Das Dokument ist auch im PDF und Word Format verfügbar.

Landtag

https://www.landtag.nrw.de/portal/Grafiken/Logos/pp_wappen.jpg

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/17

17. Wahlperiode

21.12.2017

 

17. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 21. Dezember 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 6

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 6

Änderung der Tagesordnung
Antrag 17/1436 zurückgezogen. 6

Ergänzung der Tagesordnung  
Antrag der Fraktionen von SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  6

Michael Hübner (SPD) 6

Verena Schäffer (GRÜNE) 6

Matthias Kerkhoff (CDU) 6

Henning Höne (FDP) 7

Markus Wagner (AfD) 8

Ergebnis. 8

1   Antisemitismus kompromisslos bekämpfen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1493. 8

Dr. Stefan Nacke (CDU) 8

Stephen Paul (FDP) 10

Thomas Kutschaty (SPD) 11

Verena Schäffer (GRÜNE) 12

Helmut Seifen (AfD) 14

Minister Herbert Reul 15

Ibrahim Yetim (SPD) 17

Daniel Hagemeier (CDU) 17

Helmut Seifen (AfD) 18

Ministerpräsident Armin Laschet 20

Dr. Günther Bergmann (CDU) 21

Dr. Günther Bergmann (CDU) 22

2   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2018 (Haushaltsgesetz 2018)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/800

Drucksache 17/1500
Drucksache 17/1501
Drucksache 17/1505
Drucksache 17/1507
Drucksache 17/1509
Drucksache 17/1510
Drucksache 17/1511
Drucksache 17/1513
Drucksache 17/1516

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2018 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2018 – GFG 2018) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/802

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1517. 23

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435. 23

Hinweise zum Beratungsverfahren. 23

Einzelplan 07
Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration

a) Kinder, Familie und Jugend

b) Flüchtlinge und Integration. 23

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1507. 23

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1549. 23

a) Familie, Kinder und Jugend. 23

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 23

Jens Kamieth (CDU) 24

Josefine Paul (GRÜNE) 25

Marcel Hafke (FDP) 27

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 28

Minister Dr. Joachim Stamp. 29

b) Flüchtlinge und Integration. 31

Ibrahim Yetim (SPD) 31

Heike Wermer (CDU) 33

Berivan Aymaz (GRÜNE) 34

Stefan Lenzen (FDP) 35

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 36

Minister Dr. Joachim Stamp. 37

Ergebnis zum Einzelplan 07 und zum Änderungsantrag Drucksache 17/1549 siehe
nach Abstimmung über den Einzelplan 05. 39

Einzelplan 09
Ministerium für Verkehr

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1509. 39

Änderungsantrag

der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1546. 39

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1550. 39

Carsten Löcker (SPD) 40

Klaus Voussem (CDU) 41

Arndt Klocke (GRÜNE) 42

Ulrich Reuter (FDP) 43

Nic Peter Vogel (AfD) 44

Minister Hendrik Wüst 46

Ergebnis zum Einzelplan 09 und zu den Änderungsanträgen Drucksachen 17/1546 und 17/1550 siehe nach Abstimmung über den Einzelplan 07. 47

Einzelplan 05
Ministerium für Schule und Bildung

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1505. 47

Jochen Ott (SPD) 47

Frank Rock (CDU) 48

Sigrid Beer (GRÜNE) 49

Franziska Müller-Rech (FDP) 51

Helmut Seifen (AfD) 51

Ministerin Yvonne Gebauer 52

Martina Hannen (FDP) 53

Ergebnis zum Einzelplan 05. 54

Ergebnis zum Änderungsantrag 17/1549. 54

Ergebnis zum Einzelplan 07. 54

Ergebnis zum Änderungsantrag 17/1546. 54

Ergebnis zum Änderungsantrag 17/1550. 54

Ergebnis zum Einzelplan 09. 54

Einzelplan 11
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales

a) Arbeit

b) Soziales

c) Gesundheit 54

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1511. 55

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1551. 55

a) Arbeit 55

Josef Neumann (SPD) 55

Marco Schmitz (CDU) 56

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 57

Stefan Lenzen (FDP) 59

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 60

Minister Karl-Josef Laumann. 61

b) Soziales. 62

Josef Neumann (SPD) 62

Britta Oellers (CDU) 63

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 65

Stefan Lenzen (FDP) 66

Dr. Martin Vincentz (AfD) 67

Minister Karl-Josef Laumann. 68

c) Gesundheit 69

Josef Neumann (SPD) 69

Peter Preuß (CDU) 70

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 71

Susanne Schneider (FDP) 72

Dr. Martin Vincentz (AfD) 73

Minister Karl-Josef Laumann. 74

Ergebnis. 75

Einzelplan 10
Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz

a) Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz

b) Verbraucherschutz

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1510. 75

In Verbindung mit:

Landesgartenschau in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435. 75

a) Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz. 76

In Verbindung mit:

Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435. 76

André Stinka (SPD) 76

Bianca Winkelmann (CDU) 77

Norwich Rüße (GRÜNE) 78

Markus Diekhoff (FDP) 81

Dr. Christian Blex (AfD) 82

Ministerin Christina Schulze Föcking. 83

b) Verbraucherschutz. 85

Frank Börner (SPD) 85

Rüdiger Scholz (CDU) 85

Norwich Rüße (GRÜNE) 86

Stephan Haupt (FDP) 87

Dr. Christian Blex (AfD) 88

Ministerin Christina Schulze Föcking. 88

Ergebnis zum Einzelplan 10. 89

Ergebnis zum Antrag Drucksache 17/1435. 89

Einzelplan 01
Landtag

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1501. 89

Ergebnis zum Einzelplan 01. 89

Einzelplan 13
Landesrechnungshof

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1513. 89

Ergebnis zum Einzelplan 13. 89

Einzelplan 16
Verfassungsgerichtshof

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/15116. 89

Ergebnis zum Änderungsantrag 17/1552. 90

Ergebnis zum Einzelplan 20. 90

Ergebnis zum
Gemeindefinanzierungsgesetz 2018
und zur
Änderung des Stärkungspaktgesetzes. 90

Ergebnis zum Haushaltsgesetz 2018. 90

Ergebnis zur Rücküberweisung des
Haushaltsgesetzes 2018 und des
Gemeindefinanzierungsgesetzes 2018. 90

3   Überschuldete Kommunen finanziell handlungsfähig machen! Die Landesregierung muss die Initiative für einen kommunalen Altschuldenfonds ergreifen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1440. 91

Christian Dahm (SPD) 91

Claudia Schlottmann (CDU) 92

Henning Höne (FDP) 93

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 94

Roger Beckamp (AfD) 95

Ministerin Ina Scharrenbach. 95

Ergebnis. 96

4   Atomausstieg konsequent umsetzen! Schnellstmögliche Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau

Antrag
der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1432. 97

Wibke Brems (GRÜNE) 97

Dr. Christian Untrieser (CDU) 98

Michael Hübner (SPD) 99

Dietmar Brockes (FDP) 99

Christian Loose (AfD) 100

Minister Lutz Lienenkämper 101

Wibke Brems (GRÜNE) 102

Ergebnis. 102

5   Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsdemokratisierungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1447

erste Lesung. 103

Sven Werner Tritschler (AfD) 103

Dr. Jörg Geerlings (CDU) 104

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD) 105

Angela Freimuth (FDP) 106

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 107

Minister Herbert Reul 107

Ergebnis. 108

6   Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1414

erste Lesung. 108

Minister Karl-Josef Laumann. 109

Ergebnis. 110

7   Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzte wegen des Vorwurfs der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche beenden

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1433. 110

Josefine Paul (GRÜNE) 110

Simone Wendland (CDU) 111

Anja Butschkau (SPD) 113

Susanne Schneider (FDP) 115

Dr. Martin Vincentz (AfD) 116

Marcus Pretzell (fraktionslos) 117

Minister Peter Biesenbach. 117

Josefine Paul (GRÜNE) 118

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 119

Ergebnis. 119

8   Kosten für Schutz von Weihnachtsmärkten und Volksfesten mit Absperrmaßnahmen wie Betonklötzen

Antrag
der Fraktion AfD
Drucksache 17/1446. 119

Markus Wagner (AfD) 119

Frank Boss (CDU) 121

Thomas Kutschaty (SPD) 122

Angela Freimuth (FDP) 123

Monika Düker (GRÜNE) 123

Minister Herbert Reul 124

Sven Werner Tritschler (AfD) 126

Minister Herbert Reul 126

Markus Wagner (AfD) 126

Ergebnis. 126

9   Verordnung zur Änderung der Selbstüberwachungsverordnung kommunal (SüwV-kom)

Entwurf
der Landesregierung
Vorlage 17/299

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz
Drucksache 17/1413. 127

Jürgen Berghahn (SPD)
zu Protokoll (Siehe Anlage)

Stephan Haupt (FDP)
zu Protokoll (Siehe Anlage)

Dr. Christian Blex (AfD)
zu Protokoll (Siehe Anlage)

Ergebnis. 127

Anlage  129

Zu TOP 9 – Verordnung zur Änderung der Selbstüberwachungsverordnung kommunal (SüwV-kom) – zu Protokoll gegebene Reden

Jürgen Berghahn (SPD) 129

Stephan Haupt (FDP) 129

Dr. Christian Blex (AfD) 129


Entschuldigt waren:

Minister Prof. Dr. Pinkwart

Martin Börschel (SPD)

 


Beginn: 10:05 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 17. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung hat sich ein Abgeordneter entschuldigt; sein Name wird in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiert heute Herr Alexander Vogt von der Fraktion der SPD. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen aller Kolleginnen und Kollegen!

(Allgemeiner Beifall – Beifall von der Regierungsbank)

Vor Eintritt in die Tagesordnung: Die Fraktionen von CDU und FDP haben mir mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 mitgeteilt, dass sie ihren Antrag „Aufnahme der St. Martins-Umzüge in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO – Antrag der St. Martins-Vereine unterstützen“ Drucksache 17/1436 zurückgenommen haben.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Damit entfällt der für heute ursprünglich vorgesehene Tagesordnungspunkt 3. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend nach vorne.

Meine Damen und Herren, vor wenigen Minuten habe ich von der SPD-Fraktion und der Fraktion der Grünen im Landtag einen gemeinsamen Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung der Plenarsitzung bekommen:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragen entsprechend § 20 Abs. 3 Geschäftsordnung, den beigefügten Antrag „Absage des Stahlgipfels offenbart industriepolitische Unfähigkeit der schwarz-gelben Landesregierung“ als neuen Tagesordnungspunkt 2 in die Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung aufzunehmen und nach einer Block‑II-Debatte in direkter Abstimmung zu beschließen. – Unterzeichnet haben Herr Kollege Herter und Frau Kollegin Schäffer.

Gibt es dazu Wortmeldungen? – Bitte sehr.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat haben wir heute als Fraktion der SPD und Fraktion der Grünen gemeinschaftlich beantragt, diesen Tagesordnungspunkt aufzunehmen.

Hintergrund sind die aktuellen Ereignisse um die Firmen Siemens, thyssenkrupp – Stichwort: Fusion von thyssenkrupp Steel mit Tata – und, brandneu in dieser Woche, General Electric. Wir finden, dass diese Landesregierung die industriepolitische Blockade aufgeben muss und entsprechend handeln muss.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Nicht zu handeln, kann hier keine Option sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Darüber hinaus fanden wir es sehr verwunderlich, dass die von uns beantragte Aktuelle Stunde, obwohl wir an diesen beiden Tagen Zeit hatten, abgelehnt worden ist. Heute hätten wir sicherlich die Möglichkeit gehabt, darüber zu beraten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Somit beantrage ich, wie es der Herr Landtagspräsident vorgetragen hat, nach § 20 Abs. 3 der Geschäftsordnung die Aufnahme als neuen Tagesordnungspunkt 2. Ich möchte die Debatte heute Nachmittag gerne führen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Für die Fraktion der Grünen hat sich Frau Schäffer gemeldet.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der SPD beantragen die Aufnahme eines neuen Punktes auf die heutige Tagesordnung. Aus unserer Sicht muss die Tagesordnung aufgrund der Aktualität dieses Themas ergänzt werden.

Sie wissen: Am Montag wurde der Stahlgipfel abgesagt, nachdem die IG Metall die Teilnahme aufgrund der – Zitat – „Haltung des Nichtstuns“ dieser Landesregierung absagte.

Aus unserer Sicht muss der Landtag darüber beraten, wie sich das Land in Bezug auf die Fusionsverhandlungen von thyssenkrupp und Tata Steel verhält und wie Arbeitsplätze hier in Nordrhein-Westfalen langfristig gesichert werden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Für die CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Kerkhoff das Wort.

Matthias Kerkhoff (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Tata Steel fällt mir an dieser Stelle ein, dass Ihnen offenbar der Stil fehlt,

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD und den GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das wird die Mitarbeiter freuen! – Michael Hübner [SPD]: Wir hatten ein Treffen mit den Mitarbeitern! – Zuruf von der SPD: Ihr Stil wird die Mitarbeiter freuen! – Weitere Zurufe)

dieses wichtige Thema in einem anständigen Verfahren und in einer anständigen Form zu beraten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was ist daran unanständig? – Gegenruf von der CDU: Einfach mal zuhören! – Weitere Zurufe)

Herr Kollege Hübner, Frau Schäffer, im Ältestenrat haben wir uns auf die Tagesordnung dieser Plenarsitzung verständigt,

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das sind Fake News! – Michael Hübner [SPD]: Auf die Aktuelle Stunde haben wir uns nicht verständigt! – Weitere Zurufe)

und wir haben uns darauf verständigt, an diesen beiden Plenartagen eine Aktuelle Stunde abzuhalten.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Das Präsidium hat entschieden, die Aktuelle Stunde, die nun im Anschluss folgt, zu debattieren.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nein! Der Präsident! Falsch!)

Das ist von Ihnen offenbar – das hat auch die Pressemitteilung schon gezeigt – nicht goutiert worden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie haben doch keine Ahnung!)

Das nehmen wir zur Kenntnis.

(Lachen von der SPD)

Ich halte es dennoch für schlechten Stil, eine Entscheidung des Präsidenten im Einvernehmen mit dem Präsidium auf diese Art und Weise öffentlich zu kritisieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Andreas Bialas [SPD]: Schlechter Stil ist, nicht darüber zu reden! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Missachtung einer ganzen Gruppe! – Weitere Zurufe)

Das Thema „Industriepolitik“ hat in diesem Hause

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

in den letzten Tagen und Wochen bei vielen Gelegenheiten eine große Rolle gespielt. Das wird es auch bei vielen weiteren Gelegenheiten tun.

Aber wir sehen weder die Notwendigkeit noch einen Sinn darin, heute, an diesem Tag, eine solche Debatte zu führen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Unsäglich, dass Sie keine Notwendigkeit sehen! – Guido van den Berg [SPD]: Es geht auch um Arbeitsplätze! – Weitere Zurufe)

– Hören Sie doch zu! – Wir sind uns sicher, dass diese Landesregierung und auch dieses Parlament die wichtigen industriepolitischen Themen für Nordrhein-Westfalen auch weiterhin in der notwendigen Ernsthaftigkeit diskutieren –

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

aber nicht so, an diesem Tag und in diesem Stil.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In diesem Stil, genau!)

Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Für die FDP-Fraktion erhält Herr Kollege Höne das Wort.

(Zuruf von der CDU – Gegenruf von der SPD: Das ist einfach dumm! – Zuruf von der AfD: Was für ein Stil! – Weitere Zurufe)

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn von der AfD nach Stil gerufen wird, muss wirklich bald Weihnachten sein.

(Zuruf von Nic Peter Vogel [AfD])

Wer im Glashaus sitzt, Herr Kollege, sollte nun wahrlich nicht mit Steinen werfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Aktuelle Stunden in diesem Haus zugelassen werden und wie darüber entschieden wird, hat sich seit Mai 2017 in keiner Weise verändert.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Die Wahrheit ist – auch wenn es schwerfällt, das zu akzeptieren –, dass Sie, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD, den internen Führungsstreit nach außen tragen

(Zuruf von der SPD: Was soll das denn?)

und versuchen, durch eine solche Geschäftsordnungsdebatte nach außen eine neue Geschlossenheit bei Ihnen darzustellen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lachen von der SPD – Zurufe von der SPD: Peinlich, peinlich! – Unverschämtheit!)

Von der Partei, die mit Garrelt Duin einen Wirtschaftsminister gestellt hat, der noch nicht einmal ein Flohmarktgesetz beim Koalitionspartner durchsetzen konnte, brauchen wir keine Nachhilfe in Sachen Wirtschaftspolitik.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Landesregierung ist im Gespräch und wird im Gespräch bleiben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Was Sie sagen, tut weh! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Ich weiß, dass das wehtut. – Unabhängig davon, ob einzelne Akteure das jetzt politisch motiviert boykottieren oder nicht, bleiben wir hart

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja, bleiben Sie hart! – Weitere Zurufe und Gegenrufe)

und setzen uns weiter aktiv für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen ein – ohne diese Debatte.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Für die AfD hat Herr Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Natürlich wissen wir, wie wichtig gerade den Grünen die Industriepolitik und insbesondere die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen sind.

(Beifall von der AfD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Daher wissen wir um Ihre Aufrichtigkeit, was diese Ergänzung der Tagesordnung angeht.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Meine Damen und Herren, aber auch wir wissen, was es bedeutet, wenn eigene Anträge auf eine Aktuelle Stunde durch andere Anträge im Präsidium überstimmt werden.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Ich sage Ihnen noch eines: Das Thema, um das es an dieser Stelle geht, ist viel zu wichtig, um Ihrer hier betriebenen Effekthascherei zum Opfer zu fallen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann lasse ich über diesen Antrag der SPD und der Grünen abstimmen. Wer für die entsprechende Ergänzung der Tagesordnung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD und Grüne. Wer ist dagegen? – Das sind CDU, FDP und AfD sowie die fraktionslosen Abgeordneten.

(Zurufe von der SPD: Rechts-rechts! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Mitte-ganz-rechts!)

Der Antrag ist damit abgelehnt.

(Unruhe – Glocke)

Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die heutige Tagesordnung ein.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Die Mehrheit steht! Mitte-ganz-rechts! – Anhaltende Unruhe)

– Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich rufe auf:

1   Antisemitismus kompromisslos bekämpfen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1493

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 gemäß § 95 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktionen für die CDU Herrn Dr. Nacke das Wort.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Es hat bezüglich der Beantragung dieser Aktuellen Stunde Irritationen gegeben. Das heute zu behandelnde Thema ist eines, das die demokratischen Parteien immer gemeinsam getragen haben. Aus aktuellem Anlass wollen wir dem Parlament die Gelegenheit geben, diese Gemeinsamkeit heute erneut zu demonstrieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Anlass dieser Aktuellen Stunde ist das erneute Erleben eines offen ausgeübten Antisemitismus in deutschen Städten. Das erfüllt mich mit Scham und Wut. Zugleich bin ich aber stolz auf die Qualität unseres politischen Systems, das im Sinne einer wehrhaften Demokratie einen konstruktiven Umgang damit ermöglicht.

Erlauben Sie mir eine zweite persönliche Vorbemerkung. Ich habe in den 1990er-Jahren Theologie studiert. Vor Augen steht mir besonders die schlichte Einsicht von Johannes Paul II., die Juden seien unsere älteren Geschwister. Damit setzte der Papst einen eindrücklichen Kontrapunkt zu einer langen Geschichte des christlichen Antisemitismus.

Geprägt hat mich die Auseinandersetzung mit der politischen Theologie des Münsteraner Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz. Er entwickelt dezidiert eine Theologie nach Ausschwitz und fragt, wie es möglich ist, dass Christen, die Konzentrationslager im Rücken haben, beten können. Bei Metz war zu lernen, dass Glaube nicht vom Weltgeschehen isoliert funktioniert und Religion nicht eine private, sondern eine öffentlich relevante, eine soziale und eine politische Angelegenheit ist.

Meine Damen und Herren, die amerikanische Ankündigung, die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen, wirkte provokativ und löste weltweit, auch in Deutschland, Proteste aus. Ein Déjà-vu von Bildern, die wir sonst nur aus der Berichterstattung des Nahostkonflikts kennen, zeigt auch in deutschen Städten Verbrennungen von Israel-Flaggen und Davidsternen.

Wir haben uns darauf einzustellen, dass in der einen Weltgesellschaft die regionalen Konflikte unmittelbare globale Dimensionen haben. Manche fragen sich, ob es durch die Anwesenheit vieler aus dem Nahen Osten Geflüchteter auch einen Import des Nahostkonflikts nach Deutschland gegeben habe.

Interessant ist hierzu die anderslautende Einschätzung des Geschäftsführers der Jüdischen Gemeinde dieser Stadt Düsseldorf, dass die neu zu uns Gekommenen immer noch damit beschäftigt seien, einen Platz zu finden und sich zu integrieren, und die Protestaktionen eher von muslimischen Gemeinden ausgingen, die vorher schon da waren und sich jetzt bestärkt fühlten.

Unbestreitbar ist aber die Angst jüdischer Mitbürger, die sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, die um ihr Leben fürchten. Ich finde es eine Schande, dass jüdische Institutionen heute immer noch nicht ohne Polizeischutz bestehen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin entsetzt, wenn jüdische Schüler in öffentlichen Schulen von ihren Mitschülern beleidigt, gemobbt oder sogar tätlich angegriffen werden. Es macht mich fassungslos, wenn öffentliche Chanukka-Feiern wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden müssen, wie das jüngst in Mülheim geschehen ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der im April dieses Jahres vorgestellte und im Deutschen Bundestag debattierte Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus betont zu Recht den in der politischen Kultur der Bundesrepublik vorherrschenden Grundkonsens eines Anti-Antisemitismus. Dabei werden alle Einstellungen und Verhaltensweisen geächtet, die als jüdisch wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Einstellungen unterstellen. Es gehört zur geübten politischen Kultur der Bundesrepublik, die Feindschaft gegen Juden als Juden zu ächten – gleich, mit welcher Motivation sie vorgebracht wird; seien es religiöse, soziale, politische, nationale oder rassistische Argumentationen.

Dennoch ist Antisemitismus – so stellen wir aktuell wieder fest – leider eine vielschichtige Realität auch in Deutschland. Es gibt Verschwörungstheorien, Täter-Opfer-Umkehrung sowie einen israelbezogenen antizionistischen Antisemitismus.

Als mögliche Erklärungsmodelle für antisemitische Einstellungen listet der genannte Bericht auf: gefühlte Benachteiligung, das Gefühl politischer Machtlosigkeit, allgemeine Orientierungslosigkeit, ein auf bloße Nützlichkeit gerichtetes Menschenbild, autoritäre Persönlichkeitsstrukturen sowie das Streben nach sozialer Dominanz.

Hauptquelle für den islamischen Antisemitismus sei neben Antiamerikanismus und Verschwörungstheorien der Nahostkonflikt – so der Bericht des Expertenkreises. Hier wird auch ein politischer Missbrauch von Religion aufgezeigt, wenn festgestellt wird, dass der Koran zunehmend antijüdisch ausgelegt werde, um den Kampf gegen Israel ideologisch zu unterfüttern. Darüber hinaus sei auffällig, dass bei Katholiken und Protestanten die Religiosität keine Rolle spiele, während bei Muslimen das Ausmaß antisemitischer Einstellungen mit dem Grad der Religiosität ansteige.

Wir müssen den muslimischen Antisemitismus weiter beobachten und verstärkt Präventionsanstrengungen unternehmen. Gleichzeitig sollten aber auch Diskriminierungserfahrungen durch antimuslimischen Rassismus in den Blick genommen werden – und dies, ohne den extremistischen Antisemitismus und den Antisemitismus aus einer vermeintlichen politischen Mitte zu vernachlässigen.

Meine Damen und Herren, festzuhalten ist, dass zur Staatsräson in Deutschland unbedingt die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürger gehört –

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der AfD)

genauso wie die Sicherheit des Staates Israel.

Bei ihrer Rede in der Knesset zum 60. Jahrestag der Gründung Israels betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel unsere Solidarität mit Israel – und, dass Deutschland entschieden für die Vision von zwei Staaten für das jüdische Volk in Israel und für das palästinensische Volk in Palästina in sicheren Grenzen und in Frieden eintrete.

Für unsere politische Kultur ist es beschämend, dass manche Kreise nicht in der Lage sind – oder es nicht wollen –, sich von revisionistischen Äußerungen zu distanzieren wie, es brauche eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad oder die Deutschen seien das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande ins Herz der Hauptstadt gepflanzt habe.

Spätestens der Historikerstreit Ende der 1980er-Jahre hat für die Bundesrepublik die Singularität von Auschwitz verdeutlicht. Der Holocaust ist und bleibt für uns nicht relativierbar. Aufgrund unserer Geschichte gehört eine entsprechende Erinnerungskultur zur Staatsräson –

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

sowie eine besondere Verantwortung, gegen den Antisemitismus vorzugehen und für die Würde und die Rechte aller Menschen einzutreten. Ich empfinde dies auch nicht als Schwäche, sondern als normalen Teil moralischer und historischer Aufgeklärtheit.

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Dr. Stefan Nacke (CDU): Ich könnte jetzt noch viel weiter ausführen. Meine Redezeit neigt sich aber dem Ende zu. Deshalb weise ich nur noch darauf hin, dass wir Prävention insbesondere auf Landesebene im Bereich der politischen Bildung und der Erwachsenenbildung machen können und dass diese Debatte eine gute Gelegenheit ist, uns gemeinsam zu einem Wertekonsens zu bekennen, nämlich gegen den Antisemitismus in Deutschland und für eine demokratische und pluralistische Kultur. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die FDP darf ich dem Abgeordneten Herrn Paul das Wort erteilen.

Stephen Paul (FDP): Guten Morgen! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutschlandfunk kommentierte vor wenigen Tagen, als einmal mehr Bilder von brennenden israelischen Flaggen und anderen Hassbotschaften die Nachrichten bestimmten – ich zitiere –: „An Judenhass dürfen wir uns einfach nicht gewöhnen.“

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir dürfen uns nicht nur nicht daran gewöhnen; wir alle müssen Antisemitismus aktiv bekämpfen.

(Allgemeiner Beifall)

Denn Bilder und Vorfälle dieser Art, aber auch immer wiederkehrende Gewalttaten etwa gegen Menschen, die ihren jüdischen Glauben in unseren Städten offen zeigen, oder grassierende antisemitische Ausfälle im Internet, von denen nicht nur der „SPIEGEL ONLINE“-Kolumnist Sascha Lobo jüngst berichtete, sind in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland leider an der Tagesordnung. Für uns als Gesellschaft ist das beschämend; da sind wir uns alle einig.

Die Absage der Chanukka-Feier in Mülheim an der Ruhr aufgrund von Sicherheitsbedenken ist vor diesem Hintergrund zu meinem großen Bedauern keine Ausnahmeerscheinung. Das Eingeständnis, dass Menschen aller Kulturen und Religionen gerade einmal 30 km von den Türen unseres Landtages entfernt nicht zusammenkommen können, um gemeinsam und friedfertig ein Fest zu begehen, zeigt doch: Wir müssen uns mit den Hintergründen, den Ausprägungen und der notwendigen Bekämpfung von Antisemitismus auch als Landtag sehr intensiv beschäftigen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deshalb halten wir es für sehr wichtig und begrüßenswert, dass heute diese Aktuelle Stunde stattfinden kann.

Wir setzen damit als Landtag Nordrhein-Westfalen nicht zuletzt auch ein Zeichen für alle Menschen jüdischen Glaubens, für ihre Freunde, für ihre Familien, für alle Menschen, die friedfertig, tolerant und freiheitlich miteinander leben wollen.

Wir setzen damit auch ein Zeichen des Zusammenhalts unserer Gesellschaft. Denn uns allen ist bewusst: Jüdisches Leben ist und bleibt Teil unserer deutschen Kultur, unserer Geschichte, unserer Gesellschaft. Wir lassen uns durch hasserfüllte Antisemiten nicht spalten.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Antisemitismus kommt in zahlreichen Erscheinungsformen daher. Er muss auch in all diesen Erscheinungsformen bekämpft werden. Wir stehen deshalb fortgesetzt vor Herausforderungen beim Kampf gegen Links- und Rechtsextremismus. Denn antisemitischer Menschenhass wird an den linken und an den rechten politischen Rändern gleichermaßen gepflegt.

(Vereinzelt Beifall)

Wir stehen fortgesetzt vor Herausforderungen beim Kampf gegen kleinkarierte Amateurhistoriker, die mit Debatten über einen Schlussstrich unter das monströse Verbrechen an der gesamten Menschheit namens Holocaust ihre eigene unbedeutende Existenz aufwerten wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich spreche vom Massenmord an den Juden Europas.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Wir stehen fortgesetzt – auch das gehört zur Wahrheit – vor Herausforderungen bei der Integration von Menschen, die in muslimischen Gesellschaften sozialisiert worden sind, die Antisemitismus und Hass auf alles Jüdische von klein auf antrainiert bekommen haben.

Diese Herausforderungen erfordern eine breit aufgestellte Herangehensweise. Wie so häufig liegt der Schlüssel in der Bildung. Dass die NRW-Koalition in dem Bereich einen klaren und erkennbaren Schwerpunkt legt und weiter legen wird, ist deshalb auch vor diesem Hintergrund genau richtig. Wir müssen außerdem die jüdischen Gemeinden und ihre Zusammenschlüsse weiter unterstützen und stärken.

Aber klar ist auch: Prävention und Solidarität allein werden leider nicht ausreichen. Das zeigen die Bilder der vergangenen Wochen. Auf Hass, Schikane, Gewalt oder eine Einschränkung jüdischen Lebens muss auch mit aller Härte und Konsequenz unseres Rechtsstaates reagiert werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn wir dürfen nicht akzeptieren, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland wieder in Angst leben müssen.

Viele wichtige Schritte hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen bereits unternommen oder eingeleitet: von einer höheren Prioritätensetzung für unsere Schulen über Verstärkungen bei der politischen Bildungsarbeit bis zur größeren Unterstützung der jüdischen Gemeinden durch das Land. Wir müssen und werden nicht zuletzt diese Aktuelle Stunde zum Anlass nehmen, über weitere erforderliche Maßnahmen zu diskutieren.

Meine Damen und Herren, gestern ist das jüdische Lichterfest 2017 zu Ende gegangen. Heute setzen wir mit dieser Aktuellen Stunde ein Zeichen der Verbundenheit und des Zusammenhalts. Jüdisches Leben, jüdische Kultur und die jüdische Religion sind ein Teil unserer Geschichte, unserer Tradition und unserer deutschen Kultur. Setzen wir alles dafür in Bewegung, dass das auch so bleibt.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt der Abgeordnete Kutschaty das Wort.

Thomas Kutschaty (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun“, so schrieb der Staatsphilosoph und Politiker Edmund Burke. Deshalb ist es gut, es ist richtig und wichtig, dass wir uns heute ganz entschieden gegen Fremdenhass, gegen Antisemitismus und für ein friedliches und menschliches Miteinander aussprechen.

Erlauben Sie mir jedoch einen Hinweis: Noch besser wäre es gewesen, wenn die Antragsteller, wie bei diesem Thema üblich, etwas früher das Gespräch gesucht hätten. Wir hätten dann vielleicht die Chance für eine gemeinsame Resolution gehabt, um hier ein noch deutlicheres Zeichen zu setzen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Gute darf nie wieder schweigen in Deutschland. Nie wieder dürfen Hass und Zwietracht unsere Gesellschaft entzweien. Die Bilder von brennenden israelischen Fahnen in unserem Land, von hasserfüllten Parolen gegen Juden und von plumper Gewalt haben uns betroffen gemacht, haben uns an dunkle Kapitel unserer Geschichte erinnert, haben uns fassungslos zurückgelassen.

Antisemitismus in unserem Land ist viel älter als der Nationalsozialismus, und er hat diesen ganz offensichtlich auch überlebt. Lange Zeit hat er eher unauffällig am Boden geschwelt, um immer wieder mit aller Stärke auszubrechen. Fremdenfeindlichkeit, Aggressivität, Gewaltbereitschaft, Hetze und Propaganda, ja sogar offener Antisemitismus sind unübersehbar gestiegen.

Was hier besonders alarmierend ist: Wir reden nicht mehr ausschließlich über Gruppen am Rand der Gesellschaft, sondern es geht teilweise auch schon bis mitten in unsere Gesellschaft hinein.

Wenn Menschen anderen Glaubens in unserem Land wieder Angst haben müssen, wenn das Wort „Jude“ auf den Schulhöfen wieder ein Schimpfwort geworden ist, dann ist es Zeit, aufzustehen, Farbe zu bekennen und die geistigen Brandstifter deutlich zu benennen und zu entzaubern.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das gilt übrigens auch für andere Übergriffe – auf Frauen, auf Geflüchtete, auf Politiker, auf Fremde und Andersdenkende. Menschen, die in unserem Land, in unserer Gesellschaft in Frieden leben wollen, müssen sich sicher und willkommen fühlen können und dürfen.

Dass die aktuellen Ereignisse mit dem jüdischen Chanukka-Fest und dem Beginn des Festjahres zum 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels einhergehen, ist nur die traurige Spitze. Hier sage ich: Wehret den Anfängen! An Hass gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger dürfen wir uns nicht gewöhnen. Für Antisemitismus ist kein Platz im 21. Jahrhundert, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Natürlich ist der Umgang mit Mitmenschen jüdischen Glaubens immer auch ein Spiegelbild für den Umgang mit unserer Geschichte. Aber Antisemitismus können wir nicht nur auf den Straßen sehen; wir müssen auch einen Blick auf das Internet richten. Der digitale Judenhass ist seit Langem weit verbreitet, sei es in Form kruder Verschwörungstheorien oder offenen Fremdenhasses.

Weit verbreitet ist mittlerweile auch der sogenannte sekundäre Antisemitismus, eine Art Erinnerungsabwehr gegenüber der Shoah, eine Verharmlosung und Banalisierung des Holocaust, die dessen Dimension entwirklicht. Auch hiergegen müssen wir entschieden vorgehen. Der Holocaust darf nicht relativiert werden. Das sind wir unseren jüdischen Freundinnen und Freunden, aber auch unserer Geschichte schuldig.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Geistige Brandstifter sind leider auch wieder in den Parlamenten unseres Landes zu finden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Wer in der heutigen Zeit Hass gegen vermeintlich andere befeuert, wer das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als Denkmal der Schande bezeichnet, wer mit Bewegungen wie Pegida, die mit Galgen für die Bundeskanzlerin und den Außenminister aufmarschieren, sympathisiert, wer an Grenzen auf unschuldige Kinder, Frauen und Familien schießen will, der hat den demokratischen Konsens der anständigen Politiker verlassen.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Im Angesicht dieser Ereignisse dürfen Demokraten verschiedener politischer Couleur nicht darüber nachdenken, was sie trennt. Wir sollten vielmehr hervorheben, was uns eint, nämlich der Glaube an unseren Staat, in dem alle Menschen in Freiheit, Sicherheit und Frieden miteinander leben können.

Deutschland – und in besonderem Maße Nordrhein-Westfalen – hat sich auf den nicht immer leichten Weg der Annäherung an Israel begeben. Es ist teils ein steiniger Weg, der auch nicht immer frei von Rückschlägen war. Namen wie Johannes Rau sind untrennbar mit der Aussöhnung verbunden. So werden wir unserer geschichtlichen Verantwortung gerecht.

Es gibt in Nordrhein-Westfalen mittlerweile wieder zahlreiche jüdische Gemeinden mit rund 28.000 Mitgliedern. Das Land unterstützt diese Gemeinden bei der Bewältigung ihrer Aufgaben in der Tradition des Judentums. Jüdische Gemeinden sind zu einem festen Bestandteil im täglichen Leben unseres Landes geworden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit von Generationen, die sich gegen alle Widrigkeiten die Hand gereicht haben. Das lassen wir uns nicht kaputt machen.

Das heißt jedoch nicht – auch das will ich ganz ausdrücklich betonen –, dass man keine Kritik an der Politik Israels oder an Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten üben darf. Auch das gehört zu einer Freundschaft, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir können aber auch nicht leugnen, dass wir in bewegten Zeiten leben. Viele Errungenschaften unserer Gesellschaft werden infrage gestellt. Das ist auch eine Folge davon, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht mehr mitgenommen fühlen, die sich einen Kompass an die Hand wünschen, die sich abgehängt fühlen. Um diese Menschen müssen wir uns wieder vermehrt kümmern.

Aber die Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit sind doch wahrlich nicht im völkischen Gedankengut zu finden. Die Lehre aus zwei Weltkriegen kann kein Zurück sein, sondern muss „nie wieder“ heißen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich ganz klar in Richtung des so oft gescholtenen Europas sagen: Eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union sind Jahrzehnte des Friedens. Eine der großen Errungenschaften ist, dass meine Generation und die Generation meiner Kinder Krieg nie am eigenen Leib erdulden mussten.

Unterstützung verdient in diesem Zusammenhang die Initiative von Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière, einen Antisemitismusbeauftragten zu benennen. Dieser Beauftragte soll insbesondere die existierenden Maßnahmen gegen Judenfeindlichkeit koordinieren. Vielleicht könnten wir diese Idee auch gemeinsam für Nordrhein-Westfalen aufgreifen.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich ergänzen: Die beste Prävention gegen Antisemitismus ist immer noch ein gutes Bildungssystem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im Namen der demokratischen Parteien heute aus dem Hohen Hause hier ein klares Signal nach außen senden. Lassen Sie uns zeigen, dass wir Demokraten bei diesem Thema Seite an Seite stehen. Lassen Sie uns ein klares Signal der Solidarität und der Freundschaft an unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen Republik senden. Lassen Sie uns dieses Signal gemeinsam mit politischen Maßnahmen füllen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kutschaty. – Für die Grünen hat nun Frau Schäffer das Wort.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern war der letzte Abend des achttägigen Chanukka-Festes. Auch hier im Landtag wurde auf Einladung des Präsidenten die Entzündung der dritten Kerze der Chanukkia, des acht- bzw. neunarmigen Leuchters, gefeiert.

Chanukka ist eigentlich ein freudiges Ereignis im Judentum; denn die Jüdinnen und Juden feiern mit dem Chanukka-Fest den Sieg der Makkabäer und die Wiedereinweihung des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 164 vor Christus.

Aber Chanukka steht auch noch für etwas anderes. Chanukka ist auch das Symbol für ein lebendiges jüdisches Leben, das trotz Verfolgung und Pogrom seit der Antike über die furchtbare Vernichtungspolitik in der NS-Zeit bis hin zu aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus immer wieder neu aufgebaut wurde.

Ich und wir – ich denke, ich darf das so sagen – sind froh, dass Nordrhein-Westfalen heute wieder Heimat von vielen Jüdinnen und Juden ist.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

In diesem Jahr fanden die öffentlichen Chanukka-Feierlichkeiten unter einem ganz besonderen Schutz statt. Ähnlich wie im Jahr 2014 während des Gaza-Kriegs erleben wir derzeit wieder einen offenen Antisemitismus einiger Menschen palästinensischen und arabischen Hintergrunds bei Protesten hier in Deutschland. Es ist bedauerlich, es ist aber auch verständlich, dass die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim ihre öffentliche Chanukka-Feier aus Sicherheitsbedenken abgesagt hat.

Ich will aber auch deutlich machen, dass ich hohes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen habe. Die Sicherheitsbehörden – die Polizei und der Verfassungsschutz – tun alles dafür, dass die Einrichtungen und Feierlichkeiten der jüdischen Gemeinden geschützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Bei antisemitischer Gewalt in Nordrhein-Westfalen in den letzten 20 Jahren denke ich ganz besonders an zwei Ereignisse: Einmal denke ich an den Brandanschlag von drei jungen Männern mit palästinensischem Hintergrund auf die Synagoge in Wuppertal in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 2014. Ich denke aber auch an den Anschlag auf Menschen jüdischen Glaubens in Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000. Dabei wurden zehn Menschen verletzt, und ein ungeborenes Kind wurde getötet. Vor zwei Wochen erst wurde Anklage gegen den mutmaßlichen Täter, einen Neonazi, erhoben.

Diese beiden Beispiele machen sehr deutlich, dass der Antisemitismus in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen und aus den unterschiedlichsten politischen Motiven auftritt.

Es gibt den Antisemitismus unter einigen Menschen mit arabischem oder palästinensischem Hintergrund, der auch im Kontext des Nahostkonflikts zu sehen, aber nicht zu rechtfertigen ist.

Es gibt den Antisemitismus als Kernbestandteil des Rechtsextremismus, auch wenn manche rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien vorgeben, sich davon zu distanzieren, um im selben Atemzug gegen Musliminnen und Muslime zu hetzen.

Es gibt antisemitische Vorurteile, die mal offen und mal versteckt, zum Beispiel als Israel-bezogener Antisemitismus, in weiten Teilen der Bevölkerung – auch in linken Milieus – zutage treten.

Gegen alle Formen dieses Antisemitismus müssen wir vorgehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Aber mir ist auch wichtig: Die Berichte von Menschen jüdischen Glaubens machen deutlich, dass es nicht nur die Spitzen antisemitischer Gewalt sind. Was ihnen und auch mir Sorge bereitet, ist die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden, die es im Alltag gibt und die zunimmt. Jüdische Schülerinnen und Schüler berichten davon, dass sie Mobbing und Beschimpfungen auf dem Schulhof ausgesetzt sind.

Genau diese Erfahrungen waren ja der Anlass für die jüdische Gemeinde in Düsseldorf, vor einigen Wochen die Antidiskriminierungsstelle SABRA zu eröffnen. Diese Stelle berät in Fällen von Rassismus und Antisemitismus. Allein dass es die Notwendigkeit gibt, eine solche Stelle einzurichten, zeigt schon, wie groß der Bedarf ist. Das ist beschämend und ein Zustand, den wir nicht hinnehmen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Um einmal vom Floskelhaften wegzukommen: Was heißt das konkret für die Politik? Das heißt, dass wir die Auseinandersetzung brauchen, die Diskussion über antisemitische, über rassistische Vorurteile und Einstellungen. Wir brauchen den Dialog zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.

Dafür gibt es Beispiele, wie seit einigen Jahren das Abrahamische Forum des Interkulturellen Rates. Es gab hier in Düsseldorf das wirklich tolle Projekt „Ibrahim trifft Abraham“ für jüdische, muslimische und christliche Jugendliche. Im nächsten Jahr soll zum 18. Mal das Abrahamsfest von christlichen, muslimischen und jüdischen Akteuren aus Marl und Recklinghausen mit vielen Veranstaltungen gefeiert werden.

Wir brauchen auch mehr niedrigschwellige Angebote. Dafür gibt es Vorbilder, zum Beispiel die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, die sehr niedrigschwellig tätig ist und mit den muslimischen Communities zusammenarbeitet. Wir brauchen genau diese Einbindung der muslimischen Akteure.

Ich habe die Schülerinnen und Schüler angesprochen. Natürlich müssen wir auch die Lehrerinnen und Lehrer im Umgang mit Fällen von Diskriminierung, von Antisemitismus in der Schule stärken, damit sie angemessen reagieren können.

Auch müssen wir einmal hinterfragen, inwiefern die Polizeiliche Kriminalstatistik, also die Erfassung von antisemitischen Straftaten, eigentlich vollständig ist; denn wenn man sich die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik ansieht, stellt man fest, die Zahlen sind auf einem gleichbleibenden Niveau. Sie steigen leicht an, aber wir haben keine große Kurve. Insofern gehe ich davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Dann müssen wir diese Dunkelziffer doch aufarbeiten und schauen, was eigentlich dahintersteckt. Was erfassen und sehen wir nicht, das aber vorhanden ist?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Wichtig ist auch – vielleicht ist das sogar das Wichtigste –, dass wir verantwortlich mit dem Thema und differenziert mit dem Phänomen umgehen, dass wir ganz klar Probleme benennen, aber Minderheiten nicht gegeneinander ausspielen und nicht von einem importierten Antisemitismus sprechen, weil das Negieren würde, dass Antisemitismus und Judenhass seit Jahrhunderten in Deutschland verankert sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Das sage ich auch mit Blick auf eine Fraktion, die gleich nach mir noch reden wird, eine Fraktion, die in diesem Parlament ist, in deren Partei Holocaustverharmloser und Wehrmachtsverehrer in höchste Ämter gewählt werden. Uns Demokratinnen und Demokraten eint doch eines: Wir sehen jüdisches Leben als festen Bestandteil unserer vielfältigen Gesellschaft an und verurteilen jegliche Form von Antisemitismus. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Markus Wagner [AfD]: Lippenbekenntnisse!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Kollegin Schäffer. – Für die AfD hat Herr Seifen das Wort. Bitte.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Schäffer, ich wollte Sie fast wegen Ihrer Rede loben, aber sie zeigt das, was auch ein Teil der Reden Ihrer Vorredner gezeigt hat: Sie sprechen ein ernsthaftes, ein sehr schwerwiegendes Problem an, das uns auf der Seele lastet, aber ich glaube, dass Sie, so wie der eine oder andere hier im Hause, Scheu davor haben, die wahren Ursachen zu benennen.

Dann suchen Sie sich wiederum irgendwelche Sündenböcke, von denen Sie glauben, dass sie in der Öffentlichkeit gut als Sündenbock herhalten können. Nur ist die Sache viel zu ernst, als dass man die Geschehnisse auf unseren Straßen und Schulhöfen dazu benutzen sollte, politisches Kapital daraus zu schlagen. Wenn das so gewollt wäre, wäre das sehr schäbig gegenüber dem Leid, das aus unserem Land heraus Millionen von Menschen zugefügt worden ist.

(Beifall von der AfD)

Fällt in Deutschland der Begriff „Antisemitismus“, dann schrillen zu Recht die Alarmglocken, denken wir doch unverzüglich an die fürchterlichen Massenverbrechen, die zwischen 1933 und 1945 von Deutschen und im Namen Deutschlands an den Juden in Deutschland und in den von Deutschland eroberten Staaten verübt worden sind.

Wer hat nicht die schrecklichen Bilder vor Augen, die in Dokumentationen oder Spielfilmen das Grauen zeigen, das Menschen anderen Menschen angetan haben, die Hetzreden von Nazigrößen, die Ausgaben des „Stürmer“ mit ihren diffamierenden Karikaturen und Schmähartikeln, die Bilder der zusammengetriebenen Juden, ihr Transport in Güterwaggons, die Selektion an der Bahnrampe und dann die Leichenberge in den Vernichtungslagern, die uns zum Teil durch das Bildmaterial der Alliierten überliefert worden sind? Niemand, aber auch wirklich niemand hätte sich vor 1933 vorstellen können, dass antisemitische Einstellungen zu solch furchtbaren Massenverbrechen führen können.

Den Antisemitismus gab es ja schon sehr, sehr lange – ich will nicht sagen: ewig –, er ist fast so alt wie die Vertreibung der Juden aus Palästina. Über Jahrhunderte hat es immer wieder verbrecherische Handlungen gegenüber jüdischen Gemeinden gegeben: in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern.

Doch um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert galt Deutschland trotz eines Adolf Stoecker und seiner antisemitischen Bewegung als das Land, in dem man als Jude willkommen war und die besten Entfaltungsmöglichkeiten hatte. Viele Hunderttausende Juden aus den polnischen und russischen Gebieten strömten in das Deutsche Reich wie in ein verheißenes Land. Den Rückfall in die Barbarei konnte sich in Deutschland noch 1933 niemand vorstellen. Es ist unbegreiflich, und je älter ich werde, desto unbegreiflicher wird es mir.

So brauchte es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einige Zeit, bis sich die Deutschen dieser ungeheuren Schuld stellten. Im Grunde genommen waren es erst die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, die das Geschehen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit brachten, um so etwas Ähnliches wie eine Bewältigung und Verarbeitung der Schuld, die Deutsche auf sich geladen hatten, anzugehen – ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess, ein bitterer Prozess, der im Grunde allerdings bis heute nicht vollendet ist.

Der Umgang mit der eigenen Schuld ist ein schwieriger und langfristiger Prozess, den ich hier nicht beschreiben kann, weil das wieder ein anderes Thema wäre. Allerdings hängt das schon hiermit und mit der Bewältigung der antisemitischen Ausschreitungen auf deutschen Straßen zusammen.

Festzustellen ist natürlich, dass den jetzt Lebenden keine Schuld an diesen fürchterlichen Verbrechen übertragen werden kann. Aber fest steht auch, dass wir als Kinder, Enkel und Urenkel unserer Eltern und Großeltern in der Verantwortung für die Taten stehen, die damals geschehen sind. Mit „Verantwortung“ meine ich, dass wir in Erinnerung an das, was geschehen ist, den Juden in unserem Land in besonderer Weise mit Respekt und Pietät begegnen müssen.

Ich möchte behaupten, obwohl mir da vielleicht einige widersprechen würden, dass dies in unserem Land auch geschieht und sich die meisten Menschen dieser Verantwortung bewusst sind.

Weil man aus heutiger Sicht weiß, dass Diffamieren und Separieren die ersten Sprossen einer Leiter sind, auf der man dann bis zur Tötung der diffamierten Personengruppe hinaufsteigen könnte, regt sich jetzt sofort massiver Widerstand, wenn Formen der Diffamierung gegen Juden wahrgenommen werden. Auch damit nehmen wir unter anderem unsere Verantwortung wahr, von der ich eben gesprochen habe.

Umso entsetzter, aber auch hilfloser, so scheint es mir, sind wir angesichts eines Antisemitismus, der sich als Hassorgie auf den Straßen austobt und in symbolischer Form mit dem Verbrennen der israelischen Staatsflagge das Verbrennen von Juden andeutet.

Es gibt Berichte von Juden in Deutschland, die sich auf der Straße beschimpfen lassen müssen, wenn man sie zum Beispiel anhand der Kippa als Jude erkennt.

Ein deutsches Gericht gibt einer kuwaitischen Fluggesellschaft recht, die sich weigert, einen Juden mit Zwischenhalt in Kuwait nach Bangkok zu fliegen.

(Zuruf von der AfD: Pfui!)

Die Polizei wirkt darauf hin, israelische Flaggen aus den Fenstern zu entfernen, um damit nicht eine propalästinensische Demonstration in einer Großstadt zu stören. – Frau Schäffer hat gerade noch weitere Beispiele genannt.

Die Betroffenheitsrhetoriker, die man sonst immer im Fernsehen sieht, schweigen zu solch – so will ich es einmal nennen – stillem Antisemitismus, melden sich aber bei öffentlich zur Schau gestelltem Antisemitismus, wie neulich in Berlin, dann doch zurückhaltend zu Wort, verweisen aber stets darauf, dass der Antisemitismus eben ein grundsätzliches Problem in Deutschland sei. Da will man wohl vom eigentlichen Kern des Problems ablenken und die Verantwortlichkeiten im Diffusen verschwinden lassen, um solche Erscheinungen dann möglichst doch wieder im deutschen Volkscharakter zu verorten.

Leider muss ich feststellen, dass der eine oder andere meiner Vorredner hier diesem Versuch nicht hat widerstehen können. Den zweiten Teil meiner Rede werden Sie gleich hören. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In Deutschland werden israelische Fahnen von politischen Fanatikern verbrannt. In Deutschland, in Nordrhein-Westfalen werden jüdische Feste abgesagt, weil sich die Menschen, die diese Feste feiern wollen, nicht sicher fühlen, weil sie unsicher sind. Bei uns werden im Jahr 2017 jüdische Schülerinnen und Schüler beleidigt, bedroht.

Mich – und ich vermute, uns alle; das ist auch formuliert worden – macht das fassungslos. Diese Vorgänge bedrücken, machen betroffen. Man hätte es kaum für möglich gehalten, dass so etwas 70 Jahre nach dem Kriegsende gerade bei uns in Deutschland noch einmal stattfindet.

Dann fragt man sich schon: Warum lernen Menschen nicht aus der Geschichte? Warum wird eigentlich nicht zur Kenntnis genommen, was Hass und Wut anrichten können? Warum fallen Menschen immer wieder darauf herein und gehen diesen Weg aufs Neue, manchmal aus ganz anderen Anlässen? Es ist doch eigentlich klar und deutlich: Das ist nicht akzeptabel. Das darf nicht durchgehen, darf nicht akzeptiert werden.

Ausgangspunkt ist ein Vorgang: Der amerikanische Präsident trifft eine Entscheidung zu Jerusalem als Hauptstadt Israels, und plötzlich brodelt hier in Deutschland alles wieder. „Alles wieder“ ist nur halb richtig. Es sind zum Teil diejenigen, die schon immer so gedacht haben, aber es sind zum Teil auch Menschen, die sich aus ganz anderen Motiven in diese Bewegung hineinschleudern: muslimische Fanatiker, die ihrer Wut aus ganz anderen Motiven und Begründungen heraus, aber in der gleichen inakzeptablen Art und Weise Luft machen.

Anlass sind dann ganz konkrete politische Entscheidungen, die man anders bewertet, die man falsch findet. Diese kann man, wie eben vorgetragen worden ist, richtig oder falsch finden, aber es geht um die Art und Weise, wie man mit anderen Meinungen umgeht.

Wut und Hass sind nicht akzeptabel. Hass führt sehr häufig, wie auch gesagt worden ist, zu Gewalt und ist nicht mehr beherrschbar. Das muss der Staat aktiv bekämpfen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der AfD)

Wir haben in Deutschland – die Zahlen liegen vor – eine erschreckend hohe Anzahl an antisemitischen Straftaten. Man kann das beruhigend finden oder nicht – 2017 ist ja noch nicht ganz zu Ende –, aber möglicherweise gehen die Zahlen in 2017 im Vergleich zu 2016 ein wenig zurück, von 297 auf 240. Das ist noch abzuwarten.

Aber die Mehrzahl dieser registrierten, der gemeldeten Straftaten – das muss man ja dazusagen, wenn man vollständig informieren will – ist dem rechtsextremen Bereich zuzuordnen. Deshalb kümmert sich die Politik darum. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen versucht, durch Beobachtung und konsequente Strafverfolgung dagegen vorzugehen.

Aber die Landesregierung hat sich auch immer – das wird auch fortgesetzt – mit Sensibilisierungsmaßnahmen gegen Antisemitismus gewandt. Wir haben im Jahre 2016 allein über 300 Vorträge und Fortbildungen des Verfassungsschutzes zu den Erscheinungsformen des politischen Extremismus gehabt, insbesondere auch zu antisemitischer Ideologie und Propaganda. Es ist schwer zu verstehen, aber es gibt eine dringende Notwendigkeit, das nicht nur fortzuführen, sondern auszubauen. Die Ereignisse dieser Tage zeigen ja, dass es hier einen zwingenden Handlungsbedarf gibt.

Ich will auch einen Satz zu dem sagen, was der Staat tun muss, um jüdische Gemeinden, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und israelische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen zu schützen. Das hat für die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden oberste Priorität. Das war immer so, das ist so, und das bleibt auch so. Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wird alle Formen erkannter Hasskriminalität konsequent verfolgen.

Wir haben auf die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten schnell und angemessen reagiert und unmittelbar nach Verkündigung der Anerkennung Jerusalems alle Polizeibehörden des Landes sensibilisiert und angewiesen, verstärkte anlassbezogene Aufklärung an israelischen und US-amerikanischen Einrichtungen zu gewährleisten und zudem eine deutlich sichtbare polizeiliche Präsenz in Schwerpunktbereichen bzw. an potenziellen Aktionszielen sicherzustellen.

Uns liegen auch Analysen vor, die ich Ihnen nicht vorenthalten will. Das Bundeskriminalamt hat die aktuelle Gefährdungslage bundesweit bewertet und kommt zu dem Ergebnis: Es gibt eine abstrakte Gefahr, aber aktuell gibt es keine konkreten Erkenntnisse, die es notwendig machten, ein bestimmtes Fest, eine Veranstaltung abzusagen. Auch für Nordrhein-Westfalen gibt es solche Erkenntnisse nicht.

Trotzdem – das gilt wie für die anderen Themen des Extremismus auch – muss man das ernst nehmen. Man muss sich darum kümmern, und man muss vorbereitet sein, um auch eingreifen zu können. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Angst haben, die in einem Klima der Angst und der Unsicherheit leben – das ist nicht akzeptabel, genauso wie es nicht akzeptabel ist, dass deutsche oder ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger sich in Deutschland nicht sicher fühlen. Genau deshalb hat diese Landesregierung sich entschieden, in allen diesen Bereichen konsequent polizeiliche Arbeit zu organisieren.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich möchte hinzufügen, dass wir es als ein großartiges Zeichen empfinden, dass die Zentralräte von Juden und Muslimen in Deutschland gleichermaßen sagen, dass sie Hass und Gewalt verurteilen, dass keine Religion so etwas rechtfertigen kann. Dem schließe ich mich, dem schließen wir uns an. Die Werte unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung, gelten für alle gleichermaßen. Dazu gehört es, die Würde des Menschen nicht nur zu achten, sondern sie auch zu schützen und dann auch zu verteidigen. Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung, Islamfeindlichkeit haben in einer offenen Gesellschaft wie der unseren keinen Platz.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wenn diese Debatte heute dazu beiträgt, über diesen konkreten Anlass hinaus ein Zeichen zu setzen, dass Demokraten in Nordrhein-Westfalen geschlossen gegen Antisemitismus, aber auch gegen jede andere Form des Extremismus vorgehen, und wenn wir das Signal geben, dass jüdisches Leben nicht nur Teil unserer deutschen Kultur ist, sondern dass wir in Nordrhein-Westfalen alles einsetzen werden, um dieses jüdische Leben zu schützen und entschieden gegen jeden vorzugehen, der sich extremistisch in diesem Lande betätigt, links und rechts, dann war das ein guter Morgen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Yetim.

Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir Demokraten stehen an der Seite der Juden in unserem Land und überall. Auch wenn die von Ahnungslosigkeit geprägte oder auch bewusst so gewollte leichtsinnige Entscheidung von US-Präsident Trump, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, zu kritisieren ist, rechtfertigt das in keinster Weise diese antisemitischen Demonstrationen, so wie wir sie erleben mussten.

Antiisraelische Sprechchöre, das Verbrennen der israelischen Flagge bei Versammlungen gehören nicht zu der uns so wichtigen Meinungsfreiheit. Es ist unerträglich, wenn man erlebt, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst haben müssen, sich zu ihrer Religion zu bekennen.

72 Jahre nach dem Ende des Holocaust sind Juden wieder massiven Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Das ist aber nicht erst seit der Trump‘schen Entscheidung, sondern bereits seit vielen Jahren in Deutschland so. Antisemitismus in Deutschland ist leider nichts Neues. Es ist eben nicht nur dieser importierte Antisemitismus, von dem CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn spricht, womit er suggeriert, Flüchtlinge seien die Antisemiten in Deutschland. Kolleginnen und Kollegen, fast alle von uns kennen doch seit vielen Jahren die rund um die Uhr bewachten Synagogen in diesem Land. Das ist nicht erst seit der Flüchtlingskrise so, sondern das ist schon viele, viele Jahre so.

Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine Herausforderung, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss. Die Kollegin Schäffer hat gerade noch einmal die unterschiedlichsten Ausrichtungen dargestellt, die es beim Antisemitismus gibt. Christen, Muslime, Juden, Atheisten, Zivilgesellschaft und auch Politik: Es ist und bleibt eine gemeinsame Herausforderung, die wir nur bestehen können, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.

Dazu gehört auch, dass diejenigen, die die Nazi-Geschichte Deutschlands relativieren wollen, klar auch als Brandstifter geächtet werden. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin – das ist gerade schon mehrfach angesprochen worden – als ein Denkmal der Schande zu bezeichnen, ist klarer Antisemitismus. Ich glaube auch, dass das mittlerweile zu einem Weltbild gehört, das sich in einigen Bereichen der Politik immer mehr manifestiert.

Wir in Nordrhein-Westfalen haben seit langem eine sehr klar gemeinsame Übereinkunft: Antisemitismus wird von uns hier nicht akzeptiert und auch gemeinsam bekämpft. Mit dem integrierten Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus haben wir in Nordrhein-Westfalen ein Konzept vorgelegt, das in den unterschiedlichsten Bereichen auf Prävention, Bildung, Beratung und auch auf die kritische Auseinandersetzung mit Kindern und Jugendlichen mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Einstellungen und Verhaltensweisen setzt.

Deswegen bin ich ein bisschen überrascht darüber, dass der heutige Antrag von CDU und FDP für diese Aktuelle Stunde „Antisemitismus kompromisslos bekämpfen“ heißt, dass aber CDU und FDP nicht einen einzigen Weg aufzeigen, wie das denn konkret geschehen soll.

Ich finde es schade, dass Sie nicht einmal versucht haben, dieses Thema heute hier gemeinsam, wenigstens mit Teilen der Opposition, mit denen Sie seit vielen Jahren im Kampf gegen Antisemitismus Konsens haben, auf diese Tagesordnung zu setzen. Denn ich glaube, es wäre überhaupt kein Thema gewesen, dass wir das gemeinsam tun. Dafür ist dieses Thema viel zu wichtig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn wir Demokraten sollten in diesem Punkt an der Seite der Juden stehen und auch gemeinsam gegen den Antisemitismus kämpfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Hagemeier.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist passiert, dass wir heute in diesem Rahmen am letzten Plenartag im Jahr 2017 über die Bekämpfung von Antisemitismus in Deutschland debattieren müssen? Wieso müssen wir uns im 21. Jahrhundert dafür schämen, dass auf den Straßen in deutschen Städten Judenhass so offen zur Schau gestellt wird, und auch dafür, dass die Jüdische Gemeinde in Mülheim an der Ruhr – mein Vorredner Stefan Nacke hat es erwähnt – und in anderen Städten ihre Feierlichkeiten zum Chanukka-Fest auf dem Synagogenplatz abgesagt hat, weil zu große Sicherheitsbedenken bestanden haben?

Wenn Leonid Goldberg, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Wuppertal, in der „Rheinischen Post“ vom 15. Dezember 2017 zitiert wird mit den Worten „Es ist schrecklich, dass in Deutschland Synagogen immer noch bewacht werden müssen“, dann hat er damit mehr als recht.

Wir erinnern uns: Die drei jungen Palästinenser, die 2015 auf die Wuppertaler Synagoge einen Brandanschlag verübten, wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil es keine Anhaltspunkte für eine antisemitische Motivation gab. Haben wir Antisemitismus in den vergangenen Jahren verharmlost oder lediglich als Israel-Kritik abgetan? Oder ist das Phänomen plötzlich wieder aufgetaucht? Warum hat sich die Grenze zwischen Kritik und Antisemitismus zu weit in die falsche Richtung bewegt?

„Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“. Dieser von Kurt Schumacher oft zitierte Satz hat vor dem Hintergrund antisemitischer Ausschreitungen in Berlin eine besondere Bedeutung. Er verlangt einen genauen und unverstellten Blick auf die Gesellschaft, um Antisemitismus dort zu identifizieren, wo er auftaucht, und ihm entgegenzutreten.

Zur Betrachtung der Wirklichkeit gehört auch die Erkenntnis, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem ist, das uns in rechtsextremen Kreisen begegnet, sondern in vielen Milieus verankert ist. Antisemitismus ist leider der Bereich, wo sich Extremisten aller Art und Couleur treffen und worin sie sich einig sind. Seit Jahren bekämpfen wir nun – zu Recht – den rechtsextremen Antisemitismus und sind uns darin als demokratische Parteien einig. Daher möchte ich dieser Richtung an dieser Stelle keine weitere Redezeit widmen. Ohne den Blick nach rechts zu unterlassen, sollten wir unseren Blick weiten und allen Formen des Antisemitismus noch entscheidender entgegentreten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine Form ist der Antisemitismus in linksextremen Kreisen. Laut einer Studie der FU Berlin aus dem Jahre 2016 stimmen 34 % der von den Forschern als linksextrem eingestuften Personen der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland zu viel Einfluss.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört, liebe Grüne und SPD!)

Dieser linksextreme Antisemitismus wurde zu lange verharmlost. Zu lange hat man geglaubt, linken Antisemitismus könne es nicht geben. Oft im Gewand eines Antizionismus oder einer angeblich berechtigten Israel-Kritik kommt eine Geisteshaltung zutage, mit der man den Boykott israelischer Waren oder das Verbrennen israelischer Fahnen zu rechtfertigen versucht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier besteht Handlungsbedarf. Nochmals: Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dieser Satz ist nicht relativierbar; er gilt unabhängig davon, von wem oder aus welcher politischen oder kulturellen Richtung sich Antisemitismus äußert. Ich möchte das auch in aller Deutlichkeit sagen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt für alle hier lebenden Menschen gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie hier geboren wurden oder zu uns gekommen sind. Es darf hier nichts verharmlost oder verschwiegen werden. Es gibt keinen kulturellen Rabatt. Auch importierte Problemkonstellationen müssen sich innerhalb des demokratischen Diskurses bewegen. Hier sind wir als Politik und Gesellschaft gefordert, auch die, die zu uns kommen, an unseren Werten und Grundsätzen zu messen und diese einzufordern.

Unsere heutige Debatte soll ein Zeichen setzen. Mehr können wir an dieser Stelle nicht tun, aber weniger dürfen wir auch nicht tun. Der Holocaust hat die deutsche Geschichte in ein Davor und ein Danach geteilt. Meine Damen und Herren, es kann und darf nicht vergessen werden, dass wir im Danach leben. Wir verdanken es jüdischen Überlebenden, die sich nach 1945 entschieden haben, in Deutschland zu bleiben, dass heute wieder gut 27.000 Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen leben.

Menschen, die nach Deutschland kommen und Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden sollen, müssen unsere Geschichte und unseren Wertekanon übernehmen. Das schließt ein, dass Deutschland eine besondere Beziehung zu Israel hat. Es ist absolut wichtig, dass diese Menschen in die deutsche Gesellschaft und in das Schulsystem integriert werden – Orte, an denen unser Wertekanon vermittelt wird und an der wir aus unserer deutschen Vergangenheit lernen. Es darf nie wieder ein Davor und ein Danach geben. Aber wir dürfen nicht aufhören, an das Geschehen zu erinnern, um das Bewusstsein dafür wachzuhalten, wie gefährlich Antisemitismus ist.

Abschließen möchte ich mit einer Feststellung. Wenn NRW-Innenminister Herbert Reul der „Bild“-Zeitung am 15. Dezember 2017 sagt: „Mir ist es auch persönlich ein wichtiges Anliegen, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in NRW sicher leben können“ und dass „jüdische Einrichtungen besonders geschützt“ und „Sicherheitsbehörden besonders sensibilisiert und wachsam“ sind, dann spricht er mir und meiner Fraktion aus der Seele.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich wünschte nur, dass dies eine Selbstverständlichkeit wäre und der besondere Schutz nicht nötig wäre. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hagemeier. – Für die AfD-Fraktion erhält Herr Kollege Seifen noch einmal das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Recht herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion heute Morgen ist ausgesprochen hilfreich und sehr wichtig. Ich habe hier heute Morgen gute Reden gehört. Aber leider Gottes habe ich auch wieder Reden gehört, in denen deutlich wird, wo unser Problem liegt, nämlich im Wegducken vor dem eigentlichen Problem.

Dass wir in Deutschland einen jahrhundertelangen Antisemitismus haben, der in fürchterlichen Verbrechen gipfelte, ist bekannt. Wir haben jetzt aber auch in Skandinavien Antisemitismus – in Ländern, die sich im Zweiten Weltkrieg und davor schützend vor die Juden gestellt und dafür gesorgt haben, dass viele überleben konnten.

Ich darf den schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven zitieren, der ganz offen sagt: Wir haben in der schwedischen Gesellschaft ein Problem mit Antisemitismus. – Im Zentrum dabei steht Malmö ganz im Südwesten des Landes mit 40 % Einwohnern mit Migrationshintergrund.

Jens Spahn äußerte im „SPIEGEL“: Es ist gleichgültig, ob der Hass von rechten Dumpfbacken ausgeht – er hat die Linken vergessen – oder von arabischstämmigen muslimischen Fanatikern. Hass und Extremismus müssen immer bekämpft werden. – Da sind wir ganz auf seiner Seite.

Es hilft hier kein Ausweichen, wenn der Oberrabbiner von Barcelona, Meir Bar-Hen, der Meinung ist, Europa sei für die Juden als Heimat verloren, und an die jüdischen Gemeinden appelliert, doch auszuwandern.

Es hilft kein Ausweichen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Neben den Formen des hier in Europa schon lange existierenden herkömmlichen Antisemitismus, der selbstverständlich genauso schändlich ist – das ist ganz klar –, der aber glücklicherweise nicht offen seine Fratze zeigt, erleben wir jetzt einen offenen, gewaltsamen und fordernd auftretenden Antisemitismus zugewanderter Personen muslimischer Religionen aus dem arabisch-afrikanischen Raum.

Das hängt damit zusammen, dass die Menschen – egal welche; diese eben auch –, wenn sie von einem Land A in ein Land B einwandern, natürlich nicht nur ihr Fleisch und Blut mitbringen, sondern alles das, was sie denken, was sie haben an Vorlieben, an Wünschen, an Hoffnungen, aber auch was sie haben an Ressentiments, an Hass, an Enttäuschung und an Wut.

Damit sind wir jetzt konfrontiert. Einige von Ihnen ducken sich da einfach weg. Genau das ist die Ursache für das, was hier im Augenblick passiert: Aus einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber allem, was fremd ist und nicht deutsch ist, aus einer Sehnsucht, nicht provinziell, engherzig und spießig zu gelten oder gar fremdenfeindlich zu sein, sondern weltoffen, großherzig und human, geben wir unsere Grundsätze, unsere Ideale, unsere in der Aufklärung gewachsenen Vorstellungen eines liberalen Rechtsstaates auf.

(Widerspruch von Ministerpräsident Armin Laschet)

– Wir tun es, Herr Ministerpräsident, wir tun es. Auch Sie haben gerade Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in einen Topf geworfen.

Unsere Art der Toleranz gegenüber intoleranten aggressiven Ideologien oder Religionen bezeichnet Karl Popper in seinem Werk die „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ als paradox. Toleranz gegenüber Intoleranten ist paradox, weil ich damit mittel- bis langfristig die Toleranz dem Intoleranten preisgebe und sie damit aus meinem Umfeld verschwindet.

Bei uns aber erhebt sich bei jeder sogar berechtigten Kritik gegen Regelverletzungen oder ein Fehlverhalten fremder, zugewanderter Menschen ein derartiger moralischer Alarmismus, der vor allem von der politischen Linken ausgeht, aber mittlerweile – Herr Laschet, ich habe es registriert – offensichtlich auch von Teilen der CDU.

(Zuruf von der SPD: Dummes Zeug!)

Die Kritiker werden dann sofort gerne mit nationalsozialistischem Gedankengut in Verbindung gebracht, sodass ein vernünftiger Diskurs über die Bedingungen friedlichen Zusammenlebens von Menschen aus fremden Kulturen mit der hiesigen Bevölkerung nicht stattfindet. Karl Lagerfeld sagte dazu einmal: Wir haben offensichtlich aus der Katastrophe des Nationalsozialismus die falschen Lehren gezogen.

So müssen wir wieder zurück zu dem, was uns stark machen könnte. Wir müssen konsequent und strikt unser Recht ohne Rücksicht auf die Person des Rechtsbrechers durchsetzen. Wir müssen unsere Werte einer aufgeklärten liberalen und humanen Leistungsgesellschaft offensiv gegenüber jedem verteidigen. Wir müssen wieder eine gesunde Selbstachtung aufbauen, die in der Wertschätzung des anderen die Selbstbehauptung nicht vergisst. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass der Autoritätsverfall staatlicher Behörden und ihrer Vertreter gestoppt wird und ein neuer Autoritätsaufbau wieder herkommt.

Werben müssen wir für unser Land mit einer Haltung, in der wir Selbstachtung, Ehrgefühl und kulturelle Eigenständigkeit behaupten. Ja, der Begriff Leitkultur ist unbedingt wichtig, schon allein deswegen, damit sich Zugewanderte in unser Land integrieren können.

Ein Letztes: Wir dürfen auf keinen Fall Menschen dulden, die uns und unsere Gesellschaft verachten, die gegen uns hetzen und uns als Ungläubige verurteilen. Sie haben das Recht verloren, hier mit uns zusammenzuleben, wenn sie ihre Gesinnung nicht ändern. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war für die AfD-Fraktion Herr Seifen. – Für die Landesregierung hat sich der Ministerpräsident, Herr Laschet, zu Wort gemeldet.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich glaube, es war gut, dass wir heute diese Debatte geführt haben. Es ist sicherlich eines der aktuellsten Themen, das uns im Moment beschäftigt. Ich möchte auf einige Gedanken eingehen.

Das eine ist: Unsere Generationen – die meisten, die hier im Saal sitzen – sind alle nach 1945 geboren. Sie haben keine persönliche Verantwortung für das, was passiert ist, aber wir fühlen uns alle als Deutsche in dieser Verantwortung – parteiübergreifend seit vielen Jahren.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

– In Ihrem ersten Beitrag, Herr Seifen, haben Sie das auch beschrieben.

Jetzt sagen Menschen, die zugewandert sind, natürlich zu Recht: „Ich bin 1961 zugewandert;“ – das ist das Jahr des Anwerbeabkommens mit der Türkei – „was habe ich denn damit zu tun, was die Deutschen hier in der Zeit davor gemacht haben?“ – Diese Haltung ist ja verständlich. Die Türkei beispielsweise hat damals viele derjenigen, die vor den Nazis geflohen sind, aufgenommen und ihnen im Exil Asyl gewährt. Das waren deutsche Wissenschaftler, die vor den Nazis geflohen sind. Das wird sehr oft vergessen. Unser Zentrum für Türkeistudien hat das vor einigen Jahren sehr gut aufgearbeitet.

Die Kinder sagen jetzt: „Warum sind wir denn dafür verantwortlich?“ Unsere Antwort muss sein: Weil ihr Deutsche seid, weil ihr hier geboren seid, weil ihr Teil der deutschen Geschichte werdet, wird auch dieser Teil der deutschen Geschichte ein Teil von euch selbst ist.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das zu sagen, ist eine schwere Aufgabe. Ich glaube, dass man das nur schaffen kann, indem man persönliche Begegnungen ermöglicht, indem man Empathie, beispielsweise für Israel, erzeugt, indem die Kinder zum Beispiel Yad Vashem besuchen und in dieser Sekunde möglicherweise merken, was das für sie bedeutet.

Navid Kermani, unser diesjähriger Staatspreisträger, hat in einer beachtlichen Rede vor der Ludwig-Maximilians-Universität, die dann in der „FAZ“ abgedruckt wurde, beschrieben, wie er in Auschwitz zum ersten Mal intensiv gespürt hat, dass er Deutscher ist, weil er da anders behandelt wurde als die Briten, die Franzosen und die Italiener. Er sagte: Da wurde mir als Einwanderer sehr bewusst, in welche Geschichte ich als deutscher Staatsbürger mich hineinbegebe.

Weil das so ist, habe ich damals als Jugendminister den Jugendaustausch mit Israel wieder intensiviert – insbesondere für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte. Das Interessante dabei war übrigens: Als diese Kinder dann dort waren und auch palästinensische Jugendliche trafen, war es für sie erst einmal der erste Akt, in Israel zu sein. Aber für viele jüdische und palästinensische Partner war dieser nordrhein-westfälische Jugendaustausch der erste Moment, in dem diese beiden sich begegnet sind. Denn natürlich ist es für einen jungen Palästinenser durch den Bau der Mauer gar nicht mehr so einfach, einen israelischen Jugendlichen zu treffen. Hier konnte Nordrhein-Westfalen ein neues Feld eröffnen.

Jürgen Rüttgers hat zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht 2008 eine Erklärung initiiert, die die christlichen Kirchen unterschrieben haben, zum ersten Mal aber auch muslimische Gemeinden: Der Zentralrat der Muslime in Nordrhein-Westfalen, DITIB und viele andere haben 2008 diese Erklärung mit unterschrieben. Dass sie das in ihre Gemeinden hineintragen, ist eine wichtige Aufgabe, an die wir heute auch appellieren sollten.

Wir haben den Ansatz für den Jugendaustausch im Haushalt für 2018 erneut verdoppelt, weil ich diese Aufgabe immer noch für sehr wichtig halte.

Eines sollten wir nicht machen: dieses Reden vom importierten Antisemitismus. Dazu empfehle ich jedem den Beitrag vom früheren israelischen Botschafter Schimon Stein und von Moshe Zimmermann, Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, in „Fremde Feder“ der „FAZ“ von heute. Ja, von denen die jetzt gekommen sind, sind manche antisemitisch. Aber Antisemitismus in Deutschland ist nicht importiert; er ist immer schon hier gewesen, er ist Teil dieser Gesellschaft. Mancher, der jetzt so tut, als müsste er importiert werden, hat vergessen, dass wir noch viele Antisemiten – auch unter Deutschen – in unserem Land haben.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Lesen Sie das mal nach. Es ist sehr präzise formuliert, wenn Schimon Stein sagt: Das ist von manchen auch ein Versuch, von dem Antisemitismus, der noch da ist, abzulenken, indem man jetzt über die spricht, die gekommen sind.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von Christian Loose [AfD] und Markus Wagner [AfD])

– Ja, ich verstehe, dass das jetzt Aufregung auslöst. – Herr Seifen, vieles, was Sie eben vorgetragen haben, war eine bemerkenswerte Rede. Aber Sie hätten mal einen Satz dazu sagen können, was Herr Höcke äußert und wie er über das Holocaust-Mahnmal spricht,

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Alexander Langguth [fraktionslos] – Zurufe von Andreas Keith [AfD] und Christian Loose [AfD])

oder auch dazu, was Herr Gedeon im baden-württembergischen Landtag sagt.

(Markus Wagner [AfD]: Und was ist mit Herrn Filbinger 1977?)

Das hätte die Glaubwürdigkeit einer bemerkenswerten Rede von Herrn Seifen erhöht.

(Andreas Keith [AfD]: Und vorher die NPD, was ist mit denen? – Markus Wagner [AfD]: Schauen Sie mal in Ihre eigene Parteigeschichte! – Weitere Zurufe von der AfD – Gegenruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ich bitte darum, den Ministerpräsidenten ausreden zu lassen.

Armin Laschet, Ministerpräsident: Es gibt gar keinen Grund zur Aufregung.

(Fortgesetzt Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ganz genau.

Armin Laschet, Ministerpräsident: In Ihrer Partei gibt es öffentlich solche Bekenntnisse. Wenn man hier so selbstkritisch spricht, dann hätte man dazu einen Satz sagen können. Das ist alles.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und Alexander Langguth [fraktionslos] – Zurufe von der AfD)

Deshalb sollten wir über deutschen Antisemitismus, über muslimischen Antisemitismus, über christlichen Antisemitismus, über katholischen Antisemitismus in der Geschichte sprechen. Das sollten wir dann alles gleichermaßen erwähnen.

(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])

Es ist richtig, dass wir nicht akzeptieren, dass irgendjemand aus Kritik am amerikanischen Präsidenten den Davidsstern verbrennt. Das ist nicht akzeptabel, aber vieles andere ist gleichermaßen nicht akzeptabel.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn wir das hinbekommen, dann ist Antisemitismus, jedenfalls in Nordrhein-Westfalen, ohne Durchsetzungskraft. Die Polizei – der Innenminister hat das deutlich gemacht – geht bei Demonstrationen gegen diese Dinge vor. Wenn am Rande von Demonstrationen Menschen rufen: „Juden ins Gas!“, muss die Polizei mit allem, was sie tun kann, einschreiten. Das ist unsere Position.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN, Nic Peter Vogel [AfD] und Alexander Langguth [fraktionslos])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Dr. Bergmann das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Wer Fahnen anzündet, verbrennt irgendwann vielleicht auch wieder Bücher. Und wer Bücher verbrennt, der macht nachher noch viel schlimmere Dinge. Das wissen wir in Deutschland nur zu gut. Das ist für uns Grund genug, hier ein ganz klares Zeichen zugleich gegen den internen wie auch gegen den externen – so nenne ich es einmal – Antisemitismus zu setzen, so merkwürdig sich der Begriff eigentlich anhört, zumal Araber als Semiten davon selbst betroffen sind.

Wir haben in Deutschland über viele Jahrzehnte hart daran gearbeitet, das Vertrauen Israels und der Juden zu uns wieder aufzubauen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Wir sind ganz stolz darauf, dass heute wieder 125.000 Juden in Deutschland leben. Ich darf daran erinnern, dass dies ein Viertel der Zahl der vor der Shoah bei uns in Deutschland lebenden Juden ist. Es ist also nur ein Schritt in die richtige Richtung, und wir sind noch lange nicht am Ziel angekommen.

Es ist unerträglich, wenn Menschen – sowohl die, die hier schon seit Ewigkeiten leben, als auch die, die nur für kurze Zeit hier sind – Konflikte mit den Juden austragen oder gar Konflikte aus ihren Heimatländern mit hierher bringen. Schließlich haben wir Deutsche in dieser Hinsicht schon sehr viel geleistet.

Ich will das, was der Ministerpräsident gerade aufgegriffen hat, noch etwas vertiefen. Welch starkes Zeichen eines starken, demokratischen Deutschlands, das aus seiner Geschichte gelernt hat, ist es, im Herzen seiner Hauptstadt ein Denkmal zu setzen! Welch eine Stärke! Das haben die Amerikaner mit den Indianern nicht geschafft, das hat niemand anderes geschafft, das haben nur die Deutschen geschafft.

Wenn Sie davon sprechen, dass es sich um ein Denkmal der Schande handelt, dann ist das eine Schande.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Ein Denkmal, das eine Schande zeigt!)

Herr Seifen, viele Dinge, die Sie gesagt haben, würde ich sofort unterschreiben. Ich fand Ihre teilweise an eine Vorlesung grenzende Rede in großen Teilen sehr, sehr richtig und sehr, sehr gut. Es freut mich, dass auch Herr Popper einmal im nordrhein-westfälischen Landtag erwähnt wird. Allerdings finde ich es schade, dass das in der Realität bei der AfD nicht so gespiegelt wird.

(Beifall von der CDU und der FDP – Andreas Keith [AfD]: Doch!)

Sie sollten endlich damit anfangen, Antisemitismus nicht mehr zu relativieren, wie Sie es zum Teil getan haben.

(Helmut Seifen [AfD]: Was?)

Sie sollten Ihren Reden endlich auch ein entsprechendes Benehmen und ein Agieren im politischen Alltag folgen lassen.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Dann wäre das, was Sie hier sagen, deutlich glaubhafter.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Viele Menschen haben aufgrund ihrer Herkunft oder Religion in den Ländern, aus denen sie kommen, Antisemitismus als etwas Alltägliches und Normales kennengelernt.

(Helmut Seifen [AfD]: Ja, genau!)

Das geht im Abendland nicht. Das ist besonders in Deutschland ein absolutes No-Go, und das müssen wir diesen Leuten auch ganz deutlich zeigen.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Es geht hier nicht darum, dass man die Gesetze und das Recht unseres Landes einhält – das erwarte ich von jedem –, sondern es geht darum, dass man sich hier ordentlich benimmt, weil es sich dabei um eine Grundfeste unseres demokratischen Gemeinwesens handelt.

Wir dürfen trotzdem nicht den Fehler begehen, zu verallgemeinern und alle Muslime in einen Topf zu werfen. Wir dürfen auch weiterhin Entscheidungen von einem vielleicht merkwürdig wirkenden amerikanischen Präsidenten – dem Präsidenten eines befreundeten Staats also – kritisieren. Wir dürfen aber nicht den gleichen rhetorischen Fehler machen, der in den schlimmsten Jahren der deutschen Geschichte gemacht wurde, wo schon einmal Religion und Nationalität nur zwecks Ausgrenzung gleichgestellt wurden. Lassen Sie mich das so sagen: Ich bin schließlich auch kein Römer, nur weil ich römisch-katholisch bin, sondern ich bin ebenso Deutscher wie die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in unserem Land.

Was sage ich den beiden letzten noch lebenden Juden meiner Heimatstadt, die heute hochbetagt in Buenos Aires bzw. in San Francisco leben und im Fernsehen Bilder von den brennenden Israelfahnen in Deutschland sehen? Sie werden natürlich automatisch an das Jahr 1933 und die Folgejahre erinnert. Was sage ich denen? Deren Besorgnis konnte ich in den letzten Tagen am Telefon nur ansatzweise beschwichtigen.

Was sage ich dem Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde aus Düsseldorf, der mir sagt, er und seine Mitglieder in den Gemeinden hätten Angst vor Gewalt, weil doch jetzt so viele Menschen hier leben würden, die den Antisemitismus quasi mit der Muttermilch – so formulierte er das – aufgesogen haben? Was sagen wir diesen Menschen? Wie nehmen wir ihnen die vorhandenen Ängste?

Man kann in Richtung der Fahnenverbrenner von Berlin und Frankfurt usw. eigentlich nur sagen: Wer in Deutschland so etwas macht, hat angesichts der deutschen Geschichte hier nichts zu suchen. Wir dürfen uns den in vielen Jahren sowohl hier als auch im Ausland hart erarbeiteten Ruf als Freund Israels und der Juden nicht kaputtmachen und weiter schädigen lassen. Ich hoffe, dass sich die Verbände der in Deutschland lebenden Moslems dazu noch stärker wahrnehmbar äußern; denn letztlich schaden sie ihrer eigenen Sache, wenn sie nicht jeden Tag deutlich Position beziehen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Lassen Sie uns alle nicht nur in klassischen Sonntagsreden Position beziehen, sondern lassen Sie uns sowohl den hier lebenden rechtsextremen Antisemiten als auch den nur temporär bei uns Lebenden ganz deutlich machen, wo wir als Deutsche in dieser Diskussion stehen: nämlich an der Seite der Juden. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Aussprache zur Aktuellen Stunde schließen kann.

Wir setzen nun die gestern unterbrochenen Haushaltsberatungen fort.

Ich rufe auf:

2   Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2018 (Haushaltsgesetz 2018)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/800

Drucksache 17/1500
Drucksache 17/1501
Drucksache 17/1505
Drucksache 17/1507
Drucksache 17/1509
Drucksache 17/1510
Drucksache 17/1511
Drucksache 17/1513
Drucksache 17/1516

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisun­gen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindever­bände im Haushaltsjahr 2018 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2018 – GFG 2018) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/802

Beschlussempfehlungen und Berichte
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1517

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435

Wir setzen die gestern unterbrochenen Haushaltsberatungen fort.

Die Veränderungen durch die im Haushalts- und Finanzausschuss gefassten Beschlüsse sind Ihnen in den Veränderungsnachweisen dargestellt.

Meine Hinweise von gestern zum Ablauf der Beratung gelten selbstverständlich auch heute:

Erstens. Das im Ältestenrat vereinbarte Beratungsverfahren mit der Reihenfolge der zu beratenden Einzelpläne und den vorgeschlagenen Redezeiten können Sie der aktuellen Tagesordnung entnehmen.

Zweitens. Nach Beendigung der Aussprache über den Einzelplan erfolgt die Abstimmung über diesen Einzelplan.

Drittens. Liegt ein Änderungsantrag zu einem Einzelplan vor, wird zunächst über diesen abgestimmt, anschließend dann über den Einzelplan.

Heute nachzuholen sind die Abstimmungen über den Einzelplan 20, über das Haushaltsgesetz zum Abschluss der zweiten von insgesamt drei Lesungen, ebenso über das Gemeindefinanzierungsgesetz sowie über die Rücküberweisung des Haushaltsgesetzes und des Gemeindefinanzierungsgesetzes an den Haushalts- und Finanzausschuss.

Mein letzter Hinweis für das Beratungsverfahren: Zwischen 12:30 Uhr und 14 Uhr finden auch heute keine Abstimmungen im Rahmen der Haushaltsplanberatung statt.

Mit diesen Vorbemerkungen können wir in die Beratung der Einzelpläne einsteigen.

Ich rufe auf:

Einzelplan 07
Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration

a) Kinder, Familie und Jugend

b) Flüchtlinge und Integration

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1507

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1549

Ich eröffne die Aussprache zum Teilbereich.

a) Familie, Kinder und Jugend

Herr Dr. Maelzer hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt einen Satz, der demokratisch gewählten Politikern immer wieder ins Stammbuch geschrieben wird. Er lautet:

„Macht ist auf Zeit verliehen.“

Ein solcher Satz soll Demut vor der übertragenen Aufgabe lehren. Die Aussage soll daran erinnern, dass demokratische Gestaltungsmöglichkeit kein Vorrecht und kein Privileg von Einzelnen ist, sondern ein Vertrauensvorschuss der Wählerinnen und Wähler.

CDU und FDP jedoch präsentieren uns mit ihrer Haushaltspolitik auch im Familienbereich ihre ganz eigene Interpretation dieses Satzes. Macht auf Zeit ist für sie Happy Hour im Selbstbedienungsladen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wie anders soll man es denn bezeichnen, wenn seit dem Regierungsantritt allein im Ministerium von Herrn Stamp 41 zusätzliche und zumeist hochdotierte Stellen geschaffen wurden? Herr Minister, Sie bauen das Haus, das Ihnen auf Zeit anvertraut ist, systematisch zu einer Vize-Staatskanzlei aus. Das mag aus parteitaktischen Motiven richtig sein, aber für eine FDP, die über Jahre den Abbau von Personal in Verwaltung und Ministerien gepredigt hat, ist das zumindest bemerkenswert – andere würden vielleicht sagen: Es ist bigott.

(Beifall von der SPD)

Macht wird auf Zeit verliehen. Darum soll man mit dieser Zeit auch etwas anfangen. Vielleicht sollen diese 41 Stellen das leisten, wozu die Vertreterinnen und Vertreter der Mitte-rechts-Koalition nicht imstande sind. Neue Ideen in diesem Haushalt? – Fehlanzeige. Kein einziger Änderungsantrag zum Haushalt liegt uns von den regierungstragenden Fraktionen vor. Dabei haben wir Ihnen im Ausschuss umfassend dargelegt, wo dringender Handlungsbedarf bestünde.

Die SPD hat Ihnen vorgeschlagen, die Mittel des Kinder- und Jugendförderplans um 20 % zu erhöhen. Mehr als 130 Millionen € hätten dann für Strukturen, für Projekte und für Investitionen zur Verfügung gestanden. CDU und FDP haben dies abgelehnt.

(Zuruf von der CDU: Ist schon erhöht!)

Stichwort: vorsorgende Familienpolitik. Nach der Wahl hat sich auf diesem Gebiet bei CDU und FDP ein bemerkenswerter Gesinnungswandel vollzogen. Während Sie früher Vorsorge verschmäht haben, soll dieser Ansatz jetzt fortgeführt werden. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Sogar „Kein Kind zurücklassen“ wird unter anderem Namen bestehen bleiben. Aber wenn dieser Wandel mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll, dann muss man die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Vorsorge und frühe Hilfe funktionieren können.

Die SPD hat Ihnen vorgeschlagen, den Ansatz für kostenfreie Elternkurse zu erhöhen. Auch finanziell benachteiligte Familien müssen die Möglichkeit haben, an diesen Kursen teilzunehmen. CDU und FDP haben dies abgelehnt.

Die SPD hat Ihnen vorgeschlagen, konkrete Maßnahmen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ergreifen. Alleinerziehende sind hier eine ganz wichtige Zielgruppe. Sie sind häufig von einem höheren Armutsrisiko betroffen. Es gibt gute Konzepte in unserem Land; man muss diese aber auf eine breitere Basis stellen und den richtigen Weg finden, sie auch gesetzlich zu verankern.

Der Minister nickt immer zustimmend, wenn ich vom Modellprojekt „Sonne, Mond und Sterne“ berichte. Allerdings reicht es nicht, nur zustimmend zu nicken; vielmehr muss man auch im richtigen Moment den Arm heben. CDU und FDP haben dies aber abgelehnt.

(Beifall von der SPD)

Das alles tun Sie nicht. Stattdessen ruhen Sie sich auf der einmaligen schuldenfinanzierten Finanzspritze für die Kitas aus. Dabei hat Ihnen Ihre eigene Regierung im Ausschuss schwarz auf weiß bestätigt, dass es nicht ausreicht. Unter Rot-Grün wurden mehr zusätzliche Mittel für die Kitas mobilisiert, als das bei Ihnen der Fall ist.

Meine Damen und Herren, die Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen hat Besseres verdient. Noch haben Sie die Zeit, mit der Macht, die Ihnen verliehen wurde, etwas Positives zu bewegen. Mit dem Haushalt 2018 lassen Sie die Gelegenheit dafür verstreichen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Kamieth.

Jens Kamieth (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dieser Rede des SPD-Kollegen bleibt mir die Spucke weg. Wenn er von „schuldenbasierten Wohltaten“ fabuliert, hat er die Wahrheit nicht realisiert und erkennt vor allen Dingen nicht an, mit welchem Engagement die neue Landesregierung in die Regierungszeit gestartet ist

(Zuruf von der SPD)

und welch große Zustimmung sie in der Bevölkerung und vor allen Dingen in der Fachöffentlichkeit erhalten hat.

Wir reden hier über den Einzelplan 7. Wir legen also die Wurzeln, die Grundlagen für Familie, Kinder und Jugend, und damit für die gesamte Bildungsbiografie der Kinder in unserem Land.

Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele erläutern:

Frühe Bildung: Unser zentrales Ziel ist es, die Bildungschancen eines jeden Kindes in unserem Land zu verbessern – unabhängig von seiner sozialen oder ethnischen Herkunft. Für uns ist nicht die Herkunft eines Kindes entscheidend, sondern seine Zukunft. Denn damit entscheiden wir auch über die Zukunft unseres Landes.

Die NRW-Koalition hat hier schnell reagiert. Wir haben mit dem Nachtragshaushalt das Kita-Träger-Rettungsprogramm mit einer halben Milliarde Euro zur Verfügung gestellt und mit diesem ersten Schritt Soforthilfe geleistet.

(Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Mit einem zweiten Schritt werden wir die strukturellen Änderungen hin zu einer auskömmlichen und dauerhaft tragfähigen Kitafinanzierung vornehmen. Wir werden das Kinderbildungsgesetz im kommenden Haushaltsjahr in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren reformieren. Damit schaffen wir grundlegend bessere Rahmenbedingungen für die Kindertagesbetreuung in NRW – sowohl finanziell als auch qualitativ. Wir werden dabei natürlich auch Aspekte des guten Projekts „Sonne, Mond und Sterne“ berücksichtigen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ach!)

Eine bessere Kindertagesbetreuung heißt allerdings auch, dass wir den Platzausbau vorantreiben müssen. Zum Kindergartenjahr 2018/2019 stehen Mittel für mehr als 19.000 zusätzliche Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und in der Tagespflege bereit. Das begrüße ich ausdrücklich.

Ein weiteres Schwerpunktthema ist die Prävention. Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Prävention überall im Land systematisch, flächendeckend und nachhaltig zu stärken. Hierzu sollen Strukturen auf örtlicher Ebene weiterentwickelt werden. Aus diesem Grund wollen wir gemeinsam mit den Kommunen Unterstützungssysteme besser und dichter knüpfen. Zudem haben wir die Finanzierung des Modellprojekts „Kommunale Präventionsketten“ bis Ende 2018 sichergestellt, und für bestehende Lücken haben wir zusätzlich 1,7 Millionen € in die Hand genommen.

Jugend: Neben der frühkindlichen Bildung legt die Landesregierung einen besonderen Fokus auf die Jugendpolitik. Das zentrale Instrument ist hier der Kinder- und Jugendförderplan, dessen Mittel wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, auf 120 Millionen € erhöht haben, und den wir ab 2019 dynamisch anwachsen lassen.

Damit, Herr Dr. Maelzer, haben wir eine prozentual deutlich größere Erhöhung vorgenommen als Sie im letzten Jahr – auf unseren Antrag hin, nebenbei bemerkt. Bitte erkennen Sie doch an, dass hier von den Haushältern gute Arbeit geleistet worden ist, die auch in der Fachöffentlichkeit zu einer großen Zufriedenheit geführt hat!

Die neue Landesregierung erkennt an, dass der „dritte Lernort“, wie die Vereine im Land bezeichnet werden, neben Schule und Familie auch informelle Bildung vermittelt. Dieser dritte Lernort bedeutet eine essenzielle Unterstützung für die Bildung und Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen. Das werden wir noch besser fördern als bisher – sowohl im Hinblick auf die Infrastruktur als auch die Projekte.

Familien: Auch die Familien stehen im besonderen Fokus der neuen Landesregierung. Wir werden die Familienzentren weiter ausbauen; denn hier wird niedrigschwellig ein unerlässlicher Beitrag für gute Startchancen für Kinder geleistet, und die Erziehungs- und Bildungskompetenz der Eltern wird weiter gefördert.

Die Familienbildung ist ein wichtiger Partner der Jugendhilfe, der Eltern von Anfang an an ihre Erziehungsverantwortung erinnert, sie begleitet und unterstützt. Auch diesen wichtigen Bereich wollen wir auf fast 24 Millionen € erhöhen.

Mit der Familienberatung wollen wir in 2018 eine weitere Stütze im Familienalltag mit rund 20,5 Millionen € stärker fördern. Dass hier viel Bedarf besteht, belegen die hohen Fallzahlen. Dem werden wir gerecht.

(Beifall von der CDU)

LSBTI: Die NRW-Koalition steht für die Wertschätzung von Vielfalt. Dass sich das Familienministerium – dort die Familienabteilung – um das Thema „LSBTI“ kümmert, ist ein bewusstes politisches Statement für die Gleichstellung. Der Haushaltsansatz im Bereich LSBTI wird überrollt. Mit den existierenden Mitteln werden, dem Koalitionsvertrag entsprechend, zahlreiche Aktivitäten geplant und realisiert.

Meine Erläuterungen belegen: Wir gestalten und unterstützen die Kinder- und Jugendpolitik in unserem Land aktiv. In einem kulturell zukunftsgerichteten und weltoffenen NRW stehen wir für Vielfalt und Toleranz und eröffnen jeder Frau und jedem Mann bestmögliche Bildungs- und Entwicklungschancen von Anfang an.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kamieth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frühkindliche Bildung und die Unterstützung von Familien sind zentrale politische Themen. Die Herausforderungen im Kitabereich sind groß; sie werden auch hier immer wieder in unterschiedlichster Art und Weise beschrieben.

Die Debatte zum Thema „Kinder in diesem Land“ ist heute mal erfreulich runtergezoomt, im Vergleich zu dem, was wir sonst schon erlebt haben. Wir brauchen nämlich kein Schwarzer-Peter-Spiel, sondern eine nach vorne gerichtete Debatte darüber, was Kitapolitik, Kinder- und Jugendpolitik, Familienpolitik in diesem Land ausmacht, statt der ständigen Geschichtsaufarbeitung, wer denn was und wie möglicherweise in den Sand gesetzt hat.

Herr Minister, Sie haben immer dieses Vier-Stufen-Modell in den Raum gestellt. Wir haben schon beim Rettungspaket auf die Probleme hingewiesen, die die erste Stufe, die Sie gezündet haben, mit sich gebracht hat:

Zum einen haben wir darauf hingewiesen, dass das Gießkannenprinzip nicht unbedingt dem gerecht wird, was die einzelnen Einrichtungen brauchen.

Zum andern haben wir darauf aufmerksam gemacht – das ist in einer Haushaltsdebatte der wichtigere Punkt –, dass Sie mit einem haushalterischen Taschenspielertrick gearbeitet haben. Im Nachtragshaushalt war das Geld für das laufende Kitajahr; das ist haushalterisch durchaus richtig. Dass aber auch das Geld für das kommende Jahr im Nachtragshaushalt und nicht, wie es eigentlich haushalterisch richtig gewesen wäre, in diesem Jahr abgebildet wird, ist der Tatsache geschuldet, dass Sie nicht mehr Geld in Ihrem Haushalt haben wollten, sondern es im Nachtragshaushalt verstecken wollten.

Das ist nicht unbedingt redlich, aber sei‘s drum. Sie haben sich mit diesen 500 Millionen € eine Verschnaufpause verschafft, aber auch, wie ich hoffe, eine intensive Arbeitsphase, um die nächsten Stufen, die Sie angekündigt haben, jetzt auch zielgerichtet anzugehen. Sie sollten sich als guten Vorsatz fürs neue Jahr direkt ins Stammbuch schreiben, dass jetzt wirklich einmal die Eckpunkte für ein neues Kitagesetz vorgelegt werden müssen.

Ich habe Herrn Kamieth gerade andeuten hören, dass es jetzt doch kein neues Gesetz werden soll. Herr Kamieth geht vielmehr noch davon aus, dass das KiBiz reformierbar sei. Ich glaube, mit dieser Meinung steht er alleine da. Ich hoffe zumindest, dass dem so ist; denn ich gehe davon aus, dass Sie sich auf den Weg machen und ein neues, tragfähiges Kitagesetz auf den Weg bringen werden, anstatt zu versuchen, diesen KiBiz-Murks weiter zu reformieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nehmen Sie doch Stufe zwei und Stufe drei zusammen. Wie soll denn eine vernünftige und langfristige Finanzierungssicherheit in Kitas gelingen, wenn Sie die Qualität erst auf Stufe drei hinterherschieben wollen? Das muss zusammengedacht werden.

Machen Sie sich auf den Weg. Gehen Sie weg von den Kindpauschalen, die offensichtlich gescheitert sind, und hin zu einer Sockelfinanzierung, die dann auch in weiteren Säulen die besonderen Bedarfe in den Bereichen Sprache, Motorik, Gesundheit, Inklusion usw. berücksichtigt.

Wir müssen uns dringend darüber unterhalten, wie wir die Attraktivität des ErzieherInnenberufs noch steigern können. Wir müssen über die Art und Weise sprechen, wie Erzieherinnen und Erzieher ihre Arbeit in den Kitas verrichten können. Wir müssen darüber sprechen, wie wir mehr Menschen für diesen Beruf gewinnen können. Wir müssen auch über die Bezahlung dieser Menschen sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Auch die Kindertagespflege muss in diesem Zuge weiter gestärkt werden.

Erfreulich ist aus unserer Sicht auch, dass Sie die kommunalen Präventionsketten weiter fördern wollen. Alle Kinder haben ein Recht auf gutes Aufwachsen und auf gleiche Chancen. Deshalb ist es richtig und konsequent, dass Sie den von Rot-Grün eingeschlagenen Weg weiterführen und auch die Weiterfinanzierung ermöglichen. Das können wir nur richtig finden.

Große Einigkeit besteht auch darüber, wie wichtig die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit im Kinder- und Jugendförderplan ist. Sowohl Rot-Grün als jetzt auch Schwarz-Gelb haben sich konsequent an die Aufstockung des Kinder- und Jugendförderplans gemacht. Dass Sie nun mit einer weiteren Aufstockung und einer Dynamisierung diesen Weg konsequent weiterbeschreiten, finden wir richtig.

Wir haben in der letzten Plenarsitzung des Landtags deutlich gemacht: Wir wünschen uns als qualitative Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendförderplans die Einführung des Gender Budgetings, damit wir noch mehr Transparenz und noch mehr Qualität hineinbringen.

(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])

Zum Abschluss noch paar Worte zur LSBTI-Politik: Ein wichtiges Zeichen der Kontinuität und der Verlässlichkeit mit Blick auf die Politik für die offene Gesellschaft ist es, dass – Kollege Kamieth hat gerade darauf hingewiesen – die Haushaltsansätze überrollt werden.

Mit dem Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie hat die rot-grüne Landesregierung eine Blaupause bzw. einen Steinbruch an Dingen geliefert, die in diesem Land umgesetzt werden müssen. Ich habe vernommen, dass Sie an dieser Umsetzung weiterhin konsequent arbeiten wollen. Das ist richtig.

Wir werden einen Haushaltsantrag einbringen, der noch einmal einen Punkt verstärken soll, über den wir auch schon debattiert haben, und bei dem wir unterschiedlicher Auffassung sind. Ich hoffe, dass ich Sie hinsichtlich der Notwendigkeit einer Landeskoordinierungsstelle für Regenbogenfamilien noch überzeugen kann.

Dieser Bedarf wurde bislang nicht abgedeckt. Für die Menschen und die Regenbogenfamilien in diesem Land ist es aber notwendig, dass wir hierbei spezielle Unterstützung leisten. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem Haushalt geht es um Chancengerechtigkeit; es geht um Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen.

Ich freue mich über die Rede von Dr. Maelzer. Er bleibt damit der Linie der SPD treu: große Reden halten, aber nur wenig umsetzen. Das passt zum Profil dessen, was wir in den letzten sieben Jahren vorgelegt bekommen haben.

Wir werden das jetzt in mehreren Punkten anders machen. Wir werden den Kinder- und Jugendförderplan neu aufstellen und neu ausrichten. Ich bin sehr froh, dass wir ihn auf 120 Millionen € anpassen

(Zuruf von der SPD: 130 Millionen € wären besser!)

und einen historischen Schritt vornehmen werden. Wir werden nämlich eine Dynamisierung einführen, sodass die Träger und die Betroffenen nicht jedes Mal nach fünf Jahren in eine defizitäre Situation geraten, sondern auskömmlich arbeiten können. Das ist ein historischer Schritt. Ich möchte der Landesregierung für diesen Vorschlag recht herzlich danken.

(Beifall von der FDP)

Ein zweiter Punkt, für den die Freien Demokraten lange gekämpft haben, und bei dem sich SPD und Grüne jahrelang verweigert haben, ist die Evaluierung von familienpolitischen Leistungen. Erstmalig in der Geschichte des Landes steht diese Position nun im Haushalt. Wir wollen Familienzentren, Familienbildung und Familienberatung evaluieren sowie schauen, wie die Leistungen ankommen, wo man verbessern kann und wo man eventuell noch nachsteuern muss.

Wenn man Steuergelder ausgibt und gewisse Zielvorstellungen hat, wohin das Geld fließen soll, ist es wichtig, diesen Prozess immer wieder einmal zu überprüfen. Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir das in diesem Haushaltsjahr entsprechend angehen werden.

Ein drittes Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, und wo ich froh bin, dass sich CDU und FDP dabei auf einen guten Kurs verständigt haben, ist der Kampf gegen Kinderarmut. Aus der Zeit von Hannelore Kraft haben wir eine sehr schlechte Bilanz vorgefunden. Jedes dritte Kind in Nordrhein-Westfalen ist von Armut betroffen. In den letzten Jahren haben wir außer dem Programm „Kein Kind zurücklassen“ nichts vorgelegt bekommen.

Wir wollen das an verschiedenen Punkten anders machen. Zunächst wollen wir dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert. Am stärksten von Armut betroffen sind alleinerziehende Frauen; daher brauchen wir eine gute Kitabetreuung in Nordrhein-Westfalen.

Ein weiterer Punkt ist die Stärkung der Präventionsarbeit. Das geht damit los, dass wir die Jugendämter vor Ort unterstützen, aber auch Präventionsketten aufbauen. Eine einzelne Maßnahme hilft da nicht weiter; das war der Fehler, den Rot-Grün damals gemacht hat.

Ein nächstes Thema, das wir angehen wollen und müssen, ist die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule auf Augenhöhe. Dort müssen wir die Jugendlichen abholen. In Zukunft wird diese Zusammenarbeit immer wichtiger werden, weil nur so Jugendliche echte Chancen erhalten.

Die größte Aufgabe, die wir in dieser Legislaturperiode vor der Brust haben, ist das Kinderbildungsgesetz. Von SPD und Grünen haben wir da einen absoluten Scherbenhaufen präsentiert bekommen – sieben Jahre lang Ankündigungspolitik, sieben Jahre lang keine Ergebnisse.

In einem ersten Schritt mussten wir ein Rettungspaket über 500 Millionen € auf den Weg bringen, um den Trägern eine finanzielle Leistung zukommen zu lassen, damit sie überhaupt überleben können.

Wenn 80 % der Träger defizitär arbeiten, ist es extrem wichtig, einen solchen Schritt zu gehen, damit man in den nächsten Jahren ein gutes neues Kinderbildungsgesetz auf den Weg bringen kann, das solche Probleme ausmerzt. Dabei geht es natürlich darum, dass wir eine auskömmliche Finanzierung auf den Weg bringen. Es geht darum, dass wir die aktuellen Probleme des KiBiz ausmerzen und die Tagespflege und die Kitas tatsächlich gleichbehandeln.

Frau Paul, natürlich geht es auch darum, den Erziehermangel anzugehen. Ich hätte mir gewünscht, dass von den Grünen und von der SPD in den letzten Jahren Vorschläge gekommen wären, wie man das hätte auf den Weg bringen können. Es geht darum, die dualisierte Ausbildung tatsächlich so gut auszugestalten, dass sie flächendeckend im Land angenommen wird.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Weil 16.000 Erzieherinnen in diesem Land fehlen, ist es notwendig, dass wir im Parlament entsprechende Rahmenbedingungen setzen, damit Träger auch ausbilden, sodass wir in Zukunft auch über Qualitätsverbesserungen diskutieren können.

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen einen Plan vorgelegt, wie wir mit dem Kinderbildungsgesetz umgehen werden und wie wir hier vorgehen werden. Wir werden auch Schritt für Schritt daran herangehen, weil es darum geht, die Qualität nach vorne zu bringen. Es geht darum, das vernünftig zu machen und nicht irgendwelche Schnellschüsse zu starten, um nicht in ein paar Jahren ähnliche Probleme zu haben, wie wir sie heute vorfinden. Der Haushalt 2018 ist dafür ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und hoffe, dass das Parlament diesem Haushaltsentwurf zustimmt, damit es tatsächlich mehr Chancengerechtigkeit für die Kinder und Jugendlichen in diesem Land gibt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, wenn man sich Ihre Rede vom 28. September 2017 im Familienausschuss zu Gemüte führt, kann man eigentlich kaum glauben, dass die rot-grüne Landesregierung tatsächlich abgelöst wurde.

Im Koalitionsvertrag klingt es noch so verheißungsvoll:

Familien

„stehen im Mittelpunkt unserer Politik.“

„Dabei ist die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern.“

Der Kindertagesbetreuung kommt

„eine die Eltern unterstützende und ergänzende – jedoch keine ersetzende – Funktion zu.“

„Unser Ziel ist, ihnen die größtmögliche Wahlfreiheit zu eröffnen.“

Und zu guter Letzt:

„Familien, bei denen ein Elternteil die Kinder zu Hause betreut, sollen ebenfalls aktive Unterstützung erfahren.“

Mein Eindruck ist allerdings gewesen, dass Ihre persönliche Vorstellung von Familienpolitik eine völlig andere Tonart an den Tag legt: eine Politik für – Zitat – Familien als Fundament einer fortschrittsorientierten Gesellschaft oder, besser gesagt, Politik für Familien als Fundament einer schönen neuen Welt; Ihrer schönen neuen Welt.

Glauben Sie wirklich noch, dass Familien heute unter den starren Rollenbildern leiden? Glauben Sie wirklich, dass starre Rollenbilder die Ursache für immer mehr Einzelhaushalte, weiterhin hohe Scheidungsraten, niedrige Geburtenraten und eine viel zu hohe Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen sind? Glauben Sie wirklich, dass das heute tatsächlich noch ein zentrales Problem von Familien ist?

Es geht auch so weiter. Ihre euphemistische Beschreibung des Wunsches vieler Eltern nach – Zitat – freierer und partnerschaftlicher Aufteilung von familiären und beruflichen Aufgaben ist doch der blanke Hohn, meine Damen und Herren. Vielleicht trifft das in Ihren akademischen Kreisen auf ein selbst gestaltetes Rollenverständnis zu. Für die meisten Menschen in Nordrhein-Westfalen ist es jedoch bittere Notwendigkeit. Vergessen Sie nicht: Nach wie vor sind fast 80 % aller Eltern in Deutschland Arbeiter und Angestellte. Familien sind nach wie vor der Lastesel der Gesellschaft.

So, wie es aussieht, wird Schwarz-Gelb daran auch nichts ändern. Eine abenteuerliche Steuerlast und immer wieder neue Zwangsabgaben tragen doch mit dazu bei, dass ein Einkommen schon lange nicht mehr ausreicht, um eine Familie zu ernähren. Aber was tun Sie für die viel zitierte echte Wahlfreiheit in Sachen Kinderbetreuung? Ich sehe zwar Bemühungen, allerdings immer nur in eine Richtung, nämlich in Richtung der Fremdbetreuung.

Neu ist in der Tat die Fokussierung auf die Kinderwunschbehandlung. An sich ist das ein sehr schöner Gedanke. In diesem Zusammenhang könnte man sich aber auch einmal fragen, was die Politik dazu beitragen könnte, damit die Kinder, die schon auf natürlichem Weg gezeugt wurden, so erwünscht sind, dass sie zur die Welt kommen dürfen. Dies will ich aber nur am Rande erwähnen und zu dem sicher sehr wichtigen Anliegen „unerfüllter Kinderwunsch“ zurückkommen.

Hier möchte ich aus dem „Ärzteblatt“ vom März 2017 zitieren:

„Es ist ein Armutszeugnis moderner Gesellschaften, dass inzwischen nicht eine echte Infertilität das Gros der Frauen zur Kinderwunschtherapie nötigt, sondern der verlorene Wettlauf gegen das Alter.“

Meine Damen und Herren, besser wäre es, diesen Missstand zu erkennen und gegenzusteuern, also Bedingungen zu schaffen, damit jüngere Paare sich ohne Sorgen für Familie entscheiden können. Denn was bedeutet es für diese Familien und letztlich für eine ganze Gesellschaft, wenn Eltern immer älter werden? Haben Sie sich jemals ernsthaft über die Folgen einer derartigen Familienpolitik Gedanken gemacht?

Die Behandlung ist für viele Paare psychisch und physisch eine große Belastung und bei Weitem nicht immer von Erfolg gekrönt. Mehrlingsgeburten kommen häufiger vor. Spätere Geschwisterkinder sind aufgrund des hohen Alters der erstgebärenden Mutter unwahrscheinlich. Die gesundheitlichen Risiken späterer Schwangerschaften nimmt man billigend in Kauf, obwohl diese Frauen auf natürlichem Wege hätten schwanger werden können; lediglich zu einem früheren Zeitpunkt.

Und was heißt das denn noch? Oma werden mit 80? Der natürliche Kreislauf des Füreinander wird durch die Zementierung dieses Missstandes dramatisch gestört.

Nein, Herr Minister Stamp, für Ihre Version von Familienpolitik kann es von unserer Seite aus nur Widerstand geben.

Noch ein Wort an die lieben Kollegen von der CDU: Viele Wähler haben sich von Ihren Wahlkampfslogans blenden lassen. Sie haben uns im Wahlkampf, insbesondere bei der Landtagswahl, teilweise sogar rechts überholt. Die Wähler haben sich einen Regierungswechsel erhofft, einen echten Kurswechsel, auch in der Familienpolitik. Deshalb haben die Menschen CDU und FDP gewählt.

(Jochen Ott [SPD]: Ach, Quatsch!)

Was machen Sie jedoch? Sie setzen die rot-grüne Einheitspolitik fort, und es gibt überhaupt keine ideologische Abweichung, keine Korrektur dieses falschen Kurses. Das ist schade. Schwarz-Gelb hat jetzt die Chance, selber zu gestalten. Sie sitzen doch an den Hebeln der Macht.

Enttäuscht kann man nur sein, wenn man vorher getäuscht wurde. Und glauben Sie mir: Die Wähler kriegen das mit. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Dworeck-Danielowski. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen muss zum Land der Chancen werden. Das ist das Ziel von uns als Landesregierung. Jeder in unserem Land muss die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und auf Aufstieg haben.

Wir wissen, dass die Grundlagen dafür schon in den ersten Lebensjahren gelegt werden. Deswegen gilt unsere ganze Aufmerksamkeit auch den ganz Kleinen und der frühen Bildung.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wir haben Ihre Haushaltsänderungsanträge lebhaft in Erinnerung!)

Wir haben dieses Ministerium aufgewertet, Herr Kollege Maelzer. Vielleicht ist es ja auch ein bisschen Neid darauf, dass das Ministerium in der Vergangenheit bei der Regierung Kraft eben nicht die Rolle gespielt hat, die Sie sich als Fachpolitiker sicherlich gewünscht hätten.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Sie haben die halbe FDP im Ministerium!)

Wir haben bereits die halbe Milliarde Euro für die Kitas auf den Weg gebracht sind jetzt dabei, mit Mitarbeitern des Hauses, die ein schwarzes Parteibuch, ein rotes Parteibuch, ein gelbes Parteibuch und auch ein grünes Parteibuch haben, gemeinsam für dieses Land die Reform des KiBiz auf den Weg zu bringen. Für uns im Haus zählt nicht das Parteibuch, sondern alleine die Leistung und Orientierung an den Kindern in unserem Land, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben versprochen, dass wir die frühe Bildung in Nordrhein-Westfalen wieder nach vorne bringen. Dieses Versprechen werden wir halten.

Ich habe gesagt, dass der erste Schritt das Kita-Träger-Rettungspaket mit einem Umfang von einer halben Milliarde Euro ist. Das war dringend nötig, weil das Ganze unterfinanziert war. Deshalb haben wir das auch über den Nachtragshaushalt geregelt.

Wir haben es extra so unbürokratisch wie möglich gemacht. Damit haben wir dafür gesorgt, dass in den kommenden zwei Jahren kein Kindergarten in Nordrhein-Westfalen schließen muss. Inzwischen wurde eine halbe Milliarde Euro von den beiden Landesjugendämtern an die Jugendämter bewilligt und ausgezahlt – noch in diesem Jahr. Deswegen sind wir genau diesen Weg gegangen und haben es so unbürokratisch wie möglich gehalten. Das ist der Erfolg.

Die Begeisterung in der Trägerszene ist auch entsprechend groß. Das können Sie hier nicht kleinreden.

Die Jugendämter leiten die Gelder jetzt an die Träger weiter. Die Träger können unbürokratisch in eigener Verantwortung über den Einsatz der Mittel entscheiden – ganz so, wie es den Nöten und Notwendigkeiten vor Ort entspricht.

Wir wissen ganz genau, meine Damen und Herren, dass das nur der erste Schritt gewesen ist und dass wir dauerhaft ein auskömmliches System auf den Weg bringen müssen. Deswegen werden wir die Hängepartie der KiBiz-Reform beenden. Wir haben viel Zeit verloren.

Herr Maelzer, in jeder Sitzungsperiode erinnern Sie noch einmal daran, dass es Rot-Grün in sieben Jahren nicht gelungen ist, eine solche Reform auf den Weg zu bringen. Es gab schon den Vorschlag, den Kollegen Maelzer in der Öffentlichkeitsabteilung unseres Hauses zum Mitarbeiter des Monats zu machen.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

Wir werden dabei im Übrigen auch die Kindertagespflege insbesondere für die unter Dreijährigen als familiennahes Angebot fest im Blick behalten.

Meine Damen und Herren von der SPD, der von Ihnen hier geforderte um rund 4 Millionen € erhöhte Baransatz bei der Kindertagespflege ist nicht nur nicht nachvollziehbar; im Vorfeld der Neuregelung des Finanzierungssystems ist er auch nicht zielführend.

Nach der Sicherung der Auskömmlichkeit ist dann der nächste Schritt die Verbesserung der Qualität. Dabei ist mir neben der Verbesserung des Betreuungsschlüssels vor allem die sprachliche Förderung sehr wichtig.

Der vierte Punkt ist schließlich die Flexibilität. Sie haben es angesprochen: Es gibt hier gute Pilotprojekte, die wir uns anschauen, die wir evaluieren und die wir auch weiter ausbauen werden. Aber auch hier ist es nicht zielführend, schon im Vorfeld Einzelprojekte besonders zu highlighten.

Das Thema der Randzeitbetreuung muss im Rahmen eines Gesamtkonzeptes umfassend geregelt werden. Sie hätten das in den vergangenen Jahren schon längst mit einem vernünftigen Gesamtkonzept auf den Weg bringen können und müssen. Das werden wir jetzt in dieser Legislaturperiode tun. Das werden wir auch vernünftig machen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das werden wir dann ja sehen!)

Meine Damen und Herren, es geht natürlich auch um den Ausbau der Plätze. Nordrhein-Westfalen wird hier in den kommenden Jahren weiter investieren und die Zahl der Betreuungsplätze entsprechend dem Bedarf ausbauen. Für den Ausbau von Plätzen für Kinder bis zum Schuleintritt stehen seit dem Sommer 2017 für die nächsten Jahre rund 286 Millionen € an Bundes- und Landesmitteln zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, bei all dem, was wir für Kinder und Familien tun, ist es für uns selbstverständlich, die Kinder und Familien immer fest in den Blick zu nehmen, die es besonders schwer haben. Deswegen hat von uns keiner im Vorfeld von Wahlen gesagt, wir wollten Präventionsketten zerschlagen. Ganz im Gegenteil: Wir haben immer kritisiert, dass der Slogan „Kein Kind zurücklassen!“ eben einfach nur ein Slogan geblieben ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen werden wir unsere Politik ganzheitlich ausrichten. Dazu gehören selbstverständlich auch weiterhin die Präventionsketten. Wir werden sie in Ruhe analysieren und im Übrigen dafür sorgen, dass sie jetzt erst einmal für weitere Kommunen ausreichend finanziert sind. Dann werden wir sehen, wie wir die Präventionsarbeit weiterentwickeln und noch verbessern können.

Nicht schöne Slogans, sondern die konkrete Arbeit und konkrete Verbesserungen zählen. Wir haben die Präventionsarbeit jetzt solide finanziert. Wir werden dafür sorgen, dass wir für die Kinder, für die das besonders wichtig ist, auch wirklich einen Schritt weiterkommen. Hierfür stellen wir 1,7 Millionen € zusätzliche Mittel bereit.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz etwas zu den Familienzentren sagen, von denen gerade Kinder und Familien in schwierigen sozialen Lagen sehr profitieren. Rot-Grün hatte für das kommende Jahr keine Förderung neuer Familienzentren vorgesehen. – Herr Maelzer, da sollten Sie zuhören und sich das vielleicht auch merken, bevor Sie das möglicherweise in einem falschen Zusammenhang in der nächsten Sitzungsperiode hier wieder thematisieren.

Wir wollen nun im Kindergartenjahr 2018/2019 zusätzliche Haushaltsmittel für den Ausbau von 150 neuen Familienzentren zur Verfügung stellen. Für diesen Zweck werden weitere 1,7 Millionen € bereitgestellt.

Selbstverständlich werden wir auch in der Familienpolitik diejenigen nicht alleine lassen, die unsere Unterstützung besonders brauchen.

So wird natürlich auch Familien, die das finanziell nicht stemmen können, die Teilnahme an „Elternstart NRW“ in Zukunft möglich sein. Zur Mitte des Förderjahres besteht regelmäßig Gelegenheit, zusätzliche Mittel für Gebührennachlass zu beantragen, die in der Regel auch genehmigt werden – im Übrigen auch für Flüchtlingsfamilien; dafür haben wir mit weiteren Mitteln gesorgt.

Die SPD fordert für die Familienbildung im Bereich des Gebührennachlasses für sozial benachteiligte Familien und des Angebots Elternstart NRW zusätzliche Mittel in Höhe von rund 1 Million €.

Auch die Verbraucherinsolvenzberatung stärken wir. Wir unterstützen sie weiter und haben im Vergleich zum Haushaltsjahr 2017 zusätzliche Haushaltsmittel für Personalkosten in Höhe von 800.000 € bereitgestellt. Das ist die höchste Anhebung seit Beginn der Förderung.

Frau Paul, Sie haben das Thema „LSBTI“ zu Recht angesprochen. Sie wissen, dass dieses Thema uns wichtig ist. Deswegen haben wir das politische Zeichen gesetzt, das LSBTI-Referat bei uns in der Familienabteilung anzusiedeln und es dort klar zu positionieren.

Wir beabsichtigen, den „NRW-Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“ im Grundsatz weiterzuführen. Er beschreibt die programmatische Ausrichtung und die praktische Umsetzung der Gleichstellungsarbeit im Bereich LSBTI für Nordrhein-Westfalen. Ich behalte mir allerdings vor, den bisher sehr aufwendigen Prozess konzeptionell, zeitlich, personell und finanziell anders zu gestalten und auch mit einigen neu gewählten Akzenten zu versehen.

Lassen Sie mich zuletzt die Jugendpolitik ansprechen. Auch das ist von Ihnen eben genannt worden. Hier geben Sie mir, lieber Herr Maelzer, die Steilvorlage, dass wir das herausarbeiten können. Ich freue mich in der Tat ganz besonders darüber, dass uns das, was von der Jugendarbeit in NRW zu Recht schon länger gefordert wird, gelungen ist, nämlich die Sicherstellung der Auskömmlichkeit des Kinder- und Jugendförderplans; denn damit legen wir die Grundlage für eine innovationsstarke Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir werden die Mittel des KJFP von 109,2 Millionen € auf 120,2 Millionen € erhöhen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Warum nicht auf 130 Millionen €?)

Was vor allem wichtig ist: Wir werden darüber hinaus diese Mittel ab 2019 dynamisch aufwachsen lassen. Das ist eine wesentliche Forderung der Verbände gewesen, damit sie in Ruhe ihre Arbeit planen können. Hiermit bleibt die Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen dauerhaft stabil.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, mal verkünden Sie, diese Landesregierung würde nichts anderes tun, als die Projekte der Regierung Kraft weiterzuführen; mal hört man von Ihnen, wir würden soziale Kälte verbreiten und seien eine Mitte-rechts-Regierung.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Über das mit der Mitte müssen wir noch einmal nachdenken!)

Das ist in sich zutiefst widersprüchlich – es sei denn, wir kämen demnächst zu Ihrer Forderung, Herr Maelzer, dass zukünftig auch eine rot-grüne Regierung eine Mitte-rechts-Regierung wäre. Das wäre letztlich in sich logisch, wenn Sie die Dinge, die Sie bei uns gutheißen und fortgesetzt sehen wollen, zukünftig dann auch selbst betreiben.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Diese Logik habe ich jetzt nicht verstanden!)

Dann werden wir uns einmal darüber unterhalten, wie die politische Mitte hier in Nordrhein-Westfalen neu vermessen wird.

Wir stellen die Familien, die Kinder und die Jugendlichen in den Mittelpunkt unserer Politik. Wir machen die wichtige Arbeit – im Gegensatz zu Ihnen auskömmlich finanziert –, die nötig ist, damit es den Familien, Kindern und Jugendlichen in unserem Land gut geht.

Ich bin froh – das möchte ich abschließend betonen –, dass wir bei allen Auseinandersetzungen, die wir im Ausschuss haben,

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

darüber sehr fair diskutieren und auch in der Tonlage, wie ich finde, im Vergleich zur letzten Legislaturperiode sehr vernünftig miteinander umgehen. Deswegen freue ich mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Stamp. – Ich weise darauf hin, dass die Landesregierung bereits jetzt ihre Redezeit um 1:38 Minuten überzogen hat.

Ich frage, ob es noch Wortmeldungen zum Teilbereich a des Einzelplans 07 gibt. – Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zum Teilbereich

b) Flüchtlinge und Integration

Ich darf hierzu als erstem Redner in der Aussprache dem Kollegen Yetim für die Fraktion der SPD das Wort geben.

Ibrahim Yetim (SPD): Danke. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was gab es vor ungefähr sechs Monaten für einen Trommelwirbel, was gab es für ein Getöse, als diese Mitte-rechts-Koalition ankündigte, Nordrhein-Westfalen zum Motor der Integrationspolitik in Deutschland machen zu wollen! Dann kam dieser Haushalt, und wir stellten fest: Der Motor ist ein Tuk-Tuk.

Die SPD-Fraktion findet es gut – das will ich gern zugeben –, dass die Mitte-rechts-Koalition die integrationspolitischen Strukturen und Programme, die in den vergangenen Jahren unter Rot-Grün aufgebaut worden sind, fortführt, zum Beispiel das Programm KommAn-NRW oder auch die Einrichtung der kommunalen Integrationszentren.

Ich würde aber gern und viel lieber über neue Aspekte und neue Ideen der Mitte-rechts-Koalition sprechen und Ihnen sagen, welche Ideen davon wir gut finden und welche wir kritisieren.

Gerade im ersten Jahr einer Regierungskoalition werden üblicherweise neue Projekte gestartet. Das Problem heute ist leider, dass das für die Mitte-rechts-Koalition in Nordrhein-Westfalen nicht zutrifft.

Statt sich Gedanken über die Förderung von Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Anerkennung, Schul- und Berufseinstieg und somit auch gesellschaftlicher Anerkennung und Aufstieg zu machen, verkämpfen sich der Minister und seine Staatssekretärin Frau Güler seit Monaten mit ihrem Plan zur Abschaffung der Integrationsräte.

Statt Wege aufzuzeigen, wie wir Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund gleiche Chancen beim Einstieg in den Beruf geben können, ist die Lösung des Ministers die Ankündigung einer Bundesratsinitiative zur vereinfachten Namensänderung. Aus Mustafa soll dann Michael werden, um Chancengerechtigkeit zu schaffen.

Statt zum angekündigten Chancen-Ministerium ist das Ministerium für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration zu einem Haus der ungenutzten Möglichkeiten geworden. Es ist ein Gemischtwarenladen geworden, in dem die Integrationspolitik zu meinem großen Bedauern zu einem Restposten geworden ist.

Das merkt man sehr deutlich. Die Integrationspauschale versickert im Haushalt, obwohl CDU und FDP in den letzten Jahren genau das Gegenteil gefordert hatten.

(Daniel Sieveke [CDU]: Sie haben es versickern lassen!)

Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass der heutige Minister Stamp und seine heutige Staatssekretärin Güler mit ihren Fraktionen entsprechende Anträge eingebracht haben. Die CDU-Fraktion wählte damals die Formulierung „vollständig“. Die FDP-Fraktion sprach von einem „erheblichen Teil“ der Weitergabe der Integrationsmittel.

Jetzt wird das zuständige Ministerium von einem FDP-Politiker geleitet und hat eine CDU-Staats-sekretärin. Und was kommt bei der Integrationspauschale am Ende für die Kommunen heraus? Nichts! Es ist schon eine beachtliche Leistung, wenn man sich innerhalb von zwölf Monaten an seine eigenen Forderungen und Anträge nicht mehr erinnern kann.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Die Flüchtlinge, die in den letzten Monaten und Jahren zu uns gekommen sind, werden auch zukünftig viel Unterstützung bei der Integration benötigen. Dass diese Mitte-rechts-Landesregierung nun ausgerechnet bei der sozialen Beratung von Flüchtlingen spart, ist erschreckend. Die Träger beraten die Flüchtlinge vor Ort und helfen bei sozialen, schulischen, beruflichen und gesundheitlichen Fragen. Die Nachfrage danach wird eher zu- als abnehmen.

Die Kürzungen dieses Ansatzes sind daher absolut unverständlich und leider auch nicht besonders vorausschauend. Dann nützt es auch nichts, zu sagen: Wir haben da eine Einigung gefunden. – Es muss in diesem Haushalt stehen. Zumindest muss es dazu einen Antrag geben. Das sehe ich aber nicht.

(Beifall von Jochen Ott [SPD] und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Nur zu glauben, es werde zutreffen, was uns im Ausschuss gesagt wird, ist mir zu wenig.

Die Mitte-rechts-Koalition hat bekanntermaßen ein Faible für Rankings. Das haben wir im letzten Jahr und auch in diesem Jahr mitbekommen. Ich will das gern aufgreifen, Herr Minister.

Den Spitzenplatz bei den Neueinstellungen belegt Ihr Ministerium. Sie machen den Regierungswechsel zum teuersten der Geschichte. Man merkt: Sie versorgen Ihre Parteimitglieder, ohne zu wissen, was sie eigentlich tun sollen.

Das haben wir im letzten Ausschuss auch festgestellt. Auf die Frage, was diese 17 neu eingestellten Mitarbeiter und die weiteren Mitarbeiter, deren Verträge entfristet wurden, denn tun sollen, kam keine Antwort. Sie sollen irgendwo im Flüchtlingsbereich oder Integrationsbereich angesiedelt werden. Aber die Frage, was sie tun sollen, ist leider nicht beantwortet worden.

Deswegen ist das für mich eine bodenlose Versorgung von Parteimitgliedern, wie es sie noch nie gab.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

– Da darf man klatschen, ja.

Spitze sind Sie auch bei der Erhöhung der Mittel zur Verfügung des Ministers. Dieser Schampus-Topf – so will ich ihn nennen – wird mal eben um 25 % erhöht. Die Kommunen bekommen nichts. Die soziale Beratung bekommt nichts. Der Minister gönnt sich aber mal eben 2.000 € Monat für Monat. Es ist auch nicht erklärbar, warum das so ist. Aber diese Erhöhung um 25 % ist nun einmal da.

Deswegen werden wir diesen Einzelplan ablehnen, weil die Mitte-rechts-Koalition unserer Meinung nach im falschen Bereich erhöht, im falschen Bereich kürzt und keine eigenen, neuen Ideen hat. Diese Mitte-rechts-Koalition ist eben nicht der Motor der Integrationspolitik. Sie ist eher der Hemmschuh der Integrationspolitik. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Yetim. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Wermer das Wort. Bitte schön.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nicht alles anders, aber vieles besser machen: Unter diesen Anspruch stellt die NRW-Koalition den Haushaltsentwurf zum Einzelplan 07.

(Jochen Ott [SPD]: Hat nicht geklappt!)

Denn nicht alles, was die Vorgängerregierung im Bereich der Integrationspolitik unternommen hat, ist per se schlecht.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Nein, wir wollen nur vieles besser machen. Das geht natürlich nicht ganz ohne Veränderungen. Wichtig sind uns aber vor allem Verbindlichkeit und Verlässlichkeit für eine gelingende Integrationspolitik:

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

–   Veränderung an den Stellen, an denen sie notwendig und sinnvoll ist

–   Verbindlichkeit, indem wir klar differenzieren: Wer benötigt Schutz vor Krieg oder Verfolgung? Wer hat eine Bleibeperspektive? Wer wird auf Dauer Teil unserer Gesellschaft? Wer bekennt sich klar und deutlich zu unseren Werten und Gesetzen?

–   Verlässlichkeit für die Menschen, die in unser Land kommen

–   Verlässlichkeit aber auch für alle, die an diesem Integrationsprozess beteiligt sind – wie die Kommunen, die Verbände, soziale Einrichtungen und auch die vielen ehrenamtlichen Helfer in unserem Land

Dort, wo es sinnvoll und geboten ist, wird es sachpolitische Kontinuität geben. Zugleich werden wir prüfen, welche Maßnahmen fortgeschrieben und welche weiterentwickelt werden müssen.

Aber dort, wo es in der Vergangenheit unter anderer Verantwortung Stillstand oder Fehlentwicklungen gegeben hat, müssen wir gemeinsam mit den Menschen in unserem Land neue Wege entwickeln und beschreiten.

Der vorliegende Haushaltsentwurf – davon bin ich überzeugt – wird diesen Ansprüchen mit den gesetzten Schwerpunkten und der gegebenen finanziellen Ausstattung gerecht. Entgegen den Scheindebatten über vermeintliche Kürzungen empfinde ich es als lobenswert, dass der vorliegende Haushaltsentwurf Anpassungen an tatsächliche Bedarfe enthält, wie dies zum Beispiel im Hinblick auf die soziale Beratung von Flüchtlingen der Fall ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei stellen wir sicher, dass es nicht zu einem Substanzverlust kommen wird. Der Minister hat ausdrücklich zugesichert, dass alle bisherigen Stellen in der sozialen Beratung von Flüchtlingen weiter finanziert werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es nützt aber nichts, einfach einen gut ausgestatteten Finanztopf bereitzustellen, wenn die Mittel nicht abgerufen werden.

Insgesamt möchten wir also einen Haushalt, der realistischer und ehrlicher ist, als er es in den vergangenen Jahren war.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Lassen Sie mich Ihnen vier Beispiele nennen:

Erstens. Die auskömmliche und langfristige finanzielle Absicherung der Arbeit der Kommunalen Integrationszentren, kurz KI. Die NRW-Koalition schafft mit der überjährigen Verpflichtungsermächtigung bis zum Ende der Legislaturperiode für die KI Planbarkeit und Verlässlichkeit. Wir schätzen die wichtige Arbeit, die dort geleistet wird.

(Beifall von der CDU)

Zweitens. Das erfolgreiche Programm KommAnNRW, das Ende 2017 ausgelaufen wäre, wird fortgeführt. KommAn-NRW fördert das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge in den Kommunen und leistet damit einen wichtigen Anteil am Integrationsprozess. Ebenso wird die Förderung bei den Integrationsagenturen und den Migrantenselbstorganisationen auf dem erreichten hohen Niveau fortgeführt. Für die Fortführung des Programms KommAn-NRW und die auskömmliche Finanzierung der KI werden insgesamt rund 15,3 Millionen € zusätzlich bereitgestellt.

Drittens: die Durchführung von Kampagnen im Bereich Einbürgerung und zur Umsetzung des Ziels, mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte in den öffentlichen Dienst zu bringen. Dafür werden ungefähr 800.000 € eingeplant, die zur Wertevermittlung und zur gesellschaftlichen Teilhabe beitragen. Unser Ziel ist es, jeder Bürgerin und jedem Bürger unabhängig von seiner Herkunft Chancen auf einen sozialen Aufstieg zu eröffnen.

Viertens – jetzt mache ich es ganz kurz –: Das Landesgewaltschutzkonzept für Frauen und für Menschen verschiedener sexueller und geschlechtlicher Identitäten soll in den Landeseinrichtungen weiter umgesetzt werden. Außerdem soll ein Konzept zum Schutz religiöser Minderheiten erarbeitet werden. Für diese wichtigen Vorhaben sehen wir ein Plus von 5,7 Millionen € vor.

Der vorliegende Haushaltsentwurf ist in unseren Augen eine realistische Einschätzung. Er steht für Verlässlichkeit und Verbindlichkeit, aber auch für Veränderung an den gebotenen Stellen. Damit setzt er finanzpolitisch die richtigen Schwerpunkte und findet die volle Unterstützung der CDU-Fraktion. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wermer. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Aymaz das Wort. Bitte schön.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrter Herr Minister Stamp, zunächst einmal zu dem Guten an Ihrem Haushaltsplan zur Flüchtlings- und Integrationspolitik: Sie setzen tatsächlich zum größten Teil erfolgreiche Projekte aus unserer Regierungszeit fort. – Vielen Dank dafür.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie gehen aber mit einem sehr widersprüchlichen Signal in die Haushaltsberatung. Auf der einen Seite setzen Sie die Förderung der Kommunalen Integrationszentren oder das Förderprogramm „KommAn-NRW“ fort, bei dem der Schwerpunkt auf der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements liegt, was wir ausdrücklich begrüßen.

Auf der anderen Seite sind im Haushaltsplan Kürzungen von 17 Millionen € – Sie wissen das, ich habe es mehrmals angesprochen –, also über 40 %, bei dem Programm „Soziale Beratung von Flüchtlingen“ vorgesehen. Diese massiven Kürzungen bedeuten die Zerschlagung der dringend benötigten Beratungs- und Betreuungsstrukturen.

Daher war die Einbringung des Haushaltsentwurfs nicht nur für uns ein Schock, sondern auch für die Träger der sozialen Beratung für Flüchtlinge; denn Sie, Herr Minister Stamp, hatten zu Beginn Ihrer Amtszeit genau das Gegenteil angekündigt. Auf unseren Berichtswunsch im Integrationsausschuss hin versicherten Sie, dass Sie der sozialen Beratung große Bedeutung beimessen und sich beim Finanzminister mindestens für die Fortführung der Mittel aus dem Jahr 2017 oder am liebsten darüber hinaus für den Ausbau des Budgets starkmachen wollten.

(Minister Dr. Joachim Stamp: Ist ja auch so gekommen!)

– Ich erinnere daran, dass Sie sogar darum baten, Ihnen dafür die Daumen zu drücken. Ich habe gesagt: Da drücke ich Ihnen ganz herzlich die Daumen. – Was aber ist aus Ihren Verhandlungen geworden? Eine Kürzung der Mittel um satte 40 %.

Die Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege zeigt sich in ihrer Stellungnahme zum Haushaltsentwurf tief schockiert und spricht sogar – ich zitiere – von einer „Störung des Vertrauens an die in den letzten Jahren sehr konstruktive und enge, am Bedarf orientierte Zusammenarbeit“.

Nach einer breiten Empörung von Akteuren aus der Flüchtlingsarbeit, teilweise auch aus den Kommunen sagten Sie dann – und das sprach auch die Kollegin Frau Wermer gerade noch einmal an –, dass es sich nicht um Kürzungen handele, sondern lediglich um Bedarfsanpassungen. Das stimmt aber so nicht ganz. Das haben wir auch anhand der Beratungsunterlagen, die Sie für den Integrationsausschuss auf unseren Wunsch hin zur Verfügung gestellt hatten, mehrmals genauestens nachgewiesen.

Dann sicherten Sie zu, Herr Minister Stamp – wieder auf unsere Nachfrage hin –, dass alle Stellen weiterfinanziert würden. Ich finde es gut, dass Sie diese Zusicherung den Trägern inzwischen auch schriftlich mitgeteilt haben. Allerdings ist im Haushalt immer noch nicht ersichtlich, aus welchen Mitteln Sie all diese Stellen tatsächlich finanzieren wollen. Eine transparente und verlässliche Haushaltsberatung ist das nun wirklich nicht, und das machen wir nicht mit.

(Beifall von den GRÜNEN und Nadja Lüders [SPD])

Denn die regionale Beratung von Geflüchteten, die der Unterstützung bei behördlichen Verfahren und der Orientierung in unserem Gemeinwesen dient, ist für uns unverzichtbar. Darum braucht es verlässliche Angaben.

Auch wenn der aktuelle Zuzug von Geflüchteten niedriger ist als in den vergangenen drei Jahren, muss gerade jetzt eine nachhaltige Integration der neu Zugewanderten sichergestellt werden. Die psychosozialen Zentren führen bereits lange Wartelisten. Sie wissen, dass auch da eine Kürzung absolut nicht angebracht wäre. Deshalb lehnen wir den Einzelplan 07 ab.

Herr Minister Stamp, noch im Juli haben Sie eine verbindliche Integrationspolitik angekündigt, und zwar eine, die es so noch nie gegeben habe.

(Minister Dr. Joachim Stamp: Genau!)

Das von Ihnen angekündigte große Neue sehe ich in diesem Haushaltsentwurf nicht. Mit einer Promikampagne zur Einbürgerung und ein paar Stellen für die Verwaltung können Sie nicht behaupten, das große Neue entdeckt und aufgeführt zu haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Aymaz. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lenzen das Wort. Bitte schön.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn kurz ein paar Worte an die Kollegen der AfD – das fiel schon gestern bei den Haushaltsberatungen auf und war irgendwann kein Zufall mehr –: Ich glaube, bei jedem Einzelplan haben Sie das Thema „Flüchtlinge“ für sich entdeckt. Man konnte den Eindruck gewinnen, Sie vermuten hinter jeder Haushaltsstelle gleich einen illegalen Flüchtling. Das fiel gestern auf. Schauen wir einmal, ob Sie das heute noch so durchziehen.

(Andreas Keith [AfD]: Das stimmt noch nicht einmal! – Roger Beckamp [AfD]: Zum Thema!)

Zurück zum Thema – das wollen wir klar zum Ausdruck bringen –: Die NRW-Koalition möchte das Land zum Motor einer verbindlichen, aber auch klar einer aufgestellten Integrationspolitik machen. Wir haben nicht umsonst die Themenfelder Ausländerrecht, Ausländerpolitik bis hin zur Einbürgerung und Integration in einem Ministerium zusammengeführt.

Um diese großen Herausforderungen zu meistern – das mag die Opposition vielleicht kritisieren –, haben wir das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration entsprechend personell aufgestellt. Damit wollen wir zum einen den Herausforderungen gerecht werden, zum anderen Integrationspolitik aus einer Hand gestalten.

Neben den organisatorischen Neuaufstellungen wollen zu einer verbindlichen Integrationspolitik kommen. Zugleich halten wir an unserem Ziel fest, allen Menschen unabhängig von Ihrer Herkunft Chancen auf sozialen Aufstieg und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Stichwort „mehr Verbindlichkeit“: Gerade hinsichtlich der Vermittlung von Sprache, Bildung und Arbeit, aber auch der aktiven Wertevermittlung legt die NRW-Koalition entsprechende Schwerpunkte. Dabei spielen die Kommunalen Integrationszentren eine wichtige Rolle. Das sehen Sie auch im Haushaltsplan an den entsprechenden Ansätzen für das Jahr 2018 und für die Folgejahre. Wir haben die Kommunalen Integrationszentren nicht nur mit 1,9 Millionen € entsprechend finanziell gestärkt, sondern geben auch den Kommunen endlich Planungssicherheit bis 2022.

Ja, die Opposition hat es angesprochen. Aber da muss man auch ein bisschen unterscheiden. Da, wo es sinnvoll ist, wird die NRW-Koalition sinnvolle Projekte fortsetzen, zum Beispiel „KommAn-NRW“, das bei Ihnen sonst zum Jahresende ausgelaufen wäre. So haben wir auch das Sonderprogramm zur Einwanderung aus Südosteuropa im Blick.

Wenn wir immer hören, was Rot-Grün fortgesetzt hätte, was von Ihnen angedacht wäre, so ist es auch wichtig, zu sagen: Mit 15,3 Millionen € stärken wir die Integrationsarbeit vor Ort und setzen „KommAn-NRW“ fort. Wir setzen nicht auf kurzfristige Effekte, sondern wollen das Ganze verstetigen.

Ganz kurz zum Kollegen Yetim, Stichwort „Integrationspauschale“: Wer keinerlei verbindliche, mit Mitteln hinterlegte Planung hinterlässt, in 2016 und 2017 alles einbehält, wer sich – vom Wähler veranlasst – aus der Regierungsverantwortung auf die Oppositionsbank setzen musste und sich dann zum Retter der Kommunen aufspielt, der ist wenig glaubwürdig.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dann noch kurz zur Kollegin Aymaz: Ich weiß, Sie haben die Kürzungen mehrfach angesprochen.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Ich habe es vorgerechnet!)

Der Minister und ich sowie die Kollegin Wermer haben es Ihnen mehrfach erklärt. Aber alle Erklärungsversuche scheitern, wenn man es nicht verstehen möchte,

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir passen die Haushaltsansätze den Realitäten an und nehmen letzten Endes keine Bunkerplanungen mehr vor, wie Sie es getan haben.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Im Gegensatz zu Ihnen habe ich Zahlen angeführt!)

Kommen Sie zurück in die Realität.

Ich denke, bei dem Thema „Integrationspauschale“ ist auch dem Kollegen Yetim klar, dass es bei einem solchen Haushalt, bei dem wir analog der Realität planen, keine Spielräume in dreistelliger Millionenhöhe gibt. Aber – und das können wir hier und heute zusagen – es gilt ganz klar die Aussage: Wenn der Bund entsprechende Mittel weiter zur Verfügung stellt, werden wir diese eins zu eins an die Kommunen weitergeben.

Wir sehen die Kommunen als einen zentralen Partner der Integrationspolitik. Auch wir stehen an der Seite der Kommunen und wollen sie weiter entlasten, zum Beispiel bei der Verteilung der Flüchtlinge. Wenn es rechtlich möglich ist und nur eine geringe Bleibeperspektive besteht bzw. mit der Ablehnung des Asylantrags zu rechnen ist, müssen wir dahin kommen, dass die Flüchtlinge bis zur freiwilligen Ausreise bzw. Rückführung in den Landeseinrichtungen verbleiben. Bis dahin wollen wir sie dort belassen und dadurch die Kommunen indirekt entlasten. Deswegen haben wir 5 Millionen € mehr für die erforderliche Instandhaltung der Landeseinrichtungen in den Haushalt eingestellt, sodass die Summe nun bei 19 Millionen € liegt.

Genauso haben wir – auch wenn Sie es nicht angesprochen haben, ich erinnere Sie gerne daran – beim Härtefallfonds für die Krankheitskosten Asylsuchender den Schwellenwert halbiert, und zwar von 70.000 auf 35.000 €. Den Haushaltsansatz haben wir dort noch einmal um 1,2 Millionen € gestärkt, um gerade übermäßige Belastungen durch Einzelfälle zu vermeiden.

Dieser Haushaltsplan steht für eine zielorientierte Integrationspolitik, und deswegen werden wir ihm zustimmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lenzen. – Für die Fraktion der AfD hat Frau Abgeordnete Walger-Demolsky das Wort. Bitte schön.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Wähler haben vom Superministerium mehr erwartet, und das zu Recht. Statt sich zuerst um die Idee der Ausweitung der Einbürgerung zu kümmern, hätte man in Anbetracht der Situation in vielen Kommunen einen Schwerpunkt auf die Rückführung setzen müssen – Rückführung all derer, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde, die zum Teil aber schon seit Jahren von den Kommunen geduldet werden.

Hier reden wir natürlich nicht von Rückführung in Kriegsgebiete, sondern vor allem von Rückführung nach Serbien, Albanien, Mazedonien, in den Kosovo, aber auch nach Marokko, in den Irak oder nach Afghanistan, dort natürlich nur in befriedete Gebiete.

Es kann auch nicht sein, dass eine illegale Einreise nach Jahren der Geduld auf der einen und Hartnäckigkeit auf der anderen Seite nachträglich legalisiert und mit Einbürgerung belohnt wird. Stattdessen wäre es sinnvoll gewesen, die Rückführung zu zentralisieren und die Kommunen so von Aufgaben, denen sie augenscheinlich nicht gewachsen sind, von denen sie überfordert sind, zu entlasten, so wie Sie es im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Aber davon sehen wir bisher nichts.

(Beifall von der AfD)

Beim Integrationshaushalt war ich schon darauf gefasst, heute wieder die Kritik der SPD und vor allem der Grünen zu hören, die mit der Anpassung des Ansatzes an den tatsächlichen Bedarf zusammenhängt. Offenbar haben Sie es immer noch nicht verstanden, aber das wundert mich nicht.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Erklären Sie uns es doch einmal!)

Denn in rot-grün regierten Kommunen werden die Ansätze auch generell nicht den Realitäten angepasst.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Sie haben sich nicht einmal die Zahlen angeguckt!)

Zum Inhalt kommt da keine Kritik, und genau das ist dann unser Problem; denn im Großen und Ganzen bleibt ja alles beim Alten. Eine neue Ausrichtung sehen wir nicht. Dabei wäre es an der Zeit gewesen, die Integration vom Kopf auf die Füße zu stellen. Integration richtet sich nicht einfach an jeden, der zu uns kommt, sondern an diejenigen, die ein langfristiges Bleiberecht haben oder zwecks Arbeit oder Studium legal zu uns gekommen sind.

Für alle anderen sind Aufenthaltshilfen geboten. Zusätzlich halten wir auch Maßnahmen zur Qualifikation für die Rückkehr in die Heimat für sinnvoll; denn in absehbaren Friedenszeiten werden insbesondere Handwerker für ehemalige Kriegsgebiete gebraucht. Junge Männer und auch junge Familien werden dringend in befriedeten Gebieten benötigt. Das bestätigen auch immer wieder die Regierungschefs vieler Balkanländer, die heute noch auf die Rückkehr ihrer ehemaligen Kriegsflüchtlinge warten.

Die Aufgabe von Integration ist es, dass Menschen, die dauerhaft in unserem freiheitlich-demokratischen und gleichberechtigten Land leben werden, Teil unserer Gesellschaft werden können. Keinesfalls darf die Bildung von Parallelgesellschaften zugelassen werden, wie es heute in vielen Großstädten die Norm geworden ist.

Wer dann tatsächlich in unserer Gesellschaft angekommen ist, dem soll selbstverständlich auch der Weg in die Einbürgerung offenstehen, aber bitte als volles Bekenntnis zu einem Staat; denn ich kann wohl kaum einer Erdogan-Türkei und einem Deutschland gegenüber in gleicher Weise loyal sein.

(Beifall von der AfD)

Türkeistudien sind daher aus unserer Sicht keine Hilfe bei der Integration. Sie gehören einfach nicht in diesen Haushalt.

Dagegen sind Sprache, Arbeit, aber auch der Wille zur Annahme unserer Art zu leben unerlässlich. Die Abschaffung von christlichen oder jüdischen Festen im öffentlichen Raum, separate Badezeiten für Männer und Frauen

(Zuruf von der CDU)

oder sogar Zwangsverheiratungen sind keineswegs ein Zeichen von gelungener Integration. Daher ist dieses Weiter-so in der Integrationspolitik kaum zu verstehen.

Verbindlichkeit ist erst dann mit Inhalt gefüllt, wenn exakt definiert ist, was das Ziel von Integration sein soll. Da wäre sogar eine Wiederbelebung der Diskussion um die deutsche Leitkultur, die ja aus der CDU kam, recht sinnvoll. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Walger-Demolsky. Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Zum Stichwort „Rückführung“ eine Bemerkung vorweg: Manchmal würde ich auch gerne die AfD rückführen, und zwar auf den Boden des Rechtsstaats. Ich glaube, das wäre eine schöne Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ansonsten kann ich Ihnen sagen: Wir sind bei den freiwilligen Ausreisen bundesweit führend und liegen bei den zwangsweisen Rückführungen weit über dem Bundesdurchschnitt. – So viel zur Legendenbildung, die von manchem hier in einer solchen Debatte betrieben wird.

(Zuruf von der AfD)

Ich habe eben vom Land der Chancen gesprochen und will noch einmal deutlich sagen: Dafür brauchen wir eine neue Einsteigermentalität in Nordrhein-Westfalen. Menschen müssen wieder Freude daran haben, ihre Talente zu entwickeln, sich einzubringen und zu gestalten, weil sie sehen: Es bringt mich voran, und das bringt diese Gesellschaft voran. – Das muss ganz selbstverständlich auch für die Bürgerinnen und Bürger mit Einwanderungsgeschichte gelten. In Nordrhein-Westfalen ist das nämlich jeder vierte von uns.

Wir müssen ganz klar verdeutlichen: Diese Menschen sind ein Teil von uns, gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger in einer demokratischen Bürgergesellschaft mit allen Rechten und auch allen Pflichten.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Wir müssen aber auch – das gehört dazu – Integration von Anfang an aktiv fördern und einfordern. Beides meine ich, wenn ich sage: Wir brauchen eine neue Verbindlichkeit in der Integrationspolitik. Darum geht es uns.

Herr Kollege Yetim, Sie haben das vielleicht für sich noch nicht nachvollzogen, aber Sie werden es im Laufe dieser Legislaturperiode sicherlich erkennen; das traue ich Ihnen durchaus zu. Diesen Weg geht die Landesregierung.

Wir sind auch schon einen wichtigen Schritt vorangekommen. Dazu gehört, dass wir die Kommunalen Integrationszentren verlässlich bis 2022 absichern. Insofern setzen wir eben nicht, wie Sie ausgeführt haben, einfach rot-grüne Politik fort; denn für die Kommunalen Integrationszentren war in der mittelfristigen Finanzplanung kein Cent mehr vorgesehen. Wir sind diejenigen, die jetzt für eine verlässliche Integrationspolitik in den Kommunen sorgen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das gilt genauso für die Mittel von „KommAn-NRW“. Auch die haben wir bis zum Ende der Legislaturperiode gesichert. Damit geben wir natürlich einen Teil dessen, was die Integrationspauschalen angeht, direkt an die Kommunen weiter. Wir geben sie strukturiert weiter. Das wissen Sie ganz genau. Insofern muss ich von dem, was ich an dieser Stelle in diesem Hause in der letzten Legislaturperiode gesagt habe, auch keinen Satz zurücknehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dadurch, dass Sie für 2017 nicht entsprechend geplant haben und auch in der mittelfristigen Finanzplanung für 2018 und die Folgejahre keine Fortsetzung vorgesehen haben, haben Sie verhindert, dass die Integrationspauschale entsprechend berücksichtigt wird. Wir werden das, wenn es vom Bund frisches Geld in diese Richtung gibt, in der geeigneten Form und in der geeigneten Struktur an die Kommunen geben, damit wir auch hier die Verbindlichkeit vor Ort weiter unterstützen können.

(Vereinzelter Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Vielfalt braucht Wertschätzung. Wir wollen für ein solches Klima der Wertschätzung sorgen

(Nadja Lüders [SPD]: Das haben wir schon mal gehört!)

und aktiv um Menschen mit Einwanderungsgeschichte werben, sei es mit einer offensiven Einbürgerungskampagne oder mit einer Kampagne für die Mitarbeitergewinnung im öffentlichen Dienst.

Wir wollen mehr Teilhabe und mehr gesellschaftliche Partizipation ermöglichen bis hin zur Chance, als deutsche Staatsbürger voll gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden. Das ist nämlich der Unterschied zu Ihren nicht verfassungskonformen Bemühungen um ein kommunales Ausländerwahlrecht. Wir wollen, dass die Einwanderer tatsächlich mit allen Rechten und Pflichten Deutsche werden, und dann sollen sie bitte auch auf allen Ebenen wählen können und nicht nur auf der kommunalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In der Flüchtlingspolitik – das ist der zweite Haushaltsbereich – haben wir die Mittel an die rückläufige Entwicklung der Anzahl der Geflüchteten angepasst, aber eben ohne Substanzverlust.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Das gilt selbstverständlich auch für die soziale Beratung von Flüchtlingen. Jede Stelle, die in diesem Jahr soziale Beratung geleistet hat, wird auch 2018 weiter finanziert. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es ein Stück unredlich,

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

dass hier, nachdem ich Ihnen das im Ausschuss garantiert habe, wieder die Mär aufgetischt wird, wir würden die Mittel in diesem Bereich kürzen. Wir haben einen völlig überdehnten Haushaltsansatz sinnvoll zurückgeführt mit der politischen Garantie dafür, dass an der Sache selbst nicht gekürzt wird. Das kann man dann auch einmal akzeptieren, statt durch permanente Wiederholungen den Menschen hier Unsinn zu erzählen.

(Beifall von der CDU, der FDP und Gabriele Walger-Demolsky [AfD] – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Sie haben damit die Szene verunsichert, nicht wir,

(Zurufe von der SPD)

indem Sie nämlich genau diesen Unsinn dort verbreitet haben.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Das ist unser Job!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, Ihre Redezeit.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Es ist nicht Ihr Job, Frau Kollegin, die Szene zu verunsichern, sondern es ist Ihr Job, hier eine gute Oppositionspolitik zu machen und vernünftige Alternativen vorzustellen. Da ist aber nichts gekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Berivan Aymaz [GRÜNE] – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Unlauter ist auch Ihr Antrag zu einer zusätzlichen Förderung von Geduldeten nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz. Denn unser Regierungshandeln folgt dem Prinzip der Kontinuität der Regierungsführung. Wir erfüllen die Verträge, die Sie damals geschlossen haben.

Ich kann mich ganz genau erinnern: Als wir alle bei Hannelore Kraft zum Integrationsgipfel gesessen haben, habe ich mich gewundert, wie die kommunalen Spitzenverbände verhandelt haben. Ich selbst habe mich damals noch für die Interessen der Kommunen eingesetzt, die jedoch gesagt haben: Mit Minister Jäger kommen wird schon selbst klar. – Jetzt halten wir uns genau an diese Linie, und Sie machen uns das zum Vorwurf. Das ist doch ein Witz. Das ist doch schlichtweg ein Witz.

Deswegen zieht Ihre Kritik auch an dieser Stelle nicht. Sie können sich darauf verlassen, dass wir das Flüchtlingsaufnahmegesetz in aller Konsequenz aufarbeiten und genau sehen werden, welche zusätzlichen Bedarfe für die Kommunen da sind. Wir werden die kommunale Familie nicht im Regen stehen lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Die Redezeit, Herr Minister.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Sie haben des Weiteren mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, dass die nächste Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes nach einer Überprüfung der Angemessenheit

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

der Höhe der Pauschale durch eine landesweite Erhebung der tatsächlichen Unterbringungskosten erfolgen soll. Auch an diese Vereinbarung fühlen wir uns gebunden. Deswegen wird die Ermittlung der Istkosten an dieser Stelle, wie ich es eben ausgeführt habe, entsprechende Berücksichtigung finden.

Also: Wir erfüllen das, was Sie vertraglich vereinbart haben,

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

und werden darüber hinaus sehen, wie wir die Kommunen entlasten können.

(Nadja Lüders [SPD]: Sehen wir!)

Wir machen die Rückführung effizienter und beherbergen Flüchtlinge Schritt für Schritt länger in den Landeseinrichtungen, weil wir auch an der Stelle Kommunen entlasten möchten. Zunächst machen wir das für die diejenigen mit geringer Bleibeperspektive und sukzessive dann auch für alle Asylbewerber bis hin zur endgültigen Entscheidung über ihren Asylantrag.

Selbstverständlich erfüllen wir unsere Versprechen für eine bessere Finanzierung der Kommunen auch an anderer Stelle. Nicht zuletzt haben wir dies bereits über das Gemeindefinanzierungsgesetz getan.

Dann ist es mir noch ein wichtiges Anliegen, darauf hinzuweisen, dass wir die Mittel für den Gewaltschutz für Frauen und LSBTI in den Landeseinrichtungen im Vergleich zur Vorgängerregierung um 5,2 Millionen € erhöht haben, um dadurch für mehr Sicherheit für diese Gruppe besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge zu sorgen.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Denn wir erleben immer wieder, dass Einzelne aus den ganz besonders vulnerablen Gruppen in den Einrichtungen fast dieselbe Situation vorfinden, vor der sie im Heimatland geflohen sind. Deswegen gibt es für diese Gruppe, für die unser Asylrecht im Besonderen gedacht ist, eine entsprechende Verantwortung. Auch das werden wir umsetzen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, die Redezeit.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: In Summe bringen diese Maßnahmen wirkliche Verbesserungen, meine Damen und Herren. Das ist die substanzielle politische Arbeit, und die werden wir mit der NRW-Koalition konsequent fortsetzen.

Herr Yetim – den Satz müssen Sie mir noch erlauben –, bei Ihren Ausführungen frage ich mich, ob gestern möglicherweise zu vorgerückter Stunde auf der Weihnachtsfeier der SPD Wetten abgeschlossen worden sind, wer den Begriff „Mitte-rechts“ heute am häufigsten formuliert.

(Zuruf von Ibrahim Yetim [SPD])

Vielleicht haben Sie ein Bier gewonnen. Wenn Sie verloren haben sollten, gebe ich Ihnen gern an anderer Stelle einen aus. Dann müssen Sie nicht traurig sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, bitte.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: In der Sache haben wir uns häufig zünftig die Meinung gegeigt, wie sich das zwischen anständigen Demokraten beim Ringen um die besten Lösungen gehört. Auf der anderen Seite haben wir insgesamt im Ausschuss – ich habe es vorhin schon für den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend gesagt – von der Tonalität her, glaube ich, einen sehr fairen Austausch. Ich würde mich freuen, wenn wir das im kommenden Jahr fortsetzen könnten.

Ich wünsche Ihnen an dieser Stelle ein gesegnetes Weihnachtsfest, uns allen vielleicht auch ein paar Tage, um zur Ruhe zu kommen, um ein bisschen nachzudenken. Dann können wir im kommenden Jahr gemeinsam weiter um die besten Ideen streiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. Ich will mir an der Stelle dann doch einen Hinweis erlauben: Stichwort „Vereinbarung“ ist der eine Punkt. Wir haben uns hier allesamt miteinander auf Redezeiten verständigt. Ich weise darauf hin, dass die Landesregierung zu beiden Teilbereichen die verabredeten Redezeiten überzogen hat, insgesamt um 12:16 Minuten.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Hallihallo!)

Der Landesregierung steht es selbstverständlich frei, jederzeit das Wort zu ergreifen. Allerdings steht es mir als sitzungsleitender Präsidentin natürlich auch zu, den Redner – auch den Redner einer Landesregierung – auf die Verabredung bezüglich der Redezeiten hinzuweisen. Es ist eine Frage der Wertschätzung, zumindest zu reagieren, dass man diese Hinweise zur Kenntnis genommen hat. Ich unterstelle, dass das offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen werden konnte. Zukünftig werde ich das entsprechend deutlich machen.

Selbstverständlich haben jetzt auch alle anderen Fraktionen die Möglichkeit, sich zu diesem Einzelplan noch einmal zu Wort zu melden. Bei einer Redezeitüberziehung von 12:16 Minuten ist es das Recht des Parlaments.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU] – Weitere Zurufe)

Gibt es den Wunsch? – Das ist nicht der Fall.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann sind wir am Schluss der Aussprache zum Teilbereich b) Flüchtlinge und Integration.

Verabredungsgemäß finden keine Abstimmungen in der Zeit bis 14 Uhr statt, sodass wir erst zu einem späteren Zeitpunkt über den Einzelplan und die Änderungsanträge abstimmen können.

Ich rufe auf:

Einzelplan 09
Ministerium für Verkehr

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1509

Änderungsantrag

der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1546

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1550

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Löcker das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Carsten Löcker (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Worterteilung. Wir beraten nun den Einzelplan 09 – Verkehr, Straße, Schiene, Wasserwege, Flughäfen, Radwege –, alles in fünf Minuten. Das kann man machen, inhaltliche Einlassungen und der Blick auf Zahlen sind in dieser Zeit wohl kaum möglich. Was bleibt in den fünf Minuten zu sagen? Schwarz-Gelb wird sagen: Es ist alles gut. Die SPD wird sagen: Das ist es eher nicht. – So viel ist jetzt schon klar.

Sie hätten sich, Herr Minister, an einen reich gedeckten Tisch setzen können. Ihre Sicht auf die Mobilitätsbedürfnisse unseres Landes – durch die Autowindschutzscheibe des Landes – ist aus unserer Sicht ein Fehler.

Im Ergebnis ist die Straßenlastigkeit Ihres Haushaltsplanes deutlich zu sehen. Wir kritisieren das, meine Damen und Herren. Sie selbst, Herr Minister Wüst, tragen bei jeder Gelegenheit vor, alle Verkehrsträger diskriminierungsfrei weiterentwickeln zu wollen. Davon ist Ihr Haushaltsplan weit entfernt. Es ist wenig darin zu finden.

Stattdessen ergehen Sie sich als Minister – aber eben auch Schwarz-Gelb – in selbst auferlegten Entfesselungsrhetoriken und lauten Ankündigungen auf die Zukunft. Viel Straße ist drin. Alles andere läuft eher so unter Gedöns by the way, ein paar Spiegelstriche – fertig. Das ist aus unserer Sicht auf jeden Fall zu wenig. Es ist deshalb zweifelhaft, dass gerade Sie unser Land mit diesem Haushaltsplan tatsächlich nach vorn bringen können.

Der Blick in Ihr Landesstraßenbauprogramm zeigt: Mit Regierungsbeginn sind Sie mit dem Porsche gestartet. Sieben Monate danach: ein Plus von zusätzlich lediglich 5 Millionen € im Haushalt. Das entspricht ungefähr – über den Daumen gerechnet – 3,5 km Neubaustraße. Da geht es in Zukunft wohl eher wohl im Schneckentempo voran, wenn man das bewerten soll.

Dann suchen Sie sich auch noch Neubauprojekte aus, die vor Ort überhaupt keine Akzeptanz haben. Schauen wir nach Unna – so viel kann man heute sagen –: Das Neubauprojekt, vor Ort höchst umstritten, nachweislich ein unterirdisches Kosten-Nutzen-Verhältnis, verbraucht 40 % des Gesamtbudgets. Was das mit Entfesselung zu tun hat, meine Damen und Herren, das wissen nur Sie. Dem Bürgerwillen vor Ort wird das auf jeden Fall nicht gerecht. Akzeptanz? – Fehlanzeige.

Die Pendlerinnen und Pendler konnten doch zu Recht erwarten – blickt man sieben Monate zurück –, dass Sie bei der Staubekämpfung durchstarten. So viel zu Ihrer Wahlkampfrhetorik. Wie wollen Sie den Stau in Nordrhein-Westfalen bekämpfen? Davon ist zurzeit wenig zu hören. Woche für Woche hören wir entsprechende Staumeldungen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ihr Stau!)

Daran kann man bereits mit dem Fahrrad entlang fahren, meine Damen und Herren. So lange dauern die Staumeldungen. Jetzt können Sie sagen: Das ist alles rot-grüne Verantwortung.

(Daniel Sieveke [CDU]: Natürlich, ja!)

– Ja. – Ich sage Ihnen: Relativ schnell werden wir uns nächstes Jahr darüber unterhalten, welche Investitionen Sie tätigen, damit wir jeden Tag ein Stück weniger Staumeldungen haben werden.

Sie wollen mehr Mobilität ins Land bringen. Das postulieren Sie gerne. Stattdessen fahren Sie mit Vollgas in ein Fahrverbot – ja, in ein Fahrverbot. So wird es in den nächsten Monaten wohl kommen. Da muss man einmal die Frage stellen: Was tun Sie eigentlich hier in Nordrhein-Westfalen dagegen? Hier mal eine Hilfe, da mal eine Hilfe. Das wird ja wohl im Endergebnis nicht reichen.

Stattdessen sollten Sie alle Akteure zu einem Mobilitätsgipfel einladen. Dann können Sie 2018 auch klar sagen, was Sie tatsächlich unternehmen wollen, damit wir diese Probleme lösen können.

Und was hat der Stau auf der Straße mit dem Stau auf der Schiene zu tun? – Ja, auf der Schiene gibt es auch Stau. So ist das eben, wenn man jahrelang nicht investiert.

(Heiterkeit von der CDU)

– Ja, da sitzen wir alle in einer Reihe. Deshalb sage ich hier ganz klar: Es war ein großes Verdienst des damaligen Verkehrsministers Groschek, dass wir 2016 ausreichend Mittel für die Zukunftsinvestitionen in Berlin akquirieren konnten.

(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Die können Sie jetzt fleißig ausgeben. Das ist in Ordnung. Dafür werden wir Sie loben. Aber wir werden genau hinschauen, wo Sie das Geld ausgeben. Denn auch auf der Schiene sind dringend Investitionen nötig.

Über Ihre Aktivitäten rund um den Flughafen Köln will ich hier gar nichts mehr ausführen. Darüber haben wir gestern ausführlich diskutiert.

Bleiben noch die Wasserstraßen und die Radwege, alles rund um die Nahmobilität. Leider ist dafür heute keine Zeit. Das werden wir bei Gelegenheit diskutieren. Allerdings hören wir auch: Rund um die Investitionen für die Wasserstraßen in Nordrhein-Westfalen wird es wohl Verschiebungen zulasten des Landes Nordrhein-Westfalen geben – glauben wir den Ausführungen aus dem Norden der Republik.

Abschließend frage ich: Was bleibt? – Machen Sie nach sieben Monaten endlich einen Strich unter Ihre Entfesselungsrhetorik. Entfesselt haben Sie nämlich bisher gar nichts. Das, was Sie hier in den letzten sieben Monaten präsentiert haben, ist eher wüstes Durcheinander. Das trifft es ziemlich genau. Sie machen zu viele handwerkliche Fehler. Das kann man auch in jeder Tageszeitung nachlesen. Es stimmt eben.

Ihre Wahlversprechen holen Sie jetzt Schritt für Schritt ein, und das ist bitter. Dann muss man sich auch einmal hier hinstellen und sagen: Ja, so ist das. Wir können nicht alles sofort lösen.

Deshalb sagen wir: Es geht besser im nächsten Jahr und im übernächsten Jahr. Sie können sich darauf verlassen, dass wir uns einreihen, mitzumachen, wenn es gute Projekte gibt. Machen Sie es auch besser, Herr Minister. Diesen Appel richte ich auch an Ihre Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen. Unser Land hat es nämlich verdient. – Frohe Weihnachten!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Löcker. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Löcker, Heldenmut nach Ladenschluss! Hätten Sie nur ein Bruchteil von dem, was Sie hier vermeintlich an der Arbeit der NRW-Koalition versucht haben zu kritisieren, in den letzten sieben Jahren – nur ansatzweise! – angepackt, dann sähe es auf Straßen und Schienen in unserem Land anders aus.

(Beifall von der CDU)

Hätten Sie doch ökonomische Grundprinzipien beachtet, die da zum Beispiel lauten: Mobilität schafft Prosperität! Das heißt: Wohlstand entsteht nur dort, wo die Infrastruktur funktioniert.

Neben den zahlreichen Waren und Gütern, die über die nordrhein-westfälische Infrastruktur transportiert werden, pendeln täglich bis zu 5 Millionen Menschen von ihrem Wohn- zu ihrem Arbeitsort und wieder zurück. Aber viel zu oft stehen diese Menschen in unserem Land im Stau und verlieren im langsam vorangehenden Verkehr Zeit und Geld. Unsere Unternehmen konkurrieren im internationalen Wettbewerb, können aber viel zu oft ihre Ware nur über Umwege an ihren Bestimmungsort liefern.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Die NRW-Koalition ist angetreten, um den Erhalt, die Modernisierung und den bedarfsgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu einem Schwerpunkt der Landespolitik zu machen. In den letzten Jahren, meine Damen und Herren, wurde unserer nordrhein-westfälischen Straßen- und Schieneninfrastruktur eine viel zu geringe Bedeutung zugemessen.

(Carsten Löcker [SPD]: Im Haushalt steht nichts davon!)

Jahrelang wurden wichtige Investitionen vor sich her geschoben. Kaputte Straßen und Staus sind das Ergebnis falscher Entscheidungen der Vergangenheit. Es wurde zu kurz gedacht. Zum einen wurden die Bedarfe für die Zukunft nicht ausreichend berücksichtigt. Zum anderen wurde nicht ausreichend investiert und modernisiert – und das, obwohl der Bund die Investitionen bei der Infrastruktur hochgefahren hat und im Bundesverkehrswegeplan 2030 den Bedürfnissen unseres Bundeslandes als Verkehrsland Nummer eins Rechnung trägt. Einzig an einem fehlte es: dem Willen zur Umsetzung.

In den vergangenen sieben Jahren fehlte es an baureifen Planungen. 2011 entschied Rot-Grün, nicht für die Schublade zu planen. Das führte zu einem Planungsstopp für 48 Bundesfernstraßenprojekte. Lieber Herr Kollege Löcker, 17 dieser Bundesfernstraßenprojekte, die Sie 2011 beerdigt haben, sind im Bundesverkehrswegeplan wieder in den vordringlichen Bedarf eingestellt worden. Das war also eine fatale Fehleinschätzung Ihrerseits.

Zusätzlich zu dem erklärten Ziel, nicht mehr planen zu wollen, hat Rot-Grün auch die Grundlagen für die Planungen entzogen, indem Personal und Mittel gekürzt wurden.

(Jochen Ott [SPD]: Quatsch!)

Durch die Verkehrspessimisten der abgewählten rot-grünen Landesregierung wurden falsche Prioritäten gesetzt.

(Jochen Ott [SPD]: Unsinn! – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Die Verkehrspolitik war ideologisch geprägt,

(Jochen Ott [SPD]: Quatsch!)

ein aufgegebenes Politikfeld wurde allenfalls noch rhetorisch verteidigt.

(Carsten Löcker [SPD]: Alles Straße, Herr Voussem!)

Meine Damen und Herren, dies wollen und werden wir mit diesem Haushalt ändern.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist trotzdem Schwachsinn!)

Bevor ich einzelne Punkte aufgreife, möchte ich darauf verweisen, dass die NRW-Koalition die Voraussetzungen schafft, um einen Planungs-, Genehmigungs- und Bauhochlauf zu organisieren sowie die Zukunftsfragen der Mobilität in den Fokus zu nehmen. Dafür sind im Haushaltsentwurf 2018 insgesamt 2,76 Milliarden € für das Verkehrsministerium vorgesehen. Das entspricht einer Ressortstärkung von 11 %.

(Carsten Löcker [SPD]: Danke!)

Gewiss: Um die strukturellen Probleme zu beheben, reicht Geld allein nicht aus. Es bedarf auch der ausreichenden Anzahl qualifizierter Ingenieure bei der Planung und Ausführung. Der Haushaltsentwurf stellt daher nicht nur die nötigen finanziellen, sondern auch die nötigen personellen Ressourcen für den Planungs- und Bauhochlauf sicher.

Erstes Ziel der NRW-Koalition ist, mehr Planfeststellungen und ‑genehmigungen zu erreichen. Hierfür werden zusätzlich 112 Stellen geschaffen, darunter 50 neue Planungsstellen für den Landesbetrieb Straßen.NRW. Weitere 20 Stellen sollen entfristet werden. Bei Straßen.NRW werden mit dem Haushalt 2018 mehr Stellen für Ingenieure und Techniker geschaffen als in der gesamten letzten Legislaturperiode.

Damit nicht genug. Vier zusätzliche Stellen gibt es für die Bearbeitung der Anliegen im Zusammenhang mit den Flughäfen und zwei weitere für Aufgaben im Bereich der Schifffahrt. Zudem erfolgt eine personelle Verstärkung der Bezirksregierungen in den für Genehmigungen zuständigen Dezernaten mit 13 Stellen. Bei der Stabsstelle „Baustellenmanagement“ werden drei neue Stellen geschaffen. Sachmittel für externe Vergaben an Ingenieurbüros sind zudem in zweistelliger Millionenhöhe vorgesehen.

Meine Damen und Herren, nach der Planung kommt das Bauen. Dafür müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Damit sind wir schon beim zweiten Ziel der NRW-Koalition: Erhalt, Modernisierung und Ausbau der Infrastruktur nach dem Dreiklang von Konsolidieren, Modernisieren und Investieren. Dafür gibt es mehr Geld für die Landesstraßen. Für den Erhalt der Landesstraßen sind 2018 33,35 Millionen € mehr vorgesehen als im Jahr zuvor; insgesamt sind es 160 Millionen €.

Die Mittel für den Neu- und Ausbau der Landesstraßen erhöhen sich um 5 Millionen €. Damit wird alles gebaut, was planfestgestellt war. Eine Erhöhung um 3 Millionen € gibt es jeweils für den Radwegebau an Landesstraßen sowie für den Bau von Radschnellwegen. Kreise und Gemeinden erhalten erstmalig 1 Million € für bauliche Maßnahmen, um Routen für den Schwerlastverkehr befahrbar zu machen.

Mit der neuen Abteilung „Zukunft für Mobilität“ schaffen wir darüber hinaus die Voraussetzungen, um die Herausforderungen von Digitalisierung und Vernetzung in unserem Land anzupacken.

Zusammenfassend stelle ich fest: Der Einzelplan 09 des Haushalts 2018 führt zu einem erheblichen Upgrade für Verkehrsinfrastruktur und Mobilität in Nordrhein-Westfalen. Die NRW-Koalition nimmt damit die Zukunftsfragen der Mobilität fest in den Fokus, um neue Chancen möglichst früh und konkret zu nutzen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Voussem. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Voussem, bei manchen Passagen Ihrer Rede denke ich mir: Er ist doch eigentlich schlauer, als er hier als Redner vorgibt.

(Christof Rasche [FDP]: Bisschen überheblich!)

Ich will Ihnen deutlich machen, worum es geht. – Das ist auch nicht bräsig, lieber Kollege Rasche. Mir ist gestern aufgefallen, dass die Zwischenrufe, seitdem Christof Rasche Fraktionsvorsitzender der FDP ist, leider nicht an Niveau gewonnen haben, um es mal vorsichtig zu sagen – jedenfalls was meine Redebeiträge angeht.

(Rainer Deppe [CDU]: Ist heute Zeugnisvergabe?)

Aber das muss er mit sich selbst ausmachen. Jetzt sind ja zwei Wochen Weihnachtspause, dann kann er mal darüber nachdenken.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

Auch gestern in der Straßendebatte waren manche Zwischenrufe vom Kollegen Rasche – man kann es im Protokoll ja auch nachlesen – derart unterirdisch; da ist der Weihnachtsfriede leider noch nicht eingekehrt.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP] – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Ich würde es ihm aber wünschen, dass das noch passiert.

(Christof Rasche [FDP]: Jetzt machen wir es richtig!)

Kollege Voussem, Sie haben eben die Planerstellen angesprochen – als wenn das Feld nun reich bestellt würde. Es ist doch wahr, dass von 2004 bis 2013 Planerstellen bei Straßen.NRW abgebaut worden sind. Wie wir alle wissen, gab es in dieser Zeit Koalitionsregierungen unterschiedlichster Couleur. Die letzte Landesregierung hat in den letzten Jahren ihrer Amtszeit dort wieder zahlreiche Stellen geschaffen und Personen eingestellt.

Das meinte ich eben mit meiner Bemerkung, Kollege Voussem: Es so darzustellen, dass bis einschließlich Mai 2017 reduziert und ausgedünnt wurde und jetzt sozusagen der große Hort der Möglichkeiten kommt, ist einfach unredlich. Weil ich Sie ansonsten schätze und kenne, fände ich es gut, wenn Sie das in einer Rede auch etwas differenzierter erwähnen würden, als es Ihnen aufgeschrieben wird.

Zum Thema der Haushaltskürzungen bzw. zum Thema der Weiterführung des Sozialtickets bin ich gespannt auf die Ausführungen des Ministers. Wir haben das zunächst gemeinsam mit vielen Menschen in diesem Land scharf kritisiert, uns dann aber darüber gefreut, dass das Sozialticket weitergeführt werden soll. Die Frage, die im Raum steht, ist aber: Wie geht es nach 2019 mit diesem Ticket weiter?

Sie haben gesagt, dass 2018 die Mittel erhalten bleiben und im Haushalt entsprechend wieder eingestellt werden. – Das ist politisch richtig. Unsere Frage lautet: Wie geht es in den Folgejahren weiter? Wird es weiter über den Landeshaushalt finanziert? Oder haben Sie mittlerweile Gespräche mit den Verkehrsverbünden geführt? Wie soll das Sozialticket in den Jahren 2019 und 2020 sukzessive weitergeführt werden?

Herr Minister, Sie haben die Chance, dazu gleich Stellung zu nehmen. Es gab Zehntausende, die in den Wochen, in denen die Debatte darüber, ob das Sozialticket eingestellt wird, protestiert haben. Schenken Sie den Leuten noch vor Weihnachten reinen Wein ein und sagen Sie uns, wie es mit dem Sozialticket weitergeht!

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Thema „Straßenbaumittel“: Wir unterstützen von grüner Seite eindeutig, dass Sie bei der Straßensanierung noch mal eine Schippe drauflegen – das geht der SPD, glaube ich, genauso. Es wäre aber auch redlich gewesen, zu erwähnen, dass in der rot-grünen Regierungszeit der Etatansatz für Straßensanierungen von 60 Millionen €, als wir die Regierungsgeschäfte übernommen haben, auf 127 Millionen € mehr als verdoppelt wurde.

Ein Gutachten des Landesrechnungshofs weist klar nach, dass man eigentlich pro Jahr 200 Millionen € bräuchte. Wenn ich jetzt so auftreten würde, wie es manchmal Herr Middeldorf und Herr Voussem tun, dann würde ich mich hier hinstellen und sagen: Sie brechen Ihr Wort. Im Wahlprogramm und im Koalitionsvertrag standen 200 Millionen €, es sind aber nur 160 Millionen €. Sie sollten sich schämen, Sie lassen die Infrastruktur in diesem Land verrotten! – Das wäre der Auftritt, den Sie uns hier wahrscheinlich hinlegen würden, wenn Sie in der Opposition und wir an der Regierung wären.

(Jochen Ott [SPD]: So ist das!)

Wir sagen Ihnen von grüner Seite: Es ist gut, dass noch mehr Geld für Straßensanierungen in die Hand genommen wird und dass 160 Millionen € im Haushalt stehen. Und wenn es künftig 200 Millionen € sind, dann hat das auch unsere grüne Unterstützung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Schluss noch kurz zum Thema „Radwegebau“. Es ist grundsätzlich gut und erfreulich, dass das Fahrrad aus der Nische des Freak-Fortbewegungsmittels herausgekommen ist. Das Fahrrad ist in den letzten Jahren ein anerkannter Verkehrsträger geworden. Es wird in den Radwegebau investiert, und Sie legen sogar noch einige Millionen drauf. Das ist nur zu unterstützen. Herr Minister Wüst, Sie haben mal in einem Pressegespräch gesagt, dass sich die Radverkehrsverbände vor Freude kaum halten könnten. Ich habe aber von dort bisher nicht wahrgenommen, dass nun unbändige Freude ausgebrochen wäre.

Meine Frage lautet: Wie soll die Umsetzung der Radschnellwege finanziert werden? Sie investieren da etwas mehr, als wir in den Haushalt eingestellt hatten, aber im Moment befindet es sich noch im Planungsverfahren. Mich würde interessieren, warum Sie nicht noch mehr Geld in die Hand nehmen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen fünf Projekte ausgelobt. Die Planung ist weitgehend fortgeschritten, und es geht an die Umsetzung. Wir als Grüne haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der fordert, noch einmal 5 Millionen € zusätzlich zu investieren. Wir würden uns dabei über Ihre Unterstützung freuen. Radschnellwege sind eine gute Alternative im tagtäglichen Verkehr in Nordrhein-Westfalen.

Es geht jetzt um die Realisierung der Projekte. Geben Sie sich kurz vor Weihnachten einen Ruck, nehmen Sie noch ein bisschen mehr Geld in die Hand, und wirken Sie daran mit, dass die Radschnellwege in den nächsten Jahren realisiert werden! Wir sind auf jeden Fall dazu bereit, das weiterhin zu unterstützen, weil es eine Herzensangelegenheit der Grünen ist. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, Carsten Löcker [SPD] und Sarah Philipp [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Ulrich Reuter. Herr Reuter, es ist heute Ihre erste Rede im Hohen Hause. Dafür wünschen wir alle Ihnen gutes Gelingen.

Ulrich Reuter (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Löcker, vielen Dank für Ihre Bilanz von sieben Jahren Rot-Grün. Besser hätten wir es nicht ausdrücken können.

(Beifall von der FDP und der CDU – Carsten Löcker [SPD]: So oft können Sie darauf nicht mehr klatschen!)

Das, was Sie dargeboten haben, war schon wirklich Weltklasse. Vielen Dank.

Herr Klocke, zum Thema „Sozialticket“. Ja, wir haben unseren Fehler eingesehen. Wir haben das Format, auch Fehler zu korrigieren, und haben das getan. Wir stellen für das Sozialticket wieder 40 Millionen € ein.

(Carsten Löcker [SPD]: Schauen Sie mal in den Haushaltsplan rein! Von wegen Fehlerbereinigung!)

Insofern kann sich die Klientel darauf verlassen, dass wir dies auch weiterhin tun werden. – Ich danke Ihnen ausdrücklich. Sie scheinen in Ihrer Oppositionsrolle angekommen zu sein. Die Überwachung der Regierung ist schon Teil Ihres Lebens geworden. Wir beschränken uns jetzt leider mal nur auf das Regieren.

Nun komme ich zum Verkehrsressort und damit zu einem der Kernthemen der schwarz-gelben Landesregierung. Es wird alles Mögliche getan und alles Notwendige gemacht. Der Haushalt ist auch im Verkehrsbereich eine Punktlandung. Schwarz-Gelb schafft es, deutlich mehr zu investieren – ein Plus von 11 % auf 2,76 Milliarden € –, Zukunftsweichen zu stellen und dennoch im Gesamthaushalt eine schwarze Null zu schreiben. Das ist keine Selbstverständlichkeit. An diesem Anspruch sind andere in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert. Wir danken dem Verkehrs- und dem Finanzminister für die gute Zusammenarbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wir bauen Stellen auf, und zwar da, wo es erforderlich ist, und da, wo wir nachbessern müssen, weil wir einen Mangel übernommen haben. Bei Straßen.NRW sind es 50 neue Stellen zur Erhöhung der Planungskapazitäten im Straßenbau. Im Ministerium wird eine neue Abteilung mit 34 neuen Stellen die Zukunft der Mobilität in NRW angehen. Digitalisierung, innovative Verkehrskonzepte, Verkehrsvernetzung und das E-Ticketing werden hier systematisch für das Land erschlossen.

Die Stellschraube „Baustellenmanagement“ gehen wir systematisch an. Hier werden wir durch Optimierung alles tun, um die Situation im Land zu verbessern. Wir werden mehr Geld in die Infrastruktur stecken.

(Carsten Löcker [SPD]: Das wäre auch noch schöner, wenn sie das nicht täten, bei der Kohle, die Sie zur Verfügung haben!)

Das gilt gerade dort, wo wir unmittelbare Verantwortung tragen. Für den Erhalt der Landesstraßen ist ein Mehr von 26 % auf jetzt 160 Millionen € vorgesehen. Und ja, bis zum Ende der Legislaturperiode werden wir die 200 Millionen € erreichen, Herr Klocke, da können Sie sicher sein. Dazu kommt ein Mehr von 15 % für Aus- und Neubau auf jetzt immerhin 37 Millionen €.

Wir schaffen aber auch die Grundlage dafür, dass bei den Bundesstraßen die Gelder, die Berlin bereitstellt, auch abgerufen werden können, weil entsprechende Planungen vorliegen. Für die Beauftragung externer Ingenieurleistungen werden zusätzlich 18 Millionen € zur Verfügung gestellt. Wir bauen alles, was baureif ist. Damit holen wir nach, was Rot-Grün liegen gelassen hat.

Wir geben auch mehr Geld für NE-Bahnen aus, die einen wichtigen Beitrag im Güterverkehr leisten. Insgesamt stehen 20,5 Millionen € zur Verfügung.

Selbst bei den Fahrradwegen belässt es die Regierung nicht bei dem, was die Vorgängerregierung angestoßen hat, sondern wir legen noch 3 Millionen € obendrauf, weil wir es für richtig halten, dass auch für den Radverkehr eine taugliche Infrastruktur zur Verfügung steht.

Die schwarz-gelbe Landesregierung gestaltet somit bereits im ersten Verkehrshaushalt, den sie verantwortet, mehr als die Vorgängerregierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Auch der ÖPNV kommt nicht zu kurz. Mit rund 1,78 Milliarden € Gesamtvolumen wird die Mittelausstattung für die Förderung des ÖPNV um rund 11,8 % bzw. 190 Millionen € gegenüber dem Niveau des Haushalts 2017 erhöht. Aus diesen Mitteln werden der Nahverkehr auf der Schiene sowie die Stadtverkehre im Ballungsraum und die Busverkehre im ländlichen Raum finanziert. Dazu zählen auch Landesmittel in Höhe von 130 Millionen € für Ausbildungsverkehre, gemeinhin Schülerverkehre genannt. Weiterhin haben wir die Mittel für das Sozialticket, wie schon gesagt, auf 40 Millionen € angesetzt, und wir führen ein neues Azubi-Ticket ein.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie sehen, dieser Haushalt bietet alles, was die Zukunft NRWs benötigt, nämlich das, was Sie in sieben Jahren nicht zustande gebracht haben.

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit, die Sie im Ausschuss und auch hier im Hohen Hause leisten. – Auch ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Reuter. Glückwunsch zur ersten Rede und zur zeitlichen Punktlandung! Eine Sekunde übrig lassen ist noch perfekter als null.

(Heiterkeit)

Das halten wir einmal so fest. – Für die AfD spricht Herr Vogel.

Nic Peter Vogel (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen liegt im Zentrum von Europas Straßenwegen und ist somit einer der bedeutendsten Knotenpunkte für Menschen und Wirtschaft.

Für die AfD hat neben der Vermeidung von stauverursachenden Engpässen die Instandhaltung der Verkehrswege aller Verkehrsträger absolute Priorität.

Die AfD steht für einen bezahlbaren ÖPNV, was für uns auch bedeutet: auch für die öffentliche Hand bezahlbar. Der öffentliche Personennahverkehr ist zweifellos ein Subventionsgeschäft, oft finanziert von Schülerverkehren. Diese nehmen aber in den nächsten Jahren in den meisten Kreisen und Regionen stark ab, sodass die öffentliche Hand, Land und Kreise, Schwierigkeiten haben wird, die Kosten in den Griff zu bekommen.

Wir werden die Reaktivierung von Eisenbahnstrecken befürworten, aber nur dann, wenn es sich wirklich lohnt. Eine Bahnstrecke nur deshalb zu reaktivieren, weil es die Eisenbahn ist, das machen wir nicht. Heutzutage fahren sehr oft Omnibusse erheblich günstiger und ökologisch sauberer als dieselgetriebene Loks.

Gerne würden wir sehr viel mehr Mittel für den Omnibus aufwenden, weil man mit den vorhandenen Mitteln mehr Personenkilometer generieren kann. Mit anderen Worten: Es ist für die Bevölkerung besser und für die Betreiber günstiger.

Ferner lehnen wir Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ab, weil dies einer Enteignung von Millionen von Dieselfahrern gleichkommt. Im Grunde genommen erübrigen sich auch die Umweltzonen, weil bereits 96 % aller Fahrzeuge eine grüne Umweltplakette haben, und täglich werden es mehr.

Zielführend wäre ein Konzept zur Reduzierung der Emission von Binnenschiffen. Nach einem Bericht des VDE verursachen diese so viele Abgase wie 3,8 Millionen Pkw mit der Abgasnorm Euro 5.

(Christian Loose [AfD]: Hört, hört!)

Die neue A1-Brücke bei Leverkusen soll ja nun schnellstens gebaut werden. Hundertausende von Berufspendlern wird sicherlich ein Stein vom Herzen fallen. Aber dass dafür die Giftmülldeponie Dhünnaue geöffnet werden soll, halten wir für grundlegend falsch. Darüber hinaus halten wir die Tunnellösung unter der Sohle hindurch für zu kostspielig und die herkömmliche Brückenlösung für zu riskant. Hier erinnere ich mich daran, dass man etwas unkreativ war und nicht die Möglichkeit einer Schrägseilbrücke in Betracht gezogen hat. Diese hätte die Deponie komplett überspannen können, ohne dass die Pylonen oder Stützpfeiler die Deponie berührt hätten. Ein Blick ins Ausland, zum Beispiel die Stonecutters Bridge in Hongkong und die Normandie-Brücke, hätte uns geholfen, auch was die tatsächlichen Kosten angeht.

Weiterhin ist der Knotenpunkt der A1 mit der A3 mit Rampenverbindungen ähnlich dem Malteserkreuz auszubauen.

Ferner fehlt eine südliche Rheinbrücke bei Godorf zur Verbindung der A553 mit der A59 und in Verlängerung an den Flughafen Köln/Bonn. Wir denken hier ebenfalls an eine Schrägseilbrücke für kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr.

Wirklich zielführend für die Region ist eine westliche Verlängerung der A542 in Richtung A57. Die zusätzliche Rheinbrücke könnte baugleich mit der A1-Brücke sein und gemeinsam ausgeschrieben werden, eben eine Legobrücke im größeren Maßstab.

Den Ausbau von Radwegen unterstützen wir. Die Förderrichtlinien müssten angepasst werden.

Meine Damen und Herren, viele Verkehrswege, ganz besonders Land- und Kreisstraßen, sind seit den 60er-Jahren nicht mehr saniert oder an die Bedürfnisse angepasst worden. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Straßen in einer ländlichen Gegend Ostwestfalens oder in einer Metropole handelt.

Unsere Landstraßen sind in einem sehr schlechten Zustand. CDU und FDP schreiben in ihrem Koalitionsvertrag, dass sie den Haushaltsansatz zum Erhalt der Landstraßen von 127,5 Millionen auf 200 Millionen € erhöhen würden. Im Haushaltsplan 2018 stehen überraschenderweise nur 160 Millionen €. Bedingt durch den Mangel an qualifizierten Planern mag dies erst einmal ausreichen, aber wenn man sieht, dass die Anschaffung von 50 Elektrobussen in Köln mit 13 Millionen € vom Land mitfinanziert wird, erscheint dies in einem anderen Licht.

Wir plädieren dafür, die 13 Millionen € zusätzlich in die Anschaffung von Ingenieursdienstleistungen zu stecken und damit diesen Haushaltsposten von 18 Millionen auf 31 Millionen € zu erhöhen. Der positive Effekt der schnellen Planung kommt damit allen Verkehrsteilnehmern zugute.

Wir halten batteriebetriebene E-Busse für nicht zukunftsfähig. Bedingt durch die hohen Kosten, die Beschaffung von seltenen Erden und anderer Rohstoffe für Batterien, verbunden mit der geringen Leistungsdichte, ist diese Technik nicht zukunftsfähig.

Besser wäre die Unterstützung von sogenannten seriellen Hybridfahrzeugen. Diese sind ebenfalls E-Fahrzeuge, haben aber statt der unökologischen Batterien Standardmotoren, welche mit konstanter Drehzahl die Leistung abgeben. Der Energiespareffekt ist hierbei um Längen besser als bei Batterien.

Zu den Rohstoffen: Wissen Sie eigentlich, wie die seltenen Erden abgebaut werden, von welchen Personen und unter welchen Umständen? – Hierbei handelt es sich wirklich um die Schwächsten der Schwachen, aber diese scheinen keine Lobby zu haben.

Aber zurück zu unseren Landstraßen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit schon ein ganzes Stück überschritten.

Nic Peter Vogel (AfD): Ich habe die Redezeit überzogen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, um 1 Minute 25 Sekunden. Ich sage es mal so: Ich bin hier nicht der Weihnachtsmann, sondern ich bin …

Nic Peter Vogel (AfD): Das geht in Ordnung.

Vizepräsident Oliver Keymis: … großzügig, wenn es um Redezeiten geht; aber Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten. Bitte schön, wenn Sie zum Ende kommen würden!

Nic Peter Vogel (AfD): Ich komme zum Ende – selbstverständlich. – Die 200 Millionen € werden für die Landesstraßensanierung nicht ausreichen. Wir haben einen Investitionsstau von über 3 Milliarden € ermittelt. Deshalb können wir diesem Haushalt nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Vogel. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Wüst.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Das tut er. – Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den kommenden Minuten will ich Ihnen gerne noch einmal in Ergänzung der sehr ausführlichen Einbringung im Ausschuss einen schnellen Überblick über den Verkehrsetat geben.

Herr Löcker, die Zeit ist dafür im Übrigen völlig ausreichend, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das ganze Haus diesem Etat zustimmen kann. CDU und FDP können deshalb zustimmen, weil wir exakt das tun, was wir uns vorgenommen haben: Wir stärken die Verkehrspolitik mit deutlich mehr Stellen und deutlich mehr Geld. 50 zusätzliche Planer bei Straßen.NRW sind der größte jährliche Personalaufwuchs, der je möglich gemacht worden ist.

Herr Klocke hat eben noch mal in die Vergangenheit geschaut. Da hat man 20 kw-Stellen geschaffen. Versuchen Sie mal, bei dem Arbeitsmarkt für Ingenieure kw-Stellen zu besetzen! Da nehmen wir das Thema schon deutlich ernster.

Zusätzlich kommen 13 Genehmiger für die Bezirksregierungen dazu. Denn was nützt es, wenn wir mehr Pläne machen, die sich aber bei den Bezirksregierungen stauen?

Wir wollen an beiden Stellen schneller werden und mehr schaffen. Wir stellen zudem deutlich mehr Geld für Infrastruktur zur Verfügung. Wir schaffen die Voraussetzungen für ein besseres Baustellenmanagement.

Ja, all das ist bitter nötig. Das ist gut für das Land und gut für die Menschen. Stellen wir uns mal einen Moment lang vor, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Mike Groschek hätte das in einem Haushalt vorlegen können, was wir hier vorlegen!

(Zuruf von der SPD: Verdient hätte er es gehabt!)

Die Kinder hätten schulfrei, die Fahnen würden gehisst, die Glocken würden läuten, das Land hätte Feiertag, Sie wären stolz wie Bolle.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Nun ist die Weihnachtszeit eine Zeit für Muße.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

– Herr Ott, gerade Sie sollten die Weihnachtszeit zum Anlass nehmen für Reflexion und vielleicht zur Umkehr. Im Himmel ist ja mehr Freude über einen, der umkehrt, als über 99 Gerechte.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD diesem Etat am Ende nicht zustimmt. Was ich machen darf, ist exakt das, was Mike Groschek immer tun wollte, nur ist er mit den Grünen irgendwie nicht klargekommen. Man könnte böswillig sagen: Die Grünen haben der SPD die Politik diktiert. – Ich kann mir das bei der stolzen Sozialdemokratie aber überhaupt nicht vorstellen.

Der Befund zu unserer Infrastruktur jedenfalls lautet: zu klein, zu eng und an vielen Stellen zu marode.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

Das ist das Ergebnis von gegenseitiger Blockade: Man hat die Infrastruktur nicht mit dem Bedarf mitwachsen lassen. Wir lösen die Probleme, die Sie uns hinterlassen haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Das fehlte noch! Darauf habe ich gewartet!)

Herr Kollege Klocke, ich glaube, auch die Grünen haben mehr Anlass, diesem Etat zuzustimmen, als ihn am Ende abzulehnen. Wir investieren in die Voraussetzungen dafür, dass mehr von der Straße auf die Schiene kommt, indem wir die Infrastrukturförderung für nichtbundeseigene Eisenbahnen wieder aufleben lassen.

Wir nutzen konsequent die Chancen der Digitalisierung für vernetzte Mobilität und nachhaltige Mobilität, um endlich mit dem Gerede aufzuhören und es irgendwann auch mal zu schaffen, den ÖPNV in Nordrhein-Westfalen attraktiver zu machen.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine gute Nummer!)

Sie haben zugestimmt, dass wir mehr Geld in Radschnellwege investieren. Die Wahrheit ist doch: Egal ob 5 Millionen € mehr oder weniger, am Ende werden die Radschnellwege 400 Millionen € bis 500 Millionen € kosten. Deswegen bin ich sehr froh, dass der Bund schon beim ersten Dieselgipfel seine Mittel von 125 Millionen € auf 200 Millionen € aufgestockt hat. Dobrindt hat direkt angerufen und gesagt: Davon könnt ihr gerne etwas haben; ruft es ab!

Besonders toll fand ich, dass Sie uns ermuntert haben, mehr in Straßen zu investieren. Das nenne ich eine rasante Wende weg von Ihrer früheren Politik. Wenn wir hier aber in vorweihnachtlicher Stimmung sind, wenn Sie vom Saulus zum Paulus werden, dann will ich das nicht kritisieren, sondern ausdrücklich anerkennen. – Frohe Weihnachten! Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Da wir alle gemeinsam vereinbart haben, zwischen 12:30 Uhr und 14 Uhr keine Abstimmung vorzunehmen, rufen wir die Abstimmung zum Einzelplan 09 im Anschluss, also nach 14 Uhr, auf.

Ich rufe auf:

Einzelplan 05
Ministerium für Schule und Bildung

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1505

Die Aussprache ist eröffnet, und für die SPD-Fraktion tritt Herr Kollege Ott an das Pult.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bildung, insbesondere in der Schule, steht vor besonderen Herausforderungen. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft, die Spaltung unserer Gesellschaft machen neue Antworten nötig und zwingen uns dazu, über Strukturen grundsätzlich nachzudenken.

Die Inklusion ist Dauerthema, die Diskussion über die Beschulung von Geflüchteten ist eine große Herausforderung, und natürlich bedeutet die Veränderung durch die Digitalisierung auch eine grundlegende Betrachtung des Bildungssystem unter der Frage: Wie sind unsere Schulen eigentlich aufgestellt, um diesen Herausforderungen zu begegnen?

Dabei besteht das große Problem, dass wir einen großen Mangel an Lehrern, aber auch an Sozialarbeitern und Sozialpädagogen haben. Insbesondere herrscht ein Mangel an männlichen Lehrkräften und Pädagogen. Hier müssen wir besondere Verantwortung übernehmen und uns mit der Frage auseinandersetzen, wie man damit umgeht.

Die rot-grüne Landesregierung hat in den vergangenen Jahren viele Milliarden Euro zusätzlich in den Bildungsetat gepackt: von 13,9 Milliarden € auf 17,3 Milliarden € – das war ein Plus von 24 %. Um nur eine Zahl zu nennen: Bei den Ganztagsplätzen gab es ein Plus von 36 %.

Aber das hat trotzdem nicht gereicht, weil die Veränderungen nicht nur durch Geld, sondern auch durch Strukturen abgebildet werden. Das müssen wir gemeinsam in den Blick nehmen.

Wir werden Sie – ebenso wie die Öffentlichkeit – in der nächsten Zeit sehr sorgfältig beobachten. Ihre Wahlkampfreden in diesem Jahr sind bis heute, bis in dieses Haus hinein immer unter derselben Marschrichtung erfolgt. Wichtig ist aber: Sie regieren jetzt – also regieren Sie auch! Sorgen Sie dafür, dass die notwendigen Mittel eingestellt werden! Mit Blick auf unser Plus von 24 % haben Sie noch Luft nach oben. Wir werden das in den nächsten Jahren genau beobachten.

Ich will deutlich sagen: Wir unterstützen Sie da, wo es vernünftig ist. Wir unterstützen zum Beispiel die Anpassung der Besoldung für die stellvertretenden Grundschulleiter. Das ist richtig. Wir unterstützen auch, dass Sie die Mittel für die Sozialarbeiter gesichert haben und dass Sie bei den Sozialpädagogen im Grundschulbereich drauflegen. Das alles ist richtig. Mit Blick auf die Schulsozialarbeiter meinen wir allerdings, dass die BuT-Mittel allein nicht die Lösung sein werden. Es ist auch gut, wenn es mehr Stellen gibt, wenngleich es 1.283 sind und nicht 2.048. Aber auch das können wir unterstützen.

Wenn wir diesen Haushalt ablehnen, liegt das vor allen Dingen daran, dass er zwei eklatante Mängel hat.

Der erste Mangel ist ganz klar, dass die von Ihnen noch im Wahlkampf versprochene Angleichung der Lehrerbesoldung im Grundschulbereich und im Sek-I-Bereich nicht durchgeführt wird. In den großen Reden, die hier noch im September dieses Jahres geschwungen wurden, wurde darauf hingewiesen, wie wichtig die gleiche Besoldung nach A13Z ist – insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir junge Leute motivieren müssen, den Lehrerberuf zu ergreifen.

Wenn es gerade im Grundschul- bzw. im Sek-I-Bereich zu wenige Lehrerinnen und Lehrern gibt, müssen wir doch dafür sorgen, dass dort ein Anreiz gesetzt wird. Gleiche Besoldung – A13Z für alle – muss endlich in den Haushalt eingepflegt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage auch ganz klar: Wenn es möglich ist, fast 150 Stellen für B3- und B7-Beamte aufzustocken, ist nicht nachvollziehbar, warum man dann nicht auch ein Signal an die Lehrerinnen und Lehrer in diesem Land senden kann.

Ich sehe noch einen weiteren schwierigen Punkt. Das Problem des Lehrermangels an den Grundschulen kann nicht dadurch gelöst werden, dass man Sek-II-Lehrer für zwei Jahre an die Grundschule schickt. Gerade angesichts der Herausforderungen in der Grundschule ist das ein untaugliches Mittel. Es ist ja auch nicht in Anspruch genommen worden. Insofern muss man da verstärkt nach neuen Ideen suchen.

Wir halten die Thematik „offene Ganztagsschule“ und den Ganztag insgesamt für ein noch viel schwierigeres Problem. Noch im Wahlkampf hat die FDP immer darauf hingewiesen, dass man den Ganztag nicht mehr über Erlasse regeln sollte, sondern dass man ihn im Schulgesetz aufnehmen muss. Jetzt wird ein Entwurf für den Ganztag angekündigt, der unserer Meinung nach eher für ein Bällebad bei Ikea steht als für mehr Qualität.

Es kann nicht für einen qualitätsvollen Ganztags stehen, wenn jeder sein Kind dann aus der Schule herausnimmt, wann es das gerne hätte, so wie es bei Ikea der Fall ist, wo man die Kinder abgibt und dann wieder abholt. Das hatte Herr Lindner schon im Wahlkampf als beispielgebendes Modell beschrieben. Das Bällebad von Ikea ist jedenfalls kein Modell für einen qualitätsvollen Ganztag; deshalb sind wir da sehr kritisch.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es geht darum, ob wir wollen, dass Eltern ihre Kinder zum Ballettunterricht aus der Schule nehmen, oder ob der Ballettunterricht nicht auch für alle Kinder innerhalb der Schule stattfinden kann, nach dem Motto: I will dance – aber für alle. Das ist doch das Entscheidende! Es sollte nicht so sein, dass diejenigen, die es sich leisten können, ihre Kinder dann aus der Schule herausnehmen, wenn sie es gerne hätten.

Mit Blick auf den Weihnachtsfrieden möchte ich noch einen letzten Punkt ergänzen, nämlich die Frage der beruflichen Bildung. Sie haben in Ihren Reden zu Recht auf Probleme in diesem Bereich hingewiesen und in der Vergangenheit, als Sie in der Opposition waren, deutlich gemacht, dass Sie darauf ein verstärktes Ansinnen legen wollen.

Daran möchte ich anknüpfen. Es gibt keine Schulform, die so heterogen ist wie die Berufskollegs in unserem Land. Es gibt keine größere Herausforderung als die Frage: Wie gehen wir in Zukunft mit beruflicher Bildung um? Wie sichern wir das duale System, das in Deutschland so vorbildlich ist?

Ich lade Sie herzlich ein, bei der Bewältigung dieser Aufgabe im nächsten Jahr gemeinsam vorzugehen. Das dient nicht nur dem Wohle der Kinder und Jugendlichen in diesem Land, sondern auch der Qualitätssicherung der deutschen Ausbildung, die sich wirklich sehen lassen kann.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Weihnachtsfest.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Die CDU-Fraktion wird nun von Herrn Rock vertreten.

Frank Rock (CDU): Herr Landtagspräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine letzte Rede zum Thema „Schulsozialarbeit“ in diesem Hohen Haus habe ich mit den Worten beendet – ich zitiere –: Wer nach vorne sehen will, darf nicht nach hinten denken.

Wir wollen nach vorne sehen – unter diesen Leitsatz möchte die NRW-Koalition und somit auch die CDU-Fraktion die Beratungen zum Haushalt 2018, Einzelplan 05: Schule, stellen. Der Bildungs- und Schuletat 2018 ist der erste Etat der neuen Landesregierung, der den schwerfälligen Bildungstanker in eine neue, andere Richtung bewegen soll. In diesen Bildungstanker fließen im Jahr 2018 zum ersten Mal über 18 Milliarden €; das ist fast ein Viertel des gesamten Landeshaushalts. 18 Milliarden € für die Bildung unserer Kinder, also ein Plus von gut 230 Millionen € – das ist auch gut so.

Ziel wird es sein, den Tanker in den nächsten zehn Jahren wieder in die richtige Richtung zu lenken. Das wird aufgrund der schlechten Ausgangslage und aufgrund der Versäumnisse und Fehlentwicklungen der letzten Jahre schwierig genug. Es wird um eine zentrale Ausrichtung der NRW-Bildungspolitik und die damit verbundenen Ziele gehen.

Unser Ziel ist es, Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Hierzu müssen wir investieren, modernisieren und konsolidieren. Wir investieren, um die schulische Zukunft zu gestalten. Wir modernisieren Schulen, um diese für die Herausforderungen fit zu machen. Wir konsolidieren Schulen, weil wir dort hinschauen müssen, wo Entwicklungen und politische Entscheidungen in den letzten Jahren nicht hilfreich waren.

Die NRW-Koalition hält an der schulischen Inklusion fest, sagt aber auch sehr deutlich, dass die Gießkannen-Inklusion von Rot-Grün krachend gescheitert ist. Mit dem Beschluss eines Förderschulmoratoriums und dem damit verbundenen ersten Stopp der Schließungen von Förderschulen haben wir die Grundlage für die gedeihliche Entwicklung der Inklusion geschaffen. Wir möchten die inklusiven Schulen stärken und ihnen dauerhaft eine ausreichende personelle Ausstattung ermöglichen.

Dies wird aufgrund des Lehrermangels über Jahre hinweg leider schwierig, aber nicht unmöglich sein. Aus diesem Grund müssen wir die Kompetenzen an einzelnen Schulen bündeln, um vor allem den Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Hierbei möchten wir Fehlentwicklungen entgegenwirken; hier also konsolidieren wir.

Das heißt auch, dass es über einige Jahre noch Schulen geben wird, die noch nicht die personellen und räumlichen Voraussetzungen erfüllen, um erfolgreiches Lernen möglich zu machen. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Wir möchten mit weiteren 400 Lehrerstellen und 330 Stellen für tariflich Angestellte die Schulen im Sekundarschulbereich durch sogenannte multiprofessionelle Teams unterstützen, um die jahrelangen Hilferufe der Schulen zumindest im Ansatz zu befriedigen. Außerdem werden zur Stärkung der Schuleingangsphase in den Grundschulen 600 Stellen für Klassenassistenten geschaffen – helfende Hände, die die Kolleginnen und Kollegen vor allem in den sehr heterogenen Eingangsklassen unterstützen sollen.

Liebe Frau Ministerin, das halte ich für einen guten und richtigen Schritt; denn wir schaffen nicht nur Stellen, sondern versuchen, diese auch zu besetzen. Das unterscheidet Sie sehr von Ihrer Vorgängerin – hier investieren wir.

Auch die Entscheidung, die Initiative einer breit angelegten Imagekampagne für den Lehrerberuf mit gut 2 Millionen € im Haushalt zu finanzieren, ist richtig und eine wichtige Investition. Wir begrüßen diese Maßnahme und halten zudem den ersten Schritt zum Ausbau der Studienplätze für Sonderpädagogik für dringend notwendig. Außerdem wird die aktuelle Diskussion um die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Vergabe von NC-Fächern hoffentlich auch beim Lehramtsstudium eine neue Ausrichtung ermöglichen.

Die Modernisierung unserer Zentren für Lehrerausbildung, die die Grundlage unserer schulpraktischen Lehrerausbildung darstellen, ist unumgänglich und überfällig. Ich möchte aus diesem Grund der Regierung ausdrücklich dafür danken, dass sie hier für eine moderne digitale Ausstattung sorgt, um damit den Grundstein für mehr digitales Lernen an unseren Schulen zu legen. Hier modernisieren wir.

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die weiteren 250 Lehrerstellen, mit denen die die duale Ausbildung in unseren Berufskollegs gestärkt werden soll. Ja, wir legen Wert darauf, dass die duale Ausbildung in Zukunft eine größere und stärkere Berücksichtigung findet. Auch hier unterscheiden wir uns in großen Teilen von der Vorgängerregierung.

Exemplarisch für die vielen anderen sinnvollen Veränderungen im Schulhaushalt möchte ich als letzten Punkt noch den Ausbau und die Investitionen im Bereich der Ganztagsschulentwicklung im offenen Ganztag als wichtige Modernisierung unserer Schulen anführen. Eine Evaluation des Gesamtkonzepts mit der Zielrichtung, die Qualität im offenen Ganztag zu stärken, und gleichzeitig eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch einen Bildungsanspruch zu erreichen, ist das Ziel der NRW-Koalition.

Im Haushalt 2018 sehen wir hierfür 8.000 weitere Plätze vor und möchten mit der zusätzlichen Erhöhung des Zuschusses um 3 % eine weitere Verbesserung ermöglichen. Hier werden wir in engem Dialog mit allen Beteiligten um den richtigen Weg ringen.

Zum Schluss möchte ich der Ministerin und dem Schulministerium danken, dass sie den schweren Bildungstanker auf den neuen, richtigen Weg gebracht haben. Der Tanker ist zwar kein Segelschiff; ich möchte dennoch folgendes Wikingerzitat anführen:

„Über den Wind können wir nicht bestimmen, aber wir können die Segel richten.“

Die Segel hat die NRW-Koalition in die richtige Richtung gehisst. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Ganz kleine Segel!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rock. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Enkel kommen zu Weihnachten nach Hause, und ich werde ihnen vielleicht auch von Wiki dem Wikinger erzählen. Da geht die Geschichte aber ein wenig anders. Ich weiß auch nicht, ob Ihr Zitat wirklich ein Wikingerzitat war, aber auf jeden Fall sind mir die Segel noch zu klein, Herr Rock, mit denen die Koalition unterwegs ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Man muss über einen längeren Zeitraum denken – der Kollege Ott hat vorhin darauf hingewiesen. Da gab es den Aufwuchs von über 4 Milliarden € in sieben Jahren. Wenn jetzt die 229 Millionen € hinzukommen, begrüßen wir das absolut, Frau Ministerin – ich habe ja gesagt, wir machen eine konstruktive Oppositionspolitik –; das tragen wir mit, das ist keine Frage. Ich denke aber, dass man noch eine Schippe drauflegen muss, damit man weiter in Bildung investieren kann.

Neben dem Aufwuchs, den Sie uns vorgelegt haben, wollen wir uns doch mal anschauen, welche weiteren Verschiebungen im Schulsystem noch angelegt werden. Dabei werden mehrere unterschiedliche Dinge nebeneinander auf den Weg gebracht.

Wir unterstützen natürlich, dass die Konrektoren jetzt nachbezogen werden; wir unterstützen den Stellenaufwuchs insgesamt.

Leider haben Sie aber noch nicht den ersten Schritt zur Besoldung in Richtung A13 getan. Herr Löttgen hat in der Podiumsdiskussion beim VBE zugesichert, dass dies passieren soll. Ich warte daher auf die erste Festlegung im Haushalt 2019. Wir werden dann schauen, ob das wirklich umgesetzt wird. Allerdings hätte man bereits jetzt den ersten Schritt dafür gehen müssen.

Ich möchte gleich noch etwas zum Bereich OGS sagen – Herr Rock hat darauf hingewiesen, welche Notwendigkeiten dort bestehen –, komme aber erst noch einmal auf die Verschiebungen im Schulsystem zu sprechen.

Inklusion im umfassenden Sinn bezieht nicht nur das Zusammenleben mit Menschen mit Behinderungen ein – ich denke, da sind wir uns einig –, sondern Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer Verschiedenheit insgesamt – egal ob sich das über eine Behinderung ausprägt oder über Herkunft, Zuwanderung oder soziale Lage. Inklusion ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, keine Aufgabe für einzelne Schulformen. Ich finde es deswegen bedenklich, dass sich die Gymnasien aus der zieldifferenten Inklusion verabschieden sollen. Das kann nicht sein.

Entscheidend ist auch, wie die Beschulung von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte gesteuert wird. Die Gymnasien sollten sich von dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe ebenfalls nicht einfach verabschieden dürfen. Darauf werden wir sehr genau achten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist in der Tat richtig, wenn kritisch darauf geschaut wird, wie der Ressourceneinsatz in der Inklusion gut gelingen kann. Allerdings muss dann aber auch darüber gesprochen werden, warum schon jetzt Verfügungen durch die Bezirksregierungen ausgebracht werden, wonach vor allem integrierte Schulformen angewiesen werden, mehr Kinder in die Lerngruppen aufzunehmen, obwohl die Ministerin uns im Ausschuss erklärt hat, dass dazu erst im Januar Konferenzen stattfinden sollten. Ich finde, hier stimmt die Schrittigkeit nicht überein.

Die Schulen wissen auch nicht, welche konkrete Unterstützung sie zu erwarten haben. Wie ist das mit der Definition der Lerngruppen im gemeinsamen Lernen? – All das liegt noch im Nebel. Das ist nicht gut, und wir werden sehr darauf achten, dass die Herausforderungen im Schulsystem breit angelegt werden.

Aber jetzt noch zum Thema „OGS“. Frau Ministerin, Sie haben Flexibilisierung angekündigt. Ich bin dabei, wenn es beim Herausnehmen des Kindes um den 90. Geburtstag der Oma oder um das Anpassen der Zahnspange beim Kieferorthopäden geht; das ist die eine Sache. Aber wir müssen wirklich aufpassen, dass wir dieses Kunden-, Dienstleistungs- und Serviceverständnis und diese Mentalität nicht befördern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das haben wir leider schon zur Genüge durch das Buchungssystem in der Kita: Ich buche 25 Stunden für mein Kind. – Ich möchte nicht, dass Eltern sagen können: Ich buche für mein Kind einen Tag oder zwei. – Das dürfen wir den Schulen nicht antun.

Es geht um eine gemeinsame Bildungsverantwortung, um die Bildungspartnerschaft von Elternhaus und Schule. Wie soll in einem Flickenteppich-OGS eigentlich noch die über den Tag verteilte Rhythmisierung stattfinden? Das ist doch mit all den Lerngruppen gar nicht mehr möglich.

Wie soll denn der soziale Zusammenhalt in der Ganztagsschule gestärkt werden, wenn man je nach Wochenlage sagen kann – das habe ich in einem WDR-Interview gehört –: „Heute bin ich im Homeoffice; da möchte ich mein Kind gerne aus der Schule holen können“? Wir müssen uns sehr intensiv darüber verständigen, ob das eine gute Beziehung zur Schule und zur Ganztagsschule sein kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben angekündigt, dass Sie Standards setzen wollen. Wir sind der Meinung: Damit sollten wir jetzt auch anfangen; es ist noch Luft nach oben. Statt der Dynamisierung sollten wir lieber in einem ersten Schritt pro OGS-Gruppe eine halbe Erzieherinnenstelle zur Verfügung stellen. Dann sollten wir ein Programm auflegen, um Berufseinsteigerinnen und Berufsrückkehrerinnen zu qualifizieren, damit die Beschäftigungsverhältnisse in der OGS qualitativ weiterentwickelt werden.

Das halte ich für besser, als den Satz in der Dynamisierung zu erhöhen. So können wir die Qualität weit übers Land sichern; denn die Kommunen haben eine unterschiedliche finanzielle Ausstattung; das wissen wir. Manches Mal kommt diese Dynamisierung gar nicht in der OGS-Gruppe und beim einzelnen Kind an.

Deswegen werden wir dazu einen Antrag vorlegen. Die gut 100 Millionen € wären gut angelegt. Wir müssen in der OGS jetzt handeln, und nicht erst in den kommenden Jahren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Haushalt 2018 legt die neue Landesregierung den Grundstein für eine Trendwende in Nordrhein-Westfalen. Diese Trendwende ist nach den Fehlern der vergangenen Jahre, insbesondere im Bildungsbereich, überfällig. Deswegen freue ich mich besonders, dass allein im Einzelplan 05, also für Schule und Bildung, 18 Milliarden € – das sind rund 229 Millionen € mehr als im vergangenen Jahr – zur Verfügung stehen.

Ich möchte heute drei Punkte exemplarisch hervorheben:

Erstens. Wir sehen mit großer Sorge die aktuelle Situation an den Schulen des gemeinsamen Lernens. Damit Inklusion an den NRW-Schulen nicht mehr als Belastung empfunden und endlich verdientermaßen zum Erfolgsmodell wird, wollen wir die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort stärker entlasten.

Ein erster wichtiger Schritt ist die Einrichtung von 330 zusätzlichen Tarifstellen für multiprofessionelle Teams. Wir haben vor Kurzem hier im Plenum einmütig über die Bedeutung der Schulsozialarbeit diskutiert. Die Schulsozialarbeiter sind ein Beispiel für die wichtige multiprofessionelle Unterstützung an unseren Schulen. Diese zusätzlichen Stellen sollen vor allen Dingen inklusiven Schulen der Sekundarstufe I zugutekommen; das orientiert sich am Sozialindex.

Zudem sind zusätzliche 400 Stellen für allgemeine Lehrkräfte eingeplant, um die Differenzierungsangebote in den Schulen des Gemeinsamen Lernens zu verbessern.

Zweitens. Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Erhöhung der Mittel für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Auf dem VBE-Tag der Lehrergesundheit sagte der damalige Vorsitzende des VBE NRW Udo Beckmann – Zitat –:

„Die Arbeit als Lehrer hat für viele ein Suchtpotenzial und birgt gerade deshalb die Gefahr der Selbstausbeutung. (…) Damit Lehrkräfte nicht ausbrennen, wollen wir sie auf dem Gesundheitstag mit Strategien und Ideen unterstützen, achtsam mit sich selbst zu sein. (…) Verantwortlich ist dafür eigentlich die Landesregierung. Von dieser Seite muss mehr für die Gesundheit der Lehrkräfte getan werden.“

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Beckmann hat so was von recht! Die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer muss spürbar mehr in den Fokus rücken. Deswegen gehen wir auch hier den ersten Schritt und erhöhen die Mittel dafür um 5,6 Millionen €.

(Beifall von der FDP)

Das ist für uns auch ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung und Anerkennung gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern und der tagtäglich von ihnen geleisteten Arbeit. Uns ist es wichtig, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer gesund bleiben oder wieder gesund werden. Darin wollen wir investieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Drittens. Das ist für heute mein letztes Schlaglicht: die Streichung der kw-Vermerke für 3.299 Planstellen. Wir sorgen dafür, dass sie erhalten bleiben: 900 Stellen im Bereich der Sprachförderung, 1.648 Stellen im Grundbedarf und 751 Stellen für neue oder zusätzliche Bedarfe, die sonst durch den kw-Vermerk zum 1. August 2018 weggefallen wären.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die neue Landesregierung hat sich hohe Ziele gesetzt. Wir werden diese Ziele in den kommenden Jahren erfüllen. Dieser Haushaltsplan mit Investitionen in unsere Schulen und weltbeste Bildung, gleichzeitig ohne neue Schulden, zeigt deutlich: Wir gehen heute den ersten Schritt in die richtige Richtung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. – Für die AfD spricht Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Beer, sehr geehrter Herr Ott, ich kann die Kritik, die Sie hier vorbringen, nicht teilen, weil der Einzelplan 05 Abstand nimmt von vielen Fehlentwicklungen, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten.

Allerdings, Herr Rock und Frau Müller-Rech, bei allem Respekt und bei aller Wertschätzung Ihnen gegenüber muss ich sagen: Was Sie hier vorbringen, ist ein Ausdruck dessen, dass die Dinge, die Sie vorlegen, eigentlich nur halbherzig umgesetzt werden und auch ein Zeichen von Mutlosigkeit sind.

Letztlich nehmen Sie völlig zu Recht Abstand von dem, was die Vor-Vorgängerregierung unter Herrn Rüttgers bereits eingeleitet hatte. Bereits 2005 begann der zunächst langsame, dann aber doch deutlich sich beschleunigende Abstieg NRWs im Bildungsranking.

Schwarz-Gelb – daran muss man sich auch einmal erinnern; ich weiß, Sie schauen nicht gern zurück; das ist mir schon klar – hat unter dem vormaligen Zukunftsminister und späteren Ministerpräsidenten Rüttgers das bildungspolitische Handeln nach den gewinnorientierten Vorstellungen mächtiger Wirtschaftsunternehmen ausgerichtet und konnte nicht schnell genug alte Strukturen zerschlagen. G8 ist dabei nur eine augenfällige Maßnahme. Es geht auch noch um andere Maßnahmen wie die Beseitigung der Vorschulklassen und vieles andere mehr. Nicht zu vergessen ist die Inklusion, die Sie bereits im Jahr 2009 auf den Weg gebracht haben – und nicht etwa Rot-Grün.

Das Ganze hat sich dann im Schulkonsens getroffen, bei dem Sie sich im Grunde genommen nur vor den Forderungen weggeduckt haben, die von Rot-Grün immer schon vorgebracht worden waren.

Das Ergebnis dieses Zerstörungswerks ab 2005 ist nun im Bildungsmonitor und in der IGLU-Studie, die erst kürzlich wieder NRW einen Abstiegsplatz zuwies, zu besichtigen. Eine traurige Entwicklung!

Nichtsdestotrotz will ich nicht groß nachkarten. Ich bin froh, dass die schwarz-gelbe Regierung das jetzt erkannt hat und – anders, als viele Politiker das tun – eingesehen hat, dass es da schwere Fehlentwicklungen gegeben hat.

Sie führen die Inklusion wenigstens zum Teil zurück, und zwar nicht aus Menschenfeindlichkeit, wie das einige in diesem Haus sehen, sondern aus Menschenfreundlichkeit. Das ist zu begrüßen. Sie ordnen das zieldifferente Unterrichten einigen Schwerpunktschulen zu.

Aber auch das ist letztlich nur halbherzig und mutlos. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass nur die Stärkung der Förderschulen in unserem Tableau der verschiedenen Schulformen und die begabungsgerechte Beschulung der Kinder in der für das jeweilige Kind maßgeschneiderten Schulform gleichermaßen human und effizient sind.

Damit würden Sie zugleich ein weiteres Problem lösen: den Lehrermangel. Denn der Lehrermangel ist durch das mittelmäßige Image, das der Schulalltag mit sich bringt, mitverursacht.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Von der Wirksamkeit der 2 Millionen €, die Sie für eine entsprechende Imagekampagne einsetzen, bin ich nicht überzeugt. Die Menschen, die dafür infrage kommen, den Lehrerberuf zu ergreifen, merken sehr deutlich, ob das alles nur Luftblasen sind, was man ihnen verspricht, und ob der Schulalltag nicht doch eine Überforderung des Einzelnen bedeutet – eine nervliche Überforderung, eine intellektuelle Überforderung und eine Überforderung in Bezug auf das Unterrichten selbst.

Ich würde mir wünschen, dass die 2 Millionen € anderweitig verwendet würden, nämlich zur Stärkung der vorhandenen Schulstrukturen.

Ein ganz großes Festhalten an alten Zöpfen – als einen Skandal will ich es nicht bezeichnen – sind die 13 Millionen €, die Sie für QUA-LiS einsetzen. Wenn QUA-LiS, das es ab 2004 gab – ich habe damals als Schulleiter das Pilotprojekt begleitet, in dem der erste Versuch durchgeführt worden ist –, so wertvoll wäre, hätten wir jetzt doch ein Schulsystem und Schulen, die glänzend dastünden.

Aber QUA-LiS – lassen Sie mich das bitte aus zweimaliger eigener Erfahrung und aufgrund der Kommunikation mit anderen Kollegen sagen – bringt nichts. Das liegt gar nicht an den Kollegen, die es durchführen; damit beschimpfte ich sie jetzt gar nicht. Vielmehr liegt das am System, das wir hier nicht weiter erläutern können, aber gern im Ausschuss noch einmal zur Sprache bringen können.

Streichen Sie die 13 Millionen €! Wir haben zunächst einmal gesagt, man solle 6 Millionen € streichen, damit es auslaufen kann. Aber QUA-LiS muss weg. Es müssen andere Möglichkeiten und Instrumente entwickelt werden, die die Qualität von Schulen erforschen.

Insofern können wir dem Einzelplan 05 zwar nicht zustimmen, sind aber sehr optimistisch, dass in den nächsten Jahren auch mit unserer Hilfe die CDU und die FDP auf den richtigen bildungspolitischen Weg gebracht werden und wir dann gemeinsam ein gutes Schulprogramm auflegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Gebauer das Wort. Bitte schön.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Beer, lieber Herr Ott, Sie können ja froh sein, dass ich in dieser Woche die Pressekonferenz zur Flexibilisierung der offenen Ganztagsschule gegeben habe. Denn sonst hätten Sie ja heute gar keine Kritikpunkte vortragen können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Frau Beer, Sie sagen, jetzt müsse in der OGS gehandelt werden und nicht erst in den kommenden Jahren. Ich weiß nicht, wie die Träger dieses Zitat aufnehmen werden, die in den vergangenen sieben Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, auch immer vor der Tür gestanden und um Verbesserungen gebettelt haben. Insofern wäre ich da etwas vorsichtiger.

Wir haben uns der Sache nach einem halben Jahr direkt angenommen. Wir haben gesagt, dass wir es schrittweise angehen. Das werden wir auch tun. Die Flexibilisierung ist der erste Schritt, den wir gemeinsam mit den Trägern gehen wollen.

Meine Damen und Herren, mit dem Haushaltsplan 2018 legen wir den Grundstein, um Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen.

Wir verbessern die Rahmenbedingungen für die Inklusion, wir kümmern uns um den Ganztag – nicht nur um den offenen Ganztag, sondern um den Ganztag an sich –, und wir treiben die Digitalisierung voran.

Wir stärken die Grundschulen und geben den Berufskollegs die Aufmerksamkeit, die diese Schulform verdient hat.

Mehr als 3.000 kw-Vermerke haben wir gestrichen. Mehr als 1.200 zusätzliche Stellen haben wir geschaffen. Wir nutzen Spielräume für wichtige bildungspolitische Weichenstellungen.

Ich bin davon überzeugt, dass Inklusion nicht nur sonderpädagogische Expertise braucht, sondern dass gerade das Zusammenspiel verschiedener Professionen die dringend notwendigen Qualitätsverbesserungen ermöglicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für die Inklusion geben wir daher 330 zusätzliche Stellen für multiprofessionelle Teams in die allgemeinen Schulen. Außerdem werden 400 zusätzliche Stellen für allgemeine Lehrkräfte bereitgestellt, um Differenzierungsangebote zu unterstützen.

Wir stärken die Grundschulen mit 600 zusätzlichen Stellen für die flexible Schuleingangsphase zur besseren individuellen Förderung von Beginn an.

Die bereits erwähnten Berufskollegs werden nicht länger vernachlässigt und erhalten 250 Stellen.

Wir gehen neue Wege und bauen das Ferienintensivtraining für neu zugewanderte junge Menschen, für Kinder und Jugendliche, mit 2,15 Millionen € aus.

Meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich auf das Thema „gerechte Besoldung“ heute nicht eingehen. Ich werde das aber doch tun, weil Sie es hier angesprochen haben, Frau Beer und Herr Ott. Ich kann es Ihnen heute wieder nicht ersparen, zu sagen: Sie von Rot-Grün haben es sieben Jahre lang versäumt, die Ungerechtigkeiten im Besoldungsgefüge bei den Lehrerinnen und Lehrern zu beseitigen. Das wäre in den vergangenen Jahren Ihre Aufgabe gewesen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben sieben Jahre lang die Reform der Lehrerausbildung ignoriert und sich geweigert, die besoldungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen, die zu ziehen waren.

Die Anhebung der Besoldung der Konrektorinnen und Konrektoren an Grund- und Hauptschulen, die Sie lobend erwähnt haben,

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

habe ich in der vergangenen Legislaturperiode permanent eingefordert. Dafür habe ich mich jetzt als Schulministerin eingesetzt. Wir haben sie in diesen Haushalt eingestellt. Ich kann nur sagen: Versprochen und gehalten!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu guter Letzt: Dieser Schulhaushalt unterstreicht nachdrücklich, dass Bildung für diese Koalition zentraler Schwerpunkt ist und wir in unsere Kinder und deren Köpfe investieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Auf der Redeliste steht für die FDP Frau Kollegin Hannen.

Martina Hannen (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist meine erste Rede in diesem Hohen Hause – und dann gleich zum Haushalt. Aber über diesen Haushalt rede ich sehr gern.

Der vorliegende Haushalt enthält viele richtige, wichtige und dringend notwendige Kurskorrekturen. Gerade die Berufskollegs wurden in den sieben Jahren unter Rot-Grün sträflich vernachlässigt und erkennbar außer Acht gelassen. Dabei besucht ein großer Teil der Schülerinnen und Schüler im Laufe seiner Schullaufbahn ein Berufskolleg. Entgegen unseren Vorgängern weiß die NRW-Koalition den Wert der Berufskollegs und die Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer wertzuschätzen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Diese Wertschätzung schlägt sich auch deutlich im Landeshaushalt für 2018 nieder. Anstatt 500 Stellen willkürlich dort zu kürzen, wo sie dringend benötigt werden, schaffen wir durch die Rückabwicklung der sogenannten Präventionsrendite in einem ersten Schritt 250 neue Stellen für die Berufskollegs, die dort dringend benötigt werden. Darüber hinaus können wir weitere 200 Stellen durch eine endlich vernünftige Ausfinanzierung und Weiterentwicklung des Programms „Fit für mehr!“ bereitstellen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Auch die zusätzlichen 20 Millionen € für die Inklusionspauschale kommen über den Verteilungsschlüssel den Berufskollegs zugute. Das Geld ist hier sehr gut angelegt. Denn es fließt nicht nur in den schulischen Teil der beruflichen Ausbildung. Die Leistungen der Berufskollegs im Rahmen der internationalen Klassen, in den Berufsvorbereitungen und in den vielen anderen Bildungsgängen benötigen und verdienen diese unter anderem auch monetäre Anerkennung.

(Beifall von der FDP)

Im ersten Haushalt der NRW-Koalition wird deutlich, dass die Schattenjahre der Berufskollegs beendet sind, dass wir um die Wichtigkeit dieser Schulform in unserem Land wissen und dass wir ihr den Platz geben, der ihr gebührt.

In den kommenden Jahren werden wir die Versäumnisse von Rot-Grün schrittweise aufarbeiten und neue Impulse für unsere Berufskollegs setzen. Der Haushalt 2018 ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, liebe Kollegin, und herzlichen Glückwunsch zur Jungfernrede! – Meine Damen und Herren, damit haben wir das Ende der Rednerliste erreicht. Wir sind also am Schluss der Aussprache. Da es nach 14 Uhr ist, können wir auch zur Abstimmung kommen.

Ich lasse zunächst über den Einzelplan 05 abstimmen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1505, den Einzelplan 05 unverändert anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 05 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer ihm so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU und die FDP. Wer ist dagegen? – Das sind die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD und die fraktionslosen Kollegen. Damit ist der Einzelplan 05 gleichwohl in zweiter Lesung mit der Mehrheit von CDU und FDP angenommen.

Nun holen wir die Abstimmung zum Einzelplan 07 – er betrifft das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration – nach.

Ich lasse erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1549 abstimmen. Wer diesem Antrag der SPD zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD. Wer ist dagegen? – Die CDU, die FDP und die fraktionslosen Kollegen. Wer enthält sich? – Die Grünen und die AfD. Damit ist dieser Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich lasse zweitens über den Einzelplan 07 abstimmen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1507, den Einzelplan 07 unverändert anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 07 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer ihm zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU und die FDP. Wer ist dagegen? – Die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD und die fraktionslosen Kollegen. Damit ist der Einzelplan 07 gleichwohl in zweiter Lesung mit den Stimmen von CDU und FDP angenommen.

Dann hole ich die Abstimmung zum Einzelplan 09 – er betrifft das Ministerium für Verkehr – nach.

Ich lasse erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/1546 abstimmen. Wer stimmt diesem Änderungsantrag der AfD zu? – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der AfD. Wer ist dagegen? – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU und die FDP. Wer enthält sich? – Das sind die drei fraktionslosen Kollegen. Damit ist der Änderungsantrag mit den entsprechenden Stimmen abgelehnt.

Ich darf zweitens über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1550 abstimmen lassen. Wer diesem Änderungsantrag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP, AfD und die fraktionslosen Kollegen. Wer enthält sich? – Das sind die Grünen. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Ich lasse drittens über den Einzelplan 09 abstimmen. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1509, den Einzelplan 09 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Wer dem so folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, AfD und die fraktionslosen Kollegen. Damit ist der Einzelplan 09 in zweiter Lesung in der Fassung der Beschlussempfehlung angenommen.

Damit haben wir die nachzuholenden Abstimmungen durchgeführt.

Ich rufe nun auf:

Einzelplan 11
Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales

a) Arbeit

b) Soziales

c) Gesundheit

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1511

Änderungsantrag

der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1551

Wir beginnen mit dem Bereich

a) Arbeit

Dazu eröffne ich die Aussprache und erteile für die SPD Herrn Kollegen Neumann das Wort.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Minuten haben Beschäftigte von Air Berlin vor dem Landtag demonstriert, weil sie sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, insbesondere in der Frage einer Transfergesellschaft, wie sie im Land Berlin möglich war und in Nordrhein-Westfalen leider nicht umgesetzt wurde.

Wir haben heute früh versucht, das Thema „Stahlgipfel“ und die allgemeine Situation nicht nur der Stahlarbeiter, sondern auch derjenigen, die aktuell im Land Nordrhein-Westfalen um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, auf die Tagesordnung zu setzen. Das hat die Mitte-rechts-Koalition abgelehnt. Dabei geht es, wie gesagt, nicht nur um die Debatte über Stahl, sondern auch um den Abbau bei Siemens und vielen anderen. Es wäre kurz vor Weihnachten ein gutes Zeichen gewesen, wenn wir am heutigen Tage zu diesem Thema hätten Stellung nehmen und klare Position im Sinne der Beschäftigten beziehen können.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Eine Koalition, in deren Koalitionsvertrag sich zum Thema „Arbeit, Gesundheit und Soziales“ außer vielen leeren Seiten nicht allzu viel wiederfindet, hat zu diesem Thema natürlich nicht viel zu sagen und wird sich dazu sicherlich auch nicht äußern wollen. Das zeigt sie durch ihr striktes Handeln ganz deutlich, wie wir auch heute früh gesehen haben.

Wenn man draußen das Wetter mit dem Nebel und dem Regen sieht und daran denkt, dass wir drei Tage vor Heiligabend stehen, kann man nur sagen: Diese Koalition fängt in der Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitik dort an, wo sie 2010 aufgehört hat, nämlich mit dem Mantra „Privat vor Staat“

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und der Politik der sozialen Kälte nach dem Motto: Wir stärken die Starken und schwächen die Schwachen.

Davon zeugt auch der Entwurf für den Haushaltsplan des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales. In überwiegenden Teilen verändert er sich kaum. Da, wo er sich verändert, wird gespart oder gekürzt, oder man kann nicht ersehen, was daraus wird. Das ist die Strategie dabei.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Minister Laumann, bei den zentralen sozialpolitischen Themen der letzten Wochen, die in diesem Land eine Rolle gespielt haben – ich erwähne das Sozialticket, die Debatte um den sozialen Arbeitsmarkt und andere Diskussionen, insbesondere zur Wohnungspolitik und zur Förderung der Barrierefreiheit –, hätten wir uns schon gewünscht, dass der Minister, von dem man gesagt hat, er sei das soziale Gesicht dieser Landesregierung, auch sichtbar gewesen wäre. Wir haben Sie da nicht gesehen.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt basiert auf Rekordsteuereinnahmen und gleichzeitig auch auf Streichungen in Politikfeldern, die die Menschen in unserem Land massiv betreffen werden. Ich will zuerst auf einige kleine Themen in der Arbeitsmarktpolitik eingehen.

Der Baransatz der Mittel für den sozialen Arbeitsmarkt wird um 10 Millionen € gekürzt. Das ist vielleicht erst einmal nicht dramatisch. Aber wenn eine Regierung ankündigt, sie wolle einen Passiv-Aktiv-Transfer zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen durchführen, muss sie sich die Frage stellen lassen, warum sich das im Haushalt dieses Landes nicht wiederfindet. Dafür sind nämlich keine Ansätze vorgesehen.

(Beifall von der SPD)

Der Minister hat in vielen Interviews der letzten Tage angekündigt, dass der Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen hart durchgreifen wird, insbesondere bei Paketdiensten und Arbeitsbedingungen, die in dieser Branche nicht tragbar sind. Schauen wir uns den Haushaltsansatz an, stellen wir dazu ein Nullbudget fest. Für die Arbeitsschutzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen ist im Haushalt keine einzige neue Stelle vorgesehen.

(Nadja Lüders [SPD]: Ach, schau an! – Zuruf von Gordan Dudas [SPD])

Man fragt sich: Womit soll denn alles das passieren, was da angekündigt wird?

(Nadja Lüders [SPD]: Es weihnachtet sehr!)

– Es weihnachtet nicht nur sehr, sondern man kann auch den Eindruck gewinnen, dass nach außen viel gepoltert, nach innen aber wenig gemacht wird.

(Beifall von der SPD)

In der Arbeitsmarkpolitik gibt es auch einige Aspekte, die natürlich erfreulich sind – insbesondere die Tatsache, dass wir einen Arbeitsmarkt haben, der sich positiv entwickelt und auf dem Menschen mehr Arbeit haben. Es gibt aber Gruppen, die davon nicht profitieren. Dazu gehören zum einen Menschen mit Behinderung und zum anderen Langzeitarbeitslose.

Was Menschen mit Behinderung angeht, hätten wir uns natürlich gewünscht, dass sich dazu ein zusätzlicher arbeitsmarktpolitischer Ansatz im Haushalt wiederfindet. Aber auch dazu gibt es nichts. Wir sehen dort die vorhandenen Ansätze, die es schon bei Rot-Grün gegeben hat, finden aber nichts, was als Kreativität oder Konzept sichtbar wäre, von dem man sagen könnte: Da wird der Versuch unternommen, insbesondere den benachteiligten Gruppen im Arbeitsmarkt auf irgendeine Art und Weise zu helfen.

Herr Laumann, wer für sich einmal in Anspruch genommen hat, dass Behindertenpolitik die Königin aller Politiken sei, muss sich die Frage stellen lassen, wie man in dieser Frage als Tiger starten und dann beim Haushalt als Bettvorleger landen kann.

Ausgerechnet dieses Ministerium ist das einzige Ministerium – das könnte man eigentlich loben –, in dem Stellen gestrichen werden, während in allen anderen Bereichen Stellen aufgebaut werden.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wo werden Stellen gestrichen?)

Insofern ist in diesem Haushalt zum Thema „Arbeitsmarkt und Arbeit in Nordrhein-Westfalen“ wenig enthalten, was von Konzept, Strategie und Zukunftsperspektive zeugt.

Wir werden an dieser Stelle auch in den nächsten Monaten die Finger in die Wunde legen und sagen: Hier erwarten wir eine konzeptionelle Politik im Sinne der benachteiligten Gruppen, die diesen Arbeitsmarkt nicht erreichen.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das gilt auch für Menschen, die aktuell von massivem Arbeitsplatzabbau bedroht sind. Man kann nicht so tun, als hätte man als Landesregierung damit nichts zu tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Neumann. – Für die CDU hat der Kollege Schmitz das Wort.

Marco Schmitz (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Neumann, Sie müssen in anderen Ausschüssen gewesen sein als ich; denn das, was Sie eben erzählt haben, hat so nicht stattgefunden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie berichten uns hier gerade von Kürzungen und erklären uns, wir würden nichts für die Behinderten tun. Natürlich machen wir das. Wir tun das nach wie vor weiter. Sie wollen dieses Märchen von der sozialen Kälte aufrechterhalten. Sie laufen da aber einfach falsch. Es ist schlecht von Ihnen, wie Sie es gemacht haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt – Sie haben das eben selber gesagt – hat sich im Dezember 2017 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbessert. Es ist umso erfreulicher, als dass wir neben der geringsten Arbeitslosigkeit auch gleichzeitig die höchste Beschäftigung seit Langem haben. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erreicht einen historischen Höchstwert. Wir haben im Dezember weit über 6,6 Millionen Personen registriert, die in Arbeit sind.

Natürlich ist mir bewusst, dass wir dies der besonders guten Konjunktur zu verdanken haben. Aber die NRW-Koalition hat es sich auf die Fahnen geschrieben, mit einer klugen Politik, einem investitions- und innovationsfreundlichen Klima und dem Abbau von Bürokratie das Wirtschaftswachstum weiter zu fördern. Es ist für eine gute Arbeitsmarktpolitik unabdingbar, diese Politik der NRW-Koalition weiter fortzusetzen.

(Beifall von der CDU)

Aber können wir uns jetzt entspannt zurücklegen? Nein, das werden wir auch nicht können. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass es am Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre auch starke Warnsignale in NRW gegeben hat. Gerade im Bereich der Arbeitsmarktpolitik haben wir zwei große Herausforderungen, um die wir uns in den nächsten Jahren besonders kümmern müssen.

Zum einen betrifft das den Bereich der Integration von arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen und zum anderen den Bereich der Jugendarbeitslosigkeit. NRW verschenkt in diesem Bereich zu viele Potenziale – noch. Wenn wir diese Potenziale bei Menschen, die schon länger arbeitslos sind, nicht abrufen, und auch der Ausbildungsmarkt nicht richtig Fahrt aufnimmt, werden wir kaum einen das Wirtschaftswachstum gefährdenden Fachkräfteengpass vermeiden können. Deshalb müssen wir jetzt, da sich der Arbeitsmarkt im konjunkturellen Aufschwung befindet, in die Menschen investieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Etat, der dem Ministerium für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung steht, ist zum großen Teil als gesetzliche Aufgabe festgelegt.

Im Bereich der freiwilligen Förderung wird das Budget etatmäßig nahezu unverändert fortgeschrieben, was Sie eben wieder bezweifelt haben. Aber gerade diesen Bereich der freiwilligen Förderung werden wir uns natürlich anschauen und inhaltlich nachsteuern.

Eine wichtige Position nimmt dabei das Budget für die Modellprojekte zur Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit in Dortmund, Duisburg, Essen und Gelsenkirchen ein. Die NRW-Koalition will diese Projekte unter einer angepassten Ausrichtung fortsetzen. Das Hauptaugenmerk legen wir dabei auf den Innovationsgehalt und die Nachhaltigkeit der Modelle. Es sollen hier echte Modellprojekte implementiert werden, die nah am ersten Arbeitsmarkt sind, und es soll sich nicht um ABM-de-luxe-Varianten handeln.

Die Langzeitarbeitslosen müssen zusammen mit der Belegschaft arbeiten, um echte Erfahrungen auf dem ersten Arbeitsmarkt machen zu können. Menschen ohne berufliche Ausbildung können mit Qualifizierungen zu leistungsfähigeren Fachkräften werden. Schließlich können auch junge Menschen mit nicht ganz so guten Noten durch die richtige Förderung zum begehrten Fachkräftenachwuchs aufsteigen. Es kommt darauf an, ihnen eine Chance im Betrieb oder Unternehmen zu geben.

Insgesamt sind daher rund 32 Millionen € für die Integration junger Menschen in Ausbildung und Arbeit vorgesehen. Daraus werden wir unter anderem die „Kooperative Ausbildung an Kohlestandorten“ für sehr stark benachteiligte Jugendliche finanzieren. Weiterhin stehen aus diesem Budget auch 100 Ausbildungsplätze für schwerbehinderte Jugendliche zur Verfügung. Weitere 2 Millionen € werden wir in die Teilqualifizierung stecken.

Mit einer wesentlich höheren Summe von 14 Millionen € werden wir das Werkstattjahr wieder implementieren. Die dafür notwendigen Mittel sollen aus dem Etat der Produktionsschule kommen, bei der wir zuletzt eine Abbruchquote von rund 60 % hatten und die wir in diesem Jahr auslaufen lassen werden.

Auch den Bildungsscheck werden wir aufwerten, um vor allem auf die zukünftigen Herausforderungen der Digitalisierung einzugehen. Dafür werden wir die Nutzungskriterien ändern, um ihn einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen, sodass mehr Menschen von diesem Angebot profitieren können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Haushaltsentwurf ist die NRW-Koalition gut für den Bereich der Arbeitsmarktpolitik aufgestellt. Ich bin mir sicher, dass wir mit den geplanten Maßnahmen die Arbeitslosigkeit in unserem Land weiter senken, in Kooperation mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Wirtschaft weiter stärken und unser Land weiter nach vorne bringen werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die Grünen erteile ich nun Herrn Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war vorhin ähnlich wir Kollege Hübner draußen vor dem Landtag. Dort haben einige Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Air Berlin demonstriert.

(Daniel Sieveke [CDU]: Einige Hundert?)

– Machen Sie sich nur lustig, Herr Sieveke.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ich habe mich nicht lustig gemacht!)

Es geht bei diesen Menschen ganz konkret darum, dass sie ihren Arbeitsplatz in einer Art und Weise verloren haben, wie sie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ihresgleichen sucht. Deswegen müssen wir uns um diese Menschen auch kümmern und deren Anliegen in der Politik sehr deutlich machen. Daher war es nicht in Ordnung, dass wir heute nicht darüber reden konnten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will Ihnen diesen Vorgang, weil er wirklich beeindruckend ist – im negativen Sinne –, einmal schildern – nur in ganz kurzen Zügen –: Wir haben in Deutschland ein gut funktionierendes Insolvenzrecht. Dieses Insolvenzrecht wurde durch einen Kredit der Bundesregierung und durch verschiedene andere Maßnahmen schlicht umgangen. So ist es den Beschäftigten nicht möglich gewesen, einen Betriebsübergang vorzunehmen.

Das führt dazu, dass alle Tochterunternehmen filetiert werden und die Beschäftigten sich jetzt auf ihre eigenen Arbeitsplätze mit minderem Gehalt und in neuen Strukturen bewerben sollen.

Das ist Manchester-Kapitalismus, und das müssen wir verhindern. Das darf in Deutschland so nicht mehr vorkommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass es weitere Unternehmen gibt, bei denen man sich fragt: Was ist denn da los? Ich nenne nur General Electric. Ich habe mir das Unternehmen – freundlicherweise auf Einladung des Betriebsrates – angucken können. Die haben volle Auftragsbücher. Es ist ein modernisiertes Unternehmen. Sie haben 400 Beschäftigte, von denen über 20 Leute schwerbehindert sind, die aber trotzdem qualifizierter Arbeit nachgehen. Solche hervorragenden Unternehmen sollen geschlossen werden, weil aufgrund einer Unternehmensentscheidung in Amerika 20 % Rendite nicht ausreichen.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag, können wir doch nicht tatenlos hinnehmen. Da müssen wir uns wehren und dafür sorgen, dass diese Menschen eine berufliche Perspektive haben. Das sind wir den Menschen in Nordrhein-Westfalen doch schuldig.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf)

– Was möchte ich?

(Zuruf)

Das wäre Anlass genug gewesen, Herr Arbeitsminister Laumann, sich sehr vehement in diese Debatte einzumischen, und zwar nicht nur verbal, sondern mit konkreter Hilfestellung vor Ort, indem man mit den Beschäftigten spricht, Lösungsmöglichkeiten ausarbeitet, möglicherweise Berater – das lässt das Betriebsverfassungsgesetz alles zu – hinzuholt und Lösungswege aufbaut. Das alles ist nicht geschehen. Das finde ich außerordentlich schade.

Es ist auch schade, in welcher Weise heute Morgen die Aktuelle Stunde abgelehnt wurde, als Herr Kollege Höne sich zu der Aussage verstieg, die FDP-Fraktion oder die Landesregierung bräuchte keine Nachhilfe in Sachen Arbeitsmarktpolitik. Wir hätten doch hier im Landtag darüber diskutieren können, ob wir das richtig finden oder nicht. Aber die Debatte wegzuschießen, weil sie es nicht wert ist, geführt zu werden, das finde ich schon skandalös.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ich möchte jetzt noch zu zwei Punkten kommen, die wir hier im Landtag diskutiert haben. Es geht einmal – der Kollege von der CDU hat es eben angesprochen – um den sozialen Arbeitsmarkt und dann um die Schwerpunktsetzung auf den ersten Arbeitsmarkt.

Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die Koalition erkannt hat, dass der Passiv-Aktiv-Transfer ein vernünftiges Arbeitsmarktinstrument ist. Das ist eine vernünftige Positionierung. Allerdings heißt es in demselben Antrag, dass sich das nur an die Bundesregierung richtet; in Nordrhein-Westfalen könne man da nichts tun. Das halte ich für grundfalsch.

Die meisten Integrationsunternehmen sind in Nordrhein-Westfalen. Über ein Drittel der in Deutschland in Integrationsunternehmen Beschäftigten kommt aus Nordrhein-Westfalen. Das sind doch Belege dafür, dass wir es erstens können und dass es zweitens gute Instrumente gibt, um Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, Hilfen und auch einen direkten Anschluss an den Arbeitsmarkt zu geben.

Ihre fast schon übermäßig vorhandene Fixierung auf den ersten Arbeitsmarkt ohne weitere Hilfen ist doch falsch. Das wissen Sie doch. Sie haben es in der Debatte ja auch gesagt. Wir müssen unsere Hausaufgaben in Nordrhein-Westfalen machen und da tätig werden.

Letzter Punkt in diesem Segment: Eine Menge geflüchteter Menschen, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, haben jetzt viele Qualifizierungsmaßnahmen, insbesondere Deutschkurse, hinter sich gebracht und mit B2 gute Chancen, eine qualifizierte Ausbildung zu beginnen. Darauf müssen wir uns auch einstellen.

Deswegen wäre mein Petitum an die Landesregierung – wir werden das auch entsprechend hinterlegen –, dort weitere Maßnahmen in Angriff zu nehmen, beispielsweise im Bereich der Altenpflege vorhandene Programme aufzustocken und weiterzuführen, oder auch passgenaue Maßnahmen für Geflüchtete anzubieten, weil das der größte Kreis ist, nicht weil es eine Sonderbehandlung sein soll. Wir müssen selbstverständlich im Bereich ESF – das ist ja auch hinterlegt – weitere Programme für andere, die hier sind, anbieten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister Laumann, ich fand schon, dass Sie in den letzten Wochen bei einigen Punkten gefehlt haben bzw. sich leider nicht zu Wort gemeldet haben. Im Hinblick auf das Sozialticket, bei dem es darum ging, mehreren Hunderttauschend Menschen in Nordrhein-Westfalen Mobilität zu ermöglichen, bedurfte es eines Shitstorms der ganzen Bevölkerung, um die Landesregierung von diesem irrsinnigen Vorhaben abzubringen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das ist doch nicht wahr! – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

– Ich habe Sie an keiner Stelle gehört, als es beim Thema „Landesbauordnung“ um die Rechte von behinderten Menschen ging. Selbst den Vorwurf, man würde den Bedarf nicht ermitteln können, kontern Sie nicht, indem Sie sagen: Wir wollen eine vernünftige soziale Stadtentwicklung haben. – Sie fehlen da, Herr Minister. Sie müssen sich dort einbringen, indem Sie diesem – aus meiner Sicht – falschen Kurs der Landesregierung entgegentreten und für eine soziale Stadtentwicklung eintreten.

Wir werden uns sicherlich bei den weiteren Punkten noch intensiver darüber unterhalten. Herr Minister, werden Sie an dieser Stelle Ihrer Verantwortung gerecht, mischen Sie sich in die Debatte ein und ducken sich nicht weg, und zwar nicht nur an den Punkten, an denen es schön ist, sondern auch da, wo es schwierig ist.

(Beifall von der SPD und Katharina Gebauer [CDU])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Jetzt hat für die FDP der Kollege Lenzen das Wort.

Stefan Lenzen (FDP): Verehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, zumindest in einem Punkt sind wir uns doch einig: in der Freude über den noch immer anhaltenden Boom auf dem Arbeitsmarkt. Die aktuellen Zahlen haben wir diese Woche erhalten. Wir hatten in NRW im Jahresdurchschnitt 23.000 Arbeitslose weniger. Entsprechend sank auch die Arbeitslosenquote im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte.

Genau diese Entwicklung möchte die NRW-Koalition weiter antreiben. Entsprechend setzen wir auch die Schwerpunkte und wollen bei unserer Politik darauf achten, gerade Wachstum und Beschäftigung zu fördern.

Auch wenn Sie das vielleicht mehr oder minder meiden wie der Teufel das Weihwasser, sehen wir zum Beispiel in den Entfesselungspaketen – das hat ja unser Wirtschaftsminister Professor Dr. Pinkwart am Dienstag noch einmal ausgeführt – einen zusätzlichen Aspekt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, nämlich beim Thema „Gründungen“.

Gerade wenn es um Neugründungen geht, können die Leistungen aus den Arbeitsagenturen in einer schwierigen Startphase als eine wichtige Unterstützung dienen. So wollen wir die Bewilligungsverfahren bei den Agenturen vereinfachen, einen Leitfaden für Gründer herausgeben und entsprechend auch die Zusammenarbeit der Regionaldirektionen in der Gründungsförderung verbessern.

Klar, die Warnsignale erkennen auch wir in der NRW-Koalition, gerade was den Ausbildungsmarkt und die Langzeitarbeitslosigkeit angeht. Auch wir konnten beobachten, dass die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, gemessen am Tiefststand, nur leicht gestiegen ist. Auch wir erkennen Passungsprobleme im Hinblick auf Berufswahl, Qualifikationen und gerade die regionale Verteilung und werden diese angehen.

Dazu werden wir in einem ersten Schritt – das ist nötig – den damals geschlossenen Ausbildungskonsens wieder reanimieren müssen.

So müssen wir die Instrumente aus dem Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ hinsichtlich der Berufsorientierung praxistauglicher gestalten.

Wir werden verstärkt auf Weiterbildung und Qualifizierung setzen. Dazu werden wir gezielter die Mittel des Europäischen Sozialfonds einsetzen.

Für uns ist auch wichtig, dass wir uns entsprechender Hilfe von modularen Ausbildungen und Teilzeitausbildung bedienen. So werden wir im Bereich der Weiterbildung die Bildungschecks ausweiten. Wir wollen mehr Menschen eine Perspektive im Bereich der Qualifizierung geben.

(Beifall von der FDP)

Auch unser Aufstiegsversprechen bleibt bestehen, gerade in einer sozialen Marktwirtschaft.

Die Chancen auf Teilhabe an Arbeit halten wir für unverzichtbar. Das müssen wir ermöglichen, gerade was die Langzeitarbeitslosigkeit angeht. Unbestritten ist: Auch wenn der Wert leicht gesunken ist, sind es immer noch rund 290.000 Menschen, ein wirklich verfestigter Kern von Langzeitarbeitslosen. Es bleibt unser Ziel, auch wenn Sie es nicht hören wollen: Wir wollen diese Menschen immer zuallererst in den ersten Arbeitsmarkt integrieren.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

So gilt auch bei multiplen Vermittlungshemmnissen immer eine marktnahe Förderung. Das kann man noch einmal klarstellen, auch in der Debatte um den Passiv-Aktiv-Transfer.

Wir wollen keinen auf Dauer angelegten sozialen Arbeitsmarkt fern von jeglicher Realität betrieblicher Abläufe, eben nicht das, was Sie darunter verstehen. Das ist für uns nichts anderes als eine Arbeitsmarktpolitik von vorgestern. Es führt in eine Sackgasse. Dort wollen wir die Menschen eben nicht hineingleiten lassen, sondern richten den Fokus immer wieder auf den ersten Arbeitsmarkt.

(Beifall von der FDP)

Ich versuche es jetzt zum dritten Mal, Herr Kollege Neumann: Sie sprechen immer von Kürzungen; auch Kollege Schmitz hat es wieder getan. Wir haben schon mehrfach versucht, es Ihnen zu erklären. Gerade wenn wir von den Modellprojekten sprechen, sage ich: Schauen Sie in den Haushalt, in die mittelfristige Finanzplanung. Dort finden Sie unverändert Mittel in Höhe von 43 Millionen € vor. Das heißt, dort haben keine Kürzungen stattgefunden.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber da bleiben Sie genauso beratungsresistent wie bei folgendem Thema: Sie suchen im Landeshaushalt verzweifelt eine Haushaltsstelle für den Passiv-Aktiv-Transfer. Ich bin ja neu, und Sie sind der erfahrene Landespolitiker. Aber ich habe mich bei unseren Haushaltspolitikern informiert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Oh, gut!)

Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sie einen Haushaltstitel für eine Rechtsgrundlage einstellen wollen, die wir erst noch auf Bundesebene ändern müssen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Nichtsdestotrotz freuen wir uns auf die weiteren Debatten im Ausschuss. Ebenso haben wir noch eine Anhörung zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vor uns.

Wie gesagt, wir wollen den Menschen die Chance auf den ersten Arbeitsmarkt nicht verwehren. Wir, die NRW-Koalition, setzen die richtigen Akzente. Dementsprechend werden wir dem Einzelplan 11 insgesamt, aber auch dem Bereich Arbeit und Qualifizierung zustimmen und freuen uns auf die weitere Debatte. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die AfD hat nun Frau Dworeck-Danielowski das Wort. Bitte sehr.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin immer noch ganz angetan von dem Redebeitrag der Grünen. Dass Sie jetzt Ihr Herz für den Arbeitskampf entdecken, wirkt nicht sehr authentisch. Erst war es die Stahlindustrie, jetzt sind es die Fluggesellschaften. Das Problem ist: Die Fluggesellschaften können nicht nur Menschen beschäftigen, sondern anschließend müssen die Flugzeuge auch noch fliegen.

(Heiterkeit von der AfD – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Dass Sie sich dafür so engagieren, kann ich mir kaum vorstellen.

Zurück zum eigentlichen Thema:

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

Eigentlich sollte eine Haushaltsdebatte Transparenz darüber schaffen, wohin die Regierung steuern wird. Besonders spannend ist das, wenn es eine neue Regierung ist. Umso interessanter ist der Verlauf dieser Haushaltsdebatte.

(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann – Marc Herter [SPD]: Sie haben gesehen, wer da redet!)

Dass die Weichenstellungen, die im Etat eines Landes überhaupt möglich sind, doch sehr begrenzt sind, das hatte ich schon befürchtet. Allerdings muss ich sagen: Die Zielsetzungen und der Verlauf der Diskursziele der Parteien, die schon länger hier sitzen, übertreffen meine Befürchtungen deutlich.

Insbesondere in den bisherigen Debattenbeiträgen der Fraktionen von Grünen und SPD – egal, ob jetzt hier oder auch schon vorher in den Ausschüssen – wurde zum Haushaltsentwurf letztlich immer wieder ein und dasselbe vorgeworfen, nämlich dass man es wagt, nicht zu 100 % den ideologischen Leitvorstellungen der Vorgängerregierung zu folgen.

Die Argumentation ist insofern schon erstaunlich. Sie verbinden eigentlich sämtliche Debattenbeiträge nahezu zwanghaft mit der Heiligsprechung Ihrer eigenen Fehlleistungen.

Ich würde am liebsten folgendes Experiment mit Ihnen machen, nämlich auf die Straße gehen und fragen, welche heroischen Projekte der letzten sieben Jahre der Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen in Erinnerung geblieben sind. Ich vermute, das Ergebnis dieser Befragung würde vielleicht dazu beitragen, dass Sie langsam, aber sicher von Ihrem hohen Ross herunterkommen. Denn ich glaube, ehrlich gesagt, es waren für die meisten doch eher sieben magere Jahre.

(Beifall von der AfD)

Am Ende dieser sieben mageren Jahre wollen Sie sich auch noch mit fremden Lorbeeren schmücken. Die guten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt sind sicher nicht das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarktpolitik, sondern allein der guten Konjunktur im deutschen und europäischen Wirtschaftsraum zu verdanken.

(Lachen von Rainer Schmeltzer [SPD])

Aber jetzt wird es besonders absurd: Sie rühmen sich also mit der guten Wirtschaftslage und fordern in der Rolle der Opposition allen Ernstes einen sozialen Arbeitsmarkt.

(Marc Herter [SPD]: Besonders absurd!)

Der soziale Arbeitsmarkt ist nichts anderes als ein mit sozialen Zielen verbrämter Pseudoarbeitsmarkt, ein weiteres Festhalten von Langzeitarbeitslosen in frustrierenden „Als-ob-Tätigkeiten“, anstatt ihnen endlich Auswege in den ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Das ist nichts anderes als betreutes Arbeiten, quasi eine Art Methadon für Menschen, die unter dem Verlust ihrer sinnvollen, befriedigenden und schöpferischen Arbeit leiden. Oder anders gesagt: Lieber Dauerpatienten zum Nutzen der Betreuungsindustrie, der Wohlfahrtsindustrie zu züchten, als das Ziel der Genesung in Angriff zu nehmen.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren, Sie können es sich sicherlich denken: Wir von der AfD sind in dieser Frage näher bei der Regierung und ihrem Ansatz, ganz klar den Wiedereinstieg in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu fokussieren.

Gern mache ich als Neuling das persönliche Eingeständnis: Es war mir nicht bewusst, in welchem Maße insbesondere im Ministerium von Herrn Laumann die Ausgaben des Haushaltes durch Leistungsgesetze beschränkt sind – Stichwort „Hartz IV“ –, das heißt wie gering die Mittel sind, die der Politik zur tatsächlichen Gestaltung zur Verfügung stehen. Das ist in diesem Haushalt gerade einmal ein Sechstel.

Umso mehr war ich verblüfft, dass wir bisher nichts darüber erfahren haben, wofür der Löwenanteil der von der EU bereitgestellten Mittel, die vom Land in dreistelliger Millionenhöhe kofinanziert werden, verwendet und verausgabt wird. Aber das kann man später noch in Erfahrung bringen.

Ein persönliches Wort an Sie, Herr Minister Laumann, sei mir gestattet: Ich habe den Eindruck – und auch meine Kollegen aus der Fraktion –, dass Sie für Geradlinigkeit, Fachlichkeit und Gestaltung von unideologischer Sachpolitik stehen. In diesem Sinne könnten die kommenden Jahre zumindest vonseiten der AfD-Fraktion um der Sache willen ein gedeihliches Miteinander werden.

(Zuruf von der SPD: Ein Lob!)

Wir stellen allerdings auch fest: Der vorliegende Haushalt trägt im Bereich der Arbeitsmarktpolitik lediglich in Ansätzen eine neue Handschrift und noch in vielerlei Hinsicht das Geerbte aus grün-roten Zeiten mit sich. Aus diesem Grund werden wir dem Einzelplan nicht zustimmen. Aber das ist als Oppositionspartei auch nicht unsere Aufgabe. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich muss man den Haushalt für Arbeit, Gesundheit und Soziales, den Einzelplan 11, in einem Zusammenhang sehen. Die NRW-Koalition hat ein starkes Arbeits-, Gesundheits- und Sozialministerium in diesem Land gegründet,

(Beifall von der CDU)

weil man die Politik nicht aufteilen kann, wie wir es hier in der Debatte tun: Jetzt reden wir über den Arbeitsmarkt, gleich reden wir über Soziales und danach über Gesundheit. So funktioniert Sozialpolitik, die gut ist, nicht. Sozialpolitik, die gut ist, sieht den Menschen ganzheitlich.

(Beifall von der CDU)

Sozialpolitik, die gut ist, kümmert sich um die Menschen, die ein Problem haben. Es geht nicht darum, wo sie das Problem haben, sondern darum, dass der Mensch ganzheitlich gesehen wird. Deswegen war es der kapitalste Fehler in Ihrer Regierungszeit, dass Sie das Sozialministerium zerschlagen haben. – Erster Punkt.

(Beifall von der CDU)

Zweiter Punkt: Für eine solche Politik – das gebe ich zu – sind die finanziellen Mittel immer begrenzt. Dann muss man sie für diejenigen Gruppen in der Gesellschaft ausgeben, für die man Prioritäten setzen will.

Ich möchte Ihnen sagen, wo wir in der Arbeitsmarktpolitik eine große Priorität setzen: Wir nehmen die Menschen, die heute in Arbeit sind, mit bei den großen Veränderungen in der Arbeitswelt, die mit der Digitalisierung zusammenhängen. Deswegen wird die Landesregierung den Bildungsscheck von Nordrhein-Westfalen wieder nach oben fahren. Sie hatten ihn auf 3 Millionen € pro Jahr heruntergefahren. Wir werden jedes Jahr 5 Millionen € für den Bildungsscheck zur Verfügung stellen, sodass wir in einigen Jahren wieder bei 20 Millionen € sind. Damit helfen wir jetzigen Belegschaften, zu lernen, um auch morgen noch Arbeit zu haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Dritter Punkt: Wir werden uns auch um die Schwachen kümmern. Ich habe ohne mit der Wimper zu zucken bei den Haushaltsberatungen durchgesetzt – auch in den Gesprächen mit dem Finanzminister –, dass in dieser Wahlperiode 48 Millionen € für die Schulsozialarbeit – und damit für 1.000 Stellen in dem Bereich – gesichert sind, und zwar nachhaltig, über die Wahlperiode hinaus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Warum hat der Arbeitsminister das gemacht? Weil ich die Schulsozialarbeit brauche, damit sie auch die Kinder, die sich in den Schulen nicht so entwickeln, wie man es sich erhofft, ein Stück weit an die Hand nehmen bei der Frage, was sie nach der Schule machen. Damit ist die Schulsozialarbeit ein ganz konkreter Bestandteil des Übergangssystems von der Schule in die Berufstätigkeit.

Wenn wir die Schulsozialarbeit von der Bürokratie entlastet haben, werden wir die 1.000 Stellen mehr einsetzen, um den Kindern bei der Berufsorientierung zu helfen, damit sie eine Lehrstelle finden, einen Gesellenbrief bekommen und eigenständige Menschen in diesem Land werden. Das kann überhaupt keine verkehrte Politik sein. Das ist eine richtige Politik.

(Beifall von der CDU und Markus Wagner [AfD])

Wir werden ein Weiteres machen: Wir werden für die Schwachen wieder das Werkstattjahr ins Leben rufen. Wie konnte man auf die Idee kommen, für die Schwachen eine Produktionsschule zu entwickeln? Kinder, für die neun Jahre, zehn Jahre Schule nicht der Hit waren, schickt man wieder in eine neue Schule. Nein, bei Laumann gibt es ein Werkstattjahr, und die Leute werden auf die Ausbildung vorbereitet. Das ist zukunftsgewandte Politik.

(Beifall von der CDU und der AfD – Zurufe von der SPD)

Wir wissen, dass wir in diesem Land ein Problem bei den Lehrstellen haben. Wir haben aber vor allen Dingen ein Problem mit denjenigen, die noch nicht ausbildungsfähig sind. Deswegen wird ein Bestandteil meiner Politik sein – zusammen mit dem Ausbildungskonsens –, für diejenigen wieder Ausbildungsprogramme aufzulegen, und zwar nicht Programme für drei Wochen, sondern für drei Jahre, an deren Ende ein Gesellenbrief steht. Das ist die Politik, die diese Regierung macht und die sie auszeichnen wird.

(Beifall von der CDU, der FDP und Markus Wagner [AfD] – Zurufe von der SPD)

Jetzt komme ich auf die Vorwürfe zu sprechen, die hier vorgetragen wurden. Was erwarten Sie eigentlich von einem Sozialminister? Ich finde nicht, dass es mein Job ist, die eigene Regierung zu kritisieren.

(Zuruf von der SPD: Wenn das notwendig ist!)

Aber wenn eine falsche Entscheidung wie beim Sozialticket nach zwei Tagen wieder abgeräumt wird, dann kann man doch feststellen: Das ist zumindest eine Politik, die in der Lage war, Probleme zu erkennen. Sie hätten das doch durchgezogen. Sie sind abgewählt worden, weil Sie gar nicht mehr gesehen haben, was im Land gelaufen ist.

(Zuruf von der CDU: Jawohl! – Beifall von der CDU, der FDP und der AfD – Zurufe von der SPD)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Wie ist es denn bei der Bauordnung? In der Bauordnung, die Frau Scharrenbach gestern vorgelegt hat, ist die Barrierefreiheit ein universales Gestaltungsprinzip. Bei allen Häusern, die mehr als zwei Wohnungen haben, ist die Barrierefreiheit damit Grundsatz des Bauens in Nordrhein-Westfalen. Mir sind viele barrierefreie Wohnungen lieber als eine R-Quote, die so teuer ist, dass sie am Ende kein Rollstuhlfahrer bezahlen kann. Wir haben schlicht und ergreifend ganz praktische Politik gemacht. Die hat auch mit dem Ministerium, das ich führe, zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nehmen wir das nächste Beispiel, Ihre Vorwürfe bezogen auf die Transfergesellschaft bei Air Berlin: Natürlich sind wir da in Gesprächen gewesen. Wissen Sie, dass sich Lufthansa und Air Berlin geweigert haben, die Remanenzkosten bei einer Transfergesellschaft zu übernehmen? Wir hätten die Transfergesellschaft machen können, wenn wir die Remanenzkosten übernommen hätten. Aber wenn ich die Remanenzkosten bei einem Unternehmen übernehme, dann ist die gesamte Finanzierung von Transfergesellschaften in Deutschland kaputt. Deswegen darf der Arbeitsminister in einer solchen Frage vor Lufthansa und anderen Leuten nicht in die Knie gehen, sondern er muss sagen: Transfergesellschaften gibt es dann, wenn die Remanenzkosten übernommen werden.

Deshalb lag ich in dieser Frage der Politik voll auf der Linie, die alle meine Vorgänger in diesem Land bisher bei Transfergesellschaften aus guten Gründen eingehalten haben. Wie wollen wir dem Mittelständler sagen, wenn er Personal abbaut, dass er die Remanenzkosten aufbringen muss, wenn wir das bei Lufthansa und bei Air Berlin nicht machen? So läuft es nicht! Dieser Arbeitsminister geht nicht vor Konzernen in die Knie, meine Damen und Herren.

(Daniel Sieveke [CDU]: Jawohl!)

Sie können meine Politik kritisieren, aber dieses Land hat mit die beste Sozialpolitik in ganz Deutschland. Dafür werden wir sorgen, und dafür steht die NRW-Koalition.

(Nadja Lüders [SPD]: Das macht mir Angst!)

Schönen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Ich schließe damit die Aussprache zu Teil a) Arbeit.

Ich rufe auf:

b) Soziales

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD hat nochmals Herr Kollege Neumann das Wort.

(Thorsten Schick [CDU]: Zweite Chance!)

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lenzen, die Haushaltsstelle „Modellprojekte sozialer Arbeitsmarkt“ gab es, die habt ihr aber aufgelöst. Wenn man sie auflöst, dann gibt es sie nicht mehr. So einfach ist das.

(Beifall von der SPD – Marc Herter [SPD]: So ist es nämlich!)

Frau Kollegin von der AfD: Menschen, die langzeitarbeitslos sind, brauchen keine Genesung – sie brauchen Arbeitsplätze.

(Beifall von der SPD – Anja Butschkau [SPD]: Genau!)

Ich glaube, da haben Sie etwas durcheinandergebracht in der Frage, was langzeitarbeitslose Menschen betrifft.

Noch ein Hinweis: Für Hartz IV hat das Land Nordrhein-Westfalen keinen Haushaltsansatz. Dafür sind wir nicht zuständig. – Das aber nur am Rande.

Anhand einiger Punkte möchte ich die Debatte um das aufgreifen, was ich und viele andere im Sozialhaushalt des Landes Nordrhein-Westfalen nicht nachvollziehen können. Das betrifft zum Beispiel die Kürzung des Fonds für Heimkinder, Herr Minister Laumann. Der Betrag wird nach einem Jahr um 1 Million € gekürzt. – Das ist der eine Punkt.

Ein anderer Punkt, der mir auffällt und den Sie eben auch angesprochen haben, ist die Barrierefreiheit. Dafür haben Sie Frau Scharrenbach noch gefeiert. Das, was die Menschen und insbesondere die Selbst- und Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung so stört, ist, dass Sie jetzt etwas auf den Weg gebracht haben, was Sie mit keinem von denen besprochen haben. Sie haben niemanden daran beteiligt und jetzt etwas auf den Weg gebracht, wozu Sie sagen: Das ist jetzt so, weil es gut ist und weil wir das so sehen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja!)

Das ist schlecht. Das ist keine Beteiligung im Sinne dessen, was wir in der Sozialpolitik für benachteiligte Gruppen, insbesondere bei Menschen mit Behinderung, als Beteiligung wollen und was wir darunter verstehen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

– Bitte?

(Daniel Sieveke [CDU]: Danke, weiter!)

Der zweite entscheidende Punkt in der Sozialpolitik des nächsten Jahres wird die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes sein. Die Einbringung dazu wird hier noch erfolgen. An diesem Gesetz werden wir sehen, inwiefern Nordrhein-Westfalen das bleibt, was Sie hier für sich in Anspruch nehmen. Und Sie nehmen völlig zu Recht in Anspruch, dass wir in der Sozialpolitik den höchsten Standard haben wollen.

Das Erstaunliche ist, dass sich das in dem Gesetzentwurf, den Sie hier vorgelegt haben, nicht wiederfindet. Sie hätten beispielsweise die Chance gehabt, zu sagen: In der Arbeitsmarktpolitik und im Budget für Arbeit wird Nordrhein-Westfalen wieder den höchsten Standard setzen. Wir werden das, was Hartz IV bewirkt, durchbrechen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen im Sinne des Budgets für Arbeit andere Möglichkeiten schaffen.

Diesen Weg gehen Sie nicht, sondern Sie orientieren sich auch hier letztendlich an den Minimalforderungen des Bundesgesetzes. An dieser Stelle werden wir Sie messen und Sie in den Debatten auf den Weg bringen.

Wenn in den Fragen der Landesbauordnung, der Wohnraumförderung und des Heimkinderfonds – alles Aspekte, die Sie als Sozialminister zumindest mit begleiten und auf den Weg bringen bzw. auch kritisieren müssen – keine Beteiligung der besonderen Gruppen stattfindet, diese Gruppen also keine Möglichkeit haben, ihre eigenen Aspekte zu Selbstbestimmung und Teilhabe einzubringen, dann ist das im Sinne des Sozialen eine schlechte Politik, weil sie Menschen ausgrenzt.

Wir sollten hier gemeinsam einen anderen Weg gehen, und den fordere ich bei Ihnen in diesen sozialpolitischen Fragen ein. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Neumann. – Für die CDU hat die Kollegin Oellers das Wort.

Britta Oellers (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bestätigte im Frühjahr dieses Jahres mit einem deutlichen Ergebnis, dass die rot-grüne Vorgängerregierung an den eigenen Versprechungen und an der Erfüllung der Hoffnung zahlreicher Wählerinnen und Wähler kläglich gescheitert ist.

Innerhalb von zehn Jahren – sieben davon unter Rot-Grün – stieg die Armutsquote in NRW von 14,4 % auf 17,5 %. Natürlich könnte man die Schuld für diesen Negativtrend bei der Bundespolitik suchen. Der Anteil der rot-grünen Landesregierung an diesem Missstand wird aber deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass der Zuwachs bei der Armutsquote in NRW dreimal so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt.

Mitte des Jahres folgten die nächsten Hiobsbotschaften; denn erst erklärte das Bundesamt für Statistik, dass 59 % der Erwerbslosen und 45,2 % der Alleinerziehenden in NRW besonders armutsgefährdet sind. Dann berichtete das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Oktober, dass die Zahl der gemeldeten Wohnungslosen seit 2011 um fast 60 % auf über 25.000 Menschen gestiegen ist. Davon sind besonders junge Frauen betroffen.

In keinem anderen westdeutschen Flächenland sind die Bürgerinnen und Bürger somit derart gefährdet oder von Armut betroffen wie hier in NRW. Für eine Partei, die Wählerinnen und Wähler mit dem Slogan „Kein Kind zurücklassen“ gewinnen konnte, muss dies eine ebenso große Enttäuschung sein wie für die Wählerinnen und Wähler, die diese Partei gewählt haben.

Inaktivität und mangelndes Engagement bei der staatlichen Unterstützung von Mitbürgern, die von Armut bedroht oder betroffen sind, kann man der abgewählten rot-grünen Landesregierung nicht vorwerfen. Die zahlreichen Projekte und Programme, die Rot-Grün initiiert hat, zeugen davon.

Dass Ex-Sozialminister Schmeltzer der Überzeugung war, da laufe nichts schief, war dennoch ein Schlag ins Gesicht für jeden Menschen, der Ende des Monats auf den Straßen Flaschen sammeln muss, um sich eine warme Mahlzeit leisten zu können.

Das Problem löst man nicht allein dadurch, dass man soziale Sicherungskonzepte erarbeitet und finanzielle Hilfe bereitstellt. Dies hat Rot-Grün jedoch nicht verstanden.

Lösen kann man diese Probleme nur, wenn man sozialstaatliche und wirtschaftspolitische Maßnahmen, die darauf bedacht sind, vom sozialen Abstieg bedrohte Menschen in Lohn und Brot zu bringen, aufeinander abstimmt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Boston Consulting Group bescheinigte im April dieses Jahres, dass NRW ein großes ungenutztes wirtschaftliches Potenzial besitzt – Zitat –:

„Wenn das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands seine Möglichkeiten ausschöpfen würde, wäre mittelfristig ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von mehr als 38 Milliarden Euro zu realisieren.“

Durch die rot-grüne Überregulierung und die Verhinderungspolitik des vorherigen Umweltministers konnte dieses Potenzial jedoch nicht genutzt werden. Im Gegenteil: Die industrielle Produktion und die Investitionsquote gingen sogar deutlich zurück.

Dass die Zahl der von Armut bedrohten Menschen unter diesen Gesichtspunkten sinkt und keine Jobs geschaffen werden können, die diesen Menschen eine finanzielle Absicherung gewähren würden, ist eindeutig. Zum Leidwesen von mindestens 25.000 Menschen, die seit 2010 obdachlos geworden sind, hat Rot-Grün bei der Armutsbekämpfung leider versagt.

(Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem einer größer werdenden Zahl von Menschen, die von Armut bedroht sind, können wir nur lösen, wenn wir diesen Menschen Chancen auf sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ermöglichen.

(Heike Gebhard [SPD]: Und Herr Laumann versucht jetzt, sie in den sozialen Arbeitsmarkt zu bringen!? – Minister Karl-Josef Laumann: Das haben wir doch! 1.000 Leute!)

Wir stehen mit dem Haushalt 2018 dafür, sie unabhängig von staatlichen Leistungen zu machen und dennoch Präventionsarbeit sowie Unterstützung anzubieten.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch Gewäsch!)

Der nun vorliegende Haushaltsentwurf begreift die Themen Armut, Erwerbslosigkeit und Obdachlosigkeit als Ganzes. Das abgestimmte Ineinandergreifen von wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen und Initiativen ist der Plan von CDU und FDP in NRW, der Verarmung und der Wohnungslosigkeit in unserem Bundesland entgegenzutreten. So ist es richtig, dass der Härtefallfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ im selben Umfang ebenso fortgeführt wird wie das Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ zur Prävention und Bekämpfung von Wohnungslosigkeit.

Im Sinne der Inklusion ist darüber hinaus ebenso wichtig, die bewährten Förderprogramme und vielseitigen Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung in ungekürztem Umfang fortzusetzen – dies vor dem Hintergrund, dass CDU und FDP gleichzeitig daran arbeiten werden, Arbeitsplätze zu schaffen und keine neuen Schulden zulasten zukünftiger Generationen anzuhäufen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Unterstützen möchte ich besonders den Änderungsantrag zur Finanzierung von Kältebussen, welche in vielen Städten Decken, Kleidung oder warme Mahlzeiten an Obdachlose verteilen. Die Ehrenamtler, die sich für die Kältebusse engagieren, kennen die Plätze sowie die Obdachlosen meist sehr gut und sehr lange und pflegen den persönlichen Kontakt. Auch wenn nicht alle Obdachlosen in einer Notunterkunft übernachten wollen, zu einer warmen Mahlzeit, einer Decke oder Kleidung sagt kaum jemand nein. Die Kältebusse leisten keine Präventivarbeit, doch schützen sie Obdachlose vor dem Erfrieren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Meine Damen und Herren, verstehen Sie Armut und Obdachlosigkeit nicht als isoliertes sozialpolitisches Problem. Wir müssen es angehen, indem wir Arbeitsplätze schaffen, Präventionsarbeit leisten und Soforthilfe bereitstellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und Henning Höne [FDP])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Oellers. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Oellers, ich hoffe, dass Sie sich Ihre Rede nächstes Jahr noch einmal anschauen werden, um zu sehen, was das Land dazu beitragen konnte, die von Ihnen auf den Tisch gelegten Maßstäbe zu erfüllen. Sie haben doch jeden Maßstab für die Armutsbekämpfung verloren, wenn Sie glauben, dass das Land an diesen Punkten mit den begrenzten Mitteln das machen könnte, was Sie vorgetragen haben. Armut entsteht doch wegen ungerechter Steuerpolitik, weil Hartz IV zu niedrig ausgestattet ist und weil es den Menschen finanziell einfach schlecht geht.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja, ja, genau!)

Das ist doch die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Ich bin da aber ganz entspannt. Wir können uns ja dann angucken, welche Programme der Sozialminister herauszaubert und wie die Obdachlosigkeit und die Wohnungslosigkeit zurückgehen. Das werden wir dann sehen.

Herr Minister, Sie haben hier soeben – wie so oft – eine vermeintlich emotionale Rede vorgetragen. Aber, lieber Herr Laumann, was nutzt den Menschen von Air Berlin der Bildungsscheck? – Gar nichts nutzt Ihnen das, was Sie gesagt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Menschen sind schlicht arbeitslos, und Sie haben eben weinend neben mir gestanden. Das ist die Wahrheit, die hier zu beleuchten ist.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Beim Thema „Schulsozialarbeit“ sind sie ja fast an die Decke gegangen. Es war doch Ihre Bundesregierung aus CDU und SPD, geführt von Angela Merkel, die die Mittel für die Schulsozialarbeit gekürzt hat. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Einzige, was Sie machen, ist, den von uns eingebrachten Punkt fortzuschreiben. Sie dynamisieren ihn noch nicht einmal und stellen auch nicht die Finanzierung der ständigen Projektarbeit sicher, damit die Menschen dauerhaft einen Arbeitsplatz bekommen können. Hier kann ich Ihr Credo nicht verstehen.

Jetzt möchte ich zu ein paar Punkten kommen, an denen der Haushalt im Bereich der Sozialpolitik tatsächlich schlechter geworden ist.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, Herr Kollege Mostofizadeh, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Hovenjürgen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Der Sozialpolitiker Hovenjürgen, bitte sehr.

Josef Hovenjürgen (CDU): Sehr geehrter Herr Kollege Mostofizadeh, danke, dass Sie …

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Mostofizadeh immer noch, aber …

Josef Hovenjürgen (CDU): Ich übe das, aber es wird nie gelingen.

(Michael Hübner [SPD]: Seit Jahren!)

Wir schauen mal in die Vergangenheit. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund ein Kompromiss auf Bundesebene mit den Ländern war und dass der Bund sich dazu bereit erklärte, die Finanzierung für einen gewissen Zeitraum zu übernehmen, und dass die Länder dann eintreten sollten. Leider hat Ihre Regierung versäumt, das zu tun.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: So war das nicht! – Heike Gebhard [SPD]: So war es nicht!)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Hovenjürgen, vielen Dank für diese Frage. Mit diesem Thema habe ich mich ausgiebig beschäftigt. Tatsächlich ist es so gewesen, dass erst das Bundesverfassungsgericht nach Intervention des Bundesrates – mit Mehrheit von Rot und Grün – gesagt hat: Ihr könnt das Bundesteilhabepaket so nicht auf den Weg bringen. Das funktioniert nicht. Ihr müsst dafür sorgen, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dieses Programm an die Kinder und an die Eltern bringen, damit die es umsetzen können. – Das ist die Wahrheit! Sie sind gerichtlich gezwungen worden, ein Bundesgesetz umgangsfähig zu machen. Das ist doch die peinlichste Geschichte, die Sie sich jemals ans Bein gebunden haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dieses Bundesgesetz gilt jedoch fort, Herr Kollege Hovenjürgen. Anstatt dieses Bundesgesetz mit Mitteln zu hinterlegen, haben Frau Nahles und die Bundesregierung auf Intervention – das muss ich zur Ehrenrettung der SPD sagen – von Finanzminister Schäuble gesagt: Wir finanzieren das nicht dauerhaft fort. Wir kippen den Ländern das vor die Füße. Da sind die Länder erpresst worden. Und wir mussten dann einspringen. Das ist die Wahrheit, die hier zu verkünden ist.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es wäre fachlich richtig, Folgendes zu tun: Die Bundesregierung nimmt ihren Teil und gibt 48 Millionen € plus X plus Dynamisierungszuschlag und sortiert es fachlich in die verschiedenen Facetten der Schulsozialarbeit ein. Das wäre notwendig. Das könnten wir sehr gerne auch gemeinsam tun. Da hat die CDU auf voller Linie versagt, Herr Kollege Hovenjürgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank für die wunderbare Zwischenfrage. Gerne noch mehr davon!

Ich fahre mit meiner Rede fort. Sie machen aus meiner Sicht im Bereich der Altenpflegeentwicklung einen kapitalen Fehler, Herr Minister. Sie sollten die kommunale Planung, die möglich ist, nicht abschaffen. Sorgen Sie dafür, dass weiterhin „ambulant vor stationär“ gilt. Stärken Sie die Strukturen, damit die Menschen selber bestimmen können, wo sie wohnen und wie sie leben und damit die soziale Stadtentwicklung weiterhin stattfinden kann! Sie sind da auf dem völlig falschen Dampfer. Die Kürzungen der Förderprogramme sind völlig falsch, Herr Minister Laumann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Fachlich stört mich, dass ein Katz-und-Maus-Spiel stattfindet, sodass wir zum Teil nachschauen müssen, was gekürzt wurde und was nicht gekürzt wurde.

Einen Punkt – andere Punkte haben wir bereits angesprochen – will ich noch ansprechen, nämlich das Thema „Alter und Trauma“. Die Stellen sind bereits gekürzt. Ich möchte Ihnen einmal eine Geschichte aus meinem Berufsalltag erzählen. Ich kenne aus meiner Tätigkeit in der Altenpflege eine ganze Menge Leute, die leider über massive Traumata verfügen. Wir reden hier immer noch über Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlitten haben. Eine Frau, deren Namen ich nicht nennen will, hat auf dem Weg von Polen nach Deutschland ihr Kind verhungern sehen müssen. Wir reden da über ganz wenige Euro. Warum kürzen Sie das weg? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Führen Sie doch die Arbeit fort – ich glaube, Sie sind dort fachlich nicht richtig unterwegs – und bieten Sie eine weitere Zukunft.

(Unruhe)

Zum Bereich der Altenpflege kann ich Ihnen nur sagen: Stärken Sie die Altenstrukturen. Stärken Sie die soziale Stadtentwicklung. Wir brauchen mehr Möglichkeiten, anders leben zu können. Das wird immer ein Kompromiss sein.

 (Anhaltende Unruhe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Einen kleinen Augenblick bitte, Herr Kollege Mostofizadeh. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe, dass es bei Haushaltsplanberatungen zwischen den Kolleginnen und Kollegen Debatten geben muss, aber bitte nicht so laut, dass es den Redner hier vorne irritiert. Wenn Sie die Debatte nicht über das Redepult führen wollen, dann machen Sie es doch bitte vor der Tür! – Jetzt haben Sie wieder das Wort, Herr Kollege.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich komme in diesem Teilbereich jetzt zum Schluss, auch wenn dieses Thema die Kolleginnen und Kollegen von der CDU und Herrn Kollegen Höne emotional so auflädt, dass sie immer wieder aus der Jacke springen.

Nehmen Sie doch die Worte einmal fachlich ernst. Diese Geschichten sind nicht erfunden, sondern die habe ich in meinem ganz persönlichen Umfeld so erlebt. Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis, dass es eine ganze Menge Menschen mit Traumata gibt. 70 % der alten Menschen über 70 Jahre in Deutschland haben eine Traumaerfahrung. Das kann man sich nicht vorstellen, es ist aber so. Deswegen sollten wir uns fachlich damit auseinandersetzen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht lassen die Emotionen auch wieder etwas nach. In diesem Bereich gibt es ja sehr leidenschaftliche Redner, aber ich glaube, die Emotionen sind auch angebracht.

Die SPD unterstellt immer wieder der NRW-Koalition und der Landesregierung, sie sei eine Koalition der sozialen Kälte. Die eigentlichen Belege dafür haben Sie im Haushalt jedoch nicht gefunden. Gerade im sozialen Bereich konnte ich keine Einsparungen finden. Vielmehr setzen wir die richtigen Prioritäten und übernehmen die Programme der Vorgängerregierung, die wir für sinnvoll erachten.

Herr Mostofizadeh, die Bildung sehen wir sehr wohl als Teil der Sozialpolitik an, gerade mit Blick auf die Prävention. Wenn Sie da anderer Meinung sind, dann spricht das für sich.

Meine Vorrednerin von der CDU-Fraktion hat bereits ausgeführt, dass wir auch im Bereich Armut unterwegs sind. In diesem Bereich haben das Programm „Kein Kind zurücklassen“ und andere Bemühungen der Vorgängerregierung nicht wirklich viel gebracht.

Es gibt in der Tat ein Problem im Bereich Armut von Kindern und Jugendlichen. Gerade in NRW gibt es ein erhöhtes Armutsrisiko, weitaus höher als in den anderen westdeutschen Flächenländern. Vor allem in Städten des Ruhrgebiets ist über ein Drittel aller Kinder abhängig von Transferleistungen. Vor dem Hintergrund ist es richtig, dass die NRW-Koalition in Schulen und Kinderbetreuung investiert. Wir investieren in Bildung und setzen dort die richtigen Schwerpunkte. Genau da müssen wir ansetzen.

(Beifall von der FDP)

Das gehört zu einer erfolgreichen Sozialpolitik. Wir müssen das aber nicht nur für einkommensarme Kinder und Jugendliche und deren Familien in den benachteiligten Quartieren einplanen, sondern wir brauchen einen Gesamtansatz zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung. Hierfür haben wir die Mittel sogar leicht aufgestockt. Das ist offenbar dem einen oder anderen von SPD und Grünen bei den Haushaltberatungen entgangen.

Es war richtig, dass CDU und FDP als Bundesregierung über das Bildungsteilhabepaket einen wichtigen Schritt gesetzt haben, um gerade für Kinder aus benachteiligten Familien Akzente zu setzen und dafür zu sorgen, dass diese für Ausflüge, Klassenfahrten, Mittagsverpflegung in Schule und Kita eine Unterstützung erfahren.

Das Gleiche gilt für den Zugang zur Lernförderung, damit die Inanspruchnahme von Nachhilfestunden erleichtert wird. Es ist richtig und wichtig, dass die Schulsozialarbeit genutzt wird, dass die Leistungen bei denen ankommen, die darauf angewiesen sind.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn es nach Rot-Grün gegangen wäre, wäre doch 2018 mal wieder Schluss gewesen. Gerade die Schulsozialarbeiter fürchteten um ihre Stellen.

Und wer hat letztendlich für eine verlässliche Absicherung erst mal bis 2020/2021 gesorgt?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das war doch die NRW-Koalition mit Minister Laumann. Wir haben das jetzt mittelfristig im Haushalt eingeplant. Natürlich sind wir bei dem Bund weiter in der Pflicht. Deswegen: erst mal Status quo, aber sichergestellt bis 2020/2021.

Wenn es auch nicht zum Einzelplan 11 gehört, Kollege Neumann: Minister Laumann hat Ihnen eben sehr eindringlich nähergebracht, dass wir den Haushaltsansatz für das Sozialticket im Einzelplan 09 unverändert gelassen haben. Das haben wir so beschlossen.

Ich glaube, das sind allein drei Beispiele, an denen man sehen kann, dass die Vorwürfe der SPD in Richtung der NRW-Koalition, wir seien eine Koalition der sozialen Kälte, schlicht und einfach an den Haaren herbeigezogen sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dieser Haushalt steht für eine zielgerichtete Sozialpolitik, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Tschüss!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Drei Dinge möchte ich loswerden – ich fasse mich kurz –:

Erstens. Herr Neumann, beim ersten Haushalt, der von der neuen Regierung hier eingebracht wird, geht es noch viel um den Status quo der alten Regierung. Da muss man sagen, Frau Oellers hat viel Richtiges gesagt. Wenn die Armutsquote in NRW weiter zunimmt und wenn in meiner Heimatstadt, die übrigens auch die von Frau Oellers ist, mittlerweile mehr als jedes dritte Kind in eine arme Familie geboren wird, in Armut geboren wird, liegt das viel an Ihrer Sozialpolitik, die gehörig in die Hose gegangen ist.

(Beifall von der AfD)

Zweitens. Im neuen Haushalt – das geht an die Adresse der CDU – steht leider auch nicht viel Neues. Das ist nicht dem geschuldet, dass Herr Laumann viel falsch gemacht hätte. Nein, es ist doch so, dass zwei Drittel der Haushaltspositionen allein für Grundsicherung aufgewendet werden. 86 % sind laufende Zuweisungen, und für nur 11 % können tatsächlich Investitionen getätigt werden.

Man muss sich das mal vorstellen: Diese Haushaltsposition steht geradezu dafür, wie diese überbordende Sozialpolitik die Zukunft im Würgegriff hat. Ich habe es an anderer Stelle schon mal erwähnt, und ich erwähne es hier wieder:

Wenn die Sozialkosten – das ist ein gutes Beispiel – in dieser Art und Weise zunehmen, die die Bevölkerung so lähmen, und wir die Menschen eben nicht darin unterstützen, in Arbeit zu kommen und für ihr eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen, sondern sie alimentieren und in ihrem Nichtstun noch unterstützen, wie es die SPD seit Jahren befürwortet, dann kommen wir nicht weiter, und dann ruinieren Sie so unsere Zukunft.

(Beifall von der AfD)

Drittens. Ich arbeite meine Punkte langsam ab. Dieser geht an die FDP, die mittlerweile von Gelb zu Magenta gewechselt ist. Ich weiß, das ist schon so ein bisschen Richtung Rot. Das merkt man auch an der Politik.

(Zurufe von der SPD: Hey!)

Wenn in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile der junge Akademiker mit seinen zwei Kindern mit 53.000 € Einnahmen im Jahr, der vielleicht seine Familie noch aufbauen und eine Zukunft haben möchte, zu den Spitzenverdienern zählt und den Spitzensteuersatz zahlt, würde ich erwarten, dass sich auch die FDP aus dem größten Bundesland Deutschlands ein bisschen mehr dafür einsetzt, dass die Leute, die in Arbeit sind, vielleicht mal wieder atmen können und entlastet werden.

Wenn ich einen Vergleich ziehen darf: Die Tabak-steuer soll vielleicht die Menschen davon abhalten, zu rauchen. Soll die Einkommensteuer von 42 % die Menschen davon abhalten, zu arbeiten?

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vincentz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gerne auf einige Fragen eingehen, die hier aufgeworfen worden sind:

Erstens. Herr Kollege Neumann, Sie haben die Sache mit den Heimkindern angesprochen. Der Vertrag, wonach wir zahlen, ist am 1. Dezember 2016 abgeschlossen worden; er trägt nicht meine Unterschrift.

Dieser Vertrag zwischen Bund, Ländern und Kirchen über den Fonds legt fest, dass wir 3,4 Millionen in 2017, 2 Millionen in 2018, 3,4 Millionen in 2019 und 2 Millionen in 2020 überweisen müssen. Genau diesen Vertrag halten wir im Haushalt ein. Wir haben also nichts gekürzt, sondern wir halten einen Vertrag ein, der damals von den Stiftungsgebern für die Heimkinder vereinbart worden ist. – Ich denke, dass die Sache damit aus der Welt ist.

Zweitens. In der Sozialpolitik sind wir nach Bayern das zweite Flächenland – wir reden gleich noch mal darüber –, in dem die Landesregierung das WTG umsetzt. Das wird wohl in der Frage der Behindertenpolitik auch in NRW ganz neue Ansätze bei der Personenzentrierung ermöglichen. Ich freue mich darauf, dass wir dieses gemeinsam mit anderen – zusammen mit den Kommunen, den Landschaftsverbänden – in den nächsten Jahren gestalten werden.

Ich glaube auch, dass man damit aufhören muss, im Landtag immer wieder zu sagen: Die jetzige Regierung macht nichts am sozialen Arbeitsmarkt. Wir haben die knapp 50 Millionen, die schon von der alten Regierung vorgesehen waren, in Programme umgesetzt. Von den Programmen werden in den Städten und im Landkreis Recklinghausen im Ganzen 1.000 Menschen profitieren.

Nur, wir haben nicht eine ganz normale ABM gemacht, sondern wir haben gesagt: Überlegt doch bitte als Kommunen Konzepte, wie wir das näher am ersten Arbeitsmarkt hinkriegen. Das ist, finde ich, für die Arbeitsmarktpolitik des Landes, auch später, wenn wir vielleicht mal den Aktiv-Passiv-Transfer haben, das Hochinteressante, wie Kommunen bei Ausschreibungen, die sie als Kommune an die Wirtschaft machen, zum Beispiel auch vereinbaren, dass Menschen aus dem Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit dann eine faire Chance haben, in den Betrieben zu arbeiten, die städtische Aufträge haben.

(Beifall von der CDU)

Da ist es für mich als jemand, der jahrelang Arbeitsmarktpolitik macht, gar nicht mehr so interessant, Neues über die Arbeitslosen zu erfahren, sondern es ist hochinteressant, wie solche Ausschreibungen funktionieren, wie man sie rechtssicher macht, wie der Mittelstand auf solche Ausschreibungen reagiert, wie Kommunen Aufträge so bündeln können, dass wir relativ langfristige Beschäftigung für mittelständische Unternehmen anbieten können.

Ich glaube, all dies sind Dinge, die wir dringend brauchen in Vorbereitung dessen, was – da bin ich sicher – in der jetzt in Berlin laufenden Wahlperiode in dieser Frage kommt.

Wir müssen auch jetzt nicht sagen, dass bei der Altenpflege alles schlecht oder alles gut ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Altenpflege wird die größte Herausforderung für diese Gesellschaft, egal wer regiert, weil die Zahl der Menschen, die davon betroffen sind, jedes Jahr zwischen 2 und 3 % zunimmt. Das wird in den nächsten 20 bis 30 Jahre so sein.

Meine Politik ist von folgendem Grundsatz geprägt. Erstens: Wo Menschen in dieser Situation leben wollen, entscheiden sie mit ihren Familien selbst; ich sage nicht, was der beste Wohnort für einen Pflegebedürftigen ist. Es gibt für alles gute Gründe, und jeder soll das nach seiner Fasson lösen, wie er es für richtig hält.

Der zweite Punkt ist: Die Menschen werden nur dann gut versorgt sein, wenn wir die Familien, das soziale Umfeld der Betroffenen, mit Professionalität zusammenbringen. Wer glaubt, dass es nur durch Professionalität geht: Wir werden nie so viele Leute in unseren Altenheimen haben, dass ein Mensch das, was er an Liebe und Geborgenheit braucht, nur durch bezahlte Leute bekommt. Wir werden das in der häuslichen Pflege auch nicht nur mit der Familie hinbekommen.

Deswegen müssen sich die Programme und alles, was wir überlegt haben, immer daran messen lassen: Wie bekommen wir ein gutes Miteinander zwischen den ehrenamtlichen Strukturen, den Sozialstrukturen, den Familien und der Professionalität hin?

Ich habe erst einmal in den nächsten Wochen noch damit genug zu tun, dass ich ziemlich bürokratische Regelungen, die durch Verordnungen und auch durch ein Gesetz gemacht worden sind, in Nordrhein-Westfalen so hinbekomme, dass sie überhaupt praktikabel sind.

In dem Zusammenhang – das ist richtig – werden wir auch über die Frage der kommunalen Planung reden. Ich kann Ihnen sagen: Ich halte es von vornherein nicht für eine gute Idee, den Sozialhilfeträger zum einzigen Planer der Einrichtungen rund um die alten Leute zu machen.

(Beifall von Dr. Ralf Nolten [CDU])

Ich halte das aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für eine tolle Idee.

Deswegen sollten wir einmal in Ruhe überlegen, wie wir das besser zusammenfügen. Die ersten Städte sagen jetzt: Bei Leuten über einem bestimmten Alter prüfen sie erst einmal mit den Amtsärzten, ob diese in ein Heim gehen dürfen. Da sind die Warteschlangen länger als beim MDK. Haben wir das wirklich gewollt? Haben wir wirklich gewollt, dass wir jetzt wieder in einigen Städten Wartelisten für Altenheime haben? Haben wir wirklich gewollt, dass die Altenheime aus den 60er-Jahren voll sind und nicht durch neue Altenheim ersetzt werden, weil der Bau von Altenheimen nicht zugelassen wird?

Ich glaube – ich sage das, damit das ordnungspolitisch klar ist –: Wenn die Menschen Wünsche nach Produkten und Dienstleistungen haben, ist der Markt immer noch die eine bessere Antwort als die staatliche Planung, um Angebote der Nachfrage gegenüberzustellen. Das sage ich in aller Deutlichkeit. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und Alexander Langguth [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende der Aussprache zu Einzelplan 11, Teil b) Soziales.

Ich rufe nun den dritten Teil von Einzelplan 11 auf:

c) Gesundheit

Ich eröffne die Aussprache für diesen Teilbereich. Der erste Redner ist auch hierbei Herr Kollege Neumann für die SPD-Fraktion.

Josef Neumann (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Laumann, die Aussage, die Sie eben hier getätigt und bereits im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales verdeutlicht haben, lautete, dass der Markt der beste Pfadfinder sei. – Das gilt für vieles, aber nicht für die Gesundheits- und Daseinsvorsorge.

(Beifall von der SPD)

Wenn wir die Bereiche, in denen Menschen auf Hilfe, zum Teil auf massive Hilfe, angewiesen sind, nur dem Markt oder Teilen des Marktes überlassen, kann ich nur sagen: Gott bewahre uns davor, was dann passiert. Deshalb kann dieser Grundsatz in diesen Bereichen nicht gelten. Gesundheit ist kein Spielball, den man einfach dem Markt überlässt. Da brauchen wir Steuerung. Da brauchen wir Gestaltung. Da brauchen wir Gesetze.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich bei dem Thema „Gesundheit“ auf einige Aspekte eingehen, die wir schon einmal diskutiert haben, die aber aus meiner Sicht wichtig sind. Sie haben großartig angekündigt, die Krankenhausfinanzierung werde in den nächsten Jahren auf breitere Füße gestellt; das ist durchaus löblich. Sie haben dann relativ schnell deutlich gemacht, dass die 40 % von den Kommunen zu bezahlen sind – die kein Geld haben. Ich frage mich, wie wir eine nachhaltige Verbesserung dieser Situation erreichen sollen, wenn wir gleichzeitig die kommunale Familie in diesem Maße belasten.

Deshalb brauchen wir eine Entlastung. Gerade in einer Zeit, in der wir die haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür haben, müssen die Kommunen die Möglichkeit erhalten, von dieser Belastung durch die Krankenhausfinanzierung zumindest zum Teil entlastet zu werden. Das fordern wir nachdrücklich.

Zweitens. Wie bekommen wir es hin, dass Menschen in der Gesundheits- und in der Altenpflege arbeiten? Wie wollen sie dort nachhaltig arbeiten? Wie gewinnen wir Menschen dafür?

Die zentrale Voraussetzung ist, dass wir bei der Frage der Schulkosten insbesondere in der Altenpflege die beteiligten Träger stärken müssen. Wir haben jetzt die finanziellen Möglichkeiten dafür, das Schulgeld, das pro Platz bezahlt werden muss, zu erhöhen. Die 280 €, die wir seit Jahren haben, müssen aufgestockt werden, denn sonst werden wir es nicht nachhaltig schaffen, ausreichend qualifiziertes Personal in einer Stärke zu bekommen, die wir der Demografie schuldig sind. Das haben Sie selbst noch einmal sehr deutlich in diesem Bereich angesprochen.

Das Thema „Alter“ bedeutet, langfristig im Quartier wohnen bleiben zu können. „Alter“ bedeutet, dass wir Strukturen schaffen, dass in den Quartieren die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass Menschen selbst bei der Betreuung von Verwandten, Bekannten oder sonstigen Personen dort möglichst lange leben können. Dass die Landesregierung ausgerechnet deshalb die Mittel für die Quartiersförderung auslaufen lässt, ohne eine Perspektive zu haben, was über das Jahr 2018 hinaus kommt, ist kontraproduktiv für die Debatte einer nachhaltigen Versorgung von Menschen in der Altenpflege.

Hier bedarf es einer klaren Korrektur und einer Verdeutlichung, welche Alternative kommen muss, wenn Sie diese Projekte einstampfen.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie haben zahlreiche Punkte im Rahmen der Gesundheitspolitik angesprochen. Ich will einen Punkt herausheben, der aus meiner Sicht wichtig ist, weil er die Selbsthilfe betrifft, die hier eine enorme Leistung erbringt. Das sind insbesondere die Krebsberatungsstellen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Machen wir!)

Die Krebsberatungsstellen müssen weiter klar und deutlich unterstützt werden. Wir brauchen einen Ausbau angesichts der Situation, dass wir flächendeckend enorme Bedarfe haben. Hierzu lautet meine Aufforderung, in diesem Bereich die Maßnahmen, die wir bis jetzt im Haushalt hatten, nicht nur zu erhalten, sondern aufzustocken. Leider ist das abgelehnt worden.

Aber ich hoffe, dass wir im Laufe der nächsten Beratungen zu den einzelnen Themen auch in diesen Selbsthilfebereichen zu einer Stärkung im Sinne einer vernünftigen Gesundheitspolitik kommen. Das ist ein wichtiger Teil der Prävention, und die Prävention in diesem Bereich ist die Voraussetzung, damit die Menschen in diesem Land vernünftig und gesund leben können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es an den beiden Plenartagen mehrfach gehört: Der Haushalt 2018 ist durch Strukturveränderungen gekennzeichnet. – Das gilt auch für den Bereich der Gesundheit. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Krankenhausfinanzierung. Mit dem vorliegenden Haushalt werden die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen gestärkt.

Die NRW-Koalition hat mit der dringend notwendigen Aufstockung der Krankenhausfinanzierung um 250 Millionen € auf rund 780 Millionen € im Nachtragshaushalt 2017 einen ersten Schritt getan, um den Häusern eine schnelle Hilfe zukommen zu lassen. So viel Geld hat es hier noch nie gegeben. Es ist bezeichnend, dass Herr Kollege Neumann zum dritten Mal und Herr Mostofizadeh – sicherlich auch gleich zum dritten Mal – hier gesprochen haben, ohne auf den Haushalt im Detail einzugehen.

(Beifall von der CDU)

Wir werden die Krankenhausfinanzierung auch in den nächsten Jahren kontinuierlich verbessern. Für die bewährte Pauschalfinanzierung – Baupauschale – unserer Krankenhäuser sind im vorliegenden Entwurf 329 Millionen € zur Wiederbeschaffung kurzfristiger Anlagegüter, 217 Millionen € für die Baupauschale sowie 1,7 Millionen € für besondere Beträge ausgewiesen.

Es ist aber auch eine klare Botschaft dieses Haushalts – der Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat darauf mehrfach hingewiesen –, dass die Erhöhung der Landesmittel zwingend mit strukturellen Veränderungen in der Krankenhauslandschaft verbunden sein muss, um langfristig eine gesunde Finanzierungsbasis zu erreichen. Dazu gehört eine Krankenhausplanung, die an Versorgungsstrukturen und Qualität ausgerichtet sein wird.

(Beifall von der CDU)

Es steht fest, dass es keine Neuauflage der Einzelförderung von 2007 geben wird. Die Einzelförderung wird sich nicht am Windhundprinzip orientieren, sondern an der Qualität. Die Pauschalförderung wird um eine strukturoptimierte Einzelförderung in Höhe von 33,3 Millionen € ergänzt. Jetzt wird sicherlich gleich vorgetragen werden, dass das viel zu wenig sei. Völlig klar ist aber, dass die Förderschwerpunkte noch festzulegen sind.

Dabei ist eine enge Verzahnung von strukturellen Planungsentscheidungen mit der Finanzierung vorgesehen. Das können ebenso bauliche Umsetzungen wie auch Investitionen in sensible Bereiche sein, zum Beispiel in die Hygiene. Das können aber auch besondere Schwerpunktsetzungen sein. Die Tatsache, dass es immer mehr ältere Menschen mit immer multipleren Krankheitsbildern gibt, fordert neue Strukturen gerade heraus. Das gilt hinsichtlich einer guten personellen Ausstattung der Krankenhäuser genauso wie im Bereich der Pflege.

Lassen Sie mich noch einen Satz zur Pflegereform bzw. zur Pflegeberufereform sagen. Erstmals gibt es eine Regelung zur Finanzierung der Pflegeausbildung, sowohl zur Ausbildungsvergütung als auch zu den Schulkosten. Bei den ab 1. Januar 2020 beginnenden Ausbildungen nach neuem Recht werden die Schulkosten über einen Landesfonds finanziert, an dem neben den Krankenhäusern, den stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen und der Pflegeversicherung auch das Land mit einem Kostenanteil von rund 9 % beteiligt sein wird.

Für das Jahr 2018 …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Peter Preuß (CDU): … ist der Haushaltsansatz – ich bin sofort so weit – aufgrund der weiter steigenden Zahl an Auszubildenden bereits auf insgesamt 63 Millionen € aufgestockt worden. Das begrüßen wir genauso wie die Fortführung des Hausärzteprogramms, das in der ersten Amtszeit von Minister Laumann ins Leben gerufen wurde.

Der vorliegende Haushalt ist ein deutliches Zeichen in Richtung der Krankenhäuser, in Richtung der Pflegeberufe sowie in Richtung der medizinischen Versorgung insgesamt und zeigt, dass die NRW-Koalition nicht nur redet, sondern auch handelt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt in der Tat noch einmal Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Kollegen haben vorhin behauptet, ich würde nicht zum Haushalt reden. Für die Zahlenfetischisten: Ich spreche jetzt über das Kapitel 11 070 im Einzelplan 11 des Haushaltsplans, in dem es um die Krankenhausförderung geht.

Die jetzige Landesregierung schlägt vor, 300 Millionen € weniger auszugeben als im letzten Jahr – zusammengesetzt aus einer Kürzung von 200 Millionen €, und 100 Millionen €, die sie sich von den Kommunen bezahlen lässt. Ob das jetzt der große Aufschlag in Richtung Krankenhausfinanzierung ist, kann ich nicht so ganz erkennen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gibt einen weiteren Punkt, der fachlich sehr wichtig ist – das Stichwort „Selbsthilfe“ hatte der Kollege Neumann ebenfalls angesprochen –: Wir müssen die Krebsberatungsstellen im Bereich der Prävention stärken. Wir werden dazu auch noch einen Antrag einbringen; die Kollegen hatten die entsprechende Zielrichtung vorgegeben. Das ist uns sehr wichtig, und ein solches Herangehen an diesen Bereich unterscheidet uns fundamental von einigen Kolleginnen und Kollegen hier im Hause.

Herr Minister, ich bin sicher, dass Sie beim Thema „Versorgung von alten Menschen mit Wohnen“ – und ich meine „Wohnen“! – auf dem völlig falschen Dampfer sind. Es entspricht nicht der Realität, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen eine Wahlfreiheit haben, wenn es darum geht, Betreuungsmöglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben in den unterschiedlichen Wohnungen zu finden. Gehen Sie doch mal durch die Städte! So sehr wir uns auch bemühen, entspricht es aber leider der Realität, dass die allermeisten Quartiere und Wohnungen eben nicht barrierefrei sind!

Natürlich ist das Leben ein Kompromiss, und man kann viele Dinge durch Assistenzen und Teilbaumaßnahmen erledigen. Der entscheidende Punkt ist aber doch nicht, dass wir zu wenige Heimplätze hätten, um die Menschen zu versorgen. Das mag eine vorübergehende Delle sein, die wir in wenigen Monaten ausgebaut haben können. Die Wahrheit ist doch vielmehr, dass ein selbstbestimmtes Leben erst dann möglich wird, wenn wir deutlich in die Quartiere investieren und für eine soziale Stadtentwicklung sorgen, die es den Menschen ermöglicht, dort leben zu bleiben, wo sie bereits wohnhaft sind.

Das muss nicht unbedingt immer die Wohnung sein, in der man früher gewohnt hat. Es geht aber darum, dass man dort leben kann, wo man wohnen möchte, und zwar mit einer vernünftigen Versorgung, mit den unterschiedlichen Möglichkeiten im Quartier und mit einer vernünftigen infrastrukturellen Ausstattung. Wenn Sie einzig auf die Heime setzen – so ist zumindest der Eindruck –, sind Sie völlig falsch unterwegs.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, der von großer Bedeutung ist: Sie haben eben gesagt, dass die Altenpflege nicht allein von der professionellen Arbeit gestemmt werden kann. – Da haben Sie selbstverständlich recht; das ist völlig klar. Etwa 70 % der Pflege – wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch höher – wird durch Angehörige oder durch Menschen aus dem persönlichen Umfeld der zu Pflegenden geleistet.

Diese Menschen brauchen natürlich professionelle Unterstützung. Sie brauchen Menschen, auf die sie sich verlassen können, mit denen sie reden können, die sie fragen können, wie etwas geht. Ich habe in meiner Praxis allzu oft erleben müssen, dass die gut gemeinte Pflege oftmals schlecht ausgeführt wird – zum Schaden der eigenen Betreuung sowie zum Schaden der zu Pflegenden. Deswegen müssen wir an dieser Stelle investieren; wir müssen da besser werden. Wir müssen aber auch die freie Entscheidung durch die Pflegebedürftigen ermöglichen.

Der Einzelplan 11 setzt an vielen Stellen vernünftige Ansätze fort.

Der letzte Aspekt, auf den ich noch eingehen möchte, ist die Altenpflegeausbildung. Dort stocken Sie richtigerweise um 5 % auf; das sind 3 Millionen €, wenn ich es richtig gerechnet habe. Gott sei Dank tun Sie das! Das ist ein Unterschied zu Ihrer ersten Amtszeit, in der Sie relativ statisch vorgegangen sind und die Zahl der Altenpflegeplätze stagniert ist. Erst in den Jahren 2010 bis 2017 sind die Mittel für die Altenpflege verdoppelt worden, und damit ist auch die Zahl der Altenpflegeplätze gestiegen.

An einem Punkt bitte ich jedoch um Nachbesserung; wir haben noch bis Januar Zeit, entsprechend tätig zu werden: Die Pflegesätze für die Pflegeausbildung sind zu niedrig. Die Träger können das so nicht mehr leisten. Da brauchen wir eine Nachsteuerung. Da werden mehr Mittel benötigt, sonst wird dort demnächst nicht mehr ausgebildet. Hier müssen wir ein Stück drauflegen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NRW-Koalition aus FDP und Christdemokraten steht für eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Gesundheitsversorgung für alle Menschen und in allen Regionen unseres Landes.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu gehören ausreichende Angebote von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und anderen Gesundheitsleistungen.

Im Zusammenhang mit Ihrer Kritik an der Förderung der Krankenhausinvestitionen möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, dass es doch Ihre rot-grüne Landesregierung war, die die Investitionsförderung über Jahre vernachlässigt hat. Nordrhein-Westfalen war im Vergleich aller westdeutschen Flächenländer Schlusslicht, was die Investitionsförderung betraf. Also musste diese Landesregierung endlich handeln.

(Beifall von der FDP und der CDU)

So war auch die einmalige Erhöhung der pauschalen Fördermittel um 250 Millionen € im Nachtragshaushalt notwendig und richtig, um den bestehenden Rückstand bei den Investitionen abzubauen. Es wird weiter investiert: Wir werden auch im Haushaltsplan für das Jahr 2018 insgesamt 50 Millionen € mehr Fördermittel zur Verfügung stellen, als sie noch im rot-grünen Haushaltsplan 2017 standen.

Zur Kritik der kommunalen Beteiligung an der Krankenhausförderung möchte ich anmerken: Wir hatten auch unter der rot-grünen Landesregierung einen gesetzlichen Rahmen, der eine Beteiligung der Kommunen in Höhe von 40 % vorsah. Damit liegen wir auf gleicher Höhe mit Niedersachsen und niedriger als unsere anderen Nachbarländer Hessen und Rheinland-Pfalz.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Aber die Kommunen sind doch alle arm, sagt Ihre Fraktion doch!)

Sie sollten auch nicht vergessen, dass gerade die Kommunen von den Investitionen in ihre Kliniken profitieren,

(Michael Hübner [SPD]: Besonders die Kommunen, die keine Krankenhäuser haben!)

indem eine gute Gesundheitsversorgung vor Ort und Arbeitsplätze gesichert werden. Insofern halte ich es für verfehlt, die kommunale Beteiligung an der Förderung infrage zu stellen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Neben den Krankenhäusern sind die niedergelassenen Haus- und Fachärzte eine grundlegende Säule der medizinischen Versorgung. Gerade im ländlichen Raum und in Westfalen sind aber Hunderte Hausarztsitze nicht mehr besetzt. In den letzten Jahren sind doppelt so viele Hausärzte in den Ruhestand gegangen, wie neue Allgemeinmediziner nachgekommen sind.

Für eine wohnortnahe ambulante Versorgung müssen wir deshalb die Zahl neuer Niederlassungen in den kommenden Jahren steigern. Die NRW-Koalition wird sich dieser Herausforderung endlich annehmen. Wir werden den Weg in die Niederlassung erleichtern und die Landesförderung durch eine Konzentration auf kleinere Gemeinden und eine Aufstockung der jeweiligen Förderbeträge effektiver gestalten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit einer Medizinischen Fakultät in Ostwestfalen und mehr vollwertigen Lehrstühlen für Allgemeinmedizin werden wir zudem mehr Absolventen für die hausärztliche Tätigkeit gewinnen.

Ein Thema, das ich in den vergangenen Jahren bei jeder Haushaltsberatung ansprechen musste, war der Patientenbeauftragte des Landes mit einem Haushaltsansatz von 400.000 € – und das für eine Einrichtung mit gerade einmal 1.300 Kontakten pro Jahr, also 1.300 E-Mails oder Anrufe. 1.300 Patientenkontakte hat ein ordentlicher Hausarzt bereits nach einer Woche zu Beginn eines Quartals – das nur mal zum Vergleich. Ich habe immer wieder gefordert, auf diese Ausgabe zu verzichten.

Deshalb freue ich mich umso mehr, dass Minister Laumann die Stelle des Patientenbeauftragten mit der der Behindertenbeauftragten zusammengefasst hat. So behalten wir einerseits die Wirtschaftlichkeit im Auge und erreichen andererseits eine starke und effiziente Vertretung für die betroffenen Menschen bei uns in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eine große Gefahr für die Gesundheitsversorgung in unserem Land droht aber auch aus Berlin, wenn die SPD dort die sogenannte Bürgerversicherung in den Verhandlungen durchsetzen will. Das duale System der Krankenversicherung in Deutschland

(Nadja Lüders [SPD]: Was für ein duales System?)

sichert jedoch gerade im internationalen Vergleich eine hohe Qualität der Leistungen.

In anderen europäischen Staaten wie in Großbritannien oder in den nordischen Ländern gibt es staatliche, vereinheitlichte Gesundheitssysteme, verbunden mit langen Wartezeiten für fast alle Patienten, teilweise hohen Zuzahlungen, Rationierungen sowie Einschränkungen bei der freien Arztwahl.

(Michael Hübner [SPD]: Das hat doch mit der Finanzierung nichts zu tun!)

Ohne den Systemwettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung würde sich zudem die Aufnahme von medizinischen Innovationen in die Regelversorgung deutlich verzögern.

(Michael Hübner [SPD]: Sie wären auch gegen Obamacare! Obamacare war auch Mist!)

Die Befürworter einer solchen Bürgerversicherung vergessen darüber hinaus die Beschäftigten in der Versicherungswirtschaft, aber auch die Beschäftigten in den Arztpraxen. Viele große PKV-Unter-nehmen haben ihren Sitz bei uns in Nordrhein-Westfalen – in Wuppertal, Dortmund, Köln und Münster – und bieten dort mehreren Zehntausend Menschen in unserem Land einen Arbeitsplatz.

Liebe Kollegen von Rot-Grün, ich verstehe eines nicht. Sie haben vorhin auf die Arbeitsplätze bei Air Berlin, bei Siemens oder im Stahlbereich hingewiesen. Natürlich müssen wir uns darum kümmern. Sie aber setzen hier in Nordrhein-Westfalen ungefähr 30.000 Arbeitsplätze bei der PKV aufs Spiel. Das nenne ich unsozial, das nenne ich soziale Kälte!

(Beifall von der FDP und der CDU – Nadja Lüders [SPD]: Sie haben das System nicht verstanden! – Weitere Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Das ist soziale Kälte, werte Kollegen.

(Michael Hübner [SPD]: Genau!)

Zudem gefährdet nach einer Studie des Darmstädter WifOR-Instituts der Verlust der PKV-finanzierten Gesundheitsleistungen und damit verbundener Mehr-umsätze rund 300.000 Arbeitsplätze in der medizinischen Versorgung.

Die FDP-Landtagsfraktion kämpft weiterhin für diese Arbeitsplätze in NRW, für medizinische Innovationen und eine gute Versorgung und somit für den Erhalt des dualen Systems der Krankenversicherung

(Michael Hübner [SPD]: Duales System der Krankenversicherung – was ist das?)

für eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die AfD hat jetzt noch einmal Herr Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorweg: Der Etat des Ministeriums für den Bereich Gesundheit und Soziales unterliegt, wie in anderen Bereichen auch, einschränkenden Rahmenbedingungen, die dem beherrschenden Einfluss der Bundesrepublik geschuldet sind.

Doch der bundespolitische Etat im Bereich Gesundheit und Soziales ist genauso bescheiden; denn der Löwenanteil der hier aufgewendeten Teilsummen des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik Deutschland stammt nicht aus den öffentlichen Haushalten, sondern wird durch Beiträge der Versicherten für die Krankenversicherung und für die Pflegeversicherung aufgebracht.

Ansonsten ist gerade dieser Bereich durch den Selbstverwaltungsgedanken geprägt. Das heißt, das Handeln der Kranken- und Pflegeversicherungen, der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Pflegeeinrichtungen unterliegt eigenständiger Rechtsetzung. Der Gesundheitsminister ist also weniger als Goldstücke verteilender Dukatenesel gefragt, sondern vielmehr als kompetenter Manager der diversen und durchaus legitimen Einzelinteressen.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Unumstrittener Ansatzpunkt in diesem Bereich ist die Strukturverantwortung, die sich darin zeigt, dass die Investitionsregelungen sowohl im Krankenhausbereich als auch für die Pflegeeinrichtungen landesgesetzlichen Regelungen unterfallen. Gerade hier besteht ein klein wenig Hoffnung, dass sich die Dinge mit der Mitte-rechts-Koalition bessern könnten.

Ein wichtiger Anfang ist mit der Ad-hoc-Erhöhung der Investitionsförderung im Krankenhausbereich um dreistellige Millionenbeträge für 2017 und 2018 gemacht worden. Verwunderlich war hier eher das Auftreten der früheren Regierungsfraktionen, das an Selbstgefälligkeit kaum mehr zu überbieten ist. Die Parteien, die sieben Jahre lang die Kliniken am ausgestreckten Arm haben verhungern lassen, treten hier auf, als hätten sie mit den angehäuften Versäumnissen rein gar nichts mehr zu tun.

(Beifall von der AfD)

Nicht nur in der Investitionsförderung gibt es gravierende Versäumnisse; sondern auch bei der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung steht unser Land vor riesigen Problemen. Zwar hat Minister Laumann das Problem erkannt und benannt, aber die Abhilfemaßnahmen – unter anderem zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten in Ostwestfalen – werden frühestens in zehn Jahren zum Tragen kommen und sind bislang eher der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Es bedarf noch weiterer Maßnahmen, damit wir beispielsweise in der Hausarztversorgung keinen Zusammenbruch der Strukturen erleben.

Aber auch in der Pflege sind die vergangenen sieben Jahre nicht die Erfolgsgeschichte, als die sie von der SPD und von den Grünen gerne dargestellt werden. In den letzten Wochen habe ich mich viel in Pflegeeinrichtungen und bei den Kommunen umgehört. Deren Urteil über das grüne Pflegeschaffen fällt keineswegs positiv aus.

Da hört man von der einseitigen Bevorzugung der ambulanten Pflege über das Maß des Sinnvollen und des nach § 3 Pflegeversicherungsgesetz Gebotenen hinaus. Man hört auch vom aufgeblähten Pflegeausschuss, der den Charakter eines Arbeitsgremiums zur Abstimmung der Akteure der Pflegeszene vollständig verloren hat, und der nur noch für Fototermine tauglich ist.

Auch wir Abgeordneten im Ausschuss sind mit Novellierungen der Fristen von Verordnungen zwangsbeschäftigt, weil die Regelungen des unter Ministerin Steffens komplett neugefassten Landesgesetzes hinten und vorn nicht funktionieren.

Sehr geehrter Herr Minister Laumann, wenn Sie hier eine Weichenstellung fort vom ideologischen Denken und Handeln, hin zu einer Politik der wirklichen Zusammenarbeit aller Akteure aus Verwaltung und aus der Pflegepraxis zum persönlichen politischen Ziel erklären, dann stehen wir bereit, diesen Prozess in den kommenden Jahren konstruktiv zu begleiten.

(Beifall von der AfD)

Ein letztes Wort mit Blick auf die Bundespolitik, auf die die Landesregierung des größten Bundeslandes doch auch Einfluss nehmen will. Wir entnehmen den Medienberichten, dass unglaubliche 10 Milliarden € an Versicherungsbeiträgen im Jahr nicht den Versicherten und ihren Angehörigen zugutekommen; vielmehr werden Leistungen in dieser aufgrund des Fehlverhaltens des Bundes abgezweigt und landen bei Nichtversicherten,

(Zuruf von der AfD: Hört, hört!)

für die der Bund seinen kompensierenden Zahlungspflichten nicht in dem erforderlichen Maße nachkommt.

Ich halte fest: Wir haben in Deutschland noch keinen National Health Service, durch den es zum Beispiel Großbritannien gelungen ist, seinen Gesundheitssektor zu ruinieren. Wenn die eine Partei mit der vermeintlichen sozialen Gerechtigkeit punkten will und die andere mit der schwarzen Null beim Bundeshaushalt, dann hat der Bürger als Versicherter letztlich gar nichts davon. 10 Milliarden € – das bedeutet immerhin rund 2 Milliarden € von NRW-Versicherten, die illegitim nicht unseren Versicherten zugutekommen.

Herr Minister, auch wir erwarten, dass in dieser Frage unser Land und unsere Landesregierung deutlich werden lassen, dass sie nicht nur ein Herz für Versorgungsuchende aus aller Welt, sondern auch für die Menschen haben, die hier täglich schwer arbeiten und schon länger hier wohnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht jetzt erneut Minister Laumann.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden die Verantwortung von Nordrhein-Westfalen für die Krankenhäuser in den nächsten Jahren sehr viel stärker wahrnehmen, als wir das zuvor getan haben. Wir werden das Jahr 2018 brauchen, um unsere Überlegungen, wie wir die Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen weiterentwickeln wollen, evident aufzuschreiben und sie mit den Zuständigen und natürlich auch mit dem Ausschuss zu besprechen.

Ab 2019 werden wir jedes Jahr Schritt für Schritt versuchen, mit einem höheren dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich zu den jetzigen Krankenhausfinanzierungen Strukturveränderungen in Nordrhein-Westfalen zu erreichen.

Außerdem werden wir dafür sorgen, dass uns die ärztliche Versorgung nicht zusammenbricht. Jeder zweite Hausarzt im westfälischen Landesteil, der auf dem Land praktiziert, ist über 60 Jahre. Hier habe ich ein schweres Erbe übernommen. Wir müssen alles daransetzen, mehr Ärzte zu bekommen.

Dafür haben wir eine Doppelstrategie. Wir wollen mehr Ärzte ausbilden. Wir wollen eine neue Fakultät in Ostwestfalen mit dem Schwerpunkt „Hausmedizin“ aufbauen. Wir werden im Rahmen eines Sofortprogramms etwas für die Universität Witten/Herdecke tun. Die Universität Witten/Herdecke bringt uns zurzeit mehr Hausärzte als manche medizinische Fakultät.

Seit zwei Tagen liegt uns ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor, nach dem die Auswahl der Medizinstudenten in Deutschland – ich sage: Gott sei Dank! – nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Wir werden dem Landtag von Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr möglichst schnell einen Vorschlag unterbreiten, wie wir mit der Landarztquote umgehen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts scheint klar zu sein, dass eine Landarztquote nicht über Regierungshandeln, sondern nur über ein Parlament zu erzielen ist. Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen hohen Stellenwert eingeräumt. Die Landesregierung wird sicherlich einen Vorschlag unterbreiten, der dann hier im Landtag verabschiedet wird.

(Beifall von der CDU)

Wir werden die Pflege in Nordrhein-Westfalen stärken. Ich habe ein Ziel in meiner Amtszeit: die gemeinsame Stärkung der Pflege bei uns – in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland –, sodass die Pflege zu einer eigenständigen Profession im Gesundheitswesen wird. Die Pflege muss in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden.

Die Pflege muss auch über eine eigene Vertretung im Gesundheitssystem verfügen. Ich weiß durch meine vorherige Tätigkeit in Berlin, dass das Schlimme für die Pflege darin besteht, dass immer dann, wenn über Pflege entschieden wird, kein Vertreter der Pflege am Tisch sitzt. – Das geht so nicht weiter!

(Beifall von der CDU)

Zum Schluss will ich Ihnen noch eines sagen: Wir werden immer darüber streiten, ob man genug oder zu wenig tut. Nehmen Sie aber bitte zur Kenntnis, dass die Grundidee meiner Sozialpolitik die christliche Soziallehre ist. Wir feiern in wenigen Tagen Weihnachten. Das ist die Hinwendung Gottes zu den Menschen.

(Nadja Lüders [SPD]: Genau! Beim Ladenöffnungsgesetz zeigt sich, wie christlich das ist!)

Die christliche Soziallehre ist das gesellschaftliche Konzept, das mit dieser Religion zusammenhängt. Deswegen wird es von mir immer eine Politik geben, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt,

(Michael Hübner [SPD]: Da bin ich gespannt, Herr Kollege Laumann!)

die kleinen Lebenskreise vor die großen zieht und sich immer an einem vernünftigen Verhältnis von Eigenverantwortung und Solidarität ausrichtet.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Ich glaube, das ist ein zeitloses und richtiges Konzept. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zum Einzelplan 11.Wir kommen zu den Abstimmungen.

Wir stimmen erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1551 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer möchte sich enthalten? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der Änderungsantrag der SPD-Fraktion mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Einzelplan 11. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1511, den Einzelplan 11 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen.

Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Wer also der Beschlussempfehlung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die CDU- und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Die Enthaltungen sind demzufolge bei der AfD und dem fraktionslosen Abgeordneten Neppe. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Einzelplan 11 damit in zweiter Lesung in der Fassung der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1511 angenommen.

Ich schließe die Abstimmung zum Einzelplan 11 und rufe auf:

Einzelplan 10
Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz

a) Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz

b) Verbraucherschutz

 

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1510

In Verbindung mit:

Landesgartenschau in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435

Ich eröffne die Aussprache zum Teilbereich

a) Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz

In Verbindung mit:

Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen fortführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1435

Die Aussprache wird durch den Kollegen André Stinka von der SPD-Fraktion eröffnet.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schulze Föcking, Sie haben in Ihrer kleinen Regierungserklärung im Umweltausschuss gesagt, dass das Ziel Ihrer Politik wichtige und zukunftsweisende Entscheidungen sind, die Sie gemeinsam mit verschiedenen Interessengruppen in Nordrhein-Westfalen treffen wollen. Sie wollen keine gesellschaftliche Gruppe isolieren.

Schön gesagt! Das Problem ist allerdings, dass wir bei Ihrer Politik gar keine zukunftsweisende Entscheidung erkennen können. Alles bleibt bisher beliebig, alles bleibt im Ungefähren.

Es gibt allerdings eine gravierende Ausnahme: Ihr Bekenntnis zu den Interessen der Landwirte. – Das wird Ihnen von dieser Berufsgruppe auch besonders gedankt. Das Problem an Ihrer Bevorzugungspolitik liegt darin, dass Sie die ganz große Mehrheit der Bevölkerung, nämlich 97 % der Menschen, isolieren.

Ohne Frage ist der Strukturwandel massiv und die Arbeitsbelastung im Bereich der Landwirtschaft hoch. Ohne Frage muss sich Politik darum kümmern. Das gilt gerade auch für Sozialdemokraten. Sie können aber nicht nur Politik nur für eine Gruppe in dieser Gesellschaft machen.

Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen prognostiziert, dass noch in Ihrer Amtszeit, Frau Ministerin, die Zahl der Betriebe auf unter 30.000 fallen wird. Die Gruppe, über die Sie hier reden, erzielt zum Bruttowertschöpfungsprodukt der nordrhein-westfälischen Wirtschaft gerade mal 3 %, auch im ländlichen Raum. Dennoch sind Sie es, Frau Ministerin, die sich mit ihrem ganzen Handeln den Interessen dieser Personen verschreibt.

Das ist keine Entfesselung. Von Entfesselung keine Spur! Sie fesseln sich an diese Gruppe, Frau Schulze Föcking.

(Beifall von der SPD)

Frau Schulze Föcking, Sie sehen sich gern als Ministerin aller Bürgerinnen und Bürger. Sie sind Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz.

(Henning Höne [FDP]: Das ist sie ja auch! Richtig!)

Dennoch muss man festhalten: Wenn man sich den Output Ihrer Arbeit anschaut, sind Sie nur Landwirtschaftsministerin. Wie ich gerade ausgeführt habe, scheinen 97 % der Bevölkerung Sie nur aus dem Augenwinkel wahrzunehmen. Dabei sind es gerade diese 97 %, die in unserem Bundesland unsere Aufmerksamkeit verdient hätten.

(Henning Höne [FDP]: Und die restlichen 3 % nicht?)

Ich möchte betonen, dass die Bereiche, für die Ihr Ministerium zuständig ist, nicht in einem Auswahlverhältnis nach dem Motto „Ich schaue mir einmal die Bereiche an und wähle mir den Bereich aus, der mir am liebsten ist“ stehen. Alle Bereiche, Frau Schulze Föcking, sind gleichberechtigt und stehen in keinem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander.

Wenn ich mir nun das Konzept des Ministeriums ansehe – ich habe lange überlegt, ob ich in meiner Rede wirklich das Wort „Konzept“ wählen soll; denn ein Konzept setzt Langfristigkeit und einen konkreten Plan voraus, den wir leider nicht erkennen können –, muss ich feststellen, dass Sie es genauso machen wie Ihre Kollegen:

Sie beschreiben Probleme. Der Ministerpräsident erkennt plötzlich, dass es Cyberkriminalität gibt; der Verkehrsminister erkennt plötzlich, dass es Staus gibt; der Finanzminister erklärt plötzlich, dass er Geld benötigt; und, und, und. Sie sind ein Beispiel dieser Mitte-rechts-Regierung dafür, dass Probleme nur benannt werden, aber niemals Lösungsvorschläge durchgesetzt werden sollen.

(Beifall von der SPD)

Es würde den Rahmen meiner Rede sprengen, wenn ich das alles einzeln auflisten würde.

(Bodo Löttgen [CDU]: Machen Sie nur!)

Deswegen will ich es an einigen Beispielen deutlich machen.

Erstens. Wir werden 2020 eine neue europäische Förderpolitik bekommen. Wir Sozialdemokraten sagen, dass ländliche Räume und Landwirtschaft gefördert werden müssen. Sie verbleiben bei der ersten Säule. Sie verbleiben in altem Denken.

Zweitens. Wir werden in wenigen Monaten durch ein gerichtliches Urteil erkennen, dass die Luftreinhaltung in unserem Land stark in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte rücken wird. Wir haben hier Probleme, was die Dieselkraftfahrzeuge angeht. Wir Sozialdemokraten wollen Umwelt und Gesundheit zusammenbringen. Von Ihnen kein einziges Wort in dieser Debatte! Auch als Verbraucherschutzministerin nehmen Sie noch die Unternehmen in Schutz, die den Menschen Autos verkaufen, die nicht den Standards entsprechen.

(Henning Höne [FDP]: Die Aufsichtsräte bei VW!)

Nichts von der Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen! Sie lassen diese Leute außen vor.

(Beifall von der SPD)

Wir werden erleben, dass wir Fahrverbote durchsetzen werden. Dann wird es diese Ministerin sein, die ihre Unterschrift daruntersetzen wird. Das wird sehr wohl passieren.

Drittens. Bei dem Thema ländliche Räume: Totalversagen Ihres Hauses! Wer ist eigentlich zuständig? Sind Sie das, oder ist es die Heimatministerin? Sie müssen sich darüber einig werden, weil die Menschen in den ländlichen Räumen Planungssicherheit brauchen und einen Anspruch darauf haben, zu wissen, wo sie zum Arzt gehen können, wie sie mit dem ÖPNV fahren können und was eigentlich mit der Strukturentwicklung im ländlichen Raum geschieht. Null!

Viertens. Die Kleingartenstruktur hatte ich schon angesprochen. Die Kleingärtner in Nordrhein-Westfalen haben eine fest verankerte ehrenamtliche Struktur. Sie leisten wichtige Beiträge für Stadtökologie und für das Ehrenamt. Keinerlei neue Aspekte in diesem Bereich, in dem wir demografische Entwicklungen haben!

Fünftens. Beim Thema „Landesjagdgesetz“ beobachten wir etwas, was typisch für diese Landesregierung ist. Der Ministerpräsidentenkandidat kündigt an, dass das komplette Jagdrecht mit 80 Änderungsanträgen erneuert werden soll – ein sogenanntes Rollback. Bisher hören wir nichts davon, weil er sich nicht traut und weil er weiß: Was er im Wahlkampf versprochen hat, wird er niemals umsetzen können, weil es nämlich nicht den Richtlinien entspricht, Frau Schulze Föcking. Wir werden das erleben.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Liste könnte man unendlich verlängern. Es geht aber darum, dass wir als Sozialdemokraten durchaus den Kurs des Dialogs, den Sie angedeutet haben, pflegen wollen.

Deswegen sage ich noch einmal ganz deutlich: Wir Sozialdemokraten sind zum Dialog bereit, wenn es über entscheidungskräftige Punkte auch etwas zu entscheiden gibt und wir eine rote Linie erkennen.

Wir erkennen beispielsweise im vorliegenden Antrag „Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen fortführen“ einen guten Vorschlag, den wir auch unterstützen. Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil es darum geht, dass die Landesregierung für die Planungssicherheit, die ich gerade eingefordert habe, einen guten Punkt macht und auch dafürsteht. Wir werden diesem Antrag zustimmen, weil es für die Verbände, für die Orte und für die Regionen klare Zielvorgaben geben muss, damit sie sich darauf einstellen können – was in vielen Bereichen häufig nicht der Fall ist.

Abschließend: Frau Ministerin, Sie reden im Haushalt – er ist ja die in Zahlen gegossene Regierungserklärung – viel davon, dass Sie vieles im Dialog und in Kooperation lösen wollen. Sie müssen uns nur eines erläutern: Wenn jemand beim Grundwasserschutz nicht kooperieren will, muss der Staat handeln. Diese Mitte-rechts-Regierung will ja nicht, dass der Staat handelt. Wir sind der Auffassung, dass das Verursacherprinzip gilt und man irgendwann entscheiden muss.

Wir werden Sie daran messen, wie Sie für die Menschen, für die Tiere und für die Umwelt in unserem Land einstehen und wie Sie dann auch springen müssen. Entscheidungen sind nötig. Dafür sind Sie Ministerin geworden. – In diesem Sinne: Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Kollegin Winkelmann das Wort.

Bianca Winkelmann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen ist ein großes, ein vielfältiges Land.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Ein schönes Land!)

Mit dem Einzelplan 10 entscheiden wir über einen Teil des Landeshaushalts 2018, der viele Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger betrifft. Es geht – das sage ich auch speziell an Herrn Stinka gewandt – um viele wichtige Umweltthemen, um die Landwirtschaft und um den Verbraucher- und Naturschutz.

Wie der Kollege vorhin richtig festgestellt hat, haben unsere Minister mit diesem Haushalt viele Probleme erkannt und aufgezeigt. Alles das sind Probleme, die Sie uns in sieben Jahren Regierungsarbeit hinterlassen haben und die wir in den nächsten fünf Jahren definitiv aufarbeiten werden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Erlauben Sie mir noch einen kleinen Hinweis. Ich versuche, das ganz kurz zu machen. Sie haben vorhin in polemischer SPD-Manier auf die Berufsgruppe der Landwirte eingedroschen.

(Frank Müller [SPD]: Stimmt nicht! Nein!)

Ich sage nur einen Satz: Ihr sollt es nie vergessen; die Landwirte sorgen für euer Essen. – Damit möchte ich es bewenden lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh! – Ibrahim Yetim [SPD]: Ich dachte immer, das macht Aldi!)

Mit diesem Haushalt ist es dem Ministerium gelungen, an wichtigen Stellen Akzente zu setzen. Als ein Beispiel möchte ich nur den erhöhten Ansatz für ein so wichtiges Projekt wie den Hochwasserschutz nennen. 16,7 Millionen € mehr sind für diesen wichtigen Bereich des Hochwasserschutzes veranschlagt.

Im gesamten Haushaltsplan werden die Mittel für zukunftsorientierte politische Schwerpunkte bedarfsgerecht eingesetzt. So ist es beispielsweise gelungen, die Aufrechterhaltung aller Landesförderprogramme sicherzustellen, die einen Löwenanteil dieses Haushalts auf sich vereinen.

Der Blick in den Einzelplan 10 zeigt auch, wie engmaschig die EU-Förderprogramme mit unserem Etat und damit auch im besonderen Umfang mit der Förderung zum Beispiel des ländlichen Raumes verknüpft sind.

Meine Damen und Herren, CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen stehen für eine nachhaltige, verantwortungsvolle Finanzpolitik. Das spiegelt der Haushalt 2018 in all seinen Facetten wider. Auch deshalb werden wir mit großer Freude diesem Haushalt natürlich zustimmen.

Für uns als NRW-Koalition gibt es neben all den wichtigen, beispielhaft angeführten Punkten noch einige Bereiche, die für uns einen weiteren hohen Stellenwert haben.

So finden Sie im vorliegenden Änderungsantrag einen Bereich, der mir auch persönlich sehr am Herzen liegt. Das sind unsere Tierheime. Diese sind auf Spenden und Zuwendungen angewiesen. Viele Tierheime sind sanierungsbedürftig. Damit die Haltungsbedingungen für die Tiere in den Heimen weiter verbessert werden können, wollen wir als NRW-Koalition den Ansatz von 750.000 € um 1 Million € auf insgesamt 1,75 Millionen € erhöhen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen liegt überdies ein Antrag der NRW-Koalition zu den Landesgartenschauen vor. Ich freue mich sehr darüber, dass die SPD das offensichtlich genauso positiv sieht wie wir.

Am 5. Oktober 2017 haben wir gemeinsam mit einer Abordnung unseres Ausschusses die diesjährige Landesgartenschau in Bad Lippspringe besucht. Trotz absolut schlechter Witterungsbedingungen haben wir – ich denke, dass das parteiübergreifend für alle Kollegen gilt – einen nachhaltigen Eindruck bekommen. Der Bürgermeister der Stadt hat uns eindrucksvoll geschildert, welche Aufbruchsstimmung durch seine Stadt mit immerhin nur gut 16.000 Einwohnern ging. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Landesgartenschau in Bad Lippspringe eine wirtschaftsfördernde Maßnahme war, von der die gesamte Region nachhaltig profitieren wird.

Berufs- und Interessengruppen aus dem ganzen Land – von Garten- und Landschaftsbauern über Floristen, Land- und Fortwirtschaft, Jäger, Imker sowie Natur- und Umweltschützer bis hin zu Kirchen und Religionsgemeinschaften – bringen sich in die Landesgartenschauen ein und finden dort Resonanz.

Weit mehr als 15.000 Kindergartenkinder und Schüler haben die Landesgartenschau wieder als grünen außerschulischen Lernort nutzen können. Gerade das Angebot des Grünen Klassenzimmers fördert das Verständnis von Natur und Umwelt bereits bei unseren Kleinsten.

Wir wollen mit dem heutigen Antrag ein klares Bekenntnis zu einer Fortführung der Landesgartenschauen geben. Denn auch über das Jahr 2026 hinaus dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass wir frühzeitig die Ausschreibungen vornehmen müssen und uns dafür starkmachen müssen, dass die zeitintensive Planungsphase geregelt und planungssicher ablaufen kann.

Wir bitten Sie daher um Unterstützung für unseren Antrag, mit dem Sie alle heute schon zeigen können, wie wichtig für uns die Landesgartenschauen als Wirtschaftsmotor, als Lernort, als Plattform für Vereine und Verbände, als Ort mit hohem Erholungsfaktor und, nicht zu vergessen, als eine Möglichkeit der Stärkung der ländlichen Regionen in unserem wunderschönen Bundesland sind. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Winkelmann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Rüße das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Norwich Rüße*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwei Möglichkeiten, wie eine neue Ministerin darstellen kann, in welche Richtung sie Politik machen will und wo sie ihre Schwerpunkte setzen möchte, die sie uns dann hier präsentiert. Die eine Gelegenheit ist die kleine Regierungserklärung im Ausschuss. Die andere Gelegenheit ist die Vorlage des Haushalts, hier des Einzelplans 10.

Ich muss Ihnen leider sagen, Frau Schulze Föcking: Beide Gelegenheiten haben Sie ungenutzt verstreichen lassen. Ich würde sogar sagen: Sie haben sie schlichtweg versemmelt.

(Beifall von den GRÜNEN und Frank Sundermann [SPD])

Sie haben weder mit Ihrem Arbeitsprogramm noch mit dem Einzelplan 10 ein ambitioniertes Zeichen gesetzt, dass Sie das fortsetzen wollen, was hier in NRW jahrelang Tradition war: ein ausgewogenes Miteinander von Umweltschutz, Naturschutz, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie haben es sogar nicht geschafft, Ihr Ministerium in den letzten Monaten zu erhalten. Nein, das Umweltministerium hat eklatant an Bedeutung verloren. Wir haben das ja erlebt. Der Zuschnitt des Ministeriums hat beispielsweise dazu geführt, dass Sie den Bereich Klimaschutz komplett abgegeben haben.

Sie haben auch die Kompetenz – und es war viel Geld im Umweltministerium vorhanden, um an dieser Stelle den ländlichen Raum zu stärken –

(Bodo Löttgen [CDU]: Und Menschen für das Ministerbüro einzustellen!)

für den Breitbandausbau komplett abgegeben.

Damit haben Sie aus dem Ministerium, das immer für den ländlichen Raum zentral zuständig war, entscheidende Zukunftsthemen, die für die Menschen in NRW und gerade für den ländlichen Raum wichtig sind, abgegeben und verloren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch entscheidender als die Abgabe dieser Bereiche ist allerdings, wie Sie innerhalb der schwarz-gelben Koalition Ökonomie und Ökologie in ein Verhältnis zueinander setzen. Das ist keine Ausgewogenheit mehr. Vielmehr gehen Sie ganz klar so vor, dass Sie sagen: Ökonomie first; bei Ökologie muss man einmal schauen, was dann noch geht. – Das sieht man ja auch.

Das Verhältnis zwischen dem Umweltministerium, also Ihnen, Frau Schulze Föcking, und dem Wirtschaftsministerium ist doch ganz eindeutig kein Spannungsverhältnis mehr. Das ist schafkopfmäßig. Da gibt es einen Ober – das ist Herr Pinkwart – und einen Unter; das sind Sie, Frau Schulze Föcking.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Wirtschaftsminister sagt, was in diesem Land passiert. Sie können noch ein bisschen Begleitmusik auf dem Klavier dazu spielen.

Ich will auch die konkreten Punkte benennen – Sie haben das ja jetzt in Ihren Entfesselungspaketen dargestellt –:

Aufgabe des 5-ha-Grundsatzes. Wir Grüne haben damals dafür gekämpft, dass es ein 5-ha-Ziel wird, und hatten dabei auch die Landwirtschaftsverbände an unserer Seite. Wir haben immer gesagt: Setzt das bitte durch; das brauchen wir, um Ackerland und Grünland vor der immer stärkeren Inanspruchnahme zu schützen. – Nicht einmal den 5-ha-Grundsatz wollen Sie beibehalten, der nun wirklich schon ein Kompromiss ist. Nicht einmal das! Selbst diesen Grundsatz streichen Sie. Das ist ein Armutszeugnis, was den Flächenverbrauch und den Schutz von Fläche angeht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

newPark war ja in den letzten Jahren ein Zankapfel. Sie gehen jetzt mit der Flächengröße von 50 ha auf 30 ha herunter. newPark war immer als besonderes Industriegebiet für große Industrieansiedlungen gedacht. Sie wissen selbst, dass dieses Gebiet nicht funktionieren wird. Jetzt gehen Sie hin und senken es ab. Auch das ist ein verheerendes Signal, was den Flächenverbrauch angeht.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Da müssten Sie als Umweltministerin einschreiten. Da müssten Sie Einspruch erheben.

Dasselbe beim Kiesabbau! Dasselbe beim Kalkabbau in Ihrem Heimatkreis, dem Kreis Steinfurt! Dort soll Kalkabbau im Naturschutzgebiet stattfinden. Auch da wäre es erforderlich, dass Sie im Sinne des Naturschutzes einschreiten und das verhindern, was da gerade gemacht werden soll.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Das ist eben keine Verhinderung!)

Herr Stinka hat etwas länger zu der Frage der Stickoxide in unseren Städten ausgeführt. Auch an dieser Stelle sehe ich nicht, dass Sie agieren. Da passiert ebenfalls nichts.

(Ralph Bombis [FDP]: Sie wollen nur Verhinderungspolitik!)

An allen diesen Stellen gibt das Wirtschaftsministerium den Takt vor, und Sie laufen hinterher. Ambitionierte Umweltpolitik gibt es in NRW nicht.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Sie haben ein Verständnis – Sie sowieso, Herr Bombis; bei Ihnen habe ich immer noch ein bisschen mehr Hoffnung, Frau Ministerin – von Umweltpolitik als notwendigem Übel. Das muss man ja machen. Schließlich gibt es ein Umweltministerium. Irgendwie muss man es ja wohl machen. Also macht man da ein bisschen etwas. Aber Sie erkennen es nicht an als ein Ministerium mit hohem eigenen Wert, als ein Fachgebiet, das wir brauchen, um diesen Planeten und auch Nordrhein-Westfalen lebenswert zu erhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu passt auch das Vorgehen bezüglich der Stabsstelle Umweltkriminalität. Wir beide haben sieben Jahre lang zusammen im Ausschuss gesessen. Wir haben die ganzen Skandale, die wir hatten, gerade im Lebensmittelbereich, zusammen diskutiert. Wie kommt man dann auf die Idee, die Stabsstelle Umweltkriminalität abzuwickeln? Das ist mir ein Rätsel. Wir brauchen diese Stabsstelle, um ihre koordinierende Wirkung – dafür war sie ja immer gedacht – nutzen zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu passt auch, dass Sie angekündigt haben, Bundesrecht und EU-Recht nur noch eins zu eins umzusetzen.

Wir haben aber hier in Nordrhein-Westfalen schon ein paar besondere Probleme. Auch das haben wir – Herr Höne, Sie waren ja auch im Umweltausschuss – lange besprochen. Beim Nitrat im Grundwasser wissen wir, dass wir in Nordrhein-Westfalen ganz andere und viel größere Probleme haben als beispielsweise im Süden der Republik. Daher brauchen wir auch entsprechende Maßnahmen, um sie zu lösen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da können wir doch nicht sagen: Wir machen nur das Minimum, was die Bundesregierung will. – Wir müssen das Maximum an Gewässerschutz umsetzen. Ich fordere Sie auf, dies zu tun.

Aber man soll ja nicht die ganze Zeit schimpfen. Wo viel Schatten ist, ist auch etwas Licht. Ausdrücklich unterstützen wir die Erhöhung der Ansätze in den Bereichen Hochwasserschutz, Kreislaufwirtschaft, Bodenschutz und Verbraucherschutz. Bei dieser Verstärkung der Mittel haben Sie uns auch an Ihrer Seite.

Was den eben erwähnten Antrag zu den Tierheimen angeht, finden wir es sehr gut, dass Sie die Linie der alten Regierung fortsetzen, indem Sie die Mittel verstärken und so Kontinuität ermöglichen.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle auch einen Satz zur Landesgartenschau. Den vorliegenden Antrag unterstützen wir. Allerdings weiß ich nicht, wo hier im Landtag auch nur ein Politiker wäre, der die Landesgartenschau noch infrage stellen würde. Insofern ist dieser Antrag nicht wirklich notwendig gewesen. Wenn Sie die Mittel noch ein bisschen erhöht hätten, hätte das wenigstens Neuigkeitswert. So ist es zwar „nice to have“, aber mehr auch nicht. Wir stimmen dem jedoch zu.

Eines verstehe ich nicht, Frau Ministerin. Mit dem 100-Kantinen-Programm haben Sie ein aus meiner Sicht erfolgreiches Programm. Auch wenn es von den Grünen kommt, kann man manche Dinge, die gut sind, einfach fortführen. Ich verstehe nicht, dass Sie den Ansatz für dieses Programm auf null setzen.

Ich verstehe auch nicht, dass Sie die Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Öffentlichkeit loben, aber dann im Haushalt den Ansatz kürzen. Das passt aus meiner Sicht nicht zusammen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was Sie da praktizieren, macht für mich die Kluft zwischen Sonntagsrede und alltäglichem Handeln deutlich.

Überhaupt nicht verstehe ich – ich habe das 5-ha-Ziel eben schon erwähnt –, dass Sie und die schwarz-gelbe Koalition im LEP den Ansatz verfolgen, den gewerblichen Stallbau im Außenbereich wieder zuzulassen. Das verstehe ich nicht. Durch die Restriktionen, die wir da haben, haben wir das endlich eingedämmt und etwas Ruhe im ländlichen Raum. Dass Sie diesen Deckel wieder öffnen wollen, verstehe ich nicht.

Wenn Sie die Akzeptanz der Landwirtschaft in diesem Bundesland erhöhen wollen, sollten Sie Folgendes tun: Sorgen Sie dafür, dass hier in NRW die Tiere gut gehalten werden. Sorgen Sie dafür, dass wir Vielfalt auf dem Acker haben. Sorgen Sie dafür, dass unsere Insektenwelt – das ist ja im Moment unser Thema – vor zu viel negativem Einfluss aus der industriellen Landwirtschaft geschützt wird.

Wenn Sie dies tun, kommen wir da ein Stück weiter. Ansonsten läuft das ins Leere.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ein besonderes Highlight will ich ganz zum Schluss auch noch erwähnen. Das absolute Highlight ist der Titel „Werkvertrag für ein Anreizsystem Wildschweinbejagung“. Dafür sehen Sie 2 Millionen € vor. Im Ausschuss habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie selbst noch nicht richtig wissen, was das werden soll, was man damit machen kann.

Ich habe mich dann einmal mit Jägern unterhalten, weil ich wissen wollte, was sie denn davon halten. Die Jäger wissen, ehrlich gesagt, auch nicht, was das soll; sie sind sich darüber nicht ganz klar.

Was die Abschusszahlen angeht, können wir feststellen, dass das neue ökologische Jagdrecht die Möglichkeiten der Jagd überhaupt nicht eingeschränkt hat. Ihr ganzes Wahlkampfgetöse der vergangenen Monate war also überflüssig. Sie haben da einen Popanz aufgebaut.

Der Staatssekretär hat angekündigt, dass handwerkliche Fehler im Jagdrecht repariert werden sollen. Da bin ich an Ihrer Seite. Das sollte man immer tun; das ist richtig. Aber ich bin wirklich gespannt darauf, ob Sie da inhaltlich viel ändern. Denn ich glaube, Sie wissen längst, dass das Jagdrecht viel besser ist, als Sie seinen Ruf gemacht haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rüße. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Diekhoff das Wort. Bitte schön.

Markus Diekhoff (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon etwas überrascht über das, was der Kollege Stinka zu den Fahrverboten von sich gegeben hat. Er scheint eine Glaskugel zu haben, dass er schon weiß, dass sie kommen. Ich glaube das nicht. Sie betteln ja förmlich darum.

(Zuruf von André Stinka [SPD])

Unterstützen Sie uns im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die von den Fahrverboten betroffen wären, doch lieber auf dem Weg, sie zu verhindern.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Unterstützen Sie die Verbraucher dabei, dass sie einen ordentlichen Motor bekommen!)

– So flüchtet man sich dann heraus. So läuft das aber nicht.

(André Stinka [SPD]: Da ist nichts mit Rausflüchten!)

Was Herr Rüße in einer Märchenstunde zur wunderbaren Zusammenarbeit im ländlichen Raum und zur gemeinsamen Partnerschaft gesagt hat, glaubt ja wohl kein Mensch. Genau das hat es doch in den letzten Jahren nicht gegeben. Es gab keine wunderbare Partnerschaft, sondern Sie haben Umwelt- und Landwirtschaftspolitik frontal gegen alle anderen gemacht.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht! Das haben Sie nur behauptet!)

Das hat nicht nur zu keinen Ergebnissen geführt, sondern es hat auch die Menschen verunsichert. Es hat sogar den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen gefährdet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deshalb leiten wir mit diesem Haushalt jetzt einen historischen Umschwung in der Umwelt-, Naturschutz- und Landwirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen ein.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Denn wir werden uns an dem orientieren, was es in den vergangenen Jahren in der Umweltpolitik hier nicht gab. Das sind Messbarkeit, Vertrauen und Respekt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Anstrengungen im Natur- und Artenschutz müssen verstärkt werden. Bei diesem Ziel sind wir uns wohl alle einig; da herrscht Konsens.

Diese Erfolge müssen aber am Ende auch für alle Beteiligten messbar sein. Sie haben jahrelang auf Probleme pauschal mit mehr Geld, mit mehr Personal und vor allem mit Verboten, Verboten und Verboten reagiert. Ob diese Maßnahmen für einige Naturnutzer große Einschnitte mit sich bringen, war völlig egal. Die Ergebnisse waren nicht messbar. Das hat zu großen Verunsicherungen geführt.

Das werden wir ändern – mit Wissenschaft statt mit Ideologie. Wir investieren in Know-how, in Digitalisierung und in wissenschaftliches Monitoring. Zu allen drängenden Problemen der Umweltpolitik – wie jetzt auch dem Insektensterben – finden Sie die entsprechenden Punkte im Haushalt.

Wir beenden auch die Planlosigkeit rot-grüner Umweltpolitik und haben im Entfesselungsgesetz die unsinnigsten und unnötigsten Verbote und Eingriffe, deren Erfolge auch nicht messbar waren – denn der 5-ha-Grundsatz war gar nicht messbar; er stand einfach nur darin –, korrigiert.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist ja auch nur ein Grundsatz!)

Das bringt uns zu unserem zweiten Ziel: Vertrauen. Wir werden mit unseren Maßnahmen neues Vertrauen aufbauen. Alle Menschen in Nordrhein-Westfalen können darauf vertrauen, dass die NRW-Koalition niemanden ausgrenzt, der sich für Umwelt und Natur einsetzt. Wir beenden damit die einseitigen Schuldzuweisungen und pauschalen Verunglimpfungen einzelner Akteure, so wie Sie es mit den Jägern gemacht haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn wir haben – damit kommen wir zum dritten Punkt – Respekt:

Respekt vor der Erfahrung von Menschen, die seit Generationen von und mit der Natur leben, wie das unsere Landwirte tun;

Respekt vor der Erfahrung von Menschen, die die Natur von der wissenschaftlichen Seite kennen, zum Beispiel unseren Förstern.

Wir haben Respekt vor der guten fachlichen Praxis. Wir haben auch Respekt vor den Leistungen unserer Industrie in Nordrhein-Westfalen beim Umweltschutz.

Wir haben Respekt vor dem Eigentum der Grundbesitzer und

Respekt vor der ehrenamtlichen Arbeit von Natur- und Tierschützern, die wir zum Beispiel mit 1 Million € für Tierheime unterstützen.

Wir haben natürlich auch Respekt vor der Leistung der Jägerschaft und der Fischerei.

Deshalb werden wir gemeinsam mit allen Akteuren einen besseren Natur-und Umweltschutz und eine bessere Landwirtschaftspolitik hier in Nordrhein-Westfalen machen –

(Beifall von der FDP und der CDU)

mit Kooperation vor Ordnungsrecht, mit Qualität vor Quantität und mit Schützen durch Nutzen mit messbaren Zielen.

Ich verspreche Ihnen: Wir werden damit erfolgreich sein. Es werden gute Jahre für die Natur, die Tiere, die Landwirte, die Fischer und Jäger und auch für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen, weil wir mit Vertrauen und Respekt mehr erreichen werden als Sie mit Verboten und Ideologie. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Diekhoff. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex*) (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Als Orientierung für die politischen Schwerpunkte nennt die Landesregierung die vielfältigen öffentlichen Erwartungen an einen nachhaltigen Umweltschutz. Eine solche Zielsetzung gibt den medial transportierten Erwartungen einer kleinen Minderheit zu großen Raum.

Als Zielsetzung des Umweltschutzes sollte das Wohlergehen des Landes und seiner Bevölkerung im Vordergrund stehen. Wir sind eine Volkswirtschaft und keine Betriebswirtschaft. Aber die Landesregierung schafft noch nicht einmal das.

So würden wir – wie auch ein Großteil der Bevölkerung – von Frau Schulze Föcking als Ministerin für Verbraucher- und Naturschutz erwarten, dass sie das Schadpotenzial von Windkraftanlagen deutlich benennt.

Die öffentliche Anhörung zum Windkrafterlass am 13. Dezember dieses Jahres – vor einer Woche – hat nämlich genau das offenkundig gemacht. Das Umweltministerium hat die Zuständigkeiten und auch den Sachverstand, um einen Schutz vor der Windkraft wirksam zu machen.

Als Ministerium für Immissionsschutz sollte das Umweltministerium die Schutzgesichtspunkte in den einschlägigen Genehmigungsverfahren stärker zur Geltung bringen.

Als Ministerium für Naturschutz sollte das Haus bei der Planung und Zulassung von Standorten, Vorranggebieten etc. stärker auf den Schutz der Natur, insbesondere der Vogelwelt, drängen.

(Beifall von der AfD)

Der Schutz der Menschen und Tiere vor den Immissionen von Windkraftanlagen sollte oberste Priorität für das Umweltministerium haben. Es ist traurig, zu sehen, wie sehr die Landesregierung unter ihren eigenen Ansprüchen bleibt.

Ich komme zur Agrarpolitik. Die AfD stimmt der Forderung zu, dass die Landwirtschaft einer nachhaltigen Unterstützung bedarf. Die im Haushaltsplan offensichtliche Vielfalt der Förderinstrumente ist zu komplex geworden. Auch der vorliegende Haushaltsplan zeigt, dass die Unterstützung der Landwirtschaft in erheblichem Maß auf Mittel aus der Brüsseler Umverteilung zurückgreift.

Dazu darf ich einen bescheidenen Vorschlag machen: Deutschland nimmt die Förderung der Landwirte und der Landwirtschaft wieder in eigene Hände; deutsche Mittel für deutsche Landwirte. Nehmen wir nicht mehr den Umweg über Brüssel, der bekanntlich mit Milliardenverlusten verbunden ist!

(Beifall von der AfD)

Mit dem Austreten von Großbritannien aus der Europäischen Union wird die Schieflage zwischen Nettozahler und Nettoempfänger sowieso nur noch größer. Es ist schon traurig, dass Frau Schulze Föcking als ausgebildete Landwirtin ihre eigene Zunft ein wenig aus den Augen verliert.

(Markus Diekhoff [FDP]: Ja, was denn jetzt?)

Zur Landwirtschaftspolitik gehört auch die Fürsorge für den ländlichen Raum. Die AfD würde es begrüßen, wenn in künftigen Haushalten mehr Fördermittel für die Bewohner und Betriebe in den nicht städtischen Räumen eingeplant würden.

Zum Bereich Forst und Jagd: Holz ist die einzige unbestrittene nachhaltige Bioenergie in Deutschland. Es gibt nichts anderes. Im Rahmen der nachhaltigen Forstwirtschaft sollte auch nach einem nachhaltigen Ertrag gestrebt werden. Deshalb halten wir das Ausscheiden von Flächen aus der Nutzung für kontraproduktiv.

Die AfD wird auch die Entwicklung einer Alternative zum ökologischen Jagdgesetz vorantreiben. Darüber dürfen wir aber zwei ganz aktuelle Aufgaben der Jagdpolitik nicht vergessen.

Die Wolfsbestände – das wird manchen Grünen jetzt nicht freuen –

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

müssen durch Bejagung begrenzt werden. Die Regularien sollten klar vorformuliert sein – und nicht erst, wenn Menschen Opfer von Wölfen geworden sind.

Die Wildschweinbestände müssen drastisch reduziert werden, um die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest zu verlangsamen. Aber da geht die Landesregierung schon in die richtige Richtung.

Herr Rüße, Sie sind gerade erregt wegen des Wolfs. Wir sind erregt wegen der Menschen.

(Beifall von der AfD)

Zur Abfallwirtschaft: Auch in der Abfallwirtschaft gibt es akute Probleme und drängende Aufgaben. Das sind zum Beispiel die allzu verfeinerte Mülltrennung, die von einigen Haushalten genau befolgt wird und von anderen ignoriert wird, und die Vermüllung von Plätzen, Straßen und ganzen Vierteln, in denen sich die Ordnungskräfte nicht mehr durchsetzen können oder wollen. Es gibt die Sorge, dass Nordrhein-Westfalen nicht mehr über die nötigen Reserven für Deponieraum in den nächsten zehn Jahren verfügt.

Steigende Ansprüche an die Entsorgung von Abfällen und auch die wachsenden Mengen sprechen dafür, dass das Land für sich und die entsorgungspflichtigen Körperschaften Reservekapazitäten aufbauen muss. Im Haushaltsplan müsste sich dies in Rückstellungen niederschlagen.

Kommen wir zu einem „schönen“ Thema, zur sogenannten Dieselkrise: Die Umweltpolitik hat sich mit den Grenzwerten für Stickoxide und der Verpflichtung zur Aufstellung von Luftreinhalteplänen selbst ein Problem geschaffen – Brüssel sei Dank!

Eine praktische Lösung kann nach Auffassung der AfD-Fraktion darin bestehen, gravierende Maßnahmen, insbesondere Fahrverbote, so lange zurückzustellen, bis der absehbare Austausch der Bestandsfahrzeuge für eine Minderung der Emissionen und damit auch der Emissionswerte gesorgt hat. Dabei sollten Sie beachten, dass das Gesamtaufkommen an Stickoxiden in den letzten Jahrzehnten immer weiter abgenommen hat. Wenn ein Vertreter der Bezirksregierung Düsseldorf Dieselfahrverbote für unumgänglich hält, ist das nur ein Armutszeugnis der schwarz-gelben Landesregierung.

(Beifall von der AfD)

Kommen Fahrverbote in den Städten von Nordrhein-Westfalen – ich befürchte, das wird ziemlich sicher so sein –, dann ist das Ihr Versagen. Denn Sie sind nur allzu bereit über das grüne Stöckchen gesprungen.

(Lachen von den GRÜNEN)

Wir sind uns aber ganz sicher: Unsere Bürger werden Ihnen das zu danken wissen.

Die amtlich und medial immer bejubelte Lösung der Elektromobilität bringt uns überhaupt nicht weiter. Batteriebetriebene Fahrzeuge sind nicht nur zu teuer und von begrenzter Reichweite, sie beanspruchen auch das Stromnetz und würden viele neue Kraftwerke erfordern, und zwar konventionelle.

Ich erinnere daran, dass die Dieselmotoren in Schiffen, Lokomotiven, Baufahrzeugen, Lkw und Ackerschleppern unsere Wirtschaft in bewährter Form mit Energie versorgen. Da mögen Sie, Herr Rüße, abwinken. Ja, das gehört zur Wahrheit dazu.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ist nach unserer Auffassung weder nötig noch möglich.

Zum sogenannten Klimaschutz: Der sogenannte Klimaschutz ist zusammen mit der Energiepolitik dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen worden. Wie auch immer die Zuständigkeiten sind, die Landesregierung muss etwas gegen die ausufernden Kosten für den sogenannten Klimaschutz unternehmen.

Das betrifft vor allen Dingen die Ausgaben für die Anpassung an den Klimawandel, Klimamaßnahmen und regionale Klimaanpassungsmaßnahmen. Allein an der Aufzählung der Titelgruppen wird deutlich, dass die Ausgaben vielleicht dasselbe meinen, aber aus unterschiedlichen Töpfen stammen; ganz klar ist das allerdings nicht. Einerseits wollen Sie weiterhin für die Deindustrialisierung bezahlen, andererseits geben Sie Geld für sinnvolle Maßnahmen wie für den Hochwasserschutz aus. Ein klares Bekenntnis, was von beidem die Landesregierung mit unseren begrenzten Landesmitteln tun will, fehlt.

Für die Landwirtschaft wäre die verkündete Dekarbonisierung katastrophal. Deutschland würde agrarisch in das 19. Jahrhundert zurückfallen. Die derzeit noch mögliche Versorgung unseres Volkes mit Nahrungsmitteln wäre hinfällig.

Die AfD-Fraktion erwartet, dass Sie, Frau Ministerin, und die gesamte Landesregierung sich mit dem politischen und wirtschaftlichen Gewicht des Landes auch gegen diesen Teil der ideologischen großen Transformation wenden,

(Beifall von der AfD)

gerade weil die Rechtsfolgen der Klimahysterie nicht absehbar sind, wie wir es in dem Fall des peruanischen Kleinbauers gesehen haben.

Wir werden den Haushaltsplan ablehnen. Gleich sage ich gerne noch etwas zur Landesgartenschau.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dr. Blex für die Fraktion der AfD. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie sich so engagiert mit den Themen „Umwelt“, „Landwirtschaft“, „Naturschutz“ befasst haben. – Herr Rüße, seien Sie beruhigt, auch der Klimaschutz ist weiterhin im Haus vertreten, wenn auch nicht im Namen. Ich sage aber: In unseren Herzen haben wir den Klimaschutz bei den Themen natürlich dabei.

Der Einzelplan ist Ausdruck unseres Verständnisses von Maß und Mitte, von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Wir wollen nicht einfach alles nur zurückdrehen, sondern ruhig und konstruktiv nach vorn weiterentwickeln. Das machen wir mit den Menschen im Land und nicht gegen sie. Ein vernünftiger Dialog ist die Grundlage meiner Politik.

Wir müssen die Menschen ernst nehmen, sonst fühlen sie sich von der Politik ignoriert und alleingelassen. – Das war leider in der Vergangenheit viel zu häufig der Fall, Herr Stinka. Da arbeiten wir einiges auf.

Deshalb ist es wichtig, dass sich dies wieder geändert hat. Wir haben alle Geschäftsbereiche des Ressorts im Blick. Gerade diese Vielfalt macht es so spannend. Das zeigt sich auch im vorliegenden Haushaltsplan, mit dem wir deutliche Akzente setzen.

Ein wichtiger Punkt ist der Bereich des Hochwasserschutzes. Frau Winkelmann sagte es bereits: Mit zusätzlichen 16,7 Millionen € wollen wir mehr Sicherheit in den betroffenen Regionen schaffen, sei es beim Teilprojekt „Deichrückverlegung an der Lippe“ oder bei den anstehenden Deichsanierungen am Rhein. Die Deiche im Regierungsbezirk Düsseldorf sollen bis 2025 auf den heutigen Stand der Technik gebracht werden. Wir schaffen mit der Mittelerhöhung die finanzielle Unterstützung für Rückhalteräume am Rhein sowie für Hochwasserschutzmaßnahmen an anderen Flüssen und Bächen in NRW.

Insgesamt reden wir beim Haushaltstitel „Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Bodenschutz“ von über 2,4 Millionen €. Das ist ein deutliches Signal, dass wir die Gefahren erkannt haben und dass wir handeln.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein anderer Schwerpunkt unserer Ausgaben liegt bei Agrar- und Forstwirtschaft sowie beim Naturschutz und der Landschaftspflege. Zu nennen sind hier unter anderem die Förderung von Forst- und Holzwirtschaft, der Vertragsnaturschutz, aber auch die Förderung von Kleingärten oder das Insektenmonitoring, nicht zu vergessen die Landesgartenschau. – Daher gilt mein Dank den Fraktionen von CDU und FDP für ihren Antrag.

Die Landesgartenschauen haben in Nordrhein-Westfalen eine lange Tradition, es gibt sie seit mehr als 30 Jahren. Wir wissen, dass die Gartenschauen für Städte und Kommunen echte Konjunkturprogramme sind. Begeisterung pur war auch beim Bürgermeister, Herrn Bee, zu spüren, als wir vor Ort waren und uns die Bilder von vorher und nachher anschauen konnten. Das ist schon beeindruckend.

Dieses Erfolgsmodell wollen wir fortführen. Wir brauchen eine nachhaltige Absicherung der Landesgartenschauen. Es wäre schön, wenn es dazu wie in der Vergangenheit auch Konsens zwischen den Parteien gäbe und das unterstützt würde.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Aufstockung der Mittel für die Tierheime hervorheben. Die Arbeit der Heime ist wichtig und erfolgt leider oftmals unter schweren finanziellen Bedingungen. – Sie, Herr Stinka, haben leider nicht gut zugehört. Sie haben geredet, wir handeln – mit einem Plus von 1,0 Millionen € auf insgesamt 1,75 Millionen € für die Tierheime in unserem Land.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Rüße, Sie haben das 5-ha-Ziel genannt.

(Michael Hübner [SPD]: Das war ein Grundsatz! – Norwich Rüße [GRÜNE]: Grundsatz!)

Ja, Sie hatten es auf dem Papier, Sie haben es aber nicht umgesetzt.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Die CDU hat uns doch beschimpft! Das ist doch lächerlich!)

Wir wollen es nicht nur auf dem Papier haben, sondern wir wollen auch Lösungen anbieten. Daran arbeiten wir weiterhin.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ausführen. Die Stabsstelle Umweltkriminalität ist nicht weg. Ich weiß nicht, wer Sie da informiert hat. Wir haben sie in die Abteilungen 3 und 6 umgesetzt,

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

und zwar weil wir möchten, dass die Probleme mit den Fachleuten für Naturschutz und Lebensmittelsicherheit noch mal direkt diskutiert werden und dann zur Staatsanwaltschaft gehen. Wir handeln praxisnah, Herr Rüße.

Ich habe es Ihnen schon im Ausschuss erklärt: Das 100-Kantinen-Programm ist ausgelaufen, weil mittlerweile 100 Kantinen dabei sind. Wir wollen dieses Programm aber weiterentwickeln. Es ist nicht verschwunden, sondern es wird konstruktiv weiterentwickelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu tun. Mein Dank gilt allen Engagierteren im Bereich des Verbraucherschutzes, den Land- und Forstwirten, den Imkern, den Kleingärtnern, den Naturschützern, den unzähligen Menschen in den verschiedenen Bereichen und auch den Kolleginnen und Kollegen im Haus für ihre engagierte Arbeit. Packen wir es an!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze Föcking. – Wir sind damit am Ende der Aussprache zu Teilbereich a) Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz angelangt.

Ich rufe auf:

b) Verbraucherschutz

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD dem Abgeordneten Börner das Wort.

Frank Börner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung – das haben wir ja herausgearbeitet – steht öfter mal im Stau. Gerade bei dem Thema „Verbraucherschutz“ finden wir aber vielleicht doch die eine oder andere Parallele.

Wir freuen uns, dass der parteiübergreifende Konsens zur Unterstützung der Verbraucherzentralen auch von der Mitte-rechts-Regierung fortgeführt wird.

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh!)

Den gestiegenen Ausgaben, insbesondere im Bereich der Digitalisierung der Verbraucherzentralen, wird Rechnung getragen, indem der Haushaltsansatz erhöht wird. Dies begrüßen wir ausdrücklich.

Die Verbraucherzentrale erhält die notwendige Sicherheit, um ihre gute Arbeit in Zukunft fortzusetzen. Mit ihren 61 Beratungsstellen in NRW führt sie rund 850.000 Beratungsgespräche im Jahr. Hier wird dem Verbraucher geholfen, wenn der Handyvertrag unlauter ist, wenn beim Stromanbieterwechsel rechtswidrige Stolpersteine im Kleingedruckten stehen, bei unzulässigen Kreditverträgen, wenn es Ärger im Urlaub gab oder wenn allgemeine Rechtsberatung bei Ansprüchen gegenüber Produktanbietern benötigt wird.

Hinzu kommen vermehrte Sicherheitsfragen beim „Internet der Dinge“, wie es heute heißt. Immer mehr Haushaltsgeräte werden heute mit dem eigenen WLAN vernetzt. Produkte werden häufig unfertig ausgeliefert und erst nach einigen Updates wirklich fertig. Dies betrifft nicht nur Handys und Computer, sondern auch Fernseher oder sogar Toaster.

Damit entsteht immer wieder die Gefahr, dass das eigentlich sichere WLAN plötzlich ganz offen dasteht oder harmlose Geräte wie Kühlschränke erschreckende Dinge im Internet machen. Kleine Geräte, beispielsweise mit dem Namen Alexa, werden immer selbstständiger. Sie müssen so eingerichtet werden, dass sie nur das tun, was der Besitzer auch wirklich will. Hier ergeben sich neue interessante, im Einzelfall aber auch gefährliche Szenarien, in denen der Verbraucher beraten werden muss.

Erschweren will die neue Mitte-rechts-Regierung die Transparenz für den Verbraucher, indem die Hygieneampel für die Gastronomie wieder abgeschafft werden soll, obgleich die Erfahrungen in Duisburg und Bielefeld positiv sind und vom Verbraucher geschätzt werden. Damit unterstützen Sie den Schmuddelimbiss und schaden den Gastronomen, die ihren Laden im Griff haben und korrekt und hygienisch nach den Regeln der Kunst arbeiten –

(Beifall von der SPD – Henning Rehbaum [CDU]: Das sehen die Betriebe aber ganz anders!)

angeblich wegen des hohen Bürokratieaufkommens.

(Michael Hübner [SPD]: Deshalb wollen die ja schon veröffentlichen!)

Es soll parallel dazu ein freiwilliges System aufgebaut werden. Eine Frage: Was ist eigentlich aufwendiger, die Bewertung der ohnehin stattfindenden öffentlichen Kontrollen der Ordnungsbehörden zu veröffentlichen oder parallel dazu ein neues freiwilliges System aufzubauen?

(Henning Rehbaum [CDU]: Sie wollen doch nur die Kunden verunsichern!)

Das erschließt sich mir nicht. – Danke für die Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Börner, und Gratulation zur Punktlandung die Redezeit betreffend. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Scholz der Fraktion der CDU die Gelegenheit zu seiner ersten Rede. Bitte sehr, Herr Kollege.

Rüdiger Scholz (CDU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Verbraucherschutz betrifft jeden, und er ist ein ganz besonderes Anliegen unserer NRW-Koalition.

Unsere Welt wird schnelllebiger und häufig undurchsichtiger, zumindest wenn man manches Vertragswerk beim Handyabschluss oder für Versicherungen betrachtet. Hinzu kommt die Vielfalt der Angebote. Die Produktwelt wird zunehmend komplexer und komplizierter. Dabei spielt natürlich auch die voranschreitende Digitalisierung eine Rolle.

Wir wollen aber keine Bevormundung. Bei unserer Politik stehen die mündigen Bürgerinnen und Bürger im Zentrum. Dafür ist eine dezentrale Beratungslandschaft unerlässlich. Sie wird schon heute von vielen in Anspruch genommen.

Die Arbeit der Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur unabhängigen Beratung der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Dieses Netz der dezentralen Beratungsstellen möchten wir dort, wo die Kommunen es wünschen und mittragen, vervollständigen und ausbauen. Stabile Finanzen sind dafür eine notwendige Grundlage, und daher sind wir beim Blick in den Haushalt erfreut und begrüßen diesen ausdrücklich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Erhöhung der institutionellen Förderung der Verbraucherzentralen um 0,5 Millionen € auf nun 14,76 Millionen € ist ein wichtiges Signal. Mit unserem Änderungsantrag verstärken wir dies erneut. Damit werden der institutionellen Förderung der Verbraucherzentralen weitere 200.000 € zugeschlagen, um zielgerichtet die Herausforderungen der Digitalisierung angehen zu können. Der Haushaltsplan zeigt, dass wir an der Finanzierungsvereinbarung mit den Verbraucherzentralen festhalten.

Die Mittelerhöhung dient vor allem der Abdeckung gestiegener Personalkosten und damit der Sicherstellung einer wirkungsvollen Beratung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.

Wir werden den Dialog mit Experten und Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Vorbereitung und Umsetzung neuer Initiativen ausweiten. Schwerpunkte sind dabei die Chancen und Risiken der Digitalisierung im Alltag – vor allem in privaten Haushalten –, der bewusste und überlegte Umgang mit Lebensmitteln sowie die Finanz- und Verbraucherkompetenz. Wir möchten an der Seite der Menschen stehen.

Verbraucherschutz ist aber mehr als die Beratung durch die Verbraucherzentralen. Es geht auch um die Rahmenbedingungen.

Die sogenannte Hygieneampel wurde abgeschafft. Das Gesetz hat nämlich nur Scheintransparenz erzeugt. Wir brauchen aber Regelungen, die fair sind und nicht aufgrund ungeeigneter Daten zustande kommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ein Kernanliegen ist für uns auch die gesunde Ernährung. Die NRW-Koalition möchte diese fördern und die Ernährungsbildung stärken. Das Beratungsangebot in Form der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung NRW rund um eine gesunde und nachhaltige Ernährung in Kindertagesstätten und Schulen soll fortgeführt werden. Es ist wichtig, die Verbraucherinnen und Verbraucher bereits in jungen Jahren zu sensibilisieren.

Als weiteren Punkt möchte ich das EU-Schulprogramm nennen. Es fördert eine ausgewogene und gesunde Schulverpflegung mit Obst, Gemüse und Milch. Dieses Programm wird von Landesseite mit einer freiwilligen Finanzierung zusätzlich unterstützt, um die Durchführung und flankierende Maßnahmen weiterhin sicherzustellen.

Wir werden den Fokus insgesamt wieder stärker auf unsere Lebensmittel richten; denn wir benötigen wieder eine andere Wertschätzung unserer Nahrungsmittel. Für uns alle ist es selbstverständlich, dass wir nahezu zu jedem Zeitpunkt in einen Supermarkt gehen und unabhängig von der Saison alles erwerben können. Es ist für uns ein wichtiges Ziel, die Wertschätzung für unsere Lebensmittel zu erhöhen.

Dadurch soll auch eine Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und der Lebensmittelvernichtung bewirkt werden. 11 Millionen t Lebensmittel werden jedes Jahr in Deutschland weggeworfen. Hier müssen wir dringend sensibilisieren. Jeder Einzelne von uns kann einen Beitrag dazu leisten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Doch nicht nur die Endverbraucher sind gefragt, sondern die ganze Wertschöpfungskette. Gerade im Verbraucherschutz ist Weitblick entscheidend.

Unser Fazit: Verbraucherschutz hat bei uns einen wichtigen und hohen Stellenwert. Die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher liegen bei der NRW-Koalition in guten Händen. Ich freue mich darauf, diesem Haushalt zuzustimmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Scholz. Herzlichen Glückwunsch des Hohen Hauses zu Ihrer ersten Rede! – Jetzt hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erneut der Abgeordnete Rüße das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Norwich Rüße*) (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich fasse mich auch kurz.

(Rainer Deppe [CDU]: 16 Sekunden!)

Frau Ministerin, es reicht nicht aus, wenn Sie den Klimaschutz und den Verbraucherschutz in Ihrem Herzen tragen. Entscheidend ist, was die Landesregierung in den nächsten Jahren real umsetzt. Ich befürchte, dass bei Ihnen das Primat der Wirtschaft gegenüber der Ökologie dominieren wird. Wir werden in fünf Jahren gemeinsam feststellen, dass Sie nicht viel bewegt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rüße. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Haupt das Wort. Bitte schön.

Stephan Haupt (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wirksamer Verbraucherschutz ist ein wichtiger Bestandteil unseres Landes Nordrhein-Westfalen. Deshalb begrüßt die FDP-Fraktion ausdrücklich, dass die NRW-Koalition in diesem Haushaltsentwurf die Wichtigkeit auch durch die Ausgaben im Bereich der Verbraucherangelegenheiten wertschätzt und den Verbraucherschutz durch die Erhöhung des Mittelansatzes spürbar stärkt.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Digitalisierung ist eine große Chance für unser Land. Sie schafft neue Möglichkeiten, vereinfacht Abläufe und kann unser Land besser und schneller machen. Natürlich kommen aber mit der Digitalisierung auch Herausforderungen auf uns Verbraucher zu. Die zunehmende Digitalisierung der privaten Haushalte in Verbindung mit der Erfassung zahlreicher Daten bringt in Zeiten von Alexa, Siri und Co. nicht nur einen Vorteil für die Menschen, sondern sie bereitet manchem auch Unbehagen und Unsicherheit.

Umfragen und das tatsächliche Nutzerverhalten der Verbraucher aber belegen, dass die Menschen in unserem Land die Vorteile des digitalen Einkaufs wollen und auch gerne nutzen. Marie Curie sagte einmal: „Man braucht im Leben nichts zu fürchten, man muss nur alles verstehen.“ Es ist daher unsere Aufgabe, die Verbraucher gezielt zu beraten und zu informieren.

Wir wollen der Digitalisierung der Verbraucherwelt nicht mit Angst, sondern mit Wissen und Sachverstand begegnen. Gleichzeitig müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen, damit der Verbraucher vor Datenmissbrauch geschützt ist.

Heute stellen sich Fragen nach dem Datenschutz und nach dem Eigentum von Daten. Wem gehören eigentlich die Daten, die wir beim Einkaufen hinterlassen? Hierfür wollen wir zusammen mit den Verbraucherzentralen bei den Verbrauchern ein Bewusstsein schaffen.

(Beifall von der FDP und Daniel Sieveke [CDU])

Der digitale Einkauf 2.0 bedarf auch eines Verbraucherschutzes 2.0. Wir haben daher den Haushaltsansatz noch einmal um 200.000 € erhöht, um die Verbraucherzentralen zu befähigen, die Verbraucher auch zu digitalen Themen ausführlich und kompetent zu beraten.

Es geht eben heute nicht mehr primär um die Beschriftung einer Verpackung, sondern es geht darum, was und wo Alexa, Siri und Co. für uns zukünftig einkaufen. Es geht um transparente Algorithmen und nicht mehr primär um Schriftgrößen. Das sind die Fragen der Zukunft, auf die der Verbraucher Antworten haben möchte.

Ideologisch geprägte Anträge wie die der SPD im Rahmen des sogenannten Fipronil-Skandals, die Tierhaltungsformen auf den Eierverpackungen anzugeben, haben mit Verbraucherschutz aber leider überhaupt gar nichts zu tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Fipronil-Belastung der Eier wurde bekanntlich von einem kriminellen Subunternehmer bei der Stallreinigung ausgelöst. Dieser Subunternehmer hat Ställe aller Tierhaltungsformen gesäubert.

Hier wurde versucht, den Verbraucherschutz zu missbrauchen, um ideologische Ziele durchzusetzen und den konventionellen Produzenten zu schaden. Aber was Sie, meine Kollegen von der SPD, von der hiesigen Landwirtschaft halten, hat der Kollege Stinka ja vorhin ganz klar zum Ausdruck gebracht.

Gleiches gilt für das Bürokratiemonster Hygieneampel. Auch hier haben Sie versucht, dem Verbraucher eine Sicherheit vorzugaukeln, die es so gar nicht gibt. So konnte mir bis heute niemand erklären, was eine punktuelle Überprüfung, korrekte Abheftung und Buchführung mit den vor Ort tatsächlich vorhandenen Hygienebedingungen zu tun haben. Gerichte haben dies kritisiert. Wir haben es abgeschafft und werden es durch Besseres ersetzen, und das ist gut so.

(Beifall von der FDP und der CDU – André Stinka [SPD]: Das möchten wir sehen!)

– Das werden Sie auch sehen.

Getreu dem Motto „Bewährtes bewahren und weiterentwickeln“ werden wir das gut nachgefragte Beratungsangebot zur Kita- und Schulverpflegung fortführen und nötigenfalls ausbauen. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht ideologiefreie Verbraucherpolitik!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)

Daher begrüßen wir ausdrücklich, dass die NRW-Koalition nicht auf symbolische Projekte, sondern auf die Schaffung von Rahmenbedingungen und die Information sowie Schulung von Verbrauchern setzt, um die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen selbstbewusst und ohne Angst konsumieren können. Wir möchten die Bürgerinnen und Bürger nicht bevormunden, sondern ihnen durch unsere Politik eine selbstbestimmte Lebensweise ermöglichen. Das ist unser Anspruch.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Haupt. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex*) (AfD): Für eine Digitalisierung 2.0, 3.0, 4.0, 5.0, 6.0. 7.0, 8.0 brauchen Sie eines: elektrischen Strom. Den müssen Sie zuverlässig produzieren. Schauen wir mal, wie Sie das machen wollen, wenn Sie das fortsetzen, was Rot-Grün vorgemacht hat. Wir warten mal ab.

Liebe CDU-Fraktion und FDP-Fraktion, es freut uns, dass wir eine gemeinsame Linie zur Fortführung der Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen haben. Wir begrüßen selbstverständlich Ihren Antrag, wundern uns aber, warum Sie sich die Mühe eines Antrags gemacht haben. Sie sind jedoch jetzt Regierung. Im Haushaltsplan ist der Posten für die Fortführung bereits aufgeführt; Ihr Antrag ist somit vollkommen überflüssig. Das kennt man ansonsten nur von den Anträgen der Grünen, aber gut.

Wir sagen Danke dafür, dass Sie uns die Möglichkeit geben, uns klar zu der Landesgartenschau zu bekennen, aber gleichzeitig Ihren mutlosen und zaghaften Einzelplatz 10 abzulehnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Blex. – Ein Versäumnis möchte ich nachholen: Ich gratuliere dem Kollegen Haupt herzlich zu seiner ersten Rede hier im Hohen Hause.

(Allgemeiner Beifall)

Nun hat für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Verbraucherschutz deckt mein Haus einen Bereich ab, der besonders nahe am Alltag der Menschen ist.

Jeder von uns weiß: Die zunehmende Digitalisierung verändert unser Leben: Ein Kühlschrank erstellt Einkaufslisten, die Heizung wird teilweise vom Arbeitsplatz aus geregelt, und auch vor dem Kinderzimmer macht die Vernetzung nicht halt, Stichwort „Smart Toys“.

Für die Verbraucher klingt das in erster Linie nach Vereinfachung und mehr Komfort. Aber hier bieten sich nicht nur Chancen, es gibt auch Risiken. Als Mutter sage ich: Vernetzte Kinderspielzeuge dürfen nicht unkritisch gesehen werden. Wer die technischen Standards nicht kennt, lässt durch ungenügende Sicherheitseinstellungen vielleicht Dritte von außen auf das Kinderspielzeug zugreifen. Genau da setzt Verbraucherschutz an.

Die Bürger brauchen Informationen, um sich selbst und auch die Kinder zu schützen. Wir werden daher noch stärker in den Austausch von Erfahrungen und Standpunkten zur Digitalisierung des Verbraucheralltags einsteigen. Im Dialog mit den Beteiligten im Marktgeschehen geht es um die Fragen: Was kann Verbraucherschutz leisten? Welcher unabhängigen Informationen und Beratungsangebote bedarf es, um die digitale Marktentwicklung und insbesondere die Vernetzung der Privathaushalte aus Sicht des Verbraucherschutzes zu begleiten?

Ein Grundsatz lautet für mich: Der Mensch steht dabei im Mittelpunkt. Im Kern geht es darum: Welches Rüstzeug braucht der mündige Verbraucher, um seine Entscheidungen souverän treffen zu können?

Die Landesregierung baut weiterhin auf umfassende Informationen und verlässliche Beratung durch die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen – kompetent und anbieterunabhängig, mit regionalen und lokalen Anlaufstellen überall im Land. Durch entsprechende Titel im Haushaltsplan stärken und bauen wir diese Beratung aus.

Unser Haushaltsentwurf für 2018 sieht eine Erhöhung der institutionellen Förderung der Verbraucherzentralen um knapp eine halbe Million Euro vor, zu der durch den Haushaltsantrag von CDU und FDP weitere 200.000 € kommen. Damit wird einerseits das Kompetenzzentrum Verbraucherforschung aus der Projektförderung in die institutionelle Förderung überführt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Andererseits wird ein weiterer Aufschlag für die Arbeit der Verbraucherzentralen aufgenommen. Mit diesen zusätzlichen Finanzmitteln sichern wir Umfang und Qualität der vielfältigen Aufgaben der Verbraucherzentralen. Darüber hinaus werden wir das bundesweit vorbildliche Beratungsstellennetz der Verbraucherzentralen auch in NRW weiter ausbauen.

An dieser Stelle möchte ich denjenigen, die in den Verbraucherzentralen tagtäglich diese Arbeit leisten, ein Dankeschön aussprechen, weil wir sie nicht missen möchten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sowohl im Kreis Borken als auch im Kreis Gütersloh gibt es nach einer Angebotserweiterung der Verbraucherzentrale aktuellen Handlungsbedarf für jeweils eine volle Beratungskraft. Daher unterstützen wir gerne das finanzielle Engagement der Stadt Gütersloh und der Stadt Gronau mit dem notwendigen Landesanteil.

Gemeinsam können wir den Verbraucherschutz in NRW weiter verbessern. Ich lade Sie ein, daran mitzuwirken. Auch das Thema „Wertschätzung von Lebensmitteln und gesunde Ernährung“ – der Kollege Scholz sagte es bereits – spielt dabei eine Rolle.

Mit einer ergänzenden Landesfinanzierung von rund 2,8 Millionen € für das neue EU-Schulprogramm werden wir die Förderung einer ausgewogenen und gesunden Schulverpflegung unterstützen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir sollten möglichst viele Kinder an Obst, Gemüse, Milch heranführen und das Bewusstsein für gesundes Essen noch stärker vermitteln. Es lohnt sich. Ich habe in diesem Jahr schon einige Kinder in Schulen mit Schulgärten besuchen dürfen und kann nur sagen: Was unsere Kinder schon früh lernen und lieben lernen, das schätzen sie nachher ihr Leben lang. – Von daher freue ich mich auf die weitere Arbeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze Föcking. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache zum Teilbereich b) Verbraucherschutz.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1510, den Einzelplan 10 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen, sodass wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung kommen.

Wer der Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Das sind die drei fraktionslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell. Damit ist der Einzelplan 10 in zweiter Lesung in der Fassung der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1510 angenommen.

Ich lasse zweitens über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1435 abstimmen. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt, sodass ich über den Inhalt des Antrags abstimmen lasse.

Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen und der fraktionslosen Abgeordneten einstimmig angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zu:

Einzelplan 01
Landtag

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1501

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Einzelplan 01. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1501, den Einzelplan 01 unverändert anzunehmen. Somit lasse ich über den Einzelplan 01 selbst abstimmen und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer dem Einzelplan 01 seine Zustimmung geben möchte, darf ich um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Einzelplan 01 in zweiter Lesung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu:

Einzelplan 13
Landesrechnungshof

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1513

Eine Aussprache ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1513, den Einzelplan 13 unverändert anzunehmen. Somit stimmen wir nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Einzelplan 13 selbst ab.

Darf ich fragen, wer dem Einzelplan 13 seine Zustimmung geben möchte? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist auch der Einzelplan 13 einstimmig in zweiter Lesung angenommen.

Wir kommen zu:

Einzelplan 16
Verfassungsgerichtshof

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/15116

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Einzelplan 16 selbst, obwohl der Haushalts- und Finanzausschuss uns in der Drucksache 17/1516 empfiehlt, diesen Einzelplan unverändert anzunehmen.

Ich darf fragen, wer dem Einzelplan 16 seine Zustimmung geben möchte. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist auch der Einzelplan 16 einstimmig in zweiter Lesung angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachzuholen ist nunmehr die Abstimmung über den Einzelplan 20, in den wir bereits gestern in der Aussprache eingeführt haben. Hier liegt ein Änderungsantrag mit der Drucksachennummer 17/1552 vor.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1552. Ich darf fragen, wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Enthaltungen? – Das sind die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Ich lasse zweitens über den Einzelplan 20 abstimmen. Hier empfiehlt uns der Haushalts- und Finanzausschuss in Drucksache 17/1515, den Einzelplan 20 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Somit lasse ich über die Beschlussempfehlung abstimmen.

Wer der Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der Einzelplan 20 in zweiter Lesung in der Fassung der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1515 angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind alle Einzelpläne beraten.

Damit kommen wir zur Abstimmung über das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2018, auch Gemeindefinanzierungsgesetz 2018 genannt, und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes mit der Drucksachennummer 17/802. Ich weise auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses, Ihnen mit der Drucksachennummer 17/1517 vorgelegt, hin. Die Aussprache hierzu haben wir bereits gestern geführt.

Wir stimmen über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1517, den Gesetzentwurf Drucksache 17/802 unverändert anzunehmen, sodass wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst kommen und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/802 in zweiter Lesung angenommen.

Ich lasse zweitens abstimmen über das Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2018 – Haushaltsgesetz 2018 – mit der Drucksachennummer 17/800. Ich weise hin auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Haushalts- und Finanzausschusses Drucksache 17/1500. Die Aussprache hierüber haben wir ebenfalls im Rahmen der Generaldebatte geführt.

Wir stimmen auch hier über den Gesetzentwurf in der zweiten von drei Lesungen ab. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der vorgenannten Drucksache 17/1500, den Gesetzentwurf Drucksache17/800 in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses anzunehmen. Somit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und nicht über den Text des Gesetzentwurfs.

Wer der Beschlussempfehlung folgen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist das Haushaltsgesetz 2018 Drucksache 17/800 in zweiter Lesung in der Fassung der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1500 mit allen Anlagen angenommen.

Ich lasse drittens abstimmen über die Rücküberweisung des Haushaltsgesetzes 2018 Drucksache 17/800 und des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2018 Drucksache 17/802 an den Haushalts- und Finanzausschuss zur Vorbereitung der dritten Lesung.

Wer dieser Rücküberweisung zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Rücküberweisung einstimmig beschlossen.

Ich weise darauf hin, dass die dritte Lesung der Haushaltsvorlagen für die Plenarsitzungen am 17. und 18. Januar vorgesehen ist.

Kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt:

3   Überschuldete Kommunen finanziell handlungsfähig machen! Die Landesregierung muss die Initiative für einen kommunalen Altschuldenfonds ergreifen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1440

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Abgeordneten Dahm das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Einrichtung eines Altschuldenfonds, denn die Verschuldung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen beläuft sich nach dem aktuellen Kassenbericht für 2016 auf insgesamt 63,3 Milliarden €. Davon sind allein 26,5 Milliarden € Kassenkredite. Das konnten wir gerade dem aktuellen Bericht der Landesregierung entnehmen, den Sie vorgelegt haben. Rein rechnerisch ergibt sich somit für jeden Einwohner in Nordrhein-Westfalen eine Verschuldung von 3.545 €.

Die SPD hat die Bekämpfung der kommunalen Verschuldung in ihrer Regierungszeit zu einer zentralen politischen Aufgabe gemacht. Der von der damaligen SPD-geführten Landesregierung im Jahr 2011 auf den Weg gebrachte „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, der finanzschwachen Kommunen Konsolidierungshilfen in Höhe von 5,76 Milliarden € zur Verfügung stellt, hat die Kommunen vor einem finanziellen Absturz bewahrt und eine Stabilisierung der Kommunalfinanzen eingeleitet.

(Beifall von der SPD)

Heute wissen wir, meine Damen und Herren: Der Stärkungspakt wirkt.

In einem zweiten Schritt ist nun als Ergänzung zum Stärkungspakt die Einrichtung eines Altenschuldenfonds erforderlich.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Durch einen solchen Fonds würden die Kommunen von einem großen Teil ihrer Schulden befreit und – das ist ganz wichtig – auch von zukünftigen Zinsrisiken entlastet. Wir müssen diese Verschuldungsspirale beenden. Unsere Kommunen hätten damit wieder Handlungsspielräume für dringend erforderliche Investitionen in die Zukunft, in Bildung und Infrastruktur.

Bereits im Jahr 2014 haben wir in diesem Landtag einen ähnlichen Antrag gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht, der die Regelung der Altschuldenproblematik im Rahmen der damaligen Verhandlungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ermöglichen sollte. Dieses Modell hat sich aus unserer Sicht leider und bedauerlicherweise im Zuge dieser Bund-Länder-Verhandlungen nicht durchgesetzt.

Schauen wir aber in das Nachbarland Hessen. Dort ist kürzlich die sogenannte Hessenkasse eingeführt worden. Den hessischen Kommunen wird durch die Hessenkasse ab Juli 2018 die Übernahme ihrer Kassenkredite – das sind 6 Milliarden € – angeboten. Auch wir in Nordrhein-Westfalen müssen uns insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen, noch günstigen Zinsniveaus deutlich zum Problem der kommunalen Altschulden bei den Kassenkrediten positionieren.

Das Land Nordrhein-Westfalen und die Landesregierung müssen den Kommunen den Rahmen und die Sicherheit für das zu erwartende Zinsänderungsrisiko geben. Eine Lösung dieses Problems ist für viele Kommunen eine zentrale politische Frage, für einige sogar eine existenzielle Frage.

(Beifall von der SPD)

Für die meisten Kommunen ist dieses Finanzrisiko kaum zu beherrschen. Sie werden ohne begleitende Hilfen von Bund und Land nicht in der Lage sein, die Kredite aus eigener Kraft auszugleichen. Die Beseitigung der kommunalen Schuldenkrise ist eine gesamtstaatliche Aufgabe aller staatlichen Ebenen von Bund und Ländern. Hier haben wir eine Haftungsgemeinschaft als Land Nordrhein-Westfalen für unsere Städte und Gemeinden.

Dabei schlagen wir durchaus eine gemischte Finanzierung vor, an der sich der Bund beteiligen muss und für die auch Landesmittel bereitgestellt werden müssen.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Daher fordern wir in unserem Antrag die Landesregierung auf, ein Konzept für einen Altschuldenfonds zur Tilgung der Kassenkreditschulden der nordrhein-westfälischen Kommunen zu entwickeln und Gespräche mit der NRW.BANK, aber auch mit der Helaba zeitnah aufzunehmen.

Die kommunalen Spitzenverbände in Nordrhein-Westfalen sind sich ebenfalls einig in ihrer Forderung nach einem Altschuldenfonds für Kassenkredite – auch unter dauerhafter Beteiligung des Bundes. Wir wissen hier den Städte- und Gemeindebund, aber auch den Landkreistag an unserer Seite. Sowohl der Präsident – der ehemalige Präsident, muss man sagen – des Städte- und Gemeindebundes, Herr Ruthemeyer, Bürgermeister in Soest, als auch Herr Landrat Hendele – beide bringen wir, glaube ich, nicht mit der SPD in Verbindung – fordern das eindeutig.

Außerdem fordern wir die Landesregierung auf, sich flankierend für eine weitere Entlastung der Kommunen von den dynamisch wachsenden Sozialkosten einzusetzen. Ich denke auch, dass das unabdingbar ist, weil andernfalls insbesondere im Bereich strukturschwacher Städte und Gemeinden mit hohen sozialen Transferleistungen die Gefahr besteht, dass diese auf neue Kassenkredite zurückgreifen müssen.

Ich komme zum Schluss. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Lösung der Altschuldenproblematik hat für alle Kommunen die höchste Priorität. Ich appelliere daher an uns alle, gemeinsam einen Weg zu finden, die kommunalen Altschulden auf ein akzeptables Maß zurückzuführen.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dahm. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Schlottmann. Das ist Ihre erste Rede, zu der wir Ihnen alles Gute wünschen. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Claudia Schlottmann (CDU): Vielen lieben Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag der SPD zeigt wieder einmal, dass die SPD nicht in der Lage ist, sich mit neuen, besseren Konzepten auseinanderzusetzen und sich diesen anzuschließen. Sie halten an Lösungen von gestern fest

(Sven Wolf [SPD]: Die hessische CDU auch?)

und widmen sich noch dazu einem Problem, zu dessen Lösung Sie in den vergangenen Jahren wenig bis nichts Substanzielles beigetragen haben.

(Beifall von der CDU)

Unbestritten ist: Kommunale Liquiditätskredite bergen aufgrund des Risikos der Zinsänderung ein erhebliches Risiko für die Kommunen. Bislang hat das Programm „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ weder die Verschuldungssituation der Kommunen berücksichtigt noch einen Lösungsansatz für die kommunale Altschuldenproblematik geboten. Diese Altschuldenproblematik bedarf daher dringend einer Lösung, und derer wird sich die NRW-Koalition annehmen.

Flankierend zu einer Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik wird die NRW-Koalition eine Bundesratsinitiative einbringen, um vom Bund eine höhere dauerhafte und dynamische Beteiligung an den kommunalen Soziallasten zu erreichen. Auch das haben wir im Koalitionsvertrag bereits festgehalten.

Meine Damen und Herren, ich selber komme aus der Kommunalpolitik und beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit kommunalen Haushalten. Ich weiß sehr genau, wie schwierig es für Kommunen ist, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, und wie schwierig es für Kämmerer ist, wenn sie diesen Haushalt mit deutlich geringeren Einnahmen bewerkstelligen müssen.

Gleichzeitig ist es auch anstrengend und kompliziert für die Kollegen in der Kommunalpolitik, wenn sie den Bürgern vor Ort mal wieder deutlich machen müssen, warum es gerade nicht möglich ist, den Umbau der Umkleidekabinen durchzuführen, und warum diese Maßnahme wieder mal geschoben werden muss.

Dazu wurden durch die Abgaben im Rahmen des Kommunal-Solis die Haushalte in den betroffenen Kommunen, zu denen auch Städte in meinem Wahlkreis gehören, erheblich belastet. Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen: Natürlich haben diese Kommunen genau beobachtet, an welche Städte das Geld gegangen ist und was diese Städte damit gemacht haben; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Geld war nicht einfach übrig, sondern es musste massiv gespart werden, um dieses Geld an anderer Stelle zu erwirtschaften.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Lage, die wir beim Antritt der NRW-Koalition vorgefunden haben, war katastrophal. Wir arbeiten jetzt aber Schritt für Schritt daran, die Kommunen aus der Misere herauszuführen, und haben dafür im letzten halben Jahr schon einiges auf den Weg gebracht.

Wir haben Ihren Kommunal-Soli abgeschafft,

(Zuruf von der SPD: Da helfen Sie besonders den armen Kommunen, den ganz armen!)

weil wir zum ersten die gut wirtschaftenden Gemeinden

(Zurufe von der SPD)

nicht länger bestrafen wollen, und wir zum Zweiten mit dem neuen Gemeindefinanzierungsgesetz 2018 einen besseren Weg gefunden haben, die angespannte Situation der Kommunen zu entlasten. Für uns ist es wichtig, die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die schuldenfrei sind und bereits seit Jahren sparen, nicht länger mit enorm verschuldeten Kommunen in einen Topf zu werfen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Mein Gott!)

Wir müssen Lösungen finden, die den Kommunen ihrer finanziellen Situation entsprechend gerecht werden.

Damit zeigt die Nordrhein-Westfalen-Koalition von Anfang an, dass sie umsetzt, was sie versprochen hat. Nur starke Kommunen können große Herausforderungen meistern. Das Geld aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz ist ein guter Beitrag, um notwendige Zukunftsinvestitionen in Straßen, Schulen und Kindergärten vornehmen zu können. Dies sind nur die ersten Maßnahmen, und in den nächsten Jahren werden noch viele weitere Initiativen für die kommunale Familie folgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit will ich es für heute belassen. Wir werden im Ausschuss Gelegenheit haben, noch eingehend über die Zielführung und auch über die Sinnhaftigkeit Ihres Antrages zu diskutieren. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der FDP und Roger Beckamp [AfD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schlottmann, und Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Höne.

(Zurufe von der SPD: Er hat heute Morgen schon bei der Aktuellen Stunde geredet! Das können wir nie wieder aufholen!)

Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Gesichtsausdruck des Kollegen Mostofizadeh nach zu urteilen war er genauso überrascht, dass jetzt nicht er an der Reihe ist, sondern ich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ihr hättet ja im Duett reden können.

Henning Höne (FDP): Ich weiß nicht, ob das dann so einstimmig gewesen wäre.

Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, aber vielstimmig interessant.

Henning Höne (FDP): Möglicherweise aber auch schön.

(Zuruf von der SPD: Jeder hat nur ein Mikro!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie haben das Wort, nutzen Sie es.

Henning Höne (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion macht hier einen Vorschlag, das Thema der kommunalen Altschulden anzugehen – ähnlich dem, wie das unsere benachbarten Freunde in Hessen mit der sogenannten Hessenkasse getan haben. Im Kern fordern Sie damit – und hier ist dann auch die Vielstimmigkeit, die einsetzen muss – eine teilweise Vergemeinschaftung der Schulden, weil in der Hessenkasse zwei Drittel der Kosten entsprechend allgemein getragen werden.

Ich habe meine Zweifel, ob eine solche Lösung unmittelbar auf die breite Akzeptanz in der kommunalen Familie in Nordrhein-Westfalen stoßen würde oder ob nicht eher

(Sven Wolf [SPD]: Da haben Sie beim Gespräch mit den bergischen Kämmerern nicht zugehört, Herr Höne!)

der Bund und das Land in der Verantwortung sind; Sie haben ja den Vorschlag der Hessenkasse hier eingebracht. Bei der Problemanalyse liegen wir also näher beieinander als beim Lösungsansatz.

Wir haben aber auch schon erste Schritte unternommen, um das Problem anzugehen. Wir haben uns auch darauf verständigt – Kollegin Schlottmann hat es gerade angesprochen –, den Stärkungspakt zu einer kommunalen Kredithilfe weiterzuentwickeln, denn die Zeit ist – da sind wir wieder nahe beieinander – sicherlich günstig: sehr gute wirtschaftliche Rahmendaten und niedrige Zinsen.

Die Frage ist nicht, ob eine Zinswende kommt, ob irgendwann mal auch eine Konjunkturdelle kommt, sondern die Frage ist eben, wann sie kommen. Die aktuellen Zeiten sind sicherlich günstig. Darum wollen wir sie als Koalition auch nutzen. Parallel dazu sind aber auch andere Dinge zu tun.

(Sven Wolf [SPD]: Aber nur für die guten Schulden, nicht für die schlechten!)

– Die Frage, welche Schulden in ein solches Modell hinein müssten, ist natürlich schon sehr spannend. Ob man das jetzt so platt mit gut oder schlecht bezeichnen oder differenzieren kann, Herr Wolf, sei dahingestellt.

(Sven Wolf [SPD]: So haben Sie es benannt, Herr Höne!)

– Nein, das waren Ihre Worte. – Dafür lohnen sich dann ja möglicherweise die Beratungen im Ausschuss.

Ich will noch einen anderen Punkt hervorheben, den Herr Kollege Dahm auch angesprochen hat; er ist mir besonders wichtig: Wenn man das Thema Altschulden angeht, muss man zumindest bei einigen der großen Posten, bei den großen Kostentreibern in den Kommunen, ein bisschen Licht am Ende des Tunnels sehen. Im Idealfall ist das nicht der Zug, der von vorne kommt. Wenn wir das Thema anpacken, müssten wir gemeinsam natürlich schon den Anspruch haben, dass das dann auch wirklich nachhaltig funktioniert und man sich nicht zur Hälfte der Laufzeit einer solchen Geschichte überlegen muss, wie man einen neuen Fonds oder eine neue Kasse – wie auch immer das dann heißt – auflegt.

Herr Dr. Klein vom Landkreistag hat gerade zu den Soziallasten in der jüngsten GFG-Anhörung etwas gesagt: Das Wirtschaftswachstum läge bei etwa 2 %, die Soziallasten stiegen um 3 bis 5 %. Trotz der guten wirtschaftlichen Rahmendaten haben wir ein so großes Delta.

(Michael Hübner [SPD]: Hilfen zur Erziehung: 10 %!)

Wir müssen also bei den Soziallasten etwas tun. Wir müssen beim Bund etwas tun. Auch da hat die Kollegin Schlottmann schon unsere Initiative im Bundesrat angesprochen.

Es wäre darüber hinaus gut – weil sich die Finanzsituation der Kommunen in Nordrhein-Westfalen in den anderen Flächenländern so nicht wiederfindet, wo man in den meisten anderen Bundesländern auf große ungläubige Augen stößt, wenn man die Situation hier mal näher erläutert –, dass parteiübergreifend im Deutschen Bundestag alle Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen eine NRW-Lobby bilden und sich dafür stark machen, dass die Kommunen entlastet werden, dass es zu dynamischen Kostenbeteiligungen des Bundes bei den von ihm beschlossenen Gesetzen kommt.

Wir haben uns also schon auf den Weg gemacht, auch ohne diesen Antrag. Dieses Thema wird uns aber sicherlich in den nächsten Jahren begleiten. Ich halte es auch persönlich für eines der spannendsten Themen im Kommunalausschuss in den nächsten Jahren. Darum freue ich mich auf die weiteren Diskussionen und Debatten dazu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Höne. – Jetzt spricht für die grüne Fraktion Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Höne, ich fand Ihren Beitrag überaus nachdenkenswert und habe mich auch gefreut, dass Sie sehr analytisch herangegangen sind, weil ich doch einigermaßen erschreckt über das war, liebe Kollegen von der CDU, was Frau Kollegin Schlottmann vorgetragen hat.

Ich muss schon sagen: Es bedurfte einigermaßen hoher Anstrengungen, sich bei ihrer ersten Rede zurückzuhalten, weil ich nicht gedacht hätte, dass ausgerechnet die CDU im Moment auf einem Trip ist, die Kommunen in gute und schlechte Schuldenmacher zu unterteilen

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und zu bestreiten, dass das Problem der Altschulden eines der zentralen dieses Landes ist. Das hat Kollege Höne, auch wenn man in der Koalition natürlich immer etwas zurückhaltend sein muss, trotzdem sehr treffend analysiert, dass das so ist und dass wir uns dem stellen müssen.

(Sven Wolf [SPD]: Kollege Höne war etwas differenzierter!)

Dass wir die Altschulden bei den Kommunen absichern müssen, steht doch völlig außer Diskussion. Wir können uns allenfalls über die Instrumente unterhalten.

(Sven Wolf [SPD]: Das war die Idee unseres Antrags!)

Dass die FDP ein bisschen von Vergemeinschaftung spricht, ist ja völlig in Ordnung. Aber bestreiten, dass es so ist, wie es ist, können wir das meines Erachtens heute nicht mehr. Wir müssen es schlicht anpacken. Das ist meine erste Bemerkung.

Der zweite Punkt ist: Wir haben im Moment eine unfassbar günstige Situation, um die Altschulden anzugehen.

Zum einen haben wir die niedrigsten Zinsen aller Zeiten. Das ist für die Wirtschaft gar nicht unbedingt gut, aber es ist so, wie es ist. Man muss diesen Zeitpunkt bei einer guten konjunkturellen Lage und ganz niedrigen Zinsen nutzen. Man muss es vergemeinschaften, wenn Sie so wollen. Wir müssen es anpacken und sagen: Der Bund, der die höchste Bonität hat, gibt seine Bonität, um für 20 oder besser noch 30 Jahre null Zinsen zuzusichern. Dann können wir nämlich auch an die Tilgung gehen. Es wäre ein sehr kluger Schachzug, das hier ganz gemeinschaftlich und einheitlich aus diesem Hause zu signalisieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Im dritten Schritt können wir uns dann darüber unterhalten, wie wir es machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da unterscheiden wir uns auch durchaus von den Überschriften, die jetzt noch im SPD-Antrag stehen, aber das kann man doch in der Fachdebatte klären. Man kann doch klären, wie hoch der Anteil des Bundes bei der Frage der Tilgung ist. Man kann doch klären, wie der Anteil des Landes Nordrhein Westfalen ist.

Frau Kollegin Schlottmann, das will ich Ihnen mal sagen: Vielleicht unterhalten sie sich mal mit den CDU-Kollegen aus den Städten, die betroffen sind. Die Stadt Essen – da kenne ich mich ganz gut aus – hatte im Jahr 2010 noch ein Defizit von über 150 Millionen €. Jetzt hat sie einen ausgeglichenen Haushalt.

(Christian Loose [AfD]: Dank Schlüsselzuweisung!)

Oberbürgermeister dieser Stadt ist Thomas Kufen von der CDU. Die Stadt wird den Haushaltsausgleich in den nächsten Jahren ohne Landesgeld darstellen müssen. Das heißt, sie wird 150 Millionen € echtes Geld konsolidiert haben. Das müssen wir doch, verdammt noch mal, in diesem Landtag anerkennen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dann muss man die Ursachen bekämpfen. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Das sind die Soziallasten. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stellt man die Leute schlechter, was nicht unser Konzept wäre, oder man denkt darüber nach, dass der Bund seiner Verantwortung in größerem Maße nachkommt. Ich hatte bis vorhin noch gedacht, an dieser Stelle seien wir uns einig. Das haben wir als Landtag auch schon zweimal einstimmig dokumentiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich kann Sie nur dringend auffordern, dieses Fundament an Gemeinsamkeiten nicht zu verlassen und gemeinsam nach vorne zu gehen; sonst bekommen wir ganz andere Probleme im Bereich der Kommunalfinanzierung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Frau Kollegin Schlottmann hat tatsächlich den Satz gesagt – zumindest sinngemäß habe ich ihn so in Erinnerung –, dass es Kommunen gibt, die schlecht gewirtschaftet haben, und Kommunen, die gut gewirtschaftet haben; deshalb müsse man hier differenzieren.

Frau Kollegin, das wird so sein. Aber das entscheidende Faktum ist, dass 90 % bis 95 % der Unterschiede ganz allein durch die Strukturunterschiede zu erklären und nicht darauf zurückzuführen sind, dass man irgendwann einmal ein Schwimmbad mehr oder weniger finanziert hat. Die Ursache liegt darin, dass diese Städte verdammt hohe Soziallasten haben – wegen des Strukturwandels, wegen hoher Arbeitslosigkeit.

Diesen Städten müssen wir helfen und nicht auf sie einprügeln. Das ist ein völlig falsches Konzept!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das hat früher einmal Horst Engel für die FDP hier im Landtag vertreten. Davon sind die Freien Demokraten heute Lichtjahre entfernt. Bitte fallen Sie nicht hinter die Freien Demokraten zurück, die heute einen, wie ich finde, sehr klugen Beitrag …

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Herr Höne, ich habe Sie lange genug gelobt.

(Heiterkeit)

Sie brauchen gar keine Zensuren von mir, um da kein Missverständnis aufkommen zu lassen. – Das darf uns doch nicht mehr trennen. Wir müssen uns der Aufgabe stellen. Deshalb halte ich den Antrag der Sozialdemokraten für klug. Wir sollten uns der Sache widmen und dann die Instrumente diskutieren. Deswegen stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss natürlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Mostofizadeh. – Für die AfD spricht Herr Beckamp.

Roger Beckamp (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Altschulden – dieser Begriff wird hier immer völlig unumwunden benutzt. Aber was sind denn Altschulden? Ist das irgendetwas Schlechtes, um mit Herrn Höne zu sprechen, etwas Abundantes, etwas, das irgendwie weg muss, so wie Altparteien? Was sind Altschulden?

(Heiterkeit von der AfD)

Altschulden sind genauso Schulden wie neue Schulden, die noch kommen. Sich den Kopf zu machen, nach dem Motto: „Na ja, die sind irgendwie anders als andere Schulden, die müssen wir jetzt beseitigen“, das kann es nicht sein. Sie müssen darauf schauen, welchen Anreiz Sie schaffen – je nachdem, welches Modell Sie wählen, wenn Sie etwas tilgen wollen –, dass wieder neue Schulden entstehen, also die Altschulden von morgen. Genau darüber müssen wir konkret reden: Welchen Anreiz schaffe ich, keine oder weniger Schulden zu machen?

Sie reden davon, dass viele Städte und Kreise für die meisten ihrer Schulden nichts könnten. Meine Erfahrung aus Köln – Herr Petelkau, darin werden Sie mir vielleicht zustimmen – ist die: Köln kann sehr wohl etwas für seine hohen Schulden. Sich ein Schauspielhaus für mehrere 100 Millionen € zu leisten, das immer noch nicht fertig wird, mehrere Museen zu bauen und, und, und – das sind genau die Großbaustellen, auch in finanzieller Hinsicht, die einen Anreiz böten, dass solche Städte nicht einfach aus dem Sumpf ihrer Schulden – Altschulden, wie Sie es nennen wollen – gezogen werden.

Wir freuen uns darauf, darüber zu diskutieren, welches Modell auch einmal Anreize in die richtige Richtung schafft, und stimmen der Überweisung in den Ausschuss natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Beckamp. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach*), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die 63,3 Milliarden € Gesamtverschuldung der nordrhein-westfälischen Städte und Gemeinden zum 31. Dezember 2016 beinhalten natürlich auch – das wissen Sie – die Schulden, die in den aus dem Kernhaushalt ausgegliederten Einheiten stecken. Dies umreißt das Problem, stellt es aber ein bisschen anders dar.

Die Städte und Gemeinden hatten zum Jahresende 2016 Liquiditätskredite in Höhe von insgesamt 26,5 Milliarden € in den Kernhaushalten. Wir stellen zum Ende des ersten Halbjahres 2017, zum 30. Juni, eine leichte Verringerung der Liquiditätskredite um 20 Millionen € fest. Das ist, offen gesagt, nichts.

Wenn man sich anschaut, woher diese Veränderung rührt, dann stellt man fest, dass sich eine leichte Entschuldung bei den umlageberechtigten Verbänden, bei den Landschaftsverbänden und bei den Kreisen ergeben hat. Wir verzeichnen aber allein im ersten Halbjahr, vom 31. Dezember 2016 bis zum 30. Juni 2017, einen weiteren Anstieg von Liquiditätskrediten bei den kreisfreien Städten und bei den kreisangehörigen Gemeinden in Höhe von 148 Millionen € auf inzwischen 25,9 Milliarden €.

Ich glaube, es ist unbestritten, wenn wir sagen: Wir widmen uns im Besonderen diesen Liquiditätskrediten, weil diesen in der Regel kein geschaffenes Vermögen gegenübersteht. Zweifellos ist die Frage wesentlich – das hat diesen Landtag immer umgetrieben –: Was machen wir im Besonderen mit Zinsänderungsrisiken, die ja auch irgendwann eintreten?

Sie wissen, die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe zieht nach hinten heraus langsam an. Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, ihr Anleihenaufkaufprogramm langsam zu reduzieren. Die Fed in den Vereinigten Staaten leitet langsam eine Zinswende ein. Daher müssen wir uns schlicht und ergreifend alle mit der Frage auseinandersetzen, wie wir diese Zinsänderungsrisiken in den kommunalen Haushalten angehen.

Die eine Frage ist, inwieweit wir die Zinsänderungsrisiken abtriggern. Die zweite Frage jedoch lautet: Inwieweit sind denn die Kommunen tatsächlich in der Lage, die Liquiditätskredite zurückzuführen?

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen – ich glaube, das war die übereinstimmende Auffassung der demokratischen Parteien –, dass im Wesentlichen unverändert die Sozialleistungen die Verschuldung treiben. Deswegen treten wir natürlich auf der Bundesebene dafür ein, dass sich der Bund dynamisch an den Sozialleistungen und -lasten beteiligt. Das ist nichts Neues; das steht im Koalitionsvertrag, das ist auch hier im Landtag verabredet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben ja – jetzt schaue ich einmal die Kolleginnen und Kollegen von der SPD an – ab dem neuen Jahr gemeinsame Sondierungen.

(Sven Wolf [SPD]: Machen Sie uns keine Angst! Ging das so schnell? – Heiterkeit bei der SPD)

Insofern denke ich, dass auch der Impetus aus der nordrhein-westfälischen Sozialdemokratie auf der Bundesebene zur Anwendung kommen wird.

Gestatten Sie mir trotzdem noch ein paar Hinweise. Ich erinnere an den Stärkungspakt, den Sie im Jahr 2011 auf den Weg gebracht haben. Sie sind damals, als Sie die Landesregierung gebildet haben, angetreten und haben gesagt: Wir wollen uns dem Aufwuchs der Liquiditätskredite widmen. – Als Sie damals den Stärkungspakt vorgelegt haben, war die Zielrichtung des Stärkungspakts auf den Ausgleich der Ergebnisrechnungen fokussiert, weil Sie selbst gemerkt haben: So ganz funktioniert es im Landeshaushalt nicht – wenn ich das mal vorsichtig formulieren darf. Das ist aber kein Anwurf.

Sie haben gerade formuliert, die Städte brauchen Investitionskapazität. – Die Städte und Gemeinden werden bis 2022 mehr als 9 Milliarden € an Investitionsmitteln zur Verfügung haben.

Die Herausforderungen für die Städte und Gemeinden sind die Mittel für konsumtive Zwecke. Das ist die Herausforderung. Die Investmittel stehen zur Verfügung. In großen Teilen besteht die Herausforderung darin, dass derzeit die Investitionsmittel nicht in dem Maße abgebaut und verbaut werden können, wie es eigentlich sowohl vonseiten des Bundes als auch des Landes vorgesehen ist. Auch damit werden wir uns beschäftigen.

Sie merken: Ja, wir haben uns zwischen CDU und FDP verabredet, uns sehr dezidiert mit der Altschuldenthematik und den Zinsänderungsrisiken auseinanderzusetzen. Wir werben genauso auf der Bundesebene für eine höhere Beteiligung des Bundes an den verschiedenen Sozialleistungen, weil es uns darum geht – ich glaube, das eint uns wieder –, die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden für die Zukunft zu stärken.

Das soll nicht nur im Rahmen der Ergebnisrechnung so sein – hierzu werden wir bereits nächstes Jahr auf Sie zukommen –, sondern auch bei der Finanzrechnung und dem Aufbau – im Idealfall auch dem Abbau – von Liquiditätskrediten.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Es kann nicht befriedigen, wenn wir zum Halbjahresende, 30. Juni 2017, zwar einen leichten Abbau um 20 Millionen € haben, wir aber feststellen müssen, dass gerade die kreisangehörigen und die kreisfreien Städte in sechs Monaten noch einmal über 100 Millionen € aufgesattelt haben, und dieser leichte Rückgang letztendlich aus den umlageberechtigten Verbänden resultiert.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Insofern freuen wir uns auf die Diskussion. – Ich darf Ihnen zum Abschluss ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch wünschen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Scharrenbach. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1440 an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend –, sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Atomausstieg konsequent umsetzen! Schnellstmögliche Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau

Antrag
der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1432

Die Aussprache ist eröffnet. – Es spricht Frau Brems für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Atomenergie in Deutschland hat eine lange und bewegte Geschichte. Nach jahrzehntelangen Protesten gelang 2000 der erste Atomkonsens, leider gefolgt von einem Zurückdrehen durch die schwarz-gelbe Koalition. Die 180-Grad-Wende im Nachgang zum Unglück in Fukushima im Jahr 2011 brachte dann den endgültig beschlossenen Atomausstieg mit dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke bis Ende 2022.

(Andreas Keith [AfD]: Schlimm genug!)

Leider gab es bei diesem Atomausstieg immer einen Wermutstropfen; denn die zur atomaren Brennstoffkette gehörende Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen wurden dabei leider nicht bedacht. Ein deutscher Atomausstieg ist aber nur dann konsequent und vollständig, wenn auch diese Anlagen keinen Beitrag mehr zur Nutzung der Atomenergie leisten.

Manchmal weiß man schon vorher, was hier in der Replik als Nächstes kommt; deswegen sage ich gern schon an dieser Stelle: Es gab einen jahrelangen Streit darüber, ob und wie eine Schließung der genannten Fabriken überhaupt gelingen kann. Wir Grünen haben uns eben nicht erst jetzt, sondern schon lange auf allen Ebenen genau dafür eingesetzt. So bin ich sehr froh, dass sich beispielsweise der damalige Minister Remmel dafür eingesetzt hat, dass überhaupt Rechtsgutachten zur Umsetzbarkeit vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben wurden.

Jetzt sind diese Gutachten da. Sie zeigen, dass die Schließung wohl verfassungskonform und sogar entschädigungslos möglich wäre, wenn entsprechende Übergangsfristen vereinbart würden.

In den vergangenen Jahren wurde die Mehrheit in diesem Haus, die für den Atomausstieg war, und die sich auch über die Grenzen hinweg für die Schließung von gefährlichen Atomreaktoren eingesetzt hat, immer breiter. Das war gut so. Leider gibt es in letzter Zeit andere Entwicklungen.

Das störanfällige belgische Atomkraftwerk in Tihange bezieht Brennelemente aus Lingen, für die das dafür notwendige Uran in Gronau aufbereitet wird. Leider ist der Herr Ministerpräsident aktuell nicht hier. Wenn er die Forderung nach einer schnellen Schließung von Tihange wirklich ernst meinen würde, müsste er sich auf Bundesebene auch für die Schließung der Anlage in Gronau einsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Leider haben wir in den letzten Tagen andere Töne vernommen. Ich finde es wirklich schäbig, wenn Ministerpräsident Laschet die nordrhein-westfälischen Braunkohlekraftwerke als Ersatz für die „Bröckelreaktoren“ in Belgien ins Spiel bringt, die wir gemeinsam schnellstmöglich abgeschaltet sehen möchten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der AfD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP] – Zuruf von Minister Dr. Joachim Stamp)

– Sehr schön, Herr Stamp, dass Sie hier reinrufen. – Das hat etwas mit Physik zu tun. Das erkläre ich Ihnen gern noch einmal.

Braunkohlekraftwerke laufen aktuell bereits permanent durch. Sie müssen mir einmal erklären, wie ein Kraftwerk, das schon 100 % bringt, noch mehr liefern soll. Das funktioniert einfach nicht.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Sie können also gar nicht als Ersatz für das dienen, was Sie gern hätten. Es geht genau darum, Belgien beim Atomausstieg kurzfristig mit erneuerbaren Energien und Gaskraftwerken zu unterstützen, die in den Niederlanden und bei uns nur auf solche Ein-sätze warten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

– Genau. Diese Gaskraftwerke laufen gar nicht. Das haben Sie gut erkannt. Das ist etwas, weswegen sie als Ersatz eingesetzt werden können.

(Zurufe)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, kein Bergsteiger dreht 50 m unterhalb des Gipfels um. Aber Herrn Laschet geht jetzt schon die Luft aus. Atmen Sie noch einmal tief durch. Das letzte Stück des Weges sollten wir gemeinsam schaffen.

Daher fordere ich Sie auf: Seien Sie konsequent in Ihrem Anti-Atomkurs und setzen Sie sich dafür ein, dass die Anlage in Gronau schnellstmöglich geschlossen wird. Dann würde das zu Ihren sonstigen Aussagen passen. Deswegen bitten wir auch um Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Un-trieser.

Dr. Christian Untrieser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es dauert nur noch ein paar Stunden, bis der Landtag in die Weihnachtspause geht. Wir hatten heute Morgen schon eine wunderschöne Andacht. Danach war es im Plenum vielleicht nicht mehr ganz so weihnachtlich, wie man sich das so vorstellt.

Bei Weihnachten denke ich an Ruhe, an Gelassenheit, an Besinnung, vielleicht auch an Frieden. Daher wundert mich der Antrag der Grünen ein bisschen, weil Sie sich darin von dem Frieden und der Einigkeit, die wir bisher in diesem Haus hatten, ein bisschen entfernen.

Es gab erstens vor ungefähr einem Jahr einen Antrag aller Fraktionen, die in diesem Haus vertreten waren, die sich für die Abschaltung des Reaktors Tihange eingesetzt haben.

Wir hatten zweitens am 5. April dieses Jahres einen Antrag von CDU und FDP, in dem die Bundesumweltministerin aufgefordert wurde, bereits genehmigte Brennelementlieferungen nach Belgien zurückzunehmen und sich für die Schließung von Tihange einzusetzen.

Im gleichen Antrag haben CDU und FDP gefordert, dass sich die Landesregierung für einen dauerhaften Stopp aller Brennelementlieferungen nach Tihange und Doel einsetzt.

Wir hatten drittens vor gerade zwei Monaten einen Antrag hier – auch von Ihrer Fraktion getragen –, mit dem wir uns erneut für die Schließungen dieser beider Reaktoren in Belgien eingesetzt haben.

Viertens: Die Landesregierung führt Rechtsstreitigkeiten, und zwar vor der EU-Kommission, vor den Vereinten Nationen, vor dem höchsten belgischen Verwaltungsgericht, vor einem belgischen Zivilgericht und vor dem belgischen Staatsrat.

Fünftens: Ministerpräsident Armin Laschet erklärte am 16. Dezember dieses Jahres im „Kölner Stadt-Anzeiger“ – ich zitiere –:

„Der Pannenreaktor Tihange ist eine Gefahr für das gesamte Rheinland. Die neue Bundesregierung muss sich für eine Abschaltung stärker engagieren als bisher.“

Insofern besteht eigentlich bei vielen Abgeordneten, bei vielen Parteien große Einigkeit. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie diese gemeinsame Linie jetzt verlassen. Was Sie heute vorlegen, ist alter Wein in neuen Schläuchen, das ist eine Nebelkerze, das ist mal wieder der typische Populismus, den Sie herausholen, nicht nur bei der Braunkohle und der CO-Pipeline. Das ist das Spiel, das Sie immer spielen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Damit werden Sie den Menschen in der Region nicht gerecht, die Angst haben, die in Sorge sind. Das ist nicht das, was die Menschen brauchen.

Aus welchen Gründen werden wir Ihren Antrag noch ablehnen? – Sie haben es zum Teil angesprochen, Frau Brems. Nicht gesagt haben Sie allerdings, dass Belgien bei der Stromversorgung einen Anteil von fast 50 % Atomstrom hat. Belgien ist auch ein Industrieland. Wenn wir die Atomkraftwerke in Belgien abschalten wollen, können wir nicht einfach gegen alle Vernunft fordern, dass die Kraftwerke sofort vom Netz gehen sollen, sondern dann müssen wir den Belgiern auch helfen – weil wir nicht einfach so aus Atom und Kohle aussteigen können, wie Sie das immer so gern fordern –; dann müssen wir auch konkret sagen, wie das geht.

Deswegen ist der richtige Weg, den die Landesregierung auch geht, die Vollendung der Stromtrasse nach Belgien, die hoffentlich in zwei, drei Jahren am Netz sein wird. Erst dann wird ein schnellstmöglicher Atomausstieg in Belgien möglich sein. Wir tun gleichzeitig etwas für die Sicherheit des Versorgungssystems und für den europäischen Strombinnenmarkt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Ich hoffe, dass wir uns darauf einigen können. Es muss auch nicht unbedingt Braunkohlestrom sein, wie Sie das gerade gesagt haben; denn letztlich haben wir in Deutschland einen großen Strom-Mix. Gestern sind Zahlen des BDEW herausgekommen, wie die Stromversorgung in Deutschland 2017 aussieht.

Erneuerbare Energien haben wieder stark zugelegt und liegen mittlerweile bei 36 %. Gaskraftwerke usw. sind sicherlich eine Option, die weiter hinzukommen muss. Insofern ist die Vollendung des Energiebinnenmarktes auf jeden Fall ein großer Gewinn, und nur damit helfen wir den Belgiern beim Atomausstieg.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von den GRÜNEN)

Ich möchte wieder ein bisschen weihnachtlich werden. Bald hören wir die Weihnachtsgeschichte, und da heißt es im Lukasevangelium: „Frieden den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!“ Ich hoffe, Sie zeigen bald wieder mit uns zusammen den guten Willen; dann gehen wir in ein schönes neues Jahr 2018.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das haben wir auch ohne Ihre Wünsche, Herr Kollege! Vielen Dank!)

Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Untrieser. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will die vorweihnachtliche Stimmung jetzt nicht kippen oder etwas Entgegenstehendes dazu sagen. Für uns als SPD ist klar, dass der Atomausstieg besiegelt ist. Ich habe aus den Worten von Herrn Untrieser ganz leichte Zweifel daran vernommen. Ich hoffe, dass es in diesem Hause Konsens bleibt,

(Henning Rehbaum [CDU]: Hochgradiger Unsinn, was Sie da erzählen!)

dass der Atomausstieg sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch im Land Nordrhein-Westfalen besiegelt ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich muss schon sagen, dass mich solche Worte etwas verwundern. Selbstverständlich können wir hier zusammen mit Karl Schultheis eine Debatte über die Hilfe für die belgischen Kollegen, für die Abschaltung von Tihange diskutieren. Wir haben das ja auch schon ein paarmal gemacht. Selbstverständlich können wir das tun.

Das hat etwas mit der ALEGrO-Leitung zu tun – Herr Untrieser, insofern haben Sie recht –, die bis heute nicht vollendet ist, und die im höchsten europäischen Planverfahren befindlich gerade auf dem Weg ist, genehmigt zu werden.

Sie wissen aber, dass wir auch dann nicht über eine Leistungskapazität von mehreren GWh sprechen, sondern nur von einer GWh, die wir dort maximal durchbekommen. Das ist eine Gleichstromleitung; das sollten Sie vielleicht auch kennen. Sie sind ja früher einer Beschäftigung nachgegangen, die im Bereich des VKU lag und damit relativ nah an der Thematik ist.

Wir sind den Belgiern zur Hilfe verpflichtet, das ist keine Frage. Dennoch geht es beim Antrag der Grünen um einen richtigen Sachzusammenhang, der im Kern im Beschlussteil aufgeworfen wird. Es geht nämlich um Gronau und die dortige Urananreicherung. Selbstverständlich erinnert sich die Sozialdemokratie an den alten Koalitionsvertrag, den wir mit Ihnen beschlossen haben. Es ist doch klar, dass wir dazu keine andere Positionierung einnehmen. Daher ist das natürlich absolut zustimmungsfähig.

(Frank Sundermann [SPD]: Überraschung! – Wibke Brems [GRÜNE]: Geht doch! Weil Weihnachten ist!)

Frau Brems hat richtigerweise vorgetragen, dass es seitens des Bundesumweltministeriums auch neuere Gutachten zu diesem Thema gibt. Eines stand dabei immer im Vordergrund: die rechtssichere Ausgestaltung, um sich von der Urananreicherung in Gronau zu trennen. Darum muss es gehen, weil wir als Land – das will ich für uns erklären, und ich hoffe, in diesem Zusammenhang auch für die Grünen – eben von den atomtreibenden Unternehmen in der Bundesrepublik und darüber hinaus keine Forderungen in Milliardenhöhe haben wollen.

Das Ganze muss rechtssicher ausgestaltet werden. Die bestehenden Gutachten machen in der Tat Mut, dass das offensichtlich und offenkundig leistbar sein kann. Es kann aber nicht sein, dass wir als Land gegenüber denjenigen entschädigungspflichtig werden, die die Urananreicherung dort noch ein paar Jahrzehnte betreiben wollen.

Deshalb sagen wir Ja zum schnellstmöglichen Ausstieg. Ich denke aber, Frau Brems ist jetzt nicht so naiv, dass sie glaubt, der schnellstmögliche Ausstieg könne schon nächste Woche sein. Wir unterstützen das Ziel ausdrücklich, dass der schnellstmögliche Ausstieg in den nächsten Jahren und wahrscheinlich Jahrzehnten zu erzielen ist. Von daher stimmen wir dem Antrag sehr gerne zu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hübner. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor der Heiligen Nacht möchte die grüne Fraktion hier ihr atomares Gewissen noch einmal reinwaschen. Das ist interessant. Ihr Antrag fordert etwas, was Sie selbst in Ihrer Regierungsverantwortung mal wieder nicht umgesetzt haben, und das soll jetzt die neue Regierung richten.

Neu ist nur, dass es jetzt seit der schönen Abwahl zwei neue Gutachten gibt, auf die Sie sich beziehen, die Sie aber in Ihrem Antrag bewusst verkürzt, um nicht zu sagen: falsch, wiedergeben. Hiermit wollen Sie suggerieren, dass die Urananreicherungsanlage entschädigungslos beendet werden kann. Das steht in dem Text. Den zweiten Teil des Satzes haben Sie aber bewusst weggelassen. Dort steht: soweit sie ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellt.

Das ist bei der Urananreicherungsanlage in Gronau nämlich nicht der Fall. Diese hat in der Vergangenheit alle Stresstests bestanden. Deshalb wird man es, wenn man dort früher aussteigen will, nach derzeitiger Lage nicht entschädigungslos hinbekommen, so wie Sie es in Ihrem Antrag suggerieren.

Das Thema ist insgesamt auch nicht neu. Der Kollege Untrieser hat eben schon einiges aufgeführt. Ganz konkret die Urananreicherungsanlage in Gronau war bereits Thema im Plenum; ich konnte mich daran erinnern. Zuerst dachte ich, ich hätte selbst dazu gesprochen; das war aber nicht der Fall. Es gab einen Antrag der Fraktion der Piraten, Frau Kollegin Brems, und zwar im Jahr 2013. Dieser Antrag hatte eine ähnliche Überschrift. In Ihrem Antrag heißt es:

„Atomausstieg konsequent umsetzen! Schnellstmögliche Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau.“

Der Antrag der Piraten titelte:

„Urananreicherungsanlage in Gronau schließen, alle Atomanlagen in NRW sofort stilllegen.“

Das war also etwas ambitionierter als bei Ihnen, hatte aber dieselbe Zielrichtung. Da hat es mir, ehrlich gesagt, Freude gemacht, noch einmal im Protokoll nachzulesen, was an dieser Stelle Ihr geschätzter Kollege Hans-Christian Markert damals gesagt hat. Er hat nämlich diesen Antrag der Piraten damals mit dem Satz abgelehnt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Ihr Antrag, liebe Piratinnen und Piraten, und Ihre Kritik richten sich also an den falschen Adressaten.“

Meine Damen und Herren, dem schließe ich mich mit weihnachtlichen Grüßen gerne an.

Ihr Antrag, liebe Grüninnen und Grüne, und Ihre Kritik richten sich also an den falschen Adressaten. Deshalb lehnen wir Ihnen heute auch ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Kollege Brockes, würden Sie noch eine Zwischenfrage zulassen, die gerade im Moment hereinkam?

Dietmar Brockes*) (FDP): Nein, wir sind jetzt gut in der Zeit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Ganz wie Sie wünschen, keine Zwischenfrage. Vielen Dank für Ihre Rede.

(Beifall von der FDP und der CDU )

Als nächster Redner spricht nun Herr Loose für die AfD-Fraktion.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadt Gronau ist eine lebendige Stadt im Münsterland, mit einer sehr langen Geschichte, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht.

Doch seitdem in Gronau die einzige Urananreicherungsanlage in Deutschland betrieben wird, werden der Betreiber und diese Stadt zum Opfer einer grünen Grundsatzkritik. So gefährden auch immer wieder Antikernkraft“aktivisten“ sich und andere, indem sie sich an das Gleisbett festketten, wie zuletzt am 6. Oktober 2017 geschehen, und nach ihrer Befreiung sogar notärztlich versorgt werden mussten.

Für genau diese Klientel ist der Antrag der Grünen zur Schließung des Betriebs in Gronau geschrieben.

(Beifall von der AfD)

Es geht nicht mehr nur um den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung einer Grundkraft der Physik, sondern auch um den vollständigen Verzicht rund um diese Technologie. Dieser Verzicht soll durch Angst, Panikmache und Hysterie gesellschaftlich erzwungen werden.

Das Gutachten, auf das sich die Grünen beziehen, sagt nämlich genau das: Eine entschädigungslose Beendigung des Betriebs in Gronau wäre mit sehr hoher Wahrscheinlich möglich, soweit sich ein Risiko für Mensch und Umwelt darstellen lassen. – So der von Ihnen zitierte Kieler Verfassungsrechtler Wolfgang Ewer.

Das Ziel ist es also, Risiken so darzustellen, dass der Staat den Betreibern keine Entschädigung zahlen muss. Das ist bereits in der Zielsetzung des Gutachtens nicht objektiv.

(Beifall von der AfD)

Ich kann Ihnen aber mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit sagen, dass sich der Betreiber bei einer Schließung verfassungsrechtlich dagegen wehren und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch gewinnen wird. Und dann? – Dann dürfen die Steuerzahler die Regressansprüche bezahlen. Dann bezahlen die hart arbeitenden Malocher die Zeche für Ihre verantwortungslose Politik.

(Beifall von der AfD)

Was wäre das Resultat Ihrer Politik? – Im besten Fall verlagert sich der kommerzielle Handel 30 km weiter zur nächsten Urananreicherungsanlage, nämlich nach Almelo in den Niederlanden, im schlimmsten Fall nach Pakistan. Und wofür? – Weil die Kerntechnologie in den Augen grüner Idealisten ein Makel ist. Alles wird aus purem Idealismus abgelehnt – nichts anderes.

Wir Deutsche verlieren in diesem Fall zweimal. Erstens verlieren wir das prozedurale Fachwissen um die Kerntechnologie – Kerntechnologie, die wir auch in der Medizin einsetzen. Wenn es also nach Ihnen geht, müssen uns wohl demnächst die Franzosen erklären, wie wir eine Schilddrüsenuntersuchung durchführen sollen.

Zweitens – und das wiegt noch viel schwerer – verliert die Stadt Gronau Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 30 Millionen € jedes Jahr. Das sind mehr als 60 % der Einnahmen aus der Gewerbesteuer in Gronau. Trotz dieser Einnahmen geht Gronau erneut an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Kredite in Höhe von 12 Millionen € sind für den Haushalt nötig. Die allgemeinen Rücklagen sind abgeschmolzen, und der Schuldenstand der Stadt, einschließlich der städtischen Gesellschaften, beläuft sich gegenwärtig auf fast 98 Millionen €.

Dabei steht die Stadt vor sehr großen Investitionen für die Entwicklung der Schullandschaft, die Entwicklung der Innenstadt, das Rathaus sowie eine moderne Feuer- und Rettungswache. In der Summe belaufen sich diese Kosten auf mehr als 60 Millionen €.

Es ist verantwortungslose grüne Politik, die Schließung des Betriebs zu fordern, ohne zu erklären, wie die Schadenersatzforderung beglichen werden soll, ohne zu erklären, wie die Stadt Gronau ihre bisherigen Schulden abbauen soll, ohne zu erklären, wie die Stadt Gronau sich zukünftig wirtschaftlich aufstellen soll. Oder soll das dann alles wieder über die sozialistische Umverteilung im Rahmen des Gemeindefinanzierungsgesetzes gemacht werden?

(Zuruf: Mein Gott!)

Aktuell erhält Gronau nämlich genau 0 € Schlüsselzuweisungen und stützt damit die anderen Städte, die Rot-Grün bereits ruiniert hat.

(Beifall von der AfD)

Noch ein Wink an die CDU, bevor ich mit weihnachtlichen Grüßen schließe: Sie sehen, was passiert, wenn Sie sich zu einem Entschließungsantrag der Grünen verleiten lassen. Es fliegt Ihnen anschließend um die Ohren. Wir von der AfD wissen, wo wir stehen. Wir stehen auf der Seite der Stadt Gronau. Wir stehen auf der Seite des Betreibers. Wir stehen auf der Seite der Beschäftigten. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Loose. – Bevor ich dem Finanzminister in Vertretung von Minister Prof. Dr. Pinkwart das Wort erteile, möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen:

Um 18 Uhr haben zwei Saaldiener, die hier Jahrzehnte im Einsatz waren, ihre letzte Arbeitsminute in diesem Landtag verbracht. Die beiden möchte ich einmal nach vorne in die Mitte holen und sie gemeinsam im Kreise der Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand verabschieden.

(Allgemeiner Beifall)

Das sind Herr Hans-Jürgen Hermanns auf der linken Seite und Herr Hans Küller auf der rechten Seite. Ihnen beiden wünschen wir persönlich alles Liebe, alles Gute und vor allem natürlich Gesundheit! Die Grüße aller Kolleginnen und Kollegen gehen mit Ihnen auf den Weg. Alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Nun darf ich für die Landesregierung Herrn Minister Lutz Lienenkämper in Vertretung von Herrn Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort erteilen.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Forderung, die Urananreicherungsanlage Gronau zu schließen, haben wir uns schon mehrfach und in verschiedenen Zusammenhängen befasst.

Im vorliegenden Antrag beziehen Sie sich auch auf den 2011 gefassten Bundesratsbeschluss zum Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes. Mit dieser Novelle wurde unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima der Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie gesetzlich festgelegt.

Die damalige Forderung des Bundesrates, auch die Urananreicherungsanlage Gronau in den Ausstieg mit einzubeziehen, wurde allerdings aus gutem Grund nicht aufgenommen, da explizit nur die kommerzielle Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung beendet werden sollte.

Es besteht weiterhin nicht zuletzt international Bedarf nach angereichertem Uran. Eine Beendigung der Urananreicherung in Deutschland würde hieran nichts ändern. Die durch eine Schließung der Anlage Gronau international verringerte Anreicherungskapazität würde durch andere Anbieter auf dem Markt schnell ausgeglichen.

Wir alle wissen, dass in Deutschland die Hochtechnologie der Urananreicherung mit exzellenter technischer Expertise auf der Grundlage höchster Sicherheitsstandards betrieben wird. Wir alle wissen ebenfalls nur allzu gut, dass das leider nicht überall auf der Welt der Fall ist.

Urananreicherung nach dem Gasultrazentrifugenprinzip sollte nur in politisch stabilen Staaten betrieben werden. Hierzu gibt es auch mit gutem Recht internationale Vereinbarungen. Zu diesen bekennen wir uns selbstverständlich ausdrücklich.

Vor diesem Hintergrund ist eine Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau nicht vertretbar und lässt sich auch keineswegs als Konsequenz aus der Abschaltung deutscher Kernkraftwerke herleiten.

Meine Damen und Herren, des Weiteren beziehen Sie sich auf den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP aus dem April 2017. Dieser behandelte nicht die Schließung der Urananreicherungsanlage Gronau, sondern zielte auf die Abschaltung des belgischen Kernkraftwerks Tihange 2 sowie die Lieferungen von Brennelementen aus der niedersächsischen Brennelementfertigungsanlage Lingen nach Belgien. Diese Forderung greifen Sie auf.

Dabei jedenfalls haben Sie nach wie vor unsere volle Zustimmung. Die Lieferung von Kernbrennstoffen aus Deutschland auch auf der Basis von Material aus der UAG in das benachbarte Ausland wollen wir nicht hinnehmen.

Deswegen ist es ein erster wichtiger Schritt, dass die Urenco Deutschland nach eigener Erklärung bis auf Weiteres von der Zentrale in England keine Produktionsaufträge für belgische Kernkraftwerke erhält.

Denn ein Betrieb pannenanfälliger Reaktoren in den grenznahen belgischen Kernkraftwerken Tihange und Doel mit Brennelementen aus deutscher Produktion konterkariert die Bemühungen der Landesregierung gegenüber den verantwortlichen Stellen in Belgien, hier zu schnellstmöglichen Abschaltungen zu kommen, um Risiken für die Menschen in Nordrhein-Westfalen auszuschließen.

Daher wird sich die Landesregierung auch weiterhin beim Bund für ein Ende dieser Exporte starkmachen.

Meine Damen und Herren, die am 15. November 2017 seitens des Bundesumweltministeriums vorgelegten und von Ihnen zitierten Gutachten zu den rechtlichen Möglichkeiten der Schließung der Urananreicherungsanlage Gronau und der Brennelementefabrik Lingen vermitteln im Grunde keine gänzlich neuen Erkenntnisse und geben jedenfalls keinen Anlass, eine rechtssichere Begründung der geforderten Schließung als gegeben anzusehen.

Besagte Gutachten führen vielmehr noch einmal das aus, was schon mehrfach im Landtag von verschiedener Seite vorgetragen wurde. Es bedarf in diesem Fall einer bundesgesetzlichen Grundlage. Ebenso sind verfassungsrechtliche Rahmensetzungen zwingend zu beachten. Gleiches gilt für mögliche Entschädigungsregelungen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Lienenkämper. – Für die Grünen hat noch einmal Frau Kollegin Brems um das Wort gebeten.

Wibke Brems*) (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es immer wieder schade, wie wenig hier auf Vorrednerinnen und Vorredner reagiert wird. Weil ich das schon ahnte, habe ich in meiner Rede bereits einiges vorweggenommen. Sie haben darauf im Grunde genommen mit Ihren normalen Plattitüden geantwortet. Deswegen möchte ich Ihnen gerne noch ein paar Punkte nennen.

Ja, für uns gibt es eine neue Sachlage. Wie ich geschildert habe, gab es einen jahrelangen Streit darüber, ob und wie die Schließung der genannten Fabriken überhaupt gelingen kann. Jetzt liegen die entsprechenden Gutachten vor. Das ist für uns der klare Anlass, zu sagen: Hier muss der Atomausstieg komplettiert werden.

Die Kollegen von der CDU werfen uns vor, wir würden damit den Konsens aufkündigen. – Nein, wir gehen nur den ganz klaren nächsten Schritt. Wenn Sie den Atomausstieg wirklich wollen, wenn Sie wirklich dahinterstehen, wenn Sie wirklich wollen, dass die Pannenreaktoren in Tihange und Doel stillgelegt werden, können Sie sich doch nicht hier hinstellen und einfach sagen, wie es der Herr Minister eben gemacht hat: Sonst macht man es woanders; wir mischen gerne weiter mit.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das ist einfach nur inkonsequent. Sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, wenn Sie den Atomausstieg wirklich wollen und es ernst meinen, wäre es konsequent, dann auch Gronau zu schließen und den Atomausstieg komplett zu vollziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Damit sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/1432. Wer möchte ihm zustimmen? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer stimmt dagegen? – Die CDU, die FDP, die AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten stimmen dagegen. Sicherheitshalber frage ich noch nach Enthaltungen. – Erwartungsgemäß keine. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1432 abgelehnt.

Ich rufe auf:

5   Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsdemokratisierungsgesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1447

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die AfD Herrn Abgeordneten Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf meiner Fraktion möchten wir ein Unrecht beseitigen, das eine ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen in der vergangenen Legislaturperiode geschaffen hat.

Die Einführung einer Prozenthürde im Kommunalwahlrecht war absehbar verfassungswidrig. Da half auch nicht der juristische Taschenspielertrick, sie gleich in die Landesverfassung zu schreiben. Bereits 1999 urteilte der Verfassungsgerichtshof im Falle der damaligen 5%-Hürde so. Der wenig kreative Einfall, es jetzt mit einer weniger hohen Hürde erneut zu versuchen, scheiterte im vergangenen Monat an derselben Stelle.

Ein ähnlich trauriges Schauspiel durften die Bürger beim Europawahlgesetz schon erleben. Da versuchten Sie es zunächst mit 5 %, später mit 3 %. Hier machte Ihnen in beiden Fällen das Bundesverfassungsgericht einen Strich durch die Rechnung.

Aber auch dort finden Sie sich nicht mit den Gegebenheiten unserer Verfassung ab. Es ist kein Geheimnis, dass die CDU nun mit Macht versucht, eine 3%-Hürde für jeden Mitgliedsstaat auf europäischer Ebene zu verankern. Diese Regelung würde freilich fast nur Deutschland treffen. Denn alle übrigen Mitgliedstaaten stellen aufgrund ihrer Größe weniger Abgeordnete und haben häufig eine weit höhere faktische Prozenthürde.

Vor diesem Hintergrund sind wir gespannt, welcher Winkelzug als Nächstes zu erwarten ist, damit Sie sich auch in den Kommunen Nordrhein-Westfalens lästige Konkurrenz vom Leib halten können. Vielleicht eine 2,4%-Hürde? Das wäre es doch! Tasten wir uns in Zehntelschritten an einen Wert heran, den das Verfassungsgericht für vertretbar hält!

Das alles ist aber nichts als ein Symptom – ein Symptom der Korruption und der Verkommenheit der politischen Klasse in Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Die Demokratie, die die „demokratischen Parteien“ ja so oft wie eine Monstranz vor sich hertragen, zeichnet sich eben nicht dadurch aus, dass die Bürger alle Jubeljahre mal ein paar Stühle von hier nach da oder wieder zurück verschieben können. Demokratie heißt Wandel. Demokratie heißt Wettbewerb. Das heißt eben auch, dass neue Parteien entstehen und alte Parteien verschwinden, wenn der Souverän, der Bürger, es wünscht.

(Beifall von der AfD)

Liebe Kollegen, wenn auf dem Markt der politischen Ideen dieselben Regeln gelten würden wie auf jedem anderen Markt, hätte das Kartellamt sie längst verboten.

(Beifall von der AfD)

Sie haben sich den Staat zur Beute gemacht und sind bestenfalls noch mittelmäßige Demokratieschauspieler, die Tag für Tag dieselbe Travestie aufführen.

(Beifall von der AfD)

Jahrzehntelang haben Sie so getan, als befände sich der einzig akzeptable Diskursraum in dem millimeterbreiten Streifen zwischen Laschet und Kraft, zwischen Schulz und Merkel, zwischen Merkel und Schröder usw. Jahrzehntelang durften wir uns an jedem Wahlabend das hohle Gejammer darüber anhören, dass die Wahlbeteiligung viel zu niedrig sei. Am nächsten Tag haben Sie dann einfach so weitergemacht wie bisher.

Anscheinend ist es Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass immer mehr Bürger sich an diesem scheindemokratischen Schmierentheater nicht mehr beteiligen wollten, weil sie eben keine echten Alternativen hatten. Den Bürgern ist es egal, ob die CDU oder die SPD die Steuern erhöht. Den Bürgern ist es egal, ob die CDU oder die SPD Millionen Illegaler ins Land schleust. Den Bürgern ist es auch egal, wer sich bei der nächsten Diätenerhöhung wieder die Taschen vollmacht.

Aber Sie haben es sich ja nett eingerichtet. Warum die Macht freiwillig wieder hergeben, wenn man sich bereits alle Institutionen zur Beute gemacht hat? Also wird möglichen Wettbewerbern das Leben so schwer wie möglich gemacht – nicht nur im Wahlrecht.

Das deutsche Parteienrecht ist ein Neuparteienverhinderungsrecht. Die staatliche Parteienfinanzierung ist nichts anderes als Ihr Selbstbedienungsladen.

Die von Ihnen kontrollierte Medienlandschaft ignoriert neue Wettbewerber oder überzieht sie mit Lügenkampagnen, wenn das nicht mehr ausreicht.

In den Parlamenten ist kein Geschäftsordnungstrick zu billig, um der lästigen Konkurrenz ein Bein zu stellen.

Und wenn das alles nicht reicht, schicken Sie eben die Schlägertrupps vorbei – wie bei unseren letzten Bundesparteitagen in Hannover und Köln.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Herr Kollege, bitte überdenken Sie Ihre Wortwahl.

Sven Werner Tritschler (AfD): Die ebenfalls in Ihrer Hand befindliche Polizeiführung sorgt dann schon dafür, dass dem einen oder anderen Bundestagsabgeordneten die Hand gebrochen wird. Soll er einmal sehen, was er davon hat, dass er nicht zu den sogenannten Demokraten gehört!

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh! Oh! Das ist nicht zum Thema! – Zuruf von der SPD: Jetzt reicht es aber!)

– Das ist Fakt.

(Zuruf: Nein, das ist nicht zum Thema!)

Als wäre das nicht genug, vergehen Sie sich jetzt auch noch an der Keimzelle der Demokratie, den Kommunen. Sie erzählen, da sei die Handlungsfähigkeit der gewählten Organe durch immer neue Parteien und Wählergruppen gefährdet; deshalb müsse man eine Prozenthürde einführen.

An dieser Stelle wird schon erlaubt sein, zu fragen: Warum unterhalten wir in NRW-Kommunalvertre-tungen, die doppelt so groß sind wie anderswo der Landtag? Warum reduzieren wir nicht einfach die Größe der Kommunalparlamente? Wären sie dann nicht automatisch effizienter und handlungsfähiger? Wäre die Eintrittshürde damit nicht auch angehoben, ohne gleich die Verfassung brechen zu müssen?

Eigentlich schon! Aber das hätte ja Sie Mandate gekostet – und Geld. So schließt sich der Kreis: Es muss alles demokratisch aussehen; aber wir müssen alles in der Hand haben.

Meine Damen und Herren, wenn Ihnen wirklich so daran gelegen ist, dass Kommunalvertretungen schnell und effizient arbeiten, dann fangen Sie doch bei sich selbst an. Erklären Sie Ihren Parteifreunden vor Ort, was Kommunalpolitik ist und was nicht. Denn sie stellen munter Anträge, die vielleicht hierher, in den Deutschen Bundestag, ins Europäische Parlament oder gleich vor die UN-Vollversammlung gehören.

Ich möchte Ihnen drei Beispiele aus einer schier endlosen Reihe nennen, die ich aus meiner eigenen Erfahrung im Kölner Rat kenne:

–   Antrag vom 28. Januar 2016 der SPD-Fraktion, der CDU-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion betreffend „Stilllegung der belgischen Atomkraftwerke in Tihange und Doel“

–   Antrag vom 29. Juni 2017 der CDU-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betreffend „Klimapartnerschaft mit einer indigenen Gemeinde in Peru“

–   Antrag vom 8. Mai 2017 der SPD-Fraktion, der CDU-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion betreffend „Aufhebung der Ausreisesperre für Dr. Sharo Ibrahim Garip – Solidarität mit den Demokraten in der Türkei“

Meine Damen und Herren, ich höre Herrn Erdogan ob der Entschlossenheit der Kölner Kommunalpolitik bibbern.

(Beifall von der AfD)

Wer die Kollegen der Kommunalparlamente mit so etwas behelligt, möge uns bitte nicht erzählen, er habe Mitleid mit den belasteten Mandatsträgern dort.

Der Bürger darf froh sein, dass wenigstens die Gerichte sich zum Teil noch aus dem Würgegriff des Parteienkartells befreien können und den Grundwerten unserer Verfassung gelegentlich Geltung verschaffen.

Auch auf uns wird er sich dabei verlassen können. Wir haben uns zwar über nunmehr fast fünf harte Jahre einen Platz in fast allen Parlamenten erkämpft. Aber wir bleiben Demokraten. Wir wollen uns immer wieder dem Votum der Bürger stellen. Und ja, wir wollen Wettbewerb auch durch neue Parteien und Wählervereinigungen; denn nur so kann echte Demokratie gedeihen.

(Beifall von der AfD)

Das unterscheidet uns offensichtlich fundamental von allen anderen und macht die AfD zur einzigen Partei, die den Namen „demokratische Partei“ wirklich verdient. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Geerlings das Wort.

Dr. Jörg Geerlings (CDU): Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, dass wir jetzt über die Sperrklausel bei Kommunalwahlen reden – ein ernsthaftes Thema, das viele Tausende Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland angeht. Stattdessen höre ich hier einen Spruch nach dem anderen, der eine Verletzung für alle diejenigen darstellt, die sich ehrenamtlich in unserem Land engagieren.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Ist die AfD nicht die Partei, die Kassenberichte nicht im Griff hat, die Doppelmandate nicht auflöst und die anderes macht? Sie haben uns gerade vorgeworfen, wir würden uns den Staat zur Beute machen. Ich glaube, es gibt andere, die da besser hinhören sollten.

(Beifall von der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Zur Sache: Das Verfassungsgericht hat vor genau einem Monat entschieden und die Sperrklausel in einem Organstreitverfahren für verfassungswidrig erklärt. Das bedeutet, dass der Ball wieder beim Gesetzgeber ist. Entsprechend müssen wir handeln und eine Lösung für die Kommunalwahl im Jahr 2020 finden. Ich bin sicher, dass wir sie in diesem Haus auch gemeinsam finden werden.

Die AfD-Fraktion hat, kaum ist die Tinte des Urteils trocken, sofort eine Lösung parat: Die entsprechende Norm in der Verfassung einfach streichen.

(Zurufe von der AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann eine Lösung sein, diese Norm zu streichen, muss es aber nicht. Auch das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil Spielräume offengelassen und gesagt: Die Begründung ist derzeit nicht ausreichend. Bei anderer Begründung ist nicht ausgeschlossen, dass es eine Sperrklausel geben kann.

(Zurufe von der AfD)

Wir jedenfalls werden uns dieses Urteil genau ansehen, es genau analysieren und gemeinsam eine Lösung finden – im Interesse derjenigen, die sich in Stadträten und Kreistagen ehrenamtlich engagieren. Es sind mehr als 20.000 Menschen, die das ehrenamtlich tun. Das ist schon eine große Sache für unser Land, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Sie nutzen diesen Antrag nur, um Hass gegen diejenigen, die sich dort engagieren, zu schüren.

(Zurufe von der AfD: Oh! Oh! – Zurufe von der AfD)

Zitat:

„Es ist anzunehmen, dass die Parteien, die das verfassungswidrige Gesetz getragen haben, … vielmehr an der Mehrung eigener Mandate und damit verbundener Geldmittel interessiert waren, …“

Das muss man sich einmal anhören! Schließlich geht es hier um Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und nicht, wie wir, beruflich Politik betreiben.

(Zurufe von der AfD)

Wir sehen dieses Urteil nach wir vor kritisch. Es gab auch gute verfassungsrechtliche Argumente, es anders zu sehen. Dennoch hat das Verfassungsgericht so entschieden. Das respektieren wir selbstverständlich.

Wir werden das Urteil analysieren und dann genau überlegen. Vielleicht ist es ganz gut, dass jetzt die Weihnachtszeit kommt. Dann können wir alle etwas zur Ruhe kommen, das Urteil noch einmal lesen und genau die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein frohes Fest und alles Gute für das kommende Jahr. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Geerlings. – Für die SPD-Fraktion erhält Herr Professor Dr. Bovermann das Wort.

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Verfassungsfragen sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Machtfragen.“ – Das, was ich gerade zitiert habe, ist eine Erkenntnis, die wir Ferdinand Lassalle verdanken.

Auch bei dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 21. November 2017 scheint es weniger um Verfassungsrecht als um Verfassungspolitik zu gehen. Dieses Urteil greift tief in Art. 69 der Landesverfassung ein. Aus Sicht der SPD-Fraktion ist hierzu noch eine genauere Analyse notwendig, welche Folgen daraus für den Landtag als verfassungsändernde Gewalt erwachsen.

Für die Auswertung des Urteils und für die Korrektur haben wir auch noch etwas Zeit; denn die nächsten Kommunalwahlen werden erst 2020 stattfinden.

So viel Zeit hat natürlich die AfD nicht. Sie möchte vielmehr das Urteil sofort instrumentalisieren. In ihrem rechten Eifer soll gleich die gesamte Regelung wieder abgeschafft werden.

Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof die Sperrklausel für die Bezirksvertretungen in den kreisfreien Städten und die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr für zulässig erklärt.

Aber um differenzierte Positionen geht es der AfD auch gar nicht.

(Beifall von der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Ach!)

Genauso wenig geht es ihr um eine Demokratisierung der Kommunalvertretungen – auch wenn das mit dem Kurztitel des Gesetzentwurfs suggeriert wird.

Worum es der AfD geht, wird vielmehr in dem Begründungstext zum Gesetzentwurf deutlich. Herr Tritschler hat gerade in seiner Rede auch keinen Zweifel aufkommen lassen.

Erstens unterstellt die AfD, die Zersplitterung der Kommunalvertretungen und die negativen Auswirkungen auf deren Arbeitsfähigkeit seien nur Vorwände.

(Sven Werner Tritschler [AfD]: Das unterstellt das Verfassungsgericht!)

Das ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass schon in der Anhörung des Hauptausschusses im Januar 2016 sowohl aus der Praxis als auch aus der Politikwissenschaft dargelegt worden ist, welche Funktionseinschränkungen es durch die Zersplitterung der Räte gibt.

Zweitens unterstellt die AfD, die Befürworter einer Sperrklausel seien nur – ich zitiere –

„an der Mehrung eigener Mandate und damit verbundener Geldmittel interessiert …“

Auch das ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass wir es hier mit einem wesentlichen Merkmal des Rechtspopulismus zu tun haben.

(Helmut Seifen [AfD]: Oh!)

Aus Sicht der Rechtspopulisten vertreten die demokratischen Parteien nur Partikularinteressen und wollen sich bereichern – wir haben gerade ja vom Bild des Staates als Beute gehört –, während die AfD als einzige Partei das Gemeinwohl kennt und es auch völlig selbstlos vertritt.

(Andreas Keith [AfD]: Genau so ist es!)

Meine Damen und Herren, dieser Anspruch, nach dem man allein das wahre, immer als homogen gedachte Volk vertritt, ist mit unseren pluralistischen Wertevorstellungen einer Demokratie nicht vereinbar.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Was die AfD nun wirklich von parlamentarischer Demokratie hält, zeigt sich im letzten Absatz der Begründung. Dort wird der Vorschlag unterbreitet – Herr Tritschler hat es auch gerade noch einmal bestätigt –, die Kommunalparlamente zu verkleinern, um die faktische Sperrklausel anzuheben.

Was für ein Unsinn! Eine natürliche Sperrklausel in Höhe von 2,5 % wird nur bei einer Ratsgröße von 20 Mandaten erreicht. Sie können das in dem Gutachten meines Kollegen Jörg Bogumil auf Seite 88 nachlesen. In den kleinsten kreisfreien Städten haben wir gerade einmal Räte mit 42 Sitzen. In der größten Stadt, in Köln, haben wir einen Rat mit 90 Sitzen und mit einer natürlichen Sperrklausel von 0,6 %. Für eine effektive Sperrklausel müsste die Ratsgröße also auf ein Minimum schrumpfen. Die Folgen wären weniger Repräsentanz vor Ort und eine geringere Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern.

Wir sehen: Die AfD hat kein wirkliches Interesse an einer Stärkung der kommunalen Demokratie,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

sondern ist ganz im Gegenteil an einer Schwächung interessiert.

(Beifall von Andreas Bialas [SPD])

Die SPD-Fraktion – das wird Sie nicht verwundern – wird daher diesen Gesetzentwurf wegen dessen Intention und Begründung ablehnen. Lediglich der Überweisung in die Ausschüsse stimmen wir zu, weil das demokratischer Brauch ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Professor Dr. Bovermann. – Für die FDP hat Frau Kollegin Freimuth das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich etwas zu dem Gesetzentwurf sage, möchte ich einige Bemerkungen zu der Rede von Herrn Tritschler machen.

Ich verwahre mich ganz ausdrücklich gegen Vorwürfe, hier würden Schlägertrupps in Auftrag gegeben oder es handele sich um ein Parteienkartell. Das gilt auch für den Vorwurf nach dem Motto: Die Polizeiführung ist in Ihrer Hand.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Da schwingen Vorwürfe mit, die ich für völlig unangemessen halte.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Aber nun zum Gesetzentwurf der AfD: Der Verfassungsgerichtshof hat uns als Gesetzgeber mit seinem Urteil vom 21. November 2017 einige Hausaufgaben aufgetragen. Diese Hausaufgaben müssen erledigt werden. Ich will der Ordnung halber darauf hinweisen, dass mein damaliger Kollege Dirk Wedel bei der Debatte in diesem Haus im Juni 2016 unsere verfassungsrechtlichen Bedenken schon einmal skizziert hat. Wir nehmen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs deshalb auch mit großer Sorgfalt zur Kenntnis.

Wenn das Verfassungsgericht uns Hausaufgaben aufgibt, müssen diese auch gründlich erledigt werden – und nicht geschludert. Deswegen überzeugt mich und meine Fraktion dieser mit heißer Nadel gestrickte Gesetzentwurf, der einen so sensiblen und bedeutenden Teil unserer demokratischen Verfasstheit, nämlich das Wahlsystem, betrifft, schon im Grundsatz nicht.

Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist im Übrigen auch wesentlich facettenreicher, als die Antragsteller es uns hier darstellen wollen. So hat es sich zum Beispiel sehr differenziert mit den unterschiedlichen Gebietskörperschaften auseinandergesetzt und dabei auch unterschiedliche Maßstäbe für Wahlgrundsätze aufgezeigt.

Ich rate deswegen von Schnellschüssen ausdrücklich ab. Wir sollten das Urteil und seine Begründung vielmehr genau analysieren, unsere Schlüsse daraus ziehen und dann mit Gründlichkeit und gleichzeitig mit dem gebotenen Zeitansatz eine Überarbeitung unseres Kommunalwahlrechts, das für die Kommunalwahlen im Jahr 2020 ja Rechtssicherheit geben soll, entwickeln.

Der Überweisung in den Fachausschuss stimmen wir zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Freimuth. – Für die Grünen erteile ich Herrn Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden uns selbstverständlich auch noch intensiver mit dem Verfassungsgerichtsurteil auseinandersetzen – deutlich stärker, als es in dem Antrag der AfD geschieht.

Ich möchte über das hinaus, was die Kollegen von CDU und SPD soeben vorgetragen haben, zumindest noch drei Gedanken einbringen; denn die Maßlosigkeit, mit der argumentiert wird, kann so nicht im Raum stehen bleiben.

Die Handlungsfähigkeit der Räte wird politikwissenschaftlich und juristisch höchst unterschiedlich beurteilt.

Das Verfassungsgericht hat 1999 und 2008 – wesentlich in 2008 – ein Konzept vorgelegt, das davon ausgeht, dass Räte dann handlungsunfähig sind, wenn faktisch keine Beschlüsse mehr gefasst werden können.

Was das Verfassungsgericht da juristisch verkennt, ist meiner Meinung nach etwas anderes: Die deutsche Verfassungskonstruktion und auch die Verwaltungsgesetze sind so ausgelegt, dass Verwaltung immer handeln kann. Es gibt keine Handlungsunfähigkeit. Wenn der Rat nicht entscheidet, entscheidet der Oberbürgermeister. Wenn der Oberbürgermeister nicht entscheidet, dann entscheidet die Bezirksregierung usw. Den Rest können Sie sich denken.

Arbeitsminister Laumann hat einen wichtigen Satz zitiert: Jedes Land der Welt hat eine Regierung, aber nicht jedes Land hat ein demokratisch gewähltes Parlament.

Die Funktionsfähigkeit der Parlamente zeichnet sich dadurch aus – das ist aus meiner Sicht in den Räten immer mal wieder zu prüfen –, dass diese die Verwaltung kontrollieren und rechtzeitig Beschlüsse fassen können. Wir haben den Gesetzentwurf damals vorgelegt, weil wir beobachten konnten – Herr Professor Bogumil und andere haben das in dem Verfahren sehr deutlich gemacht –, dass das nicht immer gegeben ist und häufig ein Katz-und-Maus-Spiel stattfindet.

Ich möchte auf einen ganz wichtigen Aspekt hinweisen, den das Verfassungsgericht in der Begründung ausdrücklich aufgeführt hat und der gar nicht zu dem passt, was Mehr Demokratie und andere vortragen. Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich gesagt, es sei zulässig, ein Mehrheitswahlrecht für die Wahl der Räte einzuführen. Das würde dazu führen, dass vermutlich zwei oder maximal drei Parteien in den Räten und Gemeindevertretungen des Landes vertreten wären.

Was das mit mehr und breiterer Demokratie zu tun hat, erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht so ganz. Das ist aber ausdrücklich so gesagt worden.

Die Landesregierung ist aufgerufen, dieses Urteil auszuwerten. Wir bitten darum, dass wir uns zu Beginn des neuen Jahres sachlich und in aller Ruhe damit befassen. Die Gemeindevertretungen handlungsfähig zu machen, muss im Interesse aller sein. Einfach nur auf Verkleinerung zu setzen und den Mitgliedern die Rechte wegzunehmen, wäre nicht der Weg, den wir Grüne vorschlagen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. Der Gesetzentwurf der AfD hat einen wichtigen Umstand vernachlässigt oder ignoriert: Der Verfassungsgerichtshof hat die Sperrklausel nicht in Gänze für verfassungswidrig erklärt, sondern allein in Bezug auf Gemeinderäte und Kreistage.

Abgesehen davon hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Pressemitteilung zu den Rechtsfolgen der Urteile wie folgt ausgeführt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Die Urteile des Verfassungsgerichtshofs in den Organstreitverfahren haben feststellenden Charakter. Der Verfassungsgerichtshof war aus prozessualen Gründen nicht berechtigt, die umstrittenen Vorschriften teilweise für nichtig zu erklären. Seine Entscheidungen binden jedoch die Verfassungsorgane des Landes sowie alle Gerichte und Behörden und haben Gesetzeskraft (…).

Der Landtag wird deshalb rechtzeitig vor den nächsten Kommunalwahlen im Herbst 2020 über eine Aufhebung der umstrittenen Vorschriften zu entscheiden haben, soweit sie nach Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs verfassungswidrig sind.“

Der letzte Teil ist entscheidend. Der vorliegende Gesetzentwurf ist aber weder in seinem Umfang noch zu diesem Zeitpunkt überhaupt erforderlich; denn Probleme im Gesetzesvollzug ergeben sich im Moment schlichtweg nicht.

Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber seine Prognose drohender Funktionsstörungen nicht hinreichend begründet hat. „Nicht hinreichend begründet hat“ heißt allerdings, auf der Grundlage einer neuen und tragfähigen Begründung wäre es prinzipiell denkbar, an der Sperrklausel festzuhalten.

Im Übrigen, Herr Kollege von der AfD: Wie Sie das Problem der Sperrklausel hier diffamierend dargestellt haben, spottet jeder Beschreibung. Sie haben, glaube ich, wirklich keinen Überblick darüber, was es bedeutet, wenn in Kommunen Handlungsunfähigkeit herrscht, weil aufgrund der nicht vorhandenen Sperrklausel merkwürdige Verhältnisse bestehen. Sie bezeichnen das als politische Korruption. Ich bin fassungslos, wie man damit so umgehen kann.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Der Verfassungsgerichtshof, aber auch das Bundesverfassungsgericht haben entschieden – übrigens entgegen Ihrer Aussage, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nicht ein …

Präsident André Kuper: Herr Minister, darf ich Sie unterbrechen? Herr Abgeordneter Beckamp möchte eine Zwischenfrage stellen.

Herbert Reul, Minister des Innern: Wenn es ihm hilft.

Roger Beckamp (AfD): Vielen Dank, Herr Minister. Ich hoffe sehr, dass Sie mir helfen können. – Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Gesetzentwurf derzeit nur das nachvollzieht, was das Gericht entschieden hat, solange der Landtag nichts anderes entscheidet? Ist das richtig?

Herbert Reul, Minister des Innern: Nein. Wir arbeiten weiter. Es besteht im Moment gar nicht die Notwendigkeit, ein neues Gesetz zu schaffen, solange keine Kommunalwahl stattfindet. Zu dem Zeitpunkt wird es rechtzeitig einen neuen Gesetzentwurf geben. Das ist doch vollkommen klar. Aber jetzt ist er überhaupt nicht notwendig, und er trifft auch nicht den Kern des Problems. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich damit sagen.

Sowohl die Landesregierung als auch erst recht das Parlament – Sie hier entscheiden – können dann rechtzeitig vor der Kommunalwahl im Herbst 2020 einen Gesetzentwurf einbringen, diskutieren und entscheiden. Dann kann man überlegen, ob und wie man mit diesem Urteil umgeht und welche Konsequenzen man zieht. Das ist schlicht und einfach alles. Heute macht es gar keinen Sinn. – Danke.

(Beifall von der CDU, der FDP und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/1447 an den Hauptausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen sowie an den Rechtsausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und die drei Fraktionslosen. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist das einstimmig so angenommen und die Überweisung empfohlen worden.

Ich rufe auf:

6   Ausführungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1414

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Laumann das Wort. Bitte schön.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes – kurz: BTHG – im Dezember 2016 wurde die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgelöst.

Die Leistungen für Menschen mit Behinderungen wurden im Sozialgesetzbuch IX zu einem Leistungskatalog zusammengeführt. Es sollte deutlich werden: Behinderung macht Menschen nicht zu bloßen Empfängern in einem Fürsorgesystem. Sie haben Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben und die notwendige Unterstützung.

Das Bundesteilhabegesetz bietet neue Wahlmöglichkeiten und eine Stärkung der Teilhabe und der Selbstbestimmung.

Die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen soll sich verbessern. Aufgabe der Länder ist, dazu den notwendigen Rahmen im Landesrecht zu schaffen. Dazu müssen wir zuallererst die Zuständigkeiten klar regeln.

Ich freue mich darüber, dass wir in Nordrhein-Westfalen zeitnah dieses Ausführungsgesetz vorlegen. So können die Vertragsverhandlungen zu den neuen Regelungen zwischen der kommunalen Familie und der Freien Wohlfahrtspflege beginnen.

Der Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf legt die notwendigen Zuständigkeiten fest. Inhalte und Standards werden von den Vertragsparteien ausgehandelt – mit Beteiligung der Betroffenen. Leistungen sollen wie aus einer Hand erbracht und Schnittstellen vermieden werden.

Wir vertrauen dabei auf bewährte Zuständigkeiten, Strukturen und Angebote. Das Geld soll nicht in neue Strukturen und Verwaltungen fließen, sondern soll den Betroffenen zugutekommen.

Unser Gesetzentwurf folgt der Logik des BTHG und trennt die Zuständigkeiten für die Unterstützung, also die Fachleistungen und die existenzsichernden Leistungen.

Die Existenzsicherung bleibt bei den Kommunen.

Die Fachleistungen an erwachsene Menschen mit Behinderungen erfolgen zukünftig einheitlich in Verantwortung der Landschaftsverbände.

Dagegen werden die Kreise und kreisfreien Städte als zuständige Träger der Eingliederungshilfe für Fachleistungen an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bis zur Beendigung der Schulausbildung bestimmt.

Konkret bedeutet dies: Von der inklusiven Jugenddisco über die Unterstützung in der Gemeindeferienfreizeit bis hin zur Schulbegleitung lassen wir die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen in der Verantwortung der Kommunen. So können Lebensräume nah an den Bedürfnissen der Familie gestaltet werden. Die beiden Landschaftsverbände sorgen dagegen für eine einheitliche Qualität bei bestimmten Leistungen, zum Beispiel bei der heilpädagogischen Förderung in Kindertagesstätten.

Als wichtiges Steuerungsinstrument des Landes wird eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet. Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen im Rheinland und in Westfalen gleiche Bedingungen der Eingliederungshilfe vorfinden.

Zugleich wird die Rechtsaufsicht konkretisiert.

Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert mehr Beteiligung von Menschen mit Behinderungen.

Mit unserem Gesetzentwurf benennen wir die jeweiligen Landesverbände der Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen als zuständige Interessenvertretungen. Hier wird die Vielfalt der Menschen mit Behinderungen berücksichtigt und darüber hinaus gewährleistet, dass die berechtigten Interessen aller Betroffenen einzubeziehen sind.

Allen ist sicherlich noch in Erinnerung, dass das Team Wallraff Missstände in einigen Wohneinrichtungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen aufgedeckt hat. Wir sind uns gewiss alle einig, dass wir solche Vorfälle nicht dulden wollen. Die Landesregierung hat den Trägern der Eingliederungshilfe durch Landesrecht vorgegeben, die Qualität der Leistungen zu prüfen – auch ohne Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte durch den Leistungsträger. Solche Prüfungen sollen nach unserem Vorschlag unangemeldet erfolgen. Diese Regelung ist mir auf jeden Fall ein Anliegen.

Besonders wichtig ist mir auch die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen. Mit dem Budget für Arbeit und der Möglichkeit, andere Anbieter zuzulassen, haben wir wichtige zusätzliche Instrumente, um den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Zuständigkeit geben wir in die bewährten Hände der Landschaftsverbände.

Zum Schluss komme ich zu den finanziellen Auswirkungen. Ob und – wenn ja – welche Kostenfolgen das BTHG in Nordrhein-Westfalen auslöst, kann ich zurzeit nicht sicher abschätzen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf in Abstimmung mit der kommunalen Familie eine Regelung zur Kostenüberprüfung – Evaluation – vor. In einer Arbeitsgruppe werden wir gemeinsam das weitere Verfahren vereinbaren.

Mit dem Ausführungsgesetz zum BTHG ist der erste Schritt getan. Weitere müssen folgen. Die Landesregierung wird sich intensiv in den weiteren Umsetzungsprozess einbringen. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/1414 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung folgen? – Das sind SPD, Grüne, CDU, FDP, AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

7   Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzte wegen des Vorwurfs der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche beenden

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1433

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Grünen Frau Paul das Wort. Bitte.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Fall der Ärztin Kristina Hänel ging durch alle Medien. Eine Petition hatte innerhalb weniger Tage über 100.000 Unterschriften gesammelt. Landauf und landab befassten sich Landtage mit einem Thema, das jetzt auch hier auf der Tagesordnung steht.

Worum geht es? – Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach der sogenannten Fristenlösung in den ersten zwölf Wochen straffrei. Das gilt natürlich auch für die Ärztinnen und Ärzte, die einen solchen Eingriff vornehmen.

Darüber hinaus sind die Länder nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz verpflichtet, nicht nur ausreichend Beratungsstellen für die Schwangerschaftskonfliktberatung vorzuhalten, sondern gemäß § 13 Abs. 2 auch zur Vorhaltung eines ausreichenden Angebotes ambulanter und stationärer Einrichtungen, die eben solche Abtreibungen vornehmen.

Allerdings ist die Information darüber, welche Ärztinnen und Ärzte einen solchen Eingriff vornehmen, nach § 219a des Strafgesetzbuches leider als „Werbung“ verboten. Dabei geht es nicht um Werbung – das ist immer wieder auch von Ärztinnen und Ärzten betont worden –, es geht nicht ums Anpreisen einer Dienstleistung, quasi mit Rabattkärtchen, sondern es geht um elementare Informationsrechte und um Selbstbestimmung.

Dieser Paragraf beschneidet das Recht auf freie Arztwahl, und er kriminalisiert diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die Frauen in einer Notlage helfen und unterstützen. Das ist unzeitgemäß. Da ist dringend Handlungsbedarf geboten.

Was für ein Frauenbild steht denn eigentlich hinter diesem sogenannten Werbeverbot? Glaubt denn jemand ernsthaft, dass Frauen einen derartigen, oftmals auch belastenden Eingriff einfach aus Spaß vornehmen lassen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Frauen mit einer solchen Information vielleicht nicht umgehen, nicht eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können und dementsprechend vom Staat vor sogenannter Werbung geschützt werden müssen? Ich glaube das nicht. Ich glaube, Frauen haben ein Recht auf Selbstbestimmung und ein Recht auf Information.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

§ 219a Strafgesetzbuch ist unzeitgemäß und unverhältnismäßig; denn bereits die Standesordnung der Ärztinnen und Ärzte verbietet das Anpreisen von Dienstleistungen. Es geht hier nicht um das Anpreisen, es geht eindeutig um Information. Dementsprechend ist es unverhältnismäßig, dass der Staat das scharfe Schwert des Strafgesetzbuches zieht, um Ärztinnen und Ärzte zu kriminalisieren.

Es widerspricht im Grunde genommen auch dem Gedanken des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Denn es macht doch keinen Sinn, die Länder zu verpflichten, ambulante und stationäre Möglichkeiten für einen Abbruch und eine Beratungslandschaft vorzuhalten, aber die Information darüber unter Strafe zu stellen. Das ist widersinnig, und das gehört geändert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das sieht im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht so. 2006 hat es konsequenterweise geurteilt, es müsse Ärztinnen und Ärzten ohne negative Folgen möglich sein, auf diese Dienstleistung hinzuweisen.

Das heißt, der Gesetzgeber ist nun endlich gefordert, diesem Urteil, diesem rechtlich ausgeurteilten Tatbestand Folge zu leisten, dass Frauen ein Recht darauf haben, informiert zu werden.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Montgomery, erklärte, dass Frauen nicht nur ein Recht darauf haben, in Notlagen zu erfahren, welche Ärztinnen und Ärzte ihnen helfen können, sondern dass vor allem Ärztinnen und Ärzte für die Information auch nicht rechtlich belangt werden dürfen.

Es gilt also, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu stärken, und es gilt, Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte zu schaffen. Schließen wir uns doch den Ländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen und Thüringen an, die einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht haben.

Und machen wir Schluss mit diesem Relikt aus dunklen Zeiten. Denn das gehört auch dazu: Dieses Gesetz ist zuallererst 1933 im Reichsstrafgesetzbuch eingeführt worden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist Zeit, damit aufzuräumen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Danke, Frau Kollegin Paul. – Erstmals am Mikrofon begrüßen wir für die CDU die Kollegin Wendland zu ihrer ersten Rede.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Simone Wendland (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte es sich mit Ihrem Antrag wirklich leicht machen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine Straftat. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Werbung dafür auch strafbar ist.

Ganz so einfach ist es aber nicht, und daher spricht zu diesem Tagesordnungspunkt auch nicht Mann, sondern Frau.

Es gibt im Leben wohl kaum eine persönliche Erfahrung, die so emotional bewegt wie eine Schwangerschaft. Für die allermeisten Frauen bedeutet diese Erwartung große Freude. Für einige Frauen geht es aber nach der Feststellung einer Schwangerschaft um die Frage von Leben und Tod, nämlich um das Leben ihres ungeborenen Kindes.

Daher ist über viele Jahre mit großen Emotionen um eine gesetzliche Regelung gerungen worden, die 1995 schließlich mit dem Beschluss des Bundestages über den jetzigen § 218 des Strafgesetzbuchs endete. Der Bundestag musste seine ursprüngliche Beschlussfassung dann allerdings nach der Wiedervereinigung ändern, weil darin ein Abbruch nach Beratung als nicht rechtswidrig bezeichnet wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu erklärt, dass der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben nur dann nachkommt, wenn ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verboten ist. Deshalb gibt es § 218 in seiner jetzigen Form mit der Erklärung, dass ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen straffrei bleibt.

Die Grünen haben bereits damals die grundsätzliche Strafbarkeit eines Schwangerschaftsabbruchs kritisiert. § 219a des Strafgesetzbuches liegt in der Konsequenz von § 218. Das finden offenbar auch die Grünen. Denn tatsächlich geht es ihnen doch nicht um das Werbeverbot, sondern um den Schwangerschaftsabbruch.

(Zuruf: Genau!)

Sie zielen mit ihrem Antrag auf § 219a StGB,

(Zurufe von den GRÜNEN)

aber treffen wollen Sie § 218.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD – Zuruf: Jawohl!)

Ihr Einsatz für den Schutz der Schöpfung umfasst scheinbar nicht alle Teile der Schöpfung.

Die CDU hat eine fundamental andere Auffassung. Ich bin der festen Überzeugung: Keiner Frau fällt es leicht, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden.

(Zurufe von der SPD)

Es ist eben etwas anderes, über Schwangerschaften zu reden, als auf einem Ultraschallbild zu sehen, wie früh und wie winzig klein menschliches Leben beginnt.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Ich habe schon viele schwangere Frauen in Situationen erlebt, für die der Begriff „Konfliktsituation“ stark beschönigend ist. Deshalb finde ich es auch richtig, dass § 218 eine Beratungspflicht vorsieht. Nur eine umfassende Beratung kann nämlich gewährleisten, dass eine schwangere Frau ihre Entscheidung in Kenntnis aller relevanten Umstände trifft. In diesem Zusammenhang kann man durchaus über eine Änderung des § 219a StGB nachdenken.

In der Tat greift das Werbeverbot in der aktuellen Fassung von § 219a StGB sehr weit und umfasst auch das, was heute jedermann ohnehin bei Wikipedia und „Dr. Google“ nachlesen kann. Hier könnte ich mir gut eine Anpassung, aber keinesfalls eine ersatzlose Abschaffung, wie von Ihnen gefordert, vorstellen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Denn Werbung, meine Damen und Herren, für Schwangerschaftsabbrüche, für Mittel, Gegenstände oder Verfahren dazu, kann ich mir nicht vorstellen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Darum geht es doch gar nicht!)

Ich glaube auch, dass diese Fragestellung angesichts von gerade mal zwei Fällen, die im vergangenen Jahr in der Polizeilichen Kriminalstatistik in NRW erfasst wurden, an den tatsächlichen Problemlagen der Menschen in diesem Land vorbeigeht. Viel wichtiger wäre es, liebe grüne Fraktion, dass der Staat seine Schutzpflicht umfassender verstünde, indem er Schwangeren in Konflikt- oder Notsituationen das Ja zum Kind möglichst leicht macht.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

In der von mir bereits erwähnten Debatte des Bundestags 1995 hat der junge Bundestagsabgeordnete Armin Laschet eine Erklärung abgegeben und darauf hingewiesen, dass der Schutz des ungeborenen Lebens nur mit der Mutter und nicht gegen sie gelingen könne.

Deshalb ist es gut, dass fast alle Parteien auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens an diesem Miteinander arbeiten, indem wir zum Beispiel Betreuungsangebote aufbauen und finanzielle Hilfen gewähren. Unser Ziel muss es sein, den Frauen Möglichkeiten und Hilfen anzubieten, damit Kinder auch in Konfliktsituationen Grund zur Freude sind, die die Frauen nach einer qualifizierten Beratung behalten dürfen und können.

Wir wollen erreichen, dass es zwar gesetzliche Vorschriften wie §§ 218 und 219a StGB gibt, diese aber überhaupt keine Relevanz finden, weil man sie nicht anwenden muss.

Daran sollten wir eigentlich gemeinsam arbeiten. Darum werden wir Ihren Antrag heute ablehnen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU, der AfD, Alexander Langguth [fraktionslos] und Marcus Pretzell [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Liebe Kollegin Wendland, kommen Sie bitte zurück ans Redepult. Wir haben eine Kurzintervention von Frau Düker aus den Reihen der Grünen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Weil Sie das Thema richtig schön beherrschen! – Minister Hendrik Wüst: Erste Rede! – Zurufe von der CDU: Frechheit! Das ist unglaublich! – Weitere Zurufe – Monika Düker [GRÜNE] signalisiert, dass ihr Mikrofon nicht funktioniert.)

Simone Wendland (CDU): Bitte, ich stehe hier.

(Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Frau Düker, ich würde Sie gern aufschalten, aber die Technik lässt das im Moment nicht zu.

(Zuruf von der CDU: Erste Rede!)

Bitte schalten Sie Ihr Mikrofon einmal ab und dann wieder an.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Das funktioniert bei ersten Reden nicht! – Petra Vogt [CDU]: Bei ersten Reden funktioniert das nicht! – Weitere Zurufe von der CDU – Monika Düker [GRÜNE]: Vielleicht verstehen Sie mich auch so! – Zuruf von der SPD: Mikro bitte! – Zuruf: Das geht nicht wegen des Livestreams!)

– Frau Abgeordnete Düker, kommen Sie bitte nach vorne und machen die Kurzintervention von hier.

(Monika Düker [GRÜNE]: Vom Redepult?)

– Ja, vom Pult. Ich kann Ihr Mikrofon nicht einschalten.

(Monika Düker [GRÜNE] begibt sich zur Rednerin ans Redepult.)

Monika Düker (GRÜNE): Dann können wir vielleicht hier den Dialog führen.

(Lebhafter Widerspruch von der CDU)

Liebe Frau Kollegin, auch wenn es Ihre erste Rede ist, würde ich gerne das Mittel der Kurzintervention nutzen, um Sie zu fragen

(Zuruf von der CDU: Das ist eine Kurzintervention!)

und um eine Klarstellung zu bitten.

Präsident André Kuper: Das ist keine Zwischenfrage. Eine Kurzintervention ist eine Aussage.

(Unruhe)

Monika Düker (GRÜNE): Ja, das ist eine Äußerung. – Ich möchte die Kollegin darauf aufmerksam machen, dass in unserem Antrag, den wir hier …

(Zurufe von der CDU)

– Ich wüsste es nicht, aber gibt es irgendwo in der Geschäftsordnung eine Regelung, dass man bei der ersten Rede das Mittel der Kurzintervention nicht benutzen darf?

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Präsident André Kuper: Es gibt dazu keine Regelung in der Geschäftsordnung, aber es ist ein geübter Brauch.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Simone Wendland (CDU): Frau Kollegin Düker, wenn es Ihnen am Herzen liegt …

Monika Düker (GRÜNE): Ja, das tut es.

(Unruhe)

– Ich glaube, hier vorne sind sich zwei Kolleginnen viel mehr als Sie in Ihren Reihen einig, dass so etwas möglich ist.

(Fortgesetzt Unruhe)

– Jetzt bleiben Sie doch mal ruhig.

Mir geht es um eine Klarstellung. Ich finde die Klarstellung im Sinne der Sache wichtig. Die Klarstellung lautet, dass es uns in unserem Antrag selbstverständlich nicht um Werbung geht, sondern es geht uns darum – deswegen trage ich das noch einmal vor –: Wir fordern die Landesregierung auf, auf das umfassende Informationsrecht von Frauen hinzuwirken.

Selbstverständlich ist mitnichten in irgendeiner Form von einer offensiven Werbung die Rede.

(Zustimmung von Anja Butschkau [SPD])

Diese Klarstellung vorzunehmen und die Kollegin damit zu konfrontieren, war mir wichtig. Genau an diesem Punkt ist uns die Klarstellung wichtig,

(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Dann schreiben Sie es doch in Ihren Antrag!)

weil Sie uns eben unterstellt haben, es gehe uns um eine offensive Werbung. Darum geht es uns eben nicht. Diese Klarstellung war mir heute wichtig. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Dann bitte.

Simone Wendland (CDU): Ich will darauf nur kurz replizieren, Frau Düker. Es tut mir leid, dass Sie sich in der grünen Fraktion so uneinig sind, dass Sie Frau Paul jetzt korrigieren müssen.

(Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Nein! – Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Aber ich glaube, die Aussagen waren schon recht klar und die Aussagen in Ihrem Antrag eigentlich auch. – Danke.

(Beifall von der CDU, der FDP, der AfD, Alexander Langguth [fraktionslos] und Marcus Pretzell [fraktionslos] – Einige Abgeordnete der CDU erheben sich und gratulieren der Rednerin.)

Präsident André Kuper: Für die SPD hat nun die Kollegin Butschkau das Wort.

(Unruhe)

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident!

(Fortgesetzt Unruhe – Heike Gebhard [SPD]: Herr Präsident!)

Ich hoffe nicht, dass die Stimmung und die Atmosphäre in diesem Raum dazu führen, dass etwas von meiner Redezeit abgeht; das fände ich nämlich schade. Vielleicht nehmen Sie sich die Zeit und hören auch meinen Ausführungen zu. – Herzlichen Dank dafür.

(Beifall von der SPD)

Also: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Fortgesetzt Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Liebe Kollegin, bitte stoppen Sie mal eben.

Anja Butschkau (SPD): Ja.

Präsident André Kuper: Das geht auch nicht zulasten Ihrer Redezeit.

Anja Butschkau (SPD): Danke schön.

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Raum, bitte verhalten Sie sich so, dass unsere Kollegin hier ihre Gedanken vortragen kann. Ein bisschen mehr Ruhe wäre gut. – Bitte.

(Unruhe)

Anja Butschkau (SPD): Wenn es um die Legitimität von Schwangerschaftsabbrüchen geht, führt die deutsche Gesellschaft wohl die emotionalsten Debatten, wie wir in den letzten Jahrzehnten feststellen konnten, und das ist auch heute wieder ersichtlich.

(Zuruf von der SPD: Das ist offensichtlich, ja!)

Und doch ist es richtig und wichtig, die Entscheidung über den Abbruch oder das Austragen einer Schwangerschaft in die Hände der betroffenen Frauen zu legen.

(Unruhe)

Der Abbruch einer Schwangerschaft ist kein wünschenswerter Weg, doch manchmal bleibt für die betroffenen Frauen kein anderer Ausweg.

(Fortgesetzt Unruhe – Zuruf von der SPD: Das geht so nicht, Herr Präsident!)

Während meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Sozialarbeiterin habe ich viele Frauen kennengelernt, die vor der Frage standen, eine Schwangerschaft abzubrechen.

(Fortgesetzt Unruhe – Heike Gebhard [SPD]: Ruhe bitte!)

Die Gründe dafür waren vielfältig.

(Fortgesetzt Unruhe – Zurufe von der SPD: Das ist unglaublich! – Hören Sie zu! – Weitere Zurufe)

– Ich mache einfach weiter. Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Dann ist alles gut.

(Beifall von der SPD)

Die Gründe reichten von gesundheitlichen Bedenken über prekäre Lebensverhältnisse, die für das Kind schädlich gewesen wären, bis hin zu emotionalen Erwägungen.

Seien Sie aber versichert: Keine dieser Frauen hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Alle haben abgewägt, welche Entscheidung für sie selbst und für das ungeborene Kind am besten war. Und nur sie selbst, also kein Mann, kein Arzt und keine Institution, musste am Ende diese schwierige und folgenschwere Entscheidung treffen.

(Heike Gebhard [SPD]: Und aushalten!)

Um diese Entscheidung aber selbstbestimmt treffen zu können, brauchen Frauen den uneingeschränkten Zugriff auf unabhängige Informationen.

(Beifall von der SPD)

Die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen spielen hierbei eine wichtige Rolle, aber eben auch die Ärztinnen und Ärzte. Wir sehen daher nach dem aktuellen Urteil einen dringenden Bedarf, den unzeitgemäßen § 219a zu streichen.

(Beifall von der SPD)

Die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, muss beendet werden. Es darf nicht sein, dass sie sich strafbar machen, wenn sie ihren Patientinnen sachliche Informationen zur Verfügung stellen. Sie werben nicht – wie von einigen Befürwortern dieses Paragrafens und auch von Frau Wendland gerade eben dargestellt – für Schwangerschaftsabbrüche, sondern sie unterstützen Frauen bei der Entscheidungsfindung –

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

einer Entscheidung, die schwerwiegende Folgen für das Leben der jeweiligen Frauen hat.

Es kann nicht sein, dass dieser Unrechtsparagraf – Frau Paul hat es gerade auch gesagt – aus dem Jahr 1933 noch länger im Strafgesetzbuch steht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD)

Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch ein anderes Unding thematisieren, und das ist der Umgang mit Ärztinnen und Ärzten, die Frauen in einer Notlage helfen und die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Es ist empörend, wie diese Ärztinnen und Ärzte von radikalen Abtreibungsgegnern – sogenannten Lebensschützern –,

(Zuruf von der AfD)

von Rechtsradikalen und Rechtspopulisten bedroht, eingeschüchtert und an den Pranger gestellt werden.

(Beifall von der SPD – Zurufe von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Im Internet existieren Listen, in denen Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, aufgeführt werden.

(Zurufe von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Alle demokratischen Parteien sind sich bestimmt darin einig, dass wir uns solchen Denunziationen entgegenstellen müssen.

(Zurufe von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der SPD ist die Streichung des § 219a ein wichtiges Anliegen. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in der letzten Woche einen Gesetzentwurf beschlossen, der im neuen Jahr – zusammen mit anderen demokratischen Fraktionen – in den Bundestag eingebracht werden soll. Parallel dazu haben die SPD-geführten Länder Brandenburg, Berlin und Hamburg zusammen mit Thüringen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht.

Wir stimmen daher inhaltlich für den uns vorliegenden Antrag, wenngleich sich eine eigene Bundesratsinitiative aus NRW erübrigt hat. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Landesregierung den entsprechenden Gesetzentwurf im Bundesrat befürwortet und damit die Rechte von schwangeren Frauen stärkt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Debatte um …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Anja Butschkau (SPD): … Schwangerschaftsabbrüche stellt sich früher wie heute die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Für mich ist klar: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Frauen nicht entmündigt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf: Ja, genau!)

Sie sollen selbst entscheiden können, was das Beste für ihr Leben ist. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, die Redezeit.

Anja Butschkau (SPD): … leben, in der Frauen in Angst leben müssen, weil es Menschen gibt, die ihnen dieses Recht nicht zugestehen. – Herzlichen Dank und Glück auf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Butschkau. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion um den § 219a StGB ist in den letzten Wochen aufgrund der Verurteilung der Gießener Ärztin auf die politische Agenda gekommen. Doch vor der sehr einfachen Forderung nach einer Aufhebung dieser Regelung sollten wir uns etwas intensiver mit dem Sachverhalt auseinandersetzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung immer den Schutz des ungeborenen Lebens betont.

Daraus folgt, dass der Abbruch einer Schwangerschaft grundsätzlich strafbar ist. Insofern lässt sich ableiten, dass auch die Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch strafbar sein muss. Eine Freigabe jeglicher Werbung würde diesem Gebot des Lebensschutzes widersprechen. Eine ersatzlose Aufhebung des § 219a StGB kann also keine Lösung sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings auch anerkannt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Abbruch einer Schwangerschaft straffrei sein kann, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden. Dazu zählen nach § 218a Strafgesetzbuch eine Beratung, die in der Konfliktlage der Schwangeren den Schutz des ungeborenen Lebens berücksichtigt, eine Frist von in der Regel zwölf Wochen sowie eine ärztliche Vornahme des Abbruchs.

Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht 2008 in einem anderen Sachverhalt unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Gesetzgebers ausgeführt, dass es bei den gemäß der Rechtsordnung vorgesehenen straffreien Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte zulässig sein muss, dass diese darauf hinweisen können, wenn Patientinnen ihre Dienste in Anspruch nehmen können. Daraus folgt, dass eine sachlich-neutrale Information von Ärzten über die Bereitschaft zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht strafbar sein sollte.

Es wäre also denkbar, die Strafbarkeit einer Werbung an die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs zu koppeln, und für straffreie Abbrüche keine Sanktionen für eine neutrale Information vorzusehen. Ebenso wäre denkbar, gesetzlich genauer zwischen einer sachlich-neutralen Information und einer offensiven und anstößigen Werbung zu unterscheiden. Unsere Bundestagsfraktion hat dazu moderate Änderungen des § 219a StGB vorgeschlagen.

(Beifall von der FDP)

Die FDP-Landtagsfraktion will Ärztinnen und Ärzte nicht kriminalisieren, wenn sie sachlich-neutral über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. Dabei ist aber eine Kommerzialisierung von Abtreibungen durch das grundsätzliche Werbeverbot auszuschließen. Letzteres wollen wir deshalb auch nicht alleine dem ärztlichen Standesrecht überlassen, sondern halten hier eine entsprechend angepasste strafgesetzliche Regelung weiterhin für sinnvoll.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, letztlich ist der vorliegende Antrag aber auch überholt. Es wurde bereits ein Gesetzentwurf der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Thüringen zur Aufhebung des § 219a StGB im Bundesrat eingebracht.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE] – Zurufe von der SPD)

Auch die Vertreter von NRW werden sich in den Ausschüssen mit diesem Gesetzentwurf intensiv auseinandersetzen und selbst konstruktive Vorschläge einbringen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Haben Sie auch eine Meinung dazu?)

Eine eigene Bundesratsinitiative ist somit nicht erforderlich,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Dann treten Sie der doch bei!)

da wir in den Beratungen auch differenzierte Vorschläge zur Änderung von § 219a StGB einbringen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bevor Sie hier im Schnellschuss populistische Anträge zu so einem Thema stellen,

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Ach, das ist Populismus? Interessant!)

würde ich mir mehr Gespräch darüber wünschen,

(Zuruf)

dass wir künftig die Schwangerenkonfliktberatung verbessern, dass wir sie intensivieren; denn die FDP-Landtagsfraktion möchte auch mündige und selbstbestimmte Frauen, aber wir wollen vor allem im Vorfeld sehr gut informierte Frauen.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Bei jeder Schwangerschaftskonfliktberatung wird darauf hingewiesen, wenn die Frauen das möchten, welche Ärzte diese Abbrüche vornehmen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schneider, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage bei Frau Kollegin Kopp-Herr.

Susanne Schneider (FDP): Gerne.

Regina Kopp-Herr (SPD): Danke schön, Frau Präsidentin, und danke schön, Frau Kollegin Schneider, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Wie möchten Sie die Schwangerschaftskonfliktberatung verbessern – das würde ich gerne mal wissen – im Verhältnis zu dem, wie sie zurzeit organisiert und aufgestellt ist?

(Zuruf von der FDP)

Susanne Schneider (FDP): Wir müssen sie einfach noch besser aufstellen. Wir müssen den Beratungsstellen mehr Mittel zur Verfügung stellen. Wir müssen den Frauen auch aufzeigen, wo sie eine solche Beratung erhalten können. Wenn wir hier informieren, bei welchen Stellen, bei welchen Organisationen Frauen eine neutrale und faire Beratung bekommen können,

(Josefine Paul [GRÜNE]: Das ist Rechtslage!)

sind wir, glaube ich, schon auf einem ganz guten Weg.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Regina Kopp-Herr [SPD])

Aber einem Antrag wie dem vorliegenden, der im Bundesrat bereits überholt ist und der mit der Forderung nach einer ersatzlosen Aufhebung von § 219a StGB dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Schutz des ungeborenen Lebens widerspricht, können wir als FDP-Fraktion nicht zustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die AfD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen, die noch vor wenigen Wochen nicht wörtlich, aber sinnbildlich davon sprachen, dass geldgierige Ärzte aus Profitsucht verunsicherten Frauen Kinder aus den Bäuchen schneiden, um ihren vierten Porsche in diesem Jahr zu finanzieren, und damit in unsäglichem Maße versuchten, die Schulmedizin und die Ärzte zu kriminalisieren, schreiben nun einen Antrag zur Entkriminalisierung der Mediziner. Das lässt einen stutzen. Worum geht es also?

Die Grünen wollen natürlich keinesfalls Ärzte entkriminalisieren. Die Überschrift ist so unsäglich populistisch wie irreführend. Die Grünen wollen, dass man demnächst straffrei Werbung für Abtreibungen machen kann. Das entkriminalisiert nicht die Ärzte, die sich dem Wohl ihrer Patienten verschrieben haben, sondern entkriminalisiert beispielsweise folgende Szenarien:

Ich bestelle über eine Onlineapotheke einen Schwangerschaftstest für meine Frau und lasse dabei zufälligerweise die Cookies an.

(Zuruf von der SPD: Das kann die auch alleine!)

Als Folge bekomme ich dann zusätzlich einen Gutschein mit einer 30-prozentigen Ermäßigung für die nächste Abtreibung.

(Zuruf: Das ist doch Humbug!)

Oder ich suche bei Amazon nach Babysocken und bekomme angezeigt: Andere suchten auch Abtreibungsklinik so und so. – Die gleichen Grünen, die in Berlin sexistische Werbung verbieten, wollen Plakatwände mit Abtreibungswerbung.

(Beifall von der AfD – Widerspruch von Josefine Paul [GRÜNE])

Das ist nun wirklich an Menschenfeindlichkeit kaum mehr zu überbieten, aber willkommen bei den Grünen anno 2017!

(Beifall von der AfD – Widerspruch von den GRÜNEN)

Sie spielen sich so gerne als Anwalt der Menschheit auf. Sie kriminalisieren die Altersfeststellung bei Flüchtlingen durch ein effes Röntgenbild und sprechen von Körperverletzung, aber wollen es gleichzeitig ermöglichen, dass auf großen Leuchtreklamen für eine möglichst unkomplizierte Kindstötung geworben werden kann.

(Beifall von der AfD – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

So weit kann einen verblendete Ideologie führen. Sie wollen auch, dass das Leben von Zuchtputen geschützt wird, und vergehen sich gleichzeitig an den Schwächsten der Gesellschaft. Was ist denn bitte in Ihrer Kindheit schiefgelaufen?

(Beifall von der AfD – Karl Schultheis [SPD]: Erzählen Sie doch mal über Ihre! – Minister Dr. Joachim Stamp: Das ist doch Satire! – Widerspruch von der AfD)

An Informationen zur Abtreibung mangelt es nun wirklich nicht. Sie können sich über das Internet oder öffentliche Beratungsstellen schon heute umfangreich informieren: anonym und unkompliziert. Dabei ist es keine Seltenheit, dass mir in der eigenen Praxis junge Frauen begegnen, die drei, vier oder fünf Abtreibungen hinter sich haben – Abtreibung sozusagen als Mittel der erweiterten Verhütung.

Die offiziellen Zahlen sprechen dabei Bände. Schon heute werden rund 13 % der Föten abgetrieben. Es gibt rund 700.000 Geburten jedes Jahr in der Bundesrepublik bei etwa 100.000 Abtreibungen. Das heißt, schon heute wird jedes achte potenzielle Kind abgetrieben in einem der kinderärmsten Länder der Welt. Und das wollen Sie jetzt auch noch bewerben!?

(Beifall von der AfD)

Wohin bitte soll das führen? Und was kommt als Nächstes: die Werbung für Euthanasie? Opa wird uns zu lästig, also lösen wir den 50-Prozent-Gutschein bei Aldi ein?

(Lebhafter Widerspruch von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das ist wirklich an ideologischer Menschenfeindlichkeit nicht mehr zu überbieten.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Dr. Vincentz, ich würde Ihnen gerne unter Kollegen einen guten Rat geben. Sehen Sie sich Ihre Rede noch einmal an und überdenken Sie über die Feiertage, ob Sie das wirklich so stehen lassen möchten!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Roger Beckamp [AfD]: Sagen Sie das anderen Leuten auch? – Weitere Zurufe von der AfD)

– Sie können sich gerne im Rahmen der Möglichkeiten beschweren; dann werden wir das klären. Aber es gibt Grenzen, und die sind überschritten.

(Roger Beckamp [AfD]: Das hätten Sie schon öfter sagen können! – Weitere Zurufe von der AfD)

Der nächste Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Herr Pretzell.

Marcus Pretzell*) (fraktionslos): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe grüne Fraktion, Sie haben in Ihrer Antragsbegründung mehrfach erläutert, dass es vor allem darum ginge, dass Frauen Beratung erhalten könnten darüber, wie ein Schwangerschaftsabbruch und wo er durchzuführen sei.

Das ist bereits gewährleistet. Es ist völlig unkompliziert bereits heute möglich.

Was Sie mit Ihrem Antrag verfolgen, nämlich die vollständige Abschaffung des § 219a StGB, ist schlicht nichts anderes als verfassungswidrig; das hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit deutlich gemacht.

Aber ich möchte noch auf etwas anderes hinweisen, und zwar auf ein Missverhältnis. Es ist heutzutage und Im Übrigen auch auf Ihr Betreiben hin gang und gäbe, dass auf den Verpackungen von Zigaretten Warnhinweise unter anderem mit der Aufschrift „Rauchen in der Schwangerschaft schadet Ihrem Kind“ zu lesen ist und anderes mehr.

Sie setzen sich für Werbeverbote für Alkohol, für Werbeverbote für Zucker ein. Sie setzen sich dafür ein, dass die Schlachtung trächtiger Tiere nicht zulässig ist, meine Damen und Herren von den Grünen. Denken Sie doch einmal über die Verhältnismäßigkeit Ihrer gesamten Forderungen im Zusammenhang mit diesem Antrag nach.

Ich möchte auf ein Zitat von Frau Göring-Eckardt verweisen – Sie werden es kennen –: „Wir wollen, dass in diesen vier Jahren jede Biene und jeder Schmetterling und jeder Vogel in diesem Land weiß: Wir werden uns weiter für sie einsetzen.“

Meine Damen und Herren, es gibt noch andere, die es nötig hätten, dass Sie sich für sie einsetzen. Die sind mindestens genauso schutzlos. Und genau darauf zielt Ihr Antrag, Werbung zu erlauben, nämlich letztlich Werbung zu erlauben, die die Tötung jener Schutzlosen leichter ermöglicht. Das ist bei 100.000 abgetriebenen werdenden Kindern ein Skandal, meine Damen und Herren.

Wenn Schwangere in einer Konfliktlage unabhängige Informationen ausgerechnet von denjenigen bekommen sollen, die daran am Ende Geld verdienen, dann ist das eben keine unabhängige Information.

Meine Damen und Herren, der Antrag ist falsch. Aber für einen solchen falschen Antrag kann man sich auch noch den völlig falschen Zeitpunkt aussuchen. Einen solchen Antrag wenige Tage vor Weihnachten, vor Jesu Geburt hier einzubringen, das zeugt von einem besonderen Maß an Geschmacklosigkeit.

(Zuruf von der SPD: Das ist infam! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vielleicht denken Sie, meine Damen und Herren, darüber über Weihnachten einmal nach.

(Beifall von Alexander Langguth [fraktionslos] – Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Pretzell. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich die ganze Zeit gewundert, mit welcher Emotionalität hier teilweise geredet wird. Ich habe den Eindruck, hier wird eine Scheindebatte geführt, die im Grunde etwas ganz anderes zum Ziel hat.

Die Grünen als Antragsteller suggerieren in ihrem Antrag, dass Ärztinnen und Ärzte geradezu massenhaft und flächendeckend davor Sorge haben müssten, mit Strafanzeigen wegen unerlaubter Werbung überzogen zu werden. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten deutlich gemacht, worum es wirklich geht.

Der § 219a stellt unter Strafe, dass jemand wegen seines eigenen Vermögensvorteils oder in grob anstößiger Weise die Dienste anbietet, über die wir hier sprechen. Das ist unser Punkt, nichts anderes.

Wenn Sie, liebe Antragsteller, liebe Frau Paul, sich einmal damit beschäftigt haben, wie sich diese Vorschrift auswirkt, dann hätten Sie gemerkt, dass sie in der Praxis so gut wie keine Rolle spielt. In der Polizeilichen Kriminalstatistik – Frau Wendland hat es deutlich gemacht – sind für 2016 – für dieses Jahr haben wir noch keine Zahlen – für Nordrhein-Westfalen ganze zwei Fälle erfasst. Bundesweit waren es 35.

Damit begann auch die Diskussion. Wenn Sie sich einmal erkundigt hätten, wie viele Verurteilungen zustande gekommen sind, dann hätten Sie von einem Fall gehört. Bundesweit in einem Jahr: 35 Anzeigen, eine Verurteilung.

Nun kommt dieses Urteil aus dem November und schafft diese Riesenbugwelle. Auch dafür gibt es keinen Grund. Warum? – Es sind Rechtsmittel eingelegt worden. Die Beteiligten sind unterschiedlicher Auffassung, ob verbotene Werbung vorlag oder nicht.

Gönnen Sie doch einmal der Berufungsinstanz die Chance, darüber nachzudenken. Wegen der 35 Fälle hat keiner gekräht, wegen des einen Urteils auch nicht. Das ist doch die Situation. Strafbar ist die Werbung wegen des eigenen Vermögensvorteils oder wegen anstößiger Art und Weise. Das ist das, worüber wir uns unterhalten.

Auch den vermeintlichen Widerspruch zwischen den Verpflichtungen aus dem Schwangerschaftskonfliktgesetz und dem § 219a des Strafgesetzbuches, den Sie darzustellen versuchen, gibt es nicht. Wer hier so tut, als würden ratsuchende Frauen alleingelassen ohne Möglichkeiten, sich seriös zu informieren, der täuscht. Das entspricht auch nicht der Realität.

Der Zugang zu umfangreichen Informationen einschließlich der Frage, welche Ärztinnen und Ärzte einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen können, ist über unsere Schwangerschaftsberatungsstellen gewährleistet. Wer sich erkundigen möchte, bekommt auch eine Antwort. Das Beratungsangebot, das das Schwangerschaftskonfliktgesetz vorsieht, ist vorhanden. Daran ändert auch der § 219a nichts.

Mal sehen, wie die Diskussion weitergeht, wenn wir das Ergebnis des Rechtsmittels in dem Fall, der jetzt eine Rolle spielt, vorliegen haben.

Alle in diesem Raum wissen, dass der Bundesrat erst in der vergangenen Woche den Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 219a den zuständigen Ausschüssen zugewiesen hat. Dorthin gehört die Diskussion, nicht hier in den Landtag. Wer es hier anzubringen versucht, verfolgt andere Ziele damit. Deswegen wird die Landesregierung diesen Antrag ablehnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat noch einmal Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es im Interesse von Frauen, die oftmals in höchster Not sind, sehr bedauerlich, dass mir und meiner Fraktion hier in mehrfacher Weise unterstellt worden ist, wir würden andere Ziele verfolgen, ohne dass diese Ziele konkreter genannt worden wären.

Worum es doch geht, ist, dass Frauen in einer solchen Notsituation, in einer solchen auch emotionalen Notlage Unterstützung und Information finden. Diese werden natürlich von den Konfliktberatungsstellen vermittelt, die wir in diesem Land haben. Es sind aber auch die Ärztinnen und Ärzte, an die sich Frauen vertrauensvoll wenden können müssen. Das ist bislang in dieser Art und Weise nicht möglich.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass diese Debatte in diesem Hohen Haus so entgleist ist. Denn im Sinne der betroffenen Frauen ist das wirklich keine gute Nachricht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister Biesenbach, die von Ihnen angesprochene Rechtsunsicherheit besteht doch. Ich habe doch das Zitat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebracht. Ich habe doch darauf hingewiesen, dass sich auch der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Montgomery, wünscht, dass diese Rechtsunsicherheit für die Ärztinnen und Ärzte ein Ende hat, und dass die Frauen ein Recht haben, in einer Notlage qualifizierte Hilfe und Beratung zu bekommen.

Schade, dass diese Diskussion hier nicht im Sinne der Frauen geführt werden konnte!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen …

(Zuruf von der AfD)

– Entschuldigung. Herr Kollege Keith, oder wer möchte reden?

(Iris Dworeck-Danielowski [AfD] meldet sich.)

– Dann kommen Sie bitte, Frau … Gleich fällt mir Ihr Name ein. Es ist der schwierige Doppelname, über den ich immer stolpere, Entschuldigung.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Dafür habe ich großes Verständnis. Ich bin es ja selbst schuld.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfreulicherweise spricht mein Kollege Dr. Vincentz wahnsinnig schnell, sodass ich noch ein Minütchen Zeit habe.

Ich möchte noch etwas richtigstellen. Das, was an dieser Stelle so erzürnt, ist doch die Pietätlosigkeit, mit der dieses Anliegen hier vorgetragen wurde. Da kochen die Gemüter auf. Es geht überhaupt nicht um eine Kriminalisierung von Frauen, die in Not sind, ganz im Gegenteil. Aber man muss sich doch fragen: Wohin führt diese Schwangerschaftskonfliktberatung denn in viel zu vielen Fällen? Wie sieht eigentlich die Qualitätssicherung aus? Wer führt denn diese Beratungen durch?

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Nehmen Sie doch einmal zu dem Euthanasie-Vergleich Stellung! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN – Gegenruf von Markus Wagner [AfD])

Ich habe selbst eine Beratung genossen. Wissen Sie, was mir in dieser Beratung erzählt wurde?

(Zurufe – Unruhe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe)

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Wissen Sie, was mir in dieser Beratung erzählt wurde?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Nicht schreien!

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Ja: „Sie werden später eine gute Mutter, wenn Sie Verantwortung übernehmen und heute abtreiben.“ – Das war der Text in dieser Beratung bei der AWO. Da frage ich mich doch wirklich: Ist das die Hilfe, die eine notleidende Frau gegebenenfalls braucht?

Ich bin kein Einzelfall. Wohin führen denn diese Beratungen bei pro familia usw.? Warum sind denn fast 13 % aller Schwangerschaften so schwierig, dass das Kind keine Lebensperspektive bekommt?

(Zurufe von den GRÜNEN)

Dann muss ich doch sagen: Wir können gar nicht davon sprechen,

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

dass es in Einzelfällen so schwierig ist. Insgesamt hat es schon zu einer Bagatellisierung geführt. Selbst mein Gynäkologe sagte kürzlich noch zu mir: „Naja, ein Abbruch. Was ist das schon? Ich habe Patientinnen, die zehnmal abgetrieben haben.“

Ich muss ganz ehrlich sagen: Das ist doch das Problem. Wir brauchen nicht mehr Werbung und nicht mehr Information, sondern wir brauchen deutlich bessere und qualitativ hochwertigere Beratung.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Mein Gott! Echt! Willkommen in den 50er-Jahren! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Wir brauchen vor allen Dingen ein Biotop, in dem es für Frauen wieder viel leichter wird, auch in schwierigen Situationen Kinder zu bekommen. Vielleicht sollte man auch sicherstellen, dass Frauen zu dem Thema sprechen, die selbst Mutter sind. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Das war Frau Kollegin Dworeck-Danielowski. – Dafür, dass mir der Name nicht sofort eingefallen ist, entschuldige ich mich ganz herzlich.

Weitere Wortmeldungen liegen jetzt in der Tat nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 7.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Das heißt, wir stimmen jetzt über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/1433 ab.

Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die CDU, die FDP, die AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Demzufolge kann sich niemand mehr enthalten. – Der Blick in die Runde bestätigt das auch. Dann ist der Antrag Drucksache 1433 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

8   Kosten für Schutz von Weihnachtsmärkten und Volksfesten mit Absperrmaßnahmen wie Betonklötzen

Antrag
der Fraktion AfD
Drucksache 17/1446

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Wagner für die AfD-Fraktion das Wort.

Markus Wagner (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich gehe einmal davon aus, dass die meisten von Ihnen in diesem Jahr bereits mit ihrer Familie, ihren Kindern, Freunden oder Arbeitskollegen einmal auf dem Weihnachtsmarkt waren. Da stellt sich die Frage, wie sich das im Jahre zwei nach Merkels Kontrollverlust eigentlich so anfühlt.

(Unruhe)

Da stehen die im Volksmund „Merkel-Poller“ genannten Lkw-Barrieren mal bemalt, mal verziert oder ganz einfach aus rohem Beton. Dass diese, wie Testergebnisse zeigen, oft noch nicht einmal dazu geeignet sind, die muslimischen Hobby-Lkw-Fahrer aufzuhalten, ist eine Posse in sich.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren der alten Parteien: Poller, Zäune, Patrouillen, Maschinenpistolen. – Merken Sie was? Vielleicht auch nicht. Die Grenzen, die Sie hier im Haus, wie die Grünen, für „nicht wünschenswert“ halten, oder die Sie, wie Schwarz, Gelb und Rot, nicht schützen wollen – was im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft –, haben wir jetzt in den Innenstädten. Was für ein wunderschönes Weihnachtsgefühl!

(Beifall von der AfD)

Fällt denn niemandem von Ihnen auf, wie absurd diese Politik ist? Ich möchte präzisieren: Natürlich gibt es unter Ihnen welche, die sehen, was zu sehen ist, und die einem das auch unter der Hand sagen und sich über das aussprechen, was sie nach außen verteidigen müssen.

Meine Frage muss also präzise lauten: Will denn niemand von Ihnen endlich einmal offen aussprechen, welches Desaster Sie in diesem Land spätestens seit dem September 2015 gemeinsam mit Frau Merkel angerichtet haben?

Es kann doch auch nicht Ihr Ziel sein, dass wir gebrannte Mandeln nur noch hinter Zäunen und Betonklötzen genießen. Sie können doch nicht ernsthaft Kinderkarussells mit Maschinenpistolen sichern wollen. Ihre ganze Sicherheitsarchitektur, wenn man das überhaupt so nennen kann, ist doch im Wortsinne vollkommen verrückt. Einerseits wollen Sie Deutschlands Freiheit am Hindukusch und andererseits an den Grenzen der Weihnachtsmärkte verteidigen. Auf die naheliegende Idee, dass allen besser damit gedient wäre, endlich die Grenzen zu schützen, sich an Recht und Gesetz zu halten und abzuschieben, kommen Sie nicht, bzw. Sie meinen, das sei rechtspopulistisch.

(Beifall von der AfD)

Ehrlich gesagt, habe ich so langsam das Gefühl, „Rechtspopulismus“ ist das neue Synonym für „realistisch“.

(Beifall von der AfD)

Realistisch ist auch: Solange Sie nicht endlich die Grenzen kontrollieren, solange Sie nicht endlich diejenigen abschieben, die abzuschieben sind, solange Sie also nicht endlich wieder aus Ihrer Multikulti-Besoffenheit aufwachen, so lange werden wir uns leider auch im Land auf Weihnachtsmärkten, an Karneval und bei Fußballspielen zusätzlich schützen müssen.

Aber, meine Damen und Herren, übernehmen Sie wenigstens die finanzielle Verantwortung für diese zusätzlich durch Ihre verfehlte Politik nötig gewordenen Kosten.

Am liebsten wäre es mir, die Marktbetreiber, die Karnevalsvereine, die Fußballklubs schickten ihre Rechnungen für Poller, Zäune und Wachdienst direkt an Frau Merkel und ihre Helfershelfer. Das wäre zwar recht und billig, aber leider steht die politische Klasse – die alten Parteien – ja nicht für ihre Fehler ein. Die Verantwortung, auch die finanzielle, wird stattdessen lieber abgeschoben; denn da geht es plötzlich mit der Abschiebung.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat bei seiner jüngsten Entscheidung zum Thema „Weihnachtsmärkte“ geurteilt, dass der zuständige Bezirk für die Kosten zum Schutz des Marktes am Schloss Charlottenburg aufkommen muss. Die Entscheidung einer übergeordneten Instanz steht noch aus. Unabhängig von der finalen juristischen Bewertung kann es nicht angehen, dass Betreiber von Weihnachtsmärkten, Kommunen oder die Bundesländer für diese Sicherungskosten aufkommen – für Kosten, die ihnen Frau Merkel, also der Bund, eingebrockt hat.

Daher fordern wir die Landesregierung auf, erstens auf Bundesebene dafür zu sorgen, die deutschen Grenzen von nun an gemäß geltenden Rechts zu sichern; das heißt auch, Menschen abzuweisen, die kein Recht auf Einreise haben; zweitens die gestiegenen Kosten für die Sicherung von Volksfesten, Märkten und anderen Großveranstaltungen endlich zu übernehmen; drittens diese Kosten in einem separaten Haushaltstitel auszuweisen, um sie dem Bürger gegenüber stets transparent darlegen zu können; viertens die Prüfung und gegebenenfalls die Durchsetzung von Regressansprüchen gegen Mitglieder der damaligen Bundesregierung.

Helfen Sie also unseren Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die nichts für die Mehrkosten können! Senden Sie die Rechnungen an diejenige, die die Kosten verursacht hat, an die geschäftsführende Kanzlerin Frau Merkel! – Ihnen allen darüber hinaus ein gesegnetes Weihnachtsfest, auf dass wir uns im neuen Jahr gesund wiedersehen! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Wagner. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Boss, und das ist seine erste Rede im Landtag.

Frank Boss (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! – Herr Kollege Wagner, es war gerade gar nicht so einfach, Ihnen zuzuhören; denn das, was Sie wieder an Verzerrungen gebracht haben, ist schon bemerkenswert. Das zieht sich bei Ihnen aber schon durch den ganzen Tag, insofern ist das für uns nichts Neues; es macht die Sache aber nicht wirklich angenehmer.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

In einer freiheitlichen Demokratie wie unserer wird es niemals hundertprozentigen Schutz und Sicherheit geben – es sei denn, man will einen Polizei- und Überwachungsstaat, wie es diese Republik schon einmal erlebt hat. Dieses System scheint für die AfD eine Option zu sein, wenn man in Ihrem Antrag zwischen den Zeilen liest.

(Helmut Seifen [AfD]: Ach nein! So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der AfD)

Aber selbst in einem Polizei- und Überwachungsstaat gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Wir als CDU-Fraktion lehnen einen solchen Überwachungsstaat ab.

Lassen Sie mich konkret auf Ihren Antrag eingehen. Dazu ist Folgendes zu sagen: Es gibt klare Verantwortlichkeiten auf verschiedenen Ebenen. Grenzsicherung, von der Sie in Ihrem Antrag sprechen, ist Aufgabe der Bundesregierung oder, um konkret zu werden, die der künftig verantwortlichen Bundesregierung.

(Markus Wagner [AfD]: Dazu sollen Sie die Bundesregierung ja auffordern!)

Herr Kollege Wagner, Sie dürfen sicher sein, dass sich unser Ministerpräsident Armin Laschet sowie unser Innenminister Herbert Reul weiterhin dafür einsetzen werden, dass unsere Positionen zur inneren Sicherheit in NRW auch in Berlin Gehör finden werden.

(Beifall von der CDU)

Im Übrigen brauchen wir für eine funktionierende Grenzsicherung erst einmal einen klaren gemeinsamen Wertekompass in der Europäischen Union. Man muss allerdings feststellen, dass dieser zurzeit nicht wirklich vorhanden ist. Das wurde gerade erst wieder im Rahmen der Asylverhandlungen mehr als deutlich.

Kommen wir zur Klage, die Sie in Ihrem Antrag einfordern.

Erstens. Sie, meine Damen und Herren von der AfD, haben auch eine Bundestagsfraktion. Wenn Sie das Bedürfnis haben, bestimmte Sachverhalte verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen, haben Sie durch Ihre Bundestagsfraktion die Möglichkeit, sich im Bundestag entsprechend einzubringen – und versuchen Sie nicht, dieses Hohe Haus und die Landesregierung zu instrumentalisieren!

(Beifall von der CDU – Christian Loose [AfD]: Also stellen Sie auch keine Anträge mehr? Sie haben ja auch eine Bundestagsfraktion! – Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Zweitens. Die Verantwortung für die Sicherheit von Veranstaltungen liegt in den Händen der Kommunen. Sie wissen doch ganz genau, dass für die Ordnungsbehörden und deren Ordnungskräfte die jeweilige Kommune in ihrer Selbstverwaltung zuständig ist. Sie wissen ebenso – oder offensichtlich noch nicht –, dass auch die Ausstattung zusätzlicher Ordnungskräfte Aufgabe der Städte und Kreise ist. Deshalb ist es sachlich falsch, die Forderung aufzustellen, dass der Bund für die Kosten aufkommen soll. An dieser Stelle darf wohl festgestellt werden, dass Sie auch in dieser Sache Nachholbedarf haben.

(Beifall von der CDU)

Als NRW-Koalition setzen wir uns in dieser Legislaturperiode für klare Prioritäten ein. Eine der Prioritäten ist für uns die innere Sicherheit und vor allem die Wertschätzung gegenüber unseren Staatsdienern.

Drittens. Sie behaupten in Ihrem Antrag ausdrücklich, dass die Migrationswelle zu einer Vielzahl von Gewalttaten und terroristischen Übergriffen geführt habe – davon haben Sie gerade noch gesprochen, Herr Kollege Wagner. Hier stellt sich ebenso die Frage nach Klarheit und Wahrheit in Ihrem Antrag.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD)

Meine Damen und Herren von der AfD, auch an dieser Stelle ist Ihre Auffassung sachlich falsch. Es gab bereits vor der Zuwanderungswelle im Jahr 2015 terroristische Gefährder in Deutschland und in NRW. Diese waren bereits dem islamistischen Spektrum zuzuordnen.

(Markus Wagner [AfD]: Und gab es schon vor 2015 Maschinenpistolen auf Weihnachtsmärkten?)

Außerdem gibt es durchaus terroristische Gefährder mit und ohne Migrationshintergrund. Sven Lau beispielsweise, der dann später zum Islam konvertierte und sich radikalisierte, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Des Weiteren sind die Täter des Anschlags auf den Sikh-Tempel in Essen definitiv nicht der Migrationswelle des Jahres 2015 zuzuordnen.

Wir als NRW-Koalition sehen es als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, die Radikalisierung insbesondere junger Menschen zu verhindern, indem sinnvolle und notwendige Präventionsarbeit geleistet wird. Deswegen widmet sich auch unsere Landesregierung unter anderem dem Ziel, den Salafismus hier in NRW und in Deutschland zu bekämpfen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Abschließend möchte ich noch einmal deutlich festhalten: Die Sicherheit von Weihnachtsmärkten und Volksfesten liegt im Interesse aller – der Sicherheitsbehörden, der Kommunen und der Veranstalter. Diese Veranstaltungen müssen sicher durchgeführt werden können. Alle Beteiligten haben dazu einen entsprechenden Beitrag zu leisten.

Die Herleitung einer Verantwortung und Betroffenheit der Bundesregierung geht an dieser Stelle jedoch eindeutig fehl. Die Frage einer Grenzsicherung und die Frage nach der Kostentragungspflicht von Schutzmaßnahmen sind zwei voneinander zu trennende Themen, die nicht in einen Sinnzusammenhang zu stellen sind.

(Markus Wagner [AfD]: Verursacherprinzip!)

Unsere Landesregierung sowie die Koalition aus CDU und FDP ist sich ihrer Verantwortung bewusst und wird sich weiterhin mit größtmöglichem Einsatz für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen einbringen.

Wir lehnen Ihren Antrag daher ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Boss. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kutschaty.

Thomas Kutschaty (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch dieser AfD-Antrag ist ganz offensichtlich wieder mit heißer Nadel gestrickt. Der eigentliche Anlass für den Antrag ist doch klar: Pünktlich zum Jahrestag des feigen Anschlags vom Breitscheidplatz will man hier politisch Punkte machen.

Die Opfer des Anschlags werden von Ihnen dafür instrumentalisiert. Das Schema ist immer dasselbe und folgt dem Muster der sorgfältig geplanten politischen Provokation. Es ist wohl auch kein Zufall, dass erst im letzten Absatz Ihres Antrags, und da auch nur oberflächlich, auf das eigentliche Thema eingegangen wird.

Lassen Sie mich gleich zu Beginn unmissverständlich klarstellen: Terroristische Anschläge sind nicht nur Anschläge auf Deutschland, es sind Anschläge gegen alle gerecht denkenden Menschen. Es sind Anschläge auf das demokratische und friedliche Miteinander der Völker und Kulturen, und es ist der Nährboden für Populisten und Verführer. Die Straftaten müssen aufgeklärt, die Täter gefasst und verurteilt werden. Hierfür haben wir ein sehr komplexes Strafrecht, aber unser Strafrecht kennt Gott sei Dank keine Hautfarbe.

Eigentlich besteht dieser Antrag nur aus den üblichen Textbausteinen, die die Vertreter der AfD hier in fast jeder Rede verwenden. Im Kern läuft es darauf hinaus, das Zerrbild eines Staates zu zeichnen, in welchem die Politik im Minutentakt geltendes Recht bricht. Mit diesem Vorwurf treffen Sie sich aber auch selbst. Sie schaden einem Staat, dem Sie eigentlich dienen sollten.

Ich habe mich ernsthaft gefragt: Was wollen die Antragsteller eigentlich mit diesem Antrag? Wenn es hier um Unterstützung der Kommunen geht,

(Monika Düker [GRÜNE]: Hetze!)

warum schreiben Sie das dann nicht einfach? Wenn ein Problem gesehen wird, warum suchen Sie dann nicht nach effektiven Lösungen für dieses Problem?

An dieser Stelle fällt mal wieder auf, dass es Ihnen gar nicht um eine Problemlösung geht; denn damit würden Sie sich auch Ihre Arbeitsgrundlage entziehen. Sie brauchen den Konflikt, nicht die Lösung. Sie müssen Zwietracht säen, anstatt die Gesellschaft zu einen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Immer dieselben Worthülsen!)

Um was es dem Antragsteller auch in diesem Antrag geht, wird wieder ganz deutlich: Grenzen zu, Deutschland abschotten, und dann ist schon alles gut.

(Helmut Seifen [AfD]: Es geht nicht um Abschotten, es geht um Schutz!)

So einfach ist die Welt allerdings nicht. Wer so redet, der erkennt die Komplexität der Lage nicht.

(Helmut Seifen [AfD]: Andere Länder schützen doch auch ihre Grenzen!)

Das Menschenbild, welches dahinter steckt, hat der AfD-Vorsitzende im Bundestag auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:

„Menschen können illegal sein.“

Eine Partei, die so argumentiert, hat die Grundprinzipien einer freiheitlich-demokratischen Wertegesellschaft entweder nicht verstanden, oder diese ist ihr zuwider.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Auch wenn es den Antragstellern um die eigentliche Frage nicht geht, erlaube ich mir doch kurz einige Anmerkungen zu dem, was möglicherweise Sinnhaftes dahinter stecken könnte. Es geht um die gestiegenen Kosten für die Sicherung von kommunalen Veranstaltungen wie Stadtfesten, Karnevalszügen, Martinsumzügen und Weihnachtsmärkten.

Ja, das ist tatsächlich ein wichtiges Thema, aber das Thema ist nicht neu, wie der Antrag zu suggerieren versucht. Groß- und Massenveranstaltungen stehen insbesondere seit dem Jahr 2010, dem tragischen Ereignis bei der Loveparade, unter strengen Sicherheitsanforderungen. Das trifft natürlich auch Veranstalter, Vereine, viele Ehrenamtliche vor Ort, die damit oft Schwierigkeiten haben. Sicherheitskonzepte werden gefordert, eine gestiegene Anzahl an notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, Absperrungen, Ordner usw.

All das kennen wir leider schon seit einigen Jahren. Es geht darum, dass wir versuchen, dieses Problem mit den Betroffenen vor Ort zu lösen. Um der Ernsthaftigkeit dieses Themas aber gerecht zu werden, hätte es eines Antrags bedurft, der sich qualifiziert damit beschäftigt. Ihr Antrag tut das nicht. – Herzlichen Dank. Glück auf und schöne Weihnachten.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kutschaty. – Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Freimuth jetzt das Wort.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen Boss und Kutschaty haben schon eine ganze Reihe Zutreffendes ausgeführt. Ich will deswegen nur einige zusätzliche Anmerkungen machen.

Mit dem vorliegenden Antrag ist wieder einmal der Versuch unternommen worden, Ängste und Abneigungen gegenüber Menschen zu schüren, die aus einer fremden Kultur zu uns gekommen sind, die in unserem Land Schutz suchen oder bei uns einfach nur ein bisschen Glück finden wollen.

Meine Hoffnung ist – vielleicht ist das auch der weihnachtliche Glaube –, dass diese Rechnung garantiert nicht aufgeht – eher im Gegenteil.

Im Zusammenhang mit Weihnachtsmärkten und anderen Großveranstaltungen wissen wir durch zahlreiche Vorfälle im Übrigen schon lange – wie haben Sie das immer ausgedrückt? –, jedenfalls schon vor den Ereignissen im Jahr 2015, dass solche Großveranstaltungen nicht mit Spaltungen oder Fremdenfeindlichkeit oder irgendwelchen obskuren Verschwörungstheorien einhergehen. Sie verlangen vielmehr den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, Vernunft und ernsthafte Konzepte, wie ein tolerantes und friedfertiges Miteinander geschützt und gestärkt werden kann.

(Helmut Seifen [AfD]: Grenzschutz!)

Ich bin auch ganz zuversichtlich, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen, die sich auf die kommenden Weihnachtstage und ein besinnliches Fest freuen, das auch wissen und sich keine Gedanken darüber machen, ob das Absperrgitter vor dem Marktplatz von der Kommune, vom Land oder vom Bund bezahlt wird.

Ich finde es echt erstaunlich, dass es Ihnen in diesem Antrag beim Schutz von Großveranstaltungen, Weihnachtsmärkten usw. in erster Linie um die Kosten und die Kostentragungspflicht geht, aber nicht darum, wie der Schutz der Menschen und deren Wohlergehen bewahrt werden. Aber das müssen die Antragsteller für sich selbst bewerten.

Der Ausschussüberweisung werden wir natürlich zustimmen. Vielleicht eröffnet sich in der Ausschussberatung die Möglichkeit, zum Beispiel allein die in den ersten neun Monaten dieses Jahres verübten 220 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ebenfalls zu besprechen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD)

Ich bin sehr gespannt darauf, wem die Antragsteller die dabei anfallenden Kosten auferlegen möchten.

(Zuruf von der AfD)

In diesem Sinne haben Sie sicherlich Gelegenheit, über die Weihnachtstage darüber nachzudenken.

Ich wünsche Ihnen sehr persönlich ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, auf dass wir ein erfolgreiches gemeinsames Jahr 2018 mit vielen Lösungen für die Probleme in unserem Land erleben werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere es zutiefst, dass wir uns kurz vor Weihnachten mit einem Antrag befassen müssen – dem letztem Antrag in diesem Jahr –, der vor Falschbehauptungen, Unterstellungen und pauschalen Diffamierungen nur so strotzt.

(Zuruf von der AfD: Ihrer eben war besser!)

Erstens. Sie stellen fest, dass die Grenzöffnung im Herbst 2015 illegal war. Dabei ignorieren Sie komplett die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2017, in der ausdrücklich festgestellt wird, dass dieses Selbsteintrittsrecht im Rahmen des Dublin-Abkommens zwar keine Verpflichtung darstellt, aber durchaus berechtigt ist, und dass Kanzlerin Merkel hier nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich eine gute und richtige Entscheidung getroffen hat. Das war die erste Falschbehauptung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweite Falschbehauptung. Sie suggerieren in Ihrem Antrag, dass der internationale Terrorismus einzig und allein durch Fluchtbewegungen auf der Welt begründet ist, und dass man ergo das Problem gelöst hat, wenn man die Grenzen zumacht.

(Helmut Seifen [AfD]: Nicht zumachen, schützen!)

Das verkennt komplett die Tatsache – nur eine Zahl –: Zwei Drittel der Gefährder in Deutschland sind Deutsche und keine Flüchtlinge. Aber, Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Fakten stören hier mal wieder, wenn es darum geht, zu diffamieren und Ressentiments zu schüren.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Drittens. Sie fordern, die deutsche Grenze von nun an gemäß geltendem Recht zu sichern. Es gibt kein geltendes Recht, nach dem Schengen in Europa dauerhaft außer Kraft gesetzt wird, es sei denn – dann sagen Sie es hier –, Sie wollen aus der Europäischen Union austreten.

(Helmut Seifen [AfD]: Was machen die Österreicher denn?)

Dieses Recht gibt es also nicht, und daher können Sie dieses Recht hier auch nicht einfordern.

(Beifall von den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Die Dänen kennen es!)

Es sind drei Falschbehauptungen, die Sie hier mal wieder aufstellen. Das haben alle Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht. Ich danke ausdrücklich allen dreien für die gemeinsame sachliche, gute und differenzierte Darstellung.

Allein diese drei Behauptungen, die Sie einfach so in den Raum stellen, entlarven, dass es Ihnen mitnichten um den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern und den Schutz von Weihnachtsmärkten in unserem Land geht;

(Markus Wagner [AfD]: Im Gegenteil, man sieht, dass Sie das nicht zu Ende denken!)

vielmehr geht es Ihnen einzig und allein darum, mit diesen Falschbehauptungen, ja, mit diesen Unterstellungen, hier weiter Ressentiments zu schüren, die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen

(Markus Wagner [AfD]: Im Gegenteil!)

und Sündenböcke in unserer Gesellschaft zu finden.

Das werden auch wir nicht mitmachen, genauso wie die Kolleginnen und Kollegen von den anderen Fraktionen das hier ebenfalls dargestellt haben. Wir werden diesen Antrag selbstverständlich ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kutschaty hat eben gesagt, das sei ein Antrag, der – wie viele andere – mit heißer Nadel gestrickt ist. – Stimmt. Aber das ist nicht das Schlimme. Das Schlimme ist, dass hier ein berechtigtes Problem, nämlich wie wir diese Marktplätze sichern ...

(Helmut Seifen [AfD]: Aha!)

– Ha, ha! Ich bin doch nicht blöd. Natürlich haben wir ein Sicherheitsproblem in unserem Land.

(Helmut Seifen [AfD]: Na, endlich! Natürlich, das sagen wir ja auch!)

Es hat doch keiner etwas anderes behauptet. Nur – das, was Sie hier machen, ist ein Missbrauch dieser Ereignisse, um Menschen zu verunsichern und andere zu diffamieren, und das ist eine Ungeheuerlichkeit!

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD)

Jetzt sind Sie mal ganz vorsichtig mit Ihren Sprüchen hier!

(Zuruf von der AfD)

Dass ich mich jetzt kurz vor Weihnachten noch so in Rage rede, stört mich massiv. Aber das geht nicht und wird nicht durchgehen. Die Menschen haben Sorgen. Die Menschen haben Angst, und das muss man ernst nehmen. Aber das darf man nicht für solche miesen Zwecke missbrauchen.

(Zuruf von der AfD)

Hören Sie mal – heute Morgen so Reden halten, wir müssten uns gegen den anwachsenden Hass wenden,

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

– ja –, und dann Hass schüren – was ist das denn für eine Nummer hier?!

(Beifall von der CDU, der SPD der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Herr Kutschaty hat doch recht! Der Sachverhalt aus der Überschrift taucht im Antrag nur in drei Zeilen auf. Der Rest wird für Beschimpfungen, Verunglimpfungen und Diffamierungen benutzt.

Jetzt fangen wir mal an.

(Zuruf von der AfD)

– Machen Sie mal ruhig weiter. – Erstens. Der erste Satz ist schlicht und einfach falsch. Das stimmt nicht. Die Vielzahl der Gefährder kam nämlich nicht im Zuge der Flüchtlingskrise nach Deutschland.

(Markus Wagner [AfD]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

Die überwiegende Zahl hat noch nicht einmal eine ausländische Staatsangehörigkeit. Es ist eben richtig gesagt worden: 60 % – „6“, „0“, falls Sie es nicht verstehen sollten – der Gefährder sind Deutsche. Das ist das Problem.

(Markus Wagner [AfD]: Das kann man nicht sagen!)

Das ist auch ein Problem. Wir können doch nicht an den Fakten vorbeireden. So ist die Wirklichkeit nun mal. Wenn Sie genauer hinschauen, dann sehen Sie: Die terroristischen Gefährder aus dem islamistischen Spektrum gab es bereits vor der Zuwanderungswelle im Herbst 2015.

(Zuruf von der AfD)

– Ja, dann können es doch nicht die Flüchtlinge sein. Das ist doch viel zu simpel. Machen Sie die Nummer doch nicht so einfach.

(Markus Wagner [AfD]: Die Zahl der Gefährder hat sich seit 2014 doch verzehnfacht! Sie kennen doch die Zahl!)

– Passen Sie mal auf: Rechnen kann ich auch noch. Die Gesamtheit der islamistischen Gefährder setzt sich grundsätzlich zusammen aus Personen ohne und mit Migrationshintergrund; es gibt beide.

(Markus Wagner [AfD]: Ja, sehen Sie!)

Aber 60 % sind Deutsche, und 60 % ist mehr als 40 %, oder? – So. Die Personen mit Migrationshintergrund sind übrigens zum Teil schon seit Jahrzehnten in Deutschland sesshaft. Das macht die Sache noch komplizierter. Nix Flüchtlinge! So einfach geht das nicht mehr.

Eben hat der Kollege auf den Anschlag auf den Sikh-Tempel hingewiesen. Die hatten überhaupt nichts mit dem Migrationshintergrund und 2015 zu tun. Das ist totaler Quatsch! Das stimmt hinten und vorne nicht!

Die Propaganda des IS in Deutschland, um Leute zu rekrutieren, richtet sich doch nicht an die Flüchtlinge. Dann würden die doch nicht in deutscher Sprache produzieren. Die produzieren doch in deutscher Sprache, weil sie Leute haben wollen, die empfänglich sind und ihnen zuhören.

Unser Problem sind junge Leute, die für Stimmungen und Hass empfänglich sind. Das ist unser Problem. Deswegen ist die Radikalisierung von jungen Leuten die besondere Herausforderung, der wir begegnen müssen.

Last, but not least: Statt Ängste zu schüren, müssten die Sicherheitsbehörden und eigentlich auch jeder vernünftige und anständige Politiker sich intensiv mit der Frage beschäftigen: Wie kann ich es verhindern, dass etwas passiert?

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Wie kann ich verhindern, dass Menschen von diesem islamistischen Salafismus angesteckt werden?

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Ihre Hassnummer!)

– Das mache ich doch nicht mit solchen Hassnummern, wie Sie das hier tun. Damit komme ich überhaupt keinen Millimeter voran.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Da kann ich nur sagen: Lob und Anerkennung für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz, der Programme aufsetzt, der Aufklärung betreibt, der sich kümmert. Der löst das Problem allein auch nicht, aber er unternimmt wenigstens etwas und kommt zumindest Schritt für Schritt voran.

Ich lobe und danke auch allen denjenigen, die sich gemeinsam von morgens bis abends auf den Weihnachtsmärkten nicht mit so blöden Sprüchen aufhalten, sondern dafür sorgen, dass die Menschen möglichst sicher sein können.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich finde das auch nicht schön mit den Pöllern. Wer findet das schon schön? Aber es ist ein Teil der Hilfe. Dass die Kommunen zusammenarbeiten, dass sich die Polizei engagiert, dass Veranstalter sich verantwortlich fühlen, das ist die richtige Einstellung – aber nicht solche Hasstiraden lostreten. Das macht überhaupt keinen Sinn.

Natürlich bedrückt es mich auch, dass es diese Fälle gibt. Ich hoffe und wünsche uns allen, dass es sie bald nicht mehr gibt. Mich bedrückt aber auch, dass die Veranstalter und die Kommunen auf vielen Kosten sitzenbleiben; das stimmt – Herr Kutschaty hat das richtig beschrieben. Aber auch das ist nicht erst seit gestern der Fall oder seit „Flüchtling „ oder seit „IS“.

Wir haben es offensichtlich mit einer Veränderung zu tun. Die Plätze in Deutschland sind nicht mehr automatisch sicher. Vielleicht müssen wir alle – nicht nur auf Landesebene, sondern auch in den Kommunen – darüber nachdenken, dass die Investitionen in die Sicherheit in Zukunft einen anderen Stellenwert haben müssen. Das ist nicht schön, aber es ist halt so.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Es ist nämlich unsere Aufgabe als Politiker, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, und nicht neue Unsicherheiten, Ärger oder Unruhe zu schüren.

Eigentlich wollte ich heute in meiner letzten Rede in diesem Jahr sagen: Ich wünsche Ihnen und uns allen friedliche, ruhige Weihnachten und dass möglichst wenig passiert. Jeder kann seinen Beitrag dazu leisten.

(Langanhaltender Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister Reul, ich darf Sie noch einmal an das Redepult zurückbitten. Es wird nämlich nicht Ihre letzte Rede für heute gewesen sein, weil sich Kollege Tritschler zu einer Kurzintervention gemeldet hat.

(Minister Herbert Reul: Entschuldigung! Habe ich nicht gesehen!)

Herr Kollege Tritschler, Ihr Mikro ist freigeschaltet.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Minister! Ich gebe Ihnen jetzt auch noch was mit, auch für die Weihnachtsfeiertage.

(Zurufe)

Sie legen ja immer sehr viel Wert auf demokratische Gepflogenheiten und auf die Würde des Hohen Hauses. Dann darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie gerade als Vertreter der Landesregierung gesprochen haben. Als solcher haben Sie eigentlich keine Kreisparteitagsreden für die CDU zu halten, sondern ein bisschen Neutralität zu wahren.

(Zurufe: Oh!)

Das gilt übrigens …

(Weitere Zurufe)

– Neutral und sachlich. Nach meinem Wissen sind …

(Markus Wagner [AfD]: ): „Neutral und sachlich“ haben Sie gesagt! So sieht es aus! Was ist neu? Frau Reker hat es sich ja erklären lassen müssen!)

(Unruhe – Glocke – Anhaltende Zurufe – Markus Wagner [AfD]: Seit wann duzen wir uns? Entschuldigung, so was machen wir nicht!)

Nach meinem Wissen sind Sie ja nicht Mitglied des Hauses, können also auch nicht auf …

(Zurufe)

– Ich weiß sie nicht alle auswendig. Entschuldigung. 

– Sie können nicht die Redezeit der CDU nutzen. Ich möchte Sie aber bitten, wenn Sie als Minister sprechen, dann auch die gebotene Neutralität zu wahren und, wie gesagt, keine Hetzreden zu halten.

(Anhaltende Zurufe)

In diesem Sinne frohe Weihnachten, Herr Minister.

Herbert Reul, Minister des Innern: Gut, am besten sagt man dazu nichts mehr. Frohes Fest!

(Anhaltender Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die nächste Wortmeldung hat Herr Wagner für die AfD-Fraktion. 16 Sekunden. Sie wissen, dass Sie kaum noch Redezeit haben.

Markus Wagner (AfD): Meine Damen und Herren! Die Reaktion der vier Fraktionen, die schon länger hier sitzen, hat mir nunmehr gezeigt, dass Sie die negativen Entwicklungen der letzten zwei Jahre nicht, aber auch rein gar nicht zur Kenntnis genommen haben, und sich in Zukunft lieber weiterhin der Realitätsverweigerung hingeben wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD – Karl Schultheis [SPD]: Sie sind die Negativentwicklung!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Wagner. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 8. Ich schaue aber noch einmal in die Runde, ob es den Wunsch nach weiteren Wortmeldungen gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

 

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1446 an den Hauptausschuss in der Federführung. Der Innenausschuss sowie der Haushalts- und Finanzausschuss bekommen die Mitberatung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Nein. Sich enthalten? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen und können auch so verfahren.

Ich rufe den heute letzten Tagesordnungspunkt auf

9   Verordnung zur Änderung der Selbstüberwachungsverordnung kommunal (SüwV-kom)


Entwurf
der Landesregierung
Vorlage 17/299

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz
Drucksache 17/1413

Ich darf Ihnen mitteilen, dass alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen sich zwischenzeitlich darauf verständigt haben, die Reden zu Protokoll  zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage)zu geben.

Damit kommen wir dann direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbraucherschutz empfiehlt in Drucksache 17/1413, das Einvernehmen zu dem Entwurf der Verordnung herzustellen.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Verordnungsentwurf Vorlage 17/299 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem Verordnungsentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD und die drei fraktionslosen Abgeordneten. Ich frage dennoch, ob jemand dagegen stimmt. – Das ist nicht der Fall. Auch die Enthaltungen frage ich noch ab. – Auch die gibt es nicht. Damit ist dann das Einvernehmen mit dem Landtag hergestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit wirklich am Ende der heutigen Tagesordnung. Das war der letzte Plenartag in diesem Jahr. Ich berufe das Plenum ein für Mittwoch, den 17. Januar 2018, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine gute, eine fröhliche, eine gesegnete Weihnachtszeit und alles Gute für das neue Jahr 2018. Bleiben Sie alle gesund und kommen Sie alle gesund und munter und voller Tatendrang wieder.


Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:00 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

 

Anlage

Zu TOP 9 – Verordnung zur Änderung der Selbstüberwachungsverordnung kommunal (SüwV-kom) – zu Protokoll gegebene Reden

Jürgen Berghahn (SPD):

Anrede,

das OVG NRW hat mit Beschluss vom 24.06.2015 (Az: 20A 1707/12) die bisherigen Vorgaben zur Ermittlung der Jahresschmutzwassermenge beanstandet. Somit besteht das Erfordernis, die Selbstüberwachungsverordnung kommunal (SüwV-kom) und die Bestimmungen zur Ermittlung der Jahresschmutzwassermenge neu zu regeln.

Wir möchten, dass unsere kommunalen Abwasseranlagen technisch einwandfrei, auf dem neuesten Stand des Umweltschutzes und sicher sowohl für die Betreiber als auch für die Bürgerinnen und Bürger betrieben werden.

Die Anpassung der „Selbstüberwachungsverordnung kommunal“ an die technischen und klimatischen Bedingungen erachtet unsere Fraktion deshalb als notwendig. Auch die redaktionellen Änderungen und die Anpassungen an die aktuelle Gesetzgebung sind nachvollziehbar.

Allerdings halten wir es im Interesse der Kommunen und Wasserwirtschaftsverbände für sinnvoll, den Aufwand der Datenerhebung so gering wie möglich zu gestalten.

Wir sehen insgesamt aber kein Konfliktpotenzial und wir sind deshalb gerne bereit, Einvernehmen herzustellen.

Ich darf Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schöne, erholsame Weihnachten im Kreise Ihrer Lieben sowie einen guten Rutsch ins neue Jahr wünschen. – Vielen Dank.

Stephan Haupt (FDP):

Anrede,

Wir begrüßen es als FDP-Fraktion ausdrücklich, dass die NRW-Koalition mit dieser Vorlage die bestehenden Defizite bei der Ermittlung der Jahresschmutzwassermenge beseitigt.

Die bisher angewandte Methode zur Ermittlung von gebührenpflichtigen Jahresschmutzwassermengen war nicht geeignet, um unter Berücksichtigung der vor Ort bestehenden Gegebenheiten einen gerechten und realistischen Wert zu ermitteln.

Die nun erfolgende Änderung sowie Anpassung der Selbstüberwachungsverordnung kommunal trägt diesem Umstand sowie dem Grundsatz der Gleichheit Rechnung und wird sich im Verbraucherbereich in Form von Gebührengerechtigkeit sowie mehr Transparenz spürbar bemerkbar machen.

Die NRW-Koalition fördert somit eine faire Behandlung, die unabhängig vom Wohnort und den vor Ort herrschenden Bedingungen erfolgt.

Die FDP-Fraktion sieht dies als Schritt in die Zukunft einer fairen verbraucherorientierten Gebührenberechnung an.

Dr. Christian Blex (AfD):

Anrede,

die aktualisierte Selbstüberwachungsverordnung ist notwendig und soll verhindern, dass die Ermittlung der Jahresschmutzwassermenge bei Einleitung von mit Niederschlagswasser vermischtem Schmutzwasser nach überholten Standards erfolgt.

Grundlage der Änderung ist ein Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen, welche für die bisherige 27 Jahre alte Verwaltungsvorschrift „methodische Defizite“ feststellt.

Das OVG hat geurteilt, dass die Niederschlagswasser aus getautem Schnee die Festsetzung der Jahresschmutzwassermenge als Grundlage für die Bemessung der Abwasserabgabe nicht beeinflussen darf.

So wurde jetzt die Datenerhebung in der neuen Selbstüberwachungsverordnung stärker vereinheitlicht. Die restlichen Änderungen sind redaktioneller Natur; sie berücksichtigen die Änderungen des Wasserhaushaltsgesetzes und der Abwasserverordnung des Bundes.

Aus unserer Sicht geht die neue Selbstüberwachungsverordnung über die richterliche Entscheidung nicht hinaus und beinhaltet notwendige Änderungen.