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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/14

17. Wahlperiode

29.11.2017

 

14. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 29. November 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 5

Erklärung des Präsidenten.................................
zur Messerattacke auf den Bürgermeister
einer nordrhein-westfälischen Gemeinde. 5

1   Beerdigung 1. Klasse für das Sozialticket?
Die Mitte-Rechts-Koalition ist eine Koalition der sozialen Kälte!

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1318. 6

Sarah Philipp (SPD) 6

Rainer Deppe (CDU) 7

Arndt Klocke (GRÜNE) 9

Bodo Middeldorf (FDP) 11

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 13

Minister Hendrik Wüst 14

Nadja Lüders (SPD) 15

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 16

Carsten Löcker (SPD) 17

2   Neustart in der Verkehrspolitik – Gemeinsam die Zukunft der Mobilität gestalten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1282. 18

Ergebnis. 18

3   Tatsächliche Bedarfslage der Eltern in NRW ermitteln, um passgenaue Betreuungsmodelle in der frühkindlichen Bildung zu entwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1288. 18

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 18

Raphael Tigges (CDU) 19

Marcel Hafke (FDP) 20

Josefine Paul (GRÜNE) 21

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 23

Minister Dr. Joachim Stamp. 24

Ergebnis. 25

4   Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in NRW weiter ausbauen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1279. 25

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 25

Daniel Hagemeier (CDU) 26

Britta Altenkamp (SPD) 27

Susanne Schneider (FDP) 28

Dr. Martin Vincentz (AfD) 30

Minister Karl-Josef Laumann. 31

Britta Oellers (CDU) 34

Britta Altenkamp (SPD) 35

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 36

Ergebnis. 37

5   Gesetz zur besseren Überwachung gefährlicher Personen – Gefährdergesetz – (Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1285

erste Lesung. 37

Markus Wagner (AfD) 37

Daniel Sieveke (CDU) 39

Ordnungsruf
an Dr. Christian Blex [AfD]

Hartmut Ganzke (SPD) 40

Marc Lürbke (FDP) 41

Verena Schäffer (GRÜNE) 42

Minister Herbert Reul 44

Ergebnis. 45

6   Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen nach § 92 SGB XI

Entwurf
der Landesregierung
Vorlage 17/211

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit, Gesund-
heit und Soziales
Drucksache 17/1213. 45

Peter Preuß (CDU) 45

Britta Altenkamp (SPD) 46

Susanne Schneider (FDP) 46

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 46

Dr. Martin Vincentz (AfD) 47

Minister Karl-Josef Laumann. 48

Ergebnis. 48

7   NRW muss Forschungen zum Erhalt der Insektenvielfalt ausbauen und den Dialog von Wissenschaft, Landnutzern und Naturschutz fördern

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1289. 48

Annette Watermann-Krass (SPD) 48

Rainer Deppe (CDU) 49

Markus Diekhoff (FDP) 50

Norwich Rüße (GRÜNE) 51

Dr. Christian Blex (AfD) 52

Ministerin Christina Schulze Föcking. 53

Ergebnis. 54

8   Rohrleitungsgesetz aufheben und CO-Pipeline stoppen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1281. 54

Barbara Steffens (GRÜNE) 54

Dr. Patricia Peill (CDU) 55

Frank Börner (SPD) 57

Dietmar Brockes (FDP) 57

Dr. Christian Blex (AfD) 58

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 59

Ergebnis. 60

Namentliche Abstimmung
siehe Anlage 1

9   Gesetz über das Verbot der Gesichtsverschleierung in öffentlichen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen (Verschleierungsverbotsgesetz Nordrhein-Westfalen – VerschleierungsVerbG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/522

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/1312

zweite Lesung. 61

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU) 61

Andreas Bialas (SPD) 61

Dr. Werner Pfeil (FDP) 62

Verena Schäffer (GRÜNE) 63

Markus Wagner (AfD) 64

Minister Herbert Reul 65

Ergebnis. 66

10 Wahl der Mitglieder für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen/ehrenamtlichen Richter bei dem Oberverwaltungsgericht und den Verwaltungsgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1326

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 17/1307

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1337. 66

Ergebnis. 66

11 Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen gemäß § 64 Abs. 2 LHO zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) – Bebautes Grundstück in Bonn

Antrag
des Ministeriums der Finanzen
gemäß § 64 Absatz 2 LHO
Vorlage 17/229

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1146. 66

Ergebnis. 66

12 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 2
gem. § 82 Abs. 2
der Geschäftsordnung

Drucksache 17/1313

Abstimmungsergebnisse
der Ausschüsse
17/1114 ASB
17/1291 (EA) ASB. 67

Ergebnis. 67

13 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/6
gemäß § 97 Abs. 8
der Geschäftsordnung. 67

Ergebnis. 67

Anlage 1 (namentliche Abstimmung) 69

Rohrleitungsgesetz aufheben und CO-Pipeline stoppen! – Drucksache 17/1281

Entschuldigt waren:

Ministerpräsident Armin Laschet           
(bis 13 Uhr)

Hannelore Kraft (SPD)

Eva Lux (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)   
(bis 12 Uhr)

Roger Beckamp (AfD)

 


Beginn: 10:01 Uhr

Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer 14. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Geburtstag feiern heute Herr Rainer Matheisen von der Fraktion der FDP,

(Allgemeiner Beifall)

Herr Rüdiger Weiß von der Fraktion der SPD

(Allgemeiner Beifall)

und last, but not least Herr Martin Sträßer von der Fraktion der CDU.

(Allgemeiner Beifall)

Herzliche Glückwünsche und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!

(Präsident André Kuper begibt sich an das Redepult.)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der mit mir befreundete Bürgermeister einer unserer Kommunen wurde Opfer einer Messer-attacke. Noch laufen die Ermittlungen über das genaue Motiv des Täters.

Aber eines scheint zwei Tage nach dieser feigen, hinterhältigen Tat gewiss: Sie richtete sich nicht nur gegen Demokraten und nicht nur gegen den Demokraten und engagierten Bürger Andreas Hollstein, sondern sie richtete sich gegen den Bürgermeister von Altena. Diese Tat ist ein Angriff auf die Demokratie. Mit ihr wurden alle Demokraten und engagierten Bürgerinnen und Bürger unseres Landes getroffen.

Deshalb möchten ich und das Präsidium heute Morgen nicht einfach mit der Tagesordnung beginnen, sondern gerade in dieser Stunde und von diesem Ort aus mit Ihnen gemeinsam kurz innehalten und unsere Grüße und Wünsche nach Altena zu Andreas Hollstein und seiner Familie übermitteln.

(Allgemeiner Beifall – Beifall von der Regierungsbank)

Möge er genesen, möge er das Geschehene verarbeiten, und möge es ihm gegeben sein, den Weg weiterzugehen, den er mit so viel Empathie und mit so viel Mitmenschlichkeit, aber auch mit so viel christlicher Barmherzigkeit und gegen so viele Widerstände eingeschlagen hat!

Meine Damen und Herren, die vielen und bewegenden Reaktionen auf diesen Anschlag – nicht nur aus dem Sauerland und nicht nur hier aus NRW, sondern aus ganz Deutschland und ganz Europa – zeigen die Entschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger und der demokratischen Institutionen, diese Demokratie und unsere Freiheit zu verteidigen. Die Lichterkette gestern Abend ist genauso wichtig wie die politischen Statements der Verfassungsorgane.

Die Tat von Altena traf Bürgermeister Hollstein. Aber sie zielte auf uns alle. Die Tat von Altena hat einen Menschen, seine Familie und seine Freunde getroffen. Aber sie war zugleich auch ein Angriff auf unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat.

Ich bin froh darüber, von dieser Stelle aus sagen zu können: In dieser Bewertung ist sich das Hohe Haus einig, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen darüber haben mögen, wie wir uns den vielfältigen Herausforderungen am besten stellen sollen, die mit dem großen Thema der Flüchtlingsfrage verbunden sind.

Meine Damen und Herren, wir sind erschüttert über das Geschehene. Aber wir sind nicht gelähmt. Wir blicken trotzdem voller Zuversicht in die Zukunft.

Deshalb sage ich vorsichtig, aber entschieden: Der vergangene Montag ist zwar der dunkle Montag von Altena.

Aber er ist auch der helle Montag von Köln, wo Navid Kermani, selbst Kind von Zuwanderern, aus der Hand unseres Ministerpräsidenten die höchste Auszeichnung unseres Landes erhalten hat, den Staatspreis. Auch darauf lassen Sie uns in einem Moment wie diesem blicken – auf dieses helle, hoffnungsfrohe Signal aus Köln, bei dem auch zwei engagierte Menschen zugegen waren, die selber Opfer von Anschlägen wurden: die Oberbürgermeisterin von Köln und der Bundestagspräsident.

Er ist auch der helle Montag von Altena, an dem zwei mutige Menschen, Ahmet und Abdullah Demir, ungeachtet ihrer eigenen Gefährdung Andreas Hollstein beigesprungen sind und ihm das Leben gerettet haben. Danke für dieses couragierte Handeln!

(Allgemeiner Beifall – Beifall von der Regierungsbank)

Das wollte ich zu Beginn dieser Sitzung sagen und darauf verweisen, dass diese Demokratie lebt und sich von ihren Widersachern nicht bezwingen lässt.

Herzliche Grüße aus dem Landtag nach Altena! Herzliche Grüße an den Bürgermeister und den Rat der Stadt! Herzliche Grüße an Andreas Hollstein und seine Familie!

Herzliche Grüße auch an Ahmet und Abdullah Demir aus Altena, die Andreas Hollstein das Leben gerettet haben! – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall – Beifall von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treten nunmehr in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Beerdigung 1. Klasse für das Sozialticket?
Die Mitte-Rechts-Koalition ist eine Koalition der sozialen Kälte!

Aktuelle Stunde
auf Antrag der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1318

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 27. November 2017 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD Frau Philipp das Wort.

Sarah Philipp (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Sozialpolitisches Armutszeugnis“, „das falsche Signal“, „unsinnig und zynisch“, „verstörend“ und „Spott für die Schwächsten“ – das sind Zitate und Überschriften aus der Presse der vergangenen Woche. Auch online überschlugen sich die Kommentare. Die Menschen waren entsetzt und zeigten sich betroffen über das, was der Verkehrsminister mehr oder weniger beiläufig verkündet hatte, nämlich die komplette Abschaffung des Sozialtickets hier in Nordrhein-Westfalen.

Wie wir seit gestern Mittag wissen, ist das Thema „Sozialticket“ nur ein weiteres Kapitel im konfusen Wirken dieser schwarz-gelben Landesregierung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

„Wo rohe Kräfte sinnlos walten“ heißt es in Schillers „Das Lied von der Glocke“. So könnte man auch die Bilanz der vergangenen sechs Monate dieser Landesregierung zusammenfassen. Das millionenschwere Chaos, das Ministerpräsident Laschet und seine Mitte-rechts-Koalition hier veranstalten, geht zulasten der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Es geht vor allem zulasten der Schwächsten in diesem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was hat die Landesregierung in den vergangenen Wochen für dieses Land eigentlich Konstruktives geschaffen? Bei Ihnen bekommt man mitunter und immer mehr den Eindruck, dass Ihr Handlungsprogramm nur darin besteht, erfolgreiche rot-grüne Projekte zu demontieren. Sie bringen nichts Produktives zustande. Zugleich verfolgen Sie weiterhin eine völlig überholte Privat-vor-Staat-Ideologie, von der Sie sich nur nach außen hin geläutert geben.

Hier einige Beispiele aus den vergangenen Wochen für diese verantwortungslose Chaospolitik:

Schwarz-Gelb legt die Landesbauordnung auf Eis und verhindert so den Bau von Tausenden Wohnungen für Menschen mit Handicap. Alternativvorschlag: bislang Fehlanzeige.

Die Landwirtschaftsministerin reist durchs Land und lobt das Bauen mit Holz. Zugleich untergräbt die Bauministerin desselben Kabinetts die Aussage ihrer Kollegin durch ein Moratorium.

Schwarz-Gelb behauptet, mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen zu wollen. Zugleich senken Sie das Fördervolumen um 300 Millionen €. Das ist die Regierungslogik dieser Mitte-rechts-Koalition.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vom Mieterschutz in Nordrhein-Westfalen hat sich die Landesregierung schon direkt im Koalitionsvertrag verabschiedet –

(Henning Höne [FDP]: Können Sie mal zum Thema reden?)

gegen das Wohl der Menschen. Wie es dabei weitergeht, weiß auch keiner so genau.

Selbst die für NRW so wichtige Kommunikation des Ministerpräsidenten nach Berlin steht auch ganz im Zeichen dieses Wirrwarr-Spiels. So hieß es zuletzt aus der Staatskanzlei: Der Bund nimmt von der Absicht, seine Anteile am Flughafen Köln/Bonn zu veräußern, Abstand.

(Lorenz Deutsch [FDP]: Es geht um das Sozialticket!)

Kurz darauf kommt dann das Dementi aus Berlin: Der Bund hält seine Absicht weiterhin aufrecht.

Das ist alles wirklich ganz unglaublich. Das ist Regierungsslapstick. Das ist alles andere als verantwortungsvolle und verlässliche Politik für das größte Bundesland.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich muss Ihnen zugestehen: Mit der Episode um das Sozialticket bleibt diese Landesregierung ihrer bisherigen Linie treu.

Im Verkehrsausschuss erklärt der Verkehrsminister in der vergangenen Woche: Die aktuelle Landesförderung wird von 40 Millionen € für das nächste Jahr zunächst um 5 Millionen € gekürzt. Der Haushaltsansatz soll 2019 auf 20 Millionen € abgesenkt werden. – Erst auf Nachfrage kommt dann etwas kleinlaut: Und 2020 läuft es dann aus. – Das heißt also: 0 € ab 2020.

Die Mobilität von mehr als 300.000 Menschen mit geringem Einkommen sollte mal eben so auf dem Altar der Haushaltskonsolidierung geopfert werden. Wege zur Arbeit, zur Fortbildung, zur Teilhabe an der Gesellschaft werden mal eben so versperrt.

So schürt man existenzielle Ängste. Das ist nicht nur sozialpolitisch unanständig; das ist verkehrspolitisch genau das Gegenteil von zukunftsfähiger Mobilität.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nach diesem sozialpolitischen Paukenschlag setzt sich das Regierungschaos in NRW fort. Ministerpräsident Laschet erklärt, man werde noch mit den Kommunen und Verkehrsverbünden sprechen. Der Minister verkündet gestern, dass die Förderung des Sozialtickets im Jahr 2018 bei 40 Millionen € verbleiben soll; man wolle das Jahr 2018 für Gespräche nutzen.

Wenn man es Ihnen positiv auslegen wollte, könnte man sagen: Sie haben im letzten Moment Ihr Gewissen wiedergefunden. – Negativ ausgelegt: Sie haben einfach gemerkt, dass diese Entscheidung dem Ansehen der Landesregierung schadet und Sie hier mit Ihrer Politik für Besserverdiener eindeutig den Bogen überspannt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So sehr wir auch die Entscheidung von gestern begrüßen, diesen Irrweg vorerst nicht zu gehen, so sehr bleiben doch weiterhin Fragen offen:

Was hat denn am Ende den Ausschlag dafür gegeben, dass der Verkehrsminister gestern zurückrudern musste? War es die Einsicht? Oder war es einfach mangelnde Absprache?

Hat der Ministerpräsident höchstpersönlich die Notbremse gezogen? Oder haben die regierungstragenden Fraktionen rebelliert und ihrer Landesregierung die Gefolgschaft verwehrt?

Und die entscheidende Frage, die die Menschen draußen doch bewegt, ist: Wie geht es mit dem Sozialticket nach 2018 eigentlich weiter?

(Beifall von der SPD)

Diese Landesregierung hat durch ihr Verhalten zum Sozialticket viele Menschen in Nordrhein-Westfalen zutiefst verunsichert und alarmiert. Der Ministerpräsident wäre gut beraten, wenn er die Sorgen und Ängste, die dadurch ausgelöst wurden, schnellstmöglich ausräumt. Die Menschen sollten erfahren, worauf sie sich einstellen müssen. Alles andere ist unseriöse und planlose, aber vor allen Dingen verantwortungslose Chaospolitik.

Wir fordern die Landesregierung auf, die Zukunft des Sozialtickets auskömmlich und nachhaltig zu sichern. Wir brauchen in Zukunft mehr Sozialticket und nicht weniger Sozialticket.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir finden es gut, dass Sie jetzt Gespräche führen. Wir hätten es aber noch besser gefunden, wenn Sie diese Gespräche geführt hätten, bevor Sie eine faktische Abschaffung dieses Tickets verkünden und Hunderttausende Menschen verunsichern.

(Beifall von der SPD)

Das wäre der richtige Weg gewesen: mit Vernunft und Seriosität. – Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke, Frau Kollegin Philipp. – Für die CDU hat der Abgeordnete Deppe das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion begrüßt ausdrücklich die Ankündigung des Verkehrsministers vom gestrigen Tag, das Sozialticket aufrechtzuerhalten. Das Sozialticket bleibt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD – Michael Hübner [SPD]: In aller Deutlichkeit macht sie das! – Weitere Zurufe von der SPD)

Auch im kommenden Haushalt wird die NRW-Koalition 40 Millionen € für das Sozialticket zur Verfügung stellen. CDU und FDP werden gemeinsam schon in der nächsten Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses den Ansatz um die notwendigen 5 Millionen € erhöhen.

Damit schaffen wir die Voraussetzungen, dass die Gespräche mit Kommunen und Verkehrsverbünden über eine Neuordnung des Ticketwesens – und darum geht es – und eine Erhöhung der Attraktivität des ÖPNV unbelastet von der Debatte der vergangenen Tage fortgeführt werden können.

(Beifall von der CDU – Marc Herter [SPD]: Es spricht die Eisprinzessin!)

Wir stehen dafür ein, dass Bedürftige und Arbeitsuchende Mobilitätsangebote nutzen können. Individuelle Mobilität bedeutet Teilhabe. Deshalb wird es jetzt und auch in Zukunft ein entsprechendes Angebot geben.

Wir erwarten aber auch, dass diejenigen, die auf bloße Ankündigung hin ganz schnell Fahrpreiserhöhungen beschlossen haben, diese umgehend und vollständig wieder zurücknehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Nadja Lüders [SPD]: War das der Vorschlag Ihres Verkehrsministers?)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick. Wie ist denn das Sozialticket entstanden? Die Einführung war ja nun nicht Ihr Wunschkind.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Aber unseres!)

– Nein. – Sie war vielmehr das Ergebnis einer Nötigung der damaligen rot-grünen Landesregierung durch die Linken im Jahr 2011.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD – Zuruf von der SPD: Sie machen sich lächerlich!)

Sie haben sich damals am Machterhalt orientiert und nicht an den besten Lösungen für die Menschen im Land.

(Michael Hübner [SPD]: Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie das wirklich?)

Warum haben Sie sich denn nie dafür interessiert, dass von den 1,2 Millionen Anspruchsberechtigten gerade mal 300.000 dieses Ticket in Anspruch genommen haben?

(Nadja Lüders [SPD]: Gerade mal? Gerade mal?)

Warum wohl? Weil Sie das überhaupt nicht interessiert hat.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Hilflos! – Ist das peinlich!)

Sie haben ja bis heute keine zuverlässigen Informationen darüber, wer das Ticket in Anspruch genommen hat und was die Voraussetzungen waren. Es hat Sie auch nie interessiert, dass es bestimmte Teile des Landes gab, in denen die Betroffenen dieses Ticket nicht in Anspruch nehmen konnten.

(Michael Hübner [SPD]: Deshalb wollten Sie es abschaffen! Ist doch klar! – Heiterkeit von der SPD)

Wir reden über den heutigen Tag und über diese Wahlperiode. Deshalb werden wir das ändern. Wir werden die Informationen besorgen. Wir werden uns nicht auf dem Status quo ausruhen, so wie Sie es getan haben.

(Zurufe von der SPD)

Denn es darf nicht vom Wohnort des Betroffenen abhängen, ob er das Ticket in Anspruch nehmen kann oder nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, richtig ist, dass die Mitteilung eines Vorhabens durch den zuständigen Minister im Rahmen der Haushaltsberatungen Unsicherheiten hervorgerufen hat.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

Würden Sie den Begriff „Beratungen“ ernst nehmen, hätten Sie das von Ihnen vermutete Ergebnis nicht schon vorweggenommen.

(Nadja Lüders [SPD]: Das vermutete? Das offensichtliche! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die Fraktionen von FDP und CDU und der zuständige Landesminister nehmen die Unsicherheit insbesondere der Leistungsempfänger ernst. Wir haben zugehört. Wir entscheiden auf der Grundlage dessen, was die Menschen im Land bewegt, und wir handeln.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

– Sie regen sich jetzt so schön auf. Das zeigt ja, dass wir offenbar recht haben.

(Zuruf von der SPD: Was?!)

Hätten Sie in Ihrer rot-grünen Regierungszeit nur ein Mal schnell und konsequent gehandelt, so wie es jetzt die NRW-Koalition tut, wäre unserem Land vieles erspart geblieben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Sie können nur Probleme lösen, die Sie sich selbst eingebrockt haben! – Unruhe – Glocke)

Meine Damen und Herren, die NRW-Koalition hat sich vorgenommen, den ÖPNV zu stärken. Das ist auch erforderlich, wenn wir unser Land aus dem alltäglichen Stillstand auf den Verkehrswegen herausführen wollen,

(Horst Becker [GRÜNE]: Das habe ich heute Morgen wieder gesehen!)

in den Ihre Investitionsverweigerungspolitik Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren geführt hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir haben die Staus doch nicht nur auf den Straßen und den Autobahnen, sondern genauso auf den Schienenwegen und im ÖPNV. Diesen Investitionsstillstand werden wir und wird unser Minister auflösen.

(Zurufe von der SPD)

Wir werden ein Weiteres tun.

(Rüdiger Weiß [SPD]: Herr Deppe, was kriegen Sie denn für die Rede? Wie viele Pralinen?)

Beim Aufbau von Mobilitätsketten, auf die es ankommt, kommt dem Ticketing ganz besondere Bedeutung zu. Das werden wir stärken. In diesem Zusammenhang steht auch der Antrag. Wir haben uns nämlich vorgenommen, dass es kein Dauerzustand bleiben kann, wenn die Mobilität an den Grenzen von Verkehrsverbünden auf einmal einen Bruch bekommt oder wenn es Realität ist …

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Das hilft natürlich! – Marc Herter [SPD]: Ist das der Antrag, der heute debattiert wird?)

– Hören Sie lieber zu, Herr Herter. Ich merke, dass Sie sich aufregen. Das ist auch gut so. Aber hören Sie lieber zu.

(Sarah Philipp [SPD]: Ich bin einfach nur fassungslos! – Unruhe)

Es kann doch nicht sein, dass für zwei Strecken mit demselben Start- und Zielpunkt unterschiedliche Fahrpreise gelten, nur weil der Zug einmal rechtsherum und einmal linksherum fährt. Das wird unser Minister anpacken.

(Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke)

Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie um etwas Aufmerksamkeit für den Redner bitten. – Danke.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Nein!)

Rainer Deppe (CDU): Meine Damen und Herren, damit Sie sich nicht nur aufregen müssen, möchte ich noch Folgendes hinzufügen: Wir haben uns im Gegensatz zu Ihnen vorgenommen, nicht auf einem Auge blind zu sein. Das erkennen Sie an unserer heutigen Diskussion.

(Zurufe von der SPD)

Wir setzen auf einen Konsens in diesem Hohen Haus. Ich hoffe, dass Sie mitmachen.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Denn es geht darum, sowohl den Forderungen derjenigen gerecht zu werden, die Unterstützung in Sachen Mobilität brauchen, als auch denen der Steuerzahler, die von uns erwarten, dass wir die Mittel zielgerichtet und für genau den Zweck einsetzen, für den sie gedacht sind.

(Lachen von der SPD – Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Rainer Deppe (CDU): Es kommt nämlich darauf an, dass wir beide Seiten erst nehmen.

Mit der Entscheidung, die Haushaltsmittel für das Sozialticket im kommenden Jahr unverändert zu belassen, ist der richtige Schritt getan, …

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit!

Rainer Deppe (CDU): … um einerseits Sicherheit für die Leistungsempfänger zu gewährleisten und andererseits eine flächendeckende Versorgung sowie durchgehende Tarife über die Tarif- und Verkehrsverbundgrenzen hinweg sicherzustellen.

Meine Damen und Herren, unsere Koalition schafft beides:

Präsident André Kuper: Herr Kollege!

Rainer Deppe (CDU): Wir werden sowohl die Mobilität für Arbeitsuchende und Bedürftige wirksam unterstützen als auch in die Verkehrsinfrastruktur dieses Landes investieren.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wann denn? – Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Das ist etwas ganz anderes als das, was Sie gemacht haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Peinlich!)

Präsident André Kuper: Für die Fraktion der Grünen hat nun der Kollege Klocke das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Deppe, was für eine peinliche Rede!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Man merkte Ihren Fraktionskollegen an, dass sie Mühe hatten, zu klatschen.

Ich wollte eigentlich einen konsensualen Einstieg machen. Denn gestern hat der Minister erklärt, ähnlich wie der Ministerpräsident schon am Wochenende, das Sozialticket habe doch eine Perspektive.

Und jetzt halten Sie eine solche Rede, Herr Deppe! Wo sind Sie nach fünf Monaten an der Regierung angelangt? Das ist absolut peinlich. Denn am Ende unserer Regierungszeit haben Sie uns vorgeworfen, an einen Punkt gekommen zu sein, an dem Sie schon nach fünf Monaten angelangt sind. Das hat man Ihrem Auftritt gerade angemerkt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt nur wenige Momente im politischen Leben, in denen man wirklich fassungslos im Ausschuss sitzt. Letzte Woche im Verkehrsausschuss war das der Fall. Herr Minister Wüst brachte den Einzelplan ein und sagte beiläufig – er nuschelte es ein bisschen in seinen nicht vorhandenen Bart –, dass das Sozialticket 2021 auslaufen werde. Da auch mein SPD-Kollege es nicht ganz verstanden hatte, habe ich eine Nachfrage gestellt und den Minister gebeten, noch einmal darzulegen, wie es denn mit dem Sozialticket aussieht.

Daraufhin haben Sie uns mit schonungsloser Offenheit erklärt, dass im nächsten Jahr die erste Kürzung erfolgen und 2020 überhaupt keine Finanzierung mehr erfolgen wird.

Dabei geht es – so gut die Rede der Kollegin Philipp eben auch war – nicht um Haushaltskonsolidierung. Nein, es geht um ein Umswitchen im Haushalt. Das Geld soll in den Straßenbau investiert werden. Das war die Aussage des Ministers im Ausschuss.

(Zuruf von der SPD: 3,5 km!)

Es geht gar nicht darum, dass man Geld einsparen will.

Letztlich setzen Sie auch nur das fort, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, was Sie in der Oppositionszeit immer angekündigt haben. Da blieb es allerdings folgenlos. Damals haben Sie immer gesagt, das Sozialticket solle eingekürzt werden.

Jetzt sind Sie in der Regierung und stellen fest, was die Folgen sind, wenn man eine solche Ankündigung auch umsetzt: Massenproteste in Nordrhein-Westfalen; eine unglaublich schlechte Presse; 50.000 Menschen, die eine Petition unterschrieben haben, Proteste, die heute vor dem Landtag stattfinden werden. Das sind die Folgen Ihrer Politik und Ihrer Ankündigung aus der letzten Woche.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Natürlich kann man darüber reden, auf welche Weise das Ticket zukunftsfest gemacht werden soll. Ich muss dem Kollegen Deppe übrigens widersprechen, der auf die Linke verwiesen hat. Es mag sein, dass die Linke – so gut kenne ich mich mit deren Wahlprogrammen nicht aus – dieses Thema im Jahr 2010 auch in ihrem Wahlprogramm stehen hatte. Insbesondere war es aber Bestandteil des Wahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen, und die SPD hat es in den Koalitionsverhandlungen mitgetragen. Wir sind der Urheber dieses Sozialtickets. Das ist die politische Wahrheit. Sie können das natürlich gerne bei der Linken abladen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Es war aber eine gemeinsame Vereinbarung von SPD und Grünen, die sich auch durchgetragen hat. Im Übrigen haben wir die entsprechende Kritik der Verkehrsverbünde umgesetzt und das Sozialticket in diesen Jahren einmal höher finanziert und die Förderung um 10 Millionen € angehoben.

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die Finanzierung zukunftsfähig aufgestellt ist. Ich fand ja die Bemerkung des Ministerpräsidenten höchst spannend, …

(Zuruf von der CDU)

– Hören Sie doch einmal zu.

… der am Wochenende gesagt hat, eigentlich müsse der Bund einen solchen Mobilitätssatz in die Regel-sätze aufnehmen. Das ist völlig richtig.

Wenn Sie aber schon eine solche Forderung erheben, stellt sich doch die Frage: Wer ist seit zwölf Jahren in der Bundesregierung und hätte das somit längst umsetzen können?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Das haben Sie nie gemacht!)

– Lieber Herr Löttgen, Sie regieren bereits seit zwölf Jahren in Berlin. Außerdem haben wochenlange Sondierungsgespräche in Berlin stattgefunden. Ich habe den Ministerpräsidenten in der Öffentlichkeit allerdings nur in der Form wahrgenommen, dass er sich um die Zukunft der heimischen Braunkohle kümmert. Wo ist denn die Forderung nach der Umgestaltung der Hartz-IV-Regelsätze und der Einführung des Mobilitätsatzes geblieben?

Damit hätte Herr Laschet schon viel früher in die Öffentlichkeit gehen können – und nicht erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Thema bereits verbrannt war.

(Beifall von den GRÜNEN – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Genau!)

Wir sind gespannt, wie sich das in den nächsten Wochen weiterentwickeln wird. Sie sind ja weiterhin in der Rolle, dort verhandeln zu können. Wir sind sehr gespannt, ob der Ministerpräsident es in die Verhandlungen einbringen wird. Wir würden das jedenfalls unterstützen.

Es wäre eine sinnvolle Finanzierung, über die Regelsätze zu gehen. Aber solange es eine solche Finanzierung nicht gibt, hat das Land …

(Bodo Löttgen [CDU]: Die gibt es doch!)

– Nein, die gibt es eben nicht. Wir haben 27 € im Hartz-IV-Regelsatz, und das ist nicht kostendeckend für ein Sozialticket. Deswegen müsste das angehoben werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Punkt betrifft die Offenlegung der Finanzierung der Verkehrsverbünde. Auch das ist im Laufe der Debatte kritisch angesprochen worden. Auch da hätten Sie unsere Unterstützung. Natürlich wäre es dringend an der Zeit, dass unsere nordrhein-westfälischen Verkehrsverbünde ihre Finanzierung komplett offenlegen. Das ist uns in den Gesprächen zum ÖPNV-Gesetz nicht gelungen.

Wir haben vor drei Wochen ein Urteil aus Karlsruhe dazu bekommen, was das Auskunftsrecht gegenüber Abgeordneten und Parlament bedeutet. Die Bahn wird ihre Bilanzen offenlegen müssen. Ich bin gespannt, was das für unsere Verkehrsverbünde heißt. Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn die Bilanzen der Verkehrsverbünde transparenter und offener gestaltet werden sollen, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber all das ist doch nicht der Hintergrund der Debatte. Sie setzen – das hat Minister Wüst in ruhiger und trockener Offenheit im Ausschuss bekannt gegeben – Wahlversprechen um. Sie setzen das um, was Sie in der Oppositionszeit angekündigt haben. Damals haben Sie gesagt: Mit uns braucht es kein Sozialticket, es wird entsprechend gekürzt.

Der Ministerpräsident hat am Wochenende in der „WAZ“ angekündigt, er würde in den nächsten Wochen die Gespräche mit den Verbünden und den Gewerkschaften führen. Wer führt denn nun die Gespräche? Hat Minister Wüst noch das Heft des Handelns in der Hand, oder hat der Ministerpräsident das zur Chefsache gemacht? Auch das sollten Sie uns hier in der Debatte deutlich machen.

(Beifall von den GRÜNEN – Horst Becker [GRÜNE]: Wann kommen die Änderungsanträge für den Haushalt?)

Ich bin gespannt, was uns der Minister gleich zu sagen hat. Es ist die Chance, heute in diesem Hohen Haus vor vielen anwesenden Abgeordneten, vor der Öffentlichkeit und der Presse Farbe zu bekennen. – Herr Minister Wüst, schaffen Sie Klarheit, was das Sozialticket angeht. Hunderttausende von Menschen in Nordrhein-Westfalen warten auf ein klares Signal.

Dabei geht es nicht nur darum, ob 5 Millionen € im nächsten Jahr doch weiterfinanziert werden, wie Herr Deppe es eben angekündigt hat, sondern es geht um die Zukunft des Sozialtickets. Es geht um die Weiterfinanzierung auch nach 2019. Das alles haben Sie in Ihrer Pressemitteilung gestern offengelassen. Die Fragen, wie es mit dem Ticket weitergeht, stehen im Raum. Sorgen Sie hier für Klarheit! Das ist Ihre Chance. Sie haben gleich das Wort. Berichten Sie uns über Ihre Pläne. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP hat Herr Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Beginn ganz klar sagen: Die Ermöglichung individueller Mobilität ist eines der wichtigsten Ziele der NRW-Koalition und der schwarz-gelben Landesregierung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mobilität ist elementarer Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe. Das gilt selbstverständlich auch für die Menschen in unserem Land, die auf Transferleistungen angewiesen sind oder ein geringes Einkommen haben.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Das klingt aber sehr überzeugend aus Ihrem Mund! Sehr überzeugend! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das steht außer Frage. Fraglich ist aber sehr wohl, ob das Sozialticket in seiner jetzigen Form den Ansprüchen an ein zielgruppenbezogenes und vor allen Dingen an ein sozial ausgewogenes System gerecht wird.

(Nadja Lüders [SPD]: Und deswegen schafft man es ab? – Weitere Zurufe von der SPD)

Das bezweifeln wir aus vielfachen Gründen. Das Sozialticket grenzt nämlich in einer heutigen Form in den allermeisten Fällen Personen aus, die geringfügig über den Einkommensgrenzen liegen.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann erhöhen Sie doch den Zuschuss! Dann erweitern Sie doch! – Zuruf von der SPD: Ah!)

Der Auszubildende, die alleinerziehende Mutter mit Teilzeitstelle, der Familienvater mit Minijob – Sie alle bleiben weitgehend unberücksichtigt.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Erweitern Sie doch! Erweitern Sie doch!)

Das gilt selbst für den Kreis, der im engeren Sinne Anspruchsberechtigten. Wenn wir eine Nutzerzahl von 300.000 unterstellen, wie Sie es tun, dann haben wir gerade einmal einen 20%igen Zuspruch. Das heißt, 80 % der potenziell Berechtigten erreichen wir erst gar nicht.

(Zurufe von der SPD)

Das Ziel, dieser Bevölkerungsgruppe Mobilität zu ermöglichen, wird durch Ihr System in weiten Teilen vollkommen verfehlt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Das liegt nicht zuletzt an einer höchst uneinheitlichen Umsetzung in den Kommunen und Verbünden.

(Zuruf von der SPD: Ach so!)

Derzeit steht eine pauschale Subventionierung des Landes sehr unterschiedlichen sozialpolitischen Anreizen auf örtlicher Ebene gegenüber.

(Nadja Lüders [SPD]: Gegenüber! Aha!)

Volkswirtschaftlich ist das damit ein Paradebeispiel für Intransparenz und Fehlsteuerung.

(Minister Karl-Josef Laumann: Genauso ist es! – Gegenruf Michael Hübner [SPD]: Herr Laumann, jetzt ist es aber mal gut! Das glaube ich doch jetzt nicht! Wenn das die Bilanz der Landesregierung war, Herr Laumann … ehrlich!)

Das ist aber nicht die Politik der NRW-Koalition. Wir wollen auch die Verkehrsunternehmen als öffentliche Aufgabenträger in die Pflicht nehmen. Was bei Studierenden, Rentnern und Großkunden möglich ist, muss doch auch für die spezifischen Bedarfe von Menschen mit geringen Finanzmitteln möglich sein.

(Beifall von der FDP)

Wir sehen diese Gruppe als eine weitere Kundengruppe. Genau da müssen wir ansetzen.

(Zuruf von der SPD: Bei all diesen guten Argumenten haben Sie jetzt eine Kehrtwende gemacht? Das ist ja komisch!)

Wir wollen alte Zöpfe abschneiden

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und streben mit neuen technischen Möglichkeiten und innovativen Ansätzen bessere Lösungen für einen bedarfsgerechten und wirtschaftlicheren ÖPNV an.

(Beifall von der FDP)

Wir wollen Ihre Symbolpolitik eines weder effektiven noch gerechten Sozialtickets

(Zurufe von der SPD)

in seiner heutigen Form beenden, meine Damen und Herren. Ziel ist es, in den nächsten Jahren ein Mobilitätspaket zu entwickeln, das die Konstruktionsfehler des heutigen Systems behebt

(Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD])

und zielgruppenspezifische Angebote ermöglicht.

(Beifall von der FDP und der CDU – Marc Herter [SPD]: Lieber nicht fördern als schlecht fördern, ja?)

Noch einmal, damit Sie es ganz genau verstehen: Wir stehen für einen Lösungsansatz, der auch die Mobilitätsansprüche von Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen berücksichtigt.

(Horst Becker [GRÜNE]: Kürzung ist kein Vorschlag! – Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Aus Sicht der NRW-Koalition gehört dazu ausdrücklich ein Angebot an Azubis.

(Sarah Philipp [SPD]: Auch, auch! – Zuruf von der SPD: Aha!)

Die sind heute massiv benachteiligt. Insbesondere in ländlichen Räumen müssen sie nicht selten größere Strecken zu ihrem Ausbildungsplatz zurücklegen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn es uns ernst damit ist, dass wir Bildung als die Basis gesellschaftlicher Teilhabe ansehen, dann ist es ein Gebot der Stunde, diese Gerechtigkeitslücke jetzt endlich zu schließen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Marc Herter [SPD]: Deshalb waren das auch Ihre ersten Maßnahmen!)

Wir werden das kommende Jahr dazu nutzen, mit den Verbünden, den Verkehrsunternehmen, den Kommunen und den Nutzern eine bessere Alternative zu dem bisherigen System zu erarbeiten. Dabei gilt es, die strukturellen Ineffizienzen zu eliminieren, Mobilität zu vereinfachen und eine nachfragegerechte und ausgewogene Preisgestaltung zu ermöglichen.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Entscheidend ist, dass wir mit dem Mobilitätsangebot künftig alle Personengruppen in allen Teilen unseres Landes erreichen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD)

Eingebettet ist dies in die Absicht, insgesamt einen völlig neuen Ansatz im Bereich des Ticketings auf den Weg zu bringen. Wir wollen die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung für eine völlig neue Generation nutzen. Wir brauchen endlich passgenaue landesweite Lösungen.

(Zuruf von der SPD: Dann machen Sie das doch!)

Gleichzeitig investieren wir in Infrastruktur, Fahrzeuge und Angebot. Das kommt allen Fahrgästen zugute.

(Michael Hübner [SPD]: Mit Fahrzeugen das Sozialticket ersetzen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Von Anfang an war klar: Wir wollen das Durcheinander, das Rot-Grün beim Sozialticket hinterlassen hat, gründlich überarbeiten.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

Wir wollen die nun anstehenden Gespräche über ein effektiveres Gesamtsystem – das sage ich an dieser Stelle auch sehr deutlich – unbelastet von der aufgeheizten öffentlichen Debatte führen können.

(Zuruf von der SPD: Ah! – Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Daher erkläre ich hier für die NRW-Koalition: Wir unterstützen den Verkehrsminister in der Absicht, den Haushaltsansatz wieder auf den ursprünglichen Betrag von 40 Millionen € anzuheben.

(Michael Hübner [SPD]: Erst brandstiften …)

Die NRW-Koalition wird in den Haushaltsberatungen einen entsprechenden Antrag hierfür einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Middeldorf. – Für die AfD hat Frau Dworeck-Danielowski das Wort.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein reiches Land. Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut. Deutschland ist ein reiches Land, ein Land, in dem wir alle gut und gerne leben.

(Heiterkeit von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Sicher trifft das auf viele Bereiche in Deutschland zu. Sicher geht es auch den sozial Schwachen in Deutschland deutlich besser als den meisten in den anderen Ländern dieser Welt. Deutschland ist ein reiches Land.

Die Zahl der Wohnungs- bzw. Obdachlosen steigt ständig an und ist heute so hoch wie nie zuvor. Erschreckend ist vor allen Dingen, dass immer mehr Frauen ohne Wohnung sind, die bekanntermaßen einen besonders schweren Stand auf der Straße haben. Die Frauenhäuser quellen über; auch hier ist die Zahl der schutzsuchenden Frauen so hoch wie nie zuvor.

Die Anzahl der Tafeln hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Trotzdem stehen diese Institutionen in den Großstädten immer wieder kurz vor dem Kollaps, weil sie den Andrang kaum noch bewältigen können.

Unsere Schulen befinden sich in einem Zustand, der laut Umfrage der „ZEIT“ so gut ist, dass ein Drittel der Schüler lieber auf das Trinken verzichtet, damit sie nicht mehr aufs Klo gehen müssen, weil sie sich dermaßen ekeln.

Ja, Deutschland ist ein reiches Land. Und die SPD beantragt eine Aktuelle Stunde, um die soziale Kälte der Landesregierung anzuprangern. Auch wenn sich das Thema, über das wir heute sprechen, gegebenenfalls schon wieder erledigt hat – dachte ich der Presse nach zu urteilen zumindest, der Vorredner hat mich jetzt etwas verwirrt –, macht mich die Heuchelei der SPD besonders wütend. Plötzlich entdecken Sie Ihr soziales Gewissen: gestern noch naserümpfend über die Abgehängten schwadroniert und heute den Samariter spielen wollen.

(Zuruf von der SPD: Vorsicht mit solchen Aussagen! – Widerspruch von der SPD)

Die Abgehängten! Wer soll das denn eigentlich sein? Was ist denn das für ein Wort? Wir reden häufig über Sprache und über menschenverachtende Ausdrücke. Ich glaube, im öffentlichen Diskurs sind vor allem die sozial Schwachen – vermutlich insbesondere die deutschen sozial Schwachen – die Abgehängten. Wie despektierlich, wie hochmütig ist das denn?

In diesem Zusammenhang hören wir immer wieder, die AfD sei die Partei der Abgehängten. Das stimmt sogar zum Teil – aber nicht, weil wir für den Erhalt von zweifelhaften Sozialleistungen wie zum Beispiel dieses Ticket sind, sondern weil wir ihre letzte Hoffnung sind,

(Beifall von der AfD – Widerspruch von der SPD)

weil viele Menschen eben nicht über das nötige Geld verfügen, sich aus den Konsequenzen Ihrer ideologiebetriebenen, verantwortungslosen Politik freizukaufen.

(Beifall von der AfD – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

Die sitzen fest in den Stadtteilen, in die Sie schon lange keinen Fuß mehr gesetzt haben. Die Rentner, die Flaschensammler, sogar die Obdachlosen, Mütter, Kleinverdiener kommen zu uns an die Stände und erzählen uns von ihren Nöten, ihre Geschichte, weil sie sich sicher sind: Ihr Schicksal und ihre Ängste haben in den Parlamenten schon lange keinen Platz mehr.

(Beifall von der AfD)

Welchen Schluss sollen sie sonst auch ziehen, wenn sie das Fernsehen anmachen oder Zeitung lesen und feststellen: „Deutschland ist ein reiches Land, das Geld ist da; das Ideal muss nur hoch genug, die Idee groß genug sein, dann ist das Geld da; nur für die eigenen Leute, die, die schon länger hier sind, tut sich nichts“?

(Beifall von der AfD)

An die CDU gerichtet: Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, diese Subvention zu streichen – in einem Land, das mit Kinderarmut, Altersarmut, Langzeitarbeitslosigkeit etc. zu kämpfen hat wie kaum ein anderes Bundesland –, um in den Straßenbau zu investieren? Den Medien nach zu urteilen bekommt man dafür ca. 3,5 km. Da fragt man sich ehrlich: Sind Sie noch bei Trost?

(Beifall von der AfD)

Abschließend ist zu sagen: Wir halten das Sozialticket in der Tat für überarbeitungswürdig und sind davon überzeugt, dass Nutzerkreis, Geltungsbereich etc. auf den Prüfstand gehören. Sozialleistungen, die mit der Gießkanne verteilt werden und lediglich einen weiteren Benefit zum Leistungsbezug darstellen, sehen wir grundsätzlich kritisch.

Aber diese Debatte um eine einzelne kleine Leistung – ein Topf von 40 Millionen € – als Aufhänger zu nehmen, um sich hier als Robin Hood aufzuspielen, ist an Scheinheiligkeit kaum mehr zu überbieten. Ja, Deutschland ist ein reiches Land, aber eben nicht für jeden.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Wüst das Wort.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kritik, die das Thema „Sozialticket“ in den letzten Tagen ausgelöst hat, kann ich gut verstehen; sie ist nachvollziehbar.

Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: Es ist unbestritten, dass Bedürftige auch in Zukunft zu fairen Preisen mobil sein müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Der Kollege Deppe hat es gesagt – es ist in Ihrem Tumult untergegangen –: Das Sozialticket bleibt. Mobilität bedeutet Teilhabe, und deshalb brauchen wir auch in Zukunft ein entsprechendes Angebot.

Wir wollen das Ticketwesen in Gänze modernisieren. Wir wollen ein Azubiticket, damit Verbundgrenzen nicht die Ausbildung verhindern.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Wir wollen ein landesweites E-Ticket, damit der ÖPNV attraktiver wird. Darüber, wie wir das organisieren, sind wir in Gesprächen mit denen, die die Angebote machen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Seit wann?)

Wir wollen in Nordrhein-Westfalen dauerhaft vergünstigte Tickets für Bedürftige, wie Sie sie heute schon kennen. Das ist der entscheidende Punkt.

Entscheidend ist, was bei den Menschen ankommt. Auch aus Sicht der Betroffenen ist da noch Verbesserungsbedarf;

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen kürzen!)

denn in der Praxis hängt es vom Wohnort ab, ob es überhaupt ein Sozialticket gibt und zu welchen Preisen es verfügbar ist. Die Zuwendungen erhalten die Kreise, die kreisfreien Städte oder die Verkehrsverbünde, die die Zuschüsse sehr unterschiedlich verwenden.

Wir werden das Jahr 2018 für die Neuordnung des Ticketwesens nutzen und mit den Verantwortlichen die genannten Fragen im Ticketwesen offen besprechen. Unser Ziel ist dabei eine dauerhafte und zukunftsfähige Lösung für die angesprochenen Themen.

Die Gespräche mit Verbünden und Kommunen zur Einführung eines fairen und effizienten Ticketsystems sollen durch die Debatten der letzten Tage nicht belastet werden. Deshalb haben wir mit den Koalitionsfraktionen im Rahmen der Haushaltsberatungen vereinbart, den Ansatz für das Sozialticket wieder auf 40 Millionen € anzuheben und den dauerhaften Bestand des Sozialtickets sicherzustellen – auch für die Folgejahre und weiterhin mit der Unterstützung des Landes.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich danke herzlich den beiden regierungstragenden Fraktionen, dass das möglich ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn wir das Ticketwesen in Summe anders aufstellen, ist das gut für die Nutzer insgesamt – auch für die Bedürftigen, aber nicht nur für sie. Ein einfaches Ticketsystem macht den ÖPNV attraktiver. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diese Fragen zu klären. Alle Maßnahmen, die den ÖPNV attraktiver machen, bieten auch die Chance, Pendlerströme anders zu verteilen.

Meine Damen und Herren, es ist gut, dass wir heute noch einmal über dieses Thema gesprochen haben. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, die Position der Landesregierung zu erläutern und sicherlich auch Sorgen zu nehmen.

Politik muss auch mal einen Fehler korrigieren können. Unser Eindruck war, dass das in dieser Frage angezeigt war. Deswegen haben wir das gemacht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Wüst. – Für die SPD hat die Kollegin Lüders das Wort.

Nadja Lüders (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wüst, man könnte ja fast Mitleid mit Ihnen haben, so wie Sie hier vorne stehen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Muss man aber nicht! – Gregor Golland [CDU]: Das ist das Letzte, was er braucht!)

Was in den letzten drei oder vier Tagen passiert ist, was Ihre Regierung hier treibt, zeugt aber nur von einer abstrusen Konzeptlosigkeit, die noch nicht mal des Mitleids bedarf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Horst Becker [GRÜNE])

Sie müssen sich ja schon fast vorkommen, als würde Ihnen die regierungstragende Mitte-rechts-Koalition etwas aufdrängen.

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

Die 5 Millionen €, die Sie nach Ihrer Kürzung nunmehr bereitstellen wollen, müssen Sie ja als aufgedrängte Bereicherung empfinden.

Sie argumentieren, das Sozialticket habe keine sozialpolitische Wirkung, Herr Deppe, weil nur ein Viertel der Berechtigten es in Anspruch nehme. Es führe zu einem Moloch an Bürokratie, weil die unterschiedlichsten Tarife in den Kommunen eine so allgemeine Subventionierung durch das Land nicht rechtfertigen würden, hieß es. All das sind Argumente dafür, das zu tun, was Sie verkündet haben, nämlich die Abschaffung des Sozialtickets.

Das heißt aber doch nicht, dass Sie einen Fehler erkannt haben, sondern Sie reagieren jetzt auf den Druck der Öffentlichkeit. Dieser Druck war richtig und wichtig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Löttgen, Sie haben mit Ihrem Zwischenruf gefragt, wer denn der zuständige Minister auf Bundesebene gewesen wäre, um die Hartz-IV-Sätze zu erhöhen. Die männliche Form war richtig: Es ist Ihr Finanzminister gewesen,

(Beifall von der SPD – Lachen von der CDU)

der wegen des Fetischs der schwarzen Null alle Veränderungen und alle Erhöhungen der Transferleistungen rigoros abgelehnt hat.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Damit komme ich zu Herrn Laschet, den dieses Thema anscheinend hochgradig interessiert, da er durch Abwesenheit glänzt.

(Gordan Dudas [SPD]: Wie eben bei den Sondierungsgesprächen!)

– Ah! Damit sind wir doch beim Fingerzeig auf Berlin. Das, was Sie uns hier immer vorgeworfen haben, ist jetzt das Diktum dieser Mitte-rechts-Koalition.

Dann komme ich tatsächlich zu den Sondierungsgesprächen auf Bundesebene, denen, die schon stattgefunden haben: Wo spielte denn dieses Thema für die Jamaika-Koalition überhaupt eine Rolle? Nirgends! Null! Herr Laumann sagt im Ausschuss: Wir wollen dafür sorgen, dass Langzeitarbeitslosenprojekte über den Bund auskömmlich und langfristig finanziert werden.

(Minister Karl-Josef Laumann: Ja, wartet mal ab! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Die CDU auf Bundesebene hat es immer verhindert!)

– Ah! Danke, Herr Schmeltzer, für den Hinweis.

(Lachen von der CDU)

Wer hat es denn verhindert? – Damit bin ich wieder bei Ihnen, Herr Löttgen. Sie haben gar kein Konzept. Oder wie muss man dieses Spielchen, das hier gerade betrieben wird, bewerten?

(Bodo Löttgen [CDU]: Wir haben gar nichts abgeschafft!)

Sie schaffen etwas ab, um sich dann als Retter der Enterbten darzustellen und dafür feiern zu lassen, dass diese etwas erhalten? Bei Ihren Wortbeiträgen ist deutlich geworden: Sie wollen kein durch das Land subventioniertes Sozialticket.

Herr Wüst, ich komme auf den August dieses Jahres zu sprechen. Auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Philipp und des Kollegen Wolf haben Sie sich dahin gehend geäußert, Sie würden über die Fortführung des Sozialtickets nachdenken, indem Sie mit den Beteiligten über die Ausgestaltung des Tarifsystems reden; ein Ergebnis würde im Herbst vorliegen. Sie haben ehrlicherweise nicht dazugeschrieben, welchen Herbst Sie meinen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was offenbart das? – Eine vollkommene Konzeptlosigkeit bei Ihrer Herangehensweise an dieses Thema und an viele andere Themen. Sechs Monate nach Ihrer Regierungsübernahme überlegen Sie immer noch, wie Sie sich aufstellen wollen.

Herr Middeldorf, Sie sprechen von einer Symbolpolitik für 300.000 Menschen in diesem Land. Das ist nicht nur zynisch, sondern …

(Thomas Nückel [FDP]: Das hat er nicht gesagt!)

– Das hat er gesagt. Er hat von einer Symbolpolitik der rot-grünen Landesregierung gesprochen. Das ist zynisch und wird auf dem Rücken der Ärmsten der Armen ausgetragen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Wüst, Sie reden von Modellen – diese sind jedoch wenig bis gar nicht konkret – und sagen, dass Sie für die Einführung des Azubitickets sind. Wollen Sie jetzt etwa Auszubildende und Transferleistungsempfänger gegeneinander ausspielen?

(Beifall von der SPD)

Nichts anderes haben Sie gerade in Ihrem sehr durchsichtigen Redebeitrag getan. Kein Konzept in der Tasche für niemanden in diesem Land! Ich bin froh, dass die Menschen mittlerweile erkannt haben, dass diese Mitte-rechts-Koalition kein soziales Gewissen hat. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Deppe, welche Wette haben Sie eigentlich verloren, dass Sie heute diese Rede halten mussten?

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich füge hinzu: Ich finde es peinlich, dass es die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion bei dieser sehr entscheidenden Frage nicht für nötig halten, eine Aktuelle Stunde zu nutzen, um sich der Debatte zu stellen, sondern hoffen, dass diese Debatte an ihnen vorbeigeht, weil sie den Murks nicht ertragen können, den sie selbst angerichtet haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Passen Sie Ihre Rede den Realitäten an!)

Herr Kollege Löttgen, ich möchte einiges klarstellen, was Herr Deppe vorhin hier falsch aufgeführt hat. Das Landtagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen für das Jahr 2010 enthält auf Seite 108 folgenden Satz:

„Wir wollen ein Sozialticket flächendeckend in allen Verkehrsverbünden des Landes umsetzen.“

Es waren wir, Bündnis 90/Die Grünen, die diese Idee angekündigt haben, eingebracht haben

(Bodo Löttgen [CDU]: Und?)

und hier auch umgesetzt haben.

(Bodo Löttgen [CDU]: Umgesetzt haben Sie nichts!)

Es ist eine infame Unterstellung, dass wir die Linken gebraucht hätten, um das hier im Landtag umzusetzen. Ich erwarte eine Entschuldigung für diese Unterstellung, Herr Kollege Deppe.

(Henning Höne [FDP]: Sie hatten doch keine Mehrheit!)

Herr Minister Laumann, ich spreche Sie jetzt konkret als Sozialminister an. Wir reden über 300.000 Menschen. Der Hartz-IV-Satz liegt bei 27 €; es ist eben schon angesprochen worden. Das SozialTicket des VRR liegt bei ungefähr 37 € und das Ticket der Preisstufe A, das deutlich schlechter ist als das SozialTicket, bei über 50 €. Da von einer Petitesse zu reden oder das nicht ernst zu nehmen, finde ich nicht in Ordnung.

Aber es ist ja kurz vor Weihnachten. Daher will ich Ihnen einmal deutlich machen, Herr Sozialminister und liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, worüber wir reden: Wir reden über Mobilität von Menschen, die zum Arzt müssen, die kleine Kinder haben, die ihre Arbeit aufsuchen müssen, die nicht alle zu Hause faul rumliegen, sondern die wieder in das Leben integriert werden sollen. Dafür machen wir das Sozialticket und nicht deshalb, weil wir irgendwelche sozialromantischen Anwandlungen haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Unser Fraktionsvorsitzender Arndt Klocke hat sehr früh über den Bericht im Verkehrsausschuss twittern können und die Öffentlichkeit darüber informiert, dass Sie die Abschaffung des Sozialtickets geplant hatten. Darüber hinaus hat er ausgeführt, wofür das Geld aufgewendet werden soll, nämlich für Beton, für den Straßenausbau.

Die Reaktion von Marcel Hafke war entlarvend. Er schrieb auf den Tweet: Das wird in Beton investiert, da, wo es hingehört. – Sie wollen, dass Hartz-IV-Empfänger den Straßenbau in Nordrhein-Westfalen finanzieren. Das ist infam und hat mit Innovation überhaupt nichts zu tun!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Marc Herter [SPD]: Nicht infam, ehrlich war das!)

Wir haben zurzeit – es ist eben schon angesprochen worden – Chaostage in Düsseldorf. Die Mittel für die soziale Beratung von Flüchtlingen sollten um 17 Millionen € gekürzt werden. Das ist auf unseren Druck hin, auf Druck der Opposition, offensichtlich nicht mehr der Fall. Die Mittel für das Sozialticket sollten eingespart werden. Das soll jetzt auch nicht mehr der Fall sein.

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Der Rechtsstand im Moment ist, dass 35 Millionen € im Haushalt stehen. In den Ausschüssen haben sich die Abgeordneten schon hin und her gewunden. Das ist eine klare Absage an diese Landesregierung. Die Landesregierung hat 35 Millionen € vorgeschlagen, der Minister hat 0 € für die nächsten Jahre angekündigt. Das ist die Aussage der Landesregierung, die hier im Raum steht. Alles andere müssen wir abwarten. Bislang ist nichts gekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zwei Punkte möchte ich in der Debatte noch mit auf den Weg geben, weil das eben in wortreichen Verklausulierungen angekündigt worden ist:

Erstens kommt es nicht infrage, dass die Kommunen die Zeche dafür zahlen, dass Sie nicht bereit sind, ein Sozialticket zu finanzieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens kommt es nicht infrage, dass Sie eine Ausrede dafür suchen, Ihre unsozialen Versprechungen umzusetzen. Auch das werden wir uns im weiteren Beratungsverfahren sehr genau anschauen und nicht tolerieren.

Ich komme zum Schluss. Eigentlich müsste man sagen: Es ist gut, dass die Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP gelernt haben. Das konstatiere ich ausdrücklich. Eines aber kann ich Ihnen empfehlen: Nachdenken kann man auch, bevor man Unsinn macht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Die nächste Wortmeldung kommt von der SPD-Fraktion. Herr Kollege Löcker hat das Wort.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Wo sind eigentlich die weiteren Redner von der CDU?)

Carsten Löcker (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon bezeichnend, wenn sich die CDU im Rahmen einer Aktuellen Stunde – in der es darum geht, über das Sozialticket, ein wichtiges Thema, zu diskutieren – hier nur einmal zu Wort meldet und sich danach wegduckt. Das ist schon ein Hinweis darauf, welche Kompetenzen Sie im Rahmen dieses Feldes besitzen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die ganze verunglückte Rhetorik Ihrer Kommunikation, meine Damen und Herren, macht sich insbesondere daran fest, dass der Ministerpräsident Mitte letzter Woche angekündigt hat, dass er sich auf den Weg machen wird, eine sozialverträgliche Lösung finden zu wollen. Da muss man einmal beleuchten, was das denn überhaupt heißt, meine Damen und Herren.

Der Sozialticketpreis befindet sich ja jetzt mit 37,80 € bereits am Limit des Stemmbaren. In Berlin kostet das gleiche Ticket 27,50 €. So viel zu den Kompetenzen.

Eine Mitfinanzierung durch die anderen Fahrgäste ist – wie mir die Nahverkehrsunternehmen in der letzten Woche mitgeteilt haben – gar nicht denkbar. Das würde nämlich massive Preiserhöhungen nach sich ziehen. Im Klartext heißt das: Die Nahverkehrsunternehmen verdienen am Sozialticket ohnehin gar nichts, meine Damen und Herren, sondern sie sind auf die Zuschüsse von 40 Millionen € angewiesen.

Es gehört auch zur Wahrheit, dass der ursprüngliche Plan, dieses Ticket durch eine angemessene Anschubfinanzierung Realität werden zu lassen, so gut funktioniert – das muss man wissen –, dass ein Wegbrechen selbiger eher einer sozialpolitischen Geis-terfahrt gleichkäme. Das muss man einmal deutlich sagen.

Wer also, meine Damen und Herren, soll von dieser so beschriebenen sozialverträglichen Lösung in Zukunft wirklich partizipieren? Das ist in dem Zusammenhang eine wichtige Frage.

Erstens. Die Ticketkäufer – sie zahlen 37,80 € – fallen aus. Diesen Preis kann man ja wohl nicht mehr höher ausloben. Zweitens. Die Nahverkehrsunternehmen verdienen daran überhaupt nichts, sondern buttern zu. Das muss man wissen. Sie fallen also auch aus. Drittens. Die Kreise und Städte, meine Damen und Herren, die Gewährleistungsträger, zahlen ohnehin schon zu. Auch sie fallen also aus.

Zieht man also einen Strich unter diese Erkenntnisse, so bleibt ja nur einer übrig, meine Damen und Herren, der davon partizipieren soll, nämlich das Land Nordrhein-Westfalen.

Was hat es – die Frage sei zum Schluss erlaubt – mit einer sozialverträglichen Lösung zu tun, wenn das Land NRW durch den Einsatz der zusätzlichen 40 Millionen € für den Straßenverkehr läppische dreieinhalb Kilometer Straße bauen kann? Aus meiner Sicht ist das, was da auf Kosten der Nutzerinnen und Nutzer des Sozialtickets angestrebt wird, eher asozial; und verkehrspolitisch ist es eh eine Geisterfahrt.

Erlauben Sie mir zum Schluss die Bemerkung: Dieser Minister ist – zumindest rund um die Fragen des ÖPNV – ein Totalausfall. Das können wir an der Stelle ausdrücklich festhalten. Er hat überhaupt keine Ahnung. Und wenn ihm das jemand aufgeschrieben hat, hätte der sicher auch keine Ahnung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb machen Sie Schluss, machen Sie reinen Tisch in Bezug auf diese Idee, auf Kosten der Kommunen und der Zweckverbände einen neuen Versuch zu organisieren. Der wird scheitern. Lassen Sie uns lieber für die Nutzerinnen und Nutzer 10 Millionen € mehr in die Hand nehmen! Das wäre eine gute Tat. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind hier oben nicht angezeigt worden. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1 und rufe auf:

2   Neustart in der Verkehrspolitik – Gemeinsam die Zukunft der Mobilität gestalten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1282

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, heute keine Aussprache durchzuführen.

Wir können also sofort zur Abstimmung über die Überweisung des Antrages kommen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 17/1282 an den Verkehrsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zur Mitberatung. Alle fünf Fraktionen haben sich ebenfalls darauf verständigt, dass die abschließende Aussprache und Abstimmung nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen soll.

Möchte jemand gegen diese Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir gemeinsam so überwiesen.

Ich rufe auf:

3   Tatsächliche Bedarfslage der Eltern in NRW ermitteln, um passgenaue Betreuungsmodelle in der frühkindlichen Bildung zu entwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1288

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Maelzer das Wort.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anforderungen von Eltern an den Umfang und die Flexibilität der Betreuungszeiten im frühkindlichen Bereich haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt.

Der klassische Halbtagskindergarten, wie er noch vor einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen die Regel war, wird kaum noch nachgefragt. Wir müssen feststellen, dass die starren Buchungszeiten von 25, 35 und 45 Stunden des sogenannten Kinderbildungsgesetzes nicht der Lebenswirklichkeit von Familien entsprechen. Die 25-Stunden-Kontingente werden kaum noch nachgefragt, und auch das 35-Stunden-Angebot gerät gegenüber dem 45-Stunden-Platz immer stärker ins Hintertreffen. Um einigermaßen flexibel zu bleiben, nutzen Eltern das Höchstmaß an Buchungszeiten, auch wenn sie es mit zum Teil hohen Kitabeiträgen erkaufen müssen.

Die breite Spanne der Schließzeiten der Einrichtungen, die zwischen 13:15 Uhr und 21:30 Uhr liegen, zeigt, dass es in Nordrhein-Westfalen – ebenso wie bei den Kitabeiträgen – bei den Betreuungsmöglichkeiten einen bunten Flickenteppich gibt. Dies entspricht aber häufig nicht den Wünschen der Familien.

Nordrhein-Westfalen hat gesetzlich starre Buchungszeitenmodelle festgelegt. Es hat aber keinen landesweiten Überblick über die Betreuungsbedarfe der Familien. Hier muss die Landesregierung ansetzen und eine konkrete Bedarfsermittlung vornehmen. Daraus lassen sich dann entsprechende Maßnahmen ableiten.

Gesetzliche Regelungen zumindest hinsichtlich der Öffnungszeiten der Einrichtungen gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Hier wäre ein erster Ansatzpunkt. Ein zweiter muss sich mit den Randzeiten – also den Zeiten vor 7:30 Uhr und nach 16:30 Uhr – befassen. Erfahrungen aus dem Bundesprogramm KiTaPLUS zeigen, dass für die allermeisten Familien der Bedarf bereits gedeckt ist, wenn zumindest eine Kita im Sozialraum Betreuungszeiten von 7 bis 18 Uhr anbietet.

Dann lassen Sie uns über jene sprechen, die es besonders schwer haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. Das sind etwa Beschäftigte im Schichtdienst oder auch Alleinerziehende. Hier können Kombinationen von Kita und Tagespflege helfen.

Besonders erfolgversprechend arbeitet aber auch das Essener Projekt „Sonne, Mond und Sterne“ des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Im eigenen Zuhause werden hier Kinder zu untypischen Zeiten von sogenannten Kinderfeen betreut. Durch die bedarfsgenaue Betreuung konnten viele Mütter wieder eine Beschäftigung aufnehmen.

Es muss uns gelingen, derartige Konzepte in Gesetzesform zu gießen, damit Familien einen Anspruch darauf haben und passgenaue Lösungen nicht Glückssache bleiben.

Für die SPD ist wichtig: Bei allen Maßnahmen muss weiterhin das Kindeswohl im Mittelpunkt stehen. Als Richtschnur muss deshalb gelten: Eine tägliche Betreuungszeit von neun Stunden für das Kind darf in der Regel nicht überschritten werden. Eine familiengerechte Arbeitswelt heißt auch nicht, dass Kinder den Schichtdienst ihrer Eltern nachvollziehen müssen.

Um das zu erreichen, ist es erforderlich, dass der Arbeitsmarkt familiengerechter und nicht die Familien arbeitsmarktgerechter werden.

(Beifall von der SPD)

Auf abstrakter Ebene teilt ja auch die Mitte-rechts-Regierung diesen Leitspruch. Dazu gehört dann aber auch die verbindliche Einbindung der Arbeitgeber. CDU und FDP setzen stattdessen auf Freiwilligkeit, garniert mit ein paar Best-Practice-Beispielen. Bislang ist noch nicht einmal vorgesehen, dass Nordrhein-Westfalen und die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen. Das reicht uns nicht.

Flexible und bedarfsgerechte Betreuungsangebote brauchen das Land, aber auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie brauchen ferner eine auskömmliche Finanzierung der frühkindlichen Bildung in Nordrhein-Westfalen. Träger und Einrichtungen müssen die Möglichkeit haben, ihre Öffnungszeiten entsprechend der zeitlichen Bedarfe anzubieten. Dafür muss das erforderliche Personal finanziert werden. Dafür braucht es ein neues Kitagesetz.

Ich finde es ja amüsant, wenn der Kollege Hafke heute auf Facebook behauptet, nachfrageorientierte Betreuung sei schon immer ein Anliegen der FDP gewesen. Klar ist nur: Das Thema Flexibilität und Randzeitenbetreuung steht in der Agenda dieser Landesregierung ganz am Ende.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Wir wollen nicht, dass eine ganze Kitageneration weiter mit starren Buchungszeiten und unzureichender Randzeitenbetreuung leben muss. Das kann nicht unser Ziel. Wenn das auch nicht Ihr Ziel ist, dann sorgen Sie dafür, dass die Bedarfe ermittelt werden und wir passgenaue Lösungen in Nordrhein-Westfalen anbieten können! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Maelzer. Für die CDU-Fraktion hält jetzt Herr Kollege Tigges seine erste Rede hier im Parlament.

Raphael Tigges (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD legt uns heute einen Antrag zur Beschlussfassung vor, über den man sich eigentlich nur wundern kann. Ich weiß nicht, wie Sie, liebe Kollegen von der SPD, Oppositionsarbeit verstehen. Aber anstatt mit uns aktiv Lösungsansätze zu erarbeiten, schreiben Sie den Koalitionsvertrag der NRW-Koalition ab und fordern das, was schon längst angegangen wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es kann doch nur ein schlechter Scherz sein, wenn gerade Sie uns mit diesem Antrag auffordern, zeitnah – ich wiederhole: zeitnah – ein Gesetz für die frühkindliche Bildung vorzulegen. Das haben Sie in den letzten sieben Jahren Ihrer Regierungszeit nicht geschafft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nicht einmal ein Eckpunktepapier dazu, wie so ein Gesetz aussehen könnte, war im Ministerium zu finden, als Minister Stamp es übernommen hat. Jetzt wollen Sie am besten schon gestern eine exakte Kenntnis über die tatsächlichen Bedarfe der Eltern und passgenaue finanzierbare Lösungen erarbeitet und erhoben wissen. Eine verlässliche und verantwortungsvolle Politik sieht anders aus.

Sie werden im Ausschuss sicherlich mitbekommen haben, dass der Minister in seiner Zielsetzung für diese Legislaturperiode die Neuauflage des KiBiz-Gesetzes zu einem zentralen Thema gemacht hat.

Haben Sie vergessen, dass die NRW-Koalition als eine der ersten Amtshandlungen diesem Haus ein Gesetz zur Trägerrettung vorgelegt hat und den Einrichtungen nun eine halbe Milliarde Euro mehr für die nächsten zwei Jahre zur Verfügung stehen? Haben Sie auch nicht die durchweg positiven Rückmeldungen und das Aufatmen der Träger vernommen?

Wir wollen eine dauerhaft auskömmliche Finanzierung der Einrichtungen, und wir wollen in einem weiteren Schritt die Qualität der Kinderbetreuung in Personal, Ausstattung und Flexibilität verbessern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dabei geht es uns um Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Anstatt planlos jetzt in einem Schnellschuss landesweit Daten zu erheben, sollten wir vielleicht einmal schauen, welche Daten und Erkenntnisse bereits vorhanden sind. Viele Kommunen vor Ort erheben bereits Betreuungsbedarfe auch für die Randzeiten. Auch die Träger können die Nachfragesituation bereits heute sehr gut einschätzen.

Mir wird aus dem Antrag auch nicht klar, ob Sie jedes Jahr von hier aus Daten erheben möchten; denn Betreuungsbedarfe verändern sich ja auch über die Zeit. Was wir brauchen, ist ein dauerhaft belastbares Gesetz. Für uns spielt daher auch die Überlegung eine Rolle, ob die Kindertagespflege nicht aufgewertet und mehr gefördert werden müsste, um spezielle Betreuungsbedarfe abdecken zu können.

Nun noch kurz zu den Theorien in der Beschreibung der Ausgangslage, die Sie hier schildern. Sie behaupten, dass sich zukünftig die Frage der 25- und 35-Stunden-Betreuungsoption nicht mehr stellen wird. Die Realität sah jedoch oft so aus, dass Eltern von den 25 bzw. 35 Stunden wegberaten wurden und über die 45-Stunden-Option so mehr Handlungsspielräume für die Einrichtungen generiert wurden. Auch hatten Eltern doch bislang die Sorge, keinen Kitaplatz zu bekommen, wenn sie nicht sehr früh eine 45-Stunden-Option buchen. Mit echter Wahlfreiheit hatte das nichts zu tun. Dass nun an dieser Stelle hineininterpretiert wird, dass diese Stundenzahlen für Eltern keine Optionen mehr sind, zeigt doch, wie weit Sie da von der Basis entfernt sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eltern in prekären Lebenslagen oder mit geringem Einkommen können im Übrigen auch heute schon 45-Stunden-Kontingente buchen; denn in den meisten Kommunen, die ich kenne, gibt es soziale Beitragsstaffeln, und Eltern haben bis zu bestimmten Einkommenshöhen gar keine Beiträge zu zahlen.

Auch wäre es schön, wenn Sie die Bemühungen der Wirtschaft anerkennen würden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Kein Unternehmen kann es sich in Zeiten des Fachkräftemangels erlauben, nicht familienfreundlich zu sein und das Thema als Standortfaktor und Entscheidungsgrund für die Arbeitnehmer zu ignorieren.

In der gebotenen Gründlichkeit – ohne die Aufgeregtheit dieses Antrages – werden wir nun die gesetzlichen Grundlagen für eine gute frühkindliche Bildung erarbeiten und freuen uns, wenn Sie uns dabei konstruktiv unterstützen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tigges, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede! – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wusste gar nicht, dass die Sozialdemokratische Partei in Deutschland so viel Humor hat, uns nach sieben Jahren Regierungszeit so einen Antrag vorzulegen. Ich erinnere mich an zig Debatten im Ausschuss und hier im Plenum, wo wir das beantragt haben,

(Frank Müller [SPD]: Sie fangen alle Ihre Reden gleich an, Herr Hafke!)

wo die SPD geleugnet hat, dass es überhaupt einen Bedarf an flexibler Kitabetreuung gibt. Es würde diesen Bedarf doch überhaupt nicht geben; die Kommunen hätten das geregelt. Ministerin Schäfer und Ministerin Kampmann

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Kein Bedarf für Ihre 24-Stunden-Kita! – Frank Müller [SPD]: Das hat Herr Tigges gerade auch geleugnet und von Nötigung gesprochen!)

haben hier behauptet, es gäbe gar keinen Bedarf. Als ich das dann angesprochen habe, dass man hier mal entsprechend arbeiten müsste und mit den Kommunen sprechen sollte, haben auch Kollege Wolfgang Jörg und Kollegin Andrea Asch immer wieder gesagt, das sei kommunale Selbstverantwortung.

Lieber Dennis Maelzer, herzlich willkommen in der Realität! Gut, dass auch bei Ihnen die Erkenntnis angekommen ist,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ihr macht doch nichts! Das ist doch ganz am Ende erst ein Punkt von euch!)

dass der Bedarf bei den Betroffenen vorhanden ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will hier erläutern, welchen Scherbenhaufen

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Eure Antwort ist: Ihr macht nichts!)

SPD und Grüne uns hinterlassen haben. Von 10.000 Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen haben 352 länger geöffnet als bis 17:00 Uhr. Das sind nicht einmal 4 % der Kitas.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Darum macht ihr nichts!)

Dann hier zu sagen, wir müssten nach drei, vier Monaten Entsprechendes vorlegen, das ist wirklich abenteuerlich, liebe SPD.

(Beifall von der FDP – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wir haben gesagt, wir wollen die Bedarfe abfragen!)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: So einfach werden wir uns das nicht machen. Wir werden mit den Kommunen den Anstoß geben, eine vernünftige und saubere Bedarfsanalyse zu machen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Also macht ihr es doch!)

Wenn man Vereinbarkeit von Familie und Beruf organisieren möchte, dann muss man in erster Linie die Kitas in die Situation versetzen, das überhaupt umsetzen zu können. Das heißt, wir müssen ein neues Kitagesetz auf den Weg bringen.

(Zuruf von der SPD: Aber trotzdem Bedarfe abfragen!)

Wir haben in der letzten Ausschusssitzung diskutiert,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wann tritt das denn in Kraft? – Frank Müller [SPD]: Da braucht man doch vorher die Bedarfe, bevor man ein neues Gesetz macht! Das ist doch Quatsch!)

dass es ein finanziell auskömmliches Kitagesetz braucht.

Ein zweiter Punkt – sonst funktioniert Flexibilität nicht; das hättet ihr in den letzten Jahren angehen müssen –: Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen Erziehermangel. Schon jetzt fehlen 16.000 Erzieher im System. Wenn wir Flexibilität haben wollen, brauchen wir noch mehr Erzieher. Ich hätte von der SPD und von den Grünen erwartet, sich dem Thema „Erzieherausbildung“ mal anzunähern.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Dazu haben wir von euch noch gar nichts gehört! Das ist doch unglaublich!)

Es ist doch ein absolutes Unding, dass ich für diesen Beruf heutzutage noch Geld mitbringen muss, um in die Ausbildung einzutreten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wo leben wir denn? Deswegen erwarte ich von der SPD und von den Grünen konstruktive Kritik und dass sie uns auf diesem Weg begleiten,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist doch konstruktiv!)

die Erzieherausbildung zu reformieren.

(Frank Müller [SPD]: Was sollen wir kritisieren, wenn man nichts vorlegt?)

Nur dann kann man auch flexible Betreuungszeiten organisieren.

Jetzt will ich der SPD, dieser angeblichen Arbeiterpartei in Deutschland, noch eines mitgeben. Wenn man mal darüber spricht und sich in der Wirtschaft umschaut:

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ihr halbiert ein Drei-Tage-Plenum, weil ihr keine Anträge bringt, und dann so was!)

Natürlich muss sich die Wirtschaft dort anpassen, wo es möglich ist. Es ist aber nicht in jeder Branche möglich. Bei einer Gießerei kann ich nicht mal eben den Schichtbetrieb abstellen. Ich kann im metallverarbeitenden Gewerbe, im Aluminiumbereich, in der Chemiebranche nicht den Schichtbetrieb abschaffen, um mal eben die Kitabetreuungszeiten anzupassen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das sagt auch kein Mensch!)

Das heißt, wir werden bedarfsgerechte Möglichkeiten mit den Betrieben organisieren müssen. – Sie haben aber nicht möglich gemacht, was in 13 Bundesländern Realität ist, nämlich dass Betriebskitas unterstützt werden und gegründet werden können.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Es gibt Betriebskitas, und die werden auch unterstützt! Erzählen Sie doch keinen Blödsinn! Natürlich gibt es Betriebskitas!)

– Einfach mal zuhören! Ein Grund, warum die SPD abgewählt wurde, ist vielleicht, dass sie den Betroffenen nicht zuhört. Einfach mal zuhören!

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Dann sagen Sie die Wahrheit!)

– Dies ist die Wahrheit:

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Nein, es ist nicht die Wahrheit! Es gibt Betriebskitas in Nordrhein-Westfalen!)

Die Betroffenen haben vor Ort die Problematik, dass sie keine vernünftigen Betriebskitas auf den Weg bringen können. Nordrhein-Westfalen hat so eine schlechte Quote bei den Betriebskindergärten, dass wir das Thema angehen müssen.

Letzter Punkt – auch wenn da bei einigen viele Alarmsignale angehen –: Die SPD hat ja einen richtigen Punkt benannt, und zwar, dass es nicht länger als neun Stunden eine Betreuung geben darf, weil das Kindeswohl im Fokus steht. Aber wir werden natürlich auch über die Randzeiten hinaus diskutieren müssen, weil wir in einigen Städten und einigen Regionen 24-Stunden-Kitaöffnungszeiten brauchen werden, um die Bedarfe abzudecken.

Die Landesregierung hat sich diesen Weg vorgenommen. Minister Stamp wird gleich mit Sicherheit noch einmal ausführen, dass wir in einem entsprechenden mehrstufigen Plan genau dieses Thema angehen. Aber erst einmal müssen wir den Scherbenhaufen, den Sie uns hinterlassen haben, beseitigen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hafke, es sei Ihnen gegönnt, auch noch vielleicht für einen, zwei oder drei Monate, dass Sie sich in jeder Rede erst einmal daran abarbeiten, was für einen Scherbenhaufen Sie vorgefunden haben. Aber lassen Sie sich auch gesagt sein: Das wird nicht dauerhaft funktionieren. Irgendwann werden Sie den vollmundigen Ankündigungen auch tatsächliche Konzepte folgen lassen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sozusagen die familienpolitische Gretchenfrage, auch wenn sich Herr Hafke dazu mehrheitlich nicht auslassen wollte, weil er weiterhin bei der Geschichtsaufarbeitung ist. Aber irgendwann werden wir vielleicht zur Sacharbeit zurückkehren; denn das sind wir, meine ich, den Familien in Nordrhein-Westfalen tatsächlich auch schuldig.

Natürlich stehen wir vor der Herausforderung, dass familiäre Bedarfe und wettbewerbsorientierte Arbeitsstrukturen zuweilen in einem Spannungsverhältnis stehen. Es ist Aufgabe einer modernen Familienpolitik, dort das ausgleichende Maß zu finden.

Klar ist doch auch – Herr Hafke, ich hoffe, da sind wir uns einig, trotz aller einschränkender Tatbestände, die Sie gerade aufgeführt haben –, dass die Arbeitswelt familiengerechter werden muss und nicht die Familien arbeitsweltkonform.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!)

Unternehmen, aber auch öffentliche Institutionen sollten über Familienkonstellationen informiert sein. Sie sollten anerkennen, dass familiäre Aufgaben genauso wichtig sind wie die beruflichen, und sie sollten zeitliche Strukturen des Familienlebens kennen.

Dann ist es nämlich auch in Schichtarbeit möglich, bestimmte individuelle Vereinbarungen miteinander zu treffen – so weit zumindest diejenigen Studien, die sich mit moderner Familienpolitik und dem Dreiklang aus Zeit, Geld und Infrastruktur befassen.

Wir müssen eine Familienpolitik – gemeinsam, hoffe ich – auf den Weg bringen, die sich genau an diesem Dreiklang orientiert: Zeit, Geld und selbstverständlich Infrastruktur. Wir brauchen Zeit für Familien. Wir brauchen ein wirtschaftlich existenzsicherndes Einkommen, damit die Familien die wirtschaftlichen Grundlagen haben, und wir brauchen ein Angebot an einer bedarfsorientierten Infrastruktur. Und die Bedarfsorientierung richtet sich nach den Bedarfen der Familien und der Kinder und eben nicht nach den Bedarfen von Unternehmen. Das muss auch klar sein.

(Beifall von der SPD)

Dieser Dreiklang ist nicht nur eine Frage für eine familiengerechte Gesellschaft, sondern er ist auch eine zentrale Frage, wenn wir über eine geschlechtergerechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen.

Die derzeitigen Betreuungsmodelle vermögen eben nicht diese bedarfsorientierte Infrastruktur abzubilden. Starre Buchungszeiten – Kollege Maelzer hat darauf hingewiesen –, aber auch Öffnungszeiten der Kitas entsprechen oftmals eben nicht den realen Bedarfen der Kinder und vor allem der Familien.

Ich möchte aber auch sagen: Flexibilisierung – auch wenn wir das jetzt natürlich ein Stück weit mit forcieren wollen und auch gern an Ihrer Seite stehen, wenn es um vernünftige Konzepte geht – darf kein Selbstzweck sein. Es darf auch nicht rein um die Verfügbarkeit elterlicher Arbeitskraft für den Job gehen.

Aber eine Bedarfsanalyse ist doch durchaus sinnvoll, damit das Mantra von der Flexibilisierung überdacht wird. Herr Hafke und Herr Tigges, Sie haben im Moment auch nichts anders vorgetragen als zu sagen: Ja, wir brauchen Flexibilisierung, Flexibilisierung hier und Flexibilisierung da. Wir brauchen aber auch eine stichhaltige Grundlage.

Herr Hafke, ich bin doch ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass das auch Teil kommunaler Jugendhilfeplanung sein muss. Da sind wir doch gar nicht auseinander. Warum also bleiben wir an der Stelle in diesen Schützengräben und der Geschichtsaufarbeitung hängen, statt uns vernünftiger, moderner Familienpolitik zu widmen?

Klar ist, dass das Wohl des Kindes in der Debatte immer im Mittelpunkt stehen muss. Klar ist auch: Das Prinzip „Neun Stunden sind genug“ ist handlungsleitend für unsere Politik.

Um dem Anspruch der frühkindlichen Bildung gerecht zu werden, müssen wir uns auch darauf verständigen, dass es eine bestimmte Kernzeit gibt, in der die Kinder in der Kita sind. Sonst kann Kita den Anspruch frühkindlicher Bildung nicht einlösen. Die Unterstützung in Randzeiten vor allem für Eltern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, aber speziell auch für Alleinerziehende, können helfen – natürlich.

Es geht hier vor allem darum, Familien zu helfen, existenzsichernde Beschäftigung zu haben, die sie mit Kindern vereinbaren können. Aber wir dürfen nicht die Vereinbarkeit von Familie und existenzsichernder Beschäftigung mit erschwerter Vereinbarkeit der Berufstätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern mit ihren Familien bezahlen.

Längere Öffnungszeiten in Kitas – Herr Hafke, Sie haben es gesagt, und ich hoffe, Sie werden es bei Ihrem Gesetz auch berücksichtigen – bedeutet mehr Personal. Das ist sehr richtig, und das brauchen wir dringend im System.

Zur Frage ergänzender Kinderbetreuung: Das Modellprojekt vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter „Sonne, Mond und Sterne“ ist angesprochen worden. Das ist eine sinnvolle Ergänzung. Es kann aber nur dann eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn es auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beinhaltet und eben nicht Ehrenamtlichkeit und Arbeit über Übungsleiterpauschalen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Josefine Paul (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein neues Gesetz muss den Betreuungsbedarfen von Eltern Rechnung tragen und vor allem das Wohl des Kindes im Blick haben.

Ich will noch einmal sagen: Die Flexibilisierung ist in Ihrem Modell Stufe 4. Dann machen Sie eine Vorstufe 4.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Josefine Paul (GRÜNE): Ich habe es im Ausschuss schon mehrfach erwähnt: Wir müssen diese Stufen, die Sie aufgerufen haben, gleichzeitig zünden. Denn sonst werden wir nur ein Stückwerk haben, von dem die Kinder und die Eltern in Nordrhein-Westfalen nichts haben. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dworeck-Danielowski.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Welche Partei hat eigentlich in der zurückliegenden Legislatur den Minister beziehungsweise die Ministerin im Ressort für Kinder und Jugend gestellt?

(Zuruf von der CDU: Das fragen wir uns auch gerade!)

Ich will den Namen jetzt gar nicht wissen, aber mit meiner rhetorischen Frage auf etwas allmählich mich und meine gesamte Fraktion sehr Nervendes hinweisen.

Ich habe bewusst jetzt nicht den Ausdruck „vergangene Legislatur“ verwendet, denn meine ersten Monate in diesem Parlament haben mich gelehrt, dass die Politik des Kabinetts Kraft und Löhrmann keineswegs vergangen ist. Sie ist hingegen quälend aktuell in dem Sinne, dass die damalige Regierungskoalition nun ein Feuerwerk der nachholenden Gestaltung abbrennt.

(Beifall von der AfD)

Sprich: Sie überbieten sich darin, von der jetzigen Regierung ultimativ und zur schnellstmöglichen Umsetzung dasjenige zu fordern, das Sie selbst in sieben Jahren nicht zustande gebracht haben.

Kein wirklicher Trost ist es dabei, dass uns die SPD-Fraktion in diesem Antrag erspart, auch noch eine solche Lobhudelei ertragen zu müssen, wie sie die Grünen gleich präsentieren werden bei dem Antrag „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in NRW“, der noch eine Lobhudelei für Barbara Steffens darbringen muss.

Worum geht es? Es geht um ein Thema, das auch für mein eigenes Leben als Mutter zweier noch kleinerer Kinder sehr wichtig ist und mich auch persönlich schon etliche Überlegungen und Gehirnschmalz gekostet hat, nämlich um die Frage, die sich viele junge Eltern in Nordrhein-Westfalen stellen müssen: Wie organisieren wir Eltern die Betreuung unserer Kinder in den Zeiten, die uns durch unsere jeweilige Berufstätigkeit nicht mehr für die Erziehung und Betreuung persönlich zur Verfügung stehen?

Ich kenne in dieser Frage alle Aspekte, die damit verbunden sind: zu späte Öffnung der Kitas, zu früher Schluss in der Kita, exorbitante Selbstzahlungsforderungen, wenn man den größtmöglichen zeitlichen Rahmen buchen muss. Auch da bin ich persönlich Leidtragende. Meine Wohngemeinde Köln hat in dieser Frage – NRW-bekannt – einen nicht unverdienten schlechten Ruf als Raffzahn.

Ich wäre somit die Letzte, die sich einer Verbesserung der Rahmenbedingungen von Kinderbetreuung entgegenstellen würde. Aber trotzdem bin ich mit dem vorliegenden Antrag keineswegs rundum glücklich. Ich sage Ihnen gerne auch, warum.

Erstens: Sich auf eine Studie des Hauses Bertelsmann berufen zu müssen, nimmt dem vorgebrachten Anliegen dann doch mehr als nur ein wenig von der eigentlich gebotenen Seriosität. Da gibt es deutlich reputierlichere Eideshelfer.

Zweitens: Der jetzigen Regierung nicht nur eine Novelle anzuraten, sondern von ihr inhaltliche Festlegungen und einen einzuhaltenden sehr engen Zeitplan zu verlangen, finde ich ein bisschen dreist, wenn man sieben Jahre lang faktische Untätigkeit in dieser Frage zu verantworten hat.

(Beifall von der AfD)

Drittens: Mich nervt das wolkige Beschreiben von wünschbaren Zuständen, wenn es dabei auch nicht ein einziges Wort dazu gibt: Wie kann das bezahlt werden? Wie schaffe ich es, dass für die Ausdehnung der Betreuungszeiten überhaupt genügend Erzieher zur Verfügung gestellt werden können?

Viertens – dieser Punkt regt mich besonders auf, auch aus eigener Betroffenheit in den Kindergärten meiner Kinder –: Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende jugendliche und kindliche Migranten sind neu hier im Land, und die derzeit diskutierte Nachzugsregelung könnte NRW noch etliche Tausende mehr bescheren. Dazu und zu dem, was das konkret für die Kitas sowie für die Erzieherinnen und Erzieher bedeutet, dazu, was es für Folgen hat, wenn Kinder, die kaum ein Wort Deutsch sprechen und gegebenenfalls noch traumatisiert sind, betreut und gebildet werden sollen, kein Wort! Es findet in diesem Antrag der SPD keine Erwähnung.

(Beifall von der AfD)

Welche Aufgaben stellen sich hier dem Land, den Kommunen, den Einrichtungen und dem Personal zusätzlich? Nichts, aber auch rein gar nichts steht dazu in diesem Antrag!

Meine Fraktion und ich begrüßen es natürlich, den Antrag in den zuständigen Ausschüssen zu diskutieren und die Punkte, die ich gerade angesprochen habe, gegebenenfalls noch mit aufzunehmen. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich wegen der letzten Worte meiner Vorrednerin mit einer persönlichen Anmerkung beginnen: Ich bin froh darüber, dass meine beiden Töchter im Kindergarten und in der Grundschule gemeinsam mit Kindern von Geflüchteten aufwachsen.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Dass das mit besonderen Herausforderungen verbunden ist, wissen wir.

(Iris Dworeck-Danielowski [AfD]: Genau! Darum geht es doch!)

Gerade dafür war es notwendig, dass wir mit der halben Milliarde, die wir jetzt in das Kita-Träger-Rettungspaket investiert haben, dafür gesorgt haben, dass die Kitas in Nordrhein-Westfalen die Ressourcen haben, um auch auf eine solche Herausforderung eingehen zu können und entsprechend gewappnet zu sein.

Diese Investition von einer halben Milliarde in die Kitas war auch notwendig, weil das System unterfinanziert gewesen ist

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist es immer noch!)

und wir zunächst überhaupt klarstellen und sichern mussten, dass die Kitalandschaft und vor allem die Trägervielfalt in Nordrhein-Westfalen erhalten bleiben.

Nun liegt uns ein Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Tatsächliche Bedarfslage der Eltern in NRW ermitteln, um passgenaue Betreuungsmodelle in der frühkindlichen Bildung zu entwickeln“ vor. Lieber Dennis Maelzer, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, genau das werden wir tun – nämlich genau das, wozu Sie sieben Jahre lang nicht in der Lage waren.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Sagen wir einmal: zwölf Jahre!)

Ich finde es faszinierend, Herr Maelzer, dass Sie jede Plenarwoche erneut einen Antrag vorlegen,

(Zurufe von der SPD: Von euch kommt ja nichts!)

der im Grunde genommen genau das Richtige beschreibt und genau das aufzeigt, was wir in den kommenden Jahren hier auf den Weg bringen werden,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das soll euer letzter Schritt sein – irgendwann einmal!)

aber noch einmal ganz klar dokumentiert – das gilt nicht für Sie und nicht für den Kollegen Jörg; Sie sind im Ausschuss immer guten Willens gewesen –, dass Sie sich in den vergangenen sieben Jahren in dieser Regierungskoalition nicht haben durchsetzen können, weil die frühere Ministerpräsidentin keine KiBiz-Reform auf den Weg gebracht hat.

Es ist doch ein Armutszeugnis, das jede Plenarwoche zu wiederholen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Sie können das natürlich gerne machen.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Das kontrastiert noch einmal, dass die NRW-Regierung, die Sie so liebevoll Mitte-rechts-Koalition nennen, in der Lage sein wird, genau das auf den Weg zu bringen, was Sie in Ihren eigenen Reihen nicht durchsetzen konnten.

Wir werden natürlich die Bedarfe analysieren und die Flexibilisierung angehen. Aber es muss eben auch, wie Sie hier zu Recht sagen, passgenau passieren. Deswegen werden wir uns ausreichend Zeit dafür nehmen, es genau zu analysieren und dann auf den Weg zu bringen.

Herr Maelzer, Sie haben ja auch gesagt, dass es im Land hervorragende Beispiele und hervorragende Modellprojekte gibt. Da sind wir uns völlig einig. Deswegen werden wir das gerne gemeinsam angehen, wenn Sie sich beteiligen wollen. Für Sie persönlich und auch für den Kollegen Jörg gilt das, glaube ich.

Die Kolleginnen von den Grünen – das sage ich ohne Häme – fallen jetzt nicht mehr darunter. Frau Paul ist nun auch sehr engagiert dabei. Im Übrigen mein Kompliment für Ihr Tempo hier in der Bütt! Ich habe manchmal ein bisschen Mitleid mit dem Sitzungsdokumentarischen Dienst. Aber in allen Ehren: Es spricht für Ihre Intellektualität, dass Sie in der Lage sind, die Argumentation in diesem Tempo vorzutragen.

Ich wollte nur Folgendes sagen: Es gibt da ein großes Engagement. Wir werden dafür sorgen, dass das, wofür Sie sich engagieren, auch tatsächlich Wirklichkeit wird. Das war mit Ihrer Regierung nicht möglich. Wir werden das schaffen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht mehr vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1288 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Damit haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in NRW weiter ausbauen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1279

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf in NRW weiter ausbauen“ haben wir unseren Antrag überschrieben.

Worum geht es? Wir haben in Nordrhein-Westfalen bereits jetzt über 640.000 Menschen, die pflegebedürftig sind, und – das ist ein weiterer sehr wichtiger Fakt – 320.000 Menschen, die an Demenz erkrankt sind oder mit ihrer Demenzerkrankung leben müssen.

Diese Zahlen werden sich in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Auch der Kollege Sozial- und Gesundheitsminister gehört zu der Generation der geburtenstarken Jahrgänge, über die wir heute mit diesem Antrag in ganz besonderer Weise reden.

Allerdings möchte ich direkt einschränkend sagen: Es betrifft alle Bevölkerungsgruppen. Wir wollen in Nordrhein-Westfalen altersgerechtes Wohnen sicherstellen. Denn jede Bevölkerungsgruppe profitiert davon, wenn wir altersgerechte Quartiere ermöglichen und auch erstellen.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass sich das Menschenbild deutlich gewandelt hat. Früher war das Heim, die stationäre Einrichtung, durchaus eine Option für viele Menschen – allerdings auch vor dem Hintergrund, dass viele Menschen längst nicht so alt geworden sind, wie es heute der Fall ist, worüber wir uns freuen. Mit zunehmendem Alter kommt es zunehmend zu Erkrankungen, Behinderungen oder Assistenzbedarfen, auf die wir eingehen müssen.

Meine Damen und Herren, es ist nicht so, dass wir in Nordrhein-Westfalen – und erst recht nicht in den anderen Bundesländern – eine Wahlfreiheit hätten. Deswegen müssen wir das altersgerechte Wohnen bedarfsgerecht weiter ausbauen.

Ich nenne Ihnen einmal eine Zahl, die ganz besonders wichtig ist, weil wir von Wahlfreiheit sprechen und die FDP mich da nie versteht: Wir haben in Nordrhein-Westfalen 170.000 stationäre Plätze in Heimen für Menschen mit umfassendem Wohnbedarf und gerade einmal 6.000 Plätze in Pflege- und Hausgemeinschaften sowie 44.000 Plätze im betreuten Wohnen. Wahlfreiheit ist also längst nicht gegeben. Das liegt nicht daran, dass Nordrhein-Westfalen Schlusslicht wäre. Nordrhein-Westfalen ist bei altersgerechten Wohnungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf ganz vorne.

Herr Minister, deswegen machen wir als Fraktion mit diesem Antrag – wie schon im Ausschuss – noch einmal den Ausbaubedarf deutlich. Es ist falsch, wieder stationär vor ambulant zu machen, wie Sie es im Koalitionsvertrag anlegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist der völlig falsche Weg und widerspricht letztlich auch der Zielsetzung des Bundes und des Pflegegesetzes des Bundes.

Dabei möchte ich Folgendes klarstellen – ich selbst habe viele Jahre in einer stationären Einrichtung gearbeitet –: Es gibt viele gute stationäre Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen.

Mit dem Alten- und Pflegegesetz ist es auch möglich gemacht worden, diese stationären Pflegeeinrichtungen zu modernisieren und auf den Weg zu bringen. Viele haben das auch getan. Es geht nicht darum, sie in den Senkel zu stellen. Ganz im Gegenteil: Sie müssen sich qualifizieren. Sie müssen sich zum Quartier hin öffnen. Sie müssen besser werden. Die allermeisten Träger machen das auch, insbesondere die Träger der Wohlfahrtspflege. Das müssen wir profilieren.

Wenn wir eine Wahlfreiheit haben wollen, müssen wir aber das ermöglichen, was die allermeisten Menschen wollen, nämlich, dass die Menschen entweder zu Hause oder in der Umgebung wohnen können, die sie sich aussuchen. Das müssen wir ausbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Um das nicht nur baulich, sondern auch inhaltlich zu ermöglichen, bedarf es der Beratung. Deswegen blicken wir mit Argusaugen auf das, was Sie im Moment in den Haushaltsberatungen machen. Wir haben vorhin beim Sozialticket gesehen, wie schnell das Pendel hin und her schlagen kann.

Ich kann Sie nur auffordern und bitten, Herr Minister, dass das Landesbüro altengerechte Quartiere.NRW und das Landesbüro innovative Wohnformen.NRW nicht nur keine Kürzungen erfahren, sondern weiter gestärkt und ausgebaut werden und als Unterstützung für die Menschen da sind, die etwas im Quartier entwickeln wollen, sowie für die Investoren da sind, damit es besser wird und diese wichtigen Strukturen nicht verloren gehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich hoffe, dass wir im Ausschuss die von FDP und CDU angekündigte Kehrtwende, einen Paradigmenwechsel wieder hin zu „stationär vor ambulant“ zu machen, stoppen können und Sie überzeugen können, dass wir die Menschen im Quartier haben wollen, dass wir ihnen die Möglichkeit geben wollen, eine Wahlfreiheit zu haben. Das muss ausgebaut werden. Dazu lade ich Sie ganz herzlich ein. – Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hagemeier.

Daniel Hagemeier (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! Pflege ist wohl eines der wichtigsten Themen, mit denen wir uns im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in den nächsten Wochen und Monaten auseinandersetzen müssen. Dort wird auch der Antrag abschließend beraten werden, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heute einbringt.

Um es vorwegzunehmen: Wir werden der Überweisung zustimmen.

Allerdings ist ein Teil des Inhalts sogar schon Thema im Fachausschuss gewesen, weshalb mich der Antrag etwas verwundert. Schon in der Sitzung am 8. November 2017 hat unter Tagesordnungspunkt elf „Absichten der Landesregierung zum Masterplan ‚altersgerechte Quartiere‘ und zum ‚Landesförderplan Alter und Pflege‘„ die Vorlage 17/216 vorgelegen, in der sich Minister Karl-Josef Laumann zu den Absichten der Landesregierung zum Masterplan „altersgerechte Quartiere“ und zum „Landesförderplan Alter und Pflege“ äußert.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Er war doch nicht mal dabei!)

Der Masterplan sieht eine Evaluierung erster Zwischenergebnisse vor, die zum Ende dieses Jahres vorliegen sollten. Sie ist auf den 31. Dezember 2018 befristet. Der Landesförderplan wird für jede Wahlperiode erstellt. Eine Prüfung im Ministerium, ob die für den bisherigen Landesförderplan gewählte Ausgestaltung beibehalten oder verändert werden sollte, ist noch nicht abgeschlossen.

Ohne vorzugreifen, möchte ich dazu Folgendes sagen: Wir alle können sicher sein, dass das von Herrn Minister Laumann geführte Ministerium den Plan schnellstmöglich vorlegen wird.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie sind doch das Parlament und nicht er!)

– Beruhigen Sie sich; der Fachausschuss kommt ja noch.

Nun aber zu den Forderungen, die die Grünen an die Landesregierung stellen möchten: Offenbar haben Sie ganz andere Vorstellungen als meine Fraktion und ich davon, was selbstbestimmtes Wohnen bedeutet.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es geht doch um die Menschen!)

Der Begriff „Selbstbestimmung“ bezeichnet laut „Brockhaus“ die Möglichkeit und Fähigkeit des Individuums, frei dem eigenen Willen gemäß zu handeln.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Mit „Wille“ wird die Fähigkeit des Menschen bezeichnet, sich bewusst für ein Verhalten zu entscheiden und ein Ziel anzustreben.

Wenn ich dann aber einen Absatz weiter in Ihrem Antrag, liebe Grüne, lesen muss, dass ambulant Vorrang vor stationär haben soll, muss ich sagen: An dieser Stelle widersprechen Sie sich doch.

Wenn der Mensch im Mittelpunkt steht und selbst bestimmt, was für ihn als Individuum das Beste ist, dann kann er auch entscheiden, dass er eine stationäre Unterbringung für sich bevorzugt.

Eine echte Wahlfreiheit kann nur bestehen, wenn ambulante und stationäre Angebote vorhanden sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zur Wahlfreiheit und Selbstbestimmung gehört aber auch die Möglichkeit, dass ein pflegebedürftiger Mensch grundsätzlich im Familienverbund bleiben kann bzw. dass ein Angehöriger die ambulante Pflege übernimmt.

Für diese Menschen müssen wir die Kurzzeitpflegeplätze ausbauen. Denn auch Angehörige können zeitlich begrenzt ausfallen. Für Urlaube ist eine solche Kurzzeitpflege gut planbar. Aber wenn ein pflegender Angehöriger durch eigene Krankheit ausfällt – um einfache Beispiele zu nennen: jeder kann mal mit fiebriger Grippe flachliegen oder sich einen Fuß verknacksen –, müssen auch hier spontan Plätze verfügbar sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bitte verabschieden Sie sich davon, stets Ihre eigenen Ideale in den Vordergrund zu stellen. Man braucht nicht für jedes Anliegen eine eigene Beratungsstelle. Sie führen in Ihrem Antrag mehrere davon an. Vielleicht macht es viel mehr Sinn, Beratungsstellen zu bündeln, damit Beratung Suchende nicht von Pontius zu Pilatus laufen müssen.

Um zumindest kurz auf die weiteren Forderungen aus Ihrem Antrag einzugehen:

Unsere Intention zur Wahlmöglichkeit stellt nicht die ambulante Versorgung in den Vordergrund. Wie bereits erläutert, bewerten wir diesen Aspekt anders, mehr auf die Selbstbestimmung hin orientiert.

Zu Punkt 5 Ihres Antrags sollten Sie wissen, dass die Landesbauordnung aktuell noch überarbeitet wird und eine Verbändeanhörung aussteht. Ich kann Ihnen versichern, dass es auch unser Ziel ist, mehr Wohnungen barrierefrei oder sogar rollstuhlgerecht auszubauen. Aber das werden wir zu einem späteren Zeitpunkt im federführenden Ausschuss zu entscheiden haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns auf die intensive Diskussion im Fachausschuss.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hagemeier. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin das Wort.

Britta Altenkamp (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen fordern in ihrem Antrag den weiteren Ausbau und den Erhalt des Landesförderplans Alter und Pflege. Die entstandenen Pflegewohnberatungsstellen sollen in ihrer Arbeit weiterhin wertgeschätzt und landesseitig unterstützt werden. Innovative Wohnformen wie quartiersnahe Wohnpflegegemeinschaften sollen bekannter gemacht werden. Die Förderung des Landesbüros altengerechte Quartiere.NRW soll fortgeführt werden. Individuelle Wohn- und Pflegeformen sollen weiter ausgebaut werden.

Menschen – so ist die Grundphilosophie – sollen die Möglichkeit erhalten, so lange wie möglich in ihrem vertrauten Wohnumfeld zu bleiben, auch wenn Pflegebedürftigkeit oder Unterstützungsbedarfe eintreten.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer kann dazu schon Nein sagen? Die SPD unterstützt diese im Antrag erhobenen Forderungen. Insofern besteht keine Differenz zwischen den Grünen und uns.

Wir sind aber – das wird Sie nicht überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen – dennoch der Auffassung, dass der Antrag ein wenig zu kurz springt. Denn den Anforderungen einer alternden Gesellschaft wird der Antrag nicht vollumfänglich gerecht. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass Sie an einigen Stellen in Bezug auf das, was in der vergangenen Legislaturperiode gewesen ist, Patentsicherung betreiben wollen.

Lassen Sie mich beispielhaft begründen, was ich meine. Der Antrag legt Wert auf einen Angebotsmix vor Ort, aus dem die Bewohner ihren Bedürfnissen entsprechend auswählen können, von ambulanter Betreuung bis zur Rund-um-die-Uhr-Pflege. Stationäre Einrichtungen werden in Ihrem Antrag als „traditionelle Großeinrichtungen“ bezeichnet. Sie sprechen von Alternativen, die die ambulante Versorgung zu den traditionellen stationären Einrichtungen beisteuern soll.

Nur: Ist das realistisch? Sehen wir wirklich Zeiten entgegen, in denen die stationären Einrichtungen weitgehend überflüssig werden, weil die Versorgungsstrukturen in den Quartieren so umfassend sind, dass man auf stationäre Einrichtungen verzichten kann?

Die Zahl der älteren Menschen wird sich bis 2040 um 40 % erhöhen. Das geht aus dem Altenbericht des Landes Nordrhein-Westfalen hervor. Sie erwähnen in Ihrem Antrag selber eine Zahl von rund 450.000 alten Menschen mehr in 2030.

Aber schon heute ist die Realität so weit anders, dass man daran zweifeln kann, dass das Konzept wirklich vollumfänglich gelingen kann. Wir als Sozialdemokraten glauben weiterhin, dass stationäre Einrichtungen gebraucht werden, und zwar wahrscheinlich sogar in weit größerem Umfang, als uns allen das lieb ist.

Der Wunsch danach, so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung leben zu können, ist so neu nicht. An den Kollegen, der vor mir gesprochen hat, gerichtet füge ich hinzu:

Der Unterschied zwischen Ihnen und uns liegt darin, dass Sie, wenn Sie über Pflege im Quartier reden, vor allen Dingen darüber sprechen, dass es um die Pflege durch pflegende Angehörige zu Hause geht.

Unser Begriff oder unsere Vorstellung von Pflege im Quartier geht aber darüber hinaus. Die Menschen, die ihre Angehörigen im Quartier pflegen, sollen unterstützt werden, aber auch diejenigen, die nicht in familiären Zusammenhängen leben wollen. Auch sie wollen im Quartier verbleiben und brauchen Unterstützung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir die einzelnen Abgeordneten fragen, wer in Zukunft in einer stationären Einrichtung leben will, dann ist die Antwort doch klar und deutlich: keiner. Das kann man auch nachvollziehen. Denn sich aus der heutigen Position heraus vorzustellen, wie es ist, nicht mehr vollumfänglich souverän entscheiden zu können, ist etwas, was niemandem in unserem Lebensalter und dem Gesundheitszustand, in dem wir sind, besonders angenehm ist. Dennoch wird es so sein, dass auch von denen, die heute so kregel im Saal sitzen, wahrscheinlich ganz schön viele irgendwann Pflege in einer stationären Einrichtung brauchen werden und dort versorgt werden müssen.

Schon heute sinkt die durchschnittliche Verweildauer in den stationären Einrichtungen stetig. 20 % der Bewohner sterben innerhalb der ersten vier Wochen nach der Aufnahme.

(Minister Karl-Josef Laumann: Weil die ambulante Pflege so gut ist!)

– Ja, ja. – Ein Jahr nach der Aufnahme ist bereits die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner in der stationären Altenhilfe verstorben.

Menschen kommen heute also in stationäre Einrichtungen, wenn ihre Versorgung in anderen Wohn- und Pflegeformen nicht mehr zu gewährleisten ist. Das verändert die Situation der stationären Einrichtungen erheblich. Deshalb haben sich die stationären Einrichtungen auch schon erheblich verändert.

Das wird in Ihrem Antrag, wie wir finden, nicht deutlich genug. Es kann aber durchaus sein, dass wir in der Diskussion über den Antrag auch in diesem Punkt weiterkommen werden.

In Ihrem Antrag fehlt der Hinweis, dass schon heute stationäre Alteneinrichtungen zu Kristallisationspunkten im Quartier und zu Pflege im Quartier geworden sind. Wir sind überzeugt davon, dass wir die stationäre Altenhilfe auch weiterhin brauchen werden und ihre Veränderung deshalb unterstützen müssen.

Auf noch eines möchte ich hinweisen: Ich glaube schon, dass wir es in Zukunft mit einer anderen Generation von Menschen zu tun haben werden. Allerdings – erlauben Sie mir, das zu sagen – bezweifle ich, ob der unbedingte Glaube daran berechtigt ist, dass Pflegebedürftige immer in der Lage sein werden, als souveräne Verbraucherinnen und Verbraucher aufzutreten und den Pflegemix, den sie brauchen, auszuwählen.

Ich möchte Sie gerne einladen, einmal die Tagespflege Oase in einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt Niederrhein, zu besuchen. Dort werden Sie feststellen, dass es im Sinne der Unterstützung der Angehörigen eine ganze Menge von Angeboten gibt. Es findet eine professionelle Versorgung dieser Leute statt. Sie sind aber sicher nicht immer in der Situation, selber entscheiden zu können, dass sie dahin kommen wollten, wo sie jetzt sind.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das steht hier nicht drin, Britta!)

Deshalb sollten wir grundsätzlich noch einmal über unsere Haltung und Einstellung zu den Menschen, die pflegebedürftig sind und Unterstützungsbedarfe haben, nachdenken. Die Souveränität müssen viele Menschen leider zum Beispiel aufgrund ihrer demenziellen Veränderung, aber auch aufgrund ihres gesundheitlichen Gesamtzustandes, ihrer Multimorbidität, möglicherweise aufgeben. Ihnen die Angst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass sie trotz allem entsprechend ihren Bedarfen und Bedürfnissen unterstützt und versorgt werden, ist nach meiner Auffassung und nach Auffassung meiner Fraktion die Aufgabe der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen.

Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die Souveränität in der stationären Altenhilfe keine größere Rolle mehr spielen würde, sondern sollten alle gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Menschen so lange, wie es möglich ist, Souverän ihrer eigenen Lebenssituation sind.

Wir haben allerdings erhebliche Zweifel daran, dass dies, wenn nicht in einer stationären Alteneinrichtung, dann immer und auf jeden Fall im Quartier stattfinden kann. Das ist aber auch keine große Neuigkeit, Mehrdad. Insofern werden wir in dieser Hinsicht sicher gut zueinanderfinden. Denn die Ansätze, die in der letzten Legislaturperiode in dieser Hinsicht gelegt worden sind, sind richtig. Deshalb unterstützen wir sie auch. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Antrag der Grünen löst bei mir vor allem Kopfschütteln aus. Da wird die Politik Ihrer Ex-Ministerin Steffens gefeiert und ihre Fortsetzung gefordert. Aber das war eine Politik, die zu immensen Verwerfungen und Verunsicherungen in der Pflegelandschaft geführt hat, und eine Politik, die in der handwerklichen Umsetzung krachend gescheitert ist.

(Beifall von der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sieht der Minister aber anders!)

Unter der Prämisse „ambulant vor stationär“ geht es für Sie eben nicht nur um einen Ausbau ambulanter Versorgungsangebote und mehr Wahlfreiheit, sondern gerade auch um ein Zurückdrängen stationärer Einrichtungen. Beispiele dafür gibt es viele.

Das fängt bei den neuen Fördergrundsätzen hinsichtlich der Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen an. Als Oppositionsfraktionen konnten wir bei den Beratungen des Alten- und Pflegegesetzes zumindest noch Festlegungen von Refinanzierungsansätzen und Flächenberechnungen verhindern, die jeder wirtschaftlichen Grundlage entbehrten. Doch zum Beispiel bei Einrichtungen im Mietmodell ist durch den auf fünf Jahre beschränkten Bestandsschutz ihre Zukunft gefährdet. Sie haben immer nur entgegnet, dass dann Mietverträge neu verhandelt werden müssten. Dabei handelt es sich um Verträge, die über 20 oder 30 Jahre abgeschlossen wurden und bei denen kein Vermieter einfach auf fest kalkulierte Einnahmen verzichtet. Das würde eher zur Schließung der Einrichtungen führen.

Weitere Punkte betreffen die starre Größenbegrenzung von 80 Plätzen oder die verbindliche kommunale Pflegebedarfsplanung, die darauf zielt, den Bau neuer Pflegeheime zu verhindern.

Diese Politik wollte den Betreibern und Investoren eben keine Sicherheit geben, dass sich ein wirtschaftliches Engagement in der Pflege überhaupt rechnen könnte.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Katze ist jetzt aus dem Sack! Das ist genau der Punkt!)

Sie haben ja grundsätzlich infrage gestellt, dass man mit Pflege auch Geld verdienen dürfe. Doch die erzeugte Verunsicherung hat vor allem den kleinen und mittelständischen Betreibern das Leben erschwert und manche sogar zur Aufgabe gezwungen. Damit wurde das vermeintliche Ziel einer kleinteiligen Infrastruktur konterkariert.

Dann war die Neuausrichtung Ihrer Politik aber auch noch schlecht gemacht. So sollte bis Ende 2015 die Umstellung mit der Erteilung von neuen Förderbescheiden erfolgen. Das war absolut illusorisch. Bereits die Antragstellung ist mit Problemen verbunden, wenn tatsächliche Aufwendungen der Einrichtungen nicht nachgewiesen werden können, weil relevante Unterlagen für Investitionen, die viele Jahre zurückliegen, nicht aufbewahrt wurden.

Noch größere Schwierigkeiten bereitete das neue IT-System PfAD.invest. Berechnung und Bescheiderteilung mussten lange Zeit mit einem hohen Aufwand für die Landschaftsverbände manuell erfolgen. Der Einsatz von PfAD.invest in Massenverfahren verzögerte sich immer weiter. So blieb die überwiegende Zahl der Anträge unbearbeitet.

Die Frist zur Gültigkeit der alten Bescheide haben Sie dann bis zum letzten gesetzlich zulässigen Datum verlängert. Dennoch müssen wir weiterhin Rückstände bei der Bearbeitung feststellen. Zahlreiche rückwirkende Bescheide werden inzwischen erteilt, die dann nachträgliche Korrekturberechnungen zur Folge haben. Diese belasten nicht nur die Einrichtungen, sondern auch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen.

Daraufhin wollte Ihre Ex-Ministerin noch mit einer Broschüre zur Erklärung der neuen Berechnungen von der misslungenen Umsetzung ablenken und die Verantwortung mit einigen tendenziösen Formulierungen in Richtung Heimbetreiber schieben. Wenn meine jüngste Tochter mit einer Hausaufgabe dieser Qualität angekommen wäre, dann hätte ich diese zerrissen und gesagt: Mach das noch einmal; das kannst du besser.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Aber Sie konnten es offensichtlich nicht besser.

Ein Neustart in der Pflegepolitik war bzw. ist dringend notwendig, um wieder Vertrauen zu schaffen. Die NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP tritt dafür ein, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen möglichst selbstbestimmt wählen können, wo und in welcher Form sie betreut werden möchten, sei es im häuslichen Umfeld, in Wohngemeinschaften oder auch in stationären Pflegeheimen.

Eine ambulante Betreuung mag zwar für viele Menschen wünschenswert sein, sie wird aber nicht allen Pflegebedürftigen gerecht. Ich frage mich wirklich, wie bei Beatmungspatienten oder bei Menschen mit schweren Schlaganfällen noch eine Einbindung in das Leben in einer Pflege-WG erfolgen soll.

Aufgrund des demografischen Wandels und beruflicher Mobilität werden Familien immer weniger in der Lage sein, Pflegebedürftige im häuslichen Umfeld zu pflegen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Wir dürfen deshalb bei allen Wünschen nach einem Ausbau der ambulanten Versorgung nicht vernachlässigen, dass wir auch in Zukunft eine ausreichende Zahl qualitativ hochwertiger stationärer Einrichtungen benötigen.

(Beifall von der FDP)

Es wäre völlig verfehlt, diese Einrichtungen aus dem Markt zu drängen. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag auf einen Abbau von Benachteiligungen genau dieser Einrichtungen verständigt. Das bedeutet keine Umkehr des Grundsatzes „ambulant vor stationär“, sondern es bedeutet eine Sicherung der Wahlfreiheit für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Eine explizite Benachteiligung der stationären Pflege würde diese Wahlfreiheit erschweren.

In dem Sinne werden wir den Neustart in der Pflegepolitik angehen. Mit dem Entfesselungspaket I sehen wir erste Entlastungen bei der Bearbeitung der Förderbescheide vor, indem wir gesetzliche Fristen verlängern und Wertermittlungen vereinfachen. In der Folge werden wir im nächsten Jahr das Alten- und Pflegegesetz sowie die Durchführungsverordnung grundlegend überarbeiten.

Wir wollen aber auch die ambulante Pflege stärken. Dazu werden wir die pflegenden Angehörigen über mehr Pflege in Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen entlasten.

Für eine Betreuung im häuslichen Umfeld ist zudem der Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten ein wichtiger Schritt. Allerdings dürfen die vom Land festgelegten Voraussetzungen für die Anerkennung von Betreuungsangeboten nicht so hoch angesetzt werden, dass kaum ein Anbieter sie erfüllen kann. Das führt dazu, dass Pflegebedürftige zwar einen Anspruch auf diese Leistungen haben, aber niemanden finden, der sie erbringen kann.

Deshalb wollen wir die entsprechende Verordnung überarbeiten und prüfen, inwieweit die Anforderungen für kleine Anbieter im Einklang mit den bundesrechtlichen Vorgaben im SGB XI reduziert werden können.

Niedrigschwellige Angebote sind eben nicht nur Pflegedienste mit Fachkräften, sondern oft auch Hilfen für einfache Tätigkeiten im Alltag. Auch das gehört zu einem Neustart in der Pflegepolitik. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schneider. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort. Bitte.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Gesellschaft altert dramatisch. Die Gründe hierfür sind sicherlich vielfältig. Allen voran steht besonders in modernen Industriestaaten eine bewusste Familienplanung. Viele Menschen verzichten aus bewusster eigener Entscheidung ganz oder teilweise auf Kinder, beispielsweise zur Selbstverwirklichung, beruflich bedingt oder wegen verminderter familiärer Bindungsfähig- oder -willigkeit. Warum auch nicht? Unser globaler Footprint ist bereits jetzt viel zu groß. Ein bewusstes Gesundschrumpfen wäre für die Umwelt ein Segen.

(Beifall von der AfD)

Auch spielt die zunehmende Verfügbarkeit moderner Verhütungsmittel eine Rolle. Der sogenannte Pillenknick der 1960er-Jahre ist ein gängiger Begriff.

Aber genauso drängen sich Zukunftsängste beispielsweise durch drohende Arbeitslosigkeit, durch den technischen Fortschritt und weltweite Konkurrenz im Rahmen der Globalisierung in die Familienplanung. Hinzu kommen Ängste durch den Abbau von Arbeitnehmerrechten, die Gewaltentwicklung in der Gesellschaft, erschwerte Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder hohe Unterhaltspflichten.

Nicht zuletzt ist die Auswanderung von Fachkräften zu nennen. Jährlich verlassen 150.000 bis 200.000 zumeist gut ausgebildete Menschen die Republik.

Auch die Probleme alternder Gesellschaften sind hinlänglich bekannt: weniger Erwerbstätige bei gleichzeitig steigenden Sozialausgaben, dadurch ein uninteressanteres Klima für Investoren, weniger Steuereinnahmen, Überschuldung und konsekutiv eine Abwanderung von jungen Leistungsträgern in jüngere und weniger lethargische Staaten als unsere Republik.

Chancen, dem entgegenzusteuern und durch gezielte Maßnahmen die Bevölkerungsstruktur zur Sicherung der Sozialsysteme günstig zu beeinflussen, hat die Politik schlichtweg verspielt.

(Beifall von der AfD)

Das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum es nun die Familienpartei AfD im Parlament gibt. Wir holen Sie gern aus der politstrategischen Gerontokratie und erinnern Sie daran, Probleme anzugehen, bevor sie unumkehrbar sind. Der Bürger erinnert Sie daran mit immer mehr von uns in den Parlamenten.

(Beifall von der AfD)

Sie haben es an den Buffets schlichtweg verschlafen, dieses Land zukunftsfähig zu machen. Andere Staaten wie Kanada, Australien oder die Schweiz haben es vorgemacht. Diese Staaten sind mit ihren rigiden Einwanderungs- und generösen Familienpolitiken Magneten für Leistungsträger auf der ganzen Welt geworden.

Sie, geschätzte Kollegen, haben die Republik allenfalls zu einem Magneten für Armutsmigranten gemacht, die sich in unseren Sozialsystemen wohlfühlen, geschultert von dem pflichtbewussten Michel, der sich trotz aller Widrigkeiten durch den Arbeitsalltag schleppt. Unsere Kinder nehmen, wenn sie können, Reißaus. Die wenigen, die übrig bleiben, werden zwangsläufig in wenigen Jahren die Zeche für Ihre Politik zahlen müssen.

(Beifall von der AfD)

Bereits jetzt wird einem schwindelig, wenn man sich die aufgelaufenen Strukturinvestitionsdefizite in Krankenhäusern, Schulen, bei der Polizei, der Bundeswehr, den Straßen, Brücken etc. ansieht, und das trotz sprudelnder Steuereinnahmen.

Aktuell stehen die geburtenstarken Jahrgänge am Ende ihrer Erwerbsbiografien und zahlen gutes Geld in die Staatskassen. Aber das wird nicht immer so bleiben. Schon längst müsste an den Grenzen in großen Lettern stehen: Achtung, Kinder haften für ihre Eltern!

(Beifall von der AfD)

Ach so, wir haben ja gar keine Grenzen mehr.

Es ist dabei schwer zu fassen, wie Sie hier in bunten Farben eine strahlende Zukunft für altersgerechte Quartiere skizzieren und dabei viel Geld in die Hand nehmen wollen – für eine Gentrifizierung, vielmehr eine Geriatrifizierung ganzer Stadtbezirke. Aber ohne ausreichende Pflegekräfte, genügend sozialversicherungspflichtig beschäftigte Beitragszahler und eine große Portion Glück – ja, auch die brauchen Sie – wird Ihr Konzept krachend scheitern.

(Beifall von der AfD)

Investieren Sie endlich in die Zukunft. Sorgen Sie für ein vernünftiges Einwanderungsgesetz und für Lebensumstände, die wieder dazu befähigen, Kinder zu bekommen und Investoren anzulocken, um die altersgerechten Wohnungen zu bauen, die wir dringend brauchen.

Das Kapital ist in der alternden Generation vorhanden. Belasten Sie nicht weiter die, die die Suppe letztlich auslöffeln müssen: unsere Kinder. Beweisen Sie das eine Mal, dass Neohippies mehr sind als Hedonisten mit günstiger CO2-Bilanz. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dr. Vincentz. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin fest davon überzeugt, dass wir heute Morgen über ein Thema reden, das unsere Gesellschaft jetzt schon herausfordert und in Zukunft noch viel stärker herausfordern wird.

Wenn wir über 640.000 pflegebedürftige Menschen sprechen, dann müssen wir uns immer vor Augen halten, dass diese alles das, was ein Mensch so am Tag machen muss, damit er leben kann, ohne die Hilfe eines anderen Menschen nicht mehr hinbekommen. Deswegen muss man immer beides zusammen sehen: den pflegebedürftigen Menschen und denjenigen, der sich um ihn kümmert.

Wir müssen klar sagen: Wir werden diese Herausforderung nur lösen können, wenn das Angebot, das es für die Betroffenen in unserer Gesellschaft gibt, grundsätzlich daran ausgerichtet ist, dass das soziale Umfeld – die Familie, die Nachbarschaft, Freunde, Kinder – und professionelle Hilfe zusammenkommen. Keiner kann lange pflegen ohne professionelle Unterstützung. Aber kein Pflegebedürftiger bekommt das an Zeit, an Liebe, an Geborgenheit, was ein Mensch braucht, nur durch professionelle Pflegekräfte. – Das ist für mich der erste Grundsatz, der überall gelten muss, egal in welcher Wohnform der Pflegebedürftige lebt.

Zweiter Punkt: Ich habe mich an der Debatte „ambulant vor stationär“ mein ganzes politisches Leben – und ich habe viel mit Pflege zu tun gehabt – nie beteiligt, weil ich einer ganz anderen Meinung bin. Ich meine nämlich, dass – wenn der Grundsatz gilt, dass das soziale Umfeld und Professionalität zusammenkommen – der Pflegebedürftige und sein soziales Umfeld entscheiden sollten, wo er in der Situation der Pflegebedürftigkeit leben möchte.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dazu gehört natürlich, dass ein Angebot da besteht, wo die Menschen leben. Das sind nun einmal die Gemeinden oder Quartiere, so wie es in dem Antrag ausgeführt wird. Es ist doch klar: Alte Bäume verpflanzt man nicht. So denken ganz viele, und das ist auch ganz natürlich. Deswegen möchte ich gerne, dass es in allen Gemeinden, Dörfern, Stadtteilen, Quartieren unterschiedlichste Formen des Wohnens für pflegebedürftige Menschen gibt.

Wenn man „ambulant vor stationär“ sagt, dann deutet das darauf hin – ohne es auszusprechen –: Stationär ist irgendwie schlecht.

(Zuruf: Nein!)

Davor sollten wir uns hüten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dass die Verweildauer in den stationären Pflegeeinrichtungen heute so kurz geworden ist, liegt auch daran, dass die ambulanten Strukturen mittlerweile so gut sind. Wir können uns darüber freuen, dass wir heute viele ambulante Strukturen haben, aber wir brauchen auch die stationären Pflegeeinrichtungen.

Jetzt ist die Frage: Wie kommt man zu einem bunten Angebot? Dabei habe ich ein großes Problem mit dem, was vorher passiert ist. Die Vorgängerregierung hat in dieser Frage auf eine staatliche Planung gesetzt. Das übernehmen jetzt die Kommunen.

Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Planungen, weil ich glaube, dass die Bedürfnisse der Menschen nicht früh genug erkannt werden.

Eine der großen Errungenschaften der Pflegeversicherung war – als wir sie vor über 20 Jahren eingeführt haben, ich war schon als junger Abgeordneter dabei –, dass wir gesagt haben: Die pflegebedürftigen Menschen bekommen Geld aus der Pflegeversicherung und können sich damit Unterstützungsleistungen kaufen.

Diese 20 Jahre haben bewiesen, dass der Markt ein buntes Programm an Unterstützungsleistungen hervorgebracht hat, wie es staatliche Planung nie geschafft hätte. Denn die Wahrheit ist, dass der Markt der beste Pfadfinder ist, Bedürfnissen – an Produkten und Dienstleistungen –, die Menschen haben, auch ein Angebot gegenüberzustellen.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Über die Frage müssen wir uns jetzt unterhalten. Das kommunale Planungsrecht ist da. Ich weiß auch nicht, ob man es wieder abschaffen kann. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ich hadere mit dem kommunalen Planungsrecht.

Mittlerweile gibt es in Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, in denen kommunales Planungsrecht gilt, wieder Wartelisten für stationäre Pflegeeinrichtungen. Dabei war ich froh, dass wir die jahrelang nicht mehr hatten. Ein leichtes Überangebot in der Region ermöglicht den Menschen doch erst die Wahlfreiheit. Staatliche Planung führt oft dazu, dass sich bestehende Einrichtungen nicht mehr innovativ verändern, dass neue Einrichtungen nicht mehr entstehen und daher auch kein Wettbewerb um Qualität mehr stattfindet.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Über diese grundsätzliche Frage muss man reden. Und ob es eine so gute Idee war, den Sozialhilfeträgern das Planungsrecht zu geben, darüber denken Sie bitte auch einmal nach. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir kommunales Engagement mit den Möglichkeiten der Bedarfsdeckung durch Märkte näher zusammenbringen, um zu guten Lösungen zu kommen.

Dafür braucht es natürlich Investitionen. Die kann aber der Staat heute nicht mehr alleine stemmen. Wir brauchen auch privates Geld, damit solche Einrichtungen entstehen können.

Umgekehrt ist Nordrhein-Westfalen das einzige Bundesland, das noch ganz viel Steuergeld in die Pflegeinfrastruktur steckt, etwa über Investitionszuschüsse, Pflegewohngeld, Zuschüsse zu ambulanten Pflegediensten. Jahr für Jahr zahlen die Kommunen 680 Millionen € dafür. Das gibt es in keinem Bundesland mehr.

Ich wollte einmal wissen, was mit den 680 Millionen € passiert. Was ist eigentlich in Nordrhein-Westfalen anders als woanders? Ich kann Ihnen nur sagen – und da hatte die alte Regierung recht –: Man darf überprüfen, ob die Investitionskosten, die die alten Leute für die Nutzung der Infrastruktur bezahlen müssen, auch den realen Ausgaben, den realen Verhältnissen entspricht.

Das ist handwerklich schlecht gemacht worden, deshalb sind wir noch nicht fertig. Mit dem Entfesselungspaket werden wir dafür sorgen, dass es handwerklich einfacher wird. Aber dass wir prüfen, ob die Investitionskosten bei einer so hohen staatlichen Förderung angemessen sind, ist unser gutes Recht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das muss auch gemacht werden;

(Michael Hübner [SPD]: Deshalb brauchen Sie eine Planung dafür!)

denn bei den bisherigen Überprüfungen ist herausgekommen, dass die Investitionskosten in den Eigentumseinrichtungen im Durchschnitt 6 % zu hoch waren. 6 % sind viel Geld; das macht bei einem durchschnittlichen Pflegeplatz 330 € im Jahr aus.

(Nadja Lüders [SPD]: Wovon?)

Das ist für einen normalen, durchschnittlichen Rentner oder für eine Witwe immerhin fast die Hälfte bzw. ein gutes Drittel der Monatsrente. Es ist also in Ordnung, dass wir uns das anschauen.

Es muss auch nicht sein, dass man in der Pflegeinfrastruktur zweistellige Renditen macht – nicht, wenn der Staat so stark fördert, wie er es in Nordrhein Westfalen tut. Deshalb muss man sich das sehr genau ansehen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das gilt für alle Wohnformen, die wir uns in diesem Bereich vorstellen können.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Minister, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Wagner möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein, ich will im Zusammenhang vortragen, wie ich mir meine Pflegepolitik vorstelle.

Die größte Herausforderung wird sein, dass wir Vertrauen für die unterschiedlichen Einrichtungen erreichen. Wir werden im Übrigen auch keine Menschen mehr finden, die in diesen Einrichtungen arbeiten, wenn sie ständig so dargestellt werden, als ginge es dort drunter und drüber. Das entspricht nicht der Wahrheit.

Deswegen ist es wichtig, dass wir für die unterschiedlichen Betreuungsformen eine Transparenz der Qualität der Pflege erreichen – durch ein Transparenzsystem, das auch Aussagen zu und Unterscheidungen von Pflegeeinrichtungen möglich macht. Deshalb haben wir im PSG II geregelt, dass die Qualitätskriterien überarbeitet werden müssen.

Ein Beispiel: Vor zwei Jahren ist in Bonn ein Pflegeheim wegen „gefährlicher Pflege“ geschlossen worden. Ich habe mal im Internet nachgeschaut: Die hatten bei der Begutachtung des MDK die Note 1,2 bekommen. Das versteht ja kein Mensch! Wir brauchen in diesem System Transparenz, damit es Vertrauen erlangt, und das Vertrauen brauchen wir, damit die Menschen keine so große Angst haben, wenn sie pflegebedürftig werden.

Wir benötigen auch Zwischenlösungen, zum Beispiel zwischen der Pflege zu Hause und der stationären Pflege. Da sind die Tagespflege oder die Nachtpflege gute Angebote. Leider schneidet Nordrhein-Westfalen beim Ausbau der Tagespflege in ganz Deutschland am schlechtesten ab. Ich weiß zwar noch nicht, warum das so ist, aber vielleicht hängt es auch mit dem Planungsrecht zusammen.

(Michael Hübner [SPD]: Nein!)

– Ja, wir müssen uns das mal angucken. Wir liegen beim Ausbau der Tagespflege auf jeden Fall zurück. Wie kam es dazu? Eine Tagespflege aufzubauen, ist ganz einfach. Dazu brauchen Sie kein kommunales Geld und kein öffentliches Geld. Warum ist das dann so?

Wir haben keine Kurzzeitpflegeplätze. Wenn eine 75-Jährige, die ihren 80-jährigen Mann pflegt, die Grippe bekommt und von heute auf morgen nicht mehr pflegen kann, dann ist es unmöglich, einen Kurzzeitpflegeplatz zu finden. Den gibt es nicht, weil wir nur eingestreute Kurzzeitpflegeplätze haben, die in Wahrheit immer mit Leuten belegt werden, die am Anfang der Aufnahme in ein Altenheim stehen.

Wie kommen wir zu ausgewiesenen Kurzzeitpflegeplätzen an sich? – Dazu habe ich ein paar pragmatische Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel werden wir in Einrichtungen, die nur Kurzzeitpflege anbieten, die Doppelzimmer nicht abschaffen. Das kann man zwar unsozial finden, aber ich bin der Meinung: Die Frage nach dem Doppelzimmer ist durchaus unterschiedlich zu beantworten, je nachdem, ob jemand nur für vier Wochen in der Kurzzeitpflege ist oder den Rest seines Lebens darin verbringen muss. Im Krankenhaus haben wir in der Regel auch Doppelzimmer.

Ich habe entschieden, dass diejenigen Einrichtungen, die noch zu viele Doppelzimmer haben – mehr als 20 % –, diese einige Jahre weiterhin zur Kurzzeitpflege betreiben können. Das ist eine ganz pragmatische Entscheidung, um zu mehr Kurzzeitpflegeplätzen zu kommen.

Wenn wir im nächsten Jahr über Gesetze und darüber sprechen, wie groß Altenheime sein sollen, darf man die 80er-Grenze schon überprüfen, weil heute in Wohngruppen gelebt wird und nicht mehr in Stationen, wo die 80er-Grenze entstanden ist. Wenn wir das machen, müssen wir aber auch überlegen, ob nicht ein bestimmter Anteil dessen, was über 80 Pflegeplätze hinaus gebaut wird, zum Beispiel für Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung gestellt werden muss, damit wir überhaupt Investitionen in diesem Bereich bekommen und in allen Quartieren Kurzzeitpflegeplätze angeboten werden. Sie sind eine zwingende Voraussetzung für Familien, um die Versorgung auch dann, wenn kurzfristig etwas passiert, stabil zu sichern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir müssen die Angebote auch so gestalten, dass wir für unterschiedliche Talente, die sich um pflegebedürftige Menschen kümmern wollen, Arbeitsplätze schaffen und ihnen die Möglichkeit geben, sich in der Pflege zu engagieren. Auch deshalb sind unterschiedliche Wohnformen eine gute Sache, weil man dann nicht nur staatlich geprüfte Pflegefachkräfte braucht.

Wir sollten wirklich überlegen, wenn wir ein so vielfältiges Angebot haben wollen, ob man bei den niedrigschwelligen Hilfsdiensten so hohe Anforderungen an die Zulassung stellen muss, wie wir es in Nordrhein-Westfalen machen. Häufig geht es da ums Saubermachen, Putzen, Einkaufen oder die Begleitung beim Spazierengehen. Man sollte auch bunten Formen die Möglichkeit geben, sich als Anbieter für diese Dienstleistungen zu beteiligen, und nicht alles so unterordnen, dass der Leiter einer solchen Einrichtung grundsätzlich – so ist es in Nordrhein-Westfalen – ein Staatsexamen in der Pflege benötigt. Wenn sich jemand darauf spezialisiert, die Wohnung alter Leute sauber zu machen, kann ich nicht erkennen, was das mit einem Staatsexamen für Pflege zu tun hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Noch am 11. Mai wurde eine dicke Verordnung – ich habe sie nicht gelesen, aber sie war wirklich 2 cm dick – zu der Frage herausgegeben, welche Weiterqualifikation man braucht, wenn man ein Heim leitet, damit man es auch morgen noch leiten darf. Das passierte in einem Ministerium, in dem man für die Leitung eines Krankenhauses – da reden wir über 500 Betten und mehr – keine Qualifizierungsvoraussetzungen ins Gesetz geschrieben hat. Aber der 80-Betten-Pflegeleiter muss das alles erfüllen! Ich bin froh, dass ich einen Weg gefunden habe, damit der Quatsch sofort außer Kraft gesetzt wird.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Die entscheidende Frage ist doch nicht, wer das Heim kaufmännisch führt. Entscheidend ist, dass die Pflegedienstleitung weiß, wovon sie redet.

Meine Idee ist, dass wir vielleicht in zukünftigen Gesetzen sagen, dass die kaufmännische Leitung eines Pflegeheims der Pflegedienstleitung keine fachlichen Anweisungen geben darf. So ist es auch bei Ärzten in Krankenhäusern.

(Beifall von der CDU)

Der kaufmännische Leiter eines Krankenhauses kann einen Arzt nicht anweisen. So lautet das Krankenhausgesetz in Nordrhein-Westfalen.

Wenn man also von der Sache etwas versteht, kann man eine gute Pflegepolitik machen. Ich freue mich auf diese Aufgabe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Abgeordnete Oellers das Wort.

Britta Oellers (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel wird eine der größten sozial- und gesundheitspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte sein.

In den vergangenen 30 bis 40 Jahren ist die Lebenserwartung von Männern und Frauen um durchschnittlich zehn Jahre gestiegen. Der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft wird weiter zunehmen. Dies bedeutet, dass wir für eine zunehmende Zahl von pflegebedürftigen Menschen flexible und qualitativ hochwertige Pflegekonzepte für verschiedenste Bedürfnisse bereithalten müssen. Diese Bedürfnisse reichen von einfacher ambulanter pflegerischer Versorgung in der häuslichen Umgebung bis zur stationären Vollzeitpflege.

Jeder Mensch, der auf Pflege angewiesen ist, hat unterschiedliche Ansprüche an die Pflege. Diesen unterschiedlichen Ansprüchen muss die Pflegeversorgung in NRW gänzlich gerecht werden.

Natürlich soll jeder, der auf Pflege angewiesen ist, so lange und so gut es geht die notwendige Unterstützung, wenn gewünscht in seinem gewohnten Lebensumfeld durch ambulante Pflege, erhalten. Die Infrastruktur der Pflege soll so gestaltet werden, dass die Pflegebedürftigen in freier Entscheidung eine ambulante Pflege der stationären Pflege vorziehen können und so im gewohnten Lebensumfeld soziale Kontakte weiter pflegen können. Niemand darf in die stationäre Pflege mangels Alternativen gedrängt werden.

Genauso verstehen wir Christdemokraten den Ansatz „ambulant vor stationär“. Das darf aber keinesfalls heißen, dass die ambulante Pflege gefördert wird, während die stationäre Pflege vernachlässigt wird.

Fälle, in denen das gewünschte Maß an Qualität und Fürsorge bei der heimischen Pflege nicht geleistet werden kann, wird es immer geben. Vor dem Hintergrund einer steigenden Anzahl von Singlehaushalten und des Trends, dass Angehörige immer weiter entfernt wohnen, werden diese Fälle zunehmen.

So sehr wir die Hilfe der Angehörigen, Ehrenamtler und Profis bei der ambulanten Pflege schätzen, alleine darauf verlassen können wir uns nicht. Reden wir uns also die Realität nicht schön. Bevormunden wir die Pflegebedürftigen nicht in ihrer Entscheidung und sprechen Klartext.

Gleichmäßige Förderung stationärer und ambulanter Pflege – dazu können wir nur ein klares Ja sagen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Reduzierung der Förderung stationärer Pflege zugunsten ambulanter Pflege – dazu sagen wir ein klares Nein. Nur so schaffen wir eine wirkliche Wahl zwischen den Varianten der Pflege. Nur so ist die Selbstbestimmung pflegebedürftiger Menschen garantiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vergessen dürfen wir bei den Diskussionen über die Pflegeinfrastruktur auch die Pflegekräfte nicht. Ist der Job des Pflegers und der Pflegerin nicht attraktiv, können wir uns über die verschiedenen Arten der Pflege lange den Kopf zerbrechen.

Ziel der Landesregierung und meiner Fraktion wird es daher sein, allen Schulabgängern unabhängig von ihrem Schulabschluss einen Job in der Pflege zugänglich zu machen, ausreichende Ausbildungskapazitäten zur Verfügung zu stellen und angemessene Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen.

Pflege kann nur funktionieren, wenn wir genügend gut ausgebildete und motivierte Pflegekräfte haben. Die Leidenschaft, anderen Menschen zu helfen, darf nicht ausgenutzt, sondern muss belohnt werden. Dafür wird sich die NRW-Koalition einsetzen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das GEPA war eine fraktionsübergreifende Zusammenarbeit, ein Aufschlag in der Pflegepolitik. Es gilt nun, die mit diesem Aufschlag geförderten Projekte durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales sorgfältig zu reflektieren, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und aus der Evaluierung neue Konzepte und Pläne zu entwickeln. Zur Benachteiligung stationärer Einrichtungen wird es bei diesen Konzepten jedoch nicht kommen.

Ich bin auf die Ergebnisse der Evaluierung gespannt und hoffe sehr, dass wir in den Ausschüssen an die gute Zusammenarbeit der Vergangenheit anknüpfen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Oellers. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der SPD erneut Frau Kollegin Altenkamp das Wort. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Britta Altenkamp (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will ein paar Dinge aufgreifen. Herr Minister, es macht nicht wirklich Mut, wenn Sie hier sagen, Sie hätten die Verordnung nicht gelesen, aber erst einmal abgeräumt. Da habe ich ein bisschen Sorge, das muss ich ganz ehrlich sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das lässt einige Gedanken über das Regierungshandeln zu. Aber ich habe schon verstanden, was Sie meinen. Insofern ist das geschenkt.

(Minister Karl-Josef Laumann: So eine dicke Verordnung!)

Ich möchte noch etwas zum Thema „ambulant vor stationär“ sagen, damit wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht falsch verstanden werden: Wir können hier nicht den Grundsatz „ambulant vor stationär“ aufheben; der ist immerhin im SGB XI verankert. Wir setzen hier auch nichts außer Kraft. Das darf aber nicht dazu führen, dass es ein Gegeneinander von stationär und ambulant in der Form gibt, dass die ambulante Pflege besser und der stationären Pflege immer vorzuziehen ist.

Wenn man sich die „Karrieren“ von Menschen im Pflegesystem anschaut, dann stellt man fest, dass eine Zeit lang immer ambulante Dienste das Mittel der Wahl waren.

Es wird aber – das habe ich in meinem Redebeitrag versucht, deutlich zu machen – irgendwann einige von uns hier im Raum und auch einige oben auf der Tribüne treffen – auch wenn man sich das heute noch nicht vorstellen kann und will –, die in eine stationäre Altenhilfe gehen, dort dann aber auch gut und qualifiziert betreut und versorgt werden. Das ist der Anspruch.

Deshalb muss man, glaube ich, einfach sehen, dass wir nicht von den Pflegebedürftigen sprechen können, sondern wir haben Entwicklungen, die einem Sorgen machen können.

Die sind vor allen Dingen darin begründet, dass es schon derzeit viele Menschen gibt, die sehr krank bzw. multimorbid sind, und dass möglicherweise der Anteil derjenigen zunehmen wird, bei denen es eine demenzielle Veränderung gibt und die schon aufgrund der Erkrankung ein Stück weit ihre Souveränität verloren haben. Das findet vor allen Dingen seinen Niederschlag in der stationären Altenhilfe.

Diese Umwandlungsprozesse zu unterstützen, ist, glaube ich, Aufgabe von Landespolitik. Auch ist es die Aufgabe von Landespolitik, das planvoll anzugehen. Darum geht es.

Ich glaube, dass wir mit den Diskussionen, die Sie, Herr Minister, angekündigt haben, im Grunde eines leisten könnten, nämlich die Sektoralisierung von Pflege ein Stück weit aufzuheben: Tagespflege, Kurzzeitpflege, ambulante Dienste und stationäre Versorgung. Innerhalb der stationären Versorgung gibt es auch noch unterschiedliche Konzepte.

All diese Konzepte führen im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Pflegekassen den kommunalen Sozialhilfeträgern am Ende immer dazu, dass vielfach eben das, was Sie und wir alle uns wünschen – dass nämlich der Blick des pflegebedürftigen Menschen und dessen Bedürfnisse im Zentrum stehen –, in den Hintergrund gesetzt wird. Es wird vielmehr darauf geschaut: Was kostet das? – Das ist aber falsch.

(Beifall von der SPD)

Die Sektoralisierung und die Versäulung unseres Systems führen am Ende vielfach dazu, dass die pflegebedürftigen Menschen oder aber die Angehörigen, die sich um Pflegebedürftige kümmern, merken, dass sie von diesem System aufgefressen werden und dass das, was Sie an Bedarfen und Bedürfnissen formulieren, vielfach überhaupt nicht ernst genommen wird und dass es sich in diesen versäulten Angeboten auch nicht abbildet.

Also lassen Sie uns die Diskussionen über neue Gesetzgebungen und andere Verordnungen auch dazu nutzen, noch einmal stärker die Perspektive der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ins Auge zu fassen!

Ich will Ihnen aber noch eines sagen: Natürlich gibt es Bereiche in der ambulanten Versorgung, wo nicht immer eine examinierte Fachkraft eingesetzt werden muss.

Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante! Die Frage, welche Dienste von Fachkräften wahrgenommen werden sollen, muss sehr genau überlegt werden. Das muss sehr genau angeschaut werden, weil es eben immer auch um die Qualität der Versorgung und die Unterstützung der Menschen geht. Die haben es verdient, dass man ihnen die bestmögliche – und eben auch die qualifizierteste – Versorgung gibt.

(Beifall von der SPD)

Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb habe ich einen Moment lang gestutzt und gedacht: Na ja, wir wollen jetzt aber nicht gerade bei der Ambulantisierung auch noch eine Rangfolge von Qualifizierungen einführen; denn das würde, glaube ich, letztlich dazu führen, dass in Zukunft in der ambulanten Versorgung einiges schieflaufen könnte.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich verstehe das, was der Minister hier gesagt hat, sehr gut. Auch glaube ich, dass wir darüber eine produktive und konstruktive Diskussion führen können.

Lassen Sie mich aber auch noch etwas in Richtung der Kollegin Schneider sagen. Das, was Sie hier so einfach und unverblümt dargelegt haben, bedeutet ja, dass Sie meinen: Mensch, da müssen mehr Konkurrenz und mehr private Trägerschaft hinein ins System; dann wird schon alles gesunden. – Dazu sage ich Ihnen auch nur: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Denn ich bin zutiefst überzeugt: Wenn Trägerinnen und Träger solcher Einrichtungen ihr Geld mit der Qualität der Pflege verdienen können – denn das ist die Konsequenz Ihrer Denke –, dann werden wir mal schauen, wie weit tatsächlich gewährleistet ist, dass die Menschen nach ihren Bedürfnissen und nach ihren Fragestellungen versorgt werden – egal, ob ambulant, teilstationär oder stationär. Darauf bin ich einmal gespannt.

Es gibt doch Gründe, warum sich private Träger aus bestimmten Angeboten heraushalten bzw. herausziehen. Die bestehen doch nicht nur darin, dass man da möglicherweise vor zu großen bürokratischen Hürden steht. In Wahrheit, Frau Schneider – das wissen Sie so gut wie wir –, liegt es auch daran, dass damit nicht genug Geld zu verdienen ist.

(Beifall von der SPD)

Deshalb sagen wir: Vorsicht bei jeder weiteren Förderung privater bzw. marktwirtschaftlich geprägter Herangehensweise insbesondere im Bereich der Pflege! Das wird das Vertrauen der Menschen, das wir für die Pflege brauchen, nicht vergrößern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Altenkamp. – Jetzt hat als nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich finde es schon relativ infam, wie Sie das vorhin vorgestellt haben. Es war eine Forderung der auf Antrag der CDU-Fraktion eingesetzten Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“, genau einen solchen Erlass zur Qualifikation der Heimleitungen auf den Tisch zu legen. Und Sie sagen: Ich habe es nicht einmal gelesen und es in den Orkus geworfen. – Es ist schon einigermaßen arrogant, wie Sie hier vorgegangen sind.

Zweitens. In Bezug auf das, was hier von der FDP gesagt wurde, bitte ich Sie, Herr Minister, sehr genau hinzugucken; denn Sie haben in einer ähnlichen Richtung argumentiert. Es ist nicht falsch, dass wir eine gute kommunale Planung haben. Ich halte das für völlig richtig. Und ich sage noch eines dazu: Es ist völlig richtig, dass wir uns über die Stadtentwicklung Gedanken machen und uns überlegen, wie Quartiere aussehen müssen, wo Menschen mit Behinderungen leben können. Deswegen ist es ja nur konsequent, dass Sie die Landesbauordnung aussetzen und eben nicht für mehr barrierefreie Wohnungen sorgen wollen. Sie wollen die Wahlfreiheit in Wirklichkeit gar nicht aufdecken. Das ist mir heute deutlich klarer geworden. Und das finde ich nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich: Der Markt ist nicht der beste Pfadfinder. Ich bin sehr für Wettbewerb. Dann müssen Sie den Wettbewerb allerdings auch definieren. Im Moment findet aber etwas anderes statt. Ich habe eine ganz andere Wahrnehmung in Bezug darauf, wie die Menschen in Nordrhein-Westfalen leben und was wir zu tun haben. Ich kenne Quartiere in Essen, in Duisburg und in Gelsenkirchen, wo die Menschen nicht einmal mehr aus ihrem Haus herauskommen können, weil sich unten ein paar Stufen befinden und wo die Assistenzbedarfe so groß sind, dass ein selbstbestimmtes Leben im Quartier eben nicht stattfinden kann.

Darauf müssen wir reagieren. Wir müssen doch keinen Kampf gegen Windmühlen führen und sagen: Ach, die armen Heime, die stationären Einrichtungen sind zurückgedrängt worden. Darum geht es überhaupt nicht. Wir müssen Wahlfreiheit in Nordrhein-Westfalen überhaupt erst einmal in ausreichendem Maße sicherstellen, damit auch Menschen mit umfassendem Unterstützungsbedarf darüber entscheiden können, wo sie wohnen wollen. Darum geht es jetzt – das ist die Stunde, die es jetzt geschlagen hat – und nicht um die Diskussion, die Sie hier geführt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eines will ich in der Situation sehr klar sagen, weil ich es sehr unverhohlen fand, wie die FDP das vorgetragen hat. Sie haben sich mit fast keiner Silbe über etwas anderes ausgelassen als über stationäre Einrichtungen. Sie wollen den Markt dafür bereiten, dass größere Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen mit Renditen, die im Pflegeimmobilienbereich zwischen 5 und 10 % liegen, wieder Platz greifen können. Sie wollen einer bestimmten Klientel den Markt anbieten. Sie haben nicht die Menschen im Auge, sondern Sie haben den Markt von einigen Anbietern von Pflegeeinrichtungen im Blick. Das ist nicht grüne Politik; das sage ich an der Stelle ganz eindeutig.

(Markus Wagner [AfD]: Das, was Sie jetzt anderen vorwerfen, war Ihr Wohn- und Teilhabegesetz!)

– Dass ich darauf nicht eingehe, dafür haben Sie sicherlich Verständnis.

Ich möchte, dass wir diesen Antrag sachgerecht im Ausschuss diskutieren. Herr Minister, ich habe den Eindruck, dass Sie in einigen Punkten deutlich anderer Auffassung sein könnten als die FDP. Das sollten wir herausarbeiten, und Sie sollten die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Nach dem, wie Sie heute geredet haben, bin ich allerdings wenig guter Hoffnung, dass Sie eine qualifizierte Planung für dieses Land vorlegen wollen. Das ist außerordentlich bedauerlich.

Wir sollten die Beratungsstrukturen und die Qualifizierung für die Zukunft nach vorne bringen. Da geht es nicht um Patentsicherung, liebe Kollegin Altenkamp, sondern darum, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen einen guten Weg vorangegangen sind, und zwar anders als andere Bundesländer. Wir sollten auch an der Spitze bleiben und im Vergleich der Bundesländer nicht zurückfallen; denn wir sind der Raum, der die größte Herausforderung hat und die beste Qualität anbieten kann. Da sollten wir besser werden und nicht schlechter. Das jedoch droht mit der Politik, die hier im Raume steht.

(Beifall von den GRÜNEN – Minister Karl-Josef Laumann: Das glaube ich nicht!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mostofizadeh. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir können zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates kommen, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/1279 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich die einstimmige Zustimmung des Hohen Hauses zu dieser Überweisungsempfehlung fest.

Dann kommen wir zu:

5   Gesetz zur besseren Überwachung gefährlicher Personen – Gefährdergesetz – (Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1285

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der AfD dem Abgeordneten Wagner das Wort. Bitte schön.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 19. Juli dieses Jahres hat der Bayerische Landtag das Polizeiaufgabengesetz verabschiedet, das die Erhöhung der Präventivhaft von 14 Tagen auf bis zu drei Monate vorsieht. Dies war aus Sicht der Mehrheit der dortigen Abgeordneten notwendig geworden, nachdem die von CDU und SPD verantwortete unkontrollierte Massenzuwanderung aus dem muslimischen Kulturraum zu einer immer größeren Anzahl von terroristischen Gefährdern geführt hatte.

Wer diesen Zusammenhang 2015/16 sah und auf die Gefahren hinwies, also auf die doch evidente Korrelation von „mehr Asylmigration gleich mehr potenzielle Terroristen“ hinwies, der wurde seinerzeit gebrandmarkt als Rechtspopulist, Rechtsextremist, Rassist, Hetzer, islamophob usw., also das ganze linksgrüne Vokabular, das nur dazu dient, jedwede inhaltliche Auseinandersetzung zu unterdrücken und hier mit solchen Dingen zu arbeiten.

(Beifall von der AfD)

Nur, meine Damen und Herren, dass dieses Mal nicht nur Linksgrün dabei war, sondern auch die SPD und auch gleich noch die CDU mit von der Partie war –, und das natürlich samt angeschlossener Funkhäuser und Zeitungsverlage. So titelte die „Frankfurter Rundschau“ am 02.10.2015 – ich zitiere –: „De Maizière: keine Terroristen unter Flüchtlingen.“

(Zuruf von der AfD: Ha, ha!)

Und wo der Innenminister ist, ist auch der Justizminister nicht weit: Heiko Maas, SPD, am 16.11.2015 – ich zitiere –: „Flüchtlinge sind Opfer, keine Täter.“

Auch Armin Laschet sah am 17.11.2015 im Deutschlandfunk keinen Zusammenhang zwischen der Migrantenwelle und terroristischen Anschlägen. Seine Meinung seinerzeit: „Terror hatten wir auch schon vorher. Mit den Flüchtlingen hat das nichts zu tun.“ – Ja, Herr Laschet, islamischen Terror hatten wir auch schon vorher, das stimmt; denn auch schon vorher hatten Sie und Ihre Freunde eine vollkommen verfehlte Einwanderungspolitik zu verantworten.

(Beifall von der AfD)

Aber was ist das für eine Argumentation? Weil wir auch schon vorher Probleme mit muslimischen Migranten hatten, weil wir auch schon vorher Probleme mit islamischen Terroristen hatten, deswegen wollen Sie das Problem auch noch vergrößern? Der zusätzliche Terror, die zusätzlichen Straftaten, alles nicht so schlimm, weil es das vorher auch schon gab? – Meine Damen und Herren, das ist eine interessante, aber doch sehr unlogische Logik, die Herr Laschet da verbreitet hat.

(Beifall von der AfD)

Kommen wir zum Gesetzentwurf selbst. Zunächst einmal: Die im Gesetzentwurf vorgesehene Erweiterung des polizeilichen Instrumentariums ist verfassungsrechtlich abgesichert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. April 2016 festgestellt, dass der Gesetzgeber bei Eingriffstatbeständen nicht auf die Abwehr konkreter gegenwärtiger Gefahren beschränkt ist; vielmehr kann er die Grenzen auch weiter ziehen, sprich: Für ein Eingreifen muss keine vollendete Tat vorliegen, sondern deren Gefahr reicht aus.

Es müssen allerdings bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein gewichtiges Rechtsgut hinweisen und den Schluss auf ein der Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen sowie über die Beteiligung von bestimmten Personen zulassen. Maßnahmen kommen gemäß dem Bundesverfassungsgericht gerade im terroristischen Bereich in Betracht, wenn zwar ein konkretes Geschehen noch nicht erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in nächster Zukunft Straftaten begehen wird.

Auch nach aktuellem Recht ist bei einer Reihe der polizeilichen Standardbefugnisse anerkannt, dass diese auch unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr zur Anwendung gelangen können. Der Polizei ist selbstverständlich gestattet, auch atypische Maßnahmen zur Abwehr der Entstehung einer Gefahr zu treffen und hierzu auch bereits in den Kausalverlauf einzugreifen.

Durch die Bezugnahme auf die Vorgaben aus Karlsruhe wird sichergestellt, dass polizeiliche Maßnahmen keinesfalls aufgrund bloßer Vermutungen getroffen werden können. Durch Nr. 5 des Gesetzentwurfes wird unter strengen Voraussetzungen einer bestehenden Gefahr für die abschließend in Bezug genommenen bedeutenden und hochrangigen Rechtsgüter des § 8 Abs. 3 S. 2 Nrn 1 bis 3 und Nr. 5 auch die Ingewahrsamnahme gefährlicher Personen ermöglicht.

Meine Damen und Herren, hätte dieser Haftgrund bereits vor einem Jahr bestanden, das Attentat durch Anis Amri wäre eventuell zu verhindern gewesen. Es wäre eventuell möglich gewesen, zahlreiche Linksextremisten daran zu hindern, nach Hamburg zu fahren und die halbe Stadt auseinanderzunehmen. Es wären vielleicht die Aktivitäten von Hooligans oder Rechtsextremisten usw. zu verhindern.

Ich bitte Sie, dies zu bedenken, sollten Sie dieses Gesetz nur deshalb ablehnen wollen, weil es von der AfD eingebracht wird. Als AfD-Fraktion wollen wir den freiheitlichen Rechtsstaat erhalten. Es ist schlimm genug, dass es Ursachen gibt, die uns dazu zwingen, die gesetzlichen Möglichkeiten zu erweitern. Die Ursache liegt in der durch Sie, die alten Parteien, begründeten Veränderung unserer Lebenswirklichkeit. Das merkt der Bürger nicht nur in der Fußgängerzone, in der Straßenbahn oder auch an den Betonklötzen vor seinem Weihnachtsmarkt.

Alleine die Anzahl der Salafisten hat in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich zugenommen. Auch für das aktuelle Jahr 2017 ist in Nordrhein-Westfalen mit einem weiteren Anstieg der Gesamtzahl zu rechnen, wie die Landesregierung auf eine Kleine Anfrage von Frau Schäffer zugeben musste.

Während im Jahr 2012 noch etwa 1.000 Salafisten für Nordrhein-Westfalen angegeben wurden, ist diese Zahl bis zum Jahre 2017 auf 2.900 gestiegen. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen stellt bei aktuell mehr als 780 Personen des salafistischen Spektrums eine Gewaltorientierung fest. Die Zahl der Gefährder, von denen schwerste Gewalttaten möglich sind, stieg von 28 vor der von Armin Laschet bejubelten Grenzöffnung auf nunmehr 244 im August 2017. Das ist fast eine Verzehnfachung.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Meine Damen und Herren, die Zahl der Terrorermittlungsverfahren in Deutschland hat in diesem Jahr erstmals die Höchstmarke von 1.000 erreicht. Der extreme Anstieg – 2014 waren es nur 117 neu eingeleitete Ermittlungen, 2016 schon knapp 250 – hat mit der Vielzahl von Hinweisen zu tun, die aus Flüchtlingswohnheimen kommen. Das sagt die Bundesanwaltschaft.

Wir als Staat, als Politik hier im Landtag müssen daher nun endlich handeln. So hat auch die neue rot-schwarze Koalition in Niedersachsen gerade beschlossen, die Gefährder-Ingewahrsamnahme und den Einsatz von elektronischen Fußfesseln neu zu normieren. Die dortige CDU hat übrigens gefordert – jetzt hören Sie gut zu –, eine Präventivhaft von 18 Monaten für islamische Gefährder einzuführen. Meine Damen und Herren, die CDU in Niedersachsen ist also, wenn es nach Ihrer Logik geht, sechsmal so rechtspopulistisch wie die AfD.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren, Bayern macht es vor. Niedersachsen zieht nach, und auch NRW sollte nun die Ingewahrsamnahme von Gefährdern besser regeln. Ein vernünftiger Gesetzentwurf liegt durch uns vor.

Ich hoffe für die Menschen in unserem Land, dass Sie sich diesmal im Ausschuss nicht verweigern. Sollte es wieder einmal heißen, was von der AfD kommt, wird abgelehnt, egal, wie gut der Vorschlag ist, dann kann ich für Ihr Gewissen und das Leben Unschuldiger nur hoffen, dass niemand, der durch unser Gesetz von einem terroristischen Anschlag hätte abgehalten werden können, hier einen Anschlag verübt. Das wäre Ihre Verantwortung. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Wagner für die antragstellende Fraktion der AfD. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Sieveke das Wort. Bitte schön.

Daniel Sieveke (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die CDU-Fraktion steht fest: Jeder Extremist ist Mist – egal, aus welcher Richtung er kommt.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege Wagner, Sie hätten sich, wenn Sie ernsthaft über die Thematik sprechen wollten, Ihre Eingangsbemerkungen sparen können. Denn Sie haben wiederum nur einseitig auf eine Problemstellung Wert gelegt und nicht den Gesamtkomplex hergestellt. Deswegen geht es nicht darum, AfD-Gesetzentwürfe oder -anträge abzulehnen, weil sie von Ihnen kommen, sondern weil sie inhaltlich schlecht vorbereitet und schlecht gemacht sind.

(Zuruf von der AfD)

– Sie nennen das Schwachsinn. Das bleibt dann Ihre Überlegung. Wir wollen es besser, wir werden es besser machen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Christian Loose [AfD]: Nennen Sie doch die Inhalte! Stellen Sie uns dann bitte auch inhaltlich!)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Frage des Umgangs mit Gefährdern genießt spätestens seit dem Anschlag in Berlin durch Anis Amri höchste politische Priorität,

(Zuruf von der AfD: Genau!)

ganz besonders bei den regierungstragenden Fraktionen von FDP und CDU in diesem Hohen Hause.

(Zuruf von der AfD: Davon merke ich noch nichts!)

Als Mitglied im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Anis Amri – deswegen hätten Sie sich eben auch Ihr Lachen an der einen oder anderen Stelle sparen können – weiß nicht nur ich allein, dass es immens wichtig ist, Fehler in Prozessen und Schwächen in der Wachsamkeit bei dieser Thematik so zu beheben und alle Beteiligten so zu sensibilisieren, dass das Risiko terroristischer Anschläge in der Zukunft auf ein absolutes Minimum reduziert wird, egal, aus welcher Richtung ein terroristischer Anschlag kommen könnte.

Ein Restrisiko jedoch wird es leider immer geben. Daher sind wir alle als Bevölkerung immer wieder aufgerufen, die Augen aufzuhalten und verdächtiges Verhalten zum Beispiel an Flughäfen, Bahnhöfen oder gerade jetzt wieder auf den Weihnachtsmärkten im Land unverzüglich der Polizei oder Streifen der Ordnungsämter bzw. Ordnungspartnerschaften zu melden.

Darüber hinaus werden CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen diesem Hohen Haus eine Novelle eines Polizeigesetzes vorlegen, das insbesondere auch die Gefährderproblematik konsequent angeht und in den Fokus nimmt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dazu bedarf es allerdings einer sauberen Vorbereitung, die Rechtssicherheit und eine Angemessenheit im Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit und Freiheitsrechten des Einzelnen gewährleistet.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der AfD)

– Dass die Freiheit des Einzelnen für Sie ein Fremdwort ist, ist uns allen hier, glaube ich, klar.

Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD-Fraktion, bezieht sich nicht nur auf Fragen der Terrorbekämpfung, sondern nimmt auch Aspekte von schweren Eigentumsdelikten oder beispielsweise gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Blickpunkt. Die Verschiedenartigkeit dieser jeweils für sich genommenen Straftatbestände zeigt aber, dass es sich empfiehlt, die Gefährderthematik nicht losgelöst, sondern im Rahmen einer umfassenden Einbettung in unsere Polizeigesetzgebung zu behandeln.

Auch wenn hier andere Bundesländer – darauf haben Sie selber eben hingewiesen – gesetzestechnisch einen anderen Weg gehen oder schon gegangen sind, was Sie offenbar inspiriert hat, diesen Gesetzentwurf so vorzulegen – so habe ich Sie eben verstanden –, so halten wir die Beratung im Kontext des Polizeigesetzes für den richtigen Weg.

Die Teilaspekte Ihres Entwurfes sind aber sicherlich geeignet, um sie im Innenausschuss federführend und auch im Rechtsausschuss zu beraten. Dort können dann die regulatorischen Wege anderer Bundesländer, zum Beispiel der Weg Bayerns in dieser Sache, auch auf Anwendbarkeit und Vergleichbarkeit in und mit dem Rechtskontext in Nordrhein-Westfalen erarbeitet werden.

Eine wirkungsvolle Rechtsgrundlage zu schaffen, geht hier vor dem schnellen Schuss, denn die Thematik ist für uns einfach zu wichtig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Als nächster Redner erhält für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Ganzke das Wort.

Ich möchte jedoch zuvor, weil ich gerade darauf hingewiesen worden bin, ganz kurz eine Sache erwähnen. Für den Fall, dass auch im Protokoll verzeichnet worden ist, dass hier anlässlich der Anschlagsopfer auf dem letztjährigen Weihnachtsmarkt der Zuruf gefallen ist „Merkels Tote“, dann ist das so, Herr Dr. Blex. Sie haben diesen Zwischenruf getätigt.

Ich möchte Ihnen sagen, dass das absolut unparlamentarisch ist und ich Sie an dieser Stelle zur Ordnung rufe.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege Ganzke, Sie haben das Wort.

Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Ich habe in den Jahren 1985 bis 1992 Jura studiert und bin seit 22 Jahren selbstständiger Rechtsanwalt. Ich kann mich erinnern, dass uns in der Vorlesung „Grundrechte I“ der Professor damals gesagt hatte: Liebe Studentinnen und Studenten, passen Sie besonders auf, wenn es um irgendwelche Gesetze geht, mit denen Grundrechte eingeschränkt werden sollen! Da müssen Sie nämlich aufpassen, denn da passiert etwas mit Ihrer Verfassung.

Dieser Spruch des Professors damals – ich glaube, Bodo Pieroth hat damals Grundrechte gelehrt – ist richtig gewesen. Meines Erachtens ist es immer wichtig, wenn im Rahmen eines Gesetzentwurfes auch Grundrechte eingeschränkt werden sollen – und deshalb ist es wichtig, das aufzuführen –, genau hinzuschauen und intensiv darüber zu diskutieren.

Wenn jedoch durch einen Gesetzentwurf gleich sechs Grundrechte eingeschränkt werden sollen, muss man besonders genau hinsehen. Man muss deshalb besonders hinsehen, weil unter den einzuschränkenden Grundrechten in Ihrem Gesetzentwurf, Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, auch die Grundrechte aus Art. 2 und aus Art. 1 des Grundgesetzes – namentlich die Freiheit der Person und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – eingeschränkt werden sollen.

(Zuruf von der AfD: Und das gilt auch für die Opfer!)

Gerade aus diesem Grunde kann es – und das hat auch Kollege Sieveke gerade gesagt – keine schnellen Entscheidungen und keine Änderungen eben mal so geben. Denn hier ist das Parlament gefordert und hier ist auch der Ausschuss gefordert, zu diskutieren, und zwar inhaltlich zu diskutieren.

Deshalb ist es richtig, dass wir den Gesetzentwurf gleich an den Innenausschuss und an den Rechtsausschuss verweisen, um dort inhaltlich zu diskutieren, und zwar intensiv über folgende Fragen: Wollen wir diese Grundrechte einschränken? Soll in Grundrechte eingegriffen werden, auch und gerade vor dem Hintergrund und dem Wissen, dass diese Grundrechte nicht nur für die einen oder für die anderen gelten, sondern insgesamt gelten und es auch Menschenrechte sind?

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Wenn es so einfach wäre – nehmen wir einmal das Instrument der Fußfessel oder das Instrument der Gefährderhaft –, solche gesetzlichen Grundlagen zu ändern oder neu einzuführen, dann würden sich nicht immer wieder das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit diesen Themen und auch mit Fragen der Präventivhaft befassen. Noch im Jahr 2016 hat es hierzu einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Linie, die es zu beachten gilt, damit die individuelle Freiheit jedes Menschen gewahrt wird und nicht unverhältnismäßig in diese Freiheit eingegriffen wird.

Deshalb möchte ich kurz daran erinnern, worum es in diesem Gesetzentwurf geht. In diesem Gesetzentwurf geht es um das Einsperren – manche sagen auch um das Wegsperren – von Menschen, und zwar ohne ein Urteil.

Es geht darüber hinaus. Es geht um das Einsperren und Wegsperren ohne ein gerichtliches Verfahren – ohne ein gerichtliches Verfahren! –, zwar mit Richtervorbehalt, das heißt, nur ein Richter darf die Entscheidung treffen, aber ohne ein gerichtliches Verfahren, in dem einem Angeklagten alle Rechte aus der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz zur Verfügung stehen und er diese Rechte wahrnehmen kann.

Aus diesem Grunde ist es noch wichtiger, darüber nachzudenken: Wie wollen wir mit diesen Rechten und mit diesen Pflichten umgehen?

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Ich möchte inhaltlich – das ist auch die Aufgabe von uns Parlamentariern – resümieren. Es geht um den Begriff der drohenden Gefahr. Die drohende Gefahr ist ein Gefahrbegriff, der noch nicht konkret definiert ist. Insoweit müssen sich die Anwender die Frage stellen: Könnte von dieser Person, um die es geht, in absehbarer Zukunft möglicherweise eine Gefahr ausgehen? Oder man muss sich auch die Frage stellen: Lässt das Verhalten dieser Person diese Vermutung zumindest als wahrscheinlich erscheinen?

Sie merken schon, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wie schwierig es ist, gerade in diesem Bereich einen Gefahrbegriff zu definieren, der auch dazu führt, dass jemand in seiner körperlichen Integrität bzw. in der Freiheit hinterher beeinträchtigt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben auch auf den Gesetzentwurf Bezug genommen, der in Bayern in diesem Jahr verabschiedet worden ist. In Bayern ist es nicht nur darum gegangen, mögliche Gefährder für drei Monate zu inhaftieren. Vielmehr ist in Bayern das Gesetz insoweit geändert worden, dass jeder Richter, jede Richterin diese Dreimonatsfrist immer wieder um weitere drei Monate verlängern kann. Das bedeutet, wenn man es zu Ende denkt, dass es möglich ist, jemanden ohne ein Gerichtsurteil und ohne ein rechtsstaatliches Verfahren über Jahre zu inhaftieren. Und das ist eine Frage, die wir im Innenausschuss und im Rechtsausschuss zu diskutieren haben. Schnellschüsse empfehlen sich hier nicht.

Wir als SPD-Fraktion werden natürlich der Überweisung zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von Svenja Schulze [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Ganzke, bevor Sie sich vom Rednerpult entfernen: Der Abgeordnete Wagner von der AfD wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Hartmut Ganzke (SPD): Ich lasse sie zu.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wagner.

Markus Wagner (AfD): Herr Kollege, erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. Es ist ja mittlerweile selten geworden, dass ich eine stellen darf. – Sie haben gerade zu Recht auf Bayern und das immer wieder mögliche Fortschreiben hingewiesen. Trifft es zu, dass die SPD sich dabei zumindest enthalten hat und jedenfalls nicht dagegengestimmt hat?

Hartmut Ganzke (SPD): Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag hat sich enthalten. Das ist richtig.

(Markus Wagner [AfD]: Alles klar!)

– Alles klar. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ganzke. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lürbke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es unbestritten eine zunehmend schwierige Sicherheitslage. Die Bedrohungen terroristischer Art machen nun einmal nicht vor unseren Landesgrenzen halt.

Deswegen ist unser Ziel als Nordrhein-Westfalen-Koalition ja so klar. Denn auf das zunehmende Sicherheitsbedürfnis unserer Bürgerinnen und Bürger und die ebenfalls steigende Notwendigkeit nach Sicherheit für unsere Polizei, die wir vor Angriffen schützen müssen, reagieren wir als NRW-Koalition konsequent.

Wir unterstützen unsere Sicherheitsbehörden. Wir unterstützen unsere Polizei. Wir machen sie fit. Das gilt sowohl beim Personal durch modernste Ausrüstung als auch bei der Modernisierung des Rechtsrahmens für polizeiliches Handeln.

Viele dieser Punkte haben wir auch schon angepackt. Schauen wir einmal auf das Personal. Hier will ich nur die Erhöhung der Anwärterzahlen auf 2.300 und die 500 zusätzlichen Regierungsbeschäftigten im Polizeidienst nennen. Wir investieren im Haushalt 2018 über 50 Millionen € in modernste Ausrüstung bei der Polizei. Insofern sieht man: Für uns hat innere Sicherheit Priorität.

Deswegen braucht es auch diesen Gesetzentwurf von Ihnen nicht, werte AfD-Fraktion. Denn er zeigt auch nur erneut – Herr Wagner, gestatten Sie mir diesen Kommentar – Ihre politische Anspruchslosigkeit; Anspruchslosigkeit deshalb, weil das von Ihnen bereits eingebrachte Gesetz zum Verschleierungsverbot, das wir heute in zweiter Lesung diskutieren, bekanntlich aus der Feder der niedersächsischen CDU stammt.

Auch bei diesem Gesetzentwurf haben Sie sich ungeniert bedient – diesmal bei der CSU; konkret beim bayerischen Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen.

(Zuruf von der AfD)

Aber auch in der Sache zeigt das singuläre Herausgreifen der Einführung von elektronischen Fußfesseln und der Verlängerung der Ingewahrsamnahme, dass Sie die Problematik offenbar noch nicht so recht verstanden haben.

Ich will einmal ein Beispiel geben: Allein mit elektronischen Fußfesseln wird niemand der terroristischen Gefahr Herr werden.

(Zuruf von der AfD: Das hat auch keiner behauptet!)

Schauen wir nach Bayern! Bayern ist meines Wissens aktuell das einzige Bundesland, das die Fußfessel überhaupt in der Praxis anwendet – offenbar bei zwei Gefährdern, wie aktuell zu lesen war. Einer dieser beiden islamistischen Gefährder ist vor zwei Wochen trotz elektronischer Fußfessel über Hamburg in die Türkei ausgereist. Er ist einfach in einen Billigflieger gestiegen. Nun ist er weg, und die Fußfessel funkt auch nicht mehr.

Wenn man eine solche gesetzliche Regelung machen will, muss man es auch richtig machen. Wir haben im Koalitionsvertrag daher eine umfassende Novellierung des Polizeigesetzes vorgesehen. Unser Ziel ist es, die polizeiliche Überwachung von terroristischen Gefährdern rechtssicher und praxistauglich zu verbessern.

Dabei ist für uns Freie Demokraten ganz klar: Freiheit und Sicherheit müssen dabei wie immer sauber austariert werden. Daher müssen wir auch die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz rechtssicher umsetzen, meine Damen und Herren.

Wir als NRW-Koalition geben uns deshalb allein mit abgekupferten Gesetzen nicht zufrieden. Die Wahrheit ist: Wir haben in Nordrhein-Westfalen dynamische Sicherheitslagen. Unser Polizistinnen und Polizisten sind auch hier stets aufs Neue gefordert.

Die Verantwortung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern, aber auch unseren Polizeibeamtinnen und ‑beamten erfordert und gebietet es, dass der Landtag passgenaue Gesetze schneidert. Das gehen wir konsequent an und werden das bei der Novelle des Polizeigesetzes auch tun.

Der Überweisung stimmen wir zu. Wir freuen uns auf die Beratungen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lürbke. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Sieveke und Herr Lürbke, dann bin ich einmal gespannt auf Ihren Gesetzentwurf. Ich freue mich jedenfalls schon auf die Diskussion, die wir dazu führen werden.

Jetzt aber erst einmal zum Gesetzentwurf der AfD-Fraktion: Zum einen ist schon die Beschreibung der Ausgangslage in Ihrem Gesetzentwurf schlichtweg falsch. Sie schreiben, dass es einen „unkontrollierten Zuzug von (islamischen) Gefährdern“ geben würde – ganz abgesehen davon, dass Sie mal wieder die Rhetorik bedienen, mit der Sie Stimmung gegen Flüchtlinge machen.

Zum anderen verkennen Sie völlig, dass die allermeisten Salafisten, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, entweder deutsche Staatsangehörige sind

(Zuruf von der AfD)

oder Personen mit Migrationshintergrund, die zum Teil in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen sind.

Das Interessante ist doch Folgendes – das stellt man fest, wenn man sich einmal die Zahlen dazu anguckt –: Je stärker die Radikalisierung ist, je stärker die Gewaltbereitschaft ist, desto mehr steigt der Anteil derjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Bei den Salafisten insgesamt liegt der Anteil der Deutschen bei 44 %. Bei den gewaltorientierten Personen haben 59 % die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Gefährdern sind sogar 64 % Deutsche. Alles das kann man in den Antworten der Landesregierung auf meine Kleinen Anfragen vom August dieses Jahres nachlesen.

Damit will ich sagen, dass man sich viel stärker damit beschäftigen muss, warum sich denn bestimmte Personen, die in Deutschland leben und hier aufgewachsen sind, radikalisieren und diesen Weg einschlagen.

(Beifall von den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Warum denn?)

Wir müssen uns viel stärker mit Prävention auseinandersetzen. Es reicht nicht, das immer nur auf das Ausländerrecht zu schieben oder so, wie Sie es tun, gegen Ausländer zu hetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Schäffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wagner?

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Nein, ich möchte keine Zwischenfrage … Ich vermute, von der AfD?

(Markus Wagner [AfD]: Das könnte gefährlich werden, oder?)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, von Herrn Wagner.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Von der AfD möchte ich keine Zwischenfrage zulassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber auch die Annahme, die Sie hier aufführen, dass die Sicherheitskräfte nur auf Straftaten reagieren würden, ist falsch.

(Markus Wagner [AfD]: Was hat denn der Gefährderstatus mit der Nationalität zu tun?)

Wenn Sie das glauben, würde ich Ihnen empfehlen, einmal einen Blick in das Verfassungsschutzgesetz zu werfen. Sie sind ja sogar Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Da können Sie ja noch einmal nachlesen, was die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes als einer der Sicherheitsbehörden in Deutschland sind.

Aber nun zum eigentlichen Gesetzentwurf: Wie schon gesagt worden ist, haben Sie hier abgeschrieben und mal wieder keine eigenen Gedanken darauf verwendet. Das kennen wir von Ihnen ja. In diesem Fall haben Sie aus dem bayerischen Gesetz abgeschrieben.

Zum bayerischen Gesetz ist vielleicht noch zu sagen, dass dieses Gesetz vehement und sehr scharf von Verfassungsrechtlern

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

und vielen anderen Personen – wie ich finde, zu Recht – kritisiert wurde, weil es an vielen Stellen wirklich unverhältnismäßig ist und tief in die Grundrechte eingreift. Das nehmen Sie hier so auf.

(Markus Wagner [AfD]: Was ist denn mit den Grundrechten der Opfer?)

Sie nennen Ihr Gesetz „Gefährdergesetz“. Sie liefern aber keine Definition des Gefährders. Ich fände es richtig, eine rechtliche Definition des Gefährders zu schaffen und das zu normieren. Auch das haben wir Grüne in der letzten Legislaturperiode gefordert, weil es nicht sein kann, dass von den Sicherheitsbehörden hier ein Begriff geschaffen wird, der überhaupt nicht rechtlich definiert und normiert ist.

(Markus Wagner [AfD]: Warum haben Sie das denn dann nicht gemacht? Sie waren doch in der Regierung!)

Insofern wäre es sogar richtig, das zu tun. Das bleiben Sie schuldig. Das machen Sie nicht.

Sie schlagen einen § 8 Abs. 4 vor, der aus meiner Sicht aber nicht nur ungeeignet, sondern auch völlig unbestimmt ist. Sie schreiben, dass die drohende Gefahr eine Voraussetzung für entsprechende Befugnisse der Polizei sein sollte.

Unseres Erachtens erfüllt das in keiner Weise die strengen Voraussetzungen, die sich aus dem im letzten Jahr ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz ergeben. Sie bleiben weit dahinter zurück. Aus meiner Sicht ist das verfassungsrechtlich so nicht machbar.

Sie schaffen hier auch Kriterien, die ich für fraglich halte. Sie schreiben, die Polizei solle Befugnisse bekommen, wenn Sachen, deren Erhalt in einem besonderen öffentlichen Interesse stehen, oder erhebliche Eigentumspositionen oder die sexuelle Selbstbestimmung gefährdet sind.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Das ist so etwas von unbestimmt! Nach Ihrem Gesetzentwurf würde das im Endeffekt bedeuten, dass die Polizei jedem, der in absehbarer Zeit womöglich vorhat – wir befinden uns also weit im Vorfeld –, eine sexistische Beleidigung auszusprechen, eine Fußfessel anlegen und ihn in Präventivhaft nehmen könnte.

(Thomas Röckemann [AfD]: Sie müssen aber schon lesen! – Markus Wagner [AfD]: Ein bisschen lesen schadet nicht! Haben Sie sich den Gesetzentwurf überhaupt einmal durchgelesen?)

– Ja, ich habe ihn gelesen.

(Markus Wagner [AfD]: Das ist ja völlig lächerlich!)

– Vielleicht hören Sie mir einmal zu. – Sie instrumentalisieren hier wieder einmal die Rechte von Frauen für Ihre völlig unverhältnismäßigen Forderungen.

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben überhaupt keine Ahnung, wovon Sie da reden! Das ist beschämend!)

Sie spielen sich hier als Retter der Frauenrechte auf. Das nimmt Ihnen nach Ihren vielen antifeministischen Ausfällen, die wir hier erlebt haben, wirklich keiner ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Markus Wagner [AfD]: Typisch Grüne: Nix wissen, aber viel reden!)

Ich möchte noch zum Thema „Präventivhaft“ oder „Präventivgewahrsam“ kommen. Eine Erweiterung des Präventivgewahrsams auf drei Monate halte ich für verfassungsrechtlich unzulässig. Sie können doch nicht ernsthaft fordern, dass Personen, die noch nicht einmal eine Straftat begangen haben – wir haben keine Verurteilung und nichts; wir haben nur eine Annahme, dass gegebenenfalls irgendwann einmal etwas passieren könnte –, weggesperrt werden. Nach Ihrem Gesetzentwurf könnte man diese Menschen theoretisch sogar jahrelang wegsperren. Dieser Polizeigewahrsam ist so ein tiefer Grundrechtseingriff, dass man doch nicht ernsthaft davon ausgehen kann, dass das dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.

Zur Fußfessel: Ja, die Fußfessel kann im Einzelfall ein polizeiliches Instrument sein. Aber in der Regel ist es so, dass die Fußfessel völlig ungeeignet ist. Niemand glaubt doch ernsthaft, dass eine Fußfessel einen Terroristen davon abhält, eine terroristische Tat zu begehen – genauso wenig wie eine Videokamera.

(Thomas Röckemann [AfD]: Deshalb wollen wir sie ja auch einsperren!)

Es gibt ja sogar ein furchtbares Beispiel von einem Terroristen, der mit Fußfessel einen Anschlag begangen hat. Im Juli 2016 wurde der Anschlag in einer Kirche in Nordfrankreich von zwei Attentätern begangen. Ein Täter trug dabei eine Fußfessel.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Die Fußfessel hat ihn in keiner Weise davon abgehalten, diesen furchtbaren Anschlag zu begehen. Insofern ist auch das ziemlich viel Placebo, ziemlich viel Aktionismus und Scheinpolitik.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Sie machen gar nichts!)

Die aktuellen Berichte im Zusammenhang mit der Einführung der Fußfessel im BKA-Gesetz zeigen auch, dass sie dort überhaupt nicht angewandt wird und insofern auch nicht geeignet ist.

Wenn Sie jetzt zu Recht fragen: „Was wollen Sie denn eigentlich?“, sage ich Ihnen: Wir Grüne haben viele Vorschläge gemacht.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])

Wir haben das in der letzten Legislaturperiode getan. Wir haben das im Wahlprogramm gemacht. Ich habe einen aktuellen Antrag dazu eingebracht.

Was gegen salafistischen Terrorismus aus meiner Sicht wirklich hilft, sind

(Thomas Röckemann [AfD]: Weniger Salafisten!)

gut ausgestattete Behörden, der gute Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa und eine bessere Risikoanalyse – Stichwort „Allgemeinkriminalität“, über die wir immer noch viel zu wenig wissen und bei der wir immer noch zu wenig hingucken –, aber auch die Präventionsarbeit.

Die Prävention muss aus meiner Sicht verstärkt, verbessert und ausgebaut werden. Die hier im Gesetzentwurf der AfD …

(Beifall von den GRÜNEN – Markus Wagner [AfD]: Wir reden hier nicht über Prävention! Wir sprechen hier von Gefährdern!)

– Jetzt hören Sie mir doch einmal zu. Es nervt wirklich, dass Sie überhaupt nicht zuhören können, sondern immer nur reinrufen.

(Markus Wagner [AfD]: Weil Sie nicht bereit sind, Zwischenfragen zuzulassen!)

– Wenn Sie Abgeordnete sind, nehmen Sie Ihre Aufgabe doch auch einmal ernst, hören zu und setzen sich mit den Argumenten auseinander, Herr Wagner,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

anstatt hier immer reinzubrüllen, und zwar völlig am Thema vorbei.

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben Angst vor Argumenten! Sie können mit Argumenten nicht umgehen! – Weitere Zurufe von der AfD)

– Es nervt wirklich. Es sind keine ständigen Beschimpfungen. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Wenn ich mich damit auseinandersetze, erwarte ich auch, dass die antragstellende Fraktion sich die Argumente anhört, darauf eingeht und diskutiert.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Sie brüllen hier immer dumm rein. Das nervt einfach nur noch.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Um es abschließend noch einmal zu sagen: Die Forderungen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf aufführen, sind aus meiner Sicht weder geeignet noch verhältnismäßig. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen; wir werden ihn ablehnen. – Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Reul das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Erstens. Es gibt Gefährder, es gibt viel zu viele Gefährder, und die Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen davor geschützt werden – damit das klar ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens. Wir haben – das will ich schon feststellen – nicht ausreichende rechtliche Mittel, um dagegen vorzugehen. Deshalb sind wir gefordert.

Drittens. Es stimmt auch, dass die Gefährder, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, überwiegend eine deutsche Herkunft haben. Insofern muss man sorgfältig sein, wenn man argumentiert, was der Hintergrund und die Ursache dieser Gefährder sind.

Viertens. Ich bin damit einverstanden, auch der Frage nachzugehen, warum sie zu Gefährdern geworden sind, und viel zu unternehmen, um zu verhindern, dass Menschen zu Gefährdern werden. Deshalb gibt es in der Politik des Landes Nordrhein-Westfalen Präventionsprogramme. Dazu gehört aber auch, rechtliche Mittel einzusetzen oder, wenn sie nicht ausreichend sind, neue rechtliche Mittel zu schaffen, um dafür zu sorgen, dass Menschen vor Gefährdern geschützt werden. Es reicht nicht aus, Frau Schäffer, nur über die Ursachen nachzudenken. Das reicht nicht aus. Man muss beides machen.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Zu dem Gesetzentwurf kann ich mich relativ kurz halten. Das Innenministerium arbeitet an einer Novellierung des Polizeigesetzes, weil wir der Auffassung sind, dass es Handlungsbedarf gibt. Mit dieser Novelle sollen unter anderem Regelungslücken des zurzeit geltenden Polizeigesetzes beseitigt werden sowie neue Eingriffsbefugnisse zur Anpassung an die Erfordernisse der Polizeipraxis geschaffen werden. Aber es sollen zum Beispiel auch datenschutzrechtliche Vorgaben der Europäischen Union und des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt werden.

Wir werden diese Novellierung nicht in Form der umfassenden Anpassung eines Gesetzes in einem großen Vorhaben vorlegen. Das würde der Komplexität des Vorhabens nicht gerecht. Wir werden die Novellierung vielmehr Schritt für Schritt in mehreren Pakten vornehmen.

Im ersten Schritt werden wir mit den besonders wichtigen Eingriffsbefugnissen insbesondere im Hinblick auf gefährliche Personen beginnen. Das kann ich hier schon ankündigen. Die Arbeiten sind schon sehr weit fortgeschritten, aber es gibt noch Abstimmungsbedarf. Es wird dann auch zeitnah eine Verbändeanhörung stattfinden.

Im Verhältnis zu den im hier vorliegenden Gesetzentwurf aufgeführten Befugnissen gegenüber gefährlichen Personen sind die in unserem ersten Novellierungspaket vorgesehenen Maßnahmen umfangreicher und – das will ich schon sagen – auch sachgerechter. Denn die Maßnahmen müssen wirksam sein und rechtssicher sein. Deshalb muss man auch abwägen, was man hineinschreibt und was man nicht hineinschreibt.

Vielleicht ein kleiner Hinweis zu der Fußfessel: Es reicht dann auch nicht aus, zu sagen, dass irgendwann einmal jemand mit einer Fußfessel verschwunden ist. Das ist kein Argument dagegen. Der Kollege von der FDP hat das eben schon vorgetragen. Es kommt darauf an, wie man sie gestaltet. Deshalb muss man sich Zeit lassen und die Gesetzesänderung gründlich vorbereiten.

Nach unserer Auffassung läuft der vorliegende Vorschlag ins Leere. Das ist Aktionismus. Das macht keinen Sinn. Wir werden es gründlich machen und werden uns hier melden. Wir bitten dann um eine gründliche Beratung hier im Parlament.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/1285 an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig so überwiesen worden.

Ich rufe auf:

6   Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen nach § 92 SGB XI

Entwurf
der Landesregierung
Vorlage 17/211

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/1213

Es spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegende Durchführungsverordnung ist ein weiterer Meilenstein für den Bürokratieabbau in unserem Land durch die NRW-Koalition. Dank an die Landesregierung und insbesondere an Herrn Minister Laumann dafür, dass sie den Knoten lösen, der aufgrund der bisher geltenden Verordnung die Investitionskostenförderung stationärer Einrichtungen der Altenpflege ganz erheblich behindert hat!

Die meisten Bescheide für den Förderzeitraum 2016 bzw. 2017 ergehen mit erheblicher Rückwirkung. Nun stehen die Folgeverfahren für die Jahre 2018 bis 2019 an. Allein diese Rückwirkungen führen zu Verwerfungen. Das heißt: Sie führen auf der einen Seite zu Rückerstattungen, aber auf der anderen Seite auch zu Nachzahlungen, die die Pflegebedürftigen zu leisten hätten.

Die nun vorliegende Verordnungsänderung und die Verlängerung der Wirkung der Bescheide sollen Lücken schließen, die im Falle von Verfahrensverzögerungen entstehen. Nun soll also in einem geordneten Verfahren eine ordnungsgemäße Investitionskostenförderung ermöglicht werden.

Erfreulich ist, dass im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales alle Fraktionen diesem pragmatischen Entwurf zugestimmt haben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Preuß. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Kollegin Altenkamp das Wort.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Preuß hat es schon gesagt: Wir haben die Beschlussempfehlung im Ausschuss einstimmig beschlossen.

Lassen Sie mich kurz Folgendes sagen: Die vom Kollegen Preuß beschriebenen Unschärfen in der derzeitigen Regelung haben ganz sicher dazu geführt, dass es eine hohe Verunsicherung in den Einrichtungen gegeben hat. Deshalb haben wir uns als Sozialdemokraten dem Anliegen natürlich nicht verschlossen und haben gesagt: Wenn wir das in irgendeiner Form sauber geregelt bekommen, dann soll es so sein.

Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir an dieser Stelle – ich verstehe schon, was Sie antreibt – von Entfesselung ganz und gar nicht reden können. Es ist eine ehrliche und sehr pragmatische Lösung, die gefunden wurde, von der man aber auch sagen muss: Wir kaufen uns damit Zeit.

Anerkanntermaßen bestehen Regelungsnotwendigkeiten. Es ist aber durchaus normal, dass man, wenn ein Gesetz eine Zeit lang wirkt, erkennt, dass bestimmte Dinge, von denen man geglaubt hatte, dass sie sich so regeln ließen, nicht gut funktionieren. Ich rede nur einmal von dem Computerprogramm PfAD.invest und der Frage, wie schnell Bescheide bei den Landschaftsverbänden tatsächlich bearbeitet werden können. Das hat eben alles ganz anders stattgefunden, als es sich in der letzten Legislaturperiode zunächst einmal abgezeichnet hatte.

Insofern ist es nur vernünftig und normal, jetzt zu sagen: Wir wollen allen gemeinsam, insbesondere aber den Bewohnerinnen und Bewohnern der stationären Altenhilfe, eine Sicherheit geben.

Wir stimmen dem also zu und sind einmal sehr gespannt auf die weiteren Diskussionen. Denn ich glaube schon, dass sich eine längere Überlegung vom Ende her und eine längere Diskussion darüber, was hinter der einen oder anderen Regelung steckt, durchaus lohnen würden.

Insofern geben wir dieser Regelung unsere Zustimmung. An dieser Stelle äußern wir einigermaßen konstruktive Kritik hinsichtlich der Frage, ob man das jetzt zur Entfesselung erklärt oder nicht. Wir halten es für eine pragmatische Lösung. Ansonsten hätten wir dem nicht zugestimmt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Altenkamp. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe bereits unter TOP 4 einiges zum Alten- und Pflegegesetz und seiner desolaten Umsetzung ausgeführt.

Wir stehen weiterhin vor erheblichen Rückständen bei der Bearbeitung der Förderbescheide. Mit dem Entfesselungspaket I sehen wir jetzt erste Entlastungen bei der Bearbeitung vor, indem wir gesetzliche Fristen verlängern und Wertermittlungen vereinfachen.

Das Entfesselungspaket, Frau Altenkamp, kann aber erst im Laufe des kommenden Jahres in Kraft treten, sodass eine Rechtsgrundlage für eine weitere Abrechnung nach dem Jahreswechsel fehlt. Dafür ist die vorliegende Regelung in der APG DVO NRW erforderlich.

Wir alle wollen eine gute Pflege in Nordrhein-Westfalen, und wir alle wollen die besten Arbeitsbedingungen für die Menschen in der Pflege. Dazu gehört aber auch, dass wir Rechtssicherheit und Planungssicherheit für die Betreiber der Einrichtungen schaffen. Wir sollten auch nicht unnötig darüber debattieren, sondern es endlich beschließen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben dieser Verordnung im Ausschuss ohne Debatte zugestimmt. Insofern möchte ich mich jetzt auch kurzfassen. Einige wenige Sätze möchte ich dazu aber doch noch loswerden.

Meine Vorrednerin hat erneut von einem desolaten Alten- und Pflegegesetz gesprochen. Es mag sein, dass das Ihre Auffassung ist. Vorhin haben wir ja gelernt, worauf die FDP hinauswill. Sie wollen den Markt für neue stationäre Einrichtungen bereiten. Das ist das Wichtigste. Alles andere hat sich dem unterzuordnen.

Ich möchte noch einen Satz aus Ihrer vorhin gehaltenen Rede zitieren, der mir zunächst gar nicht aufgefallen war. Sie sagten, wenn Ihre Tochter eine solche Hausaufgabe gemacht hätte, hätten Sie sie zerrissen und gesagt: Das kannst du besser. – Das ist die schwarze Pädagogik der FDP und hat mit uns nichts zu tun.

(Heiterkeit von der SPD)

Wir werden dieser Verordnung heute zustimmen, weil es sich um eine pragmatische Lösung handelt. Alle andere ideologische Überfrachtung ist völlig überflüssig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die AfD Herr Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Damen und Herren! Als Mitglied der AfD-Fraktion genießt man hier im nordrhein-westfälischen Landtag in dieser Legislaturperiode ein zweifaches Privileg.

Erstens hat man unter den debattierenden Fraktionen gemeinhin das mit Recht hochgeschätzte letzte Wort im Plenum und ist somit nicht nur bei der Abstimmung noch am frischesten in Erinnerung, sondern kann auch immer noch einmal den Kopf schütteln über die teils illustren Beiträge zuvor.

Zweitens hat man bei allen Abläufen und Beratungsprozessen noch nicht so sehr den parlamentarischen Tunnelblick, sondern nimmt die Zusammenhänge gewissermaßen als frisch gewählter Bürger wahr.

So kann man in seinen Reden ganz offen seine Eindrücke mitteilen und muss nicht, wie es die Kollegen der Alt- und Uraltparteien so oft tun, rhetorisch um den heißen Brei herumschleichen, damit ja nicht zutage tritt, dass man die Zustände, die man jetzt womöglich beklagt, selbst tatkräftig mit zu verantworten hat.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Ein solcher Fall liegt in der jetzigen Notnovellierung vor. Denn wie ist die Vorgeschichte?

Seit der Einführung der Pflegeversicherung 1994 und der Verabschiedung des Landespflegegesetzes 1996 wurden die von der öffentlichen Hand – hier in NRW von den Landschaftsverbänden als überörtlichem Träger der Sozialhilfe – zu berechnenden und zum Teil zu refinanzierenden Investitionskosten von stationären Pflegeeinrichtungen in allen Bundesländern in einem pauschalierenden Verfahren bestimmt.

Dieses Verfahren führte eine Praxis fort, die hier im Land seit den Zeiten der sogenannten Pflegebedarfsplanung gängig und allen Beteiligten vertraut war. Das Vorgehen fand sowohl bei den Einrichtungsträgern als auch den Landschaftsverbänden große Akzeptanz und wurde über Jahre eingeübt.

2012 befand nun das Bundessozialgericht, dass diese Praxis aller Länder nicht von dem einschlägigen § 82 Abs. 3 Sozialgesetzbuch XI gedeckt wurde. Was also tun?

Es gab einen erprobten politischen Weg, darauf zu reagieren. Dieser hätte gelautet: NRW wird als Vertreter der in allen Ländern gleichgerichteten Interessenlage mit seinem Gewicht als größtes Bundesland beim Bund vorstellig, und kraft des Drucks aus den Ländern beeilt man sich dort, den § 82 Sozialgesetzbuch XI im Wortlaut so anzupassen, dass die pauschalierenden Berechnungen künftig gesetzeskonform sind.

In dieser Weise wird und wurde seit Jahrzehnten erfolgreich Politik mit Augenmaß gemacht. Aber das zuständige Ministerium unter der grünen Ministerin Steffens entschied sich zum Entsetzen aller für einen Weg der Höchstverkomplizierung des Verfahrens, den auch die in der Materie bestens Erfahrenen bisher nicht zum Funktionieren bringen konnten. Und jetzt?

Obwohl der Umsetzungstermin der Neuregelung in die Praxis schon zweimal verschoben werden musste, muss jetzt der am angerichteten Chaos schuldlose Minister Laumann retten, was kaum noch zu retten ist.

Da wollen und können auch wir unsere Unterstützung nicht versagen. Aber wir machen zugleich deutlich: Was wir beim Ökostrom mit den versprochenen Zusatzkosten – nach dem Motto: nur eine Eiskugel für uns Bürger – und bei den toten Fledermäusen an den Windkraftanlagen ahnen konnten, bestätigt sich auch hier. Scheinbare Höhenflüge grün-ökologischen Denkens kommen nur allzu oft als etwas ganz anderes in der Praxis und beim Bürger an – als Beispiele für eine Politik, die sich sehr weit von allem da draußen entfernt hat.

So kann ich auch heute als letzter Redner nur wieder den Kopf schütteln. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Der letzte Redner sind Sie natürlich nicht. Diese Ehre können wir Ihnen nicht antun. Es gibt nämlich einen weiteren Redner zu diesem Punkt, und zwar den Vertreter der Landesregierung, Herrn Minister Laumann. So ist das Leben.

(Heiterkeit von der CDU)

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens freue ich mich darüber, dass diese Verordnung so logisch ist, dass sie selbstredend ist; denn sie wurde im Ausschuss einstimmig ohne Aussprache beschlossen.

Zweitens geht es bei dieser Verordnung um Folgendes: Würden wir sie nicht umsetzen, könnte zum 1. Januar 2018 keine Pflegeeinrichtung mehr Bescheide bezüglich der Investitionskosten an die Bewohnerinnen und Bewohner herausgeben.

Das ist ein Zustand, der überhaupt nicht geht. Es ist schön, dass wir die Verordnung noch im alten Jahr verabschieden werden, damit in den Fragen der Abrechnung und der Investitionskosten endlich wieder Ruhe und Ordnung in unseren Pflegeheimen eintritt.

Das ist der erste Schritt, um das Knäuel, das ich geerbt habe, aufzulösen. Es ist ein pragmatischer Schritt, der deswegen auch unumstritten ist. – Schönen Dank für die Zustimmung, die Sie uns nun wohl geben werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit kommen wir zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in der Drucksache 17/1213, das Einvernehmen zu dem Entwurf der Verordnung herzustellen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Verordnungsentwurf selbst, Vorlage 17/211, und nicht über die Beschlussempfehlung, um das deutlich zu sagen. Wer stimmt dem Verordnungsentwurf zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht so. Damit ist das Einvernehmen des Landtags Nordrhein-Westfalen mit dem Verordnungsentwurf Vorlage 17/211 einstimmig hergestellt.

(Beifall von der CDU)

Ich rufe auf:

7   NRW muss Forschungen zum Erhalt der Insektenvielfalt ausbauen und den Dialog von Wissenschaft, Landnutzern und Naturschutz fördern

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1289

Die Aussprache ist eröffnet. Für die SPD-Fraktion tritt Frau Kollegin Watermann-Krass ans Pult. – Frau Kollegin, wir sind etwas schneller als vorgesehen. Sie müssen deswegen aber nicht rennen. Ganz in Ruhe! Wir sind ein ganzes Stück flotter als geplant. Wir sind unserer Zeit weit voraus; das hören alle gern.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Lassen Sie sich das schriftlich geben!)

Frau Watermann-Krass, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Annette Watermann-Krass (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor unseren Augen vollzieht sich hierzulande gerade eine ökologische Katastrophe: das Verschwinden unserer Insekten und der damit verbundene Rückgang unserer Feldvögel.

Welche weitreichenden Folgen das insgesamt für die Artenvielfalt und unser Ökosystem hat, liegt auf der Hand. Biene und Co. sind als Bestäuber von Blüte zu Blüte unterwegs. Wenn diese Insekten fehlen, sind unsere landwirtschaftliche Produktion und letztendlich auch die Lebensgrundlage der Menschen bedroht. Diese Auswirkungen sehen wir bereits in China. Dort müssen Obstbäume von Menschenhand bestäubt werden.

Zu den Fakten: Grundlage dieser Erkenntnis ist die Langzeitstudie, die der Entomologische Verein Krefeld über 27 Jahre in deutschen Naturschutzgebieten durchgeführt hat. Er hat fliegende Insekten in speziellen Fallen gefangen und gewogen. Etliche Schutzgebiete davon lagen auch in Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis ist erschreckend: Seit 1989 haben wir über drei Viertel der Insektenmasse verloren. Wir haben einen Rückgang an Insekten um bis zu 75 %. Wie gesagt, die Erkenntnis bezieht sich auf Naturschutzgebiete.

Wie hoch mag der Rückgang der Insekten in der intensiven Agrarlandwirtschaft sein? Dazu hat Prof. Dr. Johannes Steidle vom Institut für Zoologie der Universität Hohenheim eine ganz klare Meinung – ich zitiere –:

„Wenn die Biomasse an Insekten bereits an geschützten Standorten so drastisch zurückgeht, ist klar, dass die Entwicklung in nicht geschützten Ökosystemen mindestens genauso gravierend ist – vermutlich sogar gravierender.“

Deshalb hat die SPD einen Bericht zu den Auswirkungen des dramatischen Insektensterbens in NRW angefordert. In der Darstellung des Ministeriums wird das Ergebnis der Langzeitstudie geteilt und werden etliche Projekte, die von Rot-Grün auf den Weg gebracht worden sind, aufgeführt. Dazu gehören die Biodiversitätsstrategie, das Landesnaturschutzgesetz und die Rahmenvereinbarung zur Förderung der Biodiversität in Agrarlandschaften, die wir mit den Bauernverbänden und der Landwirtschaftskammer geschlossen haben. Dazu gehört auch ein Monitoring-Programm in NRW, das wir als erstes Bundesland auf den Weg gebracht haben. Es sieht einen Untersuchungszeitraum bis 2020 vor.

Deshalb frage ich die Landesregierung: Werden Sie unsere Programme weiter fortsetzen, oder wollen Sie abwarten? Welches Sofortprogramm strebt die Regierung anhand der möglichen Ursachen an? – Im Zuge der Sondierungsgespräche war zu vernehmen, man möchte auch ein Minimierungsprogramm für den Pestizideinsatz.

Die Studie und der Bericht des Ministeriums nennen Gründe dafür, warum es zu dem Insektensterben kommt. Als wahrscheinlich gilt, dass vor allen Dingen der Verlust der Randstreifen mit Blühpflanzen an Wegen und Ackerrändern dazu beiträgt. Aber auch der Einsatz von Spritzmitteln und der hohe Stickstoff-eintrag werden als Problem gesehen.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, es ist unsere Aufgabe als Politiker, den Verlust der heimischen biologischen Vielfalt zu stoppen. Ich fordere Sie auf, unseren Antrag, den wir gleich an den Fachausschuss überweisen, zu unterstützen.

Die Landesregierung muss neben den genannten Möglichkeiten der weiteren Forschung vor allem den Dialog mit den beteiligten Akteuren aus der Wissenschaft, dem Naturschutz und den Landnutzern organisieren und einen wirksamen Maßnahmenkatalog gegen das Insektensterben vorlegen.

In den Naturschutzgebieten muss der Einsatz von Pestiziden drastisch reduziert werden. Deshalb brauchen wir auch weiterhin Geld für den Vertragsnaturschutz, für den Flächenkauf, die Beratung und Selbstverpflichtung öffentlicher Eigentümer.

Wir benötigen dringend ein Insektenrettungsprogramm. Dazu muss das Fachwissen unserer Biologen genutzt werden, zum Beispiel bei der Beratung zur Anlage von Blüh- und Randstreifen. Wo sind diese zielgerichtet zum Erhalt der Lebensgrundlage unserer Insekten anzulegen? Welches Saatgut ist das richtige?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Insektensterben ist real, und es ist dramatisch. Ich appelliere deswegen an Sie alle: Schieben Sie dieses Thema nicht weiter auf die lange Bank. Es könnte sonst für einige Insekten- und auch Vogelarten zu spät sein, und unsere Kinder und Enkelkinder lernen die Vielfalt unserer Natur mit Biene und Co. nur noch aus Bilderbüchern kennen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Watermann-Krass. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rückgang der Insekten, den wir alle empfinden, ist ein wichtiges Thema, und es ist gut, dass sich die Politik damit beschäftigt.

Dabei sind die Erfahrungen mit dem Insektenrückgang durchaus unterschiedlich. Ich will Ihnen einmal über widersprüchliche Beobachtungen im Laufe dieses Sommers in meinem Garten berichten.

Einerseits hatte ich seit dem Aufstellen eines alten Regals mit Hunderten Löchern einen regen Zuflug von Schlupfwespen. Fast alle Löcher waren belegt, es ist also offenbar gut angenommen worden. Das war in der Vergangenheit nicht so. Schmetterlingspopulationen habe ich auch als erfreulich stark wahrgenommen. Mücken allerdings haben mich und meine Besucher in diesem Jahr so gut wie gar nicht belästigt. Seit auf dem Bauernhof in meiner Nachbarschaft aber wieder Tiere gehalten werden, gibt es mehr Fliegen. Wir hoffen – der Landwirt und auch ich als Freund der Schwalben –, dass die Schwalben mit ihrer Brut jetzt gut genährt nach Nigeria geflogen sind und im Frühjahr hoffentlich zahlreich wiederkommen.

(Michael Hübner [SPD]: War das Ihr Nachbarbauernhof?)

Warum sage ich das? Sind diese Beobachtungen, die jetzt natürlich nur willkürlich auf dieses eine Grundstück bezogen sind, Indikatoren für abnehmende Populationen, für gleichbleibende oder für wachsende?

Wir sprechen uns dafür aus – am 22. November haben wir dank eines ausführlichen Berichtes der Ministerin im Umweltausschuss schon darüber beraten –, den Dingen tatsächlich auf den Grund zu gehen. In diese Richtung geht auch der Antrag der SPD, der vom Grundtenor in die richtige Richtung weist; wir werden darüber noch diskutieren.

Aber Sie können dann der Versuchung nicht erliegen – und das war ja eben auch der Rede von Frau Watermann-Krass zu entnehmen –, dass Sie schon alles wissen.

Ich frage mich: Warum machen wir – als erstes Bundesland übrigens – ein Monitoring an 120 Standorten in Nordrhein-Westfalen, die im sechsjährigen Turnus beprobt werden – also jedes Jahr 20 Standorte –, um die Entwicklung der Insekten nach Masse und Arten genauer beurteilen zu können und darüber Erkenntnisse zu gewinnen? Sie sagen, durch staatlichen Flächenkauf würde das Insektenleben gefördert. Den Zusammenhang, warum sich Insekten auf staatlichem Grund besser fühlen als auf privatem Grund, kann ich nicht nachvollziehen. Die bisherigen Untersuchungen des Krefelder Instituts geben das auch nicht her.

Daher plädieren wir dafür, uns die Dinge genau anzuschauen, ohne Zeitverzug – es geht nicht darum, etwas zu verzögern –, und die wissenschaftlichen Erkenntnisse ernst zu nehmen. Immer wieder wird das Institut aus Krefeld angeführt. Auch da kann man durchaus zu anderen Interpretationen kommen. Nicht ohne Grund ist die Darstellung der Statistik – nicht die Statistik selber – im vergangenen Monat von einem renommierten Institut in Dortmund zur „Unstatistik des Monats“ erklärt worden.

Wenn Sie nur zwei Bezugsjahre austauschen und sich nicht auf das Jahr 1989 beziehen, als die Untersuchung begonnen hat, sondern auf das Jahr 2016, dann hätten Sie eine gleichbleibende Anzahl von Insektenarten festgestellt. Und wenn Sie zwei Jahre zurückgehen, auf das Jahr 2014, wäre sogar die etwa sechsfache Anzahl von Arten festgestellt worden.

Ich will die Untersuchung gar nicht relativieren, sondern nur sagen: Wir müssen uns die Dinge genau ansehen. Wenn wir die Arten und die Mengen erfasst haben, wissen wir immer noch nichts über die Ursachen. Sie machen es sich etwas zu einfach und geben, wie immer, der Landwirtschaft die Schuld. Da sind wir vollkommen anderer Meinung. Es wird viele Ursachen geben.

Auch im Stadtgebiet von Düsseldorf, wo es so gut wie keine Landwirtschaft gibt, ist der Insektenbestand zumindest gefühlt zurückgegangen, ebenso wie in anderen Städten. Es gibt keine monokausalen Ursachen und sicher auch keine monokausalen Lösungen.

Wir freuen uns auf eine interessante Diskussion im Ausschuss.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Deppe. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Diekhoff.

Markus Diekhoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Insektensterben beschäftigt uns alle. Niemand ignoriert die Warnungen von Naturschützern und Forschern. Die Landesregierung hat deshalb am 17. November einen ausführlichen Bericht dazu vorgelegt und startet ein systematisches Insektenmonitoring, weil wir uns natürlich für einen nachhaltigen Schutz einsetzen.

Das Thema ist jedoch zu ernst und zu komplex für einseitige und schnelle Schuldzuweisungen. Dafür reicht die aktuelle Datengrundlage nicht aus, und auch die Ursachen sind weitgehend unbekannt. Deshalb begrüße ich in dem Antrag der SPD den Einsatz für den Schutz der gesamten heimischen biologischen Vielfalt.

Besonders heben Sie auch Fische hervor. Ich setze in dem Zusammenhang schon einmal auf Ihre Unterstützung für ein vernünftiges Kormoranmanagement. Hier haben nämlich einseitige und emotional aufgeladene Positionen fast zum Verschwinden einiger Fischarten aus unseren heimischen Gewässern geführt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist einer der Gründe, warum ich vor einseitigen Schuldzuweisungen warne, so wie wir sie hier im Haus und vor allem im Bund gerade beim Thema „Glyphosat“ erlebt haben und erleben.

Im Rahmen der so viel beachteten Beobachtungen des Entomologischen Vereins Krefeld lohnt auch ein Blick in die Umgebung eines der Standorte der Studie, nach Orbroich bei Krefeld, wo es den großen Rückgang gegeben hat. Dort gibt es seit einigen Jahren ein großes Naturschutzgebiet. Es besteht heute aus Wald und Grünland. Früher gab es dort noch Ackerland; dieses wurde aber von den Naturschutzbehörden in Grünland umgewandelt. Seit rund 15 Jahren wird dort auch keine Viehhaltung mehr betrieben, weil das Grünland in Magerwiesen umgewandelt werden sollte. Damit entfallen auch die Kuhfladen, welche bekanntlich eine wichtige Brutstätte für Insekten sind.

Das Grünland wird regelmäßig geschnitten und das Heu abgefahren, damit die Wiesen nährstoffärmer werden. Das ist so gewollt. Mit dem Heu werden natürlich auch viele Insekten abtransportiert. Mit den Nährstoffen, die man nicht will, verschwinden viele Blühpflanzen, die für Insekten wichtig sind, zum Beispiel der Löwenzahn.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Oh Mann! Oh Mann!)

Wie in vielen Naturschutzgebieten hat sich dafür dort mit dem Jakobskreuzkraut eine sehr giftige Pflanze breitgemacht – eine Pflanze, die seit Jahrhunderten von Landwirten in Schach gehalten wurde, weil schon geringe Mengen der Pflanze im Futter ausreichen, um Vieh verenden zu lassen.

In Naturschutzgebieten ist eine effektive Bekämpfung jedoch untersagt. Der Honig, den zum Beispiel Bienen dort produzieren, darf nicht verkauft werden, er muss vernichtet werden. Auch die Larven der Bienen werden durch den Giftstoff massiv geschädigt.

Während der letzten Jahre wurden dort von der Naturschutzbehörde mit Baggern mehrere künstliche Erdsenken angelegt, in denen sich Regenwasser zu Tümpeln sammelt. Am Rande dieser Tümpel leben nun eingewanderte Nutrias, die neben Pflanzen gerne auch Insekten und Larven verzehren.

Natürlich hat sich auch die Landwirtschaft rund um das Gebiet verändert. Gülle und Mist sind nicht mehr ganzjährig verfügbar, sondern werden in geschlossenen Behältern gelagert, dann nach Vorschrift innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums ausgebracht und innerhalb weniger Stunden in den Boden eingearbeitet. Dort kommen Insekten nicht mehr mit der Gülle in Berührung und können in der organischen Masse keine Eier mehr ablegen.

Das war nur eine kurze Beschreibung der Situation vor Ort. Sie ist natürlich nicht abschließend, und sie soll auch gar nicht werten. Sie soll nur dazu dienen, dafür zu sensibilisieren, wie viele unterschiedliche Einflüsse es in unserer Umwelt gibt, was bei einer solchen umfassenden Debatte zu berücksichtigen ist und dass einseitige und zu schnelle Schlussfolgerungen dem Anliegen des Insektenschutzes schaden würden.

Ich freue mich deshalb auf eine sachliche und wissenschaftlich fundierte Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und Nic Peter Vogel [AfD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Diekhoff. Für die grüne Fraktion spricht Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Diekhoff, manchmal denke ich, dass man über Dinge reden sollte, von denen man eine Menge versteht, und bei Dingen, von denen man nicht so viel versteht, besser schweigen sollte.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Christian Blex [AfD]: Warum reden Sie dann hier? – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP] – Lachen von der FDP)

Ich weiß gar nicht, wo Sie Ihre Kenntnisse hernehmen, wenn Sie über Naturschutzgebiete reden.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Sie sagen, die Weiden und Wiesen, die es dort gibt, seien artenarm.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Diese Weiden werden extra erst nach Mai gemäht, um genau dafür zu sorgen, dass die Pflanzen erst einmal ausblühen und Insekten Nahrung bieten. Danach werden sie vom Landwirt geschnitten – mit dem Nachteil, dass der Futterwert natürlich geringer ist.

Ich empfehle Ihnen: Besichtigen Sie mal, bevor Sie solche Allgemeinplätze raushauen, ein Naturschutzgebiet. Schauen Sie sich das an; denn der Zustand ist nicht so, wie Sie ihn dargestellt haben.

(Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])

Ich möchte zum eigentlichen Thema kommen. Wir alle haben seit mehreren Jahren Untersuchungen einzelner Arten auch hier in Nordrhein-Westfalen vorliegen: über die Bestände von Hummeln, über die Entwicklung der Bienenbestände. Jetzt kam noch die Untersuchung aus Krefeld dazu, die über drei Jahrzehnte darstellt, wie der Bestand zurückgegangen ist.

Herr Deppe, man kann natürlich viel kritisieren, und das ist ja auch passiert. Wenn Sie auf „top agrar online“ nachschauen, sehen Sie, dass die Untersuchung in, meiner Meinung nach, ziemlich fieser Art und Weise heruntergemacht worden ist. Diejenigen, die die Studie betreiben, sind als Hobbyforscher bezeichnet worden. – Nein, das haben Sie nicht gemacht.

Da sind jede Menge Diplom-Biologen tätig, die das in ihrer Freizeit weitermachen, die das, wofür wir vielleicht nicht genügend Gelder bereitstellen, zu ihrem Hobby erklären und Insektenforschung betreiben. Vielleicht wäre es die Aufgabe des Staates, das zu ermöglichen. Ich finde, diesen Menschen gebührt ein Dankeschön dafür, dass sie diese Forschung über drei Jahrzehnte gemacht haben. Nur deshalb haben wir die Ergebnisse.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir den Befund, dass es 75 % weniger Insekten gibt, mal in Relation zu dem setzen, was bei den Vogelbeständen passiert ist – da haben wir eine bessere Datengrundlage, weil dort auch Ehrenamtliche, Naturschutzverbände, die Ornithologen-Gesellschaft usw. schon seit sehr langer Zeit Daten erheben –, kommen wir zu ziemlich ähnlichen Zahlen. Ob Kiebitz oder Uferschnepfe, auch bei diesen Tieren haben wir einen Rückgang von etwa 70 %.

Wir können also festhalten: Das Insektensterben reiht sich nahtlos ein in das, was wir an Befunden zu Feldvögeln haben.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Die werden totgeschlagen!)

Ich habe daher wenig Zweifel daran, dass diese Zahlen stimmig sind.

Es ist deshalb gut, dass die SPD diesen Antrag heute einbringt. Es ist auch richtig, dass wir noch einmal genau schauen, wo die konkreten Ursachen liegen. Woran liegt es, dass die Insekten sterben? Herr Deppe, ich unterstütze Sie, wenn Sie sagen, dass wir den Dingen auf den Grund gehen müssen.

Es kann aber nicht sein, dass wir nur jahrelang forschen, forschen, forschen und diese Legislaturperiode mit der Forschung nach Ursachen quasi verplempern. Dazu ist die Lage, glaube ich, zu dramatisch.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Und was wollen Sie tun?)

Wir sind jetzt aufgerufen, die Indizien ernst zu nehmen. Es gibt natürlich starke Hinweise darauf, wo die Ursachen liegen könnten.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Welche?)

Die Landesregierung ist aufgerufen, Sofortmaßnahmen zu ergreifen und die Programme, die wir gemeinsam tragen, zum Beispiel Uferrandstreifen und Blühstreifen, zu verstärken, um das Angebot für die Insektenwelt zu verbessern.

Dazu gehört aber auch – das fällt mir immer wieder auf, wenn ich durch die Landschaft fahre –: Die Landesregierung sollte sehr deutlich an die Landwirte appellieren, dass das Pflügen bis an den Wegrand, bis an die Grabenkante endlich aufhört; denn da wird der Natur natürlich Raum genommen.

Das heißt aber auch – Glyphosat war ja Thema in den letzten Tagen –: Mit einem Glyphosatverbot allein – das mag man sich zwar wünschen – kommen wir nicht weiter. Wir brauchen ein klares Reduktionsprogramm. Das, was wir bei Antibiotika hinbekommen haben – eine Halbierung des Verbrauchs; niemand hat geglaubt, dass das funktioniert –, muss bei Pflanzenschutzmitteln genauso möglich sein. Das ist, glaube ich, der wichtigste Schritt, damit wir das Insektensterben aufhalten und wieder zu mehr Artenvielfalt kommen können.

Dazu gehört natürlich auch die Beweidung von Grünland. Dafür muss man aber die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Dazu gehört, dass wir in den Siedlungsräumen für mehr insektenfreundliche Gestaltung sorgen.

(Dr. Christian Blex [AfD]: Mehr Fliegen, mehr Mücken!)

Das, was wir mittlerweile überall sehen, mag man ja arbeitsmäßig begrüßen, zum Beispiel wenn Steingärten angelegt werden, aber die Kommunen und das Land sind aufgerufen, eine Trendumkehr zu bewirken, damit die Menschen eine gute Landschaft für die Insekten herstellen.

Meine Damen und Herren, die alte Landesregierung hat mit der Biodiversitätsstrategie und dem neuen Landesnaturschutzgesetz ein gutes Fundament gelegt, auf das die neue Landesregierung aufsatteln sollte. Sie sollten dieses Fundament nutzen und dem Artenschutz in diesem Land eine hohe Priorität einräumen.

Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Das Thema „Insektensterben“ hat gerade in der Presse und auch in den Landtagen Hochkonjunktur. Auslöser war in diesem Jahr – wir haben es schon gehört – eine veröffentlichte Studie einer Naturschutzgruppe – mehr war das gar nicht – aus dem Kreis Krefeld über die Abnahme der Biomassen von Fluginsekten in Nordrhein-Westfalen.

In dieser Studie wurde die Biomasse mit der sogenannten Malaise-Falle bestimmt, eine Falle, die ursprünglich von Entomologen verwendet wurde, um die Artenvielfalt von Fluginsekten in exotischen Ländern zu dokumentieren. Ob die gravimetrische Methode ausreicht, die Entwicklung der Insektenfauna als Ganzes zu bestimmen, darüber streiten die Fachleute. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass sich die Fachwelt über den Antrag der SPD hinaus weiterhin sehr intensiv mit dieser Thematik beschäftigen wird.

Was jedoch auf politischer Ebene geschieht, ist nicht nur unsachlich, sondern auch irreführend. Sofern keine anderen Studien vorliegen, könnte man höchstens von einem Schwund der Fluginsekten sprechen; denn die Malaise-Falle fängt ja nur Fluginsekten.

Keine Frage: Die Honigbiene wird zu Recht für ihr Naturprodukt geliebt und erfüllt wegen ihrer Schlüsselrolle bei der Bestäubung von Blütenpflanzen eine ganz wichtige Aufgabe. Aber zu der hochgeschätzten Biodiversität gehören nicht nur die nektarsammelnden Fluginsekten, sondern auch blutsaugende Fluginsekten wie Stechmücken, Kriebelmücken, Sandmücken und Gnitzen. So haben die Bundesländer 2008 alleine für die von den Gnitzen übertragene Blauzungenkrankheit auf Wiederkäuer fast 21 Millionen Impfdosen mit einem Gesamtwert von fast 17 Millionen € bestellt. Nicht umsonst stellte die Europäische Kommission ein Impf- und Überwachungsprogramm mit mehr als 61 Millionen € für den Erwerb von Impfstoffen bereit.

Insekten sind die artenreichsten Tiere überhaupt. Sie zeichnen sich durch eine extrem hohe Populationsdynamik aus. Mit ihrer sehr hohen Fertilität können sie ihre ursprüngliche Populationsgröße in wenigen Jahren wieder regenerieren. So braucht die gemeine Heuschrecke weniger als 28 Tage bis zur Geschlechtsreife, ist ganzjährig paarungsfähig und legt bis zu 100 Eier ab.

In Afrika ist es ein bisschen anders. Da produziert die Artverwandte ein Vielfaches mehr an Nachkommen und sorgt für sehr große Hungersnöte.

Auch die natürlichen Veränderungen des Klimas können zur Veränderung der Insektenbestände führen – das hat es immer gegeben –, aber kaum zu einem Sterben, weil es sich meist um eine räumliche Verlagerung der Population handelt. Die Vegetation folgt der neuen durchschnittlichen Temperatur, und die Insekten folgen der Vegetation.

Zu dem Einwand von Herrn Rüße, die Stadtbevölkerung würde sich über Insekten freuen: Nordrhein-Westfalen hat fast 18 Millionen Einwohner und ist das bevölkerungsreichste Bundesland. Mit 524 Einwohnern pro km² ist es das am dichtesten besiedelte Flächenland in der Bundesrepublik. Ob sich Ihre Wähler – da sitzen ja Ihre Wähler; die kennen die Natur so gar nicht – über eine Zunahme von Stechinsekten oder Fliegen freuen, das müssen Sie beurteilen.

Die Ursache – da komme ich auch noch einmal zu Ihnen –, die letztlich für den Rückgang der Insekten verantwortlich ist, müssen die Fachleute erst einmal finden. Denn wir stehen noch am Anfang.

Sie sagten: Wir wissen ja gar nicht, was die Ursachen sind, aber wir machen mal etwas. – Als Grüne macht man ja gerne mal etwas. Das ist stumpfer Aktionismus. Dazu kann ich nur sagen: Damit die richtigen Maßnahmen getroffen werden können, müssen wir vorher die Ursachen genau bestimmen. Und was genau die Ursache ist, das sagt uns das Gewicht der Insekten alleine nicht. Daher stellen wir auch den Maßnahmenkatalog für ein Insektenrettungsprogramm der SPD infrage.

Wenn ich höre, dass die Fluginsekten mit der Welt der Insekten gleichgestellt werden, dann sind wir von einer Zustimmung zu Ihrem Antrag noch sehr weit entfernt. Aber wir freuen uns auf eine sachliche Diskussion in den Ausschüssen, hoffentlich auch mit Fachleuten und nicht mit selbsternannten Experten. – Danke schön.

(Beifall von der AfD – Jochen Ott [SPD]: Zu den Fachleuten gehören ja Sie!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insekten sind eine wichtige Schlüsselgruppe für die biologische Vielfalt. Der Verlust hätte letztendlich weitreichende Folgen für unser Ökosystem insgesamt. Deshalb ist es wichtig und gut, dass wir immer wieder den Fokus darauf richten.

Allerdings sind die Ursachen des Insektenrückgangs bislang nicht eindeutig geklärt. Es ist ein großes Spektrum von möglichen Ursachen in Betracht zu ziehen: die Zerstörung und Fragmentierung von Lebensräumen, die anhaltend große Inanspruchnahme von Flächen, die Eutrophierung der Landschaft durch Stickstoffeinträge aus der Luft wie Verkehr, Hausbrand, Industrie und auch Düngung, landwirtschaftliche Nutzung, immer mehr steinerne Gärten. Es sind sehr viele Bereiche zu berücksichtigen. Man darf es nicht zu eng sehen.

Auch der Klimawandel kann eine wichtige Rolle spielen. Viele Insekten brauchen zum Beispiel Kälteperioden als Signal, um sich weiterzuentwickeln oder zu schlüpfen. Verändern oder verschieben sich die Jahreszeiten, können die Tiere zu Fehlzeiten schlüpfen, wenn zum Beispiel das nötige Nahrungsangebot noch gar nicht ausreichend vorhanden ist oder noch einmal frostige Nächte kommen.

In NRW wurde bundesweit erstmalig im Juni 2017 ein systematisches Insekten-Monitoring an verschiedenen Standorten gestartet. Damit wollen wir in den nächsten Jahren die Veränderungen der Insektenbiomasse untersuchen, um die Diskussion für Nordrhein-Westfalen künftig auf einer verbesserten, zielgenauen Datengrundlage führen zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, parallel dazu wird schon einiges aktiv verändert. Um nur ein Beispiel zu nennen: In vielen Regionen Nordrhein-Westfalens arbeiten Naturschutz und Landwirtschaft eng zusammen, um mittels diverser Maßnahmen zu einer Verbesserung der Situation bedrohter Arten und Lebensräume beizutragen. Gerade unsere Landwirte sind auf Insekten und Nützlinge sowie auf funktionierende Agrarökosysteme angewiesen. Insbesondere durch Aufklärung, Beratung und Förderung einer umwelt- und naturverträglichen Landbewirtschaftung kann der Schutz der heimischen Biodiversität – und damit die Minderung des Insektensterbens – sichergestellt werden.

Die Gestaltung eines zukunftsfähigen Naturschutzes setzt kooperative und innovative Wege voraus. Deshalb möchten wir insbesondere den Vertragsnaturschutz – und damit die freiwilligen Leistungen zur Bewahrung der natürlichen Vielfalt – stärken, fördern und auch honorieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hierbei geht es um freiwillige Verbindlichkeit. Es gibt bereits tolle Beispiele, wo diese Kooperation funktioniert. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen führt eine hervorragende Biodiversitätsberatung durch. Ziel ist es, die Teilnahme an den Förderprogrammen des Landes im Bereich der Agrar-, Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie auch des Vertragsnaturschutzes noch einmal zu fördern und das Angebot auch deutlich zu machen.

Die Resonanz der Landwirte auf dieses neue Beratungsangebot ist ausgesprochen groß. Im ersten Jahr haben in den Pilotregionen zusammen mehr als 200 Betriebe die Beratung in Anspruch genommen. Davon haben rund 170 Betriebe Maßnahmen im Bereich der Agrarumweltförderung oder des Vertragsnaturschutzes für insgesamt über 300 ha beantragt. Das ist ein Anfang. Diese ausgesprochen positive Bilanz der Biodiversitätsberatung und das große Interesse der Landwirte sind ein wichtiges Signal. Die landwirtschaftliche Praxis zeigt damit sehr deutlich, dass sie bereit ist, ihren Beitrag zur Förderung der Biodiversität zu leisten.

Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld sind auch biologische Pflanzenschutzmittel und technische Lösungen, die auf Digitalisierung und dem sogenannten Precision Farming – also Präzisionsackerbau – basieren. Ich habe schon im Ausschuss, aber auch hier beim letzten Mal über meinem Besuch bei der Agritechnica informiert. Es ist beeindruckend, was schon alles geht und noch möglich sein wird.

Der technologische und wissenschaftliche Entwicklungsstand bietet eben auch jetzt schon teilweise Alternativen. Es werden künftig noch deutlich mehr werden. Hierzu zählen zum Beispiel auch der Schlupfwespeneinsatz, Pheromonfallen zur Bestandsregulierung von Schadinsekten und die Förderung bestimmter Bodenbakterien zur Pflanzenstärkung.

Diese vielfältigen und innovativen technologischen Möglichkeiten gilt es fortzuentwickeln. Wir werden dies unterstützen. Selbstverständlich müssen wir aber auch in anderen Bereichen für die Problematik des Insektenrückgangs sensibilisieren und weitere Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensraumsituation identifizieren und umsetzen. Ich nenne nur beispielhaft die Förderung von Forschungsmaßnahmen des Bieneninstituts der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalens zur Identifizierung geeigneter Nahrungspflanzen und Pflanzenmischungen als Nahrungsergänzung für Insekten.

Halten wir fest: Insekten sind für den Erhalt unseres Ökosystems unverzichtbar. Mein Haus – das gilt für die NRW-Koalition ebenso – wird daher die Gründe für den Rückgang intensiv analysieren und alle notwendigen Schritte durchführen, um diesem entgegenzuwirken.

Es reicht aber nicht aus, wenn nur Nordrhein-Westfalen hier tätig wird. Deshalb sage ich abschließend: Die Umweltminister der Länder haben daher die Bundesregierung gebeten, bis zum Sommer 2018 einen Bericht zum Insektensterben und dessen Ursachen zu erstellen. Diesen Bericht werde ich Ihnen selbstverständlich gerne zukommen lassen.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und auf Unterstützung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze Föcking. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1289 an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – federführend – sowie an den Wissenschaftsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer diesem so zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe dann auf:

8   Rohrleitungsgesetz aufheben und CO-Pipeline stoppen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1281

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Grünen Frau Abgeordneter Steffens das Wort. Bitte schön.

Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit über zehn Jahren wird vor Ort, aber auch hier im Parlament über die Rohrleitungen bzw. das Pipelinesystem für CO diskutiert.

Am Anfang ging es bei den Diskussionen eher um eine Propylenpipeline. Das war, wie ich finde, eine sehr unglückliche Geschichte. Es war klar, dass man eine solche Pipeline eigentlich schaffen wollte. Denn man sagte, dass das von der Umweltbilanz her ökologischer sei, statt auf die Straße zu gehen. Auch ging es um Sicherheit und Zuverlässigkeit für das Unternehmen. Alle Fraktionen, auch wir, haben dem 2006 ohne Debatten zugestimmt.

Wir haben aber leider schmerzhaft dazulernen müssen, dass es nicht um Propylen, sondern um eine reine CO-Pipeline, um eine Kohlenmonoxid-Pipeline, ging. Deswegen diskutieren wir bereits seit 2007 hier im Parlament wieder darüber, ob man das Gesetz, das 2006 beschlossen worden ist, nicht zurücknehmen sollte.

Denn vom Kohlenmonoxid geht eine unglaublich hohe Gefährdung für die Bevölkerung aus. Kohlenmonoxid ist giftig, es bindet sich viel schneller und stärker an das Hämoglobin im Sauerstoff. Das heißt, die Atmung wird unterbunden, der Körper wird nicht mit Sauerstoff versorgt, und man wird bewusstlos. Das führt zum Tod. Das Schlimme am Kohlenmonoxid ist: Es riecht nicht, man sieht es nicht, und die Ausbreitung findet unbemerkt statt. Egal, ob es ein großes oder ein kleines Leck geben wird: Die Ausbreitung wird dort stattfinden, wo sehr viele Menschen leben, wo sich Schulen und Kindergärten befinden.

Diese Pipeline, die von Dormagen bis nach Krefeld-Uerdingen geht, ist 67 km lang. Das ist eine lange Strecke. Die Leitung ist mit gelber Farbe gekennzeichnet. Das muss auch sein, damit sie beim Umgraben oder Umpflügen nicht unbemerkt kaputt gemacht wird und keine Leckagen geschlagen werden.

In Bad Berleburg ist genau das gerade passiert. Da können Sie lachen. Sie können sich auch noch den Artikel dazu im WDR anschauen. Da hat nämlich eine Fräsmaschine, um Glasfaserkabel zu verlegen, Fräsungen vorgenommen und dabei, obwohl die Leitungen markiert waren, eine große Leckage verursacht – zum Glück nicht in einer Kohlenmonoxidleitung; das hätte nämlich ganz andere Folgen gehabt. Aber auch da war es sehr problematisch.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Klar ist, vor Ort gibt es viele Bürgerinitiativen. Die Bürgerinitiativen sind gerne bereit, auch Ihnen, Herr Brockes, vorzuführen, wie man diese Leitungen, die auf einer Länge von 67 km gelegt sind, innerhalb kürzester Zeit mit handelsüblichen Bohrern zerstören bzw. Löcher in sie hineinschlagen kann. Wenn Sie sich die Sicherheitslage in Deutschland angucken, dann wissen Sie: Ein solches Risiko ist mittlerweile ein erhöhtes. Solche Leitungen, die so anfällig und so gefährlich sind, können wir uns hier nicht erlauben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber abgesehen davon, dass Leckagen durch Hineinschlagen verursacht werden können: Wir haben gerade bei Shell gesehen, wie schnell Leitungen kaputtgehen. Bei der Druckprüfung in 2009 waren schon massive Mängel sichtbar. Also: falsch gebaut, schlecht gebaut – das Risiko ist hoch.

Für solche Vorfälle bräuchten wir Gefahrenabwehrpläne vor Ort. Die Feuerwehren und die Kommunen sagen, es ist weder leistbar noch zu finanzieren. Wir haben nicht die Druckkammern. Wir haben nicht die Rettungswagen. Die Kosten für eine solche Leitung sind nicht zu rechtfertigen, vor allen Dingen nicht, weil uns seit diesem Jahr ein bzw. zwei Gutachten vorliegen, die klar sagen: Eine solche Leitung ist nicht notwendig. Am Standort zu produzieren, ist sehr viel einfacher. – Von daher haben die Gutachten bewiesen, dass all das, was am Anfang die Grundlage für das Gesetz war, nämlich dass wir damit die Sicherheit erhöhen, dass es wirtschaftlicher ist, nicht gegeben ist.

Warum kommt der Antrag jetzt? Auch das wird gleich wieder eine Ihrer Fragen sein, nach dem Motto: Sie hätten das doch alles schon längst machen können. – Ja, natürlich hätten wir dieses Gesetz zurücknehmen können. Wir wollten es ja schon 2007 tun. Das OVG hat 2014 dann das Verfahren ausgesetzt. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die Begründung zurückgewiesen. Das heißt, es hat nicht die Verfassungsmäßigkeit festgestellt, sondern die Begründung zurückgewiesen. Es ist klar, dass der Abschluss des Planänderungsverfahrens im ersten Quartal 2018 ansteht.

Wir haben also eine neue Faktenlage. Ich kann Ihnen sagen: Wir hätten, wenn wir an der Regierung wären, mit Sicherheit die Auseinandersetzung mit der SPD, unserem damaligen Koalitionspartner, führen müssen, ob wir dieses Gesetz zurücknehmen oder nicht. Es gab keinen Konsens. Auch daraus will ich keinen Hehl machen. Deswegen haben wir gesagt: Evaluieren, Gutachten, Dialogverfahren. All das haben wir gemacht. Es gab den Entwurf einer Kabinettvorlage zur Aufhebung.

Aber all das führt nicht dazu, dass Sie sich Ihrer Verantwortung entziehen können. Wenn wir ein großes Loch in einer Justizvollzugsanstalt hätten, müssten Sie das schließen, damit niemand entkommen kann. Hier haben wir ein riesengroßes Loch, das ein riesengroßes Risiko für die Bevölkerung darstellt.

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, die Redezeit bitte.

Barbara Steffens (GRÜNE): Sie haben die Verantwortung, das zu schließen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie machen es sich ganz schön einfach!)

Das können Sie, indem Sie das Gesetz zurücknehmen. Das halten wir für notwendig, und deswegen dieser Antrag.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist ein Heldentod nach Kriegsschluss!)

Präsident André Kuper: Danke schön, Frau Kollegin Steffens. – Für die CDU hat Frau Dr. Peill das Wort.

Dr. Patricia Peill (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Debatte, die wir heute im Landtag führen, spricht ein wichtiges und sehr sensibles Thema an, die CO-Pipeline der Firma Covestro. Wie gerade schon gesagt, bereits vor zehn Jahren haben die Planung und die Diskussion um die CO-Pipeline begonnen, die die Unternehmensstandorte Dormagen und Krefeld-Uerdingen miteinander verbinden sollte.

Dieses Thema und wie wir damit umgehen, ist nicht nur für die Menschen in der Umgebung der 67 km langen Kohlenmonoxidleitung von extrem großer Bedeutung, sondern für uns alle in NRW. Darum gilt es als Allererstes in dieser Debatte, zwei Dinge vor die Klammer zu setzen: die Sorge und die Sicherheit.

Die berechtigten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger nehmen wir extrem ernst. Die Sicherheit der Bürger hat bei uns allerhöchste Priorität.

Deswegen verwundert es mich ein bisschen, dass Sie hier vor terroristischen Anschlägen auf Chemiepipelines warnen. Denn waren es nicht Sie, die durchgesetzt haben, dass ganze Pläne von Chemieanlagen ins Netz gestellt werden müssten?

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Aber das ist vor der Klammer.

Ich bin jetzt in der Klammer. In der Klammer ist ein laufendes juristisches Verfahren. Daher ist dieser Antrag zum jetzigen Zeitpunkt für mich taktisch aufgelegt, und er hilft in der momentanen Situation nicht weiter. Lassen Sie mich dies aus zwei Dimensionen heraus begründen: chronologisch und juristisch.

Vor mehr als zehn Jahren ging es darum, eine infrastrukturelle Herausforderung für den Industriestandort NRW gemeinsam und verantwortungsvoll zu lösen. Das hierzu notwendige Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage, kurz Rohrleitungsgesetz, ist im März 2006 einstimmig – daran haben Sie gerade erinnert – von allen Fraktionen beschlossen worden. Das ist das eine.

Aber die Zeitachse reichte weiter. Da hat die rot-grüne Landesregierung sieben Jahre lang Zeit gehabt, ein Aufhebungsgesetz vorzulegen. Sie haben es aber nicht getan. Auch wenn Sie jetzt eine Begründung dafür abgeben: Sie haben es sieben Jahre lang nicht getan.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den GRÜNEN: Sie können es ja besser machen!)

Es gibt auch eine juristische Dimension, die wir beachten müssen. Juristisch fußt die CO-Pipeline im Wesentlichen auf zwei Grundlagen, nämlich dem bereits angesprochenen Rohrleitungsgesetz und dem Planfeststellungsbeschluss. Nach der Untersagung der Betriebsgenehmigung im Jahre 2011 setzte im Jahre 2014 das Oberverwaltungsgericht Münster das Verfahren zum Rohrleitungsgesetz aus und legte es, wie Sie wissen, dem Bundesverfassungsgericht vor. Hierzu finde ich in Ihrem Antrag sehr wenig.

Im Dezember 2016 hat das Bundesverfassungsgericht den Vorgang zurückgewiesen. Damit liegt das Klageverfahren derzeit wieder beim OVG. Dieses will das Verfahren erst wieder aufnehmen, wenn die Bezirksregierung Düsseldorf das noch ausstehende Planänderungsverfahren abgeschlossen hat. Wir sind also mittendrin in einem höchst aktuellen und laufenden Klageverfahren.

Der Antrag der Grünen ist hiermit eigentlich schon aus formalen Gründen nicht anzunehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn wir sind an einem Punkt, an dem die Gerichte über die CO-Pipeline befinden. Nun ist die Entscheidung des OVG Münster abzuwarten. Anschließend gilt es, die Entscheidungsgründe zu bewerten. Es gebietet doch der Respekt von uns Parlamentariern vor der Rechtsprechung, dieses Verfahren und dessen Ausgang abzuwarten. Schnellschüsse und wieder diese sofortigen Ausstiegsszenarien sind hier Steilvorlagen für nur weitere Prozesse und weitere Klagen.

Für uns geht es doch um einen ganz zentralen Grundwert: Möchten wir Rechtssicherheit garantieren? Genauso haben Sie es ja auch noch vor zwei Jahren gesehen. Noch im Jahr 2015 hat das von Herrn Remmel geführte Umweltministerium in der Antwort auf die Kleine Anfrage eines Abgeordneten der Piraten Folgendes geantwortet. Ich zitiere zunächst die Anfrage: Welche Schlüsse hat die Landesregierung aus der Verfahrensaussetzung gezogen? Wie gedenkt die Regierung, sich zum endgültigen Urteil des Gerichts zu verhalten? – Die Antwort war: Die Entscheidung des Gerichts wird abgewartet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für Sie war Rechtssicherheit der Maßstab des Handelns. Warum nun dieser Kurswechsel? Wir bleiben auf Kurs.

Apropos Kurswechsel! Meine Damen und Herren, weil die Grünen ja eine namentliche Abstimmung beantragt haben, möchte ich kurz an folgende Namen erinnern – diese Abgeordneten sitzen ja schon länger hier im Landtag –: Johannes Remmel, Sigrid Beer, Oliver Keymis, Horst Becker, Barbara Steffens und Monika Düker. Sie alle haben ebenfalls das Rohrleitungsgesetz unterschrieben und unterzeichnen jetzt auch diesen Antrag.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Das finde ich in diesem Sinne nicht passend.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Es geht um Sorgen und Sicherheit, aber es geht momentan auch um ein laufendes Verfahren. Jetzt werden die Gerichte entscheiden und nicht die Parlamente. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. – Danke.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD hat Herr Abgeordneter Börner das Wort.

Frank Börner (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Antragsteller, Sie sprechen mit diesem Antrag den Menschen, die an dieser Pipeline wohnen, aus dem Herzen, und nehmen ihre Sorgen auf, aber Sie helfen ihnen nicht.

Wir haben in der Zeit der rot-grünen Koalition vereinbart, dass wir zunächst einmal abwarten, was die Gerichte entscheiden, was die Bezirksregierung nach der Prüfung entscheidet, und uns dann entsprechend verhalten wollen, nicht zuletzt auch um Schadenersatzforderungen für unser Land zu vermeiden. Diesen Weg wollen und werden wir an dieser Stelle fortsetzen.

Es ist schlicht unseriös, den Menschen vor Ort zu sagen, dass mit einer einfachen Abstimmung dafür gesorgt werden könnte, dass das Thema endgültig vom Tisch ist.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Das funktioniert so nicht. Wir müssen den Weg weiter fortgehen, den wir gegangen sind, und zumindest den Versuch unternehmen, Schadensersatzforderungen von unserem Land fernzuhalten. Wir haben erlebt, wie schnell das geht, als nach Kyrill jemand versucht hat, aus dem Hemdsärmel schnell Lösungen zu finden, Holz irgendwohin verkauft hat und dann plötzlich festgestellt hat, dass es Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe gibt, obwohl dieses Land das Geld eigentlich bitter für andere Dinge braucht. Deshalb wollen wir diesen Weg, so wie wir ihn bisher gegangen sind, fortsetzen.

NRW ist ein Industrieland. Hier wird zwangsläufig mit gefährlichen Stoffen umgegangen, die gefährlich für die Gesundheit sind, die gefährlich für unsere Umwelt sind. Das ist weitgehend auch gut und richtig so, solange damit fachgerecht umgegangen wird.

Die Menschen im Land, die Arbeitnehmer müssen sicher sein, dass die Menschen, die mit gefährlichen Stoffen umgehen dürfen, dies mit Sorgfalt tun, insbesondere bei Stoffen, die die Umwelt und die Gesundheit gefährden. Mit diesen Stoffen ist fachgerecht umzugehen, sie sind fachgerecht weiterzuverarbeiten und zu transportieren. Wenn das Vertrauen der Menschen in die Industrie, in die, die mit diesen Stoffen umgehen, verloren geht, ist ein Stück weit auch unser Industriestandort gefährdet. Unternehmen, die dies fahrlässig tun, schaden unserem Industriestandort.

Schon vor dem ersten Spatenstich gab es kein Vertrauen in die CO-Pipeline. Planungen wurden verändert, verbessert, wieder verändert. Selbst die, denen es anfangs egal war oder die das wohlwollend begleitet haben, sind am Ende in Sorge gewesen: Tun die da eigentlich noch irgendetwas Vernünftiges?

Nach der Planung kam die eher stümperhafte Ausführung. Diese Netze, die darüber gespannt werden sollten, lagen nicht richtig. Es waren die falschen Netze mit der falschen Farbe. Die Stabilität der Rohre passte vorne und hinten nicht und so weiter und so weiter. Sie kennen die einzelnen Punkte.

Neue Industrieanlagen, insbesondere mit gefährlichen Stoffen, müssen transparent und sicher geplant werden. Dies ist der Firma Bayer bzw. Covestro nicht gelungen. Firmen, die so mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen im Land umgehen, schaden nachhaltig unserem Industriestandort. Egal, ob es eine neue Pipeline durch ein Wohngebiet ist oder eine bereits bestehende Pipeline wie die der Firma Shell in Wesseling – so kann man das Vertrauen in unsere Industrie, in das Handeln der Menschen zerstören.

(Beifall von der SPD)

Es wird immer deutlicher, dass es Unternehmen gibt, denen eine Gefährdung des Grundwassers völlig egal ist.

Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, dass auch in unserem Industriestaat fachgerecht mit diesen Stoffen umgegangen wird und wir so auch unseren Industriestandort langfristig sichern und auch die Gesundheit und Sicherheit unserer Bürger schützen. – Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Börner. – Für die FDP hat Herr Brockes das Wort.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Elf Jahre ist es her, dass sich der Landtag mit dem Rohrleitungsgesetz beschäftigt hat und es verabschiedet hat. Ich gehöre vermutlich zu den wenigen Abgeordneten, die damals schon dabei waren und das ganze Beratungsverfahren in der Zeit verfolgt haben.

Es ist damals in der Tat inhaltlich nicht plenar hier an diesem Rednerpult darüber diskutiert worden. Das war sicherlich im Nachhinein gesehen auch nicht gut. Aber, meine Damen und Herren, das Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht überprüft und ist als verfassungsgemäß bestätigt worden. Es ist damals nicht deshalb nicht diskutiert worden, weil es uns Abgeordneten irgendwie zu heikel gewesen wäre und man die Debatte gescheut hätte.

Nein, meine Damen und Herren, es ist nicht debattiert worden, weil damals in der Sache – in der Sache! – Einvernehmen bestand zwischen SPD, Grünen, CDU und FDP, in allen vier Fraktionen, die damals hier diesem Hohen Hause angehört haben.

Das Einvernehmen in der Sache wird in den Ausführungen des damals vortragenden Ministers Pinkwart in Vertretung von Ministerin Thoben in dem entsprechenden Protokoll deutlich, der gesagt hat:

Sie – die CO-Pipeline – gewährleistet Versorgungssicherheit, verbindet die Chemiestandorte und fördert die Zusammenarbeit der Unternehmen. Die Neustrukturierung der CO-Versorgung bewirkt eine nachhaltige Unterstützung und Sicherung der Kunststoffindustrie und wirkt sich positiv auf die gesamte Wirtschaftsstruktur aus, meine Damen und Herren.

Dies war damals Einvernehmen. – Einvernehmen bestand auch darin, dass die Pipeline für flüssige und gasförmige Produkte das sicherste Transportmittel ist.

Von diesem Einvernehmen verabschieden Sie sich seitens Bündnis 90/Die Grünen heute hier auf wirklich billige, populistische Art.

(Beifall von der FDP – Zuruf von den GRÜNEN)

Populistisch ist es, weil Sie jetzt in Ihrem Beschlussteil fordern:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Gesetzes … in den Landtag einzubringen.“

Sieben Jahre – sieben Jahre! – hatten Sie Zeit, um hier eine entsprechende Regelung zu treffen. Sie haben es nicht gemacht, meine Damen und Herren. Sie haben nichts getan. Es ist einfach unverantwortlich und heuchlerisch, sich heute hier so hinzustellen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie fordern, dies zu tun, ohne das laufende Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster abzuwarten. Das ist, ehrlich gesagt, unseriös. Dies ist aber auch populistisch.

Oder wollen Sie bewusst das Verfahren nicht abwarten, weil etwa das Gericht bislang nur Ergänzungen und Nachbesserungen des Planfeststellungsbeschlusses angeordnet hat? Das ist gut und richtig im Übrigen, denn auch wir wollen natürlich, dass Sicherheit hier Vorrang hat.

Das Gericht hat sich grundsätzlich hinter die Konzeption des Projektes gestellt und auch die Trassenführung und die Betriebssicherheit nicht infrage gestellt. Das Gericht hat – und das ist gut so – bisher vielmehr festgestellt, dass ausreichende Vorsorge vor Gesundheitsschäden getroffen wurde und hier auf dem Stand der neuesten Technik gearbeitet wird.

Das Gericht hat sogar festgestellt, dass die Pipeline mit zusätzlichen Sicherheitsmerkmalen weit über den bisherigen Stand der Technik hinausgeht. So wird die Leitung zum Beispiel mit 200 bar geprüft, aber nur mit 13,5 bar – also weniger als 10 % des Prüfdrucks – betrieben.

Zudem muss die Rohrleitung unterirdisch in einer Regeltiefe von 1,40 m verlaufen, ist also für den Fall, den Sie eben bewusst populistisch beschrieben haben, gar nicht angreifbar. Durch Schiebeaktionen in mehreren Abschnitten ist sie im Übrigen unterteilt und nach oben durch ein Geotextil und ein Trassenwarnband kenntlich gemacht und auch gegen Korrosion geschützt.

All dies zeigt, dass wir sehr verantwortlich mit dieser Chemikalie umgehen. Deshalb ist es einfach nur populistisch, sich heute hier während eines laufenden Gerichtsverfahrens hinzustellen und das zu fordern, wozu Sie selbst sieben Jahre lang nicht in der Lage waren, nicht sein wollten. Deshalb werden wir Ihren Antrag heute hier ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die AfD-Fraktion erhält Herr Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir haben es eben gehört: Vor über zehn Jahren hat der Landtag das Rohrleitungsgesetz beschlossen. Unter den verschiedenen Regierungskoalitionen wurde mehrfach der Nutzen der Versorgungsleitung zwischen Krefeld-Uerdingen und Dormagen festgestellt. Auch haben die Richter in Karlsruhe die Verfassungskonformität des Gesetzes bestätigt.

Obwohl nun alle Argumente in den letzten zehn Jahren gehört wurden, beziehen sich die Grünen auf ein vier Jahre altes Gutachten. Dieses Gefälligkeitsgutachten vom ehemaligen Umweltminister Remmel wurde bei der Erhebung von Zahlen ohne Beteiligung des Betreibers geschrieben. So heißt es im Antrag der Grünen, das Rohrleitungsgesetz sei zur Aufrechterhaltung der Kunststoffproduktion nicht notwendig.

Liebe „GrünInnen“, woher wollen Sie das eigentlich so genau wissen, was in der Chemieproduktion notwendig ist oder nicht? Wenn Sie im Chemieunterricht aufgepasst hätten, würden Sie verstehen, warum das synthetische Gas als Rohstoff für die Kunststoffproduktion gebraucht wird. Neben der Verwendung in der Kunststoffproduktion kann es auch zur Synthese von Methanol und synthetischen Kraftstoffen genutzt werden. Da liegt übrigens die Zukunft des Automobilverkehrs.

(Beifall von der AfD)

Es ist gerade die Vielfältigkeit in der Anwendung, welche die Bedarfsabschätzung so schwierig macht. Also: Woher wollen Sie den Bedarf für die über 70 Chemieunternehmen, die an diesen Standorten angesiedelt sind, so genau wissen? Sie haben wahrscheinlich ein Chemieunternehmen noch nie von innen gesehen. Denn für gewöhnlich stehen Sie mit Ihrem Protestschild „Giftgas-Pipeline“ vor dem Zaun eines Chemieunternehmens.

(Beifall von der AfD)

Oder haben Sie sich vielleicht unerlaubt Zutritt verschafft und Ihre Nase in das Bilanzbuch der Firmen gesteckt?

(Zurufe)

Nordrhein-Westfalen ist der bedeutendste Chemiestandort in Deutschland. Über ein Drittel aller Umsätze in der chemischen Industrie erwirtschaften die NRW-Unternehmen. Der Wirtschaftsstandort zeichnet sich durch erstklassige Forschung sowie einen besonderen Mix aus einem breiten Mittelstand und zahlreichen international erfolgreichen Großunternehmen aus.

Als zentraler Materiallieferant stoßen Neuentwicklungen in der Chemie einen hohen Anteil an Innovationen in vielen anderen Wertschöpfungsketten an.

(Beifall von der AfD)

Daher gilt die Chemieindustrie als wichtiger Innovationsmotor für die gesamte Industrie.

Unsere Chemieunternehmen stehen international in einem harten Wettbewerb – gerade auch wegen der ökopopulistischen Energiewende – und brauchen hier verlässliche Rahmenbedingungen.

(Beifall von der AfD)

Mit Ihrem wirtschaftsfeindlichen Ökopopulismus riskieren Sie die Abwanderung unserer Schlüsselindustrien aus Nordrhein-Westfalen. Über ein Drittel aller Umsätze in der chemischen Industrie erwirtschaften die Unternehmen, wie gesagt, in unserem Land. Aus diesem Grund ist der Rohstoffverbund von elementarer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort. Denn hier wird eine Versorgungslücke zwischen drei Chemieparks in Nordrhein-Westfalen geschlossen.

Doch Sie verschließen sich einer sachlichen Debatte über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Sie predigten den Grundsatz der Gleichbehandlung von Ökonomie und Ökologie. Allerdings interessieren Sie sich überhaupt nicht für die Ökonomie – nicht im Geringsten. Stattdessen schüren Sie wieder einmal Ängste in der Bevölkerung und versuchen Handlungsfähigkeit mit Altpapier zu erwecken, das Sie dann auch noch einen Antrag nennen.

Selbstverständlich lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Danke schön, Herr Dr. Blex. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen ist europaweit ein herausragender, wenn nicht der herausragende Chemiestandort, dessen Wettbewerbsfähigkeit und dessen hoch qualifizierte Arbeitsplätze wir erhalten und stärken wollen.

Kohlenmonoxid ist aus ökonomischer sowie aus chemischer Sicht ein unverzichtbarer Grundstoff für diese Industrie. Die von Covestro gebaute Pipeline soll zum einen die Kohlenmonoxidversorgung am Stand Uerdingen sicherstellen. Zum anderen soll der Verbund der Chemiestandorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen dauerhaft gesichert werden.

Im Übrigen möchte ich wegen der Zerrbilder, die zum Teil von Frau Kollegin Steffens vorgetragen worden sind, zur Versachlichung der Debatte Folgendes ergänzen: Zwischen Leverkusen und Dormagen existiert bereits eine CO-Pipeline. Sie wird auch genutzt. Daher können mit Inbetriebnahme der planfestgestellten Rohrleitung zwischen Dormagen und Uerdingen die drei Standorte miteinander verbunden werden. Somit können Reservemaßnahmen an jedem Einzelstandort vermieden werden.

Die Pipeline trägt dazu bei, die gesamte Wertschöpfungskette der chemischen Industrie Nordrhein-Westfalen zu sichern und damit Arbeitsplätze zu erhalten und Wohlstand zu sichern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, waren vor gut zehn Jahren im Wesentlichen die Gründe für den Landesgesetzgeber, die rechtliche Grundlage für eben diese Pipeline zu schaffen.

Es ist zu Recht auf Folgendes hingewiesen worden – ich will es aber noch einmal in Erinnerung rufen –: Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat am 15. März 2006 mit den Stimmen aller damals im Landtag vertretenen Fraktionen – CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen – das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen, kurz Rohrleitungsgesetz, einstimmig beschlossen.

Das ist für alle Folgeregierungen die Handlungsgrundlage gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Mit dem vorliegenden Antrag soll nun das Rohrleitungsgesetz und somit die Grundlage für Errichtung und Betrieb der Pipeline aufgehoben werden.

Angesichts des laufenden Verfahrens vor dem OVG Münster rate ich hingegen dazu, den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten. Diese Position ist nicht nur, wie Frau Abgeordnete Dr. Peill zutreffend darlegte, formal geboten, sondern deckt sich auch mit der Position der Vorgängerregierung, der Sie, Frau Steffens, persönlich angehört haben.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang – so lange liegt das noch nicht zurück – kurz aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus dem März 2015 ergänzen. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten die Frage:

„Wie steht die Landesregierung zur Möglichkeit, bereits jetzt durch Aufhebung des Rohrleitungsgesetzes Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen?“

Ich zitiere die Antwort durch Umweltminister Johannes Remmel – Bündnis 90/Die Grünen, wenn ich das hinzufügen darf – namens der Landesregierung:

„Die Landesregierung wird keine entsprechende Gesetzesinitiative einbringen.“

Dieser Regierung gehörten Sie, Frau Steffens, an. Das haben Sie mitgetragen. Jetzt tragen Sie hier genau das Gegenteil vor.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der damalige Umweltminister diese Aussage auf der Grundlage einer sorgfältigen Betrachtung des Sachverhalts getroffen hat.

Ausweislich einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU lagen bereits im Jahr 2012 im Zusammenhang mit der CO-Rohrfernleitung 119 Gutachten und gutachtliche Stellungnahmen vor.

Ich setze noch eines drauf, Frau Steffens. Das Gutachten, das Sie jetzt zitieren, ist nicht nur inhaltlich – darauf ist schon verwiesen worden – in höchstem Maße unseriös: fehlende unternehmensspezifische Daten, Verkennung der Synergien des Produktionsverbunds, falsche Darlegung der Anlagenfahrweise und viele Defizite mehr.

Viel wichtiger ist mir aber Folgendes: Dieses Gutachten, auf das Sie sich jetzt beziehen und das jetzt die Regierung und den Landtag veranlassen soll, das Gesetz zurückzuziehen, lag schon 2014 vor.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von der AfD)

Das heißt: Ihre Regierung, der Sie angehörten, hat es trotzdem nicht zum Anlass genommen, tätig zu werden – und auch nicht der Landtag.

Meine Damen und Herren, so, wie Sie jetzt vorgehen, können wir keine verantwortungsvolle Politik für ein Industrieland betreiben. Das geht meines Erachtens so nicht.

Ich möchte mich auch gegen Begrifflichkeiten verwahren, die Sie nutzen, um damit Ängste zu schüren. Nehmen wir nur Ihr Beispiel, dass eine Pipeline – welche, weiß ich nicht; Sie können uns das ja einmal belegen – durch einen Ackerpflug beschädigt worden sein soll. Wenn Sie mir einen Ackerpflug zeigen können, der eine Pipeline in 1,40 m Tiefe beschädigen kann,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

bin ich wirklich positiv überrascht. Ich bin kein Agrarexperte. Aber diesen Pflug möchte ich doch gerne einmal sehen, liebe Frau Kollegin Steffens.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin den meisten Rednern in dieser Debatte außerordentlich dankbar dafür, dass der Landtag die Landesregierung in diesen Grundfragen – unabhängig davon, ob man in der Regierung oder der Opposition ist; ich möchte das auch an den Kollegen Börner gerichtet wissen –, die dieses Land nun einmal ausmachen und die auch unsere Stabilität ausmachen – Planungssicherheit ist ein ganz entscheidender Stabilitätsfaktor –, auch unterstützt, wenn es einmal schwierig ist. – Herzlichen Dank für die Beratung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat die Redezeit zwar überzogen. Mir liegt aber keine weitere Wortmeldung vor. Daher schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu dem Antrag Drucksache 17/1281 sowohl direkte als auch namentliche Abstimmung beantragt.

Nach § 44 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erfolgt die namentliche Abstimmung durch Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben bei Namensaufruf mit Ja oder Nein zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten.

Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/1281. Ich bitte Frau Abgeordnete Troles, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf erfolgt.)

Haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? Sonst bitte ich um Wortmeldung.

(Der Namensaufruf wird fortgesetzt.)

Meine Damen und Herren, damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen.

(Die Auszählung erfolgt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Ihre Stimme abgegeben haben 191 Abgeordnete. Mit Ja stimmten 14 Abgeordnete.

(Zurufe: Oh!)

Mit Nein stimmten 177 Abgeordnete. Kein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1281 abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf:

9   Gesetz über das Verbot der Gesichtsverschleierung in öffentlichen Gebäuden in Nordrhein-Westfalen (Verschleierungsverbotsgesetz Nordrhein-Westfalen – VerschleierungsVerbG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/522

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 17/1312

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Dr.  für die CDU das Wort.

Dr. Christos Georg Katzidis (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir als CDU-Fraktion werden den Gesetzentwurf der AfD heute genauso ablehnen, wie wir es in den Ausschüssen auch schon getan haben.

Auch wenn es sich nicht um einen Gesetzentwurf der AfD, sondern um einen abgeschriebenen Entwurf handelt, werden wir ihn aus drei Gründen ablehnen.

Der erste Grund ist: Es besteht aus unserer Sicht keine Dringlichkeit für ein derartiges Gesetz. Das ist auch kein neues Thema, das in den ersten sechs Monaten einer neuen Regierung behandelt werden muss, es ist uralt. Es ist insbesondere innerhalb der CDU durchdekliniert. Wir diskutieren schon seit mehreren Jahren darüber und haben eine klare und unmissverständliche Position dazu. Es gibt auch hinreichend Rechtsprechung dazu.

Der zweite Grund ist: Es ist kein flächendeckendes Problem in Nordrhein-Westfalen. Es gibt zwar punktuelle Probleme, da sind wir sicherlich beieinander. Es gibt auch verschiedene Schulen in Nordrhein-Westfalen, in denen schon einzelne Verbote bestehen. Da sind wir in der Pflicht, etwas zu regeln. Das gilt insbesondere für die Grundschulen. Ich bin in meinem Wahlkreis Bonn und Bad Godesberg selbst unmittelbar betroffen und habe insofern großes Interesse daran, dass da etwas geregelt wird. Aber Fakt ist: Es ist nur ein punktuelles und kein flächendeckendes Problem in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von der AfD)

– Ja, für Sie hat es eine besondere Symbolwirkung. Sie stellen sowieso viele Anträge und Gesetzentwürfe, die in den Bereich des Populismus gehen. Wir machen hier eine sachorientierte Politik. Das unterscheidet uns voneinander, meine sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Jetzt komme ich zu den Inhalten. Der dritte Grund ist ebenfalls entscheidend: Wir lehnen den Gesetzentwurf auch inhaltlich ab. So wie er formuliert ist, greift er nach unserer Auffassung zu kurz. Er ist vor allen Dingen auch nicht praktikabel. Wenn es nur um vollständig umschlossene Räumlichkeiten gehen soll, werden die punktuellen Probleme, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, damit nicht gelöst. Auch vor dem Hintergrund macht es gar keinen Sinn, hier zuzustimmen. Inhaltlich ist der Gesetzentwurf nicht zielführend.

Im Koalitionsvertrag steht etwas dazu. Wir machen etwas, aber nicht heute und nicht jetzt. Wir wollen es vor allen Dingen vernünftig und sachgerecht machen. Deswegen werden wir ein Gesetz in den Landtag einbringen.

Diesen nicht praktikablen Gesetzentwurf lehnen wir ab. Wir haben im Moment andere Probleme. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Katzidis. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf steht in einer Reihe zahlreicher anderer Anträge und auch Diskussionen insbesondere in Talkshows. Als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe, habe ich mir spaßeshalber gedacht: Vielleicht müsste man rein aus ästhetischen Gründen für einige Männer sogar eine Pflicht zur Verschleierung einführen. Dann habe ich mir gedacht: Wie schön wäre es mitunter, wenn man Kapuzen über den einen oder anderen Gedanken ziehen könnte.

Dann habe ich mich allerdings selbst ermahnt und an das erinnert, was unser Preußenkönig Friedrich der Große immer gesagt hat, nämlich: jeder nach seiner Fasson. Übersetzt bedeutet das: Ich erwarte von dir, dass du dich an die Gesetze hältst und mir Steuern zahlst; ansonsten kannst du machen, was du möchtest.

Das war es leider mit meinen Gedanken zur Pflicht der Gesichtsverschleierung oder zur „Ideenkapuze“. Es bleibt also doch nur wieder der umgekehrte Fall, also die Verpflichtung zur Nichtverschleierung, sollte nicht sogar auch das unter die unfassbare Freiheit der Entfaltungsmöglichkeit oder gar Religionsfreiheit fallen. Aber das soll jetzt gar nicht vertieft das Thema sein.

Ich sagte schon beim letzten Mal an dieser Stelle: Selbst wenn ich die Verschleierung ziemlich hässlich finde – gerade auch ethisch –, gefällt mir der zugrunde liegende Gedanke überhaupt nicht, dass sich Mann oder Frau selbst unsichtbar macht. Ich frage mich nun doch ernsthaft: In wie vielen Fällen ist es überhaupt nötig, sich mit einem Verschleierungsverbot in öffentlichen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen – darum geht es hier konkret – auseinanderzusetzen? Wie alltäglich sind die hier angenommenen und durch Rechtsetzung zu regelnden Fälle in unserem Land? Kurz: Wie wichtig ist das eigentlich gerade? Geht es also um ein reales Problem, um Symbolik, oder geht es hier wieder rein um das Thema „Gefühl“?

Es ist schon entscheidend, stets aus den richtigen Gründen schlechte Laune zu bekommen. Das berührt schlichtweg die Fragen: Welche ordnungspolitische Regelung ist notwendig? Was ist das drängende Problem, das einer aktuellen Fokussierung bedarf? Nicht ganz unerheblich dabei ist: Ist das, was ich mir gerade als zur Lösung Drängendes zusammenreime, überhaupt drängend real? Also: Gibt es das Problem überhaupt? Findet da tatsächlich etwas Unerhörtes statt? Falls ja, gibt es bislang keinerlei Handhabe dagegen?

Es wird Sie überraschen – es hat mich selbst auch ein wenig überrascht, und ich bin fast ein wenig erschreckt –, dass ich in diesem Punkt mit Bundesinnenminister de Maizière übereinstimme, der sinngemäß sagte, nicht alles, was man sich wünsche, müsse Gesetz werden.

Ich stimme auch mit dem Innenminister des Landes NRW, Herrn Reul, überein, der sinngemäß sagte, dass er eine drängende Relevanz der Gesetzesnotwendigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen könne und zahlreiche hypothetische Fälle bereits geregelt seien. Dazu kann ich nur sagen: Richtig so!

Wir sogenannten und von Ihnen immer thematisierten Altparteien kümmern uns lieber um reale anstehende und drängende Probleme.

(Zuruf von der AfD)

Das verstehen wir als unsere Pflicht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir kommen häufig auch zu unterschiedlichen Antworten. Manchmal dauert es ein wenig und ist mitunter nicht so wohlfeil anzuschauen, aber es hat Relevanz. Wir stochern eben nicht in Gefühlen, sondern tasten uns durch das Dickicht der Bedarfe.

Die Sorge um Pflege, die Sorge um die Rente, die Sorge um die Arbeit, die Fürsorge für Bedürftige, die Unterstützung von Alleinerziehenden, Bildung, Infrastruktur, Kitaversorgung, die Wahrnehmung von tatsächlichen Benachteiligungen von Frauen und das Führen eines angemessenen Diskurses auf zahlreichen Plattformen auch jenseits der gesetzlichen Regelungen, das alles sind wichtige Themen.

Ich sage Ihnen: Wer für die Menschen in unserem Land Politik machen möchte, wer ihre Lebensverhältnisse bewahren oder verbessern möchte, muss auch ihre tatsächlichen Lebensverhältnisse und Problemlagen beachten. Er muss sie ernst nehmen, um sich darum zu kümmern. Vermeintliche Nebenkriegsschauplätze, auf denen Sie sich so gern tummeln, bringen uns schlicht nicht weiter.

Gestalten des Nötigen ist das Gebot zu jeder Stunde. Daran halten wir uns und lehnen den Gesetzentwurf ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Bialas. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Pfeil.

Dr. Werner Pfeil (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Heute beraten wir in zweiter Lesung den Gesetzentwurf der AfD über das Verbot der Vollverschleierung in öffentlichen Gebäuden des Landes Nordrhein-Westfalen.

Bereits in der ersten Lesung am 15. September habe ich die Kritik der Freien Demokraten an dem Gesetzentwurf erläutert und auf die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen. Das Gericht hat die Prüfung des Bedarfs den nationalen Parlamenten überlassen. Dieser wurde von der AfD aber weder geprüft noch nachgewiesen noch beantragt.

Daneben enthält er aber auch handwerkliche Fehler. In privaten Einrichtungen – und damit zum Beispiel in privat betriebenen Bildungseinrichtungen und Kitas – soll das Verschleierungsverbot nicht greifen. Ich hatte darauf hingewiesen, dass ich dies aus integrationspolitischer Sicht für falsch halte. An dieser Feststellung hat sich bis heute nichts geändert. Denn in den Beratungen des Innen- und Rechtsausschusses haben die Vertreter der AfD jede inhaltliche Beschäftigung mit den gesetzlichen Details ihres Antrags unterlassen.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. Das bedeutet keineswegs, dass sich die Freien Demokraten dem Thema und der Auseinandersetzung nicht stellen wollen. Ich halte dies gerade in Bildungseinrichtungen für diskutierbar.

In Niedersachsen wurde jüngst das Schulgesetz geändert, um ein Verbot der Vollverschleierung im Schulbetrieb zu ermöglichen. Es gilt also, die Frage zu beantworten, ob ein solches Verbot notwendig, geboten und verhältnismäßig für unsere demokratische Gesellschaft und für die Integration in NRW ist.

Den Fragen, ob und gegebenenfalls inwieweit ein soziales Bedürfnis für ein Vollverschleierungsverbot besteht, wird sich die NRW-Koalition weiterhin stellen. Dafür benötigen wir aber keinen von der AfD abgeschriebenen Plagiatsgesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Grünen spricht jetzt Frau Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ausnahmsweise muss ich dem Innenminister einmal zustimmen. Das kommt selten genug vor, und jetzt ist er noch nicht einmal da.

(Zurufe: Doch!)

– Ach so, da. – Ich habe Sie leider übersehen. Entschuldigung, Herr Reul.

(Heiterkeit und Zurufe – Bodo Löttgen [CDU]: Er hat nicht damit gerechnet!)

Herr Reul, ich muss Ihnen ausnahmsweise einmal zustimmen. Im Innenausschuss hatten Sie gesagt, dass Sie für den Geschäftsbereich des Innenministeriums keine Dringlichkeit in diesem Themenfeld sehen. Für den Bereich der Beamtenstatusfragen sehen Sie noch nicht einmal eine Regelungsnotwendigkeit. Ich würde das gerne erweitern: Aus meiner Sicht besteht für den gesamten Gesetzentwurf keine Notwendigkeit, und deshalb werden die Grünen ihn auch ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Heute ist bereits geregelt, dass Beamtinnen ihr Gesicht bei der Ausübung ihres Dienstes nicht verhüllen dürfen. Dasselbe gilt für Richterinnen im Bundes- und Landesdienst. Soldatinnen dürfen innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen auch während ihrer Freizeit ihre Gesichter nicht verhüllen. Es gibt Änderungen im Personalausweisgesetz zur Identitätsfeststellung. Es gibt Änderungen im Bundeswahlgesetz. All das ist geregelt. Ein allgemeines Verbot der Gesichtsverhüllung in Verwaltungsgebäuden, Schulen, Schwimmbädern, Hochschulen gibt es bisher – aus meiner Sicht zu Recht – nicht.

Herr Wagner, Sie hatten bei der Einbringung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass die AfD eigentlich noch weitergehen würde. Sie möchten, dass entsprechende Kleidungsstücke im gesamten öffentlichen Raum verboten werden. Das ist das, was Sie eigentlich wollen.

Ich befürchte aber, dass Sie genau diese Kleidungsstücke doch aushalten müssen; denn das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken als Ausdruck des Glaubens ist grundgesetzlich geschützt. Es gibt zum einen die Bekenntnisfreiheit in Art. 4 des Grundgesetzes, und es gibt das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 des Grundgesetzes.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Insofern ist Ihr Vorhaben schon verfassungsrechtlich hoch bedenklich. Wir Grüne halten uns da lieber an die Verfassung und schützen diese.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auf eines möchte ich noch hinweisen: Ein entsprechendes Verbot hilft keiner einzigen Frau, die dazu gezwungen wird, eine Burka zu tragen. Sie gehen ja davon aus, dass jede Frau, die Entsprechendes trägt, unterdrückt wird.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Das allein finde ich schon ziemlich anmaßend. Eines ist ohnehin klar – das ist hier schon oft deutlich geworden –: Die AfD ist nicht die Partei, die sich für die Selbstbestimmungsrechte von Frauen einsetzt.

(Zuruf von der AfD: Doch!)

Ganz im Gegenteil! Das haben Sie an so vielen Stellen eindeutig bewiesen, in denen Sie ausfällig, antifeministisch und sexistisch geworden sind. Wir haben es hier im Plenum erlebt, es ist protokolliert. Das finden Sie in den Plenarprotokollen, dort können Sie es nachlesen. Insofern ersparen Sie uns solche Pseudoinitiativen, die Sie hier immer wieder an den Tag legen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Gesetz gehört sehr eindeutig genau in die Kategorie von parlamentarischen Initiativen, die das Ziel haben, auf Kosten von Minderheiten Hetze zu betreiben.

Ich will zum Schluss noch einmal zusammenfassen: Der Antrag ist schlicht nicht notwendig. Er genügt den hohen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Es ist integrations- und frauenpolitisch unsinnig, und er polarisiert gegen Minderheiten. Aus diesen vier Gründen werden die Grünen dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern ihn ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die AfD spricht Herr Kollege Wagner.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir wäre es lieber, Sie würden nicht unseren Gesetzentwurf zum Verschleierungsverbot ablehnen, sondern Sie würden stattdessen die Burka ablehnen.

(Beifall von der AfD)

Aber leider ist dem nicht so. Wenn das nur mir oder meiner Fraktion lieber gewesen wäre und Sie dem nicht zustimmen, muss man das, wenn man noch in der Opposition ist, hinnehmen. Aber es geht eben nicht nur meiner Fraktion und mir so, sondern 81 % der Deutschen sind dafür, Burka oder Niqab zumindest in Teilen der Öffentlichkeit zu untersagen,

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

wie Infratest dimap für den Deutschlandtrend des ARD-Morgenmagazins ermittelt hat. Jeder Zweite, also 51 %, spricht sich für ein generelles Verbot aus,

(Beifall von der AfD)

etwa jeder Dritte, 30 %, für ein Teilverbot, zum Beispiel im öffentlichen Dienst und in den Schulen. Aber nur 15 % der Befragten sind prinzipiell gegen ein Verbot der Vollverschleierung.

(Zuruf: Da seid ihr in der Minderheit!)

Schwarz, Rot, Gelb und Grün in diesem Hohen Hause repräsentieren in dieser Frage also zusammen gerade einmal 15 % der Bürger. – Glückwunsch!

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: So sieht es aus!)

Den 81 %, die für ein Burkaverbot sind, sagen Sie: Nein, da können wir nicht mitmachen; das hat keine Dringlichkeit, es kommt ja von der AfD. – Meine Damen und Herren, so schafft man auch Politikverdrossenheit.

Wenn wir darauf hinweisen, heißt es immer wieder, wir würden instrumentalisieren, oder wir gerierten uns als Opfer. Das ist natürlich Quatsch. Die Opfer sind nicht wir. Wir halten das aus. Die Opfer sind die Demokratie und die Menschen draußen im Land, die eine sachliche und anständige Politik verdient hätten, ohne überflüssiges Parteiengezänk.

Damit meine ich nicht, dass hier immer jeder jedem zustimmen muss. Natürlich nicht! Es ist aber nicht lange her, dass sich die Innenminister der Union aus Bund und Ländern für ein Verbot der Vollverschleierung in deutschen Gerichten, Ämtern, Schulen oder im Straßenverkehr starkgemacht haben. Der Vorstoß war Teil einer sogenannten Berliner Erklärung mit zahlreichen Forderungen, von denen sich die Minister von CDU und CSU – zugegebenermaßen natürlich im Wahlkampf, nicht in der Realität – mehr Sicherheit und eine bessere Integration in Deutschland versprachen.

Genauso einen Antrag legen wir vor, sogar absichtlich und ausdrücklich, wie ich bereits in der ersten Lesung erwähnt habe, auf Basis eines Antrags der CDU-Fraktion in Niedersachsen. Und Schwarz-Gelb in NRW kann dem nicht zustimmen?

Wenn Sie mir im Innenausschuss wenigstens gesagt hätten: „Das eine Komma im dritten Absatz möchten wir ändern und einen Satz grammatikalisch umstellen“, damit Sie hinterher sagen können, dass Sie unserem Antrag nicht wortgenau zugestimmt haben, hätten wir damit keine Probleme gehabt. Uns geht es nicht um das parteipolitische Klein-Klein. Das ist nicht unsere Art.

(Zuruf von der SPD)

Es sind ja nicht nur Länder wie Bayern oder Niedersachsen, nein. Kamerun schafft das. Die Republik Tschad, ein islamisches Land, bekommt das hin. Belgien, Österreich, Frankreich, Lettland, Bulgarien bekommen es hin. Aber NRW schafft es nicht, die Burka zu verbannen, nicht unter Rot-Grün – das war sowieso klar –, aber auch nicht unter Schwarz-Gelb.

(Beifall von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: Das muss man sich mal vorstellen!)

Im Ausschuss gab es dazu nicht einmal eine Wortmeldung der alten Fraktionen. Nur der Minister sagte, er sehe keine Dringlichkeit. Das ist klar, weil auch der Ministerpräsident keine Dringlichkeit in dieser Frage sieht und sich ohnehin links der Beschlüsse des CDU-Parteitags verortet. Ihm ist die Meinung seiner Partei genauso egal wie der geschäftsführenden Kanzlerin – der Kanzlerin, mit der er sein politisches Schicksal verbunden hat und der er an den Lippen klebt wie kaum ein Zweiter in der Union.

Hören wir uns doch mal an, was der Chef der Jungen Union Düsseldorf von dieser gemeinsamen Chefin hält. Ein paar Zitate aus seinem Interview mit der „WeLT“:

„Es rumort schon lange in unserer Partei.“

„Ich habe, ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass Frau Merkel so viel geleistet hat.“

„Die Grundstimmung ist schon lange negativ gegenüber der Kanzlerin.“

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU] – Helmut Seifen [AfD]: Hören Sie doch mal zu, was die jungen Leute sagen!)

„Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass sich die CDU sehr dem linken Milieu geöffnet hat.“

Das zu der angeblichen Mitte-rechts-Koalition, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Und er sagt:

„Wir wollen keine erneute Kandidatur von Frau Merkel als Spitzenkandidatin.“

– So weit Ulrich Wensel, der Vorsitzende der Düsseldorfer Jungen Union. Nicht nur die rheinisch-bergische JU, die WerteUnion und die Dortmunder Junge Union stimmen ihm zu, nein, meine Damen und Herren, ich auch – und mit mir 6 Millionen AfD-Wähler.

(Beifall von der AfD)

Auch die Entscheidung der CDU, das Burkaverbot hier und heute nicht mitzutragen oder zumindest nach Ihren Vorstellungen mitzuentwickeln, ist ein weiterer Nachweis ihres Linksdrifts.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Markus Wagner (AfD): Möglicherweise hilft ein weiteres Zitat des CDU-Delegierten Wolfgang Grieger aus Bad Doberan. Er sagte Frau Merkel, Ihrer großen Vorsitzenden, am letzten Wochenende ins Gesicht: …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Markus Wagner (AfD): … Sie sind machtversessen und unpatriotisch. Dann korrigierte er sich und sagte: antipatriotisch.

Ich komme zum Schluss.

(Henning Höne [FDP]: Danke!)

Das hier ist unser Land. In unserem Land geben wir uns zur Begrüßung die Hand, und zwar Männer und Frauen.

(Beifall von der AfD)

Wir zeigen Gesicht in unserem Land, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Markus Wagner (AfD): … und zwar Männer und Frauen. Ich sage Ihnen: Für mich, für die AfD und für 81 % der Deutschen gilt:

(Das Mikrofon wird ausgeschaltet.)

Die Burka gehört nicht zu Deutschland.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war der Abgeordnete Wagner. Die Redezeit war wirklich erheblich überschritten. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Reul.

Herbert Reul, Minister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche Sprüche, die hier gemacht werden, kann man kaum ertragen. Ich darf das einfach mal so sagen, obwohl es mir vielleicht nicht zusteht.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Politik ist anstrengend und mühsam. Dafür braucht man manchmal Zeit, und manchmal muss man für Sachen kämpfen. Aber lose, lockere Sprüche abzulassen, reicht da nicht.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Meinen Sie von den Grünen? – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Ich sage Ihnen das in aller Klarheit. Damit meine ich manche, die ich hier gehört habe, und manche, von denen ich in Zeitungen lese, damit das auch klar ist.

Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland mehr für Deutschland getan hat als manch einer von denen, die hier Sprüche klopfen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt zur Sache: Dass es bei der Gesichtsverschleierung gar keinen Dissens in diesem Hause gibt, dass sie unserem Verständnis von Gleichberechtigung, Integration und offener Kommunikation nicht entspricht, ist doch nicht das Problem. Das Problem ist, an welcher Stelle, unter welchen Bedingungen und wie man das differenziert beantwortet. Das haben die Vertreter von vier Fraktionen hier differenziert und klar vorgetragen.

(Andreas Keith [AfD]: Was?)

Da kann man nicht mit so einem Simsalabim-Gesetzentwurf meinen, das Problem sei gelöst, sondern da muss man sich schon der Mühe unterziehen, präzise zu sagen, an welchen Stellen es geht und an welchen Stellen nicht.

(Beifall von Marc Lürbke [FDP])

Da ich mich sehr gefreut habe, dass die beiden Oppositionsparteien mich gelobt haben, rede ich jetzt nicht weiter, sonst verscherze ich mir das noch.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP – Heiterkeit von der SPD – Nadja Lüders [SPD]: Für immer?)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Reul. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Da könnten Sie sogar recht haben.

(Heiterkeit von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/1312, den Gesetzentwurf Drucksache 17/522 abzulehnen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Gesetzentwurf Drucksache 17/522 abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

10 Wahl der Mitglieder für die Ausschüsse zur Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen/ehrenamtlichen Richter bei dem Oberverwaltungsgericht und den Verwaltungsgerichten des Landes Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1326

Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 17/1307

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1337

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen damit sofort zur Abstimmung, und zwar erstens über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1326. Wer möchte diesem Wahlvorschlag zustimmen? – Das sind die grüne Fraktion, die SPD-Fraktion, die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion, die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Pretzell und Langguth. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist ebenfalls nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1326 einstimmig angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, nämlich über den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU Drucksache 17/1307. Wer möchte diesem Wahlvorschlag zustimmen? – Das sind die CDU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die FDP-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD und die beiden bereits zweimal namentlich genannten fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Auch keine. Dann ist auch dieser Wahlvorschlag, diesmal der Fraktion der CDU, Drucksache 17/1307 einstimmig angenommen.

Wir kommen zur dritten Abstimmung, und zwar über den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1337. Wer möchte diesem Wahlvorschlag zustimmen? – Das sind SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP-Fraktion, die AfD-Fraktion, einzelne Abgeordnete der CDU-Fraktion und die beiden bereits mehrfach namentlich genannten fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Auch niemand. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Wahlvorschlag der SPD-Fraktion Drucksache 17/1337 angenommen. Ich glaube, es gibt gleich noch Gesprächsbedarf.

Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 10.

Ich rufe auf:

11 Zustimmung des Landtags Nordrhein-Westfalen gemäß § 64 Abs. 2 LHO zur Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) – Bebautes Grundstück in Bonn

Antrag
des Ministeriums der Finanzen
gemäß § 64 Absatz 2 LHO
Vorlage 17/229

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 17/1146

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen unmittelbar zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der Drucksache 17/1146, der Vorlage 17/229 zuzustimmen und damit in die Grundstücksveräußerung einzuwilligen. Wer stimmt dem Antrag des Ministeriums der Finanzen zu? – Das sind CDU-Fraktion, FDP-Fraktion, AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt dagegen? – Niemand.


Wer möchte sich enthalten? – SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis dem Antrag des Ministeriums der Finanzen Vorlage 17/229 zugestimmt worden, und der Landtag hat in die Grundstücksveräußerung eingewilligt.

Ich rufe auf:

12 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 2
gem. § 82 Abs. 2
der Geschäftsordnung

Drucksache 17/1313

Abstimmungsergebnisse
der Ausschüsse
17/1114 ASB
17/1291 (EA) ASB

Die Übersicht 2 enthält zwei Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Ihnen vorliegenden Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen entsprechend der Übersicht 2 abstimmen. Möchte jemand dagegen stimmen? – Nein. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht. Zustimmung? – Alle im Haus vertretenen Fraktionen und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Damit sind die in der Drucksache 17/1313 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse bestätigt.

Ich rufe auf:

13 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 17/6
gemäß § 97 Abs. 8
der Geschäftsordnung

Gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses mindestens vierteljährlich dem Landtag zur Bestätigung vorzulegen. Ihnen liegen mit der Übersicht 17/6 Beschlüsse zu Petitionen vor, über deren Bestätigung wir jetzt abstimmen. Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer möchte der Bestätigung zustimmen? – Die SPD, die FDP, die AfD, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU, die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Auch keine. Damit sind die Beschlüsse des Petitionsausschusses, wie in Übersicht 17/6 dargestellt, bestätigt worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 30. November 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche einen angenehmen Nachmittag, weitere gute Beratungen und Verrichtungen in den Wahlkreisen und hier im Haus.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:28 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


 

Anlage 1 (namentliche Abstimmung)

Rohrleitungsgesetz aufheben und CO-Pipeline stoppen!Drucksache 17/1281

 

 


Lfd.
Nr.


Name des Abgeordneten


Fraktion

Abstimmung


ja


nein

Stimm-
ent-
haltung

1

 Frau Altenkamp

SPD

 

X

 

2

 Frau Aymaz

GRÜNE

X

 

 

3

 Herr Baran

SPD

 

X

 

4

 Herr Beckamp

AfD

entschuldigt

5

 Herr Becker, Andreas

SPD

 

X

 

6

 Herr Becker, Horst

GRÜNE

X

 

 

7

 Frau Beer

GRÜNE

X

 

 

8

 Herr Bell

SPD

 

X

 

9

 Herr van den Berg

SPD

 

X

 

10

 Herr Dr. Berger

CDU

 

X

 

11

 Herr Berghahn

SPD

 

X

 

12

 Herr Dr. Bergmann

CDU

 

X

 

13

 Herr Bialas

SPD

 

X

 

14

 Herr Biesenbach

CDU

 

X

 

15

 Herr Bischoff

SPD

 

X

 

16

 Herr Dr. Blex

AfD

 

X

 

17

 Herr Blöming

CDU

 

X

 

18

 Herr Blondin

CDU

 

X

 

19

 Herr Börner

SPD

 

X

 

20

 Herr Börschel

SPD

 

X

 

21

 Herr Bolte-Richter

GRÜNE

X

 

 

22

 Herr Bombis

FDP

 

X

 

23

 Frau Bongers

SPD

 

X

 

24

 Herr Boss

CDU

 

X

 

25

 Herr Prof. Dr. Bovermann

SPD

 

X

 

26

 Herr Braun

CDU

 

X

 

27

 Frau Brems

GRÜNE

X

 

 

28

 Herr Brockes

FDP

 

X

 

29

 Herr Brockmeier

FDP

 

X

 

30

 Frau Dr. Büteführ

SPD

 

X

 

31

 Frau Butschkau

SPD

 

X

 

32

 Herr Dahm

SPD

 

X

 

33

 Herr Deppe

CDU

 

X

 

34

 Herr Déus

CDU

 

X

 

35

 Herr Deutsch

FDP

 

X

 

36

 Herr Diekhoff

FDP

 

X

 

37

 Herr Dudas

SPD

 

X

 

38

 Frau Düker

GRÜNE

X

 

 

39

 Frau Dworeck-Danielowski

AfD

 

X

 

40

 Frau Erwin

CDU

 

X

 

41

 Herr Fortmeier

SPD

 

X

 

42

 Herr Franken

CDU

 

X

 

43

 Frau Freimuth

FDP

 

X

 

44

 Herr Freynick

FDP

 

X

 

45

 Herr Frieling

CDU

 

X

 

46

 Frau Fuchs-Dreisbach

CDU

 

X

 

47

 Herr Ganzke

SPD

 

X

 

48

 Frau Gebauer, Katharina

CDU

 

X

 

49

 Frau Gebauer, Yvonne

FDP

 

X

 

50

 Frau Gebhard

SPD

 

X

 

51

 Herr Dr. Geerlings

CDU

 

X

 

52

 Herr Göddertz

SPD

 

X

 

53

 Frau Gödecke

SPD

 

X

 

54

 Herr Goeken

CDU

 

X

 

55

 Herr Golland

CDU

 

X

 

56

 Herr Hafke

FDP

 

X

 

57

 Herr Hagemeier

CDU

 

X

 

58

 Frau Hammelrath

SPD

entschuldigt

59

 Frau Hannen

FDP

 

X

 

60

 Herr Haupt

FDP

 

X

 

61

 Herr Herter

SPD

 

X

 

62

 Herr Höne

FDP

 

X

 

63

 Herr Hoppe-Biermeyer

CDU

 

X

 

64

 Herr Hovenjürgen

CDU

 

X

 

65

 Herr Hübner

SPD

 

X

 

66

 Herr Jäger

SPD

 

X

 

67

 Herr Jahl

SPD

 

X

 

68

 Herr Jörg

SPD

 

X

 

69

 Herr Kämmerling

SPD

 

X

 

70

 Herr Kaiser

CDU

 

X

 

71

 Herr Kamieth

CDU

 

X

 

72

 Frau Kampmann

SPD

 

X

 

73

 Frau Kapteinat

SPD

 

X

 

74

 Herr Dr. Katzidis

CDU

 

X

 

75

 Herr Kehrl

CDU

 

X

 

76

 Herr Keith

AfD

 

X

 

77

 Herr Kerkhoff

CDU

 

X

 

78

 Herr Keymis

GRÜNE

X

 

 

79

 Herr Klenner

CDU

 

X

 

80

 Herr Klocke

GRÜNE

X

 

 

81

 Herr Körfges

SPD

entschuldigt

82

 Herr Körner

FDP

 

X

 

83

 Frau Kopp-Herr

SPD

 

X

 

84

 Frau Korte

CDU

 

X

 

85

 Herr Korth

CDU

 

X

 

86

 Herr Kossiski

SPD

 

X

 

87

 Frau Kraft

SPD

entschuldigt

88

 Herr Kramer

SPD

 

X

 

89

 Herr Krauß

CDU

 

X

 

90

 Herr Krückel

CDU

 

X

 

91

 Herr Kuper

CDU

 

X

 

92

 Herr Kutschaty

SPD

 

X

 

93

 Herr Langguth

fraktionslos

 

X

 

94

 Herr Laschet

CDU

 

X

 

95

 Herr Lehne

CDU

 

X

 

96

 Herr Lenzen

FDP

 

X

 

97

 Herr Lienenkämper

CDU

entschuldigt

98

 Herr Löcker

SPD

 

X

 

99

 Herr Löttgen

CDU

 

X

 

100

 Herr Loose

AfD

 

X

 

101

 Frau Lück

SPD

 

X

 

102

 Frau Lüders

SPD

 

X

 

103

 Herr Lürbke

FDP

 

X

 

104

 Frau Lux

SPD

entschuldigt

105

 Herr Dr. Maelzer

SPD

 

X

 

106

 Herr Mangen

FDP

 

X

 

107

 Herr Matheisen

FDP

 

X

 

108

 Herr Middeldorf

FDP

 

X

 

109

 Herr Moritz

CDU

 

X

 

110

 Herr Mostofizadeh

GRÜNE

X

 

 

111

 Herr Müller, Frank

SPD

 

X

 

112

 Herr Müller, Holger

CDU

 

X

 

113

 Frau Müller-Rech

FDP

 

X

 

114

 Frau Müller-Witt

SPD

 

X

 

115

 Herr Dr. Nacke

CDU

 

X

 

116

 Herr Neppe

fraktionslos

 

X

 

117

 Herr Nettekoven

CDU

 

X

 

118

 Herr Neumann

SPD

 

X

 

119

 Herr Dr. Nolten

CDU

 

x

 

120

 Herr Nückel

FDP

 

X

 

121

 Frau Oellers

CDU

 

X

 

122

 Herr Dr. Optendrenk

CDU

 

X

 

123

 Herr Ott

SPD

 

X

 

124

 Herr Panske

CDU

 

X

 

125

 Frau Paul, Josefine

GRÜNE

X

 

 

126

 Herr Paul, Stephen

FDP

 

X

 

127

 Frau Dr. Peill

CDU

 

X

 

128

 Herr Petelkau

CDU

 

X

 

129

 Herr Dr. Pfeil

FDP

 

X

 

130

 Frau Philipp

SPD

 

X

 

131

 Frau Plonsker

CDU

 

X

 

132

 Herr Pretzell

fraktionslos

 

X

 

133

 Herr Preuß

CDU

 

X

 

134

 Frau Quik

CDU

 

X

 

135

 Herr Rasche

FDP

 

X

 

136

 Herr Rehbaum

CDU

 

X

 

137

 Herr Remmel

GRÜNE

X

 

 

138

 Herr Reuter

FDP

 

X

 

139

 Herr Ritter

CDU

 

X

 

140

 Herr Rock

CDU

 

X

 

141

 Herr Röckemann

AfD

 

X

 

142

 Herr Römer

SPD

 

X

 

143

 Herr Prof. Dr. Rudolph

SPD

 

X

 

144

 Herr Rüße

GRÜNE

X

 

 

145

 Frau dos Santos Herrmann

SPD

 

X

 

146

 Frau Schäffer

GRÜNE

X

 

 

147

 Herr Schick

CDU

 

X

 

148

 Frau Schlottmann

CDU

 

X

 

149

 Herr Schmeltzer

SPD

 

X

 

150

 Herr Schmitz

CDU

 

X

 

151

 Herr Schneider, René

SPD

 

x

 

152

 Frau Schneider, Susanne

FDP

 

X

 

153

 Herr Schnelle

CDU

 

X

 

154

 Herr Scholz

CDU

 

X

 

155

 Herr Schrumpf

CDU

 

X

 

156

 Herr Schultheis

SPD

abwesend

157

 Frau Schulze

SPD

 

X

 

158

 Frau Schulze Föcking

CDU

 

X

 

159

 Herr Seifen

AfD

 

X

 

160

 Herr Sieveke

CDU

 

X

 

161

 Frau Spanier-Oppermann

SPD

 

X

 

162

 Herr Dr. Stamp

FDP

 

X

 

163

 Frau Steffens

GRÜNE

X

 

 

164

 Herr Stinka

SPD

 

X

 

165

 Frau Stock

SPD

 

X

 

166

 Frau Stotz

SPD

 

X

 

167

 Herr Sträßer

CDU

 

X

 

168

 Herr Strotebeck

AfD

 

X

 

169

 Frau Stullich

CDU

 

X

 

170

 Herr Sundermann

SPD

 

X

 

171

 Herr Terhaag

FDP

 

X

 

172

 Herr Tigges

CDU

 

X

 

173

 Herr Tritschler

AfD

 

X

 

174

 Frau Troles

CDU

 

X

 

175

 Herr Dr. Untrieser

CDU

 

X

 

176

 Herr Dr. Vincentz

AfD

 

X

 

177

 Herr Voge, Marco

CDU

 

X

 

178

 Herr Vogel, Nic Peter

AfD

 

X

 

179

 Herr Vogt, Alexander

SPD

 

X

 

180

 Frau Vogt, Petra

CDU

 

X

 

181

 Frau Voigt-Küppers

SPD

 

X

 

182

 Frau Voßeler

CDU

 

X

 

183

 Herr Voussem

CDU

 

X

 

184

 Herr Wagner

AfD

 

X

 

185

 Frau Walger-Demolsky

AfD

 

X

 

186

 Frau Watermann-Krass

SPD

 

X

 

187

 Herr Watermeier

SPD

 

X

 

188

 Herr Weiß

SPD

 

X

 

189

 Frau Wendland

CDU

 

X

 

190

 Frau Weng

SPD

 

X

 

191

 Frau Wermer

CDU

 

X

 

192

 Herr Weske

SPD

 

X

 

193

 Frau Winkelmann

CDU

 

X

 

194

 Herr Witzel

FDP

 

X

 

195

 Herr Wolf

SPD

 

X

 

196

 Herr Wüst

CDU

 

X

 

197

 Herr Yetim

SPD

 

X

 

198

 Herr Yüksel

SPD

abwesend

199

 Herr Zimkeit

SPD

 

X

 

 

Ergebnis

 

14

177

0