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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/13

17. Wahlperiode

17.11.2017

 

13. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 17. November 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 3

1   Kann der Multilobbyist Friedrich Merz die Interessen von Nordrhein-Westfalen beim Brexit vertreten?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1159. 3

Thomas Kutschaty (SPD) 3

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 5

Monika Düker (GRÜNE) 6

Thomas Nückel (FDP) 7

Markus Wagner (AfD) 9

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 10

Svenja Schulze (SPD) 12

Dr. Günther Bergmann (CDU) 13

Johannes Remmel (GRÜNE) 15

Thomas Nückel (FDP) 16

Markus Wagner (AfD) 16

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 17

2   Zukunftskonzept Schulsozialarbeit erarbeiten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1121. 18

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD) 18

Frank Rock (CDU) 18

Franziska Müller-Rech (FDP) 20

Sigrid Beer (GRÜNE) 21

Helmut Seifen (AfD) 22

Ministerin Yvonne Gebauer 23

Jochen Ott (SPD) 24

Ergebnis. 24

3   Das Gift vom Acker holen – Keine weitere Zulassung von Glyphosat!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1120. 24

Norwich Rüße (GRÜNE) 24

Heinrich Frieling (CDU) 26

André Stinka (SPD) 27

Markus Diekhoff (FDP) 28

Dr. Christian Blex (AfD) 30

Ministerin Christina Schulze Föcking. 31

Johannes Remmel (GRÜNE) 32

Dr. Martin Vincentz (AfD) 33

Bianca Winkelmann (CDU) 34

André Stinka (SPD) 34

Ergebnis. 35

4   Verkleinerung des Landtages NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1126. 35

Herbert Strotebeck (AfD) 35

Daniel Hagemeier (CDU) 36

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 37

Henning Höne (FDP) 38

Verena Schäffer (GRÜNE) 40

Ergebnis. 41

5   Zweizügige Fortführung von Sekundarschulen ermöglichen – Eltern, Lehrern und Gemeinden im ländlichen Raum Planungssicherheit geben

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1114. 41

Dietmar Panske (CDU) 42

Franziska Müller-Rech (FDP) 43

Carina Gödecke (SPD) 44

Norwich Rüße (GRÜNE) 45

Helmut Seifen (AfD) 46

Ministerin Yvonne Gebauer 47

Ergebnis. 49

6   Gesetz zur Stärkung der persönlichen Freiheit im Rahmen des Nichtraucherschutzes in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/73

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/973

zweite Lesung. 49

Jochen Klenner (CDU) 49

Serdar Yüksel (SPD) 49

Susanne Schneider (FDP) 50

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 50

Sven Werner Tritschler (AfD) 50

Minister Karl-Josef Laumann. 51

Ergebnis. 51

7   NRW muss auf Bundesebene Impulsgeber für eine Neuausrichtung der Energieeinsparverordnung werden

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1112. 51

Ergebnis. 51


Entschuldigt waren:

Ministerin Ina Scharrenbach

Minister Dr. Joachim Stamp

Michael Hübner (SPD)

Dr. Dennis Maelzer (SPD)

Andreas Bialas (SPD)

Josefine Paul (GRÜNE)
(ab 13 Uhr)

Siegrid Beer (GRÜNE)  
(ab 12 Uhr)

Thomas Röckemann (AfD)

 


Beginn: 10:04 Uhr

Präsident André Kuper: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle zu unserer heutigen, 13. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne und an den Medien sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ich rufe auf:

1   Kann der Multilobbyist Friedrich Merz die Interessen von Nordrhein-Westfalen beim Brexit vertreten?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1159

Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 13. November 2017 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Kutschaty das Wort. Bitte schön.

Thomas Kutschaty (SPD): Guten Morgen! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal mehr haben wir der Presse entnehmen müssen, dass die Landesregierung Verantwortung auslagert. Einmal mehr mussten wir erleben, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Interessen unseres Landes in die Hände von Lobbyisten gibt. Einmal mehr zeigt diese Landesregierung, dass sie wirklich jede Art von Fingerspitzengefühl vermissen lässt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Der Ministerpräsident verkündet stolz: Friedrich Merz soll Brexit-Beauftragter unseres Landes werden.

Die Öffentlichkeit fragt sich zu Recht: Warum bedarf es eigentlich eines solchen Beauftragten? Die Notwendigkeit erschließt sich von alleine ja erst einmal nicht.

Mehr noch: Diese Benennung ist ein fatales Signal. Die Folgen des Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union stellen natürlich auch Nordrhein-Westfalen vor große Herausforderungen. Eine Frage mit dieser Bedeutung für unser Land muss allerdings Chefsache in den Ministerien sein und darf nicht an Externe delegiert werden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Aber ganz offensichtlich lässt sich da ein System ableiten. Bereits die konzeptionelle Ausrichtung der inneren Sicherheit wurde dem zuständigen Minister entzogen und an die sogenannte Bosbach-Kommission delegiert – eine nur schemenhafte Gestalt, über deren Arbeit die Bürgerinnen und Bürger sowie das Parlament so gut wie nichts erfahren.

Das erweckt den Eindruck, als wolle man sich generalstabsmäßig der Beteiligung des Parlaments und der Information der Öffentlichkeit durch die wiederholte Auslagerung von Kernzuständigkeiten der Regierung entziehen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Aber vielleicht, meine Damen und Herren von der Landesregierung, ist es vor diesem Hintergrund einfach nur folgerichtig und ein ehrlicher Ausdruck ihrer politischen Grundüberzeugungen, dass Sie einen Beauftragten benannt haben, der als hartnäckiger Transparenzverweigerer in die Geschichte des Deutschen Bundestages eingegangen ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Friedrich Merz war es, der gemeinsam mit acht anderen Bundestagsabgeordneten 2006 gegen die Transparenzregeln für Politikergehälter geklagt hat.

Das zeigt aber auch, dass der Ministerpräsident seinen Ministern schlichtweg die Kompetenz für diese wichtige Fragestellung nicht zutraut. Probleme dieser Größenordnung müssen gelöst werden, und zwar vom Kabinett.

In der Pressemitteilung vom 7. Oktober 2017 hat der Ministerpräsident deutlich gemacht, dass – ich darf zitieren – nur eine erfahrene, gut vernetzte und durchsetzungsstarke Persönlichkeit mit politischer Expertise für dieses Amt in Betracht komme.

Anscheinend fehlt ihm in seiner Landesregierung diese Fachexpertise für die großen gesellschaftlichen und finanzpolitischen Fragen der Europäischen Union, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Nach dem Innenminister wird nun auch der Europaminister in seinen Kompetenzen beschnitten, obwohl Sie ja, lieber Herr Kollege Dr. Holthoff-Pförtner, ein bisschen mehr Zeit gewonnen haben, nachdem Ihnen ein Aufgabenbereich ja schon genommen worden ist.

Wie sieht die bisherige personalpolitische Bilanz dieser Landesregierung aus? – Ein Medienminister, der als Medienmiteigentümer wegen Befangenheit von dem Posten abgezogen werden musste; ein Innenminister, der sein Mandat im Europaparlament erst eine Woche nach seiner Ernennung zum Minister niederlegte; eine Landwirtschaftsministerin, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, politische Forderungen auf ihrem familiären Hof nicht ganz so genau zu nehmen; ein Justizminister, der erst nach starkem Druck der Opposition sein rechtlich unzulässiges Kreistagsmandat niederlegt.

Aber für die Landesregierung – so hat es zumindest der Ministerpräsident dargelegt – erschöpft sich die Tätigkeit des Brexit-Beauftragten ganz offensichtlich darin, die Beziehungen zu Großbritannien zu stärken. So sagte es zumindest Herr Laschet in öffentlichen Äußerungen.

Das greift bei dieser wichtigen politischen Fragestellung aber deutlich zu kurz; denn die Interessen von Nordrhein-Westfalen beim Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union müssen auch durchaus kontrovers verhandelt werden.

Für Nordrhein-Westfalen wird es beim Brexit insbesondere zwei große Problemfelder geben, die einer Antwort bedürfen.

Erstens steht die Frage im Raum, welche Rechte Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen zukünftig in Großbritannien haben werden. Im Umkehrschluss gilt natürlich auch die Frage, welche Rechte die Briten hier in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen haben werden.

Die zweite Frage betrifft die Finanzen der Europäischen Union. Für den EU-Haushalt wird es erhebliche Auswirkungen haben, wenn der zweitgrößte Geldgeber demnächst wegfallen wird. Übrigens kann es dadurch auch Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen geben, die die Regionalfördermittel hier für unser Bundesland betreffen.

Beide Punkte liegen allerdings nicht in der ausschließlichen Entscheidungskompetenz von Nordrhein-Westfalen. Man muss sich auf höchster Bundesebene dafür einsetzen, die Europäische Union mit angemessenen Finanzmitteln auszustatten, von denen wiederum auch Nordrhein-Westfalen profitieren kann.

Mit starker Stimme und Legitimation muss hier von der höchsten Regierungsebene Lobbyarbeit für Nordrhein-Westfalen gemacht werden.

Dass nun Nordrhein-Westfalen stattdessen die Arbeit für Lobbyisten macht, zeigt, dass die Dramatik der Situation bei der Landesregierung noch nicht angekommen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Aber – Herrgott noch mal! – wenn schon einen Brexit-Beauftragten, liebe Landesregierung, warum dann ausgerechnet Friedrich Merz?

(Zuruf von der CDU)

Bei allem Respekt vor der Arbeitsleistung von Herrn Merz: Er hat sich seinerzeit bewusst gegen die Politik und für eine privatwirtschaftliche Karriere entschieden. Teils frustriert, teils gedemütigt war das eine ganz bewusste Entscheidung gegen die Politik von Angela Merkel.

Wie soll sich nun ein solcher Friedrich Merz bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel für Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit dem Brexit einsetzen? Die Zeiten, in denen er Briefe mit „Liebe Angela“ begonnen hat, dürften doch vorbei sein.

(Hannelore Kraft [SPD]: Aber dafür wird er dann Aufsichtsrat!)

Fraglich und schwer zu trennen ist dann auch, wer denn für Nordrhein-Westfalen am Verhandlungstisch sitzt. Der Brexit-Beauftragte? Der deutsche Chefaufseher von BlackRock? Der Anwalt mit nicht näher benannten Mandanten im Hintergrund? Kann er diese Interessen überhaupt in Einklang bringen?

Nicht zuletzt die Panama und Paradise Papers haben gezeigt, dass die Interessen der Global Player nicht immer deckungsgleich mit den Interessen unseres Landes sind.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Freundlich ausgedrückt!)

Hemmungslos vermarktet die internationale Finanzindustrie Steueroasen und entzieht den Staaten Gelder in Milliardenhöhe – Gelder übrigens, die nachher auch der Europäischen Union fehlen.

Nun soll der Vertreter eines Finanzdienstleisters, der weltweit 4,7 Billionen Dollar verwaltet, die Interessen von Nordrhein-Westfalen vertreten? Meine Damen und Herren von der Landesregierung, mit dieser Entscheidung haben Sie doch den Bock zum Gärtner gemacht!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Herr Merz war ja schon einmal für die Landesregierung von Herrn Rüttgers tätig, um im Bankenbereich zu vermitteln und zu verhandeln. Damals hat er Tagessätze von 5.000 € bekommen. Jetzt soll er offensichtlich ehrenamtlich arbeiten. Das ist schon einmal ein Fortschritt. Vielleicht soll dadurch ja die Aufblähung des Beamtenapparats in den Ministerien verdeckt werden.

Aber uns allen stellen sich doch folgende Fragen: Wie ist Herr Merz in die Kabinettsarbeit eingebunden? Welchen Arbeitsauftrag hat er? Wer regiert mit? Was sagen denn seine Auftraggeber überhaupt zu dieser Berufung? Welche Verschwiegenheitspflichten hat er?

Wir haben also eine ganze Menge Fragen, lieber Herr Holthoff-Pförtner. Ich hoffe, dass Sie sie beantworten können. Noch besser wäre allerdings, Sie würden diese Entscheidung noch einmal grundsätzlich überdenken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kutschaty. – Für die CDU erteile ich Herrn Dr. Optendrenk das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen braucht in dieser Situation Niveau statt Nörgelei.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD)

Nörgelei ist das, Herr Kutschaty, was wir hier gerade zu Beginn der Debatte erlebt haben. Niveau ist allerdings das, was jetzt erforderlich ist, um den großen Herausforderungen auf europäischer und internationaler Ebene als größtes Bundesland gerecht zu werden.

Der bevorstehende Austritt des Vereinigten Königreichs, meistens einfach nur Brexit genannt, gehört gerade für unser Bundesland Nordrhein-Westfalen zu diesen besonderen Herausforderungen.

Ich darf an Folgendes erinnern: Vor etwas mehr als einem Jahr hat die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hier in Düsseldorf mit großem Gefolge Prinz William empfangen. Wir haben im Oktober 2016 hier im Landtag gemeinsam im „70 Jahre Nordrhein-Westfalen“ mit einem Festakt gefeiert. Alle Beteiligten haben damals die hervorragende Bedeutung Großbritanniens für unser Bundesland betont.

Als am 6. Juni 1946 mit der Operation Marriage das neue Land Nordrhein-Westfalen gegründet wurde, standen die Briten an der Wiege dieses Gebildes.

(Zurufe von Marc Herter [SPD] und Dietmar Bell [SPD] – Gegenruf von der CDU)

In der Folgezeit hat es dann immer engere Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und Großbritannien gegeben.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Völkerverständigung, Herr Kollege Mostofizadeh, und Aussöhnung gehören zur gemeinsamen Geschichte.

(Weitere Zurufe)

Ich denke, es ist ein Zeichen Ihrer Toleranz und Geduld, dass Sie jetzt zunächst einmal zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Heute ist Großbritannien mit einem jährlichen Handelsvolumen von deutlich über 22 Milliarden € der viertgrößte Handelspartner unseres Landes, dicht hinter Frankreich. Britische Unternehmen sind mit fast 12 Milliarden € pro Jahr die drittgrößten Investoren in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 1.500 dieser Unternehmen mit mehr als 82.000 Arbeitnehmern produzieren hier und schaffen bei uns Wertschöpfung und Arbeit.

Wer sich die Geschichte unseres Bundeslandes vor Augen führt und die wirtschaftlichen Verflechtungen im Blick hat, für den ist klar: Der Brexit ist auch für unser Land ein tiefer Einschnitt. Der Brexit ist nichts Abstraktes irgendwo weit entfernt. Der Brexit ist nicht nur für die Briten aller Voraussicht nach eine tragische Fehlentscheidung. Er ist auch für uns eine besondere Herausforderung.

Denn: Was soll aus den gemeinsamen Wurzeln werden? Was soll aus den Beziehungen zwischen den Menschen werden? Was soll aus den wirtschaftlichen Beziehungen werden? Wie wirkt sich das alles auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt bei uns aus? Wie können wir den Schaden begrenzen, der hier angerichtet wurde? Wie können wir Brücken aufrechterhalten? Wo können wir vielleicht sogar Brückenbauer sein?

Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Nordrhein-Westfalen braucht die besten Köpfe, die an solchen Lösungen gemeinsam mit der Landesregierung, dem Landtag und unserer Gesellschaft arbeiten.

Die Landesregierung hat für diese Situation einen ganz besonderen Brexit-Beauftragten berufen, der sich speziell um diese Fragen kümmern soll – jemanden, der nicht im Tagesgeschäft verhaftet ist; jemanden, der nicht in der Linie arbeitet; jemanden, der nicht einfach nur in die vielen Baustellen eingebunden ist, die Sie als rot-grüne Landesregierung uns hinterlassen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD)

Sie hat jemanden berufen, der aus seiner Zeit im Europäischen Parlament über Erfahrungen in Brüssel und mit den Briten verfügt und sich mit seiner internationalen Erfahrung als Anwalt im Wirtschaftsleben einen Namen gemacht hat. Sie hat jemanden berufen, der als Vorsitzender der Atlantik-Brücke über beste Verbindungen in den angloamerikanischen Raum verfügt. Und sie hat jemanden berufen, der – das vergessen Sie – in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist, wohnt und arbeitet und sich mit diesem Land identifiziert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die CDU-Landtagsfraktion ist davon überzeugt, dass Friedrich Merz als Brexit-Beauftragter des Landes bestens geeignet ist, die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen und seiner Bürgerinnen und Bürger engagiert und kompetent zu vertreten.

(Beifall von der CDU)

Nordrhein-Westfalen braucht Menschen, die ihr Wissen und ihr Können zum Wohle des Landes einsetzen – und das in besonderen Situationen und bei schwierigen Fragen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Es stellt sich aber eine andere Frage, Herr Kutschaty: Was brauchen wir dagegen nicht? Wir brauchen nicht die Nörgelei von Politikern, die ihre eigene Hilflosigkeit beim Regieren über sieben Jahre eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es kommt doch wohl kaum einer auf die Idee, dass Sie im Mai dieses Jahres abgewählt wurden, weil Sie die Interessen der Menschen in Nordrhein-Westfalen, in Düsseldorf, in Berlin oder in Brüssel besonders kraftvoll und überzeugend vertreten hätten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie sehr sich übrigens die alte Landesregierung der Interessenwahrnehmung auf dem europäischen Parkett verweigert hat, kann man daran erkennen, dass sie bei einer Ressortumbildung seinerzeit dem Chef der Staatskanzlei, der schon genug zu tun hatte, auch noch die Aufgabe des Bundes- und Europaministers übertragen hat. Bei allem Respekt vor seiner Person: Das konnte er alleine gar nicht schaffen.

Das Ergebnis war eine entsprechend schwache Performance in Berlin und in Brüssel.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt nörgeln Sie, dass der Ministerpräsident einen starken Repräsentanten unserer Landesinteressen für den Brexit beruft.

(Zuruf von der SPD)

Mich beschleicht dabei der Gedanke, dass der einzige Interessenkonflikt bei diesem Thema auf Ihrer Seite liegt. Offensichtlich haben Sie gar kein Interesse daran, dass die Interessen Nordrhein-Westfalens beim Brexit engagiert und kompetent wahrgenommen werden. Sie haben ein ganz eigenes Interesse. Das ist eben auch sehr deutlich geworden. Sie haben das Interesse am Kaschieren Ihrer eigenen Mittelmäßigkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Frechheit!)

Der Konflikt besteht nämlich in dem Unterschied zwischen Niveau und Nörgelei. Leider haben Sie sich für Nörgelei entschieden. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die Grünen erteile ich der Abgeordneten Frau Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Optendrenk, Sie haben hier viel von Interessenvertretung gesprochen. Schauen wir uns einmal an, welche Interessen der neue Beauftragte im Übrigen vertritt: Er ist in den Aufsichtsräten von AXA Konzern AG, DBV-Winter-thur Holding AG, Deutsche Börse AG, der IVG Immobilien AG, der WEPA Industrieholding. Er ist in den Verwaltungsräten von BASF Antwerpen, Stadler Rail AG und HSBC Trinkaus & Burkhardt AG sowie im Aufsichtsrat dieser Bank. Er ist des Weiteren in den Beiräten von Commerzbank AG und – dort ist er nicht mehr im Aufsichtsrat – Borussia Dortmund.

(Gordan Dudas [SPD]: Das ist das Schlimmste! – Gegenruf von der CDU: Der kann etwas! – Heiterkeit)

– Okay; darüber könnte man reden. – Er ist Senior Counsel einer internationalen Rechtsanwaltskanzlei in Düsseldorf mit sehr prominenten Mandanten. Er ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Mitglied im Senat der Deutschen Nationalstiftung.

Daneben hat er noch ein paar Leidenschaften. So kämpfte er an der Seite der Energiekonzerne – an dieser Seite steht er besonders gern und eng – gegen den Atomausstieg. Gott sei Dank war er da sehr erfolglos.

Außerdem war er Verkaufsberater für die WestLB und hat damit seine eigene Anwaltskanzlei mit Aufträgen und Honoraren in Höhe von 2 Millionen € versorgt. Wie wir wissen, war er hier ebenfalls erfolglos; denn die WestLB wurde zerschlagen.

Nun ist er seit 2016 Aufsichtsratschef beim deutschen Ableger von BlackRock, dem größten Vermögensverwalter der Welt und der größten Schattenbank, wenn man so will.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

BlackRock verwaltet fast 6 Billionen US-Dollar und – das ist wichtig – hält Beteiligungen an allen 30 DAX-Unternehmen. BlackRock ist Großaktionär von Banken, Ölkonzernen und Rüstungskonzernen, aber auch von Unternehmen der Konsumgüterindustrie – Apple, Nestlé usw. – sowie in Deutschland von Daimler, Bayer und der Deutschen Post. Die Liste lässt sich fortsetzen.

(Zurufe von der FDP)

Jetzt kommen wir zu seinem neuen Ehrenamt – sozusagen für den Feierabend, wenn er abends nach Hause kommt. Diese personifizierte Wunderwaffe kann das offenbar noch nebenher alles locker managen.

(Heiterkeit von Arndt Klocke [GRÜNE])

Er soll die Folgen des Brexit für NRW regeln, also die Probleme von NRW-Unternehmen in Großbritannien lösen und für alle großen NRW-Firmen, die in Großbritannien sitzen, als Berater zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus lautet der Arbeitsauftrag auch noch, für NRW die drohende transatlantische Entfremdung unter der amtierenden US-Regierung aufzuhalten und zu beseitigen, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch unter Einbeziehung der gesellschaftlichen, kulturellen und universitären Ebenen.

Also eine Art Sonderbotschafter! Herr Holthoff-Pförtner, was sagen Sie denn dazu – das ist doch eigentlich Ihr Job –, dass Ihnen da ein Sonderbotschafter vor die Nase gesetzt wird?

Hinzu kommt – das sollten wir nicht vergessen; darüber haben wir gestern in der Aktuellen Stunde gesprochen –, dass er auch noch den Flughafen Köln/Bonn als Aufsichtsratsvorsitzender aus der Krise bringen soll und hier die schwierige Lage neu ordnen und Aufklärung betreiben soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann das nicht empirisch belegen; das sage ich gleich dazu. Aber dieses Maß an Selbstüberschätzung einer einzigen Person ist meines Erachtens etwas sehr Männliches.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die besten Köpfe in diesem Land bemessen sich nicht unbedingt an den höchsten Gehältern oder den vollsten Terminkalendern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber ein viel gravierenderes Problem als der Terminkalender von Friedrich Merz ist aus meiner Sicht das Problem der Interessenkollision. Als Mitglied im Aufsichtsrat und als Aufsichtsratsvorsitzender hat man eine Treuepflicht. Man muss gegenüber dem Unternehmen loyal sein und ist den Unternehmensinteressen verpflichtet.

Was ist denn das Unternehmensinteresse einer Finanzkrake und Schattenbank wie BlackRock? Natürlich die Gewinnmaximierung der Unternehmen, an denen man beteiligt ist! In diesem Fall sind das eigentlich alle wesentlichen international agierenden Konzernen und auch nationalen börsennotierten Mittelstandsunternehmen.

Was ist denn nun, wenn ein Unternehmen vor dem Brexit nach NRW fliehen möchte? Er hat ja dann den Job, hier Asyl anzubieten und einen Standort zu organisieren. Was passiert denn, wenn dieses Unternehmen in direkter Konkurrenz zu einem der vielen Unternehmen steht, in denen Herr Merz im Aufsichtsrat sitzt? Das sind ja nicht wenige.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dazu kommt noch, dass die Schattenbank BlackRock eigentlich an allen Großkonzernen und großen deutschen Unternehmen Beteiligungen hält. Wessen Interesse ist Friedrich Merz als Diener zweier Herren dann verpflichtet?

Die notwendige Unabhängigkeit für diesen Job sehen wir daher nicht gegeben. Als Beauftragter der Landesregierung ist er zudem zuallererst dem Gemeinwohl verpflichtet. Das ist eben nicht deckungsgleich mit dem Unternehmensinteresse eines weltweit agierenden Vermögensberaters. Das kann es auch gar nicht sein.

Mich interessiert wirklich einmal seine Position. Ich würde gerne wissen, wie er zu folgenden Fragen steht: Wie trocknet man die Steueroasen in dieser Welt aus? Wie schafft man mehr Steuergerechtigkeit? Wie legt man eine gute Strategie zur Vermeidung von Gewinnverschiebung und aggressiver Steuervermeidung an? Dazu würde mich die Meinung von Herrn Merz sehr interessieren.

Außerdem möchte ich gerne wissen, wie er das alles übereinanderbringt, wenn er im Auftrag des Landes dann auch zum Wohle NRWs unterwegs ist.

Hierzu brauchen wir dringend – das hätte eigentlich vor der Berufung passieren müssen – eine Erklärung der Landesregierung, die wir bislang vermissen. Da wird lapidar gesagt: Das ist ein Wirtschaftsexperte, der gut vernetzt ist und das schon prima kann. – Das reicht aus unserer Sicht nicht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir erwarten hier eine Erklärung, wie diese Interessenkonflikte aufgelöst werden sollen – aus meiner Sicht halte ich das nicht für möglich; das ist die Quadratur des Kreises – und wie diese Aufgabe durch einen Vertreter geleistet werden soll, der Diener nicht nur zweier Herren, sondern mehrerer Herren ist. Wie will er das mit seinen vielen Hüten hinbekommen? Wir halten das nicht für möglich, erwarten aber, dass hier mehr kommt als der lapidare Satz vom Ministerpräsidenten: Da haben wir einen guten Wirtschaftsexperten, der es schon richten wird. – So einfach ist das nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Düker. – Für die FDP hat nun der Kollege Nückel das Wort.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern wie heute unternimmt die rot-grüne Opposition den untauglichen Versuch einer Skandalisierung – heute allerdings noch garniert mit einer Verschwörungstheorie von bösen Systemen, die hier installiert werden sollen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Unverkennbar leitet Sie nicht die brennende Sorge um die Folgen des Brexit für Unternehmen und Beschäftigte in NRW. Vielmehr wollen Sie mit Ihrem Verbalaktionismus höchstwahrscheinlich den Landtag zur Rennbahn umwandeln – für das Rennen, wer denn nun der bessere Fraktionsvorsitzende ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Kutschaty spricht heute von Verschwörung im System. Okay.

Erfreulich finde ich allerdings, dass er nicht dem Beispiel seines Kollegen Börschel gefolgt ist, der gestern – ich habe mir das sorgfältig aufgeschrieben – eine Animalisierung der angegriffenen Person zum Zwecke der Diffamierung ausgesprochen hat.

(Widerspruch von der SPD)

„Ich bin außerordentlich gespannt“ – so sagte, nach meiner Aufzeichnung, Kollege Börschel –, „ob die Grünen in der Koalition in Köln zustimmen werden, dass die Heuschrecke an die Spitze kommt.“ – Ich halte das für ein starkes Stück. Normalerweise sind Sie ja bei solchen Dingen sehr empfindlich.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Außerdem ist Ihr Aktionismus, glaube ich, Ihrem schlechten Gewissen geschuldet. Sie versuchen, zu kaschieren, dass die Sozialdemokraten in der zentralen Frage des Brexit mit leeren Händen dastehen und dastanden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben in Ihrer Regierungszeit versucht, das Thema auszusitzen. Sie haben nichts gemacht, Sie haben Löcher hinterlassen, die natürlich jetzt einer gewissenhaften Bearbeitung bedürfen.

(Zurufe von der SPD: Ah! Ah!)

Aber Sie wissen ja selbst gar nicht, was Sie wollen. Wie sähe denn Ihr Anforderungsprofil eines Beauftragten aus? Gestählt durch die harte Ochsentour des Ortsvereins?

(Heiterkeit von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der Apparatschik mit Tunnelblick ohne jede Kontakte, bitte, womöglich noch aus Berufsvorkenntnissen?

(Beifall von der FDP und der CDU – Frank Müller [SPD]: Das gibt es bei Ihnen ja gar nicht! – Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

– Frau Düker, was wollen Sie, was wollen die Grünen? Ich glaube, Sie wollen Benjamin Blümchen, keine verdächtigen Kontakte – zugegeben –,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist die Animalisierung der Politik, was Sie da machen!)

außer zum Zirkusdirektor. Und Zirkus ist ja auch das, was Sie hier wollen.

(Lebhafter Beifall von der FDP und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

(Zuruf von den GRÜNEN)

NRW hat eine besondere Beziehung zu Großbritannien, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Briten standen vor 70 Jahren Pate bei der Gründung unseres Landes. Über Jahrzehnte waren hier auch Soldaten stationiert. Viele Schulen und viele Städte haben Partnerschaften aufgebaut. Es gibt, glaube ich, allein 150 Städtepartnerschaften. Das zeigt, wie eng unsere Beziehungen sind.

Der Brexit wird Auswirkungen haben – auch auf Nordrhein-Westfalen –, die wir alle noch nicht komplett abschätzen können. Aber angesichts fehlender Verhandlungsfortschritte kann es zu einem harten Brexit kommen. Die Folge wäre, dass im Frühjahr 2019 – am 1. April – für jedes Export- und Importgeschäft plötzlich Zollerklärungen fällig werden. Mit dem freien Warenverkehr, den wir aus der EU kennen, kann es dann bald vorbei sein. Dann wird es aufwendiger und teurer. Kontrollen, Protektionismus und Bürokratie werden zunehmen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Daher ist eine anerkannte Persönlichkeit mit hohem Sachverstand wie Friedrich Merz genau der richtige Mann.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Als Beauftragter – nicht als Teil der Landesregierung – kann er eine Scharnierfunktion für die Wirtschaft und auch für die 30.000 in NRW lebenden Briten bilden.

(Frank Müller [SPD]: Was ist das für eine Schimäre!)

Die „FAZ“ berichtete in dieser Woche, dass sich die Wirtschaft extrem besorgt zeigt wegen des schleppenden Fortgangs der Verhandlungen. Es ist nicht etwa die Finanzwirtschaft, nein, für das produzierende Gewerbe sind die praktischen Probleme groß. Denn wie sollen die Wertschöpfungsketten über den Ärmelkanal aufrechterhalten werden?

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Das Vereinigte Königreich war im Jahre 2016 mit einem Exportvolumen von über 13 Milliarden € der drittmächtigste Handelspartner Nordrhein-Westfalens. Besonders wichtig sind diese Handelsbeziehungen für unsere Schlüsselindustrien. Hunderte NRW-Unternehmen unterhalten Geschäftsbeziehungen zu Großbritannien, und mehr als 1.500 britische Unternehmen haben sich mit ihren Deutschland- oder Europazentralen in NRW niedergelassen.

Der Sonderbeauftragte soll unsere Unternehmen durch die komplizierte Phase des Brexit begleiten und in Großbritannien für starke Beziehungen werben. Dafür ist Friedrich Merz genau der richtige Mann.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es geht – da haben wir in der rot-grünen Ära schon viel Zeit verloren – auch um die Entscheidung über die künftigen Sitze von EU-Agenturen in London.

Zum 1. Januar soll Friedrich Merz seine Aufgabe übernehmen. Er wird die Landesregierung, das Land, die Beteiligten und Betroffenen bei der Bewältigung des Brexit unterstützen, indem er Vermittler und Ansprechpartner ist. Er wird sich aber ebenso dafür einsetzen, dass die Beziehungen auch auf kultureller und universitärer Ebene gefestigt werden. Friedrich Merz ist ein renommierter Experte dafür. Auch als Vorsitzender der Atlantik-Brücke verfügt er über ein breites Netzwerk.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist der Schlüssel, um Unternehmen, aber auch Kultur und Wissenschaft erfolgreich zu beraten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Wagner das Wort.

Markus Wagner (AfD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürger von Essen und Köln müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass es für CDU, FDP, SPD und Grüne wichtiger ist, sich binnen zweier Plenartage erneut an Friedrich Merz abzuarbeiten, einer Personalie, die hier in der Blase Landtag interessant erscheinen mag, die den Bürgern unseres Landes aber verhältnismäßig egal ist.

(Zuruf von der CDU: Das entscheiden Sie aber nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU)

Die Zustände am Essener Hauptbahnhof, am Kölner Ebertplatz, die wachsende Zahl von Straftaten, der Verlust des alltäglichen Freiheitsgefühls – nicht nur, aber insbesondere für Frauen – und was die Politik hiergegen unternehmen kann, all das ist den alten Parteien einfach nicht wichtig genug.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: So ein Quatsch!)

Wäre es Ihnen wichtig genug, dann hätten Sie unserem diesbezüglichen Antrag auf Abhaltung einer Aktuellen Stunde zugestimmt.

(Beifall von der AfD – Arndt Klocke [GRÜNE]: Das entscheiden nicht die Parteien! Lesen Sie doch mal die Geschäftsordnung!)

– Vor den Folgen Ihrer desaströsen Migrationspolitik verschließen Sie lieber die Augen. Herr Klocke, nichts sehen, nichts hören, nichts reden – das war schon immer die Politik der Grünen und ist mittlerweile großer Konsens in diesem Haus.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Es spricht die Schill-Partei!)

Dabei betrifft dies die Menschen vor Ort mittlerweile ganz persönlich. Es betrifft ihren Alltag: Kann ich nachts noch zum Bahnhof gehen? Gehe ich mit dem Hund lieber einen anderen Weg?

(Zuruf von den GRÜNEN)

Nehme ich lieber ein Taxi? Wechsele ich die Straßenseite, weil dahinten wieder eine Gruppe Männer oder Jugendlicher – wie immer all die anderen politkorrekten Umschreibungen für Nafris und andere Merkel-Gäste lauten – steht? Diese Fragen müssen sich die Bürger mittlerweile stellen, weil Sie alle das Land bunt machen.

(Beifall von der AfD)

Haben Sie eigentlich immer noch nicht gemerkt,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Tosender Applaus bei der AfD!)

dass Ihr AfD-Be- und Verhinderungsprogramm uns immer noch mehr stärkt? Fällt Ihnen das nicht auf? Mir als Parteipolitiker soll es ja recht sein, aber wir sind doch hier, um Probleme der Bürger zur Sprache zu bringen und sie zu lösen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Dann machen Sie das mal!)

Sie wollen nicht einmal darüber reden.

(Beifall von der AfD – Marc Herter [SPD]: Dann machen Sie das mal!)

Lieber wollen Sie heute über Posten und Pöstchen streiten und wer von Ihnen am meisten mit Lobbyisten kungelt. Das ist zwar alles mehr als ärgerlich, aber die Bürger von Essen und Köln können das ja in ihre nächste Wahlentscheidung einfließen lassen.

(Marc Herter [SPD]: Stimmt!)

Fangen wir mal mit der Kritik von Rot und Grün an: Sie monieren, dass mit Friedrich Merz ein Ex-Politiker in beratender Funktion Brexit-Beauftragter von NRW wird, der in verschiedenen Funktionen in und für die freie Wirtschaft tätig ist. Er sei daher Lobbyist, und es bestünden Interessenkonflikte. Folglich dürfe er nicht beratend für die Landesregierung tätig sein. Zugegebenermaßen verfügt Herr Merz scheinbar über mehr Aufsichtsratsmandate als so mancher Briefmarkensammler über Briefmarken.

Da ich unterstellen will, dass Sie integer und stringent handeln, nehme ich an, Sie haben bereits bei Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Kurt Bodewig, Margareta Wolf, Peer Steinbrück, Rezzo Schlauch oder Otto Schily angerufen und ihnen gesagt: Schluss jetzt! Hört auf, uns oder irgendeine deutsche Regierung zu unterstützen, zu beraten oder irgendein Ehrenamt anzunehmen.

Der einzige wirkliche Unterschied zwischen diesen Personen und Herrn Merz ist doch, dass sie ihre Ämter als Minister, als Ministerpräsident oder als Bundeskanzler als Sprungbrett dafür benutzt haben, nach Ende ihrer regulären Amtszeit möglichst schnell in ein gut dotiertes Verhältnis in der freien Wirtschaft zu kommen. Das ist doch der einzige Unterschied, über den wir hier reden.

(Beifall von der AfD)

Natürlich haben Sie da nicht angerufen. Es geht Ihnen doch auch gar nicht darum, sondern es geht Ihnen nur noch um einen die Bürger immer mehr ermüdenden Politikzirkus, der außerhalb des Landtagsgebäudes kaum Relevanz hat.

(Marc Herter [SPD]: Ermüdender als Ihre Rede kann es ja nicht sein!)

Es hätte mehr Relevanz – wenn Sie hier schon den Brexit über die Bande aufrufen –, wenn wir auch in Deutschland und Nordrhein-Westfalen zu mehr plebiszitären Elementen kämen, als nur alle vier bis fünf Jahre mal ein Kreuzchen in der Wahlkabine zu machen.

Die CDU ist ja wenigstens so ehrlich und lehnt die Beteiligung des Volkes ganz offen ab. Sie hingegen schreiben sich das regelmäßig ins Wahlprogramm, allerdings nur, um es nach der Wahl wieder zu vergessen.

Ich muss Ihnen sagen: Ich bin wirklich neidisch auf die Briten. Dort wurde leidenschaftlich über eine wesentliche Frage der Nation gestritten, debattiert und schließlich abgestimmt, und zwar von denen, die es betrifft und angeht, nämlich vom Volk.

Auch wenn wir hier als Abgeordnete natürlich das Volk repräsentieren – jedenfalls gehört das zu unserem Auftrag –, sollten wir nicht so arrogant sein, es nicht über wesentliche Fragen auch abstimmen zu lassen. Läuft es in der Schweiz etwa schlechter als bei uns? Im Gegenteil, es läuft sogar besser; die AfD-Fraktion wird an anderer Stelle noch einmal darauf zurückkommen.

Aber zurück zu Herrn Merz: Er ist ja politisch gesehen mittlerweile ein armer Tropf. Er dient genauso wie Wolfgang Bosbach, den ich wirklich sehr schätze, nur noch als Staffage für die Mitte-links-Politik von Armin Laschet. Er soll noch so ein bisschen nach alter CDU klingen, dabei sind doch sowohl Friedrich Merz als auch Wolfgang Bosbach mittlerweile vollkommen einflusslos in dieser Partei.

(Beifall von der AfD – Lachen von der CDU)

Neu ist die „Idee Merz“ für Armin Laschet ja auch nicht. – Erinnern Sie sich noch, Herr Laschet? 2014 sollte Friedrich Merz schon einmal der AfD Wähler abjagen. Da hieß es unter anderem in der „Bild-Zeitung“: CDU-Hoffnung Friedrich Merz soll AfD die Wähler abjagen.

Er wurde damals in die Programmkommission aufgenommen. Viele Hoffnungen, vor allen beim Wirtschaftsflügel, ruhten auf Merz, damit er den marktwirtschaftlichen Kurs und das konservative Profil der CDU stärkt. Ich habe mich 2014 schon gefragt, wozu es eigentlich eines Friedrich Merz bedarf, damit die CDU ihr marktwirtschaftliches und konservatives Profil stärken kann. Heute wissen wir ganz genau, warum. Weil die CDU in der Wahrnehmung der Bevölkerung eine Partei links der Mitte geworden ist.

(Beifall von der AfD)

Nun schauen wir uns mal an, was die „Allzweckwaffe Merz“ beim Abnehmen von Stimmen der AfD erreicht hat: Bei seiner Ernennung lag die AfD in den Umfragen für NRW zwischen 4 % und 6 % und im Bund zwischen 5 % und 8 %. Nun liegen wir in NRW bei 9 % und im Bund bei 13 %. Das hat ja wirklich toll geklappt mit dem Abjagen der Stimmen durch Herrn Merz. – Vielen Dank dafür.

Ich hoffe wirklich für NRW, dass Herr Merz als Brexit-Berater mehr Erfolg hat. Ich hoffe, dass die wirtschaftspolitische Kraft, der wirtschaftspolitische Sachverstand und die marktwirtschaftliche Orientierung von Herrn Merz dazu führen, die „Falken“ einzubremsen und einen harten Brexit zu verhindern, der doch nur dazu dienen soll, ein Exempel an Großbritannien zu statuieren.

Ansonsten halte ich diese Debatte für eine ergotherapeutische Arbeitsmaßnahme für Landtagsabgeordnete. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Auf Herrn Wagner folgt jetzt für die Landesregierung Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner in Vertretung des entschuldigten Ministerpräsidenten Armin Laschet.

Dr. Stephan Holthoff-Pförtner*), Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Landesregierung hat am 7. November 2017 Friedrich Merz zum Beauftragten für die Folgen des Brexit und die transatlantischen Beziehungen ernannt. Seine Aufgabe wird er am 1. Januar 2018 aufnehmen und diese im Rahmen der besonders entscheidenden nächsten beiden Jahre ausüben.

Der Beauftragte für die Folgen des Brexit und die transatlantischen Beziehungen unterstützt die Landesregierung bei der Bewältigung der Herausforderungen, die Nordrhein-Westfalen unfreiwillig zu bewältigen hat. Die zentrale Voraussetzung für diese Aufgabe der Beratung der Landesregierung ist ein breites Netzwerk aus wirtschaftlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Kontakten.

Mit diesem Netzwerk unterstützt der Beauftragte die Landesregierung, um erstens für Unternehmen und andere Einrichtungen aus Großbritannien und den USA, die in Nordrhein-Westfalen angesiedelt sind, tragfähige Perspektiven der künftigen Zusammenarbeit zu entwickeln. Das ist ein Auftrag.

Zweitens berät er in gleicher Weise die Landesregierung, um Unternehmen mit Sitz in Großbritannien und in den USA von den Vorzügen des Standorts Nordrhein-Westfalen zu überzeugen. Das ist auch ein Auftrag.

Drittens soll er die Beziehungen von Nordrhein-Westfalen zu Großbritannien im Bereich Kultur und Wissenschaft pflegen. Das ist der dritte Auftrag.

Interessenkollisionen oder Konflikte mit anderen Aufgaben sind bei der Ausübung dieser Tätigkeit nicht zu befürchten.

Ich habe mit großer Aufmerksamkeit die Ausführungen von Herrn Kutschaty gehört, und ich muss sagen: Eigentlich sind wir sehr beieinander, wobei ich eines nicht verstehe. Der Abgeordnete Nückel hat gefragt: Wie sähe denn bei Ihnen eine Beauftragung aus?

(Zuruf von der SPD: Unabhängig! – Heiterkeit von der SPD)

– Danke, dass Sie das wiederholen. Die Unabhängigkeit kann bis zur Unabhängigkeit vom Sachverstand gehen.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Die Antwort, die ich dann gehört habe – ich konnte sie aber leider nicht zuordnen, Sie machen jetzt freundlicherweise die Zuordnung –,

(Heiterkeit von der CDU und der FDP)

hieß: unabhängig. – Mich hätte das Aufzeigen der gegenseitigen Abhängigkeiten interessiert.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Nein, nein, Sie sollen mich nicht anschreien, Sie sollen mich überzeugen.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Wenn das schon Schreien war! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Es ist schade, dass verloren geht, was Sie sagen. Das ist manchmal wirklich sinnvoll und wertvoll. Aber wenn Sie das alle zusammen machen, bekomme ich nicht alles mit.

Sie haben als Anwalt genauso wie ich gelernt, dass Sie bei der Übernahme eines Mandates weder Ihren Charakter noch Ihre Moral abgeben. Das heißt, Sie gehen so in das Mandat und füllen es auch aus. Sie können auch durchaus Menschen zuhören, deren Meinung Sie nicht teilen, und daraufhin Ihre Meinung ändern. Das heißt, ein Beratungsverhältnis, wie die Landesregierung es – wie ich finde, zum Glück – mit Herrn Merz gefunden hat, bringt weder die Landesregierung noch Herrn Merz in Abhängigkeiten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Beauftragte ist nicht Teil der Landesregierung. Er wird direkt dem Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten zugeordnet und nimmt seine Aufgaben in enger Abstimmung mit dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales war.

Ich bin übrigens im Nachhinein noch berührter als vorher. Mir ist ja der Bereich Medien nicht weggenommen worden, sondern ich habe darum gebeten, ihn nicht zu bekommen.

(Zuruf von der SPD: Das ist ja ein Witz! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Ich muss Ihnen mal sagen: Ich habe Sie nicht im Raum gesehen, als ich mit dem Ministerpräsidenten darüber geredet habe. Sie waren nicht dabei, oder?

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Wir waren nicht eingeladen! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Sie sind lediglich Zeitzeuge der selbst erfundenen Nachgeschichte.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Sie sind kein Zeitzeuge der Geschichte.

Ich habe ja eingesehen: Es macht keinen Sinn, etwas zu verfolgen, was Widerstände bringt, die der Sache schaden. Ich bin da sehr emotionsfrei.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Friedrich Merz verfügt nicht über eigene politische Entscheidungsbefugnisse. Es ist weder beabsichtigt noch erforderlich, dass er an Kabinettssitzungen teilnimmt. Der Beauftragte ist aber im Gegenzug eine sehr renommierte, erfahrene, gut vernetzte und in der Tat durchsetzungsstarke Persönlichkeit mit ausgeprägter politischer Expertise.

(Zuruf von der SPD)

Jetzt muss ich einmal sagen: Wenn Sie vor so guten Leuten schon Angst haben, wenn sie als Berater auftreten, wie sieht es dann aus, wenn solche Leute bei Ihnen Mitbewerber sind?

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Es steht also gerade nicht zu befürchten, dass sein professionelles Urteilsvermögen oder sein Handeln als Beauftragter für die Folgen des Brexit weitere Tätigkeiten beeinflusst.

(Monika Düker [GRÜNE]: Dann soll er das mal sagen!)

– Ihnen habe ich mit großer Freude zugehört, weil mir der Sinn nicht zugänglich wurde.

(Beifall und Heiterkeit von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN – Monika Düker [GRÜNE]: Das verstehe ich nicht!)

– Ich sage jetzt einmal das, was bei mir von Ihnen angekommen ist: Erstens haben Sie eine höhere Meinung von Ministern als ich, weil Sie gesagt haben, es sei nicht in Ordnung, auf Augenhöhe zu reagieren.

(Monika Düker [GRÜNE]: Es ging um die Unabhängigkeit! Sie müssen auch mal zuhören! – Weitere Zurufe von CDU, SPD und GRÜNEN)

– Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende geht; Entschuldigung.

Die Beauftragung tangiert weder die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten noch die Arbeit der Landesregierung unsachgemäß. Es ist wirklich ein Glücksfall.

Ich darf Ihnen gegenüber noch eine Bitte äußern: Laden Sie Herrn Merz doch in Ihre Fraktionen ein. Sprechen Sie doch mit ihm. Ich verspreche Ihnen, dass er sich auf dieses Treffen freut.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 34 Sekunden überzogen. Sollte es erforderlich sein, haben die anderen Fraktionen selbstverständlich ebenso die entsprechende Überziehungszeit.

Ich darf das Wort der Kollegin Schulze für die SPD erteilen.

Svenja Schulze (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig, dass der Brexit ganz massive Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen haben wird. Er wird in alle Lebensbereiche hineinreichen: Er wird die Wirtschaft, die Gesellschaft, das Bildungssystem, die Wissenschaft, alle Bereiche betreffen.

Aber die Mitte-rechts-Koalition muss sich mal entscheiden.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU)

Wenn es so ein wichtiges Thema ist, wie wir hier, glaube ich, fast einstimmig festhalten können, warum kümmert sich dann nicht die Landesregierung oder der Ministerpräsident darum?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn das so wichtig ist – und ich glaube, es ist so wichtig –, warum ist das dann nicht Chefsache? Warum soll das ein Beauftragter ehrenamtlich tun?

Wenn Sie sagen: „Der Ministerpräsident kann nicht alles machen“, warum ist es dann nicht Thema des Europaministers, der sich massiv darum kümmert? Der hat ja ein bisschen mehr Zeit.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir doch gerade gehört! – Weitere Zurufe von der SPD – Widerspruch von der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn es so wichtig ist, dann kann die Aufgabe nicht ehrenamtlich durch einen Beauftragten erledigt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie sich trotzdem für einen Beauftragten entscheiden und dieses Thema auslagern, dann müsste es doch mindestens ein unabhängiger Beauftragter sein und nicht jemand, der glasklarer Lobbyist ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Transparency International hat Sie ja schon dafür gerügt.

(Zurufe: Oh! – Minister Herbert Reul: Kein Wunder!)

Ich denke, dass sie damit recht haben. Wenn eine Landesregierung Beauftragte ernennt, sollten sie wenigstens unabhängig sein, beraten können und nicht nur die Interessen eines bestimmten Teils der Gesellschaft an die Landesregierung herantragen.

Lassen Sie uns doch noch einmal anschauen, warum Großbritannien aus der EU austreten will. Ich glaube, die treten nicht aus, weil sie zu wenig Freiheiten für die Banken hatten oder weil sich das Finanzkapital in Europa nicht ausreichend bewegen konnte. Sie treten doch aus, weil es zu wenig soziales Europa gab, weil es zu wenige Standards gab, weil wir in diesem Themenfeld nacharbeiten müssen.

(Zurufe)

Dann sagen Sie: Für dieses ganze Feld steht Herr Merz. Der kann da ganz wunderbar beraten, das ist der richtige Mann dafür. – Nein, Herr Merz steht für das kalte, für das neoliberale Europa. Er steht für den Markt, für die Gewinnmaximierung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von CDU und FDP)

Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir in Nordrhein-Westfalen brauchen, was wir mit der sozialdemokratischen Tradition hier auch vorangebracht haben. Wir sind ein Land, das gemeinsam nach vorne geht, das nicht nur dem Gewinnstreben und der Wirtschaft hinterherläuft.

Aber Schwamm drüber! Messen wir Sie doch einfach an Ihren eigenen Maßstäben. Sie haben im Koalitionsvertrag auf Seite 111 geschrieben, dass Sie „die Alltagsprobleme der vom Brexit betroffenen Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen nach dem Brexit im Blick behalten“ werden. Es geht also um die Alltagsprobleme der Bürgerinnen und Bürger. Das finde ich richtig; das müssen wir tun. Aber auch dafür steht Herr Merz nicht. Er ist ein Finanzlobbyist, der in X Aufsichtsräten sitzt – Frau Düker hatte das eben noch einmal aufgezählt –, der international unterwegs ist. Welche Ahnung hat dieser Mann von den Alltagsproblemen der Menschen in Nordrhein-Westfalen?

(Dietmar Brockes [FDP]: Mehr, als Sie von der Wissenschaft haben!)

Das kann er doch gar nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen, meine Damen und Herren von der Mitte-rechts-Koalition, müssen Sie sich entscheiden: Entweder es ist ein wichtiges Thema, das die Aufmerksamkeit der gesamten Regierung braucht, die Aufmerksamkeit des Ministerpräsidenten, was wirklich in den Blick genommen wird, oder es ist ein Thema, das man einfach an einen ehrenamtlichen Beauftragten delegieren kann. Das ist der Weg, für den Sie sich entschieden haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke, Frau Schulze. – Für die CDU hat der Abgeordnete Kollege Dr. Bergmann das Wort.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lassen Sie mich am Anfang erst einmal einen Blick auf die Begründung der SPD für die Aktuelle Stunde heute Morgen werfen. Die ist nämlich, wie ich finde, sehr schwach und entlarvend zugleich.

Was steht im Mittelpunkt? Friedrich Merz und nicht der Brexit. Es wird nichts zu den Folgen des Brexit gesagt, sondern nur die Personalie Merz ausdrücklich in den Vordergrund geschoben. Nicht das Interesse, etwas für NRW zu tun, sondern etwas gegen Herrn Merz zu tun, steht im Mittelpunkt dieser Aktuellen Stunde. Das steht im Fokus der SPD, das haben Sie gerade noch einmal wunderbar präsentiert.

Dass Sie Ihre Begründung dann noch mit Wikipedia unterlegen, ist pikant – vorsichtig formuliert.

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Dass Frau Düker das alles auch noch fließend vorlesen kann, finde ich zwar beeindruckend, überzeugt mich inhaltlich aber überhaupt nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Kutschaty, ich finde es schon interessant, dass Sie Ihren internen Wettstreit mit Herrn Römer – wobei Herr Römer während Ihrer Rede gar nicht da war; auch das ist schon wieder bezeichnend –

(Marc Herter [SPD]: Da halten wir uns mal ein bisschen zurück!)

hier im Landtag nach dem alten Motto austragen: Habe ich keine Inhalte, werde ich halt persönlich; etwas wird schon hängen bleiben.

(Zuruf von Norbert Römer [SPD])

Das ist aus meiner Sicht kein guter Stil.

(Marc Herter [SPD]: Nach dem Hinweis sagen Sie etwas über Stil?)

Das erinnert mich übrigens an Franz Müntefering, der damals das von Ihnen so oft genannte Tier Heuschrecke mit Beschuldigungen überzog, an einem Hang im Sauerland stehend bei schlechtem Wetter in einer Jacke, auf der dick „Jack Wolfskin“ stand; die Firma gehört bekanntlich einer Heuschrecke. Glaubwürdig geht anders, Herr Kutschaty.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Dietmar Bell [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Herr Bell, hören Sie weiter zu. Ich glaube, Sie reihen sich ein.

(Svenja Schulze [SPD]: Ist das Ihr Niveau? – Monika Düker [GRÜNE]: Wenn man keine Argumente mehr hat!)

Wie sehr müssen Sie den Ministerpräsidenten darum beneiden, dass er nicht nur gutes Personal im Kabinett hat, sondern darüber hinaus auch noch weitere Spitzenkräfte für unser Land einbinden kann? Qualität hat endlich wieder einen Stellenwert in der Politik unseres Landes. Darauf haben die Bürger sieben Jahre lang warten müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Alle Fragen, die von Herrn Kutschaty zum Beispiel in den Presseinfos in Bezug auf Büro und Entlohnung herausgehauen wurden, wurden doch längst beantwortet.

(Thomas Kutschaty [SPD]: Ja?)

– Von beidem gibt es nichts, Herr Kutschaty. Dennoch versuchen Sie, hier einen Personalpopanz aufzubauen. Um von den eigenen Personalproblemen abzulenken, beschäftigen Sie sich mit welchen, die wir gar nicht haben.

Ich habe den Ministerpräsidenten heute zur Sicherheit noch einmal angerufen, um sagen zu können: Herr Merz bekommt keinen Schlüssel von der Staatskanzlei, er hat also auch keinen direkten uneingeschränkten Zugang dorthin.

(Monika Düker [GRÜNE]: Hat der kein Büro?)

All das, was Sie hier mitschwingend immer wieder behaupten, ist einfach falsch. Wenn Sie in der Stringenz weiter so argumentieren, muss man irgendwann fragen: Darf ein Jurist denn überhaupt noch Justizminister werden? Es kann doch nicht sein, dass Sachkompetenz inzwischen ein Ausschlussgrund ist. Das ist das, was Sie hier sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich kann das nicht in dieser Tenor-II-Betroffenheits-rhetorik, wie es Herr Römer in den letzten Tagen gemacht hat, vortragen, sondern ich will einfach nur fragen: Ist das, was Sie hier tun, vor dem Hintergrund der eigenen Partei und der eigenen Leute noch glaubwürdig? Ich hätte schon fast gesagt: Gehen Sie mal zum Saaldienst und holen sich einen Besen. Kehren Sie vor der eigenen Tür, und passen Sie auf möglichen Steinschlag im Glashaus auf.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich kann Herrn Römer nur an einer einzigen Stelle in seiner Rede vom Mittwoch zustimmen, nämlich als er sagte – diese Aussage fiel am Mittwoch in einem anderen Zusammenhang –, dass es eine stramme Leistung sei, Herrn Merz zu berufen. Da haben Sie recht. Da haben Sie völlig recht. Da stimme ich Ihnen zu.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Arndt Klocke [GRÜNE]: Tosender Beifall bei der Regierungskoalition!)

Denn er kennt sich im Dickicht der EU-Vorgaben ebenso gut aus wie in der Wirtschaft Großbritanniens

(Monika Düker [GRÜNE]: Aber er hat noch keinen Heiligenschein!)

und in der Wirtschaft Nordrhein-Westfalens. Und er ist ein Glücksgriff, um den Sie uns beneiden, und Ihr Neid kommt auf eine ganz perfide Art und Weise auch gut rüber. Vielen Dank dafür.

(Beifall von der CDU)

Das ist Interessenvertretung für Rheinländer, Westfalen und Lipper im besten Sinne des Wortes, damit die Chancen für uns als Ganzes genutzt werden – als Bundesland, als Wirtschaft und als Arbeitnehmer.

Mit Friedrich Merz bekommen wir jemanden, der in den vielschichtigen Prozessen zwischen der Bundesrepublik Deutschland – und Nordrhein-Westfalen gehört nun mal zur Bundesrepublik Deutschland – und den britischen Unternehmen als ein kompetenter Ansprechpartner zu Hause ist. Kompetenz, Erfahrung, Vernetzung, Durchsetzungsstärke – das ist es, was wir gerade jetzt – übrigens neben der politischen Expertise – für Nordrhein-Westfalen brauchen, und das in enger Abstimmung mit dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Internationales, direkt am Ministerpräsidenten angehängt. Das bedeutet: Beide müssen hart arbeiten und werden das auch tun.

Und, Frau Schulze, Sie hätten eigentlich schon den vorigen Redebeiträgen entnehmen können, dass das nicht ein Nebeneinander oder losgelöstes Tätigsein in irgendeiner Cloud ist, sondern ein Handeln an der Regierung und mit der Regierung im Sinne von „Wir holen uns jemanden dazu“.

Ich möchte jetzt nicht noch mal all die Prozente und Zahlen nennen, die schon genannt worden sind, wie viele Unternehmen aus Deutschland in England und wie viele englische hier unterwegs sind. Ich weiß nur, dass es ganz viele Dinge zu regeln gibt. Das weiß ich zum Beispiel von meinem direkten Nachbarn, der Philip Scandrett heißt, ehemaliger Rhine-Army-Officer ist, jetzt in Deutschland wohnt und sagt: What the hell is going on in Europe? – Er fragt sich jetzt: Was passiert in meiner aktuellen Lebenssituation?

Wir unterhalten uns hier aber irgendwelche Dinge, die dieser Mann nicht versteht. Insofern sollten Sie einmal am Platz in Köln vorbeigehen. Dort werden die Fragen sicherlich anders sein, als Sie es sich hier gerade vorgestellt haben. Sie unterliegen da einer kleinen Fehleinschätzung, aber wir sind von Ihnen nichts anderes gewöhnt.

40 % der britischen Exporte fließen zurzeit nach Europa, und allein das Bankenviertel in London wickelt drei Viertel der Großkundengeschäfte in der EU ab. Das ist mehr, als Deutschland, Frankreich und Italien zusammen zurzeit bringen. Das gibt Ihnen ein Gefühl, wie bedeutend dieser Sektor ist. Ebenfalls ganz besonders bedeutend für Nordrhein-Westfalen ist der Bereich OEM und Supplier, also der Automobilbereich. Aber auch im Maschinenbau und Chemiesektor hat Nordrhein-Westfalen unmittelbare Interessen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Besuchen Sie einmal die Produktion von MINI in Oxford, und schauen Sie sich an, wie viel „Made in NRW“ Sie dort in der Produktionslogistik finden. Das ist für uns entscheidend. Da ist Friedrich Merz einer der entscheidenden Männer, die uns helfen können.

Frau Düker, noch ein Satz zu Ihnen: Sie haben vorhin gesagt, die Kompetenz von Herrn Merz werde völlig überschätzt. Wir Niederrheiner sind dafür bekannt, dass wir völlig überschätzungsresistent sind – auch Männer, Frau Düker. Aber Leistungsfähigkeit können wir am Niederrhein anerkennen – sowohl die Frauen als auch die Männer. Und das ist im Fall von Friedrich Merz genau jetzt angesagt. Die NRW-Koalition wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie solch einen Spezialisten nicht gewinnen würde, der sich im Interesse unseres Landes für Nordrhein-Westfalen und für die Menschen in Nordrhein-Westfalen einsetzt. Deshalb ist seine Bestellung genau richtig. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Bergmann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck – und ich glaube, dieser Eindruck wird sich auch nach draußen hin verfestigen, wenn man die Debatte heute Morgen und insbesondere die Debattenbeiträge der Koalitionsfraktionen und des zuständigen Ministers aufmerksam verfolgt –, dass diese Debatte eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen. Denn sie schadet den Interessen des Landes, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es geht in der Tat um ein wichtiges Anliegen für die Bürgerinnen und Bürger, für die Unternehmen dieses Landes: Wie werden die Folgen des Brexit aufgegriffen? Wie kann man möglicherweise eingreifen? Wie kann man unterstützen, wenn es um Wertschöpfungsketten geht, wenn es darum geht, wie Freizügigkeit und Freihandel zukünftig geregelt werden?

Aber um eine solche Aufgabe im Interesse des Gemeinwohls der Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen zu können, muss man selbst den Anschein, dass man befangen ist oder nicht abhängig ist, wahren. Und deshalb hätte es diese Debatte gar nicht geben dürfen. Sie hätte es nicht deshalb geben dürfen, weil die Opposition nicht nachfragen kann, sondern weil die Regierung bei der Ernennung eines solchen Beauftragten die nötige Sorgfalt nicht hat walten lassen. Das ist der eigentliche Kern der Debatte,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und zwar in zweierlei Hinsicht.

Zum einen braucht es, wenn man einen Beauftragten der Exekutive ernennt, eine nötige Rechtsgrundlage dafür. Wo finden wir diese Rechtsgrundlage? Das frage ich die Landesregierung.

Wenn wir uns die Beauftragten anschauen, die von den früheren Landesregierungen ernannt wurden, dann fußten diese Ernennungen jeweils auf einer Rechtsgrundlage. Beispielsweise ist die Ernennung des Beauftragten für die Belange der Behinderten im Behindertengleichstellungsgesetz geregelt, die des Landesbeauftragen für Datenschutz ist im Informationsfreiheitsgesetz geregelt, die des Landesbeauftragen für den Maßregelvollzug ist im Maßregelvollzugsgesetz geregelt. Oder ich nenne den Justizvollzugsbeauftragten. Selbst für dessen Ernennung gibt es eine allgemeine Verfügung des Justizministers.

Wo finden wir aber die Rechtsgrundlage für den sogenannten Brexit-Beauftragten? Das frage ich die Landesregierung. Diese ist nicht aus der Verfassung abgeleitet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Ernennung geschieht also ohne Rechtsgrundlage. Meines Erachtens ist das ein Akt nach Gutsherrenart. Offensichtlich greift hier ein neuer Stil innerhalb der Landesregierung Raum.

Zum anderen – und das ist vielleicht noch viel wichtiger als eine Rechtsgrundlage – gilt: Wenn man einen Beauftragten ernennt, dann sollte man klar aufzeigen, welche Inhalte er denn vertritt, welche Ziele er denn erreichen soll.

Wo hat die Landesregierung diese Ziele bisher präzisiert? Nennen Sie mir doch mal Ihre Ziele. Wie soll nach Ihrer Auffassung zukünftig der EU-Haushalt gestaltet werden, wenn die Briten ihren Beitrag nicht mehr leisten? Bisher null! Wie sollen denn Strukturmittel nach Nordrhein-Westfalen geholt werden? Es reicht eben nicht, nur einen schönen Antrag hier im Landtag zu stellen, wenn es um Strukturmittel für Nordrhein-Westfalen geht.

Oder, meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist denn das Ziel von Standortverlagerungen? Sollen Standorte bei uns gefunden werden? Wie ist das Verhältnis des Beauftragten zur Regierung? Auf der einen Seite sagen Sie, er sei nicht Teil der Landesregierung, auf der anderen Seite muss er aber doch auf die verschiedenen Institutionen der Landesregierung zugreifen können. Auch das ist nicht geregelt.

Weder sind Ziele und Aufgaben noch die Rechtsgrundlagen geklärt. Allein, dass eine Debatte darüber geführt werden muss, schadet dem Land und den Zielen. Deshalb klären Sie bitte diese Grundlagen. Dann können wir auch über die Personen sprechen, die dafür geeignet sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Nückel noch einmal das Wort.

(Zurufe von der SPD: Benjamin! Vielleicht kommt jetzt Bibi Blocksberg! – Heiterkeit)

Thomas Nückel (FDP): Schön, dass Sie dem Fanclub beigetreten sind. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Schulze, Herr Kollege Remmel, ich glaube, nicht die Debatte schadet und auch nicht das, was die Landesregierung getan hat, sondern die Diffamierungen schaden dem Ansehen von Nordrhein-Westfalen und natürlich auch den betroffenen Personen.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ja, damit kennen Sie sich ja aus!)

Sie fragen: Was tut die Landesregierung? – Sie hat das zur Priorität erklärt, und eine der vielen Maßnahmen ist beispielsweise die Ernennung eines Beauftragten.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie hätten Ihre Redezeit ja einmal nutzen können, um zu erklären, was die alte rot-grüne Landesregierung, der Sie angehörten, gemacht hat. – Sie hat nichts gemacht. Sie steht mit leeren Händen da.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Zu Ihrem Kurzreferat darüber, warum die Menschen in Großbritannien so entschieden haben, wie sie entschieden haben, sage ich Ihnen: Schauen Sie doch mal auf Ihren Partner, die Labour Party. Da war der Horizont eher ein Kreis mit Radius null, und das nannte man dann „Standpunkt“.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Aus der Labour Party kamen damals keine sozialen Themen, sondern von da kam kalter Nationalismus bei dem bunten Wahlkampf.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich bin stolz, sagen zu können, dass die Liberaldemokraten in Großbritannien mit den schottischen Nationalisten die einzigen waren,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wir sind hier im Landtag!)

die für die EU gekämpft haben – ohne Wenn und Aber.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es macht Ihnen Spaß – das ist der Grund der Debatte hier –, wirtschaftlich erfolgreiche Menschen mit Kontakten in Unternehmen und Institutionen zu diffamieren und in eine Reihe mit Dracula und Jack the Ripper zu stellen. Aber – ich sage das ganz offen – Sie schaden damit auch Leuten aus Ihrem eigenen Lager.

Sehr interessant ist auch, auf die sprachliche Sättigungsbeilage einer Kleinen Anfrage aus Ihren Reihen zu schauen. Mit Blick auf das Thema „Brexit und Friedrich Merz“ erwähnen Sie in salbungsvollen Worten, dass Berlin und die anderen Bundesländer noch keinen Beauftragten hätten. Dass Sie diesen Punkt so unterstreichen, offenbart eigentlich Ihre Schlusslichtphilosophie.

(Heiterkeit von Dietmar Brockes [FDP])

Unser Anspruch ist ein anderer. Wir wollen an der Spitze der erfolgreichen Brexitfolgenbewältigung stehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, folgen auch andere. Das ist auch sehr wichtig. Ich höre: Auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Gedankenspiele. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die AfD spricht Herr Wagner.

Markus Wagner (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin nicht gerade als Sachwalter der Landesregierung bekannt. Aber, Frau Schulze, wenn Sie der Landesregierung unterstellen, sie kümmere sich nicht um den Brexit, weil sie mit Herrn Merz einen Berater engagiere, muss ich mich sehr wundern.

Denn erinnere mich, dass die rot-grüne Landesregierung voll von Beratern war. Ich denke allein an die Bildungspolitik, bei der sich die rot-grüne Landesregierung sehr gerne hat beraten lassen, was nicht zuletzt zur Bildungskatastrophe in Nordrhein-Westfalen geführt hat.

(Beifall von der AfD)

Ich glaube schon, dass die Beratung zum Brexit durch eine Person, die sowohl über wirtschaftliche Fachkompetenz verfügt als auch in der Lage ist, marktwirtschaftlich zu denken, durchaus von Nutzen sein kann.

Lassen Sie mich noch eines feststellen, Frau Schulze: Ihre Analyse, die Briten hätten den Brexit gewählt, weil sie noch höhere europäische Sozialstandards haben wollen, haben Sie nun wirklich exklusiv für sich allein.

(Beifall von der AfD)

Herr Holthoff-Pförtner – er ist gar nicht mehr da, schade –,

(Hubertus Kramer [SPD]: Er ist nicht zuständig!)

Sie haben eben ein sehr interessantes Angebot gemacht, das ich ernst nehme. Sie haben gesagt: Laden Sie doch Herrn Merz mal in Ihre Fraktion ein, er wird sich freuen zu kommen. – Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Die AfD-Fraktion wird Herrn Merz einladen, und wir freuen uns sehr auf sein Erscheinen in unserer Fraktion.

(Beifall von der AfD)

Herr Remmel, Sie sagten, Sie hätten den Eindruck, diese Debatte hätte nicht stattfinden dürfen. – Ich betone zum Abschluss: Ich bin der Meinung, diese Debatte hätte gar nicht stattzufinden brauchen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Wagner. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Optendrenk das Wort.

(Monika Düker [GRÜNE]: Jetzt wird es sachlich! – Zurufe von der SPD)

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war, ehrlich gesagt, einigermaßen überrascht, dass ein früherer Minister der rot-grünen Landesregierung sich eben an einer solchen Stelle hierhin gestellt hat und über Einhaltung sowie Bewertung von Rechtsgrundlagen philosophiert hat.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Ja!)

– Herr Kollege Remmel, Rechtsgrundlagen braucht man dann, wenn man etwas tut, wofür man eine konkrete Ermächtigung braucht. Aber eine Landesregierung ist frei, Personen ehrenamtlich mit Aufgaben zu betrauen, die nicht in das Regierungsgeschäft eingreifen, sondern sie beraten. Für eine Beratung durch Dritte braucht – das wissen Sie ganz genau – keine Landesregierung eine Rechtsgrundlage.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: In welchem Verhältnis steht er denn zum Parlament?)

Es ist völlig selbstverständlich, dass man sich Sachverstand beiziehen kann. Das haben auch Sie in der Vergangenheit reichlich getan.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben die Frage gestellt, wie das alles rechtlich ist. Diesbezüglich sitzen Sie nicht nur im Glashaus, sondern Sie haben die Scherben gerade in größtem Maße selbst produziert. Welcher Minister des Landes hat denn in der letzten Wahlperiode bei der Beschaffung von Dienstfahrzeugen die Beschaffungsrichtlinien in einer sehr bemerkenswerten Weise umgangen, um sich von einem amerikanischen Unternehmer ein wunderschönes Auto im Wert von mehr als 100.000 € hinstellen zu lassen – mit Sicherheit ein Turbokapitalist, der die gesamte Weltwirtschaft umkrempeln will? – Sie waren derjenige, der die Beschaffungsrichtlinien des Landes vorsätzlich nicht eingehalten hat. Sie persönlich!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie dann die Frage stellen, was der Ministerpräsident mit der Ernennung eines Brexit-Beauftragten eigentlich erreichen möchte, rate ich Ihnen Folgendes: Wir bekommen alle eine Presseschau, und Sie haben auch andere Medien, mit denen Sie sich beschäftigen können. Der Ministerpräsident hat das mehrfach öffentlich erläutert. Normalerweise neigen Sie dazu, am Rednerpult irgendetwas aus der Presseschau zu zitieren. Offensichtlich haben Sie die Presseschau entweder nicht gelesen, oder sie passte Ihnen nicht. Also entscheiden Sie sich. Der Ministerpräsident hat das mehrfach öffentlich erläutert, auch bei der Vorstellung der Personalie Friedrich Merz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und dann gehen Sie mit Krokodilstränen auf das Thema „Sachkompetenz“ ein. Wer es geschafft hat, die Mitglieder des grünen Stadtverbands Erkrath wegen der schieren Sachkompetenz in seinem Ministerbüro zu versammeln, müsste sich an der Stelle vielleicht fragen, ob eine breiter aufgestellte Sachkompetenz nicht nützlich wäre.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich schließe mit Ihren Krokodilstränen: Wenn Sie jemandem Vorwürfe machen wollen, weil diese Debatte eigentlich nicht hätte stattfinden dürfen, dann sollten Sie den Vorwurf nicht an die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen und auch nicht an die Medien und die Bürgerinnen und Bürger richten, sondern an Ihren ehemaligen Koalitionspartner, der eine Aktuelle Stunde im Landtag beantragt hat. Dann diskutieren Sie mit denen darüber, ob es zum Schaden oder zum Nutzen des Landes war, dass wir heute hier über diese Personalie diskutiert haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Dr. Optendrenk. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zur Aktuellen Stunde, und wir haben den Tagesordnungspunkt 1 damit erledigt.

Ich rufe auf:

2   Zukunftskonzept Schulsozialarbeit erarbeiten

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1121

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Voigt-Küppers das Wort.

Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit etwas Positivem beginnen. Wir begrüßen ausdrücklich die Ankündigung der Landesregierung, die Sozialarbeiterstellen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket über den Landeshaushalt weiter zu finanzieren. Darüber hinaus begrüßen wir, dass man sich mit den Stellen aus dem BuT-Paket in den zuständigen Ausschüssen – auch plenar – befasst.

Ich stelle fest: Was den Stellenwert der Schulsozialarbeit angeht, sind wir uns hier alle einig: Die Kinder und die Jugendlichen profitieren von der guten Arbeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, und damit profitieren auch die Schulen selbst.

Die Weiterfinanzierung dieser Stellen ist einerseits eine absolute Notwendigkeit und ein richtiger Schritt. Ich bin wirklich froh, dass das inzwischen alle Beteiligten begriffen haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Andererseits ist diese Ankündigung symptomatisch für das Stückwerk, das wir bei der Schulsozialarbeit vorfinden, denn bei der Schulsozialarbeit lebt man bislang von der Hand in den Mund. Für die Menschen vor Ort ergibt es keinen Unterschied, ob die Sozialarbeiterin oder der Sozialarbeiter an einer Schule vom Bund, vom Land oder aus kommunalen Mitteln bezahlt werden.

Aber sie sind jedes Mal verärgert darüber, wenn eines der Finanzsysteme zu enden droht. Wer hat schon Verständnis dafür, wenn Frau Meier bleiben darf, Herr Müller aber gehen muss? Beide machen doch die gleiche Arbeit, und alle halten diese für wichtig. Außerdem betonen wir selbst hier doch immer wieder, dass es gerade an den Schulen um Verlässlichkeit, um Vertrauen und um den Aufbau von Beziehungen geht. Für Herrn Müller, dessen Stelle nicht weiter finanziert wird, geht es um nichts weniger als seine Existenz. Wenn man ehrlich ist: Es ist eine Zumutung, gegebenenfalls erst zwei Monate vor Ablauf des Vertrages zu erfahren, ob dieser verlängert wird, und wenn ja, dann wiederum nur um ein Jahr.

(Zuruf von der FDP: Was haben Sie denn gemacht?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir besser. Wir müssen eine Lösung finden, die mit Kettenarbeitsverträgen und Befristungen Schluss macht. Wir müssen unbedingt wegkommen von einer Sichtweise, wonach Schulsozialarbeit regelmäßig als finanzielles Problem dargestellt wird; denn die Schulsozialarbeit ist heute ein zentrales Mittel der Jugendhilfe. Die Schulen profitieren ganz wesentlich von der Schulsozialarbeit. Jede Schule, die einmal in den Genuss von Schulsozialarbeit gekommen ist, möchte sie nie mehr missen.

(Beifall von der SPD)

Deshalb ist es unsere Pflicht, endlich dafür zu sorgen, dass Schulsozialarbeit verlässlich und dauerhaft organisiert wird. Aus diesem Grunde fordern wir ein grundständiges Konzept, das den Kommunen Sicherheit, den Schulen Planbarkeit sowie den Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern vor Ort gute Arbeitsbedingungen gibt.

Wir für unseren Teil wollen uns hieran konstruktiv beteiligen. Lassen Sie uns gemeinsam für die Kinder, die Jugendlichen, die Eltern und die Lehrer, aber natürlich auch für die Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter ein Zukunftskonzept entwickeln. Lassen Sie uns endlich über den Tag hinausdenken, und lassen Sie NRW hier eine Vorreiterrolle einnehmen. – Danke und Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Voigt-Küppers. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rock.

Frank Rock (CDU): Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf der Zuschauertribüne! Zu Anfang gehe ich direkt auf das ein, was die Kollegin Voigt-Küppers gesagt hat. Ja, ich gebe Ihnen recht, wir haben hier ein Stückwerk vorgefunden. Dieses Stückwerk müssen wir angehen, und das werden wir auch tun. Ich bin dankbar, dass Sie gemerkt haben, dass Sie uns ein Stückwerk hinterlassen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Schon meinen Schülerinnen und Schülern habe ich erklärt: Vom bloßen Wiederholen der Dinge verändert sich die Sache nicht. Daran habe ich mich bei der Durchsicht der Unterlagen erinnert. Ich wunderte mich schon sehr, dass wir uns heute, nachdem wir die Schulsozialarbeit schon in der letzten Plenarsitzung und in verschiedenen Ausschüssen behandelt hatten, wiederholt mit dem Thema auseinandersetzen müssen.

In der Sache und in der Einstellung hat sich für die NRW-Koalition zu dem Thema seit dem 12. Oktober, also innerhalb der letzten vier Wochen, nichts, aber auch gar nichts geändert. Ich hatte überlegt, meine beiden Reden in letzten Plenarsitzung zu Protokoll zu geben und dadurch meinen Redebeitrag kurz zu halten. Da aber der NRW-Koalition das Thema so wichtig ist, möchte ich doch noch einige grundsätzliche Anmerkungen machen.

Erstens. Es scheint im Hause über alle Parteigrenzen hinweg Einvernehmen darüber zu bestehen, dass wir angesichts der zukünftigen Herausforderung in unseren Schulen die Schulsozialarbeit dringend benötigen.

Zweitens. Die NRW-Koalition und auch unser Minister Karl-Josef Laumann haben im Haushaltsplanentwurf 2018 und auch in der Mittelfristplanung vorgeschlagen, die Schulsozialarbeit – wie schon in meiner letzten Rede angedeutet – im Rahmen der nun beginnenden Haushaltplanberatung zu sichern.

Drittens. Die NRW-Koalition wird in ihrer Verantwortung entscheiden, wann und wie das Konstrukt Schulsozialarbeit zukunftsfähig gemacht werden kann. Daher brauchen wir keine Anträge – schon gar keine Showanträge – der SPD, die wie immer bei solchen Anträgen ihre sogenannte soziale Kernmarke stärken möchte.

Diese Vorgehensweise kenne ich aus kommunalen Gremien allzu gut. Die SPD verkennt hier aber, dass unsere Bürgerinnen und Bürger seit Jahren erkannt haben, dass dieser Markenkern gar nicht mehr da ist. Die Wahlergebnisse der letzten Jahre haben das gezeigt. Sie zeigen sehr deutlich, was die Bürgerinnen und Bürger von der Kernmarke der SPD halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion und der Grünen-Fraktion, ich habe in den Gremienunterlagen lange gesucht, und ich habe – zu Neudeutsch – „gegoogelt“, aber ich habe keinen einzigen Antrag und keine Initiative zum Zukunftskonzept der Schulsozialarbeit gefunden. Sieben Jahre lang gab es kein Konzept zur Schulsozialarbeit.

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP] – Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Jochen Ott [SPD]: Das ist einfach peinlich!)

– Bitte, Frau Voigt-Küppers – ich zitiere –: „endlich dafür Sorge tragen“. – Nach sieben Jahren!

(Jochen Ott [SPD]: Herr Rock, Sie sind einfach peinlich! Das ist ein Niveau – unterirdisch!)

Sie fordern wie so oft in der politischen und vor allem der schulpolitischen Debatte Dinge, die Sie in den letzten Jahren versäumt haben:

(Beifall von der CDU und der FDP)

die Angleichung der Eingangslehrämter, die Anzahl der Konrektoren erhöhen – und nun, nach sieben Jahren: endlich ein Konzept der Schulsozialarbeit. Das ist unredlich! Das haben die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land verstanden, und sie haben entsprechend gewählt.

Ich habe schon fast den Eindruck, als hätte die SPD-Fraktion eine große Schublade, in der alle Anträge zu finden sind, die sie in der eigenen Regierungszeit nicht umsetzen konnte oder nicht umgesetzt hat und die sie jetzt auf unsere Agenda setzen will.

(Jochen Ott [SPD]: Das Schöne ist ja, dass Sie die Rede nicht fünf Jahr ankündigen!)

Ich sage, Herr Ott: Die Anträge benötigen wir nicht. Ich gebe Ihnen auch einen Hammer, um die Schublade zuzunageln. Denn die Aufgaben für unser Land haben wir im Koalitionsvertrag festgezurrt, und wir werden sie nach und nach abarbeiten.

(Jochen Ott [SPD]: Ich bin gespannt, Herr Rock! Wer zuletzt lacht, lacht am lautesten!)

Sie hatten sieben Jahre lang Zeit, Herr Ott, und haben diese nicht genutzt. Lassen Sie uns auch Zeit.

(Jochen Ott [SPD]: Sie müssen Ihre Rede mal austauschen, Herr Rock!)

Die NRW-Koalition wird die Schulsozialarbeit in den nächsten Jahren auf stabile Füße stellen. Wir teilen folgende Feststellungen im Antrag; denn diese Punkte waren unter anderem auch Inhalt meiner letzten Rede:

Erstens. Unsere Schulsozialarbeiter leisten gute und wertvolle Arbeit.

Zweitens. Die Anforderungen und Herausforderungen sind gestiegen. Darum benötigen wir eine Vielfalt an Professionen und Kompetenzen an unseren Schulen.

Drittens. Die Schnittstellenaufgabe ist groß, da der Bereich der Jugendhilfe ein zentraler Akteur ist.

Viertens. Auch die Verantwortung für die Teilhabe am sozialen Leben ist uns sehr wichtig.

Ich möchte mit einer Lebensweisheit eines unbekannten Verfassers enden – gut zuhören, Herr Klocke! –:

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ich muss jetzt leider raus, tut mir leid!)

„Wer nach vorne sehen will, darf nicht nach hinten denken.“

Sie denken leider in vielen Themen nach hinten bzw. in alten Mustern. Wir, die NRW-Koalition, schauen nach vorne. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD bringt heute erneut das Thema „Schulsozialarbeit“ in die unterschiedlichen Gremien des Landtags ein, indem sie die Erstellung eines Zukunftskonzepts für die Schulsozialarbeit beantragt.

Ich habe bereits in meiner Rede in der letzten Plenarwoche geschildert, wie wichtig die Schulsozialarbeit ist und dass wir diese intensivieren und ausbauen wollen. Genau wie mein lieber Kollege Frank Rock verzichte auch ich darauf, meine letzte Rede einfach erneut vorzutragen – diese Idee ist auch mir gekommen. Unsere Auffassung von der unverzichtbaren Bedeutung der Schulsozialarbeit ist unverändert geblieben. Deswegen verzichte ich darauf.

Ich werde Ihnen stattdessen die Chronologie der parlamentarischen Befassung mit dem Thema „Schul-sozialarbeit“ in der laufenden Wahlperiode aufzeigen. Weil das so häufig der Fall war, muss ich leider etwas schneller sprechen, damit meine 5 Minuten dafür ausreichen.

11. September: Die SPD reicht für den nächsten Schulausschuss einen Antrag zur Schulsozialarbeit ein – Drucksache 17/810 –, in dem sie die Sicherung der Schulsozialarbeit durch jährlich rund 48 Millionen € fordert.

29. September: Schulministerin Gebauer versendet die Vorlage 17/151 – Bericht an den Ausschuss für Schule und Bildung zum Tagesordnungspunkt „Zukünftige Finanzierung der Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen“. In diesem Bericht – Sie haben ihn hoffentlich gelesen – werden die Aufgaben und Rechtsgrundlagen der Schulsozialarbeit erläutert, und es wird aufgelistet, wie das Land die Schulsozialarbeit bereits mit unterschiedlichen Programmen fördert.

4. Oktober: Sie beantragen im Ausschuss für Schule und Bildung, dass die Landesregierung weitere Informationen zur konzeptionellen Regelung der Schulsozialarbeit vorlegt.

12. Oktober: Wir diskutieren den vorgenannten SPD-Antrag Drucksache 17/810 hier im Plenum und überweisen diesen federführend an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und zusätzlich an den Ausschuss für Schule und Bildung, um die Debatte dort fortzuführen.

25. Oktober: Die schwarz-gelbe Landesregierung gibt bekannt, jährlich bis 2021 rund 48 Millionen € für die Fortführung der Schulsozialarbeit in den Haushalt einzustellen.

3. November: Ministerin Gebauer legt die Vorlage 17/219 – Ergänzender Bericht an den Ausschuss für Schule und Bildung „Konzeptionelle Regelungen zur Schulsozialarbeit“ – vor. Ich verzichte darauf, Ihnen die Punkte dieser ausführlichen Vorlage vorzutragen. Ich darf da auch davon ausgehen, dass Sie den Bericht vollständig gelesen haben.

8. November: Im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantragen Sie trotz der inhaltlichen Erledigung eine Expertenanhörung zu Ihrem Antrag 17/810.

17. November – das ist heute –: Wir diskutieren hier im Plenum Ihren neuen Antrag 17/1121, mit dem Sie ein Zukunftskonzept für die Schulsozialarbeit fordern. Dieser Antrag soll überwiesen werden federführend an den Ausschuss für Schule und Bildung und zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und an den Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie. So, wie ich Sie kenne, werden Sie auch dazu wieder eine Expertenanhörung beantragen.

(Jochen Ott [SPD]: Das wissen Sie doch schon! Das habe ich Ihnen doch schon erzählt!)

Zukunftsausblick: Die beiden Anhörungen werden erst im neuen Jahr stattfinden, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nach Verabschiedung des Haushalts.

So viel zur Chronologie. Das war schon ganz schön viel.

Jetzt komme ich zu dem, was Sie heute fordern. Wie dürfen wir das eigentlich verstehen, dass Sie kein halbes Jahr nach Ende Ihrer Regierungsbeteiligung ein Zukunftskonzept für die Schulsozialarbeit fordern? Was haben Sie in den letzten sieben Jahren gemacht?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben offenbar völlig ohne Konzept gearbeitet.

Ich fasse zusammen: Was ist die wichtige Botschaft für die Schulsozialarbeit vor Ort?

25. Oktober: Die schwarz-gelbe Landesregierung gibt bekannt, jährlich rund 48 Millionen € für die Fortführung der Schulsozialarbeit bis 2021 in den Haushalt einzustellen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich betone es noch einmal wie auch in der letzten Plenarwoche: Es gibt klare Aussagen zu diesem wichtigen Thema in unserem Koalitionsvertrag.

Was in Gottes Namen bringt Sie eigentlich dazu, Ihre eigenen Verfehlungen aus den letzten sieben Jahren immer und immer wieder proaktiv aufs Tapet zu bringen?

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Sie werden an Ihrer Rede ersticken in zwei Jahren!)

Was besonders bitter für Sie ist, liebe Kollegen von der SPD: In den letzten vier Jahren hätten Sie das auch auf der Bundesebene klären können. Die Arbeitsministerin hieß meines Wissens Andrea Nahles.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Warum haben Sie es nicht gemacht?

(Jochen Ott [SPD]: Ich freue mich schon auf Ihre Rede in zwei Jahren!)

Sehr geehrte Damen und Herren, die NRW-Koalition wird Schritt für Schritt handeln und die Schulsozialarbeit finanziell und konzeptionell stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Ich bin ganz begeistert! Sie haben das Konzept immer noch nicht verstanden! Köstlich!)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es mal von der anderen Seite her versuchen. Ich meine, dass es uns sehr gut tun würde, aus dem Wahlkampfmodus langsam herauszukommen

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und in einen Arbeitsmodus hier im Parlament und in der Bildungspolitik hineinzukommen.

(Zuruf von der FDP)

– Dass Sie das nicht hinkriegen, weiß ich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber jetzt spreche ich mal die neue Kollegin an. Bildungspolitik – ich glaube, da sind wir uns einig – hat noch nie mit einem Urknall begonnen und hört auch nicht irgendwann mit Sackzubinden auf, sondern wir müssen an den Dingen beständig arbeiten. Deswegen ist es gut, dass wir zur Schulsozialarbeit eine Anhörung haben werden. Ich möchte, dass wir an Fragen gemeinsam arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die sind auch nicht in einer Legislatur abgeschlossen. Ich will die großen Fragen mal benennen, die wir miteinander bedenken müssen.

Das ist in der Tat die gemischte Finanzierung. Ich hoffe, dass auch die Tatsache, dass sich die Sondierungsgruppe in Berlin jetzt noch einmal Zeit nimmt, dann zu dem Ergebnis führt, dass wir vom Bund mehr Unterstützung bekommen werden. Sowohl die FDP als auch die Grünen stehen dafür, dass wir in der Bildungsfinanzierung Unterstützung vom Bund brauchen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das bedeutet auch, dass wir in dieser Frage der Schulsozialarbeit und des multiprofessionellen Personals Unterstützung brauchen. Das gilt für die Inklusion, wo auch Schulsozialarbeit eine wichtige Rolle spielt. Wir müssen miteinander und mit unseren Partnern im Land, den kommunalen Spitzenverbänden, über die finanziellen Zuständigkeiten, die inneren und äußeren Schulangelegenheiten reden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Für Stellen im Landeshaushalt liegt die Zuständigkeit bei der Ministerin und beim Sozialminister. Auch mit der Jugendhilfe, die auf der kommunalen Ebene verortet ist, die auch über das Bundessozialgesetzbuch determiniert ist, müssen wir das zusammenbringen. Das ist doch genau das, was die Kollegin Voigt-Küppers eben auch angesprochen hat. Das läuft über unterschiedliche Programme.

Ich habe das in der Debatte auch schon einmal gesagt. Ich wiederhole es aber gerne: Ich bin vollkommen bei Minister Laumann, der über diesen Wahnsinn an Bildungs- und Teilhabebürokratie gesprochen hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bin als Ehrenamtlerin Vorsitzende eines Fördervereins, der die Mensa in einer großen Gesamtschule führt, mit bis zu 1.000 Essen am Tag. Ich habe allein eine Verwaltungsangestellte beschäftigt für die Abwicklung im Bildungs- und Teilhabepaket, um sich mit den Familien, dem Job-Center und dem Sozialamt auseinanderzusetzen. Das kann doch nicht sein.

Es gibt tatsächlich noch Träger auch in Kreisen, die diese wertvolle Ressource dafür einsetzen, Anträge aus Familien zu generieren. Wollen wir uns tatsächlich über solche Dinge nicht miteinander unterhalten?

(Jochen Ott [SPD]: Bravo!)

Das kann ich nicht nachvollziehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen: Packen Sie doch mal die alten Befindlichkeiten weg, und tun Sie nicht so, als ob jetzt die Welt neu erfunden worden wäre! Nein, Sie haben genau an diesen kleinen Dingen, an den Mühen der Ebenen, an den unterschiedlichen Zuständigkeiten mitzuarbeiten. Herr Rock, ich bitte darum, dass wir das auch gemeinsam tun, um in dieser großen Frage des Aufdröselns der Bildungsfinanzierung vielleicht zu neuen Vereinbarungen zu kommen.

Sie wollen eine Unterstützung in der Schulleitungsassistenz. – Ja, das haben wir auch nicht nur im Programm geschrieben, sondern wir haben erste Schritte getan. Aber dazu brauchen wir eine Klärung. Wir brauchen eine Klärung und kommen dann vielleicht auch zu gemeinsamen Schritten. Daran hängt viel. Deswegen würde ich darum bitten, dass wir einen konstruktiven Dialog führen und die alten Reflexe endlich einpacken. Ich glaube, dann kommen wir hier im Dienste der Sache einen Schritt weiter.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die AfD spricht Herr Kollege Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Oktober hatten wir bereits schon einmal einen Antrag der SPD zur Schulsozialarbeit vorliegen. Damals ging es um die Absicherung der finanziellen Mittel, mit denen das Land NRW die Schulsozialarbeit in den Kommunen unterstützt.

Dass die SPD aber nun mit diesem Antrag aus den Büschen kommt, die Regierung solle ein Zukunftskonzept Schulsozialarbeit erarbeiten, verdeutlicht im Grunde ihre Konzeptionslosigkeit in der vergangenen Regierungszeit in Sachen Schulpolitik und die augenblickliche Flapsigkeit im Umgang mit ernstzunehmenden und wichtigen Anliegen.

Denn offensichtlich haben Sie ja in Ihrer Regierungszeit Geld ausgegeben, ohne dass von Ihrer Seite ein Konzept vorlag. Die Zustandsbeschreibung, die Sie in Ihrem Antrag von der Schulsozialarbeit zeichnen, ist einfach von keiner Kenntnis getrübt.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Also, ich glaube es nicht!)

– Doch, ich werde es Ihnen gleich sagen. Hören Sie mal zu! – Denn die Unübersichtlichkeit, von der Sie reden, mag nur für den eine sein, der nicht weiß, wie Schulen arbeiten und wie schulische Sozialarbeit organisiert ist.

Die Jugendhilfe ist mitnichten innerhalb der Schule ein Akteur in der Schulsozialarbeit. Sie begleitet die Schulsozialarbeit höchstens außerhalb der Schule und bildet das überwölbende Dach, unter dem auch die Schulsozialarbeit ihre Heimstatt hat. Aber innerschulische Hilfestellung wird von ihr nicht geleistet. Im Gegenteil, die Datenschutzbestimmungen lassen es leider nicht zu, dass dem Schulleiter oder der Beratungskoordinatorin aus den Rathäusern wertvolle Hinweise über die soziale Situation bestimmter Kinder mitgeteilt werden – früher oft zu meinem Ärgernis.

Die Tatsache, dass es wahrlich eine ganze Reihe von Einrichtungen gibt, welche sich um die Belange von Kindern und Jugendlichen kümmert, die der Hilfe bedürfen, heißt doch nicht, dass die Schulsozialarbeit in sich diffus organisiert ist.

Allerdings muss man dann auch wissen, welchen Zweck schulische Sozialarbeit verfolgt. Sie kann auf keinen Fall gesellschaftliche Defizite heilen und psychotherapeutische Dienste oder gar Familienhilfe leisten, so wünschenswert das im Einzelfall sein mag. Hier sind dann außerschulische Einrichtungen gefragt, die höchstens in einen Austausch mit dem Lehrer treten können, wenn die Betroffenen einverstanden sind und das wollen. Das ist – Gott sei Dank – häufig so.

Schulsozialarbeit ist in erster Linie auf Hilfestellungen zum besseren Lernen und zur gelungenen Eingliederung in den Klassen- und Schulverband ausgerichtet. Deshalb ist die Verantwortung für die Schulsozialarbeit, soweit ich Schulen kenne, immer einer Lehrkraft übertragen, die sämtliche Verfahren koordiniert und zu den verschiedenen inner- wie außerschulischen Einrichtungen die Verbindung hält und für den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin herstellt.

Deshalb bleibt die Verantwortung niemals unklar, sondern ist innerschulisch sehr gut zu verfolgen.

Wenn dann auch noch die Gesamtsituation eines Kindes in den Blick genommen wird und dem Kind noch durch außerschulische Einrichtungen wie Diakonie, Caritas oder einer Schulpsychologischen Beratungsstelle weitere Hilfe geleistet wird, ist das auch ein Erfolg der Schulsozialarbeit – wohl wahr –; aber es ist nicht mehr deren Aufgabe, das Kind außerschulisch zu begleiten.

Das, was ich hier vorgestellt habe, findet sich bereits in verschiedenen Variationen in den Schulen des Landes. Aber davon haben Sie offensichtlich nie Kenntnis genommen, sonst wäre dieser Antrag nicht vorhanden.

(Beifall von der AfD)

Das Ministerium muss nicht erst ein Konzept erstellen. Und wenn es eines erstellt, sollte es sich einmal bei den Schulen im Land erkundigen, anstatt wieder schulfremde Kathedersozialisten zu bemühen.

(Beifall von der AfD)

Ich könnte Ihnen wenigstens eine Schule nennen, in der Sie ein sehr systemisch angelegtes Konzept von Schulsozialarbeit beobachten können.

Das Feixen des einen oder anderen Abgeordneten zeigt mir, dass Sie offensichtlich die Menschen, die vor Ort sich um die Menschen kümmern, nicht ernst nehmen.

(Beifall von der AfD)

Das ist ein Gefühl – verzeihen Sie es mir! –, was ich in der Vergangenheit häufiger hatte.

(Jochen Ott [SPD]: Ich habe keinen gesehen, der hier gefeixt hat! Sie schreiben das schon vorher auf! – Gegenruf von der AfD)

– Nein, habe ich nicht, können Sie sehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eines ist meiner Ansicht nach doch sehr auffällig: Sie stellen sich nach außen hin immer als Anwalt der sozial Schwachen hin, machen viel Wind um soziale Gerechtigkeit, vor allem, wenn Sie sich in der Oppositionsrolle befinden. In den seltensten Fällen jedoch ist Ihr Handeln tatsächlich und konkret sozial und führt zu mehr sozialer Gerechtigkeit – und wenn, dann immer auf Kosten anderer, die den Preis dafür zu zahlen haben.

(Beifall von der AfD)

Die Schulmisere, die dazu führt, dass wir heutzutage dringend Schulsozialarbeit benötigen, haben Sie mit zu verantworten, wie ich in meiner Rede im Oktober ausgeführt habe. Deshalb halte ich Ihren flapsig formulierten Antrag für eine große Show, die der Effekthascherei dient. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Das war Herr Kollege Seifen für die AfD-Fraktion. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Gebauer.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schulsozialarbeit ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu mehr Multiprofessionalität an den Schulen. Kinder und Jugendliche, Eltern und Lehrkräfte stehen vor vielfältigen gesellschaftlichen, aber auch individuellen Herausforderungen, und das spiegelt sich natürlich auch in unseren Schulen wider.

Die professionelle Unterstützung der Schulen bei der Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags durch Schulsozialarbeit ist seit Langem ein sehr wichtiges Thema. Dies wird in der Perspektive immer bedeutsamer – nicht nur, aber auch unter dem Stichwort „multiprofessionelle Teams“.

Meine Damen und Herren, an der Vergangenheit haben sich alle Vorredner – so meine ich – in ausreichendem Maße abgearbeitet.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])

Als Ministerin möchte ich eher den Blick nach vorne richten. Das verstehe ich unter meiner Aufgabe.

(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD] und Jochen Ott [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Sehr gut!)

Die verlässliche Fortführung der sozialen Arbeit an Schulen im Rahmen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepaketes ist mittelfristig gesichert. Die Landesregierung hat die Fortschreibung des Ansatzes in unveränderter Höhe von 47,7 Millionen € bis zum Jahre 2021 vorgesehen.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist gut!)

Zudem gibt es bereits eine Verpflichtungsermächtigung in Höhe von insgesamt 95,4 Millionen € für die Jahre 2019 und 2020. – Ich freue mich, Herr Ott, dass Sie das gut finden.

(Jochen Ott [SPD]: Ja!)

Ungeachtet dieses Einsatzes der neuen Koalition wird sich die Landesregierung aber auch weiterhin dafür einsetzen, dass der Bund seiner verfassungsrechtlich geltenden Finanzierungsverantwortung für die soziale Beratung leistungsberechtigter Kinder und Jugendlicher nachkommt.

(Zuruf von der SPD: Auch gut! – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, das Schulministerium finanziert Stellen für Fachkräfte für Schulsozialarbeit in Form originär geschaffener Stellen sowie umgewandelter Lehrerstellen.

Sie wissen, das Thema ist besonders hinsichtlich der Finanzierung und der rechtlichen Verankerung in mehreren Sozialgesetzbüchern sehr vielschichtig.

Aufgrund der Vielzahl der Organisationsformen und Verantwortlichkeiten der Schulsozialarbeit bedarf es sehr sorgfältiger Überlegungen, einer Abstimmung zwischen dem Arbeits-, dem Familien- und dem Schulministerium sowie gegebenenfalls weiterführender Beratungen auch auf Bundesebene. Auf Landesebene werden die kommunalen Spitzenverbände und die freien Träger der Jugendhilfe beteiligt. Hier vorschnell ein von der Landesseite allein ausgearbeitetes Konzept vorzulegen, meine Damen und Herren, halte ich nicht für zielführend.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Frage der Zuständigkeiten ist sehr komplex. Ein Konzept muss im Kontext von bundesgesetzlichen Regelungen, Landesaufgaben und der kommunalen Daseinsvorsorge erarbeitet werden. Auch müssen die inhaltlichen Konzepte vor Ort im Zusammenspiel von Schule, Jugendhilfe und den Trägern realisiert werden. Es ist also wichtig, Rahmensetzungen vorzunehmen, den Akteuren vor Ort aber Spielräume zu lassen und sie konzeptionell auszugestalten.

Die Landesregierung befindet sich – das darf ich sagen – bereits in konzeptionellen Diskussionen mit dem Arbeits- und dem Familienministerium. Wir müssen und wir werden bei der Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit konsequent und sachorientiert vorgehen. Aber auch hier, wie in allen anderen Bereichen meines Ressorts, gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit unter Beteiligung aller handelnden Akteure bei größtmöglicher Transparenz. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich danke der Ministerin für die Rede nach vorne und will noch einmal für diejenigen, die es nicht verstanden haben, erklären, wo der Unterschied liegt.

Wir sind froh darüber, dass das Finanzielle geregelt ist. Herr Laumann hat hier beim letzten Mal eine Rede gehalten. Im Ausschuss ist im Zusammenhang mit der Finanzierung eine Rede gehalten worden. Alle, die aus Ihrem Haus und aus dem Haus der Schulministerin gesprochen haben, haben gesagt: Die Finanzierung ist das eine, aber das Konzept ist das andere.

Wir haben hier das vorgeschlagen, was Sigrid Beer gerade noch einmal dargestellt hat. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir ressortübergreifend weiterkommen. Ich nehme es Ihnen gar nicht übel, Frau Müller-Rech, Sie und Herr Rock können es nicht besser wissen. Sie haben immer noch die Illusion, es muss nur irgendwo einen CDU- oder FDP-Minister geben, dann wird die Welt gut und die Sonne scheint den ganzen Tag.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Bodo Löttgen [CDU]: Ja, da ist was dran! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Ja, ich sage, das Paradies ist kurz vor der Verwirklichung, wenn die CDU überall regiert. Klar!

(Bodo Löttgen [CDU]: Genauso ist es! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Ja. – Der Witz an der Sache ist: Auch ihr werdet feststellen, dass es bestimmte Grundproblematiken gibt, die im fehlenden Willen der Ministerien und der Dezernate in Städten liegen, ressortübergreifend zu arbeiten. Deshalb ist die spannende Frage: Was wollen wir politisch eigentlich?

Die Ministerin hat recht, dass wir auf Bundesebene, auf Landes- und den Kommunalebene Strukturen anpassen müssen. Wer nicht bereit ist, in strukturell schwierigen Fragen parteiübergreifend und ebenenübergreifend Lösungen zu erarbeiten, der wird keine Lösungen hinbekommen. Wir brauchen da einen strategischen Ansatz.

Deshalb will ich hier noch einmal sagen, liebe Ministerin Gebauer, wir wollen mit diesem Antrag dazu beitragen, ernsthaft ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten. Wer hier vorheuchelt, in den Fraktionen gäbe es keine unterschiedlichen Vorstellungen von Jugend-, Sozial- und Schulpolitikern, …

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Jochen Ott (SPD): … wer also glaubt, das sei eigentlich alles kein Problem, der irrt. Die Menschen wissen, für die Kinder ist das Entscheidende, was vor Ort in den Schulen und mit den Lehrerinnen und Pädagogen ist, und nicht, aus welchem Pott es bezahlt wird und welcher Minister hier dafür die Reden hält.

Insofern lade ich Sie ein: Lassen Sie uns ernsthaft an diesem Konzept arbeiten. Wir beteiligen uns sehr gern, wenn die Landesregierung hier den Weg nach vorn geht.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende dieser Aussprache. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

 Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1121 an den Ausschuss für Schule und Bildung – federführend –, und die Mitberatung geht an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Ich schließe den …

(Zuruf)

– Ach so, Entschuldigung. Ja, natürlich, es war eine Überweisung. – Auch wenn ich davon ausgehen darf, dass alle der Überweisung zustimmen, muss ich natürlich fragen, ob jemand gegen die Überweisung stimmt. – Das ist nicht der Fall. Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen. – Ich danke Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben.

Ich rufe auf:

3   Das Gift vom Acker holen – Keine weitere Zulassung von Glyphosat!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1120

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die antragstellende Fraktion der Grünen Herr Kollege Rüße jetzt das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahrzehnten haben wir immer wieder eine Debatte über einzelne Pflanzenschutzmittel erlebt. Ich denke, Namen wie DDT, E 605, Parathion oder Atrazin sind vielen Menschen hier im Raum immer noch ein Begriff, obwohl diese Mittel bereits seit Jahrzehnten verboten sind.

Ich glaube auch, man kann eines feststellen: Keine Debatte über ein Pflanzenschutzmittel wurde und wird dermaßen heftig geführt wie die Debatte über Glyphosat.

(Henning Höne [FDP]: Wem nützt das denn eigentlich? Wem nützt das? – Weitere Zurufe von der FDP)

Die Frage lautet im Moment: Wird Glyphosat weiter zugelassen oder nicht? – Es ist eine formale Frage. Es geht darum, die Zulassung eines Pestizids noch einmal zu verlängern oder eben die Verlängerung jetzt nicht zu erteilen.

Dass wir so heftig über das Zulassungsverfahren reden, liegt an dem, was in diesem Zulassungsverfahren passiert. Es ist schon erstaunlich, wenn man sieht, welche Nähe zwischen den Herstellern von Pflanzenschutzmitteln und europäischen Zulassungsbehörden bestehen, wenn man sieht, wie dort E-Mails hin und her gehen und wie vertraulich dort miteinander kommuniziert wird. Von all diesen Vorgängen haben wir nur deshalb erfahren, weil in den USA diese Dokumente öffentlich gemacht werden mussten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, besonders erstaunlich ist dann aber der Vorgang beim Bundesinstitut für Risikobewertung. Dieses Bundesinstitut kopiert für die eigene Stellungnahme seitenweise Wort für Wort aus einem Bericht des Herstellers und übernimmt auch noch dessen Bewertung von Glyphosat nahezu eins zu eins. Das ist peinlich und stellt die Unabhängigkeit dieses Instituts infrage.

(Beifall von den GRÜNEN – Horst Becker [GRÜNE]: So ist es!)

Ich sage auch ganz offen – und das, denke ich, teile ich mit sehr vielen hier im Raum –: Ich bin mir über die Gefährlichkeit von Glyphosat nicht sicher. Ich kann nicht sicher einschätzen, wie gefährlich Glyphosat ist. Aber im Zweifelsfall muss es ein klares Nein geben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Im Zweifelsfall – und zurzeit gibt es Zweifel genug – muss die Gesundheit maximalen Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen haben.

Herr Höne, ich sage Ihnen – so viel weiß ich ja auch  –: Glyphosat können Sie durch den Grubber oder durch den Pflug ersetzen. Eines können Sie aber nicht ersetzen, und das ist die Gesundheit. Das können Sie nicht!

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Frau Ministerin Schulze Föcking, ich fordere Sie deshalb auf: Setzen Sie sich mit uns dafür ein, dass es für Glyphosat keine weitere Verlängerung der Zulassung in Europa gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn, Frau Schulze Föcking, Sie sind nicht nur Landwirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, sondern Sie sind auch für den Verbraucherschutz, für den Umweltschutz und für den Naturschutz in diesem Land zuständig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nehmen Sie das wahr! Wägen Sie in der Gesamtheit ab, und Sie können dann mit uns nur zu dem Ergebnis kommen, dass Sie die Zulassung für Glyphosat verweigern.

Glyphosat ist aber nur ein Teil des Problems; das können Sie unserem Antrag entnehmen – der ist zweigeteilt –, den Sie ja gelesen haben werden. Glyphosat steht zwar am heftigsten in der Debatte, aber wir haben insgesamt ein Problem mit Pestiziden. Es gibt einen massiven Zusammenhang zwischen Pestiziden und der Artenvielfalt, den wir seit Jahren diskutieren, und es gab immer wieder den Vorwurf: Wir wissen doch gar nicht genau, wie die Bestände heruntergegangen sind, ob sie heruntergegangen sind.

Wir wissen aber seit den Forschungsergebnissen der Entomologen aus Krefeld, die wissenschaftlich nochmals überprüft worden sind, dass es einen Rückgang bei Insekten um 70 bis 75 % gibt. Das korreliert wiederum hervorragend mit dem Rückgang der Bestände von Vögeln, die damit nahrungskettenmäßig eng zusammenhängen.

Das alles macht Sinn, und ich denke, es macht auch Sinn, jetzt zu handeln und endlich eine Pestizidreduktionsstrategie zu fahren, endlich herunterzukommen von diesem Verbrauch, der seit 30 Jahren trotz des Reduktionsprogramms – heute heißt das Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz – stagniert. Wir müssen endlich dazu gelangen, das alles zu verbessern. Ein weiteres Abwarten brauchen wir nicht. Es ist Zeit, jetzt zu handeln.

Wir sagen deshalb: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Stimmen Sie für ein Verbot von Glyphosat. Stimmen Sie für bessere Genehmigungsverfahren. Stimmen Sie mit uns für mehr Forschung. Stimmen Sie für ein ambitioniertes Pestizidreduktionsprogramm! Wir bitten um Ihre Zustimmung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Frieling das Wort, der jetzt seine erste Rede hält.

Heinrich Frieling (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Schon im 16. Jahrhundert lehrte uns Paracelsus mit seinem berühmten Zitat: Die Dosis macht das Gift. Diese Aussage trifft auf den Antrag der Grünen in doppelter Hinsicht zu.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Es ist keine Frage: Zum einen ist Glyphosat ein Pflanzenschutzmittel, das in die Hände von Fachleuten gehört, die damit umzugehen, es einzusetzen und zu dosieren wissen. Zum anderen passen Parcelsus‘ Worte aber auch – und die Tonlage von Herrn Rüße spricht hier Bände –zu dem Antrag selbst – zu seinem Stil –, der in der Dosis über das Ziel hinausschießt und der einmal mehr geeignet ist, das Klima in der gesellschaftlichen Diskussion um eine moderne Landwirtschaft zu vergiften.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Grünen pflegen nun einmal gerne ihre Feindbilder. Heute trifft es wieder einmal die konventionelle Landwirtschaft ohne Rücksicht auf die hauptsächlich betroffenen Familienbetriebe.

Anstatt einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Landwirtschaft zu leisten oder ökonomische Gesichtspunkte mit wichtigen ökologischen Zielen in Einklang zu bringen, pflegen die Grünen ihr altes Lagerdenken und stellen ihre eigene Ideologie sogar über die Tatsachen.

An dem Antrag und den darin gestellten Forderungen sowie den Feststellungen zeigt sich das deutlich. Danach soll der Landtag heute feststellen, dass eine menschliche Gesundheitsgefährdung durch den Einsatz von Glyphosat nicht abschließend wissenschaftlich geklärt sei und daher kein Risiko ausgeschlossen werden könne.

Mit Verlaub und auch ohne verharmlosen zu wollen: Wir könnten heute genauso gut feststellen, dass der Einsatz von grünem Tee oder Tofu ebenfalls nicht abschließend wissenschaftlich geklärt ist und ein Risiko daher nicht endgültig ausgeschlossen werden kann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ferner soll der Landtag feststellen, dass das Insektensterben auf einen massiven und unkontrollierten Einsatz von Pestiziden und Herbiziden zurückzuführen sei.

Das ist bereits fachlich falsch ausgedrückt, weil die Herbizide neben anderen Pflanzenschutzmitteln eine Untergruppe der Pestizide sind. Außerdem müsste der Landtag zunächst untersuchen, wo es diesen massiven und unkontrollierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gab. Von den Grünen wird das hier nur als Pauschalvorwurf in den Raum gestellt. Danach müssten wir die Auswirkungen auf die Welt der Insekten genau beleuchten und die – so vermute ich zumindest – vielfältigen Ursachen für den Rückgang der Populationsgrößen erforschen.

Die Aufgabe der Politik ist es aber nicht, solche naturwissenschaftlichen Zusammenhänge festzustellen, sondern es ist die Aufgabe der Wissenschaft, dies methodisch korrekt und politisch unvoreingenommen zu tun. Die Politik ist dann gut beraten, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu beachten und sich nicht ideologisch darüber hinwegzusetzen, wie die Grünen es hier tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zurück zu den Tatsachen: Glyphosat ist bereits ein in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelter Wirkstoff. Glyphosatbasierte Herbizide sind weltweit die gebräuchlichsten und daher gründlichst untersucht. Als Herbizid wirkt Glyphosat, indem es den Stoffwechsel der Pflanze blockiert. Es hemmt ein Enzym, das lediglich bei Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Es hat somit bei Menschen und bei Tieren keinen Angriffspunkt. Glyphosat wirkt auf sämtliche Pflanzen und hat damit ein breites Anwendungsspektrum. Es wird verwendet, um Unkräuter vor und nach dem Anbau von Feldfrüchten zu dezimieren. Die Anwendung zur Erleichterung der Ernte ist nicht erlaubt.

Natürlich sind die Grundsätze der guten fachlichen Praxis zu berücksichtigen, um den Mitteleinsatz möglichst zu reduzieren. Die Dosis macht das Gift. Bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung ist Glyphosat nicht schädlich.

Die Wirkung auf Nicht-Zielorganismen ist sehr gering. Dies wurde wiederholt und umfassend untersucht. Insbesondere das angesprochene Thema des Insektensterbens ist nicht direkt mit Glyphosat selbst als Wirkstoff in Verbindung zu bringen, da dieser nicht für die Tiere giftig ist.

Auch der Mangel an Blühpflanzen im Feld als Nahrung für die Insekten wird durch ein Verbot von Glyphosat nicht behoben, da die Anbauer mit dem Ziel einer wirtschaftlichen Produktion hochwertiger Lebensmittel die Unkräuter auch anderweitig bekämpfen müssten und würden. Hier helfen vielmehr andere Maßnahmen wie die Förderung von Blühstreifen am Ackerrand.

Im Hinblick auf den Menschen kommen fast alle Prüfungen und sämtliche unabhängigen Institute zu dem Ergebnis, dass sich bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung des Wirkstoffs Glyphosat keine Gefahr für den Menschen und die Gesundheit ergibt. Zu diesem Ergebnis kommen auch die deutschen Zulassungsbehörden, also das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, und die Bewertungsbehörden, also das Umweltbundesamt, das Julius-Kühn-Institut und – Herr Rüße, Sie haben es angesprochen – das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Letzteres wurde übrigens – daran darf ich Sie an dieser Stelle erinnern – 2002 von der damaligen Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast ins Leben gerufen. Das BfR ist aber, was Ihnen anscheinend nicht passt, in seiner wissenschaftlichen Bewertung und Forschung unabhängig.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das haben wir gesehen!)

Hier zeigt sich auch, wie bereits im Umweltausschuss, wie Sie als Grünen-Fraktion zu den selbst berufenen Experten stehen, wenn diese nicht mehr die politisch gewünschten Ergebnisse liefern. Herr Rüße, Sie haben es hier umfassend ausgeführt.

Anders verhalten sich die Grünen im Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament hat sich am 26. Oktober 2017 für eine fünfjährige Verlängerung der Zulassung von Glyphosat unter Auflagen ausgesprochen, und zwar mit den Stimmen der Grünenfraktion. Erst im Ministerrat scheiterte dann der Kompromiss, der von der Kommission vorgelegt wurde.

Derzeit fehlt es an brauchbaren Alternativen zum Glyphosat. Ein sofortiges Verbot ohne Übergangszeit wäre überstürzt und würde vor allem kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe treffen.

Eine übergangsweise Verlängerung der Zulassung durch die EU würde Zeit schaffen, um weitere Alternativen und Ersatzmöglichkeiten zu erforschen.

Gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der Landwirtschaft – Stichwort „Precision Farming“ – ergeben sich hier interessante Perspektiven.

Daher werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Frieling, auch für Ihre erste Rede. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Stinka.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Frieling, Sie haben ausgeführt, was nicht Aufgabe von Politik sei. Gerade in diesem Bereich ist es aber Aufgabe von Politik, dass wir Entscheidungen fällen. Wir dürfen uns nicht dauernd von Entscheidungen getrieben in irgendwelchen Gruppen zusammenfinden, sondern müssen jetzt klarmachen, was wir Ende des Jahres 2017 tun wollen. Deshalb sind wir heute hier zusammengekommen. Darum wird auch in diesem Hause gerungen. Denn es geht nicht um ein Verdrängen von Problemen.

Kolleginnen und Kollegen, Sie alle kennen sicherlich das Lied von Hoffmann von Fallersleben über das Bienenleben. Keine Sorge; ich werde hier keinen Versuch unternehmen, zu singen, sondern möchte Sie …

(Bodo Löttgen [CDU]: Andrea Nahles hat das mal gemacht!)

– Ja, das weiß ich. Es hat ja auch ganz schön geholfen. Das kann man nicht anders sagen. – Ich will hier nicht singen, sondern möchte Sie auf eine ernste Lage aufmerksam machen.

Die Meldung der letzten Wochen machten uns auf einen bis zu 80%igen Rückgang der Bestände bei Bienen, Faltern und anderen Insekten aufmerksam.

Ein Grund für die Bedrohung des Artenreichtums ist der Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln. Sie vernichten nahezu alle wild wachsenden Pflanzen auf Äckern. Aber genau diese wild wachsenden Pflanzen – dies noch einmal zur Klarstellung – bilden die Lebensgrundlage für viele Insekten und Wirbeltiere.

Glyphosat tötet als sogenanntes Totalherbizid nicht nur Schadkräuter ab, sondern tut dies flächendeckend in Bezug auf den gesamten Ackerwildkrautbewuchs.

Genau hierin liegt die Problematik, die ich noch einmal herausstellen will. Die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel führt eben nicht nur zur Vernichtung aller Kräuter und Gräser, die sich auf dem Acker befinden, sondern im zweiten Schritt auch zu einer Reduzierung der Fauna und der Flora, die für die Insekten als Nahrungsgrundlage sehr notwendig sind.

Eines sollte uns hier im Raum doch klar sein: Das Insektensterben ist nicht mehr zu leugnen. Wir werden hier in der nächsten Woche einen Bericht der nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerin zum Thema „Insektensterben“ behandeln, in dem von den Krefelder Forschern diese Tendenzen auch deutlich herausgearbeitet worden sind.

In den vergangenen 27 Jahren ist in Deutschland die Biomasse der Insekten um durchschnittlich 76 % zurückgegangen.

Auch ein dramatischer Rückgang an Vogelbeständen ist zu verzeichnen. So hat sich beispielsweise die Population der Rebhühner im Vergleich zu den 1980er-Jahren um mehr als 90 % reduziert. In vielen Regionen ist dieser Vogel nicht mehr zu finden.

Der Einsatz von Glyphosat ist für diese erschreckende Entwicklung mit verantwortlich.

Nicht zu vergessen ist außerdem der Einfluss von Glyphosat auf die Gewässer. Wir wissen alle: Bei starkem Regen besteht das Risiko, dass Herbizide von den Äckern gewaschen werden und so schließlich in Grundwasser, Flüsse und Seen gelangen. Im Wasser lassen sich Glyphosat und seine Abbauprodukte feststellen.

Auch wenn es Herbizide gibt, die – das wissen wir alle – aufgrund einer stärkeren Wasserlöslichkeit in einer noch höheren Konzentration im Wasser festzustellen sind, führt schon Glyphosat zu der Notwendigkeit, das Trinkwasser zu reinigen. Schlussendlich müssen alle Verbraucher einen erhöhten Wasserpreis bezahlen, um diese Missstände einzudämmen.

Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einige Sätze zum Thema „Verwendungsumfang“ verlieren. Glyphosat wird seit Mitte der 1970er-Jahre eingesetzt und ist das am häufigsten verwandte Pflanzenschutzmittel überhaupt. Glyphosat wird außer in der Landwirtschaft auch in weiten Bereichen des Grünflächenwesens und des Verkehrs sowie in Haus- und Kleingärten genutzt. Allein in Deutschland werden jährlich rund 5.000 t dieses Mittels verwandt.

Nachweislich gefährdet Glyphosat die biologische Vielfalt durch Nahrungsnetzeffekte bei den Arten, denen in unserer Agrarlandschaft schlichtweg die Lebensgrundlage genommen wird.

Aus diesem Grund darf Glyphosat nicht genehmigungsfähig sein – zumindest dann nicht, wenn nicht gewährleistet werden kann, dass hinreichende Risikominimierungsmaßnahmen bei Anwendung im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt getroffen werden.

Herr Frieling, ich habe mich ja gewundert; aber es kam wie auf Knopfdruck. Sie brauchen hier gar nicht anzufangen, einen Unterschied zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft aufzubauen. Denn an dieser Stelle geht es um die Klärung der gesamten Frage der Landwirtschaft und des Einsatzes dieses Mittels.

Die Konsequenz muss für uns als Sozialdemokraten also lauten: Ein klares Ja für den Artenschutz braucht ein klares Nein zu Glyphosat. – Wir sagen ganz klar Nein zu dieser Zulassungserneuerung von Glyphosat. Eine Neuregelung muss ohne jeden Zweifel jedwede nachteiligen Folgen für die biologische Vielfalt verhindern.

Am 15. Dezember 2017 läuft die derzeitige Genehmigung für Glyphosat aus. Das wissen wir alle. Mittlerweile muss wohl auch allen Beteiligten klar sein, dass die Zeit drängt. Sechs Versuche, eine Mehrheit für die Zulassungserneuerung von Glyphosat zu finden, sind bereits gescheitert.

Ende November dieses Jahres wird der Berufungsausschuss aus Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsstaaten einberufen. Sollte auch dann keine eindeutige Entscheidung getroffen werden können, ist die EU-Kommission befugt, selbst zu entscheiden.

Der Disput zwischen unserer Umweltministerin Barbara Hendricks und dem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass sich Deutschland auf der europäischen Eben stets enthalten hat und dadurch keine Mehrheit realisierbar war.

Dass Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt momentan die Zeit bis zu einer neuen Bundesregierung nutzt, um einen Kompromiss Deutschlands ohne Rücksprache mit dem Umweltministerium vorzunehmen, ist für uns Sozialdemokraten völlig inakzeptabel und absolut unangebracht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir können alle nur gespannt auf die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition in Berlin schauen. Da gibt es ja immer das eine oder andere zu vermelden, was nicht funktioniert. Wir sind sehr gespannt, wie Grüne und die CDU hier zueinanderfinden wollen. Wir wissen nur, dass Frau Hendricks bislang ganz klar eine Linie zum Schutz der biologischen Vielfalt vertreten hat und sich gegen Herrn Landwirtschaftsminister Schmidt und die Bundeskanzlerin gestellt hat.

(Zuruf von Carsten Löcker [SPD])

Die Christdemokraten haben nun die Chance, zu beweisen, wie wichtig ihnen der Artenschutz und das Wohl der Menschen sind und wie ernst sie eine Debatte um eine nachhaltige Landwirtschaft meinen, womit sie auch die Mehrheitsverhältnisse in Brüssel beeinflussen.

Wir Sozialdemokraten stimmen dem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Stinka. – Für die Fraktion der FDP hat nun Herr Kollege Diekhoff das Wort. Bitte schön.

Markus Diekhoff*) (FDP) : Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! „Das Gift vom Acker holen – Keine weitere Zulassung von Glyphosat“ lautet der Titel des vorliegenden Antrags der Grünen. Glyphosat ist damit zum Politikum im Kampf gegen die konventionelle Landwirtschaft geworden. Deshalb werden auch in diesem Antrag Fakten vermischt und schwer haltbare Behauptungen aufgestellt.

Meines Erachtens gehört zu einer sachlichen und wissenschaftlichen Diskussion auch, die Sache differenzierter zu betrachten. Zunächst einmal ist Glyphosat im engeren Sinne nur ein Herbizid. Es wirkt nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht toxisch auf Insekten, Amphibien, Säugetiere, Vögel oder Menschen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist schon wieder falsch!)

Es ist nur deshalb in der Landwirtschaft so wichtig geworden, weil es anders als andere Mittel – zumindest nach aktuellem Stand der Wissenschaft – lebende Organismen schont. Das ist definitiv so.

Trotzdem muss natürlich ein verantwortungsvoller Umgang mit sehr wirksamen Herbiziden sichergestellt werden. Ein einseitiges Verbot eines bewährten Mittels ohne adäquate Alternative – und die gibt es heute nicht – ist aber nicht zielführend. Wir laufen damit Gefahr, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn Ackerwirtschaft ist angelehnt an einen anderen Kampfbegriff, den die Grünen gern verwenden: Massenpflanzenhaltung. Es ist Massenpflanzenhaltung, egal ob Bio, konventionell oder wie auch immer. Aber diese Form der Landwirtschaft ist die Grundlage unserer Zivilisation. Sie schafft die Versorgungssicherheit. Deswegen müssen wir darauf achten, dass wir vernünftige Mittel für den Pflanzenschutz haben. Denn ob Bio oder konventionell: Das Problem mit Schädlingen und Unkraut in der Landwirtschaft ist omnipräsent.

Populistische Antragstitel wie „Das Gift vom Acker holen“ führen Verbraucher daher völlig in die Irre.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Viele Menschen in diesem Land glauben, Biolandwirte würden ihre Äcker nicht spritzen. Aber das stimmt überhaupt nicht. Hunderte Produkte aus der Gruppe der Pestizide, also auch Herbizide und Fungizide, stehen auch auf den Zulassungslisten der Biolandwirtschaft.

(Zuruf von der FDP: Hört! Hört! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann kann man Glyphosat auch noch draufsetzen! Das schadet ja nicht!)

Am bekanntesten ist an dieser Stelle sicherlich die Problematik mit der Nutzung von Kupfer. In einem wissenschaftlichen Report der EFSA heißt es, dass Kupfer Regenwürmer, wirbellose Wassertiere und Fische tötet. Aber auch für Menschen, insbesondere für Kinder, ist Kupfer gesundheitsschädlich. Schon seit 1992 versucht die EU, den Kupfereinsatz zu verbieten. Aber weil die Vertreter des Biolandbaus stets versichern, es gebe keine Alternative, wird auch ihm stets Aufschub gewährt.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dieser Umstand führt dazu, dass es mitten in Deutschland in angeblichen Ökobetrieben zu Lebererkrankungen von Feldarbeitern kommt und dass bereits in Biobetrieben der gesamte Ackerboden als Sondermüll deklariert werden muss.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist ein unglaubliches Szenario. Probleme dieses Ausmaßes sind bei der Nutzung von Glyphosat nicht bekannt. Trotzdem fordern Sie heute nicht das Ende von Kupfer, sondern konzentrieren sich einseitig auf Glyphosat als Kampfbegriff.

Auf Bioäckern werden keine synthetischen, sondern als natürlich geltende Pestizide versprüht. Dazu zählen das Kupfer, das ich gerade angesprochen habe, Eisenverbindungen, Schwefel, Viren, Bakterien und andere Substanzen, die teilweise als giftig für Säugetiere und auch für Menschen gelten. Sie sind toxischer als das synthetische Glyphosat, das Sie lieber heute als morgen verbieten wollen. Sie müssen doch akzeptieren: Gift ist Gift, ob künstlich oder natürlich.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wenn Sie angeblich das Gift vom Acker holen wollen, wie Sie es in Ihrem Antrag beschreiben, dann doch bitte alle Gifte und nicht nur das, welches im Zweifel die verträglichste Lösung darstellt! Das ist doch keine vernünftige Umweltpolitik.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will aber nicht ignorieren, dass es Veränderungen in unserer Umwelt gibt, nach deren Ursachen wir suchen müssen. Gerade die Jäger – bekanntlich die einzigen staatlich geprüften Naturschützer, die täglich in Wald und Flur unterwegs sind – …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Oh je!)

– Ja. Das ist bekannt, nicht wahr?

… schlagen bereits seit Jahren Alarm.

(Zuruf von den Grünen)

Die bisher ungeklärten Rückgänge beim Niederwild, bei Hasen und Fasanen, müssen untersucht werden. Es kann auch etwas mit dem Insektensterben zu tun haben. Sollte wissenschaftlich belegt werden, dass Glyphosat dafür verantwortlich ist, muss das Produkt natürlich vom Markt. Aber der lange Zeitraum von weit über 40 Jahren, in denen Glyphosat schon angewendet wird und in denen es in weiten Teilen keine Probleme gab, lässt diesen direkten Rückschluss nicht zu.

(Zuruf von der FDP: Ja! – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Daher ist es aus Sicht der FDP zwingend notwendig, die Zulassung von Glyphosat zu verlängern und parallel nach wissenschaftlichen Kriterien zu untersuchen, ob es zu bisher unbekannten Folgen beim Einsatz dieses Produktes kommt.

Gleichzeitig müssen wir natürlich andere Dinge vorantreiben, beispielsweise die Digitalisierung der Landwirtschaft. Es gibt viele technische Möglichkeiten, mit denen wir uns verbessern können.

Aber aktuell ist Glyphosat ein wichtiger Baustein, um auch auf unseren intensiv genutzten Flächen durch den weitgehenden Entfall des Pflügens Bodenerosionen zu verhindern und die Struktur des Bodens zu schonen. Das ist, wie wir auch in der Anhörung zur Düngeverordnung von Experten bestätigt bekommen haben, auch ein wichtiger Beitrag zur Verminderung der Nitratproblematik in NRW, also zum Schutz unseres Trinkwassers.

Wenn es jetzt heißt, wir brauchten gar keine intensiv genutzten Böden, kommen wir bei aller Prosa, die wir hier austauschen, in einen konkreten Zielkonflikt. Denn wir brauchen einen hohen Ertrag pro Fläche, da wir immer mehr Fläche für Wohnen, Mobilität und Industrie benötigen und ein genauso großes Interesse daran besteht, Flächen tatsächlich komplett unter Naturschutz zu stellen. Aber Fläche ist nicht vermehrbar, nicht mit Geld und guten Worten. Deshalb ist die Landwirtschaft so, wie wir sie machen, alternativlos.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ei, ei, ei!)

Ohne adäquaten Pflanzenschutz können wir auch 80 Millionen Veganer nicht ernähren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir lehnen den Antrag also ab, weil er die gesamte Problematik überhaupt nicht erfasst, sondern auf billige Effekte zielt. Da machen wir nicht mit. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Diekhoff. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Blex das Wort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Man denkt, es ginge nicht schlimmer!)

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Studien zur Wirkung von Glyphosat gibt es mittlerweile zu Genüge. Sie alle kommen mit wissenschaftlichen Einzelstudien und Übersichtsarbeiten zu dem Schluss, dass Glyphosat bei der zugelassenen Anwendung keine Gesundheitsrisiken berge.

Die entscheidende Frage beim Glyphosat ist doch, wo es aufgebracht wird. Und dort, wo es aufgebracht wird, muss der Anwender gewährleisten, dass keine Fremden mit dem Wirkstoff in Kontakt kommen.

In einem Forschungsbericht wurde seitens eines Forschungsinstituts der Verdacht geäußert, Glyphosat könnte eventuell krebserregend sein.

Richtig ist, dass dem geäußerten Anfangsverdacht nachgegangen werden muss.

Die Krux an der Verbotsdebatte ist jedoch, dass Glyphosat nun schon seit 1974 vermarktet wird und sich der Anfangsverdacht auch erhärten muss.

Nachdem das Patent erloschen ist, wird Glyphosat heute in 20 Ländern von über 90 Chemieunternehmen hergestellt. Laut einer Expertenbefragung aus dem Jahr 2011 werden 30 % der deutschen Ackerfläche jährlich mit Glyphosat behandelt.

Dabei ist auch hier ein deutlicher Trend zu weniger Ausbringung evident. Im Jahr 2012 wurden fast 6.000 t Glyphosat auf deutschen Äckern ausgebracht. Zwei Jahre später waren es schon 700 t weniger. Die deutsche Landwirtschaft ist somit schon auf dem Weg zu einem geringeren Einsatz.

Bei einem Verbot von Glyphosat ist mit Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe zu rechnen. Außerdem ist mit sehr hohen Ertragsverlusten zu rechnen, die sich nach Expertenmeinung auf mehr 14,5 Millionen t an Lebensmitteln in der EU summieren können.

Um diese Ertragsverluste auszugleichen, müsste die Anbaufläche um bis zu 2,4 Millionen ha ausgedehnt werden.

(Helmut Seifen [AfD]: Hört! Hört!)

2,4 Millionen ha! Aber die Fläche ist nicht vermehrbar.

Dagegen ist eine mechanische Unkrautbekämpfung extrem aufwendig und sehr teuer, was sich wiederum in den Verbraucherpreisen widerspiegeln wird. Das mag mancher grünen Weltverbesserin egal sein.

Auf der einen Seite sagen die GrünInnen, dass der wissenschaftliche Streit über die gesundheitlichen und ökologischen Gefahren noch nicht abgeschlossen ist; aber auf der anderen Seite haben sie schon die Landwirte schon als Schuldige für das Insektensterben ausgemacht.

Mit dem Antragstitel „Das Gift vom Acker holen“ wird den Landwirten wieder einmal unterstellt, sie wollten absichtlich die Verbraucher vergiften. Das ist erneut eine haltlose und dreiste Unterstellung.

(Beifall von der AfD)

In einer Abwärtsspirale der Absurdität kommen Sie von einem Pflanzenschutzmittel zu einer Generalabrechnung für alle Pestizide. So fordern Sie einen umfassenden Rechenschaftsbericht über die Aktivitäten zu allen Pestizideinsätzen zusammen mit einer detaillierten Pestizidminderungsstrategie, sodass die Anwendung von und der Zugang zu einem Unkrautvernichter nur noch einem geschulten Fachpersonal gestattet ist.

Beim besten Willen: Ihre grüne Sau werden wir nicht durchs Dorf treiben.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Dr. Blex. – Als nächste Rednerin hat für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze Föcking das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Christina Schulze Föcking, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Wiederzulassung von Glyphosat beschäftigt nicht nur uns schon seit fast drei Jahren. Kürzlich berichtete eine Kollegin unserer Landesvertretung in Brüssel über die dortige Diskussion. Anlass war eine Anhörung des Europäischen Parlaments zu genau diesem Thema. Sie beschrieb die Atmosphäre dieser Debatte kurz und prägnant wie folgt: Man gewinnt den Eindruck, Pflanzenschutz sei für viele Beteiligte die neue Gentechnik.

Das zeigt mir, wie schwierig in diesem Fall die Suche nach dem richtigen Weg ist. Es fällt inzwischen jedem Außenstehenden schwer, in der Debatte noch zwischen richtig und falsch oder Wahrheit und Nichtwahrheit zu unterscheiden.

Die Landesregierung ist am Zulassungsverfahren nicht beteiligt. Wir kennen auch nur die Berichte und Studien, die Ihnen allen allgemein zugänglich sind.

Vor Kurzem hat ein Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Situation mit folgenden Worten umschrieben – ich zitiere –:

„Der Streit ums Glyphosat hat die … symbolische Ebene erreicht. Da geht es nicht mehr um Grenzwerte und Studienergebnisse, sondern um Gut und Böse. Details würden da nur stören.“

(Beifall von Markus Diekhoff [FDP])

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag für genau solche Situationen eine klare Vereinbarung getroffen:

„Wir setzen uns für eine Risikobewertung … ein, die auf der Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Erkenntnisse beruht.“

Genau darum geht es hier. Im EU-Recht ist sehr detailliert beschrieben, wie ein Zulassungsverfahren ablaufen muss. Dabei werden sehr viele unabhängige Behörden in den Mitgliedsstaaten und auf EU-Ebene beteiligt.

Ich stelle am Ende dieses extrem aufwendigen Verfahrens fest, dass alle – und zwar ausnahmslos alle – im Verfahren offiziell beteiligten Behörden und wissenschaftlichen Gremien zu einem einheitlichen Urteil gekommen sind: Glyphosat erfüllt alle Anforderungen für eine Wiederzulassung.

Das war das klare Urteil der deutschen Behörden. Es ist von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, der EFSA, und der Europäischen Chemikalienagentur, der ECHA, bestätigt worden. Diese unabhängigen Gremien haben auch unmissverständlich klargestellt, dass sie Glyphosat für nicht krebserregend halten.

Verwirrung kam in die Diskussion, weil die Internationale Agentur für Krebsforschung, die IARC, Glyphosat als möglicherweise krebserregend eingestuft hat. Sie steht somit im Widerspruch zu den Bewertungen der Bundesbehörden und aller europäischen Behörden.

Ich habe mir von Fachleuten diesen Widerspruch dann erläutern lassen. Ich wollte wissen, wie das sein kann. Aus deren Sicht, aus Sicht der Fachleute, ist dies daraus erklärbar, dass die IARC eine gefahrenbasierte Wertung vorgenommen hat. Alle im Zulassungsverfahren beteiligten Behörden haben dagegen eine risikobasierte Bewertung vorgenommen – genau so, wie es die EU-Zulassungsverordnung vorsieht.

Der Unterschied liegt darin, dass bei der Bewertung des Risikos die mögliche Exposition mit dem Wirkstoff berücksichtigt wird. Das heißt: Die von der IARC herangezogenen Versuche, in denen Glyphosat krebserregende Eigenschaften zeigte, wurden mit sehr hohen Konzentrationen erzielt, die in der Praxis aber völlig unrealistisch sind.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir geht es an dieser Stelle aber gar nicht um einen bestimmten Stoff, sondern um die grundsätzliche Frage, ob wir wissenschaftlichen Bewertungsverfahren überhaupt noch trauen und ob wir unseren eigenen Prüfverfahren und Behörden trauen. Ich bin jederzeit offen für eine Diskussion über die Frage, ob das EU-Zulassungsverfahren so richtig ist oder ob man es verbessern kann. Aber wenn wir unsere Wissenschaft nicht mehr vertrauen, wem denn dann? Deshalb ist es wichtig, dies zu tun.

(Beifall von der CDU, der FDP und der AfD)

Meine Damen und Herren, an manchen Stellen teile ich durchaus die Sorgen, die im Antrag formuliert sind, zum Beispiel beim Stichwort „Insektensterben“. Auch für mich ist nahe liegend, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln möglicherweise auch eine der Ursachen des Insektensterbens sein kann. Dass wir uns um die Insekten kümmern müssen, ist völlig unstrittig. Das sehen auch die Landwirte so, Herr Stinka.

Es ist gut, dass wir in Nordrhein-Westfalen seit diesem Jahr ein Insektenmonitoring durchführen und hier genau hinschauen. Wir müssen aber auch prüfen, ob es nicht noch eine Reihe anderer Ursachen gibt, zum Beispiel fehlende Saumstrukturen oder auch den Klimawandel. Das muss wissenschaftlich untersucht werden.

Dazu gibt es noch keine Antworten. Hier macht es sich der Antrag zu einfach. Diese Debatte einzig auf Glyphosat zu verengen, ist auch nicht sachgerecht und nicht dienlich.

Außerdem geht es mir nicht darum, den Wirkstoff Glyphosat schönzureden. Ich bin nicht der Ansicht, dass eine Landwirtschaft ohne Glyphosat kaum bezahlbar wäre. Das wird zwar in einigen Studien behauptet. Ich möchte das aber nicht zugrunde legen, weil es am Ende auch nicht zielführend ist.

Allerdings weiß ich, dass es Situationen gibt, in denen die Landwirtschaft momentan wenig Alternativen zu Glyphosat hat, zum Beispiel bei Mulchsaaten oder bei der Queckenbekämpfung.

Herr Rüße, bei der Agritechnica in Hannover habe ich mir viele interessante Innovationen ansehen können, mit denen sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zukünftig verringern lässt. Das ist gut so. Sie sehen: Die Branche macht sich da deutlich auf den Weg.

Wir werden daher auch einen engen Schulterschluss zur Wissenschaft suchen; denn auch mit Wissenschaftlern habe ich diesbezüglich gesprochen.

Im Jahr 2012 wurden in Deutschland rund 6.000 t Glyphosat eingesetzt. Das war deutlich zu viel. Die Tendenz der darauffolgenden Jahre war deutlich abnehmend. 2016 lagen wir deutschlandweit bei 3.800 t.

Klar ist, dass Glyphosat nicht leichtsinnig und zu schnell angewendet werden darf. Klar ist meiner Meinung nach auch, dass der Einsatz noch weiter reduziert werden kann. An dieser Stelle geht es aber nicht nur um ein totales Verbot. Vielmehr kann man hier auch über sachgerechte Anwendungsbestimmungen und Auflagen etwas bewegen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze Föcking. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegt mir eine weitere Wortmeldung des Abgeordneten Remmel vor. Bitte schön, Herr Abgeordneter. Sie haben das Wort.

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Zurufe: Frau Präsidentin!)

– Entschuldigung. Das tut mir leid. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle – genauso, wie wir das gestern bei der Entsenderichtlinie getan haben – für mehr Europa zu werben. Das Zulassungsverfahren um Glyphosat zeigt, dass wir hier mehr Europa brauchen – und nicht weniger.

(Zuruf von der FDP)

Der Schlüssel für die Pestizid- und Herbizidreduzierungsstrategien liegt tatsächlich auf europäischer Ebene. Ich möchte die Bezüge deutlich machen und dafür werben, sich hier für Veränderungen einzusetzen.

Auf der einen Seite ist Landwirtschaftspolitik in der Tat die europäischste Politik. Auf der anderen Seite ist aber das Vorsorgeprinzip, das insbesondere in Deutschland mitentwickelt worden ist, auf europäischer Ebene nur im geringen Maße verankert.

Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Wenn es darum geht, Produkte zuzulassen, kann sich ein Konzern in Europa aussuchen, in welchem EU-Land das entsprechende Produkt zuerst bewertet wird, und daraus dann ableiten, ob weitere Zulassungen erfolgen. Das Erfahrungswissen des Konzerns, das er in einem Land gewonnen hat, gibt also die Richtung vor.

Außerdem sind die Konzerne in Europa selbst dafür zuständig, Zulassungsprüfungen für ihre Produkte durchzuführen. Für eine entsprechende Prüfung stehen nur wenige unabhängige Wissenschaftler zur Verfügung.

Transparenz und Zulassung sind also die Schlüssel für eine gesamte Strategie, die notwendig ist, um Pestizide und Herbizide zu reduzieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Europäische Kommission hat in ihrem Bericht über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden selbst ausgeführt, dass die bisherige Strategie nicht abschließend erfolgreich ist, weil sie im Großen und Ganzen freiwillig erfolgt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen also neben einem Zulassungsrecht auch ein Anwendungsrecht. Auch das ist in dem Bericht der Europäischen Kommission angedeutet. Es ist sehr wichtig, dass wir ein Anwendungsrecht bekommen, das dazu führt, am Ende des Tages den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden insgesamt zu reduzieren.

Deshalb werbe ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dafür, sich auf europäischer Ebene für die Veränderung der Zulassung und die Einführung eines Anwendungsrechts einzusetzen, um so die Wettbewerbsbedingungen in Europa in diesem Bereich – auch aus Vorsorgegründen für die Verbraucherinnen und Verbraucher – zu stützen.

Am Schluss der Debatte möchte ich noch darauf hinweisen, dass es aktuell in Brüssel ein bedeutsames Kartellverfahren gibt, das explizit mit Nordrhein-Westfalen und nordrhein-westfälischen Interessen zu tun hat. Dort geht es nämlich um die Frage der Fusion von Bayer und Monsanto. Wer möchte, dass ein zukunftsweisender Konzern mit Perspektiven auch zukünftig in Nordrhein-Westfalen einen guten Standort hat und gute Wettbewerbsbedingungen vorfindet, der muss gerade dieses Kartellverfahren sehr aufmerksam verfolgen. Denn hier werden die Weichenstellungen für das zukünftige Verhältnis von Landwirtschaft und entsprechender Anwendung von Mitteln vorgenommen.

Deshalb richte ich an dieser Stelle die Bitte und den Appell an Sie, insbesondere die europäischen Maßstäbe zu stärken sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. die Vorsorge in den Mittelpunkt der Debatte zu rücken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Dr. Vincentz das Wort.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Glyphosat ist ein Breitbandherbizid, ein Spritzmittel, würde man im Volksmund vielleicht sagen. Wer möchte das schon in seinem Essen haben, zumal die Internationale Agentur für Krebsforschung in einer Studie zu dem Schluss kommt, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist? Ich kann die Sorgen der Bevölkerung daher gut nachvollziehen.

Wir erleben hier aber den erneuten Versuch der Grünen, vorbei an jeder Ratio und naturwissenschaftlicher Expertise diese Stimmungslage in der Bevölkerung für sich auszuschlachten und

(Beifall von der AfD)

politisches Kapital aus den Sorgen der Menschen zu schlagen.

Sie gehen sogar noch weiter, indem Sie durch sehr fragwürdige Brückenschläge, wie zum Insektensterben, zu dem es keine nachgewiesene kausale Verbindung gibt, Ängste geradezu schüren.

(Beifall von der AfD – Widerspruch von den GRÜNEN)

Das ist Populismus der niederträchtigsten Art.

(Beifall von der AfD – Stefan Zimkeit [SPD]: Damit kennen Sie sich ja aus! – Gegenruf von Helmut Seifen [AfD])

Perfide dabei ist, dass Sie gezielt verschweigen, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung, die amerikanische Umweltschutzbehörde, das kanadische Gesundheitsministerium, die Europäische Chemikalienagentur und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit in ihren Einschätzungen allesamt der Gefährlichkeit von Glyphosat widersprechen. Meinen Sie, dass das alles Gefälligkeitsgutachten sind, die von der Agrarindustrie bestellt wurden?

Das ist ein effektheischender Versuch der Demontage demokratischer Institutionen. Als Demokrat wird mir bei der Lektüre Ihres Antrags ganz anders.

(Beifall von der AfD)

Sie könnten natürlich fragen: Seit wann ist Wissenschaft demokratisch? Was ist denn, wenn sich die 97 % irren? Richtig, es bleibt dabei: Niemand möchte Spritzmittel in seinem Essen. Aber dann nennen Sie uns doch bitte praktikable Alternativen, bei denen nicht etwa die CO2-Bilanz durch die Decke schießt, bei denen die Böden nicht übermäßig belastet werden, anstatt wieder durch simplen Populismus aufzufallen.

(Beifall von der AfD)

Vor allem: Verunsichern Sie die Menschen nicht. Wenn ich im Biergarten an der frischen Luft sitze und einen Teller mit Steak, Pommes und Gemüse von einem Glyphosat-Acker vor mir habe, ist das Letzte, woran ich sterbe, das Glyphosat. Eher sterbe ich am Fett in den Fritten, dem roten gegrillten Fleisch, das nicht nur vielleicht, sondern nach offizieller Studienlage krebserregend ist. Ich sterbe eher noch am Sonnenbad, denn auch das ist krebserregend. Aber das Wahrscheinlichste ist, dass ich an der Luft sterbe, denn Atmen, also die Verarbeitung von Sauerstoff in unserem Körper, ist einer der Hauptgründe für die Entstehung von Krebs. Also kann ich den Grünen auch der Gesundheit zuliebe nur raten, ab und zu mal die Luft anzuhalten.

(Heiterkeit und Beifall von der AfD)

Zum Ende: Nach meiner zugegeben ungewohnt scharfen Rede möchte ich Ihnen eine entscheidende Frage stellen: Wollen Sie in diesem Hohen Haus Diskussionen wirklich in diesem Stil führen, Frau Beer? Wenn nicht, gehen Sie doch demnächst mit gutem Beispiel voran; denn ich möchte das eigentlich nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Vincentz. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Winkelmann noch einmal das Wort. – In der Zwischenzeit gehe ich davon aus, Herr Dr. Vincentz, dass Sie mit mir übereinstimmen, dass alle in diesem Hause weiteratmen sollten.

(Lachen von der AfD – Helmut Seifen [AfD]: War ja nur eine Metapher!)

Bitte schön, Frau Winkelmann.

Bianca Winkelmann (CDU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Eigentlich war schon alles gesagt. Die Kollegen Frieling und Diekhoff haben schon vieles zu diesem Thema auf den Punkt gebracht. Aber es waren einige unsachliche Argumente dabei, die mich dazu bewegt haben, doch noch einmal das Wort zu ergreifen.

Die Wortbeiträge vorhin haben gezeigt: Zum jetzigen Zeitpunkt ist ganz dringend die Rückkehr zu einer sachlichen und fachlichen Diskussion auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse notwendig. Die heutige Scheindiskussion zu einem Thema, das wir hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen gar nicht zu entscheiden haben, die ganz offensichtlich nur die Verhandlungen der grünen Kollegen in Berlin flankieren soll, hilft uns und vor allem der Umwelt keinen Schritt weiter.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege Rüße, gestatten Sie mir eine Anmerkung: Sie haben vorhin dem Bundesinstitut für Risikobewertung einiges unterstellt. Ein Blick auf die Homepage des Institutes, das seinerzeit von der grünen Ministerin Künast installiert worden ist, hätte Ihnen gezeigt, dass es nicht kopiert, sondern zitiert hat. Es ist kein vorsätzliches Gemauschel gewesen, sondern eine ganz normale Vorgehensweise und eine ganz normale Arbeitsweise des Instituts für Risikobewertung. Wie gesagt, ein Blick auf die Homepage hätte das geklärt.

Der Kollege Stinka bezieht sich auf das Bundesumweltministerium. Unser Bundesumweltministerium argumentiert seit einiger Zeit nicht mehr mit der Frage des Krebsrisikos im Zusammenhang mit Glyphosat, sondern vorrangig mit der Gefährdung der Biodiversität. Wer auch in diesem Hohen Haus immer wieder über Biodiversität fabuliert, sollte wissen, dass beispielsweise eine pfluglose Bodenbearbeitung zu favorisieren ist; denn es geht hierbei um eine verbessernde, konservierende Bodenbearbeitung. Es geht um Energieeffizienz und vieles mehr. Dafür wird zurzeit ein Wirkstoff wie Glyphosat noch favorisiert und gebraucht.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ja, aber wo ist der Zusammenhang?)

– Ich komme gleich noch dazu.

Zurzeit liegen uns – ich versuche, das noch einmal für Sie zusammenzufassen – also widersprüchliche Erkenntnisse aus verschiedenen Studien vor. Die Forschung braucht offensichtlich noch Zeit, um belastbare Ergebnisse vorzulegen. Die Landwirtschaft, die beim Thema „nachhaltige Bewirtschaftung“ schon auf einem richtig guten Weg ist, braucht auch noch Zeit, um Verfahren zu präzisieren.

Ein Wirkstoff, der nachweislich nur auf Pflanzen wirkt und für den es als Alternative zum jetzigen Zeitpunkt keine andere und bessere ökologische Lösung gibt, sollte natürlich unter allen kritischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Aber ein sofortiges Verbot wäre eben nicht die richtige Lösung.

Der Kollege Remmel hat uns vorhin einen Exkurs zum Thema „Europapolitik“ zukommen lassen. Genau da liegt der Punkt. Diese Scheindebatte bringt uns keinen Schritt weiter – ich betone es noch einmal –,

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

sondern das ist nur eine Zusammenfassung rot-grüner Ideologien.

Und tun Sie mir einen Gefallen: Verunsichern Sie die Menschen im Land nicht weiter ohne Grund, sondern lassen Sie die Gremien entscheiden, in deren Hand es liegt, nämlich die Gremien auf EU-Ebene. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Winkelmann. – Mir liegt jetzt noch eine Wortmeldung des Abgeordneten Stinka für die SPD vor. Bitte schön, Herr Kollege Stinka. Sie haben das Wort.

André Stinka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Winkelmann, wenn Sie meiner Rede genau gefolgt wären, dann hätten Sie einerseits festgestellt, dass ich keinen Zusammenhang mit Krebserkrankungen hergestellt habe.

Andererseits finde ich es schon bezeichnend, dass Sie alle Debatten, in denen es uns um die Zukunft geht, als Scheindebatten abkanzeln und deutlich machen, dass man darüber nicht reden müsse. Die FDP spricht vom Fabulieren, und auch Sie, Frau Winkelmann, stellen es so hin, als würde diese Debatte nicht stattfinden.

Diese Debatte findet statt. Ich habe deutlich gemacht, dass sich auch die Landesregierung beteiligen muss und sich in der wichtigen Frage nicht wegducken darf. Ich denke, Herr Laschet sitzt in Berlin. Dann muss er auch die Verantwortung dafür übernehmen, wie hier organisiert wird.

Wenn Sie schon von Debatten in der Landwirtschaft reden, dann kommen Sie mir bitte nicht mit Phrasen, die ich schon seit 25 Jahren höre, nämlich dass wir die Menschen verunsichern würden. Das ist nicht der Fall. Vielmehr nehmen wir die Debatten auf, weil es unterschiedliche Bewertungen gibt.

Wir machen das auch vor dem Hintergrund – ich habe die Linie unserer Umweltministerin hier klar herausgestellt –, dass die Biodiversität ein ganz entscheidender Punkt ist. Mit dem Einstieg in den Bericht, den wir nächste Woche im Umweltausschuss behandeln, werden wir erleben, dass diese Debatte an Fahrt aufnimmt.

Wenn Sie die Bevölkerung und viele besorgte Menschen nicht ernst nehmen wollen, dann können Sie so weitermachen. Wir werden die Debatten Richtung Zukunft führen und nichts anderes. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache angelangt sind.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nun über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/1120 abstimmen lasse. Wer dem Inhalt zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der SPD und die fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD. Enthaltungen? – Keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1120 abgelehnt.

Wir kommen damit zu:

4   Verkleinerung des Landtages NRW

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1126

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion dem Abgeordneten Strotebeck das Wort. Bitte schön.

Herbert Strotebeck (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren!

Je mehr Mandate, desto mehr Macht, desto mehr Pfründe, aber auch desto ineffizienter die Arbeit und umso höher die Kosten.

„Der Landtag hat zu viele Abgeordnete.

(Prof. Dr. Rainer Bovermann [SPD]: Ja, das stimmt! – Angela Lück [SPD]: Genau!)

Um das zu ändern, braucht es Mut. Wird das neue Parlament diesen Mut aufbringen?“

Diese beiden Zitate stammen nicht von der AfD, sondern aus der „FAZ“ und der „Rheinischen Post“. Auch der Bund der Steuerzahler NRW und der Verein Mehr Demokratie haben in der Vergangenheit Ähnliches geäußert.

(Unruhe – Roger Beckamp [AfD]: Frau Präsidentin, hier ist es viel zu laut! Das ist wirklich unerhört! Ich verstehe hier nichts! Können Sie nicht einschreiten? – Danke! Es wirkt schon!)

In der aktuellen Wahlperiode haben wir alle hier im Landtag die Möglichkeit, Mut zu beweisen – Mut für einen effizienten und schlanken Landtag, Mut für Maß und Mitte.

Der Antrag der AfD ist kurz und bündig mit „Verkleinerung des Landtages NRW“ überschrieben. Ganz so kurz und bündig kann man eine Verkleinerung des Landtages natürlich nicht vornehmen. Es ist vielmehr ein Prozess, der von allen Parteien gewollt und begleitet werden muss.

(Beifall von der AfD )

Jetzt stellen sich zwei Fragen: Warum sollte man den Landtag überhaupt verkleinern? Und wie könnte man den Landtag verkleinern?

(Bodo Löttgen [CDU]: Sie sind ja Spezialist bei Verkleinerungen!)

Die Frage nach dem Warum ist relativ simpel zu beantworten. Ein Landtag wie der letzte mit 237 Sitzen oder der aktuelle mit 199 Sitzen ist wesentlich teurer als ein Landtag mit zum Beispiel 150 oder 140 Abgeordneten. Ich möchte Ihnen jetzt nicht im Detail vorrechnen, was uns jeder Abgeordnete kostet. Nur so viel: Es ist in jeder Wahlperiode insgesamt mehr als 1 Million €.

Ohne Änderung der entsprechenden Gesetze haben wir in der nächsten Wahlperiode möglicherweise wieder mehr als 230 Abgeordnete und entsprechende Kosten. Daher sollten wir jetzt handeln.

(Beifall von der AfD)

Im aktuellen Landtag ist die Arbeit mit Sicherheit nicht eingeschränkt, weil wir jetzt 38 Abgeordnete weniger sind. Würde die Arbeit des Landtags eingeschränkt, wenn nach der nächsten Wahl erneut weniger Sitze vorhanden wären? Sicherlich nicht. Gab es je Proteste aus der Bevölkerung, wenn der aktuelle Landtag schlanker war als der vorherige? Nein.

Nun gibt es Aussagen, Demokratie sollte uns etwas wert sein. Ja, dieser Aussage lässt sich grundsätzlich zustimmen, aber nicht in Bezug auf ein aufgeblähtes Parlament, egal, ob Landtag oder Bundestag.

(Beifall von der AfD)

Der frisch gewählte Bundestag ist im Hinblick auf seine Größe ein abschreckendes Beispiel. Ein zu großes, aufgeblähtes Parlament schmälert das Ansehen und damit den Wert der Demokratie. Wenn uns Demokratie etwas wert ist, sollten wir sie an jeder Stelle schützen und keinesfalls dem Verdacht der Beliebigkeit aussetzen.

(Beifall von der AfD)

Kommen wir nun zur zweiten Frage: Wie könnte man den Landtag schlanker machen? Die einfachste und plakativste Formel lautet: Vergrößerung der Wahlkreise gleich Verkleinerung des Landtags. Zuletzt wurde diese Formel 2005 angewandt. Wäre es zwölf Jahre nach der letzten Effizienzanpassung nicht sinnvoll, diese erneut vorzunehmen?

Derzeit haben wir bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 128 Wahlkreise. Mein Heimatkreis Mettmann besteht zum Beispiel aus vier Wahlkreisen bei gerade einmal 480.000 Einwohnern. Würden zwei Wahlkreise nicht auch ausreichen?

Genau das ist der Fall bei der Bundestagswahl. Dann verfügt der Kreis über zwei Direktkandidaten für den Bundestag, die es schaffen, eine Region zu betreuen. Warum sollen es im Landtag mehr sein, zumal es auch noch einen Kreistag mit aktuell 78 Sitzen gibt, welcher ebenfalls Ansprechpartner für die Bürger vor Ort ist, nicht zu vergessen die Stadtparlamente?

(Beifall von der AfD)

Bei der Bundestagswahl haben wir in Nordrhein-Westfalen insgesamt 64 Wahlkreise. Warum sollte diese Anzahl nicht als Messlatte gelten, sodass sich zukünftig eine Zahl von 129 Sitzen ergibt, also 52 weniger als die heutige Sollzahl von 181? Der Landtag wäre dann zur Hälfte mit Direkt- und Listenkandidaten besetzt; Überhang- und Ausgleichsmandate bleiben natürlich.

All diese Zahlenbeispiele sollen doch nur das Ziel aufzeigen: Unser Landtag wird effizienter. Wichtig ist, dass wir als Landtagsabgeordnete der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zeigen: An Stellen, an denen wir selber sparen können, sparen wir auch – selbst dann, wenn es für uns Abgeordnete und Parteien einen größeren Einschnitt gibt.

Eine Änderung der entsprechenden Gesetze wird dabei die kleinere Hürde sein. Die große Hürde, vor der wir stehen, ist es, den Willen zu haben, die kleine Hürde zu überspringen. Lassen Sie uns gemeinsam an einem schlanken Landtag 2022 arbeiten. Lassen Sie uns Leuchtturm für die anderen Parlamente in Deutschland sein. – Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Strotebeck. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Hagemeier das Wort zu seiner ersten Rede im Hohen Haus. Bitte schön.

Daniel Hagemeier (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! Ich freue mich, meine Jungfernrede im Plenum gerade zu diesem Antrag halten zu dürfen; denn für mich als neuen Abgeordneten gibt es zu viele Argumente, mit denen ich dagegen argumentieren kann.

(Christian Loose [AfD]: 130.000 € pro Jahr!)

Die AfD hat gefühlt in jedem Landtag, in den sie eingezogen ist, ähnliche Anträge wie diesen gestellt. Das kann sie auch, wohl wissend, dass sie so gut wie nie umgesetzt werden müssen und nicht mehrheitsfähig sind.

(Zuruf von der AfD: Das liegt doch an Ihnen und an den Grünen!)

In einer Kolumne der „Rheinischen Post“ vom 6. April 2017 wurde festgestellt: „Der Landtag hat zu viele Abgeordnete“. Die AfD greift nun die dort verwendete Argumentation hinsichtlich der Kosten in ihrem Antrag pauschal auf.

Die zentrale Frage, die wir uns stellen, ist aber: Wie viel ist uns eine bürgernahe demokratische Politik für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wert? Wie effektiv ist unsere jetzige Parlamentsarbeit?

Wir Abgeordnete haben einen vollen Terminkalender, insbesondere in den Sitzungswochen hier im Landtag. Wenn ich als Beispiel meinen recht großen ländlichen Wahlkreis betrachte, den Nordkreis Warendorf, kann ich mich nicht über Arbeitsmangel vor Ort beklagen. Mein persönlicher Anspruch als Abgeordneter ist es, so oft wie möglich an unserer Basis präsent zu sein. Der Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern ist enorm wichtig; denn wenn wir unserem Wählerauftrag gerecht werden wollen, müssen wir immer aktuell wissen, was die Menschen in unseren Wahlkreisen bewegt. Diese Themen müssen wir in unsere tägliche politische Arbeit im Parlament mitnehmen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Eine Verkleinerung des Landtags würde fast zwangsläufig eine Vergrößerung der Wahlkreise bedeuten. Der einzelne Abgeordnete hätte dann noch mehr Fläche und noch mehr Basis zu betreuen. Speziell in den ländlich geprägten Wahlkreisen, wie meinem, betreuen wir Abgeordnete große Gebiete, fahren jeden Monat Hunderte von Kilometern und verbringen tagsüber, abends und am Wochenende Stunde für Stunde bei denen, die wir hier in Düsseldorf vertreten.

Wenn wir jedoch den Anspruch haben – und das unterscheidet uns vermutlich wesentlich von der selbst ernannten Alternative, die hier nach innerfraktionellen Problemen wohl in Kürze am Fraktionsstatus kratzt –, dass sich die Bürgerinnen und Bürger von der Politik gut vertreten fühlen sollen, ist Demokratie mehr, als alle paar Jahre ein Kreuzchen zu machen. Demokratie ist dauerhafter Dialog mit dem Bürger.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Und Volksentscheide!)

In der 16. Wahlperiode legte der Politikwissenschaftler Professor Dr. Werner Reutter ein Gutachten mit dem Titel „Zur Zukunft des Landesparlamentarismus in Nordrhein-Westfalen“ vor. Bereits in der Einleitung wird angemerkt:

„Erstens scheint eine weitere Rationalisierung der parlamentarischen Repräsentation – z. B. durch eine Verkleinerung des Landtags oder durch Kürzungen … beim Personal – ausgeschlossen. Solche Kürzungen hätten … ‚Vertretungsdefizite‘ zur Folge.“

Nach der Verkleinerung von 201 Abgeordneten seit 1975 auf 181 ab 2005 jetzt noch weiter zu reduzieren, hält meine Fraktion im Sinne des Dialogs und der Demokratie nicht für zielführend.

Wir wollen, dass der Landtag die Vielfalt der Menschen und Meinungen in unserem Land abbildet und diese sich auch von uns vertreten fühlen. Dazu gehört nicht nur der Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, sondern in unserem Verhältniswahlrecht auch die Beteiligung kleinerer Parteien an der Meinungsbildung in diesem Hause.

Derzeit werden zehn Abgeordnete benötigt, um eine Fraktion zu bilden – eine Zahl, auf die sich die AfD konsequent zubewegt. Bei einem deutlich kleineren Landtag wäre die Hürde für kleinere Parteien verhältnismäßig schwerer zu nehmen. Den Fraktionsstatus hätte die AfD dann vermutlich schon verloren; das wäre doch schade.

(Zuruf von der AfD: Gut, dass Sie das anerkennen!)

Aber im Ernst: Auch wenn die AfD damit nicht viel am Hut hat, die Meinungsvielfalt und die demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land

(Roger Beckamp [AfD]: Das ist aber neu!)

sind für uns von der CDU ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, in Zeiten, in denen die Menschen immer politikverdrossener werden, halte ich es nicht für vertretbar, die Distanz zwischen den Bürgerinnen und Bürgern Nordrhein-Westfalens und uns als ihren Vertretern in der Politik weiter zu erhöhen, was ich durch diesen Antrag der AfD befürchte.

Die AfD fordert eine Überarbeitung des Landeswahlgesetzes und des Wahlkreisgesetzes innerhalb der nächsten acht Monate. Warum die Eile? Wieso acht Monate?

(Roger Beckamp [AfD]: Wir geben Ihnen auch zwölf Monate!)

Ein Thema wie dieses dürfen wir nicht hektisch und populistisch, sondern müssen es in Ruhe und mit der gebotenen Sachlichkeit diskutieren.

Wir lehnen den Antrag und insbesondere seine zeitliche Dimension hier und heute ab, stellen uns aber einer sachlichen und gründlichen Auseinandersetzung im zuständigen Fachausschuss bzw. in den zuständigen Fachausschüssen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hagemeier. – Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Kollegin Müller-Witt das Wort.

Elisabeth Müller-Witt (SPD) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist derzeit Mode, nach kleineren Parlamenten zu rufen. Damit schließt sich die AfD ihren eigenen Anträgen in anderen Landesparlamenten an.

(Zuruf von der AfD: Wir haben eine Linie!)

In Sachsen war die Verkleinerung des Landtags genauso ein Thema wie in Baden-Württemberg. In Thüringen hat die AfD sogar einen konkreten Gesetzesvorschlag gemacht. Diese Mühe haben Sie sich in Nordrhein-Westfalen noch nicht gemacht.

(Zurufe von der AfD)

Wie die mediale Aufmerksamkeit zeigt, die diese Anträge zumindest teilweise erlangt haben, ist der Ruf nach der Verkleinerung von Parlamenten offensichtlich populär. Damit wird auch schon das Hauptmotiv für Ihren Antrag erkennbar:

(Zuruf von der AfD: Wir sind die Stimme des Volkes!)

Es geht Ihnen ganz offensichtlich wesentlich mehr um die Popularität der Forderung als um das effektive Resultat. Dieses Vorgehen kann man zweifellos als „schlichten Populismus“ bezeichnen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der AfD)

Der Populismusverdacht erhärtet sich, wenn man die vorgebrachte Begründung für eine Parlamentsverkleinerung näher betrachtet; denn als wesentliche Begründung werden die Kosten angeführt. Nichts ist populärer als das Motiv, sparen zu wollen.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Dabei besteht die Gefahr, dass die parlamentarische Demokratie auf der Strecke bleibt.

Sehr beliebt ist auch das Argument, ein kleineres Parlament arbeite effektiver. Dieses Argument haben Sie im Antrag nicht vorgebracht, aber jetzt in Ihrem mündlichen Beitrag. Die Antragsteller führen im Gegenteil aus, dass die Ausschüsse in einem kleineren Parlament in der gleichen Größe weiterarbeiten könnten – eine Vorstellung, die nur Abgeordnete haben können, die ihre Tätigkeit ausschließlich auf die Parlamentsarbeit konzentrieren.

(Andreas Keith [AfD]: Das ist eine Unterstellung! Sie wissen das!)

Der vorgelegte Antrag zeigt also auch, wie fundamental sich das Verständnis der AfD von der repräsentativen Demokratie von dem anderer Parteien unterscheidet, insbesondere von dem der Sozialdemokratischen Partei.

(Zuruf von der AfD: Wir wollen direkte Demokratie!)

Unser Selbstverständnis, was das politische Engagement eines Landtagsabgeordneten betrifft, ist die enge Bindung zwischen der Arbeit im Parlament und der Arbeit vor Ort im Wahlkreis, also der direkte Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern dort. Die Menschen, die wir aufgrund ihrer Wahlentscheidung in diesem Hohen Hause vertreten, müssen eine Gelegenheit zum direkten Kontakt mit uns haben und umgekehrt – und dies insbesondere in Zeiten von Facebook, Twitter und anderen virtuellen Angeboten, die dazu einladen, Informationen lediglich verkürzt rüberzubringen.

Gerade hier scheint sich die AfD von anderen Parteien abzusetzen. Sie kommunizieren mit den Menschen im Wesentlichen über Social Media und kanzeln zahlreiche andere Medien mit Begriffen wie „Lügenpresse“ ab.

(Zuruf von der AfD: Die staatlichen Medien!)

Uns hingegen ist die Nutzung aller Medien,

(Zuruf von der AfD: Die meisten gehören Ihnen ja auch!)

insbesondere aber der Eins-zu-eins-Kontakt mit den Menschen vor Ort wichtig. Es bedarf ausreichend Zeit, um den Wahlkreis in seiner Einwohnerzahl und Ausdehnung bewältigen zu können.

(Beifall von der SPD)

Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist ein Arbeitsparlament. Das heißt, jede und jeder Abgeordnete gehört mehreren Ausschüssen an, die nicht nur Gesetzesvorlagen der Regierung beraten, sondern auch eigene Gesetzesinitiativen erarbeiten. Es wird qualifizierte Arbeit erwartet. Die Aufgaben sind anspruchsvoll, und zu ihrer Erfüllung benötigt der Landtag personelle Kapazitäten.

Es stellt sich daher vielmehr die Frage: Wie wenig Parlament kann sich unser wirtschaftlich starkes und einwohnerreiches Land überhaupt leisten? Ein billiges Parlament kann uns am Ende des Tages teuer zu stehen kommen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben den Anspruch, auch in Zukunft nah an den Bürgern zu sein und gute Parlamentsarbeit zu machen. Daher: Wir stimmen der Überweisung zu, aber Sie können sicher sein, wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Da sind wir sicher!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Müller-Witt. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Höne das Wort.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatten über Parlamentsgrößen und über Wahlsysteme sind so alt wie die Systeme selbst. Richtig ist, dass es auch schon in den vergangenen Jahren immer wieder Debatten darüber gab, etwa in der vergangenen Legislaturperiode. Auch ist richtig, dass schon eine Verkleinerung des Landtags vorgenommen wurde, nämlich zu der Legislaturperiode 2005 bis 2010.

Nicht richtig ist hingegen, ein solches Thema mit dem Ziel auf die Tagesordnung zu setzen, Aufmerksamkeit zu erheischen und einen billigen Sieg im Bereich der parteitaktischen Geländegewinne zu erzielen – noch dazu mit einem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, der handwerklich so schlecht wie er inhaltlich-strategisch schlicht ist.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der AfD)

Das Wahlsystem, das Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen hat – mit Abweichungen übrigens, Sie haben eben alles in einen Topf geworfen –, ist unserer Überzeugung nach ein gutes System. Die Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht bringt wichtige, zentrale Aspekte miteinander in Einklang: das Prinzip „eine Person, eine Stimme“, die Bürgernähe der Abgeordneten, eine politische Vielfalt und eben auch die Funktionsfähigkeit von Parlamenten. Genau diese Mischung macht unser System aus.

Darum meine ich auch, dass es viele Vorteile gegenüber einem reinen Mehrheitswahlrecht oder einem reinen Verhältniswahlrecht hat. Wir müssen uns dazu nur unsere Nachbarländer ansehen, die das so machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Strotebeck würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie zulassen?

Henning Höne (FDP): Bitte sehr.

Herbert Strotebeck (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich eine Frage stellen darf. – So ganz verstehe ich Sie nicht. Ich hatte von 150 oder 140 Abgeordneten gesprochen. Ihre Forderung waren 151, also ziemlich nahe dran.

Auch das, was ich zur Besetzung gesagt habe, nämlich dass es die gleiche Anzahl von Direktmandaten und Listenmandaten geben soll, entspricht einer Forderung, die Sie gestellt haben, und zwar in einem Antrag aus dem Jahr 2003.

(Zuruf von der AfD: Das ist vielleicht zu lange her!)

Sie haben das damals mit Akribie verteidigt.

(Henning Höne [FDP]: Kommt da noch eine Frage, Frau Präsidentin?)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ich wollte gerade sagen …

(Henning Höne [FDP]: Oder war die Frage: „Ich verstehe das nicht!“? – Dann kann ich auf Dauer nicht helfen, Herr Strotebeck! – Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Herbert Strotebeck (AfD): Ja! – Ist das richtig?

Henning Höne (FDP): Sie fragten gerade nach dem Motto: „Was hat das mit dem Antrag zu tun“? – Ich bin noch bei der Beantwortung der Frage, wenn ich darauf hinweisen darf. – Was hat es mit der Frage Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht zu tun?

Wenn man einen solchen Antrag stellt, lohnt es schon – das lässt Ihr Antrag vermissen –, sich erst einmal grundsätzlich und allgemein anzuschauen, wie das System im Moment eigentlich aufgebaut ist und auf welcher Grundlage es eigentlich basiert. Diese Grundlage habe ich gerade darzulegen begonnen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, den weiteren Ausführungen zu lauschen. Möglicherweise hilft das dann weiter.

Das, was in dieser Kombination von Mehrheit- und Verhältniswahl miteinander in Einklang gebracht wird – ich habe es gerade angesprochen –, sind wichtige Grundsätze unserer demokratischen Zusammenarbeit. Wir als Freie Demokraten wollen einen Landtag, in dem sich die Vielfalt, die unter anderem durch diese Kombination möglich gemacht wird, wiederfindet und in dem trotzdem der direkte Draht zu den Bürgerinnen und Bürgern möglich ist.

Aus dem System, wie wir es wollen, um die gerade genannten Prinzipien miteinander in Einklang zu bringen, ergibt sich, dass es zu Überhangmandaten kommen kann. Das ist übrigens unabhängig von der gesetzlichen Größe eines Parlaments möglich. Dass diese Überhangmandate im Sinne des gleichen Gewichts der Stimme jedes einzelnen Wählers ausgeglichen werden, dient nicht nur der Gerechtigkeit der Wahlsysteme, sondern auch der Einhaltung unserer Verfassung, des Grundgesetzes und der Landesverfassung. Darum ist das doch nur folgerichtig, und daran will doch wohl auch niemand rütteln.

Daher können wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstbewusst sagen: Unser Wahlsystem ist gut. Es funktioniert. Diese Aussage schützt sicherlich nicht auf Dauer vor Verbesserungen – um Gottes willen; Feind des Guten ist ja bekanntermaßen das Bessere –, Anpassungen sollte man aber dann vornehmen, wenn sie sachlich und inhaltlich geboten sind, und nicht, wenn sie vermeintlich einen politischen Vorteil verschaffen.

Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich zu, so wie es hier guter Brauch ist.

Ich will aber noch zwei Aspekte anbringen, ohne zu viel von den weiteren Beratungen vorwegzunehmen.

Erstens. Ein Parlament, das trotz Überhang- und Ausgleichsmandaten im Moment 199 Sitze hat und fast 18 Millionen Einwohner repräsentiert, ist vieles, aber sicher nicht überdimensioniert.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Bei Ihnen klang an, man müsste Kosten sparen und Handlungsfähigkeit sicherstellen. – Die Aufgabe des Parlaments, der Legislative, der ersten Gewalt im Staat, ist auch und insbesondere die Kontrolle der Landesregierung. Die Handlungsfähigkeit sinkt darum eben nicht nach dem Automatismus, den Sie beschrieben haben – nach dem Motto: Je größer es ist, desto schlechter funktioniert es. Eine gewisse Größe ist zwingend notwendig, damit wir dieser Kernaufgabe überhaupt nachkommen können. Dass Sie daran kein Interesse haben, sagt viel mehr über Sie aus, als Sie eigentlich preisgeben wollen.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Roger Beckamp [AfD]: Herr Höne, ins Archiv! – Gegenruf von Henning Höne [FDP]: Ja, im Archiv wird man Ihren Antrag auch wiederfinden – aber nur da!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Höne. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Schäffer das Wort.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin nicht der Meinung, dass die Anzahl der Landtagssitze oder das derzeitige Verhältnis von direkt gewählten Abgeordneten gegenüber den über die Liste eingezogenen in Stein gemeißelt ist – ganz im Gegenteil.

Der springende Punkt bei dieser Debatte ist aber doch, dass man mit einer AfD, die für die Schwächung der parlamentarischen Demokratie steht, schlichtweg nicht sachlich über eine Reform der Anzahl der Landtagssitze diskutieren kann.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD)

Die AfD – wir kennen das – denunziert immer wieder die Parlamente in Deutschland und auch die Abgeordneten der Landtage und des Deutschen Bundestags.

(Helmut Seifen [AfD]: Sie erzählen Märchen!)

Diese verbalen Angriffe auf die Parlamente und auf die Abgeordneten werden wir hier nicht unwidersprochen stehen lassen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Märchenstunde!)

In ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl – ich habe es gestern noch mal nachgelesen – hat die AfD noch gefordert, dass die zukünftige Parlamentsgröße direkt von der Höhe der jeweiligen Wahlbeteiligung abhängig gemacht werden soll.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Vielleicht klären Sie erst einmal Ihre Position, wohin Sie wollen und was Sie fordern, und kommen dann noch mal hierhin zurück.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Christian Loose [AfD]: Das ist dann der zweite Schritt!)

Dass die AfD in ihrem Antrag argumentiert, dass eine Verringerung der Landtagsmandate keine Beeinträchtigung der Arbeit in den Ausschüssen bedeute, und dann als Begründung heranzieht, dass die Anzahl der Sitze in den Haushaltsausschüssen im Hessischen Landtag und im nordrhein-westfälischen Landtag gleich ist, ist, ehrlich gesagt, ziemlich gaga.

Ja, es stimmt: Sowohl in Hessen als auch in Nordrhein-Westfalen sitzen jeweils 21 Abgeordnete im Haushaltsausschuss. Aber der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat insgesamt 20 Fachausschüsse, wohingegen der Landtag von Hessen nur elf Fachausschüsse hat. Diesen Vergleich zu ziehen, ist total gaga.

Im Übrigen hat Nordrhein-Westfalen viel mehr Einwohner als Hessen – auch das dürfte Ihnen inzwischen nicht ganz entgangen sein.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass die AfD-Abgeordneten hier im nordrhein-westfälischen Landtag doch gar nicht beurteilen können, wie viel Arbeit ein Ausschuss macht; denn Sie verweigern sich doch jeglicher Arbeit in den Ausschüssen!

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Andreas Keith [AfD]: Jetzt hören Sie doch mal auf mit diesen Unterstellungen! – Weitere Zurufe von der AfD – Gegenrufe von den GRÜNEN und der SPD – Andreas Keith [AfD]: Beweisen Sie das mal!)

– Ja, das kann ich Ihnen beweisen anhand …

(Fortgesetzt Zurufe von der AfD – Andreas Keith [AfD]: Das ist eine Unterstellung! Wir sind in allen Ausschüssen drin!)

– Herr Keith, vielleicht hören Sie mir erst mal zu! – Herr Keith, das kann ich Ihnen beweisen anhand der Ausschussprotokolle. Egal ob im Innenausschuss oder im Rechtsausschuss: Ich kann alle Ausschüsse dieses Hauses nennen. Da beteiligt die AfD sich nicht an den Debatten.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Fortgesetzt Zurufe von der AfD – Gegenrufe von den GRÜNEN und der SPD)

– Nein, Herr Seifen, das ist keine Verleumdung. Schauen Sie sich die Protokolle an. Dann werden Sie sehen, dass ich recht habe.

(Andreas Keith [AfD]: Sie sitzen doch schon jahrelang hier drin!)

Sie benutzen das Parlament als Bühne für Ihre Hetze! In den Ausschüssen arbeiten Sie nicht.

(Zurufe von der AfD)

Sie machen Arbeitsverweigerung, und das ist auch dokumentiert.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Andreas Keith [AfD]: Das ist eine Unterstellung!)

Ich will noch darauf hinweisen, dass eine drastische Absenkung der Abgeordnetenanzahl, wie Sie es fordern, dazu führen würde, dass gerade die kleinen Fraktionen und die Erfüllung ihrer Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, nicht mehr funktionieren würden.

Aber es geht ja nicht nur um die Kontrollfunktion gegenüber der Regierung. Die Kontrollfunktion und deren Bedeutung hat der Abgeordnete Höne schon angesprochen. Es geht auch darum, dass wir für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ansprechbar sind. Man kann nicht einerseits beklagen, dass sich die Politik immer mehr von der Bevölkerung entfernen würde,

(Andreas Keith [AfD]: Doch! – Weitere Zurufe von der AfD)

und andererseits die Reduzierung der Abgeordnetenanzahl fordern. Das ist ein Widerspruch in sich, den Sie hier auch nicht auflösen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD)

Weil der Abgeordnete Wagner heute Morgen in der Aktuellen Stunde das Thema „direkte Demokratie“ angesprochen hat, will ich das auch tun. Es geht Ihnen in Wahrheit doch nicht um mehr Bürgerbeteiligung,

(Andreas Keith [AfD]: Doch! – Weitere Zurufe von der AfD)

– nein! –, Sie wollen mit den Instrumenten der direkten Demokratie Hetzkampagnen gegen Minderheiten fahren.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Deshalb nennen Sie die Schweiz als Vorbild.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

– Vielleicht, Herr Keith, hören Sie mal zu. Das ist doch genau der Grund, warum Sie immer die Schweiz als Vorbild nennen für das Thema „direkte Demokratie“.

Das ist der Unterschied zu uns Grünen. Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger stärken

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

im Gegensatz zu Ihnen. Sie wollen hetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der AfD)

Das Parlament ist ein Grundpfeiler unserer Gewaltenteilung und unserer Demokratie.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Und: Ja, die Demokratie kostet, und dazu stehe ich.

Im Übrigen – wenn Sie sich über die Kosten beschweren –: Sie können Ihre Abgeordnetendiäten gerne spenden. Herr Pretzell und auch Herr Meuthen können gerne ihre Doppelmandate ablegen. Es hindert sie niemand daran, genau das zu tun.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zuruf von Andreas Keith [AfD] – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Ich möchte zum Ende der Debatte noch einmal bekräftigen, dass die AfD doch ganz offensichtlich überhaupt kein Interesse an der parlamentarischen Arbeit und an einem starken Parlament hat.

(Zuruf von Andreas Keith [AfD])

Das unterscheidet uns. Wir wollen ein starkes Parlament. Wir wollen, dass das Parlament …

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Kommen Sie bitte zum Schluss.

Verena Schäffer (GRÜNE): … die Regierung kontrollieren kann. Wir wollen, dass die Abgeordneten für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land da sind. Dafür werden wir weiter streiten.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Minister Herbert Reul: Glückwunsch! – Minister Karl-Josef Laumann: Das war eine gute Rede!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schäffer. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.  

Wir sind am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrates, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/1126 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss und den Rechtsausschuss zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich darf fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte. – Das sind die Abgeordneten der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt:

5   Zweizügige Fortführung von Sekundarschulen ermöglichen – Eltern, Lehrern und Gemeinden im ländlichen Raum Planungssicherheit geben

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1114

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Abgeordneten Panske das Wort zu seiner ersten Rede im Hohen Haus. Bitte schön.

Dietmar Panske (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eines der Wesensmerkmale von Nordrhein-Westfalen ist es, dass es neben den zahlreichen starken Ballungsregionen auch einen ausgeprägten ländlichen Raum gibt – natürlich mit den einzelnen Herausforderungen und Anforderungen, auch beim Thema „Schule“.

Deswegen möchte ich Ihnen zu Beginn einfach mal einige Zahlen aus dem Regierungsbezirk Münster darlegen. Was ist in den vergangenen vier Jahren in der Schullandschaft im Regierungsbezirk Münster passiert?

Die Zahl der Gymnasien ist stabil und unverändert geblieben. Bei den Realschulen kommen wir in den letzten vier Jahren von 83 auf nur noch 68. Bei den Hauptschulen sind wir mittlerweile von 102 auf 62 runter. Bei den Förderschulen sind wir von 89 auch auf 62 runter. Gleichzeitig haben wir aber einen Aufwuchs bei den Gesamtschulen von 29 auf 43 und bei den Sekundarschulen von 6 auf 22. Dazu haben wir noch zwei Gemeinschaftsschulen, eine PRIMUS-Schule, und insgesamt sind 154 Schulen Orte des gemeinsamen Lernens geworden. Man kann also feststellen: Die Schullandschaft nicht nur im Regierungsbezirk Münster, sondern in ganz Nordrhein-Westfalen ist in den letzten Jahren in Bewegung gekommen.

Das führt auch zu einem veränderten Wahlverhalten der Eltern für ihre Kinder. Die Sekundarschulen im ländlichen Raum werden in der Regel vierzügig genehmigt. Häufig müssen sie aufgrund der hohen Nachfrage mit Ausnahmegenehmigungen fünf- oder sechszügig laufen. Schon nach drei oder vier Jahren kämpfen sie ohne erkennbaren Grund um die Dreizügigkeit.

(Helmut Seifen [AfD]: Warum wohl?)

– Warum wohl? – Darüber sprechen wir gleich.

Mit Blick auf den demografischen Wandel, der ja sowieso schon Schwankungen in den Schülerzahlen mit sich bringt, aber auch das geänderte Wahlverhalten der Eltern und die Angebote vor Ort kann es dazu kommen, dass Schulen die Mindestgröße nach dem Schulgesetz nicht mehr erreichen, auslaufend gestellt werden und dann irgendwann geschlossen werden. Das trifft vorrangig die jungen Sekundarschulen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Trotz all dieser Unsicherheiten, trotz all dieser Veränderungen in der Region erwarten wir von den Städten und Gemeinden in ihrer Funktion als Schulträger, dass sie jede Menge Mittel in den Ausbau und in den Erhalt der Schulinfrastruktur investieren. Da bedarf es einer neuen Schulmensa für die Mittagsverpflegung der Kinder, was absolut richtig ist. Wir brauchen neue Toilettenanlagen. Wir brauchen Differenzierungsräume für die individuelle Förderung bei einer immer heterogener werdenden Schülerschaft. Wir machen uns Gedanken über die Schulhofgestaltung aufgrund des Nachmittagsangebotes. Wir müssen über barrierefreie Zugänge zu den Gebäuden reden. Das hat etwas mit der Inklusion zu tun. Man könnte diese Liste noch um einiges ergänzen.

Was aber oftmals vergessen wird: Was passiert eigentlich mit den Schulen, wenn sie auslaufend sind und geschlossen werden? Die Schule ist weg. Die Gebäude stehen leer. Aber dieser unumkehrbare Prozess hat sich in Gang gesetzt. Schulentwicklung ist dann im Lande nicht mehr möglich.

Für die Attraktivität ländlicher Regionen gibt es unterschiedliche Standortfaktoren, die beispielsweise etwas mit Arbeitsmarktangeboten, Einzelhandelsangeboten, Mobilität, Anbindung an den ÖPNV, neuen Baugebieten zu tun haben. Aber vor allem ein sicheres Schulangebot ist im ländlichen Raum von herausragender Bedeutung. Das ist auch – so verstehen wir das im ländlichen Raum – Teil von Heimat.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir bei Standortfaktoren bleiben, Schulen sind harte Standortfaktoren. Fällt auf dem Land der Faktor Schule, fallen über kurz oder lang auch andere Faktoren.

Diese NRW-Koalition hat es sich zur Aufgabe gemacht, den ländlichen Raum zu stärken und weiterhin attraktiv zu halten, damit junge Familien sich ruhigen Gewissens dort ansiedeln können, junge Menschen in einer Region bleiben – wir sprechen hier über boomende Wachstumsregionen – und wir frühzeitig eine Verzahnung von Schule vor Ort und heimischer Wirtschaft hinbekommen.

Deshalb muss das Signal von hier sein, den Schulträgern die Gewissheit zu geben, dass sie auch weiterhin genau richtig investieren – in beste Bildung.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es erforderlich, dass wir den Sekundarschulen, was wir übrigens bei Realschulen und Gymnasien schon haben, die rechtliche Gewissheit geben, auch über einen längeren Zeitraum zweizügig zu fahren. An anderer Stelle müssen wir sicherlich darüber nachdenken, ob überall gymnasiale Standards aufrechterhalten werden können.

(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)

Ich möchte aber zum Abschluss noch mal betonen: Der Antrag richtet sich nicht gegen irgendjemanden, nicht gegen irgendwelche Schulformen – Realschulen, Gymnasium oder sonst irgendetwas. Auch diese Schulformen werden wir laut Koalitionsvertrag weiter stärken. Vielmehr geht es heute um starke und zukunftssichere ländliche Regionen. Deshalb werbe ich sowohl hier als auch im Ausschuss um Ihre Bereitschaft, dieses Signal ins Land zu senden. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Panske, und Glückwunsch zur ersten Rede. Genießen Sie die Gratulationen; das ist nicht jedes Mal so.

(Vereinzelt Lachen von der SPD)

Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Rech.

Franziska Müller-Rech (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich vor einigen Jahren noch die Schule besuchte, brauchte ich rund 15 Minuten zu Fuß, um von meiner Haustür zum Klassenzimmer zu kommen. Somit hatte ich als Bonnerin tatsächlich das Glück, dass mein Unterricht, wie wir sagen, im Veedel stattfand, wo ich eine große Auswahl an Schulen der Sekundarstufe I vorgefunden habe.

Auch im Jahr 2017 und in Zukunft setzen wir uns für ein vielfältiges und sicheres Angebot der unterschiedlichen Schulformen in NRW ein. Wir wollen auch dafür sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler – sei es in der Stadt oder auf dem Land – einen möglichst kurzen Schulweg haben und nicht täglich auf Weltreise gehen müssen, um ins Klassenzimmer zu kommen – auch wenn das nicht heißt, dass es in jeder Kommune automatisch jeden Bildungsgang geben kann.

Im ländlichen Raum ist dieses Ziel aktuell gefährdet. Daher müssen wir jetzt handeln. Insbesondere Kleinstädte und Gemeinden mit ländlicher Struktur müssen heute kreativ werden, um ihre Einwohner zu halten und nicht an die großen Städte zu verlieren.

Wichtige Aspekte dabei sind: Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, die Verkehrsinfrastruktur und Anschlüsse auf Straße und Schiene verbessern, ein attraktives Einzelhandelsangebot erhalten, den Glasfaserausbau vorantreiben und nicht zuletzt ein gutes Schulangebot vor Ort bieten.

In den letzten Jahren sind viele Sekundarschulen in NRW gegründet worden. Mancherorts bilden sie oft das letzte weiterführende Schulangebot. In letzter Zeit unterlagen jedoch die Schüler- und Anmeldezahlen leider starken Schwankungen. Für viele Sekundarschulen wird es immer schwieriger, die Mindestgröße von 60 Schülern einzuhalten, damit sie fortgeführt werden können. Dadurch sind viele Sekundarschulen unmittelbar von der Schließung bedroht.

Das können und wollen wir als NRW-Koalition nicht hinnehmen. Wir wollen bestehende Schulformen stärken und verbessern, gerade wenn es sich dabei um das letzte Schulangebot vor Ort handelt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Sekundarschulen waren eine rot-grüne Schöpfung. Wem jetzt aber der Gedanke kommt, wir würden die Situation ausnutzen, um der Schulform Sekundarschule aus ideologischen Gründen den Garaus zu machen, den enttäusche ich hier und heute sehr gerne. Denn welcher Name auf dem Schild am Schuleingang steht, ist für uns zweitrangig. Uns geht es um gute und passende Schulangebote in Stadt und Land.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir wollen mit unserem heutigen Antrag drei Dinge erreichen:

Erstens. Wir wollen möglichst vielen Schülerinnen und Schülern lange tägliche Schulwege ersparen, die durch Schulschließungen entstehen können.

Zweitens. Die Lehrerinnen und Lehrer sollen ihre gute pädagogische Arbeit, die sie an den Sekundarschulen in den letzten Jahren begonnen haben, fortführen können.

Drittens. Wir wollen, dass das Leben auf dem Land weiterhin attraktiv bleibt. Denn nur mit einem guten Schulangebot, einer funktionierenden Infrastruktur und einem gesicherten Arbeitsumfeld hält es die Menschen zum Beispiel im schönen Ostwestfalen-Lippe, im Münsterland, in Südwestfalen oder in der Eifel.

Um die bestehenden Schulangebote vor Ort zu erhalten, fordern wir heute mit unserem Antrag, dass Sekundarschulen – wie Realschulen und Gymnasien auch – dauerhaft zweizügig fortgeführt werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen werden wir auch in dieser Frage im Schulausschuss fortführen, und darauf freue ich mich sehr. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Müller-Rech. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Gödecke.

Carina Gödecke (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzunehmen: Die SPD-Landtagsfraktion wird weder der Überweisung noch der späteren Verabschiedung des Koalitionsvertrags im Wege stehen, zumal wir davon ausgehen dürfen, dass die Zweizügigkeit der Sekundarschulen bereits im Vorfeld der Antragstellung dezidiert mit der Landesregierung abgestimmt und damit eigentlich schon fast beschlossene Sache ist. Deshalb wollen Sie den Antrag – dagegen haben wir überhaupt nichts – bereits am kommenden Mittwoch im Schulausschuss abschließend beraten.

Das wird Sie vielleicht wundern, aber wir sind sogar ganz nah bei Ihnen. Im Antrag werden zwei unterschiedliche Intentionen deutlich. Zum einen geht es um die Aufrechterhaltung und Sicherung von vielfältigen Schulangeboten, manchmal auch um die Aufrechterhaltung des einzigen weiterführenden Schulangebots im ländlichen Raum, und zum anderen geht es um die Weiterentwicklung und die Zukunft der Sekundarschule.

Wir haben 2011 mit dem schulpolitischen Konsens die Sekundarschule gemeinsam – aus gutem Grund – und verbunden mit großen Erwartungen aus der Taufe gehoben. Viele werden sich erinnern, manche waren unmittelbar daran beteiligt. Gerade das Ziel der Sicherstellung des Schulangebotes im ländlichen Raum hat ja zur Einführung der Sekundarschule als Schule des längeren gemeinsamen Lernens geführt. Es war eine von CDU, Grünen und uns gemeinsam getragene und verantwortete Entscheidung.

Weil das so ist, bleiben wir auch weiterhin gemeinsam in der Verantwortung, dieser jungen Schulform besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir bleiben in der gemeinsamen Verantwortung, die Ziele und Erwartungen, die wir mit der Sekundarschule als Schule des längeren gemeinsamen Lernens verbinden, nicht vorschnell als gescheitert zu bezeichnen oder gar aufzugeben.

Schon der erste Satz des schulpolitischen Konsenses macht deutlich, warum wir damals wie heute Verantwortung tragen. Dort heißt es nämlich wörtlich:

„Im Mittelpunkt unserer Schulpolitik stehen die Kinder und Jugendlichen, nicht Strukturen.“

Schon 2011 haben wir also gemeinsam festgestellt, dass es bei unseren bildungspolitischen Diskussionen und Entscheidungen nicht originär um die Schulstruktur gehen darf und geht und dass es damit auch heute nicht in erster Linie um die Frage von Mindestgrößen als Voraussetzung für den gesicherten und dauerhaften Fortbestand von Schulangeboten geht. Nein, bei allem, was wir diskutieren, und bei allem, was wir entscheiden, geht es immer zuerst um Kinder und Jugendliche und um deren Chancen und Perspektiven, und zwar sowohl im ländlichen Raum – damit beschäftigt sich Ihr Antrag – als auch im städtischen Raum, den Sie leider nicht erwähnen.

Ich will daran erinnern, dass es etwas weiter im Schulkonsens heißt:

„Ziel ist ein Schulsystem im Bereich der allgemeinbildenden weiterführenden Schulen, das der Verschiedenheit der Kinder und Jugendlichen gerecht wird:

· vielfältig – hinsichtlich der Bildungsgänge;

· umfassend und regional ausgewogen – hinsichtlich der Erreichbarkeit für die Schülerinnen und Schüler sowie der Bedeutung von Schule als Standortfaktor für die Kommunen, die Eltern und die örtliche Wirtschaft.“

(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Damit haben wir damals zugleich die neue Sekundarschule ganz klar und unmissverständlich in den Dienst der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen gestellt. Daran sollten wir festhalten, auch und gerade heute, wo wir uns nach kurzer Zeit mit erkennbaren Problemen der Sekundarschule konfrontiert sehen.

Was wollen wir? Was sagen wir Sozialdemokraten? – Wir wollen genau wie die Antragssteller Bildungssicherheit für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig vom Wohnort. Wir wollen, wie im Schulkonsens verabredet, die Sicherung eines wohnortnahen und qualitativ hochwertigen Schulangebots in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen genau wie Sie die Probleme, die sich im ländlichen Raum, aber genauso auch in den Städten ergeben.

Deshalb gibt es – da gehen wir einen Schritt weiter als Sie – Handlungsbedarf sowohl im ländlichen Raum als auch in den Städten. Wir wissen aber zugleich, dass es ein Stadt-Land-Gefälle gibt und der Handlungsdruck im ländlichen Bereich anders und ungleich stärker ist.

Deshalb stehen wir Ihrem Antrag nicht im Wege, und wir sind ganz nah bei Ihnen.

Zugleich möchte ich aber noch einmal für meine Fraktion betonen, dass wir den Schulkonsens, der bis 2023 tragen soll, nicht einseitig aufkündigen wollen und auch nicht werden. Dasselbe erwarten wir allerdings auch von Ihnen. Daher wundert es uns ein wenig, dass der zweite Punkt in Ihrem Beschlusstext den Schluss nahelegt, dass die gymnasialen Standards der Sekundarschule durchaus infrage gezogen werden sollen.

Ich möchte zum Schluss gerne noch sagen, wo wir uns unterscheiden. Sie fordern die Zweizügigkeit ausschließlich für die Sekundarschule – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Wir aber fragen uns, ob die von Ihnen vorgenommene Konzentration auf die Sekundarschule und der von Ihnen vorgeschlagene Weg der einzige und vor allen Dingen auch der langfristig richtige Weg ist.

Bei allem Verständnis für kurzfristige notwendige Maßnahmen zur Herstellung von Planungssicherheit und -klarheit, sollten wir ausgehend von Ihrem Antrag – auch wenn er später im Schulausschuss bereits beschlossen wurde – gerne weitergehend miteinander darüber diskutieren, ob es nicht andere, differenziertere Lösungen und damit auch abschlussbezogene Flexibilität geben kann und geben muss. Wir wollen mit Ihnen klären, ob es nicht, wie in der Kleinen Anfrage von Herrn Kollegen Ott benannt, für alle integrierten Schulen eine höhere Flexibilität, größere Entscheidungsspielräume und Sondergenehmigungen geben muss.

Wir sagen Ja zur Sicherung des Schulangebotes überall im Land. Ob das allerdings allein mit der auf Dauer angelegten Zweizügigkeit der Sekundarschule gelingt, wissen weder Sie noch wir. Wir glauben, das ist zu wenig. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion im Schulausschuss. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Gödecke. Ich würde gerne noch etwas sagen, aber ich sage es nicht.

(Heiterkeit – Jochen Ott [SPD]: Du hast dich nicht getraut!)

– Ich traue mich nicht, aber es war wunderbar.

(Carina Gödecke [SPD]: Es war eine Art Jungfernrede!)

– Ja, ja, das ist klar.

(Vereinzelt Heiterkeit von der SPD)

Frau Kollegin Gödecke und ich wissen, was wir meinen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Dann lassen Sie uns doch teilhaben!)

Herr Kollege Rüße steht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am Pult bereit und spricht zum nämlichen Thema. Bitte schön.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes sage ich in Richtung FDP: Den Antrag haben wir natürlich mit großer Freude gelesen.

Ich war 2010 bis 2012 auch im Schulausschuss. Da habe ich die FDP noch ein bisschen anders wahrgenommen, als wir damals diskutiert haben, wie wir denn die Schullandschaft in Nordrhein-Westfalen anders aufstellen können. Das hat dann mit dem Schulkonsens geendet, den wir zusammen mit der CDU beschlossen haben. Die Sekundarschule ist ein Ergebnis des Schulkonsenses gewesen. Damals haben Sie sich noch heftig gegen diese neue Schulform geäußert. Von daher zeigt sich ein Fortschritt, über den wir uns in der Tat sehr freuen.

Sie haben die Bedeutung der Sekundarschule für den ländlichen Raum als zum Teil letztes Schulangebot benannt. Das haben jetzt schon verschiedene Redner angesprochen. In der Tat muss man sehen, wie man das erhalten und weiterentwickeln kann.

Ich kann mir aber einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. 2010, 2012 haben wir noch Debatten über den Erhalt der Hauptschule geführt, obwohl wir in der Diskussion längst weiter waren. Ich kann mich bezüglich des Kreises Steinfurt gut daran erinnern. Es war klar, dass diese Schulform keine Perspektive mehr hat. Es wurde aber erbittert daran festgehalten.

Es gibt viel Reformstau, den Sie zu verantworten haben und mit dem wir heute noch kämpfen, wenn es um die Frage geht, ob wir die Sekundarschule erhalten können.

Das Problem ist klar. Auf der einen Seite haben wir die Sogwirkung der Gymnasien, die immer mehr Schüler an sich ziehen. Auf der anderen Seite haben wir die demografische Entwicklung, dass insgesamt immer weniger Schülerinnen und Schüler vorhanden sind.

Klar ist auch: In dieser Gemengelage muss die Sekundarschule ein vernünftiges, ein gutes schulisches Angebot darstellen, von dem die Eltern und die Schüler sagen: „Ja, wir sind bereit, diese Schulform mitzugehen. Wir melden unsere Kinder dort an, weil wir wissen, dass sie dort unter guten Standards ausgebildet werden.“

Ebenfalls ist klar – das Problem wurde angesprochen –: Gerade im ländlichen Raum gibt es viele Orte, an denen es nicht möglich ist, das dreigliedrige Schulsystem in alter Form zu erhalten, und auch nicht möglich ist, eine Gesamtschule aufzubauen, weil auch dafür die Kapazität an Schülerinnen und Schülern fehlt. Von daher ist die Sekundarschule in den kleineren Kommunen das richtige Angebot vor Ort.

In Ihrem Antrag haben Sie die Zweizügigkeit ja erwähnt. Diesbezüglich ist es wichtig, festzustellen, dass die Zweizügigkeit schon jetzt – zumindest vorübergehend und in begrenzten Fällen – möglich ist. Wir finden es richtig, wenn Sie diesen Weg jetzt gehen und das auch dauerhaft ermöglichen wollen, und wir werden diesen Weg mitgehen.

In Ihrem Antrag legen Sie dar, Sie wollen das genauso wie bei den Realschulen und den Gymnasien machen – das wurde eben auch schon gesagt. Wir finden das an dem Antrag ein wenig irreführend, weil das bereits jetzt der Fall ist und diese Schulform sogar einzügig geführt werden kann. Von dem her sind sie an dieser Stelle schon besonders gut gestellt, und es geht auch nur darum, die Sekundarschule gleichzustellen.

Ein Aspekt ist uns allerdings schon noch einmal wichtig. Sie schreiben in dem Antrag, es sei zu prüfen, ob und wie gymnasiale Standards umgesetzt würden. Wir sind der Meinung, dass wir bei der Einführung der Sekundarschule gesagt haben, es ist ein konstitutives Merkmal dieser Schule, gymnasiale Standards einzuhalten, um die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, danach in die Oberstufe wechseln zu können.

Wenn die Intention wäre, hier die Axt anzulegen und das infrage zu stellen, dann würden Sie die Sekundarschule entwerten und ihr einen Bärendienst leisten. Wir sind der Meinung, dass dort, wo Sekundarschule draufsteht, auch Sekundarschule drin sein muss, und zwar einschließlich der gymnasialen Standards.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Ministerin, Sie sehen, insgesamt sind wir aber durchaus sehr nah an dem, was die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben. Wir können vielem zustimmen, freuen uns auf die Beratungen im Schulausschuss und stimmen der Überweisung natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Nun spricht Herr Abgeordneter Seifen für die AfD-Fraktion.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, der hier von CDU und FDP vorliegt, ist selbstverständlich sehr zu begrüßen. Ich komme aus dem ländlichen Bereich, und wir hatten in Gronau-Epe eine Sekundarschule, sodass ich vor Ort mitbekommen habe, welche Probleme es von vornherein gab.

Ich unterstreiche alles, was meine Vorredner über die Wichtigkeit von Infrastruktur und vor allem die schulische Infrastruktur gesagt haben. In den letzten Jahren und Jahrzehnten habe ich selbst mit Eltern zu tun gehabt. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß deren Sorgen sind, wenn es um die schulische Laufbahn ihrer Kinder geht. Medial öffentlich wird hier auch noch vieles befeuert, und die Eltern beschäftigen sich vor allen Dingen dann, wenn die Kinder von der Grund- in die Sekundarschulen wechseln, mit nichts anderem als damit, für ihr Kind den richtigen Weg zu finden.

Herr Panske, Sie habe gerade angedeutet, welche Schwierigkeiten es gibt, und es ist in der Tat so: Die Sekundarschulen werden nicht so angenommen, wie man sich das möglicherweise gewünscht hat. Ich kann Ihnen dafür aber auch Erklärungsansätze und, ich meine sogar, Erklärungen liefern, weil ich das hautnah mitbekommen habe.

Die Eltern misstrauen den Sekundarschulen – nicht den Lehrern, nicht, dass das hier falsch verstanden wird. Das Lehrpersonal leistet dort eine unglaubliche Arbeit und tut mir manchmal sogar leid, weil die Eltern „dem Braten nicht trauen“. Die Eltern wollen ihre Kinder auf das Gymnasium schicken, und das ist auch in Ordnung. Wenn die Kinder aber, von den Grundschullehrern beurteilt, auf der Kippe stehen, sind sie sehr im Zweifel, wie sie handeln sollen, und die Gesamtschule ist ihnen dann am liebsten.

Die Sekundarschule ist im Grunde genommen bis zur Jahrgangsstufe 10 eine Form der Gesamtschule, und hier misstrauen die Eltern, weil sie genau wissen, dass es fast nicht möglich ist, die Standards Hauptschule, Realschule, Gymnasium auf dieser Schule aufrechtzuerhalten. Das liegt wiederum nicht an irgendwelchen Lehrern oder an einem schlechten Willen, sondern daran, dass man zur Aufrechterhaltung dieser drei Standards eine gewisse Schülerpopulation, also eine Quantität an Schülern, braucht.

Ich sehe jetzt hier, dass das Ganze auch zweizügig laufen soll; dafür sind wir auf jeden Fall. Die Mindestgrenze für eine Zweizügigkeit liegt, wenn ich mich richtig erinnere, bei 52 Schülern bzw. 26 Schülern pro Klasse, wobei ich nicht weiß, ob sich daran mittlerweile etwas geändert hat. Sie müssten mir dann allerdings verraten, wie es geht, dass man tatsächlich das Hauptschul-, das Realschul- und Gymnasialangebot vorhält. Ich halte das für illusorisch, genauso wie die gesamte Schulform illusorisch war.

Die Abgeordneten der anderen Parteien, die schon länger hier sitzen, und auch das Ministerium sagen jetzt: Wir sollen nicht zurückblicken. – Sehen Sie es mir einfach nach: Wenn ein Fehler passiert, muss man zurückblicken, wenn man ihn reparieren will. Das ist in jedem Unternehmen so, und das habe ich früher an meiner Schule auch so gemacht. Wenn ein Fehler passiert ist, mussten wir zurückblicken, um zu sehen, wie es dazu kommen konnte.

Ich bedauere außerordentlich, dass die Bereitschaft, zurückzublicken, um Fehlerursachen zu finden, in diesem Hause offensichtlich sehr gering zu sein scheint, weil man offensichtlich nicht will, dass die vergangenen Fehler medial öffentlich werden.

Ich hätte mir auch für meine Heimatstadt gewünscht, dass die zwei gesunden Realschulen erhalten worden wären. Eine wurde geschlossen; wir haben im Ortsteil Epe Realschule und Hauptschule geschlossen und dafür die Sekundarschule eingeführt. Es hat sich dann dieser böse Name verbreitet, hinter dem ich nicht stehe: Na ja, das ist eine Restschule. Das ist fatal, und die Lehrer konnten machen, was sie wollten: Die Eltern haben ihre Kindern dort nicht angemeldet. Hätte man das als Realschule mit einem Hauptschulzweig gelassen, garantiere ich Ihnen, dass wir in Epe eine gesunde Sekundarschule hätten, an der die Eltern ihre Kinder angemeldet hätten.

Ich weiß nicht, inwiefern das rückgängig zu machen ist – natürlich nicht von Montag auf Dienstag, das ist mir schon klar –, aber ich würde dafür plädieren, nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus der Tatsache, dass ich das Verhalten und Denken der Eltern kenne, zu überlegen, ob man nicht dahingeht, dass man die Sekundarschulen zweizügig führt, dass man den Realschulzweig stärkt, den Hauptschulzweig anschließt und irgendwann möglicherweise die Sekundarschulen sich in diese Richtung weiterentwickeln lässt. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Seifen. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Gebauer das Wort.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich als Ministerin über die große Einigkeit hier in Bezug auf die Sicherung der Sekundarschule als wohnortnahes Schulangebot. Gleichwohl muss ich auch ein bisschen Wasser in den Wein gießen, was von Ihnen, liebe Frau Gödecke, und von Ihnen, lieber Herr Rüße, in Bezug auf die Frage nach einem Ob und Wie der gymnasialen Standards ausgeführt worden ist.

Es war die Vorgängerregierung, und hier meine Vorgängerin Frau Löhrmann, die gesagt hat: Wir brauchen in den Sekundarschulen auch gymnasiale Standards. Wenn das der Fall ist, dann muss eine bestimmte Größe gegeben sein, damit diese gymnasialen Standards auch verwirklicht werden können und zum Erfolg führen.

(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)

Das ist jetzt schon einmal die Grundlage, auf der wir arbeiten müssen und arbeiten werden. Deswegen ist in diesem Zusammenhang auch die Frage über das Ob und Wie, wie wir das anstellen werden, berechtigt.

Als Landesregierung begrüße ich natürlich den vorliegenden Antrag, der ein wichtiges Thema aus dem Koalitionsvertrag aufgreift, nämlich die besagte Sicherung. Es ist richtig, das ist jetzt schon mehrfach angesprochen worden, dass bereits wenige Jahre nach der Gründung der Sekundarschulen schon einige unter die Mindestgröße fallen und sich weitere dieser leider auch – das muss man sagen – bedrohlich nähern.

Ich habe es angesprochen: Die für die Fortführung einer Schule erforderliche Mindestgröße bestimmt sich aus der gesetzlich festgelegten Mindestzügigkeit. Ich will Sie jetzt gar nicht mit Paragraphen belegen, es ist in diesem Zusammenhang, für den, den es interessiert, § 82 Schulgesetz.

Bei einem Vergleich der Mindestgrößen der Schulform stellt man fest – auch das ist richtig –, dass Sekundarschulen sehr hohen Fortführungsgrößen unterliegen. Das ist im pädagogischen Konzept dieser Schulform begründet, weil eben bei breiter Leistungsheterogenität auch höhere Schülerzahlen benötigt werden.

Die Fortführung kleinerer Sekundarschulen ist gegenwärtig daher nur als zweizügiger vertikaler Teilstandort möglich. Dies setzt – das wissen wir – eine interkommunale Zusammenarbeit voraus, die meist nicht ressourcenneutral zu gestalten ist und in der Praxis zum Beispiel beim Differenzierungsangebot oder bei den Fahrzeiten oftmals zu Problemen führt.

Die dauerhafte Fortführung einer Schule unterhalb der gesetzlichen Mindestgröße ist derzeit nicht möglich. Die Betonung liegt auf dauerhaft, es gibt natürlich entsprechende Ausnahmen. Das bedeutet aber auch, dass zeitnah Sekundarschulen geschlossen werden müssten. Das ist insbesondere dann hochproblematisch, wenn es sich hier um das letzte weiterführende Schulangebot einer Gemeinde handelt.

Schule bzw. Schulangebote, das ist schon gesagt worden, sind ein harter Standortfaktor; sie sind ein Kristallisationspunkt einer Gemeinde, einer Kommune und für deren Attraktivität etwa für junge Familien von ganz immenser Bedeutung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Seifen?

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Recht herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Einfach mal so gefragt. Sie sprachen gerade davon, dass es vielleicht Schulen gibt, die man dann doch aus bestimmten Gründen schließen müsse. Wäre es für Sie denkbar, dass man diese Schule, bevor man sie schließt, in eine andere Schulform umwandelt?

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Herr Seifen, es gibt viele Möglichkeiten in diesem Zusammenhang. Umwandlung ist eine davon. Aber wir wollen uns ja mit dem Konzept auseinandersetzen, wie wir die Sekundarschulen als wohnortnahes Schulangebot gerade im ländlichen Raum, aber nicht nur im ländlichen Raum, retten können. Deswegen werden wir uns genau anschauen, wie wir von Landesseite hier vorgehen, und nehmen – sollte der Antrag verabschiedet werden – diesen Auftrag an und hoffen, dass wir ihn gemeinsam mit vielen Akteuren dann auch zur Zufriedenheit aller bzw. zur Sicherstellung des Schulangebotes vor Ort erledigt wissen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, da wir gerade so schön unterbrochen hatten? Dann brauchen wir die Zeit gar nicht zu starten.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Dann nehmen wir die auch noch mit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Wer hatte sich gemeldet? – Herr Kollege Ott hatte sich gemeldet.

(Zurufe)

Bitte schön.

Jochen Ott (SPD): Ihr müsst nicht immer so aufgeregt sein. Die Ministerin hat sehr sachlich gesprochen, ich danke dafür ausdrücklich. Da kann man doch einmal eine Frage stellen – gerade nach dem, Frau Ministerin, was Sie soeben gesagt haben, dem ich ja durchaus zustimme.

Um bei dem Begriff der Regierung zu bleiben, dass die „Entfesselung“ auch von solchen Fragestellungen, wie zum Beispiel die Mindestgrößenverordnung im Einzelfall zu prüfen, eine große Rolle spielt, im Sinne der Kinder gut wäre – würde es vor dem Hintergrund nicht auch Sinn machen, dem Begehren des Rates der Stadt Köln stattzugeben und darüber nachzudenken, da, wo aufgrund der vorhandenen Schulgebäude alte Real- und Hauptschulen vorhanden sind und der Wunsch besteht, sich umzuwandeln, über eine Flexibilisierung und eine Entfesselung nachzudenken? Könnten Sie sich vorstellen, dass es neben dem von Frau Gödecke dargestellten berechtigten Interesse des ländlichen Raumes auch eine Möglichkeit wäre, das mitzudenken?

Vizepräsident Oliver Keymis: Wir haben eine Frage gehört, Frau Ministerin, und Sie werden diese eine Frage auch beantworten.

(Heiterkeit)

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Lieber Herr Ott, ich kann Ihnen jetzt als Ministerin und ich kann Ihnen als Kölnerin antworten. Ich weiß um die Kölner Schulentwicklungsplanung. Die habe ich in den vergangenen Jahren sehr dezidiert verfolgt.

Bevor ich hier an eine Gesetzänderung, die für diesen besagten Fall in Köln notwendig wäre, gehe, würde ich doch die Stadt Köln eher bitten, nach weiteren Lösungen, die es nämlich auch gibt, Ausschau zu halten bzw. diese auch einmal in Betracht zu ziehen und sich hier nicht einen schlanken Fuß zu machen und sich immer nur an das Ministerium zu wenden.

Ich möchte Sie bitten, das in unsere allseits geliebte Heimatstadt mitzunehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Entfesselung nur für den ländlichen Raum!)

So, jetzt habe ich hier gar keine Redezeit mehr?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, Sie kriegen die Redezeit, die hier sofort wieder abgebildet wird. Wir hatten sie angehalten, wie wir das immer machen, und jetzt kriegen Sie die verbliebene Redezeit wieder. Dann haben Sie noch 1:31 Minuten, und wenn Sie mehr Zeit brauchen – die Landesregierung hat das Recht –, nehmen Sie sie bitte in Anspruch.

Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Das kriege ich hin.

Es geht um die Zahlen. Die Zahlen sehen nicht gut aus, das wissen wir. Und wenn sie sich entsprechend weiterentwickeln, dann würden in Zukunft viele Gemeinden de facto tatsächlich ein solches Schulangebot nicht mehr vorhalten können. Das zwingt uns jetzt hier auch an der Stelle – insofern hat Herr Ott recht –, pragmatisch zu handeln.

Zu einer wahrhaftigen Politik gehört aber ebenso die Verpflichtung, die innere Qualität der Angebote zu sichern und Eltern gegenüber Transparenz zu wahren. Natürlich spielt für Eltern eine Rolle, dass das Konzept dieser Schulform auch gymnasiale Standards vorsieht. Gleichzeitig ist aber jedem Fachpolitiker und jeder Fachpolitikerin bewusst, dass gerade bei einem integrierten Konzept eine ausreichende Zahl von Kindern der gesamten Leistungsbreite benötigt wird. Das war in der Vergangenheit auch immer die Position von SPD und Grünen.

Deshalb ist diese Prüfung, ob und wie wir das umsetzen, was die gymnasialen Standards anbelangt, richtig. Auf ein solches sachorientiertes Vorgehen müssen sich auch die Eltern verlassen können. Ganz sicher darf aufgrund dieser zu klärenden Fragen nicht schlimmstenfalls billigend in Kauf genommen werden, dass kleine Kommunen ihr letztes weiterführendes Schulangebot verlieren.

Sollte also das Parlament den Antrag beschließen, wird die Landesregierung zeitnah eine schrittige rechtliche Umsetzung vornehmen und hierbei ergebnisoffen inhaltliche Fragen prüfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Gebauer. Damit sind wir am Ende der Beratung zu diesem Punkt.

Wir stimmen ab. Vom Ältestenrat ist empfohlen worden, dass der Antrag Drucksache 17/1114 überwiesen werden soll, und zwar an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es dazu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

6   Gesetz zur Stärkung der persönlichen Freiheit im Rahmen des Nichtraucherschutzes in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/73

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/973

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion hat das Wort Herr Kollege Klenner. In meinen Unterlagen steht, dass es die erste Rede ist, die Sie heute hier halten, Herr Kollege. Dann viel Glück dabei und viel Erfolg!

Jochen Klenner (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ja, die erste Rede! Früher hätte ich noch schnell zwei Zigaretten auf dem Balkon geraucht. Aber die Zeiten sind vorbei.

Die erste Zigarette ist leichter angesteckt als die letzte ausgedrückt. Es ist auch einfacher, ein neues Gesetz zu beschließen, als es nach vielen Jahren zurückzudrehen, und das gilt auch für den Nichtraucherschutz. Die Gastronomie, Raucher und Nichtraucher brauchen keine Debatten über die Vergangenheit, sie brauchen Verlässlichkeit. Die Diskussion über den Nichtraucherschutz ist ausreichend auch hier geführt worden. Wir riskieren sonst ein neues Aufflammen alter Grabenkämpfe, und jede Entscheidung führt auch zu neuen Abgrenzungsproblemen. Wer deshalb Änderungen fordert, der muss Fakten statt Stammtischparolen liefern.

(Helmut Seifen [AfD]: Was soll das?)

Als der heutige Gesetzentwurf im Ausschuss, dem ich angehöre, auf der Tagesordnung stand, da gab es noch nicht einmal eine einzige Wortmeldung des Antragstellers – so viel zu dem Punkt von eben, nämlich „Arbeitsweise in den Ausschüssen“. Wenn Sie konsequent gewesen wären, hätten Sie eigentlich den Tagesordnungspunkt heute zurückgezogen. Es ist noch nicht mal ein Entwurf light, es ist viel heiße Luft, und wo nichts ist, da ist auch nichts zum Zustimmen. Deshalb hat es sich auch schon erledigt. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klenner. Das war, wenn ich das richtig rekapituliere, die kürzeste erste Rede, die ich bisher im Landtag gehört habe.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Dazu kann man aber nicht gratulieren, sondern wir gratulieren natürlich von hier oben zur ersten Rede im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Den Satz mit der Zigarette habe ich mir schon aufgeschrieben: Die erste ist schneller aus als die letzte an. – Nee, wie war’s? Umgekehrt. Ich muss ihn mir merken, der war gut.

Als Nichtraucher kann ich überhaupt nicht mitreden. Deshalb rufe ich als nächsten Redner Herrn Yüksel für die SPD-Fraktion auf.

Serdar Yüksel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast noch nie waren wir uns im ganzen Haus in einer Frage so einig wie beim Nichtraucherschutzgesetz. Der von mir sehr geschätzte Kollege Peter Preuß hat in seiner letzten Plenarrede unseren Nichtraucherschutz unter der Rubrik „praktische und gelebte Vernunft“ eingruppiert. Frau Schneider hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass der Gastronomenverband inzwischen eine andere Agenda hat, und auch unser Sozialminister Karl-Josef Laumann hat gesagt, dass wir inzwischen gesellschaftlich eine Akzeptanz haben, es herrsche Frieden.

Da muss man nichts aufbrechen. In der Kürze liegt die Würze. Insoweit lehnen wir den Gesetzentwurf der AfD ab; das wird Sie nicht verwundern.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Yüksel. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die NRW-Koalition war nicht nur eine Liebesheirat, sondern ist natürlich auch eine Vernunftehe.

(Zuruf von der CDU: Eine vernünftige Liebesheirat!)

Bei so einer Koalition muss der eine ein bisschen was abgeben, der andere ein bisschen was abgeben. Die FDP hätte sich in diesem Bereich sicher ein bisschen mehr gewünscht. Herr Yüksel hat netterweise daran erinnert, dass die Gastronomen etwas anderes auf der Agenda haben – genau, die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes. Damit täten wir der Gastronomie einen Gefallen.

Was wir sicher nicht tun, ist, so einem rückwärtsgewandten, vergangenheitsorientierten Gesetzentwurf zuzustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Herr Mostofizadeh stellt das Ganze jetzt noch aus der Sicht der Grünen-Fraktion dar.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Satz muss ich mir schon erlauben. Mit welcher Geschwindigkeit die CDU, Herr Generalsekretär, das Thema Nichtraucherschutz innerhalb der eigenen Partei abräumen musste, das war schon beeindruckend. Sie hatten ja eine Veränderung des Nichtraucherschutzes noch im Entwurf des Landtagswahlprogramms stehen, und nach zahlreichen Hinweisen, wie man sagte – also auf gut Deutsch: nach einem Shitstorm Ihrer Mitgliederbasis –, haben Sie es dann wieder herausgestrichen.

In den Koalitionsverhandlungen haben Sie der FDP den Zahn auch gezogen und den Nichtraucherschutz nach rot-grüner Lesart, der sehr erfolgreich ist und der mit Ministerin Steffens hier eingeführt worden ist, unangetastet gelassen und sorgen dafür, dass die Menschen rauchfrei in den Kneipen und Gaststätten sitzen können.

Deswegen gibt es auch keinen Grund, einem unnötigen Gesetzentwurf heute hier zuzustimmen. Ich empfehle genauso wie im Ausschuss die Ablehnung des Antrags.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die AfD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, dass ich die Feierabendstimmung jetzt ein bisschen stören muss.

(Zuruf von der SPD: Alles gut!)

Aber ich fange an mit einem Zitat:

Das derzeitige Gesetz ist von Bevormundung durch die rot-grüne Landesregierung geprägt. Dies hat die CDU Nordrhein-Westfalen immer abgelehnt. Wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Deshalb haben wir bereits im parlamentarischen Beratungsverfahren die Gesetzesänderung scharf kritisiert und abzuwenden versucht, konnten uns aufgrund der Mehrheitsverhältnisse jedoch nicht durchsetzen. Im Falle eines Regierungswechsels würden wir das Nichtraucherschutzgesetz einer erneuten Prüfung unterziehen und gegebenenfalls eine Lockerung vornehmen,

(Helmut Seifen [AfD]: Hört, hört!)

die sich an den Regelungen, die in anderen Bundesländern praktiziert werden und dort breite Akzeptanz finden, orientiert.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Schreiben des Abgeordneten Armin Laschet vom 15. März 2017!

(Zuruf von der AfD: Oi!)

Schnelle Entwicklung!

(Zuruf von Jochen Klenner [CDU])

– Herr Klenner, ist das jetzt eine Stammtischparole oder ist das die CDU-Verlässlichkeit? Ich weiß es nicht.

(Beifall von der AfD)

Meine Damen und Herren, unser Antrag ist vor allem ein Lackmustest für die neue Landesregierung.

(Zuruf von der CDU)

Seit Monaten hören wir von Entfesselung und von Freiheit und von Marktwirtschaft. Bei erster sich bietender Gelegenheit bekommen wir stattdessen die alte rot-grüne Verbotssuppe Marke „Kraft/Löhrmann 2013“. Ich glaube eher, Sie sind rückwärtsgewandt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Ja, Sie haben sich weiterentwickelt, und angeblich haben sich die Menschen im Lande inzwischen auch damit abgefunden. Das aber zur Legitimation für Politik zu machen, ist dürftig. Es ist, wie wenn ein Vater seine Kinder schlägt und es damit rechtfertigt, dass sie trotzdem noch nach Hause kommen.

(Heiterkeit und Beifall von der AfD)

Ein Verbot, ein so tiefer Eingriff in die Rechte der Bürger muss doch gerechtfertigt werden und nicht seine Abschaffung.

Ihre Feigheit, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Ihr Unwille, zu den vermeintlichen Grundsätzen der eigenen Politik zu stehen, öffnet aber den grünen Verbotsfetischisten im Lande Tür und Tor.

(Beifall von der AfD)

Sie fahren auf der Rückbank durch die grüne Verbotsgeisterbahn. Denn es ist ja immer irgendwie zum Wohle des Bürgers. Wir alle dürfen uns gruseln. Denn was dabei herauskommt, wenn Grüne von Verboten träumen, das können wir fast täglich der Presse entnehmen.

Eine kleine Auswahl: ein Schnäppchenverbot, ein Sonntagsfahrverbot, ein Motorrollerverbot, Glühbirnenverbot, Plastiktütenverbot, Billigflugverbot, Computerspielverbot, Nachtflugverbot, Heizpilzverbot, Verbot von verkaufsoffenen Sonntagen und Verbot von Verkauf an Sonntagen im Onlinehandel, ein Grillverbot, ein Stand-by-Verbot, ein Alkoholverbot, Süßigkeitenwerbeverbot, Solarienverbot, Fleischverbot, Alkoholwerbeverbot, Verbot von Flatrate-Parties, Rauchverbot im Auto, Zirkustierverbot, Sexspielzeugweichmacherverbot, Lichtsmogverbot, ein Ponyreitverbot, Hochhausverbot, Verbot von Erste-Klasse-Abteilen und ganz frisch ein Verbot von Verbrennungsmotoren.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD] – Helmut Seifen [AfD]: Das ist der Fleiß der Grünen!)

Meine Damen und Herren von den Grünen, machen Sie sich keine Sorgen. Es gibt einen festen Sockel von Ökospießern in Deutschland, die Sie dafür wählen.

(Beifall von der AfD)

Gruselig ist aber, dass vermeintlich liberale und bürgerliche Politiker diesen ganzen Blödsinn mehr und mehr mitmachen. In der Opposition brüllen sie wie die Löwen, und in der Regierung schnurren sie wie die Kätzchen auf dem Schoß von Frau Roth.

(Beifall von der AfD)

Trotz aller Schäden, die unser Bildungssystem in den vergangenen Jahren nehmen musste, sind die Menschen im Land nämlich nicht ganz so dumm, wie Sie glauben. Sie wissen, dass Rauchen schädlich ist. Sie wüssten es übrigens auch, wenn es nicht übergroß auf jeder Zigarettenpackung stünde. Die Bürger können auch ein Türschild lesen, auf dem steht: In dieser Kneipe darf geraucht werden. – Dann können sie eine freie Entscheidung treffen.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, Ihren fair gehandelten Latte Macchiato lieber in rauchfreier Umgebung konsumieren, dann machen Sie das und gehen Sie an einem solchen Türschild einfach vorbei. Das ist Freiheit, das ist Entfesselung, und das ist Marktwirtschaft. Meine Damen und Herren, das hat unser Land einmal groß gemacht. – Danke.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tritschler. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Laumann das Wort.

Karl-Josef Laumann*), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Fragen des Nichtraucherschutzes, finde ich, liegen alle Argumente auf dem Tisch. Die Meinung der Landesregierung ist: Es soll bleiben wie es ist. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Zwölf Sekunden. Vielen Dank, Herr Minister Laumann.

(Heiterkeit)

Damit liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt in Drucksache 17/973, den Gesetzentwurf Drucksache 17/73 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 17/73 selbst, nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer also stimmt dem Gesetzentwurf zu? – Die Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU, FDP stimmen dagegen und Herr Langguth, fraktionslos, auch. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sind nicht zu sehen. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 17/73 mit breiter Mehrheit abgelehnt und in zweiter Lesung hier entsprechend „wegbeschlossen“.

Ich rufe auf:

7   NRW muss auf Bundesebene Impulsgeber für eine Neuausrichtung der Energieeinsparverordnung werden

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1112

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag


Drucksache 17/1112 heute ohne Aussprache zu überweisen, und zwar an den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll nach der Vorlage der Beschlussempfehlung im federführenden Ausschuss erfolgen. Wer stimmt diesem Verfahren so zu? – Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisung entsprechen der Verständigung einstimmig so beschlossen.

Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Sitzung ist beendet, aber erst, nachdem ich das Plenum wieder einberufen habe, nämlich für Mittwoch, den 29. November 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und ein gutes Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 14:00 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.