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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/23

17. Wahlperiode

22.03.2018

 

23. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 22. März 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 5

Änderung der Tagesordnung. 5

Ergebnis. 5

Nichtförmliche Rüge  
des Abgeordneten Jochen Ott
betreffend TOP 4 der 22. Plenarsitzung
am 21. März 2018  5

Nichtförmliche Rüge  
des Abgeordneten Roger Beckamp
betreffend TOP 8 der 22. Plenarsitzung
am 21. März 2018  5

1   Das Land Nordrhein-Westfalen soll die Finanzierung der Kunststiftung NRW sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2161. 5

Andreas Bialas (SPD) 5

Bernd Petelkau (CDU) 6

Lorenz Deutsch (FDP) 6

Oliver Keymis (GRÜNE) 7

Christian Loose (AfD) 7

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 8

Ergebnis. 9

2   Gesetz zur Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium (13. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2115

erste Lesung

In Verbindung mit:

Abitur nach 9 Jahren – (Oberstufen)Reform richtig angehen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1818. 9

Ministerin Yvonne Gebauer 9

Jochen Ott (SPD) 10

Petra Vogt (CDU) 14

Franziska Müller-Rech (FDP) 16

Sigrid Beer (GRÜNE) 18

Helmut Seifen (AfD) 20

Marcus Pretzell (fraktionslos) 22

Jochen Ott (SPD) 23

Ministerin Yvonne Gebauer 24

Ergebnis. 26

3   Präventionsmaßnahmen gegen Neosalafismus in Nordrhein-Westfalen nachhaltig verankern und ausbauen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/472

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/2171. 26

Dietmar Panske (CDU) 26

Ibrahim Yetim (SPD) 27

Nichtförmliche Rüge  
des Abgeordneten Ibrahim Yetim.. 27

Marc Lürbke (FDP) 28

Verena Schäffer (GRÜNE) 30

Markus Wagner (AfD) 31

Minister Herbert Reul 32

Markus Wagner (AfD) 34

Ergebnis. 34

4   Gewalt gegen unsere Einsatz- und Rettungskräfte konsequent benennen, systematisch erforschen und selbstbewusst bekämpfen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2150. 34

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2241. 34

Markus Wagner (AfD) 34

Gregor Golland (CDU) 36

Andreas Bialas (SPD) 39

Dr. Werner Pfeil (FDP) 43

Verena Schäffer (GRÜNE) 46

Marcus Pretzell (fraktionslos) 47

Minister Herbert Reul 48

Thomas Schnelle (CDU) 49

Dr. Martin Vincentz (AfD) 50

Ergebnis. 51

5   Engpässe beseitigen – Land muss Kommunen mehr Zeit zur Umsetzung des Programms „Gute Schule 2020“ einräumen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2163. 51

Christian Dahm (SPD) 51

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 52

Henning Höne (FDP) 53

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 54

Helmut Seifen (AfD) 56

Minister Lutz Lienenkämper 57

Ergebnis. 58

6   Gesetz zur Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes – Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2122

erste Lesung. 58

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 58

Christian Mangen (FDP) 59

Hans-Willi Körfges (SPD) 60

Monika Düker (GRÜNE) 61

Thomas Röckemann (AfD) 62

Minister Peter Biesenbach. 62

Ergebnis. 63

7   Multiresistente Keime in nordrhein-westfälischen Gewässern bekämpfen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2147. 63

Barbara Steffens (GRÜNE) 63

Dr. Ralf Nolten (CDU) 64

Frank Börner (SPD) 65

Markus Diekhoff (FDP) 65

Dr. Martin Vincentz (AfD) 66

Ministerin Christina Schulze Föcking. 68

Ergebnis. 69

8   Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2058. 69

Florian Braun (CDU) 69

Marcel Hafke (FDP) 70

Christina Kampmann (SPD) 71

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 73

Sven Werner Tritschler (AfD) 74

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 75

Ergebnis. 76

9   Bürgerschaftliches Engagement beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2156

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2213

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2222. 76

Florian Braun (CDU) 76

Rainer Matheisen (FDP) 78

Alexander Vogt (SPD) 78

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 80

Sven Werner Tritschler (AfD) 81

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 82

Ergebnis. 83

10 Stärkung der Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Straftaten im Cyberraum

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2158. 84

Angela Erwin (CDU) 84

Christian Mangen (FDP) 85

Sven Wolf (SPD) 86

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 87

Sven Werner Tritschler (AfD) 88

Minister Peter Biesenbach. 89

Ergebnis. 90

11 Mittelstand und Handwerk stärken – Arbeitsplätze sichern: Unternehmensnachfolge in NRW unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2159. 90

Ergebnis. 90

12 30 Jahre Erasmus-Austausch in Nordrhein-Westfalen – Bildungspolitischen Austausch weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1441

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Internationales
Drucksache 17/2201. 91

Änderungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2223

Oliver Krauß (CDU) 91

Rüdiger Weiß (SPD) 92

Thomas Nückel (FDP) 93

Johannes Remmel (GRÜNE) 93

Sven Werner Tritschler (AfD) 94

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 95

Ergebnis. 95

Entschuldigt waren:

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Ministerin Ina Scharrenbach      
(ab 13:30 Uhr)

Guido van den Berg (SPD)      
(bis 16 Uhr)

Armin Jahl (SPD)

René Schneider (SPD)

Christof Rasche (FDP)

Iris Dworeck-Danielowski (AfD)

Thomas Röckemann (AfD)

Gabriele Walger-Demolsky (AfD)

 

 

Beginn: 10:05 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen, 23. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert heute Frau Heike Gebhard von der Fraktion der SPD. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung weise ich auf folgende Änderung der Tagesordnung hin: Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag „30 Jahre Erasmus-Austausch in Nordrhein-Westfalen – Bildungspolitischen Austausch weiterentwickeln“ Drucksache 17/1441 als neuen Tagesordnungspunkt 12 aufzunehmen. – Hiergegen sehe ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Dann habe ich noch zwei Rügen auszusprechen.

Im Nachgang zu TOP 4 der gestrigen Sitzung möchte ich eine Rüge aussprechen, die Herrn Abgeordneten Jochen Ott von der SPD-Fraktion betrifft. Herr Ott hat sich während seines Redebeitrags zu Tagesordnungspunkt 4 „Ganztag für die Zukunft fit machen – OGS-Gipfel einberufen“ unparlamentarisch verhalten, indem er gegenüber Herrn Abgeordneten Seifen eine beleidigende Äußerung getätigt hat. Ich werde die Äußerung nicht wiederholen. Sie ist der Würde des Parlaments nicht angemessen.

Herr Kollege, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Eine weitere Rüge möchte ich im Nachgang zu TOP 8 der gestrigen Sitzung aussprechen. Sie betrifft Herrn Abgeordneten Roger Beckamp von der AfD-Fraktion. Herr Beckamp hat sich während seines Redebeitrags zu Tagesordnungspunkt 8 „Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz“ unparlamentarisch verhalten, indem er in der Sitzung öffentlich Kritik am Präsidium geäußert hat. Die verwendete Formulierung werde ich nicht wiederholen. Sie ist der Würde des Parlaments nicht angemessen. Der richtige Ort, solche Dinge anzusprechen, ist der Ältestenrat.

Herr Kollege, ich ermahne Sie und bitte Sie, derartige Äußerungen zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen Sie mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun rufe ich auf:

1   Das Land Nordrhein-Westfalen soll die Finanzierung der Kunststiftung NRW sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2161

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Bialas das Wort.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Ich darf als Erstes feststellen: Es ist eine Freude, um 10 Uhr, zum Beginn des Plenums, über Kulturpolitik sprechen zu dürfen.

(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall)

Wenn das so ist, dann muss es auch ein wichtiger Punkt sein. Das ist in der Tat so. Es geht um die gesicherte, auskömmliche und längerfristig gleichmäßig ausgerichtete Finanzierung der Kunststiftung NRW. Ich möchte gar nicht alles das aufzählen, was die Stiftung macht, sondern mich auf einige Anmerkungen beschränken.

Die Kunststiftung NRW hat seit ihrem Bestehen ca. 7.000 Projekte von rund 3.500 Künstlern gefördert. Sie unterstützt dabei insbesondere die Werkschaffung, also genau den Vorgang, bei dem etwas Neues in die Welt gelangt und neue Kunst entsteht. Es gibt nicht so viele, die das in dieser Form tun.

Die Kunststiftung NRW ist ein Gütesiegel für Qualität. Andere Fördermittelgeber orientieren sich bei ihren Entscheidungen daran, ob die Kunststiftung NRW mitfördert. Das heißt: Sie fördern eher, wenn auch die Kunststiftung NRW dabei ist.

Ich darf stellvertretend für alle, die vor ihnen kamen, hier Herrn Dr. Behrens und Frau Dr. Sinnreich danken. Frau Dr. Sinnreich sitzt auf der Tribüne. Es ist nicht üblich, jemanden dort zu begrüßen. Die Begrüßung habe ich bereits unten durchgeführt. Ich wollte es nur erwähnen und sagen, dass ich mich über ihre Anwesenheit freue.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Im Kuratorium der Kunststiftung NRW gibt es keinen Zweifel daran, dass die Kunststiftung auch weiterhin eine verlässliche Finanzierung verdient und braucht. Entschieden wird es aber nicht dort; entschieden wird es hier.

Nachdem im letzten Haushalt einige andere Stiftungen deutliche Zuwächse verzeichnen konnten – ich gehe davon aus, dass man beim ersten Haushaltsentwurf die Kunststiftung vermutlich nur übersehen hat –, schlagen wir nun vor, erstens eine einmalige Erhöhung um 10 % – das sind knapp 1 Million € – vorzunehmen und zweitens diese Fördersumme dann für fünf Jahre zu verstetigen. Dies würde auch der immer weiter ansteigenden Zahl von Anträgen an die Kunststiftung entsprechen. Das hört sich ein bisschen paradox an. Die Kunststiftung ist aber quasi Opfer ihres eigenen Erfolgs und braucht auch daher schlicht und ergreifend einen höheren Mittelzufluss.

Die alte Landesregierung hatte bereits eine dreijährige Festbetragsfinanzierung gewährt. Diese ist nun aber nach diesen drei Jahren ausgelaufen. Denn grundsätzlich wird die Kunststiftung NRW aus den Einnahmen des staatlichen Lotteriewesens finanziert. Sie ist ein Destinatär. Da diese Mittel langfristig immer fraglich sind und in ihrem Zulauf Schwankungen unterliegen, bedarf es dieser Grundabsicherung.

Wir beantragen daher, einen erneuten Vertrag, gültig ab dem Haushaltsjahr 2019, abzuschließen. Ich kann es auch einmal mit den Worten meines 83 Jahre alten Bezirksbürgermeisters sagen. Er würde in die Runde schauen, die Leute anlächeln und sagen: Es ist ein guter Antrag. Sie können zustimmen. – Das würde ich auch vorschlagen; denn im nächsten Jahr wird die Kunststiftung NRW 30 Jahre alt und erführe damit eine angemessene Würdigung ihrer großartigen Leistungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU hat der Abgeordnete Petelkau das Wort.

Bernd Petelkau (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kunststiftung NRW ist seit 1989 ein wertvoller Baustein in der Kulturförderung unseres Bundeslandes. Sie unterstützt Jahr für Jahr ca. 300 künstlerische Projekte in unserem Bundesland mit einem Gesamtvolumen von rund 9,5 Millionen €.

Dieses Geld wird, wie mein Vorredner bereits ausgeführt hat, durch den Landeshaushalt bereitgestellt und durch die Konzessionsabgaben des staatlichen Glücksspielanbieters WestLotto refinanziert.

Für die NRW-Koalition besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass die Arbeit der Kunststiftung NRW im bisherigen Umfang fortgesetzt werden muss und auch fortgesetzt werden wird. Angesichts der stagnierenden Glücksspielerträge muss allerdings genau geprüft werden, in welchem Umfang eine Ausweitung von Aktivitäten dargestellt werden kann.

Die sozialdemokratisch geführte Vorgängerregierung hat – das gehört auch zur Beschreibung der Ausgangslage dazu – regelmäßig die Anpassung des Fördervolumens negiert und damit auf eine Ausweitung der Förderaktivitäten verzichtet. Dies soll uns aber nicht davon abhalten, es künftig anders zu machen.

Für eine adäquate Debatte über eine eventuelle Stärkung der Kunststiftung NRW ist es allerdings zunächst erforderlich, zu prüfen, inwieweit eine Skalierung des bisherigen Förderkonzepts Sinn macht oder ob es nicht sinnvoller ist, eine Fokussierung auf bestimmte Bereiche vorzunehmen. Dabei müsste aus unserer Sicht auch geprüft werden, ob nicht gemeinsame Förderprojekte zwischen der Stiftung und der Kulturverwaltung einen Mehrwert generieren.

Auch wenn die Entscheidung über eine mögliche Etaterhöhung erst im Rahmen der Beratungen zum Haushalt 2019 getroffen werden kann, bitte ich das Ministerium, die Antworten auf die gestellten Fragen zeitnah mit der Führung der Kunststiftung NRW abzustimmen und dann im Kulturausschuss vorzustellen. Denn diese Informationen sind wesentlich, wenn wir eine Ausweitung des Fördervolumens adäquat im Ausschuss diskutieren wollen.

Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir gerne zu. Wir freuen uns dort auf eine weitere konstruktive Debatte zur Stärkung der Kunst- und Kulturlandschaft in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Petelkau. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Deutsch das Wort.

Lorenz Deutsch (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Kunststiftung NRW ist eine ganz wichtige, zentrale Einheit für die Kulturförderung in unserem Land angesprochen. Sie steht für Qualität und Professionalität. Die SPD spricht in ihrem Antrag auch zu Recht von einem Gütesiegel, das mit der Förderung durch die Kunststiftung NRW verbunden ist.

Sie verfügt jährlich über etwas mehr als 9,5 Millionen €. Für Alarmismus wegen der Gefährdung der finanziellen Grundausstattung, der zwischen den Zeilen des Antrags der SPD ein bisschen durchdringt, besteht kein Anlass. Das zeigt auch der Umstand, dass die Vorgängerregierung seit Jahren diesen Förderbetrag fortgeschrieben hat und auch mittelfristig keine Erhöhung geplant war. Die Kunststiftung NRW hat auf dieser Basis eine verlässliche Planungssicherheit.

Sie fordern hier aber nicht nur eine 10%ige Erhöhung, sondern auch die Festschreibung des Zuschusses. Sie sprechen davon, dass mehrjährige Verpflichtungen eingegangen werden müssten. Zwar führen Sie das nicht weiter aus. Aber bislang bewegt sich die Stiftung vornehmlich in der Förderung von Exzellenzprojekten.

Ihnen scheint nun vorzuschweben, dass auch längerfristige Grundförderung stattfinden soll. Vielleicht habe ich Sie aber nur nicht richtig verstanden. Aus dem Antrag kann man das allerdings herauslesen. Das bedeutete aber eine grundsätzliche Änderung der Förderpolitik. Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt. Wir werden aber Gelegenheit haben, das im Ausschuss zu diskutieren.

Damit komme ich auch zu einem Grundproblem Ihres Antrags. Die Stiftung hat ein Kuratorium, in das grundlegende Weichenstellungen zuerst gehören. Wenn der Vorstand der Stiftung zu der Überzeugung kommt, dass eine Erhöhung notwendig ist – und vielleicht auch eine Veränderung der Förderpolitik –, wäre das Kuratorium die erste Adresse für ein solches Konzept. Danach sollte gründlich mit dem Ministerium gesprochen werden. Dass hier die SPD-Fraktion als erstes Gremium der Stiftung firmiert, finde ich etwas gewöhnungsbedürftig.

Wir wünschen uns eine gute Vorbereitung auf Fachebene. Wenn sie geleistet ist, kann sich die Kunststiftung NRW auch unserer Unterstützung sicher sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die grüne Fraktion hat nun Herr Kollege Keymis das Wort.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag ist gut. Der Antrag ist auch richtig, weil er genau an das anknüpft, was wir in der vorigen Legislaturperiode gemacht haben, nämlich eine Verstetigung der Mittel. Wir haben die oftmals schwankenden Wetteinnahmen durch den Landeshaushalt abgesichert. Das war klug und richtig, weil die kontinuierliche Arbeit der Kunststiftung NRW dadurch gewährleistet war. Das soll sie weiter sein. Darüber werden wir im Ausschuss auch noch einmal verstärkt diskutieren.

Das eigentlich Spannende heute Morgen ist etwas ganz anderes. Soweit ich mich erinnern kann – ich bin ja jetzt schon alt und dick oder dick und alt –,

(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)

ist es das erste Mal im Landtag Nordrhein-Westfalen, seit ich hier die Menschen mit vertreten darf, dass wir als TOP 1 ein kulturpolitisches Thema behandeln.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Ich danke all den Zufällen und den Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern herzlich dafür, dass sie nicht mehr daran herumgedreht haben, sondern gesagt haben: Gut, das sind zwar die von der Kultur; sie dürfen aber auch einmal ganz vorne mitreden.

Das Langweilige an kulturpolitischen Debatten ist, dass sich die Kulturleute häufig so komisch einig sind. In anderen Ausschüssen ist das anders. Das Langweilige an Kulturdebatten ist natürlich auch, dass sie sich manchmal auch nicht einig sind. Und das ganz Langweilige an Kulturdebatten ist, dass es eigentlich immer nur ums Geld geht.

Damit sind wir wieder bei diesem Antrag. Der Antrag zielt darauf ab, eine Verstetigung der Mittel zu diskutieren. Eine solche Diskussion sollten wir führen. Die Kunststiftung NRW hat in den vergangenen Jahren wichtige Arbeit geleistet. Diese wollen wir weiter unterstützen.

Ich wünsche mir von der neuen Landesregierung, dass sie Einsicht in diese schon gefundenen Erkenntnisse findet und in der Lage ist, auch da eine gewisse Kontinuität zu gewährleisten, wie sie es ja im kulturpolitischen Bereich erfreulicherweise tut – sogar mit der Ankündigung von Steigerungen und sogar schon ersten beschlossenen Steigerungsraten –, und der Kultur zur Weiterentwicklung zu verhelfen.

Setzen Sie also einfach mutig diesen Weg fort, und stimmen Sie diesem Antrag zu, nachdem wir ihn ausführlich im Ausschuss diskutiert haben werden. Dann haben wir für die Kunststiftung NRW das richtige Zeichen gesetzt, glaube ich. Der Kollege hat schon darauf hingewiesen, dass bald ein Jubiläum ansteht. Da macht sich eine solche Beschlussfassung des Landtags – möglichst gemeinsam, möglichst über alle Fraktionen hinweg – besonders gut. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die AfD hat der Abgeordnete Loose das Wort.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bialas hat sich darüber gefreut, dass heute unter dem ersten Tagesordnungspunkt über Kultur gesprochen wird, weil das ja ein so wichtiges Thema ist. Doch haben die Redner überhaupt nur etwa die Hälfte ihrer Redezeit gebraucht – für ein eigentlich so wichtiges Thema.

Was wäre denn eigentlich TOP 1 gewesen? TOP 1 wäre zum Beispiel gewesen, wenn wir über die bedrohliche Situation bei RWE und E.ON gesprochen hätten, wo voraussichtlich 5.000 Personen aufgrund der katastrophalen deutschen Energiepolitik ihre Arbeitsplätze verlieren werden. Aber dieses Thema war Ihnen nicht wichtig genug, weshalb die Aktuelle Stunde vom Präsidium der Altparteien abgelehnt wurde.

Nun gut; reden wir also über das Thema „Kunststiftung“. Sicherlich wird es die arbeitslosen Menschen freuen, dass sie ihre Zeit demnächst mit einem Kulturprogramm verbrauchen können.

Seit 1989 gibt es nun die durch die Landesregierung gegründete Kunststiftung NRW. Diese leistet – das will ich auch klar sagen – einen wichtigen Beitrag für den Kulturstandort NRW und sichert die kulturelle Vielfalt des Landes. Kultur stiftet Identität.

Dabei reicht es selbstverständlich nicht aus, sich auf bereits Geschaffenes zu konzentrieren. Insbesondere junge Kunst- und Kulturschaffende leisten einen wichtigen Beitrag für unsere gesellschaftliche Vielfalt in Nordrhein-Westfalen. Die Bedeutung der Kunststiftung erkennen wir daher ausdrücklich an.

Kommen wir jetzt inhaltlich zum Antrag der SPD. Die SPD sieht ein Problem bei der Finanzierungssicherheit der Kunstförderung. – Ist dieses nun plötzlich aufgetreten? Gab es in den letzten Jahren unter Rot-Grün das Problem nicht? Anscheinend nicht! Vorher war alles in bester Ordnung. Die Kunststiftung NRW erhielt drei Jahre lang den konstanten Betrag von 9,5 Millionen €, und eine Erhöhung dieser Summe war zuvor zumindest nicht offiziell geplant gewesen.

Die Stiftung finanziert sich aus drei Bereichen: erstens aus Spenden, zweitens aus regelmäßigen Einnahmen aus Erlösen des staatlichen Lotteriewesens und drittens aus regelmäßigen Zuweisungen aus dem Landeshaushalt NRW.

Die Stiftung soll jetzt in die Lage versetzt werden, längerfristig planen zu können und mehrjährige Verpflichtungen eingehen zu können. – War sie das in der Vergangenheit etwa nicht? Konnten die Künstler nicht bestimmungsgemäß gefördert werden? Anscheinend war das sehr wohl der Fall, wie die knapp 7.000 Projekte eindrucksvoll belegen. Auch dafür unsere Hochachtung!

Was hat sich also geändert? Wir lesen jetzt davon, dass Eigenkapital gebildet werden soll. Wir lesen auch von möglichen Kostensteigerungen in den kommenden Jahren. – Ja, Kosten verändern sich; das ist ganz natürlich. Aber die SPD weiß heute schon, dass für 2019 eine Kostensteigerung von 10 % zu erwarten ist; denn diese Erhöhung beantragt sie schon jetzt für die Förderung im Jahr 2019. Gemäß dem ersten Antragspunkt sollen dann für fünf Jahre Festbeträge vereinbart werden. Diese Festbeträge sollen dann aber laut dem nächsten Antragspunkt wieder jährlich überprüft werden und gegebenenfalls angepasst werden.

Was denn nun, liebe SPD? Festbeträge, variable Beträge oder flexible Festbeträge? Einmal ganz ehrlich: Hatten Sie nicht genug Zeit für den Antrag? Oder haben Sie diese Widersprüchlichkeiten übersehen? Und Sie stellen sich hier ernsthaft häufig an das Pult und behaupten, andere Anträge seien handwerklich schlecht gemacht!

(Beifall von der AfD)

Nun gut; diese Formfehler würden alleine schon für eine Ablehnung Ihres Antrags ausreichen. Aber es gibt noch ganz andere Dinge, die uns stören. Aus unserer Sicht liegt es nämlich gerade im Wesen staatlicher Förderung, dass sie regelmäßig auf den Prüfstand gehört. Denn der Gesetzgeber ist aus unserer Sicht auch dem Steuerzahler verpflichtet und nicht nur dem Förderungsempfänger.

Wir dachten bisher immer, dass dies auch der Grund sei, warum jedes Jahr ein neuer Haushalt aufgestellt wird. Aus unserer Sicht gibt es bereits zu viele starre Positionen im Haushalt. Ein weiteres Festbudget, wie es von Ihnen gefordert wird, liebe SPD, benötigen wir in NRW nicht. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Kunststiftung NRW trägt durch ihre Förderprogramme zur kulturellen Vielfalt des Landes bei. Das geschieht durch die Unterstützung von Kulturveranstaltungen in den Regionen, beispielsweise durch die Förderung von Ausstellungen, Konzerten oder Inszenierungen in den vielen Theatern des Landes.

Über die Vergabe von Stipendien, Förderpreisen oder Sachleistungen unterstützt die Kunststiftung begabte junge Künstlerinnen und Künstler.

Die Stiftung fördert zudem, ihrer Satzung entsprechend, den internationalen Kulturaustausch über Ausstellungen, Gastspiele oder Konzertreisen im In- und Ausland.

Nicht zuletzt hilft die Kunststiftung bei dem Erwerb und der Sicherung von Kunstwerken und Kulturgütern von herausragender Bedeutung für Nordrhein-Westfalen.

Der Landeshaushalt stellt deshalb der Kunststiftung NRW auch im Jahr 2018 mehr als 9,5 Millionen € zur Verfügung. Dabei hat es Tradition, dass die Konzessionsabgaben des staatlichen Glücksspiels über den Haushalt Organisationen zur Verfügung gestellt werden, die das Gemeinwohl fördern. Dazu gehört auch die Kunststiftung.

Damit können jährlich etwa 300 Förderungen ermöglicht werden. Eine Gefährdung der Aufgabenwahrnehmung der Kunststiftung, wie im Antrag der SPD-Fraktion suggeriert wird, vermag ich nicht zu erkennen.

Vor dem Hintergrund der Stärkung der Kultur im Land, die der Koalitionsvertrag vorsieht, ist es natürlich sinnvoll, mit der Kunststiftung über Schwerpunkte sowie gemeinsame und ergänzende Förderlinien zu sprechen. In diese Beratungen sind wir bereits eingetreten. Wir werden sie mit den Mitgliedern des Kuratoriums, dem der Herr Ministerpräsident vorsitzt, fortführen.

Ich bedaure allerdings – es sei mir gestattet, das an dieser Stelle zu erwähnen –, dass es hier nicht einen gemeinsamen, überfraktionellen Antrag gibt, wie es zum Beispiel bei der NRW-Stiftung vor einiger Zeit gelungen ist. Das ist kein wirklich guter Dienst an der Kunststiftung. Rückenwind können sowohl die Kunst als auch die Stiftung immer brauchen. Vielleicht wird es im Rahmen unserer gemeinsamen Beratungen ja noch etwas. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit haben wir den Schluss der Aussprache erreicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2161 an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Beschlussempfehlung folgen? – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und die drei Fraktionslosen. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Empfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

2   Gesetz zur Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium (13. Schulrechtsänderungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/2115

erste Lesung

In Verbindung mit:

Abitur nach 9 Jahren – (Oberstufen)Reform richtig angehen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1818

Wie gestern vor Eintritt in die Tagesordnung beschlossen, wird der Antrag Drucksache 17/1818 in einem Verfahren gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung behandelt. Das heißt: Heute findet hierzu keine Aussprache statt.

Ich eröffne die Aussprache zum Gesetzentwurf Drucksache 17/2115 und erteile hierzu zunächst Frau Ministerin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Acht Monate nach Amtsantritt bringt die Landesregierung nun eines der großen Gesetzesvorhaben für diese Legislaturperiode auf den Weg.

Wir haben im Koalitionsvertrag versprochen, an öffentlichen Gymnasien wieder einen neunjährigen Bildungsgang einzuführen. Wir haben ebenfalls versprochen, dass G9 auch als Halbtagsangebot möglich sein wird, und wir haben versprochen, eine unbürokratische Entscheidungsmöglichkeit für den Verbleib bei G8 zu schaffen, damit unsere Schulen die für sie beste Entscheidung selbst vor Ort treffen können. Diese Landesregierung hält Wort.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf markiert den Anfang vom Ende einer jahrelangen Debatte. G8 hat die Menschen in unserem Land wie auch in anderen Ländern bewegt. Das haben uns die vergangenen Jahre ganz deutlich gezeigt. Trotz mehrfacher Nachbesserungen sind die kritischen Stimmen zum Bildungsgang G8 nicht verstummt. Das konnte – ich sage: das durfte – nicht länger ignoriert werden.

Die Landesregierung hat gehandelt – mit einer Leitentscheidung, die besagt, dass grundsätzlich alle öffentlichen Gymnasien zum Schuljahr 2019/2020 auf den neunjährigen Bildungsgang umgestellt werden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal die wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfes kurz vorstellen. Die Umstellung zum Schuljahr 2019/2020 umfasst dann die Klassen 5 und 6 des Gymnasiums. Gymnasien, die mit G8 in der Vergangenheit gut arbeiten konnten und gute Erfahrungen gemacht haben, dürfen auch bei G8 bleiben.

Das bedeutet in der Umsetzung: Die Schulkonferenzen haben die einmalige Option, sich mit mehr als zwei Dritteln ihrer Mitglieder für den Verbleib bei G8 auszusprechen. Hierzu bedarf es eines klaren, deutlichen Votums, daher auch die relativ große Höhe. Die Wochenstundenzahl in der Sekundarstufe I wird so bemessen, dass grundsätzlich ein Halbtagsbetrieb möglich ist. Vorgesehen sind 188 Wochenstunden, von denen acht nicht verpflichtend sind.

Selbstverständlich können auch G9-Gymnasien einen Ganztagsbetrieb fortsetzen oder neu einführen. Damit erhalten die Gymnasien zusätzliche Fördermöglichkeiten, und gleichzeitig erfolgt die Umstellung – das ist mir wichtig – nicht zulasten anderer Schulformen. Der Unterricht in der zweiten Fremdsprache soll in G9 wieder in der Jahrgangsstufe 7 einsetzen.

Ein letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Ersatzschulträger können entscheiden, ob ihre Schulen in einem acht- oder neunjährigen Bildungsgang zum Abitur führen.

Meine Damen und Herren, die Umstellung auf G9 bedarf zusätzlichen Personals und wird beim Land und bei den Schulträgern weitere Kosten verursachen.

Ich komme zunächst einmal zum Personal. Im Endausbau rechnen wir gegenwärtig mit einem zusätzlichen Bedarf von etwa 2.200 Lehrerstellen. Genau werden wir dies aber erst wissen, wenn wir die Zahl der Gymnasien kennen, die bei G8 bleiben, und wenn die Ausbildungs- und Prüfungsordnung vorliegt. Die Landesregierung geht dabei aber davon aus, dass die allermeisten Gymnasien in Nordrhein-Westfalen auf G9 umstellen. Interne Abfragen bei Schulleiterdienstbesprechungen, aber auch Abfragen einiger Medienvertreter bestätigen diese Annahme.

Ansprechen möchte ich auch die Kosten für zusätzliche Räume, die die Schulträger dann zur Verfügung stellen müssen. Das Land ist auch in diesem Fall ein fairer Partner für die Kommunen. Bei der Einführung von G9 greift das Konnexitätsprinzip der Landesregierung. Darum erkennt der vorliegende Gesetzentwurf diese Konnexität schon jetzt dem Grunde nach an. Die Landesregierung hat sich entschieden, den Belastungsausgleich in einem eigenen Gesetz zu regeln. Die Arbeiten dazu laufen auf Hochtouren. Bereits im vergangenen Jahr haben wir uns gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden auf zwei unabhängige Gutachter verständigt, die die Höhe der zu erwartenden Belastungen ermitteln.

Auf Grundlage dieser belastbaren Prognosen muss das Land die Höhe der Belastungen und den Verteilungsschlüssel gesetzlich regeln. Das Gesetz zum Belastungsausgleich und das Gesetz zu G9 müssen zur selben Zeit in Kraft treten. Das heißt aber nicht, dass sie auch zur selben Zeit verabschiedet werden müssen. Gleichwohl sehen wir uns als Landesregierung selbstverständlich in der Pflicht, das Parlament rechtzeitig zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung über G9 über die Eckwerte des Belastungsausgleiches zu informieren.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Landesregierung will Ihnen trotz des engen Zeitplanes eine verantwortungsvolle Entscheidung über die Neuregelung der Dauer der Bildungsgänge im Gymnasium ermöglichen. Mein Ziel, aber auch unser aller Ziel sollte es sein, dass das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet wird. Die Schulen und die Schulträger benötigen möglichst schnell Klarheit, und diese Landesregierung wird dabei weiter ihren qualitativ ausgerichteten Weg zur Weiterentwicklung des Gymnasiums gehen – und dies alles auf einer seriösen Grundlage. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Ott das Wort.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den 90er-Jahren wurde von vielen Wirtschaftsverbänden und in der öffentlichen Debatte darüber gesprochen, dass es die „German Disease“ gibt, dass es den kranken Mann Europas gibt. Vor dem Hintergrund hatte Bundespräsident Herzog 1997 die sogenannte Ruck-Rede im Schloss Bellevue gehalten.

Ich möchte mit der Genehmigung des Präsidenten zitieren. Roman Herzog sagt:

„Zuerst brauchen wir weniger Selbstgefälligkeit: Wie kommt es, daß die leistungsfähigsten Nationen in der Welt es schaffen, ihre Kinder die Schulen mit 17 und die Hochschulen mit 24 abschließen zu lassen? Es sind – wohlgemerkt – gerade diese Länder, die auf dem Weltmarkt der Bildung am attraktivsten sind. Warum soll nicht auch in Deutschland ein Abitur in zwölf Jahren zu machen sein? Für mich persönlich sind die Jahre, die unseren jungen Leuten bisher verloren gehen, gestohlene Lebenszeit.“

Von der Ruck-Rede ist eigentlich nur noch der Name übrig geblieben. Aber interessant ist, dass der Erste, der vehement das Abitur nach zwölf Jahren gefordert hat, der damalige Bundespräsident gewesen ist und es aus einem neoliberalen Antrieb geschehen ist zu sagen, wir müssen entfesseln.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Im Jahr 2000 beantragt die NRW-FDP unter anderem mit Christian Lindner, das Abitur in zwölf Jahren einzuführen. Das heftige Drängen der Wirtschaftsverbände, das heftige Drängen vieler in der Öffentlichkeit wurde dann auch in politische Initiative umgesetzt, und die Umsetzung oder das Antreiben eines G8 wurde von vielen vorangetrieben.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Im Jahr 2014 habe ich mit dem CDU-Mitglied Pfarrer Meurer und zusammen mit einem Wirtschaftsberater ein paar Gedanken in einem kleinen Buch zum „Rheinischen Kapitalismus“ aufgeschrieben.

Präsident André Kuper: Herr Kollege Ott, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höne?

Jochen Ott (SPD): Nein, im Moment nicht. Er kann mich gleich alles fragen, was er will. Ich komme noch zur FDP; keine Sorge.

Wir haben damals in einem kleinem Buch versucht zusammentragen, was in Bayern unterdessen geschehen war. – Mit der Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich hier aus dem Buch „Rheinischer Kapitalismus“ von 2014. Hintergrund ist die Frage, wie viele psychisch kranke Kinder es mittlerweile gibt:

„Wenn vor diesem Hintergrund sogenannte Konservative etwa die Rückkehr zur neunjährigen Schulzeit fordern, wie Anfang 2014 in Bayern geschehen, klingt das zunächst nach Einsicht. In Wahrheit handelt es sich eher um einen Treppenwitz der Geschichte, den jüngst sogar die Tageszeitung ‚Die Welt‘ als solchen erkannte. Sie erinnerte daran, dass es seinerzeit nicht pädagogische Gründe waren, die zur G8-Regelung und auch zur Einführung der Bachelor-Studiengänge geführt haben. Argumentiert – so die Zeitung „Die Welt“ – wurde damals rein ökonomisch, die Abiturienten seien zu alt, die Studenten ebenfalls zu alt, Deutschland sei nicht mehr konkurrenzfähig.

Es war dieser Druck aus der Welt der Wirtschaftsweisheit, der die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur und die Internationalisierung der Studiengänge herbeigeführt hat. Jetzt aber, da die Wehrpflicht abgeschafft wurde und der fleißige Bachelor schon nach drei Jahren mit einem Abschluss beim Arbeitgeber anklopft, beschwert sich exakt dieselbe Wirtschaft über 21-jährige Hochschulabsolventen, gesunkenes Bildungsniveau und mangelnde Grundkenntnisse.

– Zitatende.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, gerade in dieser Debatte steht es uns gut an, einmal zurückzuschauen, was hier eigentlich stattgefunden hat. Die gesamte politische Klasse, angetrieben durch Wirtschaftsverbände und öffentlichen Druck, haben sich in eine Debatte begeben, die nicht von den Kindern ausgegangen ist, sondern die davon ausgegangen ist, was wirtschaftlich nötig ist.

Insofern ist eine Rückbesinnung auf G9 von unserer Seite aus auf jeden Fall zu unterstützen. Aber wir sollten klarmachen: Alle gemeinsam haben hier einen großen Fehler gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Um das deutlich zu sagen, weil der Präsident noch hier ist – und dabei bleibe ich auch –: Wer solche Tatzusammenhänge oder solche Fragen wie gestern zum Ganztag mit dem Thema Migration verbindet, der argumentiert zutiefst rassistisch.

(Beifall von der SPD)

Deshalb ist das auch so zu benennen; und das werde ich auch in Zukunft tun.

Insofern finde ich, dass wir sehr gut daran tun, zurückzuschauen. Die Einführung dann von G8 war aber ein besonderes Lehrstück, bei dem Schwarz-Gelb und die Mitte-rechts-Regierung eine Verantwortung tragen. Die Einführung fand nämlich damals im Eilverfahren statt, ohne dass Lehrpläne, Fortbildungen oder Schulräume für den Nachmittagsunterricht berücksichtigt wurden.

Im Juni 2006 wird mit dem 2. Schulrechtsänderungsgesetz die Sekundarstufe I auf fünf Jahre verkürzt und die Sekundarstufe II auf drei Jahre festgelegt. Anders als von Rot-Grün vorgesehen war, ist damit für das G8-Modell in der Sekundarstufe I ein Schuljahr gekürzt worden.

In der Tat hat Rot-Grün im Mai 2010 die Reform G8 weitergeführt. Viele Expertinnen und Experten aus der Praxis haben damals dazu geraten und gesagt: Ändert es jetzt nicht schon wieder, denn das gibt noch mehr Unruhe. Vielleicht war es die eigentliche Fehlentscheidung der alten Landesregierung, damals nicht doch gesagt zu haben: Wir gehen jetzt radikaler vor.

2013 in der Plenardebatte haben sowohl Herr Kaiser von der CDU als auch Yvonne Gebauer betont, dass sie eine Rückkehr zu G9 falsch finden. Damals war man sich im gesamten Hause einig.

2014 gründete Sylvia Löhrmann den runden Tisch zu G8/G9, und mit vielen gemeinsam wurde versucht, innerhalb des Systems G8 zu Verbesserungen zu kommen.

Fazit: Das G8 ist als Turboabitur verschrien, viele Eltern und Schülerinnen und Schüler haben dagegen demonstriert und haben deutlich gemacht, dass der Stress, der dort entstanden ist, für die Kinder zu viel ist.

Ich möchte trotzdem noch einmal darauf zurückkommen, wie die Situation vor der Einführung von G8 gewesen ist. Schätzungen aus dem Jahr 2006 nämlich haben gezeigt, dass etwa 5 % bis 7 % aller Kinder unter einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung leiden. Man hatte damals ausgerechnet, dass für die Auffälligkeitsstörung, die wir ADHS nennen, im Jahr 1993 34 kg des Medikaments pro Jahr verschrieben wurden, aber 2006 bereits 1,8 t davon. Das ist fünfzigmal so viel.

Das heißt, Stress und die Frage, was im Jugendalter stattfindet, sind in den Jahren vor der Einführung von G8 bei vielen Kindern massiv angestiegen. Schon damals gab es die Erkenntnis: Woran könnte das denn liegen? Der Leistungsdruck, der Druck der Eltern, vielleicht die Sorge zu haben, dass ihr Kind keinen guten Aufstieg hat, dass die Frage, wie man sich entwickeln kann, keinen guten Leumund hat! Das war schon damals der Fall.

Auf diese gesellschaftliche Analyse haben wir gemeinsam dann auch noch G8 oben draufgesetzt mit den gefühlten, aber auch realen Verschärfungen der letzten Jahre. Das alles hat dazu geführt, dass die Eltern tatsächlich das Turboabitur als Turbo wahrgenommen haben, als weniger Lebensqualität, als weniger Möglichkeit, als Kind groß zu werden in einer Gesellschaft, in der man vielleicht einfach mal nichts tut, in der man sich auch mal langweilt und man einmal in den Tag hineinleben kann oder, wie die jungen Leute heute sagen, wo man fürs Chillen einfach mal Luft und Raum hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den Debatten des Landtags selten Zeit, solche grundsätzlichen Fragen zu diskutieren. Ich finde, die Wiedereinführung von G9 ist der Ort, wo wir uns diese Fragen stellen müssen. Deshalb ist es auch richtig und gut, dass man sich Zeit nimmt und genau überlegt, wie man das umsetzt.

Zum großen Streitpunkt entwickelt sich jetzt eigentlich nur noch die Frage: Was passiert an jeder einzelnen Schule? Wird jetzt die Debatte über die Schulzeit G8/G9 in jede Schule getragen? – Wir glauben, dass es richtiger wäre, jetzt konsequent zu sein und die grundsätzliche Schulzeit G9 in allen Schulen unseres Landes wieder einzuführen.

Wir glauben darüber hinaus, dass es allein schon deshalb richtig ist, weil wir dann für die Eltern angesichts der Anmeldungen, die in den nächsten Wochen in manchen Teilen des Landes sehr schwierig werden, weil sie nicht sicher sein können, dass sie auch die Schule ihrer Wahl bekommen, die Klarheit haben, dass es an jeder Schule das gleiche Angebot geben wird.

Nichtsdestotrotz meinen wir Sozialdemokraten, dass wir die gewonnene Zeit nutzen können, um die Umsetzung von G9 in Ruhe zu beraten und sich den eigentlichen Ort, bei der die Frage nach dem Tempo gestellt werden kann, nämlich die Oberstufe, noch einmal genauer anzuschauen.

Das Modell des Abiturs im eigenen Takt bedeutet die Möglichkeit, jedem Einzelnen zu erlauben, sich anzuschauen, was man eigentlich in der Oberstufe machen möchte, welchen fachlichen Schwerpunkt man wählen möchte, welche der Welt zugewandten Dinge man erlernen möchte – sei es ein Auslandsaufenthalt, seien es Praktika oder viele Dinge mehr.

Diese Dinge mit in eine vernünftige Oberstufenreform zu nehmen, halten wir für sehr zielführend und sinnvoll. Damit schaffen wir auch die Möglichkeit, dass jeder Einzelne sein individuelles Ziel in der Oberstufe verwirklichen kann.

Aber ich glaube, dass die Landesregierung an einer Stelle zu kurz greift, wenn sie nämlich davon spricht, dass die Schulen ein einmaliges Rückkehrrecht haben. Damit sorgt sie dafür, dass der Konflikt in den einzelnen Schulen weitergeht. Wenn sie gleichzeitig sagt, dass man die Halbtagsschule wieder möglich machen will, sorgt sie zum anderen dafür, dass das, was bei vielen Eltern in den letzten Jahren ein großes Thema geworden ist, nämlich eine vernünftige Ganztagsbetreuung, wieder infrage gestellt werden kann.

Damit müsste man einen Schritt zurück statt nach vorne gehen, denn die gesamte Bildungsforschung zeigt, dass Ganztagsschule die Möglichkeit zur besseren Bildung, vor allen Dingen zur entspannteren Bildung ermöglicht. Deshalb ist dieser Rückschritt aus unserer Sicht der falsche Weg.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus stellen sich Fragen wie zum Beispiel, wie das Ganze eigentlich finanziert werden soll. Im Heimatausschuss wird von Ministerin Scharrenbach davon gesprochen, es wie in Bayern zu machen: Mehr als eine Milliarde wird es schon nicht sein. – Na ja, wenn man die Städte Nordrhein-Westfalens mit der Fläche Bayerns vergleicht, wird man schnell feststellen, dass es hier sehr viel stärker städtegetrieben ist als in Bayern. Wenn wir jetzt schon wissen, dass alleine eine große Stadt in Nordrhein-Westfalen 500 Millionen € angemeldet hat – selbst, wenn das am Ende vielleicht zu hoch gegriffen ist –, werden Sie mit einer Milliarde vorne und hinten nicht hinkommen.

Dann stellt sich die Frage, liebe Ministerin: Werden Sie am Ende bei Ihrem Versprechen bleiben können, dass die anderen Schulformen darunter nicht leiden? Oder werden wir nicht im Grunde genommen in den nächsten Jahren sämtliches Geld nur dafür ausgeben müssen, G9 umzusetzen? Ist das zu Ende gedacht?

Umso wichtiger ist es, um diese Frage offen zu debattieren, dass das Parlament das Konnexitätsgesetz auch bekommt, dass wir erfahren, was denn bezahlt werden muss. Es kann ja nicht sein, dass wir ein Schulrechtsänderungsgesetz machen und kein Mensch weiß, was es kostet. Ich gebe offen zu: Im Rheinland hat man dass das eine oder andere Mal gemacht. Aber ob das so zielführend ist, sich an der Stelle rheinisch zu verhalten, weiß ich nicht. Ich glaube, das ist nicht besonders vernünftig.

Dazu kommt, dass Sie zu Recht darauf hingewiesen haben in Ihren Darstellungen und auch in öffentlichen Interviews, dass es nicht das G9 der 80er- und 90er-Jahre werden soll. Wenn es aber nicht das G9 der 80er- und 90er-Jahre werden soll und das Thema Digitalisierung eine Rolle spielt, reden wir auch für diesen Bereich der Umstellung auf digitale Schulbücher, auf die Möglichkeiten, digitale Geräte zu nutzen und die Dinge nicht von zu Hause mitzunehmen, von einem großen Betrag. Die Bertelsmann Stiftung rechnet mit 2,8 Milliarden € für ganz Deutschland. Das wären immerhin noch 700 Millionen € für NRW, wenn man damit hinkommt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, last but not least wird man sich auch über die Frage unterhalten müssen – damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück –: Wenn wir festgestellt haben, dass es ein Irrweg war, den Marktradikalen zu glauben, wir müssten hier beschleunigen, wir müssten schneller werden und, wie Roman Herzog sagte, die Selbstgefälligkeit überwinden und endlich dafür sorgen, dass die Kinder schneller in den Markt kommen, wenn wir also sagen, dass das falsch war – ist es dann heute nicht ein Irrwitz und auch wieder ein Treppenwitz der Geschichte, wenn die Mitte-rechts-Koalition Wirtschaft zu einem neuen Schwerpunkt im G9 der Zukunft machen will, das Fach Wirtschaft stärken will?

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wäre es dann nicht richtiger, das Fach Demokratie zu stärken und angesichts der Erfahrungen, die wir auch in diesem Haus haben,

(Widerspruch von der AfD)

dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche Demokratie wertschätzen und gemeinsam für unser Land entwickeln wollen?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von Christian Loose [AfD])

– Sie können so viel schreien, wie Sie wollen. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, mit dem Thema Demokratie sind wir am Puls der Zeit.

(Zuruf von der AfD)

Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehr sorgfältig mit den Verbänden diskutieren. Wir werden die Anhörung gemeinsam kritisch begleiten. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine solche Schulreform am Ende breit getragen sein muss im Parlament, denn ein Hin und Her in der Schulpolitik geht am Ende des Tages zulasten der Kinder und der Menschen in diesem Land. Deshalb hoffen wir auf konstruktive Diskussionen und werden uns mit unserem Antrag in die Debatte einbringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD)

Präsident André Kuper: Herr Ott, bleiben Sie bitte am Platz. – Kollege Höne von der FDP-Fraktion hat eine Kurzintervention angemeldet. Bitte.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Ott, da Sie die Zwischenfrage eben nicht zugelassen haben, melde ich mich jetzt in diesem Rahmen.

Besonders spannend finde ich, wenn ich das vorwegschicken darf, dass Sie, Herr Kollege Ott, eigentlich jede bildungspolitische Debatte seit Beginn dieser Legislaturperiode erst einmal mit einer gewissen Selbstkasteiung beginnen. Ich weiß nicht, ob Sie damit von den Versäumnissen ablenken wollen, die es vorher gegeben hat, oder glauben, dass das insgesamt in der Sache weiterhilft.

Ich will drei Aspekte besonders nennen.

Es ist mitnichten so, dass aus marktradikalen oder ähnlichen Gründen – auch wenn das Buzzwords sind, die auf SPD-Parteitagen sicherlich ganz gut funktionieren – die Schulzeitverkürzung eingeführt wurde. Fest stand, dass wir die ältesten Berufseinsteiger und die jüngsten Rentner hatten. Darauf sollte reagiert werden, und darauf wurde reagiert – übrigens auch sehr auf Hinweise und auf Anraten der Bertelsmann Stiftung, die Sie gerade in anderem Zusammenhang so gerne genannt haben.

Zweitens. Sie haben, als ich Ihnen die Zwischenfrage stellen wollte, auf einmal einen relativ großen zeitlichen Sprung gemacht. Sie haben den Anfang der 2000er benannt und sind dann auf einmal zum Jahr 2014 gegangen. Einen freundlichen Hinweis möchte ich doch geben: Die Einführung von G8 wurde kurz vor der Landtagswahl 2005 beschlossen. Ob Sie Christian Lindner von Anfang der 2000er zitieren oder nicht – er hat sicherlich rhetorisch brillant die eine oder andere Rede dazu gehalten –, gezwungen hat er die damalige Regierung sicherlich nicht, einen solchen Beschluss zu fassen.

Drittens. Ruhe in den Schulen ist einer der ganz zentralen Zielaspekte, den wir uns hier vornehmen sollten, damit sich die Schulen auf das konzentrieren können, was wirklich wichtig ist. Darum ist es richtig, dass die Schulen, die mit G8 gut fahren, dabei bleiben können, um nicht alle Schulen in eine neue Umstellung hereinzubekommen. Hierin unterscheidet sich die neue von der alten Landesregierung ganz besonders, weil wir nämlich den Akteuren vor Ort eine solche Entscheidung zutrauen und ihnen vertrauen, diese Verantwortung zu übernehmen. Dass das bei Ihnen leider nicht der Fall ist, haben wir sieben Jahre lang beobachten können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jochen Ott (SPD): Sehr lustig! Auch die rot-grüne Landesregierung hat damals gesagt: Wir machen ein Projekt, und einige können auf G9 gehen. – Das ist genau dieselbe Mutlosigkeit, die wir gemeinsam heute kritisieren müssen. Denn es wäre für die Schule einfacher, wenn wir ein System für alle hätten, damit ein Umziehen in NRW weiter möglich bleibt. Es gibt noch viele andere Fragen, die dazukommen. Aber zu glauben, man könnte einige wenige Schulen bei G8 lassen und man wäre damit ein besonderer Entfesselungskünstler, das halte ich alleine schon deshalb für albern, weil sämtliche an der Anhörung beteiligte kommunalen Spitzenverbände ganz deutlich gesagt haben, dass sie das für falsch halten und schulstrukturell G9 der richtige Weg sei.

Es wäre sinnvoller, darüber nachzudenken, wie wir angesichts einer modernen Gesellschaft Bildung neu denken. Was muss eigentlich an der Schule passieren, wenn wir doch wissen, dass das, was heute gelehrt wird, immer schneller keine Bedeutung mehr hat? Müssen wir nicht im Grunde genommen ganz andere Reformen machen, aber mit den Schulen gemeinsam? Und dann macht man einen Gesamtrahmen von G9, und innerhalb dessen überlegt man mit den Schulen gemeinsam, wie Schule zukunftsfähig wird. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg.

Sie haben die Bertelsmann Stiftung angesprochen. – Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass es Stiftungen gibt und man sich deren Ergebnisse anguckt. Es geht aber nicht, dass wirtschaftsinteressengeleitete Studien immer eins zu eins umgesetzt werden. Da müssen wir alle miteinander kritischer werden. Wenn eine Bertelsmann Stiftung sagt, G8 sei ganz toll, dann ist das wunderbar. In der Bildungsforschung gibt es übrigens, Herr Höne, viele, die sagen: Es kommt am Ende gar nicht auf die Länge der Schulzeit an, sondern es kommt am Ende darauf an, was in dieser Schulzeit gelernt wird. – Nur, am Ende des Tages geht es heute darum, für die Zukunft diese Schule zu entwickeln. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln, das geht nicht.

Zum letzten Aspekt, den Sie angesprochen haben: Ich habe keine Zweifel daran gelassen, wer G8/G9 in Nordrhein-Westfalen eingeführt hat. Deshalb ist es auch richtig, an einem solchen Tag gemeinsam kritisch zurückzugucken und festzustellen:

Die Vorstellung, dass der Markt alles regelt, oder wie es der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Professor Fels, in den 90er-Jahren allen in den Kopf gebimst hat, nämlich zu sagen: „Der Markt ist wie das Wetter. Da kann man nichts machen. Da muss man sich anpassen“ – diese Einstellung von Wirtschaftspolitik hat uns perspektivisch nicht nur in G8, sondern in vieles andere geführt. Deshalb habe ich grundsätzlich etwas gegen Ihre Entfesselungsstrategie, weil sie zum Nachteil von vielen Menschen in unserem Land geworden ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke schön. – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Kollegin Vogt das Wort.

Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ott! Herr Ott, Sie haben gerade die Ruck-Rede des damaligen Bundespräsidenten angesprochen. Ich muss Ihnen leider sagen, auch wenn Sie gerade nicht zuhören: Ihre Rede war keine Ruck-Rede, sondern eine Rückwärts-Rede, die zu diesem Thema ganz wenig beigetragen hat.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Sie haben mit einer Pseudokapitalismuskritik auf Ihre verfehlte Schulpolitik reagiert. Ich glaube, da kann man auch nicht zuhören, denn dann erfährt man, was man in den vergangenen Jahren alles falsch gemacht hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das entscheidende Detail, das Sie vorhin weggelassen haben, hat freundlicherweise der Kollege Höne angesprochen: Es war eine rot-grüne Landesregierung, die G8 beschlossen hat. Kurz darauf gab es eine andere Landesregierung, nämlich eine schwarz-gelbe, die hat dann die Schublade geöffnet – so haben mir die Kollegen berichtet – und geschaut, was die rot-grüne Regierung für die Umsetzung von G8 vorbereitet hatte. Die Schublade war leider leer. Da war nämlich gar nichts vorbereitet. Deswegen hatten wir von Anfang an riesige Probleme, weil die Vorbereitung einfach nicht gestimmt hat. Auch das gehört zu Ihrem geschichtlichen Rückblick.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unabhängig von der Vergangenheitsbewältigung ist es heute wichtig, klar festzustellen, dass auf den heutigen Tag viele Menschen in Nordrhein-Westfalen ganz lange gewartet haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Landesregierung eine nachhaltige Lösung der Strukturfrage der gymnasialen Bildungsgänge herbeiführen. Schon lange ist keine Strukturfrage in unserem Schulsystem so intensiv diskutiert worden wie die um acht- oder neunjährige Bildungsgänge am Gymnasium.

Bereits bei der Einführung von G8 an Gymnasien gab es kritische Stimmen, die vor einer zu großen Verdichtung des Stoffes warnten. Allerdings überwog damals das Interesse an einer verkürzten Ausbildungszeit, da im internationalen Vergleich – es wurde bereits angesprochen – unsere Studienabsolventen zumeist deutlich älter waren.

Durch den Wegfall der Wehrpflicht und frühere Einschulung haben sich die Rahmenbedingungen allerdings verändert. Hinzu kommt, dass bei steigender Lebenserwartung und späterem Renteneinstiegsalter von vielen nicht mehr die Notwendigkeit gesehen wird, in möglichst kurzer Zeit die Ausbildung zu absolvieren. Wichtig ist in den Augen vieler, den jungen Menschen Raum zur persönlichen Entwicklung und Zeit für außerschulische Angebote zu geben. Da sage ich am heutigen Tag, dass wir als CDU-Fraktion das ganz nachdrücklich unterstützen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir wünschen uns junge Menschen, die neben ihrer Schulzeit die Möglichkeit haben, ehrenamtlich tätig zu sein, in Sportvereinen, in Kirchen, in Musikschulen, in sonstigen Vereinigungen. Auch das gehört zur Entwicklung eines Menschen dazu. Dazu wollen wir am heutigen Tag den Startschuss geben.

Zu diesen veränderten Einstellungen kommt die häufig schwierige Organisation des G8-Bildungsgangs hinzu. Klagen über zahlreiche Freistunden und De-facto-Ganztagsbetrieb ohne die entsprechenden Voraussetzungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Den Versuch der Vorgängerregierung, diese Probleme mithilfe eines runden Tisches in den Griff zu bekommen, darf man getrost als gescheitert betrachten. Ganz im Gegenteil entwickelte sich ab 2015 die Ablehnung von G8 mit großer Dynamik.

Aktuelle Umfragen zeigen, dass ca. 80 % unserer Bevölkerung eine Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang am Gymnasium wünschen. Diesem klaren Wunsch der Menschen muss verantwortungsvolle Politik nachkommen. Und das macht die Landesregierung heute mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ab dem Schuljahr 2019/2020 gilt die Leitentscheidung der grundsätzlichen Umstellung auf den neunjährigen Bildungsgang am Gymnasium.

Allerdings zeigte sich bei allen Debatten zu dieser Strukturfrage auch immer wieder der Wunsch, nach Jahren der Umstellungsphase endlich in Ruhe am Gymnasium arbeiten zu können. Auch wenn die Zahl der Gymnasien, die mit G8 fortfahren möchten, in letzter Zeit wohl geringer geworden ist, gibt es sowohl an einigen Schulen als auch bei ca. 20 % unserer Bevölkerung den Wunsch nach einem G8-Bildungsgang.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Wahlkampf hat die CDU-Fraktion den Menschen versprochen: Wer Ruhe an seiner Schule haben möchte, der soll die Ruhe an seiner Schule haben; der kann gerne so weiterarbeiten wie bislang. Und dazu stehen wir auch am heutigen Tag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist daher für uns wichtig, den Schulen die Freiheit zu überlassen, ob sie der Leitentscheidung zu G9 folgen oder ob sie sich mit einem entsprechenden Beschluss der Schulkonferenz für den Verbleib bei G8 entscheiden.

Wichtig ist uns in diesem Zusammenhang, dass auch eine individuelle Verkürzung des neuen neunjährigen Bildungsganges in Gruppen ermöglicht wird. So haben Schülerinnen und Schüler, die kein G8-Angebot in ihrer Nähe mehr vorfinden, trotzdem die Möglichkeit der Verkürzung ihrer Schullaufbahn.

Diese Regelungen werden, wie bereits erwähnt, ab dem Schuljahr 2019/2020 greifen und für die Kinder gelten, die zu diesem Zeitpunkt die 5. und 6. Klasse besuchen. Dem Wunsch, diese Regelungen auch für dann bereits höhere Klassen umzusetzen, werden wir nicht nachkommen.

Bei einer Expertenanhörung vor wenigen Monaten hier im Landtag wurde mehr als deutlich, dass der vom Ministerium vorgelegte Zeitplan bereits ziemlich ambitioniert ist. Die Einführung von G8 musste man damals sehr schnell und ohne entsprechende Vorbereitung umsetzen. Wir wollen am heutigen Tage verhindern, dass so etwas wieder passiert. Deswegen sagen wir: Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

Die Ministerin hat es angesprochen: Die Qualität steht im Vordergrund, nicht wieder ein neues organisatorisches Chaos. Wir möchten, dass diesmal ein reibungsloser Übergang möglich ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unruhe hatten unsere Gymnasien in der Vergangenheit nämlich wahrlich genug.

Natürlich taucht im Zusammenhang mit dieser Strukturveränderung auch die Frage nach der Konnexität auf. Anders als die abgewählte Landesregierung es beispielsweise beim Inklusionsgesetz gehandhabt hat, spricht der vorliegende Gesetzentwurf klar von der Anwendung des Konnexitätsprinzips. Es versetzt einen immer noch in Erstaunen, wenn man an das Drama denkt, dass man sich seinerzeit erst nach monatelangen Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden überhaupt darauf einigen konnte, dass beim Inklusionsgesetz tatsächlich Geld vom Land an die Gemeinden fließen muss. Darüber wurde lange Zeit überhaupt nicht gesprochen; es wurde einfach geleugnet.

Das ist plötzlich alles vergessen. Am heutigen Tag fordert die SPD nicht nur, was legitim ist, dass die Konnexität anerkannt wird, sondern dass parallel zum Schulrechtsänderungsgesetz ein Gesetz zum Konnexitätsausgleich vorliegen soll. Hätten Sie so in der Vergangenheit gearbeitet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, dann wären Sie heute wahrscheinlich noch in der Regierung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Gott sei Dank sind Sie das nicht mehr!

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

– Ja, das weiß man nicht.

Ich erinnere einmal daran, was damals ein Verfassungsrechtler in der Anhörung zum Inklusionsgesetz gesagt hat. Er hat wörtlich gesagt: „Es ist der untaugliche und verfassungswidrige Versuch, Konnexität zu vermeiden“. In diesem Sinne war auch Ihr ganzes Gesetz geschrieben.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sich nach einer solchen Historie heute mit der Forderung hinzustellen: „Klar, dass Konnexität gelten soll; legen Sie bitte diese Schätzungen noch am gleichen Tage vor!“, das ist schon wirklich dreist.

(Beifall von der CDU)

Wir als CDU-Fraktion freuen uns daher, dass das weitere Vorgehen wie gehabt von der Ministerin gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart wurde. Das ist in einer guten Partnerschaft so üblich. Wir werden es anders machen als Sie in der Vergangenheit. Und das ist gut so.

Unser Dank gilt am heutigen Tag von daher der Ministerin und ihrem Ministerium für die geleistete Arbeit. Wir sind überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Basis für die kommenden Beratungen geschaffen haben, und wir sind sicher, dass es ein Gesetz zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler werden wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Vogt. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Gymnasien in NRW. Der überwiegende Teil der Schüler, Lehrer, Schulleiter und der Elternschaft unseres Landes spricht sich für eine Rückkehr zu einem neunjährigen Bildungsgang an den Gymnasien aus.

Ich freue mich außerordentlich, dass die neue Landesregierung uns heute nach nur wenigen Monaten im Amt einen Gesetzentwurf vorlegt, der die Frage nach G8/G9 abschließend klärt und endlich für Ruhe an den Gymnasien sorgt.

Er ist ein Meilenstein und einer der wichtigsten Gesetzentwürfe dieser Legislaturperiode. Zudem ist er ein wichtiger Schritt hin zu weltbester Bildung.

Wir werden mit diesem Gesetzentwurf – er wurde rechtssicher erarbeitet, und alle relevanten Akteure wurden mit einbezogen – alle im Koalitionsvertrag getroffenen Aussagen umsetzen. Die wichtigsten Kernpunkte möchte ich nun hervorheben.

Erstens. Die Landesregierung hat die klare Leitentscheidung für die Gymnasien zur Rückkehr zu G9 getroffen. Damit können Schülerinnen und Schüler ihr Abitur wieder nach insgesamt 13 Schuljahren ablegen. Durch die geänderte Stundentafel kann dies auch im Halbtagsbetrieb geschehen.

Der Gesetzentwurf ermöglicht auch, dass Gymnasien G8 fortführen können. Die Opposition fordert jedoch – das haben wir eben gehört –, dass es den Bildungsgang G9 verbindlich für alle Gymnasien geben müsse, damit die Reform einheitlich für alle Schulen gestaltet werden könne. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten das Feedback erhalten, dass es durchaus Gymnasien in Nordrhein-Westfalen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen bei G8 bleiben wollen.

Vom Kollegen Ott haben wir vorhin gehört, dass diese Entscheidungsfreiheit Mutlosigkeit sei. Herr Ott, was ist denn das für ein Blick auf Freiheit und darauf, Schulen mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort zu geben? Das nennen Sie mutlos? – Das entlarvt doch direkt, welchen Blick auf Freiheit Sie als Sozialdemokraten haben!

(Beifall von der FDP und der CDU – Frank Müller [SPD]: Das ist keine Freiheit!)

Ich möchte von Ihnen wissen, liebe Kollegen: Wieso wollen Sie alle Gymnasien unseres Landes zur Rückkehr zwingen?

(Jochen Ott [SPD]: Wer sagt das denn?)

Wieso müssen wir diese Entscheidung hier in Düsseldorf treffen?

(Frank Müller [SPD]: Wer sagt das denn? Antrag lesen hilft!)

Lassen Sie doch die Gymnasien in Ruhe! Lassen Sie sie von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen und lassen Sie sie die Entscheidung über den Verbleib bei G8 vor Ort treffen!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Werden die Gymnasien nicht tätig, kehren sie ja automatisch zurück.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist kein Mut, das ist Angst!)

Wir sagen: Die Beteiligten vor Ort wissen am besten, was für ihre Schülerinnen und Schüler am besten ist.

Mit der Wahlmöglichkeit wollen wir außerdem ein wichtiges Signal für alle Schulen in NRW setzen. Die Wahlmöglichkeit ist der erste richtige Schritt in Richtung mehr Schulfreiheit.

Zweitens. Im Gesetzentwurf ist die Möglichkeit aufgeführt, innerhalb von G9 den Weg zum Abitur zu verkürzen. Ich zitiere: Die Möglichkeit einer individuellen Verkürzung des Bildungsgangs in G9 im Wege der Vorversetzung auch in Gruppen wird ausdrücklich geregelt. – Wir denken hier vom Schüler und seinen individuellen Chancen her. Durch das Springerkonzept gleichen wir aus, dass es wahrscheinlich nicht in jeder Kommune ein G8-Gymnasium geben wird.

Wir nehmen mit diesem Konzept den einzelnen Schüler in den Fokus und ermöglichen, in zwölf Jahren zum Abitur zu kommen – unter den Voraussetzungen, dass die Schülerin oder der Schüler die entsprechenden Zensuren, persönliche Eignung und Engagement mitbringt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Ott würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Franziska Müller-Rech (FDP): Ich möchte gern in meinem Redefluss fortfahren.

Wie gesagt: Durch das Springerkonzept gleichen wir entsprechend aus.

(Frank Müller [SPD]: Herr Höne, das ist wie im Sandkasten!)

Ich bin selber in den Genuss des Gruppenspringens gekommen. Natürlich mussten wir uns reinknien, und sicherlich gab es sehr anstrengende Momente. Aber ich hatte tolle Unterstützung der Lehrer, eine engagierte Stufenleiterin, die die Aufbaukurse unterrichtet hat, und einen wunderbaren Gruppenzusammenhalt. Wir haben uns motiviert, gepusht, unterstützt und auch aufgefangen, wenn man mal ans Aufgeben gedacht hat.

Ich wusste es sehr zu schätzen, dass ich nicht alleine eine Klasse übersprungen habe, sondern zusammen in der Gruppe. Deswegen ist es mir sehr wichtig, dass dieser Aspekt im Gesetzentwurf enthalten ist.

Drittens. In der sechsjährigen Sekundarstufe I an den G9-Gymnasien erhalten die Schülerinnen und Schüler den mittleren Schulabschluss und mit der Versetzung die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe. Sie nehmen auch an der zentralen Prüfung in der 10. Klasse teil.

Schülerinnen und Schüler, die ein G8-Abitur machen, erhalten nach wie vor den mittleren Schulabschluss am Ende von Klasse 10 – also am Ende der Einführungsphase der gymnasialen Oberstufe – durch die Versetzung in die Qualifikationsphase.

Viertens. Die Opposition spricht sich dafür aus, zusätzlich zu den 5. und 6. Klassen noch weitere Klassen mitzunehmen, damit auch sie von der Reform profitieren können. Wir müssen irgendwo eine Linie ziehen, und leider gibt es immer Personen, die mit ihrer Position nicht zufrieden sind. Das ist nicht schön, gehört aber zu unserer Verantwortung und zur politischen Stichtagsentscheidung dazu.

Die Entscheidung für die 5. und 6. Klassen ist aber wohlüberlegt. Sie richtet sich zum Beispiel nach dem Bestehen der Erprobungsstufe, dem veränderten Einsetzen der zweiten Fremdsprache in Klasse 7, aber auch nach rein praktischen Aspekten, wie zum Beispiel, den Kommunen ausreichend Zeit zu geben, um die Frage des erhöhten Raumbedarfs durch die Umstellung zu klären.

Gerade vonseiten der SPD höre ich immer wieder, wie sehr diese Frage Sie umtreibt. Zumindest gewinne ich diesen Eindruck im Sportausschuss, in dem Frau Abgeordnete Kraft nicht müde wird, dieses Thema immer wieder vorzutragen und zu betonen.

Einerseits sorgen Sie sich darum, dass die Kommunen es nicht schaffen könnten, diesen erhöhten Raumbedarf zu decken, andererseits wollen Sie aber mehr Klassen mitnehmen und damit den Umstellungszeitraum für die Kommunen verkürzen. Das passt überhaupt nicht zusammen.

Zudem wäre eine Erstreckung auf weitere Jahrgänge wegen der dann bereits fortgeschrittenen Schullaufbahn nicht zu empfehlen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Deswegen ist die Entscheidung für die 5. und 6. Klassen richtig.

Fünftens. Etliche Kommunen haben anklingen lassen, dass sie bezogen auf die finanziellen Auswirkungen der Rückkehr der Gymnasien zu G9 Sorgen haben. Selbstverständlich werden die Kommunen mit der finanziellen Mehrbelastung infolge der Umsetzung aber nicht allein gelassen.

Hierzu ermittelt ein Gutachterteam eine Prognose zur Höhe der zu erwartenden Belastungen. Natürlich werden wir als Parlament rechtzeitig über die Eckwerte des Belastungsausgleichsgesetzes informiert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist aber nett von Ihnen! Es steht ja nur in der Verfassung! – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Die Umstellung auf G9 erfordert auch eine Überarbeitung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, damit das neue G9 nicht einfach nur zu einer Rückkehr zum alten G9 wird. Die Einzelregelungen, wie zum Beispiel die Ausgestaltung des Springermodells und der Stundentafel, erfolgen in der neu zu fassenden Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Diese wird im Anschluss an das Gesetzgebungsverfahren umgesetzt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Haben Sie einen Regierungsentwurf?)

Dieser gute Tag für die Gymnasien in NRW zeigt: Im Zentrum aller Anstrengungen der NRW-Koalition steht eine Stärkung der gymnasialen Bildung in NRW insgesamt. – Ich freue mich auf die weiteren Diskussionen im Verfahren. Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Müller-Rech. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Abgeordnete Sigrid Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was erwarten die Schulen, die Schülerinnen und Schüler und die Eltern von dieser heutigen Debatte? – Sicherlich keine rückwärtsgewandte Debatte, sondern eine Debatte, die nach vorne gerichtet ist. Auf einige Dinge muss aber noch einmal Bezug genommen werden.

Liebe Frau Vogt, Geschichtsklitterung hilft hier auch nicht weiter. Bei Regierungsantritt 2005 war Schwarz-Gelb nicht gezwungen, die Sekundarstufe I zu verändern. Diese Schulzeitverkürzung haben allein Sie zu verantworten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin froh, dass Sie in Ihrer Rede gesagt haben, das sei überstürzt gewesen, es hätte organisatorisches Chaos an den Schulen ausgelöst und das Ganze sei auch nicht vorbereitet worden. Wenn Sie sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen hätten umfassend informieren lassen, hätten Sie gewusst, dass Rot-Grün die Schulzeitverkürzungen für die Oberstufe angelegt hatte. Natürlich wäre dann Zeit gewesen, vorweg die nötigen Schritte einzuleiten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Lindner hat noch vor Kurzem in einer Debatte hier im Landtag davon gesprochen, Entscheidungen der Akteure vor Ort und die Individualisierung von Lernwegen seien totale Beliebigkeit. Mich wundert da schon sehr, wie Sie, Herr Höne, dies heute kommentieren.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer …

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Müller-Rech, Sie sprechen davon, die Beteiligten vor Ort ernst zu nehmen. – Ich darf Sie erinnern an die Stellungnahmen von Landkreistag, Städte- und Gemeindebund, Rheinischer sowie Westfälisch-Lippischer Direktorenvereinigung, GEW, VBE, DGB, Landeselternkonferenz, Landeselternschaft der Gymnasien und LandesschülerInnenvertretung, …

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Und Schulen!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer …

Sigrid Beer (GRÜNE): … die deutlich gesagt haben: Wir möchten eine Leitentscheidung, die wirklich eine Leitentscheidung ist, nämlich, dass alle Schulen nur G9 anbieten.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer …

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, ich versuche, Sie zu unterbrechen, weil es zwei Wünsche nach einer Zwischenfrage gibt, und zwar bei Herrn Kollegen Rock und bei Frau Kollegin Vogt.

Sigrid Beer (GRÜNE): Das machen wir gerne im Anschluss. Ich möchte erst mal vortragen, und dann können wir das noch mit reinnehmen.

Die Meinung der Beteiligten muss wirklich respektiert und ernst genommen werden. Dieses Votum gibt es. Ich bitte daher um eine Leitentscheidung, die auch wirklich eine Leitentscheidung ist.

Es war demaskierend und entlarvend, dass die Ministerin in ihrer Pressekonferenz gesagt hat: Ja, diese Voten gibt es, aber der Koalitionsvertrag sagt etwas anderes. Also machen wir, was im Koalitionsvertrag steht.

(Ministerin Yvonne Gebauer: Das habe ich überhaupt nicht gesagt! Das haben Sie aus dem Zusammenhang gerissen!)

Das hat nichts mit einer Sachentscheidung zu tun. Sie haben nicht die Kraft gehabt, sich von dem Koalitionsvertrag zu lösen und sich in das hineinzuversetzen, was Ihnen die Verbände mitgeteilt haben und was der Wunsch der Beteiligten vor Ort ist.

(Henning Höne [FDP]: Sehr frei zitiert, Frau Beer!)

Das muss sehr deutlich gesagt werden.

Welche Lehren sollten wir aus dem Diskurs über den Prozess ziehen, der in der Tat auch in Nordrhein-Westfalen viel Kraft gekostet hat? Der Diskurs ist heute bereits aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet worden. Da wird viel Energie in die Strukturdiskussionen am Gymnasium gesteckt; denn viele Widersprüche sind noch nicht aufgelöst. Das ist nicht gut.

Wir sollten Energie in die Entwicklung guter Schule stecken, in die Entwicklung individueller Lernzeiten für Schülerinnen und Schüler und in die Qualität von Schule. Da muss die wertvolle Energie von Kolleginnen und Kollegen und von allen Beteiligten einfließen.

Ich habe Bedenken dahin gehend, dass diese Leitentscheidung nur eine eingeschränkte Leitentscheidung ist. Die Entscheidung für das Weiterbestehen von G8 ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es aber noch eine Switch-Option, nach der die Schulträger sich erneut entscheiden können und das ganze Rad erneut in Gang gesetzt wird. Damit kommt keine Ruhe in die Schule. Vielmehr verlagern Sie die Unruhe wieder vor Ort in die Elternschaft und an die Schulen. Eine Leitentscheidung muss eine Leitentscheidung sein, und die bereits vorhandene Individualisierung der Lernwege muss garantiert werden.

Wir sollten bitte nicht das zurückdrehen, was Schulen schon an individuellen Lernzeiten innovativ entwickelt haben. Ich bekomme derzeit Rückmeldungen, dass einige – auch in den Kollegien – glauben, es gehe jetzt wieder zurück zum alten Halbtagsgymnasium, und dass sich der Prozess wieder rückabwickeln ließe.

Wir sollten uns aber gemeinsam dafür einsetzen, dass der Ganztag in Nordrhein-Westfalen erhalten bleibt, und wir sollten ihn qualitativ zu einem Angebot erweiterter Lernzeiten für Schülerinnen und Schüler und umfassender Bildung weiterentwickeln.

(Bodo Löttgen [CDU]: Nein! – Franziska Müller-Rech [FDP]: Nein!)

Das ist das Gebot der Stunde: Mehr Zeit für Bildung!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Weiterhin müssen wir miteinander über die Frage diskutieren, welche Bildung wir für das 21. Jahrhundert und dafür brauchen, dass junge Menschen befähigt werden, diese Gesellschaft und ihre Zukunft mitzugestalten. Über diese Frage benötigen wir auch einen schulfachlichen Diskurs. Deswegen bin ich sehr gespannt, welche Antworten wir dazu in der Anhörung bekommen werden.

Im Hinblick auf eine andere Frage reicht es leider nicht aus, nur zu sagen: Ja, wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben. – Das ist gut für den Belastungsausgleich, Frau Müller-Rech. Dennoch müssen die Ergebnisse des Gutachtens bis zur Anhörung vorliegen – das sage ich auch der Ministerin.

(Zuruf von Ministerin Yvonne Gebauer)

Wie sollen wir uns denn über Konnexität unterhalten und sie bewerten, wenn uns das nicht vorliegt? Wir brauchen das parlamentarische Verfahren, ansonsten werden wir die Anhörung über das Schulgesetz nicht entsprechend durchführen können. Das muss man ganz deutlich sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben schon mit Ihren Fragebögen für Schulträger und Schulen für ein bisschen Verstimmung gesorgt. Das musste mühsam zusammengeführt werden. Sicher kann ich nachvollziehen, wie schwierig das Geschäft für Gutachterinnen und Gutachter ist; denn die Rückmeldungen aus den Kommunen kommen nicht immer so, wie man sich das gewünscht hat. Auch im Zusammenhang mit dem Inklusionsleistungsgesetz stellt sich immer wieder die Frage, ob die Daten wirklich ausreichend und belastbar sind. Wir brauchen das aber; denn die Lage in den Kommunen ist sehr unterschiedlich.

Frau Scharrenbach schlägt vor, einfach von Bayern auszugehen. Nordrhein-Westfalen ist aber noch eine ganz andere Dimension. Da gehen wir in der Tat in Richtung 1 Milliarde €. Dass dann andere Schulen und Schulformen fragen, zu wessen Lasten das eigentlich geht, ist sehr verständlich.

Frau Ministerin, ich frage Sie, wie die im Endausbau anfallenden 2.200 zusätzlichen Lehrerstellen eigentlich gestemmt werden sollen. Was bleibt dann angesichts der Lage des Lehrermarkts für die anderen – die Gesamtschulen, die Grundschulen, die Realschulen und die Sekundarschulen – überhaupt noch übrig? Wer bekommt demnächst die Lehrerstellen?

Sie haben gesagt: Bei der Bildungspauschale könnt ihr vor Ort mitfinanzieren. – Was heißt das denn? Es kann doch nicht sein, dass aus der Bildungspauschale und schon gar nicht aus dem Programm „Gute Schule 2020“ Zufinanzierungen entnommen werden sollen, die zulasten anderer Schulen und Schulformen gehen. Nein, da muss sauber getrennt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

All diese Fragen sind Sie schuldig geblieben. Wir wissen auch noch nicht, was mit dem Ausbildungsjahrgang 2023/24 geschieht und wie die Sache mit den Hochschulen gehandhabt wird. Auch da sind noch Fragen offen.

Die Fragen von Frau Vogt und Herrn Rock können jetzt gerne gestellt werden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das können sie tun, wenn sie das noch möchten. Offensichtlich ist Frau Beer jetzt mit ihrem eigentlichen Redebeitrag am Ende. Wir hängen großzügigerweise die beiden Zwischenfragen an. Frau Vogt, Herr Rock, Sie müssten sich noch einmal eindrücken. – Zuerst Herr Rock.

Frank Rock (CDU): Frau Beer, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung. Die Frage passt eigentlich zu Ihrem Wortbeitrag ganz am Anfang.

Die Kollegin Vogt hatte ja erklärt, wie die Gesetzeslage bzw. die Gesetzeszusammenstellung 2005 aussah. Ich habe auch vernommen, dass Sie selber erst am 8. Juni 2005 in den Landtag eingezogen sind.

Ich möchte Sie fragen: Welche Regierung hat am 27. Januar 2005 das neue Schulgesetz verabschiedet? War es Rot-Grün oder Schwarz-Gelb? In diesem Gesetzentwurf stand meines Wissens die Verkürzung von G9 auf G8. Es war nach meiner Recherche eine rot-grüne Regierung, die G8 gesetzesmäßig eingeführt hat. Ist das richtig oder falsch?

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Rock, wenn Sie so fragen, will ich auch gerne umfänglich antworten. Sie haben, glaube ich, nicht wahrgenommen, was ich eben gesagt habe. Ja, Rot-Grün hat in großer Einmütigkeit hier im Landtag G8 eingeführt, aber anders, nämlich ohne eine Schulzeitverkürzung in der Sek. I.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gab die Option für Schulen, sich dann für eine zweijährige oder eine dreijährige Oberstufe zu entscheiden. Das ist der Unterschied. Schwarz-Gelb hat den Murks mit der Schulzeitverkürzung in der Sek. I gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Jetzt Frau Kollegin Vogt. – Herr Rock, eine zweite Zwischenfrage lasse ich nicht zu. – Frau Kollegin Vogt.

Petra Vogt (CDU): Frau Beer, könnten Sie mir die Frage beantworten, was die damalige rot-grüne Landesregierung für die Einführung von G8 vorbereitet hatte?

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich will Sie auch noch einmal darauf hinweisen, dass eben keine Schulzeitverkürzung in der Sek. I geplant war. Deswegen bestand der Vorlauf – Sie wissen, wie viele Klassen und Jahrgänge es in der Sekundarstufe I gibt – in dem Arbeitsprozess, mit dem eine flexible Lösung für die Sek. II vorbereitet werden sollte. Das braucht Jahre an Vorlauf!

Sie dagegen haben im Laufe des ersten Regierungsjahres innerhalb von drei Monaten ein Schulgesetz beschlossen und haben den Schulen und den Kommunen die Verkürzung der Sek. I vor die Tür geworfen, völlig ohne Lehrpläne, aber mit dem Bedarf nach einer Mensa. Das sind die Dinge, an denen die Schulen sich abarbeiten mussten und mit denen sie gehadert haben. Darum herrschte 2010 dann die Haltung vor, erst einmal mit allen Änderungen am Gymnasium in Ruhe gelassen zu werden.

Wir führen jetzt eine gesellschaftliche Diskussion, an der wir alle teilnehmen. Ich finde die Leitentscheidung richtig; das will ich ausdrücklich noch einmal sagen. Diese Leitentscheidung muss dann aber auch für alle gelten.

(Beifall von den GRÜNEN und Regina Kopp-Herr [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Herr Rock, die Diskussion setzen wir dann an anderer Stelle fort. Denn wenn ich jetzt noch eine zweite Zwischenfrage von Ihnen zulasse, nachdem der eigentliche Redebeitrag von Frau Beer zu Ende war und auch die Redezeit abgelaufen ist, schaffe ich einen Präzedenzfall, den wir nicht mehr einholen können.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Ich glaube, dass Sie dafür auch Verständnis haben werden.

Der nächste Redner ist der Abgeordnete Seifen für die AfD-Fraktion.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Endlich liegt der Gesetzentwurf zur Abwicklung der verunglückten Schulzeitverkürzung am Gymnasium vor. Die Ministerin hat sich schließlich dem öffentlichen Druck gebeugt, aber man hat den Eindruck, dass man sie zum Jagen tragen musste. Für alle übersetzt: Man hatte den Eindruck, dass ihre Begeisterung, in diesen Prozess der Gesetzesänderung einzutreten, bei null lag.

Noch in der letzten Legislaturperiode lehnte sie jede Zurücknahme der Schulzeitverkürzung ab. Zitat aus ihrer Rede: Wir sind aber wiederum zu der Meinung gekommen, dass wir eine Rückkehr zu G9 für falsch halten. – Zitat Ende. – Etwas später geht es weiter: Wir möchten die Gymnasien in Nordrhein-Westfalen stärken. Eine Stärkung findet aber nicht statt, wenn man diese Schulform mit riesigen neuen Umwälzungen belastet. – Zitat Ende. So unsere heutige Ministerin.

Die heutige Ministerin war damals als schulpolitische Sprecherin der Auffassung, dass man die Belastungen, welchen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte ausgesetzt waren, lieber ins Unendliche verlängern sollte. Sie nahm damals einfach nicht wahr, dass die Verdichtung der Lernzeit in der Sekundarstufe I geradezu schädlich ist. Es ist die Zeit, in der die jungen Menschen in rasanter Geschwindigkeit und Intensität eine durchgreifende physische und psychische Entwicklung durchmachen. Dazu braucht es Zeit.

Dass die Ministerin damals die Rückkehr von G8 zu G9 als – Zitat – „riesige neue Umwälzung“ charakterisierte, macht deutlich, wie wenig Kenntnisse die damalige schulpolitische Sprecherin der FDP vorzuweisen hatte.

(Beifall von der AfD – Lachen von Ministerin Yvonne Gebauer)

So ist zu vermuten, dass ihre Entscheidung für G9 nicht ihrer inneren Überzeugung entspringt, sondern ausschließlich dem Druck der Elterninitiative „G9-jetzt!“ und den Verwerfungen zu verdanken ist, die Sie mit diesem Experiment angerichtet haben. Diese waren zu groß, als dass Sie wieder hätten darüber hinwegbügeln können, wie das noch Frau Löhrmann, Ihre Vorgängerin im Amt, mit ihrem runden Tisch versucht hat.

G8 ließ dem Einzelnen keine Muße, sich die geistigen Sachverhalte anzueignen, verhinderte vor allem das gründliche Lernen und ließ so manche gymnasiale Laufbahn frühzeitig scheitern. Für dieses Scheitern müssen auch Sie sich in die Verantwortung nehmen lassen, Frau Ministerin –

(Beifall von der AfD)

Sie und alle die anderen hier, die ohne Kenntnis von Lernvorgängen und vor allem ohne Empathie für die Schülerinnen und Schülern Schulgesetze durchgedrückt haben, deren Regelungen zum Teil ohne Sinn und Verstand waren.

Das alles haben Ihnen übrigens Schulleitungen zurückgemeldet. Da können Sie sich nicht herausreden, Sie hätten von nichts gewusst. Aber wie das manchmal bei Leuten ist, die in ihrem parlamentarischen Elfenbeinturm leben, haben Sie die berechtigten und schulfachlich überzeugenden Rückmeldungen aus den Schulen und von den Eltern einfach ignoriert.

Als Sie dann merkten, wie dilettantisch die Schulzeitverkürzung angelegt war, versuchten Sie durch ständiges Nachjustieren immer anderer Stellschrauben den Schaden zu minimieren.

Die als Entlastung vorgesehenen Maßnahmen der letzten Landesregierung verschärften noch den Bildungsabbau und führten zu noch mehr Lernstress, wenn die Schüler den Anforderungen der zentralen Prüfungen gerecht werden wollten. Denn wer auf der einen Seite Hausarbeiten für überflüssig hält und auf der anderen Seite solche Prüfungen verlangt, der muss sich nicht wundern, dass die Kinder diesen Spagat nicht schaffen.

(Beifall von der AfD)

Kinder sind keine Leistungsmaschinen. Sie sind Heranwachsende, deren Aufnahmefähigkeit von der jeweiligen altersspezifischen Entwicklungsstufe abhängt, sodass sie einfach Zeit brauchen, um ihre intellektuellen Fähigkeiten zu entfalten, ihre sozialen Kompetenzen auszubilden und ihre charakterlichen Stärken zu formen.

Dazu gehört auch die gründliche Nach- und Vorbereitung des Unterrichtsstoffes am Nachmittag in der Hausarbeit.

Darüber hinaus brauchen die Schülerinnen und Schüler auch Zeit, außerschulische Bildungs- und Sportangebote anzunehmen sowie sich ehrenamtlich zu engagieren. Dies alles zu erfahren und zu erleben, ist für die Persönlichkeitsbildung junger Menschen unabdingbar.

Ihre Entscheidung zu G8 war pädagogisch, didaktisch, menschlich und gesellschaftlich ein völliger Fehlgriff, ja, eine Katastrophe.

(Beifall von der AfD)

Dass Sie darüber immer noch hinweglächeln, Frau Müller-Rech, zeigt, wie ignorant Sie eigentlich gegenüber den Nöten und Sorgen der Schülerinnen und Schüler sind.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das ist für mich bezeichnend.

Dieser Fehlgriff zeigt übrigens auch, wie sehr Sie sich von den Bildungstraditionen unseres Landes entfernt haben.

(Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Bodo Löttgen [CDU])

Er zeugt davon, dass Sie von den Voraussetzungen, die das Lernen und die Entfaltung von Begabungen und Persönlichkeiten haben, wenig wissen oder ihnen einfach keine Beachtung schenken.

Dass Sie mit G8 noch mal eben ein Jahr Geschichte und Physik eliminiert haben, hat doch erst richtig deutlich gemacht, dass Ihre Aussagen zum Bildungsstandort Deutschland nicht mit substanziellen Vorstellungen unterfüttert sind.

(Beifall von der AfD)

Sie, die ursächlichen Betreiber dieses undurchdachten und völlig dilettantisch angelegten Experimentes G8, haben nun endlich klein beigegeben und sich offenbar dem Willen der Elterninitiative „G9-jetzt-NRW“ gebeugt und wieder einmal eine Position der AfD übernommen.

(Widerspruch von der FDP – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Wir haben ja bereits gestern freudig wahrgenommen, dass auch in der Schadstoffdiskussion um den Dieselmotor Herr Löttgen endlich verstanden und akzeptiert hat, was die AfD-Vertreter bereits seit Langem sagen, dass nämlich die Dieseldiskussion Teil eines Wirtschaftskrieges gegen unser Land ist.

(Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Bodo Löttgen [CDU])

Ich hoffe natürlich, dass Sie in gleicher Weise von Ihren verqueren Vorstellungen, die Sie in den Bildungsbereich eingebracht haben, Abstand nehmen. Daran habe ich aber immer noch meine Zweifel. G8 war ein fröhliches Experiment zugunsten der Wirtschaft, ohne Rücksicht auf das Wohl der jungen Menschen. Die Ansätze zu diesem Experiment liegen 27 Jahre zurück, Anfang der 1990er-Jahre. Herr Reul war damals in der CDU federführend in dieser Angelegenheit und hat diesen Antrag gestellt. Jetzt ist er Innenminister. Bleibt nur zu hoffen, dass er in diesem Bereich nicht so viel Unheil anrichtet wie im Schulbereich.

(Beifall von der AfD)

Und Sie, sehr geehrte Ministerin, kommen ja auch aus der freien Wirtschaft, aus der Immobilienbranche, wenn ich richtig informiert bin. Ich habe den Eindruck, dass Sie Elemente aus Ihrem Erfahrungsraum in die Schulen und in das Bildungswesen transferieren wollen, dass Sie von der irrigen Vorstellung nicht ablassen wollen, Schulen seien wenigstens partiell wie Wirtschaftsunternehmen zu führen und zu organisieren.

Denn Sie wollen ja das Experiment G8 minimiert weiterführen, indem Sie einzelnen Schulen die Wahl lassen, G8-Gymnasien zu bleiben. Die Vertreter der kommunalen Verbände haben Ihnen dringend davon abgeraten, aber das interessiert Sie ja alles nicht. Sie schaffen damit ein neues Durcheinander, und zwar in den Städten wie auch bei der Organisation von Schullaufbahnen. Ich könnte Ihnen das jetzt in einer ruhigen Stunde sehr intensiv erklären; leider habe ich nicht genügend Redezeit, die dazu reichen würde.

Bieten Sie den überdurchschnittlich begabten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, individuell zu springen; das reicht völlig.

(Beifall von der AfD)

Zur künstlichen Verzögerung der Einführung von G9: Wir haben bereits im Juli 2017 einen Antrag eingereicht, diese Einführung sofort vorzunehmen. Wir werden dem Gesetz natürlich zustimmen, aber ich befürchte, wir von der AfD werden noch viel Zeit und Geduld brauchen, um Sie auf den rechten Weg zurückzuführen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Vielleicht kommt einmal der Zeitpunkt, an dem Sie einsehen, dass die Bologna-Reform gescheitert ist. Dann reden wir wieder über das, was Sie an Chaos angerichtet haben. Ich bin allerdings guter Hoffnung, dass die Macht des Faktischen einmal so stark ist, dass auch Sie hier in diesem parlamentarischen Elfenbeinturm nicht daran vorbeikommen, sich diesen Fakten zu beugen und endlich eine Politik für die Bürger und Menschen in diesem Land zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Seifen. – Die nächste Rede hält der fraktionslose Abgeordnete Pretzell.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die grundsätzliche Entscheidung, zu G9 zurückzukehren, kann man nur begrüßen. Ich glaube, die Debatte hat gezeigt, dass es darüber im Grundsatz auch keinen Dissens gibt.

Aber wenn wir ganz kurz einmal zurückgehen in den Landtagswahlkampf: Da habe ich gerade mit Vertretern der FDP häufiger eine Debatte darüber gehabt, ob man wirklich zurück zu G9 geht oder ob man ein Mischmodell macht. Sie haben damals schon das Mischmodell vertreten und haben das – so wie Frau Müller-Rech eben auch – als Freiheit verkauft.

Ich habe immer gesagt: Meine Damen und Herren, passen Sie auf, dass am Ende der – umzugsbedingt vielleicht notwendige – Übergang von einer Schule zu einer anderen nicht nur zum Problem wird, wenn Sie von Nordrhein-Westfalen in ein anderes Bundesland umziehen müssen, sondern wenn Sie schon in den Nachbarort ziehen. Wenn ein Schüler in Münster G8 besucht hat und dann nach Steinfurt zieht, wo man sich für G9 entschieden hat, bekommt dieser Schüler ein Problem mit der von Ihnen beabsichtigten Reform.

Genau das hat die Frau Ministerin ja auch bestätigt. Sie geht davon aus, dass sich die allermeisten Schulen für G9 entscheiden werden. Das bedeutet, dass diejenigen Schüler, die auf einer Schule sind, die sich für G8 entscheidet, selbst bei einem Umzug in die Nachbargemeinde ein Problem haben. Da werden Sie die nämlich mit Kinderlandverschickung herumtransportieren müssen.

Frau Kollegin Müller-Rech, wenn Sie die Entscheidungsfreiheit von staatlichen Institutionen für Freiheit halten, dann offenbart das einen ziemlich verqueren Freiheitsbegriff.

(Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Bodo Löttgen [CDU])

Es geht bei der Freiheit, wenn überhaupt, um die Freiheiten des Bürgers. – Frau Müller-Rech, hören Sie einmal ganz kurz zu! Sie können gleich reden. Stellen Sie eine Zwischenfrage oder machen Sie sonst irgendetwas. – Aber wenn Sie das für Freiheit halten…

Es geht um die Freiheit von Bürgern und Schülern. Es geht um die Freiheit, wenn überhaupt, der Schüler, sich für die eine oder die andere Form zu entscheiden. Genau diese Freiheit gewährleisten Sie mit Ihrem Entwurf aber nicht. Sie gewährleisten einzig und allein die Freiheit von staatlichen Institutionen, nämlich Schulen und nicht Schülern, sich für die eine oder andere Form zu entscheiden.

Das offenbart einen unglaublich verqueren Freiheitsbegriff, Frau Müller-Rech. Da gehen Sie mal in sich und denken darüber nach, was das eigentlich bedeutet. Das ist leider nicht nur für Sie symptomatisch, sondern auch für Ihre Partei – sehr bedauerlich.

Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Das, was Sie tun, ist die Verweigerung der Übernahme von Verantwortung für eine politische Entscheidung, nämlich G8 oder G9. Sie überlassen diese Entscheidung den Schulen, Sie schaffen damit Beliebigkeit, Sie schaffen damit gerade keine Rechtssicherheit, keine Sicherheit für die betroffenen Schüler, keine Sicherheit für die betroffenen Eltern.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Das ist an dieser Stelle zu kritisieren. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Pretzell. – Die nächste Wortmeldung hat Herr Ott von der SPD-Fraktion.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

(Zurufe)

– Ja, mit der Theorie habt ihr es ein bisschen schwer; ich weiß.

Ich möchte auf die Julis eingehen, nämlich auf Herrn Körner, der bei der Podiumsdiskussion vor Kurzem darauf hingewiesen hat, dass er einen liberalen Weg eigentlich sehr sympathisch finde, nämlich ob man nicht gucken kann, was Jugendliche eigentlich brauchen und welchen Weg zum Abitur sie gehen könnten.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Ich weiß alles!

Meines Wissens ist das ein Juli-Beschluss.

Und deshalb will ich zurückkommen auf den Anfang. Frau Vogt, ich weiß, dass es der CDU und vielleicht auch Teilen der FDP schwerfällt, aber ich glaube tatsächlich, dass im politischen System Fehlerkultur dazugehört. Und zur Fehlerkultur gehört auch, zu bekennen, was wir gemeinsam falsch gemacht haben. Und gemeinsam sind wir den Weg falsch gegangen, aber besonders falsch war dann auch noch die Verkürzung der Sekundarstufe I – das hat Sigrid Beer dargestellt.

Jetzt muss es, wenn wir in eine Schulreform gehen, das Ziel sein, möglichst gemeinsam viele Dinge nach vorne zu bringen, weil die Menschen den Anspruch haben, bei Schulsystemfragen nicht „rin inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln“ zu erleben.

Vor diesem Hintergrund komme ich noch einmal zurück auf die Julis bzw. auf meinen und den Vorschlag der SPD-Fraktion zum Thema „Abitur im eigenen Takt“. Wir sind der festen Überzeugung, dass es sinnvoll ist, darüber nachzudenken, wie auch Beschleunigung innerhalb des Schulsystems, aber auch unterschiedliche Tempi möglich werden.

Kinder brauchen unterschiedliche Förderung. Einfach nur zu überspringen, ist einfach zu wenig, weil wir wissen, dass bei vielen Kindern natürlich auch die sozial-emotionale Entwicklung verlorengehen kann. Und dann ist es ganz schwierig, wenn Kinder in die nächste Stufe kommen und vielleicht schon mit fünf eingeschult worden sind.

Deshalb glaube ich aus tiefster Überzeugung: Wir müssen gucken, ob wir ein gutes Modell finden, in dem innerhalb des G9-Gymnasiums dafür Sorge getragen ist, dass individuelle Wege möglich werden.

Dazu gehört auch, dass uns die Enttäuschung der Eltern, die demonstriert haben, nicht gleichgültig sein darf. Wir brauchen ein Übergangsszenario. Es dürfen nicht die die Dummen sein, die demonstriert haben.

Der letzte Punkt: Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Herr Löttgen, hat bei unserer gemeinsamen Podiumsdiskussion, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Jochen Ott (SPD): … wo er kurzfristig zum schulpolitischen Sprecher seiner Fraktion wurde, unter großem Applaus gesagt – und ich teile diese Aussage: Kultur, Musik, Theater, das sind die Dinge, die an vielen Stellen vielleicht wichtiger werden sollten. – Deshalb hören Sie auf, Wirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Jochen Ott (SPD): Lassen Sie uns gemeinsam über ein Bildungssystem streiten und die Chance für das G9 nutzen, ein neues G9 zu machen und Abstand davon nehmen, in die Mottenkiste der 50er-, 60er- oder 90er-Jahre zu greifen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Petra Vogt [CDU])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Abgeordneter Ott. – Und jetzt hat für die Landesregierung Frau Ministerin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! – Eine Bemerkung vorweg, Herr Seifen, zur Kritik an meiner Person und an meiner Fachlichkeit: Den vermeintlich fachlichen und intellektuellen Inhalt Ihrer bildungspolitischen Anträge möchte ich heute nicht kommentieren. Das tun meine Landtagskollegen und Landtagskolleginnen in den Ausschüssen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich kann Ihnen aber sagen: Den Kommentaren meiner Kolleginnen und Kollegen kann ich und werde ich mich vollumfänglich anschließen.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Liebe Frau Beer, Sie haben meine Pressekonferenz angesprochen. Es freut mich, dass Sie als Opposition den Pressekonferenzen folgen. Ich finde es dann aber auch nur fair, wenn man dann auch richtig zitiert.

Ich komme jetzt zu dem Gesetzgebungsverfahren, zu der Verfassungsmäßigkeit getrennter Gesetzgebungsverfahren. Ich habe das bereits ausgeführt, führe es gerne aber noch einmal aus.

Mit der Trennung in zwei Gesetzgebungsverfahren bewegt sich diese Landesregierung, bewegt sich mein Haus auf verfassungsrechtlich gesicherter Grundlage. Ich möchte Ihnen auch erklären, warum das so ist, und vielleicht anhand eines Beispiels zeigen, wie denn in der Vergangenheit vorgegangen wurde und wie wir es jetzt nicht tun. Ich richte selten den Blick zurück – das wissen Sie –, aber da am heutigen Tag das doch sehr oft getan wurde, erlaube ich es mir, es an dieser Stelle auch zu tun.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Ministerin, darf ich Sie unterbrechen, weil jetzt die Frau Kollegin Beer Ihnen eine Zwischenfrage stellen möchte.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Nein, ich würde gerne zu Ende reden. Danke.

Ich möchte an das 9. Schulrechtsänderungsgesetz zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf schulische Inklusion erinnern. Da fand die erste Lesung am 24. April 2013 statt. Eine Konnexität haben Sie darin damals ausdrücklich nicht anerkannt.

Erst als Sie erkannt haben, dass Ihre Position aufgrund des enormen Drucks der kommunalen Spitzenverbände nicht mehr haltbar war, haben Sie den Belastungsausgleich geregelt. Die erste Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes „Belastungsausgleich“ der Fraktionen von SPD und Grünen erfolgte am 14. Mai 2014. Ich darf das andere Datum noch einmal nennen: 24. April 2013, Gesetzentwurf „Belastungsausgleich“, erste Lesung, 14. Mai 2014.

Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz wurde beschlossen – ohne Belastungsausgleich – am 16. Oktober 2013. Also: Ein halbes Jahr später haben Sie damals über den Belastungsausgleich, die Anerkennung der Konnexität, beim großen Thema „Inklusion“ gesprochen.

(Jochen Ott [SPD]: Das war ein Fehler!)

– Das war ein Fehler. Vielen lieben Dank, Herr Ott. Ich freue mich, dass wir das so zu Protokoll nehmen können.

Ich kann deswegen umso weniger verstehen, dass Sie sich jetzt hier und heute hinstellen und das von uns gewählte Verfahren und den Prozess in derartiger Weise kritisieren. Wir haben uns mit den kommunalen Spitzenverbänden im Zusammenwirken mit den Gutachtern geeinigt., Professor Klemm ist einer der beiden Gutachter. Mit ihm hat die Vorgängerlandesregierung auch des Öfteren zusammengearbeitet, und er war auch tätig im Zusammenhang mit dem Belastungsausgleich zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz.

(Zuruf von der SPD: Die Summen sind ganz andere! – Weiterer Zuruf von der SPD: Nennen Sie doch mal die Summen, Frau Ministerin! – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin, ich möchte Sie jetzt noch einmal kurz unterbrechen, weil Frau Kollegin Beer erneut um eine Zwischenfrage bittet.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Jetzt bitte nicht. Wenn am Ende noch Fragen offen sind, beantworte ich die gerne.

(Zurufe)

Das Konnexitätsausführungsgesetz gibt genau den Weg – und diesen gehen wir jetzt – für den Umgang mit den Kommunen für den Fall vor, in dem ein erforderlicher Belastungsausgleich nicht bereits in dem Gesetz enthalten ist. Dann ist in dieses Gesetz ein entsprechender Hinweis auf die gesonderte Belastungsausgleichsregelung aufzunehmen. Das ist in Art. 2 des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs geschehen. Somit sind wir dieser Verpflichtung nachgekommen.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichts muss die Belastungsausgleichsregelung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufgabenübertragung getroffen werden. Dieser unmittelbare zeitliche Zusammenhang ist gewahrt, wenn die Aufgaben und die Belastungsausgleichsregelung zeitgleich in Kraft treten. – Das wird bei diesem 13. Schulrechtsänderungsgesetz der Fall sein.

Jetzt komme ich zu der Kostenermittlung. Herr Ott, ich weiß, es gibt einzelne Schulträger, die sich Sorgen machen wegen der tatsächlichen zusätzlichen Kosten im Zusammenhang mit der Umstellung von G8 auf G9. Ich habe immer gesagt, dass ich das gut nachvollziehen kann.

Ich halte aber nichts von Zahlenspekulationen und Panikmache. Wir stehen mit den kommunalen Spitzenverbänden – das werden die Ihnen auch bestätigen – in einem sehr engen Dialog. Wir haben uns bereits jetzt einvernehmlich auf eine Kostenermittlung verständigt. Diese erfolgt derzeit.

Jetzt etwas zum zusätzlichen Raumbedarf: Ja, es ist richtig, die Gutachter sind momentan dabei, die Fakten zu erheben, die dann Grundlage für die Empfehlung für eine Belastungsausgleichsregelung sein werden. Aber ich möchte eines heute auch ganz deutlich sagen: Nicht alle Raumprobleme an Gymnasien – besonders in großen Städten – haben etwas mit der Einführung von G9 zu tun. Herr Ott, wir kommen beide aus unserer geliebten Stadt Köln. Wir wissen, dass dort die Probleme ganz woanders herrühren.

Das heißt, am Ende des Tages werden wir uns diese Prognose ganz genau anschauen müssen. Wir werden sie genau prüfen müssen und uns dann mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammensetzen, um zu schauen, welche Kosten tatsächlich konnexitätsrelevant sind.

Wir haben heute viel über die schulrechtlichen Fragen gesprochen. Darum geht es auch in diesem Schulrechtsänderungsgesetz. Natürlich – Frau Beer, da haben Sie recht – geht es um viele schulfachliche Fragen. In diesem Zusammenhang gibt es in unserem Hause eine FAQ-Liste, die permanent ergänzt wird. Wir stehen auch insofern mit allen Beteiligten in einem engen Austausch.

In der vergangenen Woche sind die schulfachlichen Eckpunkte an die betroffenen Verbände herausgegangen, die diese jetzt diskutieren. Im April gibt es nach den Osterferien in meinem Haus einen Termin mit allen Verbänden und Beteiligten, bei denen wir genau die von ihnen angesprochenen Fragen in ausreichender Zeit diskutieren werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Sie haben sicherlich bemerkt, dass wir das Leuchtsignal „Kurzintervention“ angeschaltet haben. Die Kurzintervention ist – das wird Sie nicht wundern – von Frau Kollegin Beer angemeldet. Frau Kollegin Beer, bitte.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich schaue mir gerne noch einmal den Livestream an, wenn er abzurufen ist, und auch Ihre Äußerung in der Pressekonferenz. Ich habe den Eindruck gehabt, Sie hätten vielleicht gerne die konsequente Leitentscheidung gehabt. Sie fühlen sich aber an den Koalitionsvertrag und vor allem an das Votum der regierungstragenden Fraktionen gebunden und haben eben nicht die Freiheit gehabt, in anderer Weise zu agieren. Aber ich sehe mir das noch einmal an.

Jetzt zu dem anderen Punkt: Sie haben recht, wenn Sie auf den Inklusionsprozess verweisen. Ich sage dazu ganz freimütig: Es wäre in der Tat besser gewesen, wenn das vorher geklärt gewesen wäre. Das hätte viele negative Diskussionen zum Inklusionsprozess überflüssig gemacht oder sie wären nicht in dieser Weise aufgetaucht. Die Fraktionen haben damals diese Initiative aus gutem Grund ergriffen, weil wir das auch genau so gesehen haben.

Wenn man diese Lehre aber so zieht – ich sage nichts gegen den Prozess mit den Gutachtern –, dann bitte ich allerdings, dass wir das Ergebnis des Gutachtens zeitnah erhalten, weil sich doch dann etwas in dem Prozess ändern soll, wenn Sie auch kritisiert haben, dass das anders war. Wir sagen dazu: Ja, so herum ist es besser.

Ich frage Sie deshalb: Wann legen Sie uns als Parlament den Bericht der Gutachter vor und wann soll der Gesetzentwurf eingebracht werden; Sie arbeiten daran ja schon fleißig?

Auf eine andere Frage habe ich auch noch keine Antwort. Sie haben – daran erinnere ich mich aufgrund eines Interviews im „Kölner Stadt-Anzeiger – gesagt, die „Bildungspauschale“ solle mit herangezogen werden. Herr Lienenkämper hat gesagt „Gute Schule 2020“ auf keinen Fall.

Verursacht durch Ihr Gesetz muss es eine Sondersumme geben. Ist das richtig?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Die Frau Ministerin hat jetzt Gelegenheit zur Antwort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ich weiß, dass Geduld nicht die Tugend der Opposition ist. In diesem Zusammenhang sage ich aber auch: Sie bekommen das Ergebnis dann, wenn das Gutachten fertig ist. So einfach ist das.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist dann fertig, wenn es fertig ist. Das Gutachten wird rechtzeitig fertig sein. Sie werden alle notwendigen Informationen diesbezüglich erhalten. Wir sind ein fairer Partner der Kommunen. Das haben wir immer gesagt. Dieser faire Partner werden wir auch in Zukunft sein. Wenn die Ergebnisse tatsächlich so weit sind, dass sie verkündet werden können, werde ich das tun.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin, Danke schön. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor, obwohl noch Redezeit vorhanden wäre. Dann schließe ich die Aussprache zum Gesetzentwurf unter Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 18/2115. Der Ältestenrat empfiehlt, wie Sie wissen, die Überweisung des Gesetzentwurfes an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend – und mitberatend an die Ausschüsse für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Wissenschaftsausschuss und an den Haushalts- und Finanzausschuss.

Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP, AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen auch nicht. Dann haben wir einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1818. Hier wissen Sie, dass der Ältestenrat empfiehlt, diesen Antrag an den Ausschuss für Schule und Bildung in der Federführung und an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Wissenschaftsausschuss sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss in der Mitberatung zu überweisen. Wie gestern beschlossen, sollen die abschließende Aussprache und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.

Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir auch diese Überweisung einstimmig vorgenommen. Ich kann damit den Tagesordnungspunkt 2 schließen.

Ich rufe auf:

3   Präventionsmaßnahmen gegen Neosalafismus in Nordrhein-Westfalen nachhaltig verankern und ausbauen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/472

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/2171

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Panske für die CDU-Fraktion das Wort.

Dietmar Panske (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Problembeschreibungen des vorliegenden Antrags der Grünen so anschaut, dann muss man Ihnen zugestehen: Aus der Heile-Welt-Romantik der vergangenen Jahre sind Sie so langsam herausgewachsen.

Mit Ihrem Antrag kommen Sie heute auch endlich der Bedrohungsrealität für unser Land, für unsere freiheitliche Gesellschaft und für jeden einzelnen Bürger nahe; denn Salafismus, meine Damen und Herren, ist eine echte Bedrohung. Salafismus ist nicht mehr der Weg zur Radikalisierung, Salafismus ist bereits Radikalisierung – eine Radikalisierung mit einem ganz direkten und ganz kurzen Weg zu Gewalt und Terrorismus.

Der Kampf gegen den Salafismus kann aber weder eindimensional noch durch bloße Aneinanderreihung von Einzelmaßnahmen geführt werden. Rekrutierung, Indoktrinierung, die Schaffung von psychischen Abhängigkeiten, das systematische Ausschalten einer eigenen Persönlichkeit, die verdeckten abgeschotteten Strukturen der realen Salafismusbedrohung in unserem Land: All das braucht auf unserer Seite mehr, um es wirklich bekämpfen zu können, mehr als nur ein Frühwarnsystem.

Wir brauchen ein wirksames funktionierendes Schutzschild für Gefährdete und für Aussteiger wie aber auch für unsere Gesellschaft und wie für jeden einzelnen Bürger.

(Beifall von der CDU)

Hier brauchen wir eine Weiterentwicklung von Konzepten, wir brauchen eine Weiterentwicklung einer umfassenden Strategie, eine Strategie von Prävention und eine Strategie für den Ausstieg.

Ich betone ganz bewusst: Wir brauchen auch eine Strategie, die sich an der Realität ausrichtet, eine Strategie, die ganz konkrete Lösungen und Hilfestellungen denjenigen anbietet, die dies vor Ort in den Städten und Gemeinden umsetzen sollen, und für diejenigen, für die Prävention und Ausstieg gemacht werden sollen – egal, ob das in den Salafismushochburgen von Nordrhein-Westfalen ist, egal ob es in den Ballungszentren oder im ländlichen Raum ist.

Wir brauchen auch keine Grundlagenforschung mehr über Salafismus, wie es die Grünen fordern.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Es gibt kaum welche!)

Für die Grundlagenforschung über Salafismus gibt es schon genug kluge Forscher, dicke Bücher und tiefgehende Erkenntnisse. Was wir wirklich brauchen und auch einfordern, ist die Forschung aus der Praxis; Forschung, die uns als Gesetzgeber, aber noch viel mehr Forschung, die den Praktikern vor Ort wirksame Instrumente an die Hand gibt, wie wir gerade bei jungen Leuten das Abdriften in den Salafismus verhindern können.

Wir brauchen Instrumente, wie wir junge Menschen aus der Salafismusszene wieder erreichen und ihnen Wege ebnen können, damit sie auch wieder zurück in die Gesellschaft finden.

Und das ist ganz wichtig: Wir brauchen Instrumente und Wege, wie wir diesen Rückkehrern auch über einen längeren Zeitraum Stabilität vermitteln können, damit sie nicht wieder auf ihren Weg zurückkehren.

Auch da greifen die Vorstellungen der Grünen im buchstäblichen Sinne ein wenig zu kurz. Herausholen aus dem akuten Salafismus alleine reicht nicht. Wir müssen den meist jungen Menschen eine Perspektive für Stabilität geben, damit sie auf Dauer wieder zu unserer Gesellschaft gehören wollen und das auch tun.

Meine Damen und Herren, Prävention und Ausstieg sind eine langfristige und gemeinsame Daueraufgabe. Ein intelligentes, abgestimmtes Zusammenspiel von Aufklärung, von Ermittlung von Strafverfolgung, von Prävention und verlässlicher und nachhaltiger Ausstiegshilfe orientiert an praktischer Arbeit: Genau das ist der Ansatz der CDU, und das sind die Ziele der NRW-Koalition.

Das gibt der Antrag der Grünen leider nicht her, und deswegen werden wir diesen Antrag heute hier ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Panske.

(Dietmar Panske [CDU]: Es war noch eine Zwischenfrage von der Kollegin Schäffer!)

– Aber die kam zu spät, oder ich habe es zu spät bemerkt. – Herr Kollege Yetim für die SPD-Fraktion.

Ibrahim Yetim*) (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was uns hier im Grunde genommen alle einigt, ist der Kampf gegen den Extremismus. Bei dem Weg sind wir uns nicht immer alle einig, aber über das Ziel, den Extremismus zu bekämpfen, sind wir uns einig. Ob es religiöser Fanatismus ist, ob es Linksextremismus ist oder auch der Rechtsextremismus, dagegen, glaube ich, …

(Helmut Seifen [AfD]: Zeigen Sie nicht zu uns! Seien Sie vorsichtig!)

– Warum?

(Michael Hübner [SPD]: Ganz ruhig! Er hat Sie doch nicht angesprochen!)

– Völlig in Ordnung. Wenn ich Sie als Rechtsextremist bezeichnet hätte, dann würde ich sagen: Das tut mir leid. Wenn ich Sie bezeichnen würde, dann würde ich Sie als Nazis bezeichnen, nicht als Rechtsextremisten.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Das geht so nicht!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Yetim, ganz abgesehen davon, dass diese Zwiegespräche auch grenzwertig sind, aber das, was Sie jetzt gesagt haben, ist nicht in Ordnung. Das wissen Sie, und das muss ich dann auch rügen.

Ibrahim Yetim*) (SPD): Nehme ich an.

Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert, Präventionsmaßnahmen gegen den Neosalafismus in Nordrhein-Westfalen auszubauen und zu verankern.

Meine Fraktion wird diesem Antrag zustimmen. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Mitte-rechts-Koalition das nicht unterstützt.

Die Anhörung im Innenausschuss in der letzten Woche hat doch gezeigt, dass die Expertinnen und Experten den Kurs, der seit einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen gefahren wird, nämlich diesen Dreiklang aus Prävention, Repression und auch Ausstiegsmöglichkeiten, begrüßen.

Die Mitte-rechts-Koalition hat ihre Ablehnung in der letzten Woche im Innenausschuss damit begründet, dass der Antrag nicht weit genug reiche und ein Gesamtkonzept erforderlich sei.

Zunächst einmal stelle ich fest – das ist auch gut so –, dass Sie und auch Innenminister Reul erkannt haben, dass eine Nulltoleranzstrategie alleine nicht für die Sicherheit in diesem Land ausreicht. Ich bin froh darüber, dass Ihnen die Bedeutung von Präventionsprogrammen klar geworden ist.

Umso weniger nachvollziehbar ist die Ablehnung dieses Antrags durch die Mitte-rechts-Koalition – und damit auch die Ablehnung frühzeitiger Maßnahmen, um Menschen vor dem Abdriften in den religiösen Fanatismus zu schützen.

Sie sagten, ein Gesamtkonzept sei notwendig. Der Kollege Panske sprach eben auch von einer Weiterentwicklung von Konzepten. Ja, dies gehört dazu. Natürlich muss das, was wir einmal auf den Weg gebracht haben, immer wieder überprüft und weiterentwickelt werden.

Dieser Antrag der Grünen geht in genau diese Richtung. Als Ausgangsbasis nimmt er nämlich das integrierte Handlungskonzept, das wir 2015 hier beschlossen haben. Im März 2017 wurde der erste Zwischenbericht vorgelegt. Darauf aufbauend muss man schauen, was man noch alles tun kann und weiterentwickeln muss. Darum geht es.

Deshalb ist Ihre Ablehnung für mich nicht nachvollziehbar.

Ich sage Ihnen einmal, was wir mit diesem Handlungskonzept, nach dem ja immer noch gearbeitet wird, schon alles gemacht haben: Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer, für die pädagogischen Fachkräfte; Deradikalisierung in den Justizvollzugsanstalten; Ausbau der muslimischen Seelsorge; interkulturelle und interreligiöse Bildung in der Jugendarbeit. Alles das findet statt.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist „Wegweiser“. Auch dieses wichtige Projekt führen Sie fort. Das freut uns. Es ist ein Netzwerk vor Ort und dient der Vernetzung aller relevanten Akteure. Das brauchen wir auch.

Kolleginnen und Kollegen, wir müssen eingreifen, bevor Jugendliche überhaupt in diese Szene eintauchen, bevor sie radikalisiert werden. Das gibt dieser Antrag der Grünen genau wieder. Es geht darum, dass wir dies verhindern.

Was wir nicht brauchen, ist die vom Bundesinnenminister vorgenommene Diskriminierung von 4,5 Millionen Muslimen in diesem Land. Was wir nicht brauchen, ist das In-die-Ecke-Stellen von jugendlichen Muslimen; denn dies führt zu einer Radikalisierung, und das brauchen wir nicht.

Neben der Prävention sind natürlich auch repressive Maßnahmen, Vereinsverbote und Ausstiegsprogramme notwendig. Das ist es, was ein Gesamtkonzept ausmacht.

Sie haben bis jetzt noch nicht gesagt, was Sie von der Mitte-rechts-Koalition machen wollen. Ich höre immer wieder – auch in anderen Bereichen –, dass Sie ein Gesamtkonzept vorlegen wollen. In allen Bereichen wollen Sie ein Gesamtkonzept vorlegen. Bis jetzt haben wir aber noch nichts gehört.

Kolleginnen und Kollegen von der Mitte-rechts-Koalition, ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn Sie diesen Antrag heute ablehnen, sind wir natürlich gespannt, was Sie vorhaben. Mit der Ablehnung verhindern Sie aber auch, dass wir frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um Jugendliche aus diesem Sumpf herauszuholen oder zu verhindern, dass sie überhaupt dort hineinkommen. Diese frühzeitige Bekämpfung verhindern Sie damit. Deswegen sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob Sie diesen Antrag heute wirklich ablehnen.

Ein Experte sagte in der Anhörung sehr deutlich, wie wichtig und gut dieser Antrag ist. Er arbeitet heute für die Landesregierung im Integrationsministerium, Herr Minister Reul. Ich würde vorschlagen, dass Sie noch einmal ganz gezielt auf diese Expertise zurückgreifen und ihn fragen, was er davon hält und was man eigentlich tun kann, um den Salafismus zu bekämpfen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yetim. – Als nächster Redner hat für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Lürbke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über das Thema „Salafismus“ und den Kampf gegen Salafismus sprechen wir heute wahrlich nicht zum ersten Mal in diesem Hohen Haus. Ich bin auch bei Ihnen, Herr Yetim: Beim Ziel sind wir uns einig. In der Tat sehen wir Handlungsbedarf. Es ist auch wirklich wichtig, dass wir uns mit diesem Thema weiterhin intensiv beschäftigen.

Ich will aber auch Folgendes deutlich machen: Für uns als Freie Demokraten gelten dabei zwei Leitlinien.

Erstens muss der Staat, muss die Politik im Kampf gegen Salafismus klare Kante zeigen. Die aktive Verführung zum gewaltbereiten Extremismus und zu menschenverachtender Ideologie nehmen wir in Nordrhein-Westfalen nicht hin. Unsere wehrhafte Demokratie muss sich auch dadurch auszeichnen, dass der Rechtsstaat entschieden gegen verfassungsfeindliche salafistische Umtriebe vorgeht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Repression darf nicht vergessen werden. Darüber darf es auch keine zwei Meinungen geben.

Zweitens ist zwingend ein umfassendes Angebot an Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen erforderlich. Auch darüber darf es keine zwei Meinungen geben.

Bezüglich der Ausgestaltung, also der Frage, wie dieses Maßnahmenpaket der Prävention dann auszusehen hat, liefert der Antrag der Grünen durchaus diskutable Ansätze, aber, wie wir finden, noch keine ausreichenden Antworten. Das ist in der Anhörung auch deutlich geworden, glaube ich.

Damit mich niemand falsch versteht – ich habe das im Ausschuss auch schon gesagt; liebe Frau Schäffer, ich betone es hier gern noch einmal –: Die Anhörung war gut. Ich fand sie auch durchaus gewinnbringend. Ich bin auch bei Ihnen, was die Feststellung angeht, dass die Ergebnisse der IMAG, der Interministeriellen Arbeitsgruppe, schon durchaus wertvolle Ansätze als Ausgangspunkt geben. Das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen.

Aber wenn man es sich einmal genau anschaut – auch das gehört zur Wahrheit –, sieht man, dass 27 Einzelprojekte aufgezählt werden, die derzeit umgesetzt werden. Jetzt sollen mit dem Antrag der Grünen weitere Projekte hinzukommen; acht benennen Sie konkret.

Einzelne Forderungen finde ich durchaus richtig. Beispielsweise ist eine systematische Verankerung des Themas „Neosalafismus“ im Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte und Pädagogen richtig. Aber solche einzelnen Projekte können im Ergebnis nicht die Lösung sein – egal, ob wir acht oder 18 neue Projekte dazuschreiben. Ein solches Handlungskonzept – da bin ich ganz bei Herrn Panske – bleibt am Ende nur Stückwerk. Insofern muss es darum gehen, alle diese Projekte miteinander zu verzahnen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Lürbke, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage der Abgeordneten Schäffer.

Marc Lürbke (FDP): Ja, für die Diskussion sind wir hier. Bitte.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege, für die Zulassung der Zwischenfrage. – Sie haben gerade angesprochen, es seien Einzelmaßnahmen, und wir bräuchten ein Handlungskonzept. Der Kollege Panske sagte dies ebenfalls.

Stimmen Sie mir zu, dass wir es in dem Antrag so formuliert haben, dass es ein Handlungskonzept geben muss und diese Einzelmaßnahmen natürlich dort einfließen müssen, um ein Gesamtkonzept zu erarbeiten? Stimmen Sie mir zu, dass wir es genau so in den Antrag geschrieben haben?

Marc Lürbke (FDP): Bei der Frage, dass wir ein Handlungskonzept brauchen, stimme ich Ihnen zu. Das ist genau der Punkt, den wir wollen.

Ich will es noch einmal sagen. Sie schlagen Projekte vor. Wir haben auf der einen Seite schon Projekte, die alle durchaus diskutabel sind. Wenn diese Projekte nicht ineinandergreifen, wird es am Ende aber auch nicht der große Wurf. Deswegen: Sie machen Vorschläge. Wir haben Vorschläge. Das muss alles ineinander verzahnt werden. Genau das ist auch der Ansatz der NRW-Koalition. Diese Vorschläge werden wir – ich bin sicher, dass wir nicht das letzte Mal darüber sprechen – sicherlich auch noch im Plenum beraten.

Am Ende muss ein Gesamtkonzept stehen. Auf dem Weg dorthin sind wir. Das muss also korrekt sein. Es muss aus vielen ineinandergreifenden Rädern bestehen und eben nicht nebeneinanderher erfolgen.

Ich habe gerade den Bereich der Schule angesprochen. Daran kann man es konkret darstellen. Es kann nicht nur darum gehen, dass man den Schulen zur Unterstützung der Lehrkräfte schulspezifische Präventionsprogramme an die Hand gibt. Vielmehr muss dies auch mit Landespräventionsmaßnahmen abgestimmt sein. Die Übergänge müssen klar sein.

In der Anhörung ist übrigens auch klar geworden, liebe Frau Schäffer, dass wir beispielsweise bei der Frage der Standards gar nicht so weit auseinander sind. Das habe ich in der Ausschussberatung auch gesagt.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Auch da besteht dringender Handlungsbedarf dahin gehend, dass wir Standards festlegen. Alles das muss dann in einem Gesamtkonzept stehen. Das werden wir als NRW-Koalition auf den Weg bringen.

Ich habe schon gesagt, dass das hier nicht das letzte Mal war, dass wir darüber sprechen. Davon bin ich überzeugt. Aus den genannten Gründen werden wir Ihren Antrag heute aber ablehnen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Lürbke, Sie haben in Ihrem Redebeitrag gesagt, man müsse es noch weiter diskutieren. Frau Abgeordnete Schäffer hat sich daraufhin sofort zu einer weiteren Zwischenfrage gemeldet. Lassen Sie sie noch zu?

Marc Lürbke (FDP): Ich glaube, ich habe die Zwischenfrage schon beantwortet.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Nein, das ist eine neue Frage!)

– Bitte.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie sagten, wir hätten als Grüne Vorschläge gemacht, und die Koalition habe auch Vorschläge gemacht. Die Vorschläge der Koalition sind mir nicht bekannt, weil sie bisher in keine Debatte eingeflossen sind. Deshalb wäre es sehr freundlich, wenn Sie mir folgende Frage beantworten könnten: Was sind denn Ihre Vorschläge, um das Handlungskonzept noch weiter anzureichern?

Marc Lürbke (FDP): Diese Frage hatte ich doch schon beantwortet.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Nein!)

Wir werden das zu gegebener Zeit hier vorstellen. Natürlich haben wir Vorschläge. Ich habe auch schon in der Ausschussberatung darauf hingewiesen. Wir haben ja auch im Koalitionsvertrag verabredet, in diesem Bereich einiges auf den Weg zu bringen.

Ich habe gerade schon angesprochen, dass wir bei den Standards besser werden müssen und dass wir schauen müssen, wie die ganzen Projekte ineinandergreifen. Das werden wir Ihnen vorstellen. Freuen Sie sich darauf! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lürbke. – Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Schäffer das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann bin ich einmal sehr gespannt auf die Konzepte und Vorschläge, die da noch kommen mögen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sie uns dann irgendwann präsentieren würden, damit wir sie auch diskutieren können.

Ich möchte aber gern mit drei Feststellungen zu diesem Thema beginnen.

Erstens. Etwa ein Drittel der Salafisten bundesweit lebt hier in Nordrhein-Westfalen.

Zweitens. Die Phase der Ausreisen nach Syrien und in den Irak ist vorbei. Der IS ruft schon seit Langem dazu auf, Anschläge in Deutschland oder in Westeuropa zu begehen und nicht mehr auszureisen.

Drittens. Der Anteil der Gefährder mit deutscher Staatsangehörigkeit liegt bei ungefähr 66 %. Wir reden also über ein Phänomen, das unsere deutsche Gesellschaft betrifft. Das sind Personen, die sich aus unserer Gesellschaft heraus radikalisieren. Damit ist es ein Problem unserer Gesellschaft.

Alle Expertinnen und Experten gehen wegen genau dieser Feststellungen davon aus, dass uns als Gesellschaft die Radikalisierung im Salafismus – im Übrigen auch die Verfestigung der Szene zum Beispiel durch die Aktivität von Frauen und die Gründung von Familien – noch mehrere Jahrzehnte hier in Deutschland beschäftigen wird.

Deshalb ist es so notwendig – das haben auch alle Vorredner gesagt –, dass wir im Bereich der Prävention, im Bereich der Intervention, im Bereich der Aussteigerberatung mehr machen. Es freut mich, dass wir im Grundsatz darüber einen Konsens haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben 2015 auf Antrag von SPD und Grünen hier im Landtag beschlossen, dass von der Landesregierung ein Handlungskonzept – das, was Sie immer beschworen haben, wird ja seitdem erarbeitet – erstellt werden soll. Die interministerielle Arbeitsgruppe arbeitet. Sie hat letztes Jahr ein sehr umfangreiches Papier, einen Zwischenbericht, vorgelegt.

Wir Grüne haben uns aber noch einmal hingesetzt und überlegt: Was sind noch weitere sinnvolle Projekte, um diese Vorschläge zu ergänzen? Es entspricht im Übrigen auch meinem Verständnis von Parlamentarismus, dass wir uns als Abgeordnete hinsetzen und eigene Vorschläge erarbeiten – ich warte noch auf Ihre Vorschläge – und nicht nur einfach Berichte der Regierung hinnehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Panske, es geht hier selbstverständlich um ein Handlungskonzept und nicht um Einzelmaßnahmen. Genau das steht auch in unserem Antrag. Insofern sind die von Ihnen vorgetragenen Gründe wirklich nur vorgeschoben, um diesen Antrag abzulehnen. Sie entsprechen aber nicht dem, was in dem Antrag steht. Das können Sie noch einmal nachlesen.

Einen zweiten Punkt haben Sie gerade auch falsch dargestellt. Er betrifft das Thema „Wissenschaft und Forschung“. Es gibt kaum Grundlagenforschung in Deutschland. Das ist genau das Problem. Andere Länder wie Großbritannien sind viel weiter, als Deutschland es ist. Das würde uns auch in Nordrhein-Westfalen mit der breiten Hochschullandschaft, die wir haben, gut anstehen.

Es wäre sinnvoll, im Bereich von Wissenschaft und Forschung mehr zu machen und Fragen wie zum Beispiel folgende zu erforschen: Wie sind die Radikalisierungsprozesse? Warum gibt es eine Anziehungskraft auf Frauen und Mädchen? Warum wollen Leute auch wieder aussteigen? – Genau diese Fragen müssen bearbeitet werden und in die Praxis zurückfließen, um zu schulen, Antworten zu geben und beispielsweise Fortbildungen anzubieten.

Herr El-Mafaalani, der als Experte an der Anhörung teilgenommen hat und jetzt Abteilungsleiter im Integrationsministerium ist, hat das sehr begrüßt. Ich würde mich freuen, wenn diese Idee weitergetragen würde, weil ich sie wirklich für notwendig und sinnvoll erachte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Panske, Sie haben kritisiert, wir würden keine Vorschläge für die praktische Arbeit machen. Auch das stimmt nicht. Denn wir machen hier zwei sehr konkrete Vorschläge.

Wir haben zum einen gesagt, dass die Schulsozialarbeit stärker in diesem Thema qualifiziert werden muss und wir mehr davon brauchen, weil die Schulsozialarbeiter diejenigen sind, die vor Ort in den Schulen Ansprechpartner für die Jugendlichen sind.

Wir haben zum anderen den konkreten Vorschlag gemacht, dass man Streetworker in den Stadtteilen einsetzt, in denen Salafisten versuchen, junge Menschen anzuwerben, und zwar Streetworker, die die Lebenswirklichkeiten dieser jungen Menschen kennen und die jungen Menschen ansprechen können.

Ich glaube, das ist wesentlich hilfreicher und sinnvoller, als YouTube-Videos zu produzieren. Wir müssen dorthin gehen, wo die Leute sind. Wir müssen sie ansprechen und brauchen die Beziehungsarbeit. Das würde wirklich helfen. Es kostet Geld; ich weiß. Aber das sollte es uns wert sein vor dem Hintergrund der Probleme, die wir in diesem Themenfeld haben, und auch vor dem Hintergrund der Gefahr, die vom Salafismus ausgeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der dritte Punkt, den ich gern noch ansprechen möchte, ist das Thema „Zivilgesellschaft“. In der Anhörung ist auch deutlich geworden, dass wir die Zivilgesellschaft brauchen. Es gibt solche Projekte aus der Zivilgesellschaft, die gefördert werden müssen.

Um es zum Abschluss noch einmal zu sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn wir es geschafft hätten, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen, da wir doch alle anerkennen, wie wichtig die Präventionsarbeit ist. Das ist gescheitert, weil CDU und FDP nicht bereit waren, Gespräche über einen gemeinsamen Antrag zu führen. Ich bedaure das sehr. Aus vorgeschobenen Gründen lehnen Sie den Antrag jetzt ab.

Unsere Ideen waren aber gut. Das ist in der Expertenanhörung auch bestätigt worden. Es geht mir nicht darum, dass es grüne Vorschläge waren,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

sondern es geht darum, dass wir im Bereich der Prävention endlich weiterkommen, weil hier mehr passieren muss. Da sind wir alle in der Verantwortung und in der Pflicht.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit.

Verena Schäffer (GRÜNE): Deshalb ist meine dringende Bitte, dass Sie diese Vorschläge und Ideen nicht einfach verwerfen, sondern mitnehmen und weiter diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schäffer. – Für die Fraktion der AfD hat nun der Abgeordnete Wagner das Wort. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß gar nicht, wie oft ich in meinem ersten Dreivierteljahr hier an diesem Pult stand und zu einem Antrag sprechen musste, den wir ohne die desaströs verfehlte Zuwanderungspolitik von Schwarz, Gelb, Rot und Grün gar nicht vorliegen hätten.

(Beifall von der AfD)

Vielleicht fällt Ihnen auf, dass wir in nahezu jeder Sitzung dieses Parlaments Forderungen nach neuen Millionen für Integrationsmaßnahmen, weitere Kurse, noch mehr Präventionsprogramme, mehr Sicherheitskräfte, mehr Richter etc. pp. haben. Immer neue Folgekosten für die Steuerzahler in diesem Land! Aber Frau Merkel sagte ja: Jetzt sind sie eben hier. – Und Herr Schulz fügte an: Dann kommen eben mehr.

(Beifall von der AfD)

Häufig wird in dem Wahnsinn, die fehlgesteuerte – besser gesagt: gar nicht gesteuerte – Migration nicht endlich zu unterbinden, alles Mögliche gefordert, ohne die Programme einmal zu evaluieren, wissenschaftlich zu begleiten und Ähnliches.

So ist es auch hier beim Antrag der Grünen. Mehr Geld gegen Salafismus in Deutschland wollen Sie dem Steuerzahler vom Lohn abziehen. Ob das Programm etwas bringt, wie die Kosten-Nutzen-Relation aussieht, ist derzeit noch völlig unbekannt. Daher geht es jetzt auch nicht darum, zu sagen: Es gibt kein Geld für Prävention. – Es geht nur darum, zu sagen: Es gibt keine Regelfinanzierung, weil diese Dinge völlig unbekannt sind.

Wir hätten aber ein wirksames Präventionsprogramm gegen Salafisten für Sie. Die Lösung ist häufig viel einfacher, als Sie sich das nach ein paar Semestern Politologie und frei von jeder Berufserfahrung im wahren Leben vorstellen: zum Beispiel, potenzielle Salafisten erst gar nicht einreisen zu lassen und diejenigen, die hier sind, aber hier nicht hingehören, entsprechend zu verurteilen oder abzuschieben.

(Beifall von der AfD)

Einmal die Ursachen anstatt der Symptome zu bekämpfen, wäre sowohl finanziell als auch kulturell klüger für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Frau Schäffer, Sie haben eben gesagt, 66 % der Salafisten in Deutschland seien deutsche Staatsangehörige. Ich kann die Zahl jetzt nicht überprüfen, glaube Ihnen das aber einmal. Damit komme ich auf das zurück, was ich als wirklich sehr einseitige und mangelhafte Ursachenbegründung in Ihrem Antrag gefunden habe. Sie sprechen nämlich unter anderem davon, dass das Abgleiten in den Salafismus mit Diskriminierungserfahrungen zu tun hat.

Das Credo der Diskriminierungserfahrung der Grünen ist ja, dass die Diskriminierungserfahrung selbstverständlich immer von der Mehrheitsgesellschaft, also von den Deutschen, ausgeht. Ich stelle in diesem Zusammenhang also fest: 66 % der Salafisten sind deutsche Staatsangehörige, die durch Diskriminierungserfahrungen durch Deutsche zu Salafisten geworden sind. – Meine Damen und Herren, eine solche Logik gibt es nur bei den Grünen und sonst nirgends.

(Beifall von der AfD)

Aber diese deutschen Staatsbürger nehmen wir jetzt einmal genauer unter die Lupe. Mittlerweile sind nämlich – das stimmt leider – deutsche Staatsbürger darunter. Aber warum?

Erstens. Sie haben unter Rot-Grün – die Mitte-links-CDU hat das hingenommen – das Staatsangehörigkeitsrecht so verschlimmbessert, dass der deutsche Pass nicht mehr die Krönung einer vollendeten Integrationsleistung darstellt, weil Sie unsere Staatsbürgerschaft am liebsten an jeden verramschen wollen, der nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Zweitens. Mittlerweile gibt es sogar Konvertiten aus dem Kreis derer, die schon länger hier leben. Diese Menschen stehen beispielhaft dafür, was passiert, wenn man zu viele von den Falschen zu schnell in ein Land lässt. Dann integriert sich nicht mehr, wie es normal, üblich und gewünscht wäre, derjenige, der in das Land kommt, sondern es beginnen sich Teile der Aufnahmegesellschaft den Zuwanderern anzupassen. Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, die Sie ständig über immer neue Programme auf Kosten der arbeitenden Menschen verstetigen wollen. Wir als AfD lehnen dies ab.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wagner. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Reul das Wort. Bitte schön. – Herr Minister, Sie dürfen reden, wenn Sie möchten.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ging plötzlich so schnell. – Die islamistischen Terroranschläge in Europa und Deutschland haben uns vor Augen geführt, wie gewalttätiger Salafismus als menschenfeindliche und hasserfüllte Ideologie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedroht.

Deshalb ist auch in diesem Haus Konsens, dass wir uns dem entschieden mit allen Mitteln entgegenstellen müssen. Das Ziel ist, gewaltbereite Extremisten frühzeitig zu identifizieren, ihre Netzwerke zu zerschlagen und damit auch terroristische Anschläge zu verhindern. Das ist so. Dazu gibt es hier auch – Gott sei Dank – einen großen Konsens.

Ich will Folgendes hinzufügen, Herr Wagner – denn das muss man schon einmal deutlich machen –: Die Sache ist leider nicht so leicht damit zu erklären, dass man das auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe projiziert und die Problemlösung „Simsalabim“ anbietet.

Die Wahrheit ist – Frau Schäffer hat das richtig gesagt –: 66 % sind deutsche Staatsbürger. Sie sind nicht letztes oder vorletztes Jahr gekommen und deutsche Staatsbürger geworden. Das ist falsch. Das macht die Sache so verdammt schwierig. Es ist eben nicht so einfach. Deswegen muss man sich damit leider sehr differenziert auseinandersetzen.

(Zuruf von der AfD: Das hat Herr Wagner gemacht!)

Wir versuchen das, indem wir die Sicherheitsarchitektur stärken, zum Beispiel durch Prävention und Deradikalisierung, aber auch durch repressive Maßnahmen. Das eine ergänzt das andere. Wir wollen junge Menschen vor Radikalisierung schützen und sie sensibilisieren. Sie sollen das Rüstzeug vermittelt bekommen, um nicht in die Radikalisierungsfalle zu laufen und zu den Extremisten von morgen zu werden. Für Menschen, die bereits in solche Strukturen gefangen sind, bieten wir Ausstiegshilfen an. Damit wollen wir dem Extremismus den Nährboden entziehen. Das ist die Grundlage.

Ich sage aber auch ganz deutlich: Der Staat kann den Kampf um die Köpfe und Herzen dieser jungen Menschen nicht alleine gewinnen. Staat und Gesellschaft müssen das als gemeinsame Aufgabe sehen. Das versuchen wir als Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen.

Genau deshalb ist die interministerielle Arbeitsgruppe zum Thema „Salafismusprävention“ als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf Ganzheitlichkeit, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Auf dieser Grundlage gemeinsam definierter Handlungsfelder ist es gelungen, eine Vielzahl neuer Projekte und Maßnahmen zu konzipieren, aber auch bewährte Projekte weiterzuentwickeln.

Im Frühjahr des vergangenen Jahres wurde von der interministeriellen Arbeitsgruppe „Salafismus-prävention“ der erste Zwischenbericht vorgelegt, und zwar mit 27 Einzelprojekten – das ist eine ganze Menge –, die jetzt von den zuständigen Fachressorts umgesetzt werden. Ich betone: Es handelt sich um einen Zwischenbericht. Das heißt, es ist kein Abschlussbericht, sondern ein Fahrplan für die zukünftige ressortübergreifende Präventionsarbeit der Landesregierung.

Nun liegt uns ein Antrag der Grünen vor. Es kommen – das macht es so kompliziert – jetzt acht weitere Maßnahmen hinzu; wenn es denn acht neue sind. Manche sind auch durch das abgedeckt, was wir schon gemacht haben. Darum ist es so schwer, den Antrag zu bewerten.

Man wird feststellen: In dem Antrag sind Maßnahmen enthalten, die längst Inhalt des Handlungskonzeptes sind. Es ist nicht nötig, diese noch einmal zu beschließen. Dann sollte man es lieber machen.

Daneben gibt es Vorschläge, die darauf abzielen, Maßnahmen außerhalb der bestehenden Programme und der bereits etablierten Präventionsstrategie zu initiieren. Ich sage: Darunter sind auch nicht erforderliche Sondermaßnahmen.

Man müsste sie sich im Einzelnen angucken. Als Beispiele nenne ich die Einrichtung einer zivilgesellschaftlich getragenen Beratungsstelle zur Deradikalisierung von Personen, die man aus der neosalafistischen Szene lösen will, und den Einsatz von Streetworkerinnen und Streetworkern, die gezielt muslimische Jugendliche ansprechen können.

Ich finde es nicht dienlich, Doppelstrukturen zu schaffen. Darauf will ich hinweisen. Es macht keinen Sinn, alles doppelt und dreifach zu machen. Vielmehr müssen wir die Kräfte bündeln und Wirkung erreichen.

Fakt ist doch: Gerade die Präventionsangebote vom Verfassungsschutz werden stark nachgefragt. Das gilt insbesondere für die derzeit 13 aktiven „Wegweiser“-Anlaufstellen, die übrigens zu zwei Dritteln von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und zu einem Drittel von kommunalen Stellen geführt werden.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister …

Herbert Reul, Minister des Innern: Das sind bereits Bindeglieder zwischen Zivilgesellschaft und Staat vor Ort.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister …

Herbert Reul, Minister des Innern: Darüber hinaus nenne ich das wissenschaftliche Kompetenznetzwerk an der Universität Bielefeld. Es erforscht bereits Aspekte des salafistischen Extremismus in NRW und bündelt Expertise und Kompetenzen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister …

Herbert Reul, Minister des Innern: Langer Rede kurzer Sinn: Die existierende Arbeitsgruppe hat die wesentlichen Handlungsfelder herausgearbeitet und nimmt die Handlungsfelder gezielt und nachhaltig in den Blick. Wir befinden uns bereits in der Umsetzung der ersten Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe. Daran sollte man weiter arbeiten und nicht neue Strukturen aufbauen, finde ich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister …

Herbert Reul, Minister des Innern: Deshalb ist meine Bitte: Lasst uns den gemeinsamen Wunsch, uns darum zu kümmern, nutzen, um gemeinsam an den Projekten zu arbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, ich versuche die ganze Zeit, Sie zu unterbrechen, weil die Abgeordnete Schäffer Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen möchte. Die Redezeit hat sich zwar dem Ende genähert. Aber lassen Sie sie zu?

Herbert Reul, Minister des Innern: Ja, gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte, Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Minister. – Es ist Ihnen offenbar nicht ganz leichtgefallen, die Ablehnung zu begründen.

Ich habe noch eine Nachfrage. Sie haben gesagt, man solle keine Doppel- und Dreifachstrukturen aufbauen. – Hier würde mich interessieren, wo Sie beim Thema „Streetwork“ eine Doppelstruktur erkennen. Das Gleiche gilt für die zivilgesellschaftliche Aussteigerberatung. Eine solche gibt es derzeit schlichtweg nicht. Wo sehen Sie da Doppel- und Dreifachstrukturen? Können Sie mir das bitte noch einmal erläutern?

Herbert Reul, Minister des Innern: Gerne, Frau Schäffer. Ich habe bereits versucht, das an zwei Beispielen zu erklären.

Zum einen gibt es Projekte, deren Bedeutung und Sinnhaftigkeit ich anders einschätze. Darüber muss man sich dann streiten. Das ist der einfachere Fall.

Daneben gibt es aber auch Doppelstrukturen. Es findet bereits in einigen Bereichen eine Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Staat statt. Das Programm „Wegweiser“ ist ein ideales Beispiel dafür. Sie loben es doch auch bei jeder Gelegenheit. Hier finde ich es vernünftiger, darüber nachzudenken, ob und wie wir diese Programme weiter ausbauen, anstatt neue Einrichtungen zu schaffen. Das war der Wunsch, den ich vorgetragen habe.

Wenn es irgendwo noch eine Lücke gibt, bei der es vernünftig und klug ist, sie zu schließen, dann müssen wir das – hier sage ich Ihnen meine Unterstützung zu – mit in das Handlungskonzept einbauen. Das ist auch kein Problem. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Es hat sich noch einmal für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Wagner zu Wort gemeldet. Weil es hier einen Hinweis auf die Technik gegeben hat, teile ich Ihnen mit: Herr Wagner hatte zum Ende seiner Rede noch 46 Sekunden Redezeit übrig. Die Uhr zeigte eine kürzere Zeit an. Daher werden wir jetzt händisch stoppen und zu gegebener Zeit die Uhr wieder einschalten. – Bitte. Sie haben das Wort.

Markus Wagner (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Reul, wir machen es uns nicht so einfach, wie Sie uns das vorwerfen. Aber wir sagen, dass wir natürlich Druck vom Kessel nehmen können, wenn wir konsequent abschieben und dafür sorgen, dass unsere Grenzen so gesichert werden, dass beispielsweise IS-Rückkehrer aus Syrien nicht mehr nach Deutschland kommen.

Wir sind aber in Nordrhein-Westfalen nicht einmal in der Lage, den Leibwächter von Osama bin Laden abzuschieben. Da haben wir doch schon das Grundproblem, um das es hier geht. Wir müssen, wenn wir Salafismus bekämpfen wollen, auch den Druck vom Kessel nehmen. Wir lassen allerdings zu, auch durch eine verfehlte Zuwanderungspolitik, dass der Druck im Kessel immer weiter steigt. Genau das haben wir kritisiert. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wagner. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. – Das bleibt auch beim Blick in die Runde so, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt uns in Drucksache 17/2171, den Antrag Drucksache 17/472 abzulehnen. Somit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 17/472 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf fragen, wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD sowie alle drei fraktionslosen Abgeordneten. Dann frage ich noch, ob es Enthaltungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Damit hat der Antrag Drucksache 17/472 keine Mehrheit des Hauses gefunden und ist abgelehnt.

Ich rufe auf:

4   Gewalt gegen unsere Einsatz- und Rettungskräfte konsequent benennen, systematisch erforschen und selbstbewusst bekämpfen

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2150

Entschließungsantrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/2241

Der Entschließungsantrag ist während des letzten Tagesordnungspunktes, wenn ich richtig informiert bin, eingegangen, wird gerade gedruckt und auch verteilt. Ich will nur für den Fall, dass er noch nicht überall vorliegen sollte, darauf hinweisen, dass er im Prozess ist und auch auf ihn verwiesen werden soll, wenn das Parlament nachher der Überweisungsempfehlung folgen möchte.

Vorher haben wir aber hier eine Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der AfD erteile ich dem Abgeordneten Wagner das Wort. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 22.03., morgen ist dann der 23. Herr Sieveke, das haben Sie sehr gut festgestellt. Der 22.03. ist der Tag der Kriminalitätsopfer – das haben Sie wahrscheinlich nicht gewusst –, ein Aktionstag, der 1991 vom Weißen Ring eingeführt wurde. Deswegen widme ich diese Rede unseren Polizisten, Feuerwehrleuten, Soldaten, Katastrophenhelfern und Rettungsassistenten sowie Sanitätern.

(Beifall von der AfD)

Ich widme sie allen Menschen, die uns helfen und schützen, denn sie haben es verdient.

Was diese Menschen allerdings nicht verdient haben, ist es, bespuckt, getreten und geschlagen zu werden. Was sie nicht verdient haben, ist, beleidigt und in Hinterhalte gelockt zu werden. Und was sie erst recht nicht verdient hätten, ist, dass wir hier im Parlament nicht alles unternehmen, um das zu unterbinden, dass wir nicht wirklich alles unternehmen, um denen zu helfen, die uns helfen, nicht alles unternehmen, um die zu schützen, die uns schützen.

(Beifall von der AfD)

In den letzten Jahren häufen sich leider auch in Nordrhein-Westfalen die Meldungen über Gewalt und andere Straftaten gegen Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und Rettungskräfte. Die Bedrohungen, die wir uns täglich gefallen lassen müssen, machen fertig. Das sagt eine junge Krankenschwester. In Bethel soll das Personal jetzt Deeskalation und Selbstverteidigung lernen. Das Krankenhauspersonal von Bethel soll Deeskalation und Selbstverteidigung lernen!

(Helmut Seifen [AfD]: Unfassbar!)

Der Chef des Bielefelder Franziskus-Krankenhauses gibt zu Protokoll – ich zitiere –: Leider seien oft Bürger mit Migrationshintergrund besonders aggressiv. Sie spielen oft die Karte der Ausländerfeindlichkeit.

Meine Damen und Herren, zwei junge Männer wollten in Duisburg am 4. November 2017 verhindern, dass ihre Mutter in ein anderes Krankenhaus verlegt wird. Gemeinsam mit einem Freund prügeln sie sich vor dem St.-Johannes-Hospital mit Polizisten und Rettungskräften. Zwei Polizisten erlitten den Angaben zufolge leichte Verletzungen, ein Feuerwehrmann musste mit einer Armverletzung stationär im Krankenhaus bleiben.

Zwei Polizeibeamte werden in Mönchengladbach am Weihnachtstag von sechs bis acht Personen attackiert und verletzt, zuvor hatten die Polizisten versucht, einen Streit innerhalb der Gruppe zu schlichten. – Das sind nur einige Fälle aus der letzten Zeit und nicht einmal die schlimmsten, die uns als AfD beunruhigen.

Es ist ja nicht so, dass Sie von den alten Parteien nicht auch den Handlungsbedarf sehen. Im Innenausschuss stellte der Minister des Inneren, Herbert Reul, in seinem Bericht fest, dass respektloses Verhalten gegen Einsatzkräfte ein signifikantes Problem sei.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

Im Jahr 2017 gab es dem Bericht zufolge sieben versuchte Tötungsdelikte. Gestiegen sei die Zahl einfacher Körperverletzungen von 834 Fällen im Jahre 2016 auf 897 Fälle im Jahr 2017. Auch Bedrohungen seien mehr geworden, 770 Fälle im Jahr 2017, 688 Fälle waren es 2016.

Auch der Gesetzgeber im Bund hat auf den steigenden Handlungsbedarf teilweise reagiert. Sicherheits- und Rettungskräfte werden künftig durch neue Straftatbestände geschützt. All das findet natürlich unsere Zustimmung. Als AfD-Fraktion verurteilen wir selbstverständlich jegliche Form von Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte. Wir stehen hinter den Frauen und Männern, die sich in diesem Land helfend und schützend für die Bevölkerung einsetzen, sei es beruflich oder ehrenamtlich.

Neben dem menschlichen Aspekt sehen wir als AfD-Fraktion auch deshalb den Handlungsbedarf, weil durch diese Straftaten die Autorität des freiheitlichen Rechtsstaats und seiner Institutionen in Gefahr gerät. Auch hat die Gefährdungslage bei oftmals nicht gerade üppiger Entlohnung Einfluss auf die Nachwuchsgewinnung für die so wichtigen Berufsbilder. Dies gilt insbesondere für die Bereitschaft zum Ehrenamt.

Der Landtag sollte daher gemeinsam feststellen, dass Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte ein erhebliches Problem darstellt und nachdrücklich jede Gewalttat verurteilen, unabhängig von ethnischen, religiösen und kulturellen Tätermerkmalen.

(Beifall von der AfD)

Es muss daher jede rechtsstaatlich mögliche Form der Eindämmung dieser Straftaten unternommen werden. Die leidtragenden Menschen aus Polizei, Rettungskräften, Bundeswehr, THW und Feuerwehr, die uns helfen und schützen, verdienen Anerkennung, Respekt und Schutz vor Angriffen sowie unsere Hilfe und Fürsorge danach.

Auch auf die durch die Studie der Ruhr-Universität Bochum festgestellte überproportionale Herkunft der Täter mit Migrationshintergrund muss frei von politischer Korrektheit eingegangen werden. Die Studienergebnisse bedürfen eines weiteren wissenschaftlichen Ausleuchtens dieses Sachverhaltes.

Die gegen Einsatzkräfte gerichteten Taten müssen ausnahmslos und konsequent verfolgt werden. Polizisten, Feuerwehrleute, Katastrophenhelfer, Soldaten und Rettungskräfte verdienen unseren Dank und unsere volle Unterstützung. Das gilt materiell wie ideell.

Ich frage mich also, was Sie daran hindern könnte, dem zuzustimmen. Leider schwant mir, dass Ihnen schon noch irgendetwas einfallen wird, um auch hier wieder Nein zu sagen.

Aber Sie können ja auch von unseren sechs ganz konkreten Vorschlägen, die Situation der Einsatzkräfte zu verbessern, Gebrauch machen. Dazu liegt Ihnen ein Entschließungsantrag vor.

Meine Damen und Herren, ich weiß, einige von Ihnen stört es, dass viele Einsatzkräfte die AfD wählen.

(Bodo Löttgen [CDU]: Woher wissen Sie das? Wahlzettel fotografiert?)

Lassen Sie uns trotzdem ein Zeichen gegen die Gewalt im Dienst setzen. Die Einsatzkräfte würden sich freuen, und sie hätten es verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Abgeordneter Wagner, es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von Herrn Abgeordneten Dr. Katzidis.

Markus Wagner (AfD): Bitte schön.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wagner, Sie haben gerade mündlich dargestellt, dass es Ihnen um das Gewaltphänomen an sich und nicht um irgendwelche interkulturellen Konflikte geht.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

In Ihrem Antrag – insbesondere in den Feststellungen und Forderungen am Ende – tauchen aber doch immer wieder die Worte „interkulturell“ und „Migranten“ auf. Vielleicht können Sie noch einmal darstellen, was Ihnen wirklich wichtig ist.

(Helmut Seifen [AfD]: Fragen!)

Ich sehe darin einen gravierenden Widerspruch. Sie stellen immer nur auf diese Ausländerfeindlichkeit ab,

(Helmut Seifen [AfD]: Fragen!)

und das finde ich sehr bedenklich.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, ich darf Sie darauf aufmerksam machen: Sie haben schlussendlich irgendwo noch den Bogen zu einer Frage geschafft,

(Dr. Christos Georg Katzidis [CDU]: Genau! – Sven Werner Tritschler [AfD]: Es hat nur ein bisschen gedauert!)

aber diese sind auch kurz zu stellen. Ansonsten ist in der Geschäftsordnung die Möglichkeit der Kurzintervention ausdrücklich vorgesehen. – Bitte schön, Herr Abgeordneter Wagner, Sie haben die Gelegenheit, zu antworten.

Markus Wagner (AfD): Lieber Herr Katzidis, Ihre kurzintervenierte Frage kann ich gerne beantworten.

Uns wurde im Innenausschuss eine Studie der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt, die ich hier angesprochen habe. Aus dieser Studie geht hervor, dass bei Übergriffen auf Einsatzkräfte der auf Migranten entfallende Täteranteil überproportional hoch ist. Ich habe im Innenausschuss mehrfach auf diese Problematik hingewiesen, die von allen anderen Fraktionen so umschifft wurde, wie der Teufel das Weihwasser meidet. Deshalb stellen wir hier nun den Antrag.

Es geht eben nicht darum, einfache Lösungen zu finden, sondern es geht darum, diesen Sachverhalt, der von der Ruhr-Universität Bochum festgestellt wurde, wissenschaftlich auszuleuchten. Das geht aus diesem Antrag ganz klar hervor.

Selbstverständlich muss Gewalt auch unabhängig von ethnischen, religiösen und kulturellen Tätermerkmalen verurteilt werden. Aber, Herr Katzidis, ich weise Sie ausdrücklich auf die „Neue Westfälische“ vom 14. März und vom 19. März hin. Dort werden Sie Aussagen von Betroffenen finden, die immer wieder darauf hinweisen, dass Übergriffe stattfinden – und zwar überwiegend aus einem migrantischen Hintergrund heraus. „Südländische Personen“ wird allgemein gesagt, Krankenschwestern wollen nicht genannt werden, weil sie Angst vor den Folgen aus der politischen Korrektheit haben usw. Wir müssen das doch endlich mal aufarbeiten! Darum geht es in dem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD und Marcus Pretzell [fraktionslos])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wagner. – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Golland das Wort. Bitte schön.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es während meiner Mitgliedschaft im nordrhein-westfälischen Landtag bisher noch nicht erlebt, dass eine Fraktion zu einem eigenen Antrag noch einen Entschließungsantrag nachreicht,

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

quasi fünf Minuten vor Beginn der Debatte.

(Andreas Keith [AfD]: Dafür haben wir mit Ihnen schon viel erlebt!)

Sehen Sie es mir nach, dass ich es nur noch überfliegen konnte. Offenbar haben Sie vergessen, all die Punkte in Ihrem Ursprungsantrag aufzulisten,

(Zuruf von der AfD)

und der Antrag war und ist so schwach, dass Sie noch einen zweiten Entschließungsantrag nachlegen müssten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU, der FDP und Andreas Kossiski [SPD])

Aber lassen Sie mich auf die Inhalte zu sprechen kommen. Wenn ich es mir leicht machen würde, könnte ich Ihren Antrag in drei Sätzen ablehnen.

(Helmut Seifen [AfD]: Rückwärtsgewandt!)

In der Überschrift heißt es: „Gewalt gegen unsere Einsatz- und Rettungskräfte konsequent benennen“.

(Roger Beckamp [AfD]: Erster Satz!)

Allein in den vergangenen acht Jahren haben wir dieses Thema mehrfach in diesem Hohen Hause deutlich benannt und diskutiert.

(Helmut Seifen [AfD]: Aber nichts getan!)

Da waren Sie natürlich noch nicht dabei. Oft sind schon die folgenden Worte gefallen, die nach wie vor uneingeschränkte Geltung haben: Allen, die tagtäglich ihre Kraft und ihre Gesundheit für die innere Sicherheit und die Menschen in Nordrhein-Westfalen einsetzen, gebührt der Dank und die uneingeschränkte Rückendeckung unserer Politik.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Und die haben sie nicht!)

Denn nach wie vor registrieren wir eine zunehmende Respektlosigkeit und Aggressivität gegenüber Polizeibeamten sowie Einsatzkräften von Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Die CDU hat dieses Phänomen schon angepackt, bevor die AfD ihren eigenen Landesverband gegründet hat, meine Damen und Herren!

(Beifall von der CDU und der FDP – Andreas Keith [AfD]: Aber es ist nichts dabei herausgekommen!)

Wir müssen uns von Ihnen doch nicht belehren lassen.

(Markus Wagner [AfD]: Schaufensterreden haben Sie gehalten!)

Wir als CDU haben allein seit 2010 sieben Anträge ins Plenum und in die Fachausschüsse eingebracht und 23 Kleine Anfragen zu diesem Themenkomplex gestellt. Daher greifen Ihre Bemerkungen im Antrag zu kurz.

Sie schreiben, es sei nur der erste notwendige Schritt gewesen, die Landesregierung um einen schriftlichen Bericht zu Schlussfolgerungen und möglichen Handlungskonzepten zu bitten. – Es ist nicht nur der erste Schritt, sondern es ist einer neben unzähligen Anträgen und Berichtsanfragen, die hier besprochen worden sind.

(Helmut Seifen [AfD]: Die sind doch alle erfolglos!)

Weiter heißt es, die Gewalt solle systematisch erforscht werden. Blicken wir zurück auf die Jahre 2012 und 2016. In diesen beiden Jahren wurde jeweils die Ruhr-Universität Bochum beauftragt, diese Problematik zu erforschen. Im Jahre 2012 lag der Schwerpunkt auf der Gewalt gegen Rettungskräfte, doch aufgrund zunehmender Aggressivität und Gewalt auch gegen weitere Einsatzkräfte – zum Beispiel der Feuerwehr – hat man 2016 eine weitere Studie in Auftrag gegeben, die das Phänomen erneut betrachten sollte.

Ebenfalls 2012 hat die Universität Kiel eine Studie zur Gewalt gegen Polizeibeamte durchgeführt und darin insbesondere Konzepte der Polizei in Nordrhein-Westfalen überprüft und weiteres Optimierungspotenzial aufgezeigt.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Abgeordneter Golland, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Wagner würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Gregor Golland (CDU): Das können wir bitte zum Schluss noch machen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Okay.

Gregor Golland (CDU): Der in der Studie beschriebene Gewaltbegriff umfasst nicht nur die tätlichen Angriffe, sondern auch die Respektlosigkeit im Sinne verbaler Angriffe. Gerade diese verbalen Angriffe wurden bewusst in den Gewaltbegriff aufgenommen, da sie von den Polizeivollzugsbeamten als hochbelastend wahrgenommen werden.

Außerdem solle das Problem selbstbewusst bekämpft werden. – Das stimmt, aber auf diese Idee sind wir bereits allein gekommen; dafür brauchen wir Sie nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Scheinbar doch!)

Wir als CDU-Fraktion haben uns in den vergangenen Jahren immer dafür ausgesprochen, der Polizei als Garant für ein sicheres und unbeschwertes Leben die rechtlichen, technischen und personellen Mittel an die Hand zu geben, um die Menschen, um uns wirksam vor Kriminalität zu schützen.

(Helmut Seifen [AfD]: Das erklären Sie mal den Rettungskräften!)

Aber es liegt doch in unserer Verantwortung und in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft, Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte vor Respektlosigkeit und Gewalt zu schützen. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist kein Kavaliersdelikt – so lautete einer unserer Anträge in der vergangenen Wahlperiode. Täter müssen konsequent strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Der verstärkte Schutz vor Angriffen auf Polizisten oder Rettungskräfte ist 2017 nun endlich im Strafgesetzbuch verankert bzw. verschärft worden.

(Beifall von der CDU)

Im Ergebnis: Ihr Antrag enthält nichts Neues.

Auch die von uns unter Rot-Grün immer wieder geforderte und nun bald stattfindende flächendeckende Einführung von Bodycams dient dem Schutz unserer Beamtinnen und Beamten und wird dem negativen Trend verbaler und körperlicher Angriffe als wirksames Mittel entgegentreten.

Einen großen Sprung nach vorne werden wir mit der Einführung von Distanz-Elektroimpulsgeräten bei der Polizei machen. Dieses wirksame Einsatzinstrument ist für Straf- und Gewalttäter sehr abschreckend und bei diesen gefürchtet. Es wird mit großer Sicherheit zu Deeskalation und einem Rückgang von Angriffen auf unsere Vollzugsbeamten führen. In Kombination mit den bereits erwähnten Bodycams wird diese Wirkung nochmals erhöht.

Jeder Täter, der einen Polizeibeamten, einen Feuerwehrmann oder einen Rettungssanitäter angreift, hat mit strafrechtlichen Folgen zu rechnen – egal, ob er einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Hier greift unsere Abkehr von der jahrzehntelangen weichen NRW-Linie, die wir endlich durch eine konsequente und wirksame Nulltoleranzstrategie ersetzen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Helmut Seifen [AfD]: Wann fangen Sie denn damit an?)

Im Übrigen müssen wir uns von Ihnen schon gar keine politische Korrektheit vorwerfen lassen. Innenminister Herbert Reul hat erstmals in diesem Monat bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik 2017 in bisher nicht gekannter Deutlichkeit den Anteil und die Anzahl von nichtdeutschen Tatverdächtigen explizit genannt – gerade weil die offene und ehrliche Aussprache von Tatsachen und Problemen wichtig ist und so die Sorgen der Menschen ernst genommen werden;

(Helmut Seifen [AfD]: AfD wirkt!)

gerade weil dann die entsprechenden Handlungskonzepte und Lösungsansätze erarbeitet und umgesetzt werden können. Die Landesregierung arbeitet beständig daran.

Eine generelle und einfache Lösung des Gewaltproblems gibt es aber leider nicht. Es gibt viele Ansätze, die zu einer Verbesserung der Situation führen, und die Maßnahmen der Polizei NRW sind diesbezüglich weiterentwickelt worden. Daher ist bei der Polizei bereits ein hoher Standard in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Betreuung, Nachbereitung und Ausstattung erreicht, der regelmäßig an die jeweilige Gefahren- und Gewaltlage angepasst wird – so auch bei der erneuten Reform des Polizeigesetzes, die bald ansteht.

Wichtig ist darüber hinaus, dass zur Anzeige gebrachte Angriffe nicht nur dokumentiert, sondern durch unsere Justiz ebenso konsequent sanktioniert werden. Interkulturelle Nachsicht, wie Sie es nennen, gibt es bei der neuen Landesregierung nicht, wenn es um verbale und körperliche Gewalt geht. Die Gesetze unseres Landes gelten für jeden, gleich welcher Herkunft er ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir verurteilen jede Form von Gewalt gegen unsere Einsatz- und Rettungskräfte und werden alle notwendigen, rechtlich möglichen Schritte unternehmen, um sie zu schützen. Dafür brauchen wir Sie und Ihren Antrag allerdings sicherlich nicht.

(Andreas Keith [AfD]: Doch!)

Vielen Dank, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Golland. Ich frage Sie, ob Sie die Zwischenfrage, die Sie an das Ende Ihrer Rede verschoben haben, jetzt zulassen wollen.

Gregor Golland (CDU): Gerne. Wenn er meint, …

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Dann hat der Abgeordnete Wagner das Wort. Und ich gebe gleich noch einen Hinweis zur Geschäftsordnung. – Bitte schön, Herr Abgeordneter Wagner.

Markus Wagner (AfD): Danke, Herr Golland. – Sie haben gerade dargelegt, seit wie vielen Jahren Sie wie intensiv an dieser Thematik arbeiten. Nichtsdestotrotz nennt uns der Innenminister ständig steigende Zahlen. Angesichts dessen stelle ich Ihnen die Frage: Was machen Sie eigentlich die ganze Zeit falsch? Sie müssen ja einiges falsch machen, wenn trotz Ihrer unglaublichen Betätigung die Zahlen ständig steigen.

Gregor Golland (CDU): Wie gesagt, wir haben das Problem schon sehr früh erkannt. Wir haben es in den letzten sieben Jahren in der Opposition immer wieder thematisiert und immer wieder nach vorne gebracht.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Hätten wir das nicht getan, dann hätten wir heute zum Beispiel keine Bodycams und würden auch andere Diskussionen, die heute stattfinden, nicht führen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich kann Ihnen eins sagen: Die Rückmeldungen, die ich aus der Polizei von den betroffenen Beamten höre – und ich kenne viele; ich war selbst auch auf Streife unterwegs, und ich weiß zumindest in gewissen Punkten, was draußen los ist –, besagen, dass wir als CDU- und FDP-geführte NRW-Koalition in dem Dreivierteljahr, in dem wir regieren, schon mehr für die Polizistinnen und Polizisten gemacht haben als Rot Grün in sieben Jahren zuvor.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN – Andreas Keith [AfD]: Das ist aber trotzdem schlecht!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Golland.

Sie haben zu Beginn Ihrer Rede auf das Verfahren eines Entschließungsantrags zu einem eigenen Antrag hingewiesen. Ich will Sie auf § 81 unserer Geschäftsordnung aufmerksam machen. Das Verfahren steht völlig mit der Geschäftsordnung des Parlaments im Einklang.

(Gregor Golland [CDU]: Etwas anderes habe ich nicht gesagt! – Gegenrufe von der AfD – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Fake News!)

Ich wollte einfach nur den Hinweis geben.

(Weitere Zurufe)

Es gibt doch keinen Grund, … Der Kollege Golland …

(Zuruf)

– Also, ganz ruhig! – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Bialas das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Andreas Bialas (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag beschäftigt sich vordergründig mit der Bekämpfung von Gewalt gegenüber unseren Einsatz- und Rettungskräften.

(Andreas Keith [AfD]: Genau das ist es! Sehr gut erkannt!)

Ich könnte darauf innenpolitisch antworten. Das werde ich aber nicht; das werde ich im Ausschuss tun. Natürlich stimmen wir für eine Überweisung des Antrags.

Ich möchte Ihnen hier aber kulturpolitisch und damit etwas grundsätzlicher antworten. Ich glaube, dass das einmal notwendig ist.

(Andreas Keith [AfD]: Tun Sie das mal! Stellen Sie sich uns doch mal sachlich!)

Ich gehe auf Ihre schriftlichen Äußerungen im Antrag ein, dass – Zitat – „das gewaltförmige Verhalten kulturell bedingt zu sein scheint“. Des Weiteren legen Sie in dem Antrag nah, dass die infrage stehende Gewalt gegen Rettungskräfte überwiegend von Personen mit Migrationshintergrund begangen werde und diese Migranten Einstellungs- und Handlungsmuster reproduzierten, die aus einem fremden Kulturkreis stammten. Somit handelt es sich Ihrer Ansicht nach um einen migrierten Konflikt, also um einen Konflikt, den wir nicht hätten, gäbe es diese Migranten nicht.

(Helmut Seifen [AfD]: Richtig!)

Dieses Deutungsmuster liegt in der Regel jedem Ihrer Anträge, Beiträge, Anfragen etc. zugrunde: Gäbe es keine Migranten, gäbe es keine Probleme. Oder umgedreht: Gibt es ein Problem, ist bestimmt der Migrant nicht fern.

(Helmut Seifen [AfD]: Ohne die SPD gäbe es auch keine Probleme!)

Ich habe es einmal grob überschlagen. Sie befassen sich in Ihren Anträgen, Anfragen, Beiträgen nahezu zu 90 % mit Migranten, Ausländern, Flüchtlingen und Asylanten. Sie brauchen diesen Personenkreis scheinbar wie die Luft zum Atmen, weil Sie ansonsten scheinbar keine anderen Themen hätten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte. Keine andere Partei braucht die Migranten und Flüchtlinge für ihre eigene Existenzsicherung so sehr wie die Höcke-Partei.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Sie erwecken in diesem Antrag den Eindruck, im an sich friedlichen Deutschland mit seinen gewaltfreien deutschen Personen gäbe es keine Gewalt, denn Deutschsein und Gewalt und Aggression schließen sich möglicherweise aus.

(Zuruf von der AfD: Das haben wir nicht gesagt!)

Die Gewalt steht damit scheinbar im krassen Gegensatz zur deutschen Kultur, und zwar sowohl in Tat als auch in Sprache und Umgang. Da fragt sich natürlich, was denn die deutsche Kultur ist und was vor allen Dingen auch die neue alte Rechte darunter versteht.

(Zuruf von der AfD: Auf jeden Fall nicht Antifa!)

Ich habe mich daraufhin auf entsprechenden Facebook-Eintragungen umgesehen, um ein wenig ein Gefühl dafür zu bekommen. Ich darf zitieren. Zu einem sehr aktuellen Interview mit Innenminister Reul findet sich Folgendes – ich entschuldige mich schon einmal für den Inhalt, aber ich zitiere ja hier –: Harald Carl: Schick mal ein paar IS-Kämpfer bei dem Arschloch vorbei. – Daraufhin Werner Holzhauer: Meinst du die Murkelsau? Da bin ich dabei. – Darauf wieder Harald Carl: Nein, Reul, der Assi, aber das Ferkel wäre auch nicht schlecht.

(Zurufe von der AfD)

Ist das deutsche Kultur? Ist das die Friedfertigkeit?

Anschließend kommt noch eine sauber gesteuerte Empörungswelle hinterher: Es handelt sich hierbei um eine Empfehlung des Innenministers für Deutsche, die Wohnung nicht mehr zu verlassen, damit die Migranten draußen frei herumlaufen dürfen. – Daraufhin Berta Emma: So was lebt, und Schiller musste sterben. – Und noch mal die gleiche Person: Merkel, fang schon mal an zu beten! – Ich lese dann weiter von Max Shaddow: Ihr Linksversifften, hoffentlich richtet euch bald das Volk. – Andreas Müller fragt: Haben Merkel-Asylanten überhaupt vor irgendetwas Respekt? Raus aus Europa mit diesem Packzeug! – Ist das die deutsche Kultur?

Ich darf dazu sagen: Sehr geehrter Herr Müller, wir wissen nicht, ob es Sie real gibt oder ob Sie nur computergeneriert sind. Wir wissen auch nicht, ob die Merkel-Asylanten keinen Respekt haben. Ich tippe darauf, die Masse sehr wohl. Aber ich weiß, lieber Herr Müller: Sie haben auf jeden Fall keinen Respekt vor Menschen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege.

Andreas Bialas (SPD): All das habe ich vorgestern auf der Plattform von Harmut Hilker gefunden. Dieser ist entweder sehr fleißig oder eine Art Presseorgan der neuen alten Rechten auf Facebook, das auch ständig Werbung für die AfD schaltet

(Zurufe von der AfD)

und unter anderem das Interview nach dem Bagdad-Besuch sofort aktuell dort eingestellt hat.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Bialas, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Es gibt nicht nur schon jetzt den Hinweis auf eine angemeldete Kurzintervention. Das machen wir ja am Ende der Aussprache. Es gibt auch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Tritschler – der sie aber schon zurückzieht.

Andreas Bialas (SPD): Ich möchte auch keine Zwischenfrage zulassen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Gut. Bitte schön.

Andreas Bialas (SPD): Es gibt besondere Reizpersonen, die der Meinung der neuen alten Rechten entgegenstehen, zum Beispiel Frau Göring-Eckardt, Frau Künast, Frau Hayali, Herr Maas und Frau Özoguz.

(Zuruf von der AfD: Antifa-Freunde?)

Die Nachrichten, die diese Personen erhalten, sind voll mit sexistischen Gewalt- und Horrorfantasien,

(Zuruf von der AfD: Kommen Sie doch mal zum Antrag!)

voller tiefem Hass, Tötungs- und Hinrichtungsfantasien, geprägt von völlig fehlendem Respekt gegenüber dem Leben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deutsche Kultur? Migrierte Kultur und migrierte Konflikte?

Entschärfte Auszüge hierzu zu Frau Özoguz zum Beispiel: Rudi Zimmerman: Bitte bring dich um. – Werner Holzhauer: Ö., verpiss dich! – Max Shaddow: Fick dich, du blöde Kuh.

(Zurufe von der AfD)

Zu Dunja Hayali Sascha Lücker: Die widerliche Alte soll endlich ihr dummes Maul halten und begreifen, dass das nicht ihr Land ist. – Ist das die deutsche Kultur, die Sie meinen?

Ich kann Ihnen etwas sagen: Früher wurden die braunen Bataillone durch die Straßen dirigiert, heute marschieren sie durch das Internet.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

Bei der neuen alten Rechten wird ganz zwanglos und problemlos der Nährboden bereitet für Volksverhetzung, Bedrohung, Beleidigung, Verunglimpfung, Verrohung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, und zwar nicht gegenüber Migranten und Ausländern, selbst Deutschen gegenüber mit einem Stammbaum bis zurück zu Arminius. Es reicht, wenn man anderer Meinung ist, sogar für den Aufruf nach offener und mörderischer Gewalt. Es reicht, wenn man die Meinung unserer christlichen, humanistischen, abendländischen Kultur vertritt. Es reicht, wenn man für Empathie, Mitleid, Nächstenliebe und differenzierte Betrachtung eintritt.

(Zuruf von der AfD: Differenzierte Betrachtung! Genau das wollen wir!)

Ehrenamtlich Tätige in den Kirchengemeinden, Menschen, die in christlicher Verbundenheit anderen Menschen helfen, Menschen, die ihre christliche Tradition pflegen und bewahren, werden verhöhnt, wenn es die scheinbar falschen Menschen sind, denen ihre Nächstenliebe gilt.

(Zurufe von der AfD)

Ist das die deutsche Kultur, die Sie meinen? Die neue alte Rechte verfügt zum Teil nicht einmal über die einfachsten, elementarsten Umgangsformen. Sie haben es hier gerade wieder gesagt. Politische Korrektheit, die Sie auf dem Müllplatz der Geschichte entsorgen wollen und es in zahlreichen Ihrer Reden und Anträgen auch tun, meint zunächst schlicht die Forderung: Diffamiere nicht! Lüge nicht! Missachte nicht die Würde anderer! Diskriminiere nicht!

(Beifall von der SPD)

Das ist deutsche Kultur. Das ist die Tradition unseres Grundgesetzes.

(Christian Loose [AfD]: Wann sprechen Sie zur Sache?)

Das ist der Geist der Menschenrechte. Das ist Inhalt unseres weltlich-christlichen Wertekanons

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Diffamiere nicht! Lüge nicht! Missachte nicht die Würde anderer! Diskriminiere nicht!

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, …

Andreas Bialas (SPD): Ich lasse keine Fragen zu.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Okay. Danke für den Hinweis.

Andreas Bialas (SPD): Höflichkeit und Rücksicht im Umgang mit anderen – früher hätte man dazu vermutlich „Ritterlichkeit“ gesagt – sind deutsche Tradition. Für Sie gehört das auf den Müll. Das brüllen Sie heraus. Das beklatschen Sie frenetisch.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch völliger Quatsch!)

An dieser Stelle darf ich sagen: Doch, ich will korrektes Umgehen miteinander. Ich möchte einen höflichen, respektvollen Umgang miteinander pflegen.

(Zuruf von der AfD: Das merkt man nicht!)

Manche nennen das deutsche Kultur. Meine Mutter würde schlicht sagen: Das ist Benehmen. – Und ja, das habe ich gelernt. Das möchte ich behalten.

(Zurufe von der AfD)

Das ist meine Kultur. – Ich komme aus Wuppertal, einer Stadt, in welcher zwei Persönlichkeiten geboren wurden, deren Weisheit, deren Wirken und deren Menschlichkeit für uns Maßstab des Handelns sein können: Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth und Johannes Rau.

(Zuruf von der AfD: Oh ja!)

Sie einte der Gedanke, dass wir in Kategorien von Heterogenität und des Gestaltens dieser Vielfalt denken sollten und nicht auf die vermeintlichen Segnungen von Reinheit und Homogenität hereinfallen dürfen. Der Ausspruch von Johannes Rau „Versöhnen statt Spalten“ ist meine Kultur.

Beide Personen stehen übrigens in der Tradition von Goethe und seines Ausspruchs: Niemals ist es ein Einzelnes, immer ist es ein Vieles. – Der Ausspruch verweist auf die Einsicht, dass Pluralität in einer Gesellschaft nicht den Verlust der individuellen Freiheit bedeutet, sondern überhaupt erst ihre Garantie darstellt.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch kein Gegensatz!)

Carolin Emcke, Friedenspreisträgerin, führt dieses fort mit ihrem Satz:

„Auch darin besteht die enorme Freiheit einer wirklich offenen, liberalen Gesellschaft: sich nicht wechselseitig mögen zu müssen, aber lassen zu können.“

Dann möchte ich noch zwei weitere Personen anführen, zunächst Richard von Weizsäcker.

(Zurufe von der AfD: Uah!)

Seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes war in höchstem Maße geeignet, tatsächlich wieder – neben allen Leistungen der Deutschen im Nachkriegsdeutschland – einen Stolz auf unser Land zu begründen. Für die Höcke-Partei ist dies eine Rede gegen das eigene Volk gewesen.

(Zuruf von der AfD: Uah!)

Sie war die Grundlage für unsere neu gewonnene Identität nach dem Zivilisationsbruch, Grundlage unseres mittlerweile hervorragenden Ansehens in der Welt.

Die zweite Person, die ich nennen möchte, ist Willy Brandt: Sein außenpolitisches Geschick war mitentscheidend für die Wiedervereinigung. Sein innenpolitisches Wirken ermöglichte es, endlich den Muff gesellschaftlicher Unterdrückung abzustreifen, und öffnete den Weg für neue und freiere Lebensentwürfe.

Das Erstaunliche ist, dass anscheinend zahlreiche Ihrer Politiker – also das Establishment der Höcke-Partei – einen derart liberalen Lebensansatz im Privaten pflegen, dass sie damit real aus Ihrem parteilich angestrebten Menschen- und Familienbild herausfallen.

(Christian Loose [AfD]: Peinlich!)

Auch sie schlüpfen unter die Decke, die ihnen unsere Freiheit bietet, und fallen dann über diese Freiheit her. Dieses Leben, das sie führen und das jedem ausdrücklich gegönnt sei,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

haben die linken rot-grünen, mittlerweile auch schwarz-gelben – ich darf wieder zitieren – „Versifft und Verseuchten“ erkämpft.

Das ist übrigens auch ein schöner Begriff, den Sie ins politische Feld eingeführt haben: Politiker als die „Verseuchten“. Sie wissen genau, was man mit einer Seuche macht: Man rottet sie aus.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist der Sprachstil der neuen alten Rechten: Menschen, Politiker sollen ausgerottet werden. Ist das die deutsche Kultur? Ist das migrierte Gewalt, von der Sie schwadronieren und philosophieren? – Ich wundere mich eher darüber, dass wir noch immer in einer der gewaltfreiesten Zeiten überhaupt leben. Noch hält die offene Gesellschaft an den zivilisierten Umgangsformen fest. Und das ist gut so!

Damit will ich ausdrücklich nicht sagen, dass wir in einer idealen oder in einer uns nicht fordernden Welt leben. Das beileibe nicht. Wir leben nicht in idealen und idyllischen Zuständen. Wir leben nicht im Paradies. Das werden wir auch nie, jedenfalls nicht in dieser Welt.

Es gibt Ungerechtigkeit, Ungleichheit, natürlich auch Kriminalität und Gewalt. Es ist unsere ständige Aufgabe, sich dem zu stellen und immer dagegen zu kämpfen. Das wird nie enden, das werden wir immer machen! Alles andere zu versprechen, wäre eine Lüge.

Natürlich ist eine offene Gemeinschaft eine Wertegemeinschaft, die klare rechtliche Grenzen setzt, diese überwacht und durchsetzt. Gerade sie ist dazu aufgerufen, um ihre Legitimität immer nachzuweisen. Obwohl sich sehr viele nach dieser freiheitlichen Gesellschaftsform sehnen, ist es eine, die stets auch misstrauisch beäugt wird und bei der – gerade bei der Kriminalität – gefragt wird: Schaffst du es denn auch?

Daher muss eine offene Gesellschaft auch unbequeme und unangenehme Realitäten wahrnehmen und sie untersuchen. Wenn es Probleme gibt – und die gibt es offensichtlich im Hinblick auf Gewalt gegenüber Ordnungs- und Rettungskräften –,

(Lautes Lachen und Zurufe von Christian Loose [AfD])

dann müssen wir auch überall hinblicken. Dann darf es keine blinden Flecken geben, und die gibt es auch nicht.

Es wäre falsch, wenn wir zum Zwecke des Schutzes unserer Kräfte nicht alle Möglichkeiten – auch in der Erforschung der situativen Bedingungen und möglicher weiterer Ursachen – in Betracht ziehen würden, selbstverständlich auch Ursachen, die in der Tätertypologie begründet sein könnten.

Wir sehen in den Untersuchungen über die Gewalt gegenüber Rettungskräften – und ich fokussiere hier einmal auf das Kriterium der Gewalt gegen die körperliche Integrität, die ca. 15 % der Gesamtgewalt ausmacht – im Hinblick auf die Tätermerkmale Folgendes: Zu 85 % sind es Männer, zu 73 % sind es die Patienten selbst, zu ca. 90 % liegt eine Intoxikation vor, in der Regel Alkohol. Häufig passiert es abends, häufig in der Innenstadt, häufig auch in den wärmeren Monaten.

Und ja: Bei einer Messgröße von 93 Personen im Rahmen der Studie der Ruhr-Universität und einer in der Untersuchung angegebenen Zahl von 58 % wird ein Migrationshintergrund vermutet. Vermutet – da es keine klaren Feststellungen gab, also zum Beispiel Personalienfeststellungen. Vielmehr sollten die Probanden aus der Erinnerung heraus rückwirkend eine Einschätzung abgeben, orientiert an dem Aussehen, der Sprache und dem Namen. Die Zahlen der polizeilichen Feststellung für das Jahr 2017 sehen da übrigens anders aus. Wissenschaftlich valide? – Na ja.

Dennoch nehmen wir diese Sache ernst. Wir nehmen sie ernst. Das ist notwendig; es geht schließlich um die Minimierung von Schädigungen unserer Rettungskräfte.

Fraglich bleibt laut Ihres Antrags, ob es sich hierbei um signifikante ethnische und kulturelle Unterschiede handelt. Möglich ist das. Möglich ist durchaus, dass hier ein Männlichkeitsgebaren zutage tritt – sogenannter Machismo –, welches uns mittlerweile etwas fremder geworden scheint. Die Vorstellung, als Mann könne man tun und lassen, was man will, und dies notfalls auch mittels Gewalt durchsetzen, ist leider so fremd nicht.

Anscheinend sind diese Männer noch nicht mit der sozialisierenden Beruhigung durch die Erfolge der Frauenbewegung in Kontakt gekommen.

(Zuruf von der AfD)

Auch das ist in der Tat Teil unserer sehr jungen Geschichte. Ich erinnere dabei gern an die tapferen Frauen, vorrangig von Bündnis 90/Die Grünen, die angemessene Umgangsrechte und Selbstbestimmungsrechte für Frauen eingefordert und durchgekämpft haben.

Schauen Sie sich einmal frühere Debatten aus dem Bundestag an. Die Frauen wurden verlacht, und sie haben trotzdem mutig weitergesprochen – alles gar nicht so lange her. Da merken Sie schnell, dass das Denken des Machismo leider nicht ein ethnologisches, sondern ein soziologisches Problem ist, dessen Grenze nicht national, sondern oftmals geschlechterspezifisch verläuft.

Dieses Phänomen sollten wir auch bei der Tätertypologie berücksichtigen. Möglicherweise sehen wir auch dann wieder sehr schnell, dass – das ist der zweite Treppenwitz – dieses Verhalten den Fantasien und Umgangsformen der neuen alten Rechten zumindest im Netz sehr nahekommt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD –Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bialas. Bleiben Sie mal am Pult, es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Wagner, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD-Fraktion. – Bitte schön, Herr Wagner, 1 Minute 30 Sekunden für Ihre Kurzintervention.

Markus Wagner (AfD): Herr Bialas, vorhin haben wir gehört, was man alles noch nicht erlebt hat. Ich habe tatsächlich in den paar Monaten hier noch nie eine Rede erlebt, die so sehr am Thema vorbeigegangen ist wie Ihre.

Sie haben sich ganze zwei Mal mit dem eigentlichen Antrag befasst. Man konnte schon bei Ihren eigenen Genossen den Eindruck haben, dass denen Ihre Rede peinlich ist. Sie haben sich also zweimal mit dem Antrag befasst, beim ersten Mal schon gleich fälschlicherweise. Sie haben nämlich gesagt, dass wir uns mit Migrationshintergründen bei Gewalttaten gegen Einsatzkräfte befassen würden.

Nein, die Ruhr-Universität Bochum und die dortige Studie befassen sich damit. Genau darauf bezieht sich unser Antrag. Sie drehen einem natürlich mal wieder das Wort im Munde herum. Das passt zu Ihrer ganzen Rede.

Des Weiteren haben Sie gesagt: Wir müssen uns damit befassen, wenn es Probleme gibt. – Auch das steht in unserem Antrag: Es soll wissenschaftlich untersucht werden, was letztlich bei dieser Studie herausgekommen ist und was es wirklich damit auf sich hat.

Darüber hinaus sprachen Sie von Gewalt und haben in dem Zusammenhang 12 % oder 18 % genannt. Sagen Sie mal, Herr Bialas, glauben Sie eigentlich, dass die Krankenschwestern in den Krankenhäusern, die verbaler Gewalt ausgesetzt sind, und zwar tagtäglich, die angespuckt und beschimpft werden, die als Nutten, Schlampen und Huren bezeichnet werden, keiner Gewalt ausgesetzt sind? Es bedarf nicht unbedingt einer Körperlichkeit, um Gewalt ausgesetzt zu sein! Das schreiben Sie sich mal hinter die Ohren!

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Bialas, Sie haben 1 Minute 30 Sekunden, um zu reagieren. Bitte schön.

Andreas Bialas (SPD): Die Studie beschäftigt sich in der Tat damit; sie kommt aber zu einer völlig anderen Schlussfolgerung, nämlich dass es keine signifikanten Auffälligkeiten in diesem Bereich gibt.

Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass seit 2011 kein Anwachsen der Situation zu verzeichnen ist. Das ist auf der einen Seite nicht gut, weil es nicht weniger geworden ist. Es ist aber auf der anderen Seite auch nicht das Horrorszenario, dass auf einmal die Zahlen durch die Decke gegangen wären.

Die Zahlen, die hier genannt worden sind, beziehen sich auf 4.500 Leute. Von denen hat nur eine geringe Prozentzahl überhaupt geantwortet, und von denjenigen, die geantwortet haben, kamen auch keine verlässlichen Daten,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

sondern Erinnerungen. Wir haben also keinerlei Personalienfeststellung, wir haben keinerlei exakte Angaben über die Täter.

(Markus Wagner [AfD]: Der Innenminister hat Zahlen genannt!)

Daher sage ich: Ob hier tatsächlich eine Validität vorliegt, ist fraglich. Es gibt aber eine Tendenz. Ich habe auch sehr deutlich gesagt: Eine offene Gesellschaft muss bereit sein, in alle Ecken und Winkel zu schauen. Genau das tut sie auch. Das ist das Erste.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Das Zweite: Herr Golland hat vorhin genau das Richtige gesagt, als er davon gesprochen hat, wie wir hinter den Leuten stehen. Tun Sie mir bitte einen Gefallen: Instrumentalisieren Sie nicht permanent die Opfer für irgendwelche komischen und kruden Sachen.

Das Dritte: Wenn Sie glauben …

(Zurufe von Markus Wagner [AfD] – Weitere Zurufe von der AfD)

Wenn Sie glauben, dass meine Rede am Thema vorbei gewesen wäre, empfehle ich Ihnen: Drucken Sie sie sich noch einmal aus und lesen Sie sie durch – das bildet auch Sie. – Tschüs!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bialas. – Für die FDP-Fraktion hat das Wort nun Herr Dr. Pfeil.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte der Rettungsdienste und der Feuerwehren – und der Polizei, möchte ich hinzufügen – ist eine ernste Thematik, mit der sich die Politik unbedingt beschäftigen muss, und mit der sie sich auch schon seit Jahren beschäftigt.

Seit einigen Jahren zeichnet sich hier eine Entwicklung ab, die uns allen Sorge bereitet. Dass Retter im Einsatz – insbesondere Sanitäter, Notärzte, Feuerwehrkameraden oder Polizistinnen und Polizisten – selber zu Opfern werden, dürfen wir als Abgeordnete des Landtags nicht hinnehmen. Und das nehmen wir auch nicht hin!

Wer täglich für das Leben, die Gesundheit und die Sicherheit der Menschen unterwegs ist, verdient den Dank der Politik und unsere uneingeschränkte Solidarität. Aber neben Solidarität ist ein weiteres Merkmal für diese Debatte entscheidend – und hier meine ich: Respekt. Dieser notwendige Respekt ist verloren gegangen. Da stellt sich die Frage, wie wir diesen wiederherstellen können.

Im Antrag der AfD geht man einen besonderen Weg. Die AfD hat eine einfache und schnelle Antwort parat, nämlich: Die Migranten sind schuld. Man fordert mit dem Antrag in geschulten, wissenschaftlich formulierten Sätzen, den Phänomenbereich tiefgreifend empirisch zu erschließen und Migrantengewalt selbstbewusst zu bekämpfen.

Da stellt sich doch die Frage, ob dies tatsächlich den geforderten Respekt, den ich oben als fehlendes Verhaltensmerkmal aufgeführt habe, zurückbringt. Und: Ist die Antwort darauf wirklich so einfach? – Nein, das ist nicht der Fall. Im Übrigen ist die Forderung der AfD aus den nachfolgenden drei Gründen nicht korrekt und unzutreffend:

Erstens. Die AfD geht von falschen Voraussetzungen aus, indem sie Folgendes übersieht, bewusst ausblendet oder unterschlägt: Bereits 2013, also vor fünf Jahren, wurde eine NRW-Studie unter dem Titel „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte“ der Universität Kiel vorgelegt. 18.443 Polizisten hatten sich an der Studie beteiligt; das war fast die Hälfte aller Polizisten in NRW.

Knapp 80 % der Polizisten mit Bürgerkontakt schilderten dabei Gewalterfahrungen im untersuchten Zeitraum. Der untersuchte Zeitraum war das Jahr 2011. Die geschilderten Angriffe reichten dabei von Pöbeleien bis zu tätlichen Angriffen in Form von Attacken mit Fäusten und Messern bis hin zu immer wiederkehrenden Beleidigungen und Provokationen.

Hierzu zitiere ich eine Zahl aus der Studie von 2018, Seite 68. Dort heißt es: Das Tätermerkmal eines Migrationshintergrundes wurde 2011 in 38,1 % bei körperlichen Übergriffen angegeben, 2017 in 41,9 %. – Der Vergleich zwischen den beiden Studien zeigt also eine Steigerung in diesem Bereich von 3,8 %.

Die Flüchtlinge aber haben wir erst ab dem Jahr 2015 aufgenommen; denn aufgrund des Dublin-Abkommens kamen vor 2015 kaum Flüchtlinge nach Deutschland. Und nun frage ich Sie, Herr Wagner: Wo ist da der Zusammenhang zwischen Migranten bzw. Flüchtlingen und der vermehrten Gewaltbereitschaft gegen Einsatzkräfte? – Ich meine, es gibt da keinen. Sie versuchen aber mit dem Antrag, eine Notwendigkeit des Handelns mit – und ich zitiere Ihre eigenen Worte – „umfangreicher Einwanderung“ zu begründen. Dieser Begriff befindet sich unter II, zweiter Absatz, am Ende Ihres eigenen Antrags. Diese Schlussfolgerung ist falsch.

Der Antrag ist aber auch aus einem zweiten Grunde abzulehnen. Nach dem deutschen Strafrecht unterscheiden wir bei der Definition des Täters nicht zwischen Tätern mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund. Aus diesem Grund gibt es auch keine – ich zitiere wieder Ihre eigenen Worte – „interkulturelle Nachsicht bei Straftaten“, die der Antrag aber offensichtlich unterstellt. Hierbei verweise ich auf den zweiten Punkt Ihres Antrages unter III. Diese Annahme ist ebenso falsch und nicht korrekt.

Damit bin ich bei dem entscheidenden dritten Grund, der ebenfalls gegen Ihren Antrag spricht. Die NRW-Koalition von CDU und FDP hat sich der Aufgabe der Bekämpfung der verbalen und nonverbalen Gewalt gegen Einsatzkräfte bereits seit Langem angenommen.

(Beifall von der FDP)

Mit Ihrem Antrag 17/2150 aber sollte – ich zitiere wieder Ihre eigenen Worte – einer Nichtthematisierung vorgebeugt werden. Das steht unter II in der dritten Zeile des dritten Absatzes. Auch diese Annahme der angeblichen Nichtthematisierung ist falsch.

Es gibt die Kriminalitätsstatistik der Polizei NRW aus dem Jahr 2018, die Anfang März vorgestellt wurde. Darin ist die Entwicklung der Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger an der Gesamtzahl von Tatverdächtigen genau abzulesen. Richtig ist, dass die Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger generell überdurchschnittlich hoch ist. Richtig ist aber auch, dass unter den tatverdächtigen Zuwanderern der größte Rückgang zu verzeichnen ist. Das ist also belegt. Sie aber fordern eine weitere Statistik und noch eine empirische Untersuchung.

Außerdem wurde von der Landesregierung bei der Ruhr-Universität Bochum eine Studie in Auftrag gegeben mit dem Ziel, Gewalt gegen Einsatzkräfte wissenschaftlich aufzuklären. Auf diese Studie berufen Sie sich jetzt in Ihrem Antrag und kommen dabei zu einseitigen Feststellungen.

Ein wichtiges Ergebnis der Studie und Workshops, die zwischenzeitlich stattgefunden haben, besagt, dass es keine generelle Lösung des Gewaltproblems gibt. Das macht die Aufgabe, vor der wir stehen, nicht leichter, zeigt aber auch deutlich, dass es keine einfachen Lösungen bei der Klärung dieser Frage gibt.

Ihr Antrag geht aber nicht den unterschiedlichen Fragestellungen nach, sondern legt den Schwerpunkt einseitig nur auf einen einzigen Aspekt. Das ist ebenso falsch. Ihr Punkt ist: Es sollen die Migranten sein. – Ich zitiere dabei aus der Studie:

„Bewertungen durch die befragten Einsatzkräfte, ob ein Migrationshintergrund des Täters vorgelegen hat, können lediglich aufgrund äußerlich in Erscheinung tretender Merkmale vorgenommen werden.“

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es keine monokausalen Ursachen für Gewalt gegen Rettungskräfte gibt. Wenn man sich vertieft mit der Studie beschäftigt – das setzt natürlich voraus, dass es einem wirklich um die Sache geht und nicht um reine Stimmungsmache gegen Ausländer –, dann ist Folgendes auffällig:

Zu gewaltsamen Übergriffen kommt es besonders häufig in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern wie Düsseldorf, Köln oder Essen, bei Fällen der körperlichen Gewalt mit über 50 % in sozial-problematischen Wohngebieten und mit über 40 % in bürgerlichen Wohngebieten. In fast drei Viertel dieser Fälle ging die Gewalt von den Personen selber aus. Über die Hälfte der von körperlicher Gewalt betroffenen Einsatzkräfte berichteten von einer Alkoholintoxikation des Täters. Im Jahre 2011 lag die Zahl bei 48,9 %, 2018 bei 55,2 %. Das hat nichts mit Migration zu tun.

Insgesamt ergibt sich daraus, dass es sich um ein allgemeingesellschaftliches Problem handelt. Genau an diesem allgemeingesellschaftlichen Problem des Werteverfalls arbeitet unsere Koalition. Noch einmal: Es geht um Respekt und um unsere Werte. Deren Achtung können wir von allen in unserem Land verlangen – übrigens auch von den 61 % Nichtmigranten, also Deutschen, die in der Statistik ebenfalls genannt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Pfeil. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine angemeldete Kurzintervention des Fraktionsvorsitzenden der AfD, Herrn Wagner. Jetzt beginnen die 1 Minute 30 Sekunden für Sie, Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Kollege Pfeil, zunächst einmal – das steht im Gegensatz zu Herrn Bialas – danke für Ihren kontroversen, aber sachlich gehaltenen Beitrag.

(Beifall von der AfD)

Ich muss Ihnen aber trotzdem widersprechen. Sie haben ausgeführt, dass diese Entwicklungen bereits 2011 festgestellt worden seien und es somit keinerlei Bezug zu 2015 gebe. Natürlich gibt es diesen Bezug. Diesen Bezug gibt es deswegen, weil eine unkontrollierte Massenzuwanderung leider das Problem on top verschärft.

Ein weiterer Punkt: Ganz im Gegensatz zu dem, was ich teilweise von Ihnen hörte, glaube ich, dass die Wahrnehmung derer, die an der Basis arbeiten, eine andere ist. Dazu will ich aus zwei Artikeln der „Neuen Westfälischen“ vom 14. März und vom 19. März dieses Jahres zitieren.

Unter der Überschrift „Gewaltbereite Patienten verbreiten Angst und Schrecken in Bielefelder Klinik“ heißt es unter anderem:

„23. Januar, 23:30 Uhr: Franziskus-Hospital:“„

– im Übrigen in Bielefeld, also nicht einmal in Essen, Köln oder Dortmund –

„Mehrere Streifenwagen eilen zur Kiskerstraße, weil dort zwölf Mitglieder einer kurdischen Familie nach dem Tod ihres Angehörigen (83) das Personal bedrohen. ‚Unser Pfleger ist sehr robust und erfahren‘, erklärt der Franziskus-Chef. „Wenn der die Polizei ruft, dann war es sehr brenzlig.“

Ich zitiere aus der „Neuen Westfälischen“ vom 19. März. Unter der Überschrift „Bei der Wiederbelebung bespuckt“:

„Eine junge Krankenschwester (alle berichten anonym) –“

– das ist schon bezeichnend –

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Wagner, ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass die 1:30 herum sind. Kommen Sie bitte zum Ende.

Markus Wagner (AfD): Okay, ich komme zum Ende.

„– berichtet, dass die Zunahme der verbalen und körperlichen Gewalt schon lange spürbar sei. Beleidigung seien mittlerweile an der Tagesordnung, gerade von südländischen Patienten und Angehörigen.“

Ich bitte Sie, das doch mal zur Kenntnis zu nehmen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Pfeil, Sie haben das Wort. Sie haben 1:30 Minuten Zeit.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Herr Wagner, dass es da kein Problem gibt, habe ich nicht behauptet. Ich habe die Zahlen aus dem Jahr 2011 vorgetragen, und damals lag die Zahl auch schon bei 38,1 %. Die Zahlen für 2017 weisen eine Steigerung um 3,9 % aus.

Ihre Schlussfolgerung ist, dass die Migranten und die Flüchtlinge, die hierhergekommen sind, zu einer erheblichen – Sie haben gesagt – „On-top-Verschärfung“ geführt haben. Das ist aber nicht der Fall. Wir haben vielmehr ein allgemeingesellschaftliches Problem, nämlich den mangelnden Respekt gegenüber unseren Einsatzkräften – egal in welchen Bereichen: Polizei, Feuerwehr, Rettungswesen. Dem müssen wir entgegenwirken. Das ist eine andere Sichtweisen als das, was Sie mit Ihrem Antrag bezwecken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Pfeil – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn feststellen, dass jedes Gewaltdelikt und jeder Angriff auf eine Person völlig inakzeptabel und zu verurteilen ist.

Mit den Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte, auf Rettungskräfte und Feuerwehrleute werden ausgerechnet diejenigen angegriffen, die sich für unser Gemeinwohl einsetzen. Das ist genau das, was uns alle so entsetzt, dass ausgerechnet diejenigen attackiert werden, die für unsere Sicherheit sorgen, die Menschen retten und die Brände löschen. Wir fragen uns, warum gerade diese Personengruppen zu Opfern von Angriffen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb ist es meines Erachtens so wichtig, dass wir uns als Parlament immer wieder mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Das tun wir auch. Wir wollen den Einsatzkräften unsere gemeinsame Unterstützung und unsere Solidarität ausdrücken und ihnen unsere Anerkennung für ihre wichtige Arbeit zeigen.

Um dieses Phänomen zu erforschen, haben wir in der rot-grünen Regierungszeit eine Studie mit dem Titel „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ in Auftrag gegeben, aus der auch konkrete Maßnahmen entstanden sind.

Es gibt jetzt eine neue Studie von der Ruhr-Universität Bochum zum Thema „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen“. Diese Studie ist ein weiterer wichtiger und guter Baustein zur Untersuchung dieses Phänomens und dient dazu, es besser zu verstehen.

Die Landesregierung hat durch Herrn Reul im Innenausschuss bereits angekündigt, dass man jetzt weitere Konsequenzen ziehen und diskutieren will. Es geht darum, nach einem bestmöglichen Schutz der Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdiensten und Feuerwehren zu suchen. Diese Maßnahmen werden wir diskutieren.

Ich freue mich als Mitglied der grünen Fraktion darauf, diese Debatten zu führen. Wir brauchen Bausteine wie zum Beispiel gute Ausbildung und gute Fortbildung. Wir müssen darüber sprechen, was eine notwendige, eine sinnvolle Ausrüstung ausmacht. Ja, ich weiß, darüber werden wir sicher auch kontrovers diskutieren, aber es ist eine Diskussion, die wir führen müssen. Wir brauchen auch die Diskussion darüber, welche guten Angebote wir für die Nachsorge bei solchen gewalttätigen Angriffen vorhalten wollen; denn wir müssen uns um die Menschen kümmern, die Opfer solcher Angriffe geworden sind.

Herr Golland, ehrlich gesagt hat mich Ihr Redebeitrag schon ziemlich erschreckt. Wir diskutieren hier über ein sehr wichtiges Thema. Dabei ist es geboten, diese Diskussion sachlich und differenziert zu führen, und zwar ohne Unterstellungen. Sie haben wirklich unhaltbare Vorwürfe erhoben, die ich strikt zurückweisen möchte. Ich halte es nicht für angemessen, eine derart wichtige Diskussion in solch einer Art und Weise zu führen, wie Sie es gerade getan haben.

(Beifall von der SPD)

Das finde ich wirklich falsch, und das möchte ich hier ganz deutlich sagen.

(Gregor Golland [CDU]: Wovon reden Sie?)

Nun aber zu dem Antrag der AfD. Dieser Antrag – und das ist ja leider nicht ungewöhnlich –arbeitet mal wieder mit Unterstellungen und Behauptungen. Sie unterstellen hier beispielsweise, dass aufgrund von – Zitat – „politisch-korrekten Gründen“ eine „Nichtthematisierung“ des Migrationshintergrundes von Tätern vorgenommen würde.

Das ist schlichtweg falsch. Schauen Sie sich doch die Studie an. Was Sie sagen, das stimmt nicht.

(Beifall von Dr. Werner Pfeil [FDP])

Es wird in der Studie thematisiert und abgefragt.

Es findet hier auch keine Ausblendung statt, die Sie jedoch vorwerfen. Das ist eine weitere Unterstellung.

(Markus Wagner [AfD]: Was war denn im Ausschuss?)

Die Studie sagt aber auch, dass die befragten Einsatzkräfte allein aufgrund von äußerlichen Merkmalen eine Aussage zu einem möglichen Migrationshintergrund treffen sollten.

Ich möchte aus der Studie zitieren:

„Aussagen zur tatsächlichen Betroffenheit durch Täter mit Migrationshintergrund sind nicht möglich.“

Das heißt, der Aussagegehalt dieser Zahlen, die Sie als Grundlage für Ihren Antrag nehmen, ist sehr gering. Es ist vielmehr so – und auch das besagt die Studie –, dass andere Merkmale der Täterinnen und Täter, wie zum Beispiel das Alter, das Geschlecht oder auch Drogen- und Alkoholkonsum, einen deutlich höheren Einfluss darauf haben, ob diese Personen gewalttätig, gewaltbereit waren oder nicht.

Ich finde es wirklich bemerkenswert und außerdem erschreckend und besorgniserregend, dass die AfD ausgerechnet ein derart wichtiges Thema zum Anlass nimmt, um es für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Man kann hier schon sehr deutlich sagen, dass Sie versuchen, auf dem Rücken der Einsatzkräfte, die jeden Tag für uns ihren Dienst am Gemeinwohl tun, dieses Thema zu instrumentalisieren. Ich bin mir ganz sicher, dass die Einsatzkräfte ganz sicherlich nicht vor Ihren Karren gespannt werden wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Werner Pfeil [FDP])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Als Nächster redet Herr Pretzell, fraktionslos.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! In der Debatte ist manches Richtige und manches Erstaunliche gesagt worden. Zunächst einmal ganz allgemein zum Antrag der AfD. Dass grundsätzlich die Ursachen von Gewalt untersucht werden müssen, kann eigentlich gar nicht infrage stehen.

Herr Golland hat zu Recht – so viel Wahrheit muss auch sein – darauf hingewiesen, dass die neue Landesregierung bereits manches getan hat im Verhältnis zu dem, was die letzte Landesregierung unternommen hat.

Herr Kollege Pfeil, ich muss Sie darauf noch einmal hinweisen: Sie haben gesagt, es gebe eigentlich gar kein Problem, das kulturell oder durch Migranten bedingt sei; vielmehr liege ein gesamtgesellschaftliches Problem vor. Ja, Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber in unterschiedlicher Ausprägung.

Insbesondere möchte ich auf bestimmte kulturelle Unterschiede hinweisen. Das können Sie im Übrigen an unserer eigenen Kulturhistorie ablesen: Kultur hat auch damit zu tun, wie Gewalt beurteilt wird. Wenn Sie in unserer eigenen Kultur nur einmal hundert Jahre zurückgehen, werden Sie feststellen, dass wir in Mitteleuropa eine kulturelle Evolution durchgemacht haben, die die Gewaltaffinität und Gewalttoleranz deutlich abgesenkt hat. Insofern hat Gewalt auch enorm mit kulturellen Hintergründen zu tun.

Das allerdings, was Herr Bialas hier abgeliefert hat, ist eine ganz andere Sache. Es fällt mir schwer, dass ausgerechnet ich jetzt anfangen muss, die AfD zu verteidigen. Wenn ich anfangen würde, Ihre Anhänger aus Facebook zu zitieren, könnte ich ganz ähnliche Zitate bringen,

(Roger Beckamp [AfD]: Was schreiben Sie denn den ganzen Tag?)

– Du bist auch gleich dran, mein Freund. – Ich käme aber nicht auf die Idee, der SPD vorzuwerfen, was ihre Anhänger auf Facebook schreiben. Dann würde man es sich wirklich zu leicht machen.

(Beifall von der AfD)

Aber kommen wir doch mal zu dem, was die AfD tatsächlich macht. Was wir nämlich brauchen, ist zunächst eine statistische Grundlage, auf der man vernünftig evaluieren kann. Die Ruhr-Universität Bochum konnte nicht vernünftig evaluieren, weil es die statistischen Grundlagen nicht gibt.

Dazu darf ich – Entschuldigung! – aus dem gestern nicht debattierten Antrag etwas zitieren. Darin wird nämlich davon gesprochen, dass man den Migrationshintergrund der Täter – Zitat – „…, sofern dieser aufgrund äußerlich zu Tage tretender Persönlichkeitsmerkmale erfahrbar ist, …“ registrieren sollte.

Das ist genau das, was die Ruhr-Universität Bochum getan hat – tun musste –, weil es nichts gibt. Genau das darf nicht passieren, weil sonst Folgendes geschieht: Der Ungar wird unter Umständen nicht als Migrant erkannt, aber der in vierter Generation hier lebende Schwarze wird als Migrant identifiziert, obwohl er es definitionsgemäß nicht ist. Genau das darf eben nicht passieren, denn dann treffe ich eine ethnische Unterscheidung und keine kulturmigratorische. Das bitte ich im Ausschuss vielleicht noch zu korrigieren.

Dasselbe gilt für die kulturellen Hintergründe. Diese werden – anders als in dem gestrigen Antrag – im Wesentlichen nicht aus der Tat, sondern üblicherweise aus der persönlichen Historie hergeleitet. Man kann aus der Tat, daraus, wie das Messer geführt wird, ganz schlecht identifizieren, was der kulturelle Hintergrund ist. Denn wenn man einmal stinkesauer ist und das Messer schwingt, dann schwingt der Deutsche es ganz genauso wie jener mit einem ganz anderen kulturellen Hintergrund. Insofern: Versuchen wir vielleicht, diese Debatte ein wenig zu versachlichen. Es gibt genügend Kritikpunkte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von Markus Wagner [AfD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Pretzell. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich hat in den paar Monaten, seitdem ich das Amt des Innenministers übernommen habe, keine Zahl so elektrisiert oder beunruhigt wie die Zahl der Angriffe, die im Jahr 2016 auf Helferinnen und Helfer, Rettungssanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten stattgefunden haben, weil ich einfach nicht verstehen kann und auch nicht will, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der so etwas möglich ist und in der es keinen Riesenaufschrei gibt und keine Gegenwehr der Bevölkerung, die sagt: Das wollen wir nicht, das lassen wir nicht zu, das ist nicht akzeptabel.

Genau deshalb muss man sich um das Thema kümmern, und zwar intensiv und nachhaltig. Das ist ein riesengroßes Problem, auf das wir eine Antwort brauchen. Deshalb hat es auch Priorität. Das ist das eine.

Das andere ist allerdings, einen Antrag zu schreiben, in dem – ich sage es einmal etwas salopp – die meisten Textzeilen dafür benutzt werden, das Ganze für ein anderes Thema zu missbrauchen. Ich zitiere aus dem Antrag: „Schließlich ist die Gewalt gegen Einsatzkräfte zu einem erheblichen Teil oder gar mehrheitlich eine Gewalt durch Migranten“ und so weiter und so fort.

Das finden Sie an sehr vielen Stellen. Das ist der Teil, der mich stört, und man kann das nicht durchgehen lassen. Es tut mir sehr leid.

(Beifall von Andreas Bialas [SPD] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Man kann nicht ein berechtigtes Anliegen nutzen, die Unruhe in der Bevölkerung aufgreifen und sich als angebliche Unterstützer dieses Anliegens aufspielen, aber in Wirklichkeit damit etwas ganz anderes in den Mittelpunkt der politischen Debatte stellen wollen.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Das geht nicht, und dem muss widersprochen werden. Insofern finde ich, dass die Kollegen, die dies getan haben, es auch richtig getan haben; denn es werden Zahlen fehlinterpretiert und es wird ein Vorgang missbraucht, um etwas anderes in die Debatte zu bringen.

Ich habe im Januar den Abschlussbericht des Forschungsprojektes in Münster vorgestellt, und wir haben ihn auch im Ausschuss vorgestellt. Das Spannende und Interessante ist, dass daran mehrere beteiligt waren: zwei Ministerien, die komba-Gewerkschaft und die Unfallkasse. Es war ein Versuch, auch bei der Auftragsvergabe schon einen Schulterschluss zu organisieren, ein gemeinsames Thema proaktiv, umfassend und handlungsorientiert zu besetzen. Es geht um die Aufarbeitung und im Ziel um eine Verringerung und Vermeidung von Gewalt gegen Einsatzkräfte. Dies ist nicht einfach hinzubekommen – das ist wahr –, aber es ist zwingend notwendig.

Zurück zur Studie. Diese Studie klärt auf, mehr will sie gar nicht. Sie klärt auf, dass es Gewalt gegen Einsatzkräfte gibt, und versucht, dies mit wissenschaftlichen Methoden quantitativ und qualitativ näher zu erfassen. Bei der Vorstellung ist darauf hingewiesen worden, wie begrenzt das Potenzial ist und wie behutsam man damit umgehen muss. Aber eine differenzierte Betrachtung, zum Beispiel zwischen Opfer und Täterperspektive sowie zwischen nonverbaler, verbaler und körperlicher Gewalt, ist ein Ergebnis, und es ist gut.

Mit dieser Studie ist es gelungen – und das ist wertvoll –, Handlungsfelder zu identifizieren, aus denen man Maßnahmen entwickeln kann, und zwar zeitnah. Dazu kann man einen Aktionsplan aufstellen. Man muss ja erst einmal wissen, wo die Felder sind, um die man sich jetzt kümmern muss. Ich möchte nur einige nennen, die – zu Recht – benannt worden sind.

Aus- und Fortbildung: Sind Einsatzkräfte und Führungskräfte überhaupt auf die Situation vorbereitet? – Damit habe ich das Problem noch nicht gelöst, aber ich finde, es ist auch eine unserer Aufgaben, dafür zu sorgen, dass jene, die sich für uns einsetzen, angemessen reagieren können.

Oder Situationskennzeichen, Einsatzplanung, Fortbildung und Prävention, Meldung und Erfassung sowie Nachsorge bei Übergriffen: Allein, dass wir dafür sorgen, dass solche Angriffe auch gemeldet werden, ist relativ wichtig; denn ein Ergebnis ist zum Beispiel, dass die allermeisten dieser Angriffe überhaupt nicht gemeldet werden, da die meisten Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Sanitäter sagen „Das ist halt so, da komme ich durch“, gerade wenn es nicht ganz gravierende Gewaltanwendungen sind.

Wir brauchen diese Daten, damit wir das Problem erkennen und wissen, woran es liegt, um eine saubere Analyse zu haben, welches die Ursachen und wie vielfältig sie sind, um dann möglicherweise strafrechtliche und andere Konsequenzen zu ziehen. Übrigens ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass dort auch schon einiges passiert ist. Wir fangen ja nicht bei null an.

Der Fokus der weiteren Arbeiten ist speziell darauf zu richten, wie wir mit dem Problem „Umgang mit dem Gewaltphänomen“ konkret und effektiv umgehen, um den Betroffenen zu helfen, und zwar sowohl präventiv als auch situativ.

In der vergangenen Sitzung des Innenausschusses habe ich umfassend über diese Studie und den Ansatz, aber auch über weitere konkrete und praxisorientierte Schritte berichtet. Wir werden darüber im Ausschuss mit Sicherheit noch weiter diskutieren.

Deshalb: Das Anliegen ist wichtig. Der Antrag bringt nichts Neues. Er bringt uns nur zu dem Problem, dass manchmal berechtigte Anliegen missbraucht werden, um andere politische Debatten zu führen, und das ist nicht akzeptabel.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. Bevor Sie sich setzen, möchte ich Sie ans Pult bitten. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von Herrn Wagner, Fraktionsvorsitzender der AfD. – Bitte schön, Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Minister, nachdem uns jetzt wiederholt der Vorwurf der Vereinfachung und Monokausalität unseres Antrags gemacht worden ist, möchte ich daraus zitieren.

„Dieser Antrag begreift sich selbst nicht als fundamentalkritische Einengung auf einen Teilbereich des Phänomens, sondern möchte lediglich ergänzend und korrigierend eingreifen, um einer Nicht-Thematisierung vorzubeugen. Ein multikausales Phänomen multiperspektivisch zu bearbeiten und entsprechend vielgestaltige Ansätze staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns zu präferieren, steht dem mitnichten entgegen.

Selbstverständlich müssen weitere, maßgebliche Situationsmerkmale gleichrangig mitbetrachtet werden, da die Täter darüber hinaus sehr häufig jünger und männlich sind und z. B. eine Alkoholintoxikation ebenso eine wesentliche Rolle spielt.

Es sind folglich Faktoren nachweisbar, die das Tätermerkmal des Migrationshintergrundes überlagern oder gar von ihm unabhängig bestehen. Jede monokausale Erklärung wäre also eine wirklichkeitsverzerrende Reduktion.“

Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, bevor sie erneut auf die angebliche Monokausalität unseres Antrags verweisen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: So, Herr Minister, jetzt haben Sie 1:30 Minuten für eine Reaktion.

(Minister Herbert Reul: Darf ich das?)

– Sie müssen nicht, Sie dürfen.

Herbert Reul, Minister des Innern: Erstens. Das Problem ist längst erkannt. Zweitens. Es wird längst gehandelt. Drittens. Warum stellen Sie überhaupt noch den Antrag, wenn Sie doch drei Viertel Ihrer Zeilen, die Sie schreiben, dazu verwenden, darauf hinzuweisen, dass das etwas mit Migration zu tun hat?

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Als nächster Redner für die CDU-Fraktion ist Herr Schnelle jetzt am Pult.

Thomas Schnelle (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Als ehemaliger Polizeibeamter ist es mir ein besonderes Anliegen, dass sich die NRW-Koalition und auch die neue Landesregierung dem Thema „Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte“ angenommen haben und dieses Phänomen mit aller Kraft bekämpfen.

Die Kolleginnen und Kollegen im Polizeidienst, die im Rettungsdienst tätigen Menschen und die Feuerwehrfrauen und -männer verdienen hierfür auch unseren Einsatz und unsere uneingeschränkte Rückendeckung.

Kollege Golland und Minister Reul haben deutlich gemacht, welche Initiativen und Maßnahmen hierzu schon ergriffen worden sind. Hierzu braucht es nicht eines solch überflüssigen und an vielen Stellen falschen Antrags wie des ersten Antrags der AfD. Den zweiten Antrag konnte ich gerade nur überfliegen.

Das Thema „Übergriffe von Personen mit Migrationshintergrund auf Einsatzkräfte“ nimmt gerade einen großen Teil dieser Studie ein. Die Vorredner haben es schon gesagt. Es ist daher völlig unbegründet und falsch, wenn die AfD hier die Gefahr einer Nicht-Thematisierung erkennt. Ihre Unterstellung, dass Kriminalität durch Personen mit Migrationshintergrund von Regierungen und Behörden totgeschwiegen wird, ist populistisch und seit Amtsantritt der neuen Landesregierung ebenfalls völlig falsch.

Dies wurde auch im letzten Newsletter des „Behörden Spiegels“ festgestellt. Der Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll merkt zur Vorstellung der Kriminalstatistik in NRW an – Zitat –:

Auch hier hat Reul eine neue Linie. Er differenziert explizit zwischen deutschen und ausländischen Straftätern.

Genau dies tut auch die Studie, indem sie explizit auf die Übergriffe von Personen mit Migrationshintergrund hinweist und dieser Problematik einen breiten Raum einräumt. Sie tut dies auch, obwohl diese Zahlen nur auf subjektiver Einschätzung gründen, wobei ich hier den Einsatzkräften schon eine gute Einschätzung zutraue. Hier wird daher keine Problematik, wie von der AfD unterstellt, vernachlässigt.

Weiter kritisieren Sie, dass aus der Studie ein Schulungsbedarf in interkultureller Kompetenz geschlussfolgert wird, und Sie unterstellen, dass Rettungskräfte mit interkultureller Nachsicht den Übergriffen begegnen müssten.

Bei Übergriffen, egal, wie motiviert, ob durch Alkohol, Drogen, fehlendem Respekt oder kultureller Verschiedenheiten, muss konsequent gehandelt und reagiert werden, und da wird und da darf in den Einsätzen auch kein Unterschied gemacht werden. Gezielte Kommunikation und Deeskalation auf der einen und konsequentes Einschreiten gegen Straftäter und Straftäterinnen auf der anderen Seite schließen einander dabei aber nicht aus.

Wichtig ist für unsere Einsatzkräfte, dass sie erkennen können, wo es aufgrund kultureller Unterschiede zu Konflikten kommen kann, um darauf vorbereitet zu sein und Übergriffen von vornherein begegnen zu können.

Wenn ich als Kripobeamter eine von Muslimen bewohnte Wohnung betreten musste, habe ich vorher darauf hingewiesen, dass ich meine Schuhe anbehalte, und dies kurz erklärt, soweit dies im Einsatzfall möglich war. Dadurch können Konfliktsituationen im Vorhinein geklärt werden.

Dies setzt das Wissen um die kulturellen Unterschiede voraus, ohne gewisse kulturelle Unterschiede akzeptieren zu sollen. Auch von den Angehörigen der Rettungskräfte wird dieser Schulungsbedarf immer wieder angesprochen und gefordert. Ich glaube, in Ihrem neuen Antrag haben Sie es selbst jetzt auch gefordert.

Das Problem dieser Übergriffe darf aber nicht auf den Bereich der Migranten beschränkt werden. Die Studie nennt weitere Ansatzpunkte: Meldung aller Fälle, weitere Erhellung des Dunkelfelds, mehr Informationen durch Leitstelle oder über das Einschreiten der Polizei, Nachsorge etc.

Wie kommen Sie darauf, dass wir – Zitat aus Ihrem Antrag – „fernab politisch-korrekter Diskurse“ der Gewalt gegen Einsatzkräfte entgegentreten?

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Wir werden das Phänomen weiterhin intensiv sachorientiert ohne Ausblendung von bestimmten Problemfeldern diskutieren und konsequent angehen. Das ist für mich politisch-korrekt, und so will ich als Abgeordneter hier im Landtag arbeiten.

(Beifall von der CDU – Markus Wagner [AfD]: Sie hätten es im Ausschuss tun können! Sie haben es nicht getan!)

Die Rettungskräfte und die Kolleginnen und Kollegen der Polizei erwarten zu Recht von uns, dass wir die Problematik der migrationsbegriffbedingten Übergriffe und sonstiger Kriminalität nicht ausblenden und nicht verschweigen. Mit populistischen Reden und Schlussfolgerungen, durch die die anderen Probleme ausgeblendet werden, helfen wir unseren Einsatzkräften aber nicht weiter.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Herr Wagner, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede auf den „Tag der Kriminalitätsopfer“ hingewiesen, haben Unterstützung für die Einsatzkräfte gefordert und hier einige Dinge zu Recht genannt. Sie werden aber sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich als Polizist nicht mit Leuten klatschen werde, die sich in Syrien mit Personen verbrüdern, die in Europa zu Terroranschlägen aufrufen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schnelle. – Als nächster Redner ist angemeldet für die AfD-Fraktion Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist ein sehr wichtiges Thema. Wenn man sich ausgerechnet bei einem solchen Thema wie der Kollege Bialas darin versteigt, zu beklagen, dass wir als Politiker häufig auch Angriffen ausgesetzt sind, etwa im Internet – das ist in der Tat so; das kennen wir als AfDler nur zur Genüge, bei uns wird dann häufiger auch die Fassade beschmiert etc. –, wenn man ausgerechnet einen solchen Antrag dazu nutzt, sich in so etwas zu versteigen, kann ich den Zorn der Einsatzkräfte schon verstehen.

Es ist eben eine Sache, die man nicht erklären kann. Das muss man selbst erlebt haben: wenn man die Nacht vor einem 24-Stunden-Dienst schon schlecht schläft – nicht, weil man seinen Job nicht mag –, weil man einfach nicht weiß, was kommt, was einen an dem Tag erwartet, wenn man seine Hose morgens früh anzieht, seine Stiefel anzieht, wenn man eben nicht weiß, was die nächsten 24 Stunden geschieht, wenn man schon keinen Appetit hat, weil man nicht weiß, was passiert.

Ich habe selbst einen Fall erlebt, bei dem ein Mann mit einem kleinen Bastelhammer seine Frau erschlagen hat. Das dauert mit einem kleinen Bastelhammer sehr lange und ist wirklich unglaublich furchtbar. Wenn man das mitbekommt, wenn man dann den betrunkenen Fernfahrer bei sich hat, der versucht, gegen die Krankenschwestern Gewalt auszuüben, sodass am Ende sogar die Krankenschwester, die vorher in Afghanistan gedient hat, weinend in der Teeküche sitzt, ist das alles nicht witzig.

Sie wollen, dass wir die Dinge differenziert betrachten. Zu einer differenzierten Betrachtung und zu einer klaren Benennung gehört es eben auch, diese Problemstellungen, die neu auf uns zugekommen sind, die eben genau on top gekommen sind, einzubeziehen. Natürlich gibt es gewisse Problemgruppen. Die größte Gefahr für die heimische Frau ist wahrscheinlich immer noch der Ehemann. Es gibt aber eben gewisse Dinge, die noch on top kommen, die noch dazukommen. Die muss man doch wohl genau untersuchen.

(Christian Dahm [SPD]: Welche meinen Sie denn?)

Die muss man eben genau benennen.

(Christian Dahm [SPD]: Dann tun Sie das doch!)

Das ist etwas, was diese Studie jetzt exemplarisch gemacht hat. Wenn ich Ihnen aber eines sagen kann: Was die Rettungskräfte ganz bestimmt nicht gebrauchen können, dann ist es, nach einem solchen Tag, wie ich ihn gerade nur grob skizziert habe, ein Seminar zur Kultursensibilität zu besuchen, wie es mittlerweile an deutschen Universitäten gängig ist.

(Andreas Bialas [SPD]: Das war nicht für die Rettungskräfte! Das war nur für Sie!)

Dass wir uns in der Tat tatsächlich noch darauf einstellen müssen, wie man sich einer kranken, notleidenden Person nähert, das ist nun wirklich zu viel verlangt. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2150 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Der Entschließungsantrag Drucksache 17/2241 würde entsprechend mit überwiesen.

Gibt es dazu Gegenstimmen? – Die sehen wir nicht. Gibt es Enthaltungen? – Die sehen wir auch nicht. Damit ist das einstimmig so beschlossen, und es wird so verfahren.

Ich rufe auf:

5   Engpässe beseitigen – Land muss Kommunen mehr Zeit zur Umsetzung des Programms „Gute Schule 2020“ einräumen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2163

Für die SPD-Fraktion begründet den Antrag nun Herr Kollege Dahm.

Christian Dahm (SPD): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserem Antrag möchten wir erreichen, dass den Kommunen in Nordrhein-Westfalen eine Verlängerung des Programms „Gute Schule 2020“ ermöglicht wird.

Warum wollen wir das tun, und was wollen wir damit erreichen? – Weil die Kommunen das selbst einfordern, weil die Oberbürgermeister, die Bürgermeister, die Baudezernenten auf uns zugegangen sind und den Wunsch geäußert haben, etwas mehr Zeit zu bekommen, um dieses Programm abzurufen.

Seit dem 1. Januar 2017 stellen wir als Land Nordrhein-Westfalen mit dem Programm „Gute Schule 2020“ den Kommunen für die Sanierung, die Modernisierung und den Ausbau der Schulinfrastruktur über die NRW.BANK 500 Millionen € jährlich zur Verfügung und damit insgesamt 2 Milliarden € bis zum Jahr 2020. Das ist sehr erfreulich.

Das Programm stößt auf reges Interesse. In vielen Städten und Gemeinden wird jedoch nur ein kleiner Teil der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel abgerufen; dazu hatte auch die Landesregierung kürzlich das Parlament kommunalscharf unterrichtet.

Einerseits machen sich hier personelle Engpässe in den Kommunen in den Bau- und Planungsbehörden bemerkbar. Für die Umsetzung der Bau- und Sanierungsmaßnahmen sind in der Regel umfangreiche Planungsvorbereitungen erforderlich. Das hierfür erforderliche Personal fehlt in den Städten und Gemeinden.

Andererseits kommt es durch die aktuell hohe Auslastung bei den Unternehmen der Bauindustrie und des Bauhandwerks zu entsprechenden Verzögerungen. Hinzu kommt, dass für Baumaßnahmen, insbesondere größeren, in den Schulen natürlich nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung steht, nämlich die Ferien.

Nach unserer Auffassung ist es daher erforderlich, den Kommunen entgegenzukommen, ihnen mehr Zeit einzuräumen, die von ihnen vorgesehenen Maßnahmen auch umzusetzen.

In der vergangenen Woche hat Ministerin Scharrenbach die Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik, die Difu-Studie, vorgestellt, die genau unsere Auffassung bestätigt, dass in vielen Kommunen das für die Planungsvorbereitung erforderliche Personal fehlt. Die Difu-Studie geht noch zurück auf die rot-grüne Vorgängerlandesregierung, die sie in Auftrag gegeben hatte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass technische Ämter in Städten und Gemeinden landesweit betrachtet nicht ausreichend besetzt sind.

Durch die Inanspruchnahme von Fördermitteln, meine Damen und Herren, von Bund und Land erhöht sich das Arbeits- und Koordinationsaufkommen in den Behörden. Nicht alle Kommunen können die dafür notwendigen Ressourcen ohne Weiteres bereitstellen. Die fehlende Förderung des kommunalen Verwaltungsaufwands ist deshalb von Bedeutung, da ein größerer finanzieller Spielraum durchaus zu einer Reduzierung der Probleme in den anderen Bereichen beitragen könnte. So wäre beispielsweise die gegebenenfalls temporäre Einstellung zusätzlichen Personals möglich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird deutlich, wie wichtig unser Antrag für die Beseitigung von Engpässen in den Städten und Gemeinden ist. Es ist deshalb erforderlich, den Kommunen entgegenzukommen, ihnen mehr Zeit einzuräumen, die von ihnen vorgesehenen Maßnahmen auch umzusetzen.

In den Haushaltsberatungen hat die SPD-Fraktion beantragt, 80 Millionen € bereitzustellen, um die notwendigen Planungskapazitäten in den Städten und Gemeinden zu schaffen. Bedauerlicherweise hat die Mehrheit in diesem Parlament diesen Antrag abgelehnt.

Nach der aktuellen Gesetzeslage verbleibt den Städten und Gemeinden nach dem Abruf von Mitteln aus dem Programm „Gute Schule 2020“ ein Zeitraum von 30 Monaten, in dem die entsprechenden Verwendungsnachweise erbracht werden müssen.

Wir schlagen daher eine Ausweitung des Zeitraums auf 42 Monate vor. Das halten wir für dringend geboten. Eine solche Ausweitung würde dazu beitragen, dass längerfristig zu planende und dringend erforderliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation an unseren Schulen nicht an aktuell vorhandenen Engpässen in Verwaltung und Bauwirtschaft scheitern.

Wir fordern daher die Landesregierung auf, entsprechende Gesetzesänderungen einzubringen. Wir sollten weitere Beratungen im Ausschuss vornehmen. Ich bitte, weil es kein parteipolitischer Antrag, sondern eine reine Fachdebatte ist, auch die regierungstragenden Fraktionen um Zustimmung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dahm. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wissenschaftlichen Debatten gibt es schon einmal die Diskussion darüber, ob man sich selbst plagiieren kann. Kann man sich selbst plagiieren, oder fällt das unter den Schutz des Plagiates? Herr Kollege Dahms,

(Christian Dahm [SPD]: Ohne „s“!)

wenn es die Chance gäbe, sich selbst zu plagiieren, dann hätten Sie sich mit dem Vorlesen der Drucksache 17/2163 gerade eine Seite lang selbst plagiiert. Ein paar Sätze über die Ergebnisse der von Ministerin Scharrenbach vorgestellten Difu-Studie haben Sie noch dazwischengeschoben.

Ich dachte in der Tat, dass wir über die Frage fachlich diskutieren. Von daher muss ich einige Vorbemerkung machen, weil ich das, was ich hier erlebt habe, nicht für möglich gehalten habe.

Eine Debatte ist eine Debatte, weil man über die Sache spricht und nicht, weil man den eigenen Antrag vorliest, den man überall online und gedruckt vorfinden kann. Sie haben den Antrag vorgelesen – ich könnte Ihnen auch die erste Seite zweieinhalb Minuten lang vorlesen – und vor der viertletzten Zeile im zweiten Absatz die difu-Studie eingeschoben. Sie können sich ja gerne das Protokoll daraufhin einmal ansehen. Dafür brauchen wir keine Plenardebatte, sondern können einen Briefwechsel machen, Herr Kollege.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Auch in der Sache bin ich etwas überrascht darüber, dass Sie jetzt die Initiative ergreifen, denn es ist Ihre eigene Konstruktion, die Ihre eigene Regierung rechtzeitig kurz vor dem Wahltermin lanciert hat. Hierbei hätte man die Modifikationen, die Sie jetzt einfordern, schon berücksichtigen können.

Ich erinnere daran, dass die Baukonjunktur, anders als die generelle Konjunktur des Landes Nordrhein-Westfalen, schon zum 1. Januar 2017 brummte, dass die Planungskapazitäten in den Städten und Gemeinden und der Abbau – das ist richtig beschrieben – von Personal im Planungs-, Projekt- und Baubereich einer Kommune in den letzten Jahren überall Thema waren: in den kommunalen Spitzenverbänden, bei den Architekten, Ingenieuren. Überall war bekannt: Dieses Dilemma haben wir seit mindestens zehn Jahren.

Der Unterschied besteht nur darin: Nach der großen Krise 2008/2009 ist das im Zusammenhang mit den Konjunkturprogrammen nicht so schnell deutlich geworden, weil diese dann irgendwann wieder ausgelaufen sind. Aber schon 2008/2009 haben die Kommunen Probleme gehabt, Mittel abzurufen. Auch andere öffentlichen Hände hatten Probleme, die Konjunkturprogramme entsprechend umzusetzen.

Die eben von Ihnen zitierte Ministerin Scharrenbach hat übrigens bereits bei mehreren Terminen mit Oberbürgermeistern, Bürgermeistern, Landräten erklärt, dass die Landesregierung gehandelt hat. Sie hat in den letzten Wochen erklärt, dass in den Förderbestimmungen der Zeitraum für die Verwendungsnachweise von 30 Monaten, den Sie hier beschreiben, bereits auf 36 Monate angehoben worden ist, sodass Ihrem Anliegen, einem fachlichen Anliegen, bereits durch die Landesregierung im Vorgriff entsprochen worden ist.

Was damals allerdings eine große Rolle spielte und jetzt bei mir für Verwunderung sorgt, ist die Tatsache, dass Sie das, was zu dem Programm geführt hat, hier nicht dargestellt haben. Sie beschäftigen sich ein paar Monate nach dem Regierungswechsel nur noch damit, dass die neue Regierung etwas anders machen muss.

Die Debatte darüber, dass Ihre Regierung über Jahrzehnte die Schulen hat verkommen lassen, hätten Sie, wenn Sie sich hätten ehrlich machen wollen, hier auch einmal führen können. Diese Diskussion haben wir vor der Wahl in diesem Parlament geführt. Damals haben Sie und Ihr damaliger Koalitionspartner immer behauptet, das sei überhaupt nicht der Fall gewesen, das sei eigentlich eine Angelegenheit der Kommunen gewesen. Kurz vor dem Wahltermin kam dann ein entsprechendes Programm, und zwar mit den Konditionen, die damals Ihre Staatskanzlei mit der NRW.BANK verabredet hat, Ihre Staatskanzlei und nicht irgendjemand Drittes.

Trotzdem ist es richtig, dass die Verwendungsnachweisfrist verlängert worden ist. Dies brauche ich sicherlich nicht weiter zu vertiefen. Ich habe großes Vertrauen, dass die Regierung das Richtige tut, dass sie es besser macht, als Sie es gemacht haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dahm?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ja, klar.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Bitte schön, Herr Dahm.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Erkennen Sie denn an, dass es zu Planungsproblemen und Umsetzungsproblemen in den Städten und Gemeinden nicht nur beim Abruf des Programms „Gute Schule 2020“ kommt, sondern auch beim Abruf sonstiger Förderprogramme, zum Beispiel Konjunkturpaket II?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Das habe ich doch eben gesagt.

(Christian Dahm [SPD]: Nein, das haben Sie nicht gesagt!)

Ich selbst bin seit 1999 Ratsmitglied meiner Heimatstadt. Natürlich sind überall im Lande die Probleme gleich. Es ist überall so, dass, wenn Sie bei einer hohen Baukonjunktur auch noch im öffentlichen Bereich mit relativ geringen Planungskapazitäten in den Stadtverwaltungen entsprechend tätig werden wollen, Sie da mehr Schwierigkeiten haben, Projekte schnell zum Stehen zu kriegen, sie förderfähig zu machen usw. Das ist völlig unstreitig.

Deshalb übt jetzt auch niemand Kritik daran, dass die Landesregierung den Zeitraum der Verwendungsnachweisablieferung verlängert. Es geht nur darum, dass Ihr Programm diesen Mangel hatte, den Sie jetzt beseitigt wissen möchten. Und ich hatte Ihnen dargestellt, dass die Landesregierung bereits tätig geworden ist und dies – für jedermann zugänglich – öffentlich erklärt hat. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist spannender als das, was konkret in einem Antrag steht, das, was nicht in einem Antrag steht. Herr Kollege Optendrenk hat bereits ein, zwei Beispiele genannt. Auch ich, lieber Christian Dahm, kann das der antragstellenden Fraktion nicht ganz ersparen.

Was steht nicht im Antrag, aber zwischen den Zeilen? – Das ist das Eingeständnis der SPD, dass das Programm „Gute Schule 2020“ offensichtlich nicht zu Ende gedacht wurde. Denn jeglicher Korrekturbedarf, den Sie jetzt hier anregen, ist ja zu 100 % die Folge Ihres Regierungshandels. Nun spricht bekanntermaßen überhaupt nichts dagegen, jeden Tag ein wenig schlauer zu werden, aber die eine oder andere Nachfrage müssen Sie sich gefallen lassen.

War denn der SPD vor etwas mehr als einem Jahr, als das Programm beschlossen wurde, die personelle Lage der Kommunen im Bereich der Bauplanung nicht bekannt? War denn der SPD vor etwas mehr als einem Jahr die konjunkturelle Lage in der Baubranche nicht bekannt? War Ihnen das völlig fremd?

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Auf Hinweise aus der damaligen Opposition wollten Sie nicht hören; okay. Ich kann trotzdem noch ruhig schlafen. Im Kommunalausschuss haben Sie dann versucht, Kritik am Programm und am Vorgehen ins Lächerliche zu ziehen. Auch damit komme ich gut klar.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber auch Sachverständige haben schon damals Kritik geäußert. Ich erinnere, Frau Kollegin Beer, an die Stellungnahme 16/4522 der kommunalen Spitzenverbände, die schon damals in der ersten Stellungnahme zum Referentenentwurf der Landesregierung davor gewarnt haben, dass es – ich zitiere – „beträchtliche personelle Engpässe“ bei den Kommunen gibt. Darauf ist nicht reagiert worden.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Zweiter Punkt: Der Antrag ist auch ein Eingeständnis der SPD, dass eine dauerhafte Erhöhung von Mitteln für Bildung offensichtlich doch besser ist als einmalige Schaufensterprogramme kurz vor Wahlen. Das ist eine schöne Bestätigung für den Kurs der neuen Landesregierung.

Sieben Jahre lang stagnierte unter Rot-Grün die Bildungspauschale. Dann kam – Kollege Optendrenk hat es gerade schon einmal angesprochen – der Februar 2016:

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

eine nahende Landtagswahl, Herr Kollege Rüße, eher unterdurchschnittliche Umfragewerte für SPD und Grüne sowie eine WDR-Umfrage, aus der hervorging, dass 85 % der Schulen in Nordrhein-Westfalen erhebliche bauliche Mängel haben.

In der gleichen Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände war auch damals schon von einer strukturellen Unterfinanzierung im Bildungsbereich die Rede. Auch die von Ihnen nicht erhöhten Pauschalen wurden dort thematisiert.

Was ist jetzt der Unterschied, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zwischen alter und neuer Regierung? Nummer eins: Wir haben die Mindestbeiträge der Schul- und Sportpauschale erhöht. Nummer zwei: Eine weitere substanzielle Erhöhung erfolgt im nächsten Jahr.

(Zuruf von Christian Dahm [SPD])

Nummer drei – das ist das Wichtigste –: Die Pauschalen werden dynamisiert, um dauerhaft mehr Geld für Bildung zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Bildung hat, Herr Kollege Mostofizadeh, für diese Koalition Priorität. Und das ist der Beweis.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Taschenspielertricks!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim bisherigen Abruf der Mittel aus dem Programm „Gute Schule 2020“ gibt es große Unterschiede. Die Abrufquoten reichen von 0 bis 100 %. Das ist bekannt. Das wird auch zwischen den zuständigen Akteuren schon besprochen. Ihr Antrag wird dafür nicht benötigt.

Ein Teil der Lösung kann sicherlich die Verlängerung des Abrufzeitraumes sein. Ich sage Ihnen aber auch schon einmal vorab: Die Erstattung von internen Personalkosten sehe ich kritisch.

Zum einen glaube ich nicht, dass die finanzielle Lage das große Problem ist, vor dem die Kommunen in den Planungsämtern stehen: Die fertigen Planungsingenieure stehen nicht auf der Straße vor dem Rathaus und warten nur darauf, eingestellt zu werden. Die gibt es ja eben nicht.

Aber auch schon jetzt sind externe Planungskosten – das ist wichtig – im Programm enthalten. Sie sind davon abgedeckt.

Diese Engpässe wurden also durch die Förderfähigkeit nicht gelöst. Vielmehr sollten wir über andere Punkte sprechen: Was kann denn extern abgefangen werden?

Die NRW.BANK, die das Programm administriert, bietet auch umfangreiche Beratungs- und Unterstützungsleistungen für die Kommunen an, die weit über das hinausgehen, was wir in anderen Förderprogrammen finden.

Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Unterstützungs- und Beratungsleistungen schon von allen Kommunen in vollem Umfang abgerufen werden. Bevor das nicht der Fall ist, sollte man mit der Ausweitung dieses Programms auch vorsichtig sein, meine ich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, SPD und Grüne haben mit diesem Programm – wenn Sie mir dieses Bild erlauben – den Wagen im Schlamm ein gutes Stück weit festgefahren und sich jetzt die Pannenhelfer-Jacke übergezogen. Das werden wir im Ausschuss noch näher zu diskutieren haben. Bei ein, zwei Aspekten liegen wir zwar einigermaßen nahe beieinander, aber auch nicht bei allen. Insofern bleibt es im Kommunalausschuss zumindest spannend.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war schon ein beeindruckender Auftritt, Herr Höne.

Herr Finanzminister, ich lobe Sie jetzt schon einmal vorab dafür, dass Sie – denn davon gehe ich aus – das Programm „Gute Schule 2020“ als eines der wichtigsten und besten Ausbau- und Sanierungsprogramme des Landes bezeichnen werden, die dieses Land in den letzten zwei Jahrzehnten gesehen hat. Das ist auch gut so. Es ist eine gute Nachricht für die Kommunen, dass dieses Programm von Rot-Grün weitergeführt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dass der Kollege Höne mit diesem Programm fremdelt, war nicht zu überhören und nicht zu übersehen. Herr Kollege Höne hatte sich noch kurz vor der Landtagswahl mit folgenden Worten geäußert: Die Finanzierung dieses Programms ist intransparent; sie geschieht abseits des Landeshaushalts und somit des Parlaments.

(Henning Höne [FDP]: Richtig!)

Jetzt kommt noch ein wichtiger Punkt, Herr Kollege Höne: Der Verteilungsschlüssel, der bei der Kreditvergabe angelegt wird, ist falsch. – Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.

(Henning Höne [FDP]: Das können wir gerne tun! 150 Millionen €!)

Sind Sie nach wie vor der Meinung – dazu würde ich auch gerne den Finanzminister um Auskunft bitten –, dass Sie den Verteilungsschlüssel ändern wollen, sodass nicht mehr, wie Herr Lindner es bemängelt hat, Dortmund 94 Millionen € und Düsseldorf 32 Millionen € bekommen sollen, obwohl sie die gleiche Schülerzahl haben? Wollen Sie etwas an dem Verteilungsschlüssel ändern, weil die FDP nach wie vor mit diesem Programm fremdelt? Da bitte ich um Auskunft.

Sie haben es auch bewertet, Herr Kollege Höne. Sie haben gesagt: Dieser Verteilungsschlüssel, der zu 50 % aus der Schulpauschale und zur anderen Hälfte aus der Finanzkraft der Kommunen besteht, führt dazu, dass vor allem SPD-geführte Städte im Ruhrgebiet davon profitieren. – Ein Schelm, der Böses dabei denkt, Herr Kollege Höne! Sie haben doch jetzt die Gelegenheit, das zu ändern. Oder haben Sie, was gut wäre, Ihre Meinung geändert?

Im Übrigen ist es auch deswegen gut, weil das Bundesprogramm KInvFG I und II noch viel stärker auf die Finanzkraft der Kommunen abstellt, was wir im Kern auch für richtig halten. Wir haben das Programm „Gute Schule 2020“ bewusst nach der Schülerzahl ausgerichtet, damit auch Städte wie zum Beispiel Düsseldorf und andere Städte und Gemeinden im ländlichen Raum überhaupt davon profitieren.

Jetzt noch zwei Punkte zur sachlichen Auseinandersetzung mit dem Antrag: Die Ministerin hat – wie ich finde, zum Teil in Unkenntnis der Sachlage; ich bin sehr erstaunt darüber, dass sie nicht zu diesem Tagesordnungspunkt redet; sie ist auch Bauministerin und hat sowohl baupolitische Fragen als auch kommunalpolitische Fragen zu klären – selbst gesagt, dass Planungskapazitäten fehlen und dass das Programm eigentlich erweitert werden soll.

Ich bin, ehrlich gesagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht dieser Meinung. Ich finde, dass dieses Programm klug ausgestaltet ist. Herr Kollege Höne hat – wie ich finde, zu Recht – darauf hingewiesen, dass die NRW.BANK sehr viele Planungsleistungen bietet, guter Ansprechpartner ist und die Kommunen beraten kann. Das sollten wir nutzen.

Was den Bereich der Planungskapazität angeht, bin ich allerdings nicht der Meinung von Herrn Höne. Da teile ich die Meinung, die die Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten und auch die CDU-Kommunalministerin Frau Scharrenbach vortragen.

Herr Höne, meines Erachtens haben Sie mit der Analyse recht, dass es nicht in erster Linie um ein Finanzproblem in Euro und Cent bezüglich der Besetzung einzelner Stellen geht. Ein Problem ist aber schon, dass wir Bauingenieurinnen und Architektinnen zu den Gehältern, die der öffentliche Dienst im Moment zahlen kann, zum Teil nicht in die Büros bekommen.

Deshalb wäre es eine kluge Überlegung, Pools zu bilden,

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

zum Beispiel regionale Pools, dort Planungsleistungen vorzuhalten und diese auch auszubauen. Warum negieren Sie das in Bausch und Bogen? Lassen Sie uns doch darüber diskutieren.

Die CDU-Bürgermeisterinnen und ‑Bürgermeister und ‑Planungsdezernenten hätten einiges zu dieser Fachfrage beizutragen, glaube ich. Ich habe jedenfalls aus den Kommunen immer wieder die Rückmeldung bekommen: Das ist ein sehr gutes Programm; aber lasst uns bei den Planungskapazitäten zusammenarbeiten, damit wir es auch schaffen, sie abzuwickeln. – Das ist eine sehr klare Ansage, die aus allen Städten und Gemeinden gekommen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Letzte Bemerkung: Herr Kollege, Sie haben unter Beweis gestellt, dass Sie sehr mit dem Programm fremdeln. Herr Optendrenk hat auch drei Pirouetten gedreht, um es weiterzuführen. Dieses Programm ist es wert, vernünftig zu Ende geführt zu werden, um die Städte und Gemeinden bei der Sanierung der Schulen nach vorne zu bringen.

Lassen Sie doch diesen Popanz. Die Landtagswahl ist vorbei. Wir sollten uns sachlich mit diesem Programm auseinandersetzen, die Planungskapazitäten aufbauen und ansonsten die Segnung des Programms „Gute Schule 2020“ fortsetzen. Es ist ein gutes Programm, und es muss zu Ende geführt werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Kollege. – Für die AfD spricht der Abgeordnete Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der SPD spricht ein wichtiges Problem an. Die Vorgängerregierung, der nicht zuletzt die SPD angehörte, hat das Programm „Gute Schule 2020“ aufgelegt, um endlich dem kommunalen Gemeinwesen die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um Sanierungen von Schulgebäuden zu ermöglichen.

Zufälligerweise folgte aber drei oder vier Monate später die Landtagswahl.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Acht Monate vorher war das!)

Die Situation war in vielen Kommunen so katastrophal – sie ist es heute noch –, dass das Land schließlich eingreifen musste, um den Sanierungsstau bei den Schulgebäuden aufzulösen.

Es führt auch nicht weiter, näher untersuchen zu wollen, worin die Ursachen für die schwierige Situation der Kommunen liegen. Bei allen unterschiedlichen Gründen kann man aber doch zusammenfassend feststellen, dass es in Einzelfällen Misswirtschaft und gleichzeitig vor allem eine Überfrachtung der Kommunen mit Aufgaben der Sozialfürsorge gibt.

(Beifall von der AfD)

Insofern sind die Anliegen, die in diesem Antrag schlüssig begründet werden, nachvollziehbar.

Aufgeschreckt von einem Bericht des WDR vom 17. Januar 2018 mit dem Titel „Schleppender Start für die Schulsanierung“, bringen Sie nun diesen Antrag in den Landtag ein, in dem Sie wiederum Ihrer eigenen Planungsfähigkeit als verantwortliche Regierungspartei ein schlechtes Zeugnis ausstellen.

Sie haben doch seinerzeit als Regierungspartei den Zeitraum von 2017 bis 2020 angesetzt und als ausreichend angesehen. Haben die verantwortlichen Ministerien eigentlich gar nicht mit den Vertretern der kommunalen Gebietskörperschaften kommuniziert? Diese hätten Ihnen bereits im Jahre 2017 sagen können, wie sehr ihre Kapazitäten ausgelastet sind.

Dem entsprechenden Presseartikel ist zu entnehmen, dass die Vertreter der Gemeinden vielfache Gründe anführen – darunter auch eine unbegrenzte Zuwanderungspolitik, welche die personellen und finanziellen Ressourcen der gemeindlichen Familie über Gebühr belastet.

Gestern habe ich auf diesen Missstand bereits aufmerksam gemacht und bin deshalb von Herrn Ott aufs Übelste beschimpft worden. Er sagte, ich sei ein Rassist und sei es immer gewesen.

Die Spitzen des Städte- und Gemeindebundes beklagen selbst öffentlich und für jeden wahrnehmbar die hohe Belastung der Kommunen durch die ungeregelte Zuwanderung. Sie, Herr Dahm und Herr Höne, waren doch bei der Podiumsdiskussion des Städte- und Gemeindebundes im November 2017 dabei. Da haben Sie doch hören können, was der Präsident dort vorgetragen hat. Genau das hat er gesagt.

Sind das nun alles Rassisten?

(Christian Loose [AfD]: Nach Herrn Ott anscheinend schon! – Frank Müller [SPD]: Was für ein schöner Sport – gespielte Empörung!)

Die Maßlosigkeit und Zügellosigkeit, mit der Herr Ott und einige andere Parlamentarier mich und uns von der AfD-Fraktion beschimpfen, ist eine Ungeheuerlichkeit. Wir nennen die Probleme beim Namen und werden dafür beschimpft. Das macht mich fassungslos.

Sie reden immer von der Würde des Parlaments und vom Hohen Haus. Nach einem Dreivierteljahr Erfahrung hier im Parlament muss ich nun die Schulen, in denen ich unterrichtet und die ich geleitet habe, als Höchste Häuser loben, bei denen man mit Fug und Recht von der Hochwürde der Schule sprechen kann.

(Beifall von der AfD)

Ein weiteres Problem in den Kommunen ist der Personalmangel in den Bereichen der Bauabteilungen und des Gebäudemanagements. Nun stehen Sie ratlos da und wollen schon nach einem Jahr den Zeitraum der Kreditaufnahme um ein Jahr verlängern. Sie sollten sich aber erst einmal die Zahlen der Kreditaufnahme genau anschauen.

Hätten Sie die Kleine Anfrage der AfD zu diesem Thema und die Antwort des Ministeriums beachtet, hätten Sie sich einen Überblick verschaffen können. Es ist zwar richtig, dass nach einem Jahr Laufzeit nicht einmal die Hälfte der Mittel abgerufen worden ist. Allerdings haben 202 von 396 kommunalen Gebietskörperschaften bereits Mittel abgerufen – manche sogar vollständig.

Wenn man bedenkt, dass das Programm erst seit einem Jahr läuft, sollte man die Abrufzahlen eher als Erfolg werten, anstatt jetzt in blinden Aktionismus zu verfallen.

(Beifall von der AfD)

Das Anliegen des SPD-Antrags hat ohne Zweifel seine Berechtigung, wenn sich die Situation im nächsten Jahr noch ähnlich darstellen sollte. Vorher zu handeln ist aber nicht nötig. Im Augenblick haben wir auch keine Kenntnis von den einzelnen Planungsständen in den Kommunen. Daher kommt der Antrag zu früh. Die hier genannten erforderlichen Maßnahmen können, wenn es denn nötig ist, zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Dieser Antrag zeigt wieder einmal, dass Sie jetzt genau wissen und zugeben, wie katastrophal Ihr Regierungshandeln war. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Als Nächster spricht für die Landesregierung Herr Finanzminister Lienenkämper.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon in vielfältiger Hinsicht ausgeführt worden, dass wir das Programm „Gute Schule 2020“ vor der letzten Landtagswahl hier im Hause inhaltlich sehr intensiv diskutiert haben. Die Diskussionsbeiträge sind zitiert worden.

Wir haben uns aus Vertrauensschutzgründen dafür entschieden, dieses Programm fortzuführen und den Kommunen somit Planungssicherheit zu geben. Das wissen Sie. Das bleibt auch so.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ein bisschen Überzeugung, bitte!)

Jede Kommune entscheidet im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung, wie sie die Mittel verteilt. Die Kommune entscheidet auch, wann und welche Tranchen sie abruft. Wie sie die aus dem Programm finanzierten Maßnahmen priorisiert, entscheidet sie ebenso – genauso wie über die Planung und die Umsetzung.

Das ist Subsidiarität; das ist kommunale Selbstverwaltung; das ist „Verantwortung geben“ und „Verantwortung einfordern“. Das ist wichtig für das Aufsteigerland Nordrhein-Westfalen. Denn die Kommunen wissen viel besser, wo der Schuh konkret drückt, und sie tragen auch die Verantwortung dafür.

Deswegen werden wir kontinuierlich verfolgen, wie sich das Programm in der Praxis bewährt. Dazu gehört auch, dass wir uns genau anschauen, wie sich die Inanspruchnahme der Mittel aus diesem Programm entwickelt.

Sie wissen – das ist bereits mehrfach gesagt worden, auch schon in der heutigen Debatte –, dass wir, wenn das notwendig ist, in Absprache mit der NRW.BANK und gemeinsam mit den Kommunen auch die erforderlichen Maßnahmen ergreifen werden.

Dazu gehört aktuell unter anderem das Bestreben, den Zeitraum für die Verlängerung des Verwendungsnachweises zu erweitern. Das ist kein neuer Gedanke der SPD-Fraktion, sondern das hat die Landesregierung bereits im November 2017 in Aussicht gestellt.

Wer sich genauer mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen beschäftigt hat, wird feststellen, dass dazu das Schuldendiensthilfegesetz geändert werden muss. Dabei handelt es sich um ein Gesetzgebungsverfahren, das klugerweise ohnehin mit Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände durchgeführt werden muss. In dieses Gesetzgebungsverfahren werden alle Kommunen richtigerweise ihre Vorstellungen einbringen.

Im Übrigen befinden wir uns aber sowieso mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den Kommunen und mit allen anderen Akteuren in einem regelmäßigen Austausch über dieses Programm.

Präsident André Kuper: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mostofizadeh?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Ja, gerne.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Finanzminister, vielen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich hatte ja bereits eine Frage an Sie gerichtet. Möglicherweise ist sie in Vergessenheit geraten. Deswegen möchte ich sie noch einmal wiederholen.

Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der FDP hatte noch kurz vor der Landtagswahl ausgeführt, dass die Kommunen, die solide gewirtschaftet hätten, mit dem Programm „Gute Schule 2020“ nach dem Stärkungspakt ein zweites Mal bestraft würden. Er stellte damals auf den Verteilungsschlüssel ab. Planen Sie eine Änderung des Verteilungsschlüssels dieses Programms? Oder legen Sie ein weiteres Programm auf, um den Haushalt der Städte, die bestraft worden sind, zusätzlich auszugleichen?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Kollege Mostofizadeh, ich danke herzlich für die Frage. Eingangs hatte ich aber bereits ausgeführt, wie vor der Landtagswahl 2017 hier im Landtag Nordrhein-Westfalen über das Programm „Gute Schule 2020“ debattiert worden ist. Ich habe gesagt, dass wir uns unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes dafür entschieden haben, dieses Programm fortzusetzen und den Kommunen Planungssicherheit zu geben. Das Fortsetzen und die Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes beantworten Ihre Frage vollumfänglich. – Herr Präsident, Sie können die Redezeit weiterlaufen lassen. Die Frage ist damit beantwortet.

Ich komme zu den Personalkosten des Programms „Gute Schule 2020“. Dieses Programm ist seinerzeit von den die damalige Regierung tragenden Fraktionen bewusst so angelegt worden, wie es jetzt ist. Begründet wurde dies damit, dass das kommunale Personal, das für kommunale Pflichtaufgaben wie den Schulbau notwendig ist, auch von den Kommunen finanziert werden muss. Diese Begründung kann ich auch im Nachhinein nicht falsch finden.

Allerdings ist es ohnehin so – darauf ist auch schon hingewiesen worden –, dass Kosten für externes Personal wie Architekten oder Ingenieure über das Programm durchaus förderfähig sind. Das ist den Kommunen naturgemäß bekannt. Deswegen sehe ich keinen Bedarf dafür, zusätzliche Mittel aus dem Landeshaushalt zur Verfügung zu stellen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2163 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend –, an den Ausschuss für Schule und Bildung sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer diesem Überweisungsvorschlag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

6   Gesetz zur Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes – Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2122

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Geerlings das Wort.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich bitte einmal vor, das Land würde sich mit einer Änderung des Hochschulgesetzes die Berufung von Professoren auf Lehrstühle anmaßen und dadurch das Recht auf universitäre Selbstverwaltung einschränken. Oder stellen Sie sich vor, das Land würde den privaten Schulen die Zuschüsse kürzen, sie finanziell ausbluten lassen und dadurch ihren Anspruch auf Subventionen missachten. Oder stellen Sie sich vor, das Land käme auf die Idee, die Kirchen nicht mehr als Träger von Kitas zuzulassen, und würde dadurch das Mitwirkungsrecht der Kirchen an der Familienpflege und der Jugendfürsorge verletzen.

Diese Beispiele sind natürlich rein fiktiv und mit der NRW-Koalition undenkbar. Sie haben jedoch eins gemeinsam: Sie stellen eine Verletzung von in unserer Landesverfassung festgeschriebenen Grundrechten dar.

Menschen- und Grundrechte, vor allem die Freiheitsrechte, sind seit jeher eng mit der Idee des Rechtsstaats verknüpft. Eine Verfassung muss immer eine freiheitliche sein. Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger muss freiheitlich geordnet sein.

Zur Durchsetzung dieser Rechte – in der Regel Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, der seine Eingriffe zu rechtfertigen hat – bedarf es rechtlichen Schutzes, dessen wirksames Rechtsmittel eine Verfassungsbeschwerde darstellt.

Bis heute kann jedoch niemand den Verfassungsgerichtshof mit der Begründung anrufen, durch die öffentliche Gewalt des Landes – also durch das Handeln oder Unterlassen einer Behörde des Landes, durch eine gerichtliche Entscheidung oder unmittelbar oder mittelbar durch ein Gesetz – in einem seiner in der Landesverfassung festgeschriebenen Grundrechte verletzt zu sein.

Ein wirkungsvoller Individualrechtsschutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die öffentliche Gewalt des Landes ist somit nicht gegeben. Das wollen wir mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof ändern.

Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen gewährt den Menschen in unserem Land eine Vielzahl von Grundrechten.

Zum einen sind das die über Art. 4 Abs. 1 der Verfassung inkorporierten Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte des Grundgesetzes.

Zum anderen ist das aber auch der eigene Grundrechtskatalog in der Landesverfassung. Beispielhaft nenne ich das Mitwirkungsrecht der Kirchen an der Familienpflege und Jugendfürsorge in Art. 6 Abs. 4, den Subventionsanspruch von Privatschulen in Art. 8 Abs. 4 Satz 3 und Art. 9 Abs. 2 Satz 3, das Mitwirkungsrecht der Erziehungsberechtigten an der Gestaltung des Schulwesens in Art. 10 Abs. 2 und das Recht auf universitäre Selbstverwaltung in Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung.

Bislang fehlt es an einem prozessualen Spiegelbild für diese Grundrechte. Der Bedarf ist gerade dort am größten, wo die Landesverfassung grundrechtliche Gewährleistungen enthält, die über diejenigen des Grundgesetzes hinausgehen. Angesichts einer uneinheitlichen Rechtsprechung ist bislang jedoch unklar, in welcher Weise der Weg zu den Gerichten eröffnet ist.

Die Einführung einer Verfassungsbeschwerde aktiviert die grundrechtliche Substanz der Landesverfassung. Sie steigert ihre praktische Relevanz und rückt sie stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung. Sie ist deshalb auch ein Instrument zur Teilhabe der Bürger am Staat.

Der Verfassungsgerichtshof, der bislang ein Staatsgerichtshof ist und sich in der Praxis im Wesentlichen mit Normenkontrollverfahren, Organstreitigkeiten und Kommunalverfassungsbeschwerden beschäftigt, wird zu einem Bürgergericht, das den einzelnen Bürgern, also den Menschen in unserem Land, zur Wahrung ihrer Rechte verhilft.

Der Gesetzentwurf von CDU und FDP enthält in den §§ 53 ff. des Verfassungsgerichtshofgesetzes diverse Vorschriften zur Einführung und verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Individualverfassungsbeschwerde.

Eine einzelne Vorschrift möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben, nämlich § 53 Abs. 2, der den Anwendungsbereich der Verfassungsbeschwerde so einschränkt, dass eine ausufernde Inanspruchnahme verhindert wird. Der Weg zur Verfassungsbeschwerde ist dann verwehrt, wenn Landesbehörden Bundesrecht ausführen, wenn Landesgerichte Bundesrecht anwenden und wenn der Beschwerdeführer eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht tatsächlich eingelegt hat.

Neben der Einführung der Individualbeschwerde beantragen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs beim Verfassungsgerichtshof sowie die Anpassung der Aufwandsentschädigungen für dessen Mitglieder.

Verabredet ist, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Hauptausschuss zu überweisen. Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen und danke für Ihre Aufmerksamkeit. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Geerlings. – Nun erteile ich für die FDP Herrn Kollegen Mangen das Wort.

Christian Mangen (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um einen solchen, der schlicht und ergreifend eine Gerechtigkeitslücke schließt. Denn unsere Forderung zur Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde ist ja nicht neu. Bereits in der letzten Legislaturperiode hatten alle Fraktionen eines gemein, und zwar, dass die Idee einer Individualverfassungsbeschwerde auf Landesebene grundsätzlich richtig sei.

Die NRW-Koalition aus CDU und FDP verfolgt das Ziel, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Hierzu stellt die Einführung einer solchen Verfassungsbeschwerde einen maßgeblichen Beitrag dar. Denn nur so ist es möglich, eine Verletzung ihrer in der Landesverfassung erteilten Rechte vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Die Individualverfassungsbeschwerde garantiert den Bürgerinnen und Bürgern einen wirkungsvollen Individualrechtsschutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die öffentliche Gewalt des Landes.

Mehr als die Hälfte aller Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland hat eine solche Möglichkeit bereits. Nur den Bürgern aus NRW, dem bevölkerungsreichsten Land, bleibt dies bislang verwehrt. Genau das gilt es zu ändern, was wir auch durch den vorliegenden Gesetzentwurf tun wollen.

(Beifall von der FDP)

Der Bedarf einer Individualverfassungsbeschwerde ist gerade dort am größten, wo unsere Landesverfassung grundrechtliche Gewährleistungen enthält, die über diejenigen des Grundgesetzes hinausgehen. Das wurde bereits angemerkt. Dazu gehören beispielsweise das Mitwirkungsrecht der Kirche an der Familienpflege und Jugendfürsorge, das Recht auf universitäre Selbstverwaltung oder auch das Mitwirkungsrecht der Erziehungsberechtigten an der Gestaltung des Schulwesens.

Zur vollen Geltung und Durchsetzung dieser Landesgrundrechte bedarf es daher zwingend des Rechtsbehelfs zum Landesverfassungsgericht. Mit der Einführung der Individualverfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen wird diese Rechtsschutzlücke endlich geschlossen.

Zudem ist festzustellen, dass die Landesverfassungsgerichte der Länder aufgrund der gegebenen örtlichen und sachlichen Nähe besser mit den Verhältnissen im Land vertraut sind, als das Bundesverfassungsgericht das je sein kann.

Ebenso stellt sich die Frage, wieso bislang nur Landesorgane oder Kommunen vor dem Landesverfassungsgericht klagen konnten. Warum durften das bislang die Bürger nicht? Der Bürger kann schließlich ebenso betroffen sein. Für ihn hat es möglicherweise sogar noch sehr viel verheerendere Auswirkungen, da hierbei im Gegensatz zu den Kommunen der private Kernbereich der Lebensgestaltung berührt sein kann.

Fortan muss es daher jedem einzelnen Bürger möglich sein, den Verfassungsgerichtshof mit der Behauptung anrufen zu können, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein.

Von einem besonderen Annahmeverfahren, wie es beim Gang zum Bundesverfassungsgericht vorgesehen ist, wird daher auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger abgesehen, sodass die Verfahrensgestaltung möglichst transparent ist.

Dies führt gleichzeitig zu einer weiteren Stärkung des Vertrauens in den Rechtsstaat, was ein wesentliches Ziel der NRW-Koalition aus CDU und FDP ist.

Die von der Gegenmeinung vertretene Ansicht, es könne durch die Einführung einer solchen Klageart zu einer Überflutung der Landesverfassungsgerichte kommen, ist nicht zu befürchten. Denn verfahrensrechtliche Sonderregelungen stellen sicher, dass der Verfassungsgerichtshof ungeachtet seiner beschränkten personellen Ressourcen die Verfassungsbeschwerdeverfahren zügig und effektiv bearbeiten kann. Im Übrigen zeigen auch die Erfahrungen aus den anderen Bundesländern, dass es bei der Einführung einer solchen Klageart nicht zu einer Klageflut kommt.

Ferner wird es auch nicht zu einer Überschneidung von Verfahren des Bundesverfassungsgerichts und des Landesverfassungsgerichtshofs kommen, da, wie bereits angemerkt wurde, der Gang zum Landesverfassungsgerichtshof subsidiär ist.

Eine mögliche Alternative existiert nicht. Ohne die Individualverfassungsbeschwerde bleibt Nordrhein-Westfalen weiterhin hinter den Rechtsschutzmöglichkeiten der anderen Länder zurück.

Ich freue mich daher auf die Überweisung an den Ausschuss. – Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP, der CDU und der AfD)

Präsident André Kuper: Als Nächster spricht für die SPD Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges*) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich ausdrücklich den Abschlussworten beider Vorredner anschließen. Auch ich freue mich – und zwar nicht, weil das eine oft gebrauchte Floskel ist, sondern weil das ein wirklich wichtiges Thema ist – auf die Beratungen im Rechtsausschuss und im Hauptausschuss.

Wenn es nicht diese unselige Verknüpfung „Alles hängt mit allem zusammen“ in der letzten Wahlperiode gegeben hätte, hätte es nach den Erklärungen in der Verfassungskommission sicherlich seinerzeit schon eine Mehrheit für die Verankerung dieses – auch nach der Meinung der überwiegenden Mehrheit meiner Fraktion – vernünftigen Instrumentes gegeben.

Deshalb freue ich mich tatsächlich darauf, dass wir an dieser Stelle die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, Rechtsschutzdinge in Anspruch nehmen zu können, die in anderen Bundesländern schon seit geraumer Zeit erprobt sind. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht dann nicht die absolute Erklärung, dass man das für gut hält.

Es gibt einen Grund, der völlig unbestritten und in der Verfassungskommission häufig angesprochen worden ist, aber das ist eher ein symbolischer. Das kann man auch mit der Art von Individualverfassungsbeschwerde sicherlich sehr gut darstellen, nämlich: die Eigenstaatlichkeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Darauf ist von mehreren Sachverständigen hingewiesen worden, aber die Bürgerinnen und Bürger haben zunächst einmal nicht so schrecklich viel davon. Als überzeugter Föderalist meine ich aber, dass das auch ein wichtiger Aspekt ist, den man nicht ganz weit nach hinten stellen darf.

Beim Studium der Tagespresse habe ich mich heute Morgen – wir entscheiden Gott sei Dank heute nicht abschließend – ein wenig über die von Herrn Staatssekretär Wedel angesprochenen Beispielfälle gewundert. Denn die Frage, was das für die Menschen in Nordrhein Westfalen bringt, hängt ja wesentlich davon ab, welche Materien wir einer Individualverfassungsbeschwerde zugänglich machen.

Da gibt es einen Punkt, der ist absolut unstreitig. Es gibt in der Landesverfassung Grundrechte und Verfassungsregeln – das sind die sogenannten überschießenden Grundrechte –, die über das hinausgehen, was im Grundgesetz verankert ist. Bislang gab es keine Möglichkeit, an der Stelle tätig zu werden. Nur – das hat der Dr. Geerlings relativ gut dargestellt –muss man schon lange überlegen, um sich Verfahren vorzustellen, die dann anfallen könnten, wenn man sich genau anschaut, um welche Rechte es sich an der Stelle im Einzelnen handelt.  

Insoweit erlaube ich mir den Hinweis darauf, dass es sinnvoll ist, auch über andere Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger nachzudenken, den Verfassungsgerichtshof unseres Landes anzurufen. Deshalb bin ich sehr erwartungsfreudig bezogen auf die weiteren Beratungen im Rechtsausschuss.

Ich würde nämlich gerne die eine oder andere Fachkraft aus der Juristerei fragen, wie das denn zum Beispiel mit den von Herrn Dr. Wedel angesprochenen Punkten aussieht. Wären die – ich zitiere das jetzt nicht, was in der „Rheinischen Post“ stand – tatsächlich im Augenblick einer Individualverfassungsbeschwerde zugänglich? Wären die nicht durch den § 53 des Verfassungsgerichtshofgesetzes eher nicht vor einem Verfassungsgerichtshof als Individualverfassungsbeschwerde geltend zu machen? Ich glaube, das ist eine ganz interessante Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Mein Zweifel, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat einen leichten Anlass. Wir sind ja in Nordrhein-Westfalen Gott sei Dank schon vor Jahren dazu übergegangen, immer sehr deutlich zu schreiben, was eine Initiative denn kostet. Wenn ich mir dann vorstelle, was dann an maßgeblichen zusätzlichen Kosten auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zukommt: Wir haben das damals in der Verfassungskommission in dem durchgeführten Symposion einmal hochgerechnet und sind auf erhebliche Beträge gekommen, die sich an zusätzlichem Aufwand ergeben würden, um die Qualität unseres Verfassungsgerichtshof – die hervorragend ist – auch bei einem erhöhten Fallaufkommen weiter zu garantieren. Diese Beträge, die da gemutmaßt worden sind, waren beträchtlich. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn dann von einem Mehraufwand in Höhe von 30.000 € die Rede ist, dann muss man meines Erachtens relativ genau untersuchen, inwieweit an der Stelle tatsächlich beabsichtigt ist, viele Bürgerinnen und Bürger in eine Möglichkeit zu versetzen, auch individuell den Verfassungsgerichtshof des Landes anzurufen.

Wenn das tatsächlich die gemeinsame Absicht ist, dann, glaube ich, finden wir einen Weg. Ich denke, dann muss man auch – denn, alles was die Qualität des Verfassungsgerichtshofs betrifft, ist von uns hoch zu achten – die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Ich hoffe, dass es dann eben mehr ist als reine Symbolpolitik, denn die Qualität von zusätzlichen rechtlichen Möglichkeiten richtet sich nach meiner Auffassung wesentlich danach, was die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich an Rechtsschutzmitteln dazugewinnen.

Ich schließe an dieser Stelle auch wieder mit der Einführung: Insoweit freue ich mich tatsächlich auf die Beratungen. Ich hoffe, dass wir die Unklarheiten an der Stelle auch noch beseitigt bekommen. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die grüne Fraktion spricht nun die Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP als Antragsteller. Wir müssten heute nicht über diesen Gesetzentwurf reden, wenn man seitens der CDU und der FDP in der letzten Legislaturperiode etwas kompromissbereiter bei der Reform der Verfassung gewesen wäre. In der Verfassungskommission haben Sie sich wenig nachgiebig gezeigt, hier zu einem Kompromiss zu kommen.

Worum ging es damals? Wir – Grüne und SPD, Hans-Willi Körfges war da noch näher dran – zeigten uns bereit, hier bei dieser Initiative, die schon damals auf dem Tisch lag, mitzugehen. Aber im Gegenzug konnten CDU und FDP unserem Anliegen nicht folgen, da ging es ums Wahlalter 16 Jahre. Aber wenn es der FDP hier so sehr um Bürgerrechte geht: Auch die Einführung eines Wahlalter 16 Jahre hat etwas mit Bürgerrechten zu tun. Daher ist dieser Korb damals nicht zustande gekommen. Den Gesetzentwurf dann direkt nach Scheitern dieser Gespräche in der letzten Legislaturperiode einzubringen, war in der Sache nicht hilfreich.

Jetzt ist nachgebessert worden. Wir haben eine neue Legislaturperiode, und wir sollten hier unvoreingenommen an dieses Gesetzgebungsverfahren herangehen. Das wollen wir auch tun.

Worum geht es in der Sache? – Es geht um Grundrechtsgewährung, es geht um Verbesserung von Rechtsschutzmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern. Dieses Ziel ist selbstverständlich auch für meine Fraktion unterstützenswert.

Aber es muss eben auch die Frage beantwortet werden, die sich im Gesetzgebungsverfahren sicher auch stellen wird:

Wo ist die substanzielle Rechtsschutzlücke? Wo ist im umgekehrten Fall der Mehrwert? Wo sind die Lücken, die mit diesem individuellen Zugang zum Verfassungsgerichtshof geschlossen werden? Ja – das ist auch ausgeführt worden –, sie sind da, wo grundrechtliche Gewährleistung in der Landesverfassung über das Grundgesetz hinausgeht; das sind die sogenannten überschießenden Grundrechte. Denn mit Art. 4 Abs. 1 unserer Landesverfassung sind sämtliche Grundrechte des Grundgesetzes ja schon unmittelbares Landesrecht. Also steht jedem Bürger, jeder Bürgerin der Gang nach Karlsruhe offen, und hier wird doch ein Großteil der Grundrechte bzw. der Schutzmöglichkeiten abgedeckt.

Anders als im früheren Gesetzgebungsverfahren der FDP sind nunmehr in den Gesetzesbegründungen tatsächlich auch einige Beispiele aufgeführt. Es sind wenige, aber hier wird konkretisiert, wo tatsächlich die Lücke ist, wie sie die überschießenden Grundrechte darstellen, die dann den materiellen Rechtsschutzmehrwert bilden.

Mein Fazit an dieser Stelle, wenn wir uns fragen, was hier der rechtsstaatliche Profit ist, wenn wir an die Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof herangehen:

Erstens sind es aus meiner Sicht Bürgerinnen und Bürger, die profitieren könnten, wenn hier grundrechtliche Gewährleistungen aus der Landesverfassung über die grundrechtliche Gewährleistung aus dem Grundgesetz heraus tatsächlich einen materiellen Mehrwert bieten. Dies wäre ein Profit, den es auch zu unterstützen gilt. Ich stimme dem Kollegen Körfges zu: Das wird und muss Thema in der Anhörung sein, denn das ist die wesentliche Frage.

Der zweite Profit, der sich ergeben könnte – je nachdem, wie man es gestaltet –, wäre, dass die Wege zum Verfassungsurteil kürzer und niedrigschwelliger werden. Auch das könnte ein rechtsstaatlicher Gewinn sein.

Drittens könnten identitätsstiftende Effekte zur Landesverfassung und zu unserer Landesverfassungsjustiz entstehen, und auch das fänden wir positiv, wenn es so kommen würde.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Dann wäre da noch die Frage der Kosten, insbesondere ob und wie viel mehr Personal denn nun gebraucht wird. Denn das gehört zur Ehrlichkeit dazu: Wenn man diese Rechtsschutzmöglichkeiten erweitern will, muss es auch einen Apparat geben, der das dann effizient und qualitativ gut abarbeiten kann. Wenn auch das klar ist – sehr viel deutlicher, als es jetzt im Gesetzentwurf dargestellt wird – und dieser Mehrbedarf dann finanziert wird, dann kann auch meine Fraktion wohlwollend in dieses Gesetzgebungsverfahren gehen.

Auch ich freue mich auf alle weiteren Anhörungen, in denen diese Dinge vertieft werden können. Am Ende, wenn diese Fragen geklärt sind, können wir uns vorstellen, dem Gesetzentwurf dann auch beizutreten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD hat der Abgeordnete Kollege Röckemann das Wort.

 

Thomas Röckemann (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorredner und Vorrednerinnen haben lang und breit und auch völlig richtig erläutert, worum es hier geht. Es geht darum, die von Ihnen, Herr Körfges, genannten überschießenden Grundrechte auch wirksam werden zu lassen, indem man dafür eine Klageart anbietet, die Verfassungsbeschwerde. Bisher waren diese Rechte in NRW – ehrlich gesagt – nur für die Galerie. Man konnte sich als Bürger schlichtweg nicht daran bedienen. Diese Rechtslücke wird jetzt geschlossen.

Da stehen wir voll dahinter, das finden wir sinnvoll. Herr Dr. Geerlings und Herr Mangen haben auch einmal etwas weiter ausgeführt, was damit zusammenhängt, auch an finanziellen Aspekten – alles richtig. Insofern ist das unterstützenswert.

Mit Blick auf Rechtsschutzlücken, die damit geschlossen werden, möchte ich noch kurz anfügen, dass eine weitere Rechtsschutzlücke noch ihrer Schließung bedarf. Wenn, wie heute Morgen, eine Rüge erteilt wird wegen Kritik an der Willkür des Präsidiums, diese Rüge selber aber nicht rechtsschutzfähig ist, dann, denke ich, ist das ein Mangel, den man auch noch angehen könnte.

Insofern freue ich mich auf die Debatte darüber bei anderer Gelegenheit.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion über die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof wird in Nordrhein-Westfalen nun schon längere Zeit geführt. Die Diskussion ist richtig, und in elf von 16 Ländern – darunter auch solche mit ganz unterschiedlichen politischen Farbanstrichen – ist die Beschwerdemöglichkeit bereits Rechtswirklichkeit. Wo sie eingeführt ist, garantiert sie den Bürgerinnen und Bürgern auch einen wirkungsvollen Individualrechtsschutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die öffentliche Gewalt.

In Nordrhein-Westfalen besteht eine solche Rechtsschutzmöglichkeit bislang nicht. Die Landesverfassung gewährt zwar durchaus einen sehr weitgehenden Grundrechtsschutz; ein verfahrensrechtliches Pendant zu dieser materiellen Grundrechtsgewährleistung existiert aber noch nicht. Vor diesem Hintergrund sind CDU und FDP im Einvernehmen mit der Landesregierung übereingekommen, die Individualverfassungsbeschwerde nunmehr auch in Nordrhein-Westfalen einzuführen.

Nordrhein-Westfalen wird damit wohl 70 Jahre nach der ersten Debatte im Landtag an einer Entwicklung teilnehmen, wonach die Verfassungsbeschwerde auf Landesebene zunehmend als wesentlicher Bestandteil eines effektiven Grundrechtschutzes angesehen wird. Nach dem eingebrachten Gesetzentwurf erhält künftig jeder die Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof mit der Behauptung anzurufen, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt worden zu sein.

Ein Filter zur Konzentration auf relevante Fälle stellt aber sicher, dass der Verfassungsgerichtshof ungeachtet seiner beschränkten persönlichen Ressourcen die zusätzlichen Verfahren zügig und effektiv bearbeiten kann. Von einem besonderen Annahmeverfahren nach dem Vorbild des Bundesverfassungsgerichts wird im Interesse einer möglichst einfachen und aus Bürgersicht verständlichen Verfahrensgestaltung abgesehen. Um aber zu vermeiden, dass es zu Parallelverfahren in derselben Sache vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht kommt, wird die Landesverfassungsbeschwerde als subsidiär gegenüber einer tatsächlich eingelegten Verfassungsbeschwerde ausgestaltet.

Mit dem Gesetzentwurf wird zugleich für alle Verfahrensarten der elektronische Rechtsverkehr beim Verfassungsgerichtshof eröffnet und die Entschädigung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes angepasst.

Die Eröffnung des elektronischen Zugangswegs entspricht dem digitalen Fortschritt und erhöht auch die Anwenderfreundlichkeit des Verfahrens deutlich. Sie kommt dadurch namentlich auch den Bürgerinnen und Bürgern in Verfahren der Individualverfassungsbeschwerde zugute.

Die Anpassung der Entschädigung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ist aus zwei Gründen geboten: Zum einen deshalb, weil die Entschädigung seit dem Jahre 1970 praktisch unverändert geblieben ist. Zum anderen soll selbstverständlich auch der mit der Einführung der Individualverfassungsbeschwer-de zu erwartende erhöhte Arbeitsanfall angemessen gewürdigt werden.

Dem weiteren Beratungsverlauf sehe ich mit Interesse und auch mit Vorfreude entgegen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/2122 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Hauptausschuss. Wenn Sie dieser Beschlussempfehlung folgen wollen, bitte ich um Ihr Handzeichen. – Die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das ist ein einstimmiger Beschluss. Die Überweisungsempfehlung ist damit angenommen.

Ich rufe auf:

7   Multiresistente Keime in nordrhein-westfälischen Gewässern bekämpfen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2147

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der Grünen hat Frau Steffens das Wort.

Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab: Heute ist Weltwassertag. Ich glaube, es kann keinen passenderen Tag geben, um einen solchen Antrag zu beraten. Andererseits, Frau Ministerin, finde ich es natürlich schade, dass wir den Antrag überhaupt stellen mussten und ihn heute hier beraten müssen, weil ich denke, dass wir in der letzten Ausschussdiskussion sehr wohl einen Weg hätten finden können, wie in Nordrhein-Westfalen die Verantwortung für das, was wir an neuer Faktenlage und an Problemen haben, hätte übernommen werden können. Aber die Haltung des Ministeriums, wir fangen damit 2019 an, ist eine, die wir für die Menschen in diesem Land nicht hinnehmen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Worum geht es? Es geht darum, dass im Februar 2018 eine Recherche vom NDR für Panorama öffentlich gemacht wurde. Im Rahmen dieser Recherche haben die Redakteure an zwölf Stellen Wasserproben bei unterschiedlichen Gewässern entnommen. Diese Wasserproben haben sie auf die sogenannten multiresistenten Erreger untersuchen lassen, und zwar von Wissenschaftlern der Uni Dresden. Heraus kam, dass in allen zwölf Proben multiresistente Erreger nachgewiesen wurden.

Von dieser Dimension des Ergebnisses der Untersuchung sind die Experten überrascht, verwundert und entsetzt gewesen, weil bisher keinem diese Dimension bewusst war. Es hatte auch keiner damit gerechnet. Deswegen gibt es auch kein Nach-hinten-Sehen. Es ist nicht versäumt worden, diese Untersuchungen schon in diesem Jahr zu machen, sondern es ist eine neue Faktenlage.

Klar ist: Wir haben in der Vergangenheit eine Strategie gehabt, die auch weiter fortgesetzt wird, dass der Verbrauch von Antibiotika minimiert werden muss, und zwar sowohl in der Humanmedizin wie auch im Veterinärbereich. Wir wissen auch, dass schon viel stattgefunden hat und viel reduziert worden ist. In der Tiermast ist der Einsatz von Antibiotika verringert worden. Trotzdem sind auch im Jahre 2016 von deutschen Tierärzten noch fast 69 Tonnen Colistin – das ist das sogenannte Reserveantibiotikum, das als eines der letzten greifen kann – verordnet worden. Wir sind also noch nicht am Ziel und müssen weiter versuchen, mit dieser Antibiotikastrategie eine Minimierung zu erreichen.

Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass wir weiterhin eine Minimierung der Einleitung von Antibiotika und von Resistenten, die dann in unseren Gewässern entstehen, erreichen. Klar ist nämlich, dass es immer effektiver ist, etwas nicht in die Gewässer einzuleiten, als es hinterher herauszuholen. Aber das alleine reicht nicht, denn wir wissen spätestens seit diesem NDR-Bericht, dass unsere Gewässer einfach voll von diesen multiresistenten Erregern sind. Auch wenn wir nicht wissen, wie wir sie herausbekommen, ist es trotzdem wichtig, von dem Zustand der Gewässer Kenntnis zu haben.

Für einen fitten und gesunden Menschen geht davon zwar keine Gefahr aus, aber für Menschen die einen immunkomprimierten Zustand haben, für Menschen, die offene Wunden haben, für Menschen, die ein hohes gesundheitliches Risiko aufweisen, ist das eine Gefährdung. Es gibt aber eine noch sehr viel subtilere Gefahr, nämlich die, dass die darin enthaltenen ESBL oder die multiresistenten gramnegativen Erreger aus den Gewässern in Kliniken, Praxen und Pflegeheimen eingeschleppt werden können. Es ist also klar: Wir brauchen an der Stelle auch für die Menschen den klaren Hinweis, welche Gewässer wie hoch belastet sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen meine ich, dass es nicht reicht, bis 2019 abzuwarten und dann eine Sonderuntersuchung von Gewässern mit Entnahmen von Proben durchzuführen. Denn schon 2018 werden die Menschen in Nordrhein-Westfalen baden, auch wenn man sich das heute bei den Temperaturen noch nicht vorstellen kann.

(Zuruf von der AfD: Aber nicht mit offenen Wunden!)

Die Menschen werden dann diese multiresistenten Erreger aus den Gewässern mitnehmen und weitertragen können. Deswegen erwarten wir, dass die Landesregierung ab sofort und schnellstmöglich Untersuchungen durchführen lässt, auch wenn es heute noch keine einheitlichen bundesweiten Verfahren gibt, worauf man sich verständigt hat. Wir haben In Nordrhein-Westfalen genug Experten. Mit denen kann man eine solche Vereinheitlichung beraten. Man kann die Messungen durchführen, die Ergebnisse im Internet transparent machen und Warnhinweise geben.

Schauen wir uns aber auch an, was in anderen Bundesländern passiert. Bayern hat dazu eine Studie, Frankfurt hat schon 2017 eine Testung der Gewässer durchgeführt,

(Zuruf von der AfD: Ist Frankfurt ein Bundesland?)

die so weit führt, dass Frankfurt sogar sagt: Bei dieser Bekeimung der Gewässer warnen sie davor, Obst- und Gemüsepflanzen damit zu bewässern. Auch Martin Exner von der Uni Bonn hat gesagt, es gäbe ähnliche Ergebnisse für NRW, für Baden-Württemberg und für Niedersachsen. Unsere nordrhein-westfälische Bevölkerung hat es verdient, davon zu wissen, welche Gefährdung von unseren Gewässern ausgeht. Das erwarte ich von einem Ministerium. Ich erwarte nicht, dass es die Gewässer keimfrei macht, weil das keine Ministerin kann, egal wer. Aber zu wissen, wie die Faktenlage ist, darauf haben die Menschen ein Recht. Das hat die Ministerin meines Erachtens umzusetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Steffens. – Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Nolten das Wort.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Multiresistente Keime im Wasser – nicht schön, manchmal auch gefährlich, unter Umständen auch tödlich, aber trotzdem nicht zur Dramatisierung geeignet.

Seit vor 90 Jahren Alexander Fleming das Penicillin entdeckte, sind wir im Wettstreit mit der Natur. Keime mutieren. Eine Resistenzbildung gegen Antibiotika ist nur eine Frage der Zeit. Entsprechend ist eine Verbreitung von Resistenzen nicht aufzuhalten. Sie werden auch aus der Umwelt auf den Menschen übertragen. Keime sind überall: im Boden, im biotischen Bereich, in uns allen – eben auch im Wasser. Auch im abwasserunbeeinflussten Gewässer sind multiresistente Keime. Sie vollständig zu entfernen ist unmöglich.

Wo ist nun das Risiko der Ansteckung und der Erkrankung am größten? Im Badesee? – Wohl kaum. Stark immungeschwächte Menschen, Patienten mit offenen Wunden bekommen den ärztlichen Rat, Menschenansammlungen zu meiden.

Vielmehr ist Hygiene im Krankenhaus geboten. Die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie setzt hier an. Das Infektionsschutzgesetz wurde geändert, die Meldepflichtverordnung für gefährliche Erreger verschärft. Qualitätsberichte umfassen heute auch Hygienestandards. Krankenhäuser und Altenheime gehören in den Fokus, auch aus Gründen der Mitteleffizienz.

Zurück zum Wasser. Eine akute Gefährdung des Trinkwassers besteht nicht. Das sogenannte Mul-tibarrierensystem beginnt mit den Wasserschutzgebieten und den Schutzzonen. In ihnen sind bestimmte Aktivitäten wie auch die landwirtschaftliche Nutztierhaltung eingeschränkt oder gar verboten. Im Wasserwerk wird per Flockungs- und Filtrationsverfahren Rohwasser gereinigt und gechlort, sobald coliforme Keime nachgewiesen werden, ob jetzt multiresistent oder nicht.

Wie sehen Ihre konkreten Vorschläge zu weiteren Untersuchungen bzw. zu einer Ausdehnung der regelmäßigen Überwachung aus? – Dazu sagt Ihr Antrag nichts.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Müssen wir das auch noch machen?)

– Sie haben doch auf die Studien verwiesen, hätten sie ja auch einfach heranziehen können.

Bei der im Jahr 2016 geänderten Badegewässerverordnung lauten die relevanten Parameter gemäß Anlage 1: intestinale Enterokokken und Escherichia coli mit den entsprechenden KBE-Anzahlen je nach Gewässerqualität. – Was soll jetzt konkret Bestandteil der regulären Überwachung werden? Wie werden die Qualitätsstufen definiert?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das fordern wir doch gar nicht!)

Mit welchen Referenzanalysemethoden wird gemessen? – Das bleibt im Nebulösen.

Die Forderung nach der sogenannten vierten Reinigungsstufe erfolgt bei Ihnen nur auf der Basis einer allgemeinen Besorgnis. Positive Effekte auf die Gewässerökologie sind hier bislang nicht breit wissenschaftlich abgesichert. Es laufen mehrere Pilotanlagen mit der Aktivkohleabsorption oder der Ozonung. Biologische Varianten sind zurzeit nicht praxisreif.

Alle Verfahren zielen zuvorderst auf die Reinigung von zum Beispiel Arzneistoffen und Mikroplastik. Allgemein steht eine Strategie der stufenweisen Nachrüstung der großen Kläranlagen im Raum. Klasse-5 Kläranlagen mit mehr als 100.000 Einwohnerwerten machen in NRW 60 % der Anlagen aus. Nur für diese Kategorie alleine summieren sich die notwendigen Investitionen auf die vom Umweltbundesamt ermittelten ca. 1,3 Milliarden € der Remmelschen Recheneinheit „eine Tasse Cappuccino im Monat“.

Aber auch die kleinen und kleinsten Anlagen müssen nachgerüstet oder vom Netz genommen werden, sonst ist der Vermeidungsansatz nicht zu Ende gedacht. In Niedersachsen kam die Infektion in einem Falle, den Sie beschrieben haben, aus der Kleinkläranlage eines Altenheims.

Erste Studien legen zudem die Vermutung nahe, dass eine vierte Reinigungsstufe zur Entfernung von multiresistenten Keimen nicht geeignet ist. Verfahren zur alleinigen Desinfektion von Abwasser wiederum sind zur Mikroschadstoffelimination nur bedingt tauglich.

So denken wir schon über die fünfte oder sechste Reinigungsstufe nach. Angesichts der immensen Aufwendungen im Abwasserbereich müssen die wissenschaftlichen Begleitstudien zu Pilotanlagen mit Aussagen zur technischen Machbarkeit und zu den finanziellen Auswirkungen abgewartet werden. Schon heute zahlen die Menschen im ländlichen Raum 5, 6 oder 7 € pro cbm Abwasser.

Aber wir können und müssen alles tun, um die Geschwindigkeit der Resistenzbildung und Verbreitung zu verringern. Der Selektionsdruck aufgrund des Antibiotikaverbrauchs ist nicht zu leugnen. Daher: „Ja“ zu einer stärkeren Überprüfung der Strategien beim Antibiotikaeinsatz. „Ja“ für umweltgerechte Entsorgungswege für Medikamente. „Ja“ für eine besseres Screening in Krankenhäusern. „Ja“ zur Vorbehandlung von Abwässern aus Industrie und Gesundheitseinrichtungen. Aber ein entschiedenes Nein zu Ihren diffusen, sehr kostenträchtigen Forderungen ins blaue Wasser hinein.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Nolten. – Für die SPD spricht nun Herr Abgeordneter Börner.

Frank Börner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Antibiotika werden immer mehr inflationär verabreicht, in der Humanmedizin, in der Tierzucht. Wir erleben, dass selbst Reserveantibiotika ihre Wirkung verlieren. Die multiresistenten Keime scheinen den Kampf mit der Pharmaindustrie und ihren Produkten so langsam zu gewinnen.

Bisher ist dieses Thema insbesondere bekannt in Krankenhäusern. Mehrere Zehntausend Menschen kommen kränker aus dem Krankenhaus wieder heraus, als sie hereingegangen sind, oder vielleicht auch gar nicht mehr.

Der Einsatz in der Humanmedizin führt zu kaum noch beherrschbaren Gesundheitsrisiken, und das eben nicht nur im Krankenhaus. Die Massentierhaltung, so wie wir heute unsere Nahrungsmittel produzieren, kann offensichtlich nur noch durch den großflächigen Einsatz von Antibiotika bestehen.

Wir müssen wissenschaftlich klären, wo und wie diese multiresistenten Keime entstehen, in der Tierhaltung, in der Humanmedizin. Wie gelangen diese Keime ins Gewässer? – In der Landwirtschaft durch Überdüngung der Felder mit Gülle, in der Humanmedizin überstehen sie unsere Kläranlagen. Macht es vielleicht Sinn, diese sogenannte vierte Reinigungsstufe an Krankenhäusern zu etablieren?

Wir müssen an diese Themen herangehen. Kurzfristig müssen wir unsere Oberflächengewässer auf multiresistente Keime überprüfen, um eine Gefährdung zum Beispiel für Badegäste auszuschließen.

Wir müssen für die Zukunft verhindern, dass diese Keime ins Trinkwasser gelangen, und natürlich müssen wir auch dafür sorgen, dass die Medizin in der Lage bleibt, mit diesen Keimen fertigzuwerden. Ich freue mich auf eine Diskussion im Ausschuss – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Börner. – Für die FDP hat nun der Abgeordnete Diekhoff das Wort.

Markus Diekhoff*) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Multiresistente Keime sind ein ernstes Problem, das im Prinzip auch niemand ignoriert. Die Landesregierung wird schon in wenigen Monaten umfassende Untersuchungen an den Gewässern vornehmen. Sie fordern: unverzüglich. Was ist denn unverzüglich?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Nach der Badesaison, das ist zu spät!)

Es gibt einen Sachstandsbericht zur Situation der Gewässer in NRW bezüglich resistenter Bakterien, der stammt von 2016. Darin stand schon, dass bislang nicht untersucht wurde. Damals hatten Sie noch Zeit, etwas zu tun. Das haben Sie anscheinend nicht getan. Wir tun es jetzt.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: 2019, hatten Sie gesagt!)

– Ja, 2019. Wir sind in 2018. Bis Ihr Antrag beschieden ist, sind es noch sechs Monate, bis wir beginnen können. Wollte man jetzt unverzüglich, sofort morgen anfangen, ginge das doch gar nicht. Wir brauchen dafür ein Gerüst; wir benötigen geeignete Kriterien für die Auswahl der Messstellen, sonst erhalten wir kein umfassendes Bild, sondern lediglich Zufallsergebnisse. Deshalb ist „unverzüglich“ nicht möglich.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Was Sie sagen, dient lediglich der grünen Panikmache, löst aber das Problem nicht.

(Beifall von der FDP)

Außerdem ist es ja nicht so, als ob es aktuell keine Untersuchungen gäbe. Man geht natürlich nicht mit offenen Wunden in irgendeinen Badetümpel. Das würde ich niemandem empfehlen. Die Badegewässer in Nordrhein-Westfalen werden von Mai bis September monatlich geprüft, im Bedarfsfall sogar öfter. Dabei wird auch auf multiresistente Keime, nämlich Kolibakterien, geprüft.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Nein heißt nein! Das stimmt doch nicht! Das bleibt doch nicht dasselbe!)

– Doch, das kann man alles nachlesen. – Bei positiven Proben wird das Gewässer gesperrt.

(Zurufe)

– Doch, das stimmt! Wir nehmen die Verantwortung bereits jetzt ernst und schützen die Menschen in Nordrhein-Westfalen auch heute schon vor Keimen. Das wird bestätigt, und das ist auch gut so. Die von Ihnen so gerühmte vierte Reinigungsstufe kann vieles, aber multiresistente Keime kann auch sie nicht herausfiltern. Dazu würde noch eine fünfte Stufe benötigt.

Ihr Antrag ist sehr lang formuliert, springt aber am Ende zu kurz. Die reine Fixierung auf Gewässer wird dem Problem nicht gerecht. Das Umweltministerium erarbeitet derzeit eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung multiresistenter Keime in der Umwelt. Wir sind da schon viel weiter als Ihr Antrag.

(Beifall von der FDP – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist ein frommer Wunsch!)

Ich möchte meine Rede gern mit vier Zitaten beenden, die von einem der Antragsteller stammen, nämlich von Herrn Rüße. Wir haben vor vier Wochen hier im Hause schon einmal zum MRSA-Antrag der AfD diskutiert, und Herr Rüße hat damals richtigerweise – erstens – gesagt:

„Die Themen ‚Antibiotika‘ und ‚MRSA-Keime‘ sind wichtig, aber das wird von der Politik hier in Nordrhein-Westfalen längst thematisiert.“

Er hat zweitens gesagt:

„Wir haben das Thema auch mit Frau Schulze Föcking hin und her diskutiert. Wir haben gemeinsam die Problematik der Antibiotika in der Tierhaltung diskutiert. Wir haben Studien zu Antibiotika in der Tierhaltung, bei denen wir festgestellt haben, dass durchaus eine Menge eingesetzt wird. Wir haben uns dann gemeinsam auf den Weg gemacht und auch schon eine Reduzierung erreicht.“

Herr Rüße hat drittens gesagt:

„Der Prozess läuft. Das Bewusstsein, dass mit Antibiotika vorsichtig umzugehen ist, ist vorhanden.“

Und er sprach viertens:

„Wozu braucht es dann noch Ihren Antrag? Wir sind längst auf einem guten Weg.“

Genauso stellt es sich auch heute dar, da haben Sie völlig recht. Das gilt nicht nur für den damaligen Antrag der AfD, sondern auch für Ihren Antrag von heute. Wir sind auf einem guten Weg, und ich denke, der Antrag ist überflüssig. Sie können mich aber im Ausschuss vielleicht eines Besseren überzeugen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Diekhoff. – Für die AfD spricht Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In einem Punkt muss ich den Grünen tatsächlich recht geben, aber das wird heute auch das letzte Mal sein. Vermerken Sie das vielleicht im Kalender:

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Es wird auf E-.coli getestet, das ist richtig, aber natürlich nicht auf die Resistenzlage, die dahintersteckt. Das ist in der Tat etwas ganz anderes. Ob ein E.coli-Bakterium in einem See vorkommt, oder ob es gegen verschiedene Antibiotika resistent ist, sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, und da wird aktuell noch nicht getestet.

(Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

– Ich führe erst einmal aus.

Also, liebe Grüne, lieber Herr Rüße! Herr Diekhoff hat es gerade bereits ausgeführt: Vor nicht einmal einem Monat standen wir hier, und ich habe in meinem Antrag auf genau diese Probleme hingewiesen, die Sie jetzt aufgreifen. Vor nicht einmal einem Monat haben Sie meinen Antrag – natürlich – abgelehnt. Wir haben die vielen Zitate gehört.

Ihre Begründung war damals sinngemäß: Anträge zu multiresistenten Keimen gäbe es schon zuhauf, die Probleme seien doch alle schon gelöst. Das Schönste: Der Biobauer Rüße sagte, man habe doch die Antibiotikagabe in der Landwirtschaft schon reduziert – alles kein Problem.

Das habe ich in der Woche darauf sofort dem Biobauern erzählt, von dem ich mein Obst und Gemüse beziehe. Er hat gelacht, ich habe gelacht, seine Mitarbeiterin hat gelacht, die multiresistenten Erreger im Grundwasser haben gelacht. Es wäre insgesamt ein urkomischer Tag gewesen, wenn das Ganze nicht so tragisch wäre.

Nun kommen Sie mit einem sehr kleinteiligen, in Teilen schlecht recherchierten, vor Alarmismus und Panikmache nur so strotzenden Antrag um die Ecke, der im Übrigen vor gut einer Woche bereits in leicht geänderter Form von Ihrer Fraktion im Bundestag vorgestellt wurde. Auch dort hat er – ich sage es mal ganz vorsichtig – deftige Kritik abbekommen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ha, ha!)

Wie bereits in meinem Antrag erwähnt, sind multiresistente Keime ein großes Thema, das uns aller Wahrscheinlichkeit nach noch eine ganze Weile – und ich befürchte, noch viel öfter – beschäftigen wird. Bei diesem Antrag jedoch sind nicht die multiresistenten Keime, sondern beratungsresistente Grüne das Problem.

(Beifall von der AfD)

Das möchte ich gerne im Einzelnen noch ein wenig sezieren. Zunächst schreiben Sie von einem Fall in Frankfurt, bei dem ein Mann in einen Bach stürzte, beinahe ertrank und in der Folge auf einer Intensivstation verstarb. Dabei stellen Sie es so dar, als habe sich der Mann bei seinem Sturz in den Fluss mit einem Keim infiziert und sei an den Folgen dieser Infektion dann letztlich verstorben.

Wir erinnern uns daran: Diesem Mann wurde Wasser und Laub aus der Lunge gezogen. Da gab es vielleicht auch noch andere Probleme als ein Keim. Komisch an der Sache ist vor allem, dass dieser Keim, der bei dem Patienten nachgewiesen wurde, überhaupt nicht im Fluss zu finden war.

(Heiterkeit bei der AfD)

Ob also ein Zusammenhang mit dem Keim im Wasser besteht, kann mehr als bezweifelt werden. Ganz davon abgesehen infizierte der Patient im Krankenhaus zwei weitere Patienten. Der weitaus gefährlichere Übertragungsweg ist auch in diesem Fall wiederum die kaputtgesparte Pflege und nicht das Gewässer.

(Beifall von der AfD – Norwich Rüße [GRÜNE]: Stimmt doch gar nicht, was Sie da erzählen!)

Dann schreiben Sie selbst: Inwieweit die Erreger für den Menschen gefährlich seien, wäre noch unklar, fordern aber im gleichen Atemzug, das Trinkwasser auch in einer vierten Stufe von allen Erregern zu reinigen. – Das ist nicht nur unglaublich energieaufwendig, sondern dadurch auch unglaublich teuer. Sie würden unseren ohnehin schon mit dem Rücken zum Abgrund stehenden Kommunen den letzten Stoß geben.

Aber auch das scheint Ihnen für einen kleinen populistischen Moment wieder vollkommen egal zu sein. Lassen Sie uns doch erst einmal vernünftige Datengrundlagen zur Belastung mit Keimen und den daraus resultierenden Gefahren schaffen, bevor Sie hier wieder aus allen Läufen Worthülsen schießen.

Ferner heißt es in dem Antrag:

„Ohne zu wissen, ob und womit die einzelnen Badeseen belastet sind, könnte ein jeder Badeausflug für (…) Menschen mit offenen Wunden oder geschwächtem Immunsystem ein Risiko darstellen.“

Also, an diesem Punkt wird es endgültig haarsträubend. Kranken oder Menschen mit offenen Wunden, für die der Badesee eine Gefahr werden würde, rate ich dringend, im Bett zu bleiben oder zum Arzt zu gehen, aber ganz bestimmt nicht, ins Wasser zu springen –

(Beifall von der AfD)

nicht zuletzt auch deswegen, weil viele offene Wunden gerade mit Bakterien belegt sind, und die wollen wir ja nicht in den Badesee einbringen.

Dann schreiben Sie noch über die bedrohliche Zunahme der Resistenzlage bei dem Reserveantibiotikum Colistin – einem Medikament, das es seit 1959 gibt, und das lange nicht eingesetzt wurde, weil es starke Nebenwirkungen hat und als nicht gerade verträglich gilt. Jetzt benutzt man das Medikament aus den frühen 60er-Jahren im Ernstfall wieder.

Sie merken selbst, wie unglaublich es vor diesem Hintergrund ist, dass Sie im letzten Monat meinen Antrag zur weiteren Erforschung von neuen Medikamenten abgelehnt haben.

(Beifall von der AfD)

Fassen wir also zusammen: Ihr Antrag ist abgekupfert, schlecht recherchiert, Sie greifen viel zu kurz und vor allen Dingen viel zu oft daneben, Sie schüren Ängste und sind sichtlich nicht an einer wirklichen Lösung des Problems interessiert. Wir lehnen Ihren Antrag daher natürlich ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Schulze Föcking.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns einig: Antibiotika gehören zu den unverzichtbaren Medikamenten bei der Behandlung bakterieller Infektionen bei Mensch und Tier. Antibiotikaresistenzen und damit die Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes haben daher für mich – und ich höre heraus, auch für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen – nicht erst seit der aktuellen Berichterstattung hohe Priorität.

Klar ist aber auch: Es gibt eine enge Verbindung zwischen der menschlichen Gesundheit, der Tiergesundheit und der Umwelt. Damit ist ein vorsorgendes sektorübergreifendes Handeln notwendig, der sogenannte One-Health-Ansatz. Oberstes Gebot ist dabei, eine weitere Verbreitung und Selektion antibiotikaresistenter Bakterien bei Mensch, Tier und in der Umwelt zu verhindern. Dies muss primär durch den sachgerechten therapeutischen Einsatz von Antibiotika bei Tier und Mensch erfolgen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich sage dies so deutlich, da sich der Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft von 2011 bis 2016 bundesweit erfreulicherweise bereits um 56,5 % reduziert hat. Im Ergebnis werden Humanarzneimittelwirkstoffe in abwasserbeeinträchtigten Gewässern fast überall vorgefunden, wohingegen Tierarzneimittelwirkstoffe nur unter sehr ungünstigen Bedingungen in die Oberflächengewässer gelangen.

Ein Augenmerk ist dabei darauf zu legen, dass Gewässerbelastungen mit Antibiotika durch punktuelle Einträge aus kommunalen Kläranlagen verursacht werden, in denen Abwässer auch aus Krankenhäusern und Haushalten aufbereitet werden.

Neben Antibiotika können so auch antibiotikaresistente Bakterien in die Umwelt gelangen. Dabei – und das ist wirklich ein Problem – sind nach derzeitigem Kenntnisstand vor allem Abwässer aus Krankenhäusern mit MRSA, mit multiresistenten Bakterien, belastet.

Kollege Laumann hat dies ebenso im Blick. Wir haben die Debatte hier bereits aus Perspektive der Gesundheitsmedizin geführt. Laut Hygieneexperte Professor Exner vom Forschungsverbund HyReKA sind die Erreger aus dem Krankenhausbereich die Hauptverursacher für das Auftreten multiresistenter Keime in Oberflächengewässern.

Die Kläranlagen sind bisher nicht darauf ausgerichtet, multiresistente Bakterien gezielt zu beseitigen. Bei HyReKA wird daher bundesweit untersucht, welche zusätzlichen Verfahren zur Elimination von unerwünschten Bakterien und antibiotikaresistenten Genen geeignet sind.

Liebe Kollegin Steffens, die Ergebnisse des Forschungsverbundes und deren Umsetzbarkeit in die Praxis werden Anfang 2019 vorliegen, und notwendige Maßnahmen für Nordrhein-Westfalen werden auch auf dieser Basis geprüft werden. Aber bereits jetzt fördern wir im aktuellen Förderprogramm „Ressourceneffiziente Abwasserbeseitigung NRW“ den Ausbau kommunaler Kläranlagen zur Hygienisierung mit bis zu 50 % der Investitionskosten.

In Nordrhein-Westfalen liegen – wie in allen anderen Bundesländern auch – derzeit keine systematischen Gewässeruntersuchungen auf multiresistente Bakterien vor. Richtig, Frau Steffens, 2019 plant mein Haus daher auf Basis der HyReKA-Ergebnisse zu den identifizierten Risikobereichen eine systematische Sonderuntersuchung von Gewässern, aber auch bereits in 2018 werden vorlaufende sondierende Analysen von Badegewässern zur vorbereitenden Unterstützung dieser Sonderuntersuchung vorgenommen.

(Zurufe von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die Ergebnisse werden wir selbstverständlich veröffentlichen – gar keine Frage.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Um die Ergebnisse und die Relevanz der Belastungen mit multiresistenten Bakterien bewerten zu können, benötigen wir Beurteilungskriterien. Leider fehlen diese derzeit noch; sie sind daher nun auf Bundesebene oder auch auf europäischer Ebene parallel zu entwickeln. Wir brauchen ein einheitliches Vorgehen. Wann sie jedoch vorliegen, ist derzeit nicht verlässlich abschätzbar.

Ein kurzer Satz zur aktuellen Badegewässer-Debatte. In der Tat sollte man besser nicht mit offenen Wunden in ein Badegewässer steigen. Ja, man kann beim Baden in Gewässern mit den Keimen in Kontakt kommen. Aber um es deutlich zu sagen: Die Gefahr ist bei gesunden Menschen mit einem stabilen, intakten Immunsystem dementsprechend gering.

Außerdem werden die Badegewässer – Kollege Diekhoff sagte es schon in seinem Beitrag – bereits jetzt regelmäßig auf Darmkeime untersucht, und bei einer erhöhten Konzentration dieser Keime, unter denen auch multiresistente Bakterien sein können, werden Badeverbote ausgesprochen.

Ich komme zum Schluss. Eingangs habe ich bereits einiges zum One-Health-Ansatz gesagt. Insbesondere weise ich auf die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART 2020 hin, die für die gesamte Bundesrepublik gilt und mit den Ländern abgestimmt ist. Die DART 2020 bündelt Maßnahmen, die zur Reduzierung von Antibiotikaresistenzen erforderlich sind. Auf dieser Basis sowie auf der Basis der Ergebnisse weiterer derzeit laufender Forschungsvorhaben erarbeitet mein Haus eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung multiresistenter Bakterien in der Umwelt, also nicht nur in Gewässern.

Wir als Landesregierung verfolgen damit einen vorsorgenden sektor- und medienübergreifenden One-Health-Ansatz. Wir nehmen dieses Thema mehr als ernst. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Die Ministerin hat die Redezeit marginal um 37 Sekunden überzogen, sodass theoretisch für all diejenigen, die noch einmal reden möchten, diese Redezeit auf die verbliebene Redezeit aufgeschlagen werden kann. – Es möchte sich aber keiner mehr zu Wort melden. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2147 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisungsempfehlung stimmen? – Nein. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir den Antrag so überwiesen.

Ich rufe auf:

8   Chancen der Digitalisierung erkennen und nutzen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2058

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisierung ist ein Schwerpunkt auf der politischen Agenda der NRW-Koalition. Das ist schon mal mehr, als das in den letzten sieben Jahren der Fall war.

Digitalisierung ist vor allem eine große Herausforderung, weil es keinen Lebensbereich gibt, der nicht davon betroffen ist. Zwei Zahlen zur Einordnung: Gab es in Deutschland 1992 noch 0,95 Millionen Mobilfunkverträge, gibt es mittlerweile bereits 140 Millionen Verträge, und das bei gerade einmal 82 Millionen Einwohnern. Was mit dem Handy anfing und ab 2007 mit der Einführung des iPhones als erstem echten Smartphone eine rasante Entwicklung genommen hat, wächst exponentiell weiter. Im Jahr 2018 gibt es bereits weit über 10 Milliarden vernetzte Dinge.

Als CDU-Landtagsfraktion stellen wir daher drei schlichte, aber tiefgreifende Prognosen auf: Alles, was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert. Alles, was sich automatisieren lässt, wird automatisiert. Alles, was sich vernetzen lässt, wird vernetzt. Diesen Wandel stellen wir gar nicht infrage; diesen Wandel wollen wir hier aktiv gestalten. Mit dem Koalitionsvertrag haben wir die Grundlage geschaffen, und darauf bauen wir auf.

Als CDU-Landtagsfraktion haben wir Anfang dieser Woche ein Positionspapier beschlossen, um, aufbauend auf dem Koalitionsvertrag, weitere Impulse zu senden. Wir stellen dabei den Menschen in den Mittelpunkt. Wie wird der Einzelne in die Lage versetzt, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen und zu nutzen? Wie sichern wir eine breite Teilhabe? Wie begegnen wir den Sorgen des Einzelnen, um die Risiken zu minimieren?

Wie kann auch Verwaltung dazu beitragen, die digitalen Möglichkeiten spürbar zum Mehrwert der Bürgerinnen und Bürger einzusetzen? Wie bilden wir unsere Jüngsten, sodass auch ihnen in der digitalen Welt alle Möglichkeiten offenstehen? Wie gestalten wir das intelligente Energienetz von morgen, um eine echte Energiewende zu ermöglichen?

Welche Daten stellen wir wem und zu welchem Zweck zur Verfügung? Wie sichern wir den Datenfluss, um ihn vor ungewollten Eingriffen zu schützen, und gleichzeitig den gewünschten Datentransfer zu beschleunigen und transparent zu gestalten? Wie definieren wir einen gesellschaftlichen Mehrwert von Big Data insbesondere in der Forschung? Wie qualifizieren wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um auch bei den Jobs der Zukunft mit dabei zu sein?

Kurzum: Wie gestalten wir Digitalisierung, um eine digitale Spaltung zu vermeiden, und die Chancen für jeden erkennbar und spürbar in den Mittelpunkt zu stellen?

Sehr geehrte Damen und Herren, die Vielzahl der Fragestellungen macht deutlich: Die Digitalisierung in unserem Land ist nicht im Handschlag erledigt. Wir sind uns bewusst, dass es viele offene Fragen gibt, wie die großen Herausforderungen bewältigt und wie wir die Chancen nutzbar machen können. Wir sind uns bewusst, dass es aufgrund der technischen Entwicklungsschübe immer wieder neue Fragen gibt, die es zukünftig zu diskutieren gilt.

Als NRW-Koalition machen wir heute den Anfang und stoßen einen breiten parlamentarischen Diskurs an. Das ist ein Zeichen der Stärke und eines klaren Bewusstseins, dass wir diese umfassenden Fragen der digitalen Transformation nicht alleine werden lösen können. Es braucht Mitspieler; es brauchte Willige; es braucht Experten, auch außerhalb des Hohen Hauses.

Wir wollen die Debatte mit der Öffentlichkeit, mit betroffenen Akteuren der Wirtschaft, den Sozialpartnern und der Gesellschaft führen. Wir wollen diesen Diskurs mit einer Auswahl von Themen aufnehmen: einen Diskurs zur digitalen Verwaltung und Datensicherheit, zu Arbeit und Wirtschaft, zur schulischen Bildung, zur Energiepolitik, zu Stadtentwicklung und Mobilität. Wohlwissend, dass diese Auflistung nicht abschließend und erst recht nicht priorisierend ist, werden wir hinsichtlich der NRW-Digitalstrategie auch andere höchst relevante Bereiche wie Hochschulen und das Gesundheitswesen beraten.

Unabhängig vom konkreten Fachbereich müssen wir die Leitfragen der rechtlichen Rahmenbedingungen und der ethischen Maßstäbe mitdiskutieren. Das sind die Fundamente, die auch in der digitalen Welt nicht fehlen dürfen.

Wir erwarten, dass die Landesregierung die Ergebnisse unserer Debatten sehr genau mitverfolgen und in die Erstellung der NRW-Digitalstrategie einfließen lassen wird; denn genau das muss unser Ziel sein: Digitalisierung nicht kleinteilig, sondern interdisziplinär zu denken und die Chancen zu verknüpfen.

Wenn auch Kollege Bolte-Richter in der Debatte gestern an anderer Stelle diesem Haus die Freude verboten hat – zumindest der NRW-Koalition –, möchte ich genau das tun: Ich freue mich auf die anstehende Debatte und auf den gemeinsamen Erkenntnisgewinn. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vier Milliarden Menschen sind etwa sechs Stunden am Tag online. Pro Jahr kaufen 1,8 Milliarden Menschen online und verursachen dabei Ausgaben in Höhe von 1,5 Trillionen US-Dollar. Pro Tag werden 36 Millionen Käufe bei Amazon getätigt und 186 Millionen Instagram-Fotos gepostet. Täglich werden 207 Milliarden E-Mails verschickt, und wir schlagen uns mit 2,3 Milliarden Gigabyte Web-Traffic herum.

Im Alltag diskutieren wir über Handwerker, die wir online bestellen, über Restaurants, bei denen wir online reservieren, oder über Anziehsachen, die wir online shoppen. In Zukunft diskutieren wir – die Debatten gehen heute los – über selbstfahrende Autos, über eHealth, über Start-ups, über Wirtschaft, über Industrie 4.0 und schließlich über künstliche Intelligenz. Die Welt ändert sich rasant in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit. Die Digitalisierung findet in allen Lebensbereichen statt; daher sprechen wir auch von der digitalen Transformation.

Nach unserer Auffassung ist es deshalb wichtig, eine gesellschaftliche Debatte darüber zu führen: nicht über die Ängste, sondern über die Chancen der Digitalisierung. Wenn man Umfragen glauben darf, hat die Bitkom ermittelt, dass die meisten Menschen in Deutschland der Digitalisierung offen und positiv gegenüberstehen.

Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft in der Welt. Wenn es darum geht, den Wohlstand zu erhalten und auszubauen, müssen wir Deutschland in die internationale Top-Liga der Digitalisierung bringen.

Wenn ich mir die Glasfaserausbauquote anschaue, dann stelle ich fest, dass wir da noch ein ganzes Stück aufholen müssen. Japan liegt mit 76 % an der Spitze, Schweden liegt bei 58 %, Tschechien ist mit 18 % noch vor uns, und Deutschland liegt bei 3 %. Deswegen ist es richtig und wichtig, was wir im Koalitionsvertrag verankert haben, nämlich dass wir in die Infrastruktur des Landes investieren, und zwar mit einem Glasfaser-first-Ansatz.

Bei gewissen technischen Entwicklungen spielt Deutschland zurzeit überhaupt keine maßgebliche Rolle, beispielsweise bei der Produktion und Entwicklung von Smartphones. Das müssen wir ändern und Deutschland auch dort wieder an die Spitze bringen. Das geht nach unserer Auffassung bereits an den Schulen los. Deswegen wollen wir über digitale Bildung, über Coding und das Fach Informatik an den Schulen diskutieren und Nordrhein-Westfalen zum digitalen Spitzenland entwickeln.

Natürlich gibt es bei jeder gesellschaftlichen Revolution Veränderungen und Risiken, aber wir werden nicht mehr darüber diskutieren, ob wir die Digitalisierung wollen, sondern nur noch wie. Wir müssen das Ganze unter einem Grundsatz diskutieren, nämlich dass die Digitalisierung den Menschen dienen und das Leben der Menschen vereinfachen muss.

(Beifall von der FDP)

Es ist daher so wichtig, über Rahmenbedingungen zu sprechen. Wir brauchen einen Datenschutz. Das heißt, dass wir nicht über Datenarmut – Daten sind in der Gegenwart und auch in Zukunft wichtig –, sondern über Verschlüsselung und Anonymisierung diskutieren müssen. Wir müssen über Infrastruktur, Glasfaserausbau in Gewerbegebieten und insbesondere an Schulen sprechen.

Wir müssen über die öffentliche Verwaltung sprechen und darüber, wie wir dort als Vorbild vorangehen und zeigen können, wie gut Digitalisierung funktionieren kann. Wir müssen über die Zukunft des Arbeitslebens diskutieren. Vielen Dank an dieser Stelle an die SPD für die Einberufung der Enquetekommission. Ich hoffe, dass aus der Enquetekommission gute Impulse kommen, wie die Zukunft des Arbeitslebens aussehen wird.

Wir werden die Energiefragen diskutieren müssen, wenn wir über dezentrale Energieversorgung sprechen, um in Zukunft unsere Energieherausforderungen meistern zu können. Wir werden über Wirtschaft und Start-ups reden und überlegen, wie wir Nordrhein-Westfalen zu einem neuen Innovationsland entwickeln können.

Smart City, digitale Modellstadt, neue Verkehrskonzepte müssen wir besprechen und diskutieren sowie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen festlegen. Schlussendlich müssen wir über die Herausforderungen der künstlichen Intelligenz diskutieren.

Ich habe versucht, einmal aufzuzeigen, welche Debatte der Gesellschaft bevorsteht. In Teilen befinden wir uns schon mitten in dieser Debatte. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir uns als Parlament an die Speerspitze stellen und diese Debatte offen und ehrlich führen. Aus diesem Grunde haben wir einen Antrag eingebracht, der offen formuliert ist, mit dem wir auch die Opposition einladen, ergebnisoffen eine Debatte darüber zu führen, welche Impulse die Gesellschaft aufnehmen und welche Rahmenbedingungen die Politik setzen muss.

Ich würde mich freuen, wenn wir diese Debatte in einer großen Anhörung führen, Ideen sammeln, die dann schrittweise in eine Digitalstrategie oder in ein anderes Positionspapier einfließen. Ich freue mich auf die weitere Debatte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Kampmann.

Christina Kampmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe CDU-Fraktion! Liebe FDP-Fraktion! Als ich Ihren Antrag zum ersten Mal in den Händen hielt, habe ich zunächst verwundert auf das Datum geschaut, weil ich dachte, dass ein solcher Antrag nicht aus dem Jahr 2018 stammen kann.

Über einen Antrag, in dem es ganz allgemein um die Chancen und Risiken der Digitalisierung geht, hätten wir vielleicht im Jahr 2008, also vor zehn Jahren, diskutieren können, aber sicher nicht heute, wo wir ganz andere Herausforderungen zu bewältigen haben, als einfach mal eine allgemeine Debatte zu Chancen und Risiken der digitalen Transformation zu führen.

Ihre Wortbeiträge, lieber Herr Braun und lieber Herr Hafke, haben mir gezeigt, dass Sie das aber tatsächlich ernst meinen. Herr Braun sagt: „Wir haben jetzt ganz viele Fragen“, so als wäre das mit der Digitalisierung gerade erst über uns gekommen. Und Herr Hafke sagt: „Wir müssen jetzt mal diskutieren“. Und dann sagen Sie auch noch, Herr Braun: „Das ist doch ein Zeichen von Stärke, all diese Fragen jetzt mal zu stellen“.

Ich finde, das ist ein absolutes Zeichen von Schwäche. Ihr Antrag ist ungefähr so fortschrittlich wie der Auftritt von Heino und Hannelore auf Ihrem Heimatkongress.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Über diese kleine Unzulänglichkeit könnte man ja hinwegsehen, wenn sich aus dem Antrag konkret ergeben würde, was jetzt zu tun ist, um all den Herausforderungen zu begegnen, die Sie gerade aufgezeigt haben. Aber auch da kann man nur sagen: Fehlanzeige! Ihr Antrag ist ein Sammelsurium an Dingen, die gerade vielleicht aktuell sind, aber er enthält überhaupt keine politischen Handlungsoptionen. Ich bin sehr froh, dass Ihre Regierung an dieser Stelle schon sehr viel weiter ist und schon sehr viel mehr getan hat, als Sie es in dem Antrag für eine ferne Zukunft beschreiben.

Schauen wir uns die einzelnen Bereiche doch einmal an. Sie nennen zunächst die digitale Verwaltung und sagen – Herr Braun hat es gerade wiederholt –, dass alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden muss. Da frage ich Sie doch, auch Sie, Herr Pinkwart: Warum machen Sie das denn nicht einfach? Warum kommen Sie mit dem 10.000sten Modellprojekt um die Ecke, wo doch klar ist, dass die Modellkommunen an den Stellen digitalisiert werden, wo das möglich ist, aber alle anderen Kommunen eben nicht? Bräuchten wir da nicht viel mehr strukturelle Unterstützung für alle Kommunen,

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

damit das, was Sie fordern, tatsächlich in die Realität umgesetzt werden kann?

(Weiterer Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

– Wir müssen jetzt nicht über Hannelore Kraft sprechen, Herr Hafke. Sie sind jetzt an der Regierung, auch wenn Sie das offensichtlich noch nicht mitbekommen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schauen wir uns einmal den Bereich „Arbeit und Wirtschaft“ an, Herr Hafke. Auch da machen Sie eine gute Zustandsbeschreibung der Herausforderungen, die zu bewältigen sind, aber Ihre Ausführungen dazu, was dann politisch zu tun ist, sind ungefähr so aussagekräftig wie jeder Wikipedia-Artikel zu diesem Thema.

Wenn Sie hier Unterstützung brauchen – Herr Laumann ist ja gerade nicht da –, dann kann ich Ihnen das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ von Andrea Nahles ans Herz legen. Da geht es ganz konkret um das …

(Zurufe von der CDU: Oh!)

– Ich merke, die Begeisterung bei der CDU ist groß. Sie kennen das Buch offensichtlich. Da geht es ganz konkret darum, wie wir diese Herausforderungen bewältigen können. Ich bin froh, dass das bei Ihnen auf solch großes Interesse stößt.

Schauen wir uns einmal den Bereich der digitalen Bildung an. Auch da scheinen Sie noch nicht wirklich weiter zu sein; auch da ist noch nicht viel passiert. Denn während Herr Pinkwart zumindest die richtigen Sachen ankündigt – auch wenn es noch an der Konzeption dahinter fehlt –, scheint sich Frau Gebauer in einer Art digitalem Winterschlaf zu befinden. Sie hofft wahrscheinlich, dass dann, wenn sie daraus aufwacht, die Sache mit dem Internet vorbei ist.

So gestaltet man keine Digitalisierungspolitik! Man kann vielleicht auf die Chancen hoffen, die sich daraus ergeben, aber man muss auch etwas dafür tun, damit es tatsächlich Realität wird.

Wenn man sich dann das Ende Ihres Antrags anschaut, wo Sie sagen, dass Politik oft gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt, dann klingt das, vor allem das, was ich gerade aufgezeigt habe, wie eine Farce. Denn wenn irgendetwas hinterherhinkt, dann ist es Ihr Antrag. Am Anfang sprechen Sie von einem „Veränderungshorizont“, der sich irgendwann ergibt. Ein „Veränderungshorizont“ ist etwas, was ganz weit hinten liegt. Aber im digitalen Transformationsprozess befinden wir uns jetzt.

Deshalb kann ich Ihnen nur sagen:

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Kampmann, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt zweimal den Wunsch nach einer Zwischenfrage, bei Herrn Kollegen Braun und bei Herrn Kollegen Löttgen.

Christina Kampmann (SPD): Ja, sehr gerne. Wer möchte anfangen?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Dann Herr Braun. Kollege Braun war der Erste. Das Mikro ist frei.

Florian Braun (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Frau Kampmann, stellen Sie infrage, dass die Digitalisierung immer neuen Entwicklungen unterliegt und man sich deswegen immer wieder neu mit diesen Herausforderungen beschäftigen sollte? Stellen Sie infrage, dass es sinnvoll ist, eine Debatte im Vorfeld einer NRW-Digitalstrategie hier im Hause zu führen? Kennen Sie eigentlich eine Strategie, die diese Fragen schon einmal fachübergreifend diskutiert hat?

Christina Kampmann (SPD): Die Frage beantworte ich sehr gerne. Ich glaube schon, dass wir natürlich diskutieren müssen – und das auch immer wieder. Aber ich glaube, dass wir im Jahre 2018 auch an der Stelle sind, wo wir Antworten brauchen und nicht nur Fragen stellen dürfen. Diese Antworten vermisse ich in Ihrem Antrag.

Wenn Sie diesen Antrag im Jahre 2018 stellen, dann erwarte ich auch ganz konkrete Handlungsoptionen, gerade von zwei Fraktionen, die regierungstragend sind, die die Regierung stellen. Ich glaube, wir müssen endlich konkreter werden, damit auch etwas passiert und wir die Chancen, die Sie im Antrag beschreiben, tatsächlich auch gemeinsam erarbeiten können.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Dann würde ich jetzt das Mikrofon von Herrn Löttgen freischalten.

Bodo Löttgen (CDU): Vielen Dank, Frau Kampmann, erstens dass Sie die Frage zulassen. – Das Zweite ist: Sie haben gesagt, man müsse etwas tun, um etwas zu erreichen. Damit haben Sie völlig recht. Ich würde Ihnen gerne Gelegenheit geben, nachdem die ehemalige Ministerpräsidentin an dem Rednerpult, an dem Sie stehen, mit einem Kunstherz stand und ihre Digitalstrategie verkündet hat, einmal auszuführen: Was hat denn die Vorgängerregierung alles getan? Was sind die Voraussetzungen, auf denen wir jetzt aufsetzen können? Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Christina Kampmann (SPD): Würde ich Ihnen alles sagen, dann würde die Zeit leider nicht ausreichen, Herr Löttgen.

(Heiterkeit – Beifall von der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Sie haben Zeit genug! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Wenn Sie mich fragen, müssen Sie mir jetzt auch die Gelegenheit geben, zu antworten. Ich möchte zwei Beispiele herausgreifen. Herr Hafke war es, der gerade noch einmal das Thema „Breitbandversorgung“ angesprochen hat. Als wir diese Regierung verlassen haben, da hatten wir das schnellste Internet von allen Flächenländern in ganz Deutschland,

(Beifall von der SPD)

das heißt, die besten Voraussetzungen, auf denen Sie tatsächlich aufsetzen können.

(Ralph Bombis [FDP]: Ist das Internet überall gleich schnell?)

Wie war das, 80,1 %?

Ich würde gerne noch ein Beispiel nennen. Wir haben auch heute über das Thema „Gute Schule 2020“ diskutiert. Sie wissen, dass darin die Möglichkeiten enthalten sind, dass gerade Schulen an schnelles Internet angeschlossen werden. Damit haben wir Ihnen eine wunderbare Basis dafür geboten, dass Sie tatsächlich auch etwas daraus machen können. Jetzt warten wir alle darauf, dass das auch passiert. Aber wenn ich Ihren Antrag lese, dann habe ich da so meine Zweifel. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kampmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir leid, Herr Kollege Bombis, wenn ich Sie jetzt in Ihrem Dialog mit der Kollegin Kampmann störe. Aber ich möchte dann doch noch ein bisschen zu dem Antrag ausführen.

Lieber Kollege Braun, Sie haben sich Sorge bezüglich meiner Freude gemacht. – Ich komme aus Bielefeld, und das ist bekanntermaßen der Ort der guten Laune. Meine gestrige Einlassung bezog sich auf die Hochschulgesetznovelle. Da habe ich angekündigt, dass Sie von den regierungstragenden Fraktionen einfach nicht viel Freude in dieser Debatte haben werden, weil es keine gesellschaftliche Mehrheit für Ihr Studiengängelungsgesetz gibt. Sie können sich das Ganze natürlich schönreden und vielleicht dann doch noch ein bisschen Freude haben. Wir werden ja sehen, wie das in den nächsten Monaten so ausgeht.

Zu dem Antrag heute: Ich habe im Vorfeld wahrgenommen, dass es Ihnen von den regierungstragenden Fraktionen vor allem um das geht, was Sie im Antragstext umrissen haben mit „eine gesellschaftliche Debatte anstoßen über die Chancen der Digitalisierung“. Das kann man machen. Man kann immer wieder darüber sprechen. Man kann immer wieder fragen, welche Potenziale es in welchem Bereich gibt.

Aber ich glaube, genauso hat die Kollegin Kampmann gerade eben völlig zu Recht gefragt, ob es dieses Sammelsurium nun wirklich im Jahre 2018 in dieser Form braucht, ob das für die Diskussion, die wir führen müssen, für die Debatten, die wir führen müssen, jetzt wirklich hilfreich ist. Denn die meisten Diskussionen, die Sie aufrufen, führen wir tatsächlich schon seit Jahren. Das Einzige, was sich wirklich verändert hat, ist, dass die CDU nicht mehr über Killerspiele redet. Ansonsten hat Schwarz-Gelb in den letzten Jahren nicht wesentlich an Substanz zugelegt.

Vielleicht zwei Beispiele.

Erstes Beispiel: Das Thema „Blockchain“ als einer der absoluten Megatrends kommt in diesem Antrag nicht ein einziges Mal vor.

(Florian Braun [CDU]: Das steht schon im Koalitionsvertrag!)

Zweites Beispiel: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass der Staat bei der Datensicherheit vorangehen muss. – Da haben Sie völlig recht. Aber wie verträgt sich das denn mit Ihren Plänen für die Quellen-TKÜ? Wie verträgt sich das mit Ihren Plänen, dass Sie Herrn Reuls Hacker jetzt auf die Bürgerinnen und Bürger losschicken wollen und deren informationstechnische Systeme hacken lassen wollen?

Meine Damen und Herren, es gibt in der Tat immense Chancen für die Digitalisierung. Viele von den Themen greifen Sie zu Recht heraus, auch wenn Sie keine Antworten geben, sondern nur Fragen stellen.

Wir müssen zum Beispiel natürlich weiterhin über digitale Verwaltung nicht nur reden, sondern auch digitale Verwaltung machen. Deswegen haben wir ja in der letzten Legislaturperiode ein E-Government-Gesetz gemacht. Das war ja richtig.

Ihr Vorgehen jetzt, dass Sie dieses Gesetz nicht weiterentwickeln, sondern dass Sie weiter ein paar Insellösungen schaffen, ist allerdings nicht sinnvoll. Ich habe ja nie irgendetwas gegen die digitalen Modellkommunen gehabt, die Sie da planen. Sie sind jetzt mit Sicherheit auch nicht eine wirkliche Antwort, weil Sie wieder ein paar Leuchttürme bauen, aber keine Gesamtlösung fürs Land anstreben.

Ich habe auch nichts gegen Ihr Gründerstipendium zur Förderung der Start-up-Kultur – im Gegenteil. Das ist grundsätzlich eine gute Herangehensweise; denn ich bin der Meinung, dass Start-ups in der Lage sind, den Planeten zu retten, und ich habe in letzter Zeit auch viele kennengelernt, die genau das tun.

Aber man braucht dann wirklich konkrete Maßnahmen und muss im Einzelnen prüfen, was Gründerinnen und Gründern konkret hilft – und sie brauchen mit Sicherheit nicht nur hübsche Schwarz-Weiß-Fotos.

Genauso ist es beim digitalen Mittelstand. Auch da brauchen wir konkrete Unterstützung, weil wir dort definitiv die größte Baustelle haben. Darüber sind wir uns einig. Aber was war das erste, was Sie gemacht haben? – Sie haben die Digitalen Hubs infrage gestellt. Inzwischen sind Sie da Gott sei Dank weiter.

Aber an solchen Stellen zeigt sich, dass die Diskussion über die Gestaltung der Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen bei Ihnen nicht wirklich nach vorn läuft, sondern als Dienst nach Vorschrift.

Man kann es weiter durchdeklinieren – ob bei „Smart-City“-Konzepten, digitaler Energiewende oder digitaler Bildung. Wir führen wieder eindimensionale Debatten – „bring your own device“ versus „Laptops für alle“. Sprechen wir doch mal über Konzepte. Reden wir über Inhalte, und vergessen Sie die Hochschulen nicht. Auch da gibt es nach wie vor einiges zu tun – wir vergessen die Hochschulen ja in vielen anderen Bereichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles muss – in dieser Hinsicht würde ich Ihnen sogar recht geben – in einer Digitalstrategie der Landesregierung vorkommen. Das gilt mit Sicherheit auch für viele weitere Punkte. Ich bin auch durchaus bereit zur Selbstkritik in Bezug darauf, dass eine gute administrative Strategie keine Vision ersetzt.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Sie ersetzt nicht, dass man die Digitalisierung als Leitprojekt einer Regierung betrachtet.

Was wir Ihnen ankreiden, ist aber, dass Sie genau das nicht tun, sondern dass Sie sich wieder im Klein-Klein und darin verlieren, Fragen zu stellen, wo Antworten nötig sind. Da muss man sich tatsächlich Sorgen machen.

Wenn Sie etwas schaffen wollen, dann brauchen Sie jedenfalls mehr als Dialoge. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte-Richter. – Für die AfD spricht nun Herr Abgeordneter Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist 15:30 Uhr am letzten Sitzungstag, und die meisten Kollegen sind mental schon in den Osterferien. Das ist der richtige Zeitpunkt, um über so wichtige Themen zu sprechen – bzw., wie es im Antrag heißt, über den „größten und tiefgreifendsten Veränderungshorizont seit der Industrialisierung“.

Das ist schön formuliert und natürlich auch richtig, aber Sie regieren jetzt schon seit einer Weile, und wir brauchen Taten und keine wohlklingenden Grundsatzpapiere.

(Beifall von der AfD)

Frau Kampmann und Herr Bolte-Richter haben durchaus recht: Sie liefern auf sechs Seiten nichts, und wo Sie liefern, da geht es um Randbereiche.

Betrachten wir die digitale Verwaltung. Ich würde es auch sehr gern sehen, wenn das Onlineangebot meiner Heimatstadt nicht auf herunterladbare PDF-Dateien begrenzt wäre und ich diese dann höchst analog selbst zur Behörde tragen müsste. Das ist aber eher ein Nebenkriegsschauplatz.

Im Bildungsbereich – da wird mir der Kollege Seifen recht geben – verfallen Sie dem Irrglauben, dass es ausreichen würde, eine Megabit-Leitung in jedes Klassenzimmer zu legen; dann würde das schon irgendwie klappen – digitale Tonnenideologie.

Sicher dürfen unsere Schulen sich der technischen Entwicklung nicht verschließen, aber sie haben auch ganz andere Probleme. Seit Jahren sinkt das Unterrichtsniveau, und vornehmlich rot-grüne Ideologen überfrachten die Schulen mit immer neuen Idiotien.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren! Wer einen geraden Satz nicht in sein Heft schreiben kann, der kann ihn auch nicht auf sein Tablet schreiben. Wer schon auf dem analogen Arbeitsmarkt nicht bestehen kann, weil er einfache Kulturtechniken nicht beherrscht, wird es in der digitalen Welt erst recht nicht schaffen.

(Beifall von der AfD)

Ähnlich weltfremd ist der Ansatz in der Energiepolitik. Da sollen jetzt smarte Netze her. Das ist auch nicht neu, hört sich toll an, funktioniert aber nicht. Die Leute schalten den Herd an, wenn sie etwas essen wollen, und sie schalten das Licht an, wenn es dunkel ist – und nicht, wenn die Windräder gerade besonders viel Strom produzieren.

(Beifall von der AfD)

Dass Sie diesen energiepolitischen Ladenhüter noch einmal aufwärmen, wirft eher ein trauriges Licht auf Ihre Fachkompetenz.

Immerhin im Verkehrsbereich finden sich ein paar gute Ansätze, wenn auch wenig Konkretes. Wenn Sie zum Beispiel sogenannte Ridesharing-Dienste begrüßen – beispielsweise „Uber“ –, dann wäre es an der Zeit, einen vernünftigen Rechtsrahmen dafür zu schaffen, anstatt das Taxi-Monopol fortzusetzen.

Natürlich brauchen wir für Mobilität erst einmal eine tragfähige Verkehrsinfrastruktur. Es ist schön, dass mein Navigationsgerät alle Baustellen und Staus in Echtzeit meldet, aber was nützt mir diese Info, wenn die Ausweichstrecken genauso belegt sind?

Dieses Papier ist zu diesem Zeitpunkt eine echte Enttäuschung. Es enthält nichts Konkretes und setzt völlig falsche Schwerpunkte. Von einer sogenannten bürgerlichen Regierung hätten wir zumindest erwartet, dass sie einsieht, dass der Staat die Digitalisierung nicht gestalten, sondern ermöglichen muss. Ein Zeichen von Stärke ist das nicht, Herr Braun.

(Beifall von der AfD)

Keine Erfindung der Menschheitsgeschichte ist je in einem Parlament oder in einem Ministerium erdacht worden – zumindest keine gute. Auch die Industrialisierung war nicht etwas, was aus Förderprogrammen und Enquetekommissionen erwuchs. Es gab kluge Staatenlenker, die sie ermöglicht und gefördert und ihre Länder zu neuem Wohlstand geführt haben, und es gab die weniger klugen, die gezaudert, gebremst und verhindert und so ihre Bürger der Verarmung preisgegeben haben.

Meine Damen und Herren Antragsteller, wenn das alles ist, was Sie anzubieten haben – Klein-Klein und schöne Worte –, dann werden Sie wohl Ihre Verantwortung für den wirtschaftlichen Abstieg unseres Landes tragen müssen. Das ist bedauerlich; denn wir sind gern bereit, konstruktiv am digitalen Wandel mitzuarbeiten. – Wir stimmen einer Überweisung natürlich zu.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Tritschler. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kampmann hatte einleitend gesagt, dass der hier vorliegende Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ihr erscheine, als stamme er aus der Zeit um 2008. Wenn Sie tatsächlich dieser Meinung sind, dann müssen Sie sich natürlich fragen, was Sie in den zehn Jahren, in denen Sie nicht unwesentlich verantwortlich beteiligt waren, möglicherweise unterlassen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In gewissen Bereichen unserer Gesellschaft sind wir schon relativ weit, in anderen Bereichen sind wir aber weit zurück.

Ich habe im Zusammenhang mit den digitalen Modellkommunen – an denen arbeiten wir; Sie wissen das aus dem Ausschuss – eine Delegationsreise mit Kommunalpolitikern aus Ostwestfalen-Lippe nach Estland unternommen. Es war für mich sehr interessant, unmittelbar zu erfahren, wie dort seit 15 Jahren in der Verwaltung und im politischen Raum Digitalisierung gelebt wird.

Wenn man solch eine Reise unternimmt, könnte man den Eindruck gewinnen, man sei nur Bittsteller um Informationen. Es stellt sich dabei die Frage, ob man auch etwas dorthin mitbringen kann. Ich habe es in unseren Gesprächen durchaus als wohltuend empfunden, dass unsere Gesprächspartner sehr selbstbewusst gesagt haben, sie wüssten sehr genau, was wir können und was nicht – bei der Verwaltung Augenzwinkern –, und bei politischen Prozessen könnten wir sicherlich noch eine Menge von Ihnen lernen. Aber wenn es zum Beispiel um die Digitalisierung in Unternehmen gehe, hätten sie in Estland den Eindruck, dass sie noch sehr viel von Deutschland lernen könnten, insbesondere von Ostwestfalen Lippe und dem Spitzencluster. Das hatte sich bis Estland herumgesprochen.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Kurze Zeit danach hat uns eine Delegation von Esten besucht.

Ich finde, dass das ein guter Ansatz ist. Er sollte uns davor behüten, dass wir das aus der Arroganz heraus betrachten. Wir haben zwar Stärken, und in der Grundlagenforschung sind wir sicherlich sehr weit vorne. Wir haben es aber auch in gewissen Bereichen – und genau diese werden in dem Antrag genannt – noch nicht vermocht, die neuen Möglichkeiten in der Weise nutzbar zu machen, wie es uns andere schon vorleben und wie es auch für die Menschen hier sehr hilfreich wäre.

Diese Bereiche sind, wie ich finde, von den Koalitionsfraktionen in diesem Antrag in hervorragender Weise beispielhaft beschrieben worden. Dort werden Chancen aufgezeigt, die wir als Gesellschaft haben könnten, wenn es uns gelänge, schrittweise in den Bereichen „Verwaltung“, „Bildung“, „Mobilität“ oder anderen die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

Folgendes möchte ich hinzufügen – und das halte ich in dem Antrag für sehr wichtig –: Dazu gehört auch, das Thema nicht nur technisch zu diskutieren, sondern es vom Menschen her zu betrachten und auch die Kleinsten von Anfang an besser mitzunehmen.

Ich habe letztens einen Vortrag halten können, dem überwiegend ältere Menschen zugehört haben. Danach hatten wir die Gelegenheit, uns darüber auszutauschen. Viele ältere Zuhörerinnen und Zuhörer haben mir gesagt: Toll, was Sie da von Digitalisierung erzählen! Das finden wir ganz prima. Aber stellen Sie bitte sicher, dass auch wir daran teilnehmen können.

Folgendes möchte ich betonen: So wichtig es ist, für Jüngere, die ohnehin schon viel weiter sind, die Rahmenbedingungen in der Vorschule, in der Schule und auch in der beruflichen Bildung mit der Hochschule zu verbessern, sollten wir trotzdem nicht diejenigen vergessen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, aber nach wie vor hochaktiv an unserem Leben teilhaben wollen. Auch sie könnten durch die Digitalisierung ihre Lebensbedingungen deutlich verbessern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch das wollen wir uns in den Modellkommunen erarbeiten. Wir wollen gerade im ländlichen Raum, wo die Digitalisierung enorme Chancen eröffnen könnte, Möglichkeiten aufzeigen.

Meine Kollegin Frau Pfeiffer-Poensgen hat gerade im Wissenschaftsbereich eine wichtige Initiative ergriffen. Sie hat gemeinsam mit den Rektoren der Uni Siegen und der Uni Bonn den neuen Studiengang Telemedizin an der Uni Siegen vorgestellt. Genau solch ein Studiengang bietet die Chance, zukünftig die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen. Auch hierbei kann uns die Digitalisierung große Dienste leisten. Das alles gilt es zu erarbeiten. Wir können doch hier nur voneinander lernen und uns wechselseitig unterstützen.

Wenn ich mir die Bemerkung noch erlauben darf, Frau Kampmann: Ihr Oberbürgermeister aus Bielefeld hat mir gesagt: Versuchen Sie nur nicht, die Mitteln für die Modellkommunen gleich auf alle zu übertragen; denn dann hat jeder nur ganz wenig und nichts gelingt richtig gut. Sehen Sie zu, dass Sie fokussiert vorgehen. Dann können die, die dort etwas machen, unter Beweis stellen, das es wirklich funktioniert, und die anderen können umso schneller und besser davon lernen. – Frau Kampmann, unterhalten Sie sich doch noch einmal mit Ihrem Oberbürgermeister darüber.

Und direkt daran anknüpfend eine weitere Bemerkung: Wir wollen nicht, dass die einen immer einen Vorsprung von drei Jahren vor den anderen haben. Vielmehr ist das Modell parallel angelegt, und die Kommunen werden aufeinander abgestimmt. Daran arbeiten wir intensiv, und Sie wissen das. Die öffentlichen IT-Gesellschaften sind dabei arbeitsteilig involviert, damit wir in den Prozess Tempo hineinbekommen, Schwerpunkte setzen und dann alle schnell voneinander lernen können.

Das gilt für all die Lebensbereiche, die hier aufgeschrieben worden sind, und es gibt noch andere, an denen wir arbeiten können. Ich freue mich sehr über diese Initiative. Wir werden Sie in die Digitalstrategie der Landesregierung einbeziehen. Ich freue mich auf den weiteren Dialog zu diesen Themen hier im Hohen Haus. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Der Minister hat seine Redezeit um eine Minute überzogen. Wenn also noch der Wunsch besteht, sofort in den Dialog einzusteigen, bitte ich um Wortmeldung. – Der Wunsch besteht offensichtlich nicht. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2058 an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation. Er bekommt die Federführung. Die Mitberatungen gehen an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung, an den Ausschuss für Schule und Bildung, an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, an den Verkehrsausschuss, an den Rechtsausschuss, an den Innenausschuss sowie an den Hauptausschuss. Die abschließende Abstimmung soll und wird im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Die gibt es auch nicht. Damit haben wir in die entsprechenden Ausschüsse überwiesen.

Ich rufe auf:

9   Bürgerschaftliches Engagement beim Breitbandausbau unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2156

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2213

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2222

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion erneut Herr Kollege Braun das Wort.

Florian Braun (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben soeben über die Chancen der Digitalisierung diskutiert. Frau Kampmann hatte gerade noch einmal die Ausbauquote im Breitbandausbau dargestellt.

Über den Erfolg mag man nun streiten. Jedenfalls ist die tatsächliche Anzahl der Glasfaseranschlüsse in Nordrhein-Westfalen leider immer noch sehr dürftig.

Natürlich ist aber genau die Anzahl der Glasfaseranschlüsse auch die Voraussetzung für den Erfolg der Digitalisierung, um über den Zugang zu schnellem Internet und über seine flächendeckende Verfügbarkeit zu diskutieren – für die Wirtschaft ebenso wie für die privaten Verbraucher. Für den Endnutzer zählt übergangslose mobile und konvergente Gigabit-Konnektivität. Es darf daher keine Rolle spielen, wo ich lebe oder wo ich mich bewege. Das schnelle Internet darf daher keine Frage des Wollens sein. Es muss ein Ziel sein, das wir schnell mit verlässlichen Rahmenbedingungen und bürokratiearm erreichen müssen.

Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, damit das auch visualisiert ist: Das ist genau das, was wir erreichen wollen. Das muss in Nordrhein-Westfalen flächendeckend verfügbar sein: Leerrohre für Glasfaserkabel.

(Der Abgeordnete zeigt ein solches Leerrohr für Glasfaserkabel.)

Das ist das Ziel, für das wir uns hier aussprechen und zu dem wir auch mit diesem Antrag einen wertvollen Beitrag leisten wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für den Ausbau ist in erster Linie die freie Wirtschaft im freien Wettbewerb zuständig. Wo dieser nicht greift, wo ein wirtschaftlicher Ausbau nicht möglich ist, muss gegebenenfalls der geförderte Ausbau greifen. Die NRW-Koalition stellt mit dem Haushalt 2018 220 Millionen € – so viel wie noch nie zuvor – zur Breitbandausbauförderung zur Verfügung.

Doch auch der Staat ist auf Unterstützung angewiesen, um manchmal Ziele auch effektiver und noch zügiger zu erreichen.

 Deshalb leisten Bürgerbreitbandprojekte in Nordrhein-Westfalen einen wesentlichen Beitrag, um einen kostengünstigen zügigen Ausbau insbesondere im ländlichen Raum zu vollziehen und den ländlichen Raum dabei auch attraktiv zu machen und attraktiv zu halten. Sie leisten damit ein Stück „Dableibevorsorge“.

Konkrete Beispiele für Bürgerbreitbandprojekte finden sich etwa im Kreis Coesfeld oder auch in der Unterbauerschaft Brünen. Das FTTHof-Projekt im Kreis Coesfeld, also Glasfaser bis zum Hof, hat sich zum Beispiel zum Ziel gesetzt, 8.000 unterversorgte Haushalte anzuschließen. Klassisch hat das nicht funktioniert, weil dort der Tiefbau nach eigenen Angaben bei einem fünfstelligen Betrag pro Hausanschluss gelegen hätte. Durch eigenes Marketing, durch eigene Leerrohrverlegung durch die Anwohner sinken die Anschlusskosten in einen niedrigen vierstelligen Bereich.

Ähnliches gilt für Brünen in Hamminkeln, wo genau dieses Stück Leerrohr auch herkommt und wo mit einem Partner die Glasfaser nun endlich beleuchtet wird. Allein die Hauptstrecke betrug mehr als 8 km. Zum Einsatz kamen Spülbohrungen, Pflugverfahren, Handschachtungen, Minibagger, ja sogar Erdraketen.

Dieses ehrenamtliche Engagement ist und darf sicherlich auch nur Teil der Ausbaubemühungen in unserem Land sein. Gerade vor dem Hintergrund des bürgerschaftlichen Engagements kann der Beitrag aber gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden.

Deshalb haben wir mit dem Haushalt 2018 erstmalig zusätzlich Mittel zur Förderung von Bürgerbreitbandprojekten zur Verfügung gestellt und auf Antrag der NRW-Koalition direkt auf 600.000 € im ersten Jahr festgesetzt. Mit diesen Geldern wollen wir den Wissenstransfer fördern. Die Erfahrungen, die bereits vorhandene Projekte gesammelt haben, wollen wir weiteren folgenden Projekten zur Verfügung stellen. Dieser Know-how-Transfer muss organisiert werden. Daher wollen wir Breitband.NRW mit dieser Aufgabe betrauen.

Gleichzeitig kann den Projekten praktisch geholfen werden, wenn wir möglichst unbürokratisch sowohl Mittel für Material, etwa für solche Leerrohre, zur Verfügung stellen als auch alles Weitere an technischer Ausrüstung ermöglichen. Wo engagierte Bürger eigens Gerätschaften wie spezielle Pflüge bauen, wollen wir dem Aufmerksamkeit widmen, Erfahrungen weitertragen und auf vorhandene Mietmöglichkeiten hinweisen. Wie so oft im Leben: Das Rad oder in dem Falle der Pflug muss nicht immer neu erfunden werden.

Abschließend: Es liegen zwei Entschließungsanträge von Grünen und SPD vor. Nüchtern betrachtet sind die Abweichungen durchaus überschaubar. Das freut uns natürlich, denn dann scheinen wir den richtigen Akzent gesetzt zu haben.

Zur SPD sei allerdings gesagt, dass das vorgeschlagene Finanzkonstrukt doch sehr abwegig und vor allem beihilferechtlich fragwürdig erscheint. Auf die Erläuterungen zur Mittelberechnung bin ich doch sehr gespannt. Im Übrigen sei auch darauf hingewiesen, dass eine Förderung sicherlich und auch dank Ihrer Beteiligung im Bund zurzeit zumindest nicht an den finanziellen Mitteln scheitert.

Die Grünen benennen einen validen Punkt. Genossenschaftsmodelle können ein mögliches Konstrukt sein, können ihren Beitrag leisten. Tatsache ist, dass außerhalb der beiden geförderten Regionen, die Sie benannt haben, noch keine weiteren Regungen im Land zu verzeichnen sind. Gleichwohl ist eine Auswertung sinnvoll und hilfreich. Das wollen wir gerne aufgreifen.

In einem Atemzug allerdings die Evaluation zu fordern und eine weitere Förderung für das, was noch gar nicht evaluiert wurde, das ist dann doch schon wieder grünes Abenteuerland.

So lehnen wir beide Entschließungsanträge ab und stellen unseren Antrag zur direkten Abstimmung, um die Landesregierung zeitnah zur Mittelverwendung aufzurufen: für bürgerschaftliche Ausbauprojekte, für bürgerschaftliches Engagement, damit das hier auch bis zum letzten Hof Realität wird.

(Der Abgeordnete zeigt noch einmal das Leerrohr für Glasfaserkabel.)

Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Braun. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Matheisen das Wort.

Rainer Matheisen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier einen sehr wichtigen Antrag eingereicht. Das haben zu meiner Freude nun auch die SPD und die Grünen erkannt. Beide Fraktionen haben ja kurz vor Schluss der Einreichungsfrist – Kollege Braun hat es gerade angesprochen – weitestgehend deckungsgleiche Anträge eingebracht. Ich meine, man hätte auch einfach die Zustimmung zu unserem Antrag signalisieren können. Aber das bleibt natürlich Ihnen überlassen.

Wir brauchen Breitband. Wir brauchen so viel und so schnell Breitband wie möglich für so viele Bürgerinnen und Bürger wie möglich. Denn um die Chancen der Digitalisierung nutzbar zu machen, muss man den Menschen in diesem Land erst einmal den Zugang über Breitband ermöglichen und eröffnen. Hierzu brauchen wir Breitbandprojekte, die sich nicht nur auf Vectoring konzentrieren, sondern sich unserem Glasfaser-first-Ansatz verpflichten. Denn nur Glasfaser stellt sicher, dass die Netze, die wir heute bauen, auch in den nächsten Jahrzehnten noch den stetig steigenden Anforderungen gewachsen sind.

Aber wie können wir das realisieren, liebe Kolleginnen und Kollegen? – Wir stellen Fördermittel zur Verfügung. Minister Pinkwart ist dort sehr aktiv unterwegs. Wir bündeln Daten. Wir bündeln Kompetenzen und Erfahrungen bei Breitband.NRW. Wir haben mit dem Digitalministerium, aber auch mit unserem Ausschuss für Digitalisierung und Innovation im Landtag schlagkräftige Institutionen für die Digitalisierung geschaffen.

Glasfaserleitungen bis zum Hausanschluss sind bislang noch viel zu selten. Man muss sie viel zu lange suchen. Die großen kommerziellen Anbieter treiben den Netzausbau voran, aber wir Freie Demokraten sehen uns auch in der Pflicht, das Engagement des Einzelnen in den Mittelpunkt zu stellen und auf das Engagement des Einzelnen aufmerksam zu machen.

Deswegen wollen wir dieses Engagement nach Kräften fördern und unterstützen. Bürgerinnen und Bürger wollen nicht länger warten, bis der Staat sich der Infrastruktur vor Ort annimmt. Sie wollen es selbst in die Hand nehmen. Was kann uns hier in diesem Hohen Haus Besseres passieren, als dass die Bürgerinnen und Bürger Engagement und Kreativität in die gesellschaftliche Waagschale werfen?

Das tun sie in den verschiedensten Formen. Deswegen haben wir bewusst keine Rechtsformen ausgeschlossen. Liebe Grüne, daher ist es auch unnötig, ein Duplikat einzubringen, welches Genossenschaften explizit benennt. Genossenschaften sind hier mit enthalten. Sie sind in unserem Antrag eingeschlossen. Die Genossenschaftsidee ist eine tolle Idee. Deswegen unterstützen wir sie auch und sind bereit, sie zu fördern und zu unterstützen.

Ich möchte hier aber gar nicht kritisieren. Es freut mich wirklich aus ganzem Herzen, dass Sie die Wichtigkeit und Dringlichkeit unseres Antrags erkannt haben. Wir dürfen dieses Engagement nämlich nicht länger ignorieren und stiefmütterlich behandeln, sondern haben die Pflicht, es gezielt zu fördern.

Daher rufe ich Sie alle auf, den Menschen in unserem Land, den Bürgerinnen und Bürgern, Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung zu geben. Unterstützen Sie unseren Antrag, damit die Landesregierung Breitbandprojekte der Bürger mit beratender und finanzieller Förderung gezielt stärken und voranbringen kann. Geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern das deutliche Signal, dass es primär darum geht, die Menschen in unserem Land zu unterstützen. Zeigen wir ihnen, dass wir sie hören und nach allen unseren Kräften fördern. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Matheisen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Vogt das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Matheisen, Herr Braun! Wenn wir, Herr Braun, das Ziel Ihres ehemaligen Ministers Dobrindt zugrunde legen, 50 MBit/s flächendeckend zu erreichen, müssen wir mit Blick auf NRW und Deutschland festhalten: Wir haben Ihnen im letzten Jahr das bestausgebaute Flächenland Deutschlands übergeben.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

Sie haben ein Land übernommen, in dem Sie aufgrund der Arbeit der rot-grünen Landesregierung wirklich gute Voraussetzungen haben, auf denen Sie aufbauen können, um hier weiter voranzukommen.

Wer auch immer Ihren Antrag geschrieben hat, scheint allerdings einige Dinge nicht zu wissen oder sich nicht damit beschäftigt zu haben, was in den letzten Jahren hier passiert ist.

Kein Wort zu den zahlreichen Breitbandbeauftragten, die eingesetzt wurden! Aber ich kann Ihrem Gedächtnis gerne auf die Sprünge helfen. Wir haben dank einer finanziellen Förderung von rund 0,5 Milliarden € besonders Gewerbegebiete und den ländlichen Raum in den Blick genommen. Unser Wirtschaftsminister Garrelt Duin war es, der alle relevanten Akteure an den Runden Tisch „ Zukunft Breitband – Netzausbau in NRW“ geholt hat.

Wir haben Breitbandkoordinatoren eingesetzt, die den Ausbau vor Ort organisieren. Hierzu haben wir den Kreisen und den kreisfreien Kommunen über drei Jahre jeweils 150.000 € zur Verfügung gestellt. Das lassen Sie in Ihrem Antrag alles außer Acht.

Ich frage mich: Warum nutzen Sie eigentlich nicht das, was bisher vorhanden ist? Warum tun Sie so, als ob Sie alles neu erfinden würden? Statt Scheinanträgen, die das bisher Geschaffte gar nicht aufgreifen, wollen die Menschen doch, dass wir gemeinsam anpacken und Sachen auf den Weg bringen.

Denn wie Sie richtig klarstellen – und das freut mich an Ihrem Antrag –, ist die Breitbandversorgung Teil der Grundversorgung. Schön, dass Sie das durch Ihren Antrag endlich anerkennen! Es gab auch die eine oder andere Verlautbarung Ihrerseits, die das nicht so sah.

Weil Breitbandversorgung Teil der Grundversorgung ist, sind wir davon überzeugt – obwohl wir bürgerschaftliches Engagement begrüßen und brauchen –, dass sich der Staat und die Unternehmen nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen und die Arbeit rein bürgerschaftlichem Engagement und rein bürgerschaftlicher Arbeit – gerade im ländlichen Raum – übertragen dürfen.

Das Gefälle verläuft natürlich zwischen städtischem Raum und ländlichen Regionen. Um dieser Kluft entgegenzuwirken – das haben Sie richtig gesagt –, leisten Bürgerinitiativen und bürgerschaftliches Engagement wichtige Arbeit. Sie stellen Informationen bereit, bündeln die Nachfrage und bringen eigene Projekte selbst auf den Weg.

(Florian Braun [CDU]: So ist es!)

Mit den Breitbandkoordinatoren, die wir im Entschließungsantrag aufgegriffen haben und die Sie nicht erwähnt haben, existiert bereits eine hervorragende Struktur vor Ort, um diese bürgerschaftlich organisierten Projekte zu unterstützen und zu beraten. Daher fordern wir als SPD-Fraktion in unserem Antrag, dass die Breitbandkoordinatoren finanziell weiter gefördert und bei Bedarf auch ausgebaut werden.

Anstatt mit vermeintlich neuen Ideen anzukommen, die längst umgesetzt werden, sollte die Landesregierung ihr Augenmerk lieber darauf richten, wie die Umsetzung optimiert werden kann. Wenn zum Beispiel Landwirte mit Traktoren und Pflügen Trassen für Leerrohre und Kabel ziehen, lassen sich gegenüber dem konventionellen Tiefbau nicht nur Zeit, sondern auch bis zu 80 % der Kosten sparen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Vogt, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Braun möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Alexander Vogt (SPD): Sehr gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Florian Braun (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist Ihnen bekannt, dass die Breitbandkoordinatoren über Breitband.NRW auch zusammengeführt werden und dort vielleicht ein Wissenstransfer sinnvoller wäre, als dass jeder einzelne Breitbandkoordinator, der für einen Kreis zuständig ist, sich jetzt noch in alle 54 anderen Kreise hineindenken soll, um dann einen wirklich sinnvollen Transfer in seinen Heimatkreis zu gewährleisten?

Alexander Vogt (SPD): Herr Braun, das ist ein guter Versuch, davon abzulenken, dass Sie die Breitbandkoordinatoren in Ihrem Antrag nicht erwähnt haben. Ich glaube, wir sind uns einig, dass sie gute Arbeit leisten und dass Breitband.NRW auch gute Arbeit macht. Breitband.NRW hat natürlich die Aufgabe, die verschiedenen Breitbandkoordinatoren, die wir in den kreisfreien Städten und in den Kreisen haben, zu bündeln und dort Veranstaltungen durchzuführen. Das ist in den letzten zwei Jahren – da würde ich Ihnen raten, einmal mit Breitband.NRW zu sprechen – auch bereits geschehen.

(Florian Braun [CDU]: Keine Sorge! Wir sind dort im Austausch!)

Es gab Breitbandkoordinatorentreffen. Insofern war Breitband.NRW bisher auf dem richtigen Weg. Sie sollten Breitband.NRW und die einzelnen Breitbandkoordinatoren weiterhin unterstützen, damit sie gemeinsam ihre Arbeit machen können.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich noch auf die Breitbandprojekte vor Ort eingehen. Wie gesagt, können 80 % der Tiefbaukosten durch bürgerschaftliches Engagement eingespart werden. Was die Fördermaßnahmen angeht, fordern wir in diesem Zusammenhang Folgendes: Wenn hierdurch gegenüber der Durchführung der Maßnahmen durch Unternehmen Einsparungen in dieser Größe erzielt werden, muss vor Ort sichergestellt sein, dass die gesparten Summen dann, wenn vor Ort weitere Projekte umgesetzt werden, auch dort ankommen.

Mit unserem Entschließungsantrag möchten wir nicht die eine Seite und das, was Sie geschrieben haben, abwerten. Ich glaube, dass wir in die gleiche Richtung gehen. Sehen Sie unseren Antrag als Ergänzung zu Ihrem Antrag. Akzeptieren Sie, dass Sie das Thema „Breitbandkoordinatoren“ vergessen haben oder aus welchen Gründen auch immer nicht aufgegriffen haben. Wir werben natürlich dafür, dass Sie unserem Antrag zustimmen. So würdigen Sie auch die Arbeit vor Ort und die Arbeit der Koordinatoren, die bisher wirklich gute Arbeit leisten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Florian Braun [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogt. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort. Bitte schön.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eben ist mir der Name Dobrindt mal wieder zu Ohren gekommen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Lass stecken!)

Ich hatte ihn schon fast vergessen, auch wenn er inzwischen sogar Brief und Siegel des Bundesrechnungshofs hat, dass er den Ausbau der digitalen Infrastruktur in seinen vier Jahren komplett an die Wand gefahren hat. Diese Kritik ist auch völlig berechtigt.

Lieber Kollege Vogt, allerdings frage ich mich dann schon, wer eigentlich diese mysteriöse, phantomhafte dritte Partei war, die in den letzten Jahren neben CDU und CSU am Kabinettstisch saß.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Florian Braun [CDU]: Das wissen sie selber nicht so genau!)

Dieses rote Phantom – vielleicht finden Sie es ja.

Lieber Kollege Matheisen, zum Thema „mit gemeint“: Ich kenne das Stichwort aus anderen Debatten. Es ist natürlich schön, wenn man Punkte, die wichtig sind, nicht erwähnt und dann sagt, das habe man alles mit gemeint; das sei alles mit drin. Da muss man ehrlich draufgucken, glaube ich. Von den genossenschaftlichen Ausbauprojekten gibt es nicht allzu viele. Offensichtlich sind sie deswegen von Ihnen nicht erwähnt worden.

Unser Entschließungsantrag geht in diese Richtung. Es ist für uns wichtig, dass Sie weiter in diese Richtung arbeiten. Wenn Sie das tun wollen: Sehr gerne! Unser Entschließungsantrag ist da eine Gedächtnisstütze.

Wir haben in den letzten Jahren immer gehört, wie schrecklich und furchtbar doch alles ist und wie völlig abgehängt Nordrhein-Westfalen angeblich sei. Und zack! Am 1. Juli letzten Jahres war das dann alles gar nicht mehr so schlimm. Da gab es nämlich den Regierungswechsel. Dann war auf einmal der Spitzenplatz in der Versorgung mit schnellem Internet ein schwarz-gelber Erfolg. Innerhalb einer Nacht ist das Ihr Erfolg geworden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Da muss man sich schon einmal über die Bilanz der letzten Jahre austauschen. Wir haben in unserer Regierungszeit 0,5 Milliarden € für den Breitbandausbau bereitgestellt. Wir haben Nordrhein-Westfalen auf diesen Spitzenplatz geführt. Wir haben Breitbandkoordinatoren eingeführt.

Wenn man sich die Förderung anschaut und alles berücksichtigt, was in den letzten Calls des Förderprogramms genehmigt wurde und aus Geldern, die wir bereitgestellt haben, kofinanziert wurde, muss man sagen: Wenn das alles verbaut ist, werden wir beim Ausbau mit 50 Mbit/s jenseits von 90 % liegen.

Jeder, der jetzt einwendet, die dort verbauten Technologien seien nicht wirklich zukunftsfest: Ja, das stimmt; da brauchen wir uns nicht gegenseitig katholisch zu machen. Wir haben aber doch den Stand erreicht, den wir versprochen haben. Wir haben unser Versprechen eingehalten. Dieser Stand reicht auch zumindest im Privatbereich heute der überwältigenden Mehrheit der Menschen aus. Es ist gut gewesen, dass wir in den letzten Jahren diesen Weg gegangen sind.

Heute muss man aber fragen: Was ist der nächste Schritt? Natürlich Glasfaserausbau in der Fläche! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, dazu haben wir in den letzten Monaten immer wieder die Verweise auf den Bund gehört. Sie haben aber nie konkret gesagt, wie es eigentlich werden soll. Wir werden ganz konkret nachhaken, ob Sie in der nächsten Zeit mehr als wolkige Versprechungen liefern können.

Nun zum Antrag selbst: Sie haben in Ihren Reden richtigerweise schon die relativ breite Einigkeit in der Grundausrichtung festgestellt. Das zeichnet sich auch in unseren Entschließungsanträgen von Grünen und SPD ab.

Wir sind immer für bürgerschaftliches Engagement offen. Deshalb haben wir in den letzten Jahren – damit haben wir als rot-grüne Landesregierung ja angefangen – beispielsweise Freifunkinitiativen, weil sie auch für eine digitale Grundversorgung sorgen, erstmals in die Förderung aufgenommen. Wir sind auch immer für alternative Ausbauwege offen gewesen.

Für uns ist an dieser Stelle wichtig, das Modell über den genossenschaftlichen Breitbandausbau noch einmal verstärkt in den Fokus zu nehmen. Wir haben angeführt, dass es in den letzten Jahren zwei Projekte gab. Diese Projekte haben wir durch Initiativen aus den damals regierungstragenden rot-grünen Fraktionen angestoßen. Wir haben die Haushaltsansätze 2015 eingeführt – erst 100.000 €, inzwischen 350.000 € im Jahr 2017.

Wir sind also mit nennenswerten Summen hineingegangen und haben zwei Modellprojekte fördern können, eines in Hagen und eines in Ostwestfalen-Lippe. Beide Projekte wurden vom Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband betreut und haben gute Ergebnisse geliefert. Für uns ist es wichtig, dass mit diesem Ansatz alle vor Ort gemeinsam am Ausbau mitwirken können.

Unsere Bitte ist, dass Sie diese guten und wirkungsvollen Projekte in Ihrer Breitbandpolitik erhalten. Wenn wir uns dann in der nächsten Zeit damit auseinandersetzen, können wir vielleicht auch realistisch und mit weniger Schaum vor dem Mund die Debatten führen. Das wäre unser Ziel. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem so wichtigen Thema Digitalisierung, das ja in keiner Sonntagsrede fehlen darf, geht es aktuell unter anderem um den Ausbau von Infrastruktur – oder ganz profan ums Kabelvergraben. Dass das, wie man hört, wenn man mit Experten redet, nur eines von vielen Themen ist, können wir an dieser Stelle einmal ausblenden.

Es ist jedenfalls ein Thema, über das man sprechen muss. Zwar sind die Zahlen je nach Vergleichsmaßstab in Deutschland bzw. in NRW gar nicht so schlecht, wie immer getan wird. Aber klar ist, dass es für die Zukunft nicht reicht.

Die Technologie der Wahl ist hier die Glasfaser. Darüber streitet heute niemand mehr. Aber das war auch einmal anders.

In den 80er-Jahren, als die Technologie marktreif wurde, war es noch eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die verhinderte, dass sie eingesetzt wurde. Stattdessen wurden Kupferkabel vergraben.

In den ausgehenden 90er-Jahren war es dann eine rot-grüne Bundesregierung, die eine eher missglückte Regulierung des neu geschaffenen Telekom-Marktes zu verantworten hat, in deren Folge es zu viel zu wenig Investitionen in den Infrastrukturausbau kam.

Zuletzt war es der schon angesprochene Unionsminister Dobrindt, unterstützt von der SPD, der den Glasfaserausbau ins Stocken brachte.

Nach intensiver Lobbyarbeit der Deutschen Telekom sind nun alle regionalen Anbieter verpflichtet, neben ihren Kabeln gleich noch ein paar Leerrohre für die Konkurrenz zu verbuddeln. Damit wird jedes Geschäftsmodell dieser Anbieter ad absurdum geführt.

Es hat sich also von den sogenannten demokratischen Parteien im Hause niemand besonders mit Ruhm gekleckert, was den Breitbandausbau angeht.

(Beifall von der AfD)

Aber es hilft ja nichts. Im Interesse unseres Wirtschaftsstandortes brauchen wir den Ausbau. Er ist vielerorts – insbesondere auf dem Land – nicht wirtschaftlich und wird daher von der Telekom und ihren wenigen großen Wettbewerbern auch nur halbherzig oder gar nicht vorangetrieben.

Dabei muss die Frage erlaubt sein, warum die Politik es zulässt, dass ein Unternehmen, das nach wie vor zu einem Gutteil in Staatshand ist, vielerorts eine Monopolstellung hat und immer noch gewaltige Erträge mit einem Netz macht, das der Steuerzahler finanziert hat, so wenig für den Breitbandausbau tut. Aber es macht halt gute Lobbyarbeit und gibt nette Empfänge. Vielleicht ist das der Grund.

Lokale Initiativen jedenfalls bilden eine sinnvolle und förderwürdige Alternative. Da geben wir den Antragstellern recht. Vor diesem Hintergrund werden wir den Antrag auch unterstützen.

Die wichtigsten Punkte werden darin allerdings nicht angesprochen. So klagen die beteiligten Kommunen über eine ausufernde Förderbürokratie, der man nur noch mithilfe einer boomenden und teuren Beraterbranche Herr werden kann. Hier müsste dringend etwas unternommen werden.

Was wir sicher nicht brauchen, sind neue Programme und neue, noch kompliziertere Regeln, meine Damen und Herren von der SPD. Ihr Antrag geht vor diesem Hintergrund in die völlig falsche Richtung.

Wir brauchen Rechtssicherheit und Bestandsschutz für bereits bestehende lokale Projekte. Der Zwang zum Bereithalten von Leerrohren muss zumindest für kleine Anbieter unbedingt beseitigt werden.

Hier sollten Sie ansetzen, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Es reicht eben nicht, hier und da mal die Fördermittel ein bisschen anzuheben und blumige Anträge zu schreiben. Kümmern Sie sich lieber um die Telekom.

Wir werden den Antrag so unterstützen, würden uns aber freuen, wenn im Zuge der weiteren Beratung noch ein wenig mehr Substanz dazukäme.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Hier ist ein ganz zentrales Thema aufgerufen worden. Ich bedanke mich herzlich für die Unterstützung der Koalitionsfraktionen auch durch die Mittelbereitstellung.

Ich denke, dass wir es durch Breitbandprojekte der Bürger schaffen können, mit bürgerschaftlichem Engagement in diese Infrastrukturentwicklung einige Schnellboote hineinzubringen, die wir dringend brauchen. Das kann ich hier nur nachdrücklich unterstreichen. Ich weiß das auch aus vielen Terminen vor Ort.

In vielen Redebeiträgen ist in zutreffender Weise beschrieben worden, was noch alles zu tun ist. Wir kennen natürlich auch die Probleme, die sich einer solchen schnellen Infrastrukturanpassung in den Weg gestellt haben und zum Teil immer noch in den Weg stellen.

Es wurde hervorgehoben, dass auch von der Vorgängerregierung noch Mittel bereitgestellt worden sind. Es sind übrigens die Mittel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die wir dankenswerterweise dafür bereitstellen dürfen.

Das Schicksal dieser öffentlichen Fördermittel ist, dass sie bisher kaum verbaut werden konnten, weil die Verfahren äußerst kompliziert sind. Das hat auch etwas mit den Regelungen zu tun, die der Bund uns vorgegeben hat. Zum Teil wurden sie in Abständen von 14 Tagen geändert. Das macht es für diejenigen, die es umsetzen sollen, nicht einfacher. Wir machen eine Koförderung dazu und müssen uns an diesen Richtlinien orientieren. Unsere Hoffnung ist, dass das in Zukunft deutlich einfacher und besser wird.

Wir müssen aber natürlich auch sehen, dass es für diejenigen, die die Mittel beantragen können, nämlich unsere Kommunen, auch alles andere als selbstverständlich ist, mit diesen Themen umzugehen. Es sind europaweite Ausschreibungen zu organisieren und vieles mehr. Alles das macht es nicht leicht.

Hinzu kommt, dass wir eine gute konjunkturelle Lage haben. Das dürfen wir auch nicht verkennen. Deshalb ist es gar nicht so einfach, das Ganze technisch umzusetzen. Das alles braucht sehr viel Zeit.

Deswegen müssen wir in statistischer Hinsicht Folgendes berücksichtigen, Herr Bolte-Richter: Nicht durch Aktivitäten der öffentlichen Hand hat sich überhaupt noch etwas bewegt, sondern durch eigenwirtschaftliche Aktivitäten sind die Quoten in den letzten Jahren angewachsen. Das habe ich Ihnen auch schon auf Ihre Anfrage hin mitteilen dürfen.

Sehen Sie einmal, welche Bilanz Sie ziehen können. Es ist richtig, dass im Sommer 2017 Nordrhein-Westfalen insgesamt – das liegt auch an den Fernsehkabelnetzen, die wir aus früheren Zeiten hier vorfinden – bei einer Abdeckung von etwa 83 % lag. Im ländlichen Raum waren es aber gerade einmal 47,3 %. Ihr Ziel, bis Ende 2018 landesweit zu 100 % Breitband gelangen zu wollen, ist realistischerweise kaum für alle Regionen zu erfüllen. Das dürfte Ihnen auch klar sein.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Vogt möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie sie zulassen.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Nachdem ich das ausgeführt habe, sehr gerne. Ich möchte es gerne im Zusammenhang darstellen.

Die Ausgangslage ist, dass nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch bundesweit noch vieles zu tun ist. Das gilt erst recht mit Blick auf „Glasfaser First“. Wir haben es immerhin vermocht – auch schon mein Amtsvorgänger –, dass wir aus Nordrhein-Westfalen pointiert „Glasfaser First“ gefordert haben. Das war nicht selbstverständlich, auch im Bund nicht.

Die neue Bundesregierung hat sich jetzt auch, wie wir in Nordrhein-Westfalen, im Koalitionsvertrag „Glasfaser First“ bis 2025 zum Ziel gesetzt. Das lässt hoffen. Auch der Vorrang für Gewerbeflächen und Wohnbebauung ist in der Großen Koalition in Berlin nach unserem Düsseldorfer Vorbild verankert worden. Das könnte dabei helfen, dass wir in den nächsten Jahren auch dort noch mehr tun können.

Ich sage Ihnen aber allen Ernstes: Wir werden dieses Ziel, ein flächendeckendes Netz zur Verfügung zu stellen, nur erreichen können, wenn zweierlei gelingt.

Zum einen müssen wir die Netzbetreiber dazu bewegen, dass sie ihrer Verantwortung noch stärker nachkommen. Dazu werden wir als Landesregierung – das kann ich Ihnen versichern – alles in unserer Macht Stehende tun, um auch im Dialog mit den Netzbetreibern mehr Druck zu machen, damit hier Weiteres und Schnelleres gelingt. Dazu gehört genauso die Bereitschaft der Kommunen, die Standards auch bei der Verlegetechnik zu überdenken. Ich habe wiederholt die Kommunen aufgerufen, hier zu schlankeren Verfahren zu kommen.

Zum anderen müssen wir Folgendes erreichen – dazu dient auch dieser Antrag; deswegen bin ich dankbar dafür, meine Damen und Herren –: Es reicht nicht nur Push, sondern wir brauchen auch Pull. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger dafür gewinnen, dass sie sich nicht mit Kupferkabeln zufriedengeben, sondern sagen: „Wir wollen die besten Netze haben“, und zwar nicht nur in Düsseldorf, sondern genauso in Südwestfalen und in Ostwestfalen-Lippe.

Deswegen ermuntere ich die Gewerbetreibenden und die Bewohner in den Wohngebieten, von ihren Kommunen und von den Netzbetreibern das beste Netz einzufordern. Wenn sie es nicht schnell bekommen, greifen sie eben selbst zum Traktor und legen ein Glasfaserkabel – wie in Coesfeld.

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass es mich richtig stolz macht, dass wir Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande haben, die sagen: Wenn die anderen es nicht hinkriegen, machen wir es selbst. – In Coesfeld liegt das Kabel schon.

(Beifall von der FDP, der CDU und Alexander Langguth [fraktionslos])

Daran sollen sich die Netzbetreiber einmal ein Beispiel nehmen, meine Damen und Herren. Deswegen freue ich mich darüber, dass wir solchen Initiativen jetzt noch besser helfen können. – Herzlichen Dank.

Jetzt beantworte ich gerne noch die Zwischenfrage.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt hat Herr Kollege Vogt die Gelegenheit zur Zwischenfrage.

Alexander Vogt (SPD): Herr Minister, vielen Dank dafür, dass Sie die Frage noch zulassen. – Sie hatten gerade davon gesprochen, wie schwierig sich die Förderbedingungen auf EU-Ebene gestalten und wie schwer es für Kommunen ist, Mittel abzurufen. Sie hatten weiterhin erwähnt, dass Sie dafür werben, dass auch Glasfaser nachgefragt wird.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Richtig!)

Ich würde von Ihnen gerne Folgendes wissen: Wie schätzen Sie die Rolle der Breitbandkoordinatoren vor Ort ein? Unser Entschließungsantrag geht ja dahin, dass sie weiter gefördert und gestärkt werden sollen. Davon haben wir jetzt Ihrerseits nichts gehört. Mich interessiert, wie Sie dazu stehen und ob Sie weiterhin Breitbandkoordinatoren fördern möchten.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, das kann ich sehr gerne beantworten. Einer meiner ersten Besuche bei den Breitbandkoordinatoren fand schon im vergangenen Sommer statt. Ich habe mich mit ihnen und den Vertretern der Bezirksregierung natürlich unterhalten.

Wir stellen das Ganze auch bei uns im Haus neu auf. Wir erarbeiten gerade einen Masterplan dazu und organisieren es neu. Die Breitbandkoordinatoren werden wir eher noch verstärken. Wir werden aber auch auf den anderen Ebenen die Prozesse anders ordnen, als es bisher der Fall war. Denn es gab noch manche Bottlenecks im System. Wir müssen das System insgesamt, auch auf der öffentlichen Seite, straffen, damit unten in den Kommunen die Umsetzung noch schneller gelingen kann.

Sie müssen auch sehen, wie viel Geld schon in das System geflossen ist. Das muss ja alles noch administriert werden. Die Bewilligungsbescheide sind verteilt. Aber jetzt müssen sie umgesetzt werden. Das fordert unsere Kommunen ganz immens. Da müssen wir als Land auch unterstützend tätig werden.

Das machen wir mit den Breitbandkoordinatoren, aber auch über andere Ebenen, mit denen wir uns gerade abstimmen, damit das in den nächsten Jahren gelingen kann. Denn sollte der Bund das realisieren, was er sich vorgenommen hat, und sollten wir ergänzend das realisieren, was wir uns vorgenommen haben, kommt in den nächsten Jahren noch sehr viel auf unsere Kommunen zu. Sie brauchen dafür auch die notwendige Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP, Michael Hübner [SPD] und Marc Herter [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Pinkwart. – Wenn ich das richtig sehe, sind wir am Schluss der Aussprache, weil es keine weiteren Wortmeldungen mehr gibt. – Das bleibt auch nach dem Blick in die Runde so.

Damit kommen wir zur Abstimmung.

Erstens. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/2156 abstimmen lasse. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Antrag Drucksache 17/2156 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Abgeordneten des Hauses angenommen.

Zweitens lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2213 abstimmen. Ich darf auch hier um das Votum des Hohen Hauses bitten. Wer dem Antrag zustimmt, möge bitte die Hand heben. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der SPD und der Fraktion der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Meine Damen und Herren, damit hat der Entschließungsantrag Drucksache 17/2213 aufgrund des gerade festgestellten Abstimmungsergebnisses der Abgeordneten keine Mehrheit des Hohen Hauses gefunden.

Drittens lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/2222 abstimmen. Ich darf auch hier fragen, wer dem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD sowie die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 17/2222 abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss des Tagesordnungspunktes 9 und kommen nun zu:

10 Stärkung der Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Straftaten im Cyberraum

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2158

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende CDU-Fraktion der Abgeordneten Erwin das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Angela Erwin (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli 2016 tötete ein 18-Jähriger bei einem Amoklauf in München neun Menschen und anschließend sich selbst. Die Tatwaffe hatte er illegal auf einer Plattform im sogenannten Darknet erworben. Während der Verkäufer der Waffe unter anderem wegen fahrlässiger Tötung bereits zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist, konnten Berichten der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge die Ermittlungen gegen den Betreiber der Darknet-Plattform noch nicht abgeschlossen werden.

Wer anderen eine Plattform bietet, um unter dem Deckmantel der Anonymität und Pseudonymität illegale Geschäftsaktivitäten durchzuführen, kann sich damit jedoch nicht auf dem Boden unserer Rechtsordnung bewegen.

Dies wollen wir für die Zukunft gesetzlich genauer formuliert wissen. In diesem Sinne halten wir die Einführung eines zusätzlichen Straftatbestandes für das Betreiben von Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen in getarnten Computernetzwerken wie dem Darknet für ebenso erforderlich wie angemessen.

An anderer Stelle sehen sich Unternehmen und private Nutzer einer Vielzahl digitaler Angriffe ausgesetzt. Unter Zuhilfenahme sogenannter Botnetze verursachen Hacker teils Millionenschäden. In den letzten beiden Jahren entstanden so in Deutschland Schäden in Höhe von fast 110 Milliarden €.

Eine im Oktober 2016 vom Digitalverband Bitkom in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass knapp jeder zweite deutsche Internetnutzer innerhalb von zwölf Monaten Opfer von Cybercrime geworden sei. 80 % aller deutschen Unternehmen sind nach eigener Aussage zudem bereits Ziel solcher Angriffe geworden. Erschreckende Zahlen!

Deshalb ist es an der Zeit, die Konturen der bereits bestehenden Straftatbestände wie Computerbetrug oder Ausspähen von Daten zu schärfen und sie wirksam zu ergänzen, wie zum Beispiel durch die Schaffung eines Straftatbestandes, der die missbräuchliche Nutzung von Botnetzen unter Strafe stellt.

Zum Zweck der Sachverhaltsaufklärung und Täteridentifizierung schlagen wir zudem eine Ausweitung der prozessrechtlichen Telekommunikationsüberwachung auf Fälle schwerer Cyberkriminalität sowie die Ermöglichung eines direkten Zugriffs auf bestimmte Daten aus Cloud-Computing-Systemen vor. Da es keine nationale Cyberkriminalität gibt, ist zudem eine grenzüberschreitende Handhabe zu finden.

Erst vor Kurzem soll es zudem einen versuchten Angriff auf ein sensibles Netzwerk der Bundesregierung gegeben haben – nicht die erste virtuelle Attacke auf Institutionen unseres Staates. Höchst bedenklich ist es, wenn auch Betreiber von kritischer Infrastruktur nicht sicher vor Angriffen sind, wie ein Beispiel aus der Ukraine zeigt, wo im Dezember 2015 ein Computervirus das Stromnetz zeitweise lahmlegte. Daher empfehlen wir nachdrücklich die Einführung von digitalen Eingriffsnormen zum Schutz vor Angriffen auf Computersysteme kritischer Infrastruktur.

Meine Kolleginnen und Kollegen, die Digitalisierung macht auch vor der Justiz nicht halt. Die Dynamik der Digitalisierung, die Flexibilität sowie der Erfindungsreichtum von Hackern bergen neue Herausforderungen für unseren Rechtsstaat. Cybertäter können von überall handeln. Ihr Werkzeug beschränkt sich auf einen Laptop und eine Internetverbindung. Die technische Anonymität der Cybertäter und das damit einhergehende geringe Entdeckungsrisiko sowie die bislang überschaubare Straferwartung schafft eine besondere Attraktivität für die organisierte Kriminalität.

Hieraus resultiert die politische Aufgabe, den zuständigen Behörden die Ausrüstung an die Hand zu geben, die sie zur Vorbeugung, Aufklärung und strafrechtlichen Ahndung der soeben beschriebenen Fälle benötigen. Zu einer entsprechenden bundesgesetzlichen Regelung will die NRW-Koalition mit dem vorliegenden Antrag einen Beitrag leisten. Er ist das Ergebnis einer Vielzahl von Expertengesprächen und einer umfassenden Abwägung zwischen der notwendigen Bekämpfung von Cyberkriminalität und den verfassungsrechtlich verbrieften Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger.

Dieser Antrag dokumentiert, dass unsere Strategie von null Toleranz gegenüber Straftätern und Straftaten nicht am WLAN-Router enden darf. Der Cyberraum darf kein rechtsfreier Raum sein. Die Stärkung der Sicherheitsarchitektur ist unser Anspruch, nicht nur analog, sondern auch digital.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, …

Angela Erwin (CDU): Ich freue mich auf die weitergehende Beratung im Rechtsausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, ich wollte Sie unterbrechen, weil der Abgeordnete Pretzell Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen wollte. Diese lassen Sie nicht zu?

Angela Erwin (CDU): Nein.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Gut. – Als nächster Redner hat für die weitere antragstellende Fraktion der Abgeordnete Mangen das Wort. Bitte schön.

Christian Mangen (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung wächst in allen Lebensbereichen. Sie ist nicht mehr wegzudenken, vereinfacht jegliche Prozesse, birgt neue Chancen und ungeahnte Möglichkeiten, aber leider auch einen Raum für neue Formen von Kriminalität.

Die davon ausgehenden Risiken können und müssen bekämpft werden. In der Praxis stellt sich diese Aufgabe im Lichte der unzureichenden gesetzlichen Regelungen jedoch als kaum zu bewältigen heraus. Die NRW-Koalition, bestehend aus Freien Demokraten und CDU als große Unterstützer der Digitalisierung, hat dies erkannt. Daher ist es uns wichtig, dass ein klarer rechtlicher Rahmen geschaffen wird, der aber im Einklang mit den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger stehen muss.

(Beifall von der FDP)

Die letzten Ereignisse haben wieder einmal gezeigt, dass Cyberkriminalität niemanden verschont, weder den einzelnen Bürger noch unsere Bundesregierung und auch nicht unsere Wirtschaft. Laut „SPIEGEL ONLINE“ soll im Jahr 2017 der deutschen Wirtschaft ein Schaden von 75 Milliarden € entstanden sein. Zuletzt wurde bekannt, dass sich Hacker durch einen Angriff über ein Jahr lang Zugriff auf das als sicher geltende zentrale Datennetz der Bundesverwaltung verschafft haben.

Man stelle sich einmal vor, ein Cyberangriff will die deutsche Energieversorgung lahmlegen. Betroffen wären nicht nur Regierungen und Behörden, sondern jeder einzelne Bürger: Keine Heizung, kein Kühlschrank, kein Herd würde mehr funktionieren. Jeder Einzelne ist mithin ein potenzielles Opfer der Cyberkriminalität, und es gilt, jeden vor solchen Angriffen zu schützen – allerdings unter größtmöglicher Rücksichtnahme auf die individuellen Freiheitsrechte, für die wir uns besonders einsetzen. Ich möchte drei Punkte benennen.

Erstens hat es höchste Priorität, IT-Ermittler zu schulen, um so wirksam gegen Täter vorgehen zu können. Vielfach fehlen den Ermittlern die notwendigen technischen Kenntnisse. Es ist nicht hinnehmbar, dass viele Hobbyhacker mehr Ahnung und mehr Möglichkeiten als Ermittler haben.

Zweitens müssen Regelungen geschaffen werden, die eine Ermittlung über die nationalen Grenzen heraus ermöglichen. Im Bereich der Cyberkriminalität ist insbesondere die Grenzenlosigkeit des Internets das praktische Problem. Die Strafverfolgungsbehörden sind auch bei ihren Ermittlungen im Internet an die Souveränität einzelner Länder gebunden. Dies bedeutet, dass ihnen hoheitliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur auf dem Gebiet anderer Staaten verboten bleiben.

Drittens muss es eine Eingriffsnorm geben, die die Störung von IT-Geräten im Falle eines drohenden Angriffs auf wichtige Informationssysteme bereits erlaubt.

(Zuruf von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Mangen, auch bei Ihnen gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Pretzell.

Christian Mangen (FDP): Wenn es der Fortbildung dient, ja.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Vielleicht dient es der Fortbildung. Denn ich habe es tatsächlich nicht verstanden.

Ihr Antrag enthält einen Passus, der das Betreiben einer Handelsplattform für illegale Waren und Dienstleistungen in Computernetzwerken unter Strafe stellen soll, also im Darknet, wie es heißt. Vielleicht habe ich eine völlig falsche Vorstellung davon. Wie sieht denn Ihrer Meinung nach das Betreiben einer solchen Handelsplattform im Darknet aus, was dann unter Strafe gestellt wäre?

Christian Mangen (FDP): Was das ist, hat gerade die Kollegin Erwin bereits geschildert. So gesehen muss ich das nicht wiederholen. Zu der Frage, wie das jetzt genau aussieht: Meinen Sie jetzt eine Optik, welche Farben benutzt werden oder wie man das so gemeinhin macht?

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Ich würde mal versuchen, das durch Google zu jagen und selbst zu schauen. Denn die unterschiedlichsten Formen kann ich Ihnen auch nicht aufzeigen.

(Beifall von der CDU)

Kommen wir zurück auf den drohenden Angriff. Die Ermittler müssen hier schon früher eingreifen können. Es ist nach unserer Auffassung ein Wertungswiderspruch, dass nach der Strafprozessordnung eine Person, die bei einer Straftat angetroffen wird, von jedem Bürger so lange festgehalten werden kann, bis die Polizei eintrifft, jedoch bei der Internetkriminalität nicht auf einen Computer zugegriffen werden darf, von dem gerade ein Angriff ausgeht.

Es ist nicht tragbar, dass das Internet in manchen Bereichen faktisch ein Raum ohne Ermittlungsmöglichkeiten ist. Es ist nicht tragbar, dass eine digitalisierte Welt eine größere Angriffsfläche bietet. Es ist nicht tragbar, dass die Bundesregierung die Augen davor verschließt und tatenlos bleibt.

Daher hat sich die Landesregierung auf Bundesebene dringend für eine verbesserte Gesetzgebung zur Strafverfolgung von Cyberkriminalität einzusetzen.

Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss. – Vielen Dank und Glück auf.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mangen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Wolf das Wort. Bitte schön.

Sven Wolf (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie haben das hier sehr ausführlich dargestellt. Ich glaube, Sie haben sehr zutreffend geschildert, dass der sogenannte Cybercrime ganz viele Gesichter hat. Sie, Frau Kollegin Erwin, haben hier ein sehr beeindruckendes und auch erschütterndes Beispiel genannt, was man tatsächlich auf diesen Handelsplattformen im Darknet an illegalen Waffen erwerben kann.

Es gibt noch andere Bedrohungen, die Sie auch geschildert haben. Ich teile durchaus diese Bedrohungssituation. Das heißt, immer mehr Geräte werden mit dem Internet verbunden. Denken Sie vielleicht einmal zu Hause daran – zum Beispiel an die Waage, die Ihre Gewichte direkt an Ihren Arzt weiterleitet. Es gibt immer mehr auch sehr viel perfidere Möglichkeiten der Cybererpressung. Das heißt, auf einmal ist Ihr Bildschirm schwarz, und Sie sollen angeblich irgendwem Geld überweisen, damit Ihr Computer wieder freigeschaltet wird – Identitätsdiebstahl. Oder das von Ihnen, Frau Erwin, geschilderte Problem der Handelsplattformen.

Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass nach der Studie von Bitkom im Jahr 2017 fast jeder zweite deutsche Internetnutzer Opfer eines Cybercrimeangriffs geworden ist. Als ich das gelesen habe – das gebe ich zu –, hat mich das sehr erschüttert. Dann habe ich überlegt, wann ich selbst eventuell mal Opfer geworden bin. Denn dann müsste theoretisch auch hier im Haus jeder Zweite einmal Opfer geworden sein. Wenn man sich noch einmal die konkreten Beispiele anschaut, ist das tatsächlich eventuell möglich gewesen.

Von Schadprogrammen hatte ich schon gesprochen. Onlinezugänge, die geklaut werden – auch das gehört zum Thema Cybercrime. Oder ein vielleicht eher alltäglicheres Problem. Sie bestellen etwas auf einer Auktionsplattform, überweisen das Geld, und am Ende bekommen Sie einen leeren Karton geliefert. Auch das gehört unter den Begriff Cybercrime.

Wenn man sich die Zahlen anschaut, wie viele Schäden in Deutschland entstehen, dann kommt die Bitkom-Studie zu einer auch wieder erschütternden Zahl, nämlich einem finanziellen Schaden von rund 2 Milliarden € in Deutschland.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie greifen also durchaus ein sehr wichtiges Thema auf, was bundespolitisch weiterdiskutiert und auch dort entschieden werden muss. Ich will das jetzt nicht missverstanden wissen. Es ist Ihr gutes Recht, und es ist auch wichtig, dass wir im Landtag uns dazu positionieren, auch wenn es durchaus andere Möglichkeiten gibt, dieses Thema auf der Bundesebene zu platzieren. Sie können das im Bundesrat über Herrn Minister Biesenbach machen. Sie können das über Ihren stellvertretenden CDU-Vorsitzenden, der auch gleichzeitig Ministerpräsident ist, machen oder im Austausch – wie wir das vermutlich tun – mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag.

Es gibt aber schon Ansätze, die auf Bundesebene durchaus diskutiert worden sind. Ich will ein Beispiel herausgreifen, den sogenannten digitalen Hausfriedensbruch, teilweise sehr stark umstritten. Ich kann mir vorstellen, dass Herr Kollege Bolte darauf eventuell gleich noch etwas differenziert antwortet. Doch das ist ein Thema, das im Bundesrat seit 2016 sehr intensiv diskutiert worden ist, und seinerzeit hat Nordrhein-Westfalen die Initiative aus Hessen unterstützt.

Deswegen war ich doch etwas überrascht, dass die jetzige Landesregierung diese Initiative nicht unterstützt hat. Aber vielleicht kann Herr Minister Biesenbach gleich noch aufklären, warum es da einen Meinungswechsel innerhalb der Landesregierung gegeben hat. Vielleicht gibt es auch sachliche Gründe dafür. Das weiß ich nicht.

Ich finde es deswegen bemerkenswert, weil wir gerade alle gemeinsam hier bei einer Kollegin festgestellt haben, dass so ein digitaler Hausfriedensbruch passieren kann, nämlich bei Frau Kollegin Schulze Föcking, der wir sehr kollegial an der Seite stehen. Wir können uns fast alle kaum vorstellen, wie perfide es ist, wenn man einen solchen Angriff zu Hause in den eigenen vier Wänden erlebt und keine Einbruchsspuren zu entdecken sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Koalitionsvertrag auf Bundesebene gibt einige Antworten. Dort ist zwischen CDU und SPD vereinbart, dass diese Strafbarkeitslücken geschlossen werden sollen. Auch meine eigene Bundestagsfraktion hat sich hierzu positioniert. Wir haben bereits im Jahr 2016 ein Papier mit dem Titel „Stärkung des digitalen Immunsystems“ entworfen. Daran sollte weitergearbeitet werden.

Ich will ganz kurz, obwohl die Redezeit schon fast abgelaufen ist, ein Instrument erwähnen, was es bereits in Nordrhein-Westfalen gibt, nämlich die zentrale Ansprechstelle für Cybercrime in Nordrhein-Westfalen: ganz hervorragende Staatsanwälte rund um Herrn Oberstaatsanwalt Hartmann, die so etwas wie die Cyberjäger in Nordrhein-Westfalen sind. Das sind mit Sicherheit auch die Experten, die wir hinzuziehen sollten, wenn wir das Thema ausführlich weiter im Rechtsausschuss diskutieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Wolf. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort. Bitte schön.

Matthi Bolte-Richter*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist in der Tat so, dass wir hier über schwerwiegende Kriminalitätsphänomene sprechen. Es ist aber auch genauso klar, dass nicht jede Maßnahme gleich sinnvoll ist, nur weil sie einmal in der Rechtspolitik diskutiert wurde. Das ist bei vielen der Punkte, die in diesem Antrag aufgerufen werden, der Fall.

Liebe Kollegin Erwin, vielleicht zunächst einmal zu Ihnen. Ich habe mich schon gewundert – das habe ich aber auch schon, als ich am Dienstag Ihren Fraktionsbeschluss zur Digitalisierung las –, dass auch im Jahr 2018 diese Formel, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf, bei der NRW-CDU immer noch vorkommt. Bei denjenigen, die sich schon lange mit Digitalpolitik beschäftigen, schleicht sich da so ein wohliges Retrofeeling ein, weil wir eigentlich schon vor zehn Jahren denjenigen, die diese Formel vertreten haben, erklären konnten, weshalb das so ein gnadenloser Humbug ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man fragt sich in dieser Debatte manchmal: Wissen Sie eigentlich, was Sie da genau beantragen? Man fragt sich wie so oft, wenn es um Rechtspolitik und unter anderem auch um Bürgerrechtsfragen geht: Wo ist eigentlich die FDP? Ich wundere mich doch immer wieder, dass Sie das einfach genauso mitsingen, was Ihnen die Sicherheitsesoteriker der CDU in die Feder diktieren.

Wenn wir uns jetzt im Einzelnen anschauen, was in Ihrem Antrag so drinsteht, sind interessante Punkte enthalten. Dazu muss man zum einen sagen: Das ist ganz viel Symbolpolitik. Wenn Ihnen bei der CDU nichts anderes einfällt, dann wollen Sie Strafrahmen anheben. So auch hier. Aber Sie wissen genau, dass solche Strafrahmenfragen nicht wirklich zur Abschreckung, nicht wirklich zur Prävention dienen.

Sie nehmen Bezug auf mehrere Punkte, bei denen man einfach sagen muss: illegal ist halt illegal. Das gilt zum einen natürlich bei dem Vertrieb illegaler Waren und Dienstleistungen, das gilt aber noch viel mehr bei dieser Debatte. Sven Wolf hat es gerade schon angesprochen, dass wir als Grüne durchaus eine differenzierte Position haben.

Zum sogenannten digitalen Hausfriedensbruch gab es immer wieder die Beispiele, die Minister Biesenbach angeführt hat wie die sogenannte Zombie-IT, dass Webcams gekapert und über das Smart-TV Menschen gefilmt werden, möglicherweise auch in Situationen, in denen sie nicht gefilmt werden wollen. Herr Biesenbach hat das Liebesspiel erwähnt, getreu dem Motto: Sex sells. – Ja, das ist natürlich für den individuell Betroffenen ein massiver Eingriff. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind genau diese Vorgänge, die eben jetzt schon mit dem bestehenden Rechtsrahmen genauso gut zu verfolgen sind, denn es ist heute schon illegal, wenn man sich unbefugt Zugang zu Daten verschafft.

Es geht weiter: Im vorletzten Punkt sprechen Sie vom direkten Zugriff auf Daten in der Cloud, die ohne technische Kompromittierung zugänglich sind. – Was auch immer Sie damit meinen – Sie haben mich an der Stelle wirklich völlig ratlos zurückgelassen. Vielleicht klären Sie das im Ausschuss.

Dass Sie am Ende auch noch mit dem Internet-Kill-Switch anfangen – liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Diskussion kennen wir aus Staaten, mit denen wir uns eigentlich nicht unbedingt messen möchten. Das ist aus meiner Sicht schwer verträglich mit unseren Vorstellungen von Demokratie und einem demokratischen Rechtsstaat.

Nun gut, lassen Sie uns darüber diskutieren, was man anstelle Ihrer symbolpolitischen Forderungen bringen kann, wo es darum geht, was wirklich Sicherheit schafft, was wirklich Verbraucherrechte stärkt.

Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie verpflichtende Mindestanforderungen für IT-Sicherheit beispielsweise aussehen können.

Lassen Sie uns darüber sprechen, wie EU-weit harmonisierte Zertifizierungsverfahren aussehen können, wie man wirkliche Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger schaffen kann, wie man Diskussionen etwa zur Produkthaftung voranbringen kann, wie man die Hersteller endlich in die Pflicht nehmen kann, wenn sie unsichere Produkte hergestellt haben.

Es ist ja richtig, über IT-Sicherheit und Datensicherheit miteinander zu sprechen. Lassen Sie uns dann auch darüber reden, was Sie für eine schizophrene Haltung an den Tag legen, wenn Sie die Hacker Ihres Innenministers losschicken und hier in Nordrhein-Westfalen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung ausweiten wollen.

Statt staatlich geförderter Unsicherheit brauchen wir staatlich geförderte Sicherheit, brauchen wir robuste Verbraucherrechte. Wenn Sie darüber mit uns diskutieren wollten, hätten Sie uns an Ihrer Seite, aber für Ihre symbolpolitischen Fragen haben Sie das nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Für die AfD hat nun Herr Abgeordneter Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist keine Überraschung: Jedem neuen Schritt, den wir hin zur digitalen Gesellschaft machen, jedem zusätzlichen Euro, der im Internet umgesetzt wird, folgt auch der Kriminelle. Kriminelle waren in der Menschheitsgeschichte meistens schneller als der Staat, wenn es um das Beackern neuer Spielfelder geht. Vor diesem Hintergrund ist es schön, dass die Regierungskoalition das Problem erkannt hat.

Das Instrumentarium, das Ihnen aber dazu eingefallen ist, ist eher unausgegoren und bisweilen auch etwas gruselig. Statt der Möglichkeiten der Strafverfolgung im Cyberraum sollten wir lieber die Fähigkeiten der Strafverfolgungsbehörden ausweiten. Sie verfügen nämlich nicht im Ansatz über die Technik, das Personal und die Ausbildung, um mit den Straftätern im Cyberraum mithalten zu können. Während die Polizeibeamten noch handschriftlich Vermerke für die Handakte schreiben, zieht der Internetkriminelle technisch mehr und mehr davon. Daran werden auch neue Strafrahmen nichts ändern. Es wird auch nichts ändern, wenn Sie die Axt bei den Bürgerrechten anlegen.

(Beifall von der AfD)

Dass Sie etwa direkten Zugriff auf in Clouds gespeicherte Daten haben möchten – offenbar ohne Richtervorbehalt –, ist ein massiver Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei ist die Cloud doch für viele Anwender nichts anderes als eine verlängerte Festplatte. Manche Geräte kommen mittlerweile fast vollständig ohne physischen Speicher aus und legen sämtliche Daten dort ab. Was Sie hier also vorhaben, ist nichts anderes als eine digitale Hausdurchsuchung ohne Richtervorbehalt und andere rechtsstaatliche Errungenschaften.

Dass Sie Datenhehlerei schärfer bestrafen wollen, kann man ja nicht ablehnen, aber auch hier haben wir kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefizit. Sie sprechen es ja selber an: Die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden und Gerichten ist äußerst schwerfällig. Wie Sie dem allerdings beikommen wollen, ist unklar; wie ein neuer Strafrahmen im deutschen Recht helfen soll, ebenfalls.

Als Partei erleben wir selbst, wie sich zum Beispiel die Kriminellen bei Indymedia das Internet zunutze machen, um Gewaltaufrufe oder persönliche Daten unserer Mitglieder im Internet zu verbreiten. Der Ermittlungseifer deutscher Behörden hält sich hier stets in engen Grenzen, aber vielleicht liegt das daran, dass die Opfer keiner sogenannten demokratischen Partei angehören.

(Beifall von der AfD)

Überhaupt sollte sich die Regierungskoalition nicht so sehr über Datenhehlerei auslassen, wenn der eigene Finanzminister offenbar bereit ist, mit ausländischen Kriminellen ins Geschäft zu kommen, um seine eigenen Staatsbürger besser kontrollieren zu können.

Sie haben also, wie gesagt, das Problem erkannt, aber das war es auch. Bei der Lösung sind Sie auf dem Holzweg. Wir brauchen nicht mehr Gesetze und auch keinen Abbau von Bürgerrechten. Wir brauchen eine gut bezahlte, gut ausgerüstete und ausgebildete Polizei, für die das Internet kein Neuland ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Das kostet Geld und ist aufwendig, aber es ist wirksam. Ihr Antrag dagegen ist eher billige Symbolpolitik, gepaart mit einem neuen Schritt in den Überwachungsstaat. Dass die Union so etwas einbringt, wundert uns weniger. Dass die sogenannten Liberalen, Herr Mangen, die vermeintliche Bürgerrechtspartei, das aber mitmachen, sagt uns wieder mal viel über den Zustand dieser Partei und die Priorisierung zwischen Ministerdienstwagen und vermeintlichen Prinzipien.

(Beifall von der AfD)

Ja, wir wissen es: In einer Koalition muss man Kompromisse eingehen. Aber wie war das noch: „Lieber gar nicht regieren als schlecht regieren.“ Oder gilt das nur, wenn das passende Facebook-Bild schon fertig ist?

Wir werden jedenfalls der Überweisung des Antrags selbstverständlich zustimmen, auch wenn wirklich nicht viel dran ist, dem wir im Einzelnen zustimmen möchten.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Biesenbach das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verfolgung von Cyberkriminalität ist dieser Landesregierung ein zentrales Anliegen. Wir sind bekanntlich dazu angetreten, Kriminalität mit einer Nulltoleranzpolitik zu begegnen – zu jeder Zeit, an jedem Ort, sei er nun real oder virtuell, analog oder digital. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Diese Linie gilt es mit Nachdruck zu verfolgen.

Mit der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, die von mir hochgeschätzte ZAC NRW, verfügen wir über einen Expertenpool, dessen Fachkompetenz und Schlagkraft inzwischen weit über Nordrhein-Westfalen hinaus bewundert wird. Das Bundeskriminalamt hat für das Jahr 2016 insgesamt 2.649 Fälle des Cybercrime im engeren Sinne und 253.290 Fälle registriert, in denen das Internet als Tatmittel eingesetzt wurde. Diese Zahlen werden voraussichtlich weiter steigen. Daneben besteht eine hohe Dunkelziffer.

Straftaten von Cyberkriminellen rufen immense Schäden hervor. Im Sommer 2017 meldete beispielsweise eine dänische Reederei nach Infizierung mit einer Schadstoffsoftware Schäden in einer Größenordnung von 200 bis 300 Millionen US-Dollar. Über riesige Botnetze werden völlig unbeteiligte Personen zu ahnungslosen Werkzeugen der Kriminellen. Die Ermittler stellt das vor große Herausforderungen. Deshalb werden wir die Anzahl der Mitarbeiter der ZAC mehr als vervierfachen.

Junge netzaffine Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für diese Aufgabe zu begeistern, ist das eine. Wir haben aber – und das anders als die vorherige Regierung – auch den nachgeordneten Bereich nicht vergessen: Wirtschaftsreferent, Servicekraft, Wachtmeister. Was nützt die beste Ermittlung, wenn jemand die Haftlisten führt, die Anklagen ausfertigt und die Akten transportiert? Hier wird jetzt zügig Abhilfe geschaffen.

Effektive Strafverfolgung im digitalen Zeitalter braucht aber auch zeitgemäße Gesetze. Deswegen freuen wir uns, dass aus der Mitte des Landtags dazu derart konkrete und praxisnahe Vorschläge auf den Tisch gelegt werden. Wenn ich von Kollegen höre, das sei Symbolpolitik, dann rate ich Ihnen, sich einmal mit der Sache zu beschäftigen. Dann müssten und werden Sie zu völlig anderen Ergebnissen kommen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Man muss sich nur um die Details kümmern, dann wird man diese Ahnung ganz einfach bekommen.

Darüber hinaus wurde hier gesagt, digitaler Hausfriedensbruch sei auch nur Symbolpolitik. Hier darf ich erwähnen, dass der Bundesrat eine andere Auffassung vertritt. In der letzten Sitzung des Bundesrats ist die entsprechende Initiative angenommen und mit Mehrheit in den Bundestag überwiesen worden

(Sven Wolf [SPD]: Warum haben Sie nicht zugestimmt?)

mit der Bitte, diesen Straftatbestand zu schaffen.

(Sven Wolf [SPD]: Warum hat dann NRW nicht zugestimmt?)

Denn eines versichern mir Ermittler ebenso wie Wissenschaftler bei jedem Gespräch, zuletzt bei einem von uns veranstalteten Symposium der Landesvertretung in Brüssel: Das erforderliche und zugleich rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechende Instrumentarium ist gerade nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Der Gesetzgeber im Bund müsste hier zügig aktiv werden. Wenn er das nicht tut, müssen die Länder, wie jetzt notwendig und wie wir anstreben, ihn auch ein wenig treiben.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Wolf würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Das kann er gerne machen, wenn ich fertig bin.

Wir tun das bereits in einer Länderarbeitsgruppe „Digitale Agenda für das Straf- und Strafprozessrecht“, die auf eine Initiative der Justizministerkonferenz zurückgeht. Einige Ihrer Vorschläge werden auch dort diskutiert. Ein wichtiges Problem, dem sich diese Arbeitsgruppe widmet, ist der Umstand, dass nationale Grenzen im Cyberspace oft nicht mehr wahrgenommen werden und auch nicht mehr wahrgenommen werden können.

Dies mag der Ihnen vielleicht bekannte Fall des Telekom-Hackers illustrieren. Der in Zypern lebende Täter, ein britischer Staatsangehöriger, sollte unter Einbindung infizierter Geräte das Internetangebot eines liberianischen Telekommunikationsunternehmens angreifen, um einem dortigen Konkurrenten einen Vorteil für den liberianischen Markt zu verschaffen. In welchem Staat die für den Angriff zu infizierenden Geräte standen, war dem Täter egal. Vom Täter unbeabsichtigt, kam es infolge seines Vorgehens zu Funktionsstörungen bei über einer Million Internetrouter in Deutschland.

Die Landesregierung begrüßt den Antrag; denn er ist ein wichtiger Beitrag zur Gewährleistung eines angemessenen Rechtsgüterschutzes, ohne dabei die Freiheitsrechte des Einzelnen aus den Augen zu verlieren. Gesetze, die in der Vergangenheit in der analogen Welt die Strafverfolgung in rechtsstaatlichen Grenzen gesichert haben, bedürfen der kritischen Revision, und dazu müssen wir alle unseren Beitrag leisten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Nun kann Herr Wolf gerne seine Frage stellen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Wolf, bitte schön.

Sven Wolf (SPD): Frau Präsidentin, Herr Minister! Zunächst einmal vielen Dank, dass ich Ihnen noch kurz eine Frage stellen darf. Sie haben gerade ausgeführt, dass der digitale Hausfriedensbruch im Bundesrat besprochen wurde. Vielleicht können Sie mir die Frage beantworten, warum Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zur Entscheidung 2016 diesmal keine Unterstützung zur sofortigen Sachentscheidung und Vorlage an den Bundestag geleistet hat.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Wolf, wir haben diesen Punkt natürlich untereinander diskutiert. Es gab zwei Punkte, über die wir uns in der zur Verfügung stehenden Zeit innerhalb der Koalition nicht mehr geeinigt haben. Hätten wir etwas mehr Zeit gehabt, wäre das auch noch gelungen. Nur war es aber auch nicht notwendig, weil sich eine deutliche Mehrheit abzeichnete.

Dann haben wir gesagt: Die Diskussion können wir immer noch fortführen, wenn das Ganze später in die Bundestagsüberlegungen eingeht. Wir enthalten uns jetzt einfach. – Es lief. Es war klar, dass es lief. Da mussten wir die Fragen nicht ganz schnell noch überkreuz lösen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können, und zwar über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/2158 an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss zu überweisen.

Alle fünf Fraktionen im Landtag haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag ebenfalls an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation zu überweisen. Die abschließende Abstimmung des Antrags soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Ich darf fragen, ob es Gegenstimmen gegen diese Überweisungsempfehlung gibt. – Enthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Dann stelle ich die Zustimmung des Hauses für diese Überweisungsempfehlung fest.

Ich rufe nun auf:

11 Mittelstand und Handwerk stärken – Arbeitsplätze sichern: Unternehmensnachfolge in NRW unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2159

Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, dass die abschließende Aussprache und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung hier erfolgen soll, sodass ich nun zur Abstimmung komme.

Die Fraktionen empfehlen die Überweisung des Antrags Drucksache 17/2159 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschießende Aussprache und Abstimmung soll dann nach Vorlage einer Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen.

Darf ich die Zustimmung des Hauses feststellen? Dann bitte ich einmal kurz um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten aller Fraktionen und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Ich rufe auf:

12 30 Jahre Erasmus-Austausch in Nordrhein-Westfalen – Bildungspolitischen Austausch weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1441

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Internationales
Drucksache 17/2201

Änderungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/2223

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Krauß das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Oliver Krauß (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wodurch entstehen Ressentiments und Vorurteile? Laut Duden ist ein Vorurteil eine ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste oder eingenommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung.

Das kennen wir nun leider auch aus der einen oder anderen Debatte, die wir schon in diesem Hohen Hause geführt haben. Vorurteile in zwischenmenschlichen Beziehungen sind also voreilig gefasste Meinungen. Warum fällen Menschen ein voreiliges Urteil über Mitmenschen?

Vorurteile entstehen oft durch Unkenntnis und Unwissenheit darüber, warum sich ein Gegenüber anders verhält oder spricht, als man es selbst erwarten oder tun würde. Doch wenn die Unwissenheit überwunden ist, wenn persönliche Kontakte entstanden sind, sind andere Verhaltensweisen und Bräuche nicht mehr fremd und irritierend, sondern spannend und bereichernd.

Seit nunmehr 30 Jahren ermöglicht das Erasmus-Programm der Europäischen Union Schülern, Studierenden, Praktikanten, Auszubildenden und Hochschulangehörigen einen Auslandsaufenthalt. Nicht ohne Grund ist das Erasmus-Austauschprogramm eines der größten Erfolgsgeschichten der EU. Erasmus ist ein konkretes Beispiel für die positive Wirkung der europäischen Integration.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Zufriedenheit der Teilnehmer liegt bei über 90 %. Neben dieser individuellen Ebene sollten wir uns auch die gesellschaftliche Dimension des Austauschs bewusst machen.

Bis 2020 wird das Bildungsprogramm mehr als 4 Millionen Menschen bei ihrer Aus- und Weiterbildung gefördert haben. Mehr als 4 Millionen Menschen haben dann Kontakt zu Menschen aus anderen Nationen aufgebaut, mehr als 4 Millionen Menschen haben mögliche Vorurteile abgebaut. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die positive Multiplikatoren-Rolle.

Wir wollen aber noch einen Schritt weitergehen. Wir wollen vermehrt junge Menschen, insbesondere Auszubildende und Gesellen, ansprechen, die bislang wenige Berührungspunkte mit Menschen aus anderen Nationen haben und weniger weltoffen aufwachsen.

Selbstverständlich kosten solche Programme Geld, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die 14,7 Milliarden €, die für Erasmus+ in den Jahren 2014 bis 2020 veranschlagt wurden, gut investiert sind.

Wir sind sehr froh, dass der EU-Bildungskommissar angekündigt hat, die Mittel für Erasmus+ in der nächsten Förderperiode sogar noch zu erhöhen – und das, obwohl es durch den Brexit enorme Herausforderungen für den mehrjährigen Finanzrahmen gibt; darüber haben wir im Plenum schon mehrfach gesprochen.

CDU, SPD und FDP zeigen mit dem vorliegenden gemeinsamen Antrag, dass diesen Fraktionen die europäische Integration wirklich am Herzen liegt, und dass wir die zwischenmenschlichen Beziehungen unter den europäischen Staaten ausbauen wollen.

Die Ablehnung des Antrags durch die Grünenfraktion ist – ich habe es bereits im Ausschuss erwähnt – nicht nur bedauerlich, sondern sie ist auch nicht nachvollziehbar. Warum Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, darauf bestanden haben, den vorliegenden Antrag unbedingt mit möglichen Studiengebühren für Nicht-EU-Bürger zu verknüpfen, leuchtet beim besten Willen nicht ein. Denn es handelt sich bei der vorliegenden Initiative zur Weiterentwicklung des bildungspolitischen Austauschs nun wirklich nicht um Überlegungen, die zum Ziel haben, Studienbeiträge von Bürgern aus EU-Staaten oder von Bürgern aus Staaten, die im Rahmen von Erasmus+ gleichgestellt sind, zu erheben.

Das sollten Sie von Ihren grünen Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg und der dortigen von Ihrer Partei geführten Landesregierung eigentlich wissen. Folglich scheint es nur um den Versuch zu gehen, bei einer wichtigen Debatte eine Ihrer politischen Botschaften unterzubringen.

Die Grünen entwickeln im Rahmen von Erasmus ein Szenario von angeblich neuen Barrieren – Barrieren, die weder in Baden-Württemberg noch in Nordrhein-Westfalen zur Diskussion stehen.

(Beifall von der FDP)

Dieses Ei können Sie uns nicht ins Osternest legen. Wir lehnen Ihren Änderungsantrag ab. Lassen Sie uns aber wenigstens gemeinsam dafür sorgen, dass das Vereinigte Königreich auch nach dem Brexit ein wichtiger Partner des Erasmus-Programms bleiben wird.

Enden möchte ich damit, meine Freude über den gemeinsamen Erasmus-Antrag von SPD, FDP und CDU zum Ausdruck zu bringen. Vielen Dank an die Initiatoren! Dieser Antrag ist ein wichtiges Signal – nicht nur für unsere jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Vielen herzlichen Dank!

(Beifall von der CDU und der FDP – Beifall von Rüdiger Weiß [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krauß. Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zum Abschluss der heutigen Plenarsitzung möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihre Aufmerksamkeit auf den Inhalt dieses Antrags zu lenken.

Zu Beginn möchte ich sagen, dass wir uns bei der SPD sehr darüber freuen, dass aus dem ursprünglichen SPD-Antrag ein gemeinsamer Antrag mit CDU und FDP geworden ist – der Kollege Krauß hat es gerade erwähnt –, und wir auf diesem Wege einen wichtigen Impuls für den zukünftigen Bildungsaustausch zwischen NRW und Europa setzen können.

(Beifall von der SPD und der FDP)

Es sei aber auch ausdrücklich erwähnt, dass wir die Streichung der ablehnenden Passagen hinsichtlich der Studiengebühren bedauern. So ist das aber manchmal bei Kompromissen und bei gemeinsamen Anträgen; man muss das eine oder andere in Kauf nehmen.

Damit ist aber nicht gesagt, dass wir uns nicht auch weiterhin intensiv mit diesem Thema befassen werden. Wir haben uns in Deutschland nicht zuletzt im Rahmen internationaler Abkommen dazu verpflichtet, darauf hinzuarbeiten, das Grundrecht auf Bildung für alle durch den Abbau von finanziellen Hürden im Bildungsbereich zu sichern. Für uns steht fest: NRW muss einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Erasmus+-Programme leisten. Dieser Antrag ist ein guter Schritt in diese Richtung.

Wohl nirgends ist die Idee eines geeinten Europas ohne Grenzen erlebbarer als im Rahmen dieser Programme. Der Antrag schildert sehr anschaulich, welche enormen Chancen sich für Lehrende und Lernende eines ganzen Kontinents bieten.

Nirgendwo anders als bei uns in Europa gibt es eine so breit angelegte Kooperation im Bildungsbereich. Nirgendwo sonst findet ein regelmäßiger Bildungsaustausch vor dem Hintergrund solch einer sprachlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt statt.

Nirgendwo sonst ist es so selbstverständlich geworden, zumindest für einen kurzen Zeitraum in einem anderen Land gelebt, gelehrt und gelernt zu haben.

Erasmus steht für mehr als exzellente Bildung und Networking. Erasmus steht auch für kulturellen und sozialen Austausch. Es baut Grenzen in den Köpfen ab und schafft Verbindungen über sprachliche und kulturelle Hürden hinweg. Das Programm leistet so einen wertvollen Beitrag zur europäischen Integration. Unsere Aufgabe muss es sein, dies auch für die kommenden Generationen zu bewahren und – das ist noch viel wichtiger – es weiter auszubauen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Studierende zu fördern, ist gut. Es ist aber auch wichtig, allen jungen Menschen die Chance zu bieten, am europäischen Bildungsaustausch teilzunehmen. Deshalb muss der Bildungsaustausch in Zukunft noch stärker auf außeruniversitäre Bildung und Lehre ausgerichtet sein, damit auch mehr Nichtakademiker davon profitieren können. Damit das Ganze auch nachhaltig sein kann, muss es natürlich in Absprache mit den Arbeitgebern geschehen und strategisch begleitet werden.

Besonders steht dabei der Umgang mit dem Vereinigten Königreich im Fokus. Unser Anspruch ist es, dass der Bildungsaustausch zwischen NRW und dem Vereinigten Königreich durch den Brexit nicht beschädigt, sondern im Gegenteil – unabhängig von den Folgen des Brexit – weiter intensiviert wird.

Es ist mir an dieser Stelle ein besonderes Bedürfnis, zu betonen, dass eine Konkretisierung des zukünftigen Bildungsaustauschs zwischen NRW und dem Vereinigten Königreich nicht so spät wie nötig, sondern so früh wie möglich stattfinden sollte. Das ist nicht nur für unsere Arbeit wichtig, sondern es ist noch viel wichtiger für interessierte Studierende und Auszubildende, denen wir die Möglichkeit einer langfristigen Planung ihres Austauschs ermöglichen sollten.

Wie gesagt: Wir freuen uns, dass wir mit diesem Antrag Impulse für die Weiterentwicklung von Erasmus+ in NRW leisten können. Deutschland und NRW zeigen seit Jahrzehnten, dass qualitativ höchstwertige Hochschulbildung auch ohne große finanzielle Belastungen für Studierende möglich ist. Nicht zuletzt macht dies Deutschland und NRW zu einem beliebten und attraktiven Standort für Studierende – und so soll es ja auch bleiben.

Heute wollen wir das 30-jährige Jubiläum von Erasmus+ zum Anlass nehmen, um wichtige Impulse für dessen Weiterentwicklung in NRW zu setzen. Unseren Einsatz für kostenfreie Bildung für alle werden wir an anderer Stelle leidenschaftlich weiterführen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Weiß. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben bereits die Sinnhaftigkeit bzw. Notwendigkeit von Erasmus und dem Ausbau des Programms unterstrichen. Deswegen möchte ich mich nur auf zweieinhalb Punkte konzentrieren.

Erstens. Ich finde sehr erfreulich – und das habe ich bereits an dem Ursprungstext des SPD-Antrags gelobt –, dass Erasmus laut Antrag nicht nur etwas mit Studierenden zu tun hat, sondern dass auch Auszubildende, junge Erwachsene, Dozenten und Personal ausländischer Unternehmen innerhalb der 33 Länder der EU zu einem Austausch ermuntert werden. Das müssen wir noch weiter fördern.

Zweitens. Auch mein Vorredner hat gerade darauf hingewiesen: Mit einem Erasmus-Semester in Glasgow, Liverpool und London könnte leider bald Schluss sein, ebenso mit britischen Erasmus-Teilnehmern in Dortmund, Bochum, Köln oder Düsseldorf. Nach dem Brexit könnte das Königreich seinen Status verlieren. Das ist noch nicht sicher.

Wir fordern, dass britische Auszubildende und Studierende auch nach dem Brexit am Erasmus-Programm teilnehmen dürfen und dass umgekehrt auch die anderen europäischen Erasmus-Studierenden weiterhin an britischen Unis studieren dürfen.

Es ist wichtig, dass wir nicht genau die Generation bestrafen, die bei der Auseinandersetzung um den Brexit im Grunde genommen dagegen gestimmt hat.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Ich komme nun zu dem Antrag der Grünen. Egal wie man zu dem Thema steht: Das Ganze erinnert an einen Schaukampf und ist ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, wenn Sie jetzt so verfahren und zu Erasmus diesen Antrag bringen. Herr Kollege Krauß hat auch schon darauf hingewiesen: Sie könnten sich in der Tat bei den Parteifreunden in Baden-Württemberg einiges abschauen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort nun Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Herr Krauß, dass wir doch noch zusammenfinden. Deshalb debattieren wir hier im Landtag, und deshalb haben wir auch einen Änderungsantrag gestellt. Es wäre also sehr einfach, die geforderte Brücke zu bauen, indem Sie nämlich einfach unserem Änderungsantrag zustimmen, und schon wären wir dabei; gar keine Frage.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Ich möchte noch einmal verbal unterstreichen, dass wir der Initiative natürlich selbstverständlich zustimmen. Der Antrag setzt viele positive Zeichen nach vorne, er erweitert das Spektrum, er unterstreicht einen wichtigen Aspekt europäischer Verständigung sowie europäischer Bestrebungen. Er steht auch im Geiste der großen europapolitischen Einigkeit hier im Hause – abgesehen von einem kleineren Teil des Landtags Nordrhein-Westfalen.

Dabei sind auch Aspekte enthalten, die neue Perspektiven auf zukünftige europäische Anstrengungen eröffnen. Ich glaube, dass beispielsweise eine europäische Ausbildungsgarantie eine Anregung für arbeitslose Jugendliche in Spanien, Frankreich oder Griechenland darstellen würde, Europa für sich neu zu entdecken.

Sie machen einen großen Anlauf, aber da ist noch mehr Potenzial drin. Wir stimmen diesem Anlauf voll und ganz zu, aber – das habe ich im Ausschuss bereits unterstrichen – das, was Sie jetzt vorgelegt haben, atmet ein Paradoxon: Es gibt einfach keinen schwarzen Schimmel. Man kann nicht die Internationalität von Bildung und den Austausch betonen und den Kampf um die wichtigste Ressource, nämlich das, was wir in unseren Köpfen haben – Stichwort: Fachkräftemangel –, in den Vordergrund stellen, aber auf der anderen Seite nach A nicht auch B sagen. Es gilt, zuvor die Grenzen, die dies behindern, neu aufzuziehen. Zu diesen Grenzen gehören eben die Studiengebühren für Menschen, die bei uns studieren wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nach Baden-Württemberg blicken wir gerne. Aus Baden-Württemberg liegen Erfahrungen vor, die nach Einführung der Studiengebühren gesammelt wurden: Die Zahl der Menschen aus Drittstaaten – auch aus den europäischen –, die dort studieren,

(Zuruf von der CDU: Aber nicht bei Erasmus!)

hat um gut 20 % abgenommen. Ich glaube, dass es für einen Standort wie Nordrhein-Westfalen mit einer derart dichten Hochschullandschaft im Kampf um die besten Köpfe nicht zukunftsträchtig ist, erneut Grenzen aufzuziehen.

Es ist bedauerlich – das sage ich in Richtung sozialdemokratische Fraktion –, dass Sie diesen Aspekt, der ursprünglich in Ihrem Antrag enthalten war, einfach so aufgegeben haben.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Jetzt besteht noch einmal die Chance, zu einer Einigung zu kommen. Wenn Sie für internationalen Austausch und den Kampf um die besten Köpfe sind, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Dann finden wir wieder zu der Gemeinsamkeit, die inhaltlich mit vielen Teilen Ihres Antrags besteht. Wenn Sie diese Brücke leider nicht beschreiten möchten, werden wir uns enthalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Remmel. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von den vielen Posten im Haushalt der EU ist das Erasmus-Programm sicher einer der sinnvollsten und wird daher auch von uns nicht infrage gestellt. Ich selbst durfte an diesem Programm teilnehmen und ein Studienjahr im europäischen Ausland verbringen. Die Möglichkeit, dabei seinen Horizont zu erweitern und aus den immer verschulteren Studiengängen des Post-Bologna-Studiensystems auszubrechen, wird auch von uns ausdrücklich unterstützt.

(Beifall von der AfD)

Den Antrag – ob nun in seiner Urfassung oder in der vom Ausschuss beschlossenen Fassung – braucht es dazu freilich nicht. Und noch weniger braucht es dazu den Antrag der Grünen.

Letzterer vermengt Dinge miteinander, die nichts miteinander zu tun haben. Einer der großen Vorzüge des Erasmus-Systems ist es ja gerade, dass die teilnehmenden Studenten nur die Gebühren ihrer Heimatuniversität entrichten müssen, an deutschen Universitäten also in der Regel nur eine Verwaltungsgebühr. Umgekehrt zahlen Studenten aus dem Ausland ihre Gebühren auch während ihrer Zeit in Deutschland an die entsendende Einrichtung. Der Verweis auf Ausländerstudiengebühren hat hier also nichts verloren.

Ansonsten ist der Antrag eben so wie immer, wenn es um die heilige EU geht: Alles ist toll. Die Union muss immer enger werden, und der Brexit ist schlimm, schlimm, schlimm – die übliche EU-Besoffenheit also.

Das gipfelt darin, dass wir laut Antrag eine europäische Identität brauchen. Nein, das brauchen wir nicht! Wir brauchen eine deutsche Identität, eine französische, eine britische usw. Denn nur der gute Deutsche, der gute Franzose und der gute Brite ist auch ein guter Europäer.

(Beifall von der AfD)

Europa ist der Kontinent der Vielfalt und der Gegensätze. Ja, genau das lernt ein junger Mensch kennen, wenn er sich für die Teilnahme am Erasmus-Programm entscheidet, und das ist auch gut so.

So bleibt Ihr Antrag eine dieser vielen nutzlosen Phrasenreihen unter dem Motto: Wir machen mal was mit Europa. – Gerade die SPD müsste eigentlich wissen, dass „mehr EU“ gerade nicht so sehr das Gewinnerthema ist.

Dabei gäbe es durchaus Optimierungspotenzial im Erasmus-Programm. Das klingt aber nur in einem einzigen Punkt überhaupt an, nämlich bei der Ausweitung auf Nichtstudenten, die wir ausdrücklich unterstützen. Ansonsten sieht es mit konkreten Vorschlägen eher mau aus.

Spricht man mit den Teilnehmern am Programm, anstatt sich am eigenen Großeuropäertum zu erfreuen, bekommt man durchaus konkrete Wünsche mitgeteilt. Viele Studenten klagen beispielsweise über die quälende Förderbürokratie, die die Fördermittel nicht selten erst gegen Ende der Auslandszeit an die Studenten auszahlt. Dabei sind nicht wenige Teilnehmer dringend auf diese Mittel angewiesen, um den Austausch überhaupt antreten zu können.

Auch dass man die hervorragenden Schweizer Universitäten zu Teilnehmern zweiter Klasse herabgestuft hat, nur weil sich die Schweizer Bürger in freier und demokratischer Abstimmung gegen offene Grenzen entschieden haben, ist kritikwürdig und opfert die Chancen junger Deutscher auf dem EU-Altar.

(Beifall von der AfD)

Dabei ist das Erasmus-Programm eigentlich der beste Beweis dafür, dass es keiner EU bedarf, um in Europa zusammenzuarbeiten – im Gegenteil: Nicht nur die Schweiz, sondern auch Norwegen und andere Nicht-EU-Länder nehmen teil, weil das Programm im Gegensatz zum Rest aus Brüssel sehr attraktiv ist.

Deshalb ist es auch ausgesprochen unwahrscheinlich, dass – wie es sich die Antragsteller ausmalen – das Vereinigte Königreich nicht mehr an dem Programm teilnehmen will. Wahrscheinlicher ist es, dass man das Königreich wie die Schweiz degradiert, weil es den restlichen EU-Unsinn, insbesondere die offenen Grenzen, nicht mehr mitmacht. Aber hierzu schweigt der Antrag vielsagend.

Insgesamt haben wir also ein unkonkretes und unausgegorenes Papier vorliegen, das an den wirklichen Problemen vorbeigeht. Wir werden uns – Herr Remmel, jetzt stimmen wir mal übereinstimmend ab bei einem Europa-Antrag – ebenfalls enthalten.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die europäische Einigung ist und bleibt allen gelegentlichen Widrigkeiten zum Trotz eine Erfolgsgeschichte. Auf der Grundlage gemeinsamer Werte und kultureller Vielfalt hat sie uns in den vergangenen sieben Jahrzehnten ein friedliches und freies Zusammenleben in Europa ermöglicht. Daran muss man immer wieder erinnern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich verstehe den Antrag so, dass sich die Antragsteller ebenso wie die Landesregierung ganz klar zur europäischen Idee und zur Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des gemeinsamen Austausches bekennen.

Das gilt gerade aus nordrhein-westfälischer Sicht in ganz besonderem Maße für die Verbundenheit mit Großbritannien. Großbritannien stand Pate bei der Gründung dieses Bundeslandes im Jahr 1946. Heute leben fast 30.000 Britinnen und Briten in Nordrhein-Westfalen, und viele Tausend davon sind Studenten, die nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind. Übrigens sind ebenso viele Studenten nach England gegangen.

Vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits wird die Landesregierung die engen und vertrauensvollen Beziehungen zu Großbritannien weiter pflegen und intensivieren. Mit der Einsetzung eines Brexit-Beauftragten wollen wir gleichzeitig dazu beitragen, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen auf die Folgen des Ausstiegs von Großbritannien aus der EU vorzubereiten und neue gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.

Wenn die Rahmenbedingungen des Austritts Großbritanniens aus der EU eindeutig geklärt sind, ist für die Landesregierung ein geeigneter und richtiger Zeitpunkt erreicht, um Maßnahmen für den künftigen Bildungsaustausch zu konkretisieren.

Die Landesregierung begrüßt den Antrag der Fraktionen von CDU, FDP und SPD und stimmt diesem gerne zu.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Pfeiffer-Poensgen. – Da keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/2223. Wer stimmt dieser Änderung zu? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt zu. Wer stimmt gegen diese Änderung? – Die CDU, die FDP, die AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten stimmen gegen diese Änderung. Wer enthält sich? – Es enthält sich die SPD-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 17/2223 mit Mehrheit im Hohen Haus abgelehnt.

Zweitens stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung Drucksache 17/2201. Der Ausschuss für Europa und Internationales empfiehlt in Drucksache 17/2201, den Antrag Drucksache 17/1441 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 17/2201, also nicht über den Antrag.

Wer stimmt also dieser Beschlussempfehlung zu? – Die SPD, die CDU und die FDP stimmen zu. Das war auch in den Reden so angekündigt. Die drei fraktionslosen Abgeordneten stimmen ebenfalls zu. Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Grünen und die AfD – wie in den Reden angekündigt – enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 17/2201 angenommen und der Antrag Drucksache 17/1441 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses als Antrag der Fraktionen von CDU, SPD sowie FDP einstimmig angenommen.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Das nächste Plenum berufe ich ein für Mittwoch, den 25. April 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen frohe Ostern und ein gesundes Ende der Fastenzeit. Damit schließt sich für mich der Kreis von heute Morgen. Außerdem wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen Abend. Bleiben Sie gesund, und kommen Sie bitte wieder.

Die Sitzung geschlossen.

Schluss: 17:30 Uhr

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*)       Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.