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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/21

17. Wahlperiode

01.03.2018

 

21. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 1. März 2018

Mitteilungen des Präsidenten. 5

1   Gescheitert auch in Brüssel – Belgien hält an Atomkraft fest!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2028. 5

Norbert Römer (SPD) 5

Dr. Christian Untrieser (CDU) 6

Monika Düker (GRÜNE) 8

Dr. Werner Pfeil (FDP) 9

Dr. Christian Blex (AfD) 11

Marcus Pretzell (fraktionslos) 12

Ministerpräsident Armin Laschet 12

Michael Hübner (SPD) 15

Dr. Günther Bergmann (CDU) 17

Wibke Brems (GRÜNE) 19

Dietmar Brockes (FDP) 20

Dr. Christian Blex (AfD) 21

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 21

Karl Schultheis (SPD) 23

Bernd Krückel (CDU) 24

2   Gesetz zur Gebührenfreiheit der Hochschulen des Landes NRW – Gebührenfreiheitsgesetz (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/85

Beschlussempfehlung und Bericht
des Wissenschaftsausschusses
Drucksache 17/2007

zweite Lesung. 25

Guido Déus (CDU) 25

Dietmar Bell (SPD) 27

Moritz Körner (FDP) 29

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 31

Helmut Seifen (AfD) 33

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 35

Dr. Stefan Berger (CDU) 35

Dietmar Bell (SPD) 36

Helmut Seifen (AfD) 37

Ergebnis. 37

3   Wiederaufnahme der Förderung von öffentlichen nichtbundeseigenen Eisenbahnstrecken in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1989. 37

Henning Rehbaum (CDU) 37

Ulrich Reuter (FDP) 38

Gordan Dudas (SPD) 39

Horst Becker (GRÜNE) 40

Christian Loose (AfD) 41

Minister Hendrik Wüst 42

Ergebnis. 42

4   Steuerfahndung in NRW stärken – Whistleblower schützen – Steuer-CDs weiter ankaufen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1986

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2049. 42

Monika Düker (GRÜNE) 42

Arne Moritz (CDU) 44

Volkan Baran (SPD) 47

Ralf Witzel (FDP) 48

Herbert Strotebeck (AfD) 51

Minister Lutz Lienenkämper 53

Stefan Zimkeit (SPD) 54

Bernd Krückel (CDU) 56

Ergebnis. 56

5   Flüchtlingskinder auf den erfolgreichen Start in ihrer Heimat vorbereiten

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1994. 57

Helmut Seifen (AfD) 57

Heike Wermer (CDU) 58

Frank Müller (SPD) 59

Franziska Müller-Rech (FDP) 61

Sigrid Beer (GRÜNE) 61

Marcus Pretzell (fraktionslos) 63

Minister Dr. Joachim Stamp. 63

Kirstin Korte (CDU) 64

Stefan Lenzen (FDP) 66

Berivan Aymaz (GRÜNE) 68

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 68

Ergebnis. 68

6   Bund und Land müssen eine effektive Bekämpfung der Geldwäsche-Kriminalität sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1991. 68

Hartmut Ganzke (SPD) 68

Thomas Schnelle (CDU) 69

Marc Lürbke (FDP) 70

Verena Schäffer (GRÜNE) 71

Herbert Strotebeck (AfD) 73

Minister Herbert Reul 73

Ergebnis. 74

7   Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des allgemeinen Datenschutzrechtes an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Nordrhein-Westfälisches Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU – NRWDSAnpUG-EU)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1981

erste Lesung. 74

Minister Herbert Reul 74

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 75

Guido van den Berg (SPD) 76

Angela Freimuth (FDP) 77

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 78

Sven Werner Tritschler (AfD) 79

Ergebnis. 80

8   Produktionsschulen nicht im Aktionismus zerschlagen, sondern sorgfältig auswerten und passgenau weiterentwickeln – Berufliche Perspektiven für besonders benachteiligte junge Menschen bis 25 Jahren sicherstellen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1984. 80

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 80

Marco Schmitz (CDU) 81

Josef Neumann (SPD) 82

Martina Hannen (FDP) 83

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 84

Minister Karl-Josef Laumann. 85

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 87

Ergebnis. 87

9   Nordrhein-Westfalens Verantwortung für die Weltgesundheit ernst nehmen – Antibiotikaresistenzen in den Fokus rücken

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1996. 87

Dr. Martin Vincentz (AfD) 87

Daniel Hagemeier (CDU) 88

Christina Weng (SPD) 89

Susanne Schneider (FDP) 90

Norwich Rüße (GRÜNE) 91

Minister Karl-Josef Laumann. 92

Ergebnis. 93

10 Europäische Verantwortung für Energieversorgungssicherheit annehmen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1987. 93

Dr. Christian Untrieser (CDU) 93

Dietmar Brockes (FDP) 94

Karl Schultheis (SPD) 95

Wibke Brems (GRÜNE) 96

Dr. Christian Blex (AfD) 97

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 98

Ergebnis. 99
Entschuldigt waren:

Ministerin Yvonne Gebauer

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Christian Dahm (SPD)

Gabriele Hammelrath (SPD)

Armin Jahl (SPD)

Regina Kopp-Herr (SPD)

Hubertus Kramer (SPD)

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD)

Ibrahim Yetim (SPD)

Arndt Klocke (GRÜNE)

Josefine Paul (GRÜNE)

Johannes Remmel (GRÜNE)

Roger Beckamp (AfD)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer 21. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen am Bildschirm und auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich insgesamt zwölf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Da es heute keine Geburtstage zu würdigen gibt, treten wir nunmehr in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Gescheitert auch in Brüssel – Belgien hält an Atomkraft fest!

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/2028

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 26. Februar 2018 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD Herrn Römer das Wort. Bitte schön.

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An den Beginn dieser Debatte gehört eine unmissverständliche Feststellung: Die belgischen Atomreaktoren in Tihange und Doel müssen abgeschaltet werden – besser heue als morgen.

(Beifall von der SPD)

Denn sie sind in einem derart schlechten Zustand, dass ihr Betrieb nicht länger zu verantworten ist.

Deshalb war es richtig, dass der Ministerpräsident die Atomkraftwerke zum Thema seiner Konsultationen mit der belgischen Regierung gemacht hat. Er wollte die Regierung in Brüssel dazu bewegen, diese Reaktoren schnell – sofort – stillzulegen. Doch noch am Tag seines Besuchs war klar: Der Ministerpräsident hat nichts und niemanden bewegt. Er ist mit seinem Versuch gescheitert. Die Kraftwerke werden noch mindestens vier bis fünf Jahre weiterlaufen. Auch der Wirtschaftsminister konnte daran nichts mehr ändern, wie wir seit gestern Abend wissen.

Dass diese Verhandlungen, meine Damen und Herren, einfach werden würden, war ebenso wenig zu erwarten wie schnelle Erfolge. Die Position der belgischen Regierung war ja bekannt, und deshalb wären im Vorfeld leise und umsichtige Sondierungen notwendig gewesen, um Interessen abzuwägen, Kompromissmöglichkeiten auszuloten. Stille Diplomatie übrigens auch in enger Kooperation mit der Bundesregierung wäre die einzig seriöse und im Übrigen auch erfolgversprechende Strategie gewesen.

Stattdessen entschied sich der Ministerpräsident für eine Medienoffensive. Mit der Braunkohle im Gepäck werde er das Problem Tihange jetzt lösen, so lautete seine Botschaft. Als ihm dann zu Ohren gekommen war, dass die Belgier Braunkohlestrom gar nicht wollen, sagte er nur lapidar, dem Strom sehe man doch nicht an, aus welcher Quelle er komme. – Spätestens da, meine Damen und Herren, musste man in Brüssel glauben, für dumm verkauft zu werden.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, haben Sie wirklich allen Ernstes geglaubt, Sie könnten diplomatische Verhandlungen über Presseinterviews führen? Haben Sie wirklich geglaubt, Sie könnten über deutsche Medien Einfluss auf die belgische Energiepolitik nehmen? Herr Laschet, das war wirklich amateurhaft, was Sie da geleistet haben.

(Beifall von der SPD)

Und peinlich war es, meine Damen und Herren, wie der Ministerpräsident im Dezember den Eindruck erwecken wollte, er würde mit der belgischen Regierung schon Gespräche führen. Das behaupteten Sie, Herr Laschet, am 16. Dezember im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber das war schlicht die Unwahrheit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Daran ändert auch die nachgeschobene Ausrede nichts, mit Belgien sei nur der belgische Botschafter gemeint. Sie haben in dem Interview, Herr Laschet, einen anderen Eindruck erweckt, und genau das wollten Sie auch.

Herr Laschet, das war nicht das erste Mal, dass Sie sehr lässig mit der Wahrheit umgegangen sind. Doch, Herr Ministerpräsident, mit solchen Schwindeleien muss jetzt ein für alle Mal Schluss sein. Auf das Wort eines Ministerpräsidenten muss man sich verlassen können, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ja, der Belgien-Besuch des Ministerpräsidenten war dramatisch schlecht vorbereitet. Er ist mit leeren Händen aus Brüssel zurückgekehrt, weil er mit leeren Händen dorthin gefahren ist. Er hatte keinen Plan, keine Strategie, schon gar keinen Lösungsvorschlag, der für die belgische Seite auch nur diskussionswürdig gewesen wäre.

Eine naheliegende Lösung ist ja tatsächlich die Lieferung von deutschem Strom nach Belgien. Allerdings muss man der belgischen Regierung dann auch überzeugend darlegen können, wie die benötigten Strommengen transportiert werden sollen. Doch genau das, Herr Ministerpräsident, konnten Sie nicht, weil Ihre Regierung es versäumt hat, schlüssige Antworten auf berechtigte Fragen zu entwickeln.

Wir wissen es doch: Die Kapazität der Trasse ALEGrO 1 wird nicht ausreichen, um die benötigte Strommenge zu transportieren, und eine mögliche Trasse ALEGrO 2 gibt es bisher nur auf dem Papier. Das alles weiß doch selbstverständlich auch die belgische Regierung. Deshalb war es ihr ja auch ein Leichtes, die unausgegorenen Ideen ihres unvorbereiteten Gastes vom Tisch zu wischen.

Herr Ministerpräsident, durch Ihren diplomatischen Dilettantismus haben Sie die Verhandlungsposition Deutschlands, die Verhandlungsposition Nordrhein-Westfalens geschwächt!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ihre Reise brachte keine Fortschritte. Im Gegenteil: Es war ein Rückschlag.

Eine schnelle Abschaltung der Reaktoren – und nur das würde ja die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen in der Region beseitigen – ist nach den Verhandlungen dieser Regierung noch unwahrscheinlicher, als sie es vorher war. Dabei gibt es ja durchaus bedenkenswerte Lösungsansätze. Mein Kollege Schultheis wird das nachher noch darstellen.

Meine Damen und Herren, am vergangenen Montag erschien ein Artikel, in dem der Journalist, der ihn geschrieben hat, klagte, ich sei zu seinem Ministerpräsidenten viel zu oft viel zu gemein und solle doch liebenswürdiger auftreten.

(Beifall von der FDP – Ministerpräsident Armin Laschet: Bitte, bleiben Sie so! – Zurufe von der SPD: Oh!)

Der Journalist fand es gemein, dass ich den Ministerpräsidenten „Plaudertasche“ oder „Prahlhans“ genannt habe. Andere sehen das anders; die finden das zutreffend. Aber gut.

Herr Ministerpräsident, ich versuche es mal mit einem freundlichen Rat:

(Zurufe von der CDU und FDP: Oh! – Ministerpräsident Armin Laschet: Reden Sie wie bisher!)

Lieber Herr Ministerpräsident, bisher haben Sie immer nur versucht, die Öffentlichkeit mit vollmundigen Ankündigungen zu beeindrucken, um anschließend kleinlaute Erklärungen hinterherzuschieben, warum es mal wieder nicht geklappt hat. Versuchen Sie es einmal umgekehrt. Üben Sie sich mal in professioneller Zurückhaltung und beeindrucken Sie die Öffentlichkeit anschließend mit echten Ergebnissen und Erfolgen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Dann hätten Sie mal die Überraschung auf Ihrer Seite, Herr Ministerpräsident, anstatt die Verantwortung für enttäuschte Hoffnungen. Dann würden Sie auch tatsächlich den Beweis liefern, endlich ernsthaft die berechtigten Sorgen und Nöte der Menschen in der Region zu vertreten. Das wünsche ich Ihnen. Also, gehen Sie in sich, machen Sie es mal umgekehrt. Das wird Ihnen helfen. – Vielen Dank fürs Zuhören, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Römer. – Für die CDU erteile ich Herrn Dr. Untrieser das Wort.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht nicht um Parteipolitik, sondern um die Menschen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die SPD beweist heute, dass ihr die Instrumentalisierung dieser ernsten Angelegenheit wichtiger ist.

Die Reise von Ministerpräsident Laschet machte deutlich, dass die Sorgen der Bevölkerung ernst genommen werden. Diese Reise war ein wichtiges Signal in diese Richtung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Und Sie tragen hier Vorwürfe vor, die sich in Luft auflösen oder auf Sie zurückfallen. Lassen Sie uns einmal bei den Fakten bleiben.

Es ist unstreitig, dass die Fraktionen von CDU und FDP in diesem Hause die Abschaltung von Tihange und Doel fordern. Das haben wir in unserem Antrag vom 30. Juni 2017 „Sorgen der Menschen in Nordrhein-Westfalen ernst nehmen – Risikoreaktoren in Tihange und Doel sofort und endgültig vom Netz nehmen“ deutlich gemacht. Die SPD hat sich dazu ebenso wie die Grünen enthalten, auch weil sie einen Antrag eingebracht haben, der in die gleiche Richtung ging.

CDU, FDP und Grüne haben am 11. Oktober 2017 den Antrag „Nordrhein-westfälische Regionen unterstützen und unabdingbare Transparenz gewährleisten – Tihange abschalten!“ angenommen. Die Fraktion der SPD hat sich immerhin enthalten.

Allerdings unterstützte die SPD-Fraktion in dem Entschließungsantrag vom gleichen Tage „Tihange abschalten – grenzüberschreitende Energieversorgung verbessern“ sogar den Ansatz der NRW-Koalition. Sie fordern darin nämlich die Landesregierung auf – Zitat – „sich für einen konstruktiven energiepolitischen Dialog auf Augenhöhe zwischen Belgien und Deutschland und damit auch Nordrhein-Westfalen einzusetzen.“ – Genau das tut die Landesregierung. Vielen Dank für diese Unterstützung!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens: Sie verkennen offensichtlich die europäische Rechtslage. Nach Art. 194 des EU-Vertrags hat jeder Mitgliedsstaat das Recht, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen. Frankreich zum Beispiel versorgt sich zu drei Vierteln aus Atomstrom, Polen zu mehr als 80 % aus Kohle, ebenso Estland, Luxemburg nutzt fast vollständig Gas, Malta und Zypern hingegen zu 100 % Öl. Der Strommix Österreichs kommt zu zwei Dritteln aus Wasserkraft.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Großbritannien hat einen Mix aus Gas, Kernkraft und Kohle.

Die europäische Welt der Stromerzeugung ist also ausgesprochen differenziert, auch wenn alle EU-Staaten sich auf das Ziel geeinigt haben, die erneuerbaren Energien stärker auszubauen. Aber es bleibt das Recht jedes Mitgliedsstaates, darüber zu entscheiden, welche Energieträger oder welchen Strommix er nutzt.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Wir wissen das, aber Herr Laschet nicht!)

Wenn Sie das heute hier nicht erkennen, dann kennen Sie entweder nicht die Rechtslage oder Sie würden lieber in Brüssel statt im Deutschen Bundestag entscheiden lassen, wie unsere Energiepolitik aussieht. Beides halte ich für höchst bedenklich.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Was – drittens – möglich ist, sind juristische Mittel. Das nutzt die Landesregierung. Selbstverständlich kann im Rahmen des geltenden Rechts – ob in Belgien oder vor den europäischen Institutionen – geklagt werden. Die Landesregierung führt deswegen Verfahren vor der EU-Kommission, vor den Vereinten Nationen, vor dem Belgischen Staatsrat, vor einem belgischen Zivilgericht und vor dem höchsten belgischen Verwaltungsgericht. Das sind Aktionen, die zum Ziel führen können, und darin sollten Sie uns auch unterstützen.

(Beifall von der CDU)

Viertens: Ihr Reden ist in höchstem Grade wohlfeil. Belgien hat berechtigte Energieversorgungsinteressen. Belgien ist ein Industrieland, und genauso wie wir sind die Belgier auf jederzeit verfügbaren und preisgünstigen Strom angewiesen. Belgien hat derzeit einen Atomstromanteil von 50 %. Wenn wir es auch noch so gerne wollen, würde die unverzügliche Abschaltung der Atomkraftwerke bedeuten, dass in Belgien die Lichter ausgehen. Dies wiederum würde kein verantwortungsvoll Handelnder wollen.

Stattdessen ist es zwingend erforderlich, dass wir den Belgiern helfen und beispielsweise Stromleitungen zwischen Deutschland und Belgien bauen.

Die Übertragungsnetzbetreiber Amprion und Elia planen derzeit den Bau einer neuen, ca. 100 km langen Stromverbindung zwischen Deutschland und Belgien. Das Projekt trägt den Namen „ALEGrO“ und soll eine Transportkapazität von 1.000 MW haben. Dieses Projekt wurde Mitte Mai 2017 beantragt und soll 2020 fertiggestellt sein. „ALEGrO“ ist eine zwingende Voraussetzung, damit Tihange vom Netz gehen kann.

Das alleine reicht aber nicht, um den Tihange-Strom in Belgien sicher zu ersetzen. Auch deswegen begrüßen wir die Initiative, eine weitere Leitung zu planen und zu bauen, die nochmals mit bis zu 2 GW ausgestattet werden kann.

Weiterhin ist zu prüfen – und auch dort ist die NRW-Koalition unterwegs –, ob Stromverbindungen zwischen Belgien und den Niederlanden errichtet werden können, um den Zugriff auch auf in Holland installierte Gaskraftwerke zu ermöglichen. Nur so werden die Belgier in die Lage versetzt, einen wirklichen Atomausstieg zu beginnen. Daran werden wir zusammen mit den Belgiern und den Niederlanden weiter arbeiten.

Ich komme zum Schluss noch einmal auf Ihren Kernvorwurf zurück, dass der Ministerpräsident den Belgiern scheinbar nicht sofort den Atomausstieg habe schmackhaft machen können. Sie fallen mit diesem Vorwurf einem erstaunlichen Gedächtnisverlust anheim.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Denn die rot-grüne Landesregierung hat ja ebenfalls Gespräche geführt. Im Zeitraum zwischen Januar 2014 und Dezember 2015 gab es mit den belgischen Behörden drei Gespräche auf höchster Ebene, insbesondere auch mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie alle kennen das Ergebnis, denn sonst hätten wir heute diese Debatte nicht. Was Ihre Landesregierung damals nicht geschafft hat, das skandalisieren Sie heute im Hinblick auf unsere Bemühungen. Das wird den Menschen nicht gerecht. Das wird den Problemen nicht gerecht. Das hilft bei diesen Herausforderungen keinen Schritt weiter!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben gesehen: Die Landesregierung führt Rechtsstreitigkeiten. Die Landesregierung fährt nach Brüssel, setzt sich ein. Der Landtag hat sich mehrfach geäußert. Und wir werden die technischen Möglichkeiten schaffen, damit Belgien aus der Atomkraft aussteigen kann. Es werden alle Möglichkeiten von uns ausgeschöpft, zu einem Abschalten von Tihange und Doel beizutragen. Die letztliche Entscheidung trifft Belgien als souveräner Staat. Wir können Hilfe anbieten, Diskussionen anstoßen, Argumente vorbringen – und das wird die NRW-Koalition in verantwortlicher Art und Weise weiter tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Untrieser. – Für die Grünen erteile ich der Kollegin Düker das Wort. Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Laschet, ich weiß nicht, ob das, was Sie uns mit Ihrem Tagesausflug nach Belgien vorgeführt haben, eine Komödie oder eine Tragödie ist. Und gerade weil es – Herr Untrieser – um die Menschen geht, komme ich eher zu dem Schluss, dass das etwas Tragödisches hat.

Deswegen fangen wir einmal mit dem ersten Akt an. Sie verkünden am 16.12.2017 im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vollmundig – Zitat –, Sie seien bereits mit Belgien im Gespräch über eine Abschaltung von Tihange 2 und Doel 3, und präsentieren dann den ultimativen Deal, der zum Verhandlungserfolg führen sollte: Für die Versorgungssicherheit gibt es nun Braunkohlestrom aus dem Rheinischen Revier im Auftrag von RWE.

Wohl wissend erstens: Belgien steht zum Kohleausstieg; die wollen unseren dreckigen Braunkohlestrom gar nicht.

Wohl wissend zweitens: Es gibt gar keine Leitungen dafür, und diese stehen auch perspektivisch – die Kollegen haben es ausgeführt – gar nicht zur Verfügung.

Wohl wissend drittens: Die wegfallenden Kapazitäten können im Falle eines Atomausstiegs in Belgien besser von Gaskraftwerken, zum Beispiel von einem stillgelegten Gaskraftwerk direkt um die Ecke in Maastricht, ersetzt werden.

Wohl wissend viertens, dass es diese behaupteten Gespräche gar nicht gegeben hat. In Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen mussten Sie das kleinlaut zugeben.

Fünftens gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Antwort auf Ihre Schreiben an die Energieministerin sowie an den für die Sicherheit der Kernkraftwerke zuständigen Minister. Diese hatten also noch nicht einmal Ihre Schreiben beantwortet. Das Antwortschreiben – auch das mussten Sie etwas kleinlaut in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage zugeben – lag erst am 22. Januar vor, also vier Wochen nach Ihrer Aussage, dass Sie mit den Belgiern im Grunde schon alles klargemacht hätten.

Herr Laschet, diese Aufschneiderei ist Ihnen heute wieder einmal auf die Füße gefallen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ihre Aufschneiderei – und das ist nicht mehr lustig – war nicht nur peinlich, sondern lieferte zudem zwei fatale Botschaften.

Die erste Botschaft ging an die Menschen in der Region, die an das, was Sie ihnen erzählt haben, wirklich geglaubt haben. Sie haben ihnen glauben gemacht, dass Sie das schon alles irgendwie hinkriegen, dass Sie den Belgiern einfach ein bisschen Braunkohlestrom mitbringen und die das dann schon mitmachen werden. Die Menschen haben daran geglaubt, weil Sie ihnen den Eindruck vermittelt haben, dass ein zeitnahes Abschalten tatsächlich möglich ist. Sie haben im höchsten Maße die Glaubwürdigkeit der Politik verspielt, und das werfen wir Ihnen heute vor.

Die zweite fatale Botschaft ging in Richtung der Belgier. Mit dem absurden Braunkohledeal – der war von vorne bis hinten absurd; es wäre schön, wenn Sie das heute eingestehen würden – haben Sie den Kernkraftbefürwortern auf der belgischen Seite doch in die Hände gespielt, und denjenigen, die die „Bröckelreaktoren“ abschalten wollten, haben Sie einen Bärendienst erwiesen, Herr Laschet. Auch das werfen wir Ihnen heute vor.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nach dem Auftakt folgt nun der zweite Akt, den ich einmal mit dem Titel „Halbherziger Rettungsversuch“ versehen möchte. Hier handeln Sie ganz nach dem Motto: Na ja, das mit dem Braunkohlestrom, das war auch gar nicht so gemeint; man könnte ja auch noch ein bisschen Ökostrom beimixen, und dann bekommen sie irgendeinen Energiemix angeboten. – Kein Wort zu den Leitungen und den Gaskraftwerken!.

Dritter Akt. Das nennt man wohl eine Abfuhr erster Klasse. Die Überschriften in den Zeitungen des nächsten Tages waren an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Die „Bild“-Zeitung schrieb: „Belgier lassen Laschet bei Tihange auflaufen“. In der „WAZ“ hieß es: „Belgien lässt Laschet abblitzen“, im „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Laschet scheitert in Brüssel“, bei „WDR“ hieß es online: „Ernüchternde Ergebnisse“ und so weiter und so fort.

(Martin Börschel [SPD]: Das ist ja schrecklich!)

Letztendlich haben Sie den Belgiern die Sicherheitsbedenken, die namhafte Sicherheitsexperten geäußert haben, nicht vermitteln können.

Eigentlich könnte man jetzt sagen: Was für eine Steilvorlage für die Opposition! Diese peinliche Posse mit Ansage – es war von vornherein klar, dass das so nicht gelingen konnte –, dieser missglückte Ausflug steht leider sinnbildlich für Ihre Amtsführung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Laschet, das ist eine nicht durchdachte Schaufensterpolitik, die auf diplomatischem Parkett scheitern muss. Ihr „Schauen wir mal, und dann sehen wir weiter“ taugt für die Talkshows, aber nicht für solche ernsten Gespräche.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gleiches haben wir gestern auch in der Aktuellen Stunde zum Dieselfahrverbot feststellen können: Auch dazu kam nichts an konkreten Vorschlägen. Diese Haltung des Nichtzuendedenkens in der Politik, insbesondere vor dem Hintergrund eines solchen Themas wie in der gestrigen „AkS“, ist geradezu fahrlässig für die Zukunftsfähigkeit unserer Städte.

Wir könnten noch weiter über Sie herfallen, Herr Laschet, aber Häme und Schadenfreude machen mir ehrlich keinen Spaß.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ach! – Zuruf von der CDU: Das merkt man ja!)

Ich hätte Sie heute lieber gelobt.

(Lachen von der CDU)

Es geht nämlich um einen ziemlich ernst zu nehmenden Sachverhalt, und das ist die Sicherheit von Tausenden von Menschen in der Region Aachen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen hätte ich Sie heute lieber gelobt. Wir haben interfraktionell immer zusammengearbeitet und an einem Strang gezogen, wenn es um Tihange ging.

Nein, Schadenfreude ist heute nicht angebracht. Es geht nämlich für uns alle auch um das Vertrauen in die Politik, Herr Laschet, das Sie hiermit verspielt haben. Sie haben Hoffnungen enttäuscht, indem Sie zu hohe Erwartungen mit dieser Reise verbunden haben, und Sie haben unverantwortlicherweise auf di-plomatischem Parkett versagt. Das werfen wir Ihnen heute vor.

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der SPD nicht ganz verschonen und Folgendes an die Adresse der Antiatomkraftaktivisten von CDU und SPD sagen:

Lieber Herr Kollege Römer, so sehr ich und wir Grüne bei dem gemeinsamen Einsatz für das Abschalten von Tihange und Doel an Ihrer Seite stehen – das begrüße ich sehr –, fehlt es SPD und CDU letztendlich an Glaubwürdigkeit, wenn man nicht gleichzeitig zu einem vollständigen Atomausstieg im eigenen Land steht. Dazu gehört die rechtssichere und verbindliche Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau, die nämlich Brennstoff in unsichere Reaktoren auf der ganzen Welt liefert, nicht nur nach Belgien.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schaut man in den Koalitionsvertrag, findet man lediglich ein mutloses und halbherziges „Wir prüfen mal, und dann schauen wir mal.“

Auch hier könnte etwas mehr Glaubwürdigkeit nicht schaden, vor allem, wenn man dann nach Belgien fährt und sich dort für das Ende der Atomkraft einsetzt.

Am Schluss bleibt nach Ihrem denkwürdigen Tagesausflug, Herr Ministerpräsident, die bittere Bilanz: Es war gut gemeint – das möchte ich Ihnen nicht absprechen –, aber das ist in der Regel das Gegenteil von gut. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Düker. – Für die FDP hat Herr Dr. Pfeil das Wort.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wir beschäftigen uns in dieser Aktuellen Stunde mit einem Thema, das nach Ansicht der SPD zum jetzigen Zeitpunkt dringlich, richtig und wichtig ist. Dennoch stelle ich mir die Frage: Ist diese Aktuelle Stunde wirklich aktuell, oder hätte Sie nicht besser schon vor drei Jahren von der SPD aufgerufen werden müssen?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Oberstes Ziel der neuen CDU/FDP-Landesregierung ist es, die Politik des Schweigens gegenüber Belgien zu beenden und die Politik des Aussprechens, aber auch des Vertrauenschaffens

(Stefan Kämmerling [SPD]: Hat ja prima geklappt! Super!)

neu zu beginnen.

Genau das ist passiert. Denn viel zu lange hat die alte rot-grüne Landesregierung geschwiegen und gerade nicht auf höchster Ebene ausgesprochen, was notwendigerweise auszusprechen gewesen wäre.

(Beifall von der FDP – Stefan Kämmerling [SPD]: Wahnsinn! Sie lachen heute noch!)

Genau das gestehen Sie in Ihrem Antrag auch zu. Denn Sie schreiben richtigerweise, dass es bis zum Besuch unseres Ministerpräsidenten am 20. Februar 2018 in den letzten Jahren keine Gespräche auf höchster Ebene mit den Belgiern zu diesem Thema gegeben hätte.

Anders sieht es bei der CDU/FDP-Landesregierung aus. Ein erster Schritt beim Antrittsbesuch war, das Gespräch zu suchen. Dies waren aber nicht der letzte Schritt und auch nicht das letzte Gespräch. So konnte Minister Pinkwart nach seinem gestrigen Besuch davon berichten, dass zumindest von einer Verlängerung der Laufzeiten der belgischen Atommeiler, was auch in den letzten Wochen von belgischer Seite immer wieder angesprochen wurde, keine Rede sei.

Trotzdem: Das Ringen um eine Lösung und um einen möglicherweise noch früheren Ausstieg als 2022 bzw. 2023 geht weiter und muss weitergehen.

Wenn die SPD meint, dass dies so einfach ginge, dann stellt sich mir die Frage, warum das Thema nicht schon seit 2016 unter der alten rot-grünen Landesregierung effektiv angegangen wurde und Gespräche auf höchster Ebene geführt wurden.

So wie wir dem Betreiber Electrabel im Rahmen der beiden Klageverfahren keinen Transparenzrabatt zugestehen, so wird unser Ministerpräsident bei den politischen Gesprächen, die er auch in Zukunft mit dem Regierungschef des Königreichs Belgien führt, diplomatisch die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ansprechen sowie die Interessen der belgischen Bevölkerung für eine gesicherte Energieversorgung berücksichtigen.

So weit, so gut, könnte man denken. Aber nein, die SPD sieht darin ein Scheitern der Landesregierung. – Mit Verlaub, Herr Römer, vielleicht wären wir schon weiter, wenn die alte Landesregierung von SPD und Grünen das Heft des Handelns viel frühzeitiger in die Hand genommen hätte,

(Beifall von der FDP – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

statt jetzt mit erhobenem Zeigefinger die Landesregierung für ihr Bemühen um ein Abschalten von Tihange zu kritisieren.

Spätestens seit 2015 war doch allen klar, dass der seit 1975 in Betrieb befindliche Atommeiler Tihange möglicherweise ein Risiko darstellen könnte. Jetzt fragen Sie mich: 2015? Ja, die Antwort ist einfach: Im Jahr 2015 haben der Betreiber Electrabel und die belgische Atomaufsicht FANC selber mitgeteilt, dass man mehrere Tausend neue Risse gefunden hätte.

(Christian Loose [AfD]: Falsches Wort!)

Jetzt weiß ich schon, was von der rechten Seite kommt: Das alles sei nicht so schlimm, das sei normal, die Risse seien von Anfang an da gewesen. Ich sage an die AfD gerichtet: Dann kann Electrabel uns ja auch die Unterlagen vorlegen, die von uns angefordert und bisher nicht vorgelegt wurden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

An die SPD gerichtet: Weder 2016 noch bis Mai 2017 hat die rot-grüne Landesregierung wirklich aktiv etwas unternommen, weder auf höchster Ebene noch bei der Überprüfung von Schutzmaßnahmen in NRW auf den unteren Ebenen.

Hierzu nur ein aktuelles Beispiel: Ende Januar 2018 teilte der niederländische Untersuchungsrat zu Sicherheitsfragen in seiner Studie zur Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden, Belgien und Deutschland im Bereich der Atomkraftwerke im Grenzgebiet mit, dass es bei dem Thema „Weiterentwicklung und Abstimmung im Katastrophenfall in der Grenzregion“ erhebliche Probleme gebe.

War das neu? Für uns aus der Grenzregion nicht und, mit Verlaub, für alle ehemaligen Abgeordneten hier in diesem Hause auch nicht. Denn seit Mai 2016 gab es eine Stellungnahme des Generalkonsulats des Königsreichs der Niederlande, Drucksache 16/3966. Darin wurde das Defizit im Rettungsbereich grenzüberschreitend ausführlich dargestellt. Dort heißt es – ich zitiere kurz –:

„Es fehlt an einer strukturellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit u. a. durch die fragmentierte Bildung von sogenannten Sicherheitsregionen in den Niederlanden. Die gemeinsamen Projekte der Zusammenarbeit haben eher ein ad hoc Charakter. Von zuständigen Kontaktpersonen fehlt an beiden Seiten der Grenze eine bilaterale aktuelle Datenbank, die professionell verwaltet wird.“

Und was ist mit dem grenzüberschreitenden Katastrophenschutz? War die alte rot-grüne Landesregierung da aktiver? Nein, auch nicht.

Das, was wir, die neue Landesregierung von CDU und FDP, derzeit machen, ist, die Versäumnisse der letzten Jahre im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf allen Ebenen weiter auszuräumen und die Probleme durch konstruktives Handeln und gemeinsame Gespräche zu beheben.

Herr Römer, statt die überparteiliche Geschlossenheit aufzubrechen, fordere ich Sie auf: Schließen Sie sich den fraktionsübergreifenden Aktivitäten in der Region Aachen und auch der Landesregierung an, statt auf der Empörungsskala über das Ziel hinauszuschießen.

Übrigens: Seit Montagabend, dem 26. Februar, fordert nun auch der Stadtrat von Lüttich in einer fast einstimmigen Resolution die Abschaltung von Tihange.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Die lesen auch Zeitung!)

Herr Römer, erkennen Sie die Zeichen der Zeit?

(Marc Herter [SPD]: Hätten die letztendlich zugestimmt, wäre das gut in Lüttich!)

Die Zeit des Schweigens ist ganz offenbar auch dort vorbei. Also lassen Sie uns weiterhin gemeinsame Gespräche führen und nicht ein Scheitern herbeireden, das es nicht gibt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Pfeil. – Für die AfD hat der Abgeordnete Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Mitte-links-Regierungskoalition verspricht den Bürgern halt immer mal wieder etwas, was sie nicht halten kann. Sie enttäuscht damit auf allen Ebenen ihrer Amtsführung. Die Bürger wünschen sich eine handlungsfähige Politik. Sie wünschen sich vor allen Dingen eine ehrliche Politik.

Wir und mittlerweile auch der überwiegende Teil unserer Bürger in NRW müssen feststellen, dass Sie die Zeichen der Zeit offensichtlich nicht mehr erkennen. Sie sind nicht mehr in der Lage, Ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Das konnten wir an dem Antrag der CDU-Fraktion für die gestrige Aktuelle Stunde sehen.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Sicher, Verkehrsunfälle sind immer ein aktuelles Thema und somit auch Lkw-Unfälle, die nur einen Teil der Unfälle ausmachen. Aber das gehört in den Verkehrsausschuss.

(Zuruf von der SPD)

– Sie kennen offensichtlich Ihre eigenen Anträge nicht. Das wundert mich jetzt auch nicht unbedingt.

Eine Aktuelle Stunde sollte sich mit tagesaktuellen Themen befassen. Das tagesaktuelle Thema waren jedoch die drohenden Dieselfahrverbote, die Sie genauso zu verantworten haben wie die unsägliche Energiewende. Auch hier werden wir gebraucht, um die wirklich schmerzlichen Dinge auf das Tableau zu bringen.

Was dieses Land braucht, ist keine Energiewende. Nein, was Nordrhein-Westfalen braucht, ist endlich eine bürgerliche und rechtsstaatliche Wende.

Seit der Vereidigung von Herrn Laschet und seinem Kabinett am 30. Juni 2017 zieht sich die Tragik seiner Amtsführung wie ein rot-grüner Faden durch die Legislaturperiode. Gleich nach der Vereidigung in der 3. Plenarsitzung haben wir als einzige demokratische Fraktion im Landtag zum Thema „Tihange“ deutlich gemacht, dass Belgien ein souveräner Staat ist.

(Christian Loose [AfD]: So ist es! – Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren – und da schließe ich gern die Grünen und die SPD ein –, Außenpolitik ist eine Angelegenheit des Bundes. Das wussten Sie vielleicht nicht. Tihange kann nicht per Beschluss des Landtages sofort und endgültig stillgelegt werden.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Sie haben es wieder nicht begriffen!)

Aber unsere Warnungen wurden ja ignoriert. Sie alle wollten unbedingt Handlungsfähigkeit simulieren. Sie alle haben sich im Plenum weit aus dem Fenster gelehnt und dabei ganz perfide Zehntausende Menschen, die damals in der Menschenkette „Kettenreaktion Tihange“ für die Abschaltung demonstrierten, für Ihre politischen Reden instrumentalisiert.

(Beifall von der AfD)

Die Landesregierung hat versprochen, bald Ergebnisse zu liefern, um die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Wir waren damals schon sehr skeptisch. Am 9. Oktober 2017 folgte dann der Eilantrag von CDU, FDP und Grünen. Wir haben Ihnen erneut gesagt, dass Sie sich verrennen. Sie haben Ergebnisse versprochen. Wo sind die Ergebnisse? Ich sehe nichts, gar nichts. Ihre Ergebnisse sind nicht der Rede wert. Sie haben ganz bewusst und absichtlich Sand in die Augen der Bürger gestreut und Ängste geschürt. Sie haben Ökopopulismus der übelsten Art betrieben.

(Beifall von der AfD)

Wäre die Landesregierung eine Praxis und Herr Laschet der behandelnde Chefarzt, dann würden Patienten, die mit einer leichten Angststörung zur Behandlung kämen, die Praxis mit einer schweren Angstpsychose und einer Jodtablette verlassen.

(Beifall von der AfD – Widerspruch von der CDU)

Der Gipfel der Frechheit war dann das Interview mit Herrn Laschet im „Kölner Stadt-Anzeiger“: Sie haben am 16. Dezember 2017 gesagt, dass Sie mit Belgien bereits im Gespräch seien und dies fortsetzen wollten. Das war – ich drücke mich einmal höflich aus – bewusst die Unwahrheit. Es hat zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Gespräche gegeben; das hat auch die belgische Energieministerin Marghem öffentlich zu Protokoll gegeben. Erst auf das Folgeschreiben vom 15. Januar hat Belgien überhaupt auf Ihre „Postille“ geantwortet. Sie haben sich schlicht beim Flunkern erwischen lassen.

Am 20. Februar fand dann das offizielle Gespräch statt. Es ist krachend gescheitert, und die Enttäuschung stand Herrn Laschet auf dem Foto im „Handelsblatt“ förmlich ins Gesicht geschrieben. Das „Handelsblatt“ titelte passend: „Laschet beißt bei AKW-Abschaltung in Belgien auf Granit“.

(Karl Schultheis [SPD]: Belgischer Granit!)

Die Reaktion Belgiens ist einfach erklärt: Es ist ein Schutzreflex. Belgien – das können sich auch die anderen Linksparteien hier gern anhören –

(Vereinzelt Lachen von den GRÜNEN)

möchte nicht die Strommüllhalde für minderwertigen Zufallsstrom in Europa werden.

Sie reden über die Verantwortung für die europäische Energieversorgungssicherheit, wollen aber ein souveränes Land von unserer Zufallsstromlieferung abhängig machen. Das ist das genaue Gegenteil von Versorgungssicherheit.

Ihre Vorstellungen von der europäischen Energieversorgungssicherheit werde ich zu einem späteren Zeitpunkt – Sie haben ja einen Antrag dazu eingebracht – widerlegen. Nur so viel jetzt: Diesen Antrag haben die Regierungsfraktionen vor Ihren Gesprächen mit Belgien eingereicht. Nach dem Scheitern der Gespräche hätten sie diesen Antrag eigentlich zurücknehmen müssen, um sich eine erneute Demütigung zu ersparen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Ich erteile nun dem fraktionslosen Abgeordneten Herrn Pretzell das Wort.

Marcus Pretzell (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Eine Aktuelle Stunde, weil der Herr Ministerpräsident möglicherweise den Mund etwas zu voll genommen hat! Deswegen wollen wir hoffentlich nicht jedes Mal gleich eine Aktuelle Stunde durchführen.

(Zuruf von der SPD: Das wird ein regelmäßiger Tagesordnungspunkt!)

– Das wird ein regelmäßiger Tagesordnungspunkt? Vielleicht kennen Sie die Situation noch von vor einem halben Jahr und der Zeit davor.

Meine Damen und Herren, welch Überraschung, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident es nicht geschafft hat, Belgien zu erklären, wie man die Energiepolitik im eigenen Land zu gestalten hat!

Es wird Sie schmerzen, aber ich muss Ihnen sagen: Belgien ist ein souveräner Staat. Daher kann es nicht verwundern, dass Belgien den deutschen – überstürzten – Weg „Raus aus der Kernkraft!“ nicht nachmacht. Der Ausstieg aus der Kernkraft ist auch in Belgien letztlich beschlossene Sache. Der Ausstieg wird erfolgen, aber die Belgier sind klüger, als wir es in Deutschland waren. Man wird das nicht überstürzt, nicht ohne Plan B machen. Man wird eben keine Versorgungsengpässe bei der Energie riskieren, und damit werden wir hier im nordrhein-westfälischen Landtag leben müssen.

Und ja: Ich finde es gut, dass Belgien ein souveränes Land ist. Ich finde es gut, dass man sich weder aus Nordrhein-Westfalen noch aus ganz Deutschland die Politik diktieren lässt. Europa profitiert eben davon, dass es nach wie vor souveräne Staaten hat, die dann auch – hoffentlich – souverän handeln. – Herzlichen Dank.

Präsident André Kuper: Ich darf dann für die Landesregierung Herrn Ministerpräsidenten Laschet das Wort erteilen.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Vielen Dank. – Herr Präsident! Ich danke zunächst für die Beantragung der Aktuellen Stunde;

(Heiterkeit bei der SPD)

denn das bietet uns die Gelegenheit, Ihnen einige Informationen über die Gespräche des Wirtschaftsministers am gestrigen Tage und über meine Reise zu geben.

Ich möchte auf die hier geäußerte Kritik …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie hätten ja auch eine Regierungserklärung machen können!)

– Ich möchte zunächst auf die hier geäußerte Kritik, Herr Mostofizadeh, die heute in ähnlicher Tonlage und mit ähnlichen Argumenten von AfD, SPD und Grünen vorgetragen worden ist, entgegnen.

(Marc Herter [SPD]: Das ist ja infam!)

Erstens. Herr Pretzell hat gerade damit geendet: Belgien ist ein souveräner Staat. – Ja, Belgien ist ein souveräner Staat, ohne jeden Zweifel. Nach dem europäischen Recht entscheidet jedes Mitgliedsland über seine Energieversorgung.

Es ist möglicherweise ein weiterzuentwickelnder Aspekt in der europäischen Politik, dass wir in diesem Punkt mehr Europa brauchen. Wir brauchen, weil eine Katastrophe, die passieren würde, über Grenzen hinweggeht und dann eben keine nationale Angelegenheit mehr ist, eigentlich eine europäische Behörde, die nach objektiven Kriterien entscheidet, ob das Kraftwerk sicher ist oder nicht,

(Martin Börschel [SPD]: Das wussten Sie alles, bevor Sie geflunkert haben!)

und es am Ende auch stilllegen kann. – Ob Ihnen das gefällt oder nicht, Herr Börschel, das ist meine Position zur europäischen Politik. Der Euratom-Vertrag hatte eine andere Anlage.

(Martin Börschel [SPD]: Sie flunkern!)

Deshalb werde ich auch weiter für diese Grundidee einer Veränderung der europäischen Verträge werben.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Dass Sie und manche andere im Hause das vielleicht anders sehen, ist ja in Ordnung. Mein Verständnis von Europa ist, dass wir, wenn wir über Grenzen hinweg leben, auch gemeinsame Sicherheit brauchen. Da muss der Nationalstaat überwunden werden.

(Christian Loose [AfD]: Im europäischen Superstaat? – Weitere Zurufe von der AfD)

– Ja, Sie können das anders sehen. Das wissen wir. Sie haben heute bei Ihren Reden auch von manchen Partnern Zustimmung gehört. Meine Position in dieser Frage ist klar.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Eine Frechheit! Vorsicht!)

– Was heißt denn hier „Frechheit“? Entschuldigung! Sie haben doch eben die Begeisterung von Herrn Schultheis hören können, als Herr Pretzell hier sagte: Der Ministerpräsident ist gescheitert; wir machen das jedes Mal.

(Zurufe von der SPD: Das ist doch Unsinn! Quatsch! – Thomas Kutschaty [SPD]: Das ist die nächste Frechheit, Herr Ministerpräsident, die Sie hier abgeben!)

Sie haben den gleichen Stil drauf wie die von der rechten Seite des Hauses, den gleichen Stil!

(Beifall von der CDU – Unruhe von der SPD – Marc Herter [SPD]: Keine Nebelkerzen bitte, Herr Ministerpräsident!)

Auch die Art der Presseschelte, lieber Herr Kollege Römer, passt nicht zur großen Tradition der Sozialdemokratischen Partei. Das sage ich Ihnen auch mal.

(Beifall von der CDU)

Das passt eher dahin. Das ist dieser Stil.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind ganz schön angestochen, Herr Ministerpräsident!)

Zweiter Punkt: Weil die Rechtslage heute so ist, wie sie ist, geht es darum, gegenüber Belgien unsere Position deutlich zu machen. Das macht die Region, das macht der Städteregionsrat, das passiert in Klagen, und das macht auch dieser Landtag.

(Beifall von der FDP)

Jetzt sage ich Ihnen einmal, was in den letzten Jahren auf diesem Gebiet passiert ist:

Dieser Landtag hat sich zum allerersten Mal mit dem Thema „Tihange“ – das können Sie im Archiv des Landtags nachschauen – am 24. November 2015 auf einen Antrag der CDU-Fraktion hin befasst, weil wir der Regierung gesagt haben: Da passiert zu wenig. – Nach unserer Auffassung war die damalige Regierungschefin zu wenig in Brüssel, waren die Minister zu wenig in Brüssel. – Herr Becker, es ist so; das können Sie nachschauen. Es gibt ein paar objektive Fakten.

Im Jahr 2015 hat sich dieser Landtag auf unseren Antrag hin zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt.

Im Jahr 2016 haben dann die Ministerpräsidentinnen aus Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen einen Brief an die belgische Regierung geschickt, den wir unterstützt haben und in dem deutlich gemacht wurde: In der Region gibt es große Bedenken.

Ende November 2016 haben wir einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zustande gebracht. Somit haben wir eine Position gegenüber Tihange klargemacht.

Jetzt sage ich Ihnen etwas zu meinem Amtsverständnis – es mag sich von Ihrem unterscheiden, Herr Römer –: Nicht der Weg der stillen Diplomatie, nicht fünf Jahre Schweigen bewegen eine öffentliche Debatte. Ich bin vielmehr dafür, die Beneluxbeziehungen zu verbessern – in den Verkehrsbeziehungen, bei der inneren Sicherheit. Das war das Hauptthema der Gespräche mit Belgien.

(Zuruf von der SPD: Das ist nicht zu glauben!)

Aber ich rede auch Klartext, wenn ich dorthin fahre. Da kann ich fünfmal scheitern, zehnmal scheitern, ich werde noch zehnmal hinfahren und dafür werben, dass Tihange abgeschaltet wird.

(Beifall von der CDU)

Das ist mein Stil. Ich könnte auch nach Belgien reisen, über den Eisernen Rhein und die innere Sicherheit reden und dann am Ende still und leise fragen: Könntet ihr eventuell Tihange abschalten? Darüber werde ich aber nicht öffentlich reden, damit nicht Menschen wie Herr Römer in ihre Verbalinjurienkiste greifen, um einen danach zu beschimpfen. – So werde ich es nicht machen.

(Beifall von der CDU – Unruhe von der SPD – Zuruf von der SPD: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

Mein Stil ist ein anderer. Bitte ändern Sie Ihren Stil nicht, Herr Römer. Bitte ändern Sie ihn nicht. Denn das zeigt, in welcher Verfasstheit Ihre Partei und Ihre Fraktion sind, wenn Sie in dieser Weise mit dem Ministerpräsidenten reden. Machen Sie bitte weiter.

(Beifall von der CDU – Marc Herter [SPD]: Das hat Sie aber schwer getroffen!)

Ich werde noch oft dahin fahren und vor jeder Reise sagen: Ich will, dass Tihange abgeschaltet wird. – Nur wenn man Klartext redet, bewegt man etwas in der öffentlichen Debatte. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir.

(Beifall von der CDU – Unruhe von der SPD)

Und wie verzweifelt Sie sind! Ich meine, wie kann man denn eine Aktuelle Stunde mit dem Thema „Gescheitert auch in Brüssel – Belgien hält an Atomkraft fest!“ beantragen? Mein Gott, wie naiv sind Sie denn inzwischen geworden, dass Sie glauben, eine einzige Reise eines Ministerpräsidenten würde die gesamte Energiepolitik eines Landes verändern?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber wer hat denn vorher so getönt? – Weitere Zurufe von der SPD)

– Herr Herter, der Ministerpräsident ist nicht dahin gereist …

(Marc Herter [SPD]: Gucken Sie mal, was Sie vorher gesagt haben! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Entschuldigen Sie mal! Ich erkläre Ihnen noch einmal den Unterschied. Die Tumbheit eines solchen Antrags, zu glauben, dass man mit einer Reise Belgien dazu bringt, seine …

(Marc Herter [SPD]: Verbalinjurien, Herr Ministerpräsident! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Seit wann kritisiert der Ministerpräsident Tagesordnungspunkte des Plenums!)

– Können wir uns mal einigen, wer gerade das Wort hat? – Gut.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sehr angestochen, Herr Ministerpräsident, sehr angestochen!)

– Ich verstehe doch, dass Ihnen das wehtut.

(Beifall von der CDU – Lachen und Zurufe von der SPD)

Wenn ich einer Regierung angehört hätte, Herr Schmeltzer, dessen Ministerpräsidentin von diesem Pult aus nie Klartext über Tihange gesprochen hat,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie waren ja kaum da, wenn wir gesprochen haben!)

dann würde ich das auch verstehen. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Niemand hat die Idee gehabt …

(Lachen und Zurufe von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie reiten sich ja immer mehr rein heute Morgen, Herr Ministerpräsident!)

Also, machen Sie so weiter. Wenn Sie so weitermachen, sind selbst die 20 % demnächst nicht mehr für Sie erreichbar. Machen Sie in diesem Stil weiter!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)

Glauben Sie, mit diesem Dazwischenbrüllen, mit diesem höhnischen Gelächter würden Sie die Menschen in der Aachener Region, die ernsthaft Angst haben, wirklich erreichen? Glauben Sie, dass Sie sie damit erreichen?

(Zurufe von der SPD: Ja! Genau!)

Unsere Auffassung ist: Sie erreichen sie mit Klartext.

(Zuruf von der SPD)

Jetzt sage ich Ihnen noch einiges zu diesen Gesprächen; Minister Pinkwart wird gleich erläutern,

(Monika Düker [GRÜNE]: Aber doch nicht mit Fake News!)

was hier in Bewegung gekommen ist.

Die „Aachener Nachrichten“, die der Falschmeldung von Herrn Krischer erst einmal aufgesessen waren,

(Zurufe von der SPD)

schreiben heute: Niemand erwartet, dass Gespräche von Ministerpräsident Laschet, Frau Umweltministerin Hendricks oder Minister Pinkwart zum sofortigen Abschalten führen. Das wäre naiv – Teil Sozialdemokratie. Doch ein guter Austausch hilft, eine Zukunft zu gestalten.

Ein Anfang ist gemacht.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Wir befinden uns in strukturellen Gesprächen und bewegen endlich etwas. Das ist der Unterschied zum Stillstand der letzten Jahre in dieser Frage.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine letzte Bemerkung, Frau Düker, weil Sie die Urananreicherungsanlage Gronau angesprochen haben – auch hier mein Klartext –: Es gab in der Vorgängerlandesregierung zwei Rechtspositionen.

Die Position von Herrn Remmel war, man könne Uranlieferungen nach Tihange rechtmäßig unterlassen, dazu gebe es ein Rechtsgutachten.

Die Position des Wirtschaftsministers war, man könne das nicht.

Die Position der Bundesregierung war, man könne das nicht, man sei nach dem Euratom-Vertrag verpflichtet, Tihange weiter zu beliefern.

Ich teile die Rechtsauffassung von Herrn Remmel, und ich habe diese Position auch gegenüber Frau Hendricks vor ca. einem Jahr in klaren Worten deutlich gemacht.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, dass wir uns diese Rechtsauffassung noch einmal ansehen; denn die Position lautet: Jeder Mitgliedsstaat ist verpflichtet, dem anderen zu helfen.

Wenn aber die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist und man ein begründetes Misstrauen gegenüber der Sicherheit in dem anderen Land hat – was die Bundesregierung hat, sonst würde sie die Belgier nicht wegen Tihange kritisieren –, dann kann man von Lieferungen absehen. Das ist meine Rechtsposition, für die ich weiter kämpfen werde.

Wenn andere jetzt sagen: „Der hat sich wieder nicht durchgesetzt“, können Sie wieder Ihre Pressemitteilungen machen. Ich werde trotzdem dafür kämpfen, dass aus Gronau keine weiteren Brennelemente geliefert werden.

(Beifall von der CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Ja! Sehr gut!)

– Aber der Unterschied, Frau Düker – und da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet –, ist: Wenn wir Gronau schließen, wenn wir Lingen schließen, dann bedeutet das, dass sich Deutschland aus diesem Feld der Produktion verabschiedet.

(Monika Düker [GRÜNE]: Genau so!)

Wir sind dann nicht mehr Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde. Wir wären dann wir nicht an den Atomenergiegesprächen und den Friedensgesprächen mit dem Iran beteiligt gewesen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Völliger Quatsch!)

– Damit würden wir den Einfluss Deutschlands preisgeben. Das ist die Rechtsauffassung, Frau Düker.

(Unruhe)

Wenn Deutschland keine Kernelemente mehr produziert und aussteigt, kann man nicht mehr Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde sein.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Gronau wird deshalb bleiben, und nach Tihange wird nicht mehr geliefert. Das ist mein Ziel, und dafür werde ich kämpfen. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Die Landesregierung hat die Redezeit um knapp vier Minuten überzogen.

(Unruhe)

Das werden wir bei den weiteren Rednerinnen und Rednern entsprechend berücksichtigen, wobei ich dazusagen darf, dass Herr Römer und Frau Düker auch bereits die Redezeit überzogen haben.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ne, ne, ne! Zehn Sekunden länger geredet!)

Wir werden das konstruktiv weiter voranbringen. – Nun hat für die SPD Herr Hübner das Wort.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben …

(Zurufe: Mikro!)

Die im Wesentlichen faktenfreie Rede vonseiten der Mitte-rechts-Koalition

(Heiterkeit von der CDU)

macht nur deutlich, dass es Ihnen

(Zuruf von der CDU)

nicht um das Thema geht, dass es Ihnen in keiner Art und Weise um eine Lösung des Problems geht. Sie macht deutlich, dass Sie hier dem Populismus Vorschub leisten wollen,

(Zurufe von der FDP)

und das ist letztlich nicht in Ordnung.

Lassen Sie mich damit beginnen, Herr Ministerpräsident Laschet: Ich finde es, ehrlich gesagt, infam, die SPD und die Grünen in diesem Hause auf die gleiche Ebene wie die AfD zu stellen.

(Beifall von der SPD)

Ich finde das unerträglich, Herr Ministerpräsident. Auch für einen stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU, einer Partei, die langjährig für die demokratischen Werte in diesem Land gestanden hat, finde ich das unerträglich. Ich bitte, das in weiteren Wortmeldungen entsprechend zu unterlassen, Herr Ministerpräsident,

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

weil es einfach nicht in Ordnung ist, dass Sie das tun.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Auch der Hinweis zu dem Europaabgeordneten Pretzell: Sie benennen ihn als Kronzeugen und sagen, dass Herr Pretzell immerhin erkannt hat, dass es souveräne Staaten in Europa gibt. – Ich erwarte von jedem Europaabgeordneten, dass er das zur Kenntnis nimmt. Natürlich gibt es bestimmte Sachverhalte, die in der Energiepolitik immer noch nationalstaatlich organisiert werden. Selbstverständlich ist das so. Diese Belehrung durch den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein brauche ich nicht.

(Beifall von der SPD)

Darüber hinaus den Versuch zu unternehmen, Herr Ministerpräsident Laschet, die Einhaltung von gesetzlichen Standards in Belgien als Erfolg zu verkaufen, nachdem die erste Reise in der letzten Woche gescheitert ist und die zweite Reise von Minister Pinkwart in dieser Woche offensichtlich ebenfalls gescheitert ist, ist auch mehr als dreist.

Selbstverständlich wird sich Belgien als autonomer Staat daran halten, dass der Atomausstieg bis zum Jahr 2025 auf den Weg gebracht werden muss. Ich halte das für einen ganz normalen Vorgang bei den Belgiern; denn sie sind ja ein autonomer Staat.

Worum geht es uns denn bei der heutigen Debatte? – Es geht darum, dass die beiden „Bröckelreaktoren“, die auf der deutschen Seite insbesondere in der Region Aachen, lieber Karl Schultheis, zu großen Sorgen führen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Mit Bröckeln kennen Sie sich ja aus!)

abgeschaltet werden. Es geht nicht um den sofortigen Atomausstieg in Belgien, der bis zum Jahr 2025 angekündigt ist.

Dazu, lieber Ministerpräsident, haben Sie hier gerade eben nichts vorgetragen. Sie haben allenfalls die Rolle übernommen – so will ich es einmal formulieren –, hier als Compliance-Beauftragter der belgischen Staatsregierung aufzutreten, der erklärt: Die rechtlichen Zusammenhänge in Belgien sind einzuhalten, und ich erkenne an, dass sie eingehalten werden. – Weiter haben Sie dazu nichts gesagt. Ihre Ad-hoc-Diplomatie – der Kollege Römer hat es deutlich gemacht – ist krachend gescheitert.

Wie könnte man das besser machen? – Der Kollege Untrieser hat vorhin versucht,  zu verdeutlichen, dass es in diesem Zusammenhang in den letzten sieben Jahren unter Rot-Grün angeblich keine Gespräche gegeben hätte. – Dem muss ich leider entgegenhalten: Lieber Karl Schultheis, wir beide sind ja schon des Öfteren in Belgien gewesen und haben mit den Regionen und mit der belgischen Staatsregierung gesprochen.

(Lachen von der FDP – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Und wir führen diese Gespräche weiter, Herr Kollege Untrieser. Sie sind mehr als eine bloße Ankündigungsrhetorik, nach der man krachend gescheitert zurückkommt. Es geht um mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was anderes haben Sie bisher nicht gemacht!)

Worum geht es dabei? – Es geht beispielsweise darum, lieber Kollege Hovenjürgen, die Unterschiede zwischen den Systemen auf der deutschen und denen auf der belgischen Seite deutlich herauszustellen und in kleinen Schritten voranzukommen. Wir haben niemals behauptet, dass wir direkt beim ersten Besuch eine Lösung herbeiführen würden, wie der Ankündigungs-Ministerpräsident das getan hat. Das haben wir niemals so angekündigt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Nein! – Zuruf von der CDU: Stimmt nicht!)

Wir haben das immer so verstanden, dass es eines konstruktiven Dialogs bedarf

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja!)

und dass es natürlich nicht sein darf, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen als Besserwisser nach Belgien fahren und sagen: Hier habt ihr ein paar Braunkohlebriketts; seht zu, dass ihr halbwegs klarkommt! – So geht das nicht. Wir im Land Nordrhein Westfalen haben mit starken Stadtwerken eine ganz andere Energieversorgungsstruktur. Das wären beispielsweise mögliche Lösungsansätze. Von Herrn Untrieser, der früher beim Verband kommunaler Unternehmen gearbeitet hat, hätte ich mir ein Stück weit gewünscht, dass er sich daran orientiert.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Der Untrieser hat da schon mal gearbeitet, das stimmt!)

Selbstverständlich verlaufen die Gespräche konstruktiv und auf Augenhöhe, Herr Untrieser.

Auch die Klagen, die seitens der letzten rot-grünen Landesregierung auf den Weg gebracht worden sind, haben in der Diskussion gerade schon mal eine Rolle gespielt. Wir haben immer die Städteregion bei der Forderung unterstützt, die beiden Bröckelreaktoren auf belgischer Seite abzuschalten, indem wir Klagen auf den Weg gebracht haben.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Sowohl seitens der Bundesregierung als auch vonseiten der Landesregierung haben wir das unterstützt. Das ist ein Baustein, um sich dem Thema zu nähern. Ich finde, dass das der richtige Weg ist.

Wir haben uns hier übrigens schon das ein oder andere Mal über die Notfallpläne unterhalten – auch das hat gerade schon eine Rolle gespielt. Ich bin ein großer Kritiker, wenn es darum geht, staatlicherseits beschaffte Jodtabletten an die Menschen in der Region Aachen zu verteilen. Die Notfallpläne gelten ja nicht nur für die Region Aachen, sondern weit in dieses Bundesland hinein. Ich bin eigentlich ein Kritiker davon, die bis 45-Jährigen damit auszustatten. Das macht aber deutlich, dass es eine hohe Emotionalität und Empathie gegeben hat, sich dem Thema zu nähern und den Leuten Angst zu nehmen. Gleichwohl müssen wir erkennen, dass das nicht zum Ziel geführt hat. Deshalb werden wir die Gespräche mit der belgischen Seite natürlich fortsetzen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Da freuen wir uns!)

Einen letzten Satz möchte ich – ich möchte die Redezeit nicht ganz ausschöpfen – zu der von Frau Kollegin Düker angesprochenen Urananreicherung in Gronau sagen. – Liebe Kollegin Düker, Sie wissen vielleicht, dass der letzte Antrag, den Sie zum schnellstmöglichen Ausstieg eingebracht haben, auch von uns unterstützt worden ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, aber leider nicht in Berlin!)

Wir müssen uns also über diese Situation nicht noch einmal in solch umfangreicher Art und Weise auseinandersetzen, wie Sie das vorhin insinuiert haben.

Es muss weiterhin darum gehen, auf verschiedenen Ebenen konstruktive Gespräche mit den Regionen in Belgien zu führen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Ach!)

Herr Ministerpräsident, Sie dürfen nicht nur eine Ankündigungsdiplomatie, die krachend gescheitert ist, auf den Weg bringen, sondern wir müssen den Belgiern konstruktiv und lösungsorientiert die Lösungen, die wir im Land Nordrhein-Westfalen beim Umbau unseres Energiesystems auf den Weg gebracht haben, näherbringen und dort Hilfestellung leisten. Dieser Ansatz wäre richtig, aber nicht die Ankündigung einer Lösung, die im nordrhein-westfälischen Strommix begründet ist und die mit der Aussage verbunden wird, es gehe um die Lieferung reinen Braunkohlestroms.

Was Sie da getan haben, ist nicht in Ordnung. Ihr relativ faktenfreier Vortrag gerade – das muss ich ehrlich sagen – hat gezeigt, dass Sie sich als Ministerpräsident noch nicht ausreichend dem Thema „Energiepolitik“ gestellt haben. Ich hoffe, dass Sie das nachholen werden.

Ich will zusichern, dass wir als Sozialdemokratie natürlich ein großes Interesse daran haben, mit Belgien eine Einigung zu erzielen.

(Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

Das Interesse haben Sie aus populistischen, leichtfertigen Gründen offenkundig nicht.

(Lachen von der CDU)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch einen guten Debattenverlauf.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Bergmann.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Herr Hübner, zu Anfang möchte ich noch einmal in Erinnerung rufen, dass der von Ihnen gerade so verteidigte Herr Römer noch vor wenigen Monaten die CDU mit der AfD hier viel deutlicher in einen Topf geworfen hat, als das gerade ansatzweise der Ministerpräsidenten getan hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bevor wir dafür nicht in irgendeiner Art und Weise eine Entschuldigung hören, werden Sie von uns zu der Thematik gar nichts hören.

(Christian Loose [AfD]: Ooh!)

Ich muss mich, Herr Römer, über den Antrag zur Aktuellen Stunde heute doch sehr wundern; denn darin ging es nur um das Thema „Energie“.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Dabei hatte die Reise von Ministerpräsident Armin Laschet nach Belgien doch vier inhaltliche Schwerpunkte: gemeinsamer Wirtschaftsraum, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Kooperation bei der Kriminalitätsbekämpfung und natürlich auch Energie, sprich: Tihange und Doel.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das hätte er uns doch erzählen können!)

Schließlich nimmt er, als jemand aus der Grenzregion, die Sorgen der Menschen sehr ernst. Damit setzt der Ministerpräsident – so hat das gerade schon Kollege Dr. Untrieser gesagt – das fort, was mit einer ersten Auslandsreise in die Niederlande begonnen wurde. Das finde ich als jemand, der im Grenzraum lebt, super.

Dass das für ganz Nordrhein-Westfalen wichtig ist, mögen Ihnen einige Zahlen noch einmal verdeutlichen: Belgien gehört mit einem Handelsvolumen von 22 Milliarden € zu den wichtigsten Handelspartnern Nordrhein-Westfalens. Bei den Exporten liegt es an Platz fünf, bei den Importen sogar auf Platz vier noch vor den Amerikanern. In einigen Branchen ist die Kooperation besonders eng – auch in meiner Region –, zum Beispiel in der Chemieindustrie. Über 1.000 belgische Unternehmen haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen, darunter Agfa-Gevaert, Belron und Carglass.

Das Zweite, worüber ich mich wundere – „wundern“ ist da noch nett formuliert –, ist der unfassbare Stil Ihrer Verlautbarungen und Pressemitteilungen im Umfeld der Beantragung dieser Aktuellen Stunde. Da werden Worte gewählt, die – sehr vorsichtig formuliert – sehr persönlich und gleichzeitig auch noch total überheblich sind.

Wenn Sie, Herr Römer, von „Maulheld“, „Bettvorleger“, „Plaudertasche“ oder „Prahlhans“ sprechen, diskreditiert das nicht den Ministerpräsidenten, sondern nur Sie.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Wenn Sie dann zusätzlich auch noch schreiben, dass das Engagement von Armin Laschet eines Ministerpräsidenten angeblich nicht würdig sei, dann kann ich dazu nur sagen: Ihre Wortwahl ist eines Fraktionsvorsitzenden nicht würdig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nach all dem, was hier heute im weiteren Verlauf der Diskussion noch ausgeführt wurde, sage ich Ihnen ganz ehrlich, Herr Römer: Diese Art von Wortwahl hätte ich vom Redepult aus gesehen links im Plenum niemals vermutet.

(Zuruf von der SPD: Oh! – Beifall von der CDU)

Was wollen Sie eigentlich noch sagen, wenn mal wirklich etwas ist? Wo ist denn dann für Sie in der Empörungsskala nach oben hin überhaupt noch Platz?

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Aber, Herr Römer, ich kann Sie auch ein bisschen verstehen. Auch dafür gibt es zwei Gründe.

Ich kann erstens verstehen, dass es Sie schmerzt, dass es nach Ihrer desaströsen Niederlage 2017 Armin Laschet als Ministerpräsident des Landes nach nur wenigen Monaten gelungen ist, mehr Drive in die deutsch-niederländischen und deutsch-belgischen Beziehungen zu bringen,

(Lachen von der SPD)

als Sie das in den letzten fünf Jahren geschafft haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Das war der humoristische Teil!)

Ich persönlich glaube auch, dass Sie eher diese „P-P“-Reisen nach Belgien gemacht haben: morgens Pralinen und abends Pommes. Aber das bringt dem Land Nordrhein-Westfalen überhaupt nichts.

(Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Zweitens erkenne ich natürlich auch den politisch oft angewandten Trick, mit externen Problemen von internen Problemen und schlechten Umfragen abzulenken.

Was Sie nämlich bei Ihrem Wortschwall vergessen haben, ist die Rolle der Bundesumweltministerin in diesem ganzen Zusammenhang. Mit ihr hatten Sie in den letzten sieben Jahren schon des Öfteren Freude, das kann ich noch gut erinnern: Bundesverkehrswegeplan, Berlin/Bonn-Gesetz, Braunkohleausstieg – das weiß ich alles noch.

Aber wenn Sie Gesäß im Beinkleid hätten, dann würden Sie hier die Rolle der Ministerin, die Ihrem Landesverband angehört, mit Blick auf Tihange und Doel auch deutlich zur Sprache bringen. Sie hat die Brennstäbe dorthin geliefert,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Bundesregierung! CDU und SPD!)

und sie wird es bis Ende April auch immer noch tun. Sie wissen ganz genau – der Ministerpräsident hat es in Ansätzen gerade deutlich rübergebracht –, dass es rechtlich nicht einheitlich bewertet wird, ob man sich rein auf die Vertragstreue innerhalb der EU zurückziehen kann, wie die Ministerin es immer tut. Sie wissen doch, dass die Rechtsnatur der EU-Verträge durchaus Möglichkeiten lässt, solche Verträge mit dem Hinweis auf die Sicherheit der Bürger nicht zu erfüllen.

Eines möchte ich den Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang nicht ersparen: Ich möchte in diesem Kontext darauf hinweisen, dass der ehemalige Wirtschaftsminister und heute amtierende Außenminister – auch Ihr Parteifreund, aber nicht aus Ihrem Landesverband – mal ganz anders gehandelt hat.

Erinnern wir uns doch an die Krise in der Ostukraine. Damals hat Gabriel die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 120 Millionen € nach Russland gestoppt, obwohl sie bereits genehmigt war. Er ging damit ganz bewusst das Risiko der Regressforderungen ein, setzte es aber politisch durch und damit auch ein starkes Zeichen, weil er sich nicht – wie es im aktuellen Fall geschieht – einfach nur hinter zumindest unterschiedlich bewerteten Rechtsvorgaben verstecken wollte.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Seien Sie sich sicher, dass Sie mit Ihren persönlichen Anwürfen gegenüber dem Ministerpräsidenten genau das Gegenteil von dem erreichen, was Sie möchten.

Erstens. Die Menschen spüren doch ganz deutlich, dass es der NRW-Koalition im Gegensatz zu Rot-Grün sehr ernst mit der Zusammenarbeit mit Benelux ist. Das merke ich bei uns im deutsch-niederländischen Grenzbereich schon jetzt.

Zweitens. Die Menschen wissen, dass oft derjenige, der persönliche Anwürfe von sich gibt, inhaltlich eigentlich nichts zu bieten hat. Das fällt dann dem Werfenden und nicht dem Angeworfenen vor die Füße.

(Karl Schultheis [SPD]: Da würde ich jetzt drüber nachdenken!)

Es wird Ihnen in diesem Sinne nicht gelingen, durch rhetorische Nebelkerzen und Unverschämtheiten davon abzulenken, dass Armin Laschet sich für die Menschen in NRW einsetzt, indem er mit Belgien einen zugegebenermaßen schmerzhaften Diskussionsprozess im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auch Nordrhein-Westfalens fortsetzen wird.

Lassen Sie mich diese persönliche Anmerkung noch machen: Mein nur knapp 50 Kilometer entfernt von Doel lebender Cousin hat als Belgier sehr großes Verständnis dafür, dass ein Ministerpräsident aus der Nachbarschaft in sein Land kommt und auch solche unbequemen Themen anspricht. Nur so ist ein ehrlicher Dialog im Sinne einer guten Lösung für Nordrhein-Westfalen möglich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ministerpräsident Laschet, Sie suggerieren hier, wir hätten Erwartungen geschürt, die Sie hinterher nicht erfüllen konnten.

(Beifall von den GRÜNEN – Marc Herter [SPD]: So ist das!)

Ehrlich gesagt: Sie allein waren es, der das gemacht hat. Sie haben diese Erwartungen geschürt, und zwar mit ganz faktenfreien Versprechungen, die Sie selber nicht einhalten konnten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte zu zwei Punkten etwas sagen, die problematisch und völlig faktenfrei waren. Mein Kollege aus der SPD hat eben schon etwas darauf hingewiesen, wie faktenfrei die Geschichte ist, dass wir mal eben schnell Strom aus Nordrhein-Westfalen nach Belgien liefern könnten. Die Leitungen sind nicht da; Sie haben es eben selber bestätigt. – Das ist der erste Punkt.

Lassen wir diesen Punkt mal beiseite. Sie sagen dann: Wir liefern denen Braunkohlestrom. Rein technisch gesehen: Man kann nicht etwas ausgleichen mit etwas, das schon zu 100 % läuft. Braunkohlekraftwerke laufen schon komplett durch; sie laufen schon zu 100 % durch.

(Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)

Die kann man dann nicht noch hochfahren, um Atomkraftwerke auszugleichen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Stimmt nicht!)

Dazu braucht es Gaskraftwerke, und die stehen in den Niederlanden und in Deutschland still. Zudem braucht es auch erneuerbare Energien bei uns, in den Niederlanden und in Belgien. Das ist das Thema, um das es geht. Zu sagen, wir liefern Braunkohlestrom, ist komplett faktenfrei, und damit sollten Sie aufhören.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ja, wir haben eben schon gehört: Natürlich ist es erst einmal heikel, wenn man anderen Staaten energiepolitische Hinweise gibt. Es geht – das haben wir mehrmals gehört – um die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten. Aber natürlich darf man darüber sprechen.

Was Sie aber gemacht haben, Herr Laschet: Sie haben groß etwas verkündet, und dann nach unserer Kleinen Anfrage gemerkt, dass Sie jetzt liefern müssen. Dann haben Sie diese Reise mit heißer Nadel gestrickt und haben, als wenn dieser Arbeitsnachweis notwendig wäre, auch noch den Bus voller Journalisten dorthin mitgenommen. Ich finde, ehrlich gesagt, wenn das Ihr Verständnis von Diplomatie ist, dann kann das nur ein Desaster werden. So funktioniert das nicht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir können uns dann einmal anschauen, was hier gerade für ein falsches Bild von der Vergangenheit dargestellt wurde. Ich mache es ungern, immer wieder die Vergangenheit auzuflisten.

(Widerspruch von der CDU und der FDP)

– Das ist so. Sie können nachsehen, wie oft ich das bisher gemacht habe. Das können Sie mir jetzt persönlich wirklich nicht vorwerfen.

Aber sehen wir uns das einmal an: Mein belgischer Kollege Jean-Marc Nollet hat die Energieministerin gefragt: Was haben denn für Gespräche stattgefunden in letzter Zeit? – Und das kam als Antwort: Das letzte Gespräch, das dort geführt wurde, war mit dem damaligen Umweltminister Remmel. – Andere Gespräche hatten bis dahin nicht stattgefunden. Dann verkünden Sie groß, was Sie hier machen: „Wir treiben die Klagen weiter voran.“ – Das sind alles Dinge, die Rot-Grün angefangen hat. Ich finde es schön, dass Sie sie weiterführen. Aber Sie können dann nicht sagen: „Das ist das, was wir hier alles machen; das ist alles nur unser Verdienst.“ – Das stimmt einfach so nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Gut für die Dialogbereitschaft!)

Zu guter Letzt – ich habe wirklich gedacht, ich kippe aus den Latschen –: Herr Laschet, wenn man einen Atomausstieg in Deutschland will, dann muss man ihn auch komplett wollen. Dann gehört eine Urananreicherungsanlage in Gronau dazu, und Lingen gehört ebenfalls dazu. Das geht nicht alleine. Wenn Sie hier auf einmal sagen „Wir müssen Gronau behalten, damit wir mit dem Iran reden können“, dann ist das diese Logik:

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Wer sich für die Sicherheit vor atomarer Bedrohung in der Welt einsetzen will, der muss weiter selbst mit einer atomaren Bedrohung leben. – Das ist Ihre Aussage? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich finde das so abstrus

(Beifall von den GRÜNEN)

wie Ihr Verständnis von Diplomatie, also Verhandlungen in der Öffentlichkeit zu führen!

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

Wir werden weiterhin den Finger in die Wunde legen und Sie kritisieren. Da können Sie noch so sehr sagen, dass Ihnen das nicht gefällt. Wir machen da weiter. Diese abstruse Logik lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP spricht Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss schon sagen, Herr Kollege Römer und Frau Kollegin Düker, dass die Debatte heute hier mit Ihnen sehr enttäuschend begonnen hat, denn in Ihren Ausführungen ist in keinster Weise auf die Inhalte und das eigentliche Thema eingegangen worden, sondern Ihnen ging es einfach nur darum, den Versuch zu starten, den Ministerpräsidenten vorzuführen. Das ist, ehrlich gesagt, kläglich gescheitert.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, deshalb bin ich froh, dass die Debatte so langsam stärker auf die Inhalte kommt und wir uns um das Wesentliche kümmern, nämlich um die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Genau das, meine Damen und Herren, macht diese Landesregierung, die sich für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger einsetzt, die Sorgen ernst nimmt und auch dorthin geht, wo es vielleicht wehtut und eben nicht einfach ist.

Sie setzt obendrein auch das um, meine Damen und Herren, was wir hier im Hohen Hause beschlossen haben. Und es ist ganz wichtig, dass man hier den Kontakt sucht und versucht, unsere Positionen vorzutragen. Da ist auch bemerkenswert, mit wie viel unterschiedlichen Positionen die SPD hier auftritt. Man kennt es mittlerweile von der Sozialdemokratie. Aber dass auch bei dem Thema die Meinungen so weit auseinandergehen, ist schon bemerkenswert.

Zum einen das Auslaufmodell: Der Fraktionsvorsitzende der SPD beklagt, dass der Ministerpräsident sich einsetzt und da hinfährt, auf der anderen Seite hat der aus der Region kommende Abgeordnete Herr Schultheis letzte Woche, am 20. Februar, noch im „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Reise des Ministerpräsidenten begrüßt. Was gilt denn jetzt? Die Position von Herrn Römer oder Ihre Position?

(Michael Hübner [SPD]: Wo liegt der Widerspruch?)

Genauso haben Sie in Ihrem Antrag damals geschrieben, dass wir einen konstruktiven Dialog auf Augenhöhe führen sollen.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

– Ja, da stimmen wir Ihnen zu: auf Augenhöhe. Herr Schultheis, wer soll dann mit dem belgischen Ministerpräsidenten die Gespräche auf Augenhöhe führen? Herr Hübner und Sie? Ist das die richtige Ebene, meine Damen und Herren? – Nein.

(Beifall von Henning Höne [FDP])

Deshalb ist es richtig, meine Damen und Herren, dass der Ministerpräsident nach Belgien gefahren ist. Ich weiß wirklich nicht, was Sie ihm da vorwerfen.

(Zurufe von der SPD)

Niemand hat vorher gesagt: Wir fahren da mal eben hin, und dann machen die Belgier das, was wir wollen. – Nein, es war allen klar – das schreiben auch die Medien –, wir wussten und auch der Ministerpräsident wusste, dass es dicke Bretter zu bohren gibt.

(Marc Herter [SPD]: Aber nicht im Journalistenbus, Herr Kollege!)

Wir bohren diese Bretter auch. Das ist der große Unterschied, meine Damen und Herren von der SPD. In den letzten anderthalb Jahren konnte es eine solche Aktuelle Stunde wie heute gar nicht geben, weil es nämlich keinen Anlass gab. Anderthalb Jahre ist niemand außer Herrn Remmel im Februar 2017 nach Belgien aufgebrochen und hat dort solche Gespräche geführt. Herr Römer hat es so schön als stille Diplomatie deklariert, was in Wirklichkeit bedeutet, dass Sie nichts getan haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Das ist der Unterschied zur jetzigen Landesregierung: wie gesagt, nur ein Gespräch vom damaligen Umweltminister Remmel im Februar 2017. Das ist die Bilanz von anderthalb Jahren Ihrer auslaufenden Regierungszeit, während die neue Landesregierung bereits im August die belgische Regierung angeschrieben hat. Im September gab es ein Gespräch des Staatssekretärs Speich mit dem belgischen Botschafter. Des Weiteren hat der Ministerpräsident mit dem Botschafter gesprochen.

Die Reise vom Ministerpräsidenten Laschet und auch die gestrige Reise des Wirtschaftsministers, meine Damen und Herren, zeigen eindrucksvoll, dass diese Landesregierung die Sache ernst nimmt, sich um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger kümmert und im Dialog mit den belgischen Freunden nach Lösungen sucht.

Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen: Hören Sie auf mit diesem billigen Klamauk, wie ihn Herr Römer hier vorgibt! Lassen Sie uns in der Sache darüber reden!

Aus diesem Grunde haben wir bewusst unseren Antrag, der sich auch mit dem Thema „Energieversorgung“ beschäftigt und den wir heute am späten Nachmittag diskutieren werden – „Europäische Verantwortung für Energieversorgungssicherheit annehmen“ – nicht mit Ihrer Klamaukdebatte hier verbunden. Denn wir wollen, dass es in der Sache, dass es inhaltlich weitergeht. Dafür steht diese Regierung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die AfD spricht Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir finden es auch empörend, dass die AfD als einzige wirkliche Oppositionspartei mit Demokratiesimulanten auf eine Stufe gestellt wird.

(Beifall von der AfD)

Was wir hier erleben, ist im Grunde eine unwürdige Show. Jederzeit sind Sie bereit – das sieht man auf Bundesebene –, mit den anderen ins Bett zu springen. Was Sie hier machen, ist im Grunde wirklich nur unwürdig. Die Menschen in unserem Land merken das ja. Die Menschen wachen ja auf.

(Michael Hübner [SPD]: Jeden Tag wachen die auf!)

Aber kommen wir mal zu den Inhalten, zu dem, was hier so vorgebracht wurde. Das erinnert mich an Kaiser Wilhelm II. Denn der hat damals schon so schön gesagt: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. – Nur zu diesem Zeitpunkt war Deutschland …

(Zuruf: Das ist 100 Jahre her!)

– Ja, und damals waren wir führend. Wir waren im Technisch-Physikalischen, in den Naturwissenschaften Weltführer, und die Menschen folgten uns, und zwar freiwillig, aus Überzeugung.

(Zurufe)

– Jetzt werden Sie laut und pöbeln herum, weil Sie die Wahrheit nicht ertragen können.

(Henning Höne [FDP]: Nicht ertragen ist etwas anderes!)

Doch das, was Sie heute machen – das ist im Grunde das Peinliche –, ist: Sie versuchen heute, Ideologien zu exportieren, und wundern sich, dass kein souveräner Staat Ihren Ideologien folgen will.

Die deutsche Energiewende ist gescheitert. Sie steht komplett vor dem Zerbrechen. Und dann wundern Sie sich: Herr Laschet will mehr Europa. Herr Laschet, wir fahren in Europa nicht voraus. Wir sind der energiepolitische Geisterfahrer in Europa, und Sie wundern sich, dass Ihnen der Verkehr entgegenkommt.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wenn ich dann diesen ganzen Unsinn höre – das ist entweder bewusste Wählertäuschung, oder Sie von der SPD haben keine Ahnung, was Sie da sagen. Es gibt keine Risse in Tihange. Das sind Ausflockungen, die über Jahrzehnte schon stabil sind. Wenn ich Sie dann hier von „Bröckelreaktoren“ reden höre: Was machen Sie denn da? Sie schüren hier bewusst aufs Übelste und aufs Populistischste Ängste.

(Beifall von der AfD)

Ich komme noch einmal zu Ihnen, Herr Laschet. Wir von der AfD haben ja gar nichts dagegen, dass Sie den Dialog mit Belgien suchen. Belgien ist ein schönes Land. Ich habe da auch schon gerne mal meinen Urlaub verbracht. Aber dafür müssen wir es ja nicht gleich besetzen.

Von Ihnen als Landesvater wünsche ich mir eigentlich Ehrlichkeit, Redlichkeit und Charakterstärke. Was Sie dagegen ausmacht, Herr Laschet, das ist die Flucht nach vorne. Statt einmal einen Fehler einzugestehen, erzählen Sie uns einen hanebüchenen Unsinn nach dem anderen. Als ehemaliger Lehrer kann ich Ihnen sagen: Es ist besser, eine Klausur neu schreiben zu lassen,

(Zurufe von der CDU)

als die Noten ohne irgendeine Bewertungsgrundlage zu vergeben. – Ja, ich weiß, Sie vergeben sie lieber so. – Denn durch Unehrlichkeit wird das wichtige Vertrauen unserer Bürger verspielt. Leider habe ich das Gefühl, dass Sie seit Ihrer Vereidigung ein laufendes Konjunkturprogramm für die Politverdrossenheit in unserem Land sind.

(Beifall von der AfD)

Es gibt nur eine einzige Erklärung, nur eine einzige. Sie wollen die schwarz-grüne Pizza-Connection wieder aufleben lassen. Deswegen auch die Avancen, die Sie als Chefunterhändler für Energie wie ein kleines Kind den Grünen bei den Jamaika-Sondierungen gemacht haben. Es ist traurig, mit ansehen zu müssen, wie Sie uns als Landesvater enttäuschen.

Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat unseres ehemaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers beenden. Rüttgers sagte im August 2004 – damals war ich auch noch Mitglied in der CDU, aber man irrt ja manchmal –, die CDU sei eine Wertegemeinschaft, die nicht nur am Materiellen hänge; tue sie es doch, gehe sie unter. – Das war im August 2004. Heute sind wir 13,5 Jahre weiter. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war Dr. Blex für die AfD. – Jetzt spricht für die Landesregierung Herr Professor Dr. Pinkwart.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die belgische Regierung arbeitet an ihrem Energiekonzept bis 2050. Die Absicht ist, dieses Konzept noch in diesem Jahr zu verabschieden.

Belgien orientiert sich dabei am Zielviereck von Bezahlbarkeit, Klimaverträglichkeit, Versorgungssicherheit und betriebstechnischer Sicherheit. Belgien legt Wert darauf, die Energieversorgung – das müssen wir hier auch zur Kenntnis nehmen – weitgehend selbst organisieren zu wollen. 50 % seiner Energieversorgung stammt heute aus kerntechnischen Anlagen, und diese gilt es in Belgien nach dem dazu bestehenden Gesetz, bis 2025 verlässlich zu ersetzen.

Meine Gespräche mit den Ministern Jambon und Marghem haben ergeben, dass die Regierung die beiden Blöcke Tihange 2 und Doel 3 spätestens 2022/2023 vom Netz nehmen wird und nicht verlängern will, wie sie das mit den älteren Blöcken getan hat, die jeweils noch einmal um zehn auf dann 50 Jahre verlängert wurden.

Bezüglich des vollständigen Ausstiegs bis 2025 gibt es innerhalb der belgischen Regierung jedoch unterschiedliche Auffassungen. Teile der Regierung wollen eine mögliche Verlängerung der beiden jüngsten Blöcke über 2025 als Option offenhalten. Frau Marghem und ihre Partei wollen an dem gesetzlich festgelegten Ausstiegsdatum 2025 festhalten und arbeiten an Alternativen, um dieses im Zielviereck zu erreichen.

Wie sehen die Alternativen aus, die in Belgien diskutiert werden? Belgien sieht diese Alternativen wesentlich in dem Ausbau von Gaskraftwerkskapazitäten. Es geht nicht nur um Neubau, sondern auch um die Erweiterung und Erneuerung vorhandener Anlagen, deren Aufbau sich entsprechend dem Zielviereck auch an wirtschaftlichen Fragen zu orientieren hat.

Bis 2030 ist zudem der Ausbau von Offshorewind vorgesehen, und zwar von 2.200 Megawatt, die 2020 erreicht sein sollen, bis zu 4.000 Megawatt.

Importstrom wird mit eingeplant, aber nicht vorrangig präferiert. Der von uns angestoßene Ausbau von ALEGrO 2 wird noch geprüft, und er könnte Teil des Energiepaketes werden. Ich habe der Energieministerin Frau Marghem eine Ergänzungsstudie zum seinerzeitigen BET-Gutachten der Vorgängerregierung überreicht, das die ökonomische Vorteilhaftigkeit einer grenzüberschreitenden Energiekooperation aufzeigt. Elia, die belgische Netzagentur, soll dies prüfen und in ihre Planungen mit einbeziehen.

Zudem sind wir in Gesprächen zur Einbindung des RWE-Gaskraftwerks Claus C im niederländisch-belgischen Grenzbereich in das belgische Energieversorgungssystem. Das ist nicht neu; es wurde vor etwa zwei schon einmal von der RWE-Tochter vorgetragen, auch bei Frau Marghem. Sie ist nach wie vor nicht davon begeistert; das kann ich ganz klar sagen.

Nichtsdestotrotz haben wir aus den Gesprächen mit Frau Marghem und Herrn Jambon den Eindruck mitgenommen, dass das Ganze auf der regionalen Ebene durchaus ein Thema sein könnte. Ich habe mich sehr dafür ausgesprochen, dass nach Lösungen gesucht wird, um sowohl das Netz, die Anbindung des Gaskraftwerks, wie auch das Gaskraftwerk selbst zumindest zu Teilen in ein belgisches Besitzverhältnis zu bringen. So können wir den Belgiern deutlich machen, dass es ihre eigene Energieversorgung ist, auf die sie hier bauen können. Hier gilt es, die Gespräche fortzusetzen.

Darüber hinaus werden wir mit den belgischen Regionen, die dort für diese Themen zuständig sind, über neue Wege dezentraler Energieversorgung sowie einer flexibleren Integration der energieintensiven Wirtschaft in das stärker auf Erneuerbare bauende volatile Stromversorgungssystem sprechen, um den Ausstieg aus der Kernenergie verlässlich und schnell gestalten zu können.

Wir müssen beachten: Die Netze werden insgesamt instabiler, wenn wir aus der Kernenergie aussteigen, und wenn wir aus der Kohle rausgehen, wird die Situation noch instabiler. Dann müssen wir die großen Netze entsprechend massiv ausbauen. Da stehen wir selbst in Deutschland leider nicht dort, wo wir stehen müssten – das ist mir auch entgegengehalten worden –; das müssen wir ehrlich sagen. Aber auch die Belgier müssten ihre Netze deutlich erweitern und verstärken. Hier gilt es also, noch entsprechende Hausaufgaben zu machen.

Diese Netze stärker abzusichern durch dezentrale, quartiersbezogene Systeme unter Nutzbarmachung von Smart Grids und anderen Techniken wurde von Frau Marghem ebenso positiv gesehen wie von Herrn Jambon. Hier müssen wir schauen, dass wir das mit den Regionen weiterentwickeln können. Wir sind daran sehr interessiert, weil das auch für Nordrhein-Westfalen eine Perspektive für unsere Energiezukunft sein kann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darüber hinaus ist mir wichtig, festzuhalten, dass Belgien verbindlich zugesagt hat, dass die Sicherheit der Bevölkerung oberste Priorität habe. Dazu gehört, dass Anlagen umgehend abgeschaltet werden, sobald Probleme auftreten, und auch so lange abgeschaltet bleiben, bis die Probleme behoben worden sind.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Darauf legt Herr Jambon ausdrücklichen Wert und konnte das auch dokumentieren.

Darüber hinaus will Belgien nicht mehr nur die Bundesregierung informieren – was der eigentlich formale Weg wäre und was sie bisher auch getan hat –, sondern künftig auch die nordrhein-westfälische Atomaufsicht, parallel zu Mitteilungen an den Bund. Minister Jambon legte besonderen Wert auf Offenheit und Transparenz und bot hierzu auch eine direkte Zusammenarbeit mit Nordrhein-Westfalen an. – Das wäre ein Fortschritt, damit wir die Gefahren besser abschätzen und auch entsprechend informieren können.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich hier in aller Sachlichkeit noch einmal feststellen: Ich hatte den Eindruck, dass die gestrigen Gespräche auf sehr gute Weise und in großer Offenheit stattgefunden haben. Es ist übrigens keine Selbstverständlichkeit, dass solche Gespräche geführt werden können.

Ich sage hier auch ganz klar: Sie hätten in dieser Atmosphäre, in dieser Sachlichkeit und mit diesem Ergebnis nicht geführt werden können, wenn der Ministerpräsident nicht mit einer klaren Haltung nach Belgien gefahren wäre, wo er die Interessen Nordrhein-Westfalens markiert und deutlich gemacht hat.

Ich hätte es nicht erwartet, aber mir ist von Herrn Jambon gleich zu Beginn des Gesprächs adressiert worden, man habe Verständnis für die Sorgen in Deutschland. Man habe zur Kenntnis genommen, wie sehr Nordrhein-Westfalen und die Menschen dort sich betroffen fühlten. Man sehe sich im weiteren Regierungshandeln auch in dieser Verantwortung.

(Beifall von Bodo Löttgen [CDU])

Das kann nur Ausfluss der klaren Positionierung gewesen sein, die der Ministerpräsident bei seiner Reise bezogen hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dafür bin ich ihm außerordentlich dankbar. Ich denke, wir können hier anknüpfen und das in Belgien Begonnene auf allen Ebenen fortsetzen. Dazu gehören auch Reisen von Abgeordneten, unabhängig davon, ob sie aus der Regierung oder aus der Opposition sind. Lassen Sie uns daran arbeiten, hier Schritt für Schritt weiterzukommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst bei Herrn Professor Pinkwart für den sehr sachlichen Beitrag bedanken,

(Beifall von der SPD)

der ein Kontrastprogramm war zu dem, was vorher von Herrn Ministerpräsidenten Laschet und den nachfolgenden Rednern präsentiert worden ist. Schlussendlich geht es darum, was hier vorgetragen worden ist.

Ich weise absolut zurück, dass die SPD-Fraktion nicht daran interessiert wäre, dass die Regierung in dieser Frage zum Erfolg kommt. Da sind wir alle einer Meinung: Die Regierung muss in dieser Frage zum Erfolg kommen, und wir werden flankierend – auch im politischen Raum – das tun, was dazu erforderlich ist. Das haben wir in der Vergangenheit getan, das werden wir auch jetzt und in der Zukunft tun.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Minister Pinkwart weiß Bescheid. Nach der Regierungsübernahme habe ich ihn umfassend über das informiert, was wir bisher an Gesprächen geführt haben, damit die Landesregierung, insbesondere der Energieminister, im Bilde darüber ist, welche Gespräche mit welchen Zielen geführt worden sind. So gehört sich das im Interesse der Menschen auch, damit sie – ich sehe da insbesondere die Bürgerinnen und Bürger der Städteregion, aber auch der größeren Region – nicht dauerhaft mit ihren Ängsten leben müssen. Sie sollen wissen, dass wir Lösungen finden wollen.

Vorhin ist mehrfach der Begriff „souveräner Staat“ gebraucht worden. Ich wiederhole das, weil es in Belgien Befindlichkeiten zu dem deutschen Verhalten gibt. Im Zeitraum von hundert Jahren hat Deutschland zweimal die belgische Souveränität verletzt. Das steckt natürlich in den Köpfen der Menschen, wenn es darum geht, dass deutsche Politik ihre politischen Bedürfnisse umsetzen will. In diesem Fall ist eine besondere Sensibilität gefragt. Genau das werfen wir dem Ministerpräsidenten vor: Diese Sensibilität hat er nicht walten lassen, und das ist das Problem.

(Beifall von der SPD)

Ich unterstelle ihm, dass er genau das will, was auch wir wollen.

(Zuruf von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Armin Laschet, was die AfD und auch ich hier im Saale zu tun hatten, führe ich mal auf die rabulistische Ader des Armin Laschet zurück. Das ist absolut inakzeptabel.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Thema „Tihange“ steht ja nicht erst seit 2015 auf der Tagesordnung; damit sind wir in jahrzehntelanger Zusammenarbeit befasst. Wir haben im Rat der Stadt Aachen schon sehr oft Resolutionen verabschiedet, als CDU und FDP noch an ganz anderen Ufern unterwegs waren. Also werfen wir uns doch nicht gegenseitig vor,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

zu welchem Zeitpunkt wir hier eingestiegen sind.

Die alte Landesregierung ist allen juristischen Verfahren beigetreten. Das hat die Landesregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft beschlossen. Das ist überhaupt keine Frage. Aber jetzt geht es darum, wie wir zu Lösungen kommen. Deshalb haben wir als Sozialdemokraten Gespräche geführt, zum einen mit unseren Parteifreunden in Brüssel. Ich habe Ihnen immer empfohlen, das auch mit Ihren Parteifreunden zu tun, insbesondere den Liberalen; die führen dort nämlich die Regierung an. Frau Marghem ist liberal.

Zum anderen haben wir – das war das letzte Gespräch – in Namur mit dem zuständigen Energieminister gesprochen, der ein großer Anhänger davon ist, so früh wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. Er sagte, dass er sehr daran interessiert sei, mit Trianel – den Vorschlag haben wir gemacht – ins Gespräch zu kommen.

Es geht darum, zusätzliche Kapazitäten zu gewinnen. Wir wollen nicht nur neu bauen, sondern wir wollen – so hat es Minister Pinkwart ausführt –, dazuzukaufen und so die Energiewirtschaft ein Stück weit miteinander verbinden. Investitionen Belgiens in Deutschland, in NRW und umgekehrt von unserer Seite in Belgien führen dazu, dass die Geschwindigkeit, mit der man dort aus der Atomenergie herauskommen kann, ein Stück beschleunigt wird.

Dazu gehören natürlich auch die Infrastruktur und die Netzverbindungen. Das sind Dinge, die auch nach den physischen Möglichkeiten bemessen werden müssen, damit wir wissen, wieviel wir brauchen, um überhaupt Energie und Strom liefern zu können.

Das ist der Ansatzpunkt, wo wir unsere Hausaufgaben machen sollten: bei den Leitungen, bei den Planungsverfahren, bei dem Converter in Kaarst, bei der Nord-Süd-Verbindung (Energietrasse) in der Bundesrepublik Deutschland. Da können wir den Rahmen dafür setzen, um in Belgien bei der Entscheidungsfindung mitwirken zu können – Entscheidungen, die uns dann zum Erfolg führen.

Das muss im Dialog geschehen, auf Augenhöhe, damit die Menschen in der Region Aachen, aber auch darüber hinaus keine Ängste haben müssen. Wir wollen keine Ängste schüren, sondern wir wollen etwas an den Fakten ändern. Das ist unser gemeinsamer Auftrag. Ich hoffe, dass das nach dieser Debatte auch möglich sein wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Krückel.

Bernd Krückel (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Schultheis, ich habe wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie Herrn Minister Pinkwart für seinen Bericht ein Dankeschön ausgesprochen haben.

(Karl Schultheis [SPD]: Hat er auch verdient!)

– Sie haben recht, das hat er auch verdient.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Sie haben aber, wie ich vermuten darf, bewusst ausgeblendet, dass Herr Minister Pinkwart auch gesagt hat, dass ihm die klare Ansage unseres Ministerpräsidenten vom 20. Februar dieses Jahres, bei der dieser seine Position deutlich artikuliert hat, sehr geholfen hat.

(Beifall von Henning Rehbaum [CDU] – Michael Hübner [SPD]: Trotz der Gespräche hat Herr Pinkwart konstruktive Gespräche geführt!)

Dass die fachlichen Gespräche nun auf Ministerebene fortgesetzt worden sind, ist zu begrüßen. Von daher möchte ich für meine Fraktion ein Dankeschön für den Bericht von Minister Pinkwart aussprechen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Schultheis, ich möchte Ihnen in einem Punkt widersprechen. Sie haben behauptet, die Unsachlichkeit in der Diskussion heute sei durch unseren Ministerpräsidenten ausgelöst worden. – Das ist falsch! Die Unsachlichkeit hat mit der Rede Ihres Fraktionsvorsitzenden begonnen. Das muss man deutlich sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will nicht wiederholen, was meine beiden Vorredner, Dr. Bergmann und Dr. Untrieser, ausgeführt haben. Ich möchte den Fokus lieber in die Region lenken.

Die Menschen in der Aachener Region und in der Euregio haben ein Gespür dafür, wer ihre Interessen vertritt. Die SPD und die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen gehören nicht an erster Stelle dazu.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Hier hätte man insbesondere in der Zeit von 2015 bis 2017 deutlich mehr tun können.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dass alle Kollegen über alle Parteien hinweg intensive Gespräche in Belgien führen, ist gut und richtig und zeichnet die parteiübergreifende Zusammenarbeit aus.

Ich möchte noch einmal auf die Klagen der Städteregion Aachen und meines Heimatskreises Heinsberg eingehen, die versuchen, auf gerichtlichem Wege eine Einigung herbeizuführen.

Abschließend möchte ich zwei Sätze an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Römer richten. Herr Römer, mit dem Niveau heute und in den letzten Wochen haben Sie eine Art an den Tag gelegt, die eines Fraktionsvorsitzenden einer ehemaligen Volkspartei unwürdig ist.

(Michael Hübner [SPD]: Durch Wiederholungen wird das nicht richtiger!)

Um im Energiejargon zu bleiben: Damit haben Sie die unterste Sohle erreicht. Ich wünsche der SPD für ihre Nachfolger ein herzliches Glück auf!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Krückel. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1, den ich damit schließe.

Wir kommen zu:

2   Gesetz zur Gebührenfreiheit der Hochschulen des Landes NRW – Gebührenfreiheitsgesetz (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/85

Beschlussempfehlung und Bericht
des Wissenschaftsausschusses
Drucksache 17/2007

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Kollege hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Déus das Wort. Das ist seine erste Rede hier im Hohen Haus.

Guido Déus (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Man könnte den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Gebührenfreiheit der Hochschulen des Landes NRW – zugegebenermaßen etwas flapsig – als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das Parlament bezeichnen; denn der Gesetzentwurf richtet sich gegen Gebühren an Hochschulen, die es gar nicht gibt.

Mit Blick auf die durchgeführte Anhörung möchte ich mich mit der eigentlichen Problematik einer vernünftigen und zukunftssicheren Hochschulfinanzierung allerdings lieber angemessen auseinandersetzen.

Nordrhein-Westfalen hat eine hervorragende Hochschul- und Wissenschaftsstruktur. Mit über 67 Hochschulen und 100 weiteren Forschungseinrichtungen sind wir das Wissenschaftsland in Deutschland. Das soll nicht nur so bleiben – nein, wir wollen und müssen diesen Bereich noch stärker werden lassen. Das ist nicht nur eine Aufgabe, sondern das ist auch eine große Chance, die unser gemeinsames Ziel sein sollte. Denn Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sind für unser Land, für unsere Volkswirtschaft, für unsere weitere wirtschaftliche Entwicklung und alle kommenden Herausforderungen essenziell.

Die Grundvoraussetzung und wichtigste Rahmenbedingung für die anstehenden Aufgaben ist eine angemessene Finanzierung der Hochschulen. In diesem Punkt hoffe ich, von einem fraktionsübergreifenden Konsens ausgehen zu können.

Jetzt aber hat die SPD einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sie schon einmal vorab eine gesetzliche Regelung kritisiert, die gar nicht existiert. Es gibt noch nicht einmal eine Vorlage, geschweige denn etwas Genaueres, über das wir hier diskutieren könnten. Also eine verfrühte Antwort? Eine Interpretation unseres Koalitionsvertrags?

Bei allem Unverständnis über Zeitpunkt und Inhalt dieses Gesetzentwurfs der SPD geht es doch eigentlich darum, wie wir den Wissenschaftsstandort NRW zukunftsfest machen, wie wir eine dauerhafte Erhöhung der Grundfinanzierung der Hochschulen erreichen und sichern, und dass wir die von der SPD in den letzten Jahrzehnten betriebene wissenschaftsfeindliche Überregulierung und Bürokratisierung im Hochschulbereich endlich zurücknehmen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das bedeutet für uns eine Novellierung des Hochschulgesetzes, die Streichung des rot-grünen Hochschulentwicklungsplans und der Zivilklausel, aber auch, dass das Durchgriffsrecht des Landes entfällt, das es bislang ermöglicht hat, bei Konflikten Landeszuschüsse als Druckmittel einzusetzen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, Sie behaupten – so die Diktion Ihres Gesetzesentwurfs –, die NRW-Koalition habe angekündigt, allgemeine Studiengebühren einführen zu wollen. Sie wenden sich gegen diese angeblichen Gebührenpläne und plädieren für eine allgemeine Studiengebührenfreiheit. Sie führen argumentativ stützende Stellungnahmen aus den Anhörungen im Wissenschaftsausschuss an, wonach sich die meisten Sachverständigen gegen die Einführung von Studiengebühren ausgesprochen hätten: also Studierendenwerke, Gewerkschaften, der Bundesverband ausländischer Studierender und andere.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Gegenstand der Anhörung war allerdings nicht unser Koalitionsvertrag, sondern Ihr konkreter Gesetzentwurf. Sie verschweigen, dass die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen den Gesetzentwurf ablehnt und sehr differenziert zur Frage nach der Einführung von allgemeinen Studiengebühren für Studierende aus Drittstaaten an NRW-Hochschulen Stellung genommen hat und diese eben nicht per se und in Bausch und Bogen ablehnt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist einfach kein guter Stil, das Thema „Studiengebühren“ auf die Agenda zu heben und eine grundsätzliche Diskussion zu initiieren, nur um mit den dazugehörenden und altbekannten Abwehrreflexen reagieren zu können.

(Zuruf von der SPD)

Hier machen Sie es sich deutlich zu einfach.

Ansehen und Qualität des Studienangebots sind im internationalen Vergleich weit wichtiger für die Wahl des Studienorts als eine komplette Gebührenfreiheit. Sie verschweigen überdies – vielleicht wollen Sie es aber auch nicht wissen –, dass aus der Anhörung und den einzelnen Stellungnahmen eindeutig hervorgegangen ist, dass die Hochschulen chronisch unterfinanziert sind und wir uns dringend über neue Wege der Hochschulfinanzierung Gedanken machen müssen.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Sie hatten ja schon einen Haushalt Zeit! Haben Sie nicht ausgenutzt!)

– Herr Kollege, darauf komme ich noch! – Und das, obwohl wir in NRW den höchsten Hochschuletat aller Zeiten ausgewiesen haben.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Die NRW-Koalition aus CDU und FDP ist sich dieser Aufgabe also sehr wohl bewusst. Wir möchten und wir werden die Hochschulen zukünftig wieder stärker unterstützen und ihnen die eigenverantwortliche Gestaltungskraft zurückgeben, die ihnen zusteht, und die ihnen unter der Regierungsverantwortung von Rot-Grün sukzessive weitgehend genommen wurde.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Der hoffentlich unter allen Fraktionen vorhandene unstrittige Wunsch zur Verbesserung der Situation an den Hochschulen, für eine höhere Qualität der Lehre sowie zur Verbesserung der Studienrahmenbedingungen kann nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln in die Realität umgesetzt werden. Aus den Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung im Wissenschaftsausschuss vom 21. November 2017 ist uns allen bekannt, dass auch das Baden-Württemberg-Modell – die Umsetzung der Studienbeiträge für nicht EU-Ausländer – von der Mehrheit der Sachverständigen – sagen wir es einmal so – kritisch gesehen wird. Ebenso ist aber bekannt, dass das Modell in Baden-Württemberg aktuell evaluiert und hinsichtlich einer etwaigen Umsetzung in NRW sorgsam überprüft wird.

Unsere Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat hierzu im Wissenschaftsausschuss sehr klare Worte gefunden. Wir werden in NRW keine Schnellschüsse wagen. Wir stehen erst am Anfang eines Diskussionsprozesses. Wir werden die Auswertung aus Baden-Württemberg abwarten, diese sorgsam analysieren und Ihnen sodann eine Vorlage unterbreiten.

Behauptungen also, die NRW-Koalition beabsichtige ganz aktuell eine ungeprüfte Übertragung des Baden-Württemberger Modells auf NRW oder plane sogar eine Ausweitung – und so suggerieren Sie es in Ihrem Gesetzesentwurf – auf Studierende aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sind einfach nur eins: Sie sind unwahr.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Rückzugsgefecht!)

Richtig ist vielmehr, dass wir im Koalitionsvertrag für NRW Folgendes fixiert haben – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus unserem Koalitionsvertrag –:

„Unsere Hochschulen sollen in ihrer Rolle als Katalysatoren für Innovation und gesellschaftlichen Fortschritt wieder gestärkt werden. Dafür brauchen sie wieder mehr Freiheit, bessere Rahmenbedingungen und eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung.“

Ich zitiere weiter:

„Zur Finanzierung … werden wir jedoch auf die Einführung allgemeiner Studiengebühren verzichten.“

Verzichten – also genau das Gegenteil von dem, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf zu suggerieren versuchen.

Auf eine etwaige Vorhaltung, dass wir mit der möglichen Einführung einer Gebührenpflicht für Studierende aus Drittländern diese Studierenden diskriminieren würden, erwidere ich:

Auch dem ist nicht so – das wurde uns auch durch das Gutachten von Professor Dr. Riedel von der Uni Mannheim bestätigt –; denn bei der Erhebung von Studiengebühren bildet der konkrete, gefestigte Inlandsbezug das rechtlich entscheidende Kriterium. Selbstverständlich werden wir uns, wenn es zu einer Vorlage der Regierung kommt, an dieser Stelle auch Gedanken über Stipendien machen, um zum Beispiel auch Studierenden aus Entwicklungsländern weiterhin ein Studium in NRW zu ermöglichen.

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, unser Handeln an unserem Koalitionsvertrag messen möchten, können Sie das sehr gerne tun. Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass darin auch fixiert ist, dass wir den Landesanteil zur Kofinanzierung des Hochschulpaktes im Umfang von 250 Millionen € verstetigen werden. Das haben wir mit unserem Haushaltsgesetz 2018 bereits umgesetzt.

Nur mit gesteigerten finanziellen Mitteln und geeigneten Maßnahmen zur Unterstützung der Hochschulfreiheit werden wir die Hochschulen in NRW noch attraktiver gestalten, Studienbedingungen für Lehrende und Studierende nachhaltig verbessern, die Wissenschaft fördern und unsere Hochschulen im Wettbewerb mit anderen Hochschulen sowie im Bereich des internationalen Wettbewerbs zukunftsfit machen. Das sind unsere Aufgaben, und an diesen werden wir uns auch 2022 gerne messen lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich lebe in der Wissenschaftsstadt Bonn und habe 20 Jahre Kommunalparlamentserfahrung. Die Bonner Uni hat aktuell die Chance, NRWs dritte Exzellenzuniversität zu werden. Mir ist nicht zuletzt durch zahlreiche Gespräche mit den Universitäts- und Hochschulleitungen in Bonn und der Region bekannt, wo genau der Schuh drückt. Die Reaktionen der Hochschulen auf die durch die NRW-Koalition angekündigte Entbürokratisierung bei Hochschulen und die Novellierung der Hochschulgesetzgebung zeigen mir, dass sich CDU und FDP auf dem richtigen Weg befinden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, in diesem Hohen Hause wird oft davon gesprochen, dass Sie hier in den letzten sieben Jahren die Verantwortung getragen haben. Mit nur einer Unterbrechung haben zumindest Sie von der SPD NRW jedoch fast 50 Jahre lang regiert. Letztes Jahr wurden Sie abgewählt, da die Menschen in NRW mit Ihrer Regierungsleistung unzufrieden waren. Somit sollten Sie die Menschen jetzt nicht auch noch als Opposition enttäuschen, sondern sich konstruktiv mit uns den realen Problemen stellen, anstatt unnötige Ängste zu schüren.

Wir stehen am Anfang einer Diskussion um eine verbesserte Hochschulfinanzierung und nicht am Ende. Ich freue mich auf hoffentlich konstruktive weitere Beratungen hierzu und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Déus. Das war, wie gesagt, die erste Rede des Kollegen. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Déus, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede hier im Hohen Haus, direkt in Block II. Vor diesem Hintergrund werde ich, was meine Kritik am Inhalt der Rede betrifft, etwas zurückhaltender sein. Diese werden Sie aber aufgrund der Glückwünsche zur ersten Rede gar nicht so richtig mitbekommen.

Ich möchte sehr deutlich sagen, dass wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, weil wir – offensichtlich im Gegensatz zu Teilen der Regierungskoalition – das, was Sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, ernst genommen haben. Sie haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass Sie nach dem baden-württembergischen Modell Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen wollen. So steht es im Koalitionsvertrag. Wir haben das zum Anlass genommen, diesem Entwurf des Koalitionsvertrages einen – ich sage mal – vorsorglichen Gesetzentwurf voranzustellen, um die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen zu verhindern.

Die Gründe, die uns dazu motiviert haben, haben sich aus zwei Aspekten gespeist. Der eine Aspekt ist relativ einfach: Wir wollen den Kolleginnen und Kollegen der CDU die Möglichkeit geben, das, was Sie den Menschen in diesem Hohen Hause vor der Wahl versprochen haben, letztlich auch umsetzen zu können.

Aus der Rede von Herrn Dr. Berger, der hier in der ersten Reihe sitzt, habe ich schon bei der Einbringung des Gesetzes zitiert; deswegen möchte ich jetzt darauf verzichten. In dieser Rede hat er für die CDU als Partei und Fraktion in diesem Hohen Haus erklärt, mit der CDU werde es keine Studiengebühren geben.

Ich finde, das sind Sie den Menschen in diesem Land nun auch schuldig. Das kann ich aber gelassen sehen; denn das werden Sie gegenüber den Studierenden in diesem Land zu verantworten haben.

Des Weiteren möchte ich Sie darauf hinweisen, dass das, was Sie inhaltlich planen, von allen Akteuren in der Wissenschaftslandschaft in Nordrhein-Westfalen abgelehnt wird. Das haben bei der Anhörung sogar die generellen Befürworter von Studiengebühren deutlich gemacht.

Deswegen würde ich mich jetzt gerne mit den Beiträgen befassen, die wir von den Sachverständigen in der Diskussion als Anregung bekommen haben.

Ich möchte mit den ausdrücklichen Befürwortern von generellen Studiengebühren anfangen. Sie haben völlig recht, es gibt durchaus auch Befürworter genereller Studiengebühren, wie zum Beispiel das CHE, das Centrum für Hochschulentwicklung. In der Stellungnahme des CHE heißt es – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Die Umsetzung des baden-württembergischen Gebührenmodells ist nach Ansicht des CHE eindeutig als ,schlecht‘ zu klassifizieren. Die von der schwarz-gelben Koalition in Anlehnung an das baden-württembergische Modell geplante Einführung von Studiengebühren für ausländische Studierende in Nordrhein-Westfalen ist daher – hier ist den Äußerungen der SPD-Fraktion durchaus zuzustimmen – als äußerst problembehaftet anzusehen.

… der finanzielle Ertrag ist äußerst überschaubar … Zu Recht konstatiert die SPD-Fraktion, dass bei Gebührenpflicht ,andere Erwartungshaltungen an Dozierende oder an die Hochschule‘ entstehen. … Das Modell schreckt Studierende ab, weil die Zahlungspflicht nicht mit einem Darlehensanspruch oder einer anderen Form der Nachlagerung gekoppelt ist. …

Das Modell, Studiengebühren nur von ausländischen Studierenden und Zweitstudenten zu erheben, wirkt nicht ganz durchdacht. Überschlägigen Berechnungen zufolge würde eine Gebührenpflicht für Nicht-EU-Ausländer, Bildungsinländer, Studierende aus Entwicklungsländern, anerkannte Flüchtlinge etc. (Ausnahmetatbestände angelehnt an die baden-württembergischen Regelungen) bereits abgezogen, nur ca. 5 % der nordrhein-westfälischen Studierenden betreffen. Studiengebühren nur von einer solch kleinen Teilgruppe der Studierenden zu erheben, bedeutet viel Aufwand für wenig Ertrag.“

So das CHE.

Ich würde gern auch noch auf die Stellungnahme der Kunst- und Musikhochschulrektoren eingehen, weil gerade die Kunst- und Musikhochschulen der Frau Ministerin aufgrund ihrer beruflichen Vita sehr nahe sind.

Aus der Stellungnahme der k & m-Landesrektorenkonferenz:

„Eine Ungleichbehandlung von Studierenden kann zu veränderten sozialen Bezügen innerhalb der Hochschulen führen, da eine offensichtliche Zweiklassengesellschaft entsteht. Gerade in den Kunst- und Musikhochschulen, in denen kleine Unterrichtsgruppen und künstlerische Klassen bestehen, kann eine solche Separierung die kooperative Zusammenarbeit erschweren.

Nicht wenige Studierende – auch gerade aus dem Nicht-EU-Ausland – sind beim Studium in Deutschland bereits jetzt erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt.“

Herr Professor Grosse hat in der Anhörung dazu ausgeführt:

„Wir gehen tatsächlich davon aus, dass wir mit diesem noch unklaren, aber doch im Raum stehenden Modell nur geringe Mittel einnehmen würden. Vermutlich kommt man da in eine ähnliche Diskussion wie bei der Pkw-Maut und freut sich, wenn es sich einigermaßen refinanziert. Da besteht bei uns in der Tat eine ganz erhebliche Skepsis.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Pkw-Maut aus dem Mund der Landesrektorenkonferenz der Kunst- und Musikhochschulen als Eindruck dessen, was Sie im Koalitionsvertrag entsprechend vereinbart haben! Ich finde, eine größere Klatsche kann es an der Stelle überhaupt nicht geben.

Die Landesrektorenkonferenz der Fachhochschulen sagt in ihrem Beitrag:

„Bei der in der Diskussion befindlichen möglichen Erhebung von Gebühren für internationale Studierende gibt es in den Hochschulen erhebliche Sorgen vor den damit verbundenen administrativen Aufwänden. Diese Sorgen beziehen sich u. a. auf Erfahrungen baden-württembergischer Hochschulen, an denen diese Form der Gebühren bereits praktiziert wird. Es bestehen begründete Zweifel, ob bei einer solchen Regelung Aufwand und Ertrag in einem vertretbaren Verhältnis stehen.“

Und so weiter und so fort.

Sie haben in der gesamten Anhörung niemanden gehabt, explizit niemanden, der Ihren Gebührenplänen beigetreten ist.

Ich will mir jetzt den ganzen Bereich der Internationalisierung sparen, weil ich vermute, dass Kollege Bolte darauf inhaltlich noch sehr intensiv eingehen wird.

Aber einen Punkt, der aus meiner Sicht vielleicht gerade auch bei den Kolleginnen und Kollegen der FDP die Überlegungen ein Stück weit anregen könnte, will ich noch ansprechen.

Ich habe hier, als Sie das Gesetz eingebracht haben, erlebt, wie Christian Lindner dort, wo jetzt Moritz Körner sitzt, gesessen und immer hineingerufen hat „Baden-Württemberg, Baden-Württemberg, Baden-Württemberg“ und damit natürlich im Grunde den Ball auch auf die Grünen-Seite spielen wollte nach dem Motto: Ihr habt das doch schon einmal mitgemacht. Warum seid Ihr hier dagegen?

Ich spiele den Ball auf die freidemokratische Seite zurück und zitiere aus dem Protokoll der Landtagssitzung, in der das Gesetz nach der finalen Beratung am 3. Mai 2017 verabschiedet worden ist, die Position der FDP, die dort von Nico Weinmann vorgetragen wurde, mit Erlaubnis der Präsidentin:

Das Gesetz

„ist aber auch diskriminierend und konterkariert die Bemühungen der Hochschulen um eine Internationalisierung. Die Hochschulen im Land werden einen Reputationsschaden erleiden.

Aber auch hinsichtlich der entwicklungspolitischen Ziele bezeichnen die Experten das Gesetz als Rückschlag. Besonders Studierende aus Entwicklungsländern seien nun von der Gebührenlast betroffen. Die Gebühr wird gerade diese Studierende abschrecken, deren finanzieller Spielraum dann nicht mehr ausreicht, um die hohen Gebühren in Höhe von 1.500 Euro zu leisten.

Ein Armutszeugnis der Landesregierung, die sich im Koalitionsvertrag zur Wahrnehmung entwicklungspolitischer Verantwortung als wesentliches Element der Politik bekennen will.

Wenn die ausländischen Studierenden in andere Bundesländer abwandern, wie zu erwarten steht, werden aber auch die finanziellen Erwartungen der Landesregierung enttäuscht werden. Denn zu Recht wird immer wieder die Frage aufgeworfen, warum Studierende aus Entwicklungsländern in einem der wohlhabendsten Industrieländer gezielt zur Finanzierung allgemeiner Haushaltsaufgaben herangezogen werden sollen.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, hätte Christian Lindner doch nur einmal seine baden-württembergischen Kolleginnen und Kollegen gefragt, bevor er in die Koalitionsverhandlungen eingetreten wäre, uns wäre möglicherweise diese Debatte in dieser Qualität erspart geblieben.

(Beifall von der SPD)

„Die Abgeordneten“ – hier in diesem Hause – stimmen nach ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das Wohl des Landes Nordrhein-Westfalen bestimmten Überzeugung; sie sind an Aufträge nicht gebunden.“

So steht es in der Verfassung.

Deswegen: Lassen Sie Ihre Pläne einer sinnleeren Campusmaut für internationale Studierende fallen und nutzen Sie die Chance, die Sie haben, das jetzt abzuwehren und die Debatte nicht noch künstlich zu verlängern. Denn sie ist wirklich ein Stück weit nicht das Niveau, auf dem wir hier die Debatten führen sollten.

Sie haben die Chance. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bell. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Körner das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Moritz Körner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir alle hier in diesem Hohen Hause wollen, glaube ich, beste Bildungschancen für jeden einzelnen jungen Menschen in diesem Land.

Umso mehr verwundert mich eigentlich, mit welcher Verve hier die SPD für die Gebührenfreiheit am Ende der Bildungslandschaft, nämlich bei den Hochschulen, kämpft, während bei den Kitas immer noch saftige Gebühren fällig werden, und das auch noch vor dem Hintergrund, dass wir erst vor Kurzem die Kitas mit 500 Millionen € retten mussten, weil Sie es sieben Jahre lang nicht hinbekommen haben, eine neue Finanzierung auf die Beine zu stellen, aber 250 Millionen € hatten, um die Studienbeiträge abzuschaffen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist Ihre Bilanz. Insofern sind wir, vor allem was Bildungsgerechtigkeit angeht, gut aufgestellt und benötigen keine Hinweise von Ihnen.

Sie haben die Studienbeiträge 2011 abgeschafft; Sie haben sie durch Qualitätsverbesserungsmittel aus dem Landeshaushalt in Höhe von 249 Millionen € ersetzt. Diese Gelder werden ausgegeben für zusätzliche Dozenten, bessere Betreuungsrelationen, aber auch für so wichtige Dinge wie Bibliotheksöffnungszeiten, E-Learning, Sprachkurse, Summer Schools, also viele wichtige Projekte.

Aber ich höre, wenn ich durch die Hochschullandschaft fahre und die Verantwortlichen vor Ort besuche – das hören Sie bestimmt auch häufig –, dass diese Qualitätsverbesserungsmittel schon lange nicht mehr ausreichen. Sie haben diese Mittel im Umfang von 249 Millionen € 2011 eingeführt und nie wieder erhöht. In der Zwischenzeit sind jedoch die Studierendenzahlen massiv angestiegen. Die allgemeine Preisentwicklung ist massiv angestiegen, sodass wir jetzt vor der Situation stehen, dass die vielen wichtigen Projekte teilweise eingestellt werden müssen, weil Sie keine entsprechenden Erhöhungen vorgenommen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deswegen müssen wir schon über eine bessere Studienqualität sprechen.

Ich will, weil mir in einer Debatte einmal vorgeworfen wurde, ich hätte mich nur auf die Qualitätsverbesserungsmittel bezogen, so fair sein, auch die gesamten Mittel für die Hochschulen 2010 bis 2016 zu betrachten: Sie sind unter Ihrer Ägide tatsächlich um 28 % gestiegen – der Fairness halber ist hinzuzufügen, dass darunter ein hoher Anteil an Bundesmitteln war –, die Studierendenzahlen in der gleichen Zeit jedoch um 29 %. Das heißt, es ist noch nicht einmal der Anstieg der Studierendenzahlen voll ausgeglichen worden. Bessere Studienqualität sieht so nicht aus.

Da ist es auch kein Wunder, dass Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit allen anderen Bundesländern bei den Bildungsausgaben pro Studierendem und bei den Betreuungsrelationen an allerletzter Stelle steht. Das ist Ergebnis Ihrer Regierungspolitik!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wollen beste Lehre. Wir wollen, dass die größte Hochschullandschaft auch endlich wieder großartige Möglichkeiten für Studium und Lehre bereithält. Deswegen arbeiten wir ganz konkret daran. Für uns sind Studienbeiträge nie Selbstzweck – wie Sie es darstellen –, sondern ein Schritt, bessere Qualität an den Hochschulen zu schaffen.

Herr Kollege Bell, ich habe bei den Anhörungen sehr genau zugehört und auch die Stellungnahmen sehr genau angeschaut. Deswegen will ich zu Ihrem Gesetzentwurf konkret zitieren, was die …

(Dietmar Bell [SPD]: Gehen Sie lieber auf die internationalen Studierenden ein, damit Sie nicht rot werden!)

Ja, doch. Sie haben aus den Stellungnahmen zitiert. Daher darf auch ich – natürlich nur mit Erlaubnis der Präsidentin – zitieren. Die Landesrektorenkonferenz sagt zum Beispiel zu Ihrem Gesetzentwurf, der der SPD-Fraktion ja offensichtlich sehr wichtig ist, sonst wären wahrscheinlich nicht so viele der Kollegen der SPD jetzt hier anwesend:

„Die LRK lehnt den hier angestrebten kategorischen Ausschluss der Erhebung von Studienbeiträgen ab.“

Und weiter:

„Ein apodiktischer Ausschluss der Möglichkeit der Beitragserhebung verleugnet die Situation der nicht auskömmlichen Hochschulfinanzierung ...“

So die Hochschulrektorenkonferenz.

Die FHs sehen das ähnlich; sie sind auch nicht gegen eine Gebührenfreiheit wie Sie, sondern schlagen ein anderes Gebührenmodell vor.

Das Centrum für Hochschulentwicklung spricht von einem allzu pauschalen und nicht faktengesicherten Gesetzesentwurf der SPD.

Und der Deutsche Hochschulverband erkennt „keinerlei Regelungswirkung des Gesetzes“.

(Sven Wolf [SPD]: Herr Kollege, wer war denn in der Anhörung für die Studiengebühren?)

Wären Sie eine Studentin oder ein Student in diesem Land und hätten Ihren Gesetzesentwurf als Klausur geschrieben, liebe Kollegen der SPD, wären Sie durchgefallen!

(Sven Wolf [SPD]: Danke! Das erläutern Sie mal!)

– Ja, ich gehe direkt darauf ein. – Oder unter einer von Ihnen dazu geschriebenen Hausarbeit hätte als Bewertung gestanden: Thema verfehlt!

Der Kollege Bell ist ja klug – das ist mir bekannt ich – und weiß, dass dieser Gesetzesentwurf eigentlich nur – wie hat er es eben genannt? – ein „vorsorglicher“ Gesetzentwurf ist. Sie wissen: Es gibt derzeit keine Möglichkeit für die Hochschulen, Gebühren zu erheben. Deswegen wollen Sie hauptsächlich über Nicht-EU-Ausländer-Beiträge sprechen.

(Sven Wolf [SPD]: Ja, und dazu brauchen wir eine Anhörung!)

Diesbezüglich können wir auch in der Anhörung und insbesondere die Ausführungen der Vertreter der Hochschulen aus Baden-Württemberg nachlesen, denn ihre Wortbeiträge waren schon interessant. Vor allem haben sie – so habe ich sie zumindest verstanden – kritisiert, dass die Erhebung der Beiträge in Baden-Württemberg nicht zu einer Verbesserung der Qualität an den Hochschulen führt, sondern das Geld hauptsächlich in den Landeshaushalt fließt.

Genau das wollen wir anders machen: Wir wollen den Hochschulen die Beiträge voll zur Verfügung stellen und bessere Bildungsqualität erreichen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Körner, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Professor Dr. Rudolph würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie das zulassen.

Moritz Körner (FDP): Ja, Herr Professor Dr. Rudolph, bitte schön.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.

Prof. Dr. Karsten Rudolph (SPD): Herr Kollege, ich würde Sie gern – nachdem Sie uns gerade die Haltung der Hochschulrektorenkonferenz zu den Studiengebühren vorgetragen haben – fragen, ob Sie sie teilen oder ablehnen.

Moritz Körner (FDP): Ich teile die Haltung der Rektorenkonferenz in der Hinsicht, dass ich eine grundsätzliche Ablehnung von jeglichem Beitragsmodell in der Hochschullandschaft vor dem Hintergrund der mangelhaften Finanzausstattung der Hochschulen für verfehlt halte.

Wenn wir uns die Aussagen der verschiedenen Vertreter zu dem Baden-Württemberg-Modell vor Augen führen, dann müssen wir das angesichts der durchaus unterschiedlichen Entwicklungen sehr differenziert betrachten. In manchen Hochschulen wachsen die Zahlen der Anfänger aus Nicht-EU-Staaten sogar trotz Einführung entsprechender Beiträge. Und es gibt sehr, sehr unterschiedliche Herkunftsgruppen. Wir müssen uns das Ganze also mit Blick auf Ausnahmen, auf die genaue Ausgestaltung etc. genau anschauen.

Dazu sagt die Landesrektorenkonferenz – die Rektoren der Universitäten dieses Landes, die Ihnen auch wichtig sein sollten –:

Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat in diesem Zusammenhang angekündigt, sich zunächst ein Bild über die Entwicklung und Erfahrungen in Baden-Württemberg zu machen. Dieses Vorgehen ist sinnvoll.

Das ist doch ein schönes Lob der Landesrektorenkonferenz.

Gleich nach mir spricht Kollege Bolte. Wir kennen uns schon länger, und ich wage aus seinen bisherigen Äußerungen zu erahnen, was er gleich sagen wird, nämlich: Die Landesregierung schreckt Talente ab. Die Landesregierung ist eine Gefahr für die weltoffene Hochschulkultur, und sie diskriminiert.

Ich frage Sie einfach: Ist die Politik in Schweden eine Gefahr für die weltoffene Hochschulkultur Schwedens, weil man dort als Nicht-EU-Ausländer 140.000 Kronen zahlen muss?

(Beifall von der CDU)

Schrecken die Niederlande die Talente ab, die zu ihnen kommen, weil beispielsweise in Maastricht 14.000 Euro pro Nicht-EU-Ausländer fällig werden?

Und vor allem: Macht das einzige von einem grünen Ministerpräsidenten regierte Land – das einzige mit einer grünen Wissenschaftsministerin – diskriminierende Politik? Dass die FDP-Fraktion in Baden-Württemberg, wie Herr Bell gesagt hat, das kritisiert, hätte ich noch erwartet, aber dass die Grünen in Nordrhein-Westfalen ihren einzigen Ministerpräsidenten für diskriminierend halten, ist schon sehr, sehr spannend.

(Beifall von der FDP – Sven Wolf [SPD]: Wir sind nicht die FDP-Fraktion!)

Vor allem: Wenn Sie das Baden-Württemberg-Modell kritisieren, dann kritisieren Sie doch den entscheidenden Punkt: dass sie nämlich den Nicht-EU-Ausländern das Geld abnehmen und es nicht für die Erhöhung der Qualität der Lehre einsetzen! Das ist doch der Unterschied.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Und deswegen: Während Sie hier handwerklich schlechte Gesetzesentwürfe schreiben, arbeiten wir weiter – Schritt für Schritt – an einer besseren Qualität von Studium und Lehre an den Hochschulen unseres Landes. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Körner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Herr Kollege Bolte-Richter das Wort, wie bereits vom Vorredner angekündigt.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Kollege Körner, so ganz hat das mit der prophetischen Gabe nicht geklappt. Ich habe mir nämlich noch einmal den Verlauf der Debatte im Juli angeschaut, als wir hier zum ersten Mal über den Gesetzentwurf debattiert haben.

Ich muss sagen, ich bin doch ein Stück weit überrascht und durchaus positiv überrascht, wie kleinlaut jetzt am Ende der Beratungen CDU und FDP bei diesem Thema sind. Sie haben das Thema „Ausländerstudiengebühren“ in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben, und nun will es keiner mehr gewesen sein.

Ich nehme genauso positiv zur Kenntnis, wie weit sich die Landesregierung mittlerweile von dieser bürokratischen Schnapsidee abgesetzt hat. Sie wollen – das hat sich in den Wortbeiträgen hier und im Ausschuss deutlich gezeigt – lieber gar nicht mehr über die Studiengebühren reden.

Dabei war in der angesprochenen Debatte im Juli noch alles klar. Sie als Redner aus den regierungstragenden Fraktionen wussten, wer zahlen soll, wie viel er zahlen soll, welche Ausnahmen es bei dieser Ausländermaut geben soll. Der Kollege Körner kannte alle Details ganz genau.

Wir haben in den letzten Monaten nachgebohrt, nachgefragt, nicht nur in der Sachverständigenanhörung. Und heute ist die Lage anders. Es gibt keine Zahlen, es gibt keinen genauen Plan, und zumindest bei der Ministerin gibt es auch keine Lust mehr, diesen faulen Kompromiss der Koalition durchzusetzen.

Sie wollen abwarten, Sie wollen mal schauen. Sie wollten im Ausschuss nicht einmal mehr einen Zeitplan nennen, wann die Ausländerstudiengebühren denn nun kommen sollen. Ich finde, das ist eine sehr gute Entwicklung, und ich hoffe sehr und wünsche mir sehr, dass Sie diese Entwicklung des immer weiter Vertagens, des sich an dieser Stelle immer weiter von Ihrem Koalitionsvertrag Absetzens bis 2022 so fortsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn das, was sich im Juli schon abzeichnete, ist in der letzten Zeit noch einmal deutlicher geworden: Sie haben keine gesellschaftliche Mehrheit für diese Ausländermaut auf dem Campus. Die Studierendenvertreter sind dagegen, die Senate wichtiger und renommierter Universitäten sind dagegen, die Landesrektorenkonferenzen sind dagegen.

Wann ziehen Sie, meine Damen und Herren, daraus endlich die Konsequenzen? Wann beerdigen Sie endlich die Studiengebühren? Wann gehen Sie hin und überzeugen Ihren Finanzminister, dass von seinen Überschüssen auch einmal etwas im Wissenschaftsetat ankommen muss? Oder ist Ihnen Wissenschaftspolitik etwa nicht wichtig genug?

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Das hätten Sie auch einmal machen können!)

Meine Damen und Herren, das Vorhaben der Einführung von Studiengebühren zeigt auch: Studierende haben bei dieser Landesregierung keine Lobby. 241 Tage lang musste das Landes-ASten-Treffen auf einen Gesprächstermin bei der Ministerin warten. Ist das die Offenheit, Frau Ministerin, ist das die partnerschaftliche Zusammenarbeit, mit der Sie Ihr Amt gestalten wollten? Oder gilt diese partnerschaftliche Zusammenarbeit exklusiv für Hochschulleitungen, aber nicht für Studierende?

Dass Studierende zwar die größte Statusgruppe an den Hochschulen sein mögen, aber für Schwarz-Gelb nicht zählen, das zeigen auch die Eckpunkte für ein neues Hochschulgesetz. Dieses Hochschulgesetz soll die ideologiegetriebene Retropolitik zurück an die Hochschulen bringen. Dieses Gesetz bringt Studierenden nur Misstrauen entgegen, wenn Sie das umsetzen, was Sie angekündigt haben.

Wir Grüne vertrauen darauf, dass Studierende selbst entscheiden können, dass sie Freiheit haben sollen, wie sie zu ihrem akademischen Ziel kommen. Dagegen setzen Sie auf Anwesenheitszwang. Wir setzen auf Freiheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie setzen auf Misstrauen, meine Damen und Herren. Sie bauen studentische Mitbestimmung ab. Sie wollen die Demokratie an den Hochschulen reduzieren. Ihr Gesetz schafft mehr Rechte für Rektorate, bevorzugt Hochschulleitungen und ermöglicht fragwürdige Militärforschung aus öffentlichen Mitteln. Das, was Sie da vorhaben, wird kein Hochschulfreiheitsgesetz, das wird ein Studierendengängelungsgesetz.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie wollen es sogar ermöglichen, verbindlich den Studienverlauf zu regeln. Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: Da komme uns noch einmal jemand von Ihnen mit dem Thema Bürokratieabbau! Die großen Bürokraten dieses Landes sitzen in der Wissenschaftspolitik bei der CDU, bei der FDP und auf der Regierungsbank, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es war ja irgendwie klar, Sie wollten sich immer damit herausreden und es fiel jetzt auch wieder das Stichwort Baden-Württemberg.

Möglicherweise ist Ihnen aufgefallen, dass wir uns hier in Nordrhein-Westfalen befinden. Darum sage ich noch einmal für alle vernehmlich: Wir als nordrhein-westfälische Grüne hatten immer eine klare Haltung. Wir haben – das im Übrigen in fiskalisch viel schwierigeren Zeiten, als wir sie jetzt haben – die Studiengebühren abgeschafft, weil wir überzeugt davon sind, dass das richtig ist, weil wir überzeugt davon sind, dass es keine Studiengebühren geben darf – nicht vor dem Studium, nicht während des Studiums und nicht nach dem Studium.

(Michael Hübner [SPD]: So ist es!)

Fun fact, liebe Kollegen von der CDU: Das war auch einmal Ihre Haltung. Das war auch einmal Ihre Haltung!

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sind umgekippt. Sie haben sich von der FDP in die Wählertäuschung treiben lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Meine Damen und Herren, Ihre Studiengebührenpläne sind unausgegoren, sie sind unsozial, sie sind diskriminierend und sie schaden den Bemühungen zur Internationalisierung des Hochschulstandorts NRW, kurz: Sie sind schlecht für Nordrhein-Westfalen. Lassen Sie die Finger davon!

Ganz nach der Devise eines ehemaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden, der jetzt nicht mehr unter uns im Landtag ist, meine Aufforderung an Sie: Lindnern Sie jetzt! Lieber keine Studiengebühren als falsche Studiengebühren!

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Bolte, der Kollege Körner möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich frage Sie, ob Sie diese zulassen möchten.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Ja, natürlich, auch wenn es eine Zwischenfrage auf dem Rückweg war.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön.

Moritz Körner (FDP): Ich hatte schon länger gedrückt, Herr Kollege. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie überhaupt nicht zum Gesetzentwurf der SPD in der Sache geredet haben und dass das eigentlich belegt, dass der Gesetzentwurf in seiner Ausgestaltung handwerklich ziemlich dürftig ist?

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch kein komplizierter Gesetzentwurf!)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, lieber Kollege Körner, für diese wunderbare Frage. – Erstens würde ich sagen, ein Gesetzentwurf, der mit einer sehr, sehr klaren Regelung kommt, hat mich intellektuell nicht überfordert, wenn das Ihre Sorge war.

Zweitens. Wenn es darum geht, Studiengebühren auszuschließen, und Sie kommen damit, dass Sie Studiengebühren einführen wollen, und ich rede darüber, warum es falsch ist, Studiengebühren einzuführen, dann habe ich mich sehr wohl an dem Gesetzentwurf abgearbeitet.

Die Performance, die Sie hier abgeliefert haben, lieber Kollege Körner, dass Sie hingehen und sagen: Was wäre das denn, wenn das eine Klausur wäre, was wäre das denn, wenn das eine Hausarbeit wäre?, diesen Stil des Kopfnotenverteilens finde ich nicht gut. Den empfinde ich als dieser Debatte nicht angemessen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Reden Sie inhaltlich darüber. Sie haben klar gesagt, dass Sie von der FDP Studiengebühren wollen. Die CDU hat immer gesagt oder jedenfalls immer behauptet, dass sie keine Studiengebühren will. Jetzt gibt es Studiengebühren, und daran arbeiten wir uns ab. Da werden Sie in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren, wann immer Sie damit wieder um die Ecke kommen, einen klaren politischen Widerstand aus unserer Fraktion erfahren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bolte-Richter. – Für die Fraktion der AfD hat nun der Abgeordnete Seifen das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Vorschlag der SPD-Fraktion zu einem Gesetz zur Gebührenfreiheit der Hochschulen des Landes NRW enthält eine Ergänzung zu § 5 Abs. 1 mit der apodiktischen Bestimmung:

„Die Erhebung jeglicher Art von Studiengebühren durch das Land oder die staatlich finanzierten Hochschulen in Nordrhein-Westfalen findet nicht statt.“

Hier wird ohne Rücksicht auf die Komplexität von Wirklichkeit der universitären Existenz und ihren Finanzierungsmöglichkeiten eine Extrembestimmung festgesetzt, die den Universitäten und dem Land jede Möglichkeit nimmt, sich auf neue Situationen einzustellen und auch mit dem Mittel der Gebührenerhebung – eigentlich müsste man Beitragserhebung sagen – arbeiten zu können, wenn es denn vielleicht erforderlich ist. Anstatt den Universitäten den Spielraum zu geben, sich auch mit Hilfe von Beiträgen weitere finanzielle Quellen zu erschließen und damit wenigstens ansatzweise die Drittelmittelfinanzierung zurückfahren zu können, berauben Sie die Universitäten dieser Möglichkeit.

Hier lässt sich wieder eine Grundhaltung sozialdemokratischer Politik exemplarisch betrachten. Es ist die Angst der Sozialisten, dass die Menschen vor Ort nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, sodass der Staat sie in die Gehschule der sozialistischen Fürsorge hineinstellen und durch eine Gouvernante führen lassen muss.

So ist Ihre Politik grundsätzlich angelegt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, und so haben Sie in den letzten 40 Jahren unter tatkräftiger Mitwirkung von CDU und Bündnis 90/Die Grünen ohne eine Gegenwehr durch die FDP unsere ursprünglich bürgerlich-humane Leistungsgesellschaft in eine matriarchalische Fürsorgegesellschaft umgewandelt.

(Beifall von der AfD)

Für Ihre Fürsorge brauchen Sie natürlich Menschen, denen Sie Hilfsbedürftigkeit attestieren müssen. Nach den Erfolgen der Sozialpolitik der letzten 100 Jahre, die auch der SPD zu verdanken sind, glauben Sie, hier im Inland gingen Ihnen die Hilfsbedürftigen langsam aus, und kreieren deshalb offensichtlich immer neue Hilfsbedürftige.

Im Augenblick haben Sie hauptsächlich Flüchtlinge und Migranten in Ihr Herz geschlossen und vergessen darüber viele hier lebende Menschen – zum einen die, welche ebenfalls der Hilfe bedürfen, und davon gibt es nach Ihren Hartz-IV-Reformen mehr als genug, und zum anderen die, welche die Mittel erst erarbeiten und die Sie mit immer neuen Forderungen in Haftung nehmen für Ihr Helfersyndrom. So üben Sie über die Bürgerinnen und Bürger eine Fürsorgevormundschaft aus.

In diesen größeren Zusammenhang ist Ihr Gesetzentwurf zur Gebührenfreiheit auch einzuordnen, und die Geisteshaltung dieser Fürsorgevormundschaft, die Sie sowohl über Universitäten als auch über die außereuropäischen Studenten ausüben, lässt sich sehr schön an Ihrer Begründung erkennen.

Sie betrachten die außereuropäischen Studenten grundsätzlich als hilfsbedürftige Wesen, die arm und bedürftig nach Deutschland kommen und die Segnungen selbstverständlich kostenlos in Anspruch nehmen können, die der in Deutschland arbeitende Steuerzahler finanziert. Da sprechen Sie in Ihrer Begründung von Benachteiligungen von Studierwilligen mit ökonomisch schwachem Hintergrund und setzen solche Gebührenerhebungen sogar in die Nähe des rassistischen Denkens – Letzteres ein Totschlagargument, das immer häufiger auch dem entgegengeschleudert wird, der ganz selbstverständlich berechtigte Forderungen auch an Migranten stellt.

Sie differenzieren da nicht und bedenken nicht, dass zum einen viele Studenten aus außereuropäischen Ländern auch aus wohlhabenden Familien kommen. An allen deutschen Universitäten und Hochschulen sind zum Beispiel gegenwärtig ca. 30.000 chinesische Studenten eingeschrieben, die ihr Studium bei uns kostenfrei absolvieren – im Wintersemester 15/16 waren exakt 7.615 Studenten aus dem Reich der Mitte in NRW eingeschrieben – und die aus einem Land kommen, das mit ca. 2.300.000.000.000 € die größten Währungsreserven der Welt besitzt.

Wie wollen Sie also einem so hoch wie nie zuvor belasteten durchschnittlichen deutschen Steuerzahler erklären, dass wir auf seine Kosten an unseren Hochschulen die wirtschaftliche Elite der wirtschaftlichen Konkurrenz aus Übersee in China kostenfrei ausbilden?

(Beifall von der AfD)

Zum anderen scheinen Sie gar nicht in Erwägung zu ziehen, dass die Staaten, aus denen die jungen Menschen zu uns kommen, vielleicht auch einmal selbst für ihre Bürger sorgen sollten, dass sich in den Heimatländern vielleicht auch Stipendien für weniger begüterte Studenten generieren lassen. Man sollte mit unserer Entwicklungshilfe vielleicht nicht nur die jeweiligen korrupten Eliten bestimmter Länder hätscheln, sondern sie an ihre Pflicht erinnern, für ihre Landeskinder zu sorgen.

Die außereuropäischen Gesellschaften scheinen generell nicht so arm zu sein, wie man sich das hier immer vorstellt. Es ist doch merkwürdig, dass viele der jetzigen Zuwanderer 8.000 €, ja, manchmal sogar bis zu 10.000 € für Schlepperdienste aufbringen können und mittlerweile Milliardenbeträge in die jeweiligen Heimatländer der Migranten und an ihre Familien zurückfließen und Sie frohen Herzens den barmherzigen Samariter für junge ehrgeizige Menschen spielen wollen, denen ich zum Beispiel sehr wohl zutraue, für sich selbst sorgen zu können, die ich als mündige Bürger ernst nehme, welche ihr Leben selbstbestimmt organisieren können und die keine Gouvernante brauchen.

(Beifall von der AfD)

Die Studienfinanzierung mit inkludiertem Trainingsprogramm der deutschen Bildung finanziert übrigens sowohl Lebenshaltungskosten, Tuition fees, College fees oder weitere anfallende Gebühren, die für deutsche Studenten in England anfallen. In Deutschland geht das. Warum geht das also nicht auch in anderen Ländern?

Dann glauben Sie, dass Gebühren für Studenten aus außereuropäischen Staaten den Wissensstandort Deutschland gefährden, es zu einem Fachkräftemangel in Deutschland kommen könnte und Nachwuchswissenschaftler fehlen könnten, wenn der Zuzug außereuropäischer Studenten wegen der Studiengebühren möglicherweise ausbliebe oder sich verringern würde.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Wissenschaftsstandort Deutschland ist durch ganz andere Entwicklungen gefährdet.

(Dietmar Bell [SPD]: Das glaube ich auch!)

Das Bolognasystem, die Abiturientenschwemme und der Akademisierungswahn gefährden in erster Linie unseren Standort und unseren Ruf als Wissenschaftsnation. Vor allem die Zurücknahme und die Relativierung des Leistungsprinzips ist die größte Gefährdung für unseren Wissenschaftsstandort. Hier müssen wieder Regelungen getroffen werden, welche zur alten Qualität zurückführen.

(Beifall von der AfD)

Wie wenig Studiengebühren bei der Rekrutierung von Studenten eine Rolle spielen, zeigen doch die Verhältnisse in den USA und in England. Dort sind die Gebühren erheblich: In England sind es bis zu 9.000 £ pro Studienjahr. Niemand befürchtet dort die Abkopplung von der Internationalisierung des Wissenschaftsbetriebs. Das ist doch hanebüchen!

Herr Kollege Bell, seien Sie doch nicht so verzagt und denken Sie daran, dass der Helfende nie sich selbst aufgeben sollte. Trauen Sie den Menschen zu, für sich selbst zu sorgen. Entlassen Sie die Menschen in die Freiheit, und entlassen Sie sich auch selbst aus der Überfürsorgehaltung in die Freiheit. Denken Sie nicht an die vielen Nordafrikaner, denen Sie an deutschen Universitäten eine Heimat geben wollen. Vor allem: Entlassen Sie endlich den deutschen Steuerzahler in die Freiheit.

Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Koalitionsvertrag stellt klar: Die Landesregierung wird keine allgemeinen Studiengebühren einführen. – Das muss man am Ende der ersten Runde dieser Diskussion vielleicht noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das glaubt man nur bei der CDU! – Dr. Ralf Nolten [CDU]: Nein, die haben das eher begriffen!)

Gleichzeitig wollen wir die Studienbedingungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen verbessern. Dafür sind zusätzliche finanzielle Ressourcen unerlässlich; auch darauf ist schon mehrfach hingewiesen worden. Deshalb beabsichtigt die Landesregierung, entsprechend dem baden-württembergischen Modell Studienbeiträge für Studierende aus Drittstaaten einzuführen.

Hinsichtlich der möglichen Ausgestaltung eines Beitragsmodells für Studierende aus Drittstaaten befinden wir uns am Anfang eines breiten Beratungsprozesses, an dem möglichst alle Akteure beteiligt werden sollen. Dabei werden selbstverständlich auch die Erfahrungen und Erkenntnisse aus Baden-Württemberg einfließen.

Die Gespräche in den vergangenen Wochen und Monaten bestärken mich in der Überzeugung, dass am Ende dieses Verfahrens ein fundiertes und ausgewogenes Ergebnis stehen wird. Über die weiteren Schritte und Maßnahmen werden wir zunächst mit den beteiligten Hochschulen beraten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Dr. Berger das Wort. Bitte schön.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat im vergangenen Jahr nur wenige Wochen gedauert, bis die SPD-Fraktion mit diesem Gesetzentwurf hier im Landtag aufgeschlagen ist. Sie sagen jetzt, dass Sie vorsorglich einen Gesetzentwurf einbringen und dass alle möglichen Gruppen aus der Wissenschaftscommunity gegen diese Initiative wären.

Wir haben zwei Anhörungen abgehalten und daraus durchaus unterschiedliche Bilder mitgenommen.

(Michael Hübner [SPD]: Ja, so ist es!)

Ich möchte Ihnen die Erfahrungen aus Baden-Württemberg mitgeben. Dort gibt es Hochschulrektoren, die sich mit der Umsetzung dieses Themas befasst haben. Der Rektor einer großen Hochschule hat gesagt: Das ist für uns praktikabel umzusetzen, wir kommen damit klar. Der Rektor einer kleineren Fachhochschule mit nur wenigen Nicht-EU-Studierenden hat erklärt: Es ist für uns verwaltungstechnisch schwierig.

Deswegen ist grundsätzlich richtig, was die Ministerin ausgeführt hat, nämlich zunächst einmal allgemeine Studiengebühren abzulehnen. Darüber hinaus wollen wir aber die Erfahrungen aus Baden-Württemberg abwarten und evaluieren, um zu sehen, ob ein Schuh draus werden kann.

In einer zweiten Anhörung ist klar geworden, dass die meisten Sachverständigen der Wissenschaftscommunity Beiträge in Nordrhein-Westfalen nicht grundsätzlich ausschließen. An anderer Stelle im Bildungssystem – Herr Körner hat darauf hingewiesen – erheben wir ja auch Beiträge, nämlich bei den Kindergärten.

Deswegen sollten wir jetzt in eine ehrliche Debatte über die Finanzsituation der Hochschulen eintreten. Sie haben uns den letzten Platz bei der Ausstattung pro Studierenden und den letzten Platz bei der Relation zwischen Professoren und Studierenden hinterlassen. Bei all diesen Punkten fängt die neue Landesregierung unten an, und wir müssen uns jetzt Schritt für Schritt nach oben entwickeln. Das geht nur mit einer ehrlichen Debatte. Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu, dass wir dieses Mittel für uns zunächst einmal intellektuell nicht ausschließen.

(Beifall von der CDU)

Es gehört auch dazu, dass man den Beteiligten vor Ort zuhört und sie nicht einfach, wie es die frühere Ministerin Frau Schulze gemacht hat, mit einem Gesetz beglückt, das in der Community niemand haben will, um das keine Gruppe gebeten hat. Sie hat also ein Gesetz gegen den Widerstand der Beteiligten eingebracht.

Wir pflegen einen neuen Stil. Ministerin Pfeiffer-Poensgen fährt von Hochschule zu Hochschule, spricht mit den Beteiligten, und das Ergebnis ist jetzt eine Umfrage des Deutschen Hochschulverbands, in der Ministerin Pfeiffer-Poensgen zum ersten Mal seit Langem für Nordrhein-Westfalen den ersten Platz belegt hat. Herzlichen Glückwunsch dazu!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Den zweiten Platz belegt übrigens Frau Bauer von Bündnis 90/Die Grünen, die die Wissenschaftspolitik vertritt, Studienbeiträge für Nicht-EU-Ausländer zu erheben. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann können Sie den Rest von ihr auch übernehmen! Nicht immer nur die Rosinen picken!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Berger. – Für die SPD-Fraktion hat nun noch einmal Herr Kollege Bell das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Kürze des Redebeitrags der Ministerin macht deutlich, wie viel Liebe sie dieser Initiative der Regierungskoalition entgegenbringt. Ich habe bisher jedenfalls keine werbende und unterstützende Position seitens der Landesregierung wahrgenommen.

Ich will auf einige Punkte der Debatte noch einmal eingehen, weil ich finde, dass sie ein Stück weit der Klarheit dienen.

Herr Dr. Berger und Herr Déus, wir haben uns häufig sehr intensiv über die finanzielle Ausstattung der Hochschulen im Land Nordrhein-Westfalen unterhalten. Sie und wir wissen – denn es sind unbestrittene Zahlen –, dass wir in den sieben Jahren Rot-Grün den Wissenschaftsetat inklusive der Universitätskliniken um insgesamt 52 % gesteigert haben – 52 %! Es war der am dynamischsten wachsende Haushalt der alten Landesregierung.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Was haben wir bei Ihrem Koalitionsvertrag erlebt? – Sie haben artikuliert, dass Nordrhein-Westfalen in vielen Bereichen nicht hinreichend ausfinanziert ist, und sich dann verpflichtet, die Grundfinanzierung zu verstetigen. Das haben Sie im Haushalt 2018 auch so angelegt. Sie verschweigen nur, dass diese Verstetigung der Grundfinanzierung Ergebnis der Hochschulvereinbarung 2016 ist, die die alte Landesregierung im November 2016 mit den Hochschulen dieses Landes für die Dauer von fünf Jahren beschlossen hat.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] und Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Von Ihrer Seite ist bis jetzt kein einziger substanzieller Beitrag gekommen – finanziell und in der Debatte –, um das, was Sie hier immer ansprechen, das Verhältnis von Studierenden zu Lehrenden oder die Pro-Kopf-Ausgaben, substanziell zu erhöhen. Stattdessen führen Sie hier eine Debatte zur Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer, bei der im Kern die Bilder, die die AfD gerade auch in ihrem Redebeitrag fokussiert hat, gestärkt werden.

(Beifall von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Deswegen noch einmal zu den erwarteten Einnahmen, die Sie unterstellen – generierte Ausnahmetatbestände usw. –: Sie sprechen von einer Erwartungshaltung von 100 Millionen €. Wir wollen ausdrücklich sagen: Wenn Sie den Bürokratieaufbau abziehen und wenn Sie es mit den Ausnahmetatbeständen ernst meinen, dann werden Sie bei Weitem nicht bei diesen 100 Millionen € landen.

Selbst wenn Sie bei diesen 100 Millionen € landen würden: Teilen Sie sie durch die Anzahl der Hochschulen, und sagen Sie nicht ernsthaft, dass das ein substanzieller Beitrag zur Verbesserung der Studienrelationen in diesem Land ist. Machen Sie sich nicht lächerlich, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Herr Kollege Körner, Sie haben auf die Kindergärten hingewiesen. Ich empfehle, den Entwurf des Koalitionsvertrages auf der Bundesebene zu lesen. Ich bin übrigens Befürworter der Großen Koalition, das will ich ausdrücklich sagen.

(Beifall von Karl Schultheis [SPD] und Henning Rehbaum [CDU])

Ich persönlich hoffe, dass es am Sonntag eine Mehrheit für den Eintritt in die Große Koalition gibt, weil in dem Entwurf unter anderem steht, dass man bis 2025 die Gebührenfreiheit für Kindergärten mithilfe finanzieller Unterstützung des Bundes umsetzen will. Das steht darin. Deswegen lohnt es auch, diesen Vertrag zu lesen, und ich empfehle allen Kritikern, mal hineinzuschauen.

Deswegen sage ich: Ja, es ist gut, gute Politik zu machen und sich nicht in die Büsche zu schlagen, wie Sie es getan haben. Das ist die Empfehlung, die wir Ihnen noch hinterherrufen.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Zum Schluss, weil es mich mittlerweile fast an die körperliche Schmerzgrenze bringt, Herr Seifen:

(Zuruf von Matthias Kerkhoff [CDU])

Sie stehen hier als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses und gerieren sich für die AfD als Anwalt der kleinen Leute. Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Die Freiheit der kleinen Leute, Gebühren an nordrhein-westfälischen Hochschulen bezahlen zu müssen, zeigt, wie Sie die soziale Realität von Menschen in diesem Land einschätzen.

(Beifall von der SPD)

Da sagen wir: Mit uns nicht, Herr Seifen!

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

Das hat nichts mit Überfürsorge zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun …

(Markus Wagner [AfD]: Außereuropäische Staaten!)

– Er hat zu den generellen Studiengebühren gesprochen.

(Markus Wagner [AfD]: Was die kleinen Leute in diesem Land angeht, da haben Sie als SPD versagt!)

Damit das hier auch klar ist: In der Ausschussdebatte habe ich Ihnen nach einem ähnlichen Redebeitrag zu ausländischen Studierenden mitgeteilt, dass ich beispielsweise mit einer NGO in Tunesien aktiv bin. Ich habe Ihnen erläutert, dass in der Region, in der ich aktiv bin, 80 % der Jugendlichen ohne Arbeit sind – 80 %!

Die überwiegende Zahl der jungen Leute dort hat eine Lycée-Ausbildung; eine französische Schulbildung. Für sie ist die Möglichkeit der Aufnahme eines Studiums in Deutschland ein elementarer Beitrag, um überhaupt Zukunftsfähigkeit zu generieren.

Ich nehme es fast persönlich, dass Sie, nachdem ich Ihnen dieses Beispiel im Ausschuss genannt habe, am Ende sagen: Ihr wollt doch nur die Nordafrikaner an den nordrhein-westfälischen Hochschulen unterbringen.

Wenn Sie es ernst damit meinen, die Bedingungen auch in den Fluchtländern wirklich zu verbessern, dann kann ich Ihnen nur raten: Verbauen Sie nicht die Möglichkeiten für internationale Studierende an nordrhein-westfälischen Hochschulen! Sie haben auch in dieser Hinsicht eine Verantwortung, der Sie sich stellen müssen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.

(Helmut Seifen [AfD] meldet sich.)

– Ist das eine Wortmeldung? – Für die AfD-Fraktion hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Seifen das Wort. Sie haben sieben Sekunden. Bitte schön.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Bell,

(Zuruf von der CDU: Redezeit!)

selbstverständlich teile ich Ihre Fürsorge für andere Menschen – generell für alle Menschen, die der Hilfe bedürfen. Aber Sie haben meiner Rede vielleicht nicht richtig zuhören können.

(Dietmar Bell [SPD]: Sehr genau!)

Es geht mir darum, dass die Staaten, aus denen diese Menschen kommen, eventuell auch mal Verantwortung für ihre Landeskinder übernehmen sollten und dass wir nicht die Helfer der ganzen Welt sind. Nur darum ging es mir.

Ansonsten bin ich mit Ihnen einer Meinung: Wir sollten jungen aufstrebenden, eifrigen Menschen nichts in den Weg legen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Ich schaue noch einmal in die Runde: Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt. Das bleibt jetzt auch so.

Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/85. Der Wissenschaftsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/2007, den Gesetzentwurf Drucksache 17/85 abzulehnen. Somit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte. – Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/85 abgelehnt und in zweiter Lesung nicht verabschiedet.

Wir kommen als Nächstes zum Tagesordnungspunkt

3   Wiederaufnahme der Förderung von öffentlichen nichtbundeseigenen Eisenbahnstrecken in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1989

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Rehbaum das Wort. Bitte schön.

Henning Rehbaum (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die NRW-Koalition will Unternehmen helfen, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen. Eine wichtige Bedeutung hierfür hat ein intaktes Schienennetz der nichtbundeseigenen Eisenbahnen.

Nicht alle wissen, dass es dieses Phänomen gibt. Alle sprechen von der Deutschen Bahn. Aber in Nordrhein-Westfalen gibt es 4.700 km Schienen, die eben nicht der Deutschen Bahn gehören, sondern Eisenbahnen, die im Besitz der kommunalen Hand oder auch privater Unternehmen sind. Das sind teils eigene Verkehrsnetze, die allen Eisenbahnverkehrsunternehmen offenstehen, teilweise kurze Strecken, Zubringergleise, Hafenbahnen, Industriebahnen, immer angeschlossen an das große Bahnnetz der Deutschen Bahn.

Die erste und die letzte Meile für Unternehmen werden oft mit diesen nichtbundeseigenen Eisenbahnen erledigt. Hier sind vor allem Unternehmen betroffen, die schienengeeignete Güter produzieren oder benötigen. Das können Stahl, Chemie, Baustoffe, Schüttgüter, Großmaschinen, Flüssigkeiten, Holz sein. In Warstein werden Ganzzüge mit Bier wöchentlich komplett über NE-Gleise auf das Deutsche-Bahn-Netz nach Europa geschickt. Das ist ein tolles Stück Infrastruktur, und daran müssen wir dringend arbeiten.

Die Finanzierung der Gleise der Deutschen Bahn erfolgt gemäß Art. 87e Abs. 4 Grundgesetz. Es gibt noch Mittel für die Eisenbahnkreuzungen in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland, von denen alle Bahnunternehmen profitieren.

Für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen, also die Eisenbahnen, die nicht der Deutschen Bahn gehören, gibt es aber keine verfassungsmäßige Unterhaltung durch den Bund. Deswegen hat der Bund 2012 einen eigenen Fördertatbestand für nichtbundeseigene Eisenbahnen eingeführt. Zeitgleich hat allerdings die nordrhein-westfälische, damals rot-grüne Landesregierung eine Förderung für nichtbundeseigene Eisenbahnen abgeschafft.

Ich möchte an dieser Stelle einmal allen Kommunen und Privatunternehmen danken, dass sie trotz Abschaffung dieser Förderung durch Rot-Grün ihren Betrieb und ihr Netz weiter aufrechterhalten haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Wir sind uns alle einig: Wo immer es möglich ist, müssen Güter von der Straße auf die Schiene verlegt werden. Dafür braucht man aber ein vernünftiges, gutes Schienennetz, damit der Schienenverkehr auch wettbewerbsfähig gegenüber dem Lkw ist. Solch ein Schienennetz gibt es nicht zum Nulltarif.

Man fragt sich: Was ist bloß in SPD und Grüne gefahren, dass sie die Landesmittel für die nichtbundeseigene Eisenbahninfrastruktur gestrichen haben? Dadurch ist in den letzten fünf Jahren ein Instandhaltungs- und Modernisierungsstau aufgetreten, der nur schwer wieder zu beheben ist. SPD und Grüne stellen sich in Nordrhein-Westfalen immer als die großen Bahnfreunde dar und streichen gleichzeitig hier im Parlament Zuschüsse für NE-Bahnen. Das geht gar nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese Entscheidung war ein großer Rückschlag für das Schienennetz in Nordrhein-Westfalen, insbesondere für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen.

Die CDU/FDP-Koalition korrigiert die Fehlentscheidung der Streichung dieses Programms plus Ersatz durch ein lächerliches Kreditprogramm. Die nordrhein-westfälische NRW-Koalition stärkt die Schiene durch ein unkompliziertes Landesprogramm, das additiv zum Bundesförderprogramm nutzbar ist. Wir wollen Straßen und Ortschaften von Lkws befreien. Wir wollen mehr Güter auf die Schiene verlagern, und wir wollen Unternehmen ermöglichen, ihre Verladung auf die Schiene dann zu realisieren.

Die Wiederbelebung der nichtbundeseigenen Eisenbahnförderung durch die NRW-Koalition ist eine Investition in den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen und seine Arbeitsplätze. Sie ist aktiver Klimaschutz und ein Beitrag zur Entlastung unseres Straßennetzes.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es ist selten so leichtgefallen, einem Antrag zuzustimmen. Dafür möchte ich hier werben. Stimmen Sie aus allen Fraktionen gerne mit, damit wir mehr Güter auf die Schiene verlagern können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rehbaum. – Für die weitere antragstellende Fraktion der FDP hat der Kollege Reuter das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter Reuter.

Ulrich Reuter (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist heute ein wichtiger Tag für die Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen. Wir debattieren und beschließen einen Antrag, mit dem die NRW-Koalition die Förderung von öffentlichen nichtbundeseigenen Eisenbahnstrecken in NRW wieder aufnimmt. Im Fachjargon spricht man von den sogenannten NE-Bahnen.

NE-Bahnen kennen wir zunächst als Betreiber von Eisenbahnverkehren im Personenverkehr, wenn wir an die Konkurrenz zur DB denken. Bei den Gleisinfrastrukturen von NE-Bahnen geht es dagegen um die Belange des Güterverkehrs. Es geht um die Anschlüsse von Industrieanlagen, Häfen und Ähnlichem.

Von den 4.700 Gleiskilometern in NRW sind 1.500 solche derartiger NE-Bahnen. Rund 70 kommunale und private Eisenbahnunternehmen unterhalten diese Netze. Dabei kommt diesen Bahnen eine wichtige verkehrliche Bedeutung zu. Sie stellen gerade die letzte Meile der Transportkette sicher.

Für viele Betriebe stellt diese Infrastruktur die existenzielle Voraussetzung ihrer Tätigkeit an ihrem Standort dar, da oftmals die Straßeninfrastruktur vor Ort nicht erweiterbar ist. Mit einer großen Anzahl von flächendeckenden Gleisanschlüssen ermöglichen die NE-Bahnen die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Dadurch haben sie eine große verkehrs- und strukturpolitische Bedeutung, und dies in den zahlreichen Ballungsräumen NRWs, aber auch in den Randzonen.

Wenn wir diese Bahnen stärken, fördern wir umweltschonende Güterverkehre auf Schiene und Schiff. Wir entlasten zudem die Straße. Dies alles ist Grund genug dafür, dass die NRW-Koalition die Wiederaufnahme der Förderung solcher Infrastrukturen vereinbart hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Diese Vereinbarung setzen wir jetzt um, meine Damen und Herren. Dabei investieren wir 10 Millionen €. Darüber hinaus stellen wir 4 Millionen € Verpflichtungsermächtigungen bereit, und diese Förderungen werden wir auch in den kommenden Jahren fortsetzen. Es kommen zudem noch Mittel etwa aus dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und Ähnlichem hinzu. Damit leistet diese Koalition einen wichtigen Beitrag, um die Verkehrssituation im Land zu stabilisieren.

Wichtig ist dabei, dass die neue Landesförderung kumulativ zu möglichen Förderungen des Bundes gewährt werden kann, sodass Förderquoten von bis zu 90 % der Kosten erreicht werden können. Der Bund gewährt seinerseits Mittel nach dem Gesetz über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterverkehrsnetz. Diese Förderung macht ca. 50 % der Investitionskosten aus.

Damit können die kommunalen oder privaten Eigentümer der NE-Infrastrukturen die notwendigen Investitionen jedoch nicht stemmen. Mit einer Förderung von bis zu 90 % stünden die NE-Bahnen zudem auf gleichem Förderniveau, wie es im DB-Bereich üblich ist.

Wir danken dem Ministerium, dass es diesen entscheidenden Punkt der kumulativen Förderungsmöglichkeiten auf die rechtliche Machbarkeit hat prüfen lassen und dass es die neue Förderrichtlinie entsprechend ausgestalten wird.

Jetzt aber auch ein Wort zur Opposition: Die SPD spricht immer so gerne vom reichlich gedeckten Tisch, an dem diese Regierung Platz genommen hat. Diesen Zahn müssen wir Ihnen leider schon wieder ziehen. Die rot-grüne Regierung war es, die diese Förderung 2012 eingestellt hat und auf ein nicht funktionierendes Darlehensmodell umgestellt hat. Die Folge: Investitionsstau und Gefährdung der Einsatzfähigkeit der Infrastruktur.

Auch bei den Häfen, die ganz maßgeblich von Infrastrukturen nichtbundeseigener Eisenbahnen abhängen, haben Sie gerade keine Erfolgsgeschichte vorzulegen. Mit Ihrer einseitigen Festlegung auf Duisburg haben Sie die Wettbewerbssituation im Land gerade nicht beflügelt.

Daran sehen Sie sehr deutlich: Ihr Tisch ist nicht gedeckt. Ihr Erbe wiegt schwer, oder – um im Bild zu bleiben – die Suppe auf dem reich gedeckten Tisch ist versalzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Reuter. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Dudas das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Gordan Dudas (SPD): Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass wir beide hier vorne so ein schönes märkisches Bild abgeben.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Das erleichtert mir natürlich die Rede und macht auch viel mehr Spaß.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Schiene ist nicht zuletzt aufgrund der weiter zunehmenden Güter- und Personenverkehre ein unverzichtbarer Verkehrsträger. Neben dem Eisenbahnschienennetz der Bahn sind auch die nichtbundeseigenen Eisenbahnen bzw. deren Streckennetze von Bedeutung.

Um Letztere geht es nun im vorliegenden Antrag von CDU und FDP. Die Lektüre ebendieses Antrags hat bei mir eine gewisse Verwunderung ausgelöst. Größere Teile Ihrer Beschreibung der Lage kann ich sogar nachvollziehen. Denn ja, wir müssen das Schienennetz stärken, um den Anforderungen bereits jetzt zu begegnen. Ich bin aber auch bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass nichtbundeseigene Eisenbahnstrecken das Netz ergänzen und Investitionen in Erhalt, Unterhalt, Neu- und Ausbau von Bedeutung sind.

Aber schauen wir uns den Sachverhalt ein bisschen genauer an. Denn auch wenn man mit etwas Großzügigkeit die grundsätzlich richtige Richtung des Antrags erkennen möchte, ergeben sich bei näherer Betrachtung auch einige Ungereimtheiten.

Was zum Beispiel nicht in dem Antrag steht, ist, wie viel Geld überhaupt bereitgestellt werden soll. Ich meine, Sie, die Vertreter der Mitte-rechts-Koalition, sollten dabei doch etwas klarer werden.

Was allerdings am meisten irritiert, ist die Tatsache, dass Sie einen Antrag stellen, der das Handeln der Landesregierung letztlich nur begrüßt. Was soll das? Schließlich ist eine entsprechende Landesförderung mit dem Einzelplan 09 des Haushalts für 2018 bereits verabschiedet worden. Also noch einmal: Warum wird das in diesem Antrag nicht erwähnt?

Auch hat uns die Landesregierung den Sachverhalt vor knapp einem Monat in einer Pressemeldung bereits mitgeteilt. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Mitte-rechts-Koalition nur den erneuten Versuch unternimmt, sich hierfür ein weiteres Mal öffentlichkeitswirksam feiern zu lassen.

Man könnte aber auch zu dem Schluss kommen, dass Sie quasi eine Art Informationsrecycling Ihrer vermeintlichen Erfolgsmeldungen betreiben. Aber gut! Es mag ja verständlich sein, dass Sie vor dem Hintergrund Ihrer bisher doch eher mageren Bilanz alles mehrfach durchkauen wollen. Insofern verbuche ich das einmal unter erwartbarem schwarz-gelben Einerlei.

Aber damit ist es in diesem Fall leider bei Weitem noch nicht getan. Wenn man sich – wie Sie es hier tun – schon selbst feiern möchte, dann sollte man auch klar sagen, was man denn tun will. Das fehlt in diesem Antrag zur Gänze.

Konkrete Förderkriterien? – Fehlanzeige!

Es ist die Rede von kumulativer Förderung zur Bundesförderung. Aber bis zu welchem Betrag denn? Eine Aussage im Antrag? – Fehlanzeige. Aber vielleicht erfahren wir gleich von der Landesregierung mehr dazu.

Wer genau soll überhaupt gefördert werden? – Fehlanzeige. Nur öffentliche oder auch nichtöffentliche, nichtbundeseigene Eisenbahnstrecken? Abgesehen von der Überschrift lässt der Rest des Antrags jede Menge Interpretationsspielraum.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

All diese Punkte hätte man bei den Beratungen im Ausschuss eventuell klären können, wenn Sie nicht auf direkte Abstimmung gedrängt hätten. Aber gut, Sie wissen selber, dass Sie wieder alten Wein in neue Schläuche gepackt haben. Da benötigt man in der Tat keine weitere Beratung mehr.

All das reicht, um diesen Antrag trotz seines eigentlich richtigen Anliegens nicht mittragen zu können.

Doch Sie legen tatsächlich noch einen drauf. Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich fast überlesen hätte. Sie wollen eine unbürokratische Förderung. Das hört sich erst mal spannend an. Daher auch hier meine konkrete Frage: Was ist in diesem Fall mit unbürokratischer Förderung überhaupt gemeint? Schließlich muss es doch irgendwelche Regeln geben, nach denen gefördert werden soll.

Meine Damen, meine Herren, ich denke, dass Sie es allen Beteiligten, gerade auch den NE-Bahnen gegenüber, schuldig sind, klar zu sagen, wie es laufen soll. Beschränken Sie sich von mir aus auf das Nötigste! Aber machen Sie bitte deutlich, was Sie überhaupt wollen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den genannten Gründen kann und wird die SPD-Fraktion diesem Antrag leider nicht zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Danke, Herr Abgeordneter Dudas. Auch herzlichen Glückwunsch zum Redeende genau auf den Punkt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Becker das Wort. Bitte schön.

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal will ich die Punkte festhalten, bei denen wir uns einig sind.

Wir sind uns einig, dass der Bahnverkehr und das Schienennetz in Nordrhein-Westfalen zu fördern sind, und das ganz ausdrücklich auch bei den NE-Bahnen, also den nichtbundeseigenen Eisenbahnen.

Wir sind uns auch einig – jedenfalls gilt das für unsere Fraktion – darin: Die Einschätzung, dass die zinslosen Darlehen nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, ist richtig.

Wir sind uns allerdings überhaupt nicht einig in Bezug auf Ihre ansonsten zu Selbstlob dahinschmelzenden Äußerungen, Herr Rehbaum und Herr Kollege von der FDP, weil sie in der Sache an den Tatsachen vorbeigehen. Vielleicht ist es Ihnen nicht klar, aber wir haben im Jahr 2011 und im Jahr 2012 die Mittel massiv aufgestockt und sie nicht 2012 abgeschafft, sondern erst 2013 auf zinslose Darlehen umgestellt. Da sollten Sie sich noch einmal vergewissern, damit Sie in Ihrem Antrag die richtigen Jahreszahlen benutzen.

Zum Zweiten – vielleicht ist Ihnen das auch nicht aufgefallen – ist die NE-Förderung zu den Zeiten der schwarz-gelben Regierung von 2005 bis 2010 abgeschafft worden. 2008 und 2009: null. Das heißt, Sie rühmen sich, wenn Sie das so tun, wie Sie das eben gemacht haben, ein Stück weit einer Vergangenheit, die faktisch nicht vorhanden war.

Fakt ist: In unserer ersten Periode, nämlich in der mit der Minderheitsregierung, haben wir von 1 Million auf 3,5 Millionen und dann auf 4,3 Millionen aufgestockt. Sie können das an den Haushaltszahlen von damals nachvollziehen. Im Übrigen weiß ich das so genau – da werden Sie weniger begeistert sein –, weil das Geld aus der Förderung der Luftfahrt hin zur Förderung des Schienenverkehrs umgeschichtet worden ist.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

So ist die Faktenlage gewesen.

Die Sache, die man jetzt tatsächlich bemängeln kann – ich sage es noch mal –, sind die zinslosen Darlehen. Ich darf daran erinnern: Sie und Ihre Fraktion wollten zu der Zeit an allen möglichen Stellen Förderungen auf den Prüfstand stellen und haben damals gefordert, dass die Landesregierung, die übrigens eine ganz andere Haushaltslage als die jetzige Landesregierung hatte, sparen sollte. Deswegen ist damals im Zuge dieser Sparbemühungen auf zinslose Darlehen umgestellt worden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wir sind außerordentlich dafür, NE-Bahnen zu fördern. Deswegen werden wir trotz des ganzen Brimboriums, das Sie um Ihren Antrag herum gestaltet haben, und trotz der richtigen Hinweise des Kollegen der SPD, dass wir eigentlich mit den Haushaltsvoraussetzungen die entsprechende Förderung faktisch schon beschlossen haben, dem Antrag heute zustimmen.

Wir werden allerdings sehr genau darauf achten, was Sie letztlich daraus wie fördern. An einer Stelle taucht das Wort „Infrastrukturmaßnahme“ auf. Dahinter muss man nicht unbedingt den Schienenverkehr vermuten. Seien Sie deswegen sicher: Wir prüfen ganz genau, welche Firmen, welche Schienennetze am Ende damit gefördert werden. Wir werden die Angelegenheit dann gegebenenfalls wieder aufrufen. Bis dahin allerdings hoffen wir, dass Sie Wort halten und die NE-Maßnahmen tatsächlich fördern. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Becker. – Für die AfD spricht Herr Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem Antrag der CDU/FDP-Koalition geht es um die Förderung der NE-Bahnen, also der nichtbundeseigenen Eisenbahnen in Nordrhein-Westfalen.

Explizit ist der Schienengüterverkehr genannt, der erhebliche Bedeutung für den regionalen Verkehr hat. Das ist lobens- und unterstützungswert. Bedenken müssen wir dabei, dass die Bahn bei diesen Güterverkehren überwiegend Baustoffe wie Sand, Kies, Schotter oder Holz transportiert. Diese Transporte erfolgen oft vom Binnenhafen zu den Großabnehmern. Herr Reuter sprach eben von der letzten Meile im Güterverkehr, die hier betroffen ist.

Das Ansinnen wird aber de facto das hohe Verkehrsaufkommen nicht reduzieren, keine osteuropäischen Lkws von der Straße auf die Schiene bringen. Es geht hier nur um den regionalen Güterverkehr bis ca. 250 km Entfernung. Diese Transporte machen aber im Lkw-Bereich nur einen kleinen Teil der Fahrten aus. Deswegen ist zu beachten, dass ökologisch dadurch keine wesentliche Verbesserung eintreten wird.

Das liegt auch daran, dass der Energieverbrauch in Megajoule pro Tonnenkilometer bei Lkw und Bahn vergleichbar ist. Da liegt ein 40-t-Lkw mit einer Nutzlast von 26 t mit einem Verbrauch von ca. 30 Litern auf 100 km nicht schlechter als die Bahn.

Dass der Lkw bei diversen Statistiken, wie sie ja viele kennen, schlechter abschneidet, liegt eher daran, dass die Statistiker meist von Umwelt- und Bahnorganisationen den Energieverbrach immer mit einem 3,5-t-Sprinter mit einer Nutzlast von 1,7 t vergleichen. Der Energieverbrauch des Sprinters ist aber pro Tonnenkilometer sieben- bis achtmal höher als bei einem Schwer-Lkw. So ergibt sich dann auch das schlechte Abschneiden des Lkw in der Statistik. Die Bahn transportiert aber üblicherweise keine Waren, die alternativ mit Leicht-Lkw transportiert werden, sondern im Regelfall schwere Güter wie Baustoffe. Diese werden eben mit Schwer-Lkw transportiert.

Bevor NRW hier Millionen oder gar Milliarden investiert – wir wissen es nicht; im Antrag steht dazu nichts –, ist natürlich dezidiert und im Einzelfall die Sinnhaftigkeit der Bahnförderung zu überprüfen. Da stimme ich Herrn Becker von den Grünen explizit zu. Wir müssen uns ganz genau anschauen, wer das Geld bekommt.

Herr Rehbaum sprach eben davon, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Herr Reuter sprach von der letzten Meile im Güterverkehr. Aber was ist denn mit dem restlichen Schienenverkehrsnetz? Das wird hiervon überhaupt nicht berührt.

Alternativ zu dem hier vorliegenden Antrag wäre es zum Beispiel möglich, den Lkw-Fernverkehr aus Osteuropa per kranlosen intermodalen Verlademöglichkeiten auf die Bahn zu bekommen. Hier gibt es sehr zukunftsweisende Projekte in ganz Frankreich bis zur Grenze nach Spanien und Italien. Diese werden dort gerade stark ausgebaut. So etwas fehlt in NRW völlig. Man könnte das ausbauen bis zur Grenze nach Polen oder Tschechien. Mit den gleichen Fördergeldern, wie Sie das für diesen Antrag machen, könnten Sie zum Beispiel solche Anlagen fördern und wirklich spürbar zur Entlastung der Autobahnen beitragen.

Aufgrund dieser Bauchschmerzen, die wir bei diesem Antrag haben, weil wir nicht wissen, wie viel Geld es sein soll und wer es bekommt, werden wir diesem Antrag nur eine Enthaltung entgegenbringen und das im weiteren Verlauf beobachten. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Loose. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Wüst das Wort.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Schieneninfrastruktur in Nordrhein-Westfalen ist in einem ähnlich desolaten Zustand wie vielfach unsere Straßen. Auch den Verkehrsträger Schiene wird die Landesregierung deshalb durch Investitionsmaßnahmen gezielt und systematisch stärken.

Das Investitionsvolumen für die Schieneninfrastruktur im Kernbereich beträgt zweieinhalb Milliarden € und wird gemeinsam mit dem Bund und der Deutschen Bahn realisiert. Ganz aktuell hat der Verkehrsausschuss in der letzten Woche die Reaktivierung der Niederrheinbahn von Kamp-Lintfort nach Duisburg beschlossen. Der Rhein-Ruhr-Express ist das rollende Premiumprodukt, an dem schon viele Verkehrsminister vor mir und vermutlich auch viele Verkehrsminister nach mir gearbeitet haben und noch arbeiten werden, um es Stück für Stück voranzubringen.

Weitere Schienenprojekte sind im Bundesverkehrswegeplan 2030 im sogenannten potenziellen Bedarf eingestuft. Wir sind uns sicherlich darin einig, dass wir daran arbeiten sollten, sie in den vordringlichen Bedarf zu bringen. Dazu gehören unter anderem der zweigleisige Ausbau Münster–Lünen, der zweigleisige Ausbau Kaldenkirchen–Dülken sowie der dreigleisige Ausbau der Strecke Aachen–Düren.

Auch die Modernisierung der Bahnhöfe muss weiter konsequent betrieben werden. Der Bahnknoten Köln ist eines unserer wichtigsten Schienenmodernisierungsprojekte.

Genau in dieses Gesamtpaket passt eine NE-Förderung, wie wir sie jetzt diskutieren. Die NE-Bahnen haben insbesondere in den Regionen eine besondere Bedeutung, die wachstumsstark, aber außerhalb der Ballungszentren sind. Deswegen ist es gut und richtig, dass man hier investiert. Die Aussetzung der direkten Förderung und kreditfinanzierte Förderung ist eben schon von den ehemals regierungstragenden Fraktionen selber als nicht erfolgreich beschrieben worden. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht lange zu reden.

Mit der Verabschiedung des Landeshaushalts 2018 sind zur Förderung von Investitionen in die Infrastruktur öffentlicher, nichtbundeseigener Eisenbahnen 10 Millionen € und Verpflichtungsermächtigungen von 4 Millionen € verankert worden. Das an alle die, die eben gefragt haben – ich glaube, Herr Dudas war es –, was öffentlich oder nichtöffentlich ist. Der Haushaltstitel gibt darüber Auskunft, und der Haushalt gibt auch Auskunft, um welche Summen es da geht.

Wir wollen diese Förderung auch in den Folgejahren fortführen, um dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Erst in dieser Woche habe ich das Verfahren zur Verbändeanhörung eingeleitet. Sobald diese Verbändeanhörung abgeschlossen ist, wird es die entsprechende Förderrichtlinie geben.

Ich unterstütze deshalb den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ausdrücklich, wie es auch die gesamte Landesregierung tut. Ich danke herzlich für die große Einigkeit in der Sache im Hohen Hause. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, den Antrag direkt abzustimmen. Wer also stimmt diesem Antrag zu? – CDU, FDP, die Grünen stimmen zu. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion stimmt gegen diesen Antrag. Wer enthält sich? – Die AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth enthalten sich. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1989 mit breiter Mehrheit im Hohen Hause angenommen.

Ich rufe auf:

4   Steuerfahndung in NRW stärken – Whistleblower schützen – Steuer-CDs weiter ankaufen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1986

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/2049

Die Aussprache ist eröffnet. Ans Pult tritt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Fraktionsvorsitzende Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wenig Wertschätzung und wie wenig Priorität – der Finanzminister ist noch nicht einmal da.

(Staatssekretär Dr. Patrick Opdenhövel [FM] macht auf sich aufmerksam.)

– Der Staatssekretär kann zum Tagesordnungspunkt hier nicht reden. Also, es ist bemerkenswert, dass noch nicht einmal der Finanzminister zu diesem Thema im Plenarsaal ist. Das steht in einer Reihe von Sachverhalten, von Begebenheiten, die zeigen, wie wenig Priorität diese Landesregierung dem Kampf gegen Steuerbetrug und für mehr Steuergerechtigkeit widmet.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zuletzt zeigte das Ihr – gemeint ist der Minister, der dort sitzen sollte – Umgang mit zwei bundesweit renommierten Steuerfahndern der erfolgreichen Wuppertaler Finanzbehörde.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Moritz?

Monika Düker (GRÜNE): Von Herrn Moritz?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja.

Monika Düker (GRÜNE): Jetzt schon?

(Zuruf: Geht direkt los!)

Herr Moritz, ich habe doch noch gar nichts gesagt, aber bitte.

(Heiterkeit – Zuruf: Aber mit vielen Worten!)

Wenn das schon Anlass zur Nachfrage gibt, bitte.

Arne Moritz (CDU): Frau Kollegin Düker, Sie haben gerade den Finanzminister für seine Nichtanwesenheit kritisiert. Können Sie denn in dem Zusammenhang erklären, warum Sie bei der vorvergangenen HFA-Sitzung im nichtöffentlichen Teil, als alle Fakten auf den Tisch gelegt wurden, nicht im Raum waren, sondern stattdessen dem WDR ein Interview gegeben haben?

Monika Düker (GRÜNE): Ich weiß nicht, was diese beiden Sachverhalte miteinander zu tun haben. Dafür, dass ich den Raum einer Sitzung verlassen habe und für das, was ich draußen gemacht habe,

(Marc Herter [SPD]: Das ist doch dem Hohen Haus gegenüber nicht angemessen! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Moritz, muss ich Ihnen keine Rechenschaft ablegen. Hier findet die Debatte statt, und die Regierung ist nicht mit ihrem Minister vertreten. Ich finde, das ist schon vielsagend genug.

(Minister Lutz Lienenkämper betritt den Plenarsaal. – Zurufe: Ah! – Allgemeine Heiterkeit)

– Ah, da ist er ja. – Also, fangen wir noch einmal von vorne an. Herr Minister, schön, dass auch Sie jetzt hier zu einer Rede erscheinen,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

die wir zumindest für relevant für dieses Land halten. Das ist nämlich die Frage: Wie kann diese Landesregierung, wie kann dieses Land weiter erfolgreich gegen Steuerbetrug vorgehen und für mehr Steuergerechtigkeit sorgen?

Sie haben in den letzten Haushalts- und Finanzausschusssitzungen sehr klar gemacht: Die Entscheidung, dass zwei der renommiertesten Steuerfahnder in diesem Land oder sogar bundesweit in die Privatwirtschaft gegangen sind, liegt in Ihrer Verantwortung.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Mit Ihrer Entscheidung – Sie haben gesagt, es war Ihre Entscheidung –, diese Leitungsstelle für die Wuppertaler Behörde auszuschreiben, haben Sie bewusst in Kauf genommen, dass der Weggang in die Privatwirtschaft – mit all dem Wissen dieser beiden Kollegen – erfolgt. Beamtenrechtlich hätten Sie im Übrigen die Möglichkeit gehabt, die Leute zu halten. Es wäre ganz sauber gewesen – es gab ja noch nicht einmal eine Überlastungsanzeige aus der Behörde –, die ständige Vertretung weiter so im Amt zu lassen.

Sie haben sich bewusst dagegen entschieden. Die Headhunter aus der Privatwirtschaft freuten sich. Für uns, für die Steuerzahlerinnen, für die Steuerzahler, für die Ehrlichen in diesem Land, ist das ein fatales Signal, ein fataler Braindrain. Das wird diese Finanzverwaltung, Herr Witzel, spürbar schwächen. Genau das ist in Ihrer Verantwortung.

Als wenn das schon nicht schlimm genug wäre, gibt es jetzt auch noch fatale Widersprüche in dieser Koalition über den weiteren Ankauf von Datenträgern. Worüber reden wir da? Wir reden über in der Vergangenheit elf Ankäufe von Datenträgern in NRW. Für 19 Millionen € hat NRW eine Welle von Selbstanzeigen ausgelöst. Bundesweit haben sich etwa 120.000 Bürgerinnen und Bürger selbst angezeigt. Das Ergebnis für die Steuerkasse waren 7 Milliarden € Mehreinnahmen. Allein in NRW konnten wir rund 2,4 Milliarden € dahin zurückführen, wo sie hingehören – hinterzogenes Steuergeld, das eigentlich für die Finanzierung unseres Gemeinwesens gedacht war. Dahin haben wir es wieder zurückgeführt. Darüber reden wir.

Herr Minister, Sie haben hier gebetsmühlenartig vortragen – gestern wieder in der Fragestunde –, es änderte sich gar nichts beim Ankauf. Nach Werthaltigkeitsprüfung entscheiden Sie, und zwar ganz alleine; das Kabinett wird nur informiert. Und auch in der Vorlage vom Haushalts- und Finanzausschuss steht, alles werde irgendwie unverändert fortgesetzt.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

All diese eindeutigen Aussagen kommen bemerkenswerterweise nur von diesem Teil der Koalition und von Ihnen. Herr Moritz eiert da immer noch so ein bisschen rum, aber eigentlich ist das in sich klar. Nur wenn man zu Ihrem Koalitionspartner auf der anderen Seite schaut, sieht das schon ganz anders aus.

Hier ein paar Zitate aus den letzten Jahren: Zu Christian Lindner sagen Sie gleich, der hat ja mit NRW gar nichts mehr zu tun, der ist ja weg. Ich zitiere trotzdem einmal, was Herr Lindner hier für die FDP zum Beispiel im Februar 2010 gesagt hat: „Der Rechtsstaat darf nicht Denunzianten und Diebe zu Handlungen ermuntern, die ihm selbst untersagt sind.“

Schauen wir einmal auf die koalitionstragenden Fraktionen. Herr Witzel ist ja nach wie vor hier, hat sich noch nicht vom Acker gemacht. Herr Witzel, schön, dass Sie bei uns geblieben sind. Herr Witzel sagt dazu im Landtag im November 2012 – das ist ja nun Ihre koalitionstragende Fraktion –: „Wir dürfen nicht Datendiebstahl gegen Steuerhinterziehung ausspielen.“

Und im September 2015: „Der Finanzminister“, der damalige, „sitzt in einer Glaubwürdigkeitsfalle. Er hat seine Steuerdatendiebe mehrfach mit Bargeld für ihre Straftaten honoriert.“ Das sind die Whistleblower, das sind für Sie „Steuerdatendiebe“.

Oder zum Haushalt 2013 sagen Sie im September 2012 in der Haushaltsdebatte: „Wo kein Hehler ist, ist auch kein Diebstahl.“  

Genau diese Aussagen haben Sie alle noch einmal im Haushalts- und Finanzausschuss wiederholt und bestätigt. – Herr Minister, mir fehlt wirklich jede Fantasie, diese offenkundigen Widersprüche hier übereinander zu bringen.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Worum geht es uns heute mit unserem Antrag? Es geht uns hier nicht um Vorführeffekte – es ließe sich fortsetzen –, wie uneinig sich die Koalition in diesen Fragen ist. Nein, es geht uns nicht um Vorführeffekte.

Uns geht es darum, hier und heute die fatalen Signale, Herr Witzel, die Sie mit diesen Aussagen in die Lande schicken, zu korrigieren. Denn was sind die Auswirkungen dieser fatalen Signale, dass diese Landesregierung sich über den Ankauf von Steuerdaten nicht mehr einig ist? Wenn Sie die Finanzbeamten als Hehler beschimpfen, wenn Sie die Whisteblower als Datendiebe beschimpfen, wer, bitte schön, meldet sich denn dann morgen noch vertrauensvoll bei dieser Finanzverwaltung, um werthaltige und wichtige Informationen über Steuerbetrüger weiterzugeben?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister, ich erwarte von Ihnen hier und heute ein klares Signal, dass Sie diese Aussagen Ihres Koalitionspartners korrigieren werden, um weiter für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen und damit diese erfolgreiche Tradition in NRW nicht fatalerweise zum Erliegen kommt und nicht am Ende die Sektkorken bei denen knallen, die Steuern hinterziehen und unser Gemeinwohl massiv schädigen.

Herr Minister, ich bin gespannt, was Sie dazu heute zu sagen haben. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Moritz.

Arne Moritz (CDU):Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeit der NRW-Steuerfahndung führte bis Anfang 2017 zu 23.000 Selbstanzeigen und zusätzlichen Einnahmen von 2,3 Milliarden € für den Landeshaushalt. Dass bundesweit jede sechste Selbstanzeige wegen Steuerdelikten und mehr als ein Drittel der Einnahmen der Steuerfahndung aus NRW kommen, zeigt unbestreitbar, dass die Arbeit erfolgreich war. Diesen Erfolg tragen die 600 Steuerfahnder und 1.200 Bediensteten im Bereich der NRW-Steuerfahndung. Sie haben in den letzten Jahren eng mit den vielen anderen deutschen und internationalen Steuerbehörden und Steuerfahndern zusammengearbeitet.

Seit CDU-Minister Linssen ist der Kampf gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung ein elementarer Bestandteil der Finanzpolitik unseres Bundeslandes. Norbert Walter-Borjans hat diesen fortgesetzt und sprach Anfang 2017 völlig zu Recht von einer eingespielten Teamarbeit bei den nordrhein-westfälischen Steuerbehörden.

(Carsten Löcker [SPD]: Zwischen CDU und SPD?)

Nachdem aber bekannt wurde, dass zwei der Steuerfahnder aus eigenem Willen in die Privatwirtschaft wechseln, ist bei ihm von einer Teamleistung genauso wenig die Rede wie von einer breit aufgestellten Expertise, welche sich die 600 weiteren Steuerfahnder über die letzten Jahre aneigneten. So sprach Ex-Minister Groschek von einem personellen Aderlass und Beleg für ein Politikversagen,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Recht hat er!)

während sein Ex-Kollege Walter-Borjans noch eins draufsetzte und twitterte, dass die Steuerfahndung nun vor die Wand fährt.

(Carsten Löcker [SPD]: Genau!)

Eine eingespielte Teamleistung, die Walter-Borjans Anfang 2017 noch in einer Pressemitteilung lobte – ist sie es auf einmal nicht mehr?

(Carsten Löcker [SPD]: Die haben Sie ja zerschlagen!)

Nun suggeriert Walter-Borjans, der eingangs beschriebene Erfolg der NRW-Steuerfahndung sei lediglich die Einzelleistung der zwei betreffenden Steuerfahnder. Als ich mir die Äußerungen von SPD und Grünen gegenüber der Presse oder die Protokolle der Ausschusssitzungen durchgelesen habe, war ich mir sicher: Die beiden Fraktionen teilen diese Meinung.

Aber, meine Damen und Herren, diese Arbeit als Einzelleistung zu degradieren, ist kompletter Unsinn.

(Beifall von der CDU – Carsten Löcker [SPD]: Kommen Sie doch zum Punkt!)

Es ist doch illusorisch, anzunehmen, dass zwei Steuerfahnder, deren Tag auch nur 24 Stunden hat, für den gesamten Erfolg der Steuerfahndung in NRW verantwortlich sind und die nun verbleibenden restlichen Mitarbeiter der NRW-Steuerfahndung nach deren Abgang nicht mehr wissen, was sie tun sollen.

Abgesehen davon, dass sich der Ex-Finanzminister – der verlorenen Regierungsmacht geschuldet – hier um 180 Grad wendet, ist dies ein Schlag ins Gesicht all derer, die in den letzten Jahren für die Landesregierung gearbeitet haben, ihr vertraut haben und sich loyal verhalten haben. Mit ihren unüberlegten Aussagen stellt die SPD, insbesondere zwei Ex-Minister, die es eigentlich besser hätten wissen müssen, das gesamte Wissen und Können sowie die gesamte Arbeit der letzten Jahre infrage und tut, als müsse die NRW-Steuerfahndung neu laufen lernen.

Ich finde es sehr schade, dass Herr Walter-Borjans heute nicht hier ist. Ich hätte ihn sonst aufgefordert, sich vor seine Ex-Kollegen zu stellen, seine Aussage zu wiederholen und damit den NRW-Steuerfahndern jegliche Kompetenz abzusprechen. Man kann im Kern der Debatte anderer Meinung sein. Unabhängig von jedweder politischer Couleur sind diese Vorwürfe aber respektlos und unkollegial.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Ich könnte es gut nachvollziehen, wenn sich jeder Steuerfahnder und die Bediensteten von Herrn Walter-Borjans verraten fühlen. Dafür verlange ich gleich eine Richtigstellung und eine Entschuldigung von Ihnen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Fakt ist, meine Damen und Herren, erstens: Steuerfahnder in NRW haben in Teamleistung einen guten Job gemacht. Zweitens: Wir haben ein immenses Know-how im Bereich der Steuerfahndung aufgebaut, was sich auf alle Mitarbeiter der Steuerfahndung verteilt. Drittens besteht für die NRW-Koalition überhaupt kein Zweifel an der Kompetenz und bestehenden Leistungsfähigkeit unserer Steuerfahnder – anders, als dies scheinbar bei SPD und Grünen der Fall ist.

(Carsten Löcker [SPD]: Das wird die Zukunft ja zeigen, Herr Kollege!)

Kommen wir jetzt zur Frage der Nachfolge im Amt des Dienststellenleiters.

(Michael Hübner [SPD]: Dienststellenleiter sogar!)

Ich weiß natürlich nicht, nach welchen Kriterien Sie in Ihren Parteien Pöstchen verteilen. Das können Sie bei Ihren Parteien auch gerne so machen, wie das vielleicht in Kleingartenvereinen passiert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: So kann man nicht darüber reden, Herr Kollege! Das ist unverantwortlich!)

Wenn wir aber von solchen verantwortungsvollen Aufgaben sprechen, muss doch gerade uns Politikern klar sein, dass verfassungsrechtlich vorgegebene Verfahren keine Pylonen sind, die man mir nichts, dir nichts umfahren kann.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Wir sehen, dass die politisch extrem Rechten stärker werden, die Anfeindungen und Hetze gegen Politiker auch wegen Intransparenz bei genau solchen Angelegenheiten so laut wie nie sind und das Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler in die Politik schwindet.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Arne Moritz (CDU): Lieber gleich zum Schluss, dann kann ich ...

(Lachen und Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

– Dann bitte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön, dass Sie die Zwischenfrage doch zulassen.

Arne Moritz (CDU): Nach dem Lachen konnte ich nicht anders.

Monika Düker (GRÜNE): Sie bezieht sich auf etwas, was Sie gerade gesagt haben. In einem Halbsatz haben Sie nämlich gesagt, es sei eine verfassungsrechtliche Problematik gewesen, diese Stelle nicht auszuschreiben. Jetzt müssen Sie mir einmal beamtenrechtlich erklären, worin die verfassungsrechtliche Problematik besteht, wenn man diese Stelle mit der ständigen Vertretung oder kommissarischen Leitung – formal ist es eine ständige Vertretung – einfach noch ein Jahr so belassen hätte. Wo ist da bitte schön der Verfassungsbruch? Das hätte ich gerne einmal von Ihnen erklärt. Dann wäre diese Steuerfahnderin nämlich noch hier und nicht weg.

Arne Moritz (CDU): Frau Düker, die Frage hätten Sie nicht stellen müssen, wenn Sie im nichtöffentlichen Teil der Sitzung anwesend gewesen wären. Darin haben wir nämlich genau über diesen Fakt gesprochen, und darin hätten Sie Ihre Frage beantwortet bekommen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Carsten Löcker [SPD]: Antworten Sie doch darauf! Wenn Sie es doch wissen, beantworten Sie doch die Frage! – Monika Düker [GRÜNE]: Das sind doch Behauptungen, die Sie nicht belegen können! – Carsten Löcker [SPD]: Dann sagen Sie es wenigstens für die Zuhörerinnen und Zuhörer, damit die das auch verstehen!)

Sie sind rausgegangen und haben Fernsehinterviews gegeben, anstatt der Aufklärung beizuwohnen. Das kann ich auch nicht ändern. Dann sollten Sie es selber noch einmal im Protokoll nachlesen.

(Carsten Löcker [SPD]: Aber dann können Sie es doch jetzt erklären!)

Ich möchte zu meiner Rede zurückkommen. Sie sollten mit solchen Vorwürfen sehr vorsichtig sein. Das Grundgesetz und das Beamtengesetz sehen vor, dass bei der Ernennung und der Beförderung die Kriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung für die Auswahl eines Bewerbers maßgeblich sind.

(Monika Düker [GRÜNE]: Und wo steht, dass man so was ausüben muss? Wo steht das?)

Es geht hier nicht um das Wollen und die Interessen politischer Amtsträger, sondern es geht um das Müssen. Der Landesregierung ist das anscheinend bewusster als der Opposition. Von dem Landesgleichstellungsgesetz, welches ebenfalls eine öffentliche Stellenausschreibung erfordert, haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen.

Das an den vorgenommenen Ausschreibungen gar kein Zweifel bestehen darf, Frau Düker, hat Herr Brommund, der Oberfinanzpräsident, auch im Ausschuss mehrfach – zumindest für mein Empfinden – deutlich und unmissverständlich klargemacht.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja, ja!)

Jedem, der das nicht versteht, empfehle ich dringend die Lektüre der betreffenden Gesetze. Ebenso hat Herr Brommund klargemacht, dass die Besetzungsentscheidung ohne jeglichen Einfluss des Ministeriums getroffen wurde. Mit der Bestenauslese wurde ein Dienststellenleiter gefunden, der sich im Bereich der Steuerfahndung durch ein Höchstmaß an Erfahrung, Wissen und Leistung bewiesen hat. Die Koalition aus Christdemokraten und Freien Demokraten stellt dies auch nicht infrage.

Ebenso sind wir der festen Überzeugung, dass mit dem neuen Dienststellenleiter und dem Team der Wuppertaler Steuerfahndung die hohe Qualität der Arbeit gegen Steuerbetrug in einem unverminderten Maß fortgesetzt werden kann. So ist auch sichergestellt, dass derzeit laufende Verfahren und Ermittlungen nahtlos durch das bestehende Team fortgesetzt werden können.

Wenn sich die in Rede stehenden Personen, die sich nun aus freien Stücken für einen Wechsel in die Privatwirtschaft entschieden haben, in diesem Bewerbungsverfahren nicht den Auswahlkriterien stellen, ist dies ihre legitime Entscheidung, die seitens der Landesregierung akzeptiert werden muss.

(Martin Börschel [SPD]: Oh! Sehr lapidar!)

Der Qualität der Arbeit sowie dem Kampf gegen Organisierte Kriminalität, Terrorismusbekämpfung und Steuerhinterziehung als Schwerpunkt der finanzpolitischen Arbeit der NRW-Koalition wird dies keinen Abbruch tun.

(Horst Becker [GRÜNE]: Das wird ein Zitat, wenn ihr in drei Jahren …!)

Es gibt noch genug zu tun; denn schließlich sind Steuerbetrug und Steuerhinterziehung so einfach wie noch nie geworden. Als Stichwort sei da nur Delaware in den USA genannt.

(Martin Börschel [SPD]: Sie sollten sich mehr um Wuppertal in Deutschland kümmern!)

Die NRW-Landesregierung, unterstützt durch die Fraktionen von CDU und FDP, wird dies mit noch mehr Nachdruck im Vergleich zur Vorgängerregierung tun.

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Wer allen Ernstes behauptet, die neue Regierung und der Finanzminister würden in diesem Bereich auch nur einen Hauch von Toleranz zeigen, hat sich zum einen überhaupt nicht mit dem Haushalt 2018 beschäftigt und verschließt zum anderen die Augen vor den beschlossenen Tatsachen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Denn mit dem Haushalt 2018 werden u. a. 58 neue Stellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Terrorismusfinanzierung und des Steuerbetrugs geschaffen.

Wenn nun der aktuelle Finanzminister noch mehr Engagement in diesem Bereich zeigt als sein Vorgänger – bei dem man das Gefühl haben konnte, das wäre der einzige Bereich, in dem er überhaupt etwas auf die Beine gestellt hat –, lässt sich das für die Opposition natürlich schwer verkaufen.

Ebenso lässt es sich für die Opposition schwer verkaufen, dass die Landesregierung mit diesem Engagement den Ankauf von Steuer-CDs im Einzelfall genauestens prüfen und darüber entscheiden wird.

(Gordan Dudas [SPD]: Ah ja!)

Das heißt, dass weder pauschal alle angebotenen CDs abgelehnt werden noch dass jedes Angebot unreflektiert angenommen wird. Noch einmal: Die Angebote werden geprüft, und dann wird darüber entschieden. Es macht ja keinen Sinn, jede angebotene CD ungeprüft zu kaufen, nur um hinterher festzustellen, dass die Daten nicht verwendet werden können oder schon bekannt sind.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das sagt ja auch keiner! – Michael Hübner [SPD]: Wann war das denn das letzte Mal?)

Natürlich könnte man sich dann noch inszenieren und dafür feiern lassen, was man im Kampf gegen Steuerhinterziehung schon alles tut. Das wäre jedoch nicht ehrlich. CDU und FDP werden von Beginn an transparent arbeiten, und die Entscheidungswege und Zuständigkeiten bleiben dabei unverändert.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Kampf gegen Steuerbetrug wird von der NRW-Koalition mit zusätzlichem und bestmöglich ausgebildetem Personal fortgesetzt. Unbesetzte Stellen, ob in der Finanzverwaltung oder in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, werden weiterhin nach den grundgesetzlichen Prinzipien der Bestenauslese vergeben.

Die Arbeit der Steuerfahndung erachten FDP und CDU als Teamleistung, bei der jeder Mitarbeiter Respekt für seine erfolgreiche Arbeit verdient hat.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Auch in den nächsten Jahren werden wir dafür kämpfen, dass Steuern dort gezahlt werden, wo Produkte hergestellt oder Dienstleistungen erbracht werden. Jeder, der sich den Steuerpflichten hinterzieht, muss entsprechend bestraft werden. Informationen, die Hinweise auf Straftaten und Hinterziehung geben, werden entsprechend geprüft.

Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit ist die Säule, auf der unsere Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Finanzpolitik in NRW fußen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Gordan Dudas [SPD]: Nach dieser Rede hängt aber die Limbo-Stange tief!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Moritz. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Baran. Das ist heute seine erste Rede. Daher hören wir alle ganz besonders zu.

(Nadja Lüders [SPD]: Gern! – Michael Hübner [SPD]: Wir machen keine Zwischenrufe!)

Bitte schön.

Volkan Baran (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal im Namen meiner Fraktion bei den Grünen für den Antrag bedanken. Für mich ist es zentraler Bestandteil einer gerechten Gesellschaft, dass alle im Sinn des Gemeinwohls ihre Einnahmen versteuern. Für mich wird jedoch immer deutlicher, dass sich diese Landesregierung für das Thema „Steuergerechtigkeit“ schlicht nicht interessiert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie betreibt Klientelpolitik, und das können und wollen wir so nicht hinnehmen.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Als eine wesentliche Finanzierungsgrundlage unseres Gemeindewesens darf Steuergerechtigkeit nicht vernachlässigt werden. Doch die Vorreiterrolle der Steuerfahndung in Wuppertal wird von Ihnen, Herr Minister, trotz ihres beachtlichen Rufs nicht mehr als solche wahrgenommen.

Des Weiteren sind zwei Mitglieder des Teams, das an führender Stelle dafür verantwortlich war, dass 80 % aller Ankäufe von Datenträgern dort abgewickelt worden sind, in die Privatwirtschaft gewechselt, ohne dass der Minister eingeschritten wäre.

Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte zum Erhalt des Wuppertaler Teams Maßnahmen getroffen, die ohne stichhaltige Gründe von der Landesregierung beendet wurden.

(Bernd Krückel [CDU]: Welche denn?)

Auch der Antrag der SPD-Fraktion vom 5. September des vergangenen Jahres, den Erhalt der Strukturen der Wuppertaler Steuerfahndung beizubehalten, wurde von CDU und FDP abgelehnt. Profitieren werden von dem Ergebnis dieser fahrlässigen Entscheidung ausschließlich die Steuersünder.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Trotz der Einträchtigkeit der Regierungsparteien in der Ablehnung unseres Antrags herrscht offenbar Uneinigkeit über die Haltung der Landesregierung zum Ankauf von Steuer-CDs. Die FDP hat im Ausschuss betont, dass sie das Vorgehen für Hehlerei hält. Herr Minister Lienenkämper hingegen möchte weiterhin Steuer-CDs erwerben. Dabei bleibt auch die Frage, ob der Ankauf mit oder ohne Kabinettsentscheid vonstattengehen soll, bisher offen.

Liebe Landesregierung, Regieren bedeutet eigentlich, gemeinsam zu entscheiden und zu handeln. Nun tun Sie es endlich, regieren Sie!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch auf Bundesebene lässt die Landesregierung keinerlei Ambitionen erkennen, Initiativen in die Wege zu leiten oder zu befördern. Durch Ihr Nichtstun beenden Sie den erfolgreichen Kampf gegen Steuerkriminalität, der von der SPD mit Minister Walter-Borjans an der Spitze unermüdlich bestritten wurde.

Der Jahresabschluss 2017 mit mehr als 300 Millionen € neuen Schulden wäre Grund genug gewesen, zu erkennen, dass man auf keinen Cent verzichten kann. Doch auch hier ist nichts passiert. Damit schaden Sie nicht nur in ganz erheblichem Maße dem Allgemeinwohl, sondern Sie, besonders die FDP, tolerieren mit Ihrer Politik die Steuerflucht, statt an der Seite der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu stehen.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP] – Michael Hübner [SPD]: Hat er recht!)

Die ehrlichen Steuerzahler fühlen sich nicht ernst genommen, wenn sie selbst auf der einen Seite ihre Steuern zahlen und wenn auf der anderen Seite Steuersünder ihre Gelder ins Ausland transferieren, um die Steuern hier, wo sie leben, am Fiskus vorbeizuschleusen. Sagen Sie uns doch bitte, liebe Landesregierung: Wie wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen dieses Vorgehen eigentlich erklären?

Wir wissen, dass deutsche Behörden erstmals im Jahr 2006 Steuer-CDs gekauft haben. Nordrhein-Westfalen hat seitdem elf Datenträger erworben.

Frau Düker hat es gesagt: In den letzten sieben Jahren zeigten sich 120.000 Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterzieher selbst an; das ist eine beachtliche Zahl. Bundesweit nahmen die Behörden dadurch 7 Milliarden € zusätzlich ein, die der Allgemeinheit vorenthalten werden sollten oder sich aus Strafzahlungen ergaben. Davon flossen allein 2,4 Milliarden € in den Landesetat.

Auch hier interessiert uns: Wie wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern diese Ungerechtigkeit und Klientelpolitik erklären, durch die dem Landeshaushält jährlich Milliarden Euro fehlen werden? Auf welcher Grundlage will die Landesregierung die Steuerhinterzieher statt der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler schützen?

Wir werden auch in Zukunft für die ehrlichen Bürgerinnen und Bürger streiten und den Kampf für Steuergerechtigkeit und gegen die Gleichgültigkeit der Landesregierung in diesen Belangen weiterführen. Ich freue mich, dass wir dabei die Kolleginnen und Kollegen der Grünen an unserer Seite wissen.

Wir stimmen dem Antrag der Grünen selbstverständlich zu. Den Entschließungsantrag der regierungstragenden Fraktionen lehnen wir ab. – Ein herzliches Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Baran, und herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede im Hohen Hause! – Als nächster Redner spricht Herr Witzel für die Fraktion der FDP.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Bekämpfung von Steuerbetrug ist eine wichtige politische und gesellschaftliche Aufgabe,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Textbaustein!)

die deshalb für die NRW-Koalition selbstverständlich Priorität hat. Es ist für uns zunächst eine Frage der Gerechtigkeit, dass sich besonders raffinierte und rechtswidrig verhaltende Menschen nicht der Verpflichtung entziehen können, ihren ganz persönlichen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls und öffentlicher Aufgaben zu leisten.

Eine Regierung, die wichtige Zukunftsaufgaben zu finanzieren hat, kann es sich ferner nicht leisten, unnötig auf Steuereinnahmen zu verzichten. Die NRW-Koalition hat wichtige Verbesserungen, beispielsweise bei der inneren Sicherheit, der Bildung, dem KiBiz, dem digitalen Netzausbau oder der Unterstützung der Kommunen in Aussicht gestellt und zugleich zugesagt, diese nicht über neue Schulden zu finanzieren.

Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass – nach dem Schuldenanstieg in vergangenen Legislaturperioden – eine Landesregierung diese wichtige Zusage für eine komplette Legislaturperiode gegeben hat. Ein korrektes Besteuerungsverfahren bildet die wichtigste Grundlage für solide Haushalte. Im Vergleich zur abgewählten Vorgängerregierung aus SPD und Grünen forciert die NRW-Koalition daher den Kampf gegen Steuerbetrug in NRW.

Das zeigen unter anderem die 58 zusätzlichen Stellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, der Terrorismusfinanzierung und des Steuerbetrugs, welche vor wenigen Wochen von CDU und FDP gemeinsam im Landeshaushalt neu geschaffen wurden, von Ihnen aber abgelehnt worden sind.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist gelogen!)

Zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung bieten sich verschiedene Maßnahmen an. An erster Stelle steht natürlich die eigene Ermittlung durch eine sachkundige, motivierte und handlungsfähige Finanzverwaltung.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Darum gehen die Mitarbeiter auch weg! Die haben Sie riesig motiviert!)

An den Stellen, Herr Kollege, wo staatliche Ermittlungen, beispielsweise durch grenzüberschreitende Transaktionen, nur eingeschränkt möglich sind, sind eine verbesserte Transparenz und eine verstärkte internationale Zusammenarbeit von Behörden im In- und Ausland notwendig.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wie beim Schweizer Steuerabkommen, Herr Kollege, nicht wahr?)

Diese Fragen werden in Steuerabkommen und weiteren internationalen Vereinbarungen geregelt.

Und dort, wo diesbezüglich Schwachstellen bestehen, arbeitet die Finanzverwaltung – wie auch die Polizei – mit Informanten zusammen, die zusätzlich wertvolle Hinweise geben können. Jedem sachdienlichen Hinweis in Steuerfragen, der sie erreicht, wird die Steuerfahndung auch zukünftig nachgehen. Ein Instrument bei der Zusammenarbeit mit Informanten ist wiederum die Auswertung überlassener Datensätze.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Zimkeit?

Ralf Witzel (FDP) Ja, selbstverständlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Herr Kollege, Sie haben gerade den Ankauf von CDs angesprochen. Sie haben an diesem Podium am 13. September 2017 erklärt, dass es eine Vereinbarung der Koalition gebe, nach der der Ankauf von CDs zukünftig im Kabinett besprochen werden müsse. Der Finanzminister sagt – wie auch der Antrag der Koalitionsfraktionen –, das System sei nicht verändert worden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, die Frage bitte. Sie dürfen kein Referat halten.

(Zuruf von der SPD: Ja, aber der begreift die Frage sonst nicht! – Heiterkeit bei der SPD)

Stefan Zimkeit*) (SPD): Die Darstellung des einer Frage zugrunde liegenden Sachverhalts kann manchmal hilfreich sein, Herr Präsident.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, aber nicht so ausführlich bitte.

Stefan Zimkeit*) (SPD) Sie haben genau das Gegenteil behauptet, nämlich dass das Verfahren unverändert ist.

Haben Sie dem Plenum am 13. September letzten Jahres die Unwahrheit gesagt, oder hat der Finanzminister in dieser Frage die Unwahrheit gesagt?

(Bodo Löttgen [CDU]: Das sind zwei Bereiche!)

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Zimkeit, ich sage im Plenum nicht die Unwahrheit. Richtig ist das, was in dem Entschließungsantrag steht, der heute vorliegt, der auch meine Unterschrift trägt, an dem ich auch aktiv mitgewirkt habe. Und: In der Politik ist doch vieles eine Frage der Interpretation.

(Lachen von der SPD)

– Nein, völlig klar ist: Es hat doch niemand gesagt, der Finanzminister dieser Koalition habe weniger Kompetenzen. Es hat auch niemand gesagt, es seien formale Verfahrens- und Entscheidungswege geändert worden. Vielmehr habe ich Ihnen in einer politischen Debatte unsere Erwartung mitgeteilt, die auch in der Koalition bekannt ist, nämlich dass dies – wenn man freundschaftlich und partnerschaftlich zusammenarbeiten will – für uns ein so gewichtiger Punkt ist, dass man über ihn vorab mit Kabinettsmitgliedern reden muss.

(Beifall von der CDU)

Das ist genauso, Herr Kollege, als wenn ich hier Folgendes sagte – ich beantworte die Frage des Kollegen Zimkeit, und zwar mit bisher weniger Redezeit, als seine Fragestellung in Anspruch genommen hat –: Herr Kollege, wenn ich sage, man müsse einer alten Dame über die Straße helfen, dann nicht deshalb, weil es ein Gesetz gibt, das das vorschreibt, sondern weil es unserer Auffassung davon entspricht, wie man sich zu benehmen hat.

(Beifall von der CDU)

Der Finanzminister und ich haben Ihnen mehrfach mitgeteilt, dass unser gemeinsames Verständnis ist, dass man in der Koalition und mit Kabinettskollegen über Fragen von solcher Bedeutung reden muss, aber eben nicht formalisiert – weil man das, da man einander misstraut, aufgeschrieben hätte –, sondern weil man es für den Umgang miteinander für angemessen hält.

(Zuruf von der SPD: Sie müssen dem Kollegen Zimkeit nicht über die Straße helfen!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt eine zweite Zwischenfrage, und zwar von Herrn Kämmerling. Wollen Sie die auch beantworten?

Ralf Witzel (FDP) Ja, selbstverständlich.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Haben Sie herzlichen Dank, Herr Kollege Witzel, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen.

Wir haben jetzt an mehreren Tagen erläutert bekommen, dass in Zukunft freundschaftliche Konsultationen im Zusammenhang mit dem Ankauf von Steuer-CDs anstehen werden. Jetzt komme ich sofort zu der Frage. Würden Sie mir bitte erklären – denn diesen einen Punkt habe ich in den verschiedenen Ausführungen nicht verstanden –: Finden diese freundschaftlichen Konsultationen innerhalb Ihrer Koalition mit dem Kabinett dann vor der Entscheidung über den Erwerb eines angebotenen Datenträgers statt oder nachher? Das, finde ich, ist für die Bewertung ausgesprochen interessant.

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Kämmerling, wie Sie jetzt mehrfach von Herrn Finanzminister Lienenkämper, von mir und von den Koalitionsfraktionen mitgeteilt bekommen haben, gibt es kein formalisiertes Verfahren und damit auch keine formalisierte Abweichung von bisherigen Gepflogenheiten früherer Regierungen,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Woher wissen Sie das denn? Das ist der Arkanbereich des Kabinetts!)

weder einer früheren schwarz-gelben Regierung noch früherer rot-grüner Regierungen. Deshalb gibt es keine Kodifizierung, binnen welcher Frist wer mit wem reden muss. Vielmehr gibt es das gemeinsam getragene Verständnis, dass in politisch wichtigen Fragen, zu denen sicherlich auch ein öffentlichkeitswirksamer Punkt

(Zuruf von den GRÜNEN: Die Antwort dauert aber lange! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir hoffen, dass Sie es jetzt begreifen, Herr Kollege!)

wie die Frage des Ankaufs von Daten gehört, die Sie ja angesprochen haben, Kabinettskollegen miteinander reden und sich informieren.

Hinsichtlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Rahmen man das macht, haben wir in der Tat das Vertrauen, dass der Finanzminister politisch so erfahren ist, dass er die richtige Entscheidung in der richtigen Situation treffen wird.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Aber Sie werden daran beteiligt? – Stefan Kämmerling [SPD]: Vorher oder nachher? Das war die Frage! – Michael Hübner [SPD]: Werden Sie daran beteiligt?)

Für die Auswertung dieser Datensätze besteht im Übrigen, anders als in anderen Rechtsgebieten, auch kein Verwertungsverbot in möglichen sich anschließenden Gerichtsverfahren. Sie von der SPD und von den Grünen wissen ganz genau, dass sich eine frühere schwarz-gelbe Landesregierung bereits in der 14. Legislaturperiode dieses Instrumentariums bedient hat

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das bestreitet doch niemand!)

und dass erstmals von CDU und FDP dieses Instrument zur Anwendung gebracht worden ist. Insofern kann es keine prinzipielle Ablehnung dieses Instrumentariums geben, zumal viele beteiligte handelnde Akteure von damals auch heute noch im Kabinett oder in der Koalition mitwirken.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist dieses Vorgehen aber dennoch als dauerhafter Automatismus nicht unproblematisch und daher auch nur jeweils nach genauer Prüfung der Verhältnismäßigkeit vertretbar.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das steht schon im Gesetz! – Stefan Kämmerling [SPD]: Und in Absprache mit Ihnen!)

Der Staat darf jedenfalls die Begehung von Straftaten nicht veranlassen oder dazu auffordern und sollte sich auch für die Begleitumstände der Datendeals ausdrücklich interessieren. Deshalb wird es eine Einzelfallprüfung bei jedem angebotenen Datensatz geben, die eine Pauschalaussage verbietet.

(Monika Düker [GRÜNE]: Die gab es schon immer! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Genau das sagen wir ja!)

Ein solches rechtsstaatliches Vorgehen verbietet es auch, Whistleblowern, wie das die Grünen in ihrem Antrag fordern, einen Freibrief für jegliche ihrer Handlungen auszustellen. Das zeigt vielmehr das einmal mehr problematische Verhältnis der Grünen zur Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall von der FDP)

Ihre gemeinsame Haltung hat die Landesregierung bereits im September 2017 in der Landtagsdrucksache 17/675 dargestellt, und zwar ohne Bezug zu den aktuellen Ereignissen, die heute hier diskutiert werden.

Geradezu absurd wird die Kritik von Rot-Grün hinsichtlich individueller Entscheidungen zweier Beamter, einen Seitenwechsel zu vollziehen und ein besseres Gehalt von anderen Arbeitgebern zu erlangen. Eine Eigenkündigung steht jedem Beamten selbstverständlich frei. Sie ist vom Beamtenrecht gedeckt und politisch nicht zu bewerten.

Die konkret angesprochene vakante Position in Wuppertal ist jedenfalls korrekt ausgeschrieben und neu besetzt worden, da der vorherige Amtsinhaber in den Ruhestand getreten ist, also ein ganz normaler Vorgang von der Vorgehensweise her. Die reguläre Nachbesetzung dient gerade der Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Finanzverwaltung, indem Führungspositionen nicht unbesetzt bleiben.

Beamtenrechtlich sind Führungspositionen nach Eignung, Leistung und Befähigung zu besetzen. Das sagt der Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes, und dies ist auch unter Fairnessaspekten gegenüber den 28.000 weiteren Bediensteten in der Finanzverwaltung notwendig.

Eine Eigenkündigung steht jedem Beamten selbstverständlich frei und ist vom Beamtenrecht gedeckt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das haben Sie eben schon gesagt!)

Aber die abgewählte rot-grüne Landesregierung hat in der Vergangenheit Stellenbesetzungen und Beförderungen lieber nach politischen Zielvorstellungen statt nach Leistungsgesichtspunkten vorgenommen

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das ist eine Unterstellung! – Michael Hübner [SPD]: Wirklich unverschämt!)

und ist damit in zahlreichen Verfahren vor Gericht gescheitert. Schwarz-Gelb hat vor und nach der Landtagswahl versprochen, diese Praxis zu ändern und Personalbesetzungsfragen wieder leistungsorientiert zu entscheiden.

(Michael Hübner [SPD]: Deshalb haben Sie als Erstes 146 Stellen geschaffen, ist klar!)

Die ausgeschiedenen Personen in Wuppertal haben sich hingegen gar nicht erst um die Leitungsposition beworben. Das zeigt ja auch den klamaukhaften Charakter dieser Debatte.

Zwischenzeitlich hat sich die SPD-Opposition sogar öffentlich hingestellt und einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert, bis Sie mittlerweile offenbar erkannt haben, wie lächerlich Sie sich mit dieser Forderung gemacht haben. Es wäre jedenfalls in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der erste Parlamentarische Untersuchungsausschuss, der der Fragestellung nachgeht, warum jemand eine Stelle nicht bekommen hat, für die er sich gar nicht erst beworben hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die NRW-Koalition kümmert sich lieber um Sachpolitik, schätzt die Expertise der 600 Steuerfahnder in Nordrhein-Westfalen und stärkt ihnen bei ihrer täglichen Arbeit aktuell und zukünftig den Rücken. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Der nächste Redner ist Herr Strotebeck für die AfD-Fraktion.

Herbert Strotebeck (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sagen Ihnen die Namen Markus Kurth, Nicole Maisch, Manuel Sarrazin, Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Sylvia Kotting-Uhl und Anton Hofreiter etwas? All die genannten Personen sind laut Zeitungsberichten Steuerhinterzieher. Diese Personen haben aber noch mehr gemeinsam. Sie gehören alle der gleichen Partei an: den Grünen. Sie sind zudem keine einfachen Mitglieder, sondern besitzen gut bezahlte Mandate auf Landes- und Bundesebene – getreu dem Motto: höhere Steuern fordern, aber selber keine zahlen.

(Beifall von der AfD)

Genau diese Grünenpartei will nun die Steuerfahndung stärken. Das ist grotesk und klingt wie Hohn.

(Zuruf von den GRÜNEN: Allerdings sitzen Kriminelle im Landtag!)

Es fällt mir schwer, Ihnen abzunehmen, dass es Ihnen im vorliegenden Antrag wirklich darum geht, die Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen zu stärken. Dafür spricht schon, dass Sie es nicht schaffen, auf den knapp fünf Seiten Ihres Antrags auch nur einen konkreten Vorschlag zur Verbesserung der Steuerfahndung zu machen.

Aussagen wie: „Der Landtag stellt fest, Steuerbetrug ist eine Straftat und ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Problem“ sind uns allen bekannt, und dazu stehen wir sicherlich auch alle. Es ist anzunehmen, dass es Ihnen primär um etwas ganz anderes geht, und zwar um die Möglichkeit, endlich wieder einmal in der Presse vorzukommen – auf Kosten der Beschädigung unseres Finanzministeriums. Ihr Ventil dafür ist der Wechsel zweier Wuppertaler Steuerfahnder in die freie Wirtschaft.

Um dieses Glück möglichst lange auskosten zu können, wurde das Thema „Wuppertaler Steuerfahnder“ mehrmals im Haushaltsausschuss mit einem persönlichen, empörten Unterton diskutiert. Dies brachte allerdings noch nicht den gewünschten Medienrummel. Es musste eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses herhalten, was dazu führte, dass endlich die Kameras vor der Sitzungstür aufgebaut wurden.

Es wurde schon angesprochen: Das Groteske ist, dass die Vertreterin der Grünen es dann vorzog, während der Sitzung zeitweise lieber den Kameras vor der Tür ihre Anwesenheit zu schenken, als der angeblich so wichtigen Sitzung vollständig zu folgen.

Genauso schnell wie der Medienrummel gekommen ist, verschwindet er bekanntlich wieder – jedenfalls dann, wenn sich bei dem eigentlichen Anlass herausstellt, dass es sich doch nicht um ein solch großen Skandal handelt. Allerdings wollten sich die Grünen damit offensichtlich nicht abfinden, also haben sie sich überlegt, wie sie dieses Thema noch länger am Kochen halten können. Damit das nicht ganz so leicht auffällt, steckt man die Causa „Wuppertal“ in die große Hülle mit dem wohlklingenden Namen „Steuerfahndung stärken“.

Auf den ersten eineinhalb Seiten des Antrags führen Sie dann ausschließlich bereits bekannte Stichpunkte auf: Die Schweiz ist ein Steuerparadies für Hinterzieher. In Deutschland gibt es ein Problem mit der Steuerhinterziehung usw.

Erst nach all den mehr oder weniger bekannten Fakten kommen Sie zum Kern Ihres Anliegens: Es sei unklar, wie CDU und FDP mit dem zweifelhaften Ankauf von Steuerdaten umgehen würden. Auf dieser Annahme baut sich Ihr ganzer Antrag auf. Sie implizieren, die Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen sei schwach, Whistleblower seien ungeschützt und Steuer-CDs würden nicht mehr eingesetzt.

All diese Annahmen sind falsch. Sie haben mehrfach mündlich und schriftlich bestätigt bekommen, dass die Landesregierung weiterhin gegen Steuerbetrug vorgehen wird. Sie haben mehrfach mündlich und schriftlich bestätigt bekommen, dass auch die Wuppertaler Behörde in gleicher Konsequenz weiterarbeiten wird. Dies wird zum Beispiel in der Antwort auf eine Kleine Anfrage eines SPD-Abgeordneten deutlich. Zitat des Finanzministers:

„Die … Strukturen haben sich bewährt und sollen auch im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Wuppertal erhalten bleiben.“

Glauben Sie, die Antworten der Regierung ändern sich in Abhängigkeit Ihrer Frageintensität? Finden Sie sich bitte lieber damit ab, dass Ihre Wuppertaler Zirkusveranstaltung beendet ist.

Zudem verschweigen Sie bei Ihren empörten Ausführungen immer wieder, dass es die schwarz-gelbe Regierung war, die den fragwürdigen Kauf der CDs in Nordrhein-Westfalen eingeführt hat. Ich zitiere die „Bild-Zeitung“ aus dem Februar 2010:

„Er machte den Weg frei für einen Ankauf der brisanten Steuer-CD, bereitet Steuerhinterziehern schlaflose Nächte: NRW-Finanzminister Helmut Linssen (…, CDU) …“

Wenn man nun aber den Antrag der Grünen liest, könnte der Eindruck entstehen, es wären die Grünen gewesen, die das Thema „Steuerfahndung und Steuer-CDs“ in Nordrhein-Westfalen überhaupt erst bekannt gemacht haben.

Bei genauer Betrachtung wird aber sehr schnell klar, dass all diese Vorwürfe nichts als heiße Luft sind, und mit dieser heißen Luft beschäftigen Sie den Landtag nun schon seit Wochen. Sie merken offensichtlich immer noch nicht, dass Sie eine Phantomdebatte führen. Sie versuchen, zusammen mit den SPD-Kollege immer noch den Eindruck zu erwecken, dass die nordrhein-westfälische Steuerfahndung durch den Weggang zweier Wuppertaler Steuerfahnder zusammengebrochen sei und die schwarz-gelbe Regierung kein Interesse mehr an Steuerfahndung hätte. Diese Vorstellung ist absurd.

Der aktuelle Finanzminister Lutz Lienenkämper hat bereits im Juli 2017 deutlich gemacht, dass er sich in puncto Steuer-CD an seinen Vorgängern orientieren will – Zitat –: „Das läuft so weiter wie bisher auch: Wir prüfen jedes Angebot im Einzelfall.“ – Der vorliegende Antrag ist damit überflüssig. Oder hat der ehemalige SPD-Finanzminister die anrüchigen Steuer-CDs einfach so, blind gekauft?

Der vorliegende Antrag beinhaltet Aussagen, die juristisch und moralisch falsch sind. So fordern die Grünen, der Finanzminister hätte verhindern sollen, dass Steuerfahnder in die Privatwirtschaft wechseln. – Meine Damen und Herren der Grünen, es liegt weder in der Aufgabenhoheit eines Ministers, zu entscheiden, wer in die Privatwirtschaft wechseln darf und wer nicht, noch kann und sollte ein Minister Personen an vorgeschriebenen Auswahlverfahren vorbeischleusen können. Auch bei der Finanzbehörde gilt die Bestenauslese.

Wenn sich die Grünen schon so bitterlich darüber beklagen, dass der CDU-Minister den Wechsel der Steuerfahnder in die Privatwirtschaft nicht verhindert habe, frage ich mich: Warum lässt die Grünen-Fraktion es zu, das Barbara Steffens zum 1. Juli dieses Jahres zur Techniker Krankenkasse wechselt? Die einjährige Karenzzeit für Minister hält sie damit auch nur knapp und – wie wir alle wissen – widerwillig ein; auch wenn der „Kölner Stadt-Anzeiger“ jetzt plötzlich etwas anderes schreibt. Warum verhindern Sie das nicht? – Möglicherweise, weil die Grünen wissen, dass Frau Steffens bei der TK wesentlich mehr verdient als die 12.000 € im Landtag.

Die Grünen zählen in ihrem Antrag übrigens mehrere neu eingeführte multilaterale Vereinbarungen zur Steuerfahndung auf und sprechen von verbesserten internationalen Transparenzvorschriften. Sie erwähnen selbst, für eine abschließende Bewertung der neuen Vorschriften sei es noch zu früh. Einige Seiten später empfinden Sie die Übereinkünfte aber als nicht hinreichend.

Auch ich denke, dass es für eine Bewertung noch zu früh ist. Wir brauchen ein einfaches, praktikables und faires Steuersystem. Solange wir das noch nicht haben, brauchen wir eine funktionierende Steuerfahndung – aber bitte ohne Datenhehlerei des Staates bitte.

Die AfD wird den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Strotebeck. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Lienenkämper das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, ein weiteres Mal die Gelegenheit zu haben, die altbekannte Position der Landesregierung zum genannten Thema vorzutragen. Das pädagogische Prinzip der Wiederholung hat sich schon häufig als Erfolg erwiesen. Ich bin immer optimistisch und hoffe, dass das sogar bei diesem Thema noch geschehen kann.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Man kann guter Hoffnung bleiben!)

Die Landesregierung betrachtet die Bekämpfung der Steuerhinterziehung als eine wichtige Aufgabe und Herausforderung. Die hochprofessionelle Arbeit der nordrhein-westfälischen Steuerfahndung wird deshalb auch zukünftig unverändert dazu beitragen, dass Steuerhinterziehung erfolgreich verfolgt wird.

Die zehn bundesweit anerkannten nordrhein-westfälischen Steuerfahndungsämter leisten mit ihren 1.200 Beschäftigten – davon mehr als die Hälfte Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder – ganz Hervorragendes. Auch in Zukunft werden alle rechtlich zulässigen Mittel eingesetzt, um den Kampf gegen Steuerhinterziehung konsequent fortzuführen. Ja, auch das Verfahren bei der Prüfung des Ankaufs von Steuer-CDs bleibt unverändert. Über etwaige Ankäufe wird im Einzelfall und nach Abwägung der Chancen und Risiken entschieden.

Was den Umgang mit Hinweisgebern, den sogenannten Whistleblowern, angeht – das ist der neue Aspekt an der Geschichte, den wir bisher noch nicht hatten –, darf ich darauf hinweisen, dass die Justizministerkonferenz das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz bereits Ende letzten Jahres aufgefordert hat, die Notwendigkeit einer zusätzlichen gesetzlichen Regelung zu prüfen. Übrigens enthält auch die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen weitere einschlägige Regelungen, die bis Mitte dieses Jahres in nationales Recht umgesetzt werden sollen.

Kurzum: An der bewährten Praxis beim Ankauf von Steuer-CDs ändert sich in Nordrhein-Westfalen gar nichts. Wir werden das Verfahren, das mein Vorvorgänger Helmut Linssen erstmals angewendet hat, fortführen. Diese politischen Leitlinien der Landesregierung sind hinlänglich bekannt. Ich habe sie immer wieder dargelegt. Wer die Hoffnung hat, bei einer weiteren Darlegung würden sie sich ändern, den muss ich enttäuschen: Sie bleiben gleich.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Frau Abgeordnete Düker würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Aber gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte schön, Frau Abgeordnete Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich glaube Ihnen Ihren guten Willen, und ich bin fest davon überzeugt, dass Sie das wirklich so sehen. Es besteht allerdings das Problem, dass Ihr Koalitionspartner durchaus andere Signale in die Welt sendet.

Deswegen meine Frage: Glauben Sie, dass sich auch weiterhin potenzielle Whistleblower – die wir ja nun einmal brauchen – bei Ihnen melden werden, wenn Ihr Koalitionspartner sie als Steuerdatendiebe und Ihre Steuerfahnder als Hehler bezeichnet? Glauben Sie, dass weiterhin genug Vertrauen vorhanden ist, sodass sich Whistleblower bei Ihnen melden?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Ja, das glaube ich; denn jeder wird die Diskussion, die wir hier führen, genau betrachten und die Erklärungen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen aufmerksam lesen. Und jeder, der das tut, wird sich gerne und mit Überzeugung auch in Nordrhein-Westfalen an die Finanzverwaltung wenden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich kann nur wiederholen – das will ich noch einmal deutlich hervorheben –: Die Leistung der Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder und aller Mitarbeiter in den zehn Ämtern in Nordrhein-Westfalen ist hervorragend.

Ich weiß, Frau Kollegin Düker, dass Sie das nicht so meinen, aber man kann diese Debatte auch dahin gehend missverstehen, dass Sie die nordrhein-westfälischen Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder dazu auffordern wollen, ihrem Job nachzugehen. Das wäre allerdings so, als würden Sie einem Olympioniken sagen, er möge jetzt einmal damit anfangen, Sport zu treiben. Das meinen Sie nicht so,

(Monika Düker [GRÜNE]: Ich beschimpfe sie jedenfalls nicht als Hehler!)

und ich habe das auch nicht so verstanden.

Ich will nur sagen: Wenn dieser Eindruck irgendwo entstehen sollte, dann wäre es gut, wenn das ganze Haus wüsste, dass dieser Eindruck falsch ist. Es handelt sich um gut arbeitende Beamtinnen und Beamte und hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb geht auch der Kampf mit unveränderter Personalstärke hochkompetent weiter.

Darüber hinaus wird es sogar noch Ergänzungen geben: Zusätzlich zu den bisher bereits hervorragenden Leistungen der Strafverfolgungsbehörden und der Finanzverwaltung erweitert die Landesregierung das Zielspektrum noch um den verstärkten Kampf gegen Terrorismusfinanzierung, internationale Kriminalität und internationale Steuerhinterziehung.

Das geschieht nicht durch Arbeitsverdichtung, sondern dafür hat der Haushaltsgesetzgeber, dem ich dafür ausdrücklich dankbar bin, zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt. Zum ersten Mal werden das Ministerium der Finanzen, das Ministerium des Innern und auch das Justizministerium ressortübergreifend in dieser Taskforce zusammenarbeiten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des Jahres mit diesen neuen Stellen und dieser neuen Zielrichtung ein weiteres effektives Instrument für unsere Anstrengungen erhalten werden.

Zusammengefasst: Ich habe in der heutigen Debatte wenig Neues gelernt. Ich habe das aber auch nicht erwartet. Diejenigen, die den Antrag für überflüssig halten, will ich wegen dieser Auffassung nicht kritisieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Zimkeit das Wort.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Oh! Hallo erst mal!)

Stefan Zimkeit*) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Finanzminister, wirkliche Hoffnung, dass wir von Ihnen etwas Neues zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug erfahren, hatten wir nicht.

Wir hatten nicht wirklich die Hoffnung, dass es endlich gelingt, dass Sie Pläne und Initiativen erklären, wie Sie vorgehen wollen. Deswegen waren wir auch nicht überrascht, dass Sie diese Pläne so vortragen. Wir haben wieder gemerkt: Eine wirkliche Leidenschaft bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung fehlt hier.

Der Kollege Optendrenk hat in der letzten Legislaturperiode Norbert Walter-Borjans zum Robin Hood erklärt. Sie geben sich größtmögliche Mühe, zum Sheriff von Nottingham zu werden, der die Reichen dafür beschützt, dass sie ihre Steuern bezahlen müssen. Darin haben Sie uns leider in Ihrem Vortrag heute bestätigt.

(Beifall von der SPD – Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])

Lassen Sie mich noch etwas einschieben; denn ich will den Finanzminister ja nicht nur kritisieren. Ich bedanke mich noch mal ausdrücklich dafür, dass er die Arbeit der Steuerfahndung in ihrer Gesamtheit gelobt hat. Das haben wir im Ausschuss immer alle gemeinsam getan.

Ich finde es sehr fair von Ihnen, dass Sie das Frau Düker gegenüber gerade noch mal deutlich erklärt und damit auch die Vorwürfe von Herrn Moritz widerlegt haben, der uns anderes unterstellt hat. Wir haben dies immer getan, wir wertschätzen diese Arbeit und wir wissen, wie wichtig sie ist. Alle anderen Behauptungen sind frei erfunden.

(Beifall von der SPD – Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wenn wir beim Thema „frei erfunden“ sind, komme ich merkwürdigerweise zu Herrn Witzel. Ich fange mal damit an, dass ich sehr begrüße, dass Sie hier nicht das getan haben, was Sie im HFA getan haben. Es ist schon angesprochen worden: Sie haben dort im Zusammenhang mit den hoch wertgeschätzten Steuerfahndern von Datenhehlerei gesprochen. Ich finde es gut, dass Sie diesen Vorwurf hier nicht wiederholt haben, weil er, gelinde gesagt, absurd ist.

Absurd ist aber auch, dass Sie sich gestern in einer anderen Debatte hier hingestellt und gesagt haben: Wir müssen uns ehrlich machen.

Machen Sie sich mal ehrlich. Machen Sie sich erstens ehrlich bei Ihrer Behauptung, wir hätten angekündigt, einen PUA zu beantragen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ja!)

– Nein, das haben wir nicht. Wir haben gesagt, dass wir darüber diskutieren, einen PUA zu beantragen.

(Ralf Witzel [FDP]: Ach!)

Wir sind mit dem Thema auch noch nicht fertig; wir warten noch darauf, dass der Finanzminister die Vertraulichkeit seiner Gespräche mit Norbert Walter-Borjans aufhebt. Herr Walter-Borjans hat das bereits getan, und der Finanzminister wird das hoffentlich auch noch tun. Dann werden wir weitere Informationen bekommen.

Danach können wir schauen, ob alle Fragen beantwortet worden sind. Bisher sind noch lange nicht alle Fragen beantwortet worden.

(Ralf Witzel [FDP]: Das werden Sie doch niemals beantragen!)

Der zweite Punkt, bei dem Sie, Herr Witzel, es mit der Wahrheit alles andere als ernst nehmen: Sie haben sich gerade hier hingestellt und gesagt, wir hätten die 58 zusätzlichen Stellen abgelehnt. – Das ist gelogen!

(Ralf Witzel [FDP]: Im Haushalt! Den Haushalt haben Sie abgelehnt!)

– Nein, Sie haben gesagt, wir hätten die Stellen abgelehnt. Das ist eine Lüge. Ich habe im HFA ausdrücklich erklärt – auch unter Zustimmung der Grünen –, dass wir diese Maßnahme für richtig halten und sie unterstützen. Wenn Sie hier etwas anderes behaupten, zeigt das mal wieder, dass Sie ein gestörtes Verhältnis zur Wahrheit haben.

(Beifall von der SPD)

Das ist ja auch eindeutig an Ihren Verfahrensaussagen abzulesen. Zur Frage des Verfahrens zum Ankauf von Steuer-CDs sind sie hier herumgeeiert, dass es eine wahre Freude war. Sie mussten sogar alte Omas bemühen.

Sie haben hier gesagt: Es gibt eine Vereinbarung, nach der der Ankauf von Steuer-CDs ins Kabinett muss. – Das entspricht nicht der Wahrheit und dem, wie Herr Lienenkämper es gesagt hat. Wenn Sie hier von „ehrlich machen“ sprechen, ist das nur noch Hohn.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Ihr Antrag findet unsere grundsätzliche Zustimmung, aber an ein paar Stellen ist er aus unserer Sicht nicht klar und deutlich genug.

Sie sprechen im Zusammenhang mit Wuppertal und der Landesregierung von „achtlos“.

(Monika Düker [GRÜNE]: Von was?)

Nein, ich bezweifle, dass das Vorgehen der Landesregierung achtlos war. Wir haben als SPD-Fraktion vor einigen Wochen einen Antrag gestellt, in dem wir gefordert haben, die Steuerfahndung in Wuppertal in ihrer Struktur zu erhalten und zu stärken. Darüber wurde hier im Haus in Einzelabstimmung befunden. Sowohl CDU als auch FDP haben dies damals schon abgelehnt. – Nein, es ist nicht achtlos, sondern es ist eine geplante Schwächung dieser Steuerfahndung, die hier im Hause auch angekündigt wurde, lieber Kollege.

(Beifall von der SPD)

Als ich dann den Kollegen Moritz hier mit seinen Aussagen über den CD-Ankauf gehört habe, habe ich manchmal das Gefühl gehabt, es gehe darum, bei „Saturn“ eine Musik-CD zu kaufen. Es ist schon etwas komplizierter.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das erklärt auch, warum diese Kolleginnen und Kollegen, von denen hier immer die Rede ist, so wichtig sind. Hier wird immer gesagt, wir seien so leistungsorientiert. – Wenn man der Kollegin, die diese Steuerfahndung lange als stellvertretende Leiterin mit angeführt hat, mangelnde Leistungsfähigkeit unterstellt, ist das eine Frechheit, die wir ausdrücklich zurückweisen.

Natürlich ist es Teamarbeit – wie fast überall.

(Henning Höne [FDP]: Das Dienstrecht ändern, Herr Zimkeit! Da hätten Sie das Dienstrecht ändern müssen!)

Aber dem Team den Kapitän und den wichtigsten Torschützen zu nehmen, schwächt ein Team nun einmal immer. Das gilt auch bei der Steuerfahndung. Die beiden Kollegen, die gehen, sind diejenigen gewesen, die Erfahrung wie niemand sonst mit Whistleblowern

(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben sich doch gar nicht dafür beworben!)

und dem Ankauf von CDs hatten. So zu tun, als wären das irgendwelche Leute, zeigt, dass Sie das Problem entweder nicht gekannt haben oder bewusst kleinreden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Moritz, wie absurd Ihr Vorwurf ist – Stichworte: „Gleichstellungsgesetz“ und „verfassungswidrig“ –, zeigt Ihre Bemerkung zum Gleichstellungsgesetz. Dieses Vorgehen, wie es sich jetzt darstellt und welches zum Ergebnis hatte, dass eine Frau die Leitung nicht bekam, ein Mann aber schon, mit dem Landesgleichstellungsgesetz zu verteidigen und zu begründen, beweist, dass Sie keine Ahnung vom Thema haben.

(Beifall von der SPD)

Ein zweiter Fehler im Antrag der Grünen ist die Forderung – sie ist ja grundsätzlich durchaus zulässig –,  das Vertrauen wiederherzustellen. – Ich glaube, nach all dem, was gelaufen ist, und auch nach der Debatte heute wird klar: Das Vertrauen ist dermaßen zerstört, dass das, was in den letzten Jahren von Norbert Walter-Borjans und der Regierung bei der Bekämpfung von Steuerbetrug erreicht worden ist, nicht mehr erreicht werden kann. Ich bin sehr gespannt, Herr Lienenkämper, wie erfolgreich Sie denn Datenträger von Steuerbetrügern ankaufen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zimkeit. – Es hat sich jetzt noch zu Wort gemeldet für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Krückel.

Bernd Krückel (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dem, was wir gerade insbesondere von Herrn Zimkeit haben hören müssen, muss man sich hier noch einmal zu Wort melden. Insbesondere die letzten Ausführungen, das Ansehen der Finanzverwaltung sei hier massiv beschädigt worden, ist der Ausfluss dessen, was von Ihnen hier losgetreten wird, und hat nichts mit der Stellenbesetzung in Wuppertal zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie lassen keine Gelegenheit aus, das Stellenbesetzungsverfahren, das in dieser Form immer durch die Finanzverwaltung durchgeführt und von der OFD betrieben wird, in diesem einen Ausnahmefall anders gestaltet wissen zu wollen. Ich bin ziemlich sicher: Wäre hier nach Willkür, wäre hier nach politischer Weisung vorgegangen worden, wären Sie diejenigen gewesen, die dieses Verfahren kritisiert hätten.

Ich halte für meine Fraktion noch einmal fest: Das Verfahren war ordnungsgemäß. Die Bestenauslese ist gewahrt worden. Insbesondere um die handelnden Akteure in Wuppertal zu schützen, sage ich: Wir haben keinen Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Amtes und insbesondere an der Person des Leiters.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn der abgewählte Finanzminister twittert, dass er ernste Sorge habe, dass der Weggang von zwei Mitarbeitern die Steuerfahndung vor die Wand fahren könnte, liebe Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich nur feststellen, dass Herr Walter-Borjans dann eine miserable Finanzverwaltung hinterlassen hätte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dem ist nicht so. Das Wohl und Wehe der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung hängt nicht von zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab, die wir gerne weiter in den Reihen gewusst hätten. Aber wir haben keinen Zweifel an der Arbeit der zehn Steuerfahndungsämter und auch nicht an der Arbeit der Erhebungsfinanzämter.

Herr Zimkeit, abschließend möchte ich mich noch persönlich an Sie wenden. Sie haben hier überwiegend unsachlich vorgetragen. Deshalb verlasse ich auch mal den Pfad der Sachlichkeit. Ich kann Ihren Frust verstehen. Sie waren vor einem Jahr kaum auf dem Platz zu halten, als der „Schulz-Hype“ hier auch durchs Haus ging. Sie waren vor lauter Begeisterungszuckungen kaum zu bremsen.

Heute, ein Jahre später, müssen wir feststellen, dass wir im März 2017 Wahlergebnisse von 100 % in Korea und von der SPD kannten. Heute müssen wir feststellen, dass es keine Partei gibt, von der man so schnell von 100 auf null kommen kann wie in der SPD. Kehren Sie zur Sachlichkeit zurück! Ich hoffe, dass der Mitgliederentscheid in der SPD dazu beitragen wird. Dann können wir uns hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen und hoffentlich auch im Bund wieder den Themen widmen, die uns am Herzen liegen. Dazu gehört auch Steuergerechtigkeit. Da gibt es keinen Zweifel an der Zuverlässigkeit von CDU und FDP. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Krückel. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum jetzigen Zeitpunkt liegen uns hier keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Das bleibt auch beim Blick in die Runde so, sodass wir am Schluss der Aussprache sind und zur Abstimmung kommen können, und zwar über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1986. Hier hat die antragstellende Fraktion direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags abstimmen lasse.

Wer dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/1986 zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie die Abgeordneten der Fraktion der SPD. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann hat der Antrag Drucksache 17/1986 nicht die Mehrheit des Hauses bekommen und ist abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/2049. Wer dem Entschließungsantrag zustimmen möchte, möge bitte jetzt das Handzeichen geben. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Neppe.

Meine Damen und Herren, der Entschließungsantrag Drucksache 17/2049 hat aber mit den Stimmen der CDU und der FDP die Mehrheit im Haus erhalten und ist angenommen.

So, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt gehen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt über, zum Tagesordnungspunkt

5   Flüchtlingskinder auf den erfolgreichen Start in ihrer Heimat vorbereiten

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1994

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Seifen das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bewältigung von Ausnahmesituationen erfordert das Durchbrechen von Routinen. Routinen zu durchbrechen erfordert neues Denken. Die Quelle des neuen Denkens sprudelt aus der Bereitschaft zur Selbstkritik und zu der Bereitschaft, diese Ausnahmesituation vorurteilsfrei zu analysieren sowie neue Erkenntnisse zuzulassen, auch wenn sie dem bisherigen Weltbild nicht ganz entsprechen oder sogar widersprechen.

Vor dieser Aufgabe stehen wir in diesen Zeiten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das sozialpolitische Handeln der politischen Entscheidungsträger immer ausgerichtet auf die Fürsorge für Bedürftige und die Überwindung der sozialen und der nationalen Schranken, damit nicht aus sozialen Ungerechtigkeiten und nationalen Konkurrenzen wieder soziale Unruhen oder internationale Konflikte entstehen.

In diesem Bereich haben wir in Deutschland sehr viel erreicht, und alle Altparteien haben daran ihren begrüßenswerten Anteil.

Aber das Verharren in diesen Denkkategorien und die ausschließliche Fokussierung des politischen Handelns auf Fürsorgehilfe hat zu den gesellschaftlichen, sozialen wie internationalen Verwerfungen geführt, die wir heute alle beklagen und welche die Gründung einer neuen Partei nötig gemacht haben, der Alternative für Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Die Sozialdemokratisierung des politischen Handelns auf allen Ebenen, ein gewisser primitiver Moralpopulismus, der sich aus dem Hochmut der Selbstgerechtigkeit nährt, hat die Bürger dieses Landes in zwei entmündigte Gruppen geteilt: die eine, die von diesem Moralpopulismus profitiert, weil die für Bedürftige gehalten werden oder sich selbst so ausweisen, und die andere Gruppe, der auferlegt wird, für die Hilfsbereitschaft politischer Entscheidungsträger Geld, Zeit und Nerven zu opfern.

Damit wird deutlich, dass uns das alte Denken in den Kategorien der Sozialfürsorge in eine Form des Nationalmasochismus geführt hat, über den die Welt nur den Kopf schüttelt.

Aus dem finden wir nur heraus, wenn wir uns wieder auf bestimmte anthropologische Konstanten besinnen und diese zur Grundlage unserer Handlungsmaxime machen.

Dabei können uns die Menschen helfen, die aus fernen Ländern zu uns eingewandert, zugewandert oder geflüchtet sind. Denn während in unserem Land das Bekenntnis zur eigenen Kultur, Sprache und nationalen Identität häufig genug mit einem Verdikt belegt wird, so pflegen die zugewanderten Menschen sehr intensiv ihre Kultur, ihre Sprache und ihre nationale Identität. Daran sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen.

(Beifall von der AfD)

Diese Menschen wissen, dass dies zur gesunden Existenz der Persönlichkeit und zur gesunden Existenz jedes Staates gehört. Deshalb tragen sie ihre Heimat mit in unser Land hinein, und dies sollten wir respektieren. Wir sollten die Sehnsucht einiger Politiker in unserem Land nach Heimatlosigkeit nicht den Menschen überstülpen, die sich für kurze Zeit hier aufhalten.

Wir von der AfD-Fraktion können die Menschen verstehen, die zu uns kommen, aber ihre Heimat nicht verlieren wollen. Deshalb sollten wir ihnen dabei helfen, sich auf die Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten.

Wie in unserem Antrag vorgetragen sollten wir für die Kinder von Flüchtlingen und von Menschen, die nur für kurze Zeit hier verweilen, den Unterricht anbieten, der sie befähigt, nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat dort ihr Leben als mündige Bürger frei und selbstständig zu gestalten. Dass dazu auch Deutschunterricht gehört und zum Beispiel eine Lehre in einem Ausbildungsberuf oder etwas Ähnliches ist eine Selbstverständlichkeit. Aber durch diese Form der unterrichtlichen Betreuung nehmen wir die Menschen, die zu uns kommen, ernst und bieten ihnen eine respektvolle Perspektive.

Im Übrigen ermöglichen wir ihnen auch den Erfolg. Eine Studie der Forschungsstelle beim Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration weist alarmierend darauf hin, dass die Schullaufbahnen von zugewanderten Kindern im deutschen Schulsystem zum großen Teil scheitern, und das wollen wir doch nicht wirklich hinnehmen.

Ich weiß, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass Sie uns in Ihrer argumentativen Hilflosigkeit gleich wieder Rassismus vorwerfen, die ewig gleiche Leier, die nur beweist, wie verkrustet Ihr Denken ist und wie eindimensional.

Sie sollten meinen Hinweis ernst nehmen, den ich Ihnen am Anfang meiner Rede gegeben habe. Zeigen Sie Bereitschaft zur Selbstkritik und Bereitschaft, neue Erkenntnisse zuzulassen! Sie wissen, was mit Menschen und Systemen geschieht, die sich der Wirklichkeit verweigern.

Die Menschen haben Rot-Grün unter anderem wegen einer vollkommen gescheiterten Schulpolitik abgewählt.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie wissen es doch selber besser, Herr Seifen!)

Passen Sie auf, dass Ihnen das in vier Jahren nicht auch geschieht! Besinnen Sie sich darauf, dass man zur Lösung neuer Probleme neue Wege beschreiten muss. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Seifen. – Für die Fraktion der CDU hat Frau Kollegin Wermer das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zu Beginn meiner Rede einige grundsätzliche Bemerkungen, die mir als Christdemokratin am Herzen liegen. Wenn wir als NRW-Koalition und als CDU-Fraktion Politik gestalten, dann machen wir das für die Menschen. Das gilt für alle Bereiche unseres politischen Handelns, nicht nur, aber insbesondere auch für die Integrations- und die Bildungspolitik. Wir gestalten Politik, damit es den Menschen in Zukunft besser gehen kann, besser, als es ihnen vorher ging.

Wir machen das so, weil wir ein positives Menschenbild haben. Wir fühlen uns der Würde des Menschen verpflichtet, so wie es Art. 1 unseres Grundgesetzes beschreibt. Das ist unser Grundsatz, und vor diesem Hintergrund arbeiten und argumentieren wir.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie, die Abgeordneten von der AfD, machen hingegen Politik gegen die Menschen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Sie machen Politik gegen Flüchtlinge, und Sie machen mit diesem Antrag Politik gegen die Kinder von Flüchtlingen.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD)

– Ich habe ihn intensiv gelesen.

(Markus Wagner [AfD]: Dann haben Sie ihn nicht verstanden!)

Gleichzeitig lassen Sie nämlich durchschimmern, dass Sie nur die Interessen derer schützen wollen, die nicht Flüchtling oder Flüchtlingskind sind. – Natürlich müssen die Interessen aller berücksichtigt werden. Aber in Wahrheit spielen Sie die Menschen – auch noch die jüngsten unter ihnen – gegeneinander aus.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ihre Anträge waren bislang immer von Spaltung gekennzeichnet. Auch beim vorliegenden Antrag lässt der Feststellungsteil keinen Zweifel daran. Ihnen geht es nicht um das Wohl von Flüchtlingskindern und deren Erfolg im Leben. Ihnen geht es auch nicht um die Bildung und die Vermehrung von Wissen. Es geht Ihnen allein um die Feststellung, dass diese Kinder nur temporär hier sind

(Zuruf von der AfD: Das ist Gesetzeslage!)

und – besonders wichtig für Sie – so schnell wie möglich wieder wegsollen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Seifen würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. Ich frage, ob Sie die zulassen.

Heike Wermer (CDU): Nein.

(Helmut Seifen [AfD]: Ich habe auch nicht damit gerechnet!)

Das können wir im Ausschuss diskutieren.

Erfolgreiche Startchancen wünschen Sie den Kindern von Flüchtlingen gleichzeitig nur in deren Herkunftsländern. Mehr noch, Kinder von Flüchtlingen sind für Sie nicht in erster Linie Schülerinnen und Schüler, junge wissbegierige Geschöpfe, nein, diese Kinder sind für Sie Gefährder –

(Lachen von Helmut Seifen [AfD])

Gefährder unseres Bildungssystems und der schulischen Erfolgsaussichten jener Schülerinnen und Schüler, die keinen Fluchthintergrund haben. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von den GRÜNEN: So ist das! – Zuruf von der AfD: Butter bei die Fische!)

– Ja, Butter bei die Fische. Das mache ich doch.

(Zuruf von der AfD: Hören Sie doch erst mal zu, bevor Sie über Fische sprechen!)

– Ihre Aufregung zeigt doch ganz deutlich, welche Haltung die AfD an den Tag legt, nämlich dass Sie spalten und nicht versöhnen wollen. Sie machen eben keine Politik für die Menschen, sondern Politik gegen die Menschen.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das Schlimme ist, dass Sie nicht mal Halt vor unseren Kindern machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wermer. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Müller das Wort. Bitte schön.

Frank Müller (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist wieder einmal einer dieser Anträge, der einen Geist atmet, für den man sich eigentlich nur noch schämen möchte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Hören Sie doch mal ein bisschen zu!)

– Ja, ich weiß, Herr Seifen, Sie sind schon seit 80 Jahren Lehrer und seit 90 Jahren Schulleiter.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Aber vielleicht hören auch Sie einfach mal zu.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

– Ja, das mag sein. Es ist vielleicht auch die Arroganz des Alters, Herr Seifen.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Und das, obwohl Sie sich alle Mühe geben, die eigentliche Motivation zu verschleiern, als ginge es Ihnen nur um das Wohl aller Kinder und als wollten Sie nur deren Bestes.

(Helmut Seifen [AfD]: Genauso ist es!)

Aber das Gegenteil ist der Fall. Eigentlich geht es ja in der Debatte auch nur vordergründig um die Frage, wie unsere Schulen besser auf die Bedürfnisse aller Kinder und Jugendlichen eingehen können.

(Helmut Seifen [AfD]: So steht es doch drin!)

Nein, vielmehr geht es Ihnen um Spaltung und das Bedienen von Ressentiments, das Erzeugen von Bildern im Kopf.

(Zuruf von der AfD)

– Dazu komme ich gleich noch. – Die Rollen sind dabei klar verteilt. Sie unterstellen, dass nur mit der Selektion ein reibungsloser Schul- und Unterrichtsbetrieb gewährleistet werden könne. – Das ist schlicht falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Viele Schulen in unserem Land zeigen, dass es geht, und vor allem zeigen sie, wie es geht. Dafür gilt allen, die sich um das Gelingen dieser Herausforderung kümmern, zuallererst unser Dank.

Ist deswegen nun alles gut? – Nein, natürlich nicht. Das, was die sogenannte Alternative anbietet, ist aber sicher nicht geeignet, diese Herausforderungen zu meistern – wie auch, wenn es einem nur ums Ausschließen und Ausgrenzen geht.

(Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)

Aber so einfach ist das nicht. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass sich entsprechende Maßnahmen, beispielsweise im Kampf gegen eine zunehmende Segregation, nicht bewährt haben.

Kollegin Vogt hat gestern in der Plenardebatte zu einem ähnlichen Tagesordnungspunkt gesprochen und auf gescheiterte Bussing-Experimente in anderen Ländern oder auch in ihrer eigenen Heimatstadt hingewiesen. Denn der Ausschluss einer bestimmten Gruppe hat eben nicht zu den gewünschten Leistungssteigerungen geführt. Es ist eben alles ein wenig komplexer, insbesondere mit Blick auf den Einfluss der sozialräumlichen Faktoren.

Dennoch ist es richtig, dass gerade an Schulen in benachteiligten Sozialräumen und Stadtteilen kein Weg an verbesserten Lernbedingungen vorbeiführt. Dort ist doch die Herausforderung am größten. Genau diese Schulen tragen die Hauptlast. Wir brauchen eine langfristige Unterstützung, insbesondere für diese Schulen, sowie eine bessere Ausstattung mit personellen und materiellen Ressourcen: mehr Lehrerinnen und Lehrer, mehr multiprofessionelle Teams, mehr individuelle Förderung, kleinere Klassen. Schlicht: Wir müssen Ungleiches auch ungleich behandeln und dafür sorgen, dass es nicht die soziale Herkunft ist, die über den Bildungserfolg entscheidet.

Eine aktuelle Auswertung der Datensätze aus der letzten PISA-Studie zeigt, dass es hier zwischen 2006 und 2015 bemerkenswerte Erfolge gegeben hat. Die dürfen aber nicht dazu führen, die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr müssen wir daran anzuknüpfen und diesen Weg weitergehen.

Meine Damen und Herren, genau da setzen Sie aber nicht an. Ihnen geht es doch darum, die Menschen in solche erster und zweiter Klasse zu unterteilen. Wie geschmacklos, wie geschichtsvergessen ist das eigentlich?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Und wie zynisch und menschenverachtend ist es, wenn Sie dann noch zugestehen, dass die Begegnung in den Pausen und nach dem Unterricht ja möglich sei? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass es nicht zu diesen Begegnungen kommen wird, wenn man nicht gemeinsam lernt. Im Kern wollen Sie doch überhaupt nicht, dass es zu diesen Begegnungen kommt. Das ist doch schlichtweg die Wahrheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, über handwerkliche Schwächen in AfD-Anträgen haben wir schon gestern bei einem ähnlichen Tagesordnungspunkt gesprochen. Aber hier kann man schon nicht mehr nur von handwerklichen Schwächen reden, eher muss man von bewusster Täuschung sprechen.

Denn erstens ist es mehr als fraglich, ob die von Ihnen unterstellte Verbesserung überhaupt mit der jordanischen Praxis einer exklusiven Beschulung zusammenhängt. Ein Beleg dafür findet sich nirgendwo – weder in Ihrem Antrag noch sonst wo, wo ich gesucht habe.

Zweitens ist die Behauptung, dass es in Jordanien bemerkenswerte Fortschritte im Bereich der Naturwissenschaften gegeben habe, schon im Ansatz falsch. Denn anders als Sie behaupten, hat sich die Kompetenz im naturwissenschaftlichen Bereich nicht verbessert, sondern verschlechtert und bleibt weiterhin deutlich hinter dem OECD-Durchschnitt.

In Deutschland, behaupten Sie wiederum, sei die Leistung rückläufig. Auch hier liegen Sie falsch, denn im naturwissenschaftlichen Bereich liegt Deutschland stabil über dem OECD-Niveau. Da sage ich immer: Lesen hilft, verstehen noch mehr!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Ich will jetzt einmal dahingestellt sein lassen, ob Ihr Antrag überhaupt mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. Schon daran habe ich erhebliche Zweifel.

(Christian Loose [AfD]: Sollten Sie mal lesen!)

Ganz sicher aber steht er in einem krassen Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention,

(Markus Wagner [AfD]: Gar nicht wahr!)

und er widerspricht jeglichen Integrationsgedanken. Damit stellen Sie sich selber in einen Widerspruch. Denn Sie verhindern so schlicht eine wesentliche Gelingensbedingung für die Integration, es sei denn, Sie wollen das gar nicht. Da kommen wir der Sache vermutlich schon etwas näher, denn natürlich wollen Sie das nicht. Das ist die eigentliche perfide Strategie, die Sie hier verfolgen. Im gleichen Atemzug werden Sie ja übermorgen die mangelnden Integrationsbemühungen und die Folgen kritisieren.

Meine Damen und Herren, unabhängig davon, welche Bleibeperspektive ein junger Mensch hat, hat er das Recht auf die beste Bildung wie alle anderen Kinder auch,

(Beifall von der SPD – Zuruf von der AfD: Genau!)

und zwar nach unseren Maßstäben und nicht nach dem Standard einer afghanischen Dorfschule, wie Ihnen das vorschwebt.

Im Zweifel nehmen Sie den jungen Menschen nicht nur die Chance auf gleiche Startbedingungen, nein, Sie verwehren diesen Kindern ihre Zukunftschancen auch für den Fall der Rückkehr in ihre Herkunftsländer.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Gute Bildung kann ein Teilbeitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen, mindestens aber für einen besseren Start sein.

(Helmut Seifen [AfD]: Vollkommen richtig!)

Aber wahr ist auch: Niemand kann heute verlässliche Prognosen abgeben, wie lange jemand bleiben wird. Ähnliche Fehler wurden in der Vergangenheit immer wieder gemacht. Schon allein deshalb ist es wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler die Chance auf Teilhabe und einen Platz in unserer Gesellschaft haben. Ich halte fest: Sie wollen das ausdrücklich nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber wahrscheinlich haben wir einmal mehr alles falsch verstanden, nicht richtig gelesen. Es war alles nicht so gemeint wie alle Ihre kalkulierten Grenzüberschreitungen. Wie anders ist dieser Antrag eigentlich zu verstehen? Man möchte gar nicht zum Ende denken, wohin so etwas führt. Das Schlimme ist: Es ist alles schon mal da gewesen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Christian Loose [AfD]: Jetzt wird es lächerlich!)

– Für Bilder in Ihrem Kopf kann ich jetzt nichts.

Als Rosa Parks vor 63 Jahren einfach mal auf ihrem Platz sitzen blieb, setzte sie ein Zeichen gegen das Trennende. Was würde sie nur heute denken? – Die Ewiggestrigen sind noch immer da.

Mit diesem Antrag zeigen Sie einmal mehr, wessen Geistes Kind Sie sind. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Müller. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der FDP Frau Abgeordnete Müller-Rech das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben eben von Herrn Seifen wenig zu den tatsächlichen Modellen in Jordanien gehört. Damit möchte ich heute meine Rede beginnen. Denn wir haben viel zu Jordanien recherchiert und auch mit der zuständigen Jordanien-Expertin im Auswärtigen Amt gesprochen, die uns mit den tatsächlichen Fakten versorgt hat.

Erstens. Der Vergleich zwischen Nordrhein-Westfalen und Jordanien ist haarsträubend. Gegenwärtig sind knapp 650.000 syrische Flüchtlinge beim UNHCR in Jordanien registriert, davon ein knappes Drittel Kinder zwischen fünf und 17 Jahren. Nur 21 % aller syrischen Flüchtlinge leben dort in Flüchtlingslagern, der Großteil in den Städten und Dörfern.

Man sollte meinen, dass die syrischen Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter dort alle zur Schule gehen könnten. Allerdings sieht die Realität ganz anders aus; denn nur 145.000 der 232.500 syrischen Kinder in Jordanien besuchen staatliche oder private Schulen. Dort werden sie gemeinsam mit jordanischen Schülerinnen und Schülern ausschließlich von jordanischen Lehrerinnen und Lehrern nach jordanischem Lehrplan unterrichtet. Entgegen Ihrer Darstellung dürfen syrische Staatsangehörige an jordanischen Schulen allenfalls als Hilfspersonal eingesetzt werden.

(Zuruf von der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, noch schlimmer als die mangelhafte Recherche der AfD-Fraktion ist die Tatsache, dass über 87.000 syrische Flüchtlingskinder in Jordanien keine Schule besuchen und daher keine Chance haben, eine schulische Ausbildung zu genießen. Das ist doch eine erschreckend schlechte Bilanz. Allein deswegen können Sie doch nicht die jordanische Bildungspolitik als Beispiel für gelungene Schulpolitik heranziehen. Das ist nicht unser Anspruch hier in NRW!

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Sie behaupten, dass es laut PISA-Studie Fortschritte der jordanischen Schülerinnen und Schüler im naturwissenschaftlichen Bereich gab, und stellen eine vermeintliche Korrelation zwischen der Anzahl der Flüchtlingskinder und PISA her. – Meine Damen und Herren, das ist gelogen! Die Ergebnisse für Jordanien zeigen, dass sich die Schülerinnen und Schüler in den Naturwissenschaften verschlechtert haben. Das ist für jeden Bürger kostenfrei im Internet abrufbar auf der Website der OECD. Sie lügen hier, dass sich die Balken biegen!

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Drittens. Viele praktische Fragen bleiben unbeantwortet, zum Beispiel die der zu nutzenden Räume, der Finanzierung, wie Sie Schulabschlüsse gewährleisten wollen.

Ich frage auch: Wie wollen Sie vorgehen, wenn es in Minden zwei somalische Flüchtlingskinder, aber in Bonn den einzigen somalischen Flüchtlingslehrer gibt? Muss der Lehrer dann umziehen, oder machen wir eine Kinderlandverschickung? Bei weit mehr als 20 verschiedenen Flüchtlingsnationen in NRW – auch ein großer Unterschied zu Jordanien – reden wir über mehr als 20 separate Bildungssysteme und Curricula. Das ist tatsächlich unmöglich.

Viertens. Mit Ihrem Vorhaben würden Sie ein Parallelbildungssystem für Flüchtlingskinder schaffen und damit auf eine institutionalisierte Segregation statt auf Integration setzen. Damit berauben Sie die Kinder von Anfang an der Chance, sich hier zu integrieren, einen deutschen Schulabschluss zu erreichen und sich im Falle eines längeren Aufenthalts in Deutschland positiv gesellschaftlich einzubringen. Das werden wir als Freie Demokraten und NRW-Koalition nicht zulassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, hier liegt wieder eine praxisuntaugliche Idee der AfD vor, die zudem auf schlampiger Recherche basiert. Die AfD hat versucht, uns falsche Fakten unterzujubeln, und damit uns und fast 18 Millionen NRW-Bürger dreist angelogen. Das ist an Schäbigkeit schwer zu übertreffen und dieses Hohen Hauses unwürdig. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Müller-Rech. – Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Beer. Bitte schön.

Sigrid Beer*) (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich derzeit über Kinder und Syrien nachdenke, dann habe ich die schrecklichen Berichterstattungen aus Ost-Ghouta und Afrin vor Augen: das Leiden von unzähligen Kindern, die toten Kinder, die Verzweiflung der Familien, die noch in diesem Inferno zu überleben versuchen, zerstörte Krankenhäuser, keine Medikamente, Hunger, wieder ein möglicher Giftgaseinsatz.

Angesichts dieser Bilder bin ich zornig über die eigene Ohnmacht, zornig auf eine UN, zornig darüber, dass eine brutale machtpolitische Blockade humanitäre Hilfen und wirkliche Feuerpausen verhindert.

Zur Wahrheit gehört auch, dass deutsche Waffen in diese Konfliktregionen geliefert werden und dort zum Einsatz kommen.

Angesichts der katastrophalen Lage in dieser Region appelliere ich an alle Verantwortlichen – auch in den Parteien, die jetzt über die GroKo verhandelt haben und zu einer Regierungsbildung kommen –, noch einmal über die Frage des Familiennachzugs nachzudenken.

Wenn der Ministerpräsident das christliche Menschenbild in der CDU wieder profilieren will, dann hat das für mich auch etwas mit der Frage des Familiennachzugs zu tun.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Das sind meine Gedanken, die mich angesichts der katastrophalen Situation in Syrien und in der Region bewegen.

Und dann dieser von Zynismus geprägte Antrag! Herr Seifen, Ihre Rede mit nationalistisch verquerem Denken war von der gleichen Qualität. Erzählen Sie uns bitte nicht, dass wir Sie nur wieder missverstanden haben. Das ist die Masche der AfD.

(Christian Loose [AfD]: Sie haben doch gar nicht zugehört!)

Die Kolleginnen und Kollegen haben sehr deutlich gemacht, welche Falschaussagen, welche Lügen in diesem Antrag zusammengetragen worden sind. Ein ehemaliger Gymnasialleiter wird doch wohl gut in der Vorbereitung arbeiten, dem unterlaufen nicht solche Fehler und Falschaussagen. Das ist bewusst gesetzt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Kinder, die bei uns sind, brauchen eine emotionale und soziale Stabilisierung. Da hilft vor allem, in Ruhe und Normalität zur Schule gehen zu können, das gemeinsame Lernen mit anderen Kindern, das Erleben, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion friedlich miteinander leben und lernen können. Das ist das Wesentliche, was wir den Menschen mitgeben können, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren.

In der Tat tragen viele Menschen aus Syrien diesen Wunsch durchaus im Herzen. Aber gleichzeitig wissen sie – und wenn wir alle ehrlich sind, wir genauso –, dass sich diese Perspektive auf lange Zeit nicht ergeben wird. Deshalb suchen diese Menschen für sich, für ihre Familien und besonders für ihre Kinder eine Zukunft. Die kann auch hier liegen.

Der Bildungsauftrag unserer Schulen, Kinder zu befähigen, sie mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten, um Zukunft zu gestalten, gilt für alle Kinder. Sie auch im Geist der Mitmenschlichkeit im freiheitlichen, friedlichen und demokratischen Umgang zu erziehen, gehört zum Bildungsauftrag für alle Kinder. Diesen Bildungsauftrag schränken wir für niemanden ein.

So sagt es auch unser Schulgesetz:

„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung.“

Warum wir Kinder auf die Bedingungen beschränken sollen, die ein armes Land unter enormen Anstrengungen – Frau Müller-Rech hat es ausgeführt – nur mit internationaler Hilfe – wir bezahlen nämlich die syrischen Lehrkräfte, weil sie in Jordanien keine Anerkennung und keine Arbeitserlaubnis haben; das ist genau so – gestemmt bekommt, ist nicht nachzuvollziehen. Ich glaube, wir brauchen noch viel Empathielernen, nicht nur in der Schule, sondern in der Gesellschaft insgesamt.

Dann muss ich noch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration vor Ihnen retten, Herr Seifen. Ausgerechnet heute ist der Hinweis auf eine neue Studie gegeben worden, deren zentrale Ergebnisse wie folgt lauten – damit wir auch da Fake News vermeiden –:

Ja, es ist eine Herausforderung, dass junge Geflüchtete zu uns in die Schulen kommen. Der Kollege hat schon darauf hingewiesen: Diese Schulen brauchen Unterstützung auf allen Ebenen – in der Schulentwicklung, in der Lehrerfortbildung, in der Ausstattung.

Das Fazit, das die Studie benennt, ist sehr klar: Das Ziel muss sein – ich zitiere –, weitere Segregation zu vermeiden, damit die Schule für die oft hoch motivierten geflüchteten Kinder und Jugendlichen nicht zur Sackgasse wird. Durch ein auf kulturelle sowie soziale Vielfalt konsequent eingestelltes Schulsystem ließen sich zudem auch die Bildungschancen einheimischer Schülerinnen und Schüler verbessern. – Das stand heute in der Pressemitteilung, um es deutlich zu sagen.

Zum Schluss möchte ich hier auch noch einmal ganz offiziell meiner Freude Ausdruck verleihen und Herrn Dr. Stamp gratulieren – ich habe das heute schon persönlich gemacht –, dass es gelungen ist, Professor El-Mafaalani für die Arbeit im Ministerium zu gewinnen. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Ich sage Dankeschön für das Bemühen und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.

Diesem Antrag wird niemand folgen, weder jetzt noch in den Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Beer. – Als nächster Redner hat der fraktionslose Abgeordnete Pretzell das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe heute wieder etwas gelernt: Man kann auch mit maximaler Selbstverliebtheit und Überheblichkeit Selbstreflexion einfordern. Der Antrag war ursprünglich vielleicht einmal gut gemeint, er lässt aber ein paar Dinge außer Acht.

Kommen wir zu dem, was gut gemeint ist: Wir haben in der Tat große Probleme bei der Integration von Migrantenkindern unterschiedlichster Art. Bedauerlicherweise wird in dem Antrag der Fehler gemacht, dass völlig pauschal von Flüchtlingskindern die Rede ist. Das war immer falsch, das ist und bleibt auch falsch. Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum Kinder zu uns kommen und an unseren Schulen unterrichtet werden.

Völlig außer Acht lässt der Antrag, dass einige dieser Kinder später in Deutschland bleiben werden. Das heißt, eine vollständige Segregation, die am Ende sogar dazu führt, dass sie nach Heimatländern bzw. den dortigen Lehrplänen beschult werden, kann nicht das generelle Ziel sein.

(Helmut Seifen [AfD]: Das steht nicht im Antrag!)

– Genau das steht da drin: entsprechend den Heimatländern. Genau das steht da leider drin, und das ist falsch. Es wäre falsch, das so zu machen.

(Markus Wagner [AfD]: Subsidiärschutz!)

– Das steht da auch. Aber es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum Menschen zu uns kommen. Es gibt Asyl, es gibt den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, es gibt den subsidiären Schutz.

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Subsidiärschutz steht da drin!)

Dann gibt es noch diejenigen, die überhaupt keine realistische Chance haben, hierzubleiben, weil sie keine der drei Möglichkeiten in Anspruch nehmen können.

(Zuruf von Gabriele Walger-Demolsky [AfD])

Das heißt, es werden einige hierbleiben, und das ist in diesem Antrag leider nicht zum Ausdruck gekommen.

Der nächste Punkt ist die Aufteilung nach Nationalitäten. Das wird aber aufgrund der Vielzahl der Nationalitäten in dieser Form auch nicht so einfach funktionieren. Das geht, so gut es ursprünglich vielleicht gemeint war, leider an der Realität vorbei. So wird man es nicht machen können.

Richtig ist allerdings, dass wir Integrationsprobleme haben, die wir ignorieren. Diese Integrationsprobleme könnten noch viel größer werden, und zwar spätestens ab dem 1. August, wenn das Thema „Familiennachzug“ erneut auf uns zukommt. Da werden wir noch einige Überraschungen erleben.

Dann ist in der Tat darüber nachzudenken, wie man möglicherweise Gruppen von Migranten eben nicht sofort in Klassen integriert, sondern sie separat heranführt und ihnen erst die deutsche Sprache nahebringt, um sie so tatsächlich zu befähigen, am normalen Unterricht an nordrhein-westfälischen Schulen teilzunehmen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Pretzell. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der AfD-Fraktion geht von falschen Voraussetzungen aus.

Erstens. Der Antrag geht davon aus, dass alle zugewanderten Kinder und Jugendlichen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass nicht vorhersehbar ist, welche der zugewanderten Kinder und Jugendlichen in Deutschland bleiben werden. Umso wichtiger ist es, auch für vermutlich temporär, aber absehbar längerfristig anwesende Kinder und Jugendliche zum Beispiel frühzeitig eine Deutschförderung umzusetzen, damit nicht später Integrationsdefizite zu beklagen sind.

Zweitens. Ebenso ist entgegen der Behauptung des Antrags nicht belegbar, dass die gemeinsame Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte eine der beiden Gruppen benachteiligt.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Drittens sind Ihre Ausführungen zu Jordanien – das hat die Kollegin Müller-Rech eben eindrucksvoll auseinandergenommen – mehr als fragwürdig.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU: Ja!)

Ich habe mir selber die Mühe gemacht und bin in Jordanien gewesen. Ich habe das große Flüchtlingslager in Zaatari besucht, aber auch mit vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren gesprochen und mir ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Die Beschulung findet tatsächlich so statt, wie Frau Müller-Rech es hier beschrieben hat, und das hat nichts mit dem zu tun, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich das schon sehr unseriös finde, und darf Ihnen an dieser Stelle vielleicht einen Tipp geben: Reisen bildet. Vielleicht sollten Sie das beherzigen, bevor Sie sich zu solchen Aussagen in einem Antrag hinreißen lassen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Meine Damen und Herren, für alle zugewanderten Kinder und Jugendlichen besteht Schulpflicht, soweit sie einer Gemeinde zugewiesen sind. Bei der Beschulung neu zugewanderter Kinder und Jugendlichen wird nicht nach ihrer Herkunft unterschieden.

Der Unterricht wird ausschließlich nach den nordrhein-westfälischen Richtlinien und Lehrplänen erteilt. Er ist gleichermaßen geeignet, den Kindern und Jugendlichen die Fortsetzung ihres Bildungsweges in Deutschland wie auch – bei einer Rückkehr – in ihrem Herkunftsland zu ermöglichen. Dies ist im Übrigen auch im Hinblick auf die in den Ländern der Europäischen Union geltenden Standards von Menschenrechten und Demokratie eine Selbstverständlichkeit.

Die Landesregierung sorgt dafür, dass die verschiedenen Formen des Deutschunterrichts für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche – orientiert an den jeweiligen individuellen sowie organisatorischen Erfordernissen und Möglichkeiten – umgesetzt werden können. Hierzu ist die Neufassung des sehr umstrittenen Erlasses von 2016 in Arbeit. Die Neufassung soll den Schulen vor Ort mehr Gestaltungsfreiheit ermöglichen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einige kurze Ausführungen im Hinblick auf die im Antrag der AfD angeführten vermeintlichen Belege zu PISA:

Die Behauptung im Antrag, dass ein Ausländeranteil von mehr als 20 % in einer Klasse zu einer sprunghaften Verringerung des Leistungsniveaus führe, was seitdem durch zahlreiche nationale und internationale Vergleichsstudien immer wieder bestätigt worden sei, stimmt nicht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So ist es!)

Bezogen auf den angesprochenen Befund von PISA 2000 hat sich unter anderem Frau Professor Stanat, die im Jahr 2000 an diesen Studien beteiligt war, zehn Jahre später geäußert. Die wissenschaftliche Einschätzung lautet – ich zitiere –:

„Nach Kontrolle der sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft, die anhand des mittleren sozioökonomischen Status der Familien operationalisiert wurde, reduzierte sich dieser Effekt jedoch und war bei zusätzlicher Kontrolle der mittleren Ausgangsleistungen der Schülerinnen und Schüler nicht länger signifikant.“

Das bedeutet, der Migranteneffekt ist in Wahrheit ein Schichteffekt. Ähnliche Ergebnisse zeigen auch andere Studien. Die Grundaussage des Antrags ist daher schlichtweg nicht zutreffend.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn man unterstellt, dass die Hauptintention im vorliegenden Antrag die bestmögliche Unterstützung geflüchteter Kinder und Jugendlicher ist, sind ein Pilotprojekt und eine eigene Evaluation nicht erforderlich, da es bereits ausreichend Erkenntnisse gibt.

An dieser Stelle sei die antragstellende Fraktion auch darauf hingewiesen, dass eine durchgehende separate Beschulung zu zusätzlichen Raum- und Personalbedarfen führen würde. Darüber hinaus entstehen zusätzliche Schülerfahrtkosten und Kosten im Hinblick auf die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation.

Zuletzt möchte ich auf einen weiteren Aspekt hinweisen: Die Forderungen des Antrags schaden letztlich auch unserem Mittelstand, der daran interessiert ist, dass junge neu zugewanderte Menschen so schnell wie möglich mit der deutschen Sprache, mit den Regeln der Demokratie und des Lebens in Deutschland vertraut werden. Er ist daran interessiert, dass sie die Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, die für eine berufliche Ausbildung in unserem Land erforderlich sind.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich glaube, alle diese Gründe zeigen eindeutig, dass Sie mit diesem Antrag hier völlig falsch liegen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Fraktion der CDU erteile ich nun Frau Abgeordneter Korte das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Kirstin Korte (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kinder von politischen Flüchtlingen oder subsidiär Schutzberechtigte unterliegen genauso der Schulpflicht, wie dies alle Kinder tun, die seit jeher ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Ja, sie haben auch ein Recht auf Bildung.

Als politisch Verfolgte gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Personen erhalten in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis über drei Jahre. Dann erfolgt eine erneute Prüfung durch das BAMF, ob der Verfolgungsgegenstand weiter gegeben ist. Ist dieser Befund positiv, folgt eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder – bei Erfüllen weiterer Voraussetzungen – die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Dann, spätestens dann, ist der Aufenthalt in Deutschland nicht mehr temporär.

Der vorliegende Antrag verkennt zudem völlig, dass ein beträchtlicher Anteil der sich in Deutschland befindenden Kinder mit syrischer oder irakischer Staatsangehörigkeit in ihren Heimatländern keinen oder nur einen sehr kurzen Schulbesuch erlebt hat. Der war nämlich aufgrund der kriegerischen Zustände teilweise seit 2011 überhaupt nicht mehr möglich. Gleichzeitig halten sich aber viele Kinder seit einigen Jahren in Deutschland bzw. in Nordrhein-Westfalen auf. Die sind deutlich besser in das hiesige Schulsystem integriert, als sie das je in ihren Heimatländern waren. „Fortsetzung der Schul- und Berufslaufbahn im Heimatland“ ist also in vielen Fällen eine völlig falsche Bezeichnung.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Eine gemeinsame Sprache ist das Fundament jeglicher Kommunikation, von Bildung und Integration. Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich den Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 6. Oktober 2016:

„Der rasche Spracherwerb, auch in speziellen Sprachförderangeboten, und die Vermittlung von demokratischen Grundwerten erleichtern die zügige Integration von schulpflichtigen Geflüchteten in Regelklassen und legen den Grundstein für gesellschaftliche Teilhabe auf der Grundlage des Grundgesetzes und der demokratischen Werteordnung.“

So, meine Damen und Herren, werden wir zukünftig die schulische Integration gestalten.

Die NRW-Koalition arbeitet zu diesem Zweck an einem angepassten Integrationskonzept, das zeitnah vorgestellt werden wird. Minister Dr. Stamp hat gerade darauf hingewiesen. Hier werden wir mit dem Ziel des schnellen Deutschlernens nach Möglichkeiten suchen, die Beschulung besonders der neu in unser Land gekommenen Kinder und Jugendlichen zu optimieren. Klar ist, dass bei ausreichenden Kenntnissen die Teilnahme am Regelunterricht erfolgen kann. Liegen diese nicht vor, können temporäre Möglichkeiten, zum Beispiel in Form von Vorbereitungsklassen, eine gute Option sein.

Herkunftssprachlicher Unterricht kann dabei ergänzend durchgeführt werden, sofern hierfür ausreichendes Fachpersonal zur Verfügung steht. Denn Zwei- und Mehrsprachigkeit sind eine Bildungsressource, die wir weiter fördern wollen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Sigrid Beer [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, der Antrag spricht davon – ich zitiere – „optimal … auf die spezifischen Anforderungen“ in ihren Heimatländern vorzubereiten. Die Hauptherkunftsländer der Schutzsuchenden der vergangenen Jahre sind Syrien und der Irak gewesen –

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

beides Staaten, die in weiten Teilen zerstört sind und in denen weiter an vielen Fronten gekämpft wird. Worauf sollen denn diese Kinder vorbereitet werden? Meinen Sie mit „spezifischen Anforderungen“ vielleicht die Entschärfung von Landminen oder das Klopfen von Steinen? Der Satz des Pythagoras ist jedenfalls überall in dieser Welt gleich.

(Beifall von der CDU und Sigrid Beer [GRÜNE])

Und das sind die Inhalte, die in unseren Schulen gelehrt werden sollen, egal, ob die Kinder temporär oder auf Dauer in unserem Land bleiben werden. Unsere Schulen vermitteln Alltagsbildung, Allgemeinbildung, die die Menschen dazu befähigt, in unterschiedlichen Lebenssituationen ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

Darüber hinaus benötigen diese Kinder genau das Gleiche wie alle Kinder. Denn alle Kinder haben universelle Bedürfnisse: Sicherheit, Geborgenheit, Empathie, Austausch mit Gleichaltrigen, Neugier und damit verbunden auch das Streben nach Bildung.

Auch in unserem Schulgesetz ist klar ausgeführt, wie die Beschulung stattzufinden hat. In § 2 heißt es:

„Die Schule fördert die Integration von Schülerinnen und Schülern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, durch Angebote zum Erwerb der deutschen Sprache. Dabei achtet und fördert sie die ethnische, kulturelle und sprachliche Identität dieser Schülerinnen und Schüler.“

Meine Damen und Herren, wir benötigen praktikable und pädagogisch sinnvolle Lösungen für das Gelingen von Integration durch Bildung und Sprache und eben nicht durch die Trennung von Kindern und Jugendlichen in der Sprache.

(Beifall von der CDU und der FDP und Sigrid Beer [GRÜNE])

Dabei ist eine gemeinsame Sprache der Grundstein für eine gelungene Integration.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Korte, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Seifen würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Kirstin Korte (CDU): Ich möchte erst meinen Satz zu Ende bringen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ja.

Kirstin Korte (CDU): Genau dieses wird von der NRW-Koalition im kommenden Erlass zum Integrationsgesetz berücksichtigt. Dazu, meine Damen und Herren, benötigen wir absolut kein Pilotprojekt im Sinne des AfD-Antrags. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Korte. Bleiben Sie bitte trotzdem am Rednerpult. Sie haben es vielleicht bemerkt: Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention bei Herrn Loose. – Jetzt würde ich Herrn Loose bitten, sich einmal einzudrücken, damit ich sein Mikro freischalten kann. Bitte schön, Herr Loose.

Christian Loose (AfD): Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Korte. – Ich weiß nicht, ob Ihnen die Konrad-Adenauer-Stiftung etwas sagt. Dort wird zum Länderprogramm Jordanien berichtet:

In den Schulen wird gearbeitet im Zwei-Schicht-Betrieb. In der Vormittagsschicht werden jordanische Schüler unterrichtet, nachmittags syrische Schüler.

Das heißt, die Schüler werden dort natürlich an der gleichen Schule unterrichtet, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten, als wenn es zwei getrennte Schulen wären.

Ich weiß nicht, ob Ihnen die PISA-Studie 2015 etwas sagt und dort der Bereich Naturwissenschaften und Jordanien. Dort gab es einen starken Anstieg von 2006 zu 2015. Einen starken Anstieg!

(Martin Börschel [SPD]: Es gab keinen Anstieg! Das ist schlicht falsch! – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Ein Vergleich mit OECD ist da natürlich nicht relevant, sondern die Tendenz ist relevant, das heißt, ob es eine Verbesserung gab. – Ich habe die Tabelle hier!

(Martin Börschel [SPD]: Ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgemalt hat!)

Und wenn es um Zahlen geht: Hier wurde eben von 650.000 syrischen Flüchtlingen in Jordanien gesprochen und gesagt, dass der Großteil der Flüchtlinge gar nicht registriert sei und insgesamt etwa 1,2 Millionen dort im Land seien. Ich weiß nicht, ob Ihnen all diese Fakten bekannt sind. Uns scheint, dass sie nicht bekannt sind. – Danke.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie sollten im Protokoll nachlesen, was Frau Müller-Rech gesagt hat! – Christian Loose [AfD]: Das stammt von der Konrad-Adenauer-Stiftung!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Loose. – Frau Korte hat jetzt das Wort und die Gelegenheit, zu antworten.

Kirstin Korte (CDU): Herr Kollege Loose, ich glaube, die Einlassungen unserer gemeinsamen Kollegin Frau Müller-Rech waren einschlägig genug, um auf Ihre Äußerungen nun nicht weiter eingehen zu müssen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Den Zahlen, die Sie vortragen, traue ich mittlerweile nicht mehr über den Weg,

(Christian Loose [AfD]: Das ist von der Konrad-Adenauer-Stiftung!)

weil Sie sie gerne aus dem Kontext reißen. Lassen Sie uns – das ist wohl unvermeidlich – im Ausschuss weiter darüber diskutieren. Nur: Besser wird Ihr Antrag dadurch nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Korte. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn: Ich meine, das ist ja schon interessant. Aber wenn man falsche Behauptungen wiederholt, werden sie nicht wahrer.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Nichtsdestotrotz – lassen wir es so!

Es ist aber eigentlich schon bezeichnend: Dieser Antrag soll ja auch noch im Integrationsausschuss mitberaten werden. Aber ich glaube, da sind wir uns hier unter den Demokraten einig: Dort ist er völlig fehl am Platz.

Ich denke, die Kollegen von den demokratischen Parteien haben heute in der Debatte mehr als klar aufgezeigt, dass es der AfD eben nicht um Integration geht, sondern Sie wollen weiter ausgrenzen. Das ist Ihr Menschenbild. Dann stehen Sie dazu! Auch wenn Sie diese gesellschaftliche Vielfalt nicht ertragen: Sie ist und bleibt – und das wünschen wir uns auch so – Realität. Das ist auch gut so. Falls Sie damit einfach nicht klarkommen, dann suchen Sie sich Hilfe! Hier aber sind wir im Landtag und machen keine Gruppentherapie. Also lassen Sie das!

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lenzen, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt unterbreche. Kollege Blex, AfD, würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Stefan Lenzen (FDP): Ja.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Bitte.

Dr. Christian Blex (AfD): Ich hätte nur eine kurze Zwischenfrage: Sie haben eben von den demokratischen Parteien gesprochen. Spezifizieren Sie doch bitte mal, wen Sie damit meinen! Oder können Sie das nicht? Wen bezeichnen Sie in diesem Landtag, in den wir alle unter demokratischen Gesichtspunkten gewählt wurden, als demokratische Parteien? – Danke schön.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Wenn man Sie reden hört, merkt man, dass die AfD keine demokratische Partei ist! – Zurufe von der FDP)

Stefan Lenzen (FDP): Verehrter Kollege Blex, ich glaube, nicht nur mit der Wortmeldung soeben …

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Er hört noch nicht einmal zu! Er verlässt den Saal! Das ist doch peinlich! – Zurufe von der AfD)

– Ach so. Ja, gut.

(Unruhe – Glocke)

Unabhängig davon: Wenn Sie die Antwort nicht hören möchten, okay.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Darauf gehen Ihnen die Argumente nämlich aus!)

Ich glaube, nicht nur dieser Wortbeitrag, den der Kollege Blex eben gehalten hat, sondern auch seine Beiträge in den vergangenen Monaten haben noch einmal bestätigt, wer nicht dazugehört und wer sehr wohl dazugehört. Mehr muss man dazu nicht sagen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So fahre ich gerne in der Debatte fort. – Ich glaube, nicht nur unser Minister Joachim Stamp, sondern auch die Vorredner haben Ihnen schon verschiedene Punkte, beispielsweise beim Schutzstatus, zu erklären versucht.

Auch in Ihrem Antrag sprechen Sie immer wieder von „subsidiär Schutzberechtigten“ und von „temporär“. Was das eigentlich bedeutet, kann ich gern wiederholen. Kollegin Korte hat es Ihnen allerdings bereits erklärt, ich versuche es aber gern noch einmal. Es bedeutet, dass der Schutzstatus in der Regel verlängert wird. Das BAMF sagt selbst – das kann man nachlesen –, Widerrufe seien da eher die Ausnahme.

Ich glaube, auch dem Letzten sollte heute klar sein, dass der Krieg in Syrien nach drei Jahren eben nicht beendet war, sondern grausame Wirklichkeit ist. Das können Sie vielleicht ignorieren, aber angesichts aktueller Berichte beispielsweise über Giftgasangriffe frage ich Sie: Wollen Sie allen Ernstes Kinder in den Tod schicken? Also wirklich!

Wie gesagt: Viele, die hier Schutz suchen, bleiben nun einmal länger und nicht nur eine kurze Zeit, wie der Kollege Seifen es eben „nett“ formulierte.

(Markus Wagner [AfD]: Das ist nicht das Thema! Sie schmeißen alles durcheinander! Das ist ja unglaublich!)

Wie gesagt: Die Flüchtlinge, die hierherkommen, die um ihr Leben fürchten, kommen bestimmt nicht, weil das Wetter hier so toll ist.

(Zuruf von der AfD)

Und letzten Endes – ich zitiere aus Ihrem Antrag, vielleicht hören Sie einmal zu –: „… auf den erfolgreichen Start in ihrer Heimat vorbereiten“. – Mit welcher Dreistigkeit Sie sich erlauben, festzulegen, wo die Menschen ihre Heimat sehen, wo sie eine neue finden, wo sie vielleicht nur einen bestimmten Zeitraum oder auf Dauer sind! Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu fassen, dass Sie jetzt anfangen, auch die Schüler zu separieren!

(Zuruf von der AfD)

Das ist ja genau Ihr Ziel. Sie verhindern Integration, Sie sorgen für gesellschaftlichen Zündstoff. Das ist es – seien wir doch ehrlich –, was Sie wollen. Probleme lösen wollen Sie nicht, sondern Ängste schüren! Dem entspricht Ihr Politikverständnis.

(Markus Wagner [AfD]: Grundgesetz – Artikel 16a!)

Aber nicht mit uns! Weder mit der FDP noch mit der SPD, den Grünen oder der CDU ist dies zu machen. Und so werden wir auch gemeinsam, ob Regierungsfraktionen oder die demokratische Opposition, weiter daran arbeiten, das Land chancenreicher und moderner zu machen. Wir sind vielleicht in Nuancen unterschiedlicher Meinung – wir wollen mehr Verbindlichkeit, wollen eine Integrationsstrategie entwickeln –, aber dies eint uns wieder: Wir wollen ein gelungenes Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft, und das auch in Zukunft. – Danke schön.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Das ist Ihnen aber nicht gelungen!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Aymaz.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Antrag ist schon vieles gesagt worden. Es ist auf vielfältige Art und Weise verdeutlicht worden, mit welchen Unwahrheiten, mit welchen Lügen dieser vorliegende Antrag arbeitet.

(Zurufe von der AfD)

Ich möchte aber diese Gelegenheit für etwas anderes nutzen, weil ich denke, das Persönliche ist politisch.

Ich bin 1978 gemeinsam mit meiner Familie als Sechsjährige in Deutschland eingereist. Ich sage Ihnen, bei unserer Einreise war zunächst geplant, tatsächlich nur drei, vier Jahre in Deutschland zu bleiben. Ein brutaler Militärputsch von 1980 in der Türkei hat meine Familie und mich zu Exilanten in Deutschland gemacht.

Später ist dieses Land zu unserer Heimat geworden. Ich bin unendlich dankbar, dass meine Lehrerinnen und Lehrer, meine Mitschülerinnen und Mitschüler mich vom ersten Tag an aufgenommen haben und nicht die Frage gestellt haben, wann ich zurückkehre und wohin ich zurückkehre. Auch deshalb stehe ich heute hier und möchte danke sagen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Für die AfD hat jetzt Frau Walger-Demolsky das Wort.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren! Schulpflicht gilt unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Kinder sind generell zu beschulen. Ihre Entwicklung soll so wenig wie möglich durch ihre Flucht behindert werden. Die Beschulung sollte sowohl auf ein Leben in der Heimat der Kinder als auch auf einen möglichen weiteren Aufenthalt in Deutschland vorbereiten. – So weit ein Teil des AfD-Programms zur Landtagswahl.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

Was passiert in NRW? – Wir bereiten kein einziges Kind auf ein mögliches Leben in seiner Heimat vor. Weder Kinder von ausreisepflichtigen Familien und schon gar nicht Kinder von subsidiär Schutzberechtigten, deren Aufenthalt in Deutschland möglicherweise auch nur temporär sein wird, werden auf ein Leben in der Heimat vorbereitet. Aktuell leistet die Schulpolitik also sehr viel weniger, als wir von der AfD es fordern.

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Genau so ist es!)

Es geht darum, Kindern auch ihren sprachlichen und kulturellen Hintergrund zu erhalten und dessen Kenntnis zu fördern. Denn ja, unser Recht kennt Rückkehr und Rückführung.

(Zurufe von der SPD)

Wir erschweren dies, wenn wir die Kompetenz dieser Kinder bezüglich ihrer Muttersprache nicht fördern.

(Helmut Seifen [AfD]: Und der Geschichte!)

Das haben wir mit den Kindern aus dem Balkankrieg schon so gemacht, und das wiederholen wir gerade mit Kindern aus heutigen Kriegsgebieten. Mir tut es leid. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags in Drucksache 17/1994 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Schule und Bildung. Zur Mitberatung geht der Antrag, wie Sie schon in der Beratung erfahren haben, an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Sehe ich auch keine. Dann ist der Antrag so überwiesen worden.

Ich rufe auf:

6   Bund und Land müssen eine effektive Bekämpfung der Geldwäsche-Kriminalität sicherstellen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1991

Ich eröffne die Aussprache. Die erste Wortmeldung stammt vom Herrn Kollegen Ganzke für die SPD-Fraktion.

Hartmut Ganzke (SPD): Der Herr Kollege Ganzke, sehr geehrte Frau Präsidentin, bedankt sich für die Worterteilung. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuständigkeitsfragen sind nicht nur bei uns Juristen, also der Berufsgruppe, zu der ich mich auch zähle, oftmals die erste Hürde bei der Bewältigung von Problemen. So ist neben der Prüfung, ob und warum gerade ich für etwas zuständig sein muss, womit feststeht, dass das Problem auch durch mich bearbeitet werden muss, die Frage der Zuständigkeit immer dann zu diskutieren, wenn wir merken, dass ein zu lösendes Problem, eine zu beurteilende Aufgabe eben nicht zufriedenstellend gelöst bzw. bearbeitet wird.

Genau darum, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, geht es in unserem vorliegenden Antrag: Eine für unser Land Nordrhein-Westfalen überaus wichtige Aufgabe, nämlich die effektive und funktionierende Bekämpfung der Geldwäsche, wird gerade auch aufgrund falscher Zuständigkeitsregeln nicht so bearbeitet, wie es notwendig ist, und nicht so gelöst, wie es erforderlich ist.

Durch Gespräche mit Praktikern, jedoch auch unterstützt durch Zahlen des Bundesfinanzministeriums steht fest, dass bis Ende November 2017 knapp 30.000 Verdachtsmeldungen in Bezug auf Geldwäsche bundesweit bei der jetzt zuständigen Stelle, der erst seit dem letzten Jahr zuständigen Stelle, der Generalzolldirektion in Köln, eingegangen sind. 30.000 Verdachtsmeldungen! Hiervon befinden sich nach den Zahlen, die wir haben, weit über 20.000 Vorgänge in der Bearbeitung oder, besser gesagt: im Bearbeitungsstau.

Deshalb ist es nach unserer Ansicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig, die Zuständigkeit für dieses Verfahren in den Blick zu nehmen. Es waren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bis zur Umstellung auf die Zollbehörde im letzten Jahr in der Vergangenheit die Landeskriminalämter, die diese Aufgabe in ihrer Zuständigkeit wahrgenommen haben. Sie haben – das will ich besonders für das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen sagen – diese Aufgabe sehr gut wahrgenommen.

Die sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Landeskriminalämtern nehmen diese Aufgabe seit letztem Jahr nicht mehr wahr, und zwar deshalb, weil der Bundesfinanzminister – damals hieß er noch Schäuble – gesagt hat: Wir wollen das System umstellen von den Landeskriminalämtern auf eine Generalzolldirektion. Diese soll die Arbeit, die die Landeskriminalämter mit Unterstützung durch das Bundeskriminalamt gut gemacht haben, jetzt besser machen – eine Behörde, die nicht mit genügend Personal ausgestattet ist, eine Behörde, die Organisationsstrukturen erst jetzt aufbaut und ein halbes Jahr nach Zuständigkeitsverlagerung Tausende und Abertausende Vorgänge vor sich herschiebt.

Warum ist das auch ein Thema für Nordrhein-Westfalen? Warum ist das ein Thema für die Innenpolitik in Nordrhein-Westfalen?

Wir sind der Ansicht, hier ist die Innenpolitik besonders gefordert. Hier sind Sie, Herr Innenminister Reul, besonders gefordert, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Organisationsstrukturen bei dieser wichtigen Aufgabe der Geldwäschebekämpfung so geändert werden, dass künftig ein reibungsloser Ablauf der Bearbeitung möglich ist, und das natürlich auch in Nordrhein-Westfalen, damit diese Geldwäscheanzeigen vernünftig abgearbeitet werden.

Für meine Fraktion ist noch wichtiger: Es ist Aufgabe der Innenpolitik in Nordrhein-Westfalen, sich dafür einzusetzen, dass das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, aber auch alle anderen Landeskriminalämter wieder an der Arbeit beteiligt werden, damit dieser kriminalstrategische Schwerpunkt der Bekämpfung der Geldwäsche in NRW nicht untergeht.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch wirklich die Krux an der Geschichte. Wie kann es sein, dass eine Arbeit der Landeskriminalämter, die in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren anerkannterweise sehr erfolgreich gewesen ist, jetzt durch Erlass und seitens des Bundesfinanzministeriums so organisiert wurde, dass wir einen Berg vor uns hinschieben, der uns leider nicht mehr in die Lage versetzt, allen Anzeigen nachzugehen und diese kriminalpräventive Arbeit durchzuführen?

Aus diesem Grund haben wir diesen Antrag gestellt. Wir sehen der Diskussion im Ausschuss interessiert entgegen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ganzke. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schnelle.

Thomas Schnelle (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind uns hier im Hause einig, dass die Sicherheitsbehörden alle Anstrengungen unternehmen müssen, um eine konsequente und effektive Geldwäschebekämpfung zu ermöglichen.

Wie im Antrag ausgeführt, ist eine effektive Geldwäschebekämpfung für die Bekämpfung von internationalem Terrorismus und Organisierter Kriminalität unentbehrlich. Ich stimme mit dem Kollegen Ganzke auch überein, dass dies natürlich eine Aufgabe oder ein Thema ist, mit dem sich die Innenpolitik und der Innenausschuss hier im Land beschäftigen müssen.

Die Verlagerung der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen – kurz FIU genannt – vom BKA zum Zoll ist zwischen den Bundesministerien des Innern und der Finanzen auf Wunsch des Finanzministeriums, wie Sie richtig feststellten, aber auch mit Zustimmung des BKA zur Entlastung des BKA und der dortigen Konzentration auf die polizeilichen Kernaufgaben vereinbart worden.

Aufgabe der FIU ist die Entgegennahme sogenannter Geldwäscheverdachtsmeldungen und die Weiterleitung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, nicht jedoch die Führung der entsprechenden kriminalpolizeilichen Ermittlungen. Die Geldwäschezentralstelle ist damit von ihrem Charakter her als Meldestelle und als Verwaltungsbehörde angelegt. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen werden jedoch weiterhin im Dezernat 13 unseres LKA geführt, und damit ist unser LKA weiterhin mit der Bekämpfung dieser Angelegenheit, den Geldwäscheverdachtsanzeigen, bedacht.

Richtig ist auch, dass die neue FIU bei der Generalzolldirektion in Köln derzeit nicht in der Lage ist, die anfallenden Geldwäscheverdachtsmeldungen mit der gesetzlich vorgeschriebenen Analyse in der gebotenen Quantität und Qualität zeitnah an die Strafverfolgungsbehörden bei den Ländern weiterzumelden.

Unzutreffend ist die Behauptung im Antrag, die FIU habe keinerlei Zugriff auf relevante polizeiliche Datenbanken. Die FIU hat Zugriff auf die vorgeschriebenen polizeilichen Datenbestände, wie sie im Geldwäschegesetz vorgesehen sind, und sie hat Zugriff auf die in INPOL gespeicherten Daten. Das ist auch technisch umgesetzt. Inwieweit weitere polizeiliche Daten dem Zoll zur Verfügung gestellt werden können, wäre sicherlich einer Prüfung wert.

Aber auch, wenn die FIU nur eine Art Melde- oder Weiterleitungsstelle ist, muss natürlich diese Steuerungs- und Verwaltungsfunktion der FIU kompetent und zeitnah wahrgenommen werden. Um dies zu erreichen, treffen sich heute und morgen Vertreter der Polizeien von Bund und Ländern bei der FIU in der Generalzolldirektion Köln, um gemeinsam die weiteren erforderlichen Maßnahmen abzustimmen und die volle Arbeitsfähigkeit der FIU beim Zoll schnellstmöglich herzustellen. Sie sehen daher, dass auch die zuständigen Fachleute die Probleme erkannt haben und angehen. Ich denke, diesen Prozess sollten wir abwarten.

Festzustellen ist auch, dass die neue FIU erst seit Mitte letzten Jahres ihren Betrieb aufgenommen hat. Vielleicht sollten wir ihr noch eine gewisse Zeit der Einarbeitung zugestehen.

Die Entgegennahme und Bewertung der eingehenden Geldwäscheverdachtsanzeigen durch eine gut funktionierende Zentralstelle auf Bundesebene kann auch eine Entlastung der Kolleginnen und Kollegen in Nordrhein-Westfalen bedeuten. Wichtig ist nicht, wer die Geldwäschekriminalität bekämpft, sondern dass und wie sie bekämpft wird.

Die neue Landesregierung in NRW nimmt eine effektive Bekämpfung der Finanzierungsquellen von OK und internationalem Terrorismus ernst. Diese ist nur ressortübergreifend, das heißt unter Beteiligung von Innen-, Finanz- und Justizministerium, effektiv möglich, wobei diese Fragen, soweit ich weiß, bei den genannten Ministerien schon erörtert werden.

In Bezug auf die Zusammenarbeit mit der FIU ist die derzeitige Regelung, dass die Verdachtsanzeigen für NRW von der FIU erst an die Staatsanwaltschaften und von dort aus an das LKA gesandt werden, kritisch zu hinterfragen.

Aufgrund des SPD-Antrags sehe ich für eine angemessene Ausstattung und eine Evaluierung der FIU große Chancen. Sollten Sie dem Koalitionsvertrag zustimmen, kann der künftige SPD-Finanzminister noch eventuell vorhandene Fehler in der FIU beheben. Außerdem ist im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU festgehalten, dass der Zoll in allen Aufgabenbereichen insbesondere durch Personalmaßnahmen gestärkt werden soll.

Der Überweisung des Antrags in den Ausschuss stimmen wir zu und freuen uns auf die dortigen sachkundigen Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schnelle. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Effektive Bekämpfung der Geldwäschekriminalität: Ich denke, wir sind und einig, dass dieses Thema, über das wir hier sprechen, ein wichtiges ist.

Auch die Medien haben seit Dezember 2017 häufiger berichtet: Die inzwischen wichtigste Institution in Deutschland im Kampf gegen Geldwäsche sei nur noch bedingt handlungsfähig. Jährlich würden rund 40.000 Verdachtsmeldungen an die Behörden gesandt, doch nach der Verlagerung der Zuständigkeiten auf den Zoll im Juli 2017 seien von rund 29.000 Meldungen Ende des Jahres noch weit über 20.000 Meldungen nicht vollständig bearbeitet worden.

In den Medien ist von zahlreichen Problemen die Rede: akute Personalengpässe, technische Probleme usw. Da kann man sich mitunter fast nur verwundert die Augen reiben.

So habe zum Beispiel eine Softwarelösung gefehlt. Das hatte zur Folge, dass wirklich Tausende und Abertausende Faxe von studentischen Hilfskräften händisch in Datenbanken übertragen wurden. Tausende Faxe, studentische Hilfskräfte – so sollte man es eigentlich nicht machen.

Fast wäre man in diesem Zusammenhang geneigt, zu sagen, dass die designierte Große Koalition doch wirklich gut beraten gewesen wäre, ein Digitalisierungsministerium einzuführen. Das wäre wirklich gut gewesen. Das werde ich aber an dieser Stelle ausdrücklich nicht fordern; auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass wir so etwas im Bund bräuchten, um die entscheidenden Zukunftsfragen zu bündeln.

Aber wie gesagt: Darum geht es heute nicht, und darum geht es auch bei diesem Antrag nicht. Würde ich das fordern, würde ich mich mit dem Antrag auf die gleiche Stufe stellen, Herr Kollege Ganzke, und das möchte ich nicht.

(Zuruf von Hartmut Ganzke [SPD])

Ganz ehrlich – wie sage ich es schonend? –: Es ist schon etwas beschämend, meine Damen und Herren von der SPD, dass Sie jetzt die schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens in die Pflicht nehmen wollen.

Das finde ich aus drei Gründen beschämend:

Erstens. Es handelt sich nicht um ein Landes-, sondern um ein Bundesproblem. Das Land ist in seiner Zuständigkeit übrigens gut aufgestellt. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist ein Schwerpunkt in der Sicherheitspolitik der neuen schwarz-gelben Landesregierung. Zur Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung haben wir beispielsweise eine ministerienübergreifende Taskforce eingesetzt.

Zweitens. Sie haben das Chaos doch selbst mit verursacht. Sie haben in der Bundesregierung der Zuständigkeitsübertragung zugestimmt und sich offenbar nicht einen Moment gefragt, ob das alles organisatorisch und personell leistbar ist, und was gegebenenfalls noch zu unternehmen wäre. Der Bund ist übrigens der richtige Ort, um Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Inzwischen ist das auch schon ein Stück weit geschehen. Insofern ist diese Kritik vielleicht ein wenig obsolet. Das bringt mich zum nächsten Punkt.

Drittens. Das ist an diesem Antrag besonders verwunderlich: Kollege Ganzke, Sie wollen, nachdem wegen der Gedankenlosigkeit der Kollegen im Bund der Karren vor die Wand gefahren worden ist, daraus nun – verzeihen Sie mir diese Formulierung – politisches Kapital schlagen. Wenn man ehrlich ist, ist der Antrag eine Werbemaßnahme für die Anti-GroKo Kampagne der SPD-Landtagsfraktion. So kommt es rüber, und das ist ganz offensichtlich auch die wahre Motivation hinter diesem Antrag.

(Zuruf von der SPD)

– Ja, schauen Sie in den Antrag. Dafür muss man ihn doch nur mal lesen, Herr Kollege. Sie schreiben – Zitat –:

„Insbesondere auf Betreiben des früheren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble wurde diese Aufgabe jedoch gegen erhebliche Bedenken und Warnungen vieler Experten zum Zoll und damit in den ausschließlichen Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für Finanzen verlagert.“

Wahrscheinlich soll das ein Beleg dafür sein, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit im Bund nicht möglich ist.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lürbke, Entschuldigung, dass Ich Sie unterbreche. Herr Kollege Ganzke würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Marc Lürbke (FDP): Aber natürlich.

Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben sich – so sage ich es mal – etwas verwundert gezeigt. Das andere Wort, das Sie zum Antrag benutzt haben, will ich nicht noch einmal nennen; da haben Sie sich wahrscheinlich versprochen.

Sie haben gerade mitgeteilt, dass Sie den Antrag gelesen haben. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir in unserem Antrag die sehr gute Arbeit des Landeskriminalamts NRW gelobt haben, und auch ich sie gerade noch einmal am Pult gelobt habe? Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass wir mit diesem Antrag das primäre Ziel haben, die Expertise des Landeskriminalamts NRW bei dieser wichtigen Arbeit zukünftig wieder zu nutzen?

Marc Lürbke (FDP): Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass Sie die Arbeit des Landeskriminalamts würdigen. Das machen auch wir, und auch ich habe es gerade getan. Ich habe aber sehr wohl darauf hingewiesen, dass es schon ein schräges Spiel ist, Entscheidungen der SPD-Bundestagsfraktion hier derart aufzuarbeiten.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Ich will das zusammenfassen. Herr Ganzke, wir stimmen darin überein, dass die Situation ernst ist. Und dazu sollten wir auch eine sachliche Debatte führen. Ich habe aber den Eindruck, dass das mit der SPD erst dann möglich sein wird, wenn der Mitgliederentscheid vorbei ist und der Pulverdampf sich verzogen hat.

Wir werden also im Ausschuss eine sachliche Debatte führen, und darauf freue ich mich natürlich sehr. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im September 2016 – noch in der alten Wahlperiode – sind wir Mitglieder des Innenausschusses nach Italien gereist. Wir haben uns dort unter anderem mit dem Themenfeld „Organisierte Kriminalität“ beschäftigt. Mir sind die Worte der BKA-Verbindungsbeamtin in Rom noch sehr gut in Erinnerung, die uns geschildert hat, wie viele Restaurants auch hier in Nordrhein-Westfalen für die Geldwäsche der italienischen Mafia genutzt werden.

Tatsächlich gilt Deutschland schon seit Langem als Geldwäscheparadies, nicht nur für die italienische Mafia, sondern grundsätzlich auch für die Organisierte Kriminalität, aber durchaus auch für die Terrorismusfinanzierung. Eine Dunkelfeldstudie im Auftrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland jährlich etwa 100 Milliarden € illegal erworbenen Geldes gewaschen und dem legalen Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt werden.

Es wurde schon angesprochen – und es ist auch Thema des Antrags –, dass im letzten Jahr auf Betreiben von Wolfgang Schäuble, dem damaligen Bundesfinanzminister, die Zuständigkeit vom BKA zum Zoll verlagert worden ist. Man kann feststellen, dass die neue Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen mit dieser neuen Aufgabe völlig überfordert ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich muss den CDU-Kollegen widersprechen: Natürlich gönne ich jedem Zeit für die Einarbeitung. Ich finde aber, dass wir gerade im Bereich „Sicherheitsbehörden/Kriminalitätsbekämpfung“ keine Zeit für Einarbeitung haben. Vielmehr muss die Behörde ab dem ersten Tag laufen und funktionieren. Die Expertinnen und Experten haben in diesem Fall sogar noch vorher davor gewarnt, dass diese neue Stelle überhaupt noch nicht ausgerichtet ist und sie diese neue Aufgabe nicht wird bewältigen können.

(Gregor Golland [CDU]: Das hätten Sie in den sieben Jahren vorher machen sollen!)

Ich habe ein paar Zahlen mitgebracht, die Aufschluss über den Stand des Bearbeitungsstaus geben. Ich glaube, sie sind noch aktueller als die schon genannten; wir müssten sie im Ausschuss einmal nebeneinanderlegen. Nach Zahlen von Januar 2018 sind 30.000 Verdachtsmeldungen von insgesamt 40.000 immer noch in Bearbeitung. Es geisterten ja auch die Zahlen 20.000 und 25.000 herum. Außerdem kommen jeden Monat zu dem existierenden Stau neue Verdachtsmeldungen hinzu.

Ich habe auch gelesen, dass dieser Stau bis zum 1. April dieses Jahres – wir haben heute den 1. März – angeblich abgearbeitet worden sein soll. Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch, aber ehrlich gesagt bin ich sehr skeptisch, dass das bis zum 1. April tatsächlich gelingen kann und wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn die Probleme sind offenbar nicht nur massiv, sondern auch sehr vielschichtig und vielfältig. Es gibt offenbar Personalengpässe – nicht nur quantitativ, die Personenanzahl betreffend, sondern auch qualitativ. Zuvor haben im BKA und bei den Landeskriminalämtern Kriminalbeamte an der Bearbeitung der Fälle gesessen. Dieses kriminalpolizeiliche Wissen fehlt schlichtweg bei denjenigen, die jetzt an diesen Fällen sitzen.

Herr Lürbke hat bereits auf die Softwareprobleme hingewiesen. Wie absurd ist es, dass im 21. Jahrhundert die Software nicht bereitsteht und deshalb Banken und andere, die dazu verpflichtet sind, Verdachtsmeldungen abzugeben, dies per Fax machen müssen? Da sitzen studentische Hilfskräfte, tippen die Faxe ab und speisen das ins System ein. Das ist in einer deutschen Behörde im 21. Jahrhundert eigentlich undenkbar, und das dürfte aus meiner Sicht nicht so sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist wohl auch so, dass es an der Qualität der weitergeleiteten Meldungen mangelt. Wenn diese Zentralstelle die Meldungen so weit bearbeitet hat, dass sie an die Strafverfolgungsbehörden, also an die Polizei gehen, scheint es Probleme mit der Qualität zu geben. Das hat offenbar auch etwas mit der fachlichen Qualifikation zu tun.

Das sind unfassbar viele Probleme. Es ist aus meiner Sicht ein völlig unhaltbarer Zustand. Ich erinnere noch mal an meine Eingangsworte – Deutschland als Geldwäscheparadies –: Das ist ein fatales Signal an die Kriminellen, dass Deutschland nicht damit hinterherkommt, diese Fälle zu bearbeiten. Das ist fast eine Einladung dazu, hier in Deutschland Geldwäsche zu betreiben.

Ich habe mir noch mal Expertenmeinungen aus dem letzten Jahr herausgesucht und das Protokoll der Anhörung des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag vom April 2017 durchgelesen. Das Schlimme ist meiner Meinung nach, dass Expertinnen und Experten davor gewarnt haben – beispielsweise der BDK, Sebastian Fiedler, der uns hier in Nordrhein-Westfalen gut bekannt ist. Wenn man sich deren Prognosen anschaut, dann muss man sagen: Es ist wirklich erschreckend, wie sehr diese Prognosen zur Wirklichkeit geworden sind und das eingetreten ist, wovor vor einem Jahr gewarnt wurde.

Insofern haben wir alle ein Interesse daran, dass sich die Zustände ändern. Ich bin auch gespannt auf den Redebeitrag von Herrn Reul, und ich finde, dass die Landesregierung hier tätig werden und Druck auf den Bund ausüben muss.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Verena Schäffer (GRÜNE): Natürlich sind auch die zukünftigen Koalitionspartner bzw. die neue Bundesregierung dazu aufgefordert, denn hier muss sich dringend etwas ändern. Wir haben alle ein Interesse daran, und es ist wichtig für die Kriminalitätsbekämpfung. Insofern freue ich mich auf den Austausch im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die AfD spricht nun Herr Kollege Strotebeck.

Herbert Strotebeck (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben ja jetzt schon einiges gehört. Die umständliche Bezeichnung „Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäsche-richtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferver-ordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“ wird nur noch getoppt von der umständlichen und praxisfernen Umsetzung des Gesetzes.

Aber als unsere Souveränität freiwillig aufgebender, EU-höriger Mitgliedsstaat setzen wir natürlich alle Vorgaben – und Gesetze erst recht – brav um. Ob sie problematisch oder sinnvoll sind, ist absolut nicht von Belang. Sie kritisieren nicht, widersprechen schon gar nicht, sondern Sie folgen.

Die Folgen sind sehr schwerwiegend. Wird einerseits alles versucht, um eine gerechte Besteuerung zu erreichen und Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu bekämpfen, so lassen Sie es an dieser Stelle aber zu, dass die selbstherrliche EU eine Tür für die Bekämpfung der Geldwäsche endgültig verschlossen hat und dafür ein Tor geöffnet wird.

Eine bewährte Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorfinanzierung durch das LKA und das BKA mit über 300 Beamten wird einfach eingestellt. Erfolgreiche polizeiliche Ermittlungsarbeit wird durch eine rein administrative Stelle beim Zoll ersetzt.

Nicht nur das – die neuen, für diese spezielle Tätigkeit noch unerfahrenen Mitarbeiter haben nur noch 50 Beamtenstellen zur Verfügung. Die Anzahl soll auf nur 165 – wohlgemerkt: auf der Endstufe – ausgebaut werden. Da erfolgt also eine Reduzierung von 300 erfahrenen Beamten auf 165 neu eingesetzte Beamte – ich wiederhole: auf der Endstufe. Das ist eine Reduzierung von aktuell über 80 % und als Ziel über 45 %.

Das klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber Realität. Die Kriminellen werden jubilieren. Wir haben es gerade gehört: ein Eldorado für die Geldwäscher.

Die Probleme, die wir aktuell – und zwar trotz einer eingerichteten Taskforce – haben, hat auch der Kollege Schnelle dargestellt. Wie passt das zu unserer Verbesserung der Sicherheit für die Bürger? Anlässlich der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses wurde zwar von der Landesregierung dargelegt, dass man selbstverständlich für die neue Einheit auch auf bisher mit Ermittlungen beim LKA und BKA tätige erfahrene Beamte zurückgreifen will. Allerdings müssen die Beamten auch zur Versetzung zum Zoll bereit sein.

Und: Ob es ein erstrebenswertes Ziel ist, mit weniger und überwiegend in der Ermittlungsarbeit unerfahrenen Kollegen quasi als David gegen Goliath zu kämpfen, darf bezweifelt werden. Ich kann nur hoffen, dass wir diese Idealisten finden.

Ich sehe keine realistische Chance für die Umsetzung des Antrags. Zunächst müsste die Änderung im Bund genehmigt werden. Selbst wenn es der Antrag ins EU-Parlament schaffen sollte, glaube ich nicht, dass dann das EU-Parlament in seiner Selbstgefälligkeit etwas zurücknehmen wird; denn letztendlich ist es die EU, welche in ihrer Richtlinie 2015/849 unter Art. 32 Abs. 1 verlangt, dass jeder Mitgliedsstaat eine zentrale Meldestelle – ich zitiere aus dem Wortlaut –

„zur Verhinderung, Aufdeckung und wirksamen Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“

einrichtet.

Die Bundesregierung verfällt in vorauseilendem Gehorsam natürlich mal wieder in puren Aktionismus. Aber lassen Sie es uns versuchen. Wir werden den Antrag unterstützen. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Strotebeck. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einen Bemerkung zu meinem Vorredner. Es macht schon Sinn, dass es eine EU-weite Absprache gibt, dass alle Staaten Europas über solche zentralen Meldestellen verfügen. Es ist nämlich sinnlos, wenn das nur einige Staaten machen. Dann käme man bei der Bekämpfung dieses Problems überhaupt nicht weiter. Insofern ist diese Entscheidung durchaus klug.

Zweite Bemerkung. Ich möchte gerne beginnen mit einem Zitat aus dem Bundestagsprotokoll. Das Zitat lautet wie folgt:

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt – dann geht es weiter – die Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen. Die oberste Geldwäschebekämpfungsbehörde wird vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert und dabei personell erheblich aufgestockt. Das ist ein guter und richtiger Beschluss.

Das Zitat stammt vom SPD-Kollegen im Bundestag Binding. Das heißt, genau zu dem Thema, das die SPD jetzt kritisiert hat, hat die SPD-Bundes-tagsfraktion vor nicht allzu ferner Zeit nicht nur eine Unterstützung, sondern sogar eine Bestätigung abgegeben.

Die Bundesregierung hat das Gesetz damals gemeinsam eingebracht, also SPD und CDU. Beide Fraktionen haben das im Bundestag unterstützt, und im Bundesrat haben auch die meisten Länder zugestimmt, sonst wäre es ja nicht durchgekommen. In einigen Ländern gab es anfangs Widerstand, nachher ist einiges noch aufgeklärt worden. Übrigens: Auch NRW hat zugestimmt.

Man versteht in solchen Debatten nicht so ganz, warum jetzt alles so total falsch sein soll, wenn alle – vor allem die Fraktion, die jetzt den Antrag eingebracht hat – das von Beginn an als ein richtiges, vernünftiges Projekt begrüßt haben. Auch Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat übrigens zugestimmt. CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen waren auf jeden Fall nicht dafür zuständig, um das klar zu sagen. Wenn überhaupt, dann war es die damals geschäftsführende NRW-Landesregierung von SPD und Grünen. Im Nachhinein weiß man wieder alles besser.

Und dann schiebt man es einfach dem Bundesfinanzminister zu. – Das ist, wie ich finde, eine relativ billige Sache. Wenn schon, dann muss man wenigstens alle einbeziehen, auch die eigenen Parteikollegen.

Dritte Bemerkung. Wenn es aktuell Probleme gibt – die bestreitet ja keiner; sie sind vorhin schon vielfach vorgetragen worden –, dann ist es doch unsere Aufgabe, soweit es geht – wir sind gar nicht zuständig –unsere Möglichkeiten der Einflussnahme zu nutzen, um auf die zukünftige Bundesregierung bzw. auf die Administration einzuwirken, dass die Apparate besser ausgestattet werden. Wenn Technik und Personal ein Problem sind, dann ist das doch lösbar; das ist vielleicht nicht ganz einfach, aber immerhin lösbar.

Wenn es bei der SPD am Sonntag zu einer Abstimmung mit dem Ergebnis kommen sollte, dass Sie an der nächsten Regierung beteiligt sein wollen, dann lade ich Sie und uns ein, dass wir uns gemeinsam darum kümmern. Ich auf jeden Fall werde mich daran gerne beteiligen.

Vierte Bemerkung. Zurück zu Nordrhein-Westfalen: Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus ist ein Schwerpunkt dieser Landesregierung. Übrigens macht da eine Rolle rückwärts keinen Sinn. Der Schlüssel liegt vielmehr darin, gemeinsam gegen das Problem vorzugehen, und zwar ressortübergreifend.

Wir haben im November 2017 eine hochrangig besetzte Taskforce installiert: Innen-, Finanz-, Justizressort. Zu den Aufgaben gehören das Erkennen von Transaktionen zur Finanzierung des internationalen Terrorismus, Geldwäsche und Organsierte Kriminalität; die Erhellung von Geschäftsfeldern und Geldquellen sowie der nachhaltige Ausbau der ressortübergreifenden Bearbeitung von Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Schwerstkriminalität.

Das sind gute Voraussetzungen, damit wir zu guten Ergebnissen in Nordrhein-Westfalen kommen. Ich empfehle uns allen, dass wir die Sachen, für die wir zuständig sind, ordentlich machen und uns nicht mit Sachen beschäftigen, für die wir gar nicht zuständig sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kann ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6 an dieser Stelle schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1991 an den Innenausschuss – der bekommt die Federführung – und den Haushalts- und Finanzausschuss – er bekommt die Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Niemand, der dagegen stimmen möchte? – Das ist so. Auch niemand, der sich enthalten möchte? – Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des allgemeinen Datenschutzrechtes an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Nordrhein-Westfälisches Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU – NRWDSAnpUG-EU)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1981

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Zur Einbringung hat Herr Minister Reul jetzt das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Schwierigkeit, den Titel vorzutragen, macht schon deutlich, um welch komplexes und kompliziertes Thema es hier geht. Dabei handelt es sich ohne Zweifel – ich glaube, das ist unbestritten – um ein zentrales Thema unserer Zeit.

Es handelt sich zudem um eine laufende Aufgabe. Das Datenschutzrecht weiterzuentwickeln, ist kompliziert und schwierig, aber eine permanente Aufgabe. Das heißt, wir brauchen einen vertrauensvollen und vor allen Dingen einheitlichen Umgang mit Daten über unsere Landesgrenzen hinweg. Dem wurde mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung und der Datenschutzrichtlinie Rechnung getragen.

Diese EU-Datenschutzgrundverordnung gilt für die Mitgliedstaaten am 25. Mai dieses Jahres und weist zum einen Öffnungsklauseln für die nationalen Gesetzgeber auf, zum anderen aber auch ganz konkrete Regelungsaufträge. Bis zum 6. Mai muss die Verordnung in nationales Recht umgesetzt werden. Daraus ergibt sich für uns ein Anpassungsbedarf beim Datenschutzrecht des Landes.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind wir diesem Anpassungsbedarf nachgekommen. Es bedurfte einer völligen Neugestaltung des DSG NRW, und das ist in Art. 1 des Gesetzentwurfes umgesetzt worden. In Art. 2 bis 10 des Entwurfes sind dann die bereichsspezifischen Datenschutzbestimmungen in den Gesetzen aus unserem Zuständigkeitsbereich – also aus dem des Ministeriums des Inneren – an die Vorgaben des Europäischen Datenschutzrechts angepasst worden.

Für dieses komplexe Thema – nur, damit man ein Gefühl dafür bekommt – wurden allein von unserem Hause 109 Verbände und andere Einrichtungen sowie die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit angehört. Das war wirklich eine Riesenaufgabe mit einem Riesenzuspruch und enormem Anregungspotenzial. Ein Teil der Anregungen wurde noch im Gesetzentwurf aufgenommen, weil wir der Auffassung waren: Das sind kluge und vernünftige Verbesserungen.

Ich glaube, es ist uns gelungen, mit dem Gesetzentwurf eine einheitliche Struktur und einen Einklang auch mit dem Bundesdatenschutzrecht zu schaffen. Das muss man ja auch beachten.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen starken Datenschutz. Das war und ist für uns wichtig und selbstverständlich. Da, wo es die DSGVO möglich macht, halten wir dieses hohe Niveau auch aufrecht.

Dieser Gesetzentwurf trägt im Besonderen der Entwicklung der Sicherheitslage in Deutschland und in Europa Rechnung. Das heißt, bei der Ausarbeitung haben wir auch Wert auf die Rechte der betroffenen Bürger gelegt. Ich hoffe, dass hier ein ausgewogenes Gesetz entstanden ist.

Ich möchte einige Beispiele nennen.

Ein Beispiel ist die Zulässigkeit der Videoüberwachung durch Einführung präziser Tatbestandsmerkmale. Das ist deutlich konkretisiert worden und gibt den öffentlichen Stellen nun klare Vorgaben an die Hand. Insbesondere muss der Tatbestand der Erforderlichkeit erfüllt sein. Die Löschung der Daten bleibt erhalten. Es wurde eine Maximalspeicherdauer ergänzt. Diese dient der Rechtssicherheit und soll die Verfahrensweisen öffentlicher Stellen beschleunigen.

Die Regelung der Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext berücksichtigt nunmehr gleichermaßen die Interessen von Beschäftigten, Interessenvertretungen, Dienstherren bzw. Arbeitgebern. Ich gehe davon aus, dass wir da eine gute Regelung gefunden haben.

Der LDI wurde die Befugnis zur Verhängung von Geldbußen gegen Beschäftigte der öffentlichen Stellen bei vorsätzlichen Datenschutzverstößen eingeräumt. Dadurch werden rechtsfreie Räume im Bereich der öffentlichen Datenverarbeitung vermieden.

Ein hohes Maß an Rechtssicherheit konnten wir mit dem Auffangtatbestand des Art. 5 schaffen. Künftig können mögliche datenschutzrechtliche Lücken des bereichsspezifischen Rechts mithilfe dieser Vorschrift geschlossen werden.

Noch einmal: Trotz der Komplexität des Datenschutzrechts und des europäischen Wiederholungsverbots ist es uns hoffentlich gelungen, den Gesetzentwurf so anwenderfreundlich wie möglich zu machen. Das Gesetz stärkt den Datenschutz sowie die Rechte der Betroffenen.

Ich hoffe auf fachkundige und sachkundige Beratungen in den Ausschüssen und darauf, dass wir möglichst zügig zu Ergebnissen kommen. Ich weiß, dass unsere Vorgaben zeitlich sehr eng sind. Wir werden uns jedoch bemühen, die entsprechende Hilfestellung zu leisten. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Dr. Geerlings.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Das hat unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel vor etwa zwei Jahren auf der CEBIT in Hannover gesagt, und sie hat recht damit. So wie einst in der Phase der Industrialisierung Kohle und Erz weiten Teilen unseres Landes zum Wohlstand verholfen haben, sind im Zeitalter der Digitalisierung Daten die Grundlage für neue Geschäftsmodelle, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand.

Personenbezogene Daten sind aber vor allem wertvolle Güter, mit denen viel Gutes erreicht werden kann, deren Verbreitung aber den Betroffenen auch materiellen oder immateriellen Schaden zufügen kann. Zitat:

„Datenschutz ist ein notwendiges Gegengewicht und ein Korrekturinstrument gegen übermäßige, die Individualrechte beeinträchtigende Datenverarbeitung, aber er kann und soll kein Verhinderungsinstrument sein.“

So formulierte es der deutsche Staats- und Verwaltungsrechtler und erste Bundesbeauftragte für den Datenschutz Hans Peter Bull. Damit hat er die Notwendigkeit, zugleich aber auch die Grenzen des Datenschutzrechtes erkannt.

Weil der Austausch von Daten keine Grenzen zwischen Ländern kennt, haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Jahr 2016 die Europäische Datenschutz-Grundverordnung verabschiedet. Ab dem 25. Mai dieses Jahres gilt sie in Deutschland als unmittelbar verbindliche Regelung. Die Ziele der Verordnung sind im Wesentlichen die Stärkung des Verbraucherschutzes, die Harmonisierung der Datenschutzvorschriften, die wirksame Interessenwahrung in der Abwägung zwischen Grundrechtschutz und öffentlichem Interesse und die Förderung datenschutzgerechter Techniken.

Die EU-Verordnung ist zwar zunächst einmal unmittelbar geltendes Recht, gibt den nationalen Gesetzgebern und damit auch uns aber auch Handlungsspielräume mit. Sie weist Öffnungsklauseln für den nationalen Gesetzgeber auf und formuliert konkrete Regelungsaufträge.

Neben der EU-Verordnung muss auch die EU-Richtlinie zur Datenverarbeitung im Strafrecht umgesetzt werden. Außerdem sind Anpassungen des allgemeinen Datenschutzrechtes und einiger bereichsspezifischer Gesetze erforderlich.

Alles in allem stehen wir vor einer völligen Neugestaltung des nordrhein-westfälischen Datenschutzgesetzes.

(Beifall von der CDU)

Die soeben zitierte Aussage von Hans Peter Bull gibt uns die Kautelen für die weitere Beratung vor:

Erstens. Der Datenschutz entspringt dem in unserer Verfassung gesicherten Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Verfassungsrecht wurde seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil entwickelt. Seitdem hat sich vieles im Bereich der Datenerhebung und -verarbeitung grundlegend gewandelt.

Wir nehmen dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung als notwendiges Gegengewicht zur Datenverarbeitung und als Korrekturinstrument sehr ernst. Das heißt, dass wir die Vorgaben der EU-Datenschutz-Grundverordnung selbstverständlich beachten und daneben das bisherige Datenschutzniveau des Landes Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten.

Zweitens. Wir wollen den Datenschutz aber nicht zum Verhinderungsinstrument machen. Deshalb wollen wir nicht über die Vorgaben der Europäischen Union hinausgehen. Denn – ich zitiere noch einmal Professor Bull – es ist nicht Aufgabe des Datenschutzrechts und der Datenschutzkontrollinstanzen, die Menschen von autonomen Entscheidungen über ihre Daten abzuhalten.

Der Landesregierung danke ich für die Vorlage dieses umfangreichen Gesetzentwurfes. Ich freue mich auf die vielfältigen Beratungen in den Ausschüssen und in diesem Haus. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die grundrechtliche Bedeutung des Umgangs mit personenbezogenen Daten ist nicht nur vom Verfassungsgericht immer wieder betont worden. In unserer digitalisierten Zeit stellen solche Daten mitunter einen Schatz dar, dessen Kontrolle für die Lebensausgestaltung des einzelnen Menschen maßgeblich ist.

Deswegen, Herr Dr. Geerlings, fand ich es gut, dass Sie den eingangs zitierten Satz von Frau Merkel, dass Daten die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts sind, nachher dann in diesem Kontext ein bisschen zurückgenommen haben. Ich glaube, das ist an dieser Stelle wichtig. Denn wir kommen mehr und mehr in die Situation, dass Personen alleine anhand von Datensätzen nahezu vollständig erfassbar und beurteilbar werden.

Die Macht, die von der Kontrolle dieser Daten ausgeht, insbesondere in der Verbindung mit hoheitlichem Handeln, bedeutet daher eine ganz besondere Verantwortung. Ich bin froh, dass der Innenminister darauf eingegangen ist.

Es ist klar, dass hier eindeutige Regelungen getroffen werden müssen, um die Rechte des Einzelnen zu schützen. Und es ist auch klar, dass Daten heutzutage nicht mehr an nationalen Grenzen haltmachen und dies im europäischen Kontext zu erfolgen hat.

Herr Minister, Sie haben wohl sowohl im Gesetzentwurf als auch in Ihrer Rede betont, dass der Erhalt des bestehenden hohen Schutzniveaus, welches sich im aktuellen Datenschutzgesetz manifestiert hat, vonseiten der Landesregierung ausdrücklich als Ziel bei der Neuregelung formuliert wird. – Das begrüßen wir sehr. Unsere Aufgabe im parlamentarischen Prozess ist, das zu überprüfen. Sie haben gesagt, es ist ein umfangreiches Gesetz. – Das ist völlig richtig. Wir werden da noch genau hinschauen müssen.

Vor dem Hintergrund will ich nur drei Bemerkungen zum Gesetzentwurf machen:

Erste Bemerkung: Betreffend die Videoüberwachung, die in § 20 des Gesetzentwurfs geregelt wird, gibt es auch andere Begehrlichkeiten. Wir alle haben die Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei, die uns rät, aus ermittlungstaktischen Gründen gern auch deutlich längere Speicherzeiten von Videoaufnahmen zuzulassen. – Dies haben wir abzuwägen, und wir alle wissen, dass Videoüberwachung allein kein Allheilmittel bei der Kriminalitätsbekämpfung ist.

Zweite Bemerkung: Nach der ersten Durchsicht scheint es an einer Stelle zu einer bedeutsamen Verschlechterung der Befugnisse der Landesdatenschutzbeauftragten zu kommen, nämlich wenn es um die Rechte gegenüber Berufsgeheimnisträgern geht. Das wird in § 27 Abs. 3 Ihres Gesetzentwurfs geregelt. Hier kommt es gegenüber der bisherigen Regelung zu einer deutlichen Einschränkung der Rechte der LDI. Gerade die Arbeit von Berufsgeheimnisträgern ist oftmals durch den Umgang mit höchst sensiblen Daten geprägt. Die datenschutzrechtliche Aufsicht hat hier eine besondere Schutzfunktion für die Betroffenen hinsichtlich der Vertraulichkeit ihrer Daten. Wir werden dies im Ausschuss sicherlich genau zu hinterfragen haben.

Dritte Bemerkung: Ein weiterer Bereich, dessen Bedeutung sofort ins Auge sticht, ist die Regelung der Datenweitergabe an internationale Organisationen und Drittstaaten, was sich in Ihrem Gesetzentwurf in den §§ 62 ff. widerspiegelt.

Hier gilt es, die Arbeit insbesondere unserer Sicherheitsorgane und deren internationale Zusammenarbeit effektiv zu unterstützen – ohne Frage –, aber gleichzeitig darauf zu achten, dass es nicht zu einer laxen Praxis mit den informationellen Rechten der Bürgerinnen und Bürger kommt und hier Einschränkungen erfolgen.

Meine Damen und Herren, grundsätzlich müssen wir auf den Grundsatz der Datensparsamkeit achten, darauf, dass nur Daten erhoben werden, die unbedingt nötig sind. Ein weiteres rechtliches Kriterium ist nämlich das der Erforderlichkeit, das wir in diesem Zusammenhang nicht geringschätzen dürfen und nicht hoch genug bewerten können. Daten, die gar nicht erst erhoben werden, müssen auch nicht geschützt werden. Das gilt als Ratschlag für die private, aber auch für die öffentliche Seite.

Ich diesem Sinne glaube ich, dass wir einer sehr konstruktiven Beratung des Datenschutzgesetzes in den Ausschüssen und insbesondere im federführenden Hauptausschuss entgegensehen können. Wir freuen uns auf den weiteren Dialog und den fachlichen Austausch mit Ihnen, Herr Minister. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die FDP erteile ich Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Datenschutzrecht wurde mit der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union europaweit harmonisiert. Innerhalb der EU soll es keine datenschutzrechtlichen Rückzugsräume mehr geben, und die Rechte des einzelnen Nutzers sollen auch durch einen leichteren Zugang zu seinen Daten gestärkt werden.

Die Grundverordnung stellt klar – das ist vielleicht einer der wesentlichen Punkte –, dass personenbezogene Daten dem Nutzer gehören. Bei vielen Diskussionen klang gerade schon ein bisschen durch, ob Daten als Ware, ob Daten als Währung des 21. Jahrhunderts betrachtet werden können. Wir haben mit dieser Klarstellung, dass die personenbezogenen Daten dem Nutzer gehören, die entsprechenden Rückwirkungen auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte und damit auch auf den individuellen Schutz der personenbezogenen Daten.

Außerdem stellt die EU-Grundverordnung auch klar – das ist ein weiterer Punkt, der viele Bürger bewegt –, dass die Regelungen nicht nur für in Europa ansässige Unternehmen gelten, sondern auch für alle, die Dienste auf dem europäischen Markt anbieten.

Auf der Bundesebene wurde die Umsetzung bereits im April 2017 verabschiedet und tritt zum 25. Mai dieses Jahres in Kraft. Der hier vorliegende Gesetzentwurf stellt die bis Mai 2018 durchzuführende Anpassung und Umsetzung auf Landesebene vor. Das wird uns in den damit befassten Ausschüssen natürlich einen gewissen Ansporn geben, zügig, sachlich und konstruktiv zu beraten.

Der Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht eine sehr gute Grundlage für die anstehenden parlamentarischen Beratungen. Die Umsetzung der EU-Regelungen ist notwendig, aber sie lässt auch – das ist der Vorteil – Raum für Abwägung und Verhältnismäßigkeit auf landesgesetzlicher Ebene zu.

Dabei ist es ein besonderes Anliegen, dass wir mit der Umsetzung der europäischen Datenschutzreform keine Absenkung des bisherigen Datenschutzniveaus verbinden, wie es verschiedentlich in der Debatte befürchtet wurde. Dem trägt der Gesetzentwurf, den die Landesregierung vorgelegt hat, Rechnung und ist damit eine gute Beratungsgrundlage.

§ 20 und damit die Form der Videoüberwachung ist gerade schon angesprochen worden. Ich finde die Klarstellung wichtig, dass diese Überwachung dann zulässig ist, wenn es keine Anhaltspunkte gibt, dass schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen überwiegen. Der Begriff „keine Anhaltspunkte“ ist also sehr niedrigschwellig angelegt. Man muss letztlich sensibel gucken, ob personenbezogene Daten, also schutzwürdige Interessen des Einzelnen, auch tatsächlich berührt sind und überwiegen. Damit hat man bei der Zulässigkeit eine gewisse Beweislastumkehr. Der Anschein setzt ein Stop! Insofern haben wir, wie ich finde, eine gute Beratungsgrundlage.

Mehr Rechtssicherheit gewährt auch der in § 5 Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen formulierte Auffangtatbestand. Auch darüber wird klargestellt, dass wir die persönlichen Daten in besonderer Weise als schutzbedürftig betrachten.

Wir werden diese europäischen Vorgaben in den kommenden parlamentarischen Beratungen sachlich und zügig diskutieren und begleiten. Dabei werden wir genau darauf achten, die Spielräume für die Gestaltung des Datenschutzes in Nordrhein-Westfalen im digitalen Zeitalter so zu nutzen, dass wir auf der einen Seite die Chancen des digitalen Zeitalters tatsächlich ergreifen und auf der anderen Seite die Rechte des einzelnen Teilnehmers, des einzelnen Menschen, der individuellen Persönlichkeit an ihren Daten wirksam schützen.

In diesem Zusammenhang stimmen wir natürlich gerne der Überweisung in die Fachausschüsse zu. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Grünen hat Herr Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Minister, ich will gerne mit einem Lob und einem Kompliment an die Landesregierung einsteigen. Ich kann mich erinnern, wie wir schon Mitte 2016 – damals noch in anderer Konstellation – mit den Häusern darüber beraten haben, was dieses Datenschutzpaket der Europäischen Union uns als Land, als Landesgesetzgeber bringen wird. Schon damals war klar, dass es ein riesengroßes Paket an Fleißarbeit sein würde. Alleine dafür, dass Sie sich mit Ihrem Haus da durchgekämpft haben, einen Dank und ein Kompliment!

Es war ein Verfahren mit breiter Beteiligung – das haben Sie gerade hervorgehoben –, aber es ist natürlich auch ein Verfahren, das uns jetzt in eine Situation bringt, die dem Ganzen eigentlich nicht gerecht wird. Es ist ein ziemliches Hopplahopp-Verfahren, wenn wir am 1. März mit einem Gesetzgebungsverfahren anfangen, das Mitte Mai abgeschlossen sein soll. Dies wird dem Vorhaben eigentlich nicht gerecht, denn die Europäische Datenschutz-Grundverordnung, um die es ja letztlich geht, ist ein Quantensprung für die Bürgerinnen und Bürger Europas, sie ist ein Quantensprung für den Schutz der Menschenwürde und der Selbstbestimmung. Es ist nicht einfach nur, wie es manchmal diskutiert wird, ein Verbraucherschutzrecht.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, war es wichtig, dass alle Rednerinnen und Redner in dieser Debatte die Vorteile dieser Reform für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Unternehmen in Europa betont haben. Diese Reform bringt uns mehr Transparenz, sie bringt einen einheitlichen Rechtsrahmen, sie bringt uns endlich einen Rahmen für Datenschutz mit hohen Standards für 550 Millionen Menschen in Europa. Das zeigt nicht nur, dass es eine gute Reform ist, sondern das zeigt auch immer wieder, dass Europa uns etwas bringt, was uns alle in unserem Alltag voranbringt, was uns Vorteile bringt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube aber, dass wir, gerade weil wir bei vielen Umsetzungsfragen dieser Reform eine zum Teil schwierige Debattenlage haben, uns immer wieder vergegenwärtigen müssen, dass diese Reform auch für Unternehmen Vorteile bringt, insbesondere weniger Bürokratie. Hierfür müssen wir gemeinsam stehen.

Ich bin im Moment viel bei Mittelständlern und Start-ups, die alle sagen: Da kommt ja was auf uns zu. Das stellt uns vor immense Herausforderungen. – Das erkennen wir natürlich an, aber die Folge daraus kann nicht sein, dass wir die Standards infrage stellen, sondern die Folge daraus muss sein, dass wir bei der Umsetzung dieser Reform die Wirtschaft bestmöglich unterstützen. Auch deshalb haben wir ja zur rot-grünen Zeit massiv zusätzliche Stellen bei der LDI aufgebaut.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, damit komme ich zu der Frage, die uns jetzt eigentlich beschäftigen muss. Jenseits des vor uns liegenden Gesetzgebungsverfahrens müssen wir uns auch darüber unterhalten, wie wir es schaffen, dass diese Reform nicht nur Gesetzeslage wird. Denn es gibt in den Gesprächen, die ich aktuell führe, sehr viele Rückmeldungen, wonach die Datenschutz-Grundverordnung für Versäumnisse beim heute schon geltenden Datenschutzrecht verantwortlich gemacht wird. Baustellen, die eigentlich heute schon bestehen müssten, kommen jetzt endlich an die Oberfläche.

Es geht also nicht nur um Gesetzesrealität, sondern auch darum, dass Datenschutz tatsächlich gelebt wird, dass neue Regeln nicht nur rechtlich implementiert, sondern tatsächlich auch gelebt werden. Diese Herausforderung müssen wir alle gemeinsam angehen.

Für eine politische Bewertung dieses Gesetzentwurfs muss man sehr genau hinschauen. Ich habe mich jetzt eher auf allgemeine Aspekte beschränkt. Herr Kollege van den Berg und Frau Kollegin Freimuth haben ja schon konkretere Punkte angesprochen, über die wir sicherlich in den Ausschussberatungen miteinander sehr intensiv reden müssen.

Denn alleine die Tatsache, dass sich die Landesregierung viel Arbeit gemacht hat, dass jetzt eine Fleißarbeit auf unserem Tisch liegt, bringt uns ja noch nicht nach vorne, sondern wir sehen: Das ist die Umsetzung dessen, was Europa beschlossen hat, und der Bundesgesetzgebung in Landesrecht, aber dahinter ist kein politischer Gestaltungsanspruch. Herr Kollege Geerlings hat gerade so schön von einem schlanken Umsetzungsweg gesprochen. Das ist nur ein Synonym für fehlenden politischen Gestaltungsanspruch.

Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie als Landesregierung, dass Sie als regierungstragende Fraktionen sagen: Wir können hier in Nordrhein-Westfalen im Interesse der Bevölkerung konkret gestalten, dafür sorgen, dass wir hier tatsächlich hohe Datenschutzstandards sicherstellen. – Da ist leider im vorliegenden Gesetzentwurf aus grüner Sicht zu wenig zu erkennen.

Insofern darf ich Ihnen versichern: Wir werden genauso Fleißarbeit leisten, wie Sie das im Vorfeld getan haben. Wir werden auf die Schwächen und Lücken aufmerksam machen sowie – ich komme zum Schluss – konkrete Verbesserungen vorschlagen – ganz im Sinne einer konstruktiven Opposition bei einem so wichtigen Thema für alle Menschen in Europa. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Bolte-Richter. – Für die AfD hat Herr Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf legen wir nun auch im Datenschutzbereich unsere Souveränität in die Hand der Europäischen Union; Datenschutz – das Anliegen, das in Deutschland quasi erfunden wurde und in dem wir jahrelang weltweit führend waren.

Viele dieser strengen Regeln vertrugen sich jedoch nicht mit den Geschäftsmodellen großer Internetkonzerne. Dementsprechend hoch war der Lobbydruck in Brüssel, die nationalen Regeln zu harmonisieren und bei dieser Gelegenheit auch noch ein bisschen aufzuweichen.

Das hohe Niveau des deutschen Datenschutzes war aber kein bloßes Innovationshindernis, es war auch ein Standortfaktor. Anstatt mit diesem Pfund zu wuchern, opfern wir es nun auf dem Altar der EU-Vereinheitlichung.

Im Gegenzug erhalten wir die vage Hoffnung, dass Google, Facebook und Co. sich nun in Irland einem ähnlichen Regelungskanon unterwerfen müssen wie in Deutschland. Ob das wirklich konsequent umgesetzt wird oder ob wieder einmal nur unsere Unternehmen die Blöden sind, die sich am Ende daran halten müssen, daran sind nach den Erfahrungen im Steuerrecht zumindest Zweifel erlaubt.

Natürlich ist der Regulierungsansatz der EU und auch der Landesregierung eher einäugig. Während man Unternehmen einigermaßen streng auf die Finger schauen will, baut der Staat seine Datensammeleinrichtungen beständig aus. Die Zusammenarbeit mit kriminellen Datenhehlern zum Zwecke der Steuerverfolgung war ja heute schon Thema, ist aber nur die Spitze des Eisbergs.

Die Zahl der Abfragen persönlicher Kontodaten aus der zentralen Datenbank der BaFin – ursprünglich eingeführt zur Terrorbekämpfung – explodiert in den letzten Jahren, und die Landesregierung konnte auf meine Nachfrage nicht einmal nachvollziehen, welche Landesbehörden diese hochsensiblen Daten zu welchen Zwecken und wie oft abrufen.

Diese Missachtung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zieht sich wie ein roter Faden durch die Politik der vergangenen Jahre: Seien es die Abschaffung des Bankgeheimnisses, der Austausch von Konto- und Passagierdaten mit anderen Ländern oder die Nutzung von Maut- und Verbindungsdaten – überall wird die Axt an Fundamente unseres bisherigen Datenschutzrechts angelegt.

Und diejenigen, die in den 1980er-Jahren aufgrund einer vergleichsweise harmlosen Volkszählung noch auf die Barrikaden gegangen sind, schweigen meist. – Angekommen im System, nennt man das, liebe Grüne.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung ändert an diesen Missständen erwartungsgemäß nichts. Während die Unternehmen im Lande mit horrenden Bußgeldzahlungen bedroht werden und sich vor allem kleine und mittelständische Unternehmen nur unzureichend vorbereitet fühlen, gibt es großzügige Ausnahmeregelungen für staatliche Dienststellen.

Auch handwerklich gibt es einigen Nachbesserungsbedarf. Schwammige Formulierungen, etwa bei der Abgrenzung von notwendigen und nicht notwendigen Daten, führen zu erheblichen Unsicherheiten. Gleichzeitig sind die Beratungsangebote – das klang zuletzt auch im Ausschuss durch – unzureichend. Hier gibt es noch einiges nachzubessern. Wir freuen uns deshalb auf die Debatte im Ausschuss.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Gibt es weitere Wortmeldung? – Ich sehe, das ist nicht der Fall, und schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisung des Gesetzentwurfes in Drucksache 17/1981. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs federführend an den Hauptausschuss sowie an den Innenausschuss, an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung, an den Haushalts- und Finanzausschuss, an den Rechtsausschuss, an den Wissenschaftsausschuss sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales. Außerdem haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, den Gesetzentwurf ebenfalls an den Ausschuss für Digitalisierung und Innovation zu überweisen.

Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den bitte ich ums Handzeichen. – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und der fraktionslose Kollege Neppe. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

8   Produktionsschulen nicht im Aktionismus zerschlagen, sondern sorgfältig auswerten und passgenau weiterentwickeln – Berufliche Perspektiven für besonders benachteiligte junge Menschen bis 25 Jahren sicherstellen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1984

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Grünen dem Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Drucksachennummer ist mir gerade erst aufgefallen, aber mit George Orwell hat dieser Antrag zum Glück nichts zu tun. Wir möchten vielmehr der Landesregierung, die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik entweder sehr impulshaft oder zum Teil ideologisch reagiert, die Gelegenheit geben, noch einmal nachzudenken – nachzudenken über Entscheidungen, die wir ehrlich gesagt für richtig falsch halten.

Lieber Minister Laumann, auch die Kommunikationsweise, mit der Sie hier agiert haben, ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Natürlich kann eine neue Landesregierung neue Schwerpunkte setzen. Sie kann neue Entscheidungen treffen, aber sie sollte tatsächlich auf das, was in diesem Land auch geleistet worden ist, Rücksicht nehmen. Sie sollte diese neuen Entscheidungen erklären, und sie sollte sie auf der Basis der Erkenntnisse dessen, was vorher gewesen ist, treffen. Das ist in diesem Fall überhaupt nicht geschehen. Deswegen sollten Sie innehalten und diese Entscheidung überdenken.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist auch keine neue Entscheidung, Herr Minister. Das Werkstattjahr ist ein alter Hut. Das Werkstattjahr wurde am Anfang dieses Jahrtausends eingeführt, es wurde auch bewertet und ausgewertet, und die Auswertung hat dazu geführt, dass man erkennen musste, dass über 50 % derjenigen, die dort mitgemacht haben, das Ziel eben nicht erreicht haben, dass sie die Maßnahme vorzeitig abgebrochen haben.

Wir haben dann die Konsequenz daraus gezogen, Produktionsschulen in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln. Der Wert dieser Produktionsschulen wurde nachgehalten und kontrolliert.

Und zurück zur Kommunikation: Sie haben Ihre Entscheidung in keiner Weise kommuniziert.

Eine Anfrage der Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten aus Dezember und auch eine Berichtsanfrage von uns machten erst deutlich, was dort geschehen ist. Und was noch viel schlimmer ist: Nach meinem Kenntnisstand haben Sie bis heute auch diejenigen regionalen Arbeitsgruppen, die damit befasst sind, überhaupt noch nicht informiert. Das ist eine Frage, die ich Sie bitte, heute oder im Ausschuss zu beantworten: Warum ist dies nicht geschehen? Warum werden wichtige Akteure, die sich im Bereich der Arbeitsmarktpolitik engagieren, wie auch staatliche Stellen offensichtlich bei dieser fachlichen Frage von Ihnen völlig außen vor gelassen?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich möchte Ihnen aber auch erklären, warum wir das für falsch halten, was Sie hier machen. Sie setzen hier einen Schwerpunkt, der sich auf Jugendliche bis 18 Jahre beschränkt. Das Programm der Produktionsschulen halten Sie, wie Sie im Ausschuss auch noch einmal ausdrücklich gesagt haben, für Schule. Vielleicht hätten Sie sich vorher informieren sollen. Es geht nämlich darum, dass Menschen an dem konkreten Produktionsprozess gerade außerhalb von schulischen Strukturen, denen sie entweder nicht gewachsen waren oder die sie aus anderen Gründen ablehnen, teilnehmen können.

Herr Minister, offensichtlich haben Sie sich nicht ausreichend informiert und haben deswegen diese Entscheidung getroffen. Aber sei es drum.

Lassen Sie uns diesen Antrag in die Ausschüsse verweisen und genau überlegen, ob diese Linien richtig sind. Schließlich waren die in den Produktionsschulen gesammelten Erfahrungen durchweg positiv. Viele Teilnehmer haben nämlich den Abschluss geschafft, viele Menschen haben bis 25 Jahre eine Perspektive. Was machen Sie denn mit den Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren? Worin besteht denn das Nachfolgeprogramm?

Eines kann ich Ihnen versichern: Die Fachverbände haben bisher alle mit dem Kopf geschüttelt und das zum Teil auch mit klarer Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Das war nicht nur bei den Produktionsschulen der Fall, sondern auch bei den Ausbildungsbotschaftern, die im Übrigen von allen Fraktionen dieses Landtags – außer von der AfD, die damals noch nicht beteiligt war – in der Enquetekommission ausdrücklich gelobt worden sind.

Herr Minister, ich habe Verständnis dafür, dass Sie in den letzten Monaten viel investieren mussten, um auf Bundesebene wieder eine Kuschelkoalition mit den Sozialdemokraten vorzubereiten. Aber dies hat dazu führt, dass junge Menschen nicht mehr die Gelegenheit haben, in den Bereichen arbeiten zu können, in denen es sinnvoll ist, und das darf nicht passieren. Lassen Sie uns die Zukunft der jungen Menschen nicht aufs Spiel setzen und noch einmal sehr intensiv über die Arbeitsmarktpolitik nachdenken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die CDU hat nun Herr Kollege Schmitz das Wort.

Marco Schmitz (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu unseren Aufgaben als Volksvertreter, die richtigen Weichen zu stellen, um jungen Menschen den Zugang in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Dass ein Jugendlicher besondere Unterstützung benötigt, der bereits mehrfach die Schule abgebrochen und Probleme damit hat, dem geregelten Schul- und Arbeitsrhythmus zu folgen, und mit 18 Jahren noch keinen Abschluss vorweisen kann, ist für jeden von uns nachvollziehbar.

Was wir benötigen, ist ein ganzheitlicher Ansatz, der mehrere Probleme berücksichtigt, ein Ansatz, der aber vor allem auch das Ziel haben sollte, dass junge Menschen eine Ausbildung und somit ihren Weg in eine dauerhafte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit finden.

Eine Abbruchquote von rund 60 %, geringe Übergänge in tragfähige Anschlussperspektiven und die fehlende Akzeptanz der Teilnehmenden sind allerdings handfeste Argumente und vor allem Belege dafür, dass das Förderangebot „Produktionsschule.NRW“ so nicht weitergeführt werden kann.

Die Jugendlichen ohne Abschluss und ohne berufliche Perspektive von heute werden schnell die Landzeitarbeitslosen von morgen sein.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage …

Marco Schmitz (CDU): Ja, bitte sehr.

Präsident André Kuper: … des Abgeordneten Mostofizadeh?

Marco Schmitz (CDU): Ja, bitte sehr.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Schmitz, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprachen gerade von Abbruchquoten. Wir haben aus dem Bericht des Ministers auch erfahren, dass 60 % die Maßnahme zwar nicht zu Ende geführt haben, der größte Teil von ihnen aber eine neue Regelausbildung begonnen hat. Das haben Sie uns jetzt leider vorenthalten.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)

Marco Schmitz (CDU): Die Abbruchquote lag durchaus – und so hat es der Minister auch dargestellt – bei 60 %. Diejenigen, die dann in eine reguläre Ausbildung übergegangen sind, waren nicht inbegriffen.

Die Jugendlichen ohne Abschluss und ohne berufliche Perspektive von heute werden schnell die Langzeitarbeitslosen von morgen sein. Um genau das zu verhindern, brauchen wir Instrumente, die den Übergang von der Schule in den Beruf begleiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Mostofizadeh, Ihrem Argument, dass – ich zitiere – es für die Zielgruppe attraktiver und auch wirksamer als das Werkstattjahr sei, echte Aufträge durch echte Kunden auf dem ersten Markt zu erarbeiten, stimme ich nicht zu.

Während die Produktionsschule ausschließlich beim Träger stattfindet, gibt es im Werkstattjahr einen tatsächlichen praxisnahen Bezug, durch den die Attraktivität dieses Instruments für die Jugendlichen gesteigert wird. Im Gegensatz zu Produktionsschulen wird es im Werkstattjahr einen hohen betrieblichen Praxisanteil von bis zu sechs Monaten geben. Das ermöglicht nicht nur eine praxisnahe Ausbildung, sondern schafft auch eine realistische Darstellung des späteren Berufslebens.

Ich möchte zudem eines klarstellen: Der Wechsel zum Werkstattjahr – und Sie haben eben gesagt, das Werkstattjahr stamme vom Beginn dieses Jahrtausends – bedeutet keinesfalls, dass wir keine Elemente der Produktionsschule übernehmen werden. Den produktionsorientierten Ansatz der ehemaligen Produktionsschule wollen wir beispielsweise beibehalten. Hinzu kommt aber, dass wir zusätzliche Anreize schaffen wollen, um die Teilnehmenden zu motivieren. Dazu zählt auch, dass wir bei der erfolgreichen Ausübung und Beibehaltung der Maßnahme eine Prämie an die jungen Menschen zahlen möchten. Das Ganze soll ihnen den Wirkungszusammenhang zwischen Leistungsbereitschaft und möglichem beruflichem Erfolg näherbringen.

Wir als NRW-Koalition wollen eine echte Verbesserung, und dafür sind Änderungen im System notwendig. Wir sind nicht angetreten, um die Projekte unverändert fortzuführen, wegen denen die alte Regierung abgewählt worden ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Kollege! Glauben Sie das wirklich?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden die begrenzten Mittel zielgerichteter einsetzen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD] – Nadja Lüders [SPD]: Damit legen Sie Ihre eigene Messlatte sehr hoch! – Marlies Stotz [SPD]: Peinlich!)

„Zielgerichteter einsetzen“ bedeutet für uns auch, dass wir uns speziell auf junge Erwachsene, die das 19. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, konzentrieren werden. Junge Menschen, die über 19 Jahre alt sind, sollen die Regelangebote der Bundesagentur und der Jobcenter nutzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Erfahrung als Geschäftsführer kann ich Ihnen sagen, dass die besten Integrationsteams die U25-Teams waren, denn sie haben am erfolgreichsten gearbeitet.

14 Millionen € werden wir zukünftig bereitstellen, damit 1.600 Teilnehmerplätze genutzt werden können, 1.600 Plätze, bei denen wir darauf achten werden,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Statt 3.000!)

dass die jungen Menschen nah am ersten Arbeitsmarkt ausgebildet werden.

Mit dem Werkstattjahr bündeln wir Elemente wie den bereits genannten produktionsorientierten Ansatz, den betrieblichen Praxisanteil sowie die leistungsorientierte Vergütung. Wir werden uns darauf konzentrieren, dass NRW in Zukunft durch die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit glänzen kann.

Lassen Sie uns die Mittel, die wir haben, zielgerichtet einsetzen. Lassen Sie uns im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in NRW handeln, insbesondere im Interesse derer, die die Unterstützung auf ihrem Weg in Ausbildung und Arbeit brauchen. Ich freue mich sehr auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die SDP hat Herr Kollege Neumann das Wort.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Vorgehen der Landesregierung in Bezug auf die Ad-hoc-Entscheidung zur Abschaffung der Produktionsschulen im Sommer und Rückkehr zum Werkstattjahr, wie wir es schon aus einer anderen Amtszeit von Karl-Josef Laumann kennen, ist fast beispiellos.

(Minister Karl-Josef Laumann: Gut!)

Ohne Not wird hier ein System zerstört, das sich in der Praxis mehr als bewährt hat, gerade weil es Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen, hilft.

Klar gesagt: Bei der Zielgruppe, an die sich das Förderangebot der Produktionsschulen Nordrhein-Westfalen richtet, handelt es sich zumeist um Jugendliche und junge Erwachsene mit mehrfachen arbeitsmarktlichen Vermittlungshemmnissen, wie es in der Amtssprache heißt, die Probleme haben, in eine Ausbildung oder Arbeitsstelle vermittelt zu werden.

So lernen derzeit etwa 2.800 junge Menschen landesweit unter Anleitung und mit Unterstützung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern einen strukturierten Tages- und Arbeitsablauf kennen und wie sie diesen täglich leisten können. Gerade die Einbindung in die betrieblichen Arbeitsprozesse und die Herstellung echter Produkte machen den innovativen Ansatz des Konzepts „Produktionsschule“ überhaupt aus.

All dies steht jetzt zur Disposition, weil es die Landesregierung versäumt hat, für alle Akteure und Beteiligten Klarheit zu schaffen, wie es konkret weitergehen soll. Vor allem: Was rechtfertigt eigentlich diesen Kursschwenk?

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Kolleginnen und Kollegen, die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage „Wie geht es weiter mit der Produktionsschule?“ sowie Einlassungen in diversen anderen Zusammenhängen und Medien haben eines klargemacht: Die schwarz-gelbe Landesregierung gibt die Produktionsschulen in Nordrhein-Westfalen auf, ohne dieses Projekt jemals richtig evaluiert oder untersucht zu haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Damit geben Sie unumwunden zu, dass Sie keine Notwendigkeit dafür sehen, die Produktionsschule fundiert und objektiv bewerten zu lassen, bevor Sie ihr Ende verkünden. Das nenne ich eine absolute Respektlosigkeit gegenüber Trägern, deren Beschäftigten, aber auch gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

(Beifall von der SPD)

Die schwarz-gelbe Landesregierung gibt die Produktionsschulen auf und will durch den Wechsel zum Werkstattjahr eine angebliche Verbesserung erreichen, indem sie ominös behauptet, das würde besser funktionieren.

Herr Präsident, erlauben Sie mir, dass ich aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Kleine Anfrage zitiere:

„Die Landesregierung erwartet durch den Wechsel zum Werkstattjahr eine Verbesserung der Erfolgsquoten im Vergleich zur Produktionsschule. Eine exakte Prognose von künftigen Erfolgs- bzw. Abbruchquoten kann auf fundierter Basis nicht gegeben werden.“

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Tja!)

Das ist sozusagen die Kernaussage, über die wir hier sprechen.

70 % der jungen Leute, die ständig als Abbrecher tituliert werden, haben in eine Ausbildung oder eine Arbeit abgebrochen. Hier von Abbruch zu sprechen, ist schon ein bisschen komisch. Man muss deutlich beziffern, worum es geht.

(Beifall von der SPD – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Habe ich ja gesagt!)

Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben: Ich habe mir alle Zahlen der Werkstattjahre 2005 und 2010 angeschaut. Ich habe keine besseren Quoten festgestellt.

(Minister Karl-Josef Laumann: Doch!)

Wenn zukünftig Jugendliche ab dem 19. Lebensjahr nicht mehr von Produktionsschulen oder im Rahmen des neuen Werkstattjahres aufgenommen werden, führt das für mehr als 1.000 Jugendliche in diesem Land zur Perspektivlosigkeit. Es gibt aktuell keine anderen Angebote. Die Frage wird sein, welche Antworten die Landesregierung für diese jungen Menschen hat und was dann stattfindet.

Wenn der Markt der alleinige Pfadfinder ist, dann darf der Markt gerade bei diesen Jugendlichen nicht der Maßstab des Handelns sein. Das hat nichts mit Entfesselung zu tun, sondern damit nimmt man jungen Menschen Perspektiven.

(Zuruf von Marco Schmitz [CDU])

Dies ohne Evaluation abzuschaffen bedeutet Perspektivlosigkeit für mehr als 1.000 junge Menschen.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD])

Wir werden darüber sicherlich im Ausschuss diskutieren, und zwar sachlich und fundiert, wie immer.

Erlauben Sie mir noch einen Hinweis: Es wird immer wieder die Legende gestreut, im Werkstattjahr gebe es zukünftig ein sogenanntes Ausbildungstaschengeld. Da wir wissen, dass zwei Drittel der Jugendlichen, um die es geht, aus dem Bereich des SGB II kommen, wissen wir auch, wer das Taschengeld bekommen wird, nämlich das Jobcenter.

(Minister Karl-Josef Laumann: Nein! So doof sind die auch nicht!)

Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP hat nun die Kollegin Hannen das Wort.

Martina Hannen (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die NRW-Koalition ist angetreten, viele Sachen besser zu machen und dabei insbesondere auch die berufliche Bildung stärker in den Fokus zu rücken. Gerade die Gruppe der noch nicht ausbildungsreifen Jugendlichen müssen wir dabei intensiver in den Blick nehmen. Genau das tun wir mit der Wiedereinführung des Werkstattjahres.

Wir wollen gerade diesen jungen Menschen die Chance auf Qualifikation geben und damit auf eine erfolgreiche Berufsausbildung als ganz wesentliche Grundlage für ein unabhängiges Leben.

Meine Damen und Herren, ich kann menschlich nachvollziehen, dass Sie an den Projekten Ihrer Regierungszeit festhalten wollen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch Humbug!)

– Unsere Aufgabe ist es aber nicht, Herr Mostofizadeh, in Nostalgie zu schwelgen,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was soll denn der Schwachsinn?)

sondern wir wollen die Dinge an der Sache orientiert für die Menschen in unserem Land weiterentwickeln. Schlechtes einfach besser machen, das ist unser Anspruch.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

– Ja, natürlich habe ich das. Vielen herzlichen Dank.

Wie schon gesagt: Wir sind angetreten, um die Sache besser zu machen. Dazu gehört auch die Förderung von jungen Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Die Wiedereinführung des Werkstattjahres ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Ein Schlüssel für den erfolgreichen Übergang von Schule in Ausbildung und Arbeit stellt eben die Anbindung an die reale berufliche Praxis dar.

(Carsten Löcker [SPD]: Die müssen erst mal ausbildungsfähig sein!)

Daher wird der betriebliche Praxisanteil im Rahmen des Werkstattjahres auf bis zu sechs Monate erhöht und damit eine stärkere Bindung an die betriebliche Realität gewährleistet –

(Minister Karl-Josef Laumann: Genauso ist es!)

mehr Realität, als es in den Produktionsschulen bis jetzt der Fall ist. Das ist doch wichtig. Betriebsähnliche Strukturen sind nun einmal nur ähnlich. Die Erfahrung im Unternehmen ist etwas ganz anderes, und die ist durch nichts zu ersetzen. Sie brauchen die Realität, die Erfahrung im Unternehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Weil es bislang nicht möglich war, die Leistungen der Jugendlichen angemessen zu belohnen, schaffen wir jetzt zusätzlich die Möglichkeit, Leistungsprämien auszuzahlen.

(Carsten Löcker [SPD]: Was denn für eine Leistung?)

– Möchten Sie infrage stellen, was die Jugendlichen dort leisten? Ich verstehe Ihren Einwand nicht, Herr Kollege.

Ein weiterer Schlüssel ist die Einbindung der Berufskollegs. Die hier vorhandenen Kompetenzen im Umgang mit den unterschiedlichsten Jugendlichen, die guten und vielen Kontakte zu den lokalen Ausbildungsbetrieben und nicht zuletzt die Durchlässigkeit der unterschiedlichen Bildungsgänge kommen den Jugendlichen zugute und erhöhen die Chancen auf einen erfolgreichen Übergang in die Arbeitswelt.

Dass wir die Berufskollegs an dieser Stelle wieder mitnehmen, liegt sicherlich auch daran, dass wir die hervorragende Arbeit, die dort geleistet wird, zu schätzen wissen.

(Beifall von der FDP)

Das neue Werkstattjahr ist bewusst als ein Instrument des Übergangs von der Schule in den Beruf und daher in der Regel für berufsschulpflichtige Jugendliche konzipiert.

(Zuruf von der SPD: Eben nicht!)

Hier soll künftig der Schwerpunkt der Förderung liegen. Hierauf sollen die vorhandenen Mittel konzentriert werden, und das ist genau richtig so. – Denn für die über 19-Jährigen, Herr Kollege Neumann, stehen dadurch Angebote des Regelsystems, zum Beispiel Aktivierungshilfen oder berufsvorbereitende Maßnahmen, zur Verfügung. An dieser Stelle möchte ich auf die bereits laufenden Abstimmungen zwischen Ministerium und Regionaldirektion der BA verweisen.

Herr Mostofizadeh, auch an Sie gerichtet noch einmal: Sie sehen, der Systemwechsel ist nicht einfach mal so gemacht. Er ist nicht impulshaft, wie Sie sagen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das hat er selber geschrieben!)

– Er ist nicht impulshaft, er ist gut vorbereitet. Er ist durchdacht und fundiert, und das ist wichtig. Wir wollen es besser machen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sehen die Länder aber anders, Frau Kollegin!)

Liebe Kollegen von den Grünen, beim Zeichnen nicht vorhandener Schreckgespenster sprechen Sie auch den Ausschluss von Mitteln der Jugendhilfe zur Kofinanzierung an. Die geringe Nutzung und die schwache Auslastung der Maßnahmen können Sie nicht wegdiskutieren. Sie können auch eine Abbrecherquote von über 60 % nicht wegdiskutieren.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Durch ständiges Wiederholen wird es nicht besser!)

Was an der Stelle spannend ist: Die Abbrecherquote steigt mit zunehmendem Alter der Teilnehmer. Das zeigt deutlich, dass die Produktionsschulen nicht das richtige Instrument sind.

Eine Ausgrenzung von geflüchteten Jugendlichen findet – anders als von Ihnen befürchtet – ausdrücklich nicht statt. Hier wird weiterhin – über die Arbeitsagenturen und Jobcenter – eine Zuweisung möglich sein.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wo haben Sie das gelesen?)

– Ich habe es gelesen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wo denn?)

– Haben Sie es nicht gelesen? Das wundert mich.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wer hat das geschrieben?)

Wir Freien Demokraten halten die Überführung des Programms „Produktionsschule NRW“ in das neue Werkstattjahr für den einzig richtigen Weg. Und wenn ich die lebhafte Diskussion hier mitbekomme, weiß ich, dass wir uns erst auf recht lebhafte Diskussionen im Ausschuss freuen können. – Ganz herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Hannen. – Für die AfD hat Frau Dworek-Danielowski nun das Wort.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Jahr bewerben sich weit über 100.000 junge Menschen in Nordrhein-Westfalen um einen Ausbildungsplatz. Die gute Nachricht ist: Fast 95 % der Bewerber erhalten eine Zusage oder nutzen die Zeit, um sich schulisch weiterzubilden.

Eine weitere gute Nachricht ist, dass zumindest rein rechnerisch für jeden unversorgten Bewerber seit 2016 immerhin ein ganzer unbesetzter Ausbildungsplatz zur Verfügung steht.

Da allerdings fast 40 % der Bewerber ohne Zusage Abitur oder Fachabitur haben, werden sie wohl kaum den Beruf des Bäckereifachverkäufers, Fleischers oder Friseurs anstreben. Folglich geht die Rechnung – hier ein Ausbildungsplatz, dort ein Bewerber – lediglich auf dem Papier auf.

Es gibt allerdings jedes Jahr noch Tausende weitere junge Menschen, die um ihren Einstieg ins Berufsleben ringen, junge Männer und Frauen, die sich gar nicht erst an dem Konkurrenzkampf um einen Ausbildungsplatz beteiligen, weil ihnen – sogar von offizieller Seite – bestätigt wird, dass sie nicht über die nötige Reife verfügen, um an einer regulären berufsvorbereitenden Maßnahme teilzunehmen oder – im besten Fall – eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.

Tausende junge Männer und Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren stehen jedes Jahr mit ihren Altersgenossen an einer Schwelle im Leben, die die einen dazu befähigt, ein unabhängiges, eigenverantwortliches Leben zu führen, Teil unserer humanistischen Leistungsgesellschaft zu werden, und den anderen attestiert, dass ihre bisherige Sozialisation dazu nicht ausreicht. Für jeden Einzelnen dieser jungen Menschen ist das tragisch, für ein Land wie Nordrhein-Westfalen, in dem jeder Zehnte Hartz IV bezieht, ist das katastrophal. Und für die Politik ist es wieder einmal die Dokumentation eines allgegenwärtigen Versagens.

Dass man diesen jungen Menschen Hilfestellung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung leisten muss, ist hier, denke ich, allen klar. Gerade wenn man in so jungen Jahren mit wertschätzender Konsequenz Durchhaltevermögen, Selbstwertgefühl, Frustrationstoleranz usw. fördern kann, sollten wir das tun, schon allein um ihnen eine echte Chance zu geben, als mündiger und freier Bürger zu leben und nicht lebenslang von staatlicher Alimentation abhängig zu sein, und um natürlich auch – ganz klar – die öffentlichen Kassen zu schonen.

Aber was geschieht, bis es so weit ist? Wenn ein junger Erwachsender nicht einmal in der Lage ist, regelmäßig an einem Praktikum von sechs Wochen teilzunehmen, wenn regelmäßiges pünktliches Erscheinen eine Überforderung darstellt, ist vorher schon eine Menge schiefgelaufen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja, und dann?)

Uns ist es anhand der vorliegenden Daten kaum möglich, zu bewerten, welches der Modelle tatsächlich besser war oder ist. Sinnvoll ist sicher die Altersbegrenzung, um die Ausrichtung dieser konkreten Maßnahme nicht zu verwässern.

Die Evaluation des Werkstattjahres lässt darauf schließen, dass auch hier mit Herz gearbeitet wurde, weil sich die jungen Teilnehmer mit ihren Problemen angenommen und verstanden gefühlt haben.

Werkstattjahr oder Produktionsschule, das ist hier die Frage. Aber solange wir hier nicht offen und ehrlich darüber debattieren, dass jedes Jahr Tausende junge Menschen in unserem Bildungssystem komplett durchs Raster fallen und die Schulsozialarbeit und der angeblich für Chancengleichheit sorgende Ganztag in Schule und Kindergarten die Sorgenkinder offensichtlich nach wie vor zurücklassen, solange jeder, der die Missstände anspricht, als Spielverderber, Miesepeter und Ängsteschürer abgetan wird, ist es eigentlich völlig egal, ob Produktionsschule oder Werkstattjahr. Beides behandelt lediglich die Symptome, was – zugegeben – zwingend notwendig ist.

Mindestens genauso notwendig wäre im Sinne der Prophylaxe Ihre Bereitschaft, offen und ehrlich zu hinterfragen, was hier eigentlich schiefläuft. Das, meine Damen und Herren, sollten wir mindestens genauso dringend tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal meine ich: Wenn man über diese Thematik redet, dann muss man sich auch einmal über die Programme unterhalten, die in Nordrhein-Westfalen über den ESF und damit über die Landesregierung finanziert werden, sowie darüber, was über das Regelsystem im SGB II und in der Arbeitslosenversicherung finanziert wird.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen arbeitsmarktpolitische Mittel des Bundes in Höhe von knapp 4 Milliarden €. Der ESF in Nordrhein-Westfalen umfasst 105 Millionen €. Den Regionalagenturen und der Arbeitsverwaltung in Nordrhein-Westfalen stehen allein für den Bereich der Jugendlichen ohne Ausbildung Arbeitsmarktmaßnahmen mit einem Volumen von 345 Millionen € zur Verfügung.

Und jetzt soll alles an der Frage hängen, ob das Werkstattjahr oder die Produktionsschule besser ist?

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Es geht hier doch nicht um Werkstattjahr oder Produktionsschule.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine Verhöhnung Ihrer eigenen Arbeit, was Sie da machen!)

Es geht ganz entscheidend um die Frage des Angebotes für die über 19-Jährigen. Das Werkstattjahr, das wir jetzt machen werden, wird auch Elemente der Produktionsschule übernehmen, aber eben nur bis zum 19. Lebensjahr. Das ist deswegen richtig, weil sich das Werkstattjahr als eine Maßnahme für junge Leute versteht, die unser Schulsystem verlassen, die aber weit von jeder Ausbildungsfähigkeit entfernt sind. Es geht darum, in diesem einen Jahr eine Entwicklung bei ihnen einzuleiten, sodass sie sich mit einem Berufsziel auseinandersetzen. Deswegen ist die Begrenzung bis zum 19. Lebensjahr richtig.

Jetzt seid auch ehrlich: Je älter die Teilnehmer in der Produktionsschule waren, desto höher war die Abbruchquote. Die Wahrheit ist, dass die Produktionsschulen Abbrüche von 60 % hatten. In den 60 % waren nicht diejenigen eingerechnet, wie eben gesagt worden ist, die anschließend in zielführende Maßnahmen gegangen sind oder eine Lehrstelle bekommen haben.

Der wesentliche Unterschied ist natürlich, dass das Werkstattjahr eine Auseinandersetzung mit der realen Arbeitswelt in Form von Praktika vorsieht. Das kann aus meiner Sicht nicht verkehrt sein. Jeder, der lange Arbeitsmarktpolitik macht, weiß, dass der Übergang von dem Maßnahmensystem in das betriebliche System immer die problematischste Stelle ist. Je später der Kontakt zum Betrieb zustande kommt, desto schwerer wird es, diese Schwelle zu überschreiten. Das ist doch fachlich ohne jeden Zweifel so.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will einen weiteren Punkt nennen. Natürlich weiß ich auch, dass wir für die über 19-Jährigen etwas machen müssen. Deswegen haben wir mit der Regionalagentur abgesprochen, dass dieses Angebot mit den Möglichkeiten, die es im Bereich der niederschwelligen Aktivierungshilfe gibt, die es aber auch im Bereich der klassischen Berufsvorbereitung gibt, die im Bereich der Jugendwerkstätten vorhanden sind, verstärkt und von den regionalen Stellen aufgegriffen wird.

Es ist natürlich klar, dass die Träger lieber mit einem System arbeiten, das viel einfacher für sie ist als das BA-System. Deswegen war es so, dass die Regionalagenturen für einen Platz in der Produktionsschule 300 € bezahlt haben und wir über den ESF 600 € übernommen haben. Dann haben die Regionalagenturen in den Gebieten sehr unterschiedlich gebucht, weil es für sie die billigste Maßnahme war und für die Träger von der Administration her relativ einfach.

Dann hat es Regionen gegeben, in denen 100 % über 19-Jährige aufgenommen worden sind. Andere haben das gar nicht gemacht. Aber es war eben für die Regionalagentur die billigste Möglichkeit, ein solches Angebot zu haben, weil wir mit 600 € beteiligt waren.

Deswegen halten wir es für sinnvoll, dass das bei den unter 19-Jährigen so bleibt, und bei den über 19-Jährigen soll das Regelsystem in vollem Umfang greifen.

Man kann die Arbeitsmarktpolitik natürlich nicht verstehen, wenn man nicht das andere sieht. Natürlich könnten wir das ganze Geld für arbeitslose Jugendliche ausgeben. Aber wir haben nun einmal politisch entschieden, dass der Ausbildungscheck auch eine gewisse Rolle spielen soll. Wir können nicht über Digitalisierung reden, haben aber keine Arbeitsmarktinstrumente, um Belegschaften auf dem Weg dahin zu unterstützen. Das muss finanziert werden.

Es darf in der Debatte nicht außer Acht gelassen werden, dass wir langfristig 25 Millionen € für das System des Übergangs von der Schule in den Beruf, das wir KAoA nennen, zur Verfügung stellen müssen. Das ist ja auch nicht umsonst zu haben.

Ich will auf der einen Seite – darüber streite ich gern jeden Tag – keine kurzfristigen Maßnahmen umsetzen, wenn ich auf der anderen Seite weiß, dass wir Jugendliche mit einem Lehrstellenprogramm, das wir über drei Jahre für sie finanzieren, zu einem Abschlussbrief bringen können. Ich habe es schon öfter gesagt: Weil Geld begrenzt ist, bin ich dafür, weniger Köpfe zu fördern mit dem Ziel, dass sie am Ende einen Gesellenbrief haben, statt diese kurzfristigen Maßnahmen anzugehen, ob sie nun Produktionsschule oder Werkstattjahr heißen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist eben ein wesentlicher Unterschied zwischen der von mir verantworteten Arbeitsmarktpolitik, die auch die Fraktionen von CDU und FDP mittragen, und einer anderen Arbeitsmarktpolitik. Sie können doch nicht allen Ernstes erwarten, dass ich Ihre Arbeitsmarktpolitik einfach bis 2022 fortgeschrieben hätte. Dann hätte ich ja gar nicht zu kommen brauchen.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Wir hindern Sie nicht, zu gehen!)

Deswegen ist das, was wir machen, sehr wohl begründbar, und es ist eine Kurskorrektur in der Arbeitsmarktpolitik. Eine Kurskorrektur hin zu Gesellenberiefen, weg von kurzfristigen Maßnahmen – auch noch mit 60 % Abbruchquote – verteidige ich gern jeden Tag im Ausschuss und egal, wo ich stehe. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Grünen erteile ich noch einmal Herrn Mostofizadeh das Wort.

(Minister Karl-Josef Laumann: Hat er noch Redezeit? Dann komme ich auch noch einmal wieder!)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Minister, ehrlich gesagt finde ich das, was Sie hier machen, nicht in Ordnung. Sie diskreditieren letztlich Ihr eigenes Amt, wenn Sie sagen, Sie könnten nicht die gleiche Politik fortsetzen wie die Koalition vorher. Das ist doch völlig klar.

Nur um einmal die Fakten zur Abbruchquote zu nennen, weil Herr Kollege Schmitz das eben nicht getan hat: 50 % Zugang hatten wir nach den Produktionsschulen, beim Werkstattjahr waren es 30 %. Das ist auch regierungsamtlich bestätigt. Die Kollegin Hannen hat absolut deutlich gemacht, dass es nur um Ideologie ging. Sie hat sogar Sachverhalte erfunden, die gar nicht im Antrag stehen. Das Wort „Geflüchtete“, das Sie genannt haben, kommt in unserem Antrag nicht einmal vor.

Eines will ich Ihnen sagen: Wir müssen die Zahlen miteinander vergleichen und sollten hier keine Showkämpfe austragen. Setzen Sie sich mit den Argumenten auseinander. Das Argument bei der Produktionsschule ist: deutlich höhere Zahlen, bessere pädagogische Betreuung, bessere Quoten.

Daraus sollten Sie lernen und sich nicht davon verabschieden, nur weil irgendjemand anders das vorher gemacht hat. Das ist unser Ansinnen, und dafür kämpfen wir auch.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Somit komme somit zum Schluss der Aussprache und zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1984 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag mitberatend an den Ausschuss für Schule und Bildung zu überweisen. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales soll die Federführung erhalten. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wenn Sie dem so zustimmen wollen, bitte ich um Ihr Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

9   Nordrhein-Westfalens Verantwortung für die Weltgesundheit ernst nehmen – Antibiotikaresistenzen in den Fokus rücken

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1996

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem für die AfD Herrn Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt bald 17 Uhr. Die ersten Parlamentarier starten in ihr wohlverdientes Wochenende.

(Zurufe von der CDU: Was? – Weitere Zurufe von der FDP)

– Ich stehe ja noch hier.

(Unruhe)

Die Medienvertreter sind wie gewohnt um diese Uhrzeit bereits gegangen, um ihre Berichte über das heute Morgen zur parlamentarischen Primetime Gehörte zu schreiben.

Nachdem wir heute Morgen über denkbar wichtige Themen wie die staatliche Subvention der letzten 500 m Eisenbahnstrecke vor dem örtlichen Opel-Werk gesprochen haben, kommen wir nun zu dem, was die Weltgesundheitsorganisation die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit nennt: Antibiotikaresistenzen.

Bereits heute fordern multiresistente Keime in der Europäischen Union jährlich schätzungsweise 25.000 Leben, in Deutschland etwa 6.000 pro anno. Stand heute – wir sprechen über heute, nicht über morgen und nicht über übermorgen – sind das genauso viele Menschenleben, wie 2016 der globale Terror gefordert hat.

Überlegen Sie einmal, wie oft wir über Terror sprechen, wie viele Kriege in den letzten Jahren wegen des Terrors geführt worden sind. Eine Diskussion über Antibiotikaresistenzen bleibt aber ein Nischenthema. Die Warnrufe der Weltgesundheitsorganisation und vieler anderer verhallen, dabei verschärft sich die Situation indes weiter dramatisch.

Wenn ein Patient eine einfache Lungenentzündung hat, bekommt er beispielsweise 2 g Ceftriaxon pro Tag. Für die gesamte Behandlung dieser Lungenentzündung sind das 14 g dieses Antibiotikums. Wie viele Antibiotika werden nun – bei diesen Zahlen – jährlich in Deutschland in der Humanmedizin verbraucht? Die Zahlen schockieren. Es sind 700 t alleine in der Humanmedizin, und in den letzten Jahren kamen noch rund 1.700 t aus der Tierzucht oben-drauf.

Es ist rein eine Frage der Zeit, bis die Bakterien bei diesem massierten Einsatz Resistenzen ausbilden. Hier kann man der Evolution sprichwörtlich bei der Arbeit zusehen.

Wenn die Parlamente nicht gemeinsam Hand in Hand auf europäischer Ebene, aber eben auch bis hinunter in die Lokalparlamente zusammenarbeiten, diskutieren wir an dieser Stelle schon sehr bald nicht mehr über Kitagebühren oder die eben angesprochenen 500 m Eisenbahnstrecke, die zu subventionieren ist. Stattdessen machen wir uns dann wieder Gedanken darüber, wie unsere Kinder das fünfte Lebensjahr erreichen; denn das bedeutet eine Welt ohne wirksame Antibiotika. Das ist das, wovon die WHO spricht, wenn sie meint, wir fallen in eine präantibiotische Ära zurück.

(Beifall von der AfD und Alexander Langguth [fraktionslos])

Eine einfache Infektion kann einen dahinraffen. Die meisten Opfer sind jünger als fünf Jahre. Es braucht wieder zwölf Kinder, um vier davon durchzubringen. Das ist keine Panikmache, sondern ein sehr reales Szenario. Die Uhr steht bereits auf zwei vor zwölf.

Es muss ein ganzer Strauß an Maßnahmen greifen, um das Gröbste noch abzuwenden. Die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie 2020 ist zwar ein wichtiger Baustein, er kann aber nicht der einzige sein.

Selbst wenn es uns gelänge, den Verbrauch an Antibiotika in Deutschland radikal zu reduzieren, und selbst wenn wir unsere Abwässer in einer vierten Stufe von resistenten Keimen reinigen würden, so bleibt es dennoch eine Frage der Zeit, bis die Resistenzen aus anderen Ländern zu uns schwappen. Bei diesen astronomischen Verbrauchszahlen sind wir im europäischen Vergleich, insbesondere mit Blick auf unsere Nachbarstaaten, schließlich geradezu zurückhaltend.

Gerade in Zeiten von globalem Handel, von Freizügigkeit und Flucht aus anderen Teilen der Welt müssen wir auch die Konsequenzen in den Fokus rücken. Eine dieser Konsequenzen muss es eben sein, neue Antibiotika zu erforschen.

Dabei gibt es in der Antibiotikaforschung bislang ein klassisches Marktversagen. Ein neues Medikament zu entwickeln, ist immens teuer. Einmal erforscht, ist auch nicht mit einem Gewinn zu rechnen, da neue Antibiotika erst einmal als Reserve beiseitegelegt werden. Ein absehbarer Erfolg für die Quartalszahlen oder den Jahresbericht sind nicht zu erwarten. Für Firmen, die sich auf dem Markt behaupten müssen, ist das eine denkbar schlechte Ausgangslage.

Hier muss der Staat aushelfen. Hier muss der Parlamentarismus zeigen, dass er dazu imstande ist, die großen Probleme zu erkennen, die Parteistreitigkeiten beiseitezulegen und gemeinsam zu handeln.

(Beifall von der AfD und Alexander Langguth [fraktionslos])

Die öffentliche Hand muss im Sinne der globalen Gesundheit zur Erforschung neuer Antibiotika beitragen. Wenn Sie das globale Dorf so oft propagieren, dann setzen Sie sich doch dafür ein, dass es eine Erfolgsgeschichte wird, und zwar auch hier ganz lokal. NRW kann als gutes Beispiel vorangehen. In meinem Antrag habe ich viele Möglichkeiten dafür aufgezeigt, und ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung.

(Beifall von der AfD und Alexander Langguth [fraktionslos])

Ein letzter Aspekt: Ich weiß, es ist zu diesem Zeitpunkt unrealistisch, dass Sie einem AfD-Antrag zustimmen. Ich weiß, dass es parlamentarische Sitte ist, dass Sie der Überweisung an den Ausschuss zustimmen. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass Sie den Antrag am Ende mittragen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen das Thema „Antibiotikaresistenzen“ zumindest ein Stück weit ins Gedächtnis rufen und wieder präsent machen. Ich hoffe auch, dass Sie selber etwas entwickeln, wenn Sie der AfD bei diesem Punkt nicht zustimmen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD und Alexander Langguth [fraktionslos])

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die CDU hat Herr Kollege Hagemeier das Wort.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Bakterien gegen die gängigen Antibiotika resistent werden, sind die Krankheitsverläufe deutlich schwerer und eine große Gefahr für den Patienten. Antibiotikaresistenzen sind deshalb immer wieder ein wichtiges Thema internationaler Verhandlungen, beispielsweise bei der G20 oder auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos.

Weltweit sind Infektionskrankheiten zusammen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache. Sie werden durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten verursacht. Immer wieder zeigen Epidemien, welche Gefahr diese Erreger bringen. Seit der Entdeckung des Penicillins weiß man um die Wirkung von Antibiotika. Sie hemmen das Wachstum von Bakterien oder töten sie sogar ab.

Das Problem an der Sache ist nur, dass sich die Bakterien gegen die Antibiotika wehren können. Sie können resistent werden. Besonders gefährlich sind die sogenannten multiresistenten Keime. Ihnen können die bekannten Antibiotika kaum etwas anhaben. Die Folge sind längere und deutlich schwerere Krankheitsverläufe, die tödlich enden können.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich alle im Landtag vertretenen Parteien im Hinblick auf die Sache einig sind. Allerdings stößt Ihr Antrag bei uns nicht gerade auf großes Verständnis; denn uns entschließt sich dessen Sinnhaftigkeit nicht. Im Prinzip fordern Sie nämlich all das, was schon seit Jahren auf Landes- und Bundesebene stattfindet und was sogar die internationale Staatengemeinschaft beschäftigt.

Das Bundesforschungsministerium hat bereits 2008 gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Bundeslandwirtschaftsministerium sowie zahlreichen Verbänden die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie – kurz: DART – erarbeitet. Darauf gehen Sie in Ihrem Antrag ein, behaupten aber, das Programm weise Lücken auf. Das können wir so nicht bestätigen.

2011 wurde das Infektionsschutzgesetz verschärft. Mit InfectControl 2020 gibt es einen hochinnovativen Forschungsverbund aus Forschungsinstituten und Wirtschaftsunternehmen, der grundlegend neue Strategien zur frühzeitigen Erkennung, Eindämmung und erfolgreichen Bekämpfung von Infektionskrankheiten und resistenten Erregern entwickelt. Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung verbindet deutschlandweit herausragende Köpfe der Infektionsforschung. Weiterhin laufen momentan die Erforschung von Antibiotikaresistenzen und die Kontrolle ihrer Ausbreitung sowie die Entwicklung neuartiger Präventions- und Therapiemaßnahmen.

Wenn Sie vor der Antragstellung einen Blick auf die Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geworfen hätten, müsste ich Ihnen das jetzt nicht sagen.

Was sollte es bringen, wenn NRW versuchen würde, sich ein Fleißkärtchen abzuholen, wenn doch schon deutschland- sowie sogar europa- und weltweit mit dem gebotenen Nachdruck an der Sache gearbeitet wird?

(Beifall von der CDU)

Es ist auch nicht so, dass sich die Krankhäuser nicht in der Pflicht sehen. Jede Klinik hat einen Hygienebeauftragten, der über Vorschriften informiert und auf deren Einhaltung achtet. Zudem klärt die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen unter dem Motto „Keine Keime“ gegen multiresistente Keime auf.

Übrigens gab es mit der Kampagne „Nur wenn’s Sinn macht – Antibiotika bewusst einsetzen!“ schon 2015 eine Aktion auf nordrhein-westfälischer Ebene, die sich an Ärzte und Patienten richtete. Das sei nur noch mal am Rande bemerkt.

Auch die Weltgemeinschaft hat die Gefahr, die von multiresistenten Keimen ausgeht, erkannt. Es gilt, dieser globalen Bedrohung gemeinsam und entschlossen gegenüberzutreten, denn nur vereint können die Länder die Gefahr eindämmen. Auch deshalb waren antimikrobielle Resistenzen ein Schwerpunktthema der deutschen G7-Präsidentschaft. Die G20 haben außerdem im Juli 2017 eine internationale Forschungsinitiative zu Antibiotikaresistenzen gestartet. Damals sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka:

„Gemeinsames Handeln der G20 trägt entscheidend dazu bei, dass Forschung für drängende globale Herausforderungen geeignete Lösungen entwickeln kann und die Weltgemeinschaft zukünftig auf Gesundheitskrisen besser vorbereitet ist.“

Welchen Sinn macht es, ein gut strukturiertes Programm wie DART durch Extrainitiativen zu torpedieren? Wir brauchen keine Profilierung, sondern Teamarbeit. Wenn weiterhin alle Ebenen kollegial zusammenarbeiten, können wir zuversichtlich sein, dass eine gute Lösung gegen Antibiotikaresistenzen gefunden wird.

Die Forderung des Antrags lehnen wir ab, aber einer tiefergehenden Debatte im federführenden Ausschuss werden wir uns selbstverständlich nicht verschließen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hagemeier. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion zum ersten Mal an diesem Pult – ihre erste Rede im Hohen Hause – Frau Kollegin Weng. Bitte schön. Viel Erfolg!

Christina Weng (SPD): Herr Präsident, vielen Dank! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema ist ohne Zweifel wichtig, hochbrisant und hochkomplex. Schade nur, dass es ausgerechnet in dieser Form eingebracht wird: ein langer Text, jede Menge Copy-and-paste und für niemanden aus dem Gesundheitswesen neu oder gar erhellend.

(Helmut Seifen [AfD]: Und für uns von der AfD?)

Wir alle wissen, wie gefährlich resistente Erreger sind. Die von Ihnen lang und breit hergeleitete Problematik ist hinlänglich bekannt. Zu dem Thema „Antibiotikaresistenzen“ wird weltweit diskutiert und geforscht und es wird der Kampf gegen diese Resistenzen geführt.

Vielleicht erreichen Sie mit Ihrem Antrag ja die gewünschte mediale Aufmerksamkeit, aber Ihre Herangehensweise an dieses schwerwiegende Problem, Herr Dr. Vincentz, ist weder seriös noch professionell – übrigens genauso wenig, wie mit der Rückkehr von Pest und Cholera zu drohen.

(Christian Loose [AfD]: Das ist doch unglaublich!)

Um die Debatte auf eine sachliche Ebene zurückzuholen, stimmen wir der Überweisung an den Ausschuss natürlich gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Sven Werner Tritschler [AfD]: Ich würde mich schämen, wenn das meine erste Rede gewesen wäre!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Weng. Das war eine kurze erste Rede. Aber es gibt ja noch mehrere Möglichkeiten des Einsatzes. Herzlichen Glückwunsch jedenfalls zur ersten – kurzen – Rede hier im Landtag Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Das ist doch gut, Christina!)

Frau Schneider von der FDP-Fraktion ist die nächste Rednerin.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag erweckt den Eindruck, dass unser Land Nordrhein-Westfalen die Weltgesundheit retten müsste und auch könnte.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir diskutieren hier zwar über wichtige Probleme wie über den übermäßigen Einsatz von Antibiotika und das Auftreten multiresistenter Erreger und Infektionen in Krankenhäusern, wir sollten aber ebenso zur Kenntnis nehmen, dass diese Fragen bereits auf globaler und nationaler Ebene behandelt werden. Wir sollten diese Anstrengungen unterstützen und nicht unkoordiniert neue Initiativen starten und Panik verbreiten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit der Entdeckung des Penicillins – eigentlich ein Grund, zu feiern, denn die Entdeckung war vor 90 Jahren – und der darauf folgenden Entwicklung verschiedenster Antibiotika gelang der Medizin ein entscheidender Schritt zur Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten. Es wäre fatal, wenn diese Waffe durch das vermehrte Auftreten resistenter Erreger verloren ginge.

Der massive Einsatz von Antibiotika in den letzten Jahrzehnten hat einerseits Millionen Menschen das Leben gerettet, andererseits aber auch leider das Entstehen resistenter Bakterien gefördert. Wir reden zum Beispiel über den MRSA – den Metthicillin-resistenten Staphylococcus aureus –, über VRE – den Vancomycin-resistenten Enterococcus faecium –, über Clostridium difficile oder auch über den Pseudomonas aeruginosa.

Das sind alles spannende Namen von Bakterien, die einem Gesunden überhaupt nichts anhaben und die viele Menschen täglich an sich tragen. Gefährlich werden diese Keime in der Klinikumgebung bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem oder wenn diese Keime auf offene Wunden treffen.

Die wichtigen Gegenmaßnahmen sind uns auch bekannt. Wir alle sollten regelmäßig unsere Hände waschen – vor allem in dieser Jahreszeit –; Fachkräfte sollten vor und nach jedem Patientenkontakt die Hände desinfizieren; Patienten, die als Keimträger identifiziert sind, sollten isoliert werden; und ein verantwortungsvoller und gezielter Einsatz von Antibiotika in Human- und Tiermedizin sollte erfolgen.

(Markus Wagner [AfD]: Das ist doch schon lange bekannt!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Vincentz?

Susanne Schneider (FDP): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Frau Schneider, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich habe Sie auch im Ausschuss immer als sehr fachkundig wahrgenommen. Als ehemalige Pharmareferentin sind Sie genauso im Thema wie ich.

(Lachen von Britta Altenkamp [SPD])

Dann wissen Sie aber natürlich genauso wie ich, dass in den Leitlinien, die die WHO fordert, explizit eine regionale Beteiligung gewünscht ist.

Reden Sie NRW nicht vielleicht ein bisschen klein, wenn Sie doch über ein Land reden, dass von der Einwohnerzahl her doppelt so groß ist wie Schweden? Meinen Sie nicht, dass wir an diesem Punkt tatsächlich etwas für die Welt tun könnten? An anderer Stelle wird doch immer propagiert, dass wir das sollten.

Susanne Schneider (FDP): Herr Dr. Vincentz, zu meinen Kindern sage ich immer: Hör erst mal zu, und lass mich erst mal ausreden. Da funktioniert das; ich komme dann noch darauf.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn ich in Ihren Antrag schaue – und Sie als Mediziner unterstellen sich ja auch eine gewisse Fachkenntnis –, zeigt sich: Er ist nicht nur speziell, er enthält auch grammatikalische Unwuchten.

Unter 5. im Forderungsteil schreiben Sie: „bei Innovationen neuer Antibiotika“. – Entweder wir reden über Innovationen oder wir reden von neuen Antibiotika. Vielleicht überprüfen Sie das noch mal, sodass diese grammatikalische Unwucht rauskommt und es auch dem geneigten Leser wirklich verständlich wird.

(Zurufe von der AfD)

Jetzt will ich aber gerne fortfahren. – Also: Sie sollten sich regelmäßig die Hände waschen und diese desinfizieren. Wir brauchen einen verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Um das Bewusstsein für Hygiene zu stärken, haben wir in Nordrhein-Westfalen mit der Krankenhausgesellschaft die „Keine Keime“-Aktion auf den Weg gebracht, die eine Wanderausstellung beinhaltet, die Aufklärung der Öffentlichkeit betreibt und eine videobasierte Lernplattform zur Schulung von Beschäftigten in den Kliniken anhand der aktuellen Empfehlungen bietet.

Es gibt in unserem Land zudem bereits 32 regionale Netzwerke zur Bekämpfung multiresistenter Erreger, die beim Erkennen und Beseitigen von Anwendungshindernissen und Umsetzungsproblemen helfen. So haben wir bei MRSA seit 2007 bereits einen Rückgang von 20 % auf 16 % erreicht. Daran arbeiten wir auch weiter.

Wir haben außerdem mit dem Infektionsschutzgesetz des Bundes und den entsprechenden Hygieneverordnungen der Länder rechtliche Vorgaben, die die Verantwortlichkeiten für die Krankenhaushygiene regeln. Aktualisierte Hygienepläne, Hygienekommissionen und die bedarfsgerechte personale Ausstattung mit Krankenhaushygienikern und Hygienefachkräften sollten zum Standard werden.

Allerdings gilt es dabei auch, den Mangel an Fachärzten für Hygiene und Umweltmedizin bzw. für Mikrobiologie sowie Engpässe bei den Weiterbildungskapazitäten abzubauen. Erst wenn wir diese beseitigt haben, können wir auch vermehrt speziell fortgebildete Teams von sogenannten ABS-Experten – Antibiotic Stewardships – in den Kliniken einsetzen.

Allem übergeordnet ist die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART. Sie ist mit den Ländern abgestimmt und geht mit ihrem sowohl Human- als auch Veterinärmedizin umfassenden „One-Health“-Ansatz weiter als Ihr vorliegender Antrag. Zu DART zählt auch Forschung, und zwar von der mikrobiologischen Grundlagenforschung über Versorgungsforschung zur Vermeidung nosokomialer Infektionen bis hin zur Entwicklung neuer Antibiotika im Dialog mit der pharmazeutischen Industrie.

Eine interdisziplinäre Forschung wird durch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung koordiniert, an dem die Unikliniken Bonn und Köln – beide in NRW – maßgeblich beteiligt sind.

Sie sehen also: Es gibt eine bundesweite Strategie, die auch einen wesentlichen Beitrag für den globalen Aktionsplan der WHO darstellt.

Wir haben auch erfolgreiche Ansätze im Land. Hektischer Aktionismus und ein Alleingang des Landes wären hier nicht zielführend. Lassen Sie uns alle gemeinsam weiter daran arbeiten. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mir den Antrag angeschaut habe, habe ich gedacht: So richtig neu ist das Thema für den Landtag ja nicht. Wir haben ja eine schöne Parlamentsdatenbank, und da gibt es eine Suchfunktion. Da habe ich den Begriff „Antibiotika“ eingegeben, und man bekommt sage und schreibe 100 Treffer – 70 allein in den letzten zehn Jahren.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Ich kann Ihrem Antrag nur attestieren: Wenn Sie mal die Historie dessen betrachten, was hier im Landtag alles beraten wurde, kommen Sie damit eigentlich mindestens sechs oder sieben Jahre zu spät.

(Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Die Themen „Antibiotika“ und „MRSA-Keime“ sind wichtig; aber das wird von der Politik hier in Nordrhein-Westfalen längst thematisiert.

(Markus Wagner [AfD]: Aber es passiert nichts!)

Es wurden dazu Kleine Anfragen und Anträge gestellt,

(Zuruf von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

und es gibt natürlich dazu auch die entsprechenden Umsetzungen. Dazu haben wir schon einiges gehört – auch Frau Schneider hat dazu etwas gesagt.

Ich habe aber das Gefühl, dass Sie sich gar nicht die Mühe gemacht haben, mal zu schauen, was alles schon passiert ist. Wenn Sie zum Beispiel den Hinweis von Frau Schneider aufgenommen hätten und auf die Website von „Keine Keime“ gegangen wären, dann hätten Sie doch gesehen, was auf diesem Feld alles schon möglich ist und passiert. Von daher verstehe ich nicht so ganz, wieso Sie diesen Antrag gestellt haben.

Ich bin ja vor allem Agrarpolitiker.

(Markus Wagner [AfD]: Das merkt man!)

Wir haben das Thema auch mit Frau Schulze Föcking hin und her diskutiert. Wir haben gemeinsam die Problematik der Antibiotika in der Tierhaltung diskutiert. Diese Entwicklung müssten Sie auch wahrgenommen haben. Wir haben hier Studien zu Antibiotika in der Tierhaltung gehabt, die dokumentierten, dass da durchaus eine Menge eingesetzt wird. Wir haben uns dann gemeinsam auf den Weg gemacht und auch schon eine Reduzierung erreicht.

Auch an dieser Stelle frage ich mich dann: Wozu braucht es dann noch Ihren Antrag? – Wir sind da längst auf einem guten Weg.

Weil Sie behaupten, Politik täte ja nichts: Wir haben genau heute – wir Grüne würden sagen, man könnte da noch einen Schritt weitergehen – die Verordnung vom Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt, die besagt, dass man mit Reserveantibiotika jetzt noch restriktiver im Bereich Tiermedizin umgehen muss. Wir wünschen uns eigentlich ein Komplettverbot. Aber wir sagen: Das ist auch schon ein weiterer Schritt dahin, diese Reserveantibiotika stärker rauszunehmen. Also, der Prozess läuft. Das Bewusstsein, dass mit Antibiotika vorsichtig umzugehen ist, ist vorhanden.

(Widerspruch von der AfD)

Der Prozess, Hygienemaßnahmen in den Krankenhäusern zu verstärken, läuft.

Das heißt, alles, was Sie in Ihrem Antrag durchblättern, das Horrorszenario, was Sie von einem Vor-Penicillin-Zeitalter aufbauen, ist nicht mehr nötig, um irgendwen noch wachzurütteln. Das Bewusstsein ist bei uns allen längst vorhanden. Dazu hätte es dieses Antrags nicht bedurft.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie weisen darauf hin – das finde ich auch noch einmal wichtig –, die Forschung in Bezug auf neue Antibiotikawirkstoffe sei nicht intensiv genug, da passierte nicht genug. – Wenn Sie sich auf die Website der forschenden Pharmaunternehmer – das habe ich auch getan – begeben würden, dann hätten Sie feststellen können, dass die Forschung sehr wohl läuft, dass seit 2011 14 neue Wirkstoffe da sind und eingesetzt werden können. Dann gibt es auf der Web-site einen längeren Bericht darüber, wie viele Wirkstoffe – es waren an die 20 – in der Phase 3, in der Zulassungsphase, sind. Das heißt also, uns gehen die Wirkstoffe nicht aus.

Wenn Sie sagen, das Land bzw. Minister Laumann möge doch jetzt ein Programm zur Unterstützung der Forschung aufstellen – ich glaube, da verkennen Sie völlig die Möglichkeiten, die ein Landeshaushalt hat. Wenn die Erforschung eines Antibiotikawirkstoffs ca. 200 Millionen € kostet – was soll denn ein Land wirklich dazu beitragen? Ich denke, das ist der falsche Weg, den Sie da gehen wollen.

Mein Eindruck ist, dass Ihr Antrag uns in der Sache keinen Zentimeter weiterbringt. Aber der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute am frühen Abend zum Thema Antibiotikaresistenzen ist ohne Frage für das Gesundheitssystem eine wichtige Debatte. Sie ist nicht neu. Wir schlagen uns, seit ich politisch denken kann, mit diesem Thema herum. Wir müssen ganz offen und ehrlich zugeben, dass vieles erreicht worden ist, aber dass trotzdem die antibiotikaresistenten Keime im Gesundheitswesen zunehmen und dass die Situation ganz klar ist: Für Krankenhäuser, für viele Ärzte ist dies ein Riesenproblem in der alltäglichen medizinischen Behandlung.

Deswegen können wir natürlich nicht davon reden, dass wir – trotz aller Aktivitäten, die in den letzten Jahrzehnten, vermehrt in den letzten Jahren unternommen worden sind – am Ende des Weges sind, und wir können nicht feststellen: Das Problem ist erledigt. Es ist ein großes Problem in unseren Krankenhäusern. Und es ist auch ein Problem, das jedes Jahr Menschen in eine schwierige gesundheitliche Situation bringt. Da beißt keine Maus den Faden ab.

Der zweite Punkt, den ich hier nennen will, ist: Wenn man Erfolge erzielen will, braucht man natürlich nicht nur ein regionales Vorgehen, auch nicht nur ein nationales Vorgehen, auch nicht nur ein europäisches Vorgehen, sondern man braucht alles: ein regionales, nationales, europäisches und weltweites Vorgehen, weil natürlich die Zunahme dieser resistenten Keime auf der ganzen Welt passiert.

Dann muss man einen weiteren Punkt im Auge behalten. Es geht nicht um den Einsatz von Antibiotika alleine bei uns Menschen; es geht natürlich auch um den Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin. Man muss beides zusammendenken und in beiden Bereichen einen sehr bewussten Umgang mit diesen Medikamenten sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin fordern.

Was die Tiermedizin angeht, haben wir in den letzten zehn Jahren etwa eine Halbierung des Antibiotikaeinsatzes bei uns in Deutschland erreicht. Da ist wirklich – Gott sei Dank – eine Menge passiert. Natürlich muss man den Weg noch weiter gehen bis dahin, dass der Einsatz von Antibiotika bei Tieren eine Ultima Ratio ist. Aber man wird es am Ende auch aus Tierschutzgründen nicht verbieten können. Das ist wenigstens meine Meinung. Aber es muss die Ultima Ratio sein, denn die Übertragung dieser Problematik auch durch unsere Nahrungsmittel steht heute in der Forschung außer Frage.

Auch bei uns Menschen sollte der Einsatz von Antibiotika vielleicht nicht mehr ganz so oft passieren wie früher oft, vielleicht auch manchmal heute noch nach dem Motto: Jetzt gehe ich mit meiner Erkrankung zum Hausarzt und bitte ihn, mir doch ein Breitbandantibiotikum aufzuschreiben. – Das ist doch der Wunsch vieler Patienten, die vielleicht das Ergebnis einer Blutuntersuchung gar nicht abwarten wollen, um auf der Basis dieser Ergebnisse dann gezielter einzugreifen. Eine solche Frage muss natürlich in einer gesundheitlichen Aufklärung, die sowohl das Land wie der Bund betreibt, eine Rolle spielen, weil uns auch das Verhalten der Patienten bei der Erreichung unseres Zieles helfen kann.

Dann ist natürlich klar: Antibiotika sind heute Gott sei Dank in vielen Produkten ein sehr preiswertes Medikament. Ich sage deswegen „Gott sei Dank“, weil diese Medikamente in vielen armen Ländern dieser Erde auch nur deshalb für ihre Bevölkerung eingesetzt werden können, weil sie mittlerweile erschwinglich sind. Wir können nicht immer nur von unserer deutschen Situation ausgehen.

Und in einer solchen Situation ist es selbstverständlich auch wichtig, auch über Mechanismen zu reden und zu bedenken, dass die forschende Arzneimittelindustrie Interesse daran haben muss, in der Frage der Antibiotikaforschung weiter nachzudenken. Deswegen ist es nicht immer verkehrt, wenn man auch bei der Preisgestaltung von neuen Medikamenten mit neuen Therapiechancen berücksichtigt, dass sich für die Forschung der Weiterentwicklung der Arzneien wirtschaftlich rechnen muss. Es sind, glaube ich, heute ziemlich ausgeklügelte Systeme, mit denen wir das auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland erreicht haben.

Deswegen bleiben wir als Landesregierung meines Erachtens natürlich auch in der Verantwortung – wie es auch andere sind. Das betrifft insbesondere die Achtsamkeit und die Hygiene in den Krankenhäusern. Wir brauchen mehr Hygieneärzte in unseren Krankenhäusern. Außerdem können Besucher und Patienten in den Krankenhäusern auch ein Stück weit mitwirken, um die Übertragung von Keimen zu verhindern.

Diese Verantwortung wird das Gesundheitsministerium in den nächsten Jahren wahrnehmen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1996 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, den Wissenschaftsausschuss wie auch den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem nicht zu? – Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen. Das freut mich sehr, denn wir können schon Tagesordnungspunkt 10 aufrufen:

10 Europäische Verantwortung für Energieversorgungssicherheit annehmen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1987

Ich eröffne die Aussprache. Herr Dr. Untrieser steht schon am Pult und hat das Wort. Bitte schön.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Zum Schluss noch einmal Energie, aber etwas friedlicher. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiefrage steht am Anfang des europäischen Einigungsprozesses.

1951, gerade sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, gründeten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Hauptziel dieser sogenannten Montanunion war die Vergemeinschaftung, also die gegenseitige Kontrolle, der kriegswichtigen Güter Kohle und Stahl sowie deren Sicherstellung für den Wiederaufbau. Damit sollte der Frieden in Europa bewahrt werden. Sie ist gleichzeitig auch die Grundlage für den Handel mit diesem Energieträger, der den wirtschaftlichen Erfolg Nordrhein-Westfalens in Zusammenarbeit mit seinen westlichen Nachbarstaaten über Jahrzehnte geprägt hat.

1957 gründeten die besagten Staaten zudem die Europäische Atomgemeinschaft Euratom, die sich der Förderung, der Forschung, dem Gesundheitsschutz und der Kontrolle der Atomkraft widmete. Zugleich schuf man in den Verträgen von Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

In den letzten mehr als 60 Jahren haben sich die Institutionen zur Europäischen Union weiterentwickelt. Das Thema „Energie“ ist in Europa aber weiter relevant – zum Glück nicht mehr eine Frage von Krieg oder Frieden. Die Herausforderungen indes bleiben: Wie erreichen wir die Umwelt- und Klimaschutzziele? Wie sichern wir die Versorgungssicherheit? Wie machen wir uns unabhängiger von Importen? Wie bleibt Energie für jeden Menschen bezahlbar? Wie erhalten wir die notwendige Akzeptanz?

Darüber diskutieren wir nicht nur hier in Düsseldorf, sondern natürlich auch in Berlin, aber auch in Brüssel. In Europa wird aktuell an der Energieunion gearbeitet. Derzeit werden vier Verordnungen und vier Richtlinien diskutiert. Die Versorgungssicherheit und ein stärkerer grenzüberschreitender Handel von Strom, also die Vollendung des sogenannten Energiebinnenmarktes, sind darin angesprochen, und an diesen Diskussionen sollten wir uns beteiligen.

Die NRW-Koalition ist der Auffassung, dass wir in Nordrhein-Westfalen die besten Möglichkeiten haben, um mit unserer Lage im Herzen Europas und unseren wirtschaftlichen Voraussetzungen eine Vorreiterrolle für eine sichere und innovative Energieversorgung einzunehmen.

Aus diesem Grund haben CDU und FDP das Ziel formuliert, eine Energieversorgungsstrategie zu erarbeiten, die den wachsenden Anforderungen an die Versorgungsqualität infolge der zunehmenden Nutzung regenerativer Energiequellen, dem deutschen Atomausstieg im Jahr 2022 und dem ausreichenden Betrieb konventioneller Kraftwerke Rechnung trägt. Steigende Anforderungen an den Netzumfang und die Qualität, die Potenziale der Digitalisierung, virtuelle Kraftwerke, ein effektives Demand-Side-Management, Speicher, Power-to-X usw. müssen hierbei berücksichtigt werden.

Es ist unsere Aufgabe, das Energiemarktdesign gemeinsam mit unseren europäischen Partnern weiterzuentwickeln. Dafür notwendig sind neue Stromleitungen zwischen den Ländern, sogenannte Interkonnektoren. Die ALEGrO-Leitung zwischen Aachen und Lüttich ist hier nur der erste Schritt, auf den noch weitere folgen müssen.

Gleichzeitig ist es wichtig, die Zusammenarbeit und die Abstimmung mit unseren Nachbarländern zu intensivieren. Früher wie auch heute ist die Energieversorgung ein elementarer Punkt der europäischen Familie. Unser heutiges Ziel ist ein auf Wettbewerb basierender Binnenmarkt, auf dem gekauft, transportiert und gehandelt werden kann. Energie muss auch hier in Nordrhein-Westfalen sicher, bezahlbar, umwelt- und klimafreundlich produziert werden. Dies erreichen wir nur gemeinsam, gemeinsam mit unseren Partnern.

Ich bitte daher um Zustimmung zur Überweisung und freue mich auf die Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Untrieser. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrechnungshof hat quasi als vorgezogene Bilanz der Energiepolitik der letzten Großen Koalition bereits im Dezember 2016 kritisiert, dass die Bundesregierung es nicht geschafft hat, bei der Energiewende den Gleichklang von Umweltverträglichkeit, Sicherheit und Bezahlbarkeit zu wahren.

Im Grunde gilt das auch heute für die mögliche neue Große Koalition. In dem zur Abstimmung stehenden Koalitionsvertrag werden letztlich doch nur wieder die Umweltziele ganz konkret benannt. Da heißt es zum Beispiel: Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss deutlich erhöht werden. Man will einen Anteil von etwa 65 % erneuerbarer Energien bis 2030, kurzfristig Sonderausschreibungen bei Fotovoltaik, Onshore- und Offshore-Windenergie. Ein Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung wird erarbeitet.

Meine Damen und Herren, was völlig fehlt, sind klar definierte Kriterien für die Wirtschaftlichkeit und die Sicherheit der Energieversorgung. Stattdessen werden physikalisch-technische Grenzen sogar ignoriert. Es wird bewusst nicht gesagt, was man als zumutbar für Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger ansieht.

Meine Damen und Herren, die Energiepolitik auf Bundesebene wird außerdem nicht dem europäischen Rahmen gerecht. Vom zusammenwachsenden Energiebinnenmarkt hört man maximal in Sonntagsreden. Reales Regierungshandeln sieht unter Schwarz-Rot im Bund jedoch anders aus.

Das zeigt die Debatte über das Strommarktgesetz oder über die Abkopplung Österreichs vom deutschen Strommarkt.

(Zuruf von der AfD: Warum denn?)

Hier setzt als Gegenmodell unsere Initiative aus Nordrhein-Westfalen von CDU und FDP für eine vernunftgetriebene Energiepolitik an. Die Landesregierung wird eine Energieversorgungsstrategie erarbeiten. Die Herausforderungen sind dabei klar benannt. Die steigenden Anforderungen an die Versorgungsqualität angesichts zunehmender Einspeisung erneuerbarer Energien müssen in einer ehrlichen Bestandsaufnahme klar benannt und preismäßig beziffert werden. Eine Strategie, die Risiken für die Versorgungssicherheit in ihrer ganzen Breite identifiziert und analysiert, benötigt klare Zielgrößen – nicht nur für die Politik, sondern auch für die Energiewirtschaft, für Industrie und Mittelstand.

In einem ersten Schritt erfordert das eine umfassende Energiebedarfsanalyse von industriellen, gewerblichen und privaten Verbrauchern – auch aus anderen Sektoren, wie zum Beispiel dem öffentlichen Personennahverkehr im Verkehrsbereich.

Mit den Ergebnissen kann anschließend ermittelt werden, was für die europäische Energieversorgung der Zukunft, etwa beim Ausbau einer energiewendetauglichen Infrastruktur oder der Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen, nötig ist. Das ist der Gegensatz zu einer reinen verbots- und ideologiegetriebenen Energiepolitik.

(Zuruf von der AfD: Der blanke Hohn, was Sie da erzählen!)

Auch wenn die Strategie für NRW erarbeitet wird, sind die bundesweiten und europäischen Wechselwirkungen selbstverständlich einzubeziehen. Denn es geht eben nicht so einfach, wie manche es sich wünschen, heimische Kraftwerke abzuschalten und Auslandsstrom aus der EU zu beziehen. Denn nicht immer ist sicher, dass er hier zum passenden Zeitpunkt zur Verfügung steht, wie man gerade in Frankreich sieht, wo aktuell mindestens zehn Kernkraftwerke ausgefallen sind.

Meine Damen und Herren, die NRW-Koalition ist sich der Verantwortung Nordrhein-Westfalens für die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa bewusst und handelt mit diesem Antrag entsprechend. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP „Europäische Verantwortung für Energieversorgungssicherheit annehmen“ zählt praktisch alle interessanten Themen auf, die in diesem Kontext eine Rolle spielen. Ich nenne das mal eine Ideensammlung, der man schlecht widersprechen kann.

Wichtig ist: Wir fordern nicht die Sammlung – auch Sie nicht, davon gehe ich aus –, sondern die Strategie. Insofern vermisse ich in Ihrem Forderungskatalog, dass auch die Strategie, die von der jetzigen Landesregierung oder den Koalitionsparteien vereinbart worden ist, hier im Landtag zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt wird. Die fehlt einfach. Der Antrag ist, wie gesagt, eine Aufzählung der Rahmenbedingungen für Energieversorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimafreundlichkeit. Dem kann im Prinzip jeder nur zustimmen.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Dummes Zeug!)

Über die grenzüberschreitenden Leitungen haben wir heute Morgen gesprochen. Da geht es einfach darum, die Kooperation zwischen den einzelnen Ländern in der EU zu stärken, um hier eine energiewirtschaftliche und energiepolitische Zusammenarbeit zu ermöglichen. Heute Morgen hatte ich nicht die Gelegenheit, diesen Aspekt noch mal aufzuzeigen.

Die bisherigen Energiegespräche mit der belgischen Regierung hat die Landesregierung mit der Föderalregierung in Brüssel geführt. Ich persönlich und auch meine Fraktion sind der Meinung, dass man die Möglichkeiten ausschöpfen sollte, diesen Dialog mit den Regionen Belgiens zu führen, weil diese zusammen den Energiepakt entwickeln und es auch gesetzliche Möglichkeiten gibt, hier regional zwischen einem Bundesland und den Regionen Belgiens unterhalb der bundesgesetzlichen Ebene zusammenzuarbeiten. – Ich darf Ihnen sagen, dass wir bei unseren Gesprächen gute Signale erhalten haben.

Wir benötigen in der Tat einen Erzeugerpark, der geeignet ist, auch bei Dunkelheit und Windflaute eine verlässliche Versorgung zu gewährleisten. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die das gewünschte Ergebnis erst in ihrer Konvergenz erreicht. In dem Antrag wird keine Aussage dazu gemacht, wie wir einen solchen Erzeugermarkt absichern können.

Sie thematisieren auch den Kapazitätsmarkt – ein Thema, das uns schon lange begleitet. Aber in dem Antrag wird nicht deutlich, welche Eckpunkte Sie für einen Kapazitätsmarkt sehen. Wenn wir die Eckpunkte hätten, könnten wir uns damit auseinandersetzen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt für die Wirtschaftlichkeit des Bestandes an Kraftwerken in Nordrhein-Westfalen, insbesondere wenn ich an ein Kraftwerk wie das GuD-Kraftwerk in Hamm denke –

(Beifall von Marc Herter [SPD])

ein modernes Gaskraftwerk, das aber sicherlich untergenutzt ist.

(Marc Herter [SPD]: Das ist eine dezente Untertreibung, Herr Schultheis!)

Hier gäbe es sogar Möglichkeiten, in Europa auch unterhalb europäischer Regularien zu einer Zusammenarbeit zu kommen, um nicht genutzte Kapazitäten für die belgischen Kommunen nutzbar zu machen, die auf eine Versorgungssicherheit angewiesen sind.

Ihr Antrag ist also aus unserer Sicht ein erster Aufschlag. Wir können Ihnen nur empfehlen – wir werden das tun –: Bleiben Sie dran, dass die Landesregierung eine entsprechende Strategie vorlegt, die die einzelnen Programmpunkte in ein sinnvolles System bringt. Dann sind wir gerne bereit, mit Ihnen im Ausschuss darüber zu diskutieren und zu prüfen, ob es nicht hier und da auch eine Gemeinsamkeit geben kann. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schultheis. – Für die grüne Fraktion hat Wibke Brems das Wort.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es also um die europäische Zusammenarbeit in der Energiepolitik. Das klingt erst mal ganz gut, aber das Problem ist, dass CDU und FDP damit meinen, dass die alten fossilen Strukturen einfach mal verfestigt und die Bedingungen für erneuerbare Energien weiter erschwert werden.

Was wir aber brauchen, ist genau das Gegenteil. Wir brauchen europäische Zusammenarbeit, aber pro erneuerbare Energien, pro zukunftsfest, und nicht das Festhalten an alten Strukturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie fordern eine stärkere internationale Kooperation. Diese wollen Sie aber nur in eine Richtung: NRW soll, bitte schön, Strom exportieren, gesicherte Kraftwerksleistungen für das Ausland bereitstellen, aber NRW darf niemals importieren.

Ich muss Ihnen etwas sagen: So funktioniert Kooperation nicht. Eine Kooperation ist keine Einbahnstraße. Denn schon jetzt ist es so, dass unsere europäischen Nachbarn zum Teil über unsere massiven fossilen Überkapazitäten verärgert sind, die dafür sorgen, dass im Ausland Gaskraftwerke stillgelegt werden, dass die Preise zum Teil massiv sinken, dass es verstopfte Leitungen gibt usw. Wir müssen wirklich Überkapazitäten abbauen und dürfen Erneuerbare nicht weiter fesseln – also genau das Gegenteil von dem, was Sie hier fordern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Kollegen von CDU und FDP, in Ihrem Antrag wirbeln Sie einige Aspekte durcheinander. Als ich vorhin die beiden Kollegen von CDU und FDP gehört habe, ist mir aber klargeworden, warum das so ist: Sie sind sich noch nicht so ganz einig, wohin genau es eigentlich gehen soll. Vielleicht sollten Sie das erst einmal klären, bevor wir hier gemeinsam darüber reden müssen. Nun gut. Sie müssen daher entschuldigen, wenn auch ich in den weiteren Punkten ein bisschen hin und her springe.

Einen Aspekt fand ich sehr kurios: Sie führen aus, dass die geografische Lage Nordrhein-Westfalens prädestiniert dafür sei, für Versorgungssicherheit zu sorgen. Was das eine mit dem anderen, also mit fossilen Kraftwerken, zu tun hat, habe ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen können. Warum gilt das nicht auch für Schleswig-Holstein, warum gilt das nicht für Baden-Württemberg? Das ist wirklich eine etwas kuriose Forderung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie fordern in Ihrem Antrag freie Leistungsmärkte. – Dabei habe ich sofort gedacht: Sie wollen also schon wieder eine neue vergoldete Frührente für alte Kohlekraftwerke. Was wir brauchen, sind nicht mehr Kapazitäten, sondern mehr Flexibilität.

Sie haben aber – das ist ja das Kuriose – zum Teil schon die richtigen Stichworte im Antrag stehen. Sie sagen: Wir brauchen Lastmanagement. Wir brauchen Speicherkraftwerke. – Ich ergänze: Wir brauchen auch Gaskraftwerke. Das derzeitige Problem ist, dass der Markt nicht das belohnt, was wir technisch brauchen.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Welcher Markt?)

Wir brauchen flexible Kraftwerke und einen Markt, der genau das belohnt. Dahin müssen wir kommen. Wir dürfen nicht weiter im alten Denken verharren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte CDU und FDP, ich lese, die Versorgungssicherheit sei in der Vergangenheit als gegeben angesehen worden. Vielleicht von Ihnen, von uns nicht! In der politischen Diskussion mag es vielleicht nicht die große Rolle gespielt haben, aber in der Realität ist sie längst da. Seit 2006 gibt es eine klare Tendenz: Die Dauer der Stromausfälle in Nordrhein-Westfalen hat seit 2006 massiv abgenommen. Die Stromversorgung ist also zuverlässiger geworden,

(Beifall von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

gerade durch die Digitalisierung und nicht entgegen der Digitalisierung, wie es in Ihrem Antrag steht. Darüber hinaus ist die Stromversorgung zuverlässiger geworden, aller Unkenrufe zur Unsicherheit der erneuerbaren Energien zum Trotz.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Physikalischer Unsinn!)

Zu guter Letzt möchte ich auf Folgendes zu sprechen kommen: Die Überschrift behandelt das Thema „Energie“. Der Antrag tut es angeblich auch. Sie haben mich die ganze Zeit nur vom Strom reden hören. Auch der Antrag macht leider genau das. Geht es nun um Energie? Ist für Sie Energie nur gleich Strom?

Für uns geht es um eine breitere Aufstellung. Deswegen fänden wir es gut, wenn Sie gemeint hätten, dass das Pentalaterale Energieforum auf andere Energieträger, beispielsweise auch auf Gas, ausgeweitet würde, dass wir auch da mit den europäischen Nachbarn weiter kooperieren sollten. Das wäre sinnvoll. Eigentlich sollte es darum gehen, dass das europäische Energiesystem zukunftsfähiger gemacht wird, dass gemeinsame Erneuerbare-Energien-Projekte gestartet werden, und nicht darum, dass belgischer Atomstrom durch deutschen Braunkohlestrom ersetzt wird.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Ihr Antrag bleibt in alten, fossilen Gedanken gefangen. Sie würfeln da ein paar Forderungen zusammen. Ich glaube, wir haben noch einiges zu diskutieren. Darauf freue ich mich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Als ich den vorliegenden Antrag zum ersten Mal las, musste ich dreimal hinschauen: so viel Realitätsfremdheit, so viel physikalisch-technisches Unwissen, so viel grüner Aktionismus! Diesen intellektuellen Schiffbruch hätte ich eigentlich von den Grüninnen erwartet, nicht aber von den pseudobürgerlichen Fraktionen.

(Beifall von der AfD)

Offensichtlich sind aber die Unterschiede zwischen der Regierungskoalition und den Ökofantasten nur kosmetischer Natur, denn Sie haben in Deutschland den Strommarkt zur weltweit schlimmsten ökoreligiösen Planwirtschaft umgebaut.

(Beifall von der AfD)

Wenn Sie hier von Markt reden, dann ist das schlicht pervers. Mich schaudert es, wenn Sie in diesem Antrag von freiem Wettbewerb reden. Ein Hohn!

Die Energieversorgung wird durch gesicherte Leistungsbereitstellung und die Fähigkeit, Leistungsbedarfsschwankungen zügig auszugleichen, gesichert. Darum geht es. Idealerweise sollte die Bereitstellung nicht abreißen – wenn doch, muss die Versorgungslücke schnell geschlossen werden. Das funktioniert dann eben nicht wie bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen, wo Pi mal Daumen eine Leistung von 8 bis 10 GW einfach abgeschaltet werden kann.

Es kommt im Wesentlichen darauf an, dass die Elektronen im Netz exakt 50 Mal pro Sekunde hin und her schwingen. Dabei beträgt die Abweichungstoleranz übrigens 0,5 %. Schwingen die Elektronen zu schnell oder zu langsam, gehen unsere Endgeräte kaputt.

(Lachen von der SPD)

Und jede Differenz zwischen Leistungsbereitstellung und -entnahme verändert die Schwingungsfrequenz. Ich verstehe, dass Sie von der SPD lachen. Das ist Physik, das verstehen Sie nicht, aber es ist nun mal so.

(Beifall von der AfD)

Diese Netzfrequenz übrigens – das müssen Sie auch mal lernen – ist dem Wind- und Sonnenstrom vollkommen egal. Der Wind weht, wann er will, und die Sonne scheint nachts per Definition nicht. Das macht diesen Zufallsstrom für die technische Nutzung absolut minderwertig. Nur durch den Taktgeber der großen Schwungmassen, der einen Anteil von 40 % nicht unterschreiten kann, kann der Zufallsstrom überhaupt verarbeitet werden. Das ist die Millisekunden-Reserve, 40 %. – Herr Pinkwart, Sie sollten auch aufpassen und lernen: 40 % brauchen Sie.

(Beifall und Heiterkeit von der AfD)

Sie sind ja gut dabei. Die Leistungskurven kennen Sie schon, Herr Pinkwart. Merken Sie sich auch noch die 40 % – ich habe noch Hoffnung.

(Zurufe von der AfD, der SPD und der CDU)

Die TenneT-Bilanz von Anfang dieses Jahres zeigt, dass das Stromnetz unter der Zufallslast von volatilen Quellen eben nicht gesichert ist. Die Stabilisierung der Netze haben sich die Netzbetreiber 1 Milliarde € kosten lassen. Die Kosten zahlt ja nicht der Netzbetreiber. Das wälzt der Netzbetreiber auf die Stromkunden ab. Da Sie bei Zufallsstrom die Produktion nicht regulieren können, wollen Sie die Nachfrage reglementieren. Das nennen Sie dann euphemistisch „Demand Side Management“.

(Heiterkeit von der AfD)

Damit wollen Sie elementare Freiheitsrechte der Bürger einschränken und ihnen vorschreiben, wann sie Strom verbrauchen dürfen und wann nicht. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, dann wird halt keine Wäsche gewaschen.

(Angela Freimuth [FDP]: Die Sonne scheint immer!)

– Das ist der Freiheitsgedanke der pseudoliberalen FDP.

(Beifall von der AfD)

Sie wollen eine Stromtrasse nach Belgien bauen. Doch anscheinend ist das Ausland gar nicht so ökogläubig wie Sie; denn den Belgiern geht es um Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Deshalb war Belgien nicht im Geringsten daran interessiert, konventionelle Kraftwerke auf Dauer durch NRW-Zufallsstrom zu ersetzen. Das Ausland will keinen vertieften Anschluss an das deutsche Stromnetz. Es will nicht als billiger Müllplatz Ihres Abfallstroms herhalten. Übrigens haben die Polen und die Tschechen Phasenschieber eingebaut, weil sie auch nicht mehr zum Müllplatz deutschen Abfallstroms werden wollen.

(Beifall von der AfD)

Sie wissen dies, und das ist ja das Schlimme, meine Damen und Herren der pseudobürgerlichen Fraktionen. Das ist das Schlimme, Sie wissen dies, Sie wissen was Polen macht, Sie wissen was Tschechien macht, und dennoch verbreiten Sie in Ihrem Antrag solch einen Unsinn.

Deshalb frage ich Sie: Was ist schlimmer? Grüne Träumerinnen, die von Physik keine Ahnung haben, oder Menschen, die aus Angst vor dem medialen Ökostöckchen bewusst die Stromversorgung und die Volkswirtschaft unseres Landes ruinieren und den Bürgern Sand in die Augen streuen wollen?

(Beifall von der AfD)

Wir werden Ihren Antrag im Ausschuss mit Freude sehr kritisch begleiten. Vielleicht haben Sie bis dahin auch elementare Kenntnisse in Elektrodynamik.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart.

(Marc Herter [SPD]: Jetzt gucken wir mal, ob der Pinkwart was gelernt hat!)

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung begrüßt den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ausdrücklich, denn er bestärkt uns in unserem Handeln.

Es trifft zu, dass Nordrhein-Westfalen eine Schlüsselstellung für eine sichere Energieversorgung von Wirtschaft, Industrie und Haushalten in Deutschland und auch in Europa einnimmt. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft so bleiben kann. Dafür wird sich die Landesregierung gegenüber dem Bund einsetzen.

Bezahlbare Energiepreise und Versorgungssicherheit müssen wieder gleichrangig neben dem Klimaschutz berücksichtigt werden. In Zukunft wird Deutschland bei der Stromversorgung noch enger mit seinen Nachbarn kooperieren müssen, wofür die Landesregierung in Berlin nachdrücklich eintritt.

Der Energiebinnenmarkt darf nicht länger nur auf dem Papier stehen – Papier ist bekanntermaßen geduldig –, sondern wir müssen den Energiebinnenmarkt vielmehr mit Leben füllen. Das Pentalaterale Energieforum, das schon angesprochen worden ist, ist ein gutes Beispiel für gelebte europäische Kooperation im Energiebinnenmarkt. Hier arbeiten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Österreich und die Schweiz konstruktiv zusammen.

Die jeweiligen Regulierungsbehörden, Netzbetreiber und Strombörsen arbeiten intensiv daran, die regionale Koppelung der Märkte zu verbessern und Synergien zu erschließen. Aus Sicht der Landesregierung stehen vor allem folgende Punkte im Mittelpunkt:

Erstens. Wir wollen die Vorteile des Energiebinnenmarkts zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und für bezahlbare Energiepreise in Deutschland und Europa nutzen.

Zweitens. Dazu müssen die Strom- und Gasnetze sowie Interkonnektoren weiter ausgebaut und die Strommärkte enger verknüpft werden. Da ist unter anderem der zügige Bau der ALEGrO-Leitung zwischen Nordrhein-Westfalen und Belgien für die Landesregierung von großer Bedeutung – wir haben das heute Vormittag bereits diskutiert.

Drittens. Ein Energiebinnenmarkt kann nur funktionieren, wenn wir Versorgungssicherheit zukünftig verstärkt im europäischen Verbund betrachten. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns einfach blind auf unsere Nachbarn verlassen. Das heißt vielmehr, dass wir ein gemeinsames Verständnis für Versorgungssicherheit und eine gemeinsame verlässliche Berechnungsmethodik entwickeln. Hier stehen wir noch ganz am Anfang.

Viertens. Dies gilt auch für einen Kapazitätsmarkt, den es nach unserer Meinung zu entwickeln gilt.

Fünftens. Auch die Digitalisierung wird eine zentrale Rolle spielen. Wir benötigen intelligente Lösungen, Flexibilisierung und Speichertechnologien, um Angebot und Nachfrage besser zueinander bringen zu können.

Sechstens. Wir brauchen ein globales CO2-Regime und ein funktionierendes Marktdesign, damit wir auch zu fairen Bedingungen bei einem effizienten Umgang mit unseren Ressourcen kommen, und die Wettbewerbsgleichheit international sichern können. Ein Carbon Leakage darf es nicht geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur unter diesen Prämissen kann der Energiebinnenmarkt auch wirklich funktionieren. Die Landesregierung wird sich hierfür gegenüber dem Bund einsetzen – im Interesse von Nordrhein-Westfalen, seinen Bürgern und seinen Unternehmen. Denn eine bezahlbare, sichere und saubere Energieversorgung in Deutschland und Europa ist eine der zentralen Voraussetzungen für Wohlstand und Fortschritt in unserem Land. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Dr. Pinkwart. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

 

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1987 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung – federführend – sowie an den Ausschuss für Europa und Internationales. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisungsempfehlung zu? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall.

Damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Heute, am 1. März, ist meteorologischer Frühlingsanfang. Wenn wir uns wiedersehen – ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 21. März, 10 Uhr –, haben wir kalendarischen Frühlingsanfang. Alles Gute bis dahin. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:53 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.