalten werden, kein Kraut ist dagegen gewachsen, in der Petrischale gezüchtet oder im Erlenmeyerkolben gemischt.

(Zuruf von der AfD)

Dies ist eine sicherlich nicht vollständige Liste der Dinge, weshalb viele Menschen in einer Gesellschaft das Vertrauen in die klassische Medizin ein Stück weit verloren haben und sich zu den Heilsversprechungen scheinbarer Alternativen zur sogenannten Schulmedizin hinwenden.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Darunter gibt es sicherlich vieles, was der gute Schulmediziner durchaus in sein Repertoire aufnehmen kann und auch sollte. In dem Bereich der Komplementärmedizin haben sich viele Dinge aus Naturheilkunde, Traditioneller Chinesischer Medizin, verschiedene Entspannungsmethoden, Achtsamkeitsübungen als wertvoll, gut angenommen und dem Namen nach als sinnvolle Ergänzungen zusammengefunden.

Aber gerade in dem Sektor der Alternativmedizin gibt es leider immer wieder schwarze Schafe, die suggerieren, neben den Nadeln, Skalpellen, Maschinen und Giften der klassischen Medizin gebe es einfache, schonendere, natürlichere Wege, auch schwere Krankheiten zu heilen, teils mit tödlichen Folgen, wie der Fall des Heilpraktikers aus Brüggen, wie den Medien zu entnehmen war, zeigte.

Potenziell lebensbedrohliche Erkrankungen gehören in die Hand eines Arztes, Probleme in der Schulmedizin hin oder her. Dafür sollten wir alle werben und einstehen. Unser System mag in Teilen in der Krise stecken, unterfinanziert, vom Fachkräftemangel getroffen, aber wir sollten daran arbeiten, es aus der Krise wieder herauszuführen, das Vertrauen in die Medizin wieder zu stärken und an deren Fortschritt mitzuwirken. Im Zentrum muss die Wissenschaft, die Ratio, die Vernunft stehen, nicht die Ideologie. Das hätte uns schon in der Vergangenheit viel ersparen können.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Karl Schult-heis [SPD]

Die Homöopathie, die Inhalt meines Antrags ist, ist in einer Zeit entstanden, in der die Schulmedizin oftmals selbst sehr ideologisch geprägt war und dadurch häufig noch mehr Schaden anrichtete als behob. Aderlass etc. waren verbreitete Methoden.

Die Homöopathie, die 1796 auf die Idee des deutschen Arztes Samuel Hahnemann zurückgeht, stellt sich damals als umfassender Alternativansatz dar. Neben den homöopathischen Arzneien spielten aber insbesondere Ruhe, strenge Reduktion von Medienkonsum, diätetische Maßnahmen wie Kaffeeverzicht, Alkoholverzicht, Zuckerverzicht, Fleischverzicht sowie Frischluft und vieles mehr für Hahnemann eine entscheidende Rolle.

Übrig geblieben sind heute einzig die typischen Zuckerkügelchen, die sogenannten Globuli, und andere Mittelchen, allerdings frei von diesem ganzheitlichen Kontext, während sich die Medizin durch wissenschaftliche Methoden und immer neuen Entdeckungen weiterentwickelt hat und wir heute nicht mehr nur erheblich älter werden als damals, sondern auch so gesund alt werden wie noch nie in unserer Geschichte, allen Unkenrufen zum Trotz.

Die Herstellung homöopathischer Arzneien hat sich dagegen nicht verändert und ist für einen wissenschaftlichen modernen Mediziner dabei von besonderer Streitbarkeit. Die sogenannte C30-Verdünnung ist eine von Hahnemann präferierte Potenzierung und findet heute noch stark Anwendung.

Die Idee dahinter war, dass das Wasser die Eigenschaft des Urstoffes annimmt, sich sozusagen energetisch auflädt und so im Körper des Kranken wirkt.

Für viele Wissenschaftler und Schulmediziner ist das schlichtweg eine unglaubliche Verdünnung. Niemand würde annehmen, dass ein Tropfen Spülmittel im Ozean ein besseres Spülmittel ergäbe als das Konzentrat. Vielmehr noch: In einer C30-Verdünnung befindet sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kein einziges Atom der Ursprungssubstanz mehr. Bildlich gesprochen entspräche das nicht dem Tropfen Spülmittel im Meer, sondern einem Tropfen Spülmittel auf unsere gesamte Galaxie.

Was übrig bleibt ist also oftmals nicht mehr als ein wenig Wasser, geträufelt auf einen Träger aus Milchzucker. Das ist abenteuerlich; denn gerade diese hohen Verdünnungen lassen es zu, dass teilweise recht unappetitliche Stoffe als Ausgangsbestandteil gewählt werden: Gifte, Metalle und Kot sind nur einige Beispiele. Es ist alles einsetzbar, da von der Substanz am Ende ja ohnehin nichts mehr im Medikament vorkommt – verschlüsselt für den größten Teil der Bevölkerung, da in der Beschriftung unter dem lateinischen Namen aufgeführt.

Über 100 wissenschaftliche Studien weisen hingegen keinen Nutzen aus, der über den Placeboeffekt hinausginge.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja!)

Diese alternativen Medikamente sind vor allem eines: Sie sind keine Alternativen, sondern sie sind ein milliardenschwerer Markt. Die Homöopathie ist nicht die Alternative zu den großen Pharmakonzernen, als die sie oft angepriesen wird, sondern sie ist schon längst selbst ein Pharmariese.

(Beifall von der AfD)

Wer heilt, hat recht. – Dieser alte Spruch unter Medizinern gilt auch, wenn er sich auf nicht mehr als den Placeboeffekt bezieht. Der Patient hat aber ein Recht darauf, informiert zu werden. Aus der Verunsicherung der Menschen, aus deren fehlender Aufklärung, aus ihren Ängsten und ihrem Wunsch nach Hoffnung darf kein Kapital geschlagen werden – weder in der Medizin noch in der Politik. Das sage ich ganz ausdrücklich und bitte um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Als nächster Redner spricht für die CDU Herr Preuß.

Peter Preuß (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer meint, dass durch den vorliegenden Antrag eine grundsätzliche Diskussion über Homöopathie, den Berufsstand der Heilpraktiker, die Zusatzausbildung von Ärzten oder die Wirksamkeit homöopathischer Mittel und deren wissenschaftliche Evidenz eröffnet wird, hat sich geirrt. Stattdessen beschränkt sich der Antragsteller auf die bloße Apotheken- und Kennzeichnungspflicht homöopathischer Mittel.

Gerade die fachkundige Verschreibung homöopathischer Substanzen ist aber genau das ordnungspolitische Mittel, um die Gefahren einer Fehlmedikation zu vermeiden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So ist das!)

Homöopathie ist für viele Patientinnen und Patienten eine anerkannte und bewährte Therapieform. Viele sind mit Wirksamkeit und Verträglichkeit homöopathischer Mittel zufrieden; auch wenn die Wirkweise nicht wissenschaftlich belegt ist, aber individuell das Wohlbefinden des Einzelnen – auch über den Placeboeffekt hinaus – verbessert.

Es stellt sich mithin die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht dieser Patientinnen und Patienten durch eine Kennzeichnung tatsächlich gestärkt werden muss oder ob die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichen.

Zur ersten Forderung des vorliegenden Antrags: Die derzeitigen bundesrechtlichen Rahmenbedingungen fußen auf europäischem Recht und stellen somit eine verbindliche Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht dar.

Zur zweiten Forderung: Die bundesgesetzlichen Vorgaben zur Kennzeichnung homöopathischer Arzneimittel beugen bereits einer Irreführung der Patienten bezüglich der nicht vorhandenen pharmakologischen Wirkung vor.

Zum dritten Punkt: Homöopathische Arzneimittel, die nur in Apotheken abgegeben werden dürfen, sind laut Arzneimittelrecht mit dem Hinweis „apothekenpflichtig“ zu kennzeichnen. Diese Differenzierung reicht aus, um eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit homöopathischen Arzneimitteln zu gewährleisten. Damit sind die rechtlichen Bedingungen eindeutig und klar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Vincentz?

Peter Preuß (CDU): Nein. – Aus den genannten Gründen lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Preuß. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Yüksel.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Vincentz, es ist schon sehr verwunderlich, dass Sie sich mit dem vorliegenden Antrag voller Sorge über die Gesundheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen zeigen.

Einer Ihrer ersten Anträge, die Sie zum Thema „Gesundheit“ gestellt haben, war zur Abschaffung des Nichtraucherschutzgesetzes, wonach Menschen dem Nikotinrauch ausgesetzt würden. Passivrauchen – da müssen Sie nicht aufgeklärt werden – ist krebserregend. Das ist so gar nicht konsistent mit Ihrer Sorge, die Sie mit diesem Antrag nun verbinden.

Bei diesem Antrag gibt es ein paar Dinge, über die man durchaus hätte reden können, zum Beispiel die Deklarationspflichten über die nicht vorhandene Wirksamkeit oder ähnliche Dinge. Das hätten wir dann gemeinsam im Ausschuss diskutieren können. Sie haben aber für heute eine direkte Abstimmung beantragt; das nimmt uns die Möglichkeit, über den einen oder anderen Punkt miteinander im Ausschuss zu reden.

Ich nehme es Ihnen nicht ganz ab, dass Sie in erster Linie darauf abzielen, dass Sie tatsächlich sich Sorgen machend in NRW unterwegs sind, sonst hätten Sie den Antrag im Ausschuss tiefergehend beraten lassen.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Ach!)

Das machen Sie aber nicht. Wir als SPD-Fraktion lehnen den Antrag deshalb ab und Ihre Intention in dem Antrag ebenfalls.

(Zuruf von Christian Loose [AfD] – Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Ich bitte Sie!)

Danke für die Aufmerksamkeit, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Andreas Keith [AfD]: Wir wollen eigentlich nur die Grenze schützen mit dem Antrag!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Yüksel. Für die FDP-Fraktion hat das Wort nun Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behandeln hier einen Antrag, der keine zielgerichteten Lösungen bietet und schon in der Überschrift verquere Vorstellungen offenbart. Der Erfolg homöopathischer Präparate liegt doch weniger an den vermeintlichen wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie, sondern eher an den Wünschen von Patientinnen und Patienten nach alternativen Behandlungsmethoden.

Wir haben in Deutschland eine medizinische Versorgung mit hoch qualifizierten Ärzten und Apothekern, die auf die Erkenntnisse moderner Wissenschaft und Forschung zurückgreifen können.

Dennoch verbreiten sich neben der klassischen Schulmedizin zunehmend sogenannte alternative Behandlungsmethoden wie die Homöopathie. Dies ist eine Behandlungsmethode, die Krankheiten mit Substanzen in möglichst niedriger Dosis und in besonders zubereiteter sogenannter potenzierter Form therapieren soll, die bei einem Gesunden dem Krankheitsbild möglichst ähnliche Symptome hervorrufen würden.

In homöopathischen Präparaten wird die Substanz so stark verdünnt, dass sie chemisch oft nicht mehr nachweisbar ist. Metaanalysen haben so auch in keiner validen wissenschaftlichen Studie einen Wirksamkeitsnachweis über den Placeboeffekt hinaus gezeigt. Behandlungserfolge dürften deshalb weniger auf die Wirkmechanismen durch homöopathische Präparate als vielmehr auf die individuelle und umfassende Art der Patientenansprache und des gesamten Therapiesettings zurückzuführen sein.

Insofern halte ich es für sinnvoll, Patientinnen und Patienten über die Hintergründe und die fehlende wissenschaftliche Evidenz von Homöopathie aufzuklären und ihnen so eine bewusste Entscheidung als mündige Bürger zu ermöglichen.

Zudem erschließt sich mir nicht, dass Sie einerseits aufgrund der fehlenden Wirksamkeit und angeblicher wirtschaftlicher Interessen der Pharmaindustrie eine verschärfte Kennzeichnungspflicht fordern, andererseits aber einen möglichst freien Verkauf durch die Aufhebung der Apothekenpflicht. Wenn homöopathische Präparate nicht mehr als Arzneimittel vertrieben werden sollen, würde dies doch eher zu einem bedenkenloseren Gebrauch führen.

Auf eine Frage gehen Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht ein. Im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich vom Leistungsanspruch ausgeschlossen. Allerdings wird eine Berücksichtigung homöopathischer Mittel dann zulässig, wenn die Krankenkassen eine Kostenübernahme über entsprechende Satzungsregelungen ermöglichen.

Damit wird eine Sonderstellung begründet, ohne dass homöopathische Präparate die ansonsten zur Kostenübernahme für Arzneimittel vorgesehenen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise erbringen müssen. Das heißt, diese Finanzierung der Homöopathie durch Krankenkassen mit dem Ziel der Kundenbindung ist hier doch eher das Problem. Hier hätten Sie also ansetzen sollen.

So bleibt Ihr Antrag aber nur ein Placebo. Er wirkt nicht. Die FDP-Fraktion lehnt diesen ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag zum ersten Mal durchgelesen habe, habe ich gedacht: Meine Güte, da hat sich aber jemand den Frust von der Seele geschrieben und mal so richtig auf die Homöopathie eingeschlagen.

Der Kollege Preuß hat eben schon die wichtigsten fachlichen und juristischen Argumente geliefert. Frau Kollegin Schneider hat auch noch einmal auf die absurden Unklarheiten im Antrag hingewiesen, was die Apothekenpflicht anbetrifft.

Die allermeisten homöopathischen Mittel sind überhaupt nicht für einen gezielten Einsatz vorgesehen. Die anderen sind nach § 10 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes eben auch kennzeichnungspflichtig, und die können dann auch nach Beratung in der Apotheke – wie Frau Schneider es ausgeführt hat – und fachkundiger Auskunft genommen werden oder nicht.

Sie wollen etwas anderes. Sie wollen den Menschen vorschreiben, dass sie eben keine homöopathischen Mittel nehmen können. Es ist doch das Recht einer Krankenkasse, per Satzung zu entscheiden, dass sie auch noch die Kosten dafür übernimmt. Dafür gibt es auch Gremien, die darüber entscheiden.

Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, weil der, finde ich, zahlenmäßig schon beeindruckt und weil Sie von einer „Krake“ oder „Gesundheitsmaschinerie“ sprachen. Ein Promille der Gesamtausgaben im Bereich der Arzneimittel sind Ausgaben für homöopathische Mittel. Zu 98 % werden die Kosten dafür dann von den Menschen selbst übernommen.

Ich weiß nicht, wo Ihr Problem liegt. Deswegen ist dieser Antrag abzulehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Bewertung des vorliegenden Antrages spielt die Haltung der Landesregierung zu homöopathischen Arzneimitteln keine Rolle. Der Antrag erfordert aus unserer Sicht eine rein rechtliche Beurteilung.

Die Fraktion der AfD beantragt, eine Bundesratsinitiative der Landesregierung zur Schaffung bundesgesetzlicher Vorgaben zu starten, auf deren Grundlage das Bundesinstitut für Arzneimittel ermächtigt wird, Anordnungen zur Kennzeichnung und zur Apothekenpflicht homöopathischer Arzneimittel zu treffen.

Rechtlich gesehen werden die Fragen der Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln auf europäischer Ebene in einer Richtlinie, dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel, geregelt. Darin sind besondere Bestimmungen für homöopathische Arzneimittel enthalten.

Der Bundesgesetzgeber hat aufgrund seiner im Grundgesetz verankerten Ermächtigung und im Rahmen des europäischen Rechts, das er in nationales Recht umzusetzen hatte, die Bestimmungen für die homöopathischen Arzneimittel abschließend gesetzlich geregelt.

Homöopathische Arzneimittel bedürfen keiner Zulassung. Sie benötigen keinen Wirksamkeitsnachweis, wie ihn gängige Arzneimittel führen müssen. Sie müssen aber den Nachweis der Unbedenklichkeit erbringen.

Homöopathische Arzneimittel sind von der zuständigen Bundesoberbehörde in ein von ihr zu führendes Register einzutragen.

Voraussetzung für das Inverkehrbringen ist zudem eine ordnungsgemäße Kennzeichnung. Außer dem deutlich erkennbaren Hinweis „homöopathisches Arzneimittel“ muss die Kennzeichnung unter anderem ebenfalls den folgenden Hinweis enthalten: „Registriertes homöopathisches Arzneimittel, daher ohne Angabe einer therapeutischen Indikation“.

Über den Rahmen des europäischen Rechts hinaus kann der Bundesgesetzgeber das Institut für Arzneimittel nicht ermächtigen, Anordnungen zur Kennzeichnung von homöopathischen Arzneimitteln zu treffen.

Eine Bundesratsinitiative mit dem beantragten Inhalt hat daher keine rechtliche Grundlage, und sie verstößt schlicht und ergreifend gegen geltendes Recht.

Deswegen: Selbst wenn der Landtag dem Antrag zustimmen sollte, können wir eine solche Bundesratsinitiative gar nicht starten, weil es dafür in diesem Land keine rechtliche Grundlage gibt. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Zum Tagesordnungspunkt 13 sind keine weiteren Rednerinnen und Redner mehr vorgesehen.

Wir kommen zur direkten Abstimmung,  wie es die antragstellende Fraktion der AfD beantragt hat. Wer stimmt also dem Inhalt des Antrages zu? – Die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthält sich der fraktionslose Abgeordnete Herr Neppe. Damit ist der Antrag Drucksache 17/2393 mit breiter Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt.

Ich rufe auf:

14 Gesetz zur Zustimmung zum Einundzwanzigsten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Einundzwanzigster Rundfunkänderungsstaatsvertrag) und zur Änderung weiterer Gesetze (16. Rundfunkänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1565

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 17/2436

zweite Lesung

Die Aussprache ist eröffnet. Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Stullich.

Andrea Stullich (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist es noch genau ein Monat, bis die EU-Datenschutz-Grundverordnung in Kraft tritt. Individuelle persönliche Daten sollen besser geschützt werden, und zwar EU-weit einheitlich. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern müssen deshalb bis zum 25. Mai 2018 verschiedene Gesetze an die neuen Datenschutzregelungen anpassen, unter anderem die Mediengesetze.

Dabei ist uns ganz wichtig: Ein strengerer Datenschutz darf die Pressefreiheit nicht einschränken. Die Pressefreiheit nach Art. 5 unseres Grundgesetzes wird unter anderem durch das sogenannte Medienprivileg gesichert. Dieses Privileg besagt: Für die journalistisch-redaktionelle Arbeit mit personenbezogenen Daten gelten weitreichende Ausnahmen vom Datenschutz, und das ist wichtig, damit zum Beispiel bei Recherchen der Schutz von Informanten gewährleistet bleibt.

Deshalb verankert der Gesetzentwurf der Landesregierung ein weitreichendes Medienprivileg zum Schutz der Pressefreiheit, und dafür gab es in der Expertenanhörung und im Ausschuss zu Recht viel Zustimmung. Unser Änderungsantrag präzisiert das Medienprivileg im Entwurf noch. Er wurde im Ausschuss ohne Gegenstimme angenommen.

Ein zweites wichtiges Thema im Entwurf ist die zweite Stufe der Werbezeitenreduzierung im WDR-Hörfunk. Diese zweite Stufe soll um zwei Jahre verschoben werden, und in dieser Zeit wollen wir herausfinden, ob die erste Stufe überhaupt etwas gebracht hat. Wer profitiert von der Reduzierung? Was hat sich dadurch für die Wirtschaftlichkeit des Lokalfunks verbessert? Wie groß sind die Einbußen beim WDR tatsächlich? Und wie groß ist die Gefahr eines Gattungsschadens für das Radio als Werbeträger insgesamt? Das sind nur die wichtigsten Fragen, die wir mit der Studie beantworten wollen. Das ist uns wichtig, weil unsere Politik eben nicht auf Mutmaßungen und Annahmen beruht, sondern auf Fakten.

Die Werbezeitenreduzierung ist damals unter der Prämisse eingeführt worden, dass der WDR sinkende Werbeerlöse durch einen steigenden Rundfunkbeitrag ausgleichen könnte. Das ist aber nicht der Fall. Der Rundfunkbeitrag soll stabil bleiben, und damit ist eine zentrale Voraussetzung für die Werbezeitenreduzierung nicht mehr gegeben. Deshalb finde ich es nur fair, dass wir erst einmal genau hinschauen, was die erste Stufe gebracht hat, ehe wir die zweite Stufe zünden.

Ich glaube übrigens nicht, dass ein Unternehmer, der seine Hörfunkwerbung nicht mehr beim WDR schalten kann, deshalb automatisch mehr Werbung beim Lokalfunk bucht. Vielleicht geht er auch ins Netz und gibt sein Budget lieber für Werbung bei Google oder Facebook aus. Das würde nicht nur der Gattung Radio als Werbeträger insgesamt schaden, sondern das schadet auch der Wirtschaft hier bei uns, denn die Profiteure säßen in Amerika.

Gerade weil es viele Argumente für die Reduzierung der Werbezeiten beim WDR gibt, aber eben auch viele Argumente, die dagegen sprechen, wollen wir evaluieren, was die erste Stufe gebracht hat. Alles andere macht auch gar keinen Sinn und wäre Politik ins Blaue hinein, die schlimmstenfalls am Ende allen schaden würde: dem WDR, dem Lokalfunk und der Gattung Radio insgesamt. Das will wohl niemand.

Ich bin von der Zukunftsfähigkeit lokaler Hörfunkprogramme in Nordrhein-Westfalen überzeugt. In einer Zeit, in der sich die Welt rasant verändert, in der die Menschen immer globaler unterwegs sind, stärkt der lokale Hörfunk den Wunsch vieler Menschen nach Orientierung und regionaler Identität. Heimatverbundenheit ist ein Wertekompass, der vielen Menschen wichtig ist. Deshalb bleibt die lokale Berichterstattung über das, was vor der eigenen Haustür passiert, das Pfund, mit dem die Lokalsender auch in Zukunft wuchern können.

(Beifall von Thomas Nückel [FDP])

Unsere Aufgabe ist es, nachhaltige, zukunftsfeste Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlich soliden Lokalfunk zu schaffen. Dazu gehört eben auch die Evaluierung der Werbezeitenreduzierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen zum dualen Hörfunksystem in NRW, wir stehen für Fakten, nicht für Mutmaßungen, wir stehen zum Datenschutz, und wir stärken die Pressefreiheit. Darum bitten wir um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Stullich. – Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine angemeldeten Kurzinterventionen und Zwischenfragen. Jetzt hat für die Fraktion der SPD der Kollege Vogt das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Alexander Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Stullich, die Presse- und Medienvielfalt spielt eine entscheidende Rolle für unsere Demokratie. Da sind wir uns einig. Journalistinnen und Journalisten müssen ihrer Arbeit ohne Einschränkungen nachgehen können, und dazu zählt auch die Arbeit mit personenbezogenen Daten für ihre Berichterstattung.

Das datenschutzrechtliche Medienprivileg, das Sie angesprochen hatten, über den Rundfunkstaatsvertrag abzusichern, ist richtig. Ihr im Kultur- und Medienausschuss eingebrachter Änderungsantrag wurde auch durch uns unterstützt und letztlich angenommen. Allerdings ist es schade, dass einige in der Anhörung angesprochenen Möglichkeiten – Stichwort: Quellen- und Informantenschutz – nicht vollumfänglich ausgeschöpft wurden.

Sie haben in dem Antrag mit dem Thema „Datenschutz“ einige andere Änderungen am WDR-Gesetz verknüpft und sind gerade auf das Thema „Werbezeitenreduzierungsverschiebung“ eingegangen. In der letzten Wahlperiode waren Sie noch nicht dabei, aber andere waren es, beispielsweise Herr Wüst – auch in seiner Funktion als Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes – und Herr Nückel. Denen konnte es nicht schnell genug gehen, eine Werbezeitenreduzierung beim WDR zu verabschieden.

Und heute sehen wir in diesem Bereich eine 180-Grad-Wende. Ich frage Sie: Stellen die Werbezeiten des WDR plötzlich kein erhebliches Problem mehr für die Lokalradios dar? Nimmt die öffentlich-rechtliche Konkurrenz dem Lokalfunk plötzlich nicht mehr die Luft zum Atmen?

Diese Begriffe, wie beispielsweise „die Luft zum Atmen“, sind nicht unsere Wortwahl gewesen. Herr Nückel hat dies hier vorne vorgetragen. Und es wurden Anträge gestellt – unter anderem von der FDP –, die Werbereduzierung komplett vorzunehmen: keine Werbung mehr im WDR-Hörfunk bis Ende dieses Jahres. Solche Vorschläge wurden von der CDU mit unterstützt.

Wir haben nun den Vorschlag von Ihnen und der FDP vorliegen, die Werbezeitenreduzierung von 2019 auf 2021 zu verschieben. Dazu hatten wir im Ausschuss eine Anhörung. Damit wurde klar, dass die mit der Reduzierung bei WDR 4 vorhandene Datengrundlage aus Sicht einer Reihe von Sachverständigen nicht ausreicht. – Da fragen wir uns schon, ob Ihnen andere Daten und Informationen vorliegen.

Auch die Zeitdauer der Evaluation über mehr als drei Jahre halten wir für relativ lang, weil die erste Stufe der Werbereduzierung schon 2017 eingetreten ist. – Da fragen wir uns schon, warum Sie eine so lange Zeit gewählt haben.

Aus den genannten Gründen können wir Ihrem Antrag und Ihrer Beschlussvorlage nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Nückel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon auffällig – das war auch bei der Diskussion in der Anhörung so –, dass sich die SPD praktisch nur an einem Punkt sozusagen ein bisschen aufrollt, obwohl gerade die Werbezeitenreduzierung draußen wenig Anstoß gefunden hat.

(Zuruf von Alexander Vogt [SPD])

Wir sind zu Lokalfunkredaktionen gefahren und haben auch mit Betriebsgesellschaften gesprochen. Die sehen das sehr entspannt, weil die auch die Zeichen der Zeit gesehen haben, während Sie sich dieser Kenntnis verweigern.

An anderen wichtigen Punkten waren Sie bei der Beratung gar nicht so interessiert. Das merkte man bei der Anhörung. Vielleicht ist Ihnen das Presseprivileg entgangen; auch die SPD-geführten Landesregierungen in Deutschland haben ihr Augenmerk erst nicht auf das Presseprivileg gelegt. Gleichwohl sehe ich mit Freude, dass Sie im Ausschuss entgegen Ihrer Ankündigung, sich zu enthalten, zugestimmt haben.

Ich sehe es auch mit großer Freude, dass die Grünen angekündigt haben, dem Gesamtwerk zuzustimmen.

Das Presseprivileg war uns wichtig, weil wir deutlich gemerkt haben – deswegen haben wir das auch sprachlich präzisiert –, dass Art. 85 der DatenschutzGrundverordnung weiter gefasst ist als gedacht und ein Rückgriff auf die Aufsicht durch die Landesdatenschutzbehörden, wenn sich ein Presseunternehmen beispielsweise der freiwilligen Selbstkontrolle durch den Presserat nicht unterwirft, nicht nötig ist. Manche Regeln der DSGVO sind weiter gefasst als gedacht; das gilt auch für einige andere Bereiche.

Zu Ihrem Lieblingsthema „Werbezeitenreduzierung“: In der eben genannten Anhörung wurde auch dargelegt, dass die vorliegende Regelung gut begründbar ist.

Gründe hierfür sind Hinweise, dass die sonstigen Werbegelder vielleicht nicht in den Lokalfunk, sondern in Social Media fließen. Kollegin Stullich hat das gerade sehr gut zusammengefasst. Wir müssen zudem zur Kenntnis nehmen, die jüngere Generation hört ohnehin weniger Radio und konsumiert audiovisuelle Medien anders.

Ich glaube, die SPD hat Angst, dass womöglich bei der Evaluierung herauskommt, dass die damalige Last-Minute-Entscheidung mit den zwei Stufen ein halbgarer Irrtum war. Die Entscheidung war ein bisschen kurzsichtig, weil sie nicht in ein strategisches Gesamtkonzept gebettet war. Das haben wir damals auch so gesagt.

Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, die jetzige gesetzliche Regelung von Ihnen zu evaluieren. Genau diese Ansage setzen wir um. Ja, Thomas Sternberg und ich haben uns für einen werbefreien Rundfunk ausgesprochen, wenn er öffentlich-rechtlich ist. Das entsprach damals auch der Diskussion von Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Sender in ganz Deutschland. Demokratie- und medientheoretisch war das eine Diskussion.

So eine Entscheidung für Gesamtdeutschland hätte natürlich in eine gesamtstrategische Weichenstellung für die Rundfunklandschaft eingebettet werden müssen. Das haben Sie verpennt. Das hätte in NRW und im Bund geschehen können. Das Zeitfenster war damals offen. Doch genau diese Diskussion hätten Sie vor Jahren, als Sie an den Schalthebeln waren, führen müssen. Sie haben sich dem verweigert; Sie sahen nicht die Zeichen der damaligen Zeit.

Wir sehen jetzt die Zeichen der heutigen Zeit und werten sie aus. Es geht erst einmal darum, die Ergebnisse der damaligen Entscheidung zu überprüfen. Da kann die Evaluierung sehr nützlich sein.

Es geht uns darum, das duale Hörfunksystem in NRW insgesamt zu stärken. Das werden wir mit Bedacht auf der Basis der Daten, die wir ermitteln, tun.

Ich bin von der Zukunftsfähigkeit lokaler Hörfunkprogramme in NRW überzeugt. Das kann man nicht oft genug wiederholen, wenn ich Ihren Worten folge, Kollege Vogt: 2010 bis 2017 hatten Sie alle Möglichkeiten. Sie gefährdeten aber durch das Ignorieren der Notwendigkeit, strategische Weichenstellungen zu diskutieren, die Zukunft des Lokalfunks, als dessen Wächter Sie sich jetzt völlig unbegründet aufschwingen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Keymis das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für uns Grüne steht zunächst mal fest: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland muss stark bleiben. Dazu gibt es natürlich eine Menge Überlegungen. Er muss aber auch reformfähig bleiben, und er muss sich, glaube ich, auch verändern.

Das heißt, wir werden in Zukunft einen anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben als heute. Er wird möglicherweise mit etwas weniger Radioprogrammen auskommen. Er wird möglicherweise auch irgendwann mit etwas weniger Fernsehkanälen zurechtkommen.

Aber entscheidend ist, dass er stark bleibt und seine grundlegenden Aufgaben erfüllt, nämlich das zu leisten, was eine freiheitliche Demokratie braucht: freie Meinung und Vielfalt der Meinungen, abgebildet in einem Programm, das sich substanziell und unabhängig mit den Themen und Fragestellungen der Zeit befassen kann.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk – hier bei uns der Westdeutsche Rundfunk – soll also stark bleiben.

Und wir haben in der vergangenen Legislatur auch immer dafür geworben, dass er zukünftig, damit die Systeme sauber getrennt und auseinandergehalten werden können, werbefrei werden soll. Auch das ist das Fernziel – jedenfalls von Bündnis 90/Die Grünen –: eine saubere Trennung zwischen dem privaten Angebot, werbefinanziert, und dem öffentlich-rechtlichen Angebot, beitragsfinanziert, aber eben auch werbefrei.

Auf dem Weg dahin haben wir uns in der letzten Periode bereits für ein zweistufiges System entschieden. Dieses war der Versuch, eine solche Veränderung einzuleiten. Er wurde damals von allen Fraktionen hier im Hohen Hause als richtig empfunden. Insofern war das, glaube ich, der richtige Schritt.

Wir haben in der Anhörung damals aber auch Argumente gehört, die uns bis heute nachdenklich machen.

Ein Argument wird durch einen Begriff bezeichnet, der mir damals schon aufgefallen ist, nämlich Gattungsschaden. Es wurde gesagt, es kann sein, dass durch die Tatsache, dass man die Werbung im öffentlich-rechtlichen Angebot verringert, möglicherweise auch die Attraktivität und die Durchsetzungsfähigkeit des Werbeangebots im privaten Rundfunk leidet. Wenn sich dieses durch alle Hörfunkprogramme durchsetzt, entsteht ein sogenannter Gattungsschaden. Darauf ist in der Anhörung damals, als wir über das Gesetz beraten und mit der rot-grünen Mehrheit entschieden haben, schon diskutiert worden.

Das Zweite ist, wir haben uns damals vorstellen wollen und können, dass eine Art Kompensation stattfinden kann. Das heißt also, dass man möglicherweise auf der einen Seite die Werbung reduziert, auf der anderen Seite aber über den Beitrag oder über Veränderungen, die durch einen entsprechenden Umgang mit den rund 7,5 Milliarden € Beitragseinnahmen stattfinden, eine Kompensation dieser Mittel erreicht.

Dieses ist aber aus heutiger Sicht auszuschließen. Ich glaube nicht, dass die Ministerpräsidenten in ihrer Konferenz die Situation so einschätzen, dass sie eine Beitragsanpassung beschließen können. Vielmehr sprechen sie überwiegend von Beitragsstabilität. Ich glaube auf der anderen Seite auch nicht, dass absehbar ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mal eben alles umstellt, was er in den nächsten Jahren umstellen muss, um Beitragsstabilität überhaupt darstellen zu können. Vor diesem Hintergrund entfällt auch das Kompensationsargument.

Das sind die Gründe, warum wir Grünen sagen: Unter diesen Gesichtspunkten kann man den Veränderungen im 16. Rundfunkänderungsgesetz, wie es hier vorgeschlagen wird, zustimmen und sagen, okay, wir setzen das Ganze auf eine etwas längere Zeitleiste, lassen es noch einmal seriös überprüfen anhand der dann hoffentlich vorliegenden Zahlen aus diesem Bereich und sind dann in der Lage zu bewerten, wie man künftig mit der weiteren Werbereduzierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfahren kann. – Das dazu.

Zum 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag kann ich mich im Wesentlichen auf das beziehen, was die Vorredner schon gesagt haben. Im Übrigen ist es bisher oder über viele Jahre hinweg eine gute Tradition gewesen, auch in diesem Hohen Hause, dass diese Art Staatsverträge, die über 16 Länder hinweg diskutiert werden und von den jeweiligen Mehrheiten dort auch umgesetzt werden, interessanterweise manchmal in den einzelnen Ländern von einzelnen Fraktionen abgelehnt werden, was natürlich nach außen ein merkwürdiges Bild macht.

Wenn Herr Kretschmann in Baden-Württemberg diesen Staatsvertrag unterzeichnet und der dortige Landtag ihn beschließt und die Grünen in Nordrhein-Westfalen diesen völlig irre finden und ablehnen, dann kann aus der Sicht der meisten Leute politisch irgendetwas nicht zusammenpassen, jedenfalls aus grüner Sicht. Womöglich geht das anderen Parteien oder Fraktionen, sei es hier im Hohen Hause als auch sonst, ebenso.

Das ist einer der Gründe, warum wir nach reiflicher Überprüfung und Betrachtung der Dinge, auch in Rücksprache mit unserem Experten, der uns in der Anhörung beraten und vorgetragen hat, zu dem Beschluss gekommen sind, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowohl dem 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag als auch dem 16. Rundfunkänderungsgesetz zustimmen und sich damit ein Stück weit einer Tradition anschließen wird, die früher, als die Zeiten noch andere waren, Usus war, nämlich dass man in diesen großen, wichtigen Fragen, die alle Bundesländer betreffen, im Land Einigkeit hatte vor dem Hintergrund dessen, dass wir wissen, was wir am dualen Rundfunksystem in Deutschland haben, nämlich eine freie, eine vielfältige Presse und eine, in der sich die meisten Menschen auf der einen wie auf der anderen Seite auch wirklich wiederfinden. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Tritschler das Wort. Bitte schön.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU und der öffentlich-rechtliche Rundfunk haben historisch gesehen ein gespaltenes Verhältnis. Schon Konrad Adenauer versuchte eine ihm freundlich gesinnte Alternative zum sogenannten Rotfunk von der ARD zu schaffen. Später war es Helmut Kohl, der aus ähnlichen Gründen das Kabel- und das Privatfernsehen zuließ.

Noch im Landtagsprotokoll vom 27. Januar 2016 lesen wir von Herrn Professor Sternberg, CDU – Zitat –:

„Wir stehen für die Werbefreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Wir werden unsere Position für Werbefreiheit in unser Wahlprogramm für 2017 aufnehmen“

– das haben Sie nicht getan –

„und werden es nach der Landtagswahl im nächsten Jahr umsetzen.“

Das tun Sie nicht. – Jetzt ist Herr Sternberg ja nicht mehr Mitglied des Hauses, aber die Union hat Mehrheiten.

Und was hat die FDP gemacht? – Sie hatte einen Antrag eingebracht, wonach die Hörfunkprogramme des WDR Ende dieses Jahres werbefrei gewesen wären. Dazu bemerkte Herr Nückel – er ist ja noch da – im Plenum zur Landesregierung – Zitat –:

„Die jetzigen Trippelschritte, die Sie in diesem Rückzugsgefecht gegen die Werbefreiheit in einem durch Beiträge hoch finanzierten Sender machen, und das, was Sie hier abliefern, ist den bisherigen Debatten und Ankündigungen nicht würdig. Ihre Verrenkungen sind bemerkenswert.“

Herr Nückel, wenn das Trippelschritte waren, dann fahren Sie jetzt im Rückwärtsgang. Denn in Wahrheit – das wissen wir alle – wollen Sie am öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch gar nicht irgendetwas ändern.

Herr Laschet kommt mit den Lobhudeleien für den WDR gar nicht mehr nach. Die FDP, die sich in der Opposition gerne mal kritisch gibt, ist wieder einmal dem Dienstwagen-Liberalismus verfallen.

(Zuruf von der FDP: Hä?)

Während die gesellschaftliche Akzeptanz für gebührenfinanziertes Radio und Fernsehen gerade bei der jungen Generation kaum noch messbar ist, erzählt der Herr Ministerpräsident im Medienausschuss, dass man gerade in diesen Zeiten einen Staatsfunk brauche, womit er meint, dass die Bürger dank des Internets und sozialer Medien endlich die Möglichkeit haben, sich frei und unabhängig zu informieren.

Das behagt Ihnen allen hier freilich nicht. Denn es sind nicht mehr Ihre Parteifreunde im Rundfunkrat, die die Kontrolle über die Information der Bevölkerung haben; es ist die Bevölkerung selbst.

Die teuerste und größte Filterblase der Welt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, hat ausgedient, meine Damen und Herren. Sie können und wollen offensichtlich das Leiden noch etwas verlängern, aber sie werden das Ende auf Dauer nicht verhindern können.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, es wundert ja nicht, dass Sie jetzt, wo Sie an der Macht sind, das Wohlwollen des mächtigen WDR nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollen. Aus demselben Grund haben Sie den Eigentümer eines der größten privaten Medienunternehmen in NRW mit einem Ministerposten eingekauft. So funktioniert das in Bananenrepubliken, so funktionierte das bei Berlus-coni. Sie wollen keine freie, staatsferne oder gar kritische Berichterstattung. Sie wollen Erfüllungsgehilfenfür Ihre Politik.

(Beifall von der AfD)

Es wird Sie nicht wundern, aber die AfD wird da sicher nicht mitgehen: Zum einen halten wir uns an unsere Wahlversprechen, und zum anderen fordern wir eine massive Reduktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hin zu einer wirklichen Grundversorgung. Ein solcher Rundfunk muss dann natürlich auch werbefrei sein und darf privaten Wettbewerbern nicht die dringend benötigten Werbemittel streitig machen. Dabei ist es übrigens völlig egal, ob das Wettbewerber im Radio oder im Internet sind.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen Sie NRW dagegen zum medienpolitischen Geisterfahrer in Deutschland und vergehen sich ohne Not am Medienstandort. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, erinnern Sie sich an Ihre Wahlversprechen, oder wir werden es weiterhin tun.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Tritschler für die Fraktion der AfD. – Als Nächster hat nun in Vertretung von Herrn Ministerpräsidenten Laschet Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben den Entwurf eines 16. Rundfunkänderungsgesetzes vorgelegt. Darin sind Änderungen an Mediengesetzen unseres Landes vorgesehen sowie die Zustimmung des Landtags zum 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag.

Der überwiegende Teil der an den verschiedenen Gesetzen geplanten Änderungen dient einem einheitlichen Ziel: Wir wollen auch unter der Geltung der EU-Datenschutzverordnung die freie journalistische Arbeit absichern – sowohl im Bereich der gedruckten Presse als auch im Rundfunk und im Rahmen von journalistischen Angeboten im Internet. Entsprechend werden journalistische Tätigkeiten auch zukünftig weitgehend von datenschutzrechtlichen Vorgaben freigestellt.

Die zum Gesetzentwurf durchgeführte Expertenanhörung hat aus Sicht der Landesregierung gezeigt, dass wir hier einen guten und durchdachten Entwurf vorgelegt haben. So äußerte beispielsweise die Landesanstalt für Medien, der Gesetzgeber habe den ihm zustehenden Spielraum bei der Umsetzung der Datenschutzverordnung in einer Art genutzt, mit der die Landesanstalt für Medien gut werde arbeiten können.

Ich freue mich sehr, dass die Verankerung klarer und weitreichender Medienprivilegien auch bei Ihnen und über die Fraktionsgrenzen hinweg auf Zustimmung gestoßen ist. Selbst die SPD scheint nicht viele Kritikpunkte am Gesetzentwurf gefunden zu haben, denn bei den Beratungen im federführend zuständigen Ausschuss für Kultur und Medien begründete sie ihre Ablehnung des Gesetzentwurfs nur mit einem Punkt. Er betrifft die Umsetzung eines schon in unserem Koalitionsvertrag verankerten Zieles, nämlich die Evaluierung der Werbezeitenreduzierung beim WDR.

Entsprechend unserer Aussage im Koalitionsvertrag enthält der Gesetzentwurf die Regelung, dass die Auswirkungen der Anfang 2017 in Kraft getretenen ersten Welle der Werbezeitenreduzierung untersucht werden sollen. Um dem Ergebnis nicht vorzugreifen, wollen wir zugleich den Eintritt der zweiten Kürzung der Werbezeit um zwei Jahre verschieben. Die SPD hat nun im Ausschuss für Kultur und Medien darauf verwiesen, eine Evaluierung der bereits geltenden ersten Stufe der Werbezeitenreduzierung sei verfrüht.

Wir halten die Evaluierung und Verschiebung einer weiteren Reduzierung jedoch weiterhin für richtig. Die Alternative wäre doch, dass die zweite Stufe der Werbezeitenreduzierung zunächst in Kraft tritt. Hierdurch würden letztlich abschließende Fakten geschaffen, die vielleicht alleine zulasten des WDR gingen.

Evaluierung und Verschiebung sind sinnvoll, weil Zweifel daran bestehen, dass die Werbezeitenreduzierung den Lokalradios wirklich zugutekommt, weil die Auswirkungen der bisherigen Reduzierung nicht feststehen, nicht analysiert worden sind und weil das Risiko eines Gattungsschadens im Raum steht. Entsprechend hat ja auch Professor Dr. Holznagel im Rahmen der Anhörung die Verschiebung der zweiten Stufe der Werbezeitenreduzierung zum Zwecke einer Evaluierung als gut begründbar bewertet.

Als Fazit lässt sich festhalten: Das 16. Rundfunkänderungsgesetz ist ein klares Bekenntnis zur Presse- und Medienfreiheit in Nordrhein-Westfalen und über unsere Landesgrenzen hinaus. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Für die Fraktion der SPD hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Vogt das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Ooooh!)

Alexander Vogt*) (SPD): Ich kann ja verstehen, dass Ihnen das nicht passt, und der Punkt ist natürlich auch schwierig für Sie. Ansonsten wollen sicherlich einige von Ihnen nach unten; der Ministerpräsident ist ja schon verschwunden, obwohl er eigentlich Medienminister ist. Er kümmert sich mal wieder nicht um diesen Punkt, den wir hier diskutieren.

(Beifall von der SPD)

Dass Sie das ärgert und Sie lieber unten in der Halle stehen würden, kann ich verstehen. Wir haben noch 1:30 Minuten; da müssen Sie jetzt durch.

(Zurufe von der CDU und der FDP – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wo sind denn eure Leute?)

Herr Tritschler, von Ihnen und der AfD müssen wir uns jedes Mal anhören, was Sie zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk meinen, wie schlimm der Rundfunkrat ist,

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ja!)

aber selbst Leute in den Rundfunkrat schicken! Herr Seifen sitzt doch im Rundfunkrat und sagt dann meistens überhaupt kein Wort. Sie tun hier so, als ob da irgendetwas von oben gesteuert wäre. Das ist völliger Quatsch. Lassen Sie das doch jetzt endlich mal sein!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte noch auf eine zweite Sache eingehen, Herr Nückel und auch Frau Stullich, nämlich auf das Thema Lokalfunk und Werbezeitenreduzierung. Dass Sie hier Anträge eingebracht haben, die viel weitergehend waren: geschenkt. Aber, Herr Laumann, dass Sie gerade über den Koalitionsvertrag reden, in dem Sie festgeschrieben haben, dass Werbefreiheit ein Ziel dieser Landesregierung ist, und gleichzeitig von Beitragsstabilität reden: Dass es dabei aber eine gewisse Diskrepanz gibt, da vermissen wir eine ganze Menge Ehrlichkeit von Ihnen, wie das denn alles zusammengehen soll.

Der Medienminister hatte ja in der letzten Woche im Medienausschuss die Gelegenheit, ein klares Bekenntnis zum Lokalfunk abzugeben. Das hat er dort verweigert. Deshalb rufen wir dieses Thema immer wieder auf, dass die 45 Lokalsender mit einzelnen Redaktionen weiter Bestand haben müssen. Gerade Sie, Frau Stullich, als ehemalige Mitarbeiterin müssen doch ein Interesse daran haben.

Herr Nückel, es ist nicht so, dass dort alles okay ist. Natürlich gibt es dort eine Angst, dass dann, wenn von Ihnen kein klares Bekenntnis zum Lokalfunk in dieser Struktur kommt, ein Problem durch diese Landesregierung entsteht.

(Widerspruch von Daniel Sieveke [CDU])

Das werden wir auch weiterhin thematisieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogt. – Es hat jetzt noch einmal für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort. Bitte schön.

(Zurufe)

Sven Werner Tritschler (AfD): Es tut mir leid, aber es ist wie so oft: Die SPD ist schuld. – Es geht auch ganz schnell.

Herr Kollege Vogt, wir lehnen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab. So weit haben Sie es begriffen. Solange es ihn aber gibt, nehmen wir natürlich auch

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nehmen Sie alles mit!)

an den Gremien, die es dort, gibt, teil. Wir machen das aber im Unterschied zu Ihnen offen. Unser Vertreter, Herr Seifen, ist ganz offizieller Vertreter der AfD im Rundfunkrat des WDR.

Bei Ihnen sind zwei Drittel der Vertreter als Vertreter von irgendwelchen Verbänden getarnt. Das nennt sich dann Zivilgesellschaft. Wir haben das erhoben: Mehr als die Hälfte der Vertreter im Rundfunkrat sind keine Vertreter der Zivilgesellschaft. Das sind getarnte Parteienvertreter von der SPD, von der CDU, von der FDP und von den Grünen.

(Vereinzelt Beifall von der AfD)

Das nennt sich dann demokratische Mitbestimmung. – Meine Damen und Herren, dann können wir den Rundfunkrat auch gleich aufheben und die Kontrolle dem Landtag überlassen. Das hat jedenfalls mit Staatsferne nichts zu tun. Deswegen werden wir das weiterhin kritisieren.

Machen Sie sich keine Sorgen: Solange es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch gibt – ich habe Hoffnung, dass das nicht mehr so lange ist –, werden wir ihn weiterhin in den entsprechenden Gremien kontrollieren.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Tritschler für die Fraktion der AfD. – Ich frage jetzt noch einmal in die Runde, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. – Das bleibt auch so. Dann sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/1565. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt uns in Drucksache 17/2436, den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 17/2436 und nicht über den Gesetzentwurf. Ich darf fragen, wer der Beschlussempfehlung folgen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 17/2436 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 17/1565 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen damit zu:

15 Zuführung zum Pensionsfonds auch in den nächsten Jahren erhalten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2408

Dazu ist heute keine Aussprache vorgesehen.

Somit können wir unmittelbar zur Abstimmung kommen. Der Ältestenrat legt uns nahe, den Antrag Drucksache 17/2408 an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Die abschließende Aussprache, Beschlussfassung und Abstimmung soll dann nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Darf ich die Zustimmung des Hauses feststellen? Ich bitte um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

16 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 4. Quartal des Haushaltsjahres 2017 sowie unter 25.000 Euro im gesamten Haushaltsjahr 2017

Vorlage 17/667

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/2429

Es handelt sich um einen Antrag des Finanzministeriums gemäß Art. 85 Abs. 2 der Landesverfassung.

Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/2429, die in der Vorlage 17/667 beantragten Genehmigungen zu erteilen.

Ich lasse somit über die Vorlage 17/667 abstimmen. Wer dieser zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Ich frage, ob es Gegenstimmen gibt. – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Dann ist die Vorlage 17/667 einstimmig angenommen und die beantragte Genehmigung erteilt.

Wir kommen zu:

17 Jahresbericht 2017 des Kontrollgremiums gemäß § 23 VSG NRW

Unterrichtung
gemäß § 28 VSG NRW
Drucksache 17/2237

Auch hier ist heute keine Aussprache vorgesehen.

Das Gremium kommt der jährlichen Berichtspflicht an das Plenum durch die Unterrichtung Drucksache 17/2237 nach. – Dagegen gibt es auch keinen Widerstand, keine Gegenstimmen? – Dann stelle ich die Kenntnisnahme fest.

Wir kommen zu:

18 Gesetz zur Änderung des EA-Gesetzes NRW

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2410

erste Lesung

Herr Minister Professor Dr. Pinkwart hat seine Einbringungsrede zu Protokoll gegeben.

Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Somit kommen wir zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, den Gesetzentwurf Drucksache 17/2410 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zu überweisen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist das mit Zustimmung des Hauses einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

19 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 6
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 17/2453

Die Übersicht 6 enthält sieben Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur abschließenden Erledigung an einen Ausschuss überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Übersicht 6 abstimmen. Ich frage, ob es die Zustimmung der Fraktionen gibt. – Das ist die Zustimmung der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD sowie des fraktionslosen Abgeordneten Neppe. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann sind die enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse in Übersicht 6 einstimmig bestätigt.

Wir kommen zu:

20 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/11
gemäß § 97

Gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen. Ihnen liegen mit der Übersicht 11 die Beschlüsse zu Petitionen vor, über deren Bestätigung wir abstimmen.

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Somit kommen wir zur Abstimmung. Wer die Beschlüsse des Petitionsausschusses bestätigen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses, wie in der Übersicht 11 vorgelegt, bestätigt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum für morgen früh, 10 Uhr, also für den 26. April 2018, wieder ein.

Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.


Schluss: 21:30 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.   

 

Anlage

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des EA-Gesetzes NRW – zu Protokoll gegebene Rede

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie:

Die EU-Dienstleistungs- und die Berufsanerkennungsrichtlinie schreiben in den EU-Mitglieds-ländern einen Einheitlichen Ansprechpartner für Dienstleister und Fachkräfte in allen Fragen und Verwaltungsverfahren der Dienstleistungswirt-schaft und Berufsanerkennung vor.

NRW hat in 2016 mit dem Gesetz zur Bildung Einheitlicher Ansprechpartner in Nordrhein-West-falen (EA-Gesetz NRW) die bis dahin bestehende EA-Struktur in NRW – 21 EAs in den Kreisen und kreisfreien Städten – im Rahmen einer Neuorganisation durch ein zentrales EA-Modell ersetzt.

Die Bezirksregierung Detmold wurde ab dem 01.01.2016 zentraler Einheitlicher Ansprechpartner in NRW mit einem modernen EA-Internet-portal – www.nrw-ea.de. Hierüber werden für Dienstleister und Fachkräfte aus dem In- und Ausland durchgehend elektronisch Verwaltungsverfahren koordiniert.

Da beim zentralen Einheitlichen Ansprechpartner in NRW personenbezogene Daten verarbeitet werden, ist eine Anpassung des Gesetzes an die Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bis zum25. Mai 2018 erforderlich.

Bei den vorgenommenen Änderungen handelt sich dabei lediglich um die Anpassung datenschutzspezifischer Begrifflichkeiten und Termini sowie die Einhaltung des Wiederholungsverbots.

Laut einer Entscheidung des EuGH ist es verboten, EU-Verordnungen im nationalen Recht zu wiederholen. Daher waren die die EU-Daten-schutzgrundverordnung wiederholenden Bestim-mungen im EA-Gesetz NRW zu streichen.

Darüber hinausgehende inhaltliche Änderungen wurden nicht vorgenommen.