Das Dokument ist auch im PDF und Word Format verfügbar.

Landtag

https://www.landtag.nrw.de/portal/Grafiken/Logos/pp_wappen.jpg

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

17/12

17. Wahlperiode

16.11.2017

 

12. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 16. November 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 5

1   Versucht die Landesregierung am Flughafen Köln/Bonn die notwendige Aufklärung interner Verfehlungen durch den Austausch des Aufsichtsratsvorsitzenden zu behindern?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1158. 5

Arndt Klocke (GRÜNE) 5

Klaus Voussem (CDU) 6

Martin Börschel (SPD) 8

Bodo Middeldorf (FDP) 9

Roger Beckamp (AfD) 11

Minister Hendrik Wüst 11

Martin Börschel (SPD) 12

Klaus Voussem (CDU) 14

Horst Becker (GRÜNE) 14

2   Gesetz zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen – Entfesselungspaket I

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1046

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 16

Henning Rehbaum (CDU) 17

Frank Sundermann (SPD) 18

Ralph Bombis (FDP) 20

Horst Becker (GRÜNE) 22

Christian Loose (AfD) 23

Ergebnis. 23

3   Entsenderichtlinie reformieren – Beim Aufbau einer sozialeren Europäischen Union helfen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1122. 23

Rüdiger Weiß (SPD) 24

Oliver Krauß (CDU) 25

Stefan Lenzen (FDP) 26

Johannes Remmel (GRÜNE) 27

Sven Werner Tritschler (AfD) 29

Minister Karl-Josef Laumann. 29

Marco Schmitz (CDU) 31

Josef Neumann (SPD) 31

Roger Beckamp (AfD) 33

Ergebnis. 33

4   Klimaschutz ist eine globale Gerechtigkeitsfrage – NRW muss entschieden gegen den Klimawandel vorgehen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1119. 33

Berivan Aymaz (GRÜNE) 33

Dr. Patricia Peill (CDU) 34

André Stinka (SPD) 36

Dietmar Brockes (FDP) 38

Dr. Christian Blex (AfD) 40

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 41

Jochen Ritter (CDU) 44

Guido van den Berg (SPD) 45

Wibke Brems (GRÜNE) 47

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 48

André Stinka (SPD) 49

Ergebnis. 49

5   Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1127. 49

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 50

Heike Wermer (CDU) 51

Ibrahim Yetim (SPD) 52

Stefan Lenzen (FDP) 53

Berivan Aymaz (GRÜNE) 54

Minister Dr. Joachim Stamp. 55

Ergebnis. 56

6   Gesetz zur Rettung der Trägervielfalt von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/751

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Familie,
Kinder und Jugend
Drucksache 17/1132

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1211

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1214

zweite Lesung. 57

Jens Kamieth (CDU) 57

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 58

Marcel Hafke (FDP) 59

Josefine Paul (GRÜNE) 61

Iris Dworeck-Danielowski (AfD) 62

Minister Dr. Joachim Stamp. 63

Ergebnis. 64

7   Pakt für den Sport in NRW fortschreiben und weiterentwickeln – Förderung des gemeinwohlorientierten Sports einmalig für sechs Jahre vereinbaren

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1123

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1212. 64

Markus Herbert Weske (SPD) 64

Jens-Peter Nettekoven (CDU) 65

Andreas Terhaag (FDP) 67

Josefine Paul (GRÜNE) 68

Dr. Martin Vincentz (AfD) 69

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 70

Ergebnis. 71

8   Öffentliche Forschung muss dem Frieden dienen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1105. 71

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE) 71

Dr. Stefan Berger (CDU) 72

Dietmar Bell (SPD) 73

Angela Freimuth (FDP) 74

Helmut Seifen (AfD) 75

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 76

Ergebnis. 77

Änderung der Tagesordnung. 77

Ergebnis. 77

9   Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern verhindern

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/797

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/1129. 77

Björn Franken (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Ellen Stock (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Stefan Lenzen (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Berivan Aymaz (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Gabriele Walger-Demolsky (AfD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Minister Dr. Joachim Stamp
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 77

Ergebnis. 77

10 Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 17/1133

Mündliche Anfrage 4

Hat die Staatskanzlei die Ernennung der Ministerinnen und Minister auf Vereinbarkeit mit Artikel 64 der Landesverfassung geprüft?. 77

der Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt (SPD)

Minister Lutz Lienenkämper 78

Mündliche Anfrage 5

Schulbücher in NRW lehren, dass es bei einer Globaltemperatur von 15°C keine gefährliche, menschengemachte Erderwärmung gibt. – Ab welcher Globaltemperatur geht die Landesregierung von einer gefährlichen oder menschengemachten Erderwärmung aus?. 86

des Abgeordneten Dr. Christian Blex (AfD)

Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart 87

Mündliche Anfrage 6

Mehr statt weniger Bürokratie für die Hochschulen durch das Hochschulfreiheitsgesetz 2?  90

des Abgeordneten Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 90

11 Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/492

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/1134

zweite Lesung. 97

Serdar Yüksel (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 97

Stefan Lenzen  (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 97

Ergebnis. 97

12 Verbraucherrechte stärken! – NRW muss sich für die Einführung der Musterfeststellungsklage einsetzen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1124. 97

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD) 97

Oliver Kehrl (CDU) 98

Christian Mangen (FDP) 99

Verena Schäffer (GRÜNE) 100

Thomas Röckemann (AfD) 101

Minister Peter Biesenbach. 102

Ergebnis. 103

13 Mehr Vielfalt in klassischen Frauen- und Männerberufen fördern – Zukunftstage Girls‘ Day und Boys‘ Day ausbauen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1116. 103

Heike Troles (CDU) 103

Susanne Schneider (FDP) 104

Anja Butschkau (SPD) 105

Josefine Paul (GRÜNE) 106

Thomas Röckemann (AfD) 107

Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. 108

Ergebnis. 109

14 Nordrhein-Westfalen in Europa: Erste Impulse setzen – grenzüberschreitende Kooperation mit den Niederlanden und Belgien intensivieren, den europäischen Zusammenhalt fördern, die strukturellen Verknüpfungen ausbauen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1113. 109

Dr. Ralf Nolten (CDU) 109

Dietmar Brockes (FDP) 110

Rüdiger Weiß (SPD) 111

Johannes Remmel (GRÜNE) 112

Sven Werner Tritschler (AfD) 113

Minister Herbert Reul 113

Ergebnis. 115

Anlage 1. 117

Zu TOP 9 – Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern verhindern – zu Protokoll gegebene Reden

Björn Franken (CDU) 117

Ellen Stock (SPD) 118

Stefan Lenzen (FDP) 118

Berivan Aymaz (GRÜNE) 119

Gabriele Walger-Demolsky (AfD) 120

Minister Dr. Joachim Stamp. 120

Anlage 2. 123

Zu TOP 11 – Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Reden

Serdar Yüksel (SPD) 123

Stefan Lenzen (FDP) 123

 


Entschuldigt waren:

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner 
(ab 13 Uhr)

Minister Dr. Joachim Stamp     
(von 10:00 Uhr – 11:30 Uhr und ab 15:30 Uhr)

Michael Hübner (SPD)

Norbert Römer (SPD)

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE)   
(ab 18 Uhr)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)         
(ab 18 Uhr)

Markus Wagner (AfD)  
(ab 16 Uhr)

Alexander Langguth (fraktionslos)        
(ab 14:30 Uhr)

 

 

Beginn: 10:02 Uhr

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 12. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern.

Für die heutige Sitzung haben sich zwei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ich rufe auf:

1   Versucht die Landesregierung am Flughafen Köln/Bonn die notwendige Aufklärung interner Verfehlungen durch den Austausch des Aufsichtsratsvorsitzenden zu behindern?

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1158

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 10. November 2017 gemäß § 95 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion dem Kollegen Klocke das Wort. Bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, die gerade noch hereinkommen oder schon anwesend sind! Der Flughafen Köln/Bonn ist einer der beiden Großflughäfen in Nordrhein-Westfalen. Er ist im Luftfrachtgeschäft auf Platz drei in Deutschland, gehört zu den Top Ten in Europa und ist einer der großen, wichtigen Passagierflughäfen hier im Land. Uns Grünen ist sehr bewusst – auch wenn wir häufig Kritik am Flughafen üben, was Lärmschutz oder Passagiernachtflüge angeht –, dass Köln/Bonn eine große Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen, die Region Rheinland und das ganze Land hat.

In der letzten Woche wurde der langjährige Geschäftsführer des Flughafens, Herr Garvens, überraschend vom Aufsichtsrat beurlaubt. Ihm wurden schwerwiegende innerbetriebliche Verstöße unterstellt, und daraufhin hat der Aufsichtsrat einstimmig beschlossen, ihn zu beurlauben. Jetzt laufen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Der Aufsichtsrat hat ihn bis Mitte Dezember beurlaubt.

Das hat große mediale Aufmerksamkeit erregt und eine intensive Berichterstattung in den Medien, ob Print, Fernsehen oder Radio, ausgelöst. Ich möchte mich in der Debatte nicht zu den einzelnen Vorwürfen äußern. Der Beschuldigte hat natürlich Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, und ich denke, er wird Entsprechendes vorbereiten.

Leider fehlen der Ministerpräsident und wohl auch jegliche Vertreter der Staatskanzlei. Anlass der heutigen Debatte ist für uns, dass der Ministerpräsident zwei Tage vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung, als schon Gerüchte im Umlauf waren – jedenfalls bei allen, die dem Flughafen näherstehen und verkehrspolitisch involviert sind –, in einer Pressekonferenz eher beiläufig bekannt gegeben hat, dass er den Aufsichtsrat neu besetzen und als neuen Aufsichtsratsvorsitzenden den langjährigen CDU-Politiker Merz installieren möchte.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Grundsätzlich kann eine Regierung natürlich zentrale Stellen mit Leuten ihrer Couleur und ihres Parteibuchs besetzen. Aber ausgerechnet zwei Tage vor dieser Aufsichtsratssitzung, als schon klar war, dass dann ein Gutachten vorgestellt wird, das der Aufsichtsratsvorsitzende Bodewig bei einer renommierten Kölner Kanzlei und bei der Unternehmensberatung Ernst & Young in Auftrag gegeben hatte, schlägt Herr Laschet vor, dass Herr Merz den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt. Er begründet das mit einem regulär anstehenden Wechsel und sagt, das hätte nichts mit den aktuellen Vorgängen am Flughafen zu tun.

Lieber Herr Ministerpräsident, wir glauben nicht,

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

dass es zwischen diesen beiden Vorgängen keinen Zusammenhang geben soll.

Jetzt könnte man mit Blick auf die landespolitische Situation sagen – wenn es das erste Mal wäre –: Das hat schon ein Geschmäckle. – Aber nach der Angelegenheit Holthoff-Pförtner, nach der Personalie Biesenbach und seinen Aktivitäten auf kommunaler Ebene – das hat der Fraktionsvorsitzende der SPD, Kollege Römer, gestern ausgeführt –, nach der Personalie Schulze Föcking und den Vorgängen in ihrem Familienbetrieb

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Haben Sie das nötig!)

muss man feststellen: Bei Personalentscheidungen hat der Ministerpräsident kein gutes Händchen. Er soll hier erklären, warum er ausgerechnet kurz vor der Aufsichtsratssitzung eines Unternehmens versucht, so zu intervenieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

In dem Zusammenhang sind wir Grünen auf die Beantwortung der von uns gestellten beiden Kleinen Anfragen gespannt. Wenn sie so beantwortet werden, wie sie gestellt wurden – also sehr detailliert –, werden sie dokumentieren: Welche Kontakte hat es vonseiten der Staatskanzlei zum Flughafen gegeben? Welche Gespräche hat der Leiter der Staatskanzlei, Herr Liminski, geführt? Welche Gespräche hat der Ministerpräsident selber geführt?

Es sind Gerüchte im Umlauf, nach denen Herr Garvens noch kurz vor der anstehenden Sitzung hier in Düsseldorf gewesen sein soll und dem Ministerpräsidenten nahegelegt hat: Entweder wird der Aufsichtsratsvorsitzende ausgewechselt, oder ich muss gegebenenfalls gehen. – Das sind Gerüchte, die im Raum stehen. Die kann ich nicht beurteilen und bewerten. Aber der Ministerpräsident sollte die Chance nutzen, um diese Gerüchte zu entkräften und dem Hohen Haus Rede und Antwort zu stehen, was es mit dem Flughafen Köln/Bonn in diesen Tagen auf sich hatte.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt schauen wir nach vorn und auch nicht nur auf diese Personalie. Die entscheidende Frage, die beim Flughafen Köln/Bonn ansteht, ist die nach den Bundesanteilen. Der Flughafen ist zu 30 % in Landeshand, zu 30 % in Bundeshand, und einige Städte, insbesondere die Stadt Köln, halten die anderen Anteile.

Schon im letzten Jahr lief die Diskussion, ob der Bund seine Anteile veräußert; das war eine Initiative seitens des damaligen Bundesfinanzministers. Nun tritt Herr Merz auf den Plan, der neuer Aufsichtsratsvorsitzender werden soll, der über die bekannten wirtschaftlichen Verbindungen verfügt, die auch gestern in der Debatte hier eine Rolle spielten.

Es steht die Frage im Raum: Gibt es Überlegungen seitens der Landesregierung, die Bundesanteile nicht selber zu kaufen, sondern Herrn Merz zu installieren, um internationale Finanzinvestoren auf den Flughafen anzusetzen und die bisher in öffentlicher Hand befindlichen Anteile zu privatisieren? – Diese Frage steht mit der Personalie Merz im Raum. Auch hierzu sollte der Ministerpräsident Stellung beziehen, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Nein, nein, nein. Herr Kollege Hovenjürgen, das sind keine Verschwörungstheorien. Bei einem Mann wie Herrn Merz, mit solchen Geschäftsaktivitäten und solchem Einkommen, kann man davon ausgehen, dass er es nicht nötig hat, für 10.000 €, die es pro Jahr als Apanage für den Aufsichtsrat gibt, den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Es stehen die Fragen im Raum: Welche Überlegungen hat die Landesregierung, was die Zukunft des Flughafens Köln/Bonn und die Anteile angeht? Warum soll Herr Merz in dieser Situation hier installiert werden? – Wir stellen diese Fragen und sind gespannt auf die Aussprache. – Welche Überlegungen gibt es Ihrerseits? Wie stellt sich die Landesregierung zum Flughafen Köln/Bonn auf? Nutzen Sie die Chance und informieren Sie das Plenum. Dafür haben wir heute die Aktuelle Stunde beantragt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Klocke. – Für die CDU erteile ich dem Abgeordneten Voussem das Wort.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Außerordentlich“ und „außergewöhnlich“ sind die beiden Wörter, die mir zu dem Vorgehen und der Beantragung Ihrer Aktuellen Stunde heute Morgen einfallen, sehr geehrter Herr Kollege Klocke. Das ist nichts als der untaugliche Versuch einer politischen Skandalisierung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bisher haben wir alles, was wir über dieses Vorgehen wissen, aus der Presse. Worum geht es dabei? Es geht um anonyme Vorwürfe gegen Michael Garvens, um öffentlich gemachte interne Aufsichtsratspapiere,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

um einen Beschuldigten, der sich in der Aufsichtsratssitzung am Freitag nicht äußern durfte und der den gegen ihn erhobenen Vorwürfen inzwischen in einem Schreiben seiner Anwälte, das am Dienstagabend per E-Mail an die Medien gegangen ist, Punkt für Punkt widersprochen hat. So heißt es im „General-Anzeiger“ vom 15. November 2017.

Was haben wir noch? – Einen erfolgreichen Manager! Der Flughafen Köln/Bonn ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor im Rheinland und das einzige internationale große Drehkreuz für den Frachtflug in Nordrhein-Westfalen. Die Wirtschaft in der Region ist exportfreudig und genau in den Branchen stark, die zu den wichtigen Warengruppen im Luftfrachtverkehr zählen, nämlich im Maschinenbau, in der chemischen Industrie und im Fahrzeugbau. Aber auch andere Unternehmen, die im Ausland aktiv sind, schätzen die Möglichkeit, Produkte als Expressfracht an den Kunden zu schicken. In der Passage liegen die Schwerpunkte in den Bereichen Tourismus und Geschäftsreisende.

Der Flughafen stärkt das Image einer europäischen Metropolregion. Mit 21.400 Jobs gehört der Airport zu den zehn großen Arbeitsstätten in der Region Köln/Bonn. Er ist in den letzten Jahren außerdem strategisch neu positioniert und zum führenden Low-Cost-Flughafen in Deutschland entwickelt worden. Diese gute wirtschaftliche Entwicklung ist auch ein Verdienst von Michael Garvens.

In der „Aktuellen Stunde“ des WDR haben Sie, Herr Klocke, bereits am 9. November, also bevor der Aufsichtsrat getagt hat, gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Es hat ein Geschmäckle, wenn jetzt gerade in dieser Situation, wo der Prüfbericht vorgelegt wird, den Herr Bodewig ja mit beauftragt hatte, wenn jetzt gerade diese Personalie“

– gemeint ist Friedrich Merz –

„ins Spiel kommt“.

Auch heute noch werfen Sie der Landesregierung latent vor, dass die notwendige Aufklärung interner Verfehlungen durch den Aufsichtsratsvorsitzenden verhindert werden sollte, obwohl Sie eingangs Ihrer Rede schon nur noch von „Unterstellungen“ gesprochen haben. Das ist ein entscheidender Unterschied.

Folgendes ist richtig, meine Damen und Herren: Ich betone, dass das Land ein hohes Interesse an der Aufklärung der Vorgänge hat. Das ist auch in dem Bericht mit der Stellungnahme aus der Staatskanzlei bereits deutlich geworden.

Die Erklärung der Staatskanzlei an den WDR können Sie ebenfalls dem WDR-Bericht entnehmen:

„Sollten Vermutungen im Rahmen der internen Untersuchungen belegt werden, werden sich die von der Landesregierung entsandten Mitglieder im Aufsichtsrat dafür einsetzen, die notwendigen Konsequenzen in der Geschäftsführung zu ziehen.“

Auch die CDU-Landtagsfraktion ist selbstverständlich an einer lückenlosen Aufklärung – unabhängig von der Besetzung des Aufsichtsrates – interessiert.

Zur der Sitzung des Aufsichtsrates am Freitag ist der „Kölnischen Rundschau“ vom Montag zu entnehmen, dass die Beurlaubung von Herrn Garvens einstimmig gefasst wurde, also auch von den Vertretern des Landes.

„Bei der Sitzung am 6. Oktober regten die Vertreter der Landesregierung etwa die weitere Untersuchung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft neben der durch die Rechtsanwaltskanzlei an, sagte ein Sprecher der Landesregierung“,

so die „Aachener Nachrichten“ vom 11. November 2017. Dieses Vorgehen zeigt, dass die Aufklärung der im Raum stehenden Vermutungen vollumfänglich unterstützt wird.

Für die Aufklärung müssen wir uns aber die Aufgaben und Pflichten der unterschiedlichen Ebenen anschauen. Der Aufsichtsrat prüft derzeit die Vorwürfe. Mögliche Pflichtverletzungen der Geschäftsführung waren Thema der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag, in der ein vorläufiger Prüfbericht einer Rechtsanwaltskanzlei und einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgestellt wurde. Seit dem frühen Donnerstagabend sind Medienmeldungen im Umlauf, die aus dem internen Prüfbericht zitieren; dem Parlament und mir als Abgeordneten liegen bisher keine Unterlagen vor.

Meine Damen und Herren, werfen wir doch einmal einen Blick ins Gesetz. § 116 Aktiengesetz behandelt die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder. Dor heißt es unter anderem:

„Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet.“

Daran hat sich wohl nicht jeder gehalten.

Nunmehr komme ich zu Ihrem weiteren Vorwurf, Herr Kollege Klocke, die Landesregierung wolle mit der Personalie Friedrich Merz eine transparente Aufklärung verhindern. Ich sage Ihnen: Das ist absurd!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Grundsätzlich gilt: Hält das Land Anteile an Unternehmen, ist es als Institution im Aufsichtsrat vertreten und entsendet entsprechend Aufsichtsratsmitglieder. Dabei handelt es sich eben nicht um persönliche Mandate. Es ist geübte Praxis, infolge eines Regierungswechsels Mandate in Unternehmensgremien, an denen das Land beteiligt ist, neu zu besetzen. Das Land kann Mitglieder in den Aufsichtsrat berufen oder auch abberufen. Regierungswechsel heißt Personalwechsel. Das dürfte Ihnen von Rot-Grün doch bestens bekannt sein.

(Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Durch einen Wechsel im Aufsichtsrat wird die Kontrollfunktion des Gremiums in keiner Weise beeinträchtigt.

(Unruhe – Monika Düker [GRÜNE]: Wo steht das denn?)

Die Aufsichtsratsmitglieder führen unabhängig vom Wechsel ihre Arbeit fort. Niemand ist unersetzlich.

Friedrich Merz ist an der Spitze des Aufsichtsrates aus unserer Sicht eine sehr gute Wahl. Herr Merz ist ein ausgewiesener Fachmann mit betriebswirtschaftlichem und juristischem Sachverstand. Im internationalen Luftverkehr am Flughafen Köln/Bonn, besonders für das Transatlantikfrachtgeschäft, sind seine guten Beziehungen gefragt. Gerade weil sich die Geschäftsführung Vorwürfen ausgesetzt sieht, brauchen wir eine Person mit diesen Kontakten, um für Vertrauen zu werben. Nach der Insolvenz von Air Berlin werden die Karten in der Luftfahrtbranche neu gemischt. Gerade jetzt bedarf es eines klugen und besonnenen Vorgehens.

Meine Damen und Herren, aus der Presse wissen wir schlussendlich auch, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat, da ein Anfangsverdacht auf Untreue besteht, „Aachener Nachrichten“ vom 15. November. Damit können wir jetzt nur das Ergebnis der Ermittlungen abwarten, und das kann eine Weile dauern.

Die Ermittlungen gehen in alle Richtungen. Möglicherweise wird dabei auch die Frage beantwortet, wer die internen Prüfberichte durchgestochen hat. Denn schon Julius Caesar wusste: Die Welt liebt den Verrat, nicht jedoch den Verräter. – Dem Flughafen als wichtiges Unternehmen in der Köln/Bonner Region wird alldieweil ein Bärendienst erwiesen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Danke sehr. – Für die SPD hat nun der Kollege Börschel das Wort.

Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Angesichts der Vorgänge am Flughafen Köln/Bonn, die offensichtlich der Aufklärung bedürfen, möchte ich zu Beginn etwas Persönliches sagen.:

Ich kenne den Vorsitzenden der Geschäftsführung des Flughafens, Michael Garvens, seit mittlerweile 15 Jahren. Ich habe selbst vor etlichen Jahren eine Zeit lang im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn mitwirken dürfen und kann sagen, dass sich Michael Garvens sehr lange Zeit sehr verdienstvoll für den Flughafen Köln/Bonn eingesetzt hat und die Erfolgsgeschichte des Flughafens auch mit seinem Namen verknüpft ist. Es ist mir außerordentlich wichtig, das am Anfang zu sagen.

Nun aber stehen schwere Vorwürfe gegen einzelne Beschäftigte des Flughafens und auch gegen den Vorsitzenden der Geschäftsführung im Raum. Nach Medienberichten empfehlen sowohl ein vom Aufsichtsrat beauftragter Rechtsanwalt – Herr Kollege Voussem hat es gesagt – als auch eine von der Landesregierung vorgeschlagene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dringend weitere Aufklärung. Die Stadt Köln als Mitgesellschafterin hat, wenn man Medienberichten glauben darf, in einer eigenen kurzen gutachterlichen Stellungnahme den dringenden Aufklärungsbedarf bestätigt und eingefordert.

Wenn man weiß, dass inzwischen auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, ist völlig klar: Dem Aufsichtsrat des Flughafens bleibt gar nichts anderes übrig, als ohne Ansehen der Personen und um Schaden vom Flughafen und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abzuwenden, unverzüglich in eine vollumfängliche Aufklärung all dieser Sachverhalte einzusteigen. Da beißt die Maus keinen Faden ab, so muss das sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So weit, so unerfreulich.

Jetzt gibt es einen zweiten Umstand, der zunächst einmal mit all dem eben Gesagten gar nichts zu tun hat, nämlich: Die Landesregierung möchte offensichtlich von ihrem Recht Gebrauch machen, den dritten der ihr zustehenden Sitze im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn neu zu besetzen, nachdem sie bereits mit den Staatssekretären der Häuser Finanzen und Verkehr zwei der drei Plätze umbesetzt hat.

Herr Kollege Voussem hat das Ansinnen der Staatskanzlei, den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Kurt Bodewig, Bundesverkehrsminister a. D., durch Friedrich Merz zu ersetzen, als geübte Praxis bezeichnet.

Dazu möchte ich für die SPD-Fraktion erklären: Ein solches Ansinnen seitens der Landesregierung ist legitim. Meine Frage ist aber: Ist es auch klug? – Herr Liminski, das geht ja offensichtlich auch auf Gespräche mit Ihnen zurück.

Ich will ganz offen in dieses Rund hinein sagen: Es gab einen früheren Regierungschef dieses Landes, der trotz politischer Legitimation in der Hinsicht eine große politische Klugheit besessen hat. Das war Regierungschef Jürgen Rüttgers. Er hat den von Peer Steinbrück berufenen Aufsichtsratsvorsitzenden Volker Hauff, Bundesverkehrsminister a. D., der sich ebenfalls sehr um den Flughafen verdient gemacht hat,

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

fünf Jahre lang im Amt belassen, weil er wusste, dass die Landesregierung ihrerseits genügend Möglichkeiten über die anderen Aufsichtsratsmandate und in der Gesellschafterversammlung, dem eigentlich starken Organ einer GmbH, alle Durchgriffsrechte hat, die sie haben möchte. Diese Möglichkeiten hätten Sie auch ohne eine solche Umbesetzung.

Bei einem der fundamental wichtigsten öffentlichen Infrastrukturunternehmen in Nordrhein-Westfalen – Herr Kollege Klocke hat gerade noch einmal darauf hingewiesen –, bei dem gerade Themen wie „Flugsicherheit und Passagiersicherheit“, „Fluglärm und Nachtflüge“ diskutiert werden, bei dem es um Daseinsvorsorge geht und völlig klar sein muss, dass Gemeinwohlorientierung vor Gewinnoptimierung geht, kommen Sie ausgerechnet auf die Idee, einen Bundesverkehrsminister a. D. ohne triftigen Grund durch den Toplobbyisten einer Heuschrecke austauschen und ersetzen zu wollen. Ich halte das für einen schweren politischen und sachlichen Fehler.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU)

Der Flughafen Köln/Bonn gehört in die öffentliche Hand. Darüber waren wir uns in der alten Legislaturperiode über Parteigrenzen hinweg – nur die FDP war nicht dabei – einig. Die CDU hat das ausdrücklich so gesehen, bezogen auf einen Appell an den Bund.

Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, dass mit dieser Personalie jetzt solche unguten Fantasien verknüpft werden. Sie haben nämlich eine gemeinsame Kleine Anfrage des Kollegen Ott und von mir bezogen auf die Privatisierungsabsichten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zum Flughafen Köln/Bonn, die wir mit Blick auf den Koalitionsvertrag von CDU und FDP gestellt haben, wie folgt beantwortet:

„Die Landesregierung wird das Beteiligungsportfolio anhand der Vorgaben der Landeshaushaltsordnung … und weiterer … noch zu erarbeitender sachlicher Kriterien auf Privatisierungsmöglichkeiten überprüfen.

Belastbare Aussagen zu möglichen Privatisierungen – hier bezogen auf den Flughafen Köln/Bonn, wohlgemerkt – sind erst nach Abschluss der oben genannten Prüfung möglich.“

Wer solch wachsweiche und ausweichende Antworten gibt, wer gleichzeitig einen Topheuschreckenlobbyisten an die Spitze eines Aufsichtsrats katapultieren will, darf sich nicht wundern, wenn solche Fantasien das Rund dieses Hauses erreichen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung begeht damit in meinen Augen – ich habe es gerade gesagt – einen schweren politischen und inhaltlichen Fehler. Ein Skandal ist das allerdings noch nicht.

Das Spannende ist doch jetzt – und da haben der Kollege Klocke und die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Beantragung der heutigen Aktuellen Stunde völlig recht –, wie die Landesregierung reagieren wird. Die Aktuelle Stunde wird ihren Gehalt ja erst erweisen können, nachdem die Landesregierung gesprochen hat und nicht wir kleinen Oppositionsabgeordneten.

Die spannenden Fragen sind: Hängen Sachverhalt eins und Sachverhalt zwei zusammen? Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Aufklärungsbedarf beim Flughafen Köln/Bonn und Ihren Absichten mit dem Flughafen Köln/Bonn?

Deswegen, Herr Liminski, hätte ich erwartet, dass die Landesregierung aus der Staatskanzlei heraus, also durch den Ministerpräsidenten persönlich, heute Stellung nimmt;

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

denn die Staatskanzlei war es, die an dieser Stelle wichtige Aktivitäten entfaltet hat.

Ich frage also Sie, Herr Staatssekretär, und ich frage auch den Ministerpräsidenten: Hängen die beiden Vorgänge zusammen? Ist es wirklich Zufall, dass die Abberufung von Herrn Bodewig wenige Tage vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung von Ihnen an den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden herangetragen wurde?

Denn eins ist doch Fakt, Herr Kollege Voussem – und da dürfen auch Sie sich nicht dümmer stellen, als Sie sind –: Es ist doch absolut naiv, anzunehmen, eine laufende Aufklärung sei unabhängig von Personen und nur durch Technik zu bewerkstelligen. Selbstverständlich – da beißt doch die Maus keinen Faden ab – werden im wahrsten Sinne des Wortes Aufklärungen enthauptet, wenn Sie mitten in deren Hochphase den Vorsitzenden abschießen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das geht nicht, und das wissen Sie. Aber genau das ist Ihr Ziel.

Deswegen – Herr Präsident, ich komme zum Schluss –, Herr Staatssekretär, Herr Ministerpräsident, möchten wir von Ihnen wissen: Gab es eine Einflussnahme? Gibt es einen zeitlichen Zusammenhang? Welche Gespräche hat es gegeben? Das werden Sie, wenn nicht heute, dann in den nächsten Tagen und Wochen minutiös darlegen müssen. Vorher geben wir keine Ruhe, und vorher werden Sie auch den Flughafen Köln/Bonn nicht in das Fahrwasser gesteuert haben, das es braucht, um für die Menschen in Nordrhein-Westfalen und für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen Gutes zu leisten. Die Verantwortung lastet jetzt auf Ihren Schultern. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Börschel. – Für die FDP hat Herr Middeldorf das Wort.

Bodo Middeldorf (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag und Ihr Beitrag, Herr Klocke, die bisherige Debatte sowie auch die Einlassung von Herrn Börschel haben gezeigt, dass der Vorstoß der Grünen, der ja offensichtlich von der SPD unterstützt wird, ganz erkennbar nicht von dem Motiv der Sachaufklärung geleitet ist, sondern einzig und alleine dem Versuch dient, die Personalie Friedrich Merz zu beschädigen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Um es bereits zu Beginn sehr klar zu sagen: Die öffentlich bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den Geschäftsführer des Flughafens sind gravierend. Sie bedürfen einer umfassenden und schonungslosen Aufklärung. Daran lassen die Landesregierung und auch die FDP-Fraktion überhaupt keinen Zweifel.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu ist aber eben nicht eine bestimmte Person an der Spitze des Aufsichtsrats erforderlich. Stattdessen kommt es doch auf das Funktionieren des gesamten Gremiums an. Seiner Kontrollfunktion ist der Aufsichtsrat ja offensichtlich nachgekommen. Wenn man den Presseberichten Glauben schenken kann, dann haben alle 15 Mitglieder einstimmig über die Beurlaubung des Geschäftsführers entschieden.

(Martin Börschel [SPD]: Waren es wirklich alle 15, waren es nicht nur 14?)

Fakt ist auch, dass die Vertreter des Landes, die von der aktuellen Landesregierung hierfür entsandt worden sind, dafür gesorgt haben, dass gerade ein renommiertes Wirtschaftsprüfungsunternehmen an der Prüfung beteiligt worden ist. Der Vorwurf, hier solle irgendetwas verschleiert werden, ist schon alleine deswegen vollkommen haltlos.

Im Übrigen ist es jetzt an der Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe auf strafrechtlich relevantes Verhalten hin zu prüfen und daraus gegebenenfalls weitere Schritte abzuleiten. Das wissen wir alle. Dabei wird sich dann zeigen, ob dem Geschäftsführer tatsächlich etwas vorzuwerfen ist, was gegebenenfalls in einem weiteren Schritt zivilrechtlich verfolgt werden müsste.

Einen Punkt in dem bisherigen Prozess halte ich allerdings für durchaus erstaunlich. Dem Vernehmen nach wurde dem Geschäftsführer nämlich nicht die Möglichkeit eingeräumt, direkt vor dem Aufsichtsrat Stellung zu nehmen. Das aber wäre einer Sachaufklärung sicherlich dienlich gewesen. Es entspricht – da sind wir uns wohl einig – zudem den Regeln eines Rechtsstaats, in dem die Unschuldsvermutung ein wesentlicher Bestandteil der Rechtskultur ist.

Man kann über die Hintergründe von hier aus nur spekulieren, aber bemerkenswert ist es schon, weil es natürlich den Blick auch auf andere Motive lenken könnte.

All diese Vorgänge und Prozesse, meine Damen und Herren, sind von der Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes klar zu trennen. Solche politisch bestimmten Wechsel sind völlig übliche Vorgänge und im Übrigen auch von der rot-grünen Landesregierung immer wieder genauso praktiziert worden.

Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Kurt Bodewig alle notwendigen Schritte eingeleitet hat. Aber klar ist auch, dass jeder andere Aufsichtsratsvorsitzende, der seine Sache ernst nimmt, das genauso machen würde. Davon sind wir bei Herrn Merz selbstverständlich überzeugt. Wir sind sicher, er wird die Interessen des Flughafens professionell und umsichtig vertreten. Dazu gehört natürlich auch, den im Raum stehenden Vorwürfen mit allen gebotenen Mitteln nachzugehen.

Der Lobbyisten-Vorwurf, Herr Börschel, ist vollkommen haltlos.

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Wir wollen die guten internationalen Kontakte von Herrn Merz für den Flughafen nutzen. Um nichts anderes geht es an dieser Stelle.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Ich will, meine Damen und Herren, diese Gelegenheit auch nutzen, um für die NRW-Koalition ein klares Bekenntnis für den Flughafen Köln/Bonn abzugeben. Der Flughafen hat eine zentrale verkehrs- und wirtschaftspolitische Bedeutung. Er ist insbesondere im Bereich des Güterverkehrs und der Logistik ein unverzichtbarer Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen.

Wir sehen in dieser internationalen Logistikdrehscheibe auch eine Jobmaschine und einen entscheidenden Faktor für die gesamte ökonomische Entwicklung des Landes. Es gehört zu einer unvoreingenommenen Gesamtbetrachtung – auch diese Differenzierung möchte ich an dieser Stelle vornehmen –, dass diese positive Entwicklung unter der Geschäftsführung in den letzten Jahren wesentlich vorangebracht worden ist.

Ich betone das deshalb so mit Nachdruck, weil gerade den Grünen – das ist ganz anders, als Sie uns das hier glauben machen wollten, Herr Klocke – diese positive Entwicklung in der Vergangenheit immer ein Dorn im Auge war.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Quatsch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es bleibt der bittere Beigeschmack an Ihrem heutigen Vorstoß,

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

dass es Ihnen in Wahrheit nicht um Aufklärung geht, sondern einzig und allein darum, dem Flughafen insgesamt zu schaden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir nicht zulassen. Deshalb ist Friedrich Merz genau der Richtige, weil er die Fortentwicklung des Flughafens Köln/Bonn garantieren wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Middeldorf. – Für die AfD hat der Abgeordnete Beckamp das Wort.

Roger Beckamp (AfD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es? Das wissen alle nicht so ganz genau. Vielleicht wissen es diejenigen, die im Aufsichtsrat sitzen. Herr Petelkau, Herr Ott, ich glaube, jedenfalls Sie beide könnten näher dran sein. Aber was genau passiert ist, das wissen jedenfalls die meisten hier nicht.

Es geht vielleicht auch gar nicht darum, was genau passiert ist. Es geht wahrscheinlich eher darum, dass hier ein paar Ränkespiele zwischen CDU und SPD stattfinden, bei denen sich die Grünen zum Büttel der SPD gemacht haben – das mag vorkommen –,

(Lachen von Arndt Klocke [GRÜNE] – Arndt Klocke [GRÜNE]: Absurd!)

und man bedenken muss, dass ein Austausch von Personen völlig normal ist, wenn sich Mehrheiten ändern. Insofern ist das vielleicht alles ein bisschen mit dem Futterneid der SPD

(Sarah Philipp [SPD]: Die SPD hat es nicht genau verstanden!)

oder auch mit Vertuschungsabsichten der CDU zusammenhängend. Das wissen wir eben alle noch nicht. Eins von beiden mag der Fall sein. Beides für sich genommen ist schlimm genug.

Die AfD sitzt nicht in diesen Aufsichtsräten.

(Stefan Kämmerling [SPD]: Das wäre ja noch schöner!)

Wir halten uns aus Ihren Ränkespielen und Ihrem Getue schön raus. Wenn Sie mal in die Zeitungen schauen, stellen Sie fest, dass diese genau das schreiben: Hier wird im Nachgang der Wahl versucht, öffentlich Leute zu beschädigen, um die eigenen Leute unterzubringen.

Zu Herrn Merz: Mein Gott! Wie viele Mandate hat der Mann eigentlich? Wann geht der Mann eigentlich mal essen?

(Sarah Philipp [SPD]: Nichts Genaues weiß man nicht!)

Da muss man in der Tat einmal nachfragen dürfen, ob der noch einen Job haben kann neben BlackRock, Brexit und was weiß ich noch alles. Insofern ist der Hinweis berechtigt. Aber Herrn Garvens zu beschädigen, ohne dass sich der Mann überhaupt hat äußern können, ist natürlich wohlfeil. Insofern: Die AfD hält sich schön raus aus Ihren Ränkespielen. Das ist Ihr Salat. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Wüst das Wort.

Hendrik Wüst, Minister für Verkehr: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollegen von der AfD, wenn Sie anfangen, über Doppelmandate zu reden, hat das eine ganz besondere Pikanterie.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Politiker müssen sich regelmäßig mit den Herausforderungen auseinandersetzen, dass man immer mehr Termine wahrnehmen muss, als man irgendwie in den Kalender bekommt. Wie Herr Meuthen das schaffen will, ist mir noch nicht ganz geläufig. Vielleicht fliegt der oft vom Flughafen Köln/Bonn oder sonst woher. Aber die Nummer, finde ich, war ein ziemlicher Rohrkrepierer.

(Zuruf von der AfD: 200 Sitze!)

Verehrter Herr Kollege Klocke, ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen gerne eine klare Antwort geben auf die Frage, die Sie in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde aufwerfen. Die Antwort lautet schlicht und einfach: Nein!

Im Gegenteil: Wir lesen seit einigen Tagen Interna und Prüfberichte aus dem Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn in den Zeitungen – Prüfberichte, die angebliche Verfehlungen beim Flughafen Köln/Bonn beschreiben, gelegentlich auch schon Entkräftungen oder mindestens Widersprüche.

Bei der professionellen Auseinandersetzung mit diesen Themen müssen wir uns zunächst einmal klarmachen: Wer ist hier eigentlich wofür zuständig? – Es ist Aufgabe des Aufsichtsrats, im Raum stehende Vorwürfe zu klären und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Das allerdings auf der Grundlage gesicherter Informationen und natürlich auch nach Anhörung all derer, die sich da Vorwürfen ausgesetzt sehen.

Der Aufsichtsrat ist das zuständige Gremium dafür. Dieser vertrauliche Raum ist genau der richtige Ort, wenn es um die Interna eines Wirtschaftsunternehmens oder der dort handelnden Personen geht. Nach meinem Eindruck hat sich der Aufsichtsrat bisher sehr gewissenhaft mit den in Rede stehenden Vorwürfen auseinandergesetzt.

Die Medienberichte zeigen eines besonders deutlich: Der Aufsichtsrat hat das sehr einig getan. Man ist sich völlig einig, dass alles Erforderliche getan wird, um mögliche Verfehlungen vollständig aufzuklären. – So Kurt Bodewig gestern in einer großen deutschen Boulevardzeitung.

Er hat ausdrücklich auf die Einmütigkeit des Vorgehens hingewiesen. Es waren gerade die Vertreter der neuen Landesregierung – zwei von drei sind schon ausgewechselt –, die weitere Untersuchungen befürwortet und unterstützt haben. Sie können das alles der Presse entnehmen, und Sie können den Zeitungen auch entnehmen, dass sich die neuen Vertreter der Landesregierung schon in der Sitzung im Oktober dafür eingesetzt haben, dass zusätzlich zu einer namhaften Rechtsanwaltskanzlei auch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu den weiteren Untersuchungen hinzugezogen wird.

Die Landesregierung hat ein hohes Interesse an der Aufklärung des in Rede stehenden Themas; das haben wir mehrfach erklärt. Wir werden diese Aufklärung durch die Vertreter im Aufsichtsrat vollumfänglich unterstützen.

Daran wird der Wechsel des dritten Aufsichtsratsmandates auch nichts ändern. Der Aufsichtsrat besteht aus 15 Personen; er wird seine Arbeit ohne Veränderungen fortsetzen. Jedes Mitglied nimmt dort seine Aufgaben ernsthaft und gewissenhaft wahr; das ist jedenfalls mein Eindruck. Das gilt bis heute, und ich bin sicher, das gilt auch in Zukunft.

Gleichwohl sind Regierungswechsel immer auch Personalwechsel. Das wissen Sie, und das ist auch 2010 nicht viel anders gewesen. Sie wissen auch, es ist völlig normal, dass Mandate in Gremien von Unternehmen, an denen das Land beteiligt ist, infolge eines Regierungswechsels sukzessive neu besetzt werden. Das ist geübte Praxis und legitim.

Das Land Nordrhein-Westfalen stellt insgesamt drei der 15 Vertreter im Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn; zwei sind bereits ausgetauscht, nämlich der Staatssekretär im Ministerium der Finanzen und der Staatssekretär im Ministerium für Verkehr. Beide Positionen sind – im Übrigen völlig ohne Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – trotz der laufenden Prozesse ausgetauscht worden. Keine einzige Zeile in den Zeitungen! Keine Unterstellung irgendwelcher Zusammenhänge! Lediglich der Wechsel des aktuellen, von Herrn Professor Kurt Bodewig wahrgenommenen Mandats steht jetzt noch aus.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Ich bin ganz sicher, dass die Neubesetzung mit Friedrich Merz, jemandem, der, Kollegen der AfD, sehr viel Erfahrung in solchen Gremien hat, helfen wird,

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

die Arbeit im Aufsichtsrat professionell fortzusetzen und die weiter notwendigen Aufklärungsarbeiten sehr professionell anzuführen.

Beim letzten Regierungswechsel war das nicht anders. Aber ob da immer dieses zusätzliche Maß an Professionalität reingekommen ist, ist eine ganz andere Frage.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber an der Professionalität von Friedrich Merz habe ich hier heute keinen Zweifel gehört. Und nicht jeder, der von Beruf etwas anderes ist als SPD-Unterbezirksgeschäftsführer, ist gleich ein Lobbyist. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke, Herr Minister. – Für die SPD hat noch einmal der Kollege Börschel das Wort.

Martin Börschel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, zunächst kann man festhalten, dass die Landesregierung sich diesen Beitrag hätte sparen können.

(Beifall und Heiterkeit von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen haben hier klare Fragen gestellt. Wir sind hier in einer Debatte, bei der es um die Zukunft des Flughafens Köln/Bonn geht, bei der es um die Frage geht, wie die Landesregierung mit einer ihrer wichtigen Beteiligungen umgehen will, aber außer Worthülsen, außer Politiksprech von geübter Praxis und „Das ist völlig normal“ hören wir hier nichts von Substanz. Das war wirklich absolut überflüssig und beschämend. Das muss ich hier wirklich am Anfang sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich will mich der Reihenfolge meiner Vorredner nach an diese wenden.

Herr Middeldorf, von Ihnen finde ich eines besonders spannend. Sie haben sich zum Flughafen Köln/Bonn bekannt. Das freut mich, aber ein wichtiges Element haben Sie vergessen – ich bin sicher, dass Sie das bestimmt noch nachholen wollen, am liebsten für die aktuelle Mitte-rechts-Koalition dieses Landes insgesamt –,

(Widerspruch von der CDU und der FDP)

nämlich die Antwort auf die Frage: Bekennen Sie sich zum Flughafen Köln/Bonn in öffentlicher Eigentümerschaft? Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen kein allgemeines Blabla hören, sondern eine Antwort auf die Frage: Bleibt auch nach Ihrem festen Willen und Wollen der Flughafen Köln/Bonn in öffentlichem Eigentum, und zwar, was sowohl die Bundesanteile als auch die Landesanteile Nordrhein-Westfalens angeht?

Auf den nächsten Aspekt haben verschiedene Redner hingewiesen, und auch ich will es hier noch einmal sagen, weil es oft den Gedanken der vermeintlichen roten Verschwörung oder Ähnliches gibt: Man mag sich bei manchem, was jetzt über die Aufklärungsarbeit des Aufsichtsrates öffentlich geworden ist, fragen: Warum machen die das so, und warum machen die das nicht anders? Warum nimmt dazu nicht einer einmal öffentlich Stellung? Warum erfährt man nicht genauer, warum sie linksrum und nicht rechtsrum oder durch die Mitte gegangen sind?

Aber das Problem ist doch: Wer sich wirklich ernsthaft mit der Sache auseinandersetzt – und das haben Sie zumindest andeutungsweise verschie­dentlich gesagt –, weiß, dass der Aufsichtsrat zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, genauso, wie er dazu verpflichtet ist, sich nach Recht und Gesetz ausschließlich nach objektiven Kriterien zu verhalten.

Wenn sich der Aufsichtsrat auf Basis eines externen Rechtsanwaltsbüros, auf Basis des von der Landesregierung vorgeschlagenen Wirtschaftsprüfers, auf der Basis einer gutachterlichen Stellungnahme der Stadt Köln dafür entscheidet, den Vorsitzenden der Geschäftsführung auf Basis intensiv weiter zu überprüfender Vorhalte zu beurlauben, ohne ihm in der Sitzung des Aufsichtsrates die Möglichkeit zur unmittelbaren Stellungnahme zu geben, dann klingt das für ungeübte Ohren komisch. Aber der Aufsichtsrat wird sich aus guten Gründen so entschieden haben, und zwar aus Gründen, die ihm die Externen so empfohlen haben.

Soweit ich Herrn Minister Wüst eben richtig verstanden habe, haben 14 der 15 Mitglieder des Aufsichtsrates – einer hat es nicht für nötig befunden, sich in der für den Flughafen wichtigsten Aufsichtsratssitzung des Jahrzehnts die komplette Sitzung anzutun – einvernehmlich gesagt, sie machen das genauso, sie beurlauben den Geschäftsführer, und sie werden die persönliche Stellungnahme des Geschäftsführers an einer anderen Stelle einholen.

Wenn das der Aufsichtsrat des Flughafens inklusive der beiden Landesvertreter so bestimmt hat, dann sollten wir das auch nicht öffentlich kritisieren, sondern dann werden die Beteiligten dafür ihre Gründe gehabt haben, die Frage des Gehörs an anderer Stelle zu thematisieren. – Das nur zu Ihnen, Herr Kollege Middeldorf, weil Sie das gerade kritisiert haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn aber Herr Verkehrsminister Wüst hier von der geübten Praxis und der angeblichen völligen Normalität des Personalwechsels schwadroniert, dann will ich doch hier die Frage in den Mittelpunkt stellen, auf die es jetzt mehr und mehr ankommt.

Also: Von den 15 Plätzen verfügen Sie über drei Plätze, zehn Plätze sind für die Anteilseigner bestimmt. Von diesen drei Plätzen haben Sie den ersten unmittelbar nach der Landtagswahl ausgetauscht, den zweiten im September.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt oder sich zumindest fragt: Warum, um Himmels willen, kommt der Wechsel der dritten Personalie ausgerechnet jetzt, also nachdem der amtierende Vorsitzende des Aufsichtsrats zu einer Sitzung des Gremiums einberufen hat, in der ein Gutachten thematisiert werden soll, und bevor es am vergangenen Freitag genau zu den eben dargestellten Entscheidungen gekommen ist?

Außerdem: Der amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Kurt Bodewig soll nicht etwa „im Prinzip“ sein Amt niederlegen und ersetzt werden, er soll nicht am Ende der Ermittlungen durch Herrn Merz ersetzt werden, er soll nicht etwa zum Jahresende ersetzt werden, sondern er soll sofort, unverzüglich, ohne schuldhaftes Zögern sein Mandat niederlegen. Das heißt, er soll sein Mandat noch vor einer Sitzung niederlegen, zu der er selbst zum Zwecke der Aufklärung eingeladen hat. Das ist doch wirklich ein Vorgang, der dringend der Aufklärung bedarf und zu dem Sie immer noch nichts gesagt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es kann Ihnen offensichtlich nicht schnell genug gehen, einen anderen Kopf an die Spitze des Aufsichtsrats zu setzen. Dazu – notabene –: Sie dürfen – das ist unstreitig – die Mandate der Landesregierung im Aufsichtsrat austauschen. Was Sie aber auf keinen Fall alleine dürfen, ist, regierungsamtlich festzulegen, wer Vorsitzender des Gremiums werden soll.

(Beifall von der SPD – Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Einer informellen Praxis folgend, die jahrzehntelang am Flughafen Köln/Bonn geübt wurde und die offensichtlich im Wirtschaftsleben üblicherweise gilt, hat nämlich der relativ gesehen größte Anteilseigner das Recht, den Aufsichtsratsvorsitzenden vorzuschlagen – und das ist die Stadt Köln.

Das hat die Stadt Köln in all den Jahren auch gemacht: Nachdem die Landesregierung erst Herrn Hauff als Mitglied des Aufsichtsrats vorgeschlagen hat und nachdem die Landesregierung später Herrn Bodewig zum Mitglied des Aufsichtsrats vorgeschlagen hat, waren es Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Köln, die innerhalb dieses Gremiums vorgeschlagen haben, erst den einen und dann den anderen zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu wählen. Das geschah also auf Mandat der Stadt Köln, weil diese als relativ größter Anteilseigner bisher unstrittig immer das Recht dazu hatte.

Sie können versuchen, diese informelle Übung und Praxis – diese hat sich über Jahrzehnte bewährt – zu brechen, aber Sie können das nicht alleine entscheiden. Dazu will ich klipp und klar sagen: Das wissen Sie doch! In Köln gibt es eine Koalition zwischen CDU und Grünen. Ich bin außerordentlich gespannt, ob die Grünen in dieser Koalition zustimmen werden, dass die Heuschrecke an die Spitze des Infrastrukturunternehmens Flughafen Köln/Bonn kommt.

(Beifall von der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Ach!)

Ich fordere ausdrücklich die mit den Kölner Grünen sehr eng verbundenen Kollegen Arndt Klocke und Horst Becker auf, ihren Einfluss geltend zu machen. Wenn die Kölner Grünen tatsächlich zustimmen, dass Friedrich Merz an die Spitze des Aufsichtsrats des Flughafens Köln/Bonn kommt, dann kann man seine Glaubwürdigkeit auch an der Garderobe abgeben. Ich gehe daher davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, dass Sie Wort halten.

(Beifall von der SPD)

Langer Rede kurzer Sinn: Was die Landesregierung heute macht, ist bestenfalls beredtes Schweigen. Abgesehen von Herrn Liminski, der sich nach der Rede von Herrn Klocke hier ins Parlament geschlichen hat, ist das im Grunde eine Politik des leeren Stuhls. Wir bleiben dabei: Der Ministerpräsident muss erklären, was er in diesem Fall will, was er mit den Vorgängen zu tun hat, was er im Weiteren beabsichtigt. Ich bleibe dabei – es hilft ja alles nichts –: Wir geben keine Ruhe, bis er das gemacht hat. Da können Sie sich auf den Kopf stellen. – Danke.

Präsident André Kuper: Für die CDU hat der Kollege Voussem das Wort.

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Börschel, es ist schon faszinierend, dass gerade Sie hier über Aufsichtsratstätigkeiten parlieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Der Aufsichtsrat des Flughafens Köln/Bonn ist, glaube ich, der einzige Aufsichtsrat in Köln, in dem Sie nicht Mitglied sind.

(Beifall von der CDU und der FDP – Heiterkeit von der CDU)

Wir haben das mal nachgeschaut: GAG, Stadtwerke …

(Zuruf von Martin Börschel [SPD] – Heiterkeit von der SPD)

– Hören Sie doch mal zu.

Gleichzeitig finde ich es faszinierend, dass Sie schon allein bei der Nennung des Namens Friedrich Merz Schnappatmung bekommen.

(Marlies Stotz [SPD]: Das glauben Sie wahrscheinlich!)

Da kann die Wahl ja gar nicht so falsch gewesen sein.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Kollege Börschel, Sie haben vorhin die Frage in den Raum gestellt, ob möglicherweise die Aufklärung der in Rede stehenden Sachverhalte mit der Abberufung von Kurt Bodewig enthauptet werde; das ist ein martialischer Begriff, ich zitiere Sie da. Ich möchte die Frage gerne einmal andersherum stellen: Ist es wirklich Zufall, dass Herr Bodewig in Ansehung seiner Abberufung zum Aufklärer wird? Ist das wirklich Zufall?

(Minister Herbert Reul: So war es nämlich!)

Der Aufsichtsrat am Flughafen Köln/Bonn besteht aus mehr als nur dem Vorsitzenden, nämlich aus insgesamt 15 Personen. Ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, dass der Vorsitzende den Aufsichtsratsmitgliedern Informationen vorenthalten hat, sodass aus unserer Sicht eine Aufklärung der Vorgänge bruchlos, lückenlos und ohne zeitliche Verzögerung möglich sein wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Für die Grünen erteile ich dem Kollegen Horst Becker das Wort.

Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatte anhört und wenn man sich die Medienberichte seit Freitag letzter Woche oder seit Donnerstagabend – da begann es, glaube ich – ansieht, muss man sich ein paar entscheidende Fragen stellen. Ich nenne einige davon, andere hat Herr Börschel eben angedeutet.

Die erste Frage lautet: Warum ist es offensichtlich entweder der Landesregierung vorher nicht gelungen, oder warum ist es nicht gewollt gewesen, den dritten Sitz durch einen Austausch durch sich selbst, also durch diese Regierung, zu besetzen, und warum ist es offensichtlich so wichtig gewesen, eine Umbesetzung präzise in der Woche vor der Aufsichtsratssitzung, also von montags bis freitags, herbeizuführen?

Denn unabhängig von der Frage, was von einer den Heuschrecken nahestehenden Person möglicherweise zu erwarten ist, stellt sich doch umgedreht die Frage: Was ist Ihnen denn so wichtig? Was ist die Maßnahme, die diese Person möglicherweise in den nächsten zwei bis drei Monaten durchführen soll und nicht durchführen kann, wenn sie jetzt nicht benannt wird?

Nehmen wir einmal an, die Befürchtung all derer – ich gehöre dazu –, die sagen, dass es auch um Privatisierung an diesem Flughafen gehe, weil Sie mit der FDP koalieren, würde stimmen. Dann ist mit Sicherheit auch umgedreht richtig, dass das nicht in den nächsten zwei bis drei Monaten passiert.

Also bleibt die Frage: Was war jetzt so dringend? Was war, nachdem man sich Monate Zeit gelassen hat, so dringend, dass es offensichtlich zwischen Montag und Freitag letzter Woche geschehen musste?

Dann kann einem eigentlich nur in den Sinn kommen, dass es mit der am Freitag stattfindenden Aufsichtsratssitzung zu tun hat. Das legt im Übrigen auch nahe, dass die Einladung zu einer solchen Sitzung des Aufsichtsrates in der Woche davor erfolgt ist, dass also klar war – auch den Mitgliedern der Landesregierung, auch den beiden amtierenden Staatssekretären, die jetzt für diese Landesregierung im Aufsichtsrat sind –, worum es an diesem Freitag geht.

Deswegen haben wir Anfragen gestellt. Ich will hier wenigstens einige Fragen nennen:

Wann hat diese Landesregierung bzw. die Staatskanzlei entweder durch Herrn Laschet oder durch Sie, Herr Liminski, erstmalig Herrn Minister a. D. Bodewig gebeten bzw. aufgefordert, umgehend sein Aufsichtsratsmandat niederzulegen? Wann und durch wen hat sie das schriftlich erklärt? Welche Möglichkeiten hat sie ansonsten noch zu ergreifen versucht? Ist es richtig, dass zwar versucht worden ist, dass es aber misslungen ist, am Donnerstag letzter Woche eine Gesellschafterversammlung herbeizuführen, bei der man gegen den Willen von Herrn Bodewig für dessen Abberufung eine Dreiviertelmehrheit gebraucht, aber wohl absehbar nicht bekommen hätte?

Diese Fragen gehen das Parlament an. Alles andere, was ich vorhin aus Ihrer Richtung gehört habe, waren Nebelkerzen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie können jetzt für Aufklärung sorgen. Sie können im Gegensatz zu Ihrer sonstigen Praxis Kleine Anfragen zeitnah und präzise beantworten, also mal Antworten geben und nicht nur „Antwort“ über die Zettel schreiben, die Sie abgeben. Insofern bin ich gespannt darauf, wie das insgesamt weitergeht.

Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu der Frage sagen, was da möglicherweise passiert.

Erstens. In einem solchen Stadium, sofern die Presseberichte nur ansatzweise stimmen, von einer Vermutung zu sprechen, von der die Landesregierung, deren Vertreter im Übrigen dem Aufsichtsrat angehören, gehört habe, ist ein Zeichen dafür, was man will: Man will es kleinkochen.

Zweitens. Jeder, der sich mit dem Flughafen Köln/Bonn beschäftigt, weiß, dass es seit vielen Jahren – übrigens auch schon, Herr Börschel, zu der Zeit, als Herr Hauff Vorsitzender war – immer wieder aus der Belegschaft den einen oder anderen Hinweis auf Unregelmäßigkeiten, auf das System Garvens, auf Aussagen wie „Nordkorea unter den Flughäfen“ und Ähnliches gegeben hat.

Jeder weiß, dass es zwei technische Geschäftsführer gegeben hat, die gegangen sind und gegangen wurden, indem sie zum Gehen gedrängt wurden, dass es einen Feuerwehrchef gegeben hat, der sich im Streit mit Herrn Garvens verabschiedet hat oder verabschieden musste. Man hört auch, dass der aus der Belegschaft gewählte, also der von Herrn Garvens gewollte, technische Geschäftsführer Titonis, der jetzt die Geschäfte führt, und Herr Garvens auch nicht mehr ein Herz und eine Seele sind.

Das alles hat meiner Ansicht nach mit Fragen der Infrastruktur und mit einer in Teilen des Flughafens darniederliegenden Infrastruktur zu tun. Insofern ist es ein Prozess, der nach meiner persönlichen Überzeugung schon lange gärt und jetzt kumuliert.

Präsident André Kuper: Die Redezeit.

Horst Becker (GRÜNE): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Dieser Prozess dokumentiert sich auch am Umgang mit einem Aufsichtsratschef, der nach meinem Eindruck einer derer ist, die tatsächlich aufklären wollen, und der damit bei einigen offensichtlich unangenehm aufgefallen ist. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Martin Börschel [SPD])

Präsident André Kuper: Meine Damen und Herren, da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, schließe ich diese Aktuelle Stunde.

Wir kommen zu:

2   Gesetz zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen – Entfesselungspaket I

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/1046

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Minister Professor Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, heute im Namen der Landesregierung das Gesetz zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen, das sogenannte Entfesselungspaket I, einbringen zu können.

Mit diesem Entfesselungspaket wollen wir effizientere, transparentere und unkompliziertere Regelungen im Dienste der Bürgerinnen und Bürger wie auch der Unternehmen im Land Nordrhein-Westfalen schaffen. Wir wollen Tariftreue, Verbraucher- und Umweltschutz für die Adressaten nachvollziehbar und anwendungsorientiert gestalten und legen hierfür Änderungen bzw. Anpassungen von 16 Regelungswerken – darunter 13 Gesetze und drei Rechtsverordnungen – vor.

Die neue Landesregierung ist erst 137 Tage im Amt. Wir haben sofort begonnen, das auszuarbeiten. Wir haben uns mit den Beteiligten abgestimmt. Wir haben die Verbändeanhörung gemacht. Wir haben Ideen aufgegriffen – auch aus dem parlamentarischen Raum –, um Nordrhein-Westfalen schnell wieder mehr Bewegungsfreiheit zu eröffnen. Ich darf einige wenige Maßnahmen innerhalb der kurzen Redezeit hervorheben.

Lassen Sie mich mit der Anpassung des Ladenöffnungsgesetzes beginnen.

(Marlies Stotz [SPD]: Großer Wurf!)

Damit schaffen wir endlich verlässliche Rahmenbedingungen für Kunden, Händler, Kommunen und die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In Zukunft soll die Anzahl der verkaufsoffenen Sonntage von vier auf acht erhöht sowie die Öffnungszeiten an Samstagen nicht mehr begrenzt werden. Innerhalb einer Gemeinde sollen 16 statt bisher elf Sonntage freigegeben werden.

(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU])

Auf Grundlage des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums führen wir neue Sachgründe ein, um die Sonntagsöffnung auch rechtssicherer zu machen. Denn bisher waren die wenigen Tage so stark beklagt und eingeschränkt, dass man den Interessen sowohl der Händler als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem aber der Kunden gar nicht gerecht werden konnte.

Unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerschutzrechte gestalten wir das Gesetz neu.

Neben örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen sollen verkaufsoffene Sonntage in Zukunft auch folgenden Zielen dienen: unter anderem der Belebung der Innenstädte und Kommunen zur Erhöhung der Standortattraktivität und zur Stärkung des stationären Einzelhandels und ortsnaher Versorgungsstrukturen vor allen Dingen im ländlichen Raum.

Das scheint uns gerade mit Blick auf die Digitalisierung wichtig zu sein, weil immer mehr Aktivitäten im E-Commerce stattfinden. Wir wollen, dass die Geschäfte dann geöffnet sind, wenn Familien auch Zeit haben, gemeinsam einkaufen zu gehen, die Innenstädte zu beleben und anstatt online auch noch offline einzukaufen. Denn das brauchen wir, wenn wir lebendige Innenstädte behalten wollen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Verbessert wird auch das Tariftreue- und Vergabegesetz. Dabei geht es nicht um die Infragestellung so wichtiger Errungenschaften wie Tariftreue und Mindestlohn. Im Gegenteil: Wir stärken die vertraglichen Sanktionsmöglichkeiten und befreien das Vergaberecht von komplizierten Nachweispflichten. Öffentliche Auftraggeber können damit Nachhaltigkeitsaspekte in Zukunft zielsicher und einzelfallgerecht in das Verfahren einbringen.

Unabhängig von den genannten rechtlichen Regeln werden wir auch die elektronische Abwicklung und Abbildung des gesamten Beschaffungsvorgangs zeit- und kostensparend realisieren, einschließlich der Anbindung der Beschwerde- und Nachprüfungsinstanzen.

Dem Vergabeportal NRW kommt damit bundesweit eine Vorbildfunktion zu, und zwar nicht zuletzt gerade auch im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmerrechte. Ich bin mir mit dem DGB-Bezirksvorsitzenden Nordrhein-Westfalen, Andreas Meyer-Lauber, einig, dass wir in Zukunft die Überwachung der Arbeitnehmerschutzrechte in Nordrhein-Westfalen insgesamt verbessern wollen – ganz nach der Devise: Weniger Regulierung erhöht Vertrauen und eröffnet die Chance, auch wirksam zu kontrollieren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Als völlig untauglich hat sich das Kontrollergebnis-Transparenz-Gesetz, KTG, besser bekannt als Hygieneampel, erwiesen.

Deshalb schlagen wir dem Landtag im Einvernehmen mit der Umweltministerin, der ich dafür sehr dankbar bin, die ersatzlose Streichung vor.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hier war der sperrige Name Programm. Die Reglung ist unübersichtlich, kompliziert und für Verbraucher, Anwender und die Betroffenen – 150.000 Betriebe und ihre Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen – undurchschaubar.

Natürlich liegen uns Hygiene- und Lebensmittelsicherheit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger am Herzen. Deshalb bleibt es selbstverständlich beim strengen Lebensmittelüberwachungsrecht und ähnlichen Vorschriften, deren strikte Einhaltung über wirksame und angemessene Strafen sichergestellt wird. Einen unverhältnismäßig hohen Dokumentationsaufwand, vor allem für die kleinen und mittleren Unternehmen, ohne erkennbaren Vorteil für die Konsumenten wollen wir allerdings nicht mehr zulassen. Deshalb nehmen wir das KTG zurück, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aufgehoben wird auch der Erlass zur Internetveröffentlichungspflicht von immissionsschutzrechtlichen Antragsunterlagen, der ebenfalls eine ganz beachtliche Leistung der Vorgängerregierung darstellt. Durch die ungefilterte und umfassende Veröffentlichung aller Anlagen- und Baupläne im Internet steigt die Gefahr von Cyberkriminalität, Sabotageakten und terroristischen Anschlägen eklatant. Durch den sogenannten Spionageerlass drohte zudem ein massiver Abfluss von Firmen-Know-How unter Preisgabe internationaler Wettbewerbsfähigkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen manchmal Sachen ins Netz, die hier noch nicht genehmigt sind. Bis sie hier genehmigt worden sind, wurden sie in China bereits gebaut. Dem müssen wir ein Ende bereiten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Im Dienste einer prosperierenden, weltoffenen NRW-Wirtschaft wiederum steht die vollelektronische, medienbruchfreie Gewerbemeldung. Eine Abfrage der Gründerinnen und Gründer hat ergeben, dass diese sich heute – das gilt insbesondere für die digitalen Start-ups – auch digital anmelden können wollen. Wenn sie ein Gewerbe haben, das mehrere Behörden betrifft, müssen sie sich heutzutage noch bei mehreren Behörden analog anmelden. Das passt nicht mehr in diese Zeit. Nordrhein-Westfalen hat sich schon jahrelang damit beschäftigt.

Wir wollen den Kammern jetzt optional das Recht einräumen, die Gewerbeanmeldung durchführen zu können, allerdings nur dann, wenn sie dies auch medienbruchfrei in einem Onlineverfahren tun. Wir hoffen, dass die Kommunen dann auch möglichst schnell in dieses Verfahren eintreten, damit wir es flächendeckend anbieten können.

Wie Sie sehen, dient die Entfesselung auch dazu, die Digitalisierung im Land voranzubringen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Pinkwart. – Der Minister hat die Redezeit der Landesregierung um zwei Minuten überzogen. Diese Zeit bekommen die Fraktionen selbstverständlich gutgeschrieben.

Ich möchte gerne darauf aufmerksam machen, dass wir künftig auch bei der Landesregierung ganz kurz verbal andeuten werden, dass sich die Redezeit dem Ende nähert oder überzogen ist – nicht, um die Landesregierung in ihren Rechten einzuschränken, sondern, um den Fraktionen auf diesem Weg das Signal zu geben, dass sich ihre Redezeit gegebenenfalls verlängern wird.

Nach dieser Vorbemerkung hat jetzt Herr Kollege Rehbaum von der CDU-Fraktion das Wort.

Henning Rehbaum (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen ist eine Chance für einen Neustart für unser Land.

Zunächst müssen wir die Versäumnisse der letzten Jahre aufholen. Damit meine ich insbesondere die Investitionen in Straßen, Kindergärten, Krankenhäuser, Polizei und vieles mehr. Das alles sind Baustellen von unvorstellbarer Größe, die eine finanzielle Kraftanstrengung für viele Jahre erfordern werden. Diese rot-grünen Versäumnisse kosten Geld.

Gerade bei einem Wechsel von einem streng linken Bündnis wie in Nordrhein-Westfalen hin zu einer klassisch bürgerlich-pragmatischen Koalition gibt es aber auch jede Menge überalterter, unwirksamer, teilweise ideologischer Regelungen, die man einfach abschaffen kann. Das Schönste ist: Diese alten rot-grünen Zöpfe abzuschneiden, kostet kein Geld, sondern bringt die Wirtschaft in Schwung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diejenigen Kollegen, die wie ich regelmäßig Unternehmen und Betriebsräte besuchen, bekommen unaufgefordert den sehnlichen Wunsch mit auf den Weg: Sorgt für weniger Bürokratie!

Bürokratie hängt dem Mittelstand wie ein Mühlstein um den Hals.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Geht es auch eine Nummer größer? – Heike Gebhard [SPD]: Deswegen stehen wir wirtschaftlich auch so gut dar!)

Sie verhindert Wachstum sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen und geht den Praktikern vor Ort schlicht auf die Nerven. In Großunternehmen gibt es eigene Abteilungen, die sich darum kümmern. In Mittelstand und Handwerk macht das der Chef oder die Chefin nach Feierabend selbst.

Auf verschiedenen Ebenen diskutieren wir aktuell ein gesundes Gleichgewicht aus Arbeitszeit und Flexibilität für Arbeitnehmer. Das Arbeitszeitgesetz des Bundes, das für Saisonbetriebe und Gastronomie viel zu starre Tagesarbeitszeiten hat, ist richtigerweise im Gespräch. Auch die IG Metall plädiert für schwankende Arbeitszeiten zur Abmilderung von persönlichen Belastungen im Laufe verschiedener Lebensphasen.

Wer aber spricht offen über die persönliche Arbeitsbelastung von Selbstständigen, Mittelständlern, Handwerksmeistern oder Ich-AGs?

Ein selbstständiger Unternehmer ist auch nur ein Mensch. Auch die Kinder des Bäckermeisters haben ein Recht darauf, ihren Papa mal bei Tageslicht zu sehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Unsere Unternehmer und Handwerker sind tagein, tagaus unermüdlich für ihre Betriebe und zufriedene Kunden im Einsatz. An dieser Stelle möchte ich allen Unternehmern für ihren Einsatz für unseren Wohlstand und die Arbeitsplätze herzlich Danke sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das Arbeitszeitgesetz des Bundes, die Mitbestimmung und Manteltarifverträge schützen Arbeitnehmer. Wer aber schützt Unternehmer vor immer mehr Bürokratie, Dokumentation und Gängelung? Aus eigener Erfahrung weiß ich: Unternehmer wollen kein Mitleid und kein Arbeitszeitgesetz für ihre Person. Im Gegenteil! Unternehmer und Handwerker sagen: Lasst uns einfach in Ruhe unsere Arbeit tun. – Sie wollen mit guten Produkten zufriedene Stammkunden gewinnen, ihren Mitarbeitern für gute Arbeit gutes Geld zahlen und ein Auskommen erzielen, von dem sie und ihre Familien vernünftig leben können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Was die Handwerker nicht wollen, ist, nach einem langen 16-Stunden-Tag noch eine Stunde Dokumente, Tabellen und Nachweise auszufüllen, die auf dem großen Datenfriedhof der Republik landen. Ob Hygieneampel, das Vergabegesetz mit allzu vielen Dokumentationspflichten, die gut gemeint sind, aber nicht wirken, komplizierte Gewerbeanmeldungen oder rechtsunsichere Organisationsrahmen von verkaufsoffenen Sonntagen durch die örtlichen Kaufleute: Wir wollen den Unternehmern Steine aus dem Rucksack nehmen, damit sie einfacher arbeiten, erfolgreich sein und Arbeitsplätze schaffen können.

Es geht nicht nur darum, bestehenden Unternehmen Luft im Alltag zu verschaffen. Mit der Abschaffung oder Überarbeitung überflüssiger, überalterter oder unwirksamer Regelungen in Nordrhein-Westfalen wollen wir auch das Unternehmersein generell attraktiver machen. Ob Internet, Verkehrswende, Energiewende oder demografischer Wandel: Wir brauchen viele neue Unternehmer mit Motivation und Geschäftsideen. Diesem Gründergeist müssen wir Freiraum geben, damit er sich entfalten kann.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen Gründer für die Wirtschaft 4.0 begeistern und haben eine Bürokratie wie in den 80er-Jahren. Das wollen wir ändern.

Dazu kommen Hunderttausende Betriebe in Nordrhein-Westfalen, die in den nächsten Jahren einen Nachfolger suchen. Wir wollen, dass auch die hervorragend qualifizierte junge Generation in den Unternehmerfamilien dafür brennt, in das elterliche Unternehmen einzusteigen und es mit seinen Arbeitsplätzen weiterzuführen.

Auch für Angestellte, Gesellen, Meister, Kaufleute, Techniker oder Ingenieure muss die Selbstständigkeit wieder zu einer attraktiven Alternative zur abhängigen Beschäftigung werden.

Wir nehmen Betrieben und Start-ups Steine aus dem Rucksack, damit sie mehr Spaß an der Arbeit bekommen und die Arbeitsplätze schaffen, die unser Land so dringend braucht.

Das Entfesselungspaket I umfasst insgesamt 16 Regelungen und Gesetze für Unternehmen, aber auch für Behörden sowie den Sozial- und Gesundheitsbereich, die abgeschafft oder vereinfacht werden, um den Praktikern das Leben leichter zu machen.

Den vielen Praktikern, die sich über unser Bürokratieabbauprogramm freuen, kann ich zurufen: Das Entfesselungspaket I ist nur der Anfang. Weitere Entfesselungspakete werden folgen – für Schwung in den Unternehmen sowie für Freiheit, Wachstum, mehr Arbeitsplätze und Wohlstand in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Satz zum Redebeitrag des Kollegen Rehbaum beginnen. Herr Rehbaum, ich finde es schon wirklich enttäuschend, von einem Mitglied der Christlich Demokratischen Union nicht ein einziges Wort zu den Arbeitnehmern gehört zu haben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben nicht zugehört!)

Sie haben nur darüber gesprochen, wie wir den Unternehmern im Land helfen wollen. Das ist richtig und wichtig; keine Frage. Aber auch die Arbeitnehmer in diesem Land sind wichtig. Kein Wort von Ihnen dazu,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich stelle Ihnen den Text gerne zur Verfügung!)

was Sie den Arbeitnehmern mit diesem Gesetzespaket vorlegen; kein einziges!

(Beifall von der SPD – Henning Rehbaum [CDU]: Das ist ungeheuerlich!)

Meine Damen und Herren, wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, zu behaupten, Sie hätten ein Land vorgefunden, das am Boden gelegen hat und erst entfesselt werden muss. Deshalb möchte ich Ihnen drei Dinge am Anfang meiner Rede noch einmal mitteilen.

Nordrhein-Westfalen ist aktuell, was das Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt anbelangt, die Nummer fünf in Deutschland. Vier sind noch vor uns, elf sind hinter uns. Die Wirtschaft ist – und das sage nicht ich, sondern das sagt beispielsweise die IHK Nord Westfalen – in Bestform, meine Damen und Herren.

Was den Bürokratieabbau anbelangt, zitiere ich an dieser Stelle Dr. Johannes Ludewig, den Vorsitzenden des Nationalen Normenkontrollrates, der im aktuellen Wirtschaftsbericht Nordrhein-Westfalen ausgeführt hat, dass Nordrhein-Westfalen Vorreiter beim Bürokratieabbau und in guter Rechtsetzung ist.

(Beifall von der SPD)

Das sind die Benchmarks, an denen Sie sich in den nächsten fünf Jahren messen lassen müssen, meine Damen und Herren.

Nun komme ich zu Ihrem Entfesselungspaket. Wie man beim Minister auch schon gemerkt hat, kann man gar nicht auf alle Punkte eingehen, sondern in der Kürze der Zeit nur auf einige.

Ich möchte als Erstes etwas zum Ladenöffnungsgesetz sagen. Dabei möchte ich nicht mit einem Blick meiner Partei beginnen, sondern mit dem externen Blick der KAB. Die KAB hat schon am 14. Juni 2017 in ihrer online Ausgabe von „Kirche + Leben“ ausgeführt – ich zitiere Herrn KAB-Diözesansekretär Hermann Hölscheidt –:

„Der arbeitsfreie Sonntag ist laut Hölscheidt ,Freiheitsschutz und Arbeitnehmerschutz‘, ein wichtiges religiöses Gut und ein Kulturgut: ,Sonntage sind gemeinsame Atempausen unserer Gesellschaft und als solche unverzichtbar.‘„

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, neben einer inhaltlichen Begründung führen Sie auch immer an, Sie wollten Rechtssicherheit schaffen. Die Gespräche, die wir mit Kommunen und auch mit den Gewerkschaften geführt haben, zeigen genau, dass Sie Rechtssicherheit an dieser Stelle eben nicht schaffen. Die neuen Anlassbezüge, die Sie schaffen, führen eher dazu, dass es eine verstärkte Rechtsunsicherheit gibt, Herr Minister.

Nun wollen wir einmal schauen, wie der Prozess läuft. Ich prophezeie Ihnen für die sozialdemokratische Partei in diesem Land, dass dieses Ladenöffnungsgesetz vor Gericht scheitern wird. Dann werden wir einmal sehen, wie Sie damit weiter umgehen.

Zu den inhaltlichen Zielen führen Sie immer wieder aus – das haben Sie eben auch noch einmal gemacht –, Sie wollten die innerstädtischen Bereiche vor allen Dingen in Grund- und Mittelzentren stärken. Lassen Sie uns doch einmal einen Blick in das Land werfen und uns genau diese Grund- und Mittelzentren anschauen.

Wie sieht es da denn heute aus? Gibt es dort am Samstag nach 22:00 Uhr offene Geschäfte? – Es gibt sie nicht.

Sie wollen jetzt auch noch, dass diese Geschäfte zukünftig bis 24:00 Uhr öffnen können – übrigens vor dem nächsten Sonntag, vor dem Volkstrauertag und auch vor dem Totensonntag. Bis 24:00 Uhr sollen die Geschäfte geöffnet werden.

Aus meiner Sicht ist das ein Stück weit ein Skandal. Es hilft nämlich nicht den Innenstädten, sondern den Discountern und den Einkaufszentren auf der grünen Wiese. So werden Sie kein Leben in die Innenstädte bekommen, meine Damen und Herren. Kreativere Ansätze sehen an dieser Stelle deutlich anders aus.

(Beifall von der SPD)

Das zweite Gesetz, auf das ich kurz zu sprechen kommen möchte, ist das Tariftreue- und Vergabegesetz. Lassen Sie uns auch hier noch einmal schauen: Was ist denn das Ziel?

Das Ziel ist, Ausgaben und Vergaben der öffentlichen Hand an Standards zu binden, und zwar nicht nur an die tariflichen Standards, sondern auch an soziale, ökologische und humanitäre Standards. Das ist wichtig, damit die öffentliche Hand in diesem Bereich Vorreiter bleibt. Es ist auch wichtig, weil der Bürger wissen will, was mit seinem Geld passiert, das die öffentliche Hand ausgibt. Er will eben nicht, dass mit diesem Geld Kinderarbeit in der Dritten Welt finanziert wird.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie uns hier auch noch einmal einen Blick auf die Opposition vor dem Mai dieses Jahres werfen. Was hat denn die Opposition vor dem Mai dieses Jahres immer wieder zu uns gesagt? „Die Ziele, Herr Sundermann, erkennen wir an. Wir erkennen die Ziele des Tariftreue- und Vergabegesetzes an.“ – Sie haben aber immer gesagt, wir bekämen es nicht hin. Immer wieder war die Behauptung, wir bekämen es hin.

Jetzt legen Sie ein Tariftreue- und Vergabegesetz vor. Okay; um die Tariftreue kümmern Sie sich. Aber um alle anderen Aspekte kümmern Sie sich nicht. Sie klammern Sie aus. Das heißt: Die Latte, die Sie sich selber in der Opposition immer gelegt haben, reißen Sie, und zwar deutlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Nun können Sie sagen, hier stehe ein Sozialdemokrat, der mit rot-grünem Duktus oder entsprechender Ideologie – das wird uns ja auch immer vorgeworfen – dieses Tariftreue- und Vergabegesetz auf die Straße gesetzt habe.

Ich will Ihnen an dieser Stelle einfach einmal die Sicht anderer gesellschaftlicher Gruppen vortragen, und zwar der evangelischen Kirche. Ich lese hier aus einem Bericht des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund an die Dortmunder Abgeordneten vor; ähnliche Briefe hat es auch von anderen evangelischen Kirchenkreisen gegeben. Darin wird ausgeführt:

Wir sehen in dem Vorhaben, soziale und ökologische Standards in den öffentlichen Vergaben nicht mehr zu berücksichtigen, einen Rückschritt auf Kosten von Menschen und Arbeitsrechten sowie des Umwelt- und des Klimaschutzes.

Das sagen Ihnen die Kirchen. Der KAB sagt: LÖG schlecht. – Die evangelische Kirche sagt, dass Sie sich mit dem, was Sie dort im Tariftreue- und Vergabegesetz machen, im Prinzip gegen kirchliche Grundsätze stellen. Das sollte Sie aus meiner Sicht auf jeden Fall ein Stück weit zum Nachdenken bringen.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe nichts zur Hygieneampel und zu den Gesetzgebungen im Gesundheitsbereich, im sozialen Bereich und im Rechtsbereich gesagt, weil dieses Artikelgesetz, das Sie vorgelegt haben, extrem komplex ist.

Lassen Sie mich diese Aussagen zum Anlass nehmen, über das Verfahren zu sprechen. Sie legen hier ein Artikelgesetz vor – 13 Gesetze für andere Rechtsgegenstände –, und morgen wird dann in einer Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses auf Wunsch von Schwarz-Gelb eine Anhörung terminiert, und zwar am 18. Dezember dieses Jahres, sechs Tage vor Weihnachten, eine Mammutanhörung mit 30, 40, 50, 60 Sachverständigen.

Meine Damen und Herren, ich bin jetzt seit sieben Jahren hier. Aber wir haben uns das nicht getraut. Das muss ich ganz deutlich sagen. Wir haben uns das in dieser Art und Weise nicht getraut. Ich weiß nicht, ob das ein einmaliges Verfahren ist. Auf jeden Fall entzieht sich das meinen Erfahrungen. Es ist im Prinzip von uns nie so gemacht worden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Frank Sundermann (SPD): Aus meiner Sicht ist das unangemessen und auch hochgradig unanständig. Sie missachten die Beteiligungsrechte des Parlamentes. Und warum machen Sie das?

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Frank Sundermann (SPD: Sie wollen Handlungsstärke und Entschlusskraft demonstrieren. Aber die Wahrheit ist: Sie scheuen die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gruppen und auch hier im Parlament. Deswegen brechen Sie diese Entscheidung übers Knie. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Guten Morgen! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Fünf Jahre lang haben wir kritisiert – das habe auch ich von dieser Stelle aus und anderswo getan –, dass die rot-grüne Landesregierung der Wirtschaft, den Unternehmerinnen und Unternehmern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Betrieben Fesseln angelegt hat, dass sie sie bevormundet hat und dass sie sie mit übertriebenen Vorschriften überzogen hat. Fünf Jahre lang haben wir den Leuten gesagt, dass wir das anders machen würden.

Nach diesen fünf Jahren, im Mai dieses Jahres, haben die Leute gesagt: Wir wollen nicht länger bevormundet werden. Wir wollen nicht länger im Bundesländervergleich auf den hinteren Plätzen sein. Wir wollen unsere Chancen wahrnehmen. – Sie haben diese rot-grüne Regierung abgewählt, meine Damen und Herren. Und jetzt halten wir von Schwarz-Gelb das Versprechen, das wir gegeben haben. Wir befreien die Menschen in Nordrhein-Westfalen von übertriebenen Vorschriften.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Kollege Sundermann, Sie haben dem Kollegen Rehbaum gerade vorgeworfen, er hätte die Mitarbeiterseite nicht gewürdigt. Ich habe wahrgenommen, dass er das sehr wohl getan hat. Er hat nämlich – ähnlich wie ich – gesagt, dass er mit Unternehmerinnen und Unternehmern, aber auch mit Betriebsräten und Mitarbeitern in den Betrieben gesprochen hat und dass er darüber hinaus natürlich auch Eindrücke bekommen hat, wie diese Menschen durch Ihre Vorschriften belastet worden sind.

Dass wir diese Vorschriften abschaffen wollen, dokumentieren wir hier. Sie sehen an der Zahl I dieses Entfesselungspaketes, dass das erst der Anfang ist.

Ich will kurz auf einzelne Punkte eingehen, wie das auch meine Vorredner getan haben.

Mit den Änderungen beim Ladenöffnungsgesetz geben wir den Kommunen nun die Freiheit, an acht Sonntagen im Jahr die Geschäfte zu öffnen. Acht Sonntage, Herr Kollege Sundermann: Das ist mit Augenmaß. Es ist aber auch die notwendige Freiheit, die wir den Leuten geben.

Die bisherigen Regeln zum Anlassbezug werden durch lebensnahe, praktische Kriterien ersetzt. Dieser Anlassbezug hat ja zu einem geradezu absurden Aufwand geführt. Diesen Aufwand werden wir zurückführen.

Ich will klar sagen: Es ist das gute Recht, Regelungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Aber Sie können doch davon ausgehen, dass die Zalandos und die Amazons dieser Welt sich köstlich darüber amüsiert haben, dass Kommunen mit Besuchstabellen hantiert haben und hinterher doch die verkaufsoffenen Sonntage untersagt worden sind, während der Onlinehandel fröhlich Umsätze gemacht hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir werden hier eine Regelung schaffen, die dafür sorgt, dass auch der Einzelhandel mit den inhabergeführten Geschäften jetzt mal dem Onlinehandel ins Gesicht lachen kann, wenn es darum geht, sonntags ebenfalls konkurrenzfähig zu sein, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben immer gesagt: Nicht alle Gesetze der Vorgängerregierung müssen per se abgeschafft werden. Manches ist weiterzuentwickeln. Es gibt gute Ansätze.

Aber ein Gesetz, liebe Kollegen von Rot-Grün, gehört nun wirklich in die Mülltonne, und zwar das Gesetz zur sogenannten Hygieneampel.

(Beifall von der FDP und der CDU – Minister Karl-Josef Laumann: Das ist wahr!)

Dieses Kontrollergebnis-Transparenz-Gesetz, das so harmlos „Ampel“ heißt, ist doch in Wahrheit ein Pranger. Es ist nicht nur ein Pranger, sondern es werden auch die falschen Betriebe an diesen Pranger gestellt. Auch vorbildliche Betriebe, in denen nur mal ein Formular falsch ausgefüllt worden ist, hängen schon darin.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Wir werden dieses Gesetz ersatzlos abschaffen. Ich bin Herrn Professor Pinkwart sehr dankbar dafür, dass er das in Zusammenarbeit mit den zuständigen Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung so schnell umgesetzt hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will einen weiteren Punkt nennen: das Tariftreue- und Vergabegesetz.

(Frank Sundermann [SPD]: Ich habe darauf gewartet!)

Wir bekennen uns sehr eindeutig zur Tariftreue. Wir bekennen uns sehr eindeutig zu den Kriterien, die im Hinblick auf die Tariftreue in diesem Gesetz stehen. Aber ich sage Ihnen auch – und das wissen Sie ganz genau; wir hatten dazu Anhörungen und auch Untersuchungen Ihrer eigenen Landesregierung –: Dieses Gesetz hat keinen messbaren positiven Effekt.

Aber es hat zusätzliche Bürokratie verursacht

(Frank Sundermann [SPD]: Machen Sie es doch besser!)

– wir machen es besser; wir entkernen es –, und es hat allein in den Jahren 2012 bis 2014 ausweislich des Gutachtens Ihrer Landesregierung 20 Millionen € Mehrkosten verursacht.

Wir machen es besser. Wir entkernen es. Wir entbürokratisieren. Wir entlasten die Menschen und die Betriebe in diesem Land.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich will angesichts der Kürze der Zeit die anderen zentralen Gesetze nur kurz nennen.

Die elektronische Gewerbeanmeldung – Herr Minister hat es angesprochen – wird ebenfalls zur Entbürokratisierung beitragen. Wir führen das Land damit endlich in die heutige Zeit und sorgen damit dafür, dass gerade Gründerinnen und Gründer unkomplizierte Wege haben.

Der Spionage-Erlass ist zu streichen, weil er die Betriebe völlig ohne Not und überflüssig belastet.

Wir werden mit den Änderungen am Alten- und Pflegesetz das Verfahren zur Investitionskostenförderung vereinfachen. Vor dem Hintergrund der demografischen Herausforderungen ist das dringend notwendig. Ich bin auch hier dem beteiligten Minister sehr dankbar dafür, dass das so schnell und unkompliziert möglich war – genauso wie die Änderung des Krankenhausgestaltungsgesetzes, die Planungsverfahren beschleunigen und zur Sicherung der Versorgung der Menschen in Nordrhein-Westfalen beitragen wird.

Diese und andere – von mir jetzt nicht einzeln genannte – Gesetze werden wir in der Anhörung, die wir morgen in der Sondersitzung des federführenden Wirtschaftsausschusses beschließen werden, näher diskutieren.

Herr Kollege Sundermann, eine Anmerkung sei mir zum Abschluss noch gestattet: Wenn Sie sich hier über das Verfahren beschweren,

(Frank Sundermann [SPD]: Ja!)

finde ich das wirklich weit hergeholt. Wir haben Sie zu einem sehr frühen Zeitpunkt über dieses Verfahren informiert. Wir haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt das Gespräch mit Ihnen gesucht. Sie hätten in diesem Verfahren jederzeit äußern können, dass Sie damit ein Problem haben. Das haben Sie nicht getan, damit Sie jetzt hier öffentlichkeitswirksam sagen können, das sei alles ganz schrecklich und ein Skandal. Das ist zu vordergründig, Herr Kollege Sundermann. Das ist zu billig.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir werden die Beteiligungsrechte dieses Parlaments wahren. Wir werden über dieses Gesetz so beraten, wie ordnungsgemäß darüber beraten werden muss. Und wir werden am Ende zu einer Entlastung der Menschen in Nordrhein-Westfalen kommen – zügig, aber mit den notwendigen Maßnahmen.

Das ist das Ziel dieser Landesregierung. Weitere Schritte werden folgen. Sie mögen das als Drohung empfinden. Für die meisten Menschen in Nordrhein-Westfalen ist es ein Versprechen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Grünen spricht Herr Kollege Becker.

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben bei meinem Vorredner gerade das erlebt, was wir eigentlich seit sechs Monaten erleben: Wesentliche Bestandteile dieser Koalition befinden sich immer noch im Rausch der Oppositionsrhetorik. Sie sind nicht auf Entzug und schon gar nicht in der Ernüchterung angekommen. Dabei wäre Nüchternheit beim Regierungshandeln durchaus angebracht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vor wenigen Monaten war noch vom Bürokratiekosten-TÜV, vom Verwaltungsbenchmarking und von der Befristung der Gesetze mit umfangreichen Prüfungen im Falle der Verlängerung die Rede – übrigens ausdrücklich auch mit solchen Prüfungen, die mit einem Abbau von Sozialrechten und Standards zu tun hatten.

Wenn man sich diesen Entwurf für ein sogenanntes Entfesselungsgesetz anguckt, muss man zunächst einmal feststellen, dass es einerseits zum Glück weit hinter diesen Oppositionssprüchen zurückbleibt, andererseits aber immer noch eine krude Mischung aus dieser Oppositionsrhetorik und schädlichem Unsinn ist.

In Anbetracht der Kürze der Zeit will ich dazu wie meine Vorredner nur einige wenige Beispiele nennen.

Bei der Änderung des Ladenöffnungsgesetzes entfesseln Sie sich letztlich vom sogenannten Anlassbezug und auch von der Rechtsprechung. Es geht in Wahrheit natürlich nicht nur um acht – wobei acht auch schon zu viel sind –, sondern um bis zu 16 Sonn- und Feiertage, nämlich immer in den großen Städten, die verschiedene Bezirke haben. Wenn Sie Ihre eigenen Gesetzesvorhaben lesen, werden Sie das sehen. 16 Sonn- und Feiertage im Jahr bedeuten: Tatsächlich ist mehr als jeder vierte Sonn- oder Feiertag mit einer Geschäftsöffnung verbunden.

Es wird geradezu ein Stück aus dem Tollhaus, wenn Sie sich anlässlich dieser Erweiterung der Ladenöffnungszeiten hier zum Vorkämpfer gegen den Onlineversand aufspielen.

Wenn Sie etwas gegen den Onlineversand tun wollten, müssten Sie sich mit uns zusammen für eine faire Besteuerung einsetzen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Dann müssten Sie sich mit uns zusammen für eine ordentliche Stadtlogistik einsetzen. Da habe ich Sie aber bis jetzt nicht wahrgenommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will mich mit Ihnen heute auch nicht über die Hygieneampel streiten. Deren Abschaffung ist ja angeblich ein großer Entfesselungsakt. Aber wenn ich sehe, dass das gestern beim Handwerk ein Entfesselungsakt war, dass das heute ein Entfesselungsakt ist und dass Sie in die Begründung Ihrer Vorhaben hineinschreiben – so Herr Pinkwart –, Sie wollten die Entwicklung eines Modells der Verbraucherinformation auf freiwilliger Basis, sage ich:

Herr Kollege Pinkwart, Sie sollten sich doch einmal zurückerinnern oder mit Herrn Laumann sprechen. Sie beide haben von 2005 bis 2010 derselben Regierung angehört. Genau das ist damals von Herrn Uhlenberg versucht worden. An den freiwilligen Vereinbarungen hat sich damals niemand beteiligt. Ich bin mal gespannt, ob das dieses Mal anders ist.

Wo wollen Sie beispielsweise bei der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zum LANUV „entfesseln“? Da entfesseln Sie nicht, sondern da legen Sie den Gerichten Fesseln an, und zwar durch neue Aktenberge, weil Leuten nicht bei Widerspruchsverfahren beschieden wird, sondern weil die sich demnächst vor Gericht ihr Recht suchen werden.

Beim Tariftreue- und Vergabegesetz sagt dieser Text dann eigentlich alles. Ich lese mal die Begründung vor: „Die Neufassung des Tariftreue- und Vergabegesetzes entspricht der Koalitionsvereinbarung.“ – Will sagen: Das entspricht also Ihrer Oppositionsrhetorik: Umweltschutz, Energieeffizienz, Beachtung von Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen, Frauenförderung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – alles Anforderungen, die bei Ihnen Gedöns sind und weggehören.

Richtig ärgerlich übrigens und richtig schädlich auch – das ist einer der Punkte, bei denen ich hoffe, dass Sie wirklich noch einmal nachdenken – wird es beim Alten- und Pflegegesetz. Sie geben die Gleichstellung von Wohn- und Betreuungsangeboten vor.

Aber in Wahrheit schaffen Sie mit dieser Abschaffung oder mit dieser angeblichen Gleichstellung natürlich die Abkehr vom Vorrang ambulanter Versorgung, ambulanter Wohn- und Versorgungsangebote. Wer weiß, dass davon im Land Nordrhein-Westfalen im Verhältnis zu den 180.000 anderen nur 6.000 da sind, der weiß, dass ganz dringend weitere geschaffen werden müssen und dass übrigens, Herr Bombis, Ihre Änderung mit Sicherheit nichts ist, worauf sich die Bevölkerung freut.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie nehmen es aber auch nicht so genau mit der Wahrheit. Sie schreiben, es gibt keine negativen Auswirkungen auf die Selbstverwaltung, und verweisen dann schon fast zynisch auf den § 17 des Krankenhausgestaltungsgesetzes. Sie wissen natürlich genau, dass es diese negativen Auswirkungen gibt.

Sie formulieren im Übrigen – auch das ist besonders spannend – folgenden Satz im Zusammenhang mit der Frage von vollautomatisierten Erlassen und der Konnexität – ich zitiere –:

„Mit der Einführung des vollautomatisierten Erlasses eines Verwaltungsaktes stellt das VwVfG NRW zwar ein neues Verfahrensinstrument zur Verfügung, ordnet dessen Verwendung aber nicht an. Finanzielle Auswirkungen entstehen erst, wenn die Behörden von den zur Verfügung gestellten Instrumenten Gebrauch machen.“

Meine Damen und Herren, das zeigt ganz deutlich: Sie nehmen noch nicht einmal Ihre eigenen entfesselungsrhetorischen Maßnahmen ernst. Ansonsten müssten Sie sich mit der Konnexität beschäftigen. Das haben Sie nicht getan.

Sie werden verstehen, dass ich mich angesichts dieser und vieler anderer Widersprüche und Ungereimtheiten auf die Beratungen freue. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die AfD spricht Herr Kollege Loose.

Christian Loose (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sogenannte Entfesselungspaket ist ein kleines Senfkorn Hoffnung. Die großen Reformideen kommen ja bekanntlich am Anfang der Legislaturperiode. Hier haben Sie schon einige Kleinmaßnahmen auf den Weg gebracht, die wir durchaus begrüßen, so zum Beispiel die Abschaffung der Hygieneampel oder die Veränderungen beim Alten- und Pflegegesetz.

Wir erwarten aber in Zukunft mehr von Ihnen. Deshalb pflanzen Sie das Senfkorn Hoffnung ein, damit daraus auch Bäume erwachsen können! Sorgen Sie also dafür, dass wir einen wirklichen Bürokratieabbau bekommen!

Dieses Kleinstpaket begrüßen wir bereits, und das werden wir konstruktiv im Ausschuss begleiten. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Loose. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wenn das so bleibt, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 17/1046 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Dieser bekommt die Federführung. Die Mitberatung geht an folgende Ausschüsse: den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, den Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen, den Ausschuss für Europa und Internationales, den Innenausschuss, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz. Zwischenzeitlich haben sich die fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt, den Gesetzentwurf ebenfalls in die Mitberatung an den Hauptausschuss zu schicken.

Möchte sich jemand gegen diese Überweisung aussprechen? – Enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir einstimmig so an die entsprechenden Ausschüsse überwiesen.

Ich rufe auf:

3   Entsenderichtlinie reformieren – Beim Aufbau einer sozialeren Europäischen Union helfen

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1122

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Weiß das Wort.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union ist eine große Errungenschaft, von der Jahr für Jahr Millionen Menschen und viele Unternehmen in Europa profitieren.

Im Schatten dieser Errungenschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aber eine Schieflage zugunsten von Unternehmen und auf Kosten entsandter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entwickelt. Ein Beispiel: In Deutschland kostete eine Arbeitsstunde im vergangenen Jahr 33,40 €. Bei unseren Nachbarn in Polen waren es aufgrund der geringeren Sozialstandards und des Lohnniveaus nur 8,40 €. Polnische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können aufgrund der niedrigeren Sozialabgaben in Polen ihre Arbeitskraft in Deutschland also deutlich billiger anbieten als deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Dieser Unterschied führt dazu, dass Unternehmen häufig bewusst auf Beschäftigte aus Ländern mit niedrigen Sozialabgaben zurückgreifen, um die Differenz der unterschiedlichen Sozialabgaben und des unterschiedlichen Lohnniveaus selbst einzustreichen. Den betroffenen Beschäftigten entstehen während ihrer Entsendung aber Lebensunterhaltungskosten auf dem Niveau der Empfängerstaaten, an das ihr Entgelt dann oft nicht angepasst ist.

Die aktuelle Form der Entsenderichtlinie, die eigentlich den betroffenen Beschäftigten Schutz bieten soll, hat in Teilen eher zu einer Verschlimmerung der Lage geführt, zumindest aber nicht zu ihrer Verbesserung. So ist in Form von Lohndumping, Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung die Ausbeutung von Entsendeten in manchen Branchen an der Tagesordnung.

Auch in Deutschland leiden diese entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter dieser Schieflage. Über 560.000 dieser Art Beschäftigter verdienten ihr Geld 2016, also im vergangenen Jahr, hier bei uns in Deutschland. Einige von ihnen haben bis zu 50 % weniger verdient als lokale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit derselben Tätigkeit.

Die Europäische Kommission und die europäischen Arbeits- und Sozialminister haben dieses Problem längst erkannt und Lösungsvorschläge vorgelegt, die beispielsweise diesen Freitag, also morgen, in Göteborg diskutiert werden. Ich meine, es ist an der Zeit, sich auf allen politischen Ebenen aktiv für eine Reform der Entsenderichtlinie einzusetzen. Und natürlich – wen wundert es? – geht dabei mein Appell in erster Linie an die Landesregierung.

Einige Punkte, die dabei besonders wichtig sind, möchte ich Ihnen im Folgenden an sechs Beispielen aufzeigen:

Erstens. Zunächst einmal muss sichergestellt werden, dass entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den gleichen arbeitsrechtlichen Schutz erhalten wie ihre – in Anführungszeichen – inländischen Kolleginnen und Kollegen. Aktuell profitieren entsandte Beschäftigte in Deutschland nur von einem Bruchteil der Tarifregelungen, die für inländische Beschäftigte gelten.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund beklagt vollkommen zu Recht, dass nur ein verschwindend geringer Teil von Tarifverträgen in Deutschland Regelungsbereiche enthält, die international zwingend gelten. Um effektiv gegen Lohndumping und Wettbewerbsverzerrung vorgehen zu können, müssen auch entsandte Beschäftigte Zugang zu tariflichen Regelungen bekommen.

Das schließt im Übrigen auch regionale und sektorspezifische Tarifverträge mit ein. Beispielsweise wäre gerade im Transportsektor, der von der anstehenden Neuregelung bisher ausgeklammert wurde, eine Einbeziehung von Entsandten in tarifliche Regelungen ein immens wichtiger Schritt gegen sektorspezifische Formen des Sozialdumpings wie das sogenannte moderne Nomadentum.

Tarifverträge, meine Damen und Herren, müssen auch für entsandte Beschäftigte gelten.

Zweitens. Leider ist es gängige Praxis, Kosten für Anreise, Unterkunft oder Verpflegung vom Lohn entsandter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzuziehen. Dahinter steckt nichts anderes – das darf man so deutlich sagen – als Betrug und die eiskalte Ausbeutung Schwächerer.

Unser Arbeitsrecht verbietet aus guten Gründen diese Art des Lohnabzugs. Niemand, der in Deutschland sein Geld verdient, darf dieser Form der Ausbeutung ausgesetzt sein. – Dafür, meine Damen und Herren sollte sich die Landesregierung des größten deutschen Bundeslandes einsetzen.

(Minister Karl-Josef Laumann: Tut sie!)

Drittens. Große Probleme gibt es auch in Bezug auf die Dauer der Entsendungen. Die EU-Sozialminister haben sich auf eine Begrenzung der Entsendedauer auf zwölf und in Ausnahmefällen auf 18 Monate geeinigt. Im Vergleich zu den ursprünglich von der Kommission anvisierten 24 Monaten ist das – das muss man zugeben – schon eine deutliche Verbesserung.

Das Europäische Parlament hat ausgerechnet, dass beispielsweise auf das Baugewerbe 42 % der Entsendungen entfallen. In diesem Gewerbe dauern die allermeisten Arbeiten laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund unter sechs Monaten. Der Europäischen Kommission zufolge liegt die durchschnittliche Entsendedauer insgesamt sogar unter vier Monaten.

Um Kettenentsendungen und den regelmäßigen Austausch von Entsandten zu unterbinden, brauchen wir eine vernünftige Begrenzung der Entsendedauer.

Viertens. Ein weiterer Missstand, den wir seit Jahren beobachten können, ist die Möglichkeit für Unterauftragnehmer, ihren Beschäftigten ein geringeres Entgelt zu zahlen, als der inländische Hauptauftragnehmer es tun würde.

Dieser Form des Sozialdumpings muss schon bei der Auftragsvergabe Einhalt geboten werden. Deshalb muss die Auftragsvergabe an ausländische Subunternehmen an die gleichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen wie für inländische Unternehmen geknüpft sein.

Fünftens. Die Umdeutung der Entsenderichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof zu einem Maximalstandard war ein großer Fehler, der das ursprüngliche Ziel, die Situation entsandter Beschäftigter zu verbessern – ich habe es bereits eingangs erwähnt –, vielerorts in das Gegenteil verkehrt hat. Dieser Fehler wird seit Jahren nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und von der Europäischen Kommission massiv kritisiert.

Es muss also ein für alle Mal klargestellt werden, dass die Entsenderichtlinie Minimalstandards und nicht Maximalstandards festlegt. Diese Minimalstandards müssen im Übrigen von den Mitgliedstaaten jederzeit problemlos erhöht werden können.

Sechstens. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ steht im Zentrum der Debatte über die Entsenderichtlinie. – Dies muss ein integrativer Bestandteil aller zukünftigen Reformen sein. Darauf sollte auch die Landesregierung in NRW hinarbeiten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf sämtlichen Ebenen wurde in den vergangenen Monaten und Jahren in Europa dafür gekämpft, dass entsandte Beschäftigte keine Beschäftigten zweiter Klasse sind. Ich sage Ihnen noch einmal, was ich zu Beginn meiner Rede gesagt habe: Die Dienstleistungsfreiheit in Europa ist ein hohes Gut und eine große Errungenschaft, von der wir alle profitieren. Aber diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die grenzüberschreitend ihr Geld verdienen, brauchen einen besonderen Schutz. Diesen Schutz bekommen Sie nicht durch die aktuelle Form der Entsenderichtlinie.

Wir fordern deshalb die Regierung des Landes NRW noch einmal auf, sich intensiv für eine Reform der Richtlinie im Sinne der eben dargelegten Punkte einzusetzen.

Ich freue mich auf die spannende Diskussion im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Krauß.

Oliver Krauß (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Berlin erleben wir eine SPD, die für Regierungsaufgaben von vornherein nicht mehr zur Verfügung stehen will. Dort lehnt die SPD die Übernahme von Verantwortung schlichtweg ab.

Umso mehr begrüßen wir den Antrag, mit dem Sie, lieber Kollege Weiß, nun mit Ihren Kolleginnen und Kollegen von der SPD den Landtag auffordern, sich mit offenkundigen Inspirationen aus dem Kursbuch Ihrer bisherigen Bundesministerin Andrea Nahles zu befassen. Aber Sie rennen bei uns offene Türen ein.

Zu Ihrem Vorwurf, die NRW-Koalition habe ein soziales Europa nicht auf der Agenda, kann ich Ihnen nur empfehlen: Bleiben Sie heute bitte bis zum letzten Punkt der Tagesordnung hier im Hause; denn nachher steht genau das auf unserer Tagesordnung. Unser Antrag lautet, die grenzüberschreitende Kooperation mit den Niederlanden und mit Belgien zu intensivieren, den europäischen Zusammenhalt zu fördern und die strukturellen Verknüpfungen auszubauen. Da geht es um den gemeinsamen Arbeitsmarkt. Da geht es um sozialen Ausgleich, um den Abbau von dem, was uns trennt.

So steht es übrigens auch im Koalitionsvertrag. Gerade so arbeiten wir an einem sozialen Europa. Damit machen wir konkret, was der alte Koalitionsvertrag von Rot-Grün nur abstrakt forderte, nämlich eine starke Region Nordrhein-Westfalen in – ich zitiere aus 2012 –: „einem demokratischen, sozialen, ökologischen, transparenten, handlungsfähigen, nachhaltigen und stabilen Europa“. – So haben Sie das damals wirklich zu Papier gebracht. Sieben Attribute, die wir aber so unterschreiben können!

Meine Damen und Herren, die Überarbeitung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern ist nach mehr als 20 Jahren die Chance, engagiert auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Es gilt, das Arbeitnehmerrecht in der Dienstleistungsfreiheit eines lebendigen Binnenmarktes hochwertig zu gewährleisten. Es gilt, das Unterlaufen von Standards gegen Lohndumping und gegen Sozialdumping zu unterbinden. Sie haben das zu Recht dargestellt. Wir müssen endlich Rechtsklarheit schaffen, welche Lohnzuschläge mit der Entlohnung verrechnet werden dürfen. Da sind wir bei Ihnen.

Eines klang mir gerade ein bisschen zu wenig an: Wir müssen selbstverständlich auch die Einhaltung dieser Regelungen kontrollieren.

Das sind hervorragende Ziele. Diese Ziele liegen im besonderen Interesse unseres Landes Nordrhein-Westfalen.

Der Kompromiss, den der Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments nun gefunden hat, und das Votum der Arbeits- und Sozialminister legen die Eckpunkte fest. Sie haben das Minimum dargestellt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, die Stärkung von Tarifverträgen noch über den Kommissionsvorschlag hinaus, kein Abschlag von Verpflegungs- und Unterbringungskosten. – Auf dieser Grundlage ist nun eine gemeinsame Linie zwischen dem Parlament und den Mitgliedsstaaten zu verhandeln. Dafür müssen alle Schutzbelange in die Waagschale geworfen werden.

Wir haben dabei vorrangig das Mandat für unsere heimischen Beschäftigten, die dauerhaft an die herkömmlichen Sicherungsstandards und an die hiesigen Lebenshaltungskosten gebunden sind. Das gilt ebenso für die Unternehmer. Dafür treten wir ein. Keine Wettbewerbsverzerrungen, kein „Race to the bottom“!

Wir nehmen heute die Frage mit, wie der Kompromiss zielführend gestrafft werden kann. Darin sind wir dem Grundanliegen Ihres Antrags verbunden. Aber wir gehen nicht mit, wenn blindlings argumentiert wird. Wir gehen nicht mit, wenn der Wettbewerb des Binnenmarktes, von dem wir überragend profitieren, überreguliert wird. Wir gehen nicht mit – wir haben das heute schon einmal in einer Debatte gehört –, wenn unverhältnismäßige Bürokratisierung erzeugt und nicht beachtet wird, wie praktikabel eine Anwendung überhaupt ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In einer EU mit 28 oder auch 27 Mitgliedstaaten sind entsprechend viele Gesellschaften, verschiedene Kulturen, verschiedene Sprachen und verschiedene rechtliche Differenzierungen zu beobachten. In der Bundesrepublik gibt es knapp 450 allgemeinverbindliche Tarifverträge, aber 73.000 Verträge, die im Tarifregister eingetragen sind.

Die Europäische Menschenrechtskonvention und unser Grundgesetz schützen aber auch die negative Koalitionsfreiheit. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber lassen sich also nicht ohne Weiteres an repräsentative Tarifverträge binden.

Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Die NRW-SPD hat sich hier keine großen Verdienste erworben, als es um das Eintreten dafür ging, allgemeinverbindliche Sozialstandards auch global zu realisieren. Es war Ihr Fraktionsvorsitzender, der leider gerade nicht da ist, der das Abkommen TTIP als totes Pferd brandmarkte. Es ist ein Abkommen, mit dem wir eine große Chance hatten, diese Standards zu setzen. Für die Umsetzung unserer Standards sind wir nämlich auf die Partner angewiesen. Weder die europäische Familie noch die internationale Gemeinschaft lässt sich das so einfach verordnen.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber Sie können ja einmal anfangen!)

Die USA lässt es sich aktuell ohnehin nicht verordnen, Frau Kollegin, ebenso wenig wie unsere osteuropäischen Partner Polen oder Ungarn und erst recht nicht die Weltstaatengemeinschaft.

In dem Sinne wollen wir als NRW-Koalition die Kompromisssuche konzentriert und konstruktiv begleiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Für die FDP-Fraktion spricht Kollege Lenzen.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Man könnte es in die Kategorie packen: Die SPD-Fraktion versucht mit diesem Antrag, sich als Vorkämpfer eines sozialeren Europas darzustellen. – Dabei ist die Sicht eben doch sehr einseitig; denn Sie sehen nur die Gefahren von Lohn- und Sozialdumping, aber nicht die Bedeutung von Binnenmarkt und grenzüberschreitendem Wettbewerb für den Wohlstand in der Europäischen Union und in Deutschland.

Die Entsendung von Beschäftigten ist untrennbar mit der Dienstleistungsfreiheit verknüpft. Entsendungen betreffen nicht nur gering entlohnte Arbeitnehmer aus den östlichen Mitgliedstaaten, sondern ebenfalls hochqualifizierte Mitarbeiter. So liegt Deutschland zwar einerseits mit über 400.000 aufgenommenen entsandten Arbeitnehmern an der Spitze; andererseits wurden aus Deutschland selbst rund 240.000 Beschäftigte ins europäische Ausland entsandt. Da frage ich mich natürlich beim Kollegen Krauß

(Zuruf)

– sorry –, natürlich beim Kollegen Weiß, wie die einseitige Sichtweise mit der tatsächlichen Realität zusammenpasst. Ein einfaches Beispiel: Beim relativen Anteil der Entsendungen an allen Beschäftigten liegt Luxemburg deutlich vor allen anderen Mitgliedstaaten. Das ist sicher kein Niedriglohnland.

Diese Daten zeigen, dass eine differenzierte Betrachtung erforderlich ist.

Wenn ich den Kollegen Krauß schon genannt habe, dann möchte ich das in einem richtigen Zusammenhang tun. Der Hinweis war vollkommen richtig.

Liebe Kollegen der SPD, bleiben Sie bitte bis zum Ende, außer, Sie haben weitere Tätigkeiten in den benachbarten Niederlanden. Ansonsten wäre es schön, wenn wir hier bis zum Ende debattieren könnten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir Freien Demokraten treten für einen angemessenen Ausgleich zwischen Dienstleistungsfreiheit und dem Schutz von Arbeitnehmern ein. Unverhältnismäßige Eingriffe lehnen wir jedoch ab.

Insofern war es sinnvoll, mit der Entsenderichtlinie von 96 und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz des Bundes Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festzulegen, zum Beispiel die Mindestlöhne in bestimmten Branchen sowie die Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dies gehört auch für uns zu einem fairen Wettbewerb.

Viele der von der SPD angesprochenen Probleme beruhen allerdings auf der eher unzureichenden Durchsetzung der bestehenden Regelungen. Gerade in der Bauwirtschaft haben einige schwarze Schafe die Vorgaben zulasten der Beschäftigten unterlaufen. Dort benötigen wir eben nicht noch mehr Regelungen, sondern eher wirksame Kontrollen. Nicht ohne Grund wollte die EU mit der Durchsetzungsrichtlinie von 2014 diese Probleme angehen. Darauf sollten wir uns jetzt zunächst konzentrieren. Die Diskussion um die Revision der Entsenderichtlinie ist für diesen Prozess aber eher hinderlich.

(Heiterkeit von der SPD – Nadja Lüders [SPD]: Weil ja seit 2014 so viel passiert ist!)

Verehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie postulieren das hehre Ziel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Diesem Grundsatz können wir folgen.

Wir können aber nicht außer Acht lassen, dass die Umsetzung zahlreiche Fragen aufwirft. Zum Beispiel gelten im Bau- und Baunebengewerbe regional und sektorspezifisch sehr differenzierte Tarifverträge, während wir in der Altenpflege wegen der fehlenden Tarifbindung nur auf die Mindestlöhne als verbindliche Grundlage zurückgreifen können. Ihre Forderung würde also in einigen Branchen, wo allenfalls verbindliche Mindestlöhne anstehen, gegenüber der heutigen Rechtslage kaum zu Veränderungen führen.

In anderen Branchen würde hingegen ein erheblicher bürokratischer Aufwand entstehen,

(Nadja Lüders [SPD]: Und deswegen lassen wir das dann?)

und zwar allein bei der Bewertung von Arbeitsverhältnissen und der Einstufung der jeweiligen Beschäftigten. Ausländische Arbeitgeber müssen nicht nur die Vorgaben der jeweiligen Tarifverträge in zentralen Registern finden, sondern auch deren Inhalte nachvollziehen und anwenden können. Dies führt neben einem erhöhten Aufwand für Bearbeitung und Dokumentation vor allem zu Rechtsunsicherheit.

Wir sollten auch nicht vernachlässigen, dass die aktuellen Reformvorschläge zwar im Ministerrat und im EU-Parlament eine Mehrheit gefunden haben, aber auf erbitterten Widerstand der östlichen Mitgliedsstaaten stoßen. Der Vorwurf eines innereuropäischen Protektionismus ist auch nicht von der Hand zu weisen. Der Zugang zum deutschen oder französischen Markt wird für Anbieter, zum Beispiel aus Polen oder der Slowakei, durch erweiterte Regulierungen erschwert. Es stellt sich dann die Frage, ob die Arbeitnehmer aus diesen Ländern vom verbesserten Schutz oder höheren Löhnen wirklich profitieren oder eher ihre Arbeit verlieren, weil die Entsendungen zum Erliegen kommen. Das sollte die SPD ebenfalls berücksichtigen.

Verehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Kompromissvorschläge auf europäischer Ebene werfen bereits viele Fragen auf. Sie, verehrte SPD, wollen mit Ihrem Antrag aber noch darüber hinausgehen und auch das Transportgewerbe einbeziehen, bei dem die Frage des Beschäftigungsortes kaum zu lösen ist. Ich meine, da ist schon eine Frau Nahles bei dem Vorhaben gescheitert, den gesetzlichen Mindestlohn im Transitverkehr durch Deutschland einzufordern.

Wir sollten die weiteren Diskussionen auf EU-Ebene abwarten und hier nicht wieder verschärfte Regulierungen fordern. Der SPD-Antrag ist aus unserer Sicht völlig unnötig, aber wir können gerne im Ausschuss über die weitere Form der Entsenderichtlinie beraten und diskutieren. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debatte und insbesondere die Debattenredner der Koalitionsfraktionen hier aufmerksam verfolgt, beschleicht mich zumindest das Gefühl, dass das wahre Problem, um das die europäische Debatte derzeit kreist, woran Europa zurzeit krankt und bei dem viele fragen: „Wie können wir den Menschen Europa wieder näherbringen?“, bei Ihnen noch nicht angekommen ist. Umgangssprachlich würde ich sagen: Sie haben den Knall noch nicht gehört.

Zurzeit beschäftigt doch alle, die für eine verstärkte europäische Integration werben: Was kommt bei den Menschen eigentlich von Europa an? Was haben die Menschen von Europa? Wenn man dann nach dem letzten großen europäischen Projekt fragt: Achselzucken; und vielleicht fällt einem noch der Euro ein.

Klar ist aber: Das Empfinden bei den Menschen in Europa ist, dass es so etwas wie eine Schieflage gibt. Das Kapital und der Wettbewerb haben überall Vorfahrt und freie Fahrt, aber die Menschen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind einer bestimmten Linie, nämlich einer auf Binnenmarkt orientierten Linie, untergeordnet.

Das ist nicht gerecht, und deshalb steht die Frage im Raum: Wie kann Europa gerechter gestaltet werden? – Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine der wichtigsten Gegenwartsfragen ist, wie die Schieflage in Europa wieder in eine gerade Linie gebracht werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger müssen das Gefühl und vor allem die Gewissheit haben, dass es die europäische Gemeinschaft ist, dass es unsere Gemeinschaft ist, in der es gerecht zugeht. Das betrifft insbesondere das alltägliche Arbeitsleben.

Welche Gerechtigkeit erleben inländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn Leihkräfte aus anderen EU-Ländern die gleiche Arbeit günstiger anbieten können, weil für sie eine geringere soziale Absicherung in ihrem Herkunftsland geleistet werden muss, oder wenn sie erleben müssen, dass Regelungen über die Verweildauer dieser entsendeten Arbeitskräfte einfach ausgehebelt werden können? Welche Gerechtigkeit erleben umgekehrt ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie bei ihrer Arbeit im EU-Ausland weniger Lohn als die Kräfte vor Ort erhalten und oftmals von Zuschlägen, Tagegeldern, Eingruppierungsbestimmungen oder Sonderzahlungen gar nicht profitieren?

Die bisherige Richtlinie hat es leider ermöglicht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenseitig ausgespielt werden können. Es muss aber endlich Schluss damit sein, dass in Europa Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenseitig ausgespielt werden. In Europa gilt der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das muss im Mittelpunkt der Debatte stehen.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Neumann [SPD])

Durch die bestehenden Regelungen wird seit Jahren die Axt an das Zusammengehörigkeitsgefühl der EU-Bürgerinnen und -Bürger gelegt. Diese Regelungen zerstören auch den Glauben der Bürgerinnen und Bürger, dass dieses Europa für bessere Lebensverhältnisse sorgt. Das ist aber doch genau das, was wir politisch brauchen: eine Hoffnung, eine Vision, eine Zukunft, dass dieses Europa eben bessere Lebensbedingungen für alle Menschen schafft, die hier leben. Deshalb braucht es gerade diese Regelung.

Deshalb sollten wir die Gelegenheit ergreifen, die in der Konstellation darauf hindeutet, dass es nach langen Diskussionen gelingen kann, diesen Grundsatz auch zur Wirklichkeit werden zu lassen, und das möglichst ohne Ausnahmen.

Es ist in der Tat nicht ganz einfach mit dem Transportgewerbe, aber die politischen Anstrengungen sollten zumindest in die Richtung gehen. Man sollte nicht von vornherein, wie gerade gehört, die Flinte ins Korn werfen und sagen: Es bringt sowieso nichts, sich zu engagieren. – Auch das Transportgewerbe gehört dazu, wenn es darum geht, diese Grundsätze entsprechend zu verankern.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Neumann [SPD])

Wichtig ist auch, dass es keine Ausnahmen gibt und wir deshalb hier noch einmal nachlegen müssen.

Unsere Fraktion unterstützt den Antrag der SPD. Er ist auch vor dem Hintergrund des anstehenden Sozialgipfels, der in Schweden stattfindet, ein wichtiger Schritt. Das ist eine weitere europäische Säule, um die sozialen Rechte zu stärken und mit mehr Substanz zu füllen. Es ist nicht nur ein wichtiges Symbol, der Inhalt ist wichtig, um Europa für die Menschen wieder lebendiger zu machen und als unsere gemeinsame Zukunft zu beschreiben.

Die SPD-Fraktion bemängelt in ihrem Antrag zu Recht, dass der Vertrag der neuen Koalition zumindest im Hinblick auf ein soziales Europa wenig Substanz bietet. Sie haben hier die Gelegenheit, nachzubessern. Ihre Reden allerdings haben bei mir Zweifel ausgelöst, dass Sie den festen Willen haben, genau das zu tun.

Wir sollten im Übrigen auch nicht dabei stehen bleiben, „nur“ endlich gleiche Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa zu schaffen. Ich denke, es ist noch wichtiger, auch ein zweites großes soziales Projekt mit allem Nachdruck anzugehen. Es muss in Zukunft unser gemeinsamer Wille sein, dass in diesem Europa jeder Jugendliche eine gute Ausbildung findet, dass ihm diese garantiert wird, damit endlich klar wird: Dieses Europa ist die Zukunft für die Menschen, die darin leben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD spricht jetzt Herr Kollege Tritschler.

Sven Werner Tritschler (AfD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Anliegen dieses Antrages ist gut. Der Schutz unserer Arbeitnehmer vor ausländischer Dumping-Konkurrenz ist gut, gleichwohl ist die SPD hier unredlich. Davon abgesehen, dass der Antrag nicht in den Landtag, sondern besser in den Bundestag oder in das EU-Parlament passt, kann ich ihn nur als pure Heuchelei bezeichnen.

Die Entsenderichtlinie in dieser Fassung wurde doch im Rat der EU von einer sozialdemokratischen deutschen Ministerin mitbeschlossen. Frau Barley, die ja den Nachlass von Frau Nahles mitverwaltet, ist doch nach wie vor amtierende Arbeitsministerin mit Stimmrecht im Rat. Das ist Ihre Parteifreundin. Wenn Sie Kritik haben, rufen Sie sie doch einfach an.

Aber menschlich kann ich das nachvollziehen. Sie sind jetzt neu in der Opposition. Das muss man erst einmal lernen, wir kennen das. Ich biete Ihnen gerne Hilfe an. Wir können gerne zusammen einen Workshop „Opposition“ machen.

(Beifall von der AfD – Nadja Lüders [SPD]: Oha! – Helmut Seifen [AfD]: Sie wollen doch bestimmt niemanden ausgrenzen!)

Bis dahin ist meine Empfehlung: Stellen Sie die Anträge da, wo sie hingehören, und schauen Sie vorher noch einmal nach, was Sie in Ihrer Regierungszeit so gemacht oder verbrochen haben. Denn das Problem, für das Sie hier Abhilfe schaffen wollen, haben doch die Sozialdemokraten geschaffen.

Die Rumänen und Bulgaren, um die es hier in erster Linie geht, wurden von keinem Geringeren als von Gerhard Schröder in die EU aufgenommen. Es gab genug Stimmen, die davor gewarnt haben, den deutschen Arbeitsmarkt in Anbetracht des gewaltigen Wohlstandsgefälles einfach vorbehaltlos für Arbeitnehmer aus diesen Ländern zu öffnen. Sie, die sogenannte Sozialdemokratie, haben dabei lieber auf Industrie-lobbyisten gehört, die sich auf das Millionenheer der Lohndrücker gefreut haben.

(Beifall von der AfD)

Es ist hier, wie so oft: Sie schaffen ein Problem, und dann gebärden Sie sich als soziales Gewissen der Nation, indem Sie es zu lösen versuchen.

(Beifall von der AfD)

Erst lassen Sie geringqualifizierte Deutsche in einem Meer von fremdländischen Billiglöhnern ersaufen, und dann schmeißen Sie einen kaputten Rettungsring hin. Das, meine Damen und Herren, ist nicht sozial, es ist zynisch und menschenverachtend.

(Beifall von der AfD)

Es ist quasi das arbeitsrechtliche Gegenstück zu Ihrer Placebopolitik bei der Mietpreisbremse. An der einen Stelle machen Sie die Grenze für billige Arbeitnehmer auf, an der anderen Stelle für die Nachfrage nach billigem Wohnraum. Unter Ihren Open-Border-Hirngespinsten leiden dann immer dieselben: die kleinen Leute, mit denen es die Sozialdemokratie ja ach so gut meint.

Versuchen Sie daher bitte nicht, den Menschen im Land mit solchen Luftnummern Sand in die Augen zu streuen. Die deutsche Sozialdemokratie ist eine der Hauptschuldigen am Lohndumping in Europa, und sie ist noch nicht einmal bereit, es zuzugeben.

(Beifall von der AfD)

Stattdessen soll jetzt die NRW-Landesregierung, die ja bekanntlich in Brüssel so viel zu sagen hat, das durchsetzen, was Ihre eigene Bundesministerin und Ihre eigenen EU-Abgeordneten nicht hinbekommen haben. Hier im Landtag jetzt Krokodilstränen darüber zu vergießen, ist in etwa so glaubhaft wie die Kanzlerambitionen Ihres Parteichefs.

(Beifall von der AfD)

Versuchen Sie sich vielleicht einmal in der Landespolitik. Ja, ich weiß, das ist auch nicht so einfach; denn da haben Sie auch mehr Dreck am Stecken als jeder andere hier im Haus. Aber daran führt nichts vorbei.

Die AfD jedenfalls unterstützt Ihr Vorhaben im Grundsatz und hat daher auch kein Problem, einer Überweisung an den Ausschuss zuzustimmen.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war der Abgeordnete Tritschler von der Fraktion der AfD. – Als Nächster hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Um es vorwegzusagen: Ich bin der Meinung, dass die Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie geändert werden muss. Ich meine aber auch, dass der im Ministerrat erreichte Kompromiss besser ist, als immer mehr zu fordern und damit die Verabschiedung immer mehr hinauszuzögern. Deswegen ist meine Zielsetzung, dass erst einmal der Kompromiss in einer Änderung der Entsenderichtlinie umgesetzt werden sollte.

Jedes Jahr werden etwa 2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedsstaat der EU entsandt. Das macht zwar nur 1 % der Gesamtbeschäftigung der Europäischen Union aus, dennoch ist die Entsendung in einigen Branchen, wie im Baugewerbe oder im Dienstleistungsbereich, ein wichtiger Faktor.

Die deutsche und auch die nordrhein-westfälische Wirtschaft nutzen die Möglichkeit der Entsendung in beide Richtungen sehr intensiv. Nach Zahlen der Kommission sind 420.000 Personen aus anderen EU-Staaten bei uns tätig. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 180.000, in Belgien 150.000. Aber deutsche Unternehmen senden auch 240.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in andere EU-Mitgliedsstaaten. Auch hier zum Vergleich: Polen entsendet 460.000 Arbeitnehmer in die Europäische Union, Frankreich 140.000 Arbeitnehmer.

Für eine Entsendung kann es sehr gute Gründe geben. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden konzentriert zur Erbringung von Dienstleistungen entsandt, oder Teile der Arbeit werden grenzüberschreitend an spezialisierte Subunternehmer vergeben.

Für mich ist die Tatsache, dass so viele Menschen jenseits der Staatsgrenzen tätig werden, auch ein Zeichen für ein starkes Europa. Das zeigt, dass Europa funktioniert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mir ist aber auch klar, dass es Fälle gibt, in denen es bei der Entsendung nur darum geht, das starke Lohngefälle in der Europäischen Union auszunutzen. Das ist der Fall, wenn billige Arbeitskräfte zu Dumpinglöhnen und mit geringen Sozialleistungen beschäftigt werden. Ich finde es ungerecht, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland für die gleiche Arbeit am gleichen Ort nicht den gleichen Lohn erhalten.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es ist ein Problem für unser Wirtschaftsgefüge, wenn ausländische Arbeitskräfte hier den Mindestlohn erhalten, damit ein Einkommen erzielen, von dem sie zu Hause nur träumen können, und zusätzlich nur die meistens geringeren Sozialversicherungsbeiträge aus dem Herkunftsland bezahlt werden müssen. So übt man Druck auf unsere Belegschaften aus, die aber dauerhaft die höheren Kosten der Lebenshaltung und der sozialen Absicherung hier in Deutschland erwirtschaften müssen. Das zu verschweigen, wäre falsch, und da müssen wir auch ganz genau hinschauen.

Als die Entsenderichtlinie 1996 erlassen wurde, sollte sie einen fairen Rechtsrahmen für die Lebens- und Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer setzen. Damals klaffte im Lohngefüge zwischen den Mitgliedsstaaten noch nicht eine so große Lücke. Jetzt aber liegen zum Beispiel die Arbeitskosten – wir haben es heute schon mal gehört – in Dänemark bei 43,40 €, in Bulgarien aber nur bei 4,40 € und bei uns in Deutschland bei 33,40 €, im Durchschnitt bei 25,70 €.

Wenn sich Löhne so spreizen, ist der Anreiz dieses Lohngefälles, in andere Staaten zu exportieren, natürlich sehr groß. Man weiß ja, dass bei Entsendungen, wenn sie zu diesen Bedingungen angeboten werden, die Löhne immer rund ein Drittel unter unseren Verhältnissen liegen.

Es geht dabei nicht ausschließlich um Arbeitnehmerrechte. Auch Arbeitgeber, die keine Subunternehmer beschäftigen, können in einem solchen Wettbewerb schlicht und ergreifend nicht mithalten. An der Schnittstelle der Entsenderichtlinie zeigt sich daher, wie soziale Aspekte im Verhältnis zum Binnenmarkt gewichtet werden.

Der jetzt im Ministerrat vorgeschlagene Kompromiss ist, finde ich, eine Chance. Wir sollten sie nutzen und dafür sorgen, dass die Länder der Europäischen Union in der wichtigen Frage des Gleichgewichts zwischen sozialen Aspekten und Binnenmarkt wieder aufeinander zukommen.

Die Eckpunkte der Vereinbarung sehen doch vor, dass diese im Einklang mit den Entlohnungsvorschriften, die für die lokalen Arbeitnehmer gelten, auch für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewandt werden müssen. Im Klartext: Für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge aus allen Wirtschaftszweigen finden Anwendung auf entsandte Arbeitnehmer. Ebenso ist das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ durch das, was jetzt durch die Kommission verabschiedet worden ist, gestärkt.

Auch die Klarstellung in den Kompromissvorschlägen, also in den Vorschlägen der Kommission, welche Lohnzuschläge für die Entsendung mit der Entlohnung verrechnet werden dürfen und welche nicht, ist zu begrüßen. Damit können Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern nicht mehr ohne Weiteres mit der Entsendung zusammenhängende Kosten auf den Lohn anrechnen und so den Lohn drücken.

Die Verkürzung der Entsendedauer von 24 auf zwölf Monate ist grundsätzlich ein Fortschritt, auch wenn sie einmalig um sechs Monate verlängert werden kann. Immerhin gilt nach dieser Zeit – mit wenigen Ausnahmen – das gesamte Arbeitsrecht des aufnehmenden Landes.

Ähnlich ist es mit der Herausnahme des Verkehrsbereichs. Eine weitreichende Regelung hätte uns geholfen. Aber darüber zu diskutieren, während halb Europa anderer Ansicht ist, führt dazu, dass der Rest niemals in Kraft treten wird. Um ehrlich zu sein: Die Übergangsfrist von drei Jahren und die Umsetzung dann erst in vier Jahren ist natürlich sehr lang, aber sie ist auch ein Teil des Kompromisses.

Aber Europa ist kein einheitliches Gebilde. Europa lebt ein Stück weit von den Unterschieden zwischen den Staaten. Zu glauben, dass wir diese Unterschiede wegbekommen, diese unterschiedlichen Interessen bei der Entsendung, ist eine Illusion. Deswegen muss man sich eben auf einen Kompromiss einigen, der unterschiedliche Interessen in Europa zusammenbringt. Ich finde, dass die Regelung dieses Kompromisses im Ministerrat ein Schritt in die richtige Richtung ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich freue mich auf die Diskussionen über diese Frage in unserem Ausschuss. Doch dabei muss man immer wissen, dass wir Deutsche, aber auch andere Interessen haben.

Deswegen ist dieser Kompromiss aus meiner Sicht als Arbeitsminister hier im Land eine akzeptable Grundlage, um zu mehr Schutz der entsandten Arbeitnehmer zu kommen und Druck von den deutschen Belegschaften und den Unternehmen, die keine Subunternehmer beschäftigen, zu nehmen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Schmitz das Wort.

Marco Schmitz (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich weiß nicht, ob Sie die Pressemitteilung Ihrer „Übergangsarbeitsministerin“ vom 24. Oktober gelesen haben. Aber Frau Barley hat bestätigt: Ja, wir werden den Beschluss im Ministerrat unterstützen, die Bundesregierung steht voll dahinter. Unser Landesarbeitsminister hat das doch gerade noch einmal bestätigt: Ja, wir wollen das unterstützen.

Das ist ein bisschen so, als wären Sie hinter den fahrenden Zug gesprungen. Denn alles das, was Sie hier fordern, ist bei den regierungstragenden Parteien ohnehin Konsens.

(Beifall von der CDU)

Insgesamt führt der Kompromiss im Bereich der Entsenderichtlinie zu einer sachgerechten Balance zwischen Dienstleistungsfreiheit und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten.

Herr Remmel, ich möchte noch einmal auf Sie eingehen. Sie haben gesagt: Was erwarten wir eigentlich von der Europäischen Union? Was erwarten denn unsere Bürgerinnen und Bürger? – Die erwarten, dass die Europäische Union ihnen hilft. Genau dafür sorgt dieser Kompromiss.

Was ihnen nicht hilft, ist eine Überregulierung, indem Sie fordern: Wir wollen noch das haben, und wir wollen noch jenes haben. – Das hilft uns nicht. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land möchten, dass ihnen die Europäische Union hilft. Aber es bringt nichts, da noch mehr Regulierung hineinzubringen. Da muss man immer Maß und Mitte beachten.

Der Kompromiss sorgt für eine faire Entlohnung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die von ihren Firmen zum Beispiel aus Ost- oder Südeuropa nach Deutschland entsandt werden. Diese haben bisher lediglich Anspruch auf den Mindestlohn und müssen bei gleicher geleisteter Arbeit teilweise mit einem Bruchteil der Bezahlung ihrer deutschen Kollegen vorliebnehmen. Zum Glück – es ist mehrfach gesagt worden – wird die Zeit jetzt auf zwölf, in Ausnahmefällen auf 18 Monate reduziert.

Das hilft, die Lohnkonkurrenz zulasten der hier ansässigen Beschäftigten zu verhindern. Die dauerhaft höheren Kosten für Lebensunterhalt und soziale Absicherung in Deutschland schlagen natürlich auf diese Kosten drauf, und da unterstützt uns das Ganze.

Wir wissen, dass es trotzdem immer noch schwarze Schafe gibt, die diese Regelung unterhöhlen, sei es durch Briefkastenfirmen, sei es durch Untervergabekonstruktionen. Das wird sicherlich ein Punkt sein, auf den wir in den Beratungen eingehen müssen und bei dem ein ordnungspolitisches Gegensteuern notwendig ist. Wir sollten bedenken, dass es in der abschließenden Beratung zwischen dem Parlament und dem Europäischen Rat noch Möglichkeiten gibt, darauf einzugehen.

Eines möchte ich den beiden Oppositionsparteien SPD und Grüne aber noch mitgeben: Sie wollen uns das Gefühl vermitteln, wir seien gegen gleichen Lohn für gleiche Arbeit im gleichen Land. Das sind wir doch gar nicht. Das ist Common Sense. Wir wollen in dem Bereich doch alle das Gleiche. Deswegen bin ich sehr gespannt auf die Beratungen in den Ausschüssen. – Ich bedanke mich und wünsche noch einen schönen Tag.

(Beifall von der CDU, der FDP und Roger Beckamp [AfD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schmitz. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Neumann für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Josef Neumann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, wie stark oder wie schwach die Entsenderichtlinie ist, dokumentiert letztendlich die Frage, wie stark oder wie schwach die Europäische Union mit den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umgeht.

Eine starke europäische Entsenderichtlinie, die sich insbesondere um das Kerngebiet der Leiharbeit kümmert – es geht im Grunde genommen um die Verleihung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern –, ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt ein sozial gerechtes Europa hinzubekommen. Wir haben uns hier im Hohen Hause in den letzten Monaten und im letzten Jahr ausgiebig mit der Europäischen Union beschäftigt. Schade, dass der Europaminister bei dem Thema jetzt nicht anwesend ist; denn es ist ein kerneuropäisches Thema.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD] – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich möchte daran erinnern, dass insbesondere die Debatte um den Brexit auch eine Debatte um soziale Standards war. Wer sich mit dem Brexit und der Frage, warum bestimmte Wählerinnen- und Wählergruppen in Großbritannien so abgestimmt haben, beschäftigt, muss sich auch mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit beschäftigen.

Eine der zentralen Fragen betrifft Lohndumping und Einkommensdumping in Europa und die Bedrohung ganzer Belegschaften in den Staaten der Europäischen Union dadurch. Dem kann man nicht einfach widersprechen und sagen: Das ist alles nicht so, alles ist so schön. – Wir wissen, dass die Realität in vielen Branchen, und zwar nicht nur im Baugewerbe und im Transportgewerbe, völlig anders aussieht.

Eine starke Entsenderichtlinie – ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Faktor – schützt die Beschäftigten in unseren Betrieben, schützt die Belegschaften in unseren Stammbetrieben hier vor Ort vor Lohndumping. Deshalb ist es so wichtig, die Entsenderichtlinie zu unterstützen.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD])

Ja, es mag ein Fehler gewesen sein, im Zuge der Massenarbeitslosigkeit der letzten Jahre bestimmte, so nenne ich es mal, Erleichterungen in diesem Bereich zuzulassen. Die Folgen haben wir erlebt, als Unternehmer, nachdem es ihrem Wirtschaftsbereich wieder besser ging, diese Rechte eher ausgenutzt haben. Das gilt insbesondere für die Leiharbeit. Das ist unbestritten, und das können Sie in vielen Berichten nachlesen.

Selbstverständlich kann man über diese starke europäische Entsenderichtlinie auch zum jetzigen Zeitpunkt noch diskutieren. Und selbstverständlich kann Nordrhein-Westfalen über seine Möglichkeiten und Strukturen, die das Land in der Europäischen Union hat, noch immer darauf Einfluss nehmen, nicht nur über die eigene Landesvertretung, nicht nur über die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sondern natürlich auch über die Bundesregierung und den Bundesrat. Dafür gibt es all diese Strukturen. Die sollten wir auch nutzen, um die europäische Richtlinie entsprechend zu stärken.

Ich will in dieser Debatte auf zwei, drei kleine Aspekte eingehen, die eben festgestellt wurden. – Herr Minister Laumann, ich bin mit Ihnen völlig einig: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das ist unumstritten. Das muss aber nicht bedeuten, dass der polnische, der rumänische oder der bulgarische Arbeitnehmer von dem kargen Lohn, den er bekommt, auch noch seine Unterkunft, sein Essen und seine Kleidung abgezogen bekommt, wie es heute der Fall ist.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das wird verboten!)

– Das wird eingeschränkt, aber das ist ein Teilschritt auf dem Weg dahin, das Einkommen insbesondere dieses Heeres von – wahrscheinlich – Millionen Menschen in Europa zu beschränken. Es ist ein Unterschied, ob ich über die Entsendung deutscher Arbeitnehmer aus deutschen Unternehmen innerhalb der Europäischen Union zu hohen Standards diskutiere oder über die Frage, wie Rumänen in der Fleischwirtschaft in Nordrhein-Westfalen oder woanders beschäftigt werden.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD] – Minister Karl-Josef Laumann: Da haben wir doch jetzt ein Gesetz gemacht!)

Die Wahrheit ist, dass das Thema so komplex ist, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern es gibt viele Punkte, die es zu bedenken gilt.

Kollege Lenzen, Sie haben recht, dass der Markt und der Wettbewerb bedeutend und wichtig sind; das sehen wir alle ein. Aber zum Markt und zum Wettbewerb gehört auch eine starke soziale Marktwirtschaft mit starken sozialen Arbeitnehmerrechten; insbesondere für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter und insbesondere für diejenigen, die am unteren Ende der Skala der Arbeitnehmerrechte beschäftigt sind. Diese soziale Marktwirtschaft ist im Grunde das Gegenteil dessen, was Sie hier „Entfesselung“ nennen.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen in Europa Schutzrechte für Arbeitnehmer; nicht weniger Entfesselung, sondern konkrete Regelungen, die sie davor schützen, dass sie einer Entfesselung in die Falle gehen. Das ist das Grundprinzip, das uns in der Frage der Sozialpolitik und in der europäischen Variante dieser Frage sicherlich etwas auseinanderbringt. Es ist etwas völlig anderes nötig, als nur darauf zu setzen, die Dienstleistungen bzw. den Markt freizugeben und zu glauben, das würde es heilen. Wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass das nicht funktioniert. Ich bin sehr froh, dass der Minister dazu hier eine klare Position bezogen hat.

Die Frage der Verantwortung für eine starke Entsenderichtlinie dreht sich auch darum, wie wir massiver Kritik gegenüber Europa auch in den eigenen Belegschaften begegnen. Es sind gerade Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aktuell massiven Widerspruch gegen Europa äußern. Wenn wir diesen Widerspruch ernst nehmen und letztendlich bekämpfen wollen, dann müssen wir ihnen garantieren, dass sie vor Ort kein Lohndumping erfahren und dass es für ihre Produkte keinen Preisdruck gibt, sodass sie anschließend nicht die Verliererinnen und Verlierer des Prozesses sein werden.

Deshalb ist dieser Antrag gestellt worden. Nein, es ist nicht zu spät. Ja, Nordrhein-Westfalen kann noch Einfluss nehmen. Nordrhein-Westfalen sollte Einfluss nehmen: für gleichen Lohn für gleiche Arbeit und für ein Europa – deshalb ist es wichtig, dass der Sozialgipfel stattfindet –, in dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Interessen eine stärkere Beachtung finden als im freien Arbeitsmarkt. Darüber werden wir gerne mit Ihnen im Ausschuss diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Neumann. – Als nächster Redner hat sich für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Beckamp gemeldet. Bitte schön.

Roger Beckamp (AfD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist überschrieben mit „Aufbau einer sozialeren Europäischen Union“. Das ist schon die erste Nebelkerze; denn – Herr Minister Laumann, Sie haben es dankenswerterweise gesagt – darum geht es gar nicht. Es geht um „Deutschland zuerst“; das ist der Inhalt des Antrags. Es geht darum, deutsche Arbeitnehmer zu schützen und den Druck von deutschen Arbeitnehmern zu nehmen, der durch die offenen Grenzen entstanden ist, die auch Sie im Rahmen der Europäischen Union herbeigeführt haben.

Diesen Inhalt sollten Sie benennen. Deshalb ist es Heuchelei, davon zu sprechen, Sie wollten den Rumänen und Bulgaren gerechtere und sozialere Standards ermöglichen. Das ist nicht der Fall; denn dadurch, dass Sie diese Standards so hoch ansetzen, schließen Sie gerade diese Leute aus. Das ist Abschottungspolitik!

Warum wehren sich Rumänien und Bulgarien denn gerade gegen diese Standards? Sie wollen das gar nicht, weil sie gerade dadurch ausgeschlossen werden. Deshalb seien Sie doch ehrlich und sagen Sie es doch auch: Die SPD macht den Trump. Das ist nationale Arbeitnehmerpolitik, und die ist ja auch gut.

(Beifall von der AfD)

Der Impuls, der dahintersteckt, ist mutmaßlich – das unterstelle ich Ihnen jedenfalls –, dass Ihnen die Leute von der Fahne gehen, weil immer mehr Leute erkennen, dass Sie nicht die Partei des kleinen Mannes, der Arbeitnehmer sind. Das ist auch die CDU nicht.

Versuchen Sie, sich daran zu erinnern, was mal die Politik der SPD gewesen ist. Aber dafür dürfte es zu spät sein, und das glaubt Ihnen auch keiner mehr. Deshalb seien Sie ehrlich, und nennen Sie es doch beim Namen: nicht „sozialere Europäische Union“, sondern „deutsche Arbeitnehmerrechte endlich mal zuerst“. „Germany first“ – die SPD macht den Trump. Weiter so! – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt sehe ich nicht.

Somit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung des Ältestenrats, der uns nahelegt, den Antrag Drucksache 17/1122 an den Ausschuss für Europa und Internationales – federführend – sowie mitberatend an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu überweisen. Dort soll auch die abschließende Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Ich darf fragen, wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, und bitte um das Handzeichen. – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Klimaschutz ist eine globale Gerechtigkeitsfrage – NRW muss entschieden gegen den Klimawandel vorgehen!

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1119

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Aymaz das Wort. Bitte schön.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Klimakrise

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben vergessen, den Begriff „pseudo“ voranzustellen, Frau Kollegin!)

gehört zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet den Klimawandel, wie Sie heute den Medien entnehmen konnten, sogar als die Schicksalsfrage. Allerdings darf diese Frage eben nicht dem Schicksal überlassen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das wird vor allem dann deutlich, wenn man mit Menschen spricht, die vom Klimawandel unmittelbar betroffen sind. Vor einer Woche besuchten unsere Fraktion Vertreterinnen der indigenen Völker, die im Rahmen der COP 23 in NRW sind – eine sehr beeindruckende Begegnung.

Sie sagten: Wir wünschten, dass die Welt kleiner wäre und alle sehen und spüren könnten, wie unsere Heimat Stück für Stück zerstört wird. Und eigentlich sollten wir wissen: Die Welt ist klein wie das Herz in unserer Brust. Wenn wir für die Rettung des Amazonas kämpfen, für die Rettung unserer Heimat, kämpfen wir auch für den Erhalt unserer Erde.

Treffender könnten wir den Klimawandel und seine Auswirkungen nicht beschreiben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Während wir hier über die Auswirkungen des Klimawandels debattieren und darüber verhandeln, wie man den Klimawandel aufhalten kann, verlieren Millionen von Menschen schon heute ihre komplette Lebensgrundlage. Die veränderten Temperaturen zerstören die Erde. Die Stürme zerstören ihre Häuser. Ihre Dörfer werden durch den Anstieg des Meeresspiegels und durch Flutkatastrophen weggeschwemmt. Ganze Völker werden verdrängt.

Derzeit sind fast 26 Millionen Menschen aufgrund von Klimakatastrophen auf der Flucht. Bis zum Jahr 2040 werden Experten zufolge 200 Millionen Menschen auf der Flucht sein. Somit ist Klimaschutz, meine Damen und Herren, auch eine Fluchtursachenbekämpfung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ein Oxfam-Papier belegt, dass die ärmeren 50 % der Weltbevölkerung nur 10 % zum Klimawandel beitragen, während die reichsten 10 % hingegen 50 % des Klimawandels verursachen. Diese eklatante Schieflage verdeutlicht, dass der Kampf gegen den Klimawandel auch immer ein Kampf für globale Gerechtigkeit sein muss.

Die Klimakrise vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich innerhalb von Staaten, zwischen den sogenannten Entwicklungsländern und den Industriestaaten. Armutsbekämpfung und der Kampf gegen den weltweiten Hunger können nur gelingen, wenn wir den Klimawandel gemeinsam aufhalten, und zwar jetzt. Klimaschutz ist also auch eine globale Gerechtigkeitsfrage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir in NRW haben eine besondere Verantwortung und müssen diese globale Verantwortung ernst nehmen. Wir können ganz konkret auch einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten, indem wir

erstens vor Ort aus der Kohle aussteigen und durch ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz als Deutschlands stärkstes Industrieland saubere Energie produzieren und CO2 reduzieren, indem wir

zweitens in unseren internationalen Partnerschaften beim Klimaschutz kooperieren, die Kooperationen stärker nach vorne stellen und gemeinsam mit den Partnern dem Klimawandel weltweit entschieden entgegenwirken und indem wir

drittens die bereits bestehenden internationalen Abkommen in NRW ernsthaft weiterführen sowie vor allen Dingen bei unserer öffentlichen Beschaffung die Achtung der ökologischen Standards nicht streichen.

(Beifall von Johannes Remmel [GRÜNE])

Lassen Sie mich abschließend in Erinnerung rufen: Der Klimawandel ist nicht nur eine Frage der globalen Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Heute gilt mehr als je zuvor: Wir haben diese Erde von unseren Kindern nur geborgt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Dr. Peill das Wort, bitte schön.

Dr. Patricia Peill (CDU): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Man hätte fast darauf wetten können – die Weltklimakonferenz findet mit 25.000 Teilnehmern in Bonn statt, überall ist Presse anwesend –, dass so ein Antrag heute im Plenum behandelt wird.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

– Und so ist es gekommen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Zu Recht!)

Das ist klar, denn hier ist die große Bühne.

Vor wenigen Wochen ging es aber noch darum, den Klimawandel durch sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle zu unterstützen. Diesmal haben Sie eher die globale Ebene gewählt.

(Zustimmung von Wibke Brems [GRÜNE])

„Klimaschutz ist eine globale Gerechtigkeitsfrage – NRW muss entschieden gegen den Klimawandel vorgehen“ – darin sind wir uns alle einig. NRW muss wie alle Bundesländer, die Bundesrepublik und Europa sowie die Staatengemeinschaft insgesamt gegen den Klimawandel vorgehen, denn, wie Frau Merkel gestern sagte, Klimawandel ist eine Schicksalsfrage für uns alle. Eigentlich könnten wir mit dieser Feststellung die Debatte beenden, wären da nicht noch Schlussfolgerungen, denen man vehement widersprechen müsste.

Meine Damen und Herren, deswegen sind wir der Meinung, dass sich so ein wichtiges Thema wie der Klimaschutz nicht für parteipolitische Spielchen eignet.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ei, ei, ei!)

Man sieht eher Ideologie und Berliner Koalitionspoker als echtes Interesse an diesem Thema.

Dass dies für uns ein sehr ernstes Thema ist, entnehmen Sie unserem Koalitionsvertrag.

(Lachen von Wibke Brems [GRÜNE])

Wir bekennen uns zum Klimaschutzabkommen von Paris. Wir suchen aktiv eine gemeinsame und abgestimmte Klimaschutzpolitik auf europäischer und auf internationaler Ebene. NRW ist über die Bundesrepublik in europäische Klimaschutzziele eingebunden. Isolierte und unwirksame Alleingänge lehnen wir daher ab. All das zeigt, dass dies ein sehr ernstes Thema für uns ist.

Jetzt komme ich ganz konkret zu Ihren Aussagen. Sie schreiben, NRW müsse noch mehr Verantwortung übernehmen. Die Staatengemeinschaft wolle wirtschaftlich von der Umstellung auf erneuerbare Energien profitieren.

Schauen wir uns das an. Das tut sie schon. In der Reihe der Konferenzen nach Kyoto und Paris ist jetzt Bonn dran. Bonn ist in NRW. Von NRW gehen jetzt wichtige Signale zu diesem Thema aus. Viele Entwicklungsländer profitieren schon, denn die Arbeit der GIZ ist unfassbar gut. Wenn wir die letzte Ausgabe der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ lesen, können wir sehen, dass sich der chilenische Präsident bei uns bedankt, dass wir es geschafft haben, dass die erneuerbaren Energien in Chile jetzt diesen Stellenwert haben.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass die deutsche Forschungs- und Wirtschaftslandschaft die globalen Entwicklungskosten für Fotovoltaik getragen hat, weshalb auch aufgrund unseres Know-hows Solarpanels weltweit so günstig angeboten werden können.

Einen kleinen letzten Punkt sollten wir schließlich nicht vergessen: Wir alle tragen täglich über das EEG dazu bei, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht keinen Sinn für mich, dass Sie sagen, Deutschland sei in Sachen Klimaschutz ein Entwicklungsland, oder es komme hier zu einem Rollback. Ganz im Gegenteil: Für uns ist das ein extrem ernstes Thema.

Zu dem Punkt, dass wir Vorbild sein sollen, kann ich nur sagen: Dafür müssen Ökologie und Ökonomie wie Yin und Yang in Harmonie sein. Es kann nicht sein, dass Klimaschutz für ein Land nicht finanzierbar ist; denn diese „Energiewende made in Germany“ wird global keine Nachahmer finden, wenn der Kostenberg für ein Land unerträglich wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Gehen wir einmal weiter. Sie schreiben in Ihrem Antrag:

„In den vergangenen sieben Jahren hat NRW bereits wichtige Zeichen gesetzt:“

Weiter heißt es:

„Mit … dem Tariftreue- und Vergabegesetz, … dem Abzug klimaschädlicher Investitionen, dem zukunftsfähigen Landesentwicklungsplan …“

Jetzt kommt meine Lieblingszeile:

„Diesen Weg muss auch die neue Landesregierung fortsetzen …“

Was sagt man denn dazu?

Auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen: Sie wurden nach diesen sieben Jahren abgewählt, weil genau dieser Weg leider gar nicht zukunftsfähig war,

(Beifall von der CDU und der FDP)

weil wir kein innovationsfreundliches Klima mehr hatten, weil der Landesentwicklungsplan wachstumshemmend war und das Vergaberecht so bürokratisch war, dass niemand damit zurechtkam.

Nein, wir werden diesen Weg nicht weitergehen, denn für uns ist die Zukunft nicht die Verlängerung der Vergangenheit.

(Beifall von der CDU – Berivan Aymaz [GRÜNE]: Machen Sie es doch besser! Sie sagen gar nicht, wie Sie es besser machen wollen!)

Jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema. Dieser fünfseitige Antrag beinhaltet wirklich ein buntes Potpourri an Themen: von den Klimaschutzzielen des Pariser Klimaabkommens zu Divestment-Strategien, von internationalen Abkommen über Good Governance zu Kooperationen mit Ghana und Südafrika, von der Rolle der Frau in Ländern, die vom Klimawandel betroffen sind, über weitere Richtlinien für Corporate Social Responsibility in der Außenpolitik hin zum Tariftreue- und Vergabegesetz.

Das ist ein Riesenstrauß, aber mittendrin – wer hätte es gedacht? – steht der folgende Satz:

„Eine wirkliche Reduzierung der Treibhausgase und wirklicher Klimaschutz ohne einen Kohleausstieg sind nicht möglich.“

Da haben wir es wieder, wir sind im Thema.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Ja, natürlich, das hängt alles miteinander zusammen! – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich möchte unsere Position, die wir bereits das letzte Mal und auch gestern vertreten haben, noch einmal klarstellen. Das Emissionsabbauziel, das mit dem Klimaschutzgesetz NRW 2012 beschlossen wurde, wird selbstverständlich weiterverfolgt. Diese 25 % werden sogar noch um 1 oder 2 % übertroffen; das attestieren Sie uns sogar in Ihrem Antrag. Braunkohle liefert damit den geforderten Beitrag in NRW.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Das ist auch nicht Ihr Verdienst!)

Daher ist Ihre wiederholte Forderung nach einer weiteren Abschaltung von Kohlekraftwerksblöcken in NRW zum Erreichen dieser NRW-Klimaschutzziele meiner Meinung nach nicht notwendig,

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Es geht aber um ista-Ziele!)

außerdem unverständlich und wirtschaftlich und sozial unverhältnismäßig. Das ist eine wirkliche Klimaschutzziel-Dissonanz.

(Berivan Aymaz [GRÜNE]: Ein bisschen über NRW hinauszudenken wäre nicht schlecht!)

Wir plädieren im Klimaschutz eher für einen Fünfklang aus Planbarkeit, Bezahlbarkeit, Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und sicheren Arbeitsplätzen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Zur Planbarkeit. Sie wissen – ich glaube, ich muss Sie nicht jedes Mal daran erinnern –, dass dieser Kohle Ihr Versprechen galt. Darauf verlassen sich ganze Regionen.

Zur Bezahlbarkeit. Es ist volkswirtschaftlicher Unsinn, wenn wir einen heimischen, sicher verfügbaren, wettbewerbsfähigen und subventionsfreien Energieträger aus nationalen Klimaschutzgründen abschaffen, um uns von Importstrom abhängig zu machen. Unsere Haushaltsstrompreise und Industriestrompreise belegen im Europa-Ranking Platz 27 von 28.

Zur Umweltverträglichkeit. Das Steuerungssystem in Europa heißt Europäischer Emissionshandel. Eine Reform dazu lag letzte Woche auf dem Tisch. Diese Reform haben Sie angemahnt; jetzt ist sie da. Für uns geht es beim Klimaschutz nicht nur um Strom, sondern auch um Verkehr, Wohnungsbau, Wärmepolitik, Schifffahrt und Flugverkehr.

(Beifall von der CDU)

Gerade hier besteht nationaler und regionaler Handlungsbedarf, aber dazu finde ich in Ihrem Antrag gar nichts.

Ich komme auf den letzten Punkt, die Versorgungssicherheit, zu sprechen. Es geht um eine hundertprozentige Versorgungssicherheit und nicht um 99 %. Hinzu kommt die energetische Herausforderung, dass wir in Zukunft viel mehr Strom brauchen werden.

Ich komme zum Schluss. Für uns ist der Schlüssel des Erfolgs ein anderer als Ihrer. Sie wollen Anlagen entgegen vertraglich vereinbarter Zeiträume einfach stilllegen und damit Regionen ihre Existenzgrundlage entziehen. Das ist für uns Klimaschutz 1.0, ein Rollback sozusagen. So verspielt Klimaschutz seine Akzeptanz.

Wir hingegen setzen in NRW auf Klimaschutz 4.0 und investieren in die Zukunft: in die Entwicklung von effizienter Speichertechnologie, in die digitale Landwirtschaft, in die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen und in eine intelligente Vernetzung.

Klimaschutz heißt für uns aber auch, in den Gründergeist zu investieren, in Bildung, in Start-ups und in Grown-ups und somit in nachhaltige Arbeitsplätze. Damit möchte ich Ihrem wiederholten Mantra des Ausstiegsszenarios mit den Worten von Werner von Siemens entgegnen: Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.“

(Beifall von der CDU und der FDP)

In diesem Sinne werden wir den Antrag ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Peill. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Stinka das Wort.

André Stinka (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Peill, Sie sprachen davon, dass Ihnen das eine oder andere, was im Antrag der Grünen steht, bekannt vorkommt. Mir kam bei Ihnen auch einiges bekannt vor. Denn Sie sind mit der gleichen Einstiegsmelodie in diesen Antrag eingestiegen, die Sie immer als CDU wählen. Sie sagen schlicht und einfach: Na ja, wir in NRW können doch nichts alleine machen. Alleingänge sind gar nicht möglich.

Sie verkennen dabei in vollstem Umfang das Alleinstellungsmerkmal und die Wirtschafts- und Forschungskraft des Landes Nordrhein-Westfalen. Zudem verkennen Sie in vollem Umfang die Leistungen, die die Menschen hier schon erbracht haben und auch weiter erbringen werden. Insofern war das Einstieg, den wir von Ihnen schon kannten; es war nämlich nichts Neues.

Sie sprachen darüber hinaus ausführlich von einem Fünfklang. Ich habe allerdings nur einen Klang gehört: keine konkrete Maßnahme, heiße Luft von der CDU. Das ist das Endresultat, das wir hier heute wahrgenommen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich den Himmel über dem Ruhrgebiet vor 55 Jahren angeschaut hat, hat man sprichwörtlich die Hand vor Augen nicht gesehen. Überall Staub und Schwefeldioxid hatten den Himmel über der Ruhr völlig verdunkelt.

Damals war es Willy Brandt, der gesagt hat, der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse wieder blau werden. Warum erwähne ich hier Willy Brandt? Weil Willy Brandt nicht nur den Blick nach innen, also in das Land, gerichtet hat, sondern auch sehr deutlich darüber hinaus.

(Regina Kopp-Herr [SPD]: Genau!)

Er hat immer den Zusammenhang gesehen zwischen der Verantwortung, die wir als Industrienationen gegenüber den restlichen Ländern der Welt haben, und betont, dass alle zusammen eine gemeinsame Entwicklung anstreben sollten.

(Christof Rasche [FDP]: Wolfgang Clement auch!)

Dass sich die FDP hier meldet, wundert mich, denn was Sie zum Thema „Klimaschutz“ in den letzten Jahren beigetragen haben, kann man auch mit dem Wort „null“ umschreiben, weil ja alles der Markt regelt, sehr geehrte Damen und Herren. Der Markt regelt aber gerade diese Frage nicht. Es sind Willy Brandt und Gerhart Baum, an die ich Sie erinnern möchte. Gerhart Baum hat sich als Innenminister das Thema „Umwelt und Luftreinerhaltung“ immer wieder auf die Fahnen geschrieben. Das scheinen gerade Sie in der FDP vergessen zu haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wissen alle, dass seit 2015 die Erderwärmung im Vergleich zu allen vorindustriellen Zeiten um 1°C angestiegen ist. Wir alle erleben sowohl vor der Haustür als auch in der Welt die Folgen dieses Klimawandels. Wir wissen sehr wohl, dass die Menschen darunter leiden.

Wir werden das selbstgesteckte Ziel in Deutschland nicht erreichen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % zu reduzieren. Ich zitiere an dieser Stelle gerne Klaus Töpfer, der zumindest den Kolleginnen und Kollegen der CDU bekannt sein sollte: „Wir Industrieländer haben diese Probleme geschaffen, wir tragen auch die Hauptverantwortung für ihre Lösung.“

Insbesondere für uns Sozialdemokraten ist klar, dass der Industriestandort Nordrhein-Westfalen diese Verantwortung trägt, denn er trägt dazu bei, dass Innovationen zum Gelingen dieses Klimaschutzziels beitragen.

Die Kanzlerin hat gestern im großen Gestus von der Schicksalsfrage der Menschheit gesprochen. Ich erinnere mich noch gerne an den G7-Gipfel, wo wunderbare Fotos am Strand der Ostsee gemacht worden sind und sich die Klimakanzlerin aufgeschwungen hat, hier in Deutschland etwas zu tun. Schauen wir uns aber die reale Situation an, dann waren es genau sie und das Kanzleramt, die den Klimaschutzplan der Bundesregierung immer wieder torpediert haben. Es war genau sie, die sich dafür hat feiern lassen, dass sie gerade auch bei der Automobilindustrie immer sehr zurückhaltend war, wenn es um Klimaschutzziele und darum ging, hier Verantwortung zu übernehmen.

Mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen kann ich gerade in Richtung CDU nur fordern: Nutzen Sie diesen Einstieg, den sie damals organisiert hat. Lassen Sie sich von Herrn Seehofer und seinem Gebaren nicht in die falsche Ecke treiben. Nutzen Sie diese Chance, um Deutschland auch zukunftsfest und glaubwürdig zu machen. Ergehen Sie sich nicht in hohlen Phrasen.

Sehen wir uns Nordrhein-Westfalen an, so kann ich gerade den grünen Antrag dahin gehend unterstützen, dass wir den Klimawandel nur bekämpfen, indem wir ganz klar Visionen und Klimaziele festlegen. Denn Unkonkretes und ein „Das wird der Markt schon richten“ helfen in diesem Falle nicht.

Ruhen Sie sich als neue neoliberale Koalition nicht auf den Erfolgen aus, für die wir Lorbeeren bekommen haben. Gerade für uns Sozialdemokraten war der Klimaschutz …

(Lachen von der CDU – Zuruf von Henning Höne [FDP] – Weitere Zurufe)

– Sie müssen ja mächtig getroffen sein, wenn ich Ihre Reaktion erlebe; das ist ja gar keine Frage.

(Henning Höne [FDP]: Das ist Mitleid! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Für uns Sozialdemokraten ist Klimaschutz immer Fortschrittsmotor gewesen, weil wir den Dreiklang zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung ganz klar und deutlich gemacht haben. Während die Vorrednerin sich nur um konkrete Beispiele herumgedrückt hat, will ich hier ein paar Dinge anmelden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das stand offensichtlich schon in Ihrem Redemanuskript!)

In Nordrhein-Westfalen war uns ganz klar, dass wir im Bereich der Wärmeversorgung die Kraft-Wärme-Kopplung und den Fernwärmeausbau nach vorne bringen. Denn das hilft den Menschen vor Ort konkret, wenn sie in schlecht isolierten Wohnungen leben und wenn die Heizungen kaputt sind. Darum geht es letztendlich: um eine Steigerung der Lebensqualität.

Wir begrüßen sehr, dass beispielsweise die STEAG in die Industrieproduktion hineingeht und über Batteriespeicher nachdenkt. Das sind Projekte, die gemeinsam mit der Industrie und mit den Menschen organisiert werden.

Wenn Sie von Digitalisierung in der Landwirtschaft sprechen, Frau Dr. Peill, möchte ich das mal flächendeckend erleben. Dann treiben Sie Ihre Leute dahin an, dass wir das auch wirklich organisiert bekommen. Schließlich haben wir als Sozialdemokraten frühzeitig das virtuelle Kraftwerk nach vorne gebracht, weil uns ganz klar ist, dass Verbraucher, Speichermodalitäten und viele anderen Fragen gekoppelt werden müssen.

Uns ist klar, dass der Klimawandel, die Folgen für die Energieversorgung und die Folgen für die Menschen auf Akzeptanz stoßen müssen. Deswegen lautet für uns auch eine Frage immer – das vermisse ich ein bisschen beim Antrag der Grünen –, wie die soziale Akzeptanz bei dieser Frage ist. Für uns ist wichtig, dass Energie auch bezahlbar bleibt. Das heißt auch Verbraucheraufklärung, das heißt auch, mit den Menschen sprechen.

Um noch ein weiteres konkretes Beispiel hinzuzufügen: Innovation City. Wie konkret ändern Menschen ihre Lebensgewohnheiten? Darum geht es. Darum können Sie sich nicht herumdrücken, sondern es geht um Beratung und um Investitionshilfen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Innovation City hatte für uns Sozialdemokraten einen ganz wichtigen Vorteil: Hier wurde der Zusammenhang zwischen sozialer Verantwortung, Verbraucherberatung, Sanierung von Häusern sowie Industrie- und Energiedienstleistungen im Bestand hergestellt. Wir sind hier weit vorangekommen. Ich habe aber weder in den Koalitionsverhandlungen noch in den Ausführungen der Umweltministerin dazu etwas gelesen.

(Henning Höne [FDP]: Sie waren ja auch nicht bei den Koalitionsverhandlungen dabei!)

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der neoliberalen Koalition, glauben, Sie könnten mit dem Windkrafterlass, mit schwammigen Ausführungen einen Beitrag vor dieser wichtigen Konferenz in Bonn leisten, werden Sie dem Land Nordrhein-Westfalen nicht gerecht. Sie werden dem nicht gerecht, was Sie hier selbst gesetzt haben.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Und Sie werden dem nicht gerecht, was Ihre Kanzlerin dort zu erzählen versucht, aber nur wenig unterfüttert hat. – In dem Sinne vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stinka. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Brockes das Wort.

Dietmar Brockes*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stinka, es war schon interessant, wie Sie versucht haben, den Eindruck zu erwecken, dass Sie hinter dem Antrag der Grünen stehen, und gleichzeitig das Thema „Kohle“ komplett umschifft haben.

(Bodo Löttgen [CDU]: Exakt!)

Denn neben Ihnen sitzt der Kollege van den Berg, der gleich ans Rednerpult tritt und vermutlich eine etwas andere Position hat als die, die Sie gerade vorgetragen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Deshalb an der Stelle über die Koalition den Stab zu brechen, ist wohl etwas früh.

Ich bin im Übrigen gespannt – Sie haben vergessen, uns das zu sagen –, wie Sie sich zu dem grünen Antrag verhalten; dieser steht schließlich gleich zur direkten Abstimmung an. Ich bin sehr gespannt, ob Sie dem zustimmen werden, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU: Natürlich! – Christof Rasche [FDP]: Deshalb sitzt da ja auch kaum jemand!)

Wir haben dieselbe Debatte, die wir heute zum Thema „Klimaschutz“ führen, bereits gestern geführt. Denn gestern lag uns der Gesetzentwurf der AfD zur Abschaffung des Klimaschutzgesetzes NRW vor. Also, meine Damen und Herren von den Grünen: Es hätte Ihres Antrages heute gar nicht bedurft, um über das Thema intensiv zu sprechen.

(Beifall von der FDP)

Natürlich bietet es sich an und ist es richtig, dass wir während der COP 23 dieses Thema bei uns behandeln, aber einen Antrag von fünf Seiten zur direkten Abstimmung zu stellen, zeigt, dass es Ihnen gar nicht um die Sache geht. Sie wollen hier nur Symbolpolitik machen. Dem werden wir heute natürlich nicht erliegen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Monika Düker [GRÜNE])

Sehen Sie es mir deshalb ein wenig nach, wenn das eine oder andere Argument, das ich oder andere Redner gestern schon vorgebracht haben, heute wiederholt wird. Das hätte man vermeiden können, wenn man die beiden Tagesordnungspunkte zusammengeführt hätte.

Gestern sagte ich bereits, dass wir uns ganz klar zum Pariser Klimaabkommen bekennen, also: bis 2050 weitestgehende Treibhausgasneutralität. Das, meine Damen und Herren, ist ein ambitioniertes Ziel, aber es ist notwendig. Das ist auch gestern sehr deutlich geworden, und wir stehen zu unserer Verantwortung.

Dafür brauchen wir aber Ihren heutigen Antrag nicht, denn genau das haben CDU und FDP, die NRW-Koalition, bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, und dazu stehen wir. Dies haben wir auch hier im Plenum schon bei anderen Anträgen deutlich gemacht und darüber abgestimmt.

Wir werden – das wurde gestern ebenfalls angesprochen – auch das Klimaschutzgesetz beibehalten und es an den europäischen Rahmen anpassen. Denn – das ist sehr wichtig – wenn man bei diesem Thema wirklich effizient und effektiv etwas erreichen will, dann muss man dies im europäischen, besser im globalen Einklang vornehmen. Deshalb betone ich noch einmal: Entscheidend ist der Weg dahin. Statt ideologisch gefärbter Debatten, die mehr Wunsch als Wirklichkeit abbilden, brauchen wir vernünftige Lösungen. Wir setzen deshalb auf den technologischen Fortschritt und den Wettbewerb, meine Damen und Herren.

Wir – um das auch hier zu betonen – in Nordrhein-Westfalen erbringen bis 2020 eine Einsparung von sehr wahrscheinlich 27 %. Wir werden damit sogar mehr tun als das, was die Vorgängerregierung beschlossen hat. Und um es auch deutlich zu machen: Wir tun hier mehr als viele andere europäische oder auch globale Partner. Das, meine Damen und Herren, ist ein wichtiges und gutes Signal. Wir werden diesen Kurs konsequent fortsetzen, ohne Strukturbrüche und Wohlstandsverluste dabei hinzunehmen.

Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie verkürzen, wie in Ihrem Antrag, die Klimadebatte wieder einmal rein auf das Thema „Kohle und Windkraft“. Denn nur diese beiden Erzeugungstechniken werden in Ihrem Antrag aufgeführt. Das bedeutet – das hat Frau Kollegin Dr. Peill eben sehr deutlich gemacht –, Sie verkürzen dabei wieder einmal die Diskussion über die Energiewende auf eine Diskussion über die Stromwende.

Deshalb frage ich hier an dieser Stelle: Was ist denn mit dem Wärmebereich? Den haben Sie wieder völlig außen vor gelassen.

Die Kollegin hat eben auch andere Bereiche genannt. Darauf gehen Sie in keinster Weise mit Ihrem Antrag ein. Das zeigt, dass Sie auf diesem Feld in der Vergangenheit nichts getan bzw. sogar negativ gehandelt haben.

Sie haben zum Beispiel beim Thema „Gebäudesa-nierung“ auf Bundesratsebene verhindert, dass hier entsprechende Förderungen vorgenommen werden, wofür wir uns jetzt als neue Koalition einsetzen werden.

Wir werden zum Beispiel auch die Geothermie in unserem Land unterstützen, die Sie während Ihrer Regierungszeit behindert haben. Während wir diese Potenziale, meine Damen und Herren, hier ungenutzt lassen, wird in der bayerischen Hauptstadt das Fernwärmenetz von fossilen Energieträgern auf Geothermie umgerüstet. In diesem Bereich sehen wir enorme Potenziale, und die werden wir in Zukunft auch nutzen.

Und da Herr Stinka von konkreten Beispielen gesprochen, selbst aber keine gebracht hat: Wie ist es mit der Nutzung des Abwassers zur Wärmegewinnung? Auch hier kann ohne zusätzliche Subventionen einiges erreicht werden. Hier können wir Potenziale nutzen, und die wollen wir entsprechend heben.

So, meine Damen und Herren, könnte man noch eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten aufführen – wie gesagt, nicht nur aus dem Wärmebereich, auch aus dem Strombereich, aus dem Mobilitätsbereich, aus der Landwirtschaft –, um deutlich zu machen, dass wir den Klimaschutz ganzheitlich angehen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Besonders bemerkenswert – ich hätte fast „unverschämt“ gesagt – finde ich in Ihrem Antrag einen Satz, den ich vorlesen muss. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

„Denn mit einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Umsetzung des geplanten Netzausbaus sowie der Einführung von Speichertechnologien und Lastenmanagement wäre es ohne Probleme möglich, aus der klimaschädlichen Kohleverstromung auszusteigen.“

Ja, meine Damen und Herren, hier suggerieren Sie, das wäre alles kein Problem, der Netzausbau und die Speicher stünden alle zur Verfügung.

Genau das Gegenteil ist der Fall, und es sind gerade auch Ihre Kollegen vor Ort, die den Netzausbau massiv behindern, weshalb wir hier nicht im Fahrplan sind. Und es macht keinen Sinn, wenn die Erneuerbaren Energien so ausgefahren werden, dass wir den Strom vor Ort nicht wegbekommen. Genau so ist es auch beim Thema „Speicher“. Hier, meine Damen und Herren, müssen wir endlich vorankommen.

Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Nordrhein-Westfalen steht mit der NRW-Koalition zum Klimaschutz. Wir werden unseren Beitrag zum europäischen Konsens bei diesem Thema leisten, und dafür bedarf es Ihres Antrages nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Brockes. – Als nächster Redner hat für die AfD-Fraktion der Abgeordnete Dr. Blex das Wort.

Dr. Christian Blex (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Bula! Dank eines Autokraten, der sich zweimal an die Macht putschte und dafür aktuell den Vorsitz bei der großen Bonner Show zum Schutz der Durchschnittstemperatur der nächsten 30 Jahre hat, wissen wir nun endlich, was „Hallo“ auf Fidschi heißt.

Auch die UN-Weltklimakonferenz in Paris bot die Propagandafläche für eine perfekt inszenierte internationale Show von Geschlossenheit und Einigkeit. Auf dieser Pariser Bühne wollte wahrlich keiner den Außenseiter spielen. Immerhin wollten 43 Länder, darunter 30 aus Europa, über 150 weiteren Ländern Geld schenken – Ländern übrigens, die alle extrem schlecht beim Korruptionsindex abschneiden. Aber irgendwer muss ja wohl die Autos der Militärregime bezahlen.

Allein die Veranstaltung in Bonn kostet den deutschen Steuerzahler nach offizieller Schätzung über 117 Millionen €.

Als aufgeklärter Naturwissenschaftlicher des 21. Jahrhunderts

(Beifall von der AfD – Lachen von SPD und GRÜNEN)

bedaure ich es sehr, dass wir die Phase der Wissenschaft und Sachlichkeit verlassen und in eine neue Phase der Gesinnung und Ideologie eintreten. In dieser ideologischen Welt dominiert ein Freund-Feind-Schema. Wer zu dieser absolutistischen Weltanschauung eine alternative Meinung hat, wird als politischer Gegner mit aller Kraft bekämpft.

(Beifall von der AfD)

Das ist die Inquisition der „Church of Global Warming“.

Im Antrag der Grünen heißt es:

„Umso fataler ist es, dass sich der US-amerikanische Präsident Trump … großspurig aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückziehen will, …“

Liebe GrünInnen, mit Ihrem Freund-Feind-Schema haben Sie sich längst aus einer sachlichen Diskussion verabschiedet. In Ihrem Antragstext verweisen Sie auf die Einbeziehung von indigenen Gendergruppen in die Klimadebatte als wichtige Akteure zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens.

Von indigenen Gendergruppen! Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Geschlechter? Ja, davon habe ich schon einmal etwas gelesen – ach ja, richtig, im Klimaschutzplan NRW. Ich muss den Ausschnitt aus Kapitel I.4, als Vollzitat wiedergeben – bitte nicht lachen; das stammt nicht von mir –:

„Im Rahmen der Impactanalyse wurde mit Blick auf das Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft und insbesondere der genderneutralen Verwendung öffentlicher Mittel auch eine vertiefte Differenzierung durchgeführt, um auf geschlechterspezifisch unterschiedliche Wirkungen frühzeitig aufmerksam zu werden und entsprechend gegensteuern zu können. Hier zeigt die Impactanalyse, dass insgesamt keine eindeutige und durchgängige Mehr- oder Minderbelastung von Männern oder von Frauen feststellbar ist.“

(Beifall von der AfD – Zuruf von der AfD: Gott sei Dank!)

– Gott sei Dank.

(Markus Wagner [AfD]: Was hat denn der Unsinn gekostet?)

Liebe GrünInnen, bei Ihrem Hyperfeminismus fehlen mir die Worte. Mit welchem anderen Ergebnis hatten Sie überhaupt gerechnet?

Mir fehlt auch wirklich die Fantasie, um zu verstehen, warum sich eine über 30 Jahre gemittelte Temperatur, die sich in der Erdgeschichte ständig geändert hat, überhaupt unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken soll. Sollte die globale Mitteltemperatur in der Nähe einer Frau etwa heißer sein – oder bei Frau Brems kälter?

(Heiterkeit von der AfD – Zurufe von der CDU: Au! – Zuruf von der SPD: Oh Mann!)

Und wenn es überhaupt eine Klimaerwärmung gäbe, wäre es für die Frauen dann besser? Die haben ja meistens kalte Füße.

(Heiterkeit von der AfD – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Die rot-grüne Vorgängerregierung wurde gefragt, was die Impactanalyse über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Geschlechter im Rahmen des Klimaschutzplans gekostet hat. Sie hat geantwortet: 1,03 Millionen €.

(Zuruf von der AfD: Das ist doch gar nichts!)

Schneller und nutzloser konnte das Geld unserer Bürger gar nicht aus dem Fenster geschmissen werden. Aber Einsicht bei den GrünInnen? Fehlanzeige!

Sie gehen sogar weiter und fordern hier in diesem Antrag einen Gender-Aktionsplan von Nordrhein-Westfalen für die indigenen Gendergruppen in den Inselstaaten in Ozeanien. Das erfinde ich nicht; das steht genau so in Ihrem Antrag.

Übrigens juckt es Sie überhaupt nicht, wie viel Kerosinabgase die Insulaner in die Troposphäre pusten, wenn sie auf unsere Kosten nach Deutschland zum Klimagipfel fliegen – genauso wenig, wie es Sie stört, an Bord eines Rheinschiffes zu steigen, um für das Klima umsonst essen und trinken zu können.

Liebe GrünInnen, den Urwaldvogel haben Sie aber wirklich mit Ihrer letzten Forderung abgeschossen.

(Zuruf von der SPD: Der ist wohl bei Ihnen gelandet! – Heiterkeit von SPD und GRÜNEN)

Ich zitiere Sie am liebsten wörtlich, weil mir noch kein besserer Weg eingefallen ist, Ihre Weltfremdheit zu offenbaren:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

–   durch die öffentliche Beschaffung keine Produkte zu erwerben, die den Klimawandel verstärken …“

Wollen Sie mit dieser Forderung unser schönes Land in eine Grassteppe zurückverwandeln? Faktisch kann nach Ihrer Definition – das haben Sie geschrieben; ich weiß nicht, wer von Ihnen das geschrieben hat – alles unter „klimaschädliche Produkte“ fallen. Kein Papier, kein Kugelschreiber, kein Fleisch, keine Milch, kein Klopapier?

(Heiterkeit von der AfD – Zuruf von der AfD: Veggieday! Kein Laptop!)

Mit Ihnen kommen wahrlich bescheidene Zeiten auf uns zu.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der CDU: Sie atmen gerade das Klima weg!)

Sie stellen unser gesamtes Wirtschaftssystem auf den Kopf und stecken unsere gesamten technischen Errungenschaften in ein Museum für Technik. Haben Sie völlig vergessen, dass unsere Güter und unser Energieverbrauch die Basis unseres Wohlstands und Lebensstandards sind?

Beim besten Willen: Wir können uns Ihrer ökoreligiösen Klimaideologie nur entgegenstellen. Wir werden Ihren Antrag ablehnen, wie auch die neoliberale Koalition. – Danke schön.

(Beifall von der AfD – Zuruf von den GRÜNEN: Das ehrt den Antrag!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Blex. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Pinkwart das Wort.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich nach dem Beitrag des Abgeordneten Blex mit einigen versöhnlichen Punkten beginnen.

Zu dem Antrag: Hier will ich erst einmal festhalten, dass sich die Landesregierung nicht nur zu dem Pariser Abkommen bekennt, sondern auch sehr engagiert mitwirkt. Wir sind Mitorganisator der COP 23 und dort sehr stark engagiert. Wir waren schon sehr früh Mitglied der States & Regions Alliance der Climate Group.

Herr Abgeordneter Stinka – zu Ihnen komme ich gleich noch, und zwar ein bisschen impulsiver; erst einmal muss ich aber ein bisschen versöhnlicher sein; sehen Sie es mir nach –, Sie haben angemerkt, wir hätten gar nichts getan, auch früher nicht.

Meine damalige Vorgängerin Christa Thoben war es, die die Mitgliedschaft Nordrhein-Westfalens dort ermöglicht hat. Wir sind auch bei Under2 Coalition engagiert.

Am vergangenen Wochenende haben wir beide Initiativen der Bundesländer und Regionen weltweit zusammenführen können, auch unter Beteiligung von Gouverneur Brown aus Kalifornien und anderen, unter anderem des grünen Ministerpräsidenten Herrn Kretschmann, der sich dort engagiert hat, und vielen mehr. Über 200 Regionen sind jetzt weltweit engagiert und wollen versuchen, dass das Pariser Abkommen nicht nur top-down realisiert wird, sondern auch bottom-up über die Regionen.

Auch die Städte sind sehr engagiert. Wie Sie wissen, ist Bonn hier führend, und zwar mit dem Netzwerk ICLEI, das dort seinen Hauptsitz hat und auch unglaublich tolle Initiativen aus Bonn heraus entwickelt hat. Mittlerweile haben sich über 1.000 Städte in der Welt zusammengeschlossen, um den Klimaschutz wirksam vor Ort umzusetzen und dem Klimawandel zu begegnen. Das sind tolle Initiativen.

Sie wissen, dass wir seit Jahren in Ghana engagiert sind. Auch das haben wir damals schon in der Landesregierung getan. Die Vorgängerregierung hat es in den letzten Jahren weiter unternommen. Wir werden das fortsetzen – auch mit den Gedanken, die die Gendergerechtigkeit aufgreifen. Das halten wir auch für richtig.

Corporate Social Responsibility ist für die Landesregierung ebenfalls wichtig. Daran haben wir seit Jahren gearbeitet. Das setzen wir in den Häusern um. Auch von den Unternehmen im Land erwarten wir das. Wir bewegen uns entsprechend.

Das gilt auch für das Sondervermögen des Pensionsfonds des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir haben uns verpflichtet, dort Nachhaltigkeitsgesichtspunkte mit einzubeziehen.

Ich kann Ihnen also zu allen im Antrag der Grünen diesbezüglich aufgeführten Punkten noch einmal versichern, dass die Landesregierung im Sinne des Landtages hier versucht, eine sehr verantwortungsvolle, nachhaltig ausgerichtete und klimafreundliche Politik zu gestalten.

Lassen Sie mich jetzt noch etwas politischer werden und auf Ihren Redebeitrag eingehen, Herr Stinka. Ich bitte doch herzlich darum, dass Ihr Beitrag auch ausgedruckt wird, sodass wir ihn alle noch einmal lesen können. Er könnte sogar so interessant werden, dass wir ihn in den nächsten Tagen noch einmal dringend nachlesen müssen.

Ich wäre auch dankbar, wenn die Fraktionsführung der SPD uns alles das, was Sie da gesagt haben, noch einmal bestätigen würde. Das waren nämlich bemerkenswerte Feststellungen,

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

die Sie für die Sozialdemokratie getroffen haben – im Kontext einer gewissen neuen Regierung, die Sie etikettiert haben. Ich will das gar nicht wiederholen. Diese neue Mehrheit ist die NRW-Koalition. Sie kämpft für NRW und hat nicht irgendwelche anderen Labels, die Sie ihr anpappen wollen.

Aber zu Ihrer Bemerkung, dass Sie ja nun die Kämpfer für den Klimaschutz wären – Sie haben noch Willy Brandt bemüht –, muss ich Ihnen sagen: Davon war in den letzten sieben Jahren nicht so viel zu sehen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie waren ja auch nicht da! Sie konnten es nicht sehen!)

Lieber Herr Stinka, es könnte auch sein, dass Sie noch einen Echoeffekt auf Ihre Rede erleben. Das kann Ihnen passieren. Denn Sie haben Lücken bei der CO2-Reduktion hinterlassen, die jetzt noch einer gewissen Bearbeitung bedürfen.

Das ist für uns in Nordrhein-Westfalen nicht einfach. Das will ich gleich vorausschicken. Aber Faktenlage ist doch Folgendes:

Meine damalige Amtsvorgängerin Christa Thoben hat 2008 – aufsetzend auf der Zielvorgabe der Großen Koalition, die damals die Bundesregierung stellte: Abbauziel CO2 40 % bis 2020 – einen sehr genau berechneten Klimaplan für Nordrhein-Westfalen vorgelegt, der vorsah, dass die CO2-Ausstoß-mengen bis 2020 um 30 % gegenüber 1990 abgesenkt werden sollen. Sie hat das anknüpfend an die Entscheidung der Großen Koalition hier für Nordrhein-Westfalen entwickelt und mit den Fraktionen besprochen: Abbauziel 30 %.

Ganz bemerkenswert und durchaus auch mit einem gewissen Gespür für Realität, weil sich Dinge nach dem etwas überhasteten Kernenergieausstieg 2011auch verändert hatten – das will ich durchaus mit erwähnen –, haben Sie dann 2012 – und zwar mit der Fraktion der Grünen, was ganz bemerkenswert ist – gesagt: Na ja; wenn wir schon nicht mehr an diesem Ziel von 30 % festhalten wollen, dann machen wir wenigstens ein Gesetz, damit das nicht auffällt, und tun so, als würden wir es besonders ernst meinen.

Dann haben Sie ein Klimaschutzgesetz gemacht. Dabei haben Sie sich von dem Vorgängerziel von minus 30 % verabschiedet und in Ihr Klimaschutzgesetz eine Reduktion von CO2 bis 2020 von 25 % hineingeschrieben.

Das war der Beitrag von SPD und Grünen zum Klimaschutz in den letzten sieben Jahren.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie haben ein ehrgeiziges Ziel der Vorgängerregierung erst einmal heruntergesetzt. Da kann ich nur sagen: Tolle Leistung!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann haben Sie ab 2013 wieder mit die Bundesregierung gestellt – Große Koalition – und haben dann auch festgestellt: Hoppla, 40 % bis 2020; das könnte vielleicht zu ehrgeizig gemeint gewesen sein; vielleicht müssen wir daran etwas tun. – Daraufhin haben Ihre verantwortlichen Minister – ich meine sogar, Herr Gabriel sei phasenweise dafür verantwortlich gewesen – Verhandlungen und Gespräche geführt, bei denen es darum ging, wie man die vermeintliche Lücke bis 40 % in 2020, die sich damals schon zeigte, schließen kann.

Dann hat die Bundesregierung einen Masterplan erarbeitet, der einen Abbau von 68 bis 78 Millionen t vorsehen sollte. „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ hieß das damals. In diesem Rahmen ging es auch um die Reduzierung von CO2 im Kohlebereich.

2016 haben Sie sich dann mühevoll und schmerzhaft darauf verständigt, einige Braunkohleblöcke vorzeitig vom Netz zu nehmen – 2017, 2018, 2019, mit Sicherheitsbereitschaft bis 2023. Das hilft natürlich auch noch einmal, etwa 12,5 Millionen t einzusparen.

Das ist das, was Sie verabredet haben. Die Lücke war aber wesentlich größer. Das war damals durchaus schon erkennbar. Das wussten Sie auch. Aber erst kam die Landtagswahl, und dann kam die Bundestagswahl. Das musste ja bewältigt werden.

Im April 2017 gab es dann einen Projektionsbericht der Bundesregierung. Darin sagte die Bundesregierung: Im Mittel besteht noch eine Lücke in Höhe von 66 Millionen t; vielleicht reichen auch 32 Millionen t.

Dann kam die Bundestagswahl. Nach der Bundestagswahl sagte Ihre Bundesumweltministerin, Frau Hendricks: Nein, das stimmt gar nicht; es sind vielleicht 100 Millionen t oder sogar noch mehr. – Die Grünen sprechen sogar von 120 Millionen t, die angeblich fehlen würden.

Ist das verantwortliche Klimaschutzpolitik?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Man sieht eine Lücke. Man versucht, sie so klein zu machen, dass man gerade noch irgendwie an den Problemen vorbeikommt. Nach der Wahl ist das dann alles ganz anders, und man sagt, dass man viel mehr tun müsse. Und wenn es dann konkret wird, wird es auf einmal sehr schwierig. Dann werden die Maßnahmen sehr schwierig, weil viel Zeit vergangen ist.

Das, was Frau Hendricks uns in den letzten Wochen vorgelegt hat, hat mit Blick auf 2020 ein großes Ausmaß. Stellen Sie sich einmal vor, was es für den Energiesektor und auch für die Kohle in Nordrhein-Westfalen heißen würde, wenn Sie bis 2020 noch 90 oder 120 Millionen t einsparen wollten! Das halte ich für eine ganz beachtliche Herausforderung.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Insofern wird es jetzt darauf ankommen, dass Berlin – hoffentlich – für sich einen etwas realistischeren Prognosehorizont definiert, etwa auf der Grundlage des Projektionsberichts der damaligen Regierung aus Union und SPD, und wir auf dieser Grundlage versuchen, in den nächsten drei Jahren noch ergänzende Maßnahmen zu ergreifen, die wir insgesamt als verantwortlich bezeichnen können – unter den Gesichtspunkten Klimaschutz, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit. Alle drei Gesichtspunkte müssen wir zusammenbringen.

Ich möchte den Grünen Folgendes sagen: Sie waren 2016 in der Verantwortung und haben damals zugestimmt, dass ein kleines Paket geschnürt wurde, so klein, wie es nur eben ging, um Kohle sehr verträglich herauszunehmen und vor den Wahlen Klimaschutzziele zu erreichen. Jetzt fordern Sie den kompletten Ausstieg. Auch das passt für mich in keiner Weise zusammen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich hoffe jetzt sehr – wie gesagt, auch im Interesse des Landes –, dass wir einen Kurs finden, der verträglich ist und auch bewältigt werden kann. Denn je kürzer die Zeitabstände sind, um Maßnahmen zu ergreifen, desto schmerzhafter sind diese Maßnahmen, weil wir dann umso eher vor dem Problem stehen, dass Strukturbrüche passieren. Und das kann nicht in unserem Interesse liegen. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen nicht nur eine sehr CO2-intensive Industrie mit energieintensiven Unternehmen, sondern auch eine große Verantwortung für Deutschland, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Wir haben in der dritten oder vierten Januarwoche die Dunkelflaute erlebt. Unsere Kraftwerke liefen auf Hochtouren, weil Wind und Sonne nicht zur Verfügung waren. Die Franzosen hatten Probleme mit ihrer Kernenergie, weil es so kalt war, dass sie das Wasser, um ihre Kernkraftwerke zu kühlen, nicht ordentlich zuführen konnten. Das heißt: Wir hatten in Europa insgesamt Stress.

Wenn wir die Kapazitäten weiter im Sinne eines Totalausstiegs anpassen, wie Sie ihn fordern, müssen wir aufpassen. Vor diesem Hintergrund müssen sich Frau Aymaz und die Fraktion der Grünen fragen, wie so etwas überhaupt gehen soll. Das ist aus meiner Sicht verantwortungslos.

Wir müssen also schauen: Wie können wir bei den volatilen Erneuerbaren sicherstellen, im Netz immer so viel konventionelle Energie verfügbar zu haben, dass stets in hinreichendem Maße Energie vorhanden ist, auch dann, wenn die Erneuerbaren nicht zur Verfügung stehen?

Lassen Sie mich noch einen Gedanken anfügen, weil Sie als Landtag ja einen Auftrag an die Landesregierung gerichtet haben. Auch das ist wichtig. Es war die grüne Landesregierung in Person von Herrn Remmel, der noch ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, das er der belgischen Regierung zugeleitet hat.

Wir wollen, dass die belgischen Atommeiler möglichst früh abgeschaltet werden. Der Landtag – der alte wie der neue – hat die Landesregierung aufgefordert, tätig zu werden und auch ein Angebot zu machen, wie wir helfen könnten. Die Leitungen müssen noch gelegt werden. Aber ab 2020 hoffen wir, 1 GW verfügbar zu haben, 2023 oder 2025 vielleicht auch 2 bis 3 GW, damit wir für die vorzeitige Abschaltung auch Strom liefern könnten.

Nur: Diese Leistung muss auch im Netz sein und zur Verfügung stehen. Deshalb hat damals Herr Remmel sogar in das Gutachten schreiben lassen: Wenn es nottut und wir es nicht ganz schaffen, könnte man auch noch ein altes Kohlekraftwerk mobilisieren, um zusätzlich einen Ausgleich zu schaffen. – So viel auch einmal zur Lebenswirklichkeit in den letzten Jahren und zu dem, was uns hier an Anträgen vorliegt!

Ich denke, wir sind gut beraten, meine Damen und Herren, die Dinge zusammen zu bedenken, das Zieldreieck im Blick zu behalten und eine Energiepolitik mit Vernunft zu machen, die am Ende auch dem Klima hilft, und zwar dadurch, dass wir nicht nur die modernsten Anlagen einsetzen, schrittweise die Kohle verantwortungsvoll aus dem System zurücknehmen und durch Erneuerbare und Gas ersetzen, sondern auch Wert darauf legen, die energieintensiven Unternehmen hier am Standort so zu versorgen, dass sie in Nordrhein-Westfalen produzieren können; denn sie sichern bei uns über eine Viertelmillion Arbeitsplätze und können hier gleichzeitig so sauber produzieren wie sonst nirgendwo auf der Welt.

Wenn wir ihnen hier nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen geben, haben wir Carbon Leakage; denn dann gehen sie ins Ausland

(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Das tun sie jetzt schon!)

und produzieren dort in einer Weise, die viel stärker zu einem globalen Klimawandel beiträgt.

Deswegen: Bitte Energie- und Klimapolitik mit Maß und Mitte, mit Vernunft und Sachverstand! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Professor Pinkwart. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Ritter. Er hält heute seine erste Rede. Bitte schön, Herr Kollege.

Jochen Ritter (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu den Gegenständen des Antrags ist bereits gestern und auch heute schon einiges gesagt worden. Ich kann mich also kurzfassen – etwa dadurch, dass ich mich der Zustimmung zu den Inhalten der ersten beiden Teile des Antrags, wie ich sie bisher mehr oder weniger unisono vernommen habe, anschließe.

Beim nächsten Passus gibt es allerdings keine ungeteilte Zustimmung. Ja, NRW ist einwohnerreich und energieintensiv. Deshalb kann es sich auch in diesem Kontext nicht lediglich auf sich selbst beschränken, sondern soll eine dementsprechende Rolle in Berlin und in Teilen auch über die nationalen Grenzen hinaus spielen. So ist es in der NRW-Koalition verabredet. So agiert die Landesregierung. So haben es Lutz Lienenkämper und Christof Rasche gestern relativ pointiert auf den Punkt gebracht. Dazu braucht es keiner besonderen Aufforderung mit diesem Antrag

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

und insofern auch keiner Nachhilfe seitens der SPD.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Ministerpräsidentin Kraft in den letzten sieben Jahren das Gewicht von NRW mit ähnlichem Engagement bundespolitisch in die Waagschale geworfen hätte, wie das Armin Laschet seit einem halben Jahr tut.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Nein, diese Koalition trägt den Klimaschutz, anders als unterstellt, nicht lediglich auf der Zunge. Sie hat ihre Vorstellungen vertraglich fixiert und stellt in konsequenter Weise sicher, dass mehr als ausreichende Beiträge dazu geliefert werden. Der Grad der Zielerreichung ist ja hier auch schon mehrfach erörtert worden.

So gesehen wäre es also nicht unbedingt erforderlich, sich hier und heute über zusätzliche Maßnahmen auseinanderzusetzen. Die Weltklimakonferenz, auf die sich die Antragsteller beziehen, kommt natürlich als Anlass dafür in Betracht, nichtsdestotrotz darüber nachzudenken.

Die COP 23 bietet mehr als nur Show oder – Christina Schulze Föcking hat es gestern auch schon erwähnt – prominent besetzte Empfänge. Selbst dabei – das Missverständnis ist ja gestern hier artikuliert worden – geht es weniger um Musik und Buffets, sondern darum, miteinander ins Gespräch zu kommen und idealerweise voneinander zu lernen, die Bereitschaft und die Fähigkeit dazu vorausgesetzt.

(Beifall von der CDU)

Der Horizont desjenigen, der sich darauf einlässt, was dort zur Sprache kommt, läuft auch nicht unbedingt Gefahr, kleiner zu werden. Denn die Teilnehmer führen in durchaus beeindruckender Weise Gesichtspunkte vor Augen, die helfen, das Bild zu vervollständigen und zu aktualisieren, und zwar, mit Verlaub, um auf den vorliegenden Antrag zurückzukommen, mehr als dieser Antrag. Das gilt vor allem für den Teil, in dem er allmählich konkret wird und schließlich zu Forderungen führt.

Hier gehen nach anfänglicher Übereinstimmung unsere Vorstellungen dann doch ein wenig auseinander. Die angesprochenen Punkte bzw. vorgeschlagenen Maßnahmen werden weder dem Spektrum der Herausforderungen gerecht, die im Zusammenhang mit dem Klimaschutz zu bewältigen sind, noch kommen neue erfolgversprechende Aspekte zur Sprache.

Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf einige wenige Angelegenheiten, zu denen ich einen persönlichen Bezug habe, und illustriere anhand derer ein paar Schwierigkeiten, die wir mit dem Antrag haben.

So ist anders als vorgetragen weder der von Ihnen beschlossene Landesentwicklungsplan zukunftsfähig, noch der Ausbau der erneuerbaren Energien so, wie von Ihnen in den letzten Jahren politisch begleitet, menschenverträglich, wie Sie es ausdrücken.

Im Gegenteil haben Sie damit insbesondere dem ländlichen Raum die Zukunft genommen und den LEP als Vehikel missbraucht, um ihn jedenfalls in Teilen über Gebühr bzw. einseitig mit Windrädern zu beaufschlagen, ohne dass die nötige Netzinfrastruktur vorhanden wäre.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Diese kommt in Ihrem Antrag im Übrigen auch immer erst an zweiter Stelle. Umgekehrt würde ein Schuh daraus. Dietmar Brockes hat darauf hingewiesen.

Damit haben Sie die ursprüngliche Akzeptanz in der Bevölkerung jedenfalls auf dem Land weitgehend zunichtegemacht und die Erfolgsaussichten des vorgeschlagenen weiteren Zubaus minimiert.

Der ländliche Raum hat auch mehr zu bieten als nur einige windhöffige Bergkuppen. Nicht von ungefähr führte gestern eine Exkursion im Rahmen der Weltklimakonferenz in meinen Wahlkreis Olpe, um sich an der Biggetalsperre und an einem Pumpspeicherwerk über die Möglichkeiten der Gewinnung bzw. Speicherung von Energie unter Inanspruchnahme von Wasserkraft ein Bild zu machen.

Insofern brauchen wir auch keine Vorbilder aus InnovationCity Ruhr. Wir haben Innovation Country – oder besser noch: Tradition Country. Das gibt es bei uns schon seit 40 Jahren.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das Ihrem Antrag zufolge aufrechtzuerhaltende Tariftreue- und Vergabegesetz, um darauf auch noch kurz zu sprechen zu kommen, führt in der Theorie tatsächlich dazu, dass Interessenten für öffentliche Aufträge in ökologischer und sozialer Hinsicht Verantwortung übernehmen. In der Praxis arbeiten sie allerdings oft lediglich wirkungslose Bürokratie ab oder – noch schlimmer – bleiben dem Wettbewerb gleich ganz fern.

Was Gesetze wie dieses tatsächlich bewirken, lässt sich an der wirtschaftlichen Entwicklung von NRW in den Jahren verfolgen, in denen Sie Verantwortung getragen haben. Es ging im Vergleich der Bundesländer bis auf den letzten Platz abwärts.

Schließlich gibt es die apodiktische Forderung nach einem ebenso kurzfristigen wie weitreichenden Kohleausstieg, als ob es im Abkommen von Paris ausdrücklich, wenn nicht gar ausschließlich, darum und nicht zumindest in Teilen technologieoffen um die Vermeidung von CO2 ginge.

Wer beim Einsatz konventioneller Kraftwerkskapazitäten oder beim Ersatz durch Anlagen zur Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen schlicht absolute Angaben gegenüberstellt, der springt zu kurz; denn dabei stellen sich insbesondere im Zusammenhang mit industrieller Produktion weitere Fragen, die hier hinlänglich erörtert worden sind.

Noch ein Aspekt zum Schluss: Soweit Kraftwerke, die entsprechend ihrer Genehmigung betrieben werden, von jetzt auf gleich abgestellt werden sollen, kommt das im Übrigen auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht ohne Weiteres in Betracht. Technisch – da beziehe ich mich auf Wirtschaftsminister Pinkwart – sollten solche Schritte im Hinblick auf die vom Antragsteller angestrebte Planungssicherheit allenfalls in einer Größenordnung und auf eine Art und Weise erfolgen, die hier bereits ansässige oder auswärtige investitionswillige Unternehmen nicht veranlassen, ihre Zukunft sicherheitshalber woanders zu planen als in einem Land, das sich erheblichen Risiken bei der Energieversorgung aussetzt.

Langer Rede kurzer Sinn: Unsere Vorstellungen von der energetischen und damit auch klimatischen Zukunft unseres Landes decken sich bei näherer Betrachtung in weiten Teilen nicht mit dem, was hier und heute vorgetragen wird. Das ist zu undifferenziert, zu wenig Innovation und nicht zuletzt nach wie vor zu viel Dirigismus; denn wir wollen das Klima mit den Menschen schützen und nicht gegen sie. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege. Einen Ritterschlag gibt es von hier oben nicht, aber einen herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede. Sie brauchen auch kein schlechtes Gewissen zu haben, weil Sie die Redezeit ein bisschen überzogen haben. Am Anfang macht man das. Später sind es alles nur noch Punktlandungen. Das haben wir im Griff. – Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Lieber Herr Ritter, auch von mir einen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Plenarrede. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pinkwart hat vorhin mit erhobenem Finger hier gestanden und gemahnt, das sei eine ganz besondere Debatte; wir müssten die Protokolle ausdrucken und aufpassen, dass man hier alles richtig wiedergibt.

Dazu will ich gerne einen kleinen Beitrag leisten, Herr Professor Pinkwart. Sie haben gesagt, Frau Thoben habe seinerzeit 30 % gefordert. Um es exakt zu machen: Es waren 33 %, die damals in Ihrem Kabinett – Sie saßen, glaube ich, mit am Tisch – gefordert wurden.

(Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart: Ja, ja! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Daran erinnert er sich nicht mehr so!)

Aber dann kam ein entscheidender Unterschied. Sie haben nicht, wie Sie vorhin in Ihrer Plenarrede behauptet haben, einen Klimaschutzplan mit 30 % vorgelegt. Nein, das haben Sie nicht getan. Sie haben keine einzige Maßnahme vorlegt, wie dieses Ziel von nicht 30 %, sondern 33 % erreicht werden soll. Das ist nicht geschehen. Es gab über die ganze Strecke hinweg keinen einzigen Beitrag, den Sie dazu geleistet haben.

Sie haben immer wieder zu Realismus aufgefordert. Wir kommen dann in die Zeit einer rot-grünen Regierung und haben festgestellt: Wir wollen keine Ziele in die Welt setzen, die man nicht erreichen kann, sondern lieber etwas versprechen, was man hält. Dabei sind wir für Nordrhein-Westfalen auf Ziele gekommen, die deutlich niedriger waren und die wir mit den Grünen an dieser Stelle ausverhandelt haben. Bitte also keine Geschichtsklitterung betreiben, sondern präzise und sauber arbeiten!

Ich versuche, einen Beitrag dazu zu leisten, und die Landesregierung kann hier jederzeit noch einmal in die Debatte kommen und das, wenn sie will, darstellen; das ist kein Problem. Aber ich versuche es jetzt an dieser Stelle einmal exakt zu machen.

Lieber Kollege Brockes, es war der Kollege Pinkwart, der sich Anfang September in der „Aachener Zeitung“ geäußert hat. Zitat:

„Der neue NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sieht Chancen, das Klimaziel der rot-grünen Vorgängerregierung sogar zu übertreffen. Es sei möglich, bis 2020 im Vergleich zu 1990 die CO2-Emissionen um mehr als 25 %“

– also unser Ziel –

„zu reduzieren, sagte Pinkwart gestern. Dazu beitragen könne“

– hören Sie einmal zu, Herr Brockes! –

(Dietmar Brockes [FDP]: Ich höre die ganze Zeit zu!)

„bei flankierenden Hilfen von EU und Bund eine Verringerung der Braunkohlekapazitäten über das bisher beschlossene Maß hinaus.“

Das passt jetzt nicht so richtig zu Ihrer Rede vorhin. Sie haben gemeint, wir müssten jetzt gleich ganz doll aufpassen, weil Herr Kollege Stinka und ich Unterschiedliches sagen würden. – Jetzt klären Sie erst einmal, welche Unterschiedlichkeiten bei den Braunkohleaussagen zwischen Ihnen und dem Kollegen Pinkwart bestehen.

Ich nenne Ihnen unsere Position, und dabei gibt es keine Differenz zum Kollegen Stinka.

(Heiterkeit von der FDP)

Ganz klar, wir sagen an dieser Stelle: Wir wollen realistische Klimaschutzziele, und wir wollen das Land nicht überfordern.

(Zuruf von der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn man sich den Zielerreichungsgrad bei den Klimaschutzzielen über die Bundesländer hinweg ansieht, sich dieses berühmte 40-%-Ziel und nicht nur NRW mit 25 % ansieht, kommt man zu frappierenden Ergebnissen. Die letzten verfügbaren Zahlen auf den Seiten des Bundesumweltministeriums sind: Baden-Württemberg 11,1 % und Bayern 10,1 % – nicht 40 %, meine Damen und Herren. Es gibt Länder, die aber deutlich vorne und weit über den 40 % liegen. Das sind Sachsen mit 46,4 %, Sachsen-Anhalt mit 48,5 %, und Spitzenreiter ist Thüringen mit 64,1 %. Das ist auch kein Wunder, denn es wird in CO2-Emissionen von 1990 gemessen, und dahinter steckt die Deindustrialisierung der DDR.

Deswegen: Wenn man an diese Ziele weiter herangehen soll, ist es gut, dass Sie noch einmal rechnen, Herr Pinkwart. Der Unterschied vorhin war 30 zu 33 %. Ich hoffe, Ihre Mitarbeiter machen das jetzt klar.

(Zuruf von der FDP)

– Ja, er ist so beschäftigt, und deshalb bin ich beunruhigt, ob er das mit der Prozentrechnung hinbekommt.

(Zurufe)

Was mich an dieser Stelle bewegt, ist ganz klar: Wir dürfen Industrie nicht überfordern, denn sonst schaffen wir hier etwas Zweites, nämlich eine zweite Deindustrialisierungswelle, meine Damen und Herren. Wir müssen mit Augenmaß handeln, und deshalb war das, was die Vorgängerregierung gemacht hat, nicht mit 33 %

(Zurufe)

– sind die Zahlen jetzt klar? – eine Zahl in die Welt zu setzen und nichts zu tun, sondern lieber eine realistische Vorgabe zu machen und an dieser zu arbeiten, ein weitaus vernünftigerer, ethisch vertretbarerer und klarerer und ehrlicherer Weg als der, den Sie eingeschlagen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zum Antrag sagen. Ihre Forderung, Kollege Brockes, war ja, darzulegen, wie wir zu dem Antrag stehen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich gedacht habe: Meine Güte, was ist mit den Grünen los? Vor zwei Monaten habe ich hier mit Wibke Brems noch diskutiert; da hatten wir einen ganz anderen Forderungskatalog: 20 Blöcke müssen abgeschaltet werden, jetzt und sofort, keine Sekunde warten! – Jetzt heißt es, sich auf Bundesebene für einen Kohleausstieg einzusetzen, der der Pariser Klimavereinbarung gerecht wird und den Strukturwandel in den betroffenen Regionen unterstützt. – Keine Zahl mehr, kein Enddatum mehr, keine konkreten Blöcke mehr, alles vorbei!

Meine Damen und Herren, ich finde, dieser Antrag wird der konkreten Situation in keiner Weise gerecht, weil jede Tageszeitung die Frage mittlerweile konkreter diskutiert als die grüne Fraktion. Sie sind längst in dieses Jamaika-Bündnis unterwegs, und mich hat vorhin wirklich verwundert, warum Frau Peill und andere sich so daran abgearbeitet haben. Ein weicheres grüneres Papier, Herr Professor Pinkwart, habe ich in diesem Hause selten erlebt, das will ich deutlich sagen.

(Heiterkeit von Dietmar Brockes [FDP])

Wir Sozialdemokraten haben uns deshalb in der Tat schwer damit getan, wie wir damit richtig umgehen. Ich sage Ihnen: Weil es so unkonkret und unklar auch an diesen Stellen ist, haben wir gesagt: Wir enthalten uns – aber nicht, weil wir sagen, die Fidschi-Inseln oder das Gender-Mainstreaming, das haut irgendetwas kaputt. Das war nicht unser Punkt, sondern es geht hier schon um feste Fakten.

(Unruhe)

Liebe Frau Kollegin Düker, ich habe mir gestern die Haushaltsdebatte angehört und auch gehört, wie die Grünen bzw. Sie hier im Hohen Hause erklärt haben, dass wir bei der Frage der Braunkohlepolitik alles falsch verstanden hätten. Die Grünen seien nicht an Entscheidungen beteiligt gewesen, die die Braunkohle in Nordrhein-Westfalen gesichert hätten,

(Monika Düker [GRÜNE]: Das habe ich nicht gesagt!)

sondern das Zentrale sei gewesen, dass die Grünen es geschafft hätten, einen Tagebau zu verkleinern.

(Monika Düker [GRÜNE]: Richtig, ja!)

Jetzt muss ich leider daran erinnern, dass der Beschlusstext ein wenig umfangreicher war. In dem Beschlusstext stand – das ist der Leitsatz 1 der Entscheidung Braunkohle zu dem Tagebau –:

„Braunkohlenabbau ist im Rheinischen Revier weiterhin erforderlich, dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert …“

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wenn man in der Regierungsverantwortung steht, kann man sich nicht nur Teile herauspicken und sagen: „Dafür bin ich weiterhin, das vertrete ich weiter“, sondern ich erwarte, dass man dann zu seinen Positionen vollumfänglich steht, weil Sie schließlich im Kabinett dafür gestimmt haben und wir damit auch in Regierungsfragen in den Fraktionen weiter Verantwortung getragen haben.

(Dietmar Brockes [FDP]: So machen wir das auch! – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ich finde, so kann man an diese Themen nicht herangehen. – Jetzt schüttelt Monika Düker weiter den Kopf. Also, ich kann auch die Umsiedlungsbeschlüsse zitieren, die noch deutlicher sind. Sollen wir das machen?

(Unruhe – Zuruf: Bitte, bitte!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Guido van den Berg (SPD): Ja, gerne.

Monika Düker (GRÜNE): Vielleicht hilft das zur Klarstellung: Der Beitrag gestern bezog sich auf den Vergleich, dass man mit dieser Leitentscheidung sozusagen einen Kohleausstiegsfahrplan per Gesetz vergleicht.

Da frage ich Sie, ob Sie mit mir einer Meinung sind, dass eine Leitentscheidung über eine räumliche Begrenzung eines Tagebaugebietes bis zum Jahr 2045 eine Ermöglichung des Kohleabbaus darstellt, aber ein Kohleausstiegsgesetz ein verbindlicher Fahrplan für den Ausstieg aus der konkreten Kohleverstromung ist und das eine nichts mit dem anderen zu tun hat.

Guido van den Berg (SPD): Wir haben ja Gott sei Dank ein Wortprotokoll. Ihre Frage war, ob ich anerkenne, dass eine Leitentscheidung, die eine räumliche Verkleinerung bis zum Jahr 2045 beinhaltet, keine zeitliche Begrenzung bedeutet.

(Josefine Paul [GRÜNE] und Monika Düker [GRÜNE]: Nein!)

– Liebe Kollegin Düker, wir werden das im Wortprotokoll aufmerksam nachlesen. Ich denke, die Frage erübrigt sich an dieser Stelle, wenn ich das so sagen darf. Aber Sie nötigen mich, noch einmal auf die Umsiedlungsbeschlüsse hinzuweisen, in denen Sie selbst deutlich ausgeführt haben – ich zitiere noch einmal –:

„… bleibt die Braunkohle in Nordrhein-Westfalen unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse und nach energiewirtschaftlicher und energiepolitischer Einschätzung der Landesregierung“

– also der damaligen –

„trotz der von ihr ausgehenden Umweltbelastungen auch für den hier betrachteten Zeitraum … ein wesentlicher Bestandteil des Energiemixes und damit noch erforderlich.“

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Vielen Dank, für die Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren. Die SPD-Fraktion enthält sich.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Jetzt spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, erfolgreicher Klimaschutz ist eben nicht mit einer Maßnahme getan, davon braucht es ganz, ganz viele. Erfolgreicher Klimaschutz hat ganz viele Aspekte. Daher haben wir versucht, diese in einem Antrag darzustellen.

Deswegen, Frau Peill von der CDU, haben wir diese unterschiedlichen Aspekte auch aufgelistet. Es war mehr als ein Blumenstrauß, und es ist natürlich auch mehr als nur der Kohleausstieg, lieber Herr Brockes, denn da haben Sie sich, was das angeht, anscheinend nicht abgestimmt. Uns werfen Sie einerseits vor, es sei nur der Kohleausstieg, und andererseits sei es ein Blumenstrauß. Da müssen Sie schon noch ein bisschen klarer werden.

Erfolgreicher Klimaschutz muss eben alles einbeziehen, alle unterschiedlichen Aspekte, die Verantwortung der Industrieländer und die Unterstützung der sogenannten Entwicklungsländer.

Erfolgreicher Klimaschutz muss einbeziehen, dass auch ein Ausstieg aus der Finanzierung von fossilen Projekten, also Divestment, notwendig ist.

Erfolgreicher Klimaschutz muss sich auch ansehen, wer besonders betroffen ist. Besonders betroffen sind eben gerade Frauen im globalen Süden. Das ist ganz klar, denn diese Frauen haben geringere und wirtschaftliche Macht als die Männer dort. Sie leiden mehr unter Armut, sie leiden mehr unter Hunger. Das muss man sich ansehen. Nur weil wir Menschen in diesem Haus haben, die schlichtweg frauenverachtend sind, können Sie die Realität nicht einfach verneinen. Wir müssen uns auch dieses Themas annehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Erfolgreicher Klimaschutz muss aber auch konkrete Maßnahmen in Kommunen, in den Staaten und auch auf der Landesebene beinhalten. Bekenntnisse zu Paris hören sich alle immer toll und schön an, aber es braucht eben mehr. Es braucht konkrete Maßnahmen.

Deswegen, Herr Pinkwart, gibt es auch einen Unterschied zwischen dem, was in der Zeit von 2005 bis 2010 die schwarz-gelbe Regierung unternommen hat, und dem, was wir danach gemacht haben. Wir haben uns nicht nur Ziele überlegt, sondern sind konkrete Maßnahmen angegangen. Ja, ganz ehrlich: Natürlich hätten wir uns Grüne auch manchmal mehr vorstellen können, als wir mit der SPD erreicht haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Weil es eben nicht nur um Bekenntnisse geht, muss auch die neue Landesregierung handeln und sich nicht einfach nur bekennen. Wir haben das Problem, dass wir in Deutschland eine riesige Klimalücke haben. Deutschland wird die 2020-Ziele verfehlen. Daran hat auch Nordrhein-Westfalen einen Anteil und muss handeln.

Der größte CO2-Emittent ist der Energiesektor. Wenn wir in dem Bereich etwas erreichen wollen, dann macht es den größten Batzen aus, wenn wir aus der Kohle aussteigen.

Dass ich das noch erleben darf, dass unsere Ausstiegsforderungen für einen Kohleausstieg der SPD zu weich sind, das ist auch eine ganz neue Erfahrung, aber man lernt auch hier immer weiter dazu.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Ich kann Ihnen versichern: Wir bleiben bei dem, was wir auch beim letzten Mal beantragt haben. Wir wollten Ihnen jedes Mal immer wieder die gleichen Formulierungen ersparen. Deswegen haben wir die Formulierungen an dieser Stelle so gewählt.

Die Weltklimakonferenzen sind wichtig. Wir haben aber nicht weitere 23 Weltklimakonferenzen Zeit.

Ich wäre gerne noch auf Ihre Argumente zum Thema Versorgungssicherheit eingegangen. Die sind alle widerlegt. Die werden in den letzten Tagen von immer mehr Leuten widerlegt. Diese Dinge sollten Sie sich einmal anhören und nicht einfach nur einen Siemens-Firmengründer zitieren, sondern vielleicht der aktuellen Siemens-Unternehmensführung zuhören, die ganz klar sagt: Wir brauchen Kohleausstieg, und wir müssen jetzt diese Signale senden.

Herr Brockes, ich hätte Ihnen und anderen so viel Auffassungsgabe zugetraut, diesen Antrag hier innerhalb von einer Woche zu lesen und ihm zuzustimmen. Deswegen bitte ich Sie: Fassen Sie sich ein Herz,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Verstehen wäre auch gut!)

stimmen Sie zu! Bekennen Sie nicht nur, sondern werden Sie auch aktiv! – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Herr Minister Professor Dr. Pinkwart zu Wort gemeldet.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und mich bei dem Abgeordneten van den Berg sehr herzlich für den wichtigen Hinweis, den Sie mir gegeben haben, bedanken. Ich wollte Ihnen ja die Zielabweichung gar nicht so dramatisch vorlegen, wie Sie sie selbst dann tatsächlich nach Ihren Ausführungen – ich habe es nachprüfen lassen, Sie haben völlig recht – dargelegt haben. Ich hatte Ihnen nur zugesprochen, dass Sie das Ziel von 30 auf 25 % abgesenkt haben.

Es ist aber tatsächlich so – ich habe mich noch einmal informiert –: Wir hatten bis zum Jahr 2012 – ich war da von Nordrhein-Westfalen etwas weiter weg, Sie sehen mir das nach – das Ziel von 33 % von Christa Thoben – und zwar nicht nur als Ziel – deklariert.

Dazu gab es auch eine Klimastrategie. Es gab Maßnahmen bezogen auf alle Sektoren, auch bezogen auf den Strombereich und die Kohle, aber natürlich auch auf den Wohnbereich, auf Verkehr, auf die Industrie, Energieeffizienzsteigerung und Beratung. All das ist von der damaligen Landesregierung erarbeitet worden. Das Klimaschutzziel 2008 war 33 %. Das müssen sich insbesondere die Grünen, finde ich, schon einmal sagen lassen.

Bei aller mutigen Darlegung dessen, was sie jetzt an großen Lücken a) identifizieren und b) noch schließen wollen, waren Sie es, die ein solches Ziel 2012 mit einem Abstand von mehr als acht Jahren auf 25 % zurückgenommen haben, statt sich zu fragen: Was wäre denn in 2012 notwendig gewesen, um die 33 % vielleicht doch noch zu erreichen? Die Frage haben Sie anscheinend gar nicht diskutiert, sondern einfach die Ziele heruntergesetzt und dann auf dieser etwas abgespeckten Zielbasis gearbeitet.

Ich denke, wer so agiert, sollte nicht anderen den Zeigefinger zeigen und mehr einfordern,

(Beifall von der CDU und der FDP)

sondern der sollte einfach mitmachen und helfen, dass Ziele auch erreicht werden können.

Ich denke, wir sollten aus diesem Schritt anerkennen, dass all diejenigen, die in Verantwortung sind, auch eine Verantwortung tragen, damit wir nicht nur das, was wir uns wünschen, erreichen können, sondern das, was für die Menschen im Lande realistisch ist. Denn wir machen Politik ja nicht nur für Wahlprogramme, sondern für die Menschen im Lande, für Arbeitsplätze, für Wohlstand und für Sicherheit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat sich für die SPD noch einmal Herr Kollege Stinka zu Wort gemeldet. Bitte schön.

André Stinka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit hier noch einmal Klarheit in das Zahlenverwirrspiel des Ministers hineinkommt!

Dass Sie sich den Koalitionsvertrag anschauen, Herr Pinkwart, das würde ich sehr empfehlen. Dort haben Sie deutlich ausgedrückt, dass Sie die Klimaziele der EU von 20 % anerkennen. Sie haben in der „Rheinischen Post“ noch einmal deutlich gemacht: Ja, dann könnten auch 25 % – entsprechend unserem Klimaschutzgesetzes – ausreichend sein. Also tun Sie nicht so, als seien Sie die Erfinder.

Wenn Sie von 33 % reden, lieber Herr Minister, dann muss ich Ihnen sagen: Just in dem Moment, als Christa Thoben auf einem geduldigen Blatt Papier geschrieben hat, das könnte ein Ziel sein, hat Herr Wittke damals die Axt an die Windkraft gelegt,

(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart)

und Sie haben jede Möglichkeit genutzt, den CO2-Ausstoß nicht zu reduzieren.

(Beifall von der SPD)

Und Sie stellen sich heute hier hin und tun so, als wäre etwas geschehen.

Ich war damals dabei, und wir hatten eine Enquetekommission zum Thema der Energiepreise. Ich sage Ihnen: Da hat die Fraktion der CDU noch über Kugelkopfreaktoren geredet. Und jetzt lasse ich es nicht durchgehen, dass Rot-Grün hier dargestellt wird, als hätten sie hier den Klimaschutz nicht vorangebracht.

(Zuruf von Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart – Christof Rasche [FDP]: Was haben Sie denn gemacht?)

Sie waren „tradition“, wie es Herr Ritter vorhin gesagt hat, und wir waren Fortschritt. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stinka. – Damit sind wir am Schluss der Debatte. Weitere Wortmeldungen habe ich nicht.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – Bündnis 90/Die Grünen stimmen zu, was zu erwarten war. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, AfD und die beiden fraktionslosen Abgeordneten Neppe und Langguth stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthält sich wie angekündigt die SPD-Fraktion. Damit ist das Ergebnis eindeutig. Der Antrag Drucksache 17/1119 ist mit breiter Mehrheit im Hohen Hause abgelehnt.

Ich rufe auf:

5   Bundesratsinitiative zur Aufhebung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte

Antrag
der Fraktion der AfD
Drucksache 17/1127

Die Aussprache ist eröffnet. – Ich darf um etwas mehr Ruhe im Saal bitten, Kolleginnen und Kollegen, weil die Rednerin schon am Pult steht. Es ist die Kollegin Walger-Demolsky. Sie hat das Wort. Bitte schön.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank. Sehr geehrte Kollegen! Im August 2015 wurde der Familiennachzug für Ehegatten und minderjährige Kinder zu subsidiär Schutzberechtigten nach Deutschland deutlich erleichtert. So wurde zum Beispiel auf einen Nachweis ausreichenden Wohnraums und auch auf die eigenständige Finanzierung des Lebensunterhalts verzichtet.

Noch im selben Jahr wurde allerdings, möglicherweise unter dem Eindruck der massiven Zuwanderung, in einer abrupten Kehrtwende der Nachzug für alle nach März 2016 als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Personen bis zum 17. März 2018 vollständig ausgesetzt. Den Grünen und Linken gefiel das damals nicht. Alle anderen fanden die Suspendierung letztlich wohl vernünftig.

Ohne einen erneuten Eingriff des Gesetzgebers lebt das Nachzugsrecht zum 18. März 2018 automatisch wieder auf. Das halten wir in der gegebenen Situation für falsch.

2016 wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bundesweit 154.000 Menschen als subsidiär schutzberechtigt anerkannt. 2017 kamen bis einschließlich September noch einmal 86.000 Menschen hinzu, und weitere werden sicherlich auch bis März noch zu erwarten sein.

Gemäß Königsteiner Schlüssel entfallen von diesen 240.000 Personen rund 21,1 % auf Nordrhein-Westfalen. Wir können also davon ausgehen, dass aktuell um die 50.000 subsidiär Schutzberechtigte in Nordrhein-Westfalen leben. Auch hier ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.

Das sich daraus ergebende Nachzugspotenzial kann nicht exakt bestimmt werden, aber doch annäherungshalber. Das Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehen von einer Person, also eins zu eins, je Schutzberechtigten im Moment aus.

Nordrhein-Westfalen wird also von der Entscheidung des Bundes über den weiteren Umgang mit dem Familiennachzug in erheblichem Maße betroffen sein. Nach offizieller Schätzung werden dann also demnächst über 50.000 Familienangehörige zu uns kommen können.

Rechnet man jetzt noch etwas realistischer, also mit einem Zuzug von rund drei Personen pro Schutzberechtigten – da würden wir von einem Erwachsenen und zwei Kindern ausgehen –, kommt man bereits auf über 150.000 Personen für Nordrhein-Westfalen. Berücksichtigt haben wir da keine Mehrfachehen.

Unser Land ist heute schon mit der Bewältigung der unkontrollierten Massenzuwanderung der letzten Jahre strukturell vollkommen überfordert.

(Beifall von der AfD)

Es fehlt selbst in schrumpfenden Gemeinden an Wohnraum, an Schulen, an Kitakapazitäten usw. Das aktuelle Bildungssystem ist zu einer adäquaten Ausbildung zigtausend weiterer nicht deutsch sprechender Kinder derzeit gar nicht imstande.

(Beifall von der AfD)

Auch wenn die Situation von Ihnen gerne schöngeredet wird – Eltern oder Großeltern von schulpflichtigen Kindern im Ruhrgebiet oder in Köln wissen, wovon ich rede. Vor diesem Hintergrund unzureichender Ressourcen die Zuwanderung noch einmal zu forcieren, wäre hochgradig unverantwortlich.

(Beifall von der AfD)

Nicht umsonst warnt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vor einer Wiederaufnahme des Familiennachzugs. Die Städte bzw. ihre Vertretungen beginnen einen realistischen Blick auf die Situation zu bekommen.

Da der Familiennachzug seit 2015 auch noch von den Erfordernissen ausreichenden Wohnraums und der selbstständiger Finanzierung losgelöst wurde, läuft er auf eine weitere Einwanderung in die Sozialsysteme hinaus. Dies gilt es aus der Sicht der AfD dringend zu verhindern.

(Beifall von der AfD)

Das UNHCR hat wohl bereits im Juni deutliche Verbesserungen in den Bürgerkriegsgebieten – deutlich weniger Kampfeinsätze usw. auch in Syrien – registriert und festgestellt, dass immer mehr Syrer in ihre Heimat zurückkehren und dass Millionen Flüchtlinge im Moment davon träumen, nach Hause zu gehen. „Welt online“ berichtet am 11. August 2017, dass zwischen Januar und Juli mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimatorte in dem Bürgerkriegsland zurückgekehrt sind.

Mehr als 80 % der Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht gewesen, weitere waren in der Türkei, im Libanon, in Jordanien usw. Allein aus der Türkei sind 2015 ca. 260.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimat im Norden Syriens zurückgekehrt.

Wer könnte nicht verstehen, dass Menschen sich nach ihren Familien sehnen, gerade wenn sie unter dramatischen Umständen von ihrer Familie getrennt wurden? Eine Familienzusammenführung der Syrer aber zum Beispiel in Deutschland käme zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

Unser Ziel muss es sein, die in der Regel männlichen Personen auf ihre baldige Rückkehr in ihr Land, auf den Wiederaufbau ihrer Heimat vorzubereiten. Diesbezüglich sollte sich auch ein Teil der Integrationsbemühungen in Nordrhein-Westfalen dringend umstellen. Ein umfassendes Programm, das auf die Rückkehr dieser jungen Männer in ihre Heimatländer und die dort auf sie zukommenden Anforderungen eingeht, also auf eine Heimat mit Zukunft vorbereitet, sucht man in den vielen Programmen vergebens.

Wir stellen daher den Antrag, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, eine Bundesratsinitiative zu starten mit dem Ziel, das Recht auf Familiennachzug – § 29 – subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 4 des Asylgesetzes aufzuheben oder hilfsweise die Suspendierung des Familiennachzugs dieser Gruppe um drei Jahre zu verlängern. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Wermer, und es ist ihre erste Rede.

Heike Wermer (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man dieser Tage Richtung Berlin schaut, wird man feststellen, dass der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte nicht nur ein Thema ist, das uns in Nordrhein-Westfalen bewegt.

Schaut man sich aber den vorliegenden Antrag an, wird schnell deutlich, dass Sie von der AfD nicht konstruktiv über dieses Thema diskutieren wollen, sondern die Menschen in NRW verunsichern möchten.

(Zuruf von der AfD: Ha!)

Im Falle eines seriösen Dialogs hätten Sie nämlich mit ihrem Antrag gewartet, bis die aktuellen Koalitionsgespräche auf Bundesebene abgeschlossen wären.

(Zurufe von der CDU und der AfD)

Außerdem hätten Sie einen anderen Zungenschlag verwendet.

(Zuruf: Vielleicht gibt‘s Neuwahlen!)

Ich möchte vor allen Dingen auf den Zungenschlag zu sprechen kommen. Denn wie unseriös Sie an dieses Thema herangehen, möchte ich mit einem Beispiel belegen. In Ihrem Antrag zitieren Sie den ersten Abschnitt eines Artikels von „WELT online“, in dem von der Rückkehr von 600.000 Syrern in ihre Heimat gesprochen wird. Bewusst verschweigen Sie aber den zweiten Teil des Artikels, worin es heißt:

„Insgesamt befinden sich den UN-Angaben zufolge mehr als elf Millionen Syrer innerhalb und außerhalb des Landes auf der Flucht. Eine geordnete Rückkehr sei nicht möglich, solange die 2011 begonnene Gewalt andauere.“

Solch eine Irreführung von Ihnen ist kein Zufall, sondern Methode.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn auch im Umgang mit dem zweiten Presseartikel, den Sie verwenden, zeigt sich die Qualität Ihres Antrags. Mit Verweis auf einen Artikel der „FAZ“ beziehen Sie sich auf den vermeintlichen Standpunkt des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Herrn Dr. Landsberg. Dieser heißt im Übrigen mit Vornamen Gerd und nicht Gerald; das nur am Rande.

(Zurufe von Nadja Lüders [SPD] und der AfD)

Inhaltlich brechen Sie Herrn Dr. Landsbergs Standpunkt auf die Überschrift des Artikels herunter. Hinter der Warnung der Kommunen vor der Wiedereinführung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte steckt die klare Forderung, dieses Thema in die Sondierungsgespräche mit aufzunehmen. Tatsächlich ist seine Meinung sehr viel fundierter und begründeter, als Sie diese in nur einem Satz wiedergeben können.

(Zurufe von der AfD)

Und dann, meine Damen und Herren der AfD, sprechen Sie in Ihrem Antrag über ein „ohnedies dysfunktionales Bildungssystem“. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Welche Haltung legen Sie hier gegenüber unseren Lehrern, Pädagogen und anderen Personen, die an unseren Schulen tätig sind und an der Integration mitwirken, an den Tag? Das ist beschämend und respektlos.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Damit sprechen Sie nicht nur dem gesamten Bildungssystem jegliche Qualität ab, sondern mindern vor allem die Leistung unserer Lehrer. Ich möchte mich ausdrücklich und ganz herzlich bei allen Personen bedanken, die an unseren Schulen tätig sind. – Wir wissen Ihre Leistung zu schätzen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zu schätzen weiß ich ebenfalls, dass unsere NRW-Koalition sich für eine klar strukturierte Integrationspolitik einsetzt. Wir leben in einem weltoffenen und vielfältigen Bundesland – heute ist nebenbei bemerkt der Tag der Toleranz – und möchten Sorge dafür tragen, dass dies auch zukünftig so bleibt.

Das bedeutet erstens, dass wir uns um die Menschen kümmern, die hier bereits leben, aber noch nicht in unserer Mitte angekommen sind. Wir brauchen und wollen zweitens eine klar aufgestellte Migrationspolitik, mit der wir qualifizierte Zuwanderung fördern wollen. Und wir brauchen drittens eine klar aufgestellte Asylpolitik. Wer nach unseren Gesetzen ein Recht auf Schutz hat, bekommt ihn, wer nicht, muss das Land leider wieder verlassen.

(Zuruf von der AfD: Oooh!)

Wir von der CDU werden die kommenden Wochen und Monate für eine konstruktive Diskussion nutzen. Wir werden eine aktive Rolle bei der Gestaltung eines Einwanderungsgesetzes einnehmen.

Und nun zum Schluss Ihres Antrags: Dort verwenden Sie den Ausdruck „Fit4Return“. In diesem Zuge sprechen Sie von einer baldigen Rückkehr der geflüchteten Syrer, um dort Wiederaufbau zu leisten; Sie haben es gerade angesprochen. Was Sie aber in Wahrheit mit „Fit4Return“ meinen, haben Ihre Kollegen aus Baden-Württemberg in den letzten Monaten bei Diskussionen um ein gleichnamiges Papier allzu deutlich gemacht. Von diesem menschenverachtenden Menschenbild möchte ich mich als gläubige Christin und überzeugte Christdemokratin aufs Deutlichste distanzieren.

(Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Das gilt, glaube ich, auch für alle anderen demokratischen Parteien in diesem Haus.

Abschließend möchte ich appellieren, abzuwarten, was die Koalitionsverhandlungen in Berlin ergeben. Natürlich ist es mühsam, eine gemeinsame Linie zu finden, aber in den vergangenen Tagen hat sich gezeigt, dass die Koalitionspartner auf einem guten Weg sind.

Wir werden den AfD-Antrag ablehnen. – Danke.

(Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Wermer, und herzlichen Glückwunsch im Namen des Hohen Hauses zu Ihrer ersten Rede. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Yetim das Wort. Bitte schön.

Ibrahim Yetim (SPD): Danke schön. – Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wie viele Menschen würden wirklich einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen, wenn dies ab März 2018 auch für die subsidiär Schutzberechtigten wieder möglich ist? Das lässt sich nur ganz schwer schätzen. Wie viele Menschen hätten im Rahmen der Familienzusammenführungen das Recht, nach Deutschland zu kommen? Auch das lässt sich nur ganz schwer schätzen.

Die im Antrag der AfD aufgeführte These – Sie haben sie eben noch mal gehört – eines Zuzugs von je drei Personen pro Antragsteller halte ich nicht für realistisch. Das würde bedeuten, dass bislang ausschließlich Einzelpersonen nach Deutschland gekommen sind, die alle verheiratet sind und zwei bis zweieinhalb Kinder haben. Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich; ich halte es eher für sehr unwahrscheinlich.

Auch eine Studie des IAB widerlegt das sehr deutlich. Diese geht von 50.000 bis 60.000 nachzugsberechtigten Ehepartnern und Kindern aus. Außerdem sind viele der Geflüchteten männlich, ledig und haben keine Kinder. Deshalb ist dieser Antrag, über den wir heute leider reden müssen, liebe – nein, nicht „liebe“ – Kollegen von der AfD, meiner Meinung nach reine Stimmungsmache.

(Beifall von der SPD)

Was wir nämlich sehr wohl wissen, ist, dass viele Menschen, die hier derzeit alleine leben, sehr unter diesem Umstand leiden – verständlicherweise. Mit Blick auf die Integration bin ich davon überzeugt, dass es viel schwieriger ist, sich hier auf ein neues Leben einzulassen, wenn man nicht weiß, wie es den Kindern oder dem Ehepartner im Heimatland oder in irgendeinem der Flüchtlingslager geht.

Deswegen ist das einzig Richtige, was Sie heute gesagt haben, Frau Walger-Demolsky, dass es eine Sehnsucht nach Familie gibt. Diese Sehnsucht hält von der Integration ab, weil man im Kopf mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist.

Das Recht auf Familie sollten und dürfen wir nicht einschränken, um mit einer Obergrenze den CSU-Vorsitzenden im Amt zu halten; denn darum geht es mit Blick auf die Sondierungsgespräche in Berlin ganz aktuell.

Der FDP-Vorsitzende sagte kürzlich – ich zitiere –:

„Eine Ausweitung des Familiennachzuges würde die Akzeptanz einer neuen Regierung sofort zunichtemachen.“

(Ralf Witzel [FDP]: Ja!)

Dass die Grünen …

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Entschuldigung, Herr Kollege.

Ibrahim Yetim (SPD): … damit ihre Akzeptanz sofort gänzlich verlieren würden, ist ihm dabei völlig egal – Hauptsache, er bekommt sein Ministeramt.

Sehr geehrter Herr Minister Stamp, Sie als Familien- und Integrationsminister sollten wissen, wie wichtig Familie für die Integration ist. Dass Sie das wissen und auch wollen, haben Sie vor gerade einmal acht Wochen, kurz vor der Bundestagswahl, gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden in Ihrem Papier „Neue Ordnung für Humanität und Arbeitsmarkt“ beschrieben.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege.

Ibrahim Yetim (SPD): Dort heißt es – ich zitiere –:

„Der Familiennachzug wird beim Vorübergehenden Humanitären Schutz auf die Kernfamilie (…) beschränkt …“

Ich gehe davon aus, Herr Minister Stamp, dass Sie Ihre Haltung nicht wie Herr Lindner wegen des Wahlergebnisses der AfD aufgeben, sondern dass Sie daran festhalten und dass Sie wissen, wie wichtig das für diejenigen ist, die irgendwo eine Familie haben, die Angst um ihre Familie haben, wenn sie sich zum Beispiel in einem Kriegsgebiet befindet. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das niemals erleben werden. Das ist unglaublich wichtig. Geben Sie Ihre Haltung dazu nicht auf, Herr Stamp, sondern halten Sie daran fest.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege.

Ibrahim Yetim (SPD): Für uns als SPD-Fraktion ist es sehr klar, dass wir diesen Antrag ablehnen. Für eine Verlängerung der Aussetzung bzw. eine Aufhebung des Familiennachzuges gibt es keinen einzigen vernünftigen Grund, kein einziges vernünftiges Argument.

Das, was Sie hier vorhin vorgetragen haben, bestätigt uns in unserer Ansicht.

Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, syrische Flüchtlinge auf eine baldige Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Heimat vorzubereiten. Dazu habe ich drei Anmerkungen.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, bevor Sie die drei Anmerkungen machen, geben Sie mir bitte ein kurzes Signal, ob Sie die Zwischenfrage des Abgeordneten Seifen zulassen wollen.

Ibrahim Yetim (SPD): Nein. – Sie führen leider nicht aus, wie das konkret aussehen soll. Mit Blick auf die Sicherheitslage in Syrien ist das auch eher Wunschdenken. Und dass Sie ein solches Programm „Fit4Return“ nennen –

(Marlies Stotz [SPD]: Perfide!)

wobei Sie doch in der letzten Plenarwoche noch gefordert haben, den Englischunterricht zu kürzen –, zeugt von Ihrer politischen Konzeptlosigkeit.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Wenn ich jetzt sagen würde, dass wir diesen Antrag ablehnen, müsste ich befürchten, dass Sie das nicht verstehen. Deswegen sage ich es Ihnen sehr klar auf Englisch: Dieser Antrag ist Bullshit. – Danke schön.

(Beifall von der SPD – Heiterkeit von Josef Hovenjürgen [CDU])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. Ich will darauf hinweisen, dass es genügend Menschen in diesem Land und Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause gibt, die in der Lage sind, aus dem Englischen wieder zurück ins Deutsche zu übersetzen. Insofern bitte ich mit Blick auf die Würde des Hohen Hauses darum, diese Ausdrucksweise zu unterlassen.

Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Lenzen das Wort. Bitte schön.

Stefan Lenzen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Acht Wochen ist die Bundestagswahl her. Die Sondierungsgespräche sind im Gange, und deren Topthema ist der Familiennachzug für die subsidiär Schutzberechtigten.

Nachdem unser Land seit fast zwei Monaten politisch über fast nichts anderes geredet hat, ist es schon fast aberwitzig, dass nun endlich auch die AfD festgestellt hat, dass der Familiennachzug offenkundig ein relevantes Thema ist, und sie hat einen Antrag dazu geschrieben.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Sie geben immer vor, dass das Flüchtlingsthema Sie besonders bewegt. Ich hätte deshalb erwartet, dass Sie zumindest bei diesem Thema – das ist nun auch auf Englisch – up to date sind.

Die AfD hat aber offenkundig so wenige Kompetenzen in der Flüchtlingspolitik, dass sie bei der CSU abschreiben muss. Ihr Antrag ist deshalb so überflüssig wie ein Kropf, weil in ihm nichts Neues steht, sondern weil exakt das wiedergegeben wird, was die CSU seit Jahren fordert und täglich vehementer in die Sondierungsgespräche einbringt. Abschreiben von der CSU ist vollkommen überflüssig, weil seit acht Wochen dasselbe jeden Tag in der Zeitung steht. Eine AfD, die CSU-Forderungen nachplappert, braucht niemand.

Originell werden Sie einzig dort, wo Sie die Zahl der zu erwartenden Familiennachzügler schätzen. Denn selbst die CSU weiß: Nur weil man ein Ammenmärchen immer wieder wiederholt, wird es nicht wahrer. – Das ist der Unterschied zwischen seriöser Politik und einem Facebook-Shitstorm.

(Britta Altenkamp [SPD]: Was ist das denn? – Zuruf von der CDU: Bei „Shitstorm“ kann man auch „Bullshit“ sagen! – Vereinzelt Heiterkeit von der CDU und der SPD)

Zu den tatsächlichen Familiennachzügen gibt es erste Zahlen, gerade auch beim vollen Flüchtlingsstatus; das können Sie gern nachlesen. Bei den Afghanen zum Beispiel liegt die durchschnittliche Quote bei 0,1, bei Eritrea liegt sie sogar nur bei 0,01.

Wir haben eben schon gehört: Womit ist denn mit Blick auf die vergangenen zwei Jahre – Stichwort: voller Flüchtlingsstatus – zu rechnen? Aktuell heißt es: Im Schnitt sind 0,25 bis 0,5 Personen zu erwarten. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, kann man einen höchsten denkbaren Maximalwert von einer Person pro Flüchtling annehmen – und nicht von drei Personen. Aber je nach Äußerungen ihrer Kollegen können Sie den Faktor auch um vier bis zehn hochkorrigieren. Letztlich spielen Sie nur mit den Ängsten der Menschen, und auch sonst ist das in keiner Weise zielführend für diese Debatte. Aber sei‘s drum.

Statt Bundesratsinitiativen mit abgestandenen Forderungen aus fremder Feder brauchen wir konstruktive Lösungsansätze. Die Verweigerung des Familiennachzugs ist ein Integrationshemmnis, da sich die Schutzberechtigten nicht auf einen längerfristigen Aufenthalt in Deutschland einstellen. Zum Teil kehren Schutzberechtigte in Krisengebiete oder rudimentäre Flüchtlingslager in Erstaufnahmeländern zurück, um das Schicksal ihrer dort lebenden Familie zu teilen. Der Kollege Yetim hat ausgeführt, dass man das eigentlich niemandem wünschen mag – auch von Ihnen nicht.

Wir sind trotzdem der Ansicht, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nur in dem Umfang erfolgen kann, wie Kapazitäten durch freiwillige Ausreisen oder Rückführung frei werden. Man könnte den Familiennachzug zum Beispiel zunächst nur für diejenigen erlauben, die besonders gut integriert sind oder deren Familienangehörige in besonders prekären Verhältnissen in den Erstaufnahmeländern leben müssen.

Diese Fragen werden wir in einer neuen Koalition im Bund zu klären haben. Ohne die Klärung dieser Fragen wird es keine neue Koalition im Bund geben. Was allerdings bei der Klärung dieser Fragen nun wirklich niemanden interessiert, ist das, was die Kollegen von der AfD darüber denken,

(Zurufe von der AfD)

weil Sie weder Kompetenz in diese Diskussion einbringen noch Einfluss haben, weil Sie eben nicht das Volk repräsentieren,

(Zuruf von der AfD: Es werden immer mehr!)

sondern zu Recht von 87 % abgelehnt werden. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und der CDU – Weitere Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Lenzen. – Ich darf mich für die Gelegenheit bedanken, darüber nachzudenken, wie ich jetzt diese Hürde mit dem englischen Wort umschiffe. Schauen wir mal.

Nun hat als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Aymaz das Wort.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!

(Markus Wagner [AfD]: Sie haben schon wieder das Wort „pseudo“ vergessen!)

Der vorliegende Antrag ist mit vielen Zahlen geschmückt und hat etwas, was für die AfD symptomatisch ist.

(Zuruf von der AfD: Weil Sie es nicht verstanden haben!)

Sie führen als Argumentation gegen den Familiennachzug völlig aus der Luft gegriffene Zahlen an und erfinden ein Szenario von unkontrollierter Massenzuwanderung quer durch die Republik.

(Markus Wagner [AfD]: Haben wir seit drei Jahren!)

Die AfD rechnet für jeden anerkannten Schutzberechtigten – das haben die Vorrednerinnen und Vorredner wunderbar erwähnt – mit einem Zuzug von drei Familienmitgliedern und gibt an, dass durch den Familiennachzug weitere 150.000 Personen nach NRW kommen würden. Einen Faktencheck mache ich jetzt nicht mehr, den haben meine Vorredner bereits durchgeführt.

(Zurufe von der AfD)

Ich möchte aber trotzdem erwähnen, dass nach seriösen Berechnungen eben nicht mit einem Zuzug von 150.000 Menschen nach NRW zu rechnen ist, sondern lediglich mit einem Zuzug von 14.000 Menschen.

(Markus Wagner [AfD]: Warum das denn? – Arndt Klocke [GRÜNE]: Ach, die eine Null!)

Die Verbreitung von falschen Fakten beruht zumindest in diesem Fall nicht auf Unwissenheit – an der Stelle können wir der AfD nicht Unwissenheit attestieren –, sondern sie wird bewusst eingesetzt, um Angst und Unsicherheit in unserer Gesellschaft zu schüren.

(Helmut Seifen [AfD]: Das ist Diffamierung! – Markus Wagner [AfD]: Sie diffamieren! Was anderes konnten Sie noch nie!)

Wir werden es nicht zulassen, dass in diesem Haus mit Lügen gezielt Stimmung gegen Schutzbedürftige gemacht wird. Wir werden Ihre Lügen überall und immer wieder entlarven.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der AfD: Unverfrorenheit!)

Angesichts der Bilder, die uns täglich aus Syrien erreichen, die zeigen, dass aufgrund des Krieges in vielen Städten kein Stein mehr auf dem anderen steht, ist es an Zynismus wirklich nicht mehr zu überbieten, dass die AfD von einer baldigen Rückkehr der Menschen in dieses von Gewalt und Zerstörung geplagte Land spricht.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Für uns Grüne ist das Recht auf Familie ein Grundrecht. Es ist, wie wir in diesen Tagen bei den Sondierungen in Berlin erleben, ein Armutszeugnis, dass gerade die Christliche Union, die für sich beansprucht, die Familienpartei zu sein, weiterhin an der Aussetzung des Familiennachzugs festhält, dass sie Kinder von Eltern und Eheleute jahrelang auseinanderreißen will.

Familien gehören zusammen. Das gilt für jede Familie, unabhängig von Herkunft und Status.

(Beifall von den GRÜNEN – Bodo Löttgen [CDU]: Aber nicht über das Recht!)

Dafür, meine Damen und Herren, stehen wir Grüne in Berlin und in NRW ein.

(Bodo Löttgen [CDU]: Aha!)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Der Abgeordnete Seifen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Nein.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Okay, Sie wollen im Vortrag fortfahren.

Berivan Aymaz (GRÜNE): Die Aussetzung …

(Markus Wagner [AfD]: Sie stellen sich lieber keinen Fragen!)

– Ich will Ihnen doch hier keinen weiteren Raum für Lügen geben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

– Hören Sie lieber zu. Nehmen Sie ein paar Fakten mit, wenn Sie das überhaupt noch können.

Die Aussetzung des Familiennachzugs ist nicht nur rechtlich höchst bedenklich, sondern auch aus integrationspolitischer Perspektive eine fatale Entscheidung.

Wer bei uns vor Folter, Todesstrafe oder Gewalt und Krieg Schutz gefunden hat, wird sich erst dann auf das Lernen der deutschen Sprache konzentrieren, sich um Arbeit bemühen und besser in das Gemeinwesen integrieren können, wenn er nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das Leben seiner Kinder oder seines Partners bzw. seiner Partnerin in Sicherheit weiß.

Vor diesem Hintergrund ist es nun wirklich mehr als bizarr, dass ausgerechnet Staatssekretärin Serap Güler – ich erinnere: zuständig für Integration – in die Debatte einwirft, man habe den Menschen nicht Integration versprochen, sondern lediglich Schutz geboten. Es ist an Erbärmlichkeit nicht mehr zu überbieten, mit welchen vermeintlichen Argumenten die Gegnerinnen und Gegner des Familiennachzugs in die Debatten gehen und sich an Populismus und Verantwortungslosigkeit zu übertrumpfen versuchen. –

Hier geht es nicht darum, was Sie, Frau Güler, den Menschen versprochen haben. Integration ist kein Akt der Barmherzigkeit, sie ist nach geltendem EU-Recht eine Pflichtaufgabe. Hier stehen Sie ganz besonders in der Verantwortung.

Eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige oder gar, wie es der vorliegende Antrag der AfD darüber hinausgehend fordert, dessen komplette Abschaffung sind für uns Grüne völlig verantwortungslos und menschenrechtlich inakzeptabel.

Die prognostizierten Zahlen und aktuellen Schätzungen zum Familiennachzug sind absolut überschaubar und ohne Zweifel beherrschbare Größen. Die von der AfD in die Welt gesetzten Zahlen dagegen sind grotesk und pure Hetze ohne jeden Realitätsbezug. – Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall von den GRÜNEN und von Ibrahim Yetim [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Kollegin Aymaz. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Dr. Stamp das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Familiennachzug“ wird hoch emotional diskutiert, nicht nur in den Sondierungsgesprächen in Berlin, sondern auch gesamtgesellschaftlich. Deswegen ist es ausgesprochen unglücklich, wenn hier von einer Fraktion mit falschen Zahlen Ängste in der Bevölkerung geweckt werden. Diese Zahlen entbehren jeglicher Grundlage. Deswegen ist der Antrag als solcher natürlich abzulehnen.

(Beifall von der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich möchte zunächst auf die Einwände der Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD eingehen.

Herr Yetim, Sie haben das gemeinsame Papier von Herrn Lindner und mir angesprochen, in dem wir den vorübergehenden humanitären Schutz thematisiert haben. Das wäre ein neuer Status. Dieser ist aber noch nicht eingeführt, sondern es geht zunächst nur um die Frage der subsidiär Geschützten.

Frau Aymaz, da besteht natürlich ein Unterschied zu denjenigen, die einen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, weil man beim subsidiären Schutz, dem sogenannten kleinen Asyl, von einer zeitlichen Befristung des Aufenthalts ausgeht. Insofern wäre ich sehr vorsichtig mit den massiven Vorwürfen, die Sie hier gegenüber der Staatssekretärin unseres Hauses vorgebracht haben. Die sind unangemessen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bei der Frage, wie man den Familiennachzug für subsidiär Geschützte gestaltet, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Ich kann auch das Anliegen verstehen, dass eine Reihe von subsidiär Geschützten über das erste Jahr hinaus, in dem sie diesen Schutz zunächst bekommen, noch weiter in Deutschland bleiben soll.

Deswegen haben wir von unserer Seite vorgeschlagen, über materielle Kriterien nachzudenken, die zunächst nach Integrations-, aber auch nach humanitären Gründen vergeben werden. Ich denke, das ist ein guter Kompromiss, der hoffentlich in den nächsten 24 Stunden auch in Berlin eine Mehrheit findet. Jedenfalls werde ich mich dafür engagieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass wir hier in gewisser Weise eine Symboldebatte führen. Das Auswärtige Amt hat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass es gar nicht in der Lage ist, weltweit insgesamt mehr als 120.000 Visaanträge per anno zu administrieren.

Insofern entbehrt das, was hier vonseiten der AfD angedeutet worden ist, nämlich dass es über den Familiennachzug einen Massenzustrom geben wird, wirklich jeglicher Grundlage. Das sage ich auch ganz bewusst in Richtung derjenigen, die der Debatte gerade folgen. Man darf nicht immer alle Zahlen glauben, die in die Welt gesetzt werden.

Woran wir aber glauben können, weil wir es auch amtlich bestätigt bekommen haben, das sind die Zahlen, die das Auswärtige Amt administriert. Dementsprechend hat die AfD hier – um in Ihrer Sprache zu bleiben – Fake News vorgetragen.

(Nadja Lüders [SPD]: Vorsicht, das ist Englisch!)

– Stimmt.

(Helmut Seifen [AfD]: Dieser Vorwurf ist Quatsch!)

– Aber Sie sprechen ja auch von „Fit4Return“. Ich bin überrascht, dass Sie auf gleich drei Anglizismen hintereinander setzen. So weit ist es mit dem Patriotismus der AfD offenbar doch nicht her.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich kann uns allen empfehlen, die Debatte weiterhin sachlich zu führen. Wir müssen insgesamt überlegen, wie wir die Beschulung der Kinder derjenigen – auch aus dem Familiennachzug –, die nach Artikel 16a Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention sowieso einen Anspruch darauf haben, sicherstellen.

Zudem müssen wir uns in der ganzen Debatte auch ehrlich machen und insofern überlegen, ob es wirklich klug ist, wenn wir beispielsweise für Kinder, die aus dem Irak hierhin kommen, keine adäquate Beschulung in dem Umfang sicherstellen können, wie es für ihre Entwicklung notwendig wäre.

(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])

Wir können über alles sachlich diskutieren. Allerdings sollten wir keine Diskussionen auf dem Niveau des Antrags führen, der hier vorgelegt worden ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit sind wir am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/1127, da die antragstellende Fraktion direkte Abstimmung beantragt hat.

Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den darf ich jetzt um das Handzeichen bitten. – Das sind die anwesenden Abgeordneten der AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die anwesenden Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1127 mit großer Mehrheit des Hauses abgelehnt.

Ich rufe auf:

6   Gesetz zur Rettung der Trägervielfalt von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/751

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Familie,
Kinder und Jugend
Drucksache 17/1132

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1211

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1214

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU dem Abgeordneten Kamieth das Wort. Bitte schön.

Jens Kamieth (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die angespannte Situation der Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen kennt, dem ist klar:

Es ist allerhöchste Zeit für das Kitaträger-Rettungsprogramm. Die erforderlichen Mittel in Höhe von einer halben Milliarde Euro stehen seit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts zur Verfügung. Mit dieser Finanzspritze helfen wir, weitere Kitaschließungen in Nordrhein-Westfalen abzuwenden, und sorgen dafür, dass nicht weitere Träger ihre Kindertageseinrichtungen an die Kommunen abgeben.

Wir reagieren sofort, damit es nicht zu weiteren Personaleinsparungen auf Kosten der Betreuungsqualität kommt. Wir packen es an, damit der dringend benötigte bedarfsgerechte Ausbau weitergehen kann.

Indem wir kurzfristig ein Kitaträger-Rettungsprogramm auf den Weg bringen, versetzen wir die Kitas in Nordrhein-Westfalen nach Jahren des Stillstands endlich wieder in die Lage, aus der Finanzierungskrise herauszukommen.

Das Grundproblem, die strukturell unzureichende Finanzierung von nordrhein-westfälischen Kindertageseinrichtungen, ist tatsächlich seit Jahren bekannt. Durch die Untätigkeit der Vorgängerregierung befinden sich zahlreiche Träger der Kindertageseinrichtungen in einer echten finanziellen Notsituation.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Wir haben die Haushaltsmittel mehr als verdoppelt!)

Während die Anforderungen an die Erzieherinnen und Erzieher mit dem Ausbau der frühkindlichen Bildung stetig gestiegen sind, wurde die finanzielle Situation der Kindertagesbetreuung in unserem Land immer schlechter. Das hat strukturelle Gründe.

Die im KiBiz verankerte Kindpauschale mit ihrer jährlichen Steigerungsrate reicht nicht aus, um die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Kosten insbesondere im Bereich des Personals aufzufangen. An dieser Misere haben auch die ohne Evaluation durchgeführten Änderungen der letzten Regierung nichts geändert. Die Folge: Freie und kommunale Träger ziehen sich aus der Einrichtungsfinanzierung zurück.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Kommunale Träger ziehen sich zurück?)

Gleichzeitig wird der Ausbau der Betreuungskapazitäten be- und verhindert. An dieser Unterfinanzierung hagelte es Kritik von ausnahmslos allen Seiten. Trotzdem kam es bis heute nicht zu strukturellen Veränderungen des KiBiz.

Wir packen es jetzt an, damit endlich das geschieht, worauf die Kitas schon jahrelang warten. Mit dem Kitaträger-Rettungspakt und den Mitteln aus dem Nachtragshaushalt leisten wir wichtige Soforthilfe für die Kitas, die schon längst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen sind.

Mit dem Gesetz zur Rettung der Trägervielfalt von Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen unterstützt das Land bis zur KiBiz-Reform alle Träger von Kindertageseinrichtungen unbürokratisch mit Einmalbeträgen. Der Einmalbetrag kann sofort oder auch im nächsten Kalenderjahr eingesetzt werden, je nachdem, wie es für jede einzelne der 10.000 Kitas im Land am besten passt.

Auch die Kommunen beteiligen sich an der Finanzierung, an der Stabilisierung der Kindertagesbetreuung, indem sie schon jetzt Zuschüsse schultern. Die kommunalen Spitzenverbände beziffern diese auf 200 Millionen € pro Jahr. Es ist unser Ziel, auch in Zukunft gemeinsam die wichtige Aufgabe der Kinderbetreuung zu sichern.

Um ein bedarfsgerechtes und strukturell auskömmlich finanziertes Kinderbetreuungsangebot in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten, muss zunächst ein Finanzierungsraum geschaffen werden, der Kommunen und Trägern eine dauerhaft sichere finanzielle Basis bietet. Bei deren Gestaltung werden wir in den nächsten Wochen und Monaten eine initiative und aktive Rolle übernehmen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Von einer Landesregierung sollte man das auch erwarten können!)

Im zuständigen Ausschuss waren wir uns alle darüber einig, dass die Kitas das Geld sofort benötigen. Wir haben ein beschleunigtes Verfahren vereinbart; dafür vielen Dank auch an die anderen Fraktionen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich werbe darum, heute mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einen großen Schritt in Richtung Rettung der Kitas zu gehen – für eine gute frühkindliche Bildung und eine deutliche Entlastung unserer Erzieherinnen und Erzieher.

Es handelt sich bei diesem Gesetz um einen ersten Schritt, um den Betrieb sicherzustellen. Die Entschließungsanträge müssen wir daher ablehnen.

Es ist schön, zu sehen, dass die Opposition uns das in einem halben Jahr zutraut, was sie selbst in sieben Jahren nicht geschafft hat.

(Beifall von der CDU – Josefine Paul [GRÜNE]: Das steht da nicht drin! Das wüssten Sie, wenn Sie die Anträge gelesen hätten!)

Aber die inhaltlichen Festsetzungen in den Anträgen von Rot-Grün führen gerade dazu, dass das Geld nicht sofort ausgezahlt wird. Deswegen kommen nach diesem ersten Schritt die nächsten Schritte. Bis dahin wünsche ich uns eine gute Beratung und lade dazu ein, dies gemeinsam zu gestalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kamieth. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Maelzer das Wort. Bitte schön.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Soeben wurde uns der vorliegende Gesetzentwurf in leuchtenden Farben beschrieben, der Kitas Einmalzahlungen zwischen 515 und 1.800 € pro Kind bringen soll. Dabei durfte natürlich auch der geschichtsklitternde Blick zurück nicht fehlen. Aber befassen wir uns damit, was Schwarz-Gelb hier vorgelegt hat.

Um dieses Gesetz zu finanzieren, bedienen sich CDU und FDP eines Haushaltstricks. Sie zahlen die Gesamtsumme, die für zwei Kitajahre gedacht ist, in einem Rutsch über den Nachtragshaushalt 2017 aus.

Das hat für Schwarz-Gelb entscheidende Vorteile. Zum einen klingt die Summe von 500 Millionen € wuchtiger, und das ist immer gut fürs Regierungsmarketing. Zum anderen – und das dürfte das Hauptmotiv sein – hätten Sie die Mittel über drei Haushaltsjahre abbilden müssen. Jetzt aber missbrauchen Sie die Rücklagen der Träger als Schattenhaushalt. Sie kaschieren so die eigentlich notwendige Neuverschuldung des Landes für 2018 und für 2019. Das ist weder redlich noch vernünftig. Es ist ein Verstoß gegen die Prinzipien der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit und der Wirtschaftlichkeit.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU: Klagt doch vorm Verfassungsgericht!)

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dieses Vorgehen hat Vorteile für Schwarz-Gelb.

Aber hat es auch Vorteile für die Kitalandschaft? Das Gegenteil ist der Fall: Auch zum kommenden Kitajahr werden neue Einrichtungen eröffnet werden. Und auch zum neuen Kitajahr werden weitere Plätze geschaffen. Das sind zusätzliche Plätze, die Eltern und Kinder dringend benötigen. Doch diese neuen Plätze werden von diesem Gesetz nicht profitieren. Kein Cent zusätzliches Geld wird es für diese neuen Plätze geben. Also starten diese Plätze in Nordrhein-Westfalen von Beginn an mit einer Unterfinanzierung, und das ist ein Schlag ins Gesicht der Träger, die wir doch so dringend für den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung in unserem Land gewinnen müssen. Aber genau das ist eben Resultat Ihres Haushaltstricks.

Manche Bereiche lassen Sie gänzlich außen vor. Auch die Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen sieht von den Mitteln keinen einzigen Cent.

Damit aber nicht genug: Das Gesetz verkennt auch die ungleichen Bedarfe der bestehenden Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Sie verteilen das Geld mit der Gießkanne. Das wird den unterschiedlichen Problemlagen der Träger nicht gerecht. Darum haben die Ihnen in der Verbändebeteiligung eine jugendamtsübergreifende Mittelverwendung vorgeschlagen. Leider haben Sie diesen Wunsch komplett ignoriert. Stattdessen haben Sie in der jüngsten Sitzung des Familienausschusses verkündet, die KiBiz-Lücke sei geschlossen.

Wir haben allerdings große Zweifel daran, dass die strukturelle Unterfinanzierung nunmehr beseitigt ist, und damit sind wir uns mit den Trägern in Nordrhein-Westfalen auch einig.

(Zuruf von der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie hören, es gibt eine Menge berechtigte Kritik am Gesetzentwurf der Mitte-rechts-Koalition. Dennoch wird sich die SPD-Fraktion zusätzlichem Geld für unsere Kitas nicht verschließen. Wir werden uns bei der Abstimmung enthalten. Wir tun das auch, weil wir Opposition anders machen wollen, als wir es zu unseren Regierungszeiten von Ihnen erlebt haben. Uns geht es nicht um Obstruktion, sondern um die Kinder, Familien und Kitas in unserem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb müssen wir jetzt den Blick möglichst rasch in die Zukunft richten. Ihr Gesetz verschiebt eine grundständige Revision um weitere zwei Jahre. Die ist aber dringend notwendig, denn das KiBiz darf in dieser Form keinen Bestand haben. In unserer Regierungszeit haben wir die Landesmittel für das KiBiz von 1,1 auf 2,8 Milliarden € erhöht. Aber für eine durchgreifende Reform braucht es alle Beteiligten – nicht nur das Land, sondern auch die Träger und die Kommunen.

Zuletzt war es uns gelungen, die Kommunen wieder ins Boot zu holen und gemeinsam die jährliche Dynamisierung zu verdoppeln. Jetzt kommt es darauf an, dass die Kommunen weiter im Boot bleiben. Deshalb unterstützen wir die Forderung des Städtetages, dass ein neues Gesetz bis zum 01.08.2018 kommen muss, damit Jugendämter und Träger ausreichend Vorlaufzeit erhalten.

Von der Landesregierung erwarten wir, dass sie jetzt einen Fahrplan für ein grundständig neues Kitagesetz vorlegt. Grundlage dafür muss zukünftig eine Sockelfinanzierung sein, damit unsere Kitas Planungssicherheit haben. Darüber hinaus muss es Zuschüsse geben, die sich an der Belegung, aber auch an einem Sozialindex orientieren. Die reale Kostenentwicklung in den Einrichtungen muss künftig berücksichtigt und ein besserer Personalschlüssel ermöglicht werden. Auf diese Art könnten Träger ihre Einrichtung auskömmlich finanzieren und mit einer verbesserten Qualität betreiben.

Für die SPD ist klar: Land, Kommunen und Träger tragen eine gemeinsame Verantwortung, aber das Land muss künftig einen deutlich höheren Finanzierungsanteil übernehmen, und diesen Weg müssen wir jetzt gemeinsam zügig beschreiten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Als nächster Redner hat der Abgeordnete Hafke für die FDP das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein wichtiger Tag für die Kindertageseinrichtungen, für die Träger und für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Wir reparieren und retten die Kitalandschaft in Nordrhein-Westfalen mit 500 Millionen €.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Warum machen wir das, meine Damen und Herren? – Weil in den letzten Jahren durch Untätigkeit der SPD und der Grünen 80 % der Kindertageseinrichtungen defizitär arbeiten.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: 2,8 Milliarden! Das ist für Sie Untätigkeit?)

Die stehen kurz vor der Insolvenz. Es erfolgen in Nordrhein-Westfalen Trägerabgaben, Kitaschließungen, und das ist Ihr Erbe, das Sie uns hinterlassen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: 2,8 Milliarden €, die Sie zum Teil abgelehnt haben!)

Hannelore Kraft ist in 2010 mit dem Versprechen angetreten, ein neues Kinderbildungsgesetz auf den Weg zu bringen. Bis 2012 ist nichts passiert. Dann hat sie es 2012 versprochen. Bis 2017 ist wieder nichts passiert. Die letzten zwei Jahre haben wir mit Frau Ministerin Kampmann darüber diskutiert, die nicht mal in der Lage war, ein Eckpunktepapier für ein neues Gesetz vorzulegen. Im Ministerium ist nichts vorhanden gewesen, wir müssen bei null anfangen, um die Hausaufgaben zu machen, die Sie sieben Jahre lang nicht hinbekommen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der CDU: So war das! – Widerspruch von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, deswegen können wir festhalten, dass das Kinderbildungsgesetz, Ihr Kinderbildungsgesetz von SPD und Grünen, gescheitert ist und wir das jetzt neu und richtig machen müssen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Mit dem KiBiz hattet Ihr nie etwas zu tun!)

Und deswegen sage ich Ihnen ganz klar und deutlich: Wir werden uns nicht von Ihnen treiben lassen. Wir haben jahrelang nur hohle Versprechungen gehört, aber keine Umsetzungen wahrgenommen. Wir werden jetzt das machen, was am dringendsten nötig ist, nämlich erst einmal die Kitas in eine finanzielle Situation versetzen, dass sie überhaupt wieder arbeiten können und nicht um die Arbeitsplätze und die Zukunft Angst haben müssen. Das ist der erste Schritt.

Nachdem ich Ihre Anträge, insbesondere den von der SPD, gelesen habe, muss ich sagen: Einen gewissen Humor bringt die SPD tatsächlich mit. Ich weiß nicht, wie man sich innerhalb von drei, vier Monaten so weit von der Realität zu entfernen kann, wie Sie das mit Ihrem Antrag geschafft haben. Ich finde, das, was Sie hier heute dokumentiert haben, ist das größte Eingeständnis, dass Sie nicht in der Lage sind, zu regieren und Politik zu machen, und das ist auch der Grund, warum Sie vor ein paar Monaten abgewählt wurden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Hafke, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Herr Kollege Müller von der SPD würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Marcel Hafke (FDP): Sehr gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte.

Frank Müller (SPD): Herr Kollege Hafke, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Da Sie gerade von Angst sprachen und von Trägern, die reihenweise Insolvenz anmelden müssten, wenn dieses Trägerrettungspaket nicht käme: Können Sie uns das vielleicht beziffern? Wir hatten zu dem Thema eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gerichtet, die nicht beantwortet worden ist. Vielleicht können Sie uns eine Zahl dazu nennen, wie viele Einrichtungen konkret von der Rückgabe der Trägerschaft betroffen sind bzw. welche Träger in Nordrhein-Westfalen in der kommenden Zeit Insolvenz anmelden müssen.

(Zuruf von der CDU)

Marcel Hafke (FDP): Herr Kollege, ich zitiere gerne den ehemaligen Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Jörg: Es gibt erstens kein Erkenntnisdefizit, und wenn Sie – zweitens – mal mit den Betroffenen sprechen, dann kriegen Sie schnell mit, wie die Lage ist.

Wir haben viele Anhörungen im Landtag Nordrhein-Westfalen zu diesem Thema durchgeführt. Wir haben bei der AWO in Rheinberg diese Situation. Im Erzbistum Köln laufen 80 % der Einrichtungen defizitär. Wir haben in Wuppertal – in meiner Heimatstadt – Trägerabgaben gehabt. Wir können ganz Nordrhein-Westfalen durchgehen: Wir haben in jeder Kommune die Situation, dass die Hütte brennt.

Ich drehe mal den Spieß um: Sagen Sie mir einmal, wie viele Träger und Kitas im Moment mit dem Geld auskommen. Ich kenne keine Kita, in der man sagt: Wir können das Geld gar nicht gebrauchen. – Jede Kita in Nordrhein-Westfalen braucht diese finanziellen Mittel.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn wir ehrlich sind – daraus habe ich nie ein Hehl gemacht; ich habe auch nie dagegengestimmt, als die Vorgängerregierung Gelder ins System eingestellt hat –:

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das stimmt doch nicht! Natürlich habt ihr dagegengestimmt! Bist du da rausgegangen?)

Wir wissen, dass wir in Zukunft zusätzliche finanzielle Mittel ins System geben müssen. Aber wissen Sie, was Ihr Kardinalfehler war? Weil Sie irgendwelche Wahlversprechen reingepustet haben, haben Sie damals die Beitragsfreiheit für Kinder im letzten Kindergartenjahr eingeführt, was den Steuerzahler mittlerweile 180 Millionen € kostet – pro Jahr.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Und nicht mehr die Eltern!)

Jetzt überlegen Sie einmal, für welche Qualitätsaufwüchse wir sorgen könnten, wenn wir das Geld tatsächlich in die Kitas investieren und nicht mittlere und hohe Einkommen entlasten würden, so, wie Sie das gemacht haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Marlies Stotz [SPD]: Familienförderung! Schon mal was davon gehört?)

Meine Damen und Herren, es ist ein guter und richtiger Schritt, den wir heute hier machen werden. Ich bin froh und stolz, dass es innerhalb dieser kurzen Zeit – innerhalb von drei Monaten nach der Amtsübernahme – gelungen ist, das Rettungspaket auf den Weg zu bringen. Aber das ist nicht alles. Wir werden jetzt in einem mehrstufigen Verfahren die Kita-landschaft in Nordrhein-Westfalen reformieren, um aus dieser verheerenden Situation herauszukommen.

Der nächste Schritt wird sein, ein neues Finanzierungssystem und eine umfassende Reform des Kinderbildungsgesetzes auf den Weg zu bringen. Im darauffolgenden Schritt müssen wir dringend über Qualitätsverbesserungen diskutieren und im letzten Schritt über Flexibilität, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch tatsächlich gelingt.

Deswegen haben wir das auch so in den Koalitionsvertrag geschrieben. Ich bin dem Minister und der Regierung sehr dankbar, dass dieser Gesetzentwurf so schnell vorgelegt wurde. Die Freien Demokraten werden dem Gesetzentwurf heute zustimmen und freuen sich, dass die Kitas das Geld noch in diesem Jahr erhalten werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Der Abgeordnete Dr. Maelzer hat sich noch einmal zu einer Zwischenfrage gemeldet. Wollen Sie sie zulassen?

An den Kollegen Dr. Maelzer geht der Hinweis: Es ist, auch wenn man Zwischenfragen stellt, wesentlich leichter, an dem Platz zu sitzen, der im System eingebucht ist. – Bitte schön.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mich trotzdem erkannt haben. – Lieber Marcel Hafke, da dem Landtag bislang noch kein Fahrplan vorliegt, wie die Revision vonstattengehen soll, und Sie eben auf vier Stufen hingewiesen haben, können wir dann davon ausgehen, dass das in einem Gesetz vorgelegt wird, oder bevorzugen Sie für jede Stufe ein eigenes Gesetzgebungsverfahren?

Marcel Hafke (FDP): Ich empfehle die Lektüre des Koalitionsvertrags von Nordrhein-Westfalen; da steht das nämlich. Wir haben dort hineingeschrieben, dass wir das in einem ersten Schritt machen werden.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Also drei Gesetze?)

– Ich habe gerade gesagt, dass wir verschiedenste Stufen abarbeiten müssen. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Um zum Beispiel Qualitätsverbesserungen in Nordrhein-Westfalen zu erzielen, brauchen wir Erzieherinnen und Erzieher. Wir wissen, dass in Nordrhein-Westfalen über 16.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen.

Jetzt frage ich Sie, was Sie damals getan haben, um die Situation in Nordrhein-Westfalen zu verbessern, sodass wir mehr Erzieherinnen und Erzieher haben. Sie haben meines Erachtens relativ wenig bis gar nichts getan.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: U3-Pauschale eingeführt!)

Daher müssen wir jetzt erst einmal die Themen „Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern“ und „Arbeitsplatzgestaltung/Arbeitsbelastung“ klären, damit dieser Beruf attraktiv wird. Das heißt, wir können uns die Erzieherinnen und Erzieher nicht aus der Rippe schneiden, sodass sie morgen zur Verfügung stehen, sondern das ist ein Prozess, den wir jetzt in Gang setzen müssen.

Das ist aber die Situation, die wir vorgefunden haben: dass in den letzten sieben Jahren viele wolkige Ankündigungen und tolle Worte gemacht wurden, aber sehr wenig Substanzielles auf den Weg gebracht worden ist.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Jetzt antworten Sie doch einfach auf die Frage! Das ist doch gar nichts Schlimmes!)

Das heißt – hören Sie doch einfach mal zu –, wir werden verschiedenste Schritte machen müssen, um im Ergebnis in fünf Jahren eine deutlich bessere Kita-landschaft vorzufinden, die nicht mehr die strukturellen Probleme hat, die Sie uns hinterlassen haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hafke. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kamieth, Herr Kollege Hafke, um große Worte scheint die NRW-Koalition nie verlegen zu sein. Da wird repariert und gerettet, und es wird endlich zur Tätigkeit übergegangen, nachdem die alte Landesregierung in den letzten sieben Jahren nichts gemacht hat, außer die Haushaltsmittel zu verdoppeln, was, glaube ich, nur in Ihrer Welt absolute Untätigkeit ist. Aber gut.

Mit dem Gesetz zur Rettung der Trägervielfalt der Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen – das stellt auch niemand in Abrede – verschafft sich die Landesregierung jetzt tatsächlich Luft, um die nächsten Stufen ihres angekündigten Vierstufenplans umsetzen zu können.

Die kurzfristige 500-Millionen-€-Finanzspritze ist laut Ankündigung des Ministers – Herr Hafke hat uns das auch mehr oder weniger wolkig noch einmal dargelegt – die erste Stufe.

Ich habe auch im Ausschuss schon mehrfach gesagt: Natürlich sehen wir alle die dringende Notwendigkeit, mehr Mittel für die Kitas im System zu haben – aber auch für die Kindertagespflege, die in Ihrem Gesetzentwurf leider überhaupt keine Erwähnung findet, Herr Minister.

Vor diesem Hintergrund werden wir das Gesetz auch nicht ablehnen; das haben wir auch im Ausschuss nicht getan. Wir werden uns aber zu diesem Gesetzentwurf enthalten. Denn an vielen Stellen – das können wir Ihnen leider nicht ersparen – scheint doch die heiße Nadel, mit der dieses Gesetz gestrickt worden ist, erstaunlich deutlich durch.

Kollege Maelzer hat es auch gerade schon angesprochen – Sie werden das nicht hören wollen, Herr Hafke, aber ich werde es trotzdem noch einmal sagen –: Natürlich ist das ein Taschenspielertrick, mit dem Sie hier die finanziellen Mittel für die Kitas erst einmal im Nachtragshaushalt verstecken, dann auch noch in der Rücklage der Träger parken und damit sagen: Ach, das ist alles im 2017er-Haushalt. Mit 2018 und der dortigen Bilanz hat das nichts zu tun.

Und: Natürlich möchten Sie diese Gelder für das Kitajahr 2018/2019, wie es haushalterisch eigentlich richtig wäre, nicht im Haushalt für 2018 abbilden. Denn der Finanzminister hat ja gestern noch groß erklärt, dass eine schwarze Null einem nicht in den Schoß fällt. Ja, scheinbar fällt Ihrem Finanzminister so eine schwarze Null tatsächlich nicht in den Schoß. Denn vorsorglich werden die Mittel nicht im Haushalt 2018 eingestellt, sondern in der Rücklage der Einrichtungen geparkt und quasi in einem Schattenhaushalt bei den Einrichtungen zwischengelagert. Das kann den Einrichtungen prinzipiell erst einmal egal sein, die die Mittel gut gebrauchen können. Aber, Herr Minister Stamp, Herr Minister Lienenkämper, haushaltspolitische Redlichkeit sieht anders aus.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, deutlich wird die heiße Nadel auch, weil dem Prinzip „Ungleiches ungleich behandeln“ bei Ihrem Gießkannenprogramm nicht Rechnung getragen werden kann. Das nehmen Sie billigend in Kauf – wir haben das auch im Ausschuss so miteinander diskutiert –, aber auch um die Gefahr, dass die Ungleichheiten zwischen den Einrichtungen noch größer werden. Ich erinnere daran, dass der Staatssekretär im Ausschuss gesagt hat: Ja, gut, wenn die die Mittel jetzt nicht für die Rettung brauchen, dann tun die die halt woanders hin. Das ist ja auch okay.

Ja, das würden wir vielleicht sogar unterschreiben, aber das hat doch mit Ihrer großspurigen Ankündigung, Sie hätten flächendeckend alle Kitas retten müssen, weil alle Kitas kurz vor dem Zusammenbruch gestanden hätten, dann doch nicht mehr so richtig viel zu tun.

Sie sollten doch das, was in der Verbändeanhörung deutlich geworden ist – nicht vonseiten der Opposition, sondern vonseiten der Träger –, tatsächlich ernst nehmen. Erleichtern Sie doch im Sinne der Träger, wie die Sie auch aufgefordert haben, die jugendamtsübergreifende Übertragbarkeit der Mittel, und ermöglichen Sie den Trägern so, die Mittel auch wirklich den Einrichtungen zukommen zu lassen, die sie am dringendsten brauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Recht weist der Gesetzentwurf der Landesregierung darauf hin, dass die Finanzierungslücke Folge der Kindpauschalen und der zu geringen Dynamisierung ist. Sie wissen allerdings auch, wer diesen Systemfehler zu verantworten hat. Das KiBiz haben doch Sie gemacht, und das immer und immer wieder zu bestreiten und zu sagen, das sei unser KiBiz, macht die Wahrheit auch nicht weniger wahr. Es ist nach wie vor ein schwarz-gelbes KiBiz.

Zur Wahrheit gehört eben auch: 2015 ist es der damaligen rot-grünen Landesregierung endlich gelungen, sich mit den kommunalen Spitzenverbänden auf das Gesetz zur überbrückenden Verbesserung der finanziellen Ausgestaltung zu verständigen und damit die vorübergehende Erhöhung der Dynamisierung auf 3 % zu ermöglichen. Überbrückende Finanzierung deshalb, weil sich mittlerweile ja nun alle einig sind – ich nehme mal so zwischen den Zeilen wahr, dass sogar Sie sich in diesem Bereich mittlerweile mit sich selbst einig sind –, dass das KiBiz am Ende seiner Reformierbarkeit und gescheitert ist

(Beifall von Dr. Dennis Maelzer [SPD])

und wir nun ein neues Gesetz brauchen.

Da sind Sie jetzt in der Verantwortung, ob Sie das jetzt so wollen oder nicht, aber es ist jetzt Ihre Landesregierung, und Sie sind in der Verantwortung, schnellstmöglich ein neues Gesetz vorzulegen, das die Kitas im Land auskömmlich finanziert und den Trägern Planungssicherheit gibt.

Herr Minister, dann zünden Sie jetzt bitte Stufe 2 und legen Sie uns einen konkreten Zeitplan vor, wie Sie sich die Reform des Gesetzes bzw. eine Neuauflage eines Gesetzes vorstellen.

Noch ein Hinweis – ich habe es gerade schon angedeutet – mit Blick auf die heiße Nadel: In Ihrem Gesetz sparen Sie einen Bereich komplett aus. Das ist der Bereich Kindertagespflege, der aber ein wesentlicher Baustein unserer Landschaft hier in Nordrhein-Westfalen ist. Sparen Sie zukünftig nicht weiter an der Kindertagespflege, sondern sorgen Sie auch hier für eine auskömmliche Finanzierung und für die beste Qualität für unsere Kinder. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Paul. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der AfD Frau Dworeck-Danielowski das Wort.

Iris Dworeck-Danielowski (AfD): Sehr verehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal ist es richtig schön, Abgeordnete einer so jungen Partei zu sein. Man betritt das Spielfeld, sieht die Trümmer und trägt dafür keine Verantwortung. Das ist so eine Art Gnade der späten Parteigründung.

Wir sehen also das Desaster, und jetzt soll ein Reparaturgesetz den Schaden notdürftig beheben. Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass man da auch eine heiße Nadel erkennen kann.

Um was geht es? – Um die Rettung der Trägervielfalt geht es auf jeden Fall nicht, wenn auch der Titel des Gesetzes uns das glauben machen will. Ja, es sind dringend Sofortmaßnahmen notwendig. Keiner, der sich für Familien starkmacht, kann wirklich die Gefährdung von Kindergärten wollen, auch wenn wir die ausschließliche Fokussierung auf die Kindertagesstätten beim Thema „Kinderbetreuung“ für falsch halten.

Umso verwunderlicher ist es, dass es, obwohl Ihnen allesamt die Fremdbetreuung von Kindern so am Herzen liegt, zu so einer brenzligen Lage für die Kitas kommen konnte – so brenzlig, dass nur noch ein Geldstrom hier, jetzt und sofort deren Überleben sichert.

Verantwortung für diese Misere tragen allerdings Sie alle gemeinsam, sprich CDU, FDP, SPD und die Grünen. Um das zu belegen, braucht man auch keine höhere Weisheit. Es reicht eigentlich ein Rückblick zur Historie des mittlerweile doch schon zehn Jahre alten Gesetzes.

Es wurde seinerzeit unzulänglich geplant und fahrlässig umgesetzt, und diese Scheinlösung für die Kinderbetreuung wurde dann auch noch hochtrabend „Kinderbildungsgesetz“ genannt. Denn dieses Gesetz – unter der Ägide seinerzeit und Verantwortung des damaligen Ministers und heutigen Ministerpräsidenten Armin Laschet entworfen und 2007 in Kraft gesetzt – hat einen entscheidenden Geburtsfehler. Es war und ist schlicht unterfinanziert. Das hat die damalige Koalition aus CDU und FDP anscheinend nicht gestört. Denn Sie haben es ja schließlich gemeinsam hier im Landtag verabschiedet.

Aber auch die rot-grüne Regierung der letzten sieben Jahre hat das sich von Jahr zu Jahr verschlimmernde Problem entweder nicht wahrnehmen können, nicht wahrhaben wollen, oder sie hat es mal wieder verschlafen. Auf jeden Fall haben Sie jeglichen Rettungsversuch unterlassen.

Gerade mit Blick auf diese Ära finde ich Ihre beiden Entschließungsanträge wirklich den blanken Hohn. Denen kann man auch beim besten Willen nicht zustimmen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ihre Zustimmung wollen wir auch gar nicht!)

– Ja, das ist mir klar.

Jetzt ist die Rettung in letzter Sekunde notwendig, und wir werden uns dieser Pflicht auch nicht entziehen, denn wir wollen weder die Trägerlandschaft noch die Familien und erst recht nicht die Kinder zu Opfern Ihrer Schlafmützigkeit werden lassen.

Aber dieses Rettungsmanöver kann auch noch nicht alles gewesen sein. Wir sehen die Koalition unverändert in der Pflicht, die Eltern der Kitakinder finanziell zu entlasten. Es kann doch nicht sein, dass gerade Familien, in denen beide Elternteile arbeiten gehen müssen, weil sie sonst überhaupt nicht über die Runden kommen, und deshalb darauf angewiesen sind, einen Kindergartenplatz zu haben, trotz ihres mäßigen Einkommens in vielen Kommunen – beispielsweise in Köln – bis zu 10 % ihres Nettogehalts für einen Kindergartenplatz ausgeben müssen. Das ist extrem belastend.

Weiter sprechen Sie in Ihrem Koalitionsvertrag von echter Wahlfreiheit. Allerdings sind fast 80 % aller Eltern Arbeiter und einfache Angestellte. Ein Blick auf die Durchschnittsgehälter und ‑löhne in Nordrhein-Westfalen macht sehr deutlich: Diese Eltern können sich eine Betreuung zu Hause gar nicht mehr leisten; sie müssen beide arbeiten gehen. Deshalb nehmen wir Sie beim Wort und hoffen, dass Sie in Zukunft auch diesen Eltern die Betreuung eines Kleinkinds zu Hause ermöglichen.

Was bleibt also abschließend zu sagen? Im Prinzip haben Sie sich in der Kitafrage bisher allesamt nicht mit Ruhm bekleckert. Dieses Reparaturgesetz ist zwingend notwendig. Aber es dokumentiert auch Ihr gemeinsames Versagen.

Nun ja, wie man so schön sagt: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. – Der Wähler soll und wird hoffentlich sein eigenes Urteil fällen.

Zu den eben angesprochenen 87 % kann ich nur sagen: Wer von 89,3 % nicht gewählt wurde, sollte solche Kommentare vielleicht unterlassen. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Das war Frau Abgeordnete Dworeck-Danielowski. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute gemeinsam dieses Rettungspaket für die Trägervielfalt in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen können. Das ist ein guter Tag für die Kindertagesstätten und für die Kinder hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Dr. Maelzer, ich finde es immer wieder faszinierend, mit welcher Chuzpe Sie nach den letzten sieben Jahren hier auftreten.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dass dann Frau Paul noch sekundiert, das sei ja ursprünglich mal ein Gesetz von Herrn Laschet gewesen,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt ja wohl nicht!)

und dass Sie nach sieben Jahren nicht in der Lage gewesen sind, ein eigenes Gesetz auf den Weg zu bringen, uns aber vorwerfen, dass wir nach vier oder fünf Monaten immer noch keinen Gesetzentwurf vorlegen, ist ein Stück aus dem Tollhaus.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ich bin auf vielen Veranstaltungen gewesen. Aber die Beobachtung, dass die Träger diese Finanzierung und dieses Rettungspaket problematisch finden, haben Sie vollkommen exklusiv.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Außerhalb dieses Hauses gibt es keinen, der das so sieht, sondern alle sind der Meinung, dass das der richtige Schritt ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir bleiben nicht dabei stehen; Sie haben das angesprochen. Wir werden weitere Schritte gehen. Wir werden jetzt an die Systematik der Finanzierung des KiBiz herangehen.

Wir werden uns im nächsten Schritt darüber unterhalten, dass wir zuerst die dauerhafte Finanzierung sicherstellen. Dann werden wir über die Qualität sprechen und als letzten Schritt über die Frage, wie man gerade in den Randzeiten eine andere Flexibilisierung ermöglichen kann.

Die Kitas waren über Jahre unterfinanziert, und wir haben uns dafür entschieden, diesen Weg jetzt besonders unbürokratisch zu gehen. Wir hätten natürlich auch alles ausdifferenzieren können, wie das von Ihrer Seite aus nahegelegt wird. Aber, meine Damen und Herren, was wäre denn die Konsequenz gewesen? – Wir hätten es nicht mehr in diesem Jahr ermöglichen können. Allerdings haben alle auf das Signal gewartet, dass es dieses Jahr klappt und das Geld auch noch dieses Jahr ausgezahlt wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir wollen allen Kindern in Nordrhein-Westfalen von Anfang an gute Entwicklungschancen bieten. Das ist eines der Kernziele dieser Landesregierung. Das gilt übrigens für alle Kinder – unabhängig von ihrer Herkunft. Wenn Sie das, Herr Maelzer, „Mitte rechts“ nennen, dann sage ich Ihnen ganz ehrlich: Dann bin ich auch gerne „Mitte rechts“. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stamp. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt sehe ich nicht, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zur Abstimmung und stimmen zunächst über den Gesetzentwurf ab. Der Ausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1132, den Gesetzentwurf Drucksache 17/751 unverändert anzunehmen.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf fragen, wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Gegenstimmen? – Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist damit der Gesetzentwurf Drucksache 17/751 mit dem gerade festgestellten Abstimmungsverhalten der Fraktionen in zweiter Lesung verabschiedet.

(Lang anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse weiter über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1211 abstimmen. Ich darf fragen, wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP, der Fraktion der AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Ich lasse drittens über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1214 abstimmen. Hier darf ich fragen, wer diesem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Fraktion der FDP und der Fraktion der AfD sowie der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 6.

Ich rufe auf:

7   Pakt für den Sport in NRW fortschreiben und weiterentwickeln – Förderung des gemeinwohlorientierten Sports einmalig für sechs Jahre vereinbaren

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1123

Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1212

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD dem Kollegen Markus Weske das Wort. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

(Mehrere Abgeordnete verlassen den Saal.)

Markus Herbert Weske (SPD): Wo geht es hin? Im Pakt für den Sport geht es natürlich auch um Lauftraining, aber nicht ums Weglaufen.

(Zurufe)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Pakt für den Sport, den die SPD-geführte Landesregierung zuletzt vor fünf Jahren mit dem Landessportbund abgeschlossen hatte, ist ein voller Erfolg. Darüber sind wir uns hier im Hohen Hause sicherlich alle einig.

Gerne erinnere ich an die Worte des Kollegen Holger Müller dazu, damals noch sportpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in diesem Hohen Hause. Er sagte: Wenn schon Schulden machen, dann wenigstens für einen guten Zweck. Insofern gäbe es nichts zu meckern.

Den guten Zweck haben wir erfüllt. Schulden haben wir dafür 2016 allerdings nicht mehr gemacht. Das muss Sie aber nicht enttäuschen.

Besonders am Herzen liegt uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass die vielen im Sport engagierten Ehrenamtlichen durch den Pakt für den Sport über mehrere Jahre eine gesicherte finanzielle Grundlage für ihre Arbeit haben. Sie müssen eben nicht mehr jedes Jahr bangen oder dafür streiten, ob und in welcher Höhe ihre Arbeit weiter vom Land unterstützt wird. Diese Verlässlichkeit haben wir durch den Pakt geschaffen.

Nun läuft am 31. Dezember 2017 der Vertrag aus. Es haben schon in der vergangenen Legislaturperiode die ersten Gespräche zwischen Landesregierung und Landessportbund über eine Fortführung und Weiterentwicklung begonnen.

Aus Sicht des Sports war dabei die Forderung absolut verständlich, dass der neue Vertrag frühzeitig, also in der ersten Hälfte dieses Jahres, abgeschlossen werden sollte, damit eben diese Verlässlichkeit so schnell wie möglich über den 31. Dezember 2017 hinaus gesichert sei.

Noch Anfang März dieses Jahres haben Vertreterinnen und Vertreter der Stadt- und Kreissportbünde diese Forderungen in einem Gespräch mit uns Sportpolitikerinnen und Sportpolitikern der SPD-Landtagsfraktion erneuert, da für die Verlängerung von Projekten und Arbeitsverträgen eine vertraglich gesicherte Förderung durch das Land notwendig sei.

Umgekehrt konnten wir in diesem Gespräch aber auch das Dilemma deutlich machen, in dem wir Abgeordnete uns befinden. Es kann nicht sein, dass eine Landesregierung kurz vor dem Ende einer Legislaturperiode Verträge abschließt – hier geht es schließlich um eine Summe in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages –, die bis in die übernächste Wahlperiode hineinreichen. Ich denke, da sind wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier uns einig. So etwas geht einfach nicht.

Damit dieses Problem für die Zukunft gelöst ist, haben wir als SPD-Landtagsfraktion damals den Vertreterinnen und Vertretern des Sports versprochen, in der neuen Legislaturperiode einen Antrag in das Parlament einzubringen, wonach der weiterentwickelte Pakt für den Sport einmalig für sechs Jahre vereinbart werden soll. Dann haben Land und Landessportbund künftig ausreichend Zeit, rechtzeitig den Pakt fortzuschreiben. Dieses Versprechen lösen wir nun mit diesem Antrag ein.

Darüber hinaus fordern wir neben einer inhaltlichen Weiterentwicklung und der Formulierung überprüfbarer Ziele in dem Pakt für den Sport eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung.

Einen Grund dafür möchte ich herausheben. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben im Bund die Einführung des Mindestlohns durchgesetzt. Dies hatte natürlich auch Auswirkungen auf den Sport. Ich erinnere beispielsweise an die Frage, wie es denn um die Trainerinnen und Trainer bestellt ist. Diejenigen, die dabei waren, können sich gut daran erinnern. Darüber haben wir auch lange Gespräche mit der damaligen Ministerin auf Bundesebene geführt.

Die Einführung des Mindestlohns kostet Geld. Das darf nicht zulasten der Ehrenamtlichen oder der Sportlerinnen und Sportler gehen. Daher ist es logisch und nur konsequent, dass wir, die wir den Mindestlohn eingeführt haben, uns auch darum kümmern, dem Sport höhere Zuschüsse zur Verfügung zu stellen.

Insofern bitten wir das Parlament um die Zustimmung zu unserem Antrag – der grüne Entschließungsantrag ist übrigens eine gute Ergänzung dazu – und fordern die Landesregierung auf, in diesem Sinne zu handeln. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Weske. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Nettekoven.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Jens, dann lass mal hören!)

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ich weiß nicht, wer Ihnen Ihre Anträge geschrieben hat. Aber wenn Sie Ihre Anträge verfassen lassen, dann sollten Sie sie noch einmal Korrektur lesen, bevor Sie sie ins Plenum einbringen.

Sie schreiben in Ihren Anträgen, dass 2011 erstmals unter der rot-grünen Landesregierung ein Pakt für den Sport geschlossen wurde. – Diese Aussage ist falsch. Am 13. Februar 2008 haben die Landesregierung und der Landessportbund das Bündnis für den Sport unterzeichnet.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dieses Bündnis baut auf den am 15. Januar 2002 durch das Kabinett beschlossenen Pakt für den Sport auf, welcher am 22. Januar 2002 durch den Präsidenten des LSB und Minister Dr. Michael Vesper unterzeichnet wurde.

Aber ich möchte nicht in die Vergangenheit schauen, sondern in die Zukunft. Der Pakt für den Sport läuft am 31. Dezember 2017 aus, wie es der Kollege Weske bereits gesagt hat.

Wie im Koalitionsvertrag der NRW-Koalition vereinbart, soll der Pakt für den Sport weiterentwickelt werden.

Die SPD-Fraktion hat in ihrem Antrag vier Forderungen gestellt. Eine Forderung ist, die Vertragsdauer von 2018 bis 2023 auszuweiten.

Liebe SPD, die Begründung Ihres Antrags zur Laufzeit ist der Knaller. Ich zitiere:

„So nachvollziehbar die Forderung der Vertreterinnen und Vertreter des Sports auch war, eine neue Vereinbarung in der ersten Hälfte des Jahres 2017 zu unterzeichnen; so problematisch und dem Parlament gegenüber ungehörig wäre es gewesen, wenn die damalige rot-grüne Landesregierung kurz vor der Landtagswahl darauf eingegangen wäre. Sie hätte Vereinbarungen treffen müssen, die bis weit in die neue Legislaturperiode hinein gegolten hätten.“

Liebe SPD-Fraktion, der LSB hat auf die Pressemitteilung von Herrn Bischoff zur Verlängerung des Paktes auf sechs Jahre am 20. September 2017 in einem Brief an die Landesregierung den Fraktionen von CDU und FDP geantwortet, welchen Sie ebenfalls erhalten haben. Ich zitiere aus dem Brief des Landessportbundes:

Den unterschwelligen Vorwurf der Meldung, dem Sport fehle derzeit Planungssicherheit, weil noch kein neuer Pakt für den Sport mit der Landesregierung abgeschlossen worden sei, teilen wir nicht. Unmittelbar nach der Landtagswahl 2017 sind wir – der LSB – mit der neuen Landesregierung in Gespräche über einen neuen Pakt für den Sport 2018 bis 2022 eingestiegen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Nettekoven, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Weske würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Gerne.

Markus Herbert Weske (SPD): Vielen Dank, Herr Nettekoven, dass ich die Zwischenfrage stellen darf. – Das bezieht sich ja alles immer noch darauf, wer wann wo welche Gespräche beendet oder etwas festgestellt hat. Kennen Sie aber auch den folgenden wichtigen Satz aus dem Brief, der mir ebenfalls vorliegt?

Zweitens: Pressemeldung der SPD-Landtagsfraktion zum Pakt für den Sport. Der Vorschlag der SPD-Fraktion ist grundsätzlich zu begrüßen, weil er künftig die mit einem Wahljahr verbundene Planungsunsicherheit für den Landessportbund als größtem zivilgesellschaftlichen Verband in NRW vermeiden würde.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Die Antwort auf die Frage, ob ich diesen Satz kenne, lautet Ja.

(Heiterkeit von der CDU – Zuruf von der SPD)

– Das muss ich doch nicht. Ich bin gefragt worden, ob ich diesen Satz kenne. Ich habe gesagt, dass ich ihn kenne. Also ist die Frage beantwortet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Landessportbund hat in seinem Brief auch noch geschrieben:

Wir vertrauen darauf, dass es auf dieser Basis zeitnah zu einer Einigung über einen neuen Pakt für den Sport kommen wird, den wir spätestens bei der Mitgliederversammlung des Landessportbundes am 3. Februar 2018 in Recklinghausen unterschreiben werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Wahrheit gehört dazu, dass eine Verlängerung des Paktes für den Sport von dem LSB mit der damaligen SPD-Sportministerin zwischen November 2015 und November 2016 intensiv vorbereitet wurde. Sie haben eben etwas von ersten Gesprächen gesagt.

Die Verhandlungen darüber wurden 2016 – ich kann jetzt nur das wiedergeben, was mir der Landessportbund mitgeteilt hat – völlig überraschend ohne Begründung und ohne jede Kommunikation einseitig von Ministerin Kampmann beendet. Sich jetzt hier hinzustellen und in der Begründung von „problematisch und dem Parlament gegenüber ungehörig“ zu sprechen, ist frech und unverfroren.

Liebe SPD, soll ich Ihnen etwas sagen? Sie hätten es gemacht und der neuen Landesregierung einen Pakt für den Sport überlassen. Jetzt stellen Sie sich hierhin und tun so, als würden der LSB und der Sport in NRW in der Luft hängen, weil die Landesregierung erst spätestens 2018 einen Pakt für den Sport unterzeichnet.

Ihre Forderung, einen Pakt für den Sport auf sechs Jahre zu unterzeichnen, würde aber bedeuten, dass der Pakt für den Sport bis Dezember 2023 liefe. Ich erinnere nur daran, dass die kommende Landtagswahl im Mai 2022 stattfindet.

Liebe SPD, ich zitiere noch einmal aus Ihrem Antrag:

„… eine neue Vereinbarung … zu unterzeichnen; … dem Parlament gegenüber ungehörig wäre … Sie hätte Vereinbarungen treffen müssen, die bis weit in die neue Legislaturperiode hinein gegolten hätten.“

Damit haben Sie mit Ihrem eigenen Antrag bereits die Antwort zur Laufzeit gegeben.

Deshalb werden wir sowohl den Entschließungsantrag als auch den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen.

Meine Damen und Herren, zum Schluss meiner Rede halte ich fest: Ich bin davon überzeugt, dass die beiden Partner, Landessportbund und Landesregierung, am 3. Februar 2018, wie im Koalitionsvertrag der NRW-Koalition vereinbart, eine neue Zielvereinbarung unterzeichnen werden, die inhaltlich weiterentwickelt sein wird.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Jens-Peter Nettekoven (CDU): Die Sportförderung ist als Staatsziel in Artikel 18 Absatz 3 unserer nordrhein-westfälischen Verfassung verankert. Wir werden den Ministerpräsidenten und seine Landesregierung dabei unterstützen, dass Nordrhein-Westfalen Sportland Nummer eins bleibt und sich weiterentwickelt. Dazu gehört auch der weiterentwickelte Pakt für den Sport. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass die SPD mit ihrem Antrag und Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Entschließungsantrag auch in der Oppositionsrolle wieder das Herz für den Sport entdeckt haben.

Leider hinken Sie beide mit Ihren Anträgen nicht nur der Wirklichkeit hinterher, sondern begehen auch noch ein übles Foul bei der falschen Darstellung der überjährigen Finanzzusage an den organisierten Sport.

Ihre Anträge, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich im Übrigen alleine schon durch den gestrigen Tagesordnungspunkt 1, die Einbringung des Entwurfs des Landeshaushalts 2018, überholt.

Fangen wir aber von ganz vorne an und halten zunächst einmal fest: Es ist schlichtweg falsch, dass Rot-Grün die Erfinder der überjährigen Finanzsicherung für den Sport waren. Ihre Selbstdarstellung hält keinem Faktencheck stand.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Denn das erste überjährige Finanzprogramm zur besseren Planbarkeit des Landessportbundes wurde unter schwarz-gelber Regierung aufgelegt, wie der Kollege Nettekoven gerade auch schon gesagt hat.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Da war kein Geld dahinter! Das ist die Wahrheit!)

Ich setze das für Sie, um Ihre Erinnerung ein wenig zu stärken, auch gerne noch einmal in den Kontext. Der Grund hierfür war nämlich das Einbrechen der Einnahmen aus dem Glücksspiel, woraus der Sport seine Fördermittel erhielt.

Mittlerweile hat sich die Situation im Glücksspielsektor aber mehr als entspannt. Dennoch ist es vollkommen gerechtfertigt, für Sicherheit und Planbarkeit des Landessportbundes zu sorgen; denn hier sind 19.000 Vereine mit mehreren Millionen Vereinsmitgliedern unmittelbar betroffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD unterstellt in ihrem Antrag, dass die NRW-Koalition die Fortführung des Pakts für den Sport als neuen Pakt für NRW als Sportland Nummer eins nicht rechtzeitig sicherstellt.

Aber genau dieses ist geschehen, und zwar geräuschlos, nämlich mit der Einbringung des Haushaltsentwurfs 2018. Hieran werden wir seitens der NRW-Koalition nicht rütteln, sodass faktisch für den 1. Januar 2018 Finanzierungssicherheit besteht.

Ich richte dabei ausdrücklich meinen Dank an die neue Landesregierung, die innerhalb so kurzer Zeit nach Regierungsübernahme schon den Landeshaushaltsentwurf für das Jahr 2018 eingebracht hat; denn das ist ein Novum in diesem Haus.

(Beifall von Thomas Nückel [FDP])

Eigentlich müsste die SPD-Fraktion bei der Fortschreibung einer überjährigen Finanzplanung ziemlich kleinlaut sein.

Ich möchte erstens daran erinnern, dass die Erneuerung des Paktes für den Sport im Jahr 2013 schon lange auf sich hat warten lassen. So erfolgte auf der Mitgliederversammlung des Landessportbundes 2013 keine Unterzeichnung der Vereinbarung für den Zeitraum 2013 bis 2017. Vielmehr musste der damalige Staatssekretär Neuendorf erst einmal das zerrüttete Verhältnis der Landesregierung zum Landessportbund heilen. Denn der Landessportbund bangte damals, Mindereinnahmen in Höhe von 3 Millionen € stemmen zu müssen, da die mehrfach angekündigte Zusage einer schriftlichen Vereinbarung durch die rot-grüne Landesregierung nicht erfolgte.

Zweitens verkündeten Sie, Herr Bischoff, höchstpersönlich in der Sportausschusssitzung am 26. April 2016, dass der Pakt für den Sport jetzt neu verhandelt werde. Die damalige Landesregierung ist diesem Versprechen aber in den darauffolgenden 13 Monaten bis zur Landtagswahl 2017 nicht nachgekommen. Ganz im Gegenteil: Sie haben alles auf Eis gelegt und weitere Verzögerungen ganz bewusst provoziert. Wir haben dies in den wenigen Monaten der NRW-Koalition zwischenzeitlich geheilt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme jetzt gerne zum Antrag der SPD, der vier Forderungen enthält.

Die erste Forderung einer umgehenden Fortschreibung und Weiterentwicklung des Plans ist in Angriff genommen worden und somit erledigt. Es steht auch bereits ziemlich genau fest – und das wurde gerade schon gesagt –, dass die Unterzeichnung des neuen Pakts auf der kommenden Mitgliederversammlung des Landessportbundes Anfang Februar 2018 erfolgen wird.

Die zweite Forderung Ihres Antrags nach stärkerer Unterstützung der Sportvereine, Sportbünde und Sportverbände ist ebenfalls erledigt. Das können Sie dem neuen Haushaltsentwurf entnehmen, der einen deutlichen Aufwuchs im Sportetat enthält.

Auch die dritte Forderung ist bereits erledigt. So sollen die Zielvereinbarungen mit Kennziffern hinterlegt werden.

Der vierten Forderung nach Ausweitung des Planungszeitraums können wir nicht folgen. Denn wir wollen keine Ausweitung des Planungszeitraumes. Wir haben uns dafür entschieden, einer neuen Regierung Gestaltungsfreiheit zu geben. Sie soll ihre Ziele gemeinsam mit dem Landessportbund umsetzen. Das ist auch im Umgang mit dem Landessportbund fair. Aber Fair Play war anscheinend nicht die Stärke der ehemaligen Landesregierung. Das haben wir jetzt Gott sei Dank geändert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere abschließend an SPD und Grüne, wieder zu einer Sportpolitik der Vernunft zu kommen. Es ist nun innerhalb der letzten drei Monate schon das zweite Mal, dass vor allem die SPD versucht, künstliche Unruhe in der Sportlandschaft zu erzeugen. Beim ersten Mal, als Sie gegen die Neuerungen der Sportpauschale protestiert haben, ist Ihr Strohfeuer vom Landessportbund höchstpersönlich ausgetreten worden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Andreas Terhaag (FDP): Ich beeile mich. – Und Ihre heutigen Anträge sind von vorgestern; da ist das Feuer schon von ganz alleine ausgegangen.

Für meine Fraktion darf ich erklären, dass wir ein verlässlicher Partner für den Leistungs- und Breitensport in unserem Land sind. Konsequent und unbeirrt werden wir die Ziele der NRW-Koalition umsetzen. Das heißt: Wir werden dafür Sorge tragen, dass NRW auch künftig Sportland Nummer eins bleibt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist nicht ganz klar, warum CDU und FDP in Oppositionszeiten doch immer die Gemeinsamkeiten der Sportfraktion beschworen haben. In vielerlei Hinsicht hatten wir alle, die damals schon im Hause waren, hier auch eine gewisse Einigkeit im Sinne des Sports. Nun hat man aber das Gefühl, dass die Kollegen Terhaag und Nettekoven völlig außer Rand und Band sind und sich hier im Krawallmachen überschlagen, ohne dass besonders viel Substanz dahinter wäre.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dafür gibt es aus meiner Sicht auch gar nicht so viel Grund; denn im Kern sind wir uns doch einig – ich bin ja froh, dass Sie das auch so beschreiben –, dass wir eine verlässliche, langfristige Finanzierung des Sports in Nordrhein-Westfalen haben wollen. Es gibt also gar keinen Grund, in dieser Art und Weise Geschichtsklitterung zu betreiben und zu sagen: Wer hat es erfunden? – Wir haben es erfunden. – Nein, vielleicht haben aber doch wir es erfunden. – Am Ende sage ich Ihnen, Herr Terhaag: Wir haben es erfunden. – Aber wen bringt das weiter?

Sie haben jetzt vielfach beschworen, dass unsere Anträge eigentlich überflüssig wären. Dann legen Sie uns den konkreten Pakt für den Sport doch vor.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dann muss es ihn ja geben. Dann legen Sie ihn hier auf den Tisch. Dann werden wir sagen: Okay, das haben Sie gut gemacht; dem können wir uns gegebenenfalls sogar anschließen.

Aber das, was Sie hier abgeliefert haben, waren doch nur wolkige Ankündigungen. Das war nur Krawall um des Krawalls willen. An Substanz hat Ihre Rede, Herr Kollege Nettekoven, nun wirklich alles zu dem Thema vermissen lassen, was Sie eigentlich zur konkreten Sportförderung in diesem Land beitragen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nordrhein-Westfalen ist Sportland Nummer eins bzw. muss laut der NRW-Koalition nun ja Nummer-eins-Sportland heißen. Nicht nur, dass Sie jetzt bei allem Krawall machen müssen, bei dem Sie vorher noch relativ einer Meinung mit uns waren; es muss auch alles einen anderen Namen haben. Aber so ist Politik nun einmal. Geschenkt!

NRW ist also Nummer-eins-Sportland. Das gilt für den Leistungssport und selbstverständlich auch für den Breitensport. Es ist ja schon auf die 5 Millionen Menschen, die in Nordrhein-Westfalen Mitglied in einem der 19.000 Sportvereine sind, und die 500.000 Ehrenamtlichen hingewiesen worden. Somit ist der organisierte Sport eine zentrale Säule unserer Zivilgesellschaft.

Ehrlich gesagt, hat diese zentrale Säule auch ein bisschen mehr verdient als die heiße Luft, die Sie hier ins Plenum geblasen haben, liebe Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Denn die Lehre aus dem Pakt für den Sport von 2011 bis 2017 ist doch: Er hat sich bezahlt gemacht, und er muss dringend fortgesetzt werden; denn die Zusage, jährlich 34,3 Millionen € dem LSB zur Verfügung zu stellen und damit in den organisierten Sport zu geben, hat zu einer tatsächlichen Planungssicherheit und zu einer Stärkung der Sportstruktur in Nordrhein-Westfalen geführt.

Das ist auch der Unterschied. Die Hinterlegung mit konkreten finanziellen Mitteln ist der Unterschied zu dem, was die Vorvorgängerregierung 2008 in ihrem Bündnis für den Sport vorgelegt hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das nehmen Sie zwar nicht zur Kenntnis. Aber so ist es nun einmal.

Der Pakt für den Sport – Sie haben auch darauf hingewiesen – läuft Ende dieses Jahres aus. Weil die Erfahrungen so positiv gewesen sind und weil es auch schon Vorgespräche gegeben hat, ist unser Petitum in unseren Anträgen schlicht und ergreifend:

Nehmen Sie die bestehenden Fäden auf, Frau Staatssekretärin, und schließen Sie mit dem Landessportbund einen verlässlichen Pakt für den Sport ab, der zum Ersten die Finanzierungssicherheit beibehält, zum Zweiten konkrete und messbare Zielvereinbarungen enthält und zum Dritten ein klares Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung für einen diskriminierungsfreien Sport für alle enthält.

Wenn wir uns in diesem Ziel doch alle einig sind – ich entnehme dem Nicken von Herrn Terhaag, dass wir das sind; ich gehe davon aus, dass Herr Nettekoven der gleichen Meinung ist –, dann verstehe ich in der Tat nicht, warum Sie hier einen derartigen Popanz aufbauen.

Das nährt bei mir den Verdacht, dass Sie in den Verhandlungen mit dem Landessportbund vielleicht doch noch nicht so weit sind, dass es doch noch nicht so konkret ist und dass alles doch nicht so schön ist. Sonst hätten Sie hier doch nicht derart vehement auftreten müssen, ohne anschließend zu sagen, was denn die Kernpunkte Ihres, wie Sie sagen, schon ausverhandelten Paktes für den Sport sind.

Ich hoffe, dass jetzt gleich zumindest im Redebeitrag der Landesregierung ein bisschen mehr Licht ins Dunkel gebracht wird. Denn das hat der organisierte Sport in diesem Land aus meiner Sicht verdient. Wir brauchen klare Bekenntnisse beispielsweise zur Kooperation im offenen Ganztag. Wir brauchen klare Bekenntnisse zum erfolgreichen Programm der Integrationslotsen im Sport. Wir brauchen aber auch klare Bekenntnisse zur Unterstützung beispielsweise der guten Initiativen im Bereich Good Governance und im Bereich Kinder- und Jugendschutz.

Da hätte ich mir von Ihnen, ehrlich gesagt, mehr Substanz und weniger Krawall gewünscht. Aber vielleicht hören wir gleich von der Landesregierung wenigstens noch etwas Substanzielles. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD spricht Herr Kollege Dr. Vincentz.

Dr. Martin Vincentz (AfD): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es war ja auch nicht alles schlecht. Zum Beispiel hat die SPD in ihrer Amtszeit zähneknirschend dringend benötigtes Geld für den Breitensport bewilligt. Nicht schlecht! Auch stellt die SPD in ihrem Antrag richtig fest, dass sie viel zu wenig Geld bewilligt hat. Sehr gut!

So weit die Pflicht, mag man sich denken. Es bleibt natürlich, wie so oft, viel Luft für die Kür.

Jährlich sterben weltweit 5,3 Millionen Menschen an den Folgen eines Bewegungsmangels. Zu diesem Ergebnis kommt Prof. Dr. Lee von der Harvard T.H. Chan School of Public Health. Harvard sagt dem einen oder anderen vielleicht etwas. 5,3 Millionen Menschen! Durch Kriege starben 2014 laut Studien zwischen 150.000 und 200.000 Menschen weltweit.

Natürlich ist auch dort jeder Tote einer zu viel. Aber würden Sie endlich das eklatante Problem des gesellschaftlichen Bewegungsmangels erkennen, benennen und den politischen Willen zeigen, diesen anzugehen und zu beheben, liebe SPD,

(Beifall von der AfD)

aber auch liebe CDU, liebe FDP, liebe Grünen, dann könnten Sie 25-mal mehr Menschen retten als durch den Weltfrieden. Sie könnten auch ruhig alle Toten durch den Klimawandel,

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

durch Strahlungsschäden oder durch Umweltverschmutzungen dazu nehmen, und es wären trotzdem noch nicht so viele.

Sie merken selbst, wie absurd es daher ist, sich für die existenzerhaltenden Zahlungen an den Breitensport in Lobhudeleien zu versteigen.

Natürlich stimmen auch wir daher für eine Fortführung der Zahlungen. Wir bekräftigen Sie aber umso deutlicher in der Forderung, die Konzepte dringend weiterzuentwickeln. – Danke schön.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen in Vertretung des Ministerpräsidenten Laschet.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neue Landesregierung ist mit dem Versprechen angetreten, den laufenden Pakt für den Sport zu einer neuen Zielvereinbarung für NRW als Sportland Nummer eins weiterzuentwickeln.

Der Pakt läuft Ende dieses Jahres aus. Das haben wir nun mehrfach gehört. Wir wären schlecht beraten, wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen würden, die neue Vereinbarung im Sinne einer Weiterentwicklung zu verstehen und sie zu verbessern.

Deshalb werden wir die neue Zielvereinbarung nicht wie bisher auf der Grundlage generalisierter programmatischer Aussagen abschließen. Vielmehr werden wir die gemeinsamen Sportförderziele von Landessportbund und Landesregierung zukünftig durch messbare Ziffern präzisieren.

Auch wenn nicht für alle Handlungsfelder im gleichen Maße quantifizierte Zielgrößen entwickelt werden können, wird die neue Zielvereinbarung aber für alle gemeinsame Vorhaben Entwicklungskorridore und Orientierungsdaten beinhalten. Wir werden unsere gemeinsamen Ziele also nicht nur transparent darstellen, sondern unsere Erfolge auch messbar machen.

Dabei haben wir uns vorgenommen, auch die Art und Weise zu überdenken, wie Landesregierung und Landessportbund zusammen daran arbeiten können, diese gemeinsamen Ziele zu erreichen. Deshalb werden wir mit der neuen Zielvereinbarung auch die Zusammenarbeit von Land und gemeinnützigem Sport zukunftsfähig gestalten und auf eine langfristig tragfähige Grundlage stellen.

Unter anderem ist geplant, festzuschreiben, dass wir uns im Sinne einer kontinuierlichen Zielkontrolle in regelmäßigen Abstimmungsgesprächen mit dem Landessportbund über die zu ergreifenden Maßnahmen austauschen. So bleiben wir flexibel, um auf sich ändernde äußere Bedingungen reagieren zu können. Wir können so schon frühzeitig ergänzende und korrigierende Maßnahmen verabreden, sollte sich zeigen, dass es einer nachträglichen Feinjustierung bedarf.

Wir werden unsere sozial-, gesundheits- und bildungspolitischen Ziele im Sport also mit den Instrumenten modernen Projektmanagements verknüpfen.

Für uns ist das der nächste Schritt in der erfolgreichen Zusammenarbeit von Landesregierung und Landessportbund. Gleichzeitig ist es ein Novum in der Sportförderung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Da es sich bei der Zielvereinbarung um ein neues Instrument handelt, das nach einer bestimmten Zeit auf seine Wirksamkeit hin untersucht werden sollte, sollte die Zielvereinbarung nicht über das Jahr 2022 hinausgehen.

Die Verhandlungen mit dem Landessportbund sind inzwischen weit fortgeschritten. Daher ist bekannt, dass die Landesregierung den Pakt für den Sport fortentwickeln wird. Es ist bekannt, dass sich der alte Pakt inhaltlich weiterentwickeln wird. Es ist ebenfalls bekannt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den gemeinnützigen Sport ab dem kommenden Jahr finanziell stärker als bisher zu unterstützen.

Der vorliegende Antrag der Opposition enthält somit nichts substanziell Neues, sondern gibt lediglich bereits Bekanntes wieder.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass mit diesem Antrag eine Mitautorenschaft für eine erkennbar erfolgversprechende Innovation reklamiert werden soll.

Dazu hätte es allerdings eines fundierteren Papiers als des vorliegenden Papiers bedurft. Der Versuch, dem Ganzen eine eigene Note zu geben, indem Sie fordern, die Laufzeit der neuen Zielvereinbarung auf sechs Jahre auszuweiten, ist ein bisschen durchschaubar.

Richtig ist, dass der Landessportbund Planungssicherheit braucht. Deshalb werden wir in der neuen Zielvereinbarung unsere politische Absicht erklären, dass die Vereinbarung über ihre Laufzeit hinaus fortgeschrieben wird.

Den möglichen Unsicherheiten, nämlich befristeten Verträgen, die sich mit dem Auslaufen einer solchen Vereinbarung immer ergeben werden – das liegt nun einmal in der Natur der Sache –, kann man nur dadurch entgegenwirken, dass man gegenüber dem Partner seine Absicht erklärt, die Vereinbarung fortzuschreiben.

Das geht nur mit gegenseitigem Vertrauen, denn ohne ein solches Vertrauensverhältnis können Landesregierung und Landessportbund ohnehin nicht erfolgreich zusammenarbeiten. Wenn wir im Falle einer deutschen Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2032 mit Rhein und Ruhr ins Rennen gehen sollten, werden wir uns ohnehin weit vor 2023 mit dem Landessportbund zusammensetzen, da im Jahr 2023 aller Voraussicht nach bereits die deutsche Bewerberstadt gekürt wird.

Um bei der nationalen Vorauswahl erfolgreich bestehen zu können, werden wir ein überzeugendes Gesamtkonzept vorlegen müssen, in das der Landessportbund in zentraler Stelle einzubinden ist. Ihr Vorschlag zu einer sechsjährigen Laufzeit ist demnach nicht nur aus formaler Perspektive schwierig, sondern im Hinblick auf die voraussichtlichen zeitlichen Abläufe einer fundierten Bewerbung Nordrhein-Westfalens um Olympische und Paralympische Spiele kontraproduktiv. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 7.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 17/1123. Die antragstellende Fraktion hat die direkte Abstimmung beantragt.

Wer also dem Inhalt des Antrages zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer stimmt dagegen? – Die CDU- und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag Drucksache 17/1123 der SPD-Fraktion abgelehnt.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1212. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die grüne Fraktion und die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP, die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist auch der Entschließungsantrag Drucksache 17/1212 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe auf:

8   Öffentliche Forschung muss dem Frieden dienen

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/1105

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Bolte-Richter jetzt das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie ist gesellschaftlich relevant. Sie wirkt in die Gesellschaft hinein, und das ist sehr gut so. Denn spätestens seit den 1960er-Jahren sind die Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein zentraler Ort der Debatten, die für unsere Gesellschaft und in unserer Gesellschaft geführt werden. Und weil das so ist, muss sich Forschung immer fragen lassen, welche Folgen sie hat – für unsere Gesellschaft, aber auch für die Weltgesellschaft.

Wir leben in einer Zeit, die von tiefgreifenden Konflikten geprägt ist – nicht nur Staaten, die sich mit Waffenarsenalen gegenüberstehen und wo wir die Sorge haben müssen, dass ein Tweet von Donald Trump diese Arsenale in Marsch versetzen könnte, sondern auch innerstaatliche Konflikte, zum Teil mit größter Grausamkeit geführt, prägen die globale Landkarte.

In einer solchen Zeit tragen wir Verantwortung. Wir sollen – und das ist nicht zuletzt unsere Verpflichtungsformel als Abgeordnete in diesem Landtag – dem Frieden dienen. Das bedeutet auch, dass wir – und zwar durchaus in einem gebotenen Maß – den Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen politische Ziele und gesellschaftliche Erwartungen mit auf den Weg geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der im Hochschulzukunftsgesetz verankerten Zivilklausel sind wir genau diesen Weg gegangen. CDU und FDP konnten sich in ihrer Oppositionszeit nie so richtig entscheiden, ob diese Klausel nun eher rot-grünes Hippie-Gedöns oder die bürokratische Zombie-Apokalypse ist. Sie haben immer beides gleichzeitig behauptet, aber beides ist falsch. Die Zivilklausel ist kein Gedöns, und sie ist erst recht keine – Zitat – „bürokratische und zentralistische Vorgabe“, wie es die Ministerin gesagt hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie ist ein konkreter politischer und gesellschaftlicher Auftrag an die Hochschulen, sorgt für Frieden und für friedliche Konfliktbewältigung, sorgt für globale Demokratie und wirkt an globaler Nachhaltigkeit mit. Das ist unsere Erwartung an Forschung, die an öffentlichen Einrichtungen stattfindet,

(Zuruf von der AfD)

die von Steuergeldern finanziert wird, denn daraus erwächst Verantwortung, meine Damen und Herren. Die Zombies werden nun von CDU und FDP wieder aus den Gräbern geholt:

(Ralf Witzel [FDP]: Oooh!)

Studiengebühren, Anwesenheitslisten, Demokratieabbau, all diese Untoten, die Sie mit dem Hochschulgesetz wieder zum Leben erwecken wollen. Das sind die Debatten von vor zehn Jahren, aber das sind nicht die Debatten, mit denen Sie die Zukunft unseres Wissenschaftsstandorts gestalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn man sich die Debatte anschaut, dann passt die Zivilklausel da ganz genau hinein.

(Zurufe von der CDU)

Sie ist kein bürokratisches Instrument, sie ist eine Richtschnur, die selbstverständlich die Autonomie der Hochschulen nicht nur achtet, sondern auch stärkt.

(Zuruf von der CDU)

Die Zivilklausel ist ein weiterer Beleg dafür, dass Sie von CDU und FDP rein ideologiegetriebene Politik betreiben, für die Sie keine Rückendeckung an den Hochschulen haben.

(Widerspruch von der CDU und der FDP)

Ein Beispiel – und das liegt nicht allzu lange zurück, das haben wir auch im Ausschuss diskutiert – ist die RWTH Aachen. Sofort als bekannt wurde, dass die Machbarkeitsstudie für ein Werk für Spezialfahrzeuge – wie es ursprünglich hieß – in der Türkei in Wahrheit die Planung einer Panzerfabrik war, ist die Hochschule aus dem Projekt ausgestiegen. Ich habe größte Hochachtung vor dieser Entscheidung, und ich habe auch Hochachtung vor der Begründung, die lautet – Zitat „Westdeutsche Zeitung“ von heute –: „Die RWTH bekennt sich klar zu ihrer friedlichen Ausrichtung.“ – Chapeau!

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie haben in diesem Haus eine parlamentarische Mehrheit. Sie haben auch eine gesellschaftliche Mehrheit und auch unsere Unterstützung, wenn es um die Wahrung der Hochschulautonomie und der freien Wissenschaft geht. Das ist gerade in einer Zeit von Fake News, Wissenschaftsfeindlichkeit, Klimaleugnung und ähnlichen Phänomenen für uns Ehrensache.

Aber Sie haben keine gesellschaftliche Mehrheit, wenn Sie Forschungsfreiheit daran bemessen, dass öffentliches Geld für die Erforschung von Waffen für autoritäre Regime ausgegeben wird. Mein Appell lautet deshalb: Verlassen Sie diesen Irrweg, sorgen Sie dafür, dass Forschung dem Frieden dient. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bolte-Richter, es gab den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie die noch …

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE: Nein.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Dann danke für Ihren Redebeitrag. – Der nächste Redner ist für die CDU-Fraktion Herr Kollege Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie nicht anders zu erwarten und bereits im Wissenschaftsausschuss angekündigt, greift die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in dem vorliegenden Antrag das Thema „Zivilklausel“ auf. Im Hochschulzukunftsgesetz wurde mit § 3 Absatz 6 eine Formulierung gefunden, die den Universitäten nahelegt, ihre Grundordnungen hinsichtlich einer Zivilklausel zu verändern.

Das haben wir schon damals kritisch gesehen, da den Hochschulen durch dieses Gesetz ein impliziter Zwang auferlegt wurde, Zivilklauseln einzuführen; denn ansonsten drohten Rahmenvorgaben oder die Möglichkeit, jeder Hochschule individuell einen eigenen Hochschulentwicklungsplan vorzuschreiben. Dieses Vorgehen an sich konnte und kann man nur als Hochschulbevormundung bezeichnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Zivilklausel an sich ist ein hochproblematischer Vorgang. Zunächst soll der Eindruck erweckt werden, dass man ein vermeintlich positives Ziel, nämlich den Frieden, fördern will. Das Implementieren einer Zivilklausel verändert aber den Ablauf einer Hochschule komplett: Eine Hochschule muss sich bei der Finanzmittelverteilung, der Ressourcensetzung, den Berufungen, den Drittmitteln oder bei strategischen Forschungsallianzen immer wieder an einer Zivilklausel orientieren.

Grundsätzlich gilt: Friedlichkeit und Frieden sind ein hochrangiges verfassungsrechtliches Element. Unser Grundgesetz erlaubt aber auch ausdrücklich den Einsatz militärischer Mittel zur Landesverteidigung. Von daher ist die bisherige Regelung im Hochschulzukunftsgesetz nicht nur unklar, sie ist verwirrend und überflüssig.

Darüber hinaus wirkt eine Zivilklausel auch degenerierend. Sie verhindert Innovation, sie erschwert Auftragsforschung – auch für die Bundeswehr –, sie begrenzt Fachdisziplinen mit potenziellen militärischen Anwendungen wie Laserforschung, IuK-Technik und Nanotechnologie. Erfindungen wie das Internet, das aus dem Arpanet des US-Verteidigungsministeriums entstanden ist, wären damit ausgeschlossen oder würden zumindest behindert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nur durch eine unabhängige Forschung und Wissenschaft ist es möglich, eine wahrheitsgeleitete Wissenschaft zu betreiben.

Die Zivilklausel stellt einen schweren Eingriff in die vom Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit dar. Es besteht die Gefahr, dass insbesondere von politischen Gruppierungen der Friedensbegriff benutzt wird, um den Betrieb an den Hochschulen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren oder zu steuern. Zivilklauseln können herangezogen werden, um Forschungsvorhaben politisch zu diskreditieren.

Zusammenfassend gilt also: Die Zivilklausel in Nordrhein-Westfalen ist schon mit Zwang eingeführt worden.

(Karl Schultheis [SPD]: Gesetze sind kein Zwang!)

Sie ist unklar, sie ist überflüssig, sie lähmt und hemmt die Forschung und sie kann politisch instrumentalisiert werden.

Im Sinne der Freiheit werden wir es den Hochschulen freistellen, selbstständig zu entscheiden, wie mit diesem Thema umgegangen werden soll. Wir beenden die politische Bevormundung der Hochschulen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die neue Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen diskreditieren die sogenannte Zivilklausel als Element zentraler Steuerung und unnötigen bürokratischen Aufwands.

(Daniel Sieveke [CDU]: Richtig!)

Sie hat angekündigt, dass sie das bestehende Hochschulgesetz überarbeiten will und die Pflicht zur Aufnahme von Zivilklauseln in die Grundordnung der Hochschulen abschaffen wird.

(Bodo Löttgen [CDU]: Exakt!)

Die jetzt von der Regierungskoalition losgetretene Debatte wirkt dabei seltsam aus der Zeit gefallen. In einem internationalen Umfeld, das durch den Verlust von demokratischen Mindeststandards und die Zunahme militärischer Konflikte geprägt ist, ist es gerade die Aufgabe von Hochschulen, sich der eigenen Verfasstheit zu vergewissern. Nichts anderes, als dies einzufordern, haben wir 2014 durch die Neuformulierung des § 3 Absatz 6 im Hochschulzukunftsgesetz getan.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

– Ja, Sie sind der Kenner der Hochschulpolitik, Herr Sieveke, das nehme ich gerade zur Kenntnis.

(Daniel Sieveke [CDU]: Was ist das denn für eine Arroganz?)

Deshalb ist es zur Versachlichung der Debatte sicherlich notwendig, für Sie den Wortlaut der Vorschrift noch einmal darzustellen. § 3 Absatz 6 lautet:

„Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach. Das Nähere zur Umsetzung dieses Auftrags regelt die Grundordnung.“

Die abschließende Formulierung mit Aufnahme des Bezugs zur Demokratie ist auf Vorschlag des Wissenschaftsausschusses durch das Parlament vorgenommen worden. Wie kommen Sie eigentlich auf die absurde Idee, dies als bürokratische Fessel zu bezeichnen? Wer diese Formulierung nicht mittragen kann, sollte sich nicht hinter der Freiheit der Hochschulen verstecken, sondern sagen, was er inhaltlich wirklich will.

Sie sind darlegungspflichtig hinsichtlich der Frage, inwieweit die Hochschulfreiheit durch diese Regelung im Hochschulgesetz beschränkt worden ist. Uns ist bis zum heutigen Zeitpunkt aus den Hochschulen kein einziger Fall vorgetragen worden, bei dem diese Formulierung die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt hätte. Ich bin der Auffassung, dass Sie, wenn Sie diese Debatte sachgerecht führen wollen, Beispiele bringen müssen, bei denen diese Formulierung letztlich jenseits der Verfasstheit der Hochschulen reale Einschränkungen mit sich gebracht hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD)

Vielmehr hat die neue gesetzliche Regelung, die wir damals in Kraft gesetzt haben, viele Konflikte an den Hochschulen deeskaliert. Wir hatten nämlich im Vorfeld dieser gesetzlichen Normierung sehr häufig inhaltliche Auseinandersetzungen in den entsprechenden Gremien der Hochschulen über die Frage, welche Inhalte an der eigenen Hochschule bearbeitet werden sollen und welche nicht.

Es hat Klarheit gegeben und keine Entmündigung, wie hier formuliert wurde.

Die aktuelle Debatte, die durch Ihr Vorhaben initiiert wird, tut auch den Hochschulen nicht gut, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Bodo Löttgen [CDU]: Lassen Sie doch die Hochschulen entscheiden!)

Deswegen nenne ich nur die Überschrift aus der „Westdeutschen Zeitung“ von heute: „Die Zivilklausel steht vor dem Aus. NRW-Ministerin Pfeiffer-Poensgen will den Hochschulen in NRW militärische Forschung wieder erlauben“.

(Lachen von Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau das wollen die Hochschulen nicht.

(Bodo Löttgen [CDU]: Woher wissen Sie das denn?)

Sie wollen auch eine solche Debatte überhaupt nicht, die sie hier lostreten,

(Zuruf von der CDU: Mit welcher Arroganz Sie hier auftreten!)

weil sie von Ihnen mit einem Label versehen werden, das sie selbst überhaupt nicht wünschen.

Ich will deshalb auch gern aus dem Kommentar von Frau Dowe in der heutigen „WZ“ mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren:

„Wer die Abschaffung der Zivilklausel auf landespolitischer Ebene jedoch gleichgültig abnickt, macht es sich dennoch zu einfach: Denn abseits der praktischen Konsequenzen hat die Politik eine Verantwortung, sich an dem in der Verfassung formulierten, friedlichen Leitbild in der Forschung zu orientieren und sich einschränkungslos zu unseren humanistischen Werten zu bekennen.“

(Daniel Sieveke [CDU]: Lesen Sie mal den Anfang davon vor!)

„Die Zivilklausel hat dafür ein starkes Signal weit über den Campus hinaus gesandt, das die Politik nicht leichtfertig einem vermeintlichen Bürokratieabbau opfern sollte. Wenn an den Hochschulen ohnehin kein Interesse an militärischer Forschung besteht, können sie auch gut ohne die theoretische Möglichkeit dazu leben.“

Ich habe schon in der Debatte zur kleinen Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, dass ich mir große Sorgen mache, wenn die Herausforderungen an den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen auf Punkte wie die Zivilklausel oder die Rahmenvorgaben beschränkt werden.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Bell (SPD): Das tut diesem Land nicht gut.

Liebe Mitglieder der Regierungskoalition, entfesseln Sie sich selbst und weiten Sie den Blick auf die wesentlichen Zukunftsfragen des Wissenschaftssystems.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Bell!

Dietmar Bell (SPD): Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Bell. – Das war eine schwierige Situation, weil der Kollege schon die Redezeit überschritten hatte. Es hätte noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage gegeben.

(Daniel Sieveke [CDU] winkt ab.)

– Danke, Herr Kollege Sieveke, für Ihr Verständnis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen – weil die antragstellende Fraktion direkte Abstimmung beantragt hat, was ich für das Thema nicht angemessen finde –: Wir werden den vorliegenden Antrag ablehnen. Weder teilt die FDP-Fraktion die im Antrag enthaltenen Unterstellungen bzw. die darin enthaltene Polemik, noch halten wir den Antrag für sachdienlich, um Wissenschaftlern und Forschern auch in ihren Diskussionen und Abwägungen tatsächlich eine Unterstützung zu bieten.

Forschungsfreiheit heißt nicht Verantwortungslosigkeit; wir haben das an verschiedenen Stellen diskutiert.

Es geht auch gar nicht so sehr um die Frage, ob Forschung friedlichen Zwecken dienen soll; das ist ganz klar geregelt. Wir haben zwar im Artikel 5 unseres Grundgesetzes klar die Freiheit von Forschung und Wissenschaft verankert, aber das Bundesverfassungsgericht hat mehr als deutlich auch klargestellt, dass diese Forschungsfreiheit nicht völlig schrankenlos ist, sondern ebenfalls verfassungsimmanenten Schranken unterliegt.

(Dietmar Bell [SPD]: Genau!)

Da sind unter anderem anzuführen: das Friedensgebot der Präambel unseres Grundgesetzes oder auch Artikel 26, der im Übrigen auch für die private Forschung gilt.

Gleichzeitig gibt es in unserem Grundgesetz auch andere Regelungen. Zum Beispiel ist in Artikel 87

(Zuruf von der SPD: Artikel 87!)

der militärische Verteidigungsauftrag verankert. Weitere Regelungen finden sich im Völkerrecht. „Responsibility to protect“, das von den Vereinten Nationen anerkannt ist, sieht vor, zum Schutz vor Völkerrechtsverletzungen militärisch zu intervenieren. Deswegen sollten wir hier keine Stellvertreterdebatte zu diesen Fragestellungen auf dem Rücken von Forschung und Wissenschaft führen.

Meine Damen und Herren, Hochschulen sind auch Orte der Grundlagenforschung. Wir haben uns in den vergangenen Jahren verschiedentlich darüber ausgetauscht, ob es gerade bei der Grundlagenforschung möglich sei, eine Generalzweckbindung in „gute“ und „schlechte“ Zwecke von Forschung vorzunehmen. Ich möchte ganz klar für uns und für mich sagen: Ich will, dass die Forscherinnen und Forschern keine Schere im Kopf haben und freies Denken einstellen.

(Beifall von Dr. Stefan Berger [CDU])

Ich will vielmehr, dass sie weiterdenken und dass sie Freiheit haben, Ideen und Innovationen mit Blick auf Produkte, Verfahren und Methoden zu entwickeln. Sie sollten sich nicht in vorauseilendem Gehorsam irgendwelche Denkverbote auferlegen.

Das entlässt sie nicht aus der Verantwortung, auch stets die verfassungsimmanenten Schranken ihrer eigenen Forschungsfreiheit zu überprüfen und ethische Fragen zu beantworten, die die Anwendung und Nutzung von bestimmten Ergebnissen betreffen. Es gibt im Übrigen durchaus Ansatzpunkte dafür – wir haben viele Debatten im gesellschaftlichen Diskurs leider noch nicht geführt –, bestimmte Dinge in geeigneter Weise transparent darzustellen. Denn wir alle wissen: Es gibt einige Forschungsergebnisse, die wir lieber nicht vollständig transparent haben wollen, weil wir eben auch dem Frieden dienen wollen.

Ein Aspekt kommt bei diesem Antrag komplett zu kurz: Hier wird völlig die Dual-Use-Problematik ausgeblendet. Im Antrag wird nicht dem Problem Rechnung getragen, dass die Unterscheidung zwischen militärisch-kriegerischer und ziviler Nutzung oftmals schwierig ist. So ist zum Beispiel die Friedens- und Konfliktforschung per se dazu angetan, militärischen oder interventionistischen Fragestellungen zu dienen.

Im Bereich der Medizin sind es solche Dinge wie die Entwicklung von Impfstoffen oder auch die Traumaforschung, die in Teilen aus Forschung für militärische Zwecke entwickelt wurden, aus denen die Zivilgesellschaft jedoch einen sehr großen Nutzen zieht und die Millionen von Menschen gerettet haben. Das gilt insbesondere für die Impfstoffe.

Ein weiterer Bereich – lieber Matthi Bolte-Richter, da fällt es mir immer besonders stark auf – ist das gesamte Feld der Digitalisierung: die Erfindung des Internets, GPS, satellitengestützte Kommunikation, Fragen im Zusammenhang mit Cybersecurity sowie autonome Mobilität. All das gäbe es möglicherweise noch nicht.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): Überall dort besteht doch diese Problematik, der Sie in keiner Weise Rechnung tragen.

Ich würde mir sehr wünschen – und das können wir gerne auch in geeigneter Weise im Wissenschaftsausschuss tun, im Zweifel bei der Hochschulgesetznovelle; das sei meine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin –, dass wir die Gelegenheit nutzen, uns darüber noch in der Sache auszutauschen. Der vorliegende Antrag ist jedenfalls ungeeignet. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die AfD spricht Herr Kollege Seifen.

Helmut Seifen (AfD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag belegt einmal mehr die gesinnungsethische Haltung der Grünen bei ihren politischen Zielsetzungen.

Sie sprechen in Ihrem Antrag von Forschungszielen und Forschungsergebnissen, die gesellschaftlich nicht erwünscht sind. Können Sie mir einmal sagen, wer dieses gesellschaftlich Gewünschte identifiziert? Sind Sie da vielleicht in der Gedankenwelt von Menschen, die glauben, ihre eigenen Vorstellungen von der Welt wären so rein und edel, dass sie für alle anderen gelten sollen?

(Beifall von der AfD – Zuruf von der AfD: So ist es!)

Sind wir da vielleicht bei Rousseaus „Volonté générale“ und damit natürlich wieder bei den Jakobinern und ihren ideologischen Nachfolgern, die glaubten, den allgemeinen Volkswillen zu kennen und ihn mit den unterschiedlichsten Gewaltmitteln durchsetzen zu dürfen?

(Karl Schultheis [SPD]: Das sind Sie doch!)

Wie ist das zu verstehen, wenn Sie im ersten Absatz davon sprechen, dass aufgrund – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „von Initiativen aus der Friedensbewegung und von anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen“ – Zitat Ende und jetzt frei gesprochen – immer mehr Hochschulen eine Zivilklausel in ihre Grundordnung aufgenommen hätten? Was berechtigt diese gesellschaftlichen Gruppen dazu, eine solche Initiative in die Hochschulen hineinzutragen, welche die Freiheit der Forschung maßgeblich einschränkt und behindert? Woher nehmen diese Gruppen ihre Legitimation, und welcher Art sind diese Initiativen? Haben sie den gleichen Gewaltcharakter wie die Aktionen, mit denen heutzutage immer wieder Vorträge missliebiger Professoren an den Universitäten verhindert werden? Und sind die jeweiligen Universitäten durch ähnliche oder subtilere Gewaltaktionen zur Zivilklausel gezwungen worden?

Das sind Fragen über Fragen, die sich aus der Formulierung Ihres Antrags ergeben; denn hinter Ihren apodiktischen Formulierungen verbirgt sich meiner Ansicht nach doch eine besserwisserische Attitüde, mit der Sie anderen vorschreiben wollen, Ihren Vorstellungen bedingungslos zu folgen.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der SPD)

Genau hier leisten wir von der AfD Widerstand. Wir werden die Freiheit gegen Ihre Gängeleien verteidigen.

(Karl Schultheis [SPD]: Bitte nicht!)

Im Übrigen widerspricht Ihr Antrag auch den augenblicklichen und grundsätzlichen Erfordernissen.

Sie sagen doch selbst, dass die Welt von internationalen Krisen und bewaffneten Konflikten geprägt ist. Gut, dass Sie das bemerkt haben. Und vor diesem Hintergrund halten Sie es für verantwortungsvoll, sich als Gesellschaft aus der militärischen Forschung zurückzuziehen? Dann sollten Sie bitte bedenken, dass die Debatte um ein Verbot der Militärforschung auch verteidigungsmilitärische Forschung ausschließt. Ich hielte es für verantwortungslos, die Menschen des Landes, für dessen Wohl zu sorgen wir als Abgeordnete die Verpflichtung übernommen haben, schutzlos potenziellen Aggressoren auszuliefern,

(Beifall von der AfD)

Aggressoren, die sich einen Dreck um unsere Friedensliebe kümmern und alles daransetzen, militärische Überlegenheit zu generieren.

(Karl Schultheis [SPD]: Setzen Sie sich bitte hin!)

Verantwortungsvolle Politik wird alles tun, um die Wehrhaftigkeit des eigenen Staates aufrechtzuerhalten, und dazu gehören auch Forschungen im militärischen Nutzbereich.

Zum anderen lassen sich Forschungsprojekte nicht immer genau dem zivilen oder militärischen Bereich zuordnen, denn die Entwicklung von Waffen beschränkt sich nicht auf ihre gezielte Forschung. Waffen können auch das Ergebnis einer Forschung sein, welches am Anfang noch nicht absehbar war. Das betrifft weniger die anwendungsorientierte Forschung, aber durchaus die Grundlagenforschung.

Des Weiteren sind nicht die Forschung und ihre Ergebnisse die Quelle des Übels, sondern die jeweilige Gesinnung, mit der man das Erforschte einsetzt. Wissen ist zunächst einmal gesinnungsfrei, es ist nicht per se gut oder schlecht, und Waffen sind es auch nicht. Der Einsatz von Waffen kann dem Schutz dienen oder der Verfolgung böser Absichten. Ja, man kann bekanntlich sogar ein Auto bewusst einsetzen, um zu töten. Ich hoffe nicht, dass die Grünen irgendwann einmal einen Antrag stellen, die Forschungen im Bereich der Automobilbranche einzustellen.

(Beifall von der AfD)

Die Zivilklausel beschränkt also die Forschungsfreiheit, gefährdet den technologischen Wissensstand unseres Landes im Militärsektor, macht uns in Verteidigungsfragen abhängig von anderen Ländern und führt zu einem Spitzelsystem und damit zu einem Kotrollwahn, der unserem Ideal der Forschungsfreiheit diametral entgegenläuft.

Wir lehnen den Antrag ab, möchten ihn aber gerne im Ausschuss diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Seifen. – Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die im Antrag gewählte Formulierung erscheint schon allein aus verfassungsrechtlichen Erwägungen bedenklich. Schließlich kann man die konkrete Beschlussempfehlung durchaus als eine Begrenzung der Wissenschaftsfreiheit werten.

Der Verzicht auf jede staatliche Einwirkung auf den Prozess der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist im Grundgesetz in Artikel 5 Absatz 3 geregelt. Dabei gelten natürlich die Schranken, die Frau Abgeordnete Freimuth hier schon sehr gut dargelegt hat.

Das, was die Verfassungsgerichtsrechtsprechung angeht, möchte ich gar nicht wiederholen.

Ganz unabhängig von den verfassungsrechtlichen Überlegungen bin ich mit Blick auf den Antrag und die im Hochschulgesetz formulierte sogenannte Zivilklausel davon überzeugt, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen keine regulatorischen Vorgaben mit Blick auf die Zielsetzung von Frieden und Demokratie benötigen. Diese Ziele sind tief im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert.

Sie haben es sehr zutreffend dargestellt, Herr Bolte-Richter: Seit den 60er-Jahren ist das ein wesentlicher Bestandteil vieler Debatten, die genau dieses Bewusstsein sehr stark geformt haben, das nicht nur in der Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch in den Wissenschaftsinstitutionen und selbstverständlich auch bei den dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorhanden ist.

Deshalb muss es dort beraten werden, wo es hingehört: in den Gremien der Hochschulen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deren Mitglieder verfügen über den notwendigen Sachverstand und auch das Verantwortungsbewusstsein, um ohne staatliche Vorgaben selbst über solche Fragen zu entscheiden, deren Beantwortung eben nicht so schwarz-weiß möglich ist, wie es hier vorhin manchmal dargestellt wurde.

Das entspricht im Übrigen auch unseren Bemühungen um eine Stärkung der Hochschulautonomie. Nach den verschiedenen Redebeiträgen muss ich einfach einmal feststellen: Wir haben offensichtlich sehr unterschiedliche Bilder von verantwortlichen Hochschullehrern und Hochschulforschern. Darüber können wir sicher weiterdiskutieren, wenn wir über die Novelle insgesamt und mit mehr Ruhe, als es hier möglich ist, sprechen. Ich glaube, dann müssen wir auch über die unterschiedlichen Bilder, die wir von den Hochschulen haben, ein bisschen ausführlicher reden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegt keine weitere Wortmeldung vor. Daher schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Die antragstellende Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 17/1105.

Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Grünen und die SPD. Wer ist dagegen? – Das sind die CDU, die FDP, die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 17/1105 abgelehnt.

Meine Damen und Herren, alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den bisher als Tagesordnungspunkt 12 vorgesehenen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern verhindern“, Drucksache 17/797, als Tagesordnungspunkt 9 neu zu behandeln.

Ich sehe, hiergegen gibt es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Ich rufe daher auf:

9   Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern verhindern

Antrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 17/797

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Integrationsausschusses
Drucksache 17/1129

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben.  zu Protokoll zu geben (Anlage 1).

Wir kommen damit direkt zur Abstimmung. Der Integrationsausschuss empfiehlt in Drucksache 17/1129, den Antrag Drucksache 17/797 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 17/797 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist dagegen? – Die CDU, die FDP, die AfD. Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag Drucksache 17/797 abgelehnt.

Ich rufe dann auf:

10 Fragestunde

Mündliche Anfragen
Drucksache 17/1133

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 4

der Frau Abgeordneten Elisabeth Müller-Witt der Fraktion der SPD auf.

Hat die Staatskanzlei die Ernennung der Ministerinnen und Minister auf Vereinbarkeit mit Artikel 64 der Landesverfassung geprüft?

Der Chef der Staatskanzlei hat in der Sitzung des Hauptausschusses am Donnerstag, dem 4. Oktober 2017, zum Tagesordnungspunkt „Ergebnisse der Ministerehrenkommission“ auf die Frage, ob es eine verfassungsgemäße Prüfung der Staatskanzlei vor der Ernennung von Ministerinnen und Minister gäbe, ausweichend geantwortet.

Vor dem Hintergrund, dass innerhalb von nur 100 Tagen nicht nur Landesminister Holthoff-Pförtner, Landesministerin Schulze Föcking und auch Landesminister Biesenbach sowie Landesminister Reul Zweifel an der Vereinbarkeit ihres Regierungsamts mit anderen Funktionen beziehungsweise bezüglich ihrer Eigentumsanteile und der daraus entstehenden Interessenskonflikte aufkommen lassen, ist die Ministerehrenkommission bereits mit Prüfungen befasst. Deren Aufgabe ist es aber nicht, die Vereinbarkeit des Ministeramtes mit Artikel 64 der Landesverfassung zu prüfen.

Ich bitte den Ministerpräsidenten daher um Beantwortung nachfolgender Fragen:

Haben Sie anlässlich der Ernennung des Kabinetts unabhängig von der Prüfung der Ministerehrenkommission eine eigene Prüfung veranlasst sowie die möglichen (verfassungs)rechtlichen Unvereinbarkeiten für die Übernahme eines Ministeramtes untersucht und wie lauten die dazugehörigen Ergebnisse?

Besteht nach Artikel 64 der Landesverfassung eine Inkompatibilität mit dem Ministeramt bei den oben angesprochenen Personen?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Lienenkämper antworten wird. Ich erteile Ihnen nun das Wort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Präsident! Liebe Kollegin Müller-Witt! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Abgeordnete Müller-Witt bittet mit der Mündlichen Anfrage um Auskunft, ob anlässlich der Ernennung des Kabinetts eine eigene Prüfung veranlasst wurde, die eine mögliche verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit für die Übernahme eines Ministeramtes betrifft.

Ferner fragt sie nach den Ergebnissen der Prüfung sowie danach, ob eine Unvereinbarkeit mit dem Ministeramt im Sinne des Artikels 64 Landesverfassung mit Blick auf die von ihr genannten Mitglieder der Landesregierung besteht.

Gerne beantworte ich die Fragen wie folgt:

Gestatten Sie mir einleitend einige verfassungsrechtliche Vorbemerkungen, die für das Verständnis notwendig sind. Im Zuge der Ernennung der Mitglieder der Landesregierung findet eine verfassungsrechtliche Prüfung unter anderem in Bezug auf sogenannte Unvereinbarkeiten statt, die der Jurist Inkompatibilität nennt. Dabei ist in Bezug auf Artikel 64 unserer Landesverfassung zu unterscheiden:

Erstens sieht diese Vorschrift echte Unvereinbarkeiten vor. Das gilt beispielsweise nach Absatz 4 in Bezug auf eine parallele Innehabung des Ministeramtes in der Landesregierung einerseits und der Mitgliedschaft in der Bundesregierung bzw. des Mandats als Mitglied des Bundestages andererseits. In dieser Konstellation ist die parallele Innehabung der Funktionen unzulässig. In einem solchen Fall kann die Ernennung zum Minister nicht erfolgen. Eine solche Konstellation lag im Zuge der Regierungsbildung nicht vor.

Zweitens stellt sich die Lage nach Artikel 64 Absatz 2 unserer Landesverfassung anders dar. Dieser lautet – ich zitiere –:

„Mit dem Amte eines Mitgliedes der Landesregierung ist die Ausübung eines anderen öffentlichen Amtes oder einer anderen Berufstätigkeit in der Regel unvereinbar. Die Landesregierung kann Mitgliedern der Landesregierung die Beibehaltung ihrer Berufstätigkeit gestatten.“

Absatz 2 statuiert ein Ausübungsverbot, wobei bereits nach dem Wortlaut deutlich wird, dass Ausnahmen davon möglich sind. Eine Kollision stellt indes kein Ernennungsverbot dar.

Die Prüfung nach Artikel 64 Landesverfassung fand vor der Ernennung der Ministerinnen und Minister durch die Staatskanzlei statt und führte zu dem Ergebnis, dass in jedem Fall eine Ernennung erfolgen konnte.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Gibt es weitere Nachfragen? – Frau Kollegin Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine erste Nachfrage: Welche Aufgabe hat der Ministerpräsident bei der Auswahl seiner Landesministerkandidaten? Was liegt in seiner Verantwortung? Wie muss er bei der Prüfung hinsichtlich der Kompatibilität vorgehen? Dazu hätte ich gerne genauere Ausführungen.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Der Ministerpräsident ernennt die Mitglieder der Landesregierung nach den genannten Prüfungen. Der Ministerpräsident hat die Aufgabe, zu ernennen, wen er ernennen möchte, wenn die Voraussetzungen für die Ernennung vorliegen. Das war in allen Fällen der Fall.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Eine zweite Nachfrage von Frau Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Zweite Nachfrage: Fernab der fachlichen Prüfung mussten die Kabinettsmitglieder keiner weiteren Prüfung unterzogen werden? Das heißt, mussten die Kabinettsmitglieder in keiner Form irgendwie plausibel machen, dass verfassungsrechtlich alles einwandfrei ist?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Jetzt müssen wir zwei verschiedene Situationen unterscheiden. Gefragt war nach der Situation vor Ernennung der Minister. Da findet die Plausibilitätsprüfung der Ministerehrenkommission nicht statt, sondern es findet eine Inkompatibilitätsprüfung statt, die ich Ihnen eben beschrieben habe. Darüber hinaus sind auch keine weiteren Prüfungsinhalte abzuprüfen.

Nach Ernennung findet dann das bewährte Verfahren der Ministerehrenkommission statt. Auf der Basis von umfangreichen Angaben, die jedes Mitglied der Landesregierung, das bereits ernannt ist, dieser Ehrenkommission macht, wird die Prüfung der Ehrenkommission durchgeführt.

Es sind zwei unterschiedliche Prüfungsvorgänge.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich habe eine weitere Wortmeldung, und zwar von Herrn Kutschaty.

Thomas Kutschaty (SPD): Vielen Dank. – Der Standardkommentar zu unserer Landesverfassung, herausgegeben von einem Mitglied des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofes, kommentiert zu Artikel 64 unter der Randnummer 16, dass ein Landesminister nicht wirksam ernannt werden kann, wenn er zuvor ein Bundestagsmandat nicht wirksam niedergelegt hat.

Die Frage ist jetzt: Inwieweit unterscheidet sich aus Sicht der Landesregierung ein Bundestagsmandat von einem Europamandat? Wurde dieser Aspekt vom Ministerpräsidenten abgewogen und berücksichtigt?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Die Staatskanzlei hat vor der Ernennung der Minister in jedem Fall die Inkompatibilitätsprüfung durchgeführt, sowohl bei dem Kollegen, der vorher Mitglied des Deutschen Bundestages war, als auch bei dem Kollegen, der vorher Mitglied des Europäischen Parlamentes war. Diese Mitgliedschaft erlischt übrigens, anders als die Mitgliedschaft des Bundestages, automatisch. Beide Prüfungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass keine Hinderungsgründe für eine Ernennung bestanden haben. Daran hat sich der Ministerpräsident orientiert.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Als Nächstes habe ich eine Wortmeldung von Herrn Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Minister Lienenkämper, ich habe am 12. September eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, die am 6. November, also fast acht Wochen nach der Anfrage, beantwortet wurde. Damit wurde die Frist um fast vier Wochen überzogen; ich habe auch keinerlei Rückmeldung seitens der Landesregierung erhalten.

Vier Tage vor Veröffentlichung der Antwort auf meine Anfrage hat Minister Biesenbach sein Kreistagsmandat niedergelegt. Muss ich das so verstehen, dass Herr Minister Biesenbach auf unseren Druck hin sein Mandat niedergelegt hat und die Landesregierung es für richtig erachtet hat, das Parlament vier Wochen länger als zulässig und acht Wochen länger als notwendig warten zu lassen? Aus meiner Sicht hätte das schon bei der Amtsübernahme geprüft werden müssen.

Hat er sein Amt niedergelegt, weil er durch die Ministerehrenkommission in entsprechender Weise beraten worden ist? Wie würden Sie diesen Vorgang bewerten?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Mostofizadeh, nein, das müssen Sie nicht so sehen.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Als Nächstes zur letzten Nachfrage Frau Müller-Witt.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte an die Personalie Biesenbach anschließen. Sie haben eben erläutert, welche Prüfungsaufgaben die Ministerehrenkommission hat und was im Vorfeld nach Artikel 64 der Landesverfassung geprüft wird. Könnten Sie uns die Begründung darstellen, weshalb die Tätigkeit von Herrn Minister Biesenbach in der Kreistagsfraktion nach Ihrer Auslegung kompatibel mit der Landesverfassung war?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Müller-Witt, zu dieser Frage gibt es mindestens zwei, wahrscheinlich noch mehr Rechtsauffassungen. Die drehen sich im Wesentlichen um die Bewertung des Kommunalmandates als öffentliches Amt im Sinne von Artikel 64 Absatz 2 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen.

Man kann einerseits die rechtliche Auffassung vertreten, dass mit Blick auf den Schutzzweck der Norm, nämlich Interessenkollisionen zu vermeiden, auch kommunale Mandate von dieser Vorschrift erfasst sind.

Man kann andererseits die Rechtsauffassung vertreten, dass die begriffliche Trennung zwischen Amt und Mandat, die sich auch an anderen Stellen der Verfassung findet, gleichfalls für den Anwendungsbereich von Artikel 64 Absatz 2 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zu beachten ist.

Insofern gibt es zu dieser komplexen Rechtsfrage unterschiedliche Rechtsauffassungen.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Als Nächstes habe ich eine Wortmeldung von Herrn Dahm.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Lienenkämper, Sie haben eben ausgeführt, dass vor Ernennung der Minister eine Prüfung stattgefunden hat, die der Herr Ministerpräsident vorgenommen hat. Liegen dem Ministerpräsidenten insbesondere im Fall von Minister Reul Belege und Dokumente vor, dass sein Europamandat im Vorfeld niedergelegt worden ist? Ist das schriftlich dokumentiert?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Das ist nicht erforderlich, das Niederlegen des Mandats im Europäischen Parlament übrigens auch nicht; dort gibt es andere Vorschriften, wie ein solches Mandat endet.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Eine weitere Wortmeldung von Herrn Kutschaty.

Thomas Kutschaty (SPD): Herr Lienenkämper, entgegen Ihrer vorherigen Aussage erlischt das Europamandat nicht automatisch mit der Ernennung zum Landesminister – es ist falsch, was Sie vorhin gesagt haben –, sondern der Präsident des Europäischen Parlaments muss erst Kenntnis davon erlangen, dass jemand zum Landesminister ernannt worden ist. Erst dann tritt die Rechtsfolge in Kraft, dass das Europamandat erlischt.

Warum hat sich die Landesregierung, warum hat sich Minister Reul nach seiner Ernennung eine Woche lang Zeit gelassen, sodass es erst dann zu der Niederlegung des Europamandats kam? Warum hat er das nicht selbst angezeigt? Warum musste das durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages erst eine Woche nach der Ministerernennung angezeigt werden? Also: Warum hat Herr Reul das nicht selbst gemacht? Warum kam es dadurch zu dieser peinlichen Überzahlung der Abgeordnetendiät für den Monat Juli? Das hätte man doch am 30. Juni gleich mitteilen können.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Kutschaty, aus Ihrer vergangenen Tätigkeit wissen Sie sicher, dass die Beweggründe für das Handeln einzelner Kabinettsmitglieder nicht in die Zuständigkeit der Landesregierung fallen.

(Lachen und Zurufe von der SPD)

Präsident André Kuper: Ich habe eine weitere Wortmeldung, und zwar die des Herrn Abgeordneten Wolf.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. – Herr Lienenkämper, Sie haben uns jetzt an den Rechtsausführungen und den unterschiedlichen Rechtsauffassungen teilhaben lassen. Ich möchte noch einmal auf den von Herrn Kollegen Kutschaty zitierten Kommentar zur Landesverfassung Bezug nehmen; das ist, soweit ich das wahrgenommen habe, einer der wesentlichen Kommentare.

Dort heißt es in der Randziffer 4 zur Frage der Inkompatibilität sehr deutlich: wohl aber andere Ämter in der mittelbaren Staatsverwaltung oder auf der kommunalen Ebene.

Ich möchte Sie bitten, uns zu sagen, welche Gegenargumente Sie bei der Frage, ob Herr Minister Biesenbach zeitgleich ein Amt im Kreistag wahrnehmen kann, in Erwägung gezogen haben.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Wolf, da sind wir schon wieder bei den unterschiedlichen Rechtsauffassungen, die ich eben geschildert habe. Man kann unterschiedlicher Auffassung darüber sein, ob das Kreistagsmandat ein öffentliches Amt im Sinne von Artikel 64 unserer Landesverfassung ist oder nicht.

Selbst wenn es so wäre, könnte es, wie ich eben dargelegt habe, Ausnahmevorschriften geben.

Selbst wenn das nicht der Fall wäre, würde es dem Mitglied der Landesregierung obliegen, etwaige Kollisionen aufzulösen. Insofern wäre selbst die von Ihnen angefragte Prüfung noch nicht zu einem Ergebnis gekommen, das die Inkompatibilität des Amtes zur Folge gehabt hätte. Das müssen Sie unterscheiden von der Prüfung, die vor der Ernennung stattfindet.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Stimmt überhaupt nicht, was er sagt!)

Präsident André Kuper: Eine weitere Frage liegt mir von Frau Schäffer vor.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lienenkämper, wir haben schon in zwei Kleinen Anfragen versucht, herauszufinden – vielleicht können Sie uns bei der Frage weiterhelfen –, an welchem Tag genau die Ministerehrenkommission durch den Ministerpräsidenten berufen wurde.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Schäffer, da kann ich Ihnen heute nicht weiterhelfen. Die Ministerehrenkommission tagt vertraulich. Das gilt auch für ihre Ernennung.

Präsident André Kuper: Ich habe eine weitere Wortmeldung von Herrn Wolf.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lienenkämper, vielen Dank noch einmal für Ihre Rechtsausführungen, die Sie hier erläutert haben. Dann stellt sich für mich allerdings die Frage: Warum haben alle anderen Minister des Landeskabinetts ihre kommunalen Mandate unmittelbar niedergelegt, zum Beispiel Herr Kollege Dr. Stamp oder Frau Scharrenbach?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Wolf, auch zu diesen, von Ihnen offenbar eher als positiv wahrgenommenen Beweggründen der Mitglieder der Landesregierung kann ich mangels Zuständigkeit der Landesregierung wenig sagen.

Präsident André Kuper: Die zweite und letzte Wortmeldung von Herrn Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Minister Lienenkämper, es ist jetzt natürlich ein bisschen misslich, dass Sie da sitzen. – Nein, ich meine das anders. Dass Sie da sitzen, freut mich natürlich.

(Heiterkeit)

Ich meine, es ist misslich, dass Herr Biesenbach die Frage jetzt nicht beantworten kann, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen.

Trotzdem stelle ich die Frage; denn es geht um die Inkompatibilität mit dem Amt. Herr Minister Biesenbach hat sich – damals noch nicht Minister, sondern einen Tag vor seiner Ernennung – am 29. Juni in der Presse dahin gehend geäußert, dass er seine Rolle als Interessenvertreter für den Oberbergischen Kreis verstehen würde und dass er diese Rolle als Minister noch besser ausfüllen könnte.

Ich glaube, dass zum Beispiel bei Fragen im Zusammenhang mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz, mit Förderprogrammen für den ländlichen Raum oder überhaupt für Kommunen und mit anderen Dingen durchaus Interessenkollisionen auftreten können. Die Landesregierung hat auch ausdrücklich zugestanden, dass in solchen Fällen Abhilfe zu schaffen ist.

Wenn Sie das nicht beantworten können, würde ich um eine schriftliche Beantwortung durch Minister Biesenbach bitten: Auf welche Weise möchte Herr Biesenbach in seinem Amt als Minister als Interessenvertreter für den Oberbergischen Kreis arbeiten?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Mostofizadeh, auch diese inneren Beweggründe des Kollegen Biesenbach und seine damit verbundene politische Motivation kann ich als Mitglied der Landesregierung mangels Zuständigkeit nicht kommentieren – und erst recht nicht seine Äußerungen in einem Interview noch vor seiner Ernennung. Nach der Ernennung zum Minister hat die Landesregierung eine solche Kompetenz nicht, vor der Ernennung erst recht nicht.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist damit nicht beantwortet!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Eine weitere Wortmeldung von Frau Schäffer; das ist dann auch die zweite.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lienenkämper, Sie haben auf die Vertraulichkeit der Sitzungen der Ministerehrenkommission hingewiesen. Es gibt ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November dieses Jahres, in dem in Bezug auf Kleine Anfragen sehr ausführlich dargestellt wird, dass die Regierung diese natürlich beantworten muss bzw. dass sie, wenn sie sich auf die Vertraulichkeit als Argument zurückzieht, darlegen muss, worin die Vertraulichkeit begründet ist.

Insofern frage ich Sie: Warum begründen Sie hier die Nichtnennung des Datums der Berufung der Ministerehrenkommission mit einer angeblichen Vertraulichkeit? Worin ist aus Ihrer Sicht die Vertraulichkeit begründet? Wenn Sie das hier nicht beantworten können, bitte ich auch um eine schriftliche Antwort.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Schäffer, die Ministerehrenkommission ist im Jahre 2000 eingerichtet worden und tagt seitdem ständig vertraulich. Das ist unverändert so.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das haben wir immer schon so gemacht!)

Das gilt auch für die Ernennung der Mitglieder der Ministerehrenkommission. Deswegen umfasst die Vertraulichkeit auch das.

Ein anderer Prozess ist der der Kleinen Anfrage und der rechtlichen Anforderungen an Kleine Anfragen. Gehen Sie bitte davon aus, dass wir eine rechtlich korrekte Bewertung vornehmen werden, allerdings nicht im Rahmen einer Mündlichen Anfrage. Da gelten andere Regeln.

Präsident André Kuper: Ich habe eine weitere Wortmeldung von Frau Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Minister, ich will dann gleich nachfragen. Sie können also hier nicht darstellen, warum alleine das Einsetzungsdatum – Sie haben uns jetzt noch viele andere Dinge über die Personen und ähnliche Zusammenhänge gesagt – der Vertraulichkeit unterliegt? Sind Sie bereit, uns das auch schriftlich darzustellen?

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Beer, ich habe Ihnen vieles andere erklärt, was neben dem Einsetzungsdatum auch noch der Vertraulichkeit unterliegt. Insofern geht es nicht allein um das Einsetzungsdatum, das der Vertraulichkeit unterliegt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das habe ich aber gefragt! Das ist der Unterschied!)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich erteile nun dem Abgeordneten Dahm zu seiner zweiten und letzten Frage das Wort.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Lienenkämper, nach Ihren Ausführungen zur Ministerehrenkommission muss man ja hier den Eindruck gewinnen, dass das eine virtuelle Kommission ist. Aber ich halte mich zunächst mal mit Bewertungen zurück.

Ich würde aber schon gerne wissen, zu welchem Zeitpunkt die Landwirtschaftsministerin ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und Beteiligungsverhältnisse bei der Ministerehrenkommission angezeigt hat.

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Die Ministerehrenkommission tagt nichtöffentlich. Die Zulieferungen der Informationen durch die Mitglieder der Landesregierung sind Zulieferungen für die Ministerehrenkommission und unterliegen damit in gleicher Weise den Regeln der Ministerehrenkommission.

Präsident André Kuper: Ich erteile Herrn Remmel das Wort zu seiner ersten Frage.

Johannes Remmel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister Lienenkämper, ich will die Frage von Frau Beer wiederholen und präzisieren. Sind Sie bereit, Ihre Aussage, dass die Einsetzung der Ministerehrenkommission durch die Landesregierung der Vertraulichkeit unterliegt, schriftlich gegenüber dem Parlament zu begründen? Darauf kann man nur mit Ja oder Nein antworten.

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Kollege Remmel, das kann man, das muss man aber nicht.

(Heiterkeit)

Deshalb werde ich dazu Folgendes erläutern: Heute ist die mündliche Fragestunde. Da habe ich meine Antwort soeben gegeben.

Es gibt parallel dazu den Prozess einer Kleinen Anfrage. Die Kleinen Anfragen werden – wie Sie das auch aus Ihrer Zeit kennen – in dem dafür vorgesehenen Verfahren von der Landesregierung beantwortet. Voraussetzung für die Beantwortung ist die Prüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Kleinen Anfrage. Diese Prüfung werden wir vornehmen. Es wird zu einem rechtskonformen Ergebnis kommen, und die Beantwortung wird diesem rechtskonformen Ergebnis folgen.

Präsident André Kuper: Zu ihrer ersten Frage erteile ich Frau Schulze das Wort.

Svenja Schulze (SPD): Herr Minister, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass die Landesregierung für das Handeln der Mitglieder der Landesregierung nicht zuständig ist?

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Nein.

Präsident André Kuper: Ich erteile dann Frau Beer zu ihrer zweiten und abschließenden Frage das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Minister Lienenkämper, verstehe ich Sie richtig, dass Sie die Mündliche Anfrage einer Abgeordneten an die Landesregierung im Rahmen des parlamentarisch verabredeten Prozederes nicht für geeignet halten, um rechtsgültige Aussagen von der Landesregierung zum Beispiel in Bezug auf das Einsetzungsdatum der Ehrenkommission zu erhalten? Warum ist die Mündliche Anfrage weniger wert als eine Kleine Anfrage, die Sie auch noch nicht einmal rechtlich beurteilt haben?

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Beer, Sie erhalten von dieser Landesregierung selbstverständlich sowohl in mündlichen Fragestunden als auch auf Kleine Anfragen rechtsverbindliche Auskünfte. Meine Auskünfte zu den Fragen, die hier gestellt worden sind, habe ich gegeben. Die Antwort auf die Kleine Anfrage, die derzeit läuft, wird nach dem dafür vorgesehenen Verfahren in rechtskonformer Weise auch noch erfolgen.

Präsident André Kuper: Ich erteile Herrn Becker zu seiner ersten Frage das Wort.

Horst Becker (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich frage die Landesregierung, ob sie nicht vor dem Hintergrund, dass die Berufung der Kabinettsmitglieder Anfang Juli erfolgt ist und dann sofort eine Debatte um die Frage der Zuständigkeit von Minister Holthoff-Pförtner für Medien entbrannt ist und die Landesregierung dazu sehr schnell ausgeführt hat, dies alles würde die Ministerehrenkommission prüfen, auch der Meinung ist, dass es dieses Parlament angeht und auch für die Öffentlichkeit von Interesse ist, wann die Ministerehrenkommission überhaupt einberufen wurde, mithin wann überhaupt eine Abgabe von Erklärungen erfolgt sein kann.

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Abgeordneter Becker, ich anerkenne, dass es für das Parlament schon deswegen offenkundig von Interesse ist, weil da nachgefragt wird, sowohl mündlich als auch schriftlich. Dieses Interesse werden wir am Ende des Abstimmungsprozesses zur vorliegenden Kleinen Anfrage auch in rechtskonformer Weise befriedigen.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich erteile zu einer ersten Frage der Kollegin Kapteinat das Wort.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Lienenkämper, wann wurde mit der Prüfung der Staatskanzlei und/oder des Justizministeriums begonnen, ob eine Vereinbarkeit zwischen dem Fraktionsvorsitz und dem Ministeramt von Minister Biesenbach vorliegt bzw. ob eine Kollision besteht?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Diese Prüfung führt die Ministerehrenkommission in eigener Verantwortung und im Rahmen von vertraulichen Sitzungen durch.

Präsident André Kuper: Herr Remmel hat zu seiner zweiten und letzten Frage das Wort.

Johannes Remmel (GRÜNE): Das ist nett, vielen Dank. – Die gesamte Fragestunde und die bisherige Orientierung beziehen sich in gewisser Weise auf die Prüfung durch die Ministerehrenkommission.

Ich möchte von der Landesregierung wissen, wie sie die Wirkungsweise oder den Wirkungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes Nordrhein-Westfalen, insbesondere den der §§ 20 und 21, beurteilt, ob diese Paragrafen, die sich nicht nur mit der Befangenheit, sondern schon mit dem Anschein der Befangenheit beschäftigen, auch Aussagen darüber machen, welche Eigenprüfung Behördenleiter und Vorgesetzte vorzunehmen haben, ob sich dieser Geltungsbereich dieses Gesetzes auch auf Staatssekretäre und Minister bezieht oder ob das auch eine vertrauliche und geheimnisvolle Angelegenheit ist.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Herr Abgeordneter Remmel, das Verwaltungsverfahrensgesetz ist ein allgemeines Gesetz, das sich an jeden Nordrhein-Westfalen richtet und deswegen auch für alle Nordrhein-Westfälinnen und Nordrhein-Westfalen gilt. Die Fragen im Zusammenhang mit der Inkompatibilität oder der Unvereinbarkeit eines Amtes innerhalb der Landesregierung mit anderen öffentlichen Ämtern richtet sich nach der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen.

Präsident André Kuper: Eine weitere Frage, die erste Frage von Herrn Abgeordneten Bolte-Richter.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass es schon mit der ersten Kleinen Anfrage, der zweiten Kleinen Anfrage, der dritten Kleinen Anfrage und auch den Fragen in dieser mündlichen Fragestunde hinsichtlich der Vertraulichkeit der abgefragten Fakten zur Ministerehrenkommission schon eine gewisse Zeit der Prüfung gab, möchten wir Sie fragen, welchen Grund es hat, dass Sie bereits mehrere Monate an dieser Frage herumgeprüft haben, und wie lange Sie noch zu prüfen gedenken.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Bolte, ich weiß nicht, an welcher Frage über Monate hinweg geprüft worden sein soll.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das fragen wir uns auch!)

Deshalb bitte ich noch mal um Präzisierung der Frage. Ich habe sie einfach im Zusammenhang nicht verstanden.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Die Frage der Vertraulichkeit.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Die Vertraulichkeit muss nicht geprüft werden. Die Regeln der Vertraulichkeit gelten.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Als nächste Wortmeldung Frau Kapteinat zu ihrer zweiten und letzten Frage.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Da meine erste Frage nicht beantwortet wurde, gehe ich davon aus, dass meine jetzige Frage meine erste ist. – Ich hatte nicht nach dem Prüfungszeitpunkt der Ministerehrenkommission, wann dort begonnen wurde zu prüfen, gefragt, sondern danach, wann in der Staatskanzlei bzw. im Justizministerium begonnen wurde zu prüfen. Dass dort geprüft wurde, ist relativ deutlich, da wir im Rechtsausschuss einen Bericht bekommen haben.

Daher erneut meine Frage: Wann ist mit dieser Prüfung begonnen worden?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin, Sie beziehen sich offenbar auf die Prüfung, die bereits vor Ernennung der Ministerinnen und Minister in der Staatskanzlei stattgefunden hat, und damit auf die Inkompatibilitätsprüfung, mit der bereits vor Ernennung der Ministerinnen und Minister begonnen wurde.

Es gibt eine zweite Prüfung, die ich eben beschrieben habe: das bewährte Verfahren der Ministerehrenkommission. Die Ministerehrenkommission hat die Prüfungen, die ihr in diesem Zusammenhang obliegen, nach Berufung der Ministerinnen und Minister durchgeführt.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich erteile dem Abgeordneten Becker zu seiner zweiten und letzten Frage das Wort.

Horst Becker (GRÜNE): Schönen Dank, Herr Präsident. – Ich frage die Landesregierung vor dem Hintergrund, dass die in Rede stehenden Filmaufnahmen von dem Hof Schulze Föcking und die darauf folgenden teilweisen oder vollständigen Veränderungen der Zuständigkeiten und der Vermögensverwaltung auf dem Hof Anfang Juni geschehen sind:

Ist die Landesregierung nicht auch der Auffassung, dass es für den Landtag und die Öffentlichkeit von ganz besonderem Interesse ist, ob vor dem Hintergrund dieser Umstände gemäß der Geschäftsordnung der Landesregierung die Erklärung der Ministerin über die Vermögens- und Besitzverhältnisse mit besonderer Sorgfalt und umgehend, nämlich zum Amtsantritt, abgegeben worden ist?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Becker, die Landesregierung hat keinen Zweifel daran, dass in diesem Zusammenhang alle Prüfungen ordnungsgemäß stattgefunden haben und die Beiträge, die alle Beteiligten zu diesen Prüfungen geleistet haben, in gleicher Weise ordnungsgemäß waren.

Präsident André Kuper: Eine weitere Wortmeldung von Herrn Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Lienenkämper, können Sie eine Aussage dazu machen, wie die Beratungsgegenstände oder Beratungsergebnisse schlussendlich protokolliert werden? Auf welchem Wege werden die festgehalten? Diese sind aus Ihrer Sicht zwar vertraulich, müssen aber festgehalten werden.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Die Ergebnisse der Prüfung der Ministerehrenkommission werden jeweils den betroffenen Mitgliedern der Landesregierung von der Ministerehrenkommission unmittelbar schriftlich bekannt gegeben.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich erteile Frau Kollegin Gebhard das Wort.

Heike Gebhard (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Lienenkämper, ich möchte noch mal auf die Fragen meiner Kollegin Kapteinat zurückkommen. Bei der ersten Antwort haben Sie offenbar ihre Frage nicht verstanden. Denn sie hat nicht nach dem Bericht der Ministerehrenkommission gefragt, sondern nach dem Bericht des Justizausschusses.

Ihre zweite Antwort hat das wiederum negiert, sodass ich nachfragen möchte: Habe ich Sie da richtig verstanden, dass der Bericht für den Rechtsausschuss vom 22. September ohne jegliche Prüfung im Justizministerium erstellt wurde? Sie haben ja gerade gesagt, es habe keine gegeben. Ist der Bericht also völlig ohne Prüfung entstanden?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Offenkundig haben Sie meine Antwort wirklich nicht verstanden, weil ich in keiner Weise zu den Prüfungen des Justizministeriums Stellung genommen habe, sondern zu denen der Ministerehrenkommission. Gehen Sie davon aus, dass selbstverständlich ein Bericht an den Justizausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen mit der gebotenen Sorgfalt und unter Beteiligung aller dazu erforderlichen Stellen der Landesregierung erstellt wird.

(Zuruf: Sehr gut! Wann?)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Eine Wortmeldung von Herrn Bolte und damit die letzte Fragemöglichkeit für ihn.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Minister, die „Rheinische Post“ schreibt in einem Bericht vom 4. August zur Causa Holthoff-Pförtner – Zitat –: „Laut Staatskanzlei hat die Ehrenkommission noch nicht getagt.“

Können Sie bestätigen, dass die Kommission am 4. August noch nicht getagt hatte?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Kollege Bolte-Richter, die Ministerehrenkommission tagt in einem vertraulichen Rahmen. Das gilt auch für die Termine der Sitzungen der Ministerehrenkommission. Davon bekommt übrigens kein Mitglied der Landesregierung überhaupt etwas mit, weil diese Termine richtigerweise vorher nicht angekündigt werden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie ist die Aussage der Staatskanzlei zustande gekommen? – Matthi Bolte-Richter [GRÜNE]: Die Staatskanzlei weiß mehr als der Minister!)

Präsident André Kuper: Mir liegt eine Zusatzfrage von Frau Gebhard vor. Das ist die zweite und letzte Möglichkeit für Sie, eine Zusatzfrage zu stellen.

Heike Gebhard (SPD): Herzlichen Dank. – Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie der Ansicht sind, das Justizministerium hat selbstverständlich geprüft und dann einen entsprechenden Bericht für den Justizausschuss verfasst. Dann können Sie uns sicherlich auch die Frage beantworten, die schon vor einigen Minuten gestellt worden ist, wann denn das Justizministerium mit der Prüfung begonnen hat, um diesen Bericht zu erstellen.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Gebhard, wenn Sie im Anschluss an die Fragestunde das Protokoll nachlesen, werden Sie auch die von mir gegebene Antwort noch einmal nachlesen können und dabei feststellen, dass ich hier nicht von einer Prüfung gesprochen habe. Vielmehr habe ich davon gesprochen, dass die Berichte, die an den Justizausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen gegangen sind, mit der gebotenen Sorgfalt erarbeitet worden sind und daran alle zu beteiligenden Stellen innerhalb der Landesregierung in üblicher Weise beteiligt waren. Das war meine Antwort, und die wiederhole ich gern.

Präsident André Kuper: Ich habe jetzt eine Wortmeldung der Frau Abgeordneten Kraft.

Hannelore Kraft (SPD): Herr Minister Lienenkämper, für mich schließt sich eine Frage an. Sie haben gerade noch einmal gesagt, es gab einen Bericht für den Rechtsausschuss; Grundlage dafür war eine Prüfung des Justizministeriums. Ich würde von Ihnen gern wissen, ob diese Prüfung des Justizministeriums anderen Ressorts und/oder dem Kabinett zur Kenntnis gelangt ist und wann das gewesen ist.

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Kraft, ich habe Ihnen eben gesagt, dass der Bericht mit der gebotenen Sorgfalt, wie das übrigens in allen Landesregierungen der Fall ist, erstellt worden ist. Über Daten in diesem Zusammenhang kann ich im Rahmen der Mündlichen Anfrage naturgemäß wenig sagen. Wenn Sie die Daten wissen wollen, dann wird das Justizministerium sicher in der Lage sein, diese nachzuliefern.

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Doch!)

– Doch? – Frau Kraft hat eine weitere Zusatzfrage. Bitte.

Hannelore Kraft (SPD): Herr Minister Lienenkämper, noch einmal die Frage: Hat das Kabinett diesen Bericht vorab zur Kenntnis gehabt? Ja oder nein?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Abgeordnete Kraft, ich habe Ihnen eben dargelegt, dass ich die Fragen im Zusammenhang mit den Terminen, sofern noch welche offengeblieben sind, gerne schriftlich über das Justizministerium beantworten werde.

(Hannelore Kraft [SPD]: Es geht darum, ob! Ja oder nein? Das ist eine ganz einfache Frage!)

– Frau Kollegin Kraft, das mag eine einfache Frage sein. Vielleicht war es für Sie eine zu komplizierte Antwort; es war aber meine Antwort.

(Unruhe)

Präsident André Kuper: Ich habe eine Wortmeldung der Abgeordneten Lüders.

Nadja Lüders (SPD): Herr Präsident! Herr Minister Lienenkämper, ich möchte die Frage von Frau Kraft wiederholen: Hatte das Kabinett im Vorfeld Kenntnis von dem Bericht, der uns im Rechtsausschuss vorgelegt wurde?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Ich wiederhole gerne meine Antwort: Fragen zu Daten im Zusammenhang mit diesem sorgfältig erstellten Bericht werden wir gerne schriftlich antworten.

Präsident André Kuper: Eine zweite Zusatzfrage von Frau Lüders.

Nadja Lüders (SPD): Ich habe nicht nach den Daten gefragt, sondern nach der Kenntnisnahme. Auf einen Zeitpunkt kommt es mir derzeit nicht an. Hatte das Kabinett Kenntnis von dem Bericht für den Rechtsausschuss?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Über den Ablauf im Vorfeld dieses Berichts, der sorgfältig erstellt worden ist, können wir Sie gerne schriftlich im Nachgang unterrichten.

Präsident André Kuper: Frau Düker hat sich gemeldet.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Minister, ich habe noch eine Frage zu den Äußerungen von Herrn Biesenbach vom 29. Juni in der „Kölnischen Rundschau“. Ich zitiere aus einem Interview:

„Frage: Vor der Wahl haben Sie gesagt, dass Sie auch deshalb noch einmal antreten, weil Sie so viel Lobbyarbeit wie möglich für Oberberg in Düsseldorf machen wollen. Geht das jetzt überhaupt noch – als Minister?

Antwort: Das geht sehr gut, eigentlich sogar noch besser.“

(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Halten Sie diese Aussage eines Ministers für amtsangemessen?

Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen: Frau Kollegin Düker, zu politischen Äußerungen von jetzigen Mitgliedern der Landesregierung, die vor ihrer Berufung in die Landesregierung erfolgt sind, kann die Landesregierung schon aus mangelnden Zuständigkeiten keine Stellung nehmen.

(Sven Wolf [SPD]: Das war gegenüber Herrn Biesenbach jetzt aber auch nicht nett!)

Präsident André Kuper: Jetzt liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich danke Herrn Minister Lienenkämper.

Ich rufe nun die

Mündliche Anfrage 5

des Herrn Abgeordneten Dr. Christian Blex von der Fraktion der AfD auf:

 Schulbücher in NRW lehren, dass es bei einer Globaltemperatur von 15°C keine gefährliche, menschengemachte Erderwärmung gibt. – Ab welcher Globaltemperatur geht die Landesregierung von einer gefährlichen oder menschengemachten Erderwärmung aus?

In dem Schulbuch des Bildungshaus Schulbuchverlage „Seydlitz Erdkunde 3“ für Schulen in Nordrhein-Westfalen wird auf Seite 138 eine Atmosphäre ohne Treibhauseffekt bei einer Globaltemperatur von minus 18°C ausgewiesen.

Für eine Atmosphäre mit Treibhauseffekt weist das Schulbuch eine mittlere globale Erdtemperatur von plus 15°C aus (-18°C + 33°C = +15°C). Sowohl die im Schulbuch erwähnten „- 8°C“ als auch die „+15°C“ werden bereits in allen drei relevanten Berichten der damaligen Enquete-Kommission des deutschen Bundestages ausgewiesen (DRS 11/3246 vom 02.11.1988, DRS 11/8030 vom 24.05.1990 und DRS 12/2400 vom 31.03.1992) und an diesen Temperaturwerten die Gefährlichkeit der globalen Erwärmung festgemacht.

Die Autoren des „Seydlitz Erdkunde 3“ Schulbuches, aber auch die Autoren des Schulbuches „Seydlitz Geographie“ (Hessen) und auch das „Terra Geographie 7/8 Gymnasium (Baden-Württemberg) sowie einige weitere stellen folgerichtig dar, dass langjährige Temperatur-Mittelwertabweichungen oberhalb eines globalen Temperaturwertes von 15°C erst dem behaupteten menschgemachten und damit gefährlichen Klimawandel zugerechnet werden können.

Die WMO, die Weltwetterorganisation in Genf, bestätigte am 18.01.2017 für das Jahr 2016 eine mittlere globale Absoluttemperatur von 14,83°C, also für das Jahr 2016 einen globalen Temperaturwert deutlich unterhalb von 15°C.

Seit 1880 war der absolute globale Temperaturwert von 15°C, also der Wert aus dem „natürlichen Treibhauseffekt“, nicht ein einziges Mal überschritten worden, was auch aus der Veröffentlichung der WMO vom 18.01.2007 eindeutig erkennbar ist.

Somit stellen nicht nur die Daten des genannten Schulbuches für Nordrhein-Westfalen klar, dass es seit 1880 bis heute keine menschengemachte, gefährliche globale Erderwärmung gibt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

Ab welcher absoluten Globaltemperatur geht die Landesregierung von einer „menschgemachten Erderwärmung“ oder „gefährlichen Erderwärmung“ aus?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Professor Pinkwart antworten wird. Bitte sehr, Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Dr. Blex, die von Ihnen zitierten Passagen stammen aus Schulbüchern für die neunte und zehnte Klasse und sollen die Erderwärmung durch den Treibhausgaseffekt dem Ausbildungsstand angemessen beschreiben.

Ohne Treibhausgaseffekt hätten wir eine mittlere Globaltemperatur von minus 18°C. Mit Treibhausgaseffekt haben wir eine Temperatur von plus 15°C. Damit erhalten die Schülerinnen und Schüler ein Gefühl für die Erderwärmung durch die Wirkung der Atmosphäre.

Diese Darstellung in dem Schulbuch erfüllt in diesem Ausbildungsstadium keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern soll lediglich den natürlichen Treibhauseffekt beschreiben. Darum geht es.

Sie interpretieren die Ausführungen in dem Schulbuch dahin gehend, dass eine menschenverursachte Erderwärmung frühestens ab 15°C anfangen kann. Die Passage wird von Ihnen leider nur unvollständig wiedergegeben, denn das Unterkapitel stellt die menschlichen Verursachungsbeiträge ausdrücklich heraus. Dort heißt es – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Schulbuch zitieren –:

„Da der Mensch aufgrund der industriellen Entwicklung in den letzten 150 Jahren immer mehr Treibhausgase produziert hat, ist auch die Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre gestiegen. Die Folge ist eine durch den Menschen verursachte Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes und somit eine zunehmende Erwärmung der Erde.“

Hier wird deutlich, dass die oben erwähnten plus 15°C auch durch einen vom Menschen verursachten Beitrag entstanden sind, aber diese Passage haben Sie offensichtlich übersehen.

Ihre Aussage, es gebe keine – Zitat von Ihnen – „menschengemachte gefährliche Erderwärmung“ – Zitat Ende –, kann daher nicht auf den Inhalt des genannten Lehrbuchs gestützt werden. Es wird auch nicht dargelegt, dass die Durchschnittstemperatur von plus 15°C als Richtwert für die Feststellung eines vom Menschen gemachten Klimawandels diene. In dem Kapitel wird vielmehr mit der Überschrift – Zitat – „Die Erde – ein Treibhaus?“ ausdrücklich auf die Ursachen und Folgen anthropogenen Klimawandels hingewiesen.

Lassen Sie mich darüber hinaus noch auf Folgendes hinweisen: In der zum 4. Juli 2017 zugelassenen überarbeiteten Neuauflage des Lehrwerks wird der Sachverhalt wie folgt dargestellt – Zitat –:

„Sämtliches Leben auf der Erde ist von der Sonne und ihrer Strahlungsenergie abhängig. Doch die Kraft der Sonne reicht nur aus, um die Erdoberfläche auf durchschnittlich minus 18°C zu erwärmen. Damit wäre die ganze Welt eine einzige Eislandschaft, ähnlich der Antarktis. Doch unser Planet wird auf eine globale Durchschnittstemperatur von plus 15°C erwärmt. Wie kommt es dazu?“

Anschließend werden sowohl der natürliche Treibhauseffekt als auch der anthropogene, menschengemachte Treibhauseffekt erklärt. Aus dieser Darstellung kann ebenfalls nicht abgeleitet werden, dass es keine menschengemachte, gefährliche globale Erderwärmung gibt. Auch die Schlussfolgerung, die Durchschnittstemperatur von plus 15°C diene als ein Richtwert für die Feststellung eines von Menschen gemachten Klimawandels, ist daraus nicht ableitbar.

Unabhängig von der Debatte über Formulierung und Darstellung in einem Schulbuch ist darauf hinzuweisen, dass die Existenz eines Klimawandels nicht von der Darstellung in einem Schulbuch abhängig gemacht werden kann.

So ist auch festzustellen, dass Herr Abgeordneter Loose von der AfD-Fraktion seinen Beitrag zum Tagesordnungspunkt „Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes zur Förderung des Klimaschutzgesetzes“ mit den Worten begonnen hat – ich darf zitieren –: Es gibt einen anthropogenen Klimawandel. – Vielleicht ist das auch noch einmal ein wichtiger Ratgeber.

Allen Interessierten, die sich dieser Thematik nähern und sich damit auf wissenschaftlichem Niveau befassen wollen, empfehle ich deshalb den Fünften Sachstandsbericht der anerkannten Wissenschaftler des Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Es gibt eine Nachfrage von Herrn Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Herr Pinkwart, Sie haben eine Frage beantwortet, die ich nicht gestellt habe; denn wir haben nicht vom Klimawandel, sondern von der Erderwärmung gesprochen. Sie haben hier ausgeführt, dass die Landesregierung nicht sagen könne, wie hoch die Normaltemperatur sei. Sie gibt sie in den Schulbüchern aber trotzdem mit plus 15°C an. Okay, das halte ich einmal so fest: Sie wissen die Normaltemperatur nicht, geben sie in dem Schulbuch aber mit plus 15°C an.

Vielleicht können Sie mir dann Folgendes sagen: Gerade die Klimakanzlerin Frau Merkel, aber auch Sie sprechen häufig vom Zwei-Grad-Ziel, das eingehalten werden soll. Sie wollen also ein Zwei-Grad-Ziel einhalten. Welche absolute Globaltemperatur legen Sie dann diesem sogenannten Zwei-Grad-Ziel zugrunde?

Präsident André Kuper: Herr Kollege!

Dr. Christian Blex (AfD): Um es einfach auszudrücken: Wie heiß muss es sein, damit das Zwei-Grad-Ziel im globalen Mittel erreicht wird?

Präsident André Kuper: Bevor Sie antworten, Herr Professor Pinkwart, noch der Hinweis an den Kollegen: Eine Fragestellung darf nur eine einzelne, nicht unterteilte Frage enthalten.

Dr. Christian Blex (AfD): Das war eigentlich nur eine Frage. Ich habe es nur erklärt, damit der Herr Minister sie auch versteht.

(Zurufe von der CDU)

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Abgeordneter, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben auf Ihre Frage hin geantwortet, weil Sie in dem Schulbuch einen Beleg dafür sehen, dass hier kein Einfluss menschengemachter Erderwärmung gegeben sei und das Schulbuch dafür Pate stehe. Ich habe Ihnen dargelegt, dass das nicht im Schulbuch steht und auch nicht die Intention der Schulbuchautoren ist.

Wenn Sie jetzt darüber hinausgehende Fragen zur globalen Erderwärmung, dem Zwei-Grad-Ziel stellen wollen – Herr Schellnhuber hat dieser Tage gesagt, wir müssten in der Projektion möglicherweise über 3°C sprechen –, dann nehme ich diese Fragestellung gerne mit und beantworte sie Ihnen schriftlich.

Präsident André Kuper: Herr Dr. Blex nochmals.

Dr. Christian Blex (AfD): Ich danke für die Nichtbeantwortung und warte auf die Antwort. – Ich habe dazu aber noch eine Frage. Es ging hier schon konkret um Gradzahlen und Einordnungen, die Sie auch als Landesregierung in von Ihnen genehmigten Werken vornehmen. Schulbücher sind durch die Regierung genehmigt, die können nicht irgendetwas schreiben.

Dazu noch ein Punkt: Der IPCC-Bericht, den Sie anführen, weist einen Globaltemperaturwert von 14,83°C für 2016 aus. Wo definiert die Landesregierung diesen Wert von 14,83°C im Rahmen des sogenannten Zwei-Grad-Zieles? Wo befinden sich die 14,83°C im Rahmen des sogenannten Zwei-Grad-Zieles?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Blex, auch das kann ich Ihnen sehr gern schriftlich beantworten. Sie verstehen bitte, dass ich Ihnen bei so vielen Prozentsätzen, die Sie jetzt in den Raum stellen, keine Antwort geben möchte, die ich nicht ordentlich vorbereitet habe. Es handelt sich um ein sehr komplexes Thema, und ich halte es auch für ein hochsensibles Thema. Das will wissenschaftlich ordentlich unterlegt sein, und dabei kommt es unter anderem auf die Frageform an, um eine passende Antwort geben zu können.

Deswegen bitte ich das Hohe Haus um Verständnis, dass ich eine solch komplexe und sensible Thematik hier nicht einfach aus dem Stegreif, sondern schriftlich beantworten möchte.

(Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe jetzt eine Wortmeldung des Abgeordneten Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, sind Sie mit mir vielleicht der Meinung, dass gegebenenfalls eine Informationsreise des Abgeordneten Dr. Blex auf die Inselgruppe von Kiribati oder die Fidschi-Inseln den Erkenntnisgewinn so steigern könnte, dass Sie anschließend zusammen mit Herrn Dr. Blex die Schulbücher ändern könnten, um sie dann den neuen Erkenntnissen anzupassen?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Abgeordneter Remmel, das ist natürlich jetzt eine verführerische Frage, die Sie stellen. Ich bin mir sehr unsicher, ob ich es mir als Landesregierung überhaupt erlauben darf, hierzu eine Empfehlung abzugeben.

Vielleicht können wir sogar relativ ortsnah einen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen, die noch in Bonn sind, organisieren, damit wir uns über die Auswirkungen des Klimawandels und der Erderwärmung informieren können. Natürlich wäre es noch eindrucksvoller, das vor Ort zu sehen, aber ich meine, wir haben auch hier genügend Möglichkeiten, uns über die Auswirkungen der Erderwärmung zu informieren.

Im Übrigen bin ich gerne bereit, Ihnen Informationsmaterial über die Frage hinaus zur Verfügung zu stellen.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die dritte und letzte Nachfrage von Herrn Dr. Blex.

Dr. Christian Blex (AfD): Meine Frage hat im Gegensatz zu der Frage von Herrn Remmel einen Bezug zu der eigentlichen Anfrage. Ich verweise auf die Geschäftsordnung in dem Zusammenhang.

Herr Dr. Pinkwart, sagen Sie bitte noch einmal, aufgrund welcher Daten welcher Organisationen die Landesregierung von einer menschengemachten Erderwärmung oder einer gefährlichen Erderwärmung ausgeht?

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Blex, wir informieren uns natürlich. Ich hatte gesagt, dass für uns zum Beispiel das IPCC in Potsdam eine ganz zentrale Einrichtung ist. Außerdem setzen sich weltweit rund 1.000 Wissenschaftler mit dem Thema intensiv auseinander.

Natürlich haben auch unsere Beamtinnen und Beamten in der Klimaschutzabteilung diese Informationen, sie beteiligen sich an diesen Diskussionen und sind auch Ansprechpartner.

Wir arbeiten eng mit dem Wuppertal Institut zusammen und tauschen uns mit diesem, aber auch mit anderen Forschungseinrichtungen aus Nordrhein-Westfalen aus und stehen in Kontakt. Wir pflegen einen sehr engen Informationsaustausch, und es gibt immer wieder Gelegenheiten, das auch anhand neuerer Forschungserkenntnisse zu verifizieren und fortzuschreiben. Wir sehen uns eng eingebunden in ein internationales Netzwerk und können die Aussagen, die von den unterschiedlichsten Institutionen getroffen werden, sehr kritisch überprüfen und daraus unsere Schlussfolgerungen ziehen, um das Klimaschutzgesetz und den Klimaschutzplan entsprechend zur Anwendung zu bringen.

Präsident André Kuper: Bitte, Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Professor Pinkwart, wir haben gerade über Schulbücher gesprochen. Meine Frage ist: Werden Sie zukünftig Sorge dafür tragen, dass unsere Kinder mit Schulbüchern arbeiten können, die frei von Ideologien sind?

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen meines Erachtens anerkennen, dass Forschungsinstitutionen weltweit enorme Wissensbestände zu dieser uns alle berührenden Thematik erarbeitet haben und dass sich diese Institutionen in einem kritischen Dialog befinden, wie es in der Wissenschaft üblich ist. Regierungen weltweit treffen Ableitungen, Staats- und Regierungschefs finden sich zum Beispiel zu einem Pariser Abkommen zusammen und lassen dieses von großen Wissensstäben vorbereiten.

Es gibt allerdings auch Regierungen – das wurde heute Morgen einmal angesprochen; ich nenne beispielhaft die der Vereinigten Staaten von Amerika –, die das Thema „Erderwärmung“ mit einem Fragezeichen versehen. Für mich war am Wochenende ganz bemerkenswert, dass Gouverneure mehrerer Bundesstaaten sagten: Wir haben unsere eigenen Erkenntnisse dazu, wir haben den wissenschaftlichen Sachverstand für uns interpretiert. Wir sehen schließlich auch die Betroffenheiten. Wenn man einmal in Los Angeles war, weiß man um die Auswirkungen. Wir wollen das ändern, wir arbeiten daran.

Es würde mir schwerfallen, alle diese Beteiligten als Anhänger einer Ideologie zu betrachten. Ich denke, das fußt auf hohem Sachverstand und ist von demokratisch gewählten Regierung auch legitimiert.

Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Man kann durchaus anderer Meinung sein – das will ich gar nicht in Zweifel ziehen –, aber diejenigen zu diskreditieren, auch in ihrer Legitimation, die das profund vertreten, halte ich nicht für sachgerecht.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Die zweite und letzte Nachfrage von Herrn Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): Herr Minister, möglicherweise habe ich meine Frage unvollständig gestellt; sie ist eigentlich ganz einfach zu beantworten. Ich frage Sie: Wollen Sie zukünftig dafür sorgen, dass unsere Kinder mit Schulbüchern arbeiten, die frei von Ideologien sind? Ja oder nein?

Präsident André Kuper: Herr Minister.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, dass unsere Schulbücher keine Ideologien verbreiten. Im vorliegenden Fall – und darauf heben Sie ab – kann ich auch nicht feststellen, dass sie es tun würden.

Im Gegenteil: Sie greifen einen Sachverhalt auf, den wir alle kennen und mit dem sich Parlamente in Nordrhein-Westfalen, im Bund, in Europa und in weltweiten Organisationen wie den UN seit Jahren beschäftigen, damit Schüler die Chance haben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es geht schlicht und einfach darum, ihnen ein besseres Verständnis von sehr komplexen Sachverhalten zu ermöglichen. Ich denke, das ist genau das, was Schulbücher leisten müssen. Sie müssen dem Alter entsprechend in einem gewissen Maße vereinfachen und auch pointieren. Anders geht es gar nicht, und im Übrigen ist das auch pädagogisch notwendig.

Ich halte es aber für sehr wichtig, dass Schulbücher auf das verweisen, was hinreichend geprüft ist, allgemeine Erkenntnis ist und auch in der Gesellschaft eine hohe Relevanz hat. Wir beschäftigen uns ja alle damit. Es wäre doch schlimm, wenn unsere Kinder uns da nicht folgen könnten.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt liegt mir keine weitere Frage mehr vor. Daher danke ich Ihnen.

Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: Vielen Dank.

Präsident André Kuper: Ich rufe die

Mündliche Anfrage 6

des Herrn Abgeordneten Matthi Bolte-Richter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf:

 Mehr statt weniger Bürokratie für die Hochschulen durch das Hochschulfreiheitsgesetz 2?

Sachverhalt:

In ihrem Koalitionsvertrag kündigt die schwarz-gelbe Koalition an, die Hochschulfreiheit stärken und Bürokratie an den Hochschulen abbauen zu wollen. Die Landesregierung bestätigte, dass geplant sei insbesondere die Rahmenvorgaben, die Funktion des Ministeriums als oberste Dienstbehörde, die Zivilklauseln und den Landeshochschulentwicklungsplan abzuschaffen.

Die bisher genannten Eckpunkte lassen vermuten, dass es nicht zum Abbau von bürokratischem Aufwand kommen wird, sondern letztlich nur neue Vorschriften und Verfahren an anderer Stelle errichtet werden. In einigen Fällen wird sogar zusätzliche Bürokratie erforderlich sein, um die Vorhaben der Landesregierung umzusetzen, so etwa bei der geplanten Anwesenheitspflicht für Studierende und den Studiengebühren für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger.

Von daher ist es notwendig, dass sich die Landesregierung erklärt und anhand aller geplanten Vorhaben für das neue Hochschulfreiheitsgesetz darlegt, wie ein Bürokratieabbau erreicht werden soll.

Führen die Vorhaben der Landesregierung für die Reform des Hochschulgesetzes im Rahmen eines neuen Hochschulfreiheitsgesetzes letztlich zu mehr statt zu weniger bürokratischem Aufwand für die Hochschulen?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen antworten wird. Bitte sehr.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die klare Antwort auf die klare Frage lautet Nein. Denn bei der Novellierung des Hochschulgesetzes heißt das oberste Ziel: mehr Autonomie und weniger Bürokratie für die Hochschulen.

Auf den Prüfstand kommen also alle Regelungen, die die Hochschulen in ihrer Freiheit einschränken oder unnötigen bürokratischen Aufwand verursachen. Regelungen, die für den Betrieb und die Entwicklung der Hochschulen nicht sinnvoll sind, werden wir abschaffen.

Die Änderungen im Hochschulgesetz werden wir unbürokratisch und praxistauglich gestalten. Wie das im Detail aussehen wird, werden wir in einem ausführlichen Beratungsprozess gemeinsam mit den Hochschulen und mit Ihnen hier im Parlament noch erörtern.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Abgeordneter Bolte hat das Wort zur ersten Nachfrage.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Ministerin, für die erste Antwort, obwohl wir daraus noch nicht richtig viel gehört haben, weil wir natürlich schon ein konkretes Beispiel haben, wo es bei der Reform des Hochschulgesetzes um mehr Bürokratie geht.

Darauf bezieht sich auch meine erste Nachfrage. Wie passt die Einführung einer Anwesenheitspflicht in bestimmten Lehrveranstaltungen zu dem von Ihnen gerade umrissenen Bestreben der Landesregierung, mehr Freiheit an den Hochschulen zu schaffen? Oder um es anders zu formulieren: Gilt Hochschulfreiheit für Rektorate und Hochschulräte, aber nicht für Studierende?

Präsident André Kuper: Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Eine Abschaffung des Verbots von Anwesenheitspflichten im klassischen Seminar eröffnet den Hochschulen in einem Kernbereich der Lehre eigene Gestaltungsspielräume. Wenn Hochschulen in eigener Verantwortung regeln können, in welchen Seminaren eine Anwesenheitspflicht sinnvoll erscheint und in welchen nicht, wird dieser Gewinn an Flexibilität und Qualität – davon bin ich überzeugt – den möglichen Aufwand, fallweise die Anwesenheit nachzuhalten, deutlich überwiegen.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster erteile ich Frau Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön. Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte in diesem Zusammenhang dann aber auch die Frage stellen, ob die Einführung einer Anwesenheitspflicht in bestimmten Lehrveranstaltungen – daraus folgt dann ja auch die Kontrolle – und gegebenenfalls – sonst macht das Ganze doch keinen Sinn – die Ergreifung von Sanktionen nicht zu mehr bürokratischem Aufwand an den Hochschulen führen und wie Sie das eindämmen wollen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Ich kann eigentlich meine gerade schon gegebene Antwort wiederholen. Das ist genau die Gestaltung, die in den Hochschulen von den jeweils Kompetenten gefunden werden muss. Man kann dort in eigener Verantwortung regeln, in welchen Seminaren eine Anwesenheitspflicht Sinn macht.

Ich könnte mir vorstellen, dass das in solchen Formen stattfindet, die man vielleicht neudeutsch diskursive Veranstaltungen nennen würde, bei denen es also um das wissenschaftliche Gespräch geht. Aber auch die Anwesenheitspflicht kann man unterschiedlich ausgestalten: bloße Teilnahme oder als Voraussetzung für Prüfungen.

Das sind aber alles Dinge, die an den Orten zu regeln sind, in die sie gehören, nämlich in den Hochschulgremien und in den einzelnen Bereichen dort. Selbstverständlich wird das dann auch praxistauglich ausgestaltet. Daran habe ich keinen Zweifel.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Abgeordneter Bolte hat das Wort zur zweiten Frage.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Frau Ministerin, das Hochschulgesetz lässt auch derzeit schon zu, in bestimmten Fällen die Anwesenheit vorauszusetzen. Das ist in § 64 Absatz 2a des Hochschulgesetzes geregelt.

Mit welcher Begründung will die Landesregierung jetzt die Anwesenheitspflicht in bestimmten weiteren Lehrveranstaltungen einführen?

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es geht ja nicht um die Einführung, sondern darum, die Verantwortung für Anwesenheitspflichten generell auf die Hochschulen zu übertragen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie reden hier immer von der Freiheit der Hochschulen, zu entscheiden, wo sie Anwesenheitspflichten einführen wollen und wo nicht.

Wer redet eigentlich von der Freiheit der Studierenden? Oder ist Ihnen die Freiheit der Studierenden egal?

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Diese Frage finde ich jetzt ein bisschen merkwürdig. Denn die Hochschule hat Mitglieder. Eine große Gruppe der Mitglieder sind die Studierenden. Nach meiner Kenntnis sind sie auch in sämtlichen Hochschulgremien vertreten. Das heißt: Sie können sich dort dezidiert für oder gegen eine solche Einführung in bestimmten Formaten, was auch immer gerade in der Hochschule zur Debatte steht, äußern.

Sie haben selbstverständlich – das ist auch vollkommen richtig so – die Möglichkeit, sich an dem Ort, an dem sie studieren und in dem sie in Gremien vertreten sind, entsprechend zu verhalten und sich in die Debatte über die Gestaltung von Anwesenheitspflichten, sofern sie in der Hochschule diskutiert werden, auch einzubringen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Düker hat eine Frage. Bitte schön, Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Danke schön. – Frau Ministerin, auch ich frage noch einmal nach den Anwesenheitspflichten. Sie sagen, dass Sie nicht pro und kontra entscheiden, sondern nur den Hochschulen Gestaltungsfreiheit geben. Aber auch für diese Gestaltungsfreiheit müssen Sie ja einen Bedarf sehen.

Wo sehen Sie den Bedarf, den Hochschulen hier Gestaltungsfreiheit einzuräumen, um Anwesenheitspflichten einführen zu können?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Besser würde Ihnen diese Frage wahrscheinlich jede Hochschule einzeln besser beantworten können. Mir sind jedenfalls durchaus viele Briefe und Voten zugegangen, auch von Hochschullehrern, die gesagt haben: Wir würden uns das für ganz bestimmte Formate wünschen, und wir wollen es einfach selbst gestalten.

Es gibt natürlich auch nicht nur Studierende, die gegen die Anwesenheitspflicht sind. Das wissen Sie so gut wie ich. Das ist auch dort immer ein Debattenpunkt. Deswegen müssen diese Diskussionen geführt werden, aber eben in den Hochschulen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Remmel hat eine Nachfrage. Bitte, Herr Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, ich gehe einmal davon aus, dass wir uns auch bei der Anwesenheitspflicht – egal ob von den Hochschulen festgelegt oder vom Ministerium in irgendeiner Weise ermöglicht – nicht im rechtsfreien Raum bewegen.

Insofern lautet meine Frage, ob Sie eine Rechtsprüfung in Ihrem Haus in Auftrag gegeben haben und ob Sie uns vielleicht über die Ergebnisse berichten können, und zwar in Bezug auf darauf, wie sich diese Option hinsichtlich der gesetzlich abgeleiteten Studierfreiheit – § 4 Absatz 2 Hochschulgesetz –, der Berufsausübungsfreiheit – Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz – und der allgemeinen Handlungsfreiheit – Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz – verhält. Insbesondere interessiert mich das Rechtsverhältnis.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich finde es nicht ins Auge springend, dass die Studierfreiheit, die Berufsfreiheit und all die anderen Freiheiten, die Sie gerade genannt haben, durch eine Anwesenheitspflicht in bestimmten Unterrichtsformaten eingeschränkt werden.

Abgesehen davon, dass ich das für einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema halte, möchte ich aber darauf hinweisen, dass das natürlich alles im Haus auch unter rechtlichen Gesichtspunkten diskutiert wird. Wir haben – das wissen Sie so gut wie ich – selbstverständlich Experten für das Hochschulrecht.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann brauchen wir ja gar nicht mehr nachfragen!)

Insofern bewegen wir uns in keiner Weise im rechtsfreien Raum.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Paul hat eine Frage. Bitte schön, Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Ministerin, Sie haben gerade im Zusammenhang mit der Frage, für welche Veranstaltungsformen eine solche Anwesenheitspflicht denn gegebenenfalls sinnvoll sein könnte, darauf hingewiesen, dass es vermutlich eher diskursive Veranstaltungen, bei denen man in den Austausch über wissenschaftliche Erkenntnisse geht, sein würden. Bei diesen Veranstaltungen ist meiner Meinung nach davon auszugehen, dass es vermutlich auch eine intrinsische Motivation der Studierenden gibt, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen.

Ich frage Sie vor diesem Hintergrund, ob im Zusammenhang mit Ihren Bestrebungen, die Anwesenheitspflicht wieder einzuführen, die Hochschulfreiheit im Grunde genommen nur für Rektorate und Hochschulräte gilt, nicht aber für die Studierenden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Natürlich gibt es diese Freiheit für Studierende. Diese Freiheit sehe ich dadurch in keiner Weise eingeschränkt. Als Studierender hat man ja auch die Möglichkeit, sein Studium in einem gewissen Rahmen zu gestalten. Wir alle wünschen uns doch eine solche intrinsische Motivation eines jeden Studierenden, von den Lehrangeboten profitieren zu wollen und damit möglichst viel aus seinem Studium zu machen.

Es wäre eine Idealvorstellung, zu glauben, das alles vollkommen frei gestalten zu können, weil sowieso alle immer hingehen. Leider ist es so – diese Informationen haben zumindest mich schon in vielfacher Hinsicht ereilt –, dass es oft eine große Schwierigkeit in den Seminaren gibt, weil es wegen mangelnder Anwesenheit eben nicht zu einem wissenschaftlichen Gespräch kommt.

Das ist aber etwas, was nicht ich als Ministerin verordne oder das Ministerium verordnet. Vielmehr muss es auf einer Ebene diskutiert werden, auf der man über Lernerfolge und Studienqualität spricht. Dort muss geregelt werden, inwieweit es sinnvoll ist, solche Anwesenheitspflichten vorzusehen. Es ist ja nicht so, dass wir damit sagen würden, es müssten Anwesenheitspflichten eingeführt werden. Es muss eben jeweils in der Hochschule entschieden werden: Was ist sinnvoll? Wo bringt es eine Verbesserung in der Lehrsituation und wo nicht?

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Brems hat eine Frage. Bitte schön, Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, diese Erfassung der Anwesenheit bedeutet ja schon einen deutlichen zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Daher frage ich Sie: Wie wird denn dieser zusätzliche bürokratische Aufwand für die Universitäten ausgeglichen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Es gibt ja unterschiedliche Arten der Anwesenheitspflichten, die dann in der Hochschule zu regeln wären. Das geht von der bloßen – in Anführungsstrichen – „körperlichen Teilnahme“ bis hin zu einer denkbaren Voraussetzung für die Prüfung. Insofern kann man die Frage nicht so generell beantworten. Es geht nun einmal von der Teilnehmerliste bis hin zu einer konkreten Verwaltung in Richtung Prüfung.

Deswegen kann man den Aufwand im Moment auch gar nicht bestimmen. Das muss man dann im Einzelnen diskutieren, wenn sich eine Hochschule überhaupt auf diesen Weg macht. Und das ist eben die Sache der jeweiligen Hochschule.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Bolte-Richter stellt nun seine dritte und letzte Frage. Bitte schön, Herr Kollege.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Ministerin, lassen Sie mich ein anderes Thema aufgreifen, das auch zusätzliche Bürokratie nach sich zieht, nämlich die Studiengebühren oder Studienbeiträge – Sie bestehen ja darauf, sie so zu nennen – für Nicht-EU-Ausländerinnen und ‑Ausländer.

Vor dem Hintergrund, dass Sie mehrfach betont haben, Sie wollten partnerschaftlich mit den Hochschulen zusammenarbeiten, frage ich Sie: Wie wollen Sie diese partnerschaftliche Zusammenarbeit gestalten, wenn Sie bei diesem zentralen Vorhaben der Landesregierung die Hochschulen auf breiter Front – namentlich alle Hochschulrektorenkonferenzen und viele weitere Akteure – gegen sich haben?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie wissen, dass wir noch am Anfang dieser Vorbereitung einer möglichen Einführung von Studienbeiträgen stehen. Natürlich werden wir das – wie wir es übrigens jetzt schon laufend tun – in einem sehr kontinuierlichen Gespräch mit den Hochschulvertretern in den jeweiligen Konferenzen, den sogenannten LaWiKos, tun. Aber zunächst einmal sind wir ja noch in der absoluten Vorbereitungsphase.

Wir werden das dann kontinuierlich erst in diesem Kreis der Hochschulvertreter diskutieren und im Anschluss daran selbstverständlich auch hier im Parlament. Es besteht also genügend Zeit, sich in den unterschiedlichen Debatten für das beste Modell zu entscheiden.

Die Hochschulen werden eng in die Beratungen eingebunden. Das wird aber erst im nächsten Jahr der Fall sein, wenn wir nämlich – das habe ich auch schon mehrfach gesagt – ein bisschen genauer wissen, wie die Erfahrungen in Baden-Württemberg mit dem dort entwickelten Modell sind. Wir haben erste Informationen, die aber noch völlig informeller Art sind. Wenn sich auf dieser Grundlage unsere Vorstellungen entwickeln lassen, werden wir das natürlich auch en détail mit den betroffenen Hochschulen besprechen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Beer stellt eine zweite und letzte Frage.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Frau Ministerin, vielen Dank auch für die Beantwortung der vorherigen Frage meines Kollegen. Aber warum sind diese offiziellen Zahlen aus Baden-Württemberg für Sie denn informelle Zahlen? Was folgt daraus, dass die Neueinschreibungen ausländischer Studierender um 26 % gesunken sind? Was folgern Sie als Ministerin daraus?

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Ich sagte ja, dass ich informelle Gespräche geführt habe, weil es noch keine offiziellen Statistiken gibt. Dieser Rückgang an Bewerbungen war nicht unerwartet und ist durchaus mit einberechnet worden. Was aber noch überhaupt nicht vorliegt, sind die tatsächlichen Einschreibungszahlen. Das ist der entscheidende Punkt. Außerdem sind – um es etwas banal auszudrücken – die Aufwände und Erträge noch nicht bekannt.

Alles das müssen wir uns genau anschauen. Das gilt auch für die Fragen zu den Ausnahmetatbeständen, die man in Baden-Württemberg – sinnvollerweise – geschaffen hat, über die wir uns hier aber noch gar nicht unterhalten haben. Diese Beratungen werden erst noch folgen. Dann müssen wir uns damit beschäftigen, wie diese Tatbestände handhabbar sind und ob das alles sinnvoll ist.

Das ist etwas, bei dem wir den Vorteil haben, auf Erfahrungen zurückgreifen zu können, um mögliche Fehler zu vermeiden. Wir werden das in aller Ruhe tun. Jetzt fangen wir gerade erst damit an.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Remmel stellt nun seine zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Remmel.

Johannes Remmel (GRÜNE): Schönen Dank. – Frau Ministerin, da ich im Hochschulrecht und in den Freiheitsrechten gar nicht zu Hause bin, werden Sie sich vorhin wahrscheinlich gefragt haben, warum ich diese ganzen Paragrafen und Artikel zitiert habe. Ich will Sie aufklären und im Anschluss daran noch einmal konkret nachfragen.

Es handelte sich um Zitate aus Begründungen eines Ihrer Vorgänger, nämlich Professor Dr. Pinkwart, aus dem Jahre 2008 gegenüber der Universität Duisburg-Essen dafür, dass eine Anwesenheitspflicht nicht rechtmäßig ist. Deshalb frage ich Sie ganz konkret: Hat sich die Rechtsauffassung bei Ihnen im Ministerium gegenüber der damaligen Rechtsmeinung geändert, und wenn ja, aufgrund welcher Prüfung?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie werden mir nachsehen, dass ich die Akten noch nicht rückwirkend bis 2008 gelesen habe. Die Rechtsauffassung hat sich nach meinem Eindruck aber nicht geändert.

Wir haben erste Prüfungen durchgeführt. Sie haben aber auch gehört, dass sowohl die Hochschulnovelle als auch das Thema, das wir danach behandelt haben, in Vorbereitung sind.

Natürlich sind die Prüfungen noch nicht abgeschlossen. Wir werden sie Stück für Stück abarbeiten. Wir werden das selbstverständlich prüfen. Wir werden es sowohl mit den unmittelbar Betroffenen, also den Hochschulen, als auch im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren ausführlich erörtern. Dann können selbstverständlich auch sämtliche Rechtsbedenken noch einmal zur Diskussion gestellt werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Mostofizadeh hat eine Frage. Bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben vorhin in erfreulich offener Art und Weise ausgeführt, dass Sie die Ergebnisse aus Baden-Württemberg kennen und sich diese auch ansehen wollen. Nach unserem Kenntnisstand stellt es sich so dar, dass die Anmeldezahlen in den betreffenden Bereichen um mehr als 26 % zurückgegangen sind.

Interpretiere ich es richtig, dass Sie die Festlegung im Koalitionsvertrag mindestens so lange nicht ausführen werden, bis Sie eine belastbare Evaluation aus Baden-Württemberg kennen, die Sie als Regierung auch ausgewertet haben?

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie wissen, dass wir uns ein Programm für fünf Jahre vorgenommen haben, das wir Stück für Stück abarbeiten werden. Meine Art ist es, die Dinge sehr ruhig und gründlich zu untersuchen, bevor ich den betroffenen Hochschulen und selbstverständlich dann auch dem Parlament Vorschläge aus meinem Hause vorlegen werde. Wir sind noch nicht so weit, dass wir Ihnen das heute schon präsentieren könnten. Das verwundert aber auch nicht, weil eine gute und gründliche Arbeit vorausgehen muss.

Dass wir sämtliche Erfahrungen aus der Bundesrepublik und darüber hinaus zurate ziehen, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, liegt auf der Hand. Ich darf daran erinnern, dass es mit der Hochschule für Musik und Theater Leipzig in der Bundesrepublik noch eine weitere Hochschule gibt, die den gleichen Weg gegangen ist und trotz dieser Gebühren steigende Bewerberzahlen hat.

Das sind alles nur einzelne Punkte, die insgesamt in die gute Vorbereitung einer guten Vorlage einfließen müssen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Brems stellt nun ihre zweite und letzte Frage.

Wibke Brems (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, noch einmal zum Thema des bürokratischen Aufwands für die Hochschulen, in diesem Fall hinsichtlich der Studiengebühren für die Nicht-EU-Bürgerinnen und ‑Bürger: Bei dieser Erhebung würde auch wieder zusätzlicher bürokratischer Aufwand anfallen, was wiederum die Einnahmen, die Sie vorgesehen haben, reduzieren würde.

Wissen Sie mittlerweile, wie Sie diesen bürokratischen Aufwand verhindern wollen? Werden Sie diesen Aufwand auch ausgleichen und Mittel dafür zur Verfügung stellen?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich sagte ja, dass wir uns in Vorbereitungen hinsichtlich dieser Überlegungen befinden.

Eine solche beabsichtigte Einführung von Studienbeiträgen für Nicht-EU-Ausländer steht und fällt natürlich unter anderem damit, ob wir die praktischen Aspekte der Beitragserhebung ganz frühzeitig berücksichtigen. Nicht zuletzt dazu dienen – neben vielen anderen Punkten – die regelmäßigen Gespräche mit den Vertretern der Hochschulen in den unterschiedlichen Konstellationen: Fachhochschulen, Universitäten, Landeswissenschaftskonferenzen usw. Diese werden selbstverständlich sowohl in die praktischen als auch in die inhaltlichen Überlegungen und Beratungen eng eingebunden.

Natürlich werden wir in diesem Zusammenhang auch genau betrachten, welchen Aufwand die einzelnen Schritte einer solchen Einführung in der Praxis bedeuten. Wir werden das dann sachgerecht regeln und Ihnen entsprechende Vorschläge machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Rüße hat noch eine Frage. Bitte schön.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Ministerin, ich würde gerne auf die Regelung der Rahmenvorgaben zu sprechen kommen. Sie haben als Landesregierung angekündigt, dass Sie diese ersatzlos streichen wollen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie dieses bislang eher sparsam eingesetzte Instrument tatsächlich ersatzlos streichen wollen oder ob Sie doch eine andere Regelung einführen werden.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte, Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das ist ja schon im Koalitionsvertrag klar ausgedrückt. Diese Rahmenvorgaben, die in der Tat bisher nicht häufig eingesetzt worden sind, können genau deswegen gestrichen werden. Denn sie waren bisher nicht von großem Nutzen. Dann können wir sie auch aus dem Gesetz herausnehmen.

Sie stellen darüber hinaus einen Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Hochschulen dar. Diese Botschaft, die sich dahinter auch verbirgt, wollen wir nicht mehr im Gesetz stehen haben.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Frau Ministerin. – Frau Schäffer stellt ihre zweite und letzte Frage. Bitte schön.

Verena Schäffer (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage. Sie sagen zum Thema „Studiengebühren“, Sie wollten sich die Regelung in Baden-Württemberg genauer anschauen. Verstehe ich es richtig, dass dann, wenn Sie zu dem Schluss kommen sollten, dass diese Regelung zu bürokratisch und aus Ihrer Sicht unwirksam ist, für Sie die Möglichkeit besteht, dass Sie den Koalitionsvertrag in diesem Punkt nicht umsetzen werden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wie heißt es immer? Gründlichkeit vor Schnelligkeit! Wir werden das in aller Ruhe prüfen, und dann werden wir Ihnen Vorschläge machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Düker stellt ihre zweite und letzte Frage. Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Frau Ministerin, beinhaltet diese Prüfung auch, abzuwarten und sich anzuschauen, was die Evaluation in Baden-Württemberg ergibt? Hintergrund dieser Frage ist, dass die schwarze Fraktion und die gelbe Fraktion in der Opposition bei wesentlichen Vorhaben der damaligen rot-grünen Regierung immer eine wissenschaftliche Evaluation angemahnt haben. Deswegen lautet meine Frage: Heißt „Prüfung“, die Evaluation abzuwarten, um dann zu entscheiden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Ich denke, dass wir vor allen Dingen zunächst einmal eine ausführliche Untersuchung des Zahlenmaterials und der Statistiken bekommen werden. Aber das wird noch ein bisschen dauern. Wir brauchen mehr als die gerade schon genannte Zahl von 26 %, die grob geschätzt worden ist. Die Ergebnisse sind übrigens je nach Hochschulstandorten in Baden-Württemberg außerordentlich unterschiedlich ausgefallen. Die genannte Zahl gibt ja den Durchschnitt wieder.

Das wird alles gerade untersucht. Wenn wir diese Statistiken und die Ergebnisse über Aufwand und Ertrag auf dem Tisch haben, werden wir uns das in Ruhe anschauen. Dann haben wir alle gemeinsam – wir werden es hier ja ausführlich diskutieren – auch die Befähigung, das zu beurteilen.

(Monika Düker [GRÜNE]: Also ja?)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Rüße stellt seine zweite und letzte Frage. Bitte schön, Herr Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Gleichstellung der Geschlechter. Ich wüsste gerne von Ihnen, ob die Landesregierung beabsichtigt, die Frauenquote für Gremien wie den Senat und den Hochschulrat abzuschaffen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Ich habe das Letzte akustisch nicht verstanden. Die Frauenquote …

Norwich Rüße (GRÜNE): Meine Frage ist, ob die Landesregierung die Frauenquote für Gremien wie Hochschulrat und Senat abzuschaffen gedenkt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben noch keine Vorlage fertig, in der alle Vorschläge für die Hochschulrechtsnovellierung stehen. Aus meiner Sicht sind das aber nicht die Punkte, mit denen wir uns beschäftigen wollen. Wir kümmern uns um die Punkte, die Sie alle aus dem Koalitionsvertrag kennen. Das heißt: Wir werden uns auf die Stärkung der Autonomie durch die Rücknahme bestimmter Vorschriften fokussieren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Mostofizadeh stellt noch eine zweite und damit seine letzte Frage.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, wir sind gewöhnt, dass die Regierung versucht, Fragen nicht zu beantworten. Aber ich würde Ihre Ausführungen – Sie sind eine in der Wissenschaft und vor allem in der Kultur durchaus beachtete Person – so interpretieren, dass Sie die Erfahrungen aus Baden-Württemberg und anderen Regionen nicht nur auswerten, um sie abzuheften, sondern, um Erkenntnisse daraus zu ziehen.

(Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: Richtig!)

Deswegen gehe ich auch davon aus, dass Sie sich die Freiheit nehmen werden, das, was zwar im Koalitionsvertrag steht, aber möglicherweise negative Auswirkungen auf das Land Nordrhein-Westfalen hat, nicht auszuführen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Sie versuchen natürlich – das verstehe ich –, jetzt das Ergebnis vorwegzunehmen. Aber lassen Sie uns doch erst einmal seriös die verschiedenen Optionen untersuchen.

Die – in Anführungsstrichen – „Stimmung“ in Baden-Württemberg war nicht so – das ist mir vermittelt worden –, dass man jetzt schon große Zweifel am Modell haben müsste, weil man mit diesem Rückgang gerechnet hatte. Aber man wird sich das jetzt von Hochschule zu Hochschule sehr genau anschauen. Dann wird man eine Bewertung für sich vornehmen. Diese Dinge spielen für uns eine Rolle. Aber wir müssen natürlich letztlich selber die Entscheidung treffen. Es sind nur wichtige Bausteine in einem Diskussionsprozess, den wir hier gemeinsam führen werden.

Deswegen werde ich Ihnen diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten können.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Paul stellt ihre zweite und letzte Frage. Bitte, Frau Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Ministerin, habe ich es gerade bei Ihren Ausführungen mit Blick darauf, was zu den Prioritäten Ihres Gesetzesvorhabens gehört und was eher nicht zu den Prioritäten Ihres Gesetzesvorhabens gehört, richtig verstanden, dass Sie an den Frauenquotenregelungen sowohl bei den Professorinnen und Professoren als auch bei den Gremien wie Senat und Hochschulrat festhalten werden?

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, bitte schön.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das steht – ich sagte es gerade schon einmal – nicht im Fokus der Novelle. Es geht um mehr Autonomie und um den Abbau von Bürokratie. Das sind die wesentlichen Gesichtspunkte, nach denen sich diese Hochschulrechtsnovellierung richtet.

Für mich ist das Thema „Frauen“ sehr wichtig. Ich würde in diesem Zusammenhang gerne darauf hinweisen, dass … Ich weiß nicht, ob ich das im Rahmen einer Fragestunde darf.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, Sie können antworten, was Sie wollen.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Okay. Ich habe ja noch nicht so viel Übung. – Im Gegenteil ist es nämlich unglaublich erfreulich, dass es jetzt eine Perpetuierung des Professorinnen-Programms in großem Umfang geben wird – seitens des Bundes zusammen mit den Ländern. Dieser Punkt liegt mir auch sehr am Herzen. Ich stehe dafür, die Frauenrechte in den Hochschulen, wo noch viel zu tun ist, weil sich noch nicht alles so toll entwickelt hat, weiterhin zu unterstützen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit können wir die Fragestunde beenden.

Wir kommen zu:

11 Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 17/492

Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 17/1134

zweite Lesung

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben.  zu Protokoll zu geben (Anlage 2).

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 17/1134, den Gesetzentwurf Drucksache 17/492 unverändert anzunehmen. Wer stimmt dem so zu? – CDU, FDP, AfD und Herr Neppe. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es enthält sich niemand? Habe ich die anderen gerade nicht gesehen?

(Daniel Sieveke [CDU]: Nein, die haben gar nicht abgestimmt! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Habe ich nicht richtig geguckt? Oder sind es gerade so wenige?

(Beifall von der CDU)

Ich habe es gesehen: Alle sind da, und es herrscht Einstimmigkeit. Habe ich das richtig registriert? – Dann haben wir hier einen einstimmigen Beschluss und den Gesetzentwurf Drucksache 17/492 in zweiter Lesung verabschiedet. Das nehmen wir hier genau so zur Kenntnis. Ich bedanke mich dafür.

Ich rufe auf:

12 Verbraucherrechte stärken! – NRW muss sich für die Einführung der Musterfeststellungsklage einsetzen!

Antrag
der Fraktion der SPD
Drucksache 17/1124

Ich eröffne hierzu die Aussprache, und für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Kapteinat.

Lisa-Kristin Kapteinat (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Musterfeststellungsklage – ein sehr sperriges Wort. Vermutlich ist es deshalb auch das am meisten gegoogelte Wort nach dem Kanzlerduell.

Ich möchte zunächst gerne feststellen, dass es bei unserem Antrag nicht darum geht, die vielleicht aus den USA bekannte Sammelklage einzuführen, die horrende Schadensersatzforderungen gegen Unternehmen mit sich bringt.

Es geht um Verbraucherschutz bzw. Verbraucherrechte, die Rechte unserer Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen. Es ist ein Recht, das in vielen anderen Ländern der EU bereits besteht und insbesondere auch genutzt wird, und im Übrigen ein Instrument, für das nicht nur die SPD steht.

Nachdem Justizminister Maas bereits vor Jahren einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat, hat sich nun auch Kanzlerin Merkel im Kanzlerduell klar dafür ausgesprochen. Gleiches gilt im Übrigen für die Verbraucherschutzminister der Länder, die parteiübergreifend die Einführung einer Musterfeststellungsklage fordern. Ich rechne daher hier heute und natürlich auch in Zukunft mir großer Unterstützung.

Musterfeststellungsklagen ermöglichen es Verbänden, Musterprozesse für eine bestimmte Zahl an Klägern zu führen. Diese können sich dann in offiziellen Registern eintragen lassen und sich hinterher sowohl auf einen Vergleich als auch auf ein Urteil berufen. Durch die Führung eines solchen Prozesses wird auch Rechtssicherheit für die Unternehmen geschaffen, denn es müssen nicht zahlreiche Parallelprozesse geführt werden.

Den größten Vorteil haben aber unsere Wähler, die Verbraucher. Musterfeststellungsklagen kommen insbesondere dann in Betracht, wenn es um vergleichsweise niedrige Schadensforderungen und demgegenüber verhältnismäßig hohe Verfahrenskosten geht. Der einzelne Verbraucher verzichtet also unter Umständen aus Angst vor einem Verfahren gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner auf sein Recht, und Unternehmen sparen dadurch gewaltige Summen.

Darüber hinaus sichert eine solche Klage aber auch etwaige Ansprüche, die sonst der Verjährung unterliegen. Nach einem einmal feststehenden Urteil oder bestehenden Vergleich ist in der Regel kein weiterer Prozess notwendig, um die bestehenden Ansprüche durchzusetzen, da man sich eben auf das Urteil oder den Vergleich berufen kann. In letzter Konsequenz profitieren davon schließlich auch die Gerichte und somit auch die öffentliche Hand.

Zusammengefasst bringt die Musterfeststellungsklage folgende Vorteile, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband bereits festgestellt hat. Zum einen werden Verbraucherrechte erleichtert und die Verjährung gehemmt. Zum anderen wird durch Musterurteile Rechtssicherheit geschaffen, und darüber hinaus haben wir ein beschleunigtes Verfahren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sitzen hier, weil wir von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt worden sind, um uns für ihre Belange und die Belange unseres Landes einzusetzen. Ich bitte Sie: Nehmen Sie diesen Auftrag ernst, und unterstützen Sie diesen Antrag auch im weiteren Verfahren! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Kapteinat. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Kehrl. Das ist seine erste Rede. – Insofern wünschen wir Ihnen dafür viel Glück, Herr Kollege Kehrl.

Oliver Kehrl (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie die meisten wissen, ist die Einführung der Musterfeststellungsklage eine Bundesangelegenheit. Das Thema ist aktuell in Berlin in der Abstimmung und wird dort von den Akteuren diskutiert.

Es gibt in der Tat einen Gesetzentwurf aus dem Hause des jetzt noch geschäftsführend amtierenden Justizministers Heiko Maas. Dieser ist allerdings juristisch mehr als unzulänglich.

Für uns als CDU ist wirksamer Verbraucherschutz ein wichtiges Thema. Aus diesem Grund hat die CDU-Bundestagsfraktion bereits im Jahr 2016 Eckpunkte zu einer Musterfeststellungsklage formuliert.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Die Akteure auf Bundesebene haben sich des Themas angenommen, um für die Verbraucher Vereinfachungen zu schaffen. Deshalb gibt es von unserer Seite keine Notwendigkeit des Landes, hier aktiv zu werden und in die laufenden Prozesse einzugreifen.

Nur weil Sie in der Opposition in Berlin einen frühen Ermüdungsbruch erlitten haben und sich dort in den Katakomben der Opposition versteckt haben,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

wird hier unserer Meinung nach eine fußlahme Sau durch das falsche Dorf getrieben, und zwar deswegen falsch, weil nicht zuständig.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

Die SPD in Nordrhein-Westfalen verfällt in denselben Aktionismus wie Justizminister Maas auf Bundesebene. Maas hat dort einen Gesetzentwurf eingereicht, der laut den meisten Experten juristisch unzulänglich war, weswegen wir heute auch noch darüber beraten müssen. Es scheint fast so, als habe die SPD-NRW kein großes Vertrauen in die Qualität des Entwurfes ihres Bundesministers.

Der Gesetzentwurf auf Bundesebene beinhaltet zahlreiche diskussionswürdige Punkte. In seiner jetzigen Form ist der Entwurf rechtlich unzulänglich und bietet dem Verbraucher auch keinerlei Rechtssicherheit.

Im Gegenteil: Erstens. Für die vom Abgasskandal Betroffenen beispielsweise bietet er in seiner jetzigen Form keinerlei Hilfe, da die ersten Musterklagen frühestens zwei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes geführt werden können. Das wissen Sie natürlich.

Wir sehen zweitens auch Gefahren. Ausländische Großkanzleien könnten über Verbrauchervereine aus dem Ausland tätig werden und als Strohmänner bei uns klagen. Mit dem Maas-Entwurf kann nicht verhindert werden, dass bei uns eine Klageindustrie nach US-Vorbild entsteht. Und wir wissen, zu welchen Schizophrenien dieses US-Modell führen kann.

Drittens. Der Entwurf bringt uns auch keine Rechtssicherheit, weil verklagte Unternehmen sich im Zweifel auf keinerlei Vergleiche einlassen würden.

Damit würden Verfahren sogar sehr viel länger dauern. Verbraucher verlören viel Zeit, bis eine verbindliche Gerichtsentscheidung fällt. Für uns ist eine schnelle gerichtliche Klärung für alle Betroffenen wichtiger als ein ausgefeilter Vergleich für wenige.

Der Entwurf der SPD vermittelt leider wie so oft den Anschein, einseitig gegen die Unternehmen gerichtet zu sein – auch dort, wo dies sachlich nicht gerechtfertigt ist. Wir wollen, dass sich auch Unternehmen auf ein Feststellungsurteil berufen können. Es muss also gleiches Recht für beide Seiten gelten.

Heute haben wir bereits ausreichenden Rechtsschutz für die Verbraucher. Wir können individuell klagen und werden von Verbraucherverbänden unterstützt.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das sieht die Verbraucherzentrale anders!)

Zweiter Punkt. Bedürftige Kläger können bei einer Erfolgsprognose durchaus Prozesskostenhilfe erhalten. Die ZPO sieht im Grunde genommen schon vier Dinge vor, die wir alle kennen: die Streitgenossenschaft, die Klagehäufung, die Prozessverbindung und das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz.

Bereits heute können Sie Forderungen etwa an eine Verbraucherschutzzentrale abtreten, wo diese gesammelt und im Wege der objektiven Klagehäufung durch eine einzige Klage geltend gemacht werden können. Angesichts der somit ohnehin bereits bestehenden Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes sollte zunächst abgewartet werden, wie sich die Bundesebene im Laufe der vielleicht heute Nacht weitergehenden oder final weitergehenden Koalitionsverhandlungen zu dem Thema positioniert.

Alles in allem: Weil Sie sich in Berlin in die Opposition verkrochen haben, holen Sie hier in NRW olle Kamellen raus, die erstens rechtlich ungenügend sind und damit das Ziel verfehlen, zweitens Verbrauchern weiter das Kostenrisiko überlassen, drittens Missbrauch fördern, viertens Unternehmen ohne inhaltliche Prüfung an den Pranger stellen und daher für die Wirtschaft in Deutschland auch gefährlich werden können sowie fünftens Vergleiche erschweren und Gerichte nicht entlasten.

Ich freue mich auf die Auseinandersetzungen im Rechtsausschuss.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Glückwunsch zur ersten Rede, Herr Kehrl! Ich hoffe, ich spreche den Namen mit dem „h“ richtig aus. Auf eine weitere gute Zeit! – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Mangen.

Christian Mangen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, dass ich jetzt zum zweiten Mal hier stehe

(Lachen von der SPD)

und über einen Antrag der SPD rede, bei dem es darum geht, dass ein Gesetzentwurf über den Bundesrat eingebracht werden soll. Es waren immer solche Gesetzentwürfe, an denen sich sozialdemokratische Regierungen in der Vergangenheit bereits die Zähne ausgebissen hatten: Genauso war es beim Unternehmensstrafrecht; so ist es auch hier.

Dabei liegt dem Antrag der SPD sicherlich ein guter Wille zugrunde. Es ist richtig zu überlegen, die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern zu stärken.

Ich glaube allerdings, dass der vorliegende Antrag dem nicht gerecht wird. So einfach, wie Sie es gerade geschildert hatten, dass es für alle Beteiligten nur besser wird, ist es ja nun weiß Gott nicht. Das will ich an drei Punkten kurz klarmachen.

Erstens. Schnellschüsse bezüglich der Gesetzgebung sind hier schlicht nicht zielführend. Die Forderung, dies bis April 2018 zu erledigen, ist nicht seriös. Es wurde gerade schon angesprochen: Da die Thematik im Moment in Berlin bei den Sondierungsgesprächen behandelt wird, sollten wir abwarten, was dabei herauskommt, zumal die Ebene des Bundes ja auch sachlich die richtige ist.

Nun möchten die Sozialdemokraten indes dem Prozess unter die Arme greifen, indem NRW aus einem vergurkten Gesetzentwurf des Bundes, der noch nicht einmal über die Ressortabstimmung hinausgekommen ist, einen vernünftigen Gesetzentwurf basteln soll – und das auch noch bis April 2018. Wir sollen also in einem halben Jahr das erledigen, was die SPD in vier Jahren Regierungsverantwortung im Bund nicht erreicht hat.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Den die CDU blockiert hat!)

Das ist ein Offenbarungseid sozialdemokratischer Rechtspolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die NRW-Koalition aus FDP und CDU hingegen hat sich in den ersten Monaten der wichtigen und dringenden Themen dieses Landes angenommen und bereits 1.135 zusätzliche Stellen für die Justiz im Haushalt festgelegt.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Das hilft aber doch nicht den Verbrauchern!)

Auch der letzte Satz des vorliegenden SPD-Antrages ist entlarvend. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Am 3. September 2017 sagte Angela Merkel hingegen ,Ich bin im Grundsatz für Sammelklagen‘.“

Das steht im SPD-Antrag, und es ist schon bemerkenswert, wenn nunmehr die SPD-Fraktion als Prämisse ihres politischen Handelns sich Angela Merkel anschließt.

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Da sollten wir hellhörig werden. Vielleicht vermisst der eine oder andere bereits die Große Koalition in Berlin.

Zweitens. Es muss zudem verhindert werden, dass aus der vermeintlich guten Idee der SPD ein Gesetz entsteht, welches unter anderem den Strafschadensersatz ermöglicht. Dieser ist nicht nur in unserem Rechtssystem nicht vorgesehen, sondern gibt das Strafmonopol des Staates an einzelne Bürger oder Bürgergruppen weiter, was unbedingt zu verhindern ist.

Das ist auch der Grund, warum sich der juristische Diskurs in Deutschland stets gegen derartige Formen von Kollektivmaßnahmen ausgesprochen hat. Haben sich vielleicht die Verbraucherzentralen dafür ausgesprochen – sie wären ja auch wahrscheinlich die maximal Handelnden –, so hat es zum Beispiel der 66. Deutsche Juristentag nicht getan. Auch die höchstrichterlichen Stellungnahmen des Bundesgerichtshofs sprechen sich klar gegen ein solches Vorgehen aus.

Drittens. Der vorliegende Antrag stellt zu Recht fest, dass es in Deutschland bereits Möglichkeiten der kollektiven Rechtsdurchsetzung gibt. So können von Verbraucherverbänden für eine Vielzahl von Geschädigten gemeinsame Feststellungen in einem Musterverfahren bei den Landgerichten erreicht werden. Geschädigte müssen ihre Leistungsansprüche aber auch zukünftig und dennoch in Einzelklagen auf der Grundlage dieses Musterurteils durchsetzen. Unmittelbar hilft die Musterfeststellungsklage den Verbrauchern mithin nicht, was der Antrag wahrheitswidrig suggerieren soll.

Diese Systementscheidung unserer Rechtsordnung ist grundsätzlich richtig. Auch wenn es häufig so dargestellt wird, so ist doch die Suche nach Einzelfallgerechtigkeit in jedem Verfahren eine große Stärke und keine Schwäche der Justiz. Das gilt im Übrigen und insbesondere auch für den Geschädigten.

Ich denke, im Bundesrat mit einem Entwurf vorzusprechen, der auf den unüberlegten Grundlagen eines Gesetzentwurfes fußt, der nicht einmal über die Ressortabstimmung hinausgekommen ist, ist wenig ratsam.

Finden wir vielmehr in einer überlegten Diskussion zu Mitteln, welche den Menschen in unserem Lande wirklich helfen! Für eine solche Diskussion stehen die Freien Demokraten immer bereit. Wir werden natürlich auch der Überweisung an den Ausschuss zustimmen. Den Antrag selbst werden wir höchstwahrscheinlich ablehnen. – Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mangen. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heribert Prantl hat vor einigen Tagen einen Hilferuf für die Rechtspolitik in der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht, in der er schreibt, dass aus seiner Sicht die Rechtspolitik viel zu oft nur noch der inneren Sicherheit dient. Er weist zu Recht darauf hin, dass die Rechtspolitik in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland wichtige gesellschaftspolitische Debatten abgebildet hat. Er sprach von der Debatte über die Wiederbewaffnung, über die rechtliche Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen oder aber der Diskussion über den § 218 Strafgesetzbuch.

Mir persönlich – nicht nur, weil ich Heribert Prantl sehr gut finde – hat dieser Kommentar außerordentlich gut gefallen, weil er deutlich macht, welche Stellung die Rechtspolitik haben sollte und dass die Rechtspolitik sich natürlich aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen annehmen und sich damit auseinandersetzen muss, um eben Recht und Instrumente der Rechtsdurchsetzung weiterzuentwickeln. Das ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker.

Dazu gehört selbstverständlich auch die Frage, wie man das Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber Unternehmen durchsetzen kann. Es ist ja nicht so, dass es heute noch dieses direkte Verhältnis vom Verbraucher gegenüber der Besitzerin des Tante-Emma-Ladens gibt, die sich im Streitfall auf Augenhöhe vor Gericht begegnen. Wir haben heute eine Situation, dass Verträge mit Unternehmen abgeschlossen werden, deren AGBs von hochspezialisierten, hochbezahlten Rechtsabteilungen bzw. Rechtsanwälten erarbeitet werden.

Für die einzelne Verbraucherin oder den einzelnen geschädigten Verbraucher geht es dabei um rechtswidrige AGBs und Vertragsänderungen, um Täuschungen und Tricksereien in Verträgen und bei Produkten. Es ist so, dass vielleicht der Schaden für den einzelnen Betroffenen sehr gering ist, vielleicht nur wenige Euro beträgt. Dann stellt man sich als Verbraucherin und Verbraucher natürlich die Frage: Gehe ich jetzt wegen einer Schadenssumme von 3 € oder von 30 € vor Gericht? Tue ich mir das an, die Arbeit, die Zeit, die Mühe, die ich damit habe, weil mich die Stadtwerke betrogen haben oder weil mich ein Anbieter einer App betrogen hat?

Ich behaupte – und es gibt sogar Untersuchungen dazu –, dass die wenigsten sich tatsächlich die Arbeit und die Mühe machen, den Rechtsweg zu beschreiten, zumal die Prozesskosten oftmals um ein Vielfaches höher sind als der Schaden selbst. Wenn nur 100.000 Verbraucherinnen und Verbraucher wegen 30 € eben nicht klagen, dann mögen diese 30 € für jeden Einzelnen von uns nicht viel Geld sein, aber für das Unternehmen ist es schon eine gewaltige Summe, die da zusammenkommt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Punkt ist doch, dass die Unternehmen durchaus damit rechnen und kalkulieren, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher eben nicht vor Gericht gehen und sich somit die Summe nicht einklagen. Ich finde, es kann nicht sein, dass Unternehmen nichts zu fürchten haben. Es geht mit Blick auf das Rechtsempfinden in unserem Rechtsstaat einfach nicht, dass Unternehmen so handeln. Hier müssen wir die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kehrl, wenn Sie sagen, die Bundestagsfraktion der CDU habe bereits 2016 ein Eckpunktepapier dazu vorgelegt, dann entschuldigen Sie: Die grüne Bundestagsfraktion hat bereits im Jahr 2014 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Und deshalb, Herr Mangen, kann man hier auch nicht von Schnellschüssen reden. Die Debatte gibt es seit etlichen Jahren, es gibt mehrere Gesetzentwürfe dazu. Also, hier von einem Schnellschuss zu reden, finde ich doch ziemlich daneben.

Die grüne Fraktion ist mit einem Vorschlag in den Bundestag gegangen und hat gesagt, sie wolle eine Gruppenklage einführen. Sie will, dass Verbraucherinnen und Verbraucher selbst zu Prozessbeteiligten werden und das Urteil direkt für oder gegen sie wirkt, ohne dass weitere Prozesse erforderlich sind. Dann könnten auch direkt im Verfahren Anträge auf Zahlung von Schadenersatz gestellt werden. Leider – und das ist auch nicht sehr überraschend – wurde dieser Gesetzentwurf von der Großen Koalition, also von SPD und CDU, im Deutschen Bundestag abgelehnt.

Nichtsdestotrotz finde ich – auch wenn wir Grüne eigentlich weitergehen wollten, als Heiko Maas es in seinem Entwurf vorgeschlagen hat –, dass auch die Musterfeststellungsklage immerhin schon ein Schritt nach vorne wäre, ein Erfolg für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich habe es heute noch einmal nachgelesen, die Tagesschau hat es gemeldet, dass derzeit bei den Jamaika-Verhandlungen über dieses Thema diskutiert wird. Wenn wir es wirklich schaffen, dass eine Musterfeststellungsklage Bestandteil eines Koalitionsvertrages in Berlin wird, dann wäre das aus meiner Sicht eine deutliche Stärkung des Verbraucherschutzes und der kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten in Deutschland.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Biesenbach, sie werden gleich als Minister hier Stellung beziehen müssen zum Antrag der SPD. Ich hoffe, dass Ihre Position nicht wieder so windelweich und so wie ein Wackelpudding sein wird wie bei unserem Antrag zum Thema Schwarzfahren, wo Sie sich ja total aus der Affäre gezogen und eigentlich überhaupt nichts Inhaltliches gesagt und sich auch nicht positioniert haben. Also, positionieren Sie sich hier bitte schön, und positionieren Sie sich für einen starken Verbraucherschutz!

Ich glaube, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen schuldig. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Und nun spricht für die AfD-Fraktion Herr Röckemann.

Thomas Röckemann (AfD): „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle wissen es: Das Zitat stammt von Konrad Adenauer und beschreibt eine grundsätzliche Einstellung der Politiker alter Parteien gegenüber ihrem Souverän. Versprochen wird viel, gehalten wird wenig, eine Linie erkennen mag, wer will. Uns stellt sich zudem die Frage: Gibt es tatsächlich so etwas wie politischen Alzheimer, oder wollen Sie mal wieder von den wirklichen Problemen unserer Gesellschaft ablenken?

Ich denke da an die Masseneinwanderung oder die Islamisierung mit den für unser Vaterland unabsehbaren Folgen.

(Beifall von der AfD)

Liebe Kollegen von der SPD, wir helfen Ihnen gern auf die Sprünge. Ihre Freunde von den Grünen hatten bereits am 26.09.2014 einen Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage in den Deutschen Bundestag eingebracht. Zusammen mit Ihren damaligen Freunden von der CDU haben Sie, liebe antragstellende SPD, den Antrag, den Sie jetzt stellen, am 05.11.2015 abgelehnt. Sodann hatten Sie weit über ein Jahr Zeit, diesen Antrag, den Sie jetzt stellen, mit Ihren Freunden auf Landesebene, den Grünen, in diesen Landtag einzubringen. Getan haben Sie es nicht. Warum nicht, das wird wohl für immer Ihr Geheimnis bleiben.

(Beifall von der AfD)

Adenauer und gar politischer Alzheimer? – Entscheiden Sie bitte selbst.

Wen bzw. was wollen Sie mit der Musterfeststellungsklage überhaupt erreichen? Mit der Überschrift geben Sie vor, die Rechte aller Verbraucher stärken zu wollen – mit Ausrufungszeichen und erfrischend ungegendert. Sind das vielleicht erste Avancen in Richtung AfD? – Da müssen wir Sie leider enttäuschen. Wir halten Ihren Antrag für völlig populistisch, und zwar im negativen Sinn. Auf einer solchen Grundlage ist eine Zusammenarbeit mit der AfD natürlich völlig ausgeschlossen.

(Beifall von der AfD)

Sie geben vor, mit der Musterfeststellungsklage alle Verbraucher vor mächtigen Konzernen schützen zu wollen. Sie warnen vor teuren oder gar zeitaufwendigen Verfahren und – ich zitiere – vor dem „langen Weg durch die Instanzen“. Sie malen quasi den Teufel an die Wand, und dabei argumentieren Sie mit einem rationalen Desinteresse. Rationales Desinteresse bedeutet jedoch nicht weniger, als dass der Bürger bei kleinen Angelegenheiten regelmäßig gar kein Interesse an einem Rechtsstreit hat. Wem ist es zum Beispiel noch nicht untergekommen, dass er ein Knöllchen bezahlt hat, obwohl er sich völlig im Recht wähnt?

Wer sich dennoch zur Wehr setzen will, kann dies getrost tun. Aus anwaltlicher Sicht kann ich Ihnen berichten, dass das Kostenrisiko gerade bei kleineren Streitigkeiten mehr als überschaubar ist. Übrigens: In solchen Fällen endet der von ihnen beschworene lange Weg durch die Instanzen bereits beim Amtsgericht, also nach der ersten Instanz. Ich sagte bereits: ein populistischer Antrag.

Zudem sind viele Menschen rechtsschutzversichert. Diese große Gruppe sprechen Sie mit Ihrem Antrag überhaupt nicht an. Aber vielleicht haben Sie ja im Sinn, nach der Lebensversicherungswirtschaft nun auch die Rechtsschutzversicherungswirtschaft zu killen. Das könnte Ihnen mit solchen Anträgen gelingen.

Dann gibt es noch die Menschen, die durch Ihre Politik inzwischen so bedürftig geworden bzw. geblieben sind, dass sie einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben. Auch diese Gruppe kann sich ein rationales Desinteresse durchaus leisten.

Es bleiben jetzt lediglich die spektakulären Fälle mit hohen Streitwerten übrig, zum Beispiel der sogenannte VW-Diesel-Skandal.

Insbesondere im Hinblick auf den Populismusvorwurf gilt das bereits Gesagte: Leute mit Rechtsschutzversicherung und Bedürftige sind bereits völlig geschützt. Selbst die zahllosen Verbleibenden – Sie sollten da schon noch etwas nachlegen – brauchen ihre Musterfeststellungsklage nicht.

(Zuruf von der SPD)

– Informieren Sie sich doch bitte. Ein kurzer Blick ins Internet genügt. Sollten Sie keinen Empfang haben, lasse ich Sie gern bei mir reinschauen. Es gibt bereits Unternehmen, die sich auf Massenfälle spezialisiert haben. Diese arbeiten kostenfrei. Nur im Falle des Gewinnens wird eine Provision fällig. Wollen Sie vielleicht die killen?

Wir jedenfalls werden Ihren Antrag im Ausschuss kritisch begleiten und erwarten insbesondere eine klare Aufstellung über die zu erwartenden Kosten.

(Beifall von der AfD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Röckemann. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Biesenbach.

Peter Biesenbach, Minister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den unzähligen Schlagzeilen der vergangenen Jahre über unrechtmäßige Preisabsprachen, überzogene Bankgebühren oder umgangene Grenzwerte bei Autoabgasen zweifelt niemand mehr daran, dass es im modernen, weitgehend durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben zu Schadensereignissen kommen kann, die eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern in gleicher Art und Weise betreffen. So weit kann den Ausführungen des Antrags der SPD-Fraktion zugestimmt werden, auch wenn sie nicht neu und keinesfalls außergewöhnlich sind.

Mit allem anderen macht es sich die Antragstellerin aber deutlich zu leicht – erst recht, wenn sie so tut, als ließe sich aus dem nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl veröffentlichten Entwurf von Heiko Maas zur Einführung einer Musterfeststellungsklage auf die Schnelle ein Gesetzentwurf entwickeln, den man als Landesregierung guten Gewissens in den Bundesrat einbringen könnte. Hierzu haben die Kollegen Kehrl und Mangen bereits deutliche Wertungen vorgenommen; die kann ich mir daher ersparen.

Insofern sollte jedem klar sein, dass es sich bei dem angesprochenen Entwurf gerade einmal um einen ersten Diskussionsentwurf handelt, zu dem im Vorfeld weder die Länder noch die Verbände noch sonstige Fachkreise angehört worden sind, wie es in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien sein sollte.

Wie aber will ein Gesetzentwurf die vielfältigen berechtigten Interessen und Sichtweisen in unserem Land berücksichtigen geschweige denn zum Ausgleich bringen, wenn er bisher ausschließlich in der geschlossenen Gesellschaft Berliner Amtsstuben ausgebreitet wurde? Vor diesem Hintergrund eignet er sich nicht einmal als Blaupause für eine kluge Fortentwicklung unseres Zivilprozessrechts.

Völlig unabhängig von den Privatvorschlägen des Bundesjustizministers oder auch dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion ist allerdings die Landesregierung der Auffassung, dass eine intensive und sachorientierte Befassung mit möglichen Fortentwicklungen des Zivilprozessrechts neben den bestehenden Instrumenten weiter erleichtert und geboten ist. Es liegt gleichermaßen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, der redlichen Unternehmen und auch des Rechtsstaats, wenn unrechtmäßig erzielte Gewinne vermehrt geltend gemacht und an die Berechtigten zurückgezahlt werden. Darüber hinaus lässt eine sorgsam abgestimmte Bündelung einzelner Ansprüche vor Gericht erhoffen, dass die Ressourcen der Justiz effizienter genutzt und damit nicht überfordert werden.

Vor diesem Hintergrund begrüßt es die Landesregierung, dass das Thema des kollektiven Rechtsschutzes Gegenstand der gegenwärtigen Sondierungsgespräche in Berlin gewesen ist und es dort zu einer deutlichen Aussage gekommen ist, dass eine solche Massenklage ermöglicht werden soll. Frau Schäffer, insofern war Ihr Engagement hier deutlich überholt; es hat sich längst erledigt.

Lassen Sie mich mit Blick auf die bevorstehenden Diskussionen und Verhandlungen sowohl in Berlin als auch hier aber schon einige Punkte benennen, die aus Sicht der Landesregierung unverzichtbar sind.

So bedürfen grundlegende Änderungen im Zivilprozessrecht oder die Einführung neuer Klageinstrumente einer gründlichen fachlichen Prüfung und einer breiten Debatte unter Einbeziehung aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen. Es darf keinesfalls passieren, dass durch einen, wenn auch gut gemeinten, Schnellschuss eine missbräuchliche Klageindustrie, beispielsweise nach Vorbild der US-amerikanischen Class Action, entsteht oder das hohe Verfassungsgut des rechtlichen Gehörs eines jeden Beteiligten im Gerichtsprozess beeinträchtigt wird.

Darüber hinaus darf die Durchsetzung individueller Schadenersatz- oder Erstattungsansprüche auch zukünftig nur der Kompensation und nicht den Geschäftsinteressen international agierender Großkanzleien dienen.

Weiterhin sind solche Mechanismen auszuschließen, durch die unter Missachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit gerade in ihrer Kombination ein Erpressungspotenzial gegenüber beklagten Unternehmen entsteht, das diese, selbst wenn sie im Recht sind, zu einem Vergleich um jeden Preis nötigt.

Abschließend dürfen neue Instrumente des Zivilprozessrechts nicht so komplex ausgestaltet sein, dass sie neues Verzögerungspotenzial schaffen und damit eine zügige Klärung berechtigter Ansprüche behindern. Ein verschlungenes und unübersichtliches Verfahrensmonster hilft letztlich nämlich niemandem.

Ich bin sicher, dass die neue Koalition in Berlin eine Lösung finden wird und wir uns dann hier nicht mehr damit beschäftigen müssen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Biesenbach. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen also zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages mit der Drucksachennummer 17/1124 an den Rechtsausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer hat etwas dagegen? – Niemand. Damit sind wir einstimmig für die Überweisung.

Ich rufe auf:

13 Mehr Vielfalt in klassischen Frauen- und Männerberufen fördern – Zukunftstage Girls‘ Day und Boys‘ Day ausbauen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1116

Für die CDU-Fraktion spricht mit ihrer ersten Rede Frau Kollegin Troles. Sie haben das Wort. Bitte schön.

Heike Troles (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zoodirektor oder Ballerina? Polizist oder Sekretärin? Können Sie sich daran erinnern, was Sie werden wollten, als Sie noch ein Kind waren? Hatten Sie ein Vorbild für Ihren Berufswunsch? Wer war es, der Vater oder die Mutter, die nette Grundschullehrerin? Was willst du werden, wenn du groß bist? Mit dieser Frage werden Kinder bereits früh konfrontiert.

Ganz bewusst und anschaulich wird diese Auseinandersetzung, wenn sich Jugendliche im Alter zwischen zehn und 15 Jahren konkret die Fragen stellen: Was möchte ich später im Leben beruflich machen? Welche Stärken habe ich? Hier geht es zum ersten Mal nicht mehr um den kindlich verträumten Wunschberuf des Ritters oder der Prinzessin. Hier geht es um die modernen Berufe der Realität. Die Beantwortung dieser Fragen entscheidet über den weiteren Lebensweg.

Ein erster Einstieg in diese Entscheidungsfindung ist der Girls‘- und Boys‘Day. Fakt ist, dass der Ausbildungsmarkt und der Arbeitsmarkt in Deutschland immer noch geschlechterspezifisch aufgeteilt sind. Das heißt, Mädchen wählen sogenannte Frauenberufe, Jungs wählen sogenannte Männerberufe.

Warum ist das 2017 immer noch so? – Weil die Vorstellungen bezüglich der persönlichen beruflichen Eignung zum großen Teil mit stereotypen Rollenmustern verknüpft sind. In unseren Köpfen hält sich immer noch hartnäckig der Irrglaube, dass Mädchen eher sprachbegabt sind, während Jungs eher eine mathematisch-naturwissenschaftliche Veranlagung haben. Diese falsche Vorstellung existiert auch in den Köpfen der jungen Schüler.

Daraus folgt, dass sich die Jugendlichen bei der Berufswahl auf bestimmte geschlechtsspezifisch orientierte Berufe beschränken, und das erstaunlicherweise in den letzten Jahren ohne große Veränderung.

Dadurch geht sehr viel ungenutztes Potenzial verloren, Chancen für unsere jungen Menschen genauso wie für die Wirtschaft. Das antiquierte Geschlechterdenken können und wollen wir uns nicht weiterhin leisten.

Wir wollen individuelle Fähigkeiten fördern und sie so auf dem Arbeitsmarkt geschlechtsunabhängig platzieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dabei kann die Initiative des Girls‘- und Boys‘Days nur ein erster Schritt bei der stärkeren Förderung der individuellen Fähigkeiten unserer Nachwuchskräfte sein.

Aber was genau ist der Girls‘- und Boys‘Day? Hier möchte ich von der offiziellen Homepage des Girls‘Days zitieren:

„Am Girls‘Day öffnen Unternehmen, Betriebe und Hochschulen in ganz Deutschland ihre Türen für Schülerinnen ab der 5. Klasse. Die Mädchen lernen dort Ausbildungsberufe und Studiengänge in IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik kennen, in denen Frauen bisher eher selten vertreten sind. Oder sie begegnen weiblichen Vorbildern in Führungspositionen aus Wirtschaft und Politik.“

Es geht also darum, den Mädchen Berufsfelder näherzubringen, die sie sich selber entweder nicht aussuchen oder nicht zutrauen würden.

Auch bei dem gleichzeitig stattfindenden Boys‘Day geht es darum, Jungen bei der Berufswahl dort zu unterstützen, wo männliche Fachkräfte gesucht werden, weil sie zurzeit unterrepräsentiert sind. Jungen kommen hier mit männlichen Vorbildern in Berührung, die ihnen zeigen können, dass diese Berufsfelder einen interessanten und ansprechenden Berufsalltag bieten.

Sie sehen: Hier werden neue Horizonte eröffnet. Daher sollte es nicht bei einer jährlichen Aktion des Girls‘- und Boys‘Days bleiben.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen diese Idee stärker aufgreifen und möglichst effizient ausbauen, damit sich die jungen Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen bei ihrer Berufswahl auf ihre persönlichen Fähigkeiten und Talente konzentrieren und diese nicht durch stereotypes Denken verkommen lassen.

Meine Damen und Herren, glauben Sie mir: Die Erkenntnis zu erlangen, dass in einem Fähigkeiten stecken, die man bisher nicht entdeckt hatte, weckt ungeahnte Motivationsschübe für ungeliebte Schulfächer und das Lernen an sich.

Die positive Kraft des Girls‘- und Boys‘Days darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Frauen in sogenannten Männerberufen und Männer in sogenannten Frauenberufen zu fördern und dies möglichst frühzeitig zu tun, ist der Anspruch unserer Arbeit.

(Beifall von der CDU)

Dies mit eigenen erweiterten Aktionen zu unterstützen, die über den Girls‘- und Boys‘Day hinausgehen, ist unser Ziel. Denn die Mädchen und Jungen würden an dieser Stelle sagen: Wir wollen nicht für die Schule lernen, wir wollen fürs Leben lernen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall von der CDU – Beifall von der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, liebe Kollegin. Herzlichen Glückwunsch zur Jungfernrede! – Für die FDP darf ich Kollegin Schneider das Wort erteilen.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein großes Ziel der NRW-Koalition aus Christdemokraten und FDP ist es, junge Menschen ins Berufsleben zu bringen – im Idealfall an einem Arbeitsplatz, der den persönlichen Wünschen und Talenten der Jugendlichen entspricht. Aber immer noch prägen Rollenbilder und Rollenerwartungen das Berufswahlverfahren Heranwachsender. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat meine FDP-Landtagsfraktion einen Antrag auf den Weg gebracht, aus dem schließlich eine Initiative aller Fraktionen in diesem Hause wurde.

Auch im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, auf diesem Feld aktiv zu werden. Mädchen ergreifen nach wie vor klassische Frauenberufe – überwiegend im Dienstleistungsbereich. In den MINT-Berufen sind Mädchen immer noch unterrepräsentiert, obwohl Mädchen bzw. junge Frauen die besseren Schulnoten haben und mehr Mädchen als Jungs über einen Hochschulabschluss verfügen.

Auf der anderen Seite zählen Jungen zu den Verlierern in unserem Bildungssystem. Das belegen nicht nur ihre Schulnoten, auch der Großteil der Schulabbrecher ist männlich. Dies hat zu Folge, dass schon heute in vielen zulassungsbeschränkten Studiengängen der Anteil der weiblichen Studenten oft über 70 % beträgt.

(Zuruf von der AfD)

Viele junge Männer scheitern am NC, beispielsweise in Medizin, Zahnmedizin oder Pharmazie, wo die Herren aber auch zur Versorgung der Patienten dringend benötigt werden.

Gleichzeitig fehlen die Jungs in vielen Berufsfeldern, zum Beispiel in der Pflege. Auch in Kitas und Grundschulen gelten männliche Fachkräfte immer noch als Exoten. So haben die meisten Kinder auf der weiterführenden Schule erstmalig Kontakt mit männlichen Pädagogen. Ich finde, das ist zu spät. Es braucht sicher einen ganzen Strauß an Maßnahmen, um hier zu motivieren und die Perspektiven zu erweitern.

Die beiden unterschiedlich entstandenen Aktionstage für Mädchen und Jungen, besser bekannt als Girls‘Day und Boys’Day, können dabei helfen, dass Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen die Berufswahl von Mädchen und Jungen künftig weniger bestimmen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das Talent, die Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Interesse und persönliche Neigungen sollten ausschlaggebend für die Wahl des Berufes sein, und zwar für alle Geschlechter.

Ich finde es fantastisch, dass es in unserem Land eine unglaubliche Anzahl verschiedener Berufe gibt. Diese sollten aber den Schülerinnen und Schülern auch praktisch und niederschwellig vorgeführt werden. Hierfür eignen sich sowohl der Mädchenzukunftstag wie auch der Jungenzukunftstag ideal. Sie lenken den Blick von Jungen und Mädchen auch mal auf andere, bisher vielleicht nicht in Erwägung gezogene berufliche Möglichkeiten.

Leider wurde der Boys‘Day von der rot-grünen Landesregierung immer recht stiefmütterlich behandelt. Der NRW-Koalition ist es aber wichtig, alle Geschlechter gleichermaßen zu fördern.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Natürlich brauchen unsere Mädchen nach wie vor in einigen Bereichen Förderung. Wir dürfen aber die Jungs nicht außen vorlassen und sollten – nein, wir müssen – auch ihnen helfen. Die Fraktionen von Christdemokraten und FDP schauen, wo konkret Bedarf besteht, und unterstützen die jungen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht.

Mit unserem heutigen Antrag fordern wir deshalb die Landesregierung auf, den Aktionstag Girls‘Day und Boys‘Day zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Ich bin sehr zuversichtlich, dass jedes Ressort es zu schätzen weiß, welche Chancen mit der Durchführung eines Mädchen- und Jungenzukunftstags für unsere Gesellschaft, unsere Arbeitswelt und unser Land verbunden sind.

Nicht nur die Landesregierung oder die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen sollten den Girls‘- und Boys‘Day zelebrieren, auch der Landtag bietet sich hierfür als Veranstaltungsort an. Leider wurde hier in den vergangenen Jahren regelmäßig ausschließlich der Girls‘Day gefeiert. Nachdem alle Fraktionen beschlossen haben, künftig auch den Boys‘Day zu würdigen, entfiel dieser im Folgejahr komplett zugunsten des Welt-Mädchentags im Herbst. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

Erst nach zahlreichen Diskussionen fand im vergangenen Jahr der Girls‘- und Boys‘Day als eine Veranstaltung hier im Hohen Hause statt. Geboten wurde ein Markt, auf dem sich zum einen Unternehmen und Einrichtungen mit typischen Männerberufen präsentierten, aber auch Vertreter der Berufe, in denen sich sonst überwiegend Frauen finden. Davon profitierten nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Vertreter dieser Berufe.

Es wäre wunderbar, wenn eine Veranstaltung dieser Art auch künftig stattfinden könnte: für die Mädchen und die Jungs in unserem Land. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Für die SPD erteile ich Frau Butschkau das Wort.

Anja Butschkau (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen veröffentlichte die Agentur für Arbeit den Ausbildungsmarktbericht 2016/2017. Folgende Erkenntnisse dürften niemanden verwundern:

In den top Zehn der am stärksten von jungen Frauen nachgefragten Ausbildungsberufe landen zum Beispiel die Kauffrau für Büromanagement, Medizinische oder Zahnmedizinische Fachangestellte oder Friseurin. Bei den Männern fallen dagegen der Kfz-Mechatroniker, der Industriemechaniker oder der Lagerlogistiker ins Auge.

Auch heute noch spiegeln sich klassische Rollenbilder von Frau und Mann im Berufswahlverfahren junger Menschen wider. In technischen Berufen dominieren die Männer, in sozialen Berufen dominieren die Frauen. Oft sind Letztere niedriger entlohnt, und die Arbeitsbedingungen sind schlechter.

Um Mädchen und jungen Frauen neue berufliche Perspektiven und Chancen aufzuzeigen, wurde 2001 der Girls’Day eingeführt. Der erste bundesweite Boys’Day fand 2011 statt. Das sind gute und wichtige Veranstaltungen, finden wir. Daher wird es sie mit der SPD auch weiterhin geben.

Bei Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, haben wir aber viele Fragezeichen. Wir haben uns gefragt: Was ist der Sinn des Antrags? – Es steht nichts drin, außer dass Sie den Girls‘Day und Boys’Day weiterentwickeln wollen. Aber wie wollen Sie das machen, und welches Ziel verfolgen Sie dabei?

(Beifall von der SPD)

Wenn ich den Antrag richtig interpretiere, geht es Ihnen allein darum, mehr Frauen in Männerberufen und mehr Männer in Frauenberufen unterzubringen. Diese ökonomische Sichtweise ist jedoch viel zu kurz gegriffen. Die eigentlichen Adressaten des Girls’Days und des Boys’Days klammern Sie nämlich völlig aus. Ihr Antrag hat weder etwas mit Berufsorientierung noch mit Geschlechtersensibilität zu tun.

(Beifall von der SPD)

In unseren Augen muss geschlechtersensible Berufsorientierung viel breiter angelegt sein. Ein Aktionstag im Jahr erzeugt noch keinen nachhaltigen Erfolg. Boys‘Days und Girls’Days können lediglich eine flankierende Aktion für viel tiefgründigere Maßnahmen sein. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in der letzten Legislaturperiode ein ganzheitliches Konzept umgesetzt. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, sich dieses Konzept noch einmal in Ruhe anzuschauen. Vielleicht finden Sie darin die eine oder andere Erkenntnis.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Mit „Kein Abschluss ohne Anschluss“ haben wir ein systematisches Übergangssystem zwischen Schule und Beruf geschaffen. Gerade hier war das Thema „Geschlechtersensibilität“ ein ganz wichtiger Schwerpunkt. Bei Studienorientierung und Studienberatung haben wir auch erste Schritte gemacht. Wir haben zudem Talentscouts in die Schulen gebracht, die gerade jungen Menschen aus bildungsfernen Milieus zugutekommen. Diese Angebote müssen nun weiterentwickelt und ausgebaut werden.

(Beifall von der SPD)

Ich weiß, Sie sehen es anders, aber wir schätzen die Arbeit der Kompetenzzentren Frau und Beruf sehr hoch ein. Auch die Kompetenzzentren leisten einen wichtigen Beitrag, damit Mädchen und junge Frauen bei der Berufswahl ungewohnte Wege einschlagen.

(Beifall von der SPD)

Einen weiteren wichtigen Beitrag leisten außerschulische Lernorte, die junge Menschen an die MINT-Fächer heranführen. In meinem Wahlkreis, in Dortmund, gibt es zum Beispiel ein hervorragendes Kindertechnologiezentrum, das auf ganz spannende und faszinierende Art und Weise junge Menschen für Naturwissenschaften begeistert. Solche Einrichtungen müssen wir stärker einbinden und sie mit den notwendigen Ressourcen ausstatten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Girls’Days und Boys’Days sind gute Aktionen, die helfen, junge Menschen, Eltern und Arbeitgeber aufzurütteln. Sie sind aber bei Weitem noch kein Konzept für eine umfassende geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung. Ihrem Antrag können wir in dieser Form daher leider nicht zustimmen.

Das Abschreiben aus dem Koalitionsvertrag ist für uns kein Konzept. Wir sind doch sehr enttäuscht, dass Sie keine eigenen Ideen zur Weiterentwicklung haben und stattdessen den Regierungsapparat bemühen müssen.

Wir sollten den Antrag dennoch überweisen. Wir möchten Ihnen schließlich nicht die Chance verwehren, Ihre Hausaufgaben noch nachzuholen und uns ein schlüssiges Konzept vorzulegen. – Ich danke Ihnen. Glück auf!

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Danke sehr, Frau Butschkau. – Ich darf für die Grünen nun der Kollegin Paul das Wort erteilen.

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die freundliche Zusammenfassung dieses Antrags könnte „dürr“ lauten. Weniger freundlich könnte man allerdings auch „Arbeitsverweigerung“ sagen, wenn man sich die Beschlussfassung anschaut. Dort heißt es:

„Die Landesregierung soll Frauen in ‚Männerberufen‘ und Männer in ‚Frauenberufen‘ fördern. Daher wird sie beauftragt, die Aktionstage Girls‘Day und Boys‘Day mit eigenen Aktionen zu unterstützen und weiterzuentwickeln.“

Halleluja! Wer könnte dem widersprechen?

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Ich gehe davon aus, dass sich die Landesregierung derzeit auch schon am Girls’Day und am Boys’Day beteiligt. Zumindest hat die alte Landesregierung das getan. Ich weiß nicht, ob Ihre Landesregierung einen derartigen Nachholbedarf hat. Aber das könnte man auch auf der Arbeitsebene klären, dafür muss man kein so dünnes Papierchen auf den Tisch legen.

Wichtig ist allerdings die Fragestellung, wie wir tatsächlich mit geschlechtersensibler Berufswahlorientierung umgehen. Da ist mehr abzuliefern, als den Girls’Day und den Boys’Day fördern zu wollen.

Ich habe mir beispielsweise einmal in dem Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums den Anteil der jungen Mütter und Väter an den Auszubildenden angeschaut. Dort kann man leider die recht schlechte Bilanz lesen, dass 50,4 % aller jungen Mütter und 34,1 % aller jungen Väter zwischen 16 und 24 Jahren ohne Berufsabschluss sind, keine Schule besuchen und keine Berufsausbildung machen. Hier wäre ein konkreter Ansatzpunkt, um junge Eltern durch das konkrete Instrument der Teilzeitausbildung zu unterstützen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Von konkreten Ansätzen und Konzepten ist bei Ihnen nichts zu lesen.

Frau Butschkau hat gerade schon darauf hingewiesen, welche Berufe mehrheitlich von Frauen gewählt werden und welche Berufe mehrheitlich von Männern gewählt werden, dass sich Frauen nach wie vor auf relativ wenige Berufe konzentrieren. 75 % aller Frauen wählen aus ungefähr 25 Berufsarten, bei den Männern sind es ein paar mehr. Nach wie vor lässt sich feststellen, dass es viel Luft nach oben gibt, vor allem wenn wir uns anschauen, dass junge Frauen vergleichsweise selten in Handwerksberufe gehen. Da ist auf jeden Fall Luft nach oben.

Mit wem könnten Sie das besprechen? – Das können Sie mit Ihrer Landesregierung besprechen. Es wäre aber sinnvoller, Maßnahmen zusammen mit den Kammern zu planen und zu sagen: Liebe Handwerkskammer, das ist das Potenzial, das ihr heben müsst. Das ist das Potenzial, das eure Betriebe brauchen, um zukunftsfähig zu werden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Gleichermaßen besteht natürlich auch noch Luft nach oben, wenn wir uns anschauen, dass Männer in erzieherischen, sozialen und gesundheitlichen Ausbildungsberufen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Aber auch da braucht es doch mehr als die warmen Worte, dass Sie mehr Männer in Frauenberufe bringen möchten. Auch da wäre es doch sinnvoll, zu wissen, wie man das eigentlich anstellen möchte. Aber wir bleiben mit Ihnen offensichtlich leider nur auf der appellativen Ebene: Möglicherweise könnte es doch gut sein.

Frau Butschkau hat darauf hingewiesen: Die rot-grüne Landesregierung hat konkrete Maßnahmen ergriffen. Mit „Kein Abschluss ohne Anschluss“ und „GenderKompetent“ haben wir Projekte zur Weiterqualifizierung in der Berufswahlorientierung junger Männer und Frauen aufgelegt, was genderbezogene Kompetenzen angeht. Es kommt doch darauf an, dass diejenigen, die in der Berufswahlorientierung wichtig sind – die Lehrerinnen und Lehrer, die Beraterinnen und Berater, sowohl bei den Arbeitsagenturen als auch in der Studienberatung –, Genderkompetenzen haben, damit dort geschlechtersensibel beraten werden kann.

Eines will ich Ihnen noch mit auf den Weg geben, weil es mir zu einfach ist, wenn Sie nur sagen, Sie möchten mehr Frauen in Männerberufen und mehr Männer in Frauenberufen: Ich möchte, dass die Menschen einen Beruf nach ihren Fähigkeiten und danach auswählen, was sie interessiert. Das bedeutet aber auch, dass viele Mädchen, die heute einen „klassischen“ Frauenberuf auswählen, in der Konsequenz davor stehen, dass diese Berufe schlechter bezahlt sind und schlechtere Aufstiegschancen bieten.

Wie wäre es, wenn wir gemeinsam die Initiative dafür ergreifen, dass die Berufe, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, die gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, die Ihnen zusteht, und gleichermaßen auch besser bezahlt werden? Damit würden die hoch wichtigen Tätigkeiten in den sogenannten Care-Berufen endlich aufgewertet.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Damit müssten wir die Frauen für ihre Aufstiegschancen und für ihre Existenzsicherung nicht davon überzeugen, in technische Berufe zu gehen. Damit könnten wir ihnen sagen: Mach, was du möchtest und worin dein Interesse besteht, davon kannst du leben. Das ist unsere Verantwortung, der Sie mit diesem Antrag leider überhaupt nicht gerecht werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der AfD – Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)

– Das verhandeln wir doch gerade in Berlin.

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul. – Für die AfD hat nun der Abgeordnete Röckemann das Wort.

Thomas Röckemann (AfD): „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“

(Dietmar Bell [SPD]: Was für eine billige Eröffnung!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Verfasst hat das Zitat noch 1989 der Verbrecher Erich Honecker als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED der DDR. Wir alle wissen, dass dieses zweite sozialistische Schreckenssystem auf deutschem Boden nur wenige Monate nach Honeckers Ausspruch zusammenbrach. Letzte Woche jährte sich der Fall der Mauer zum 28. Mal – ein glückliches Ereignis für uns alle.

Man sollte nun glauben, der Staatssozialismus in Deutschland sei damit endgültig auf dem Abfallhaufen der Geschichte entsorgt. Das ist er aber nicht. Das Schreckgespenst des lachenden Sozialismus taucht nun im Gewande des „Genderismus“ erneut auf.

(Beifall von der AfD)

Das Ziel ist dabei dasselbe: Es ist die Gleichmacherei, liebe Kollegen, und es war ein schleichender Vorgang seit 1989, gefördert durch Menschen wie Frau Bundeskanzlerin Merkel, die noch höchstpersönlich in der untergegangenen DDR, sagen wir einmal, „sozialistisiert“ wurde.

Neben Sprach- und Gedankenpolizei und in Bälde durchgegenderten Personalausweisen trifft es erneut unsere Kinder. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

„Sowohl der Girls‘Day wie auch der Boys‘Day stellen einen wichtigen Beitrag zur geschlechtersensiblen Berufsorientierung dar. … Die Landesregierung soll Frauen in ‚Männerberufen‘ und Männer in ‚Frauenberufen‘ fördern.“

Damit, sehr geehrte Damen und Herren der alten Parteien, verfolgen Sie Gleichmacherei unter dem Dogma der Quote.

(Daniel Sieveke [CDU]: Bitte?)

Quoten sind allerdings so nützlich wie ein Kropf.

Gérard Bökenkamp hat recht, wenn er sagt, dass später auf dem freien Markt nicht Geschlechter miteinander konkurrieren, sondern Individuen. Frau Müller beispielsweise konkurriert um einen Aufsichtsratsposten mit Herrn Meier und damit nicht die Frauen dieser Welt mit den Männern dieser Welt.

(Beifall von der AfD)

Da kommt noch was.

(Daniel Sieveke [CDU]: So?)

Frau Müller ist möglicherweise Katholikin, und Herr Meier ist Protestant. Wenn sich Herr Meier gegenüber Frau Müller durchsetzen würde, wäre das natürlich kein Erfolg des männlichen Geschlechts gegenüber dem weiblichen. Ebenso wäre ein Erfolg von Frau Müller kein Triumph des Katholizismus gegenüber dem Protestantismus.

(Zuruf von der CDU)

Wenn Frau Müller den Posten bekäme, könnte man das vielleicht als Akt der Emanzipation werten. Es könnte aber auch sein, dass Herr Meier in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt und das Unternehmen lieber eine heterosexuelle Katholikin als einen schwulen Protestanten im Aufsichtsrat haben möchte.

(Beifall von der AfD)

Dann wäre die Einstellung von Frau Müller kein Akt der Emanzipation, sondern der einer Diskriminierung.

Wenn Herr Meier hingegen Miller hieße und den Posten bekäme, stellte sich die Frage nach dem Sieg der Amerikanisierung in der deutschen Wirtschaft. Bekäme er den Posten nicht und hieße Mandelbaum, könnte dies als Ausdruck eines latenten Antisemitismus gewertet werden. Wie viele homosexuelle Muslime gibt es eigentlich in deutschen Unternehmensvorständen und wie viele atheistische Ostdeutsche? – Sie sehen, meine Damen und Herren Kollegen, so kommen wir nicht weiter, und das ist genau Ihr Dilemma.

Der Einführung einer Quote, zum Beispiel für Frauen, wird der Ruf nach einer Quote für Einwanderer, Westdeutsche, Behinderte usw. usf. folgen. Wenn man einmal damit anfängt, kommt man aus der Kollektivismusfalle nicht wieder heraus.

(Zuruf)

– Na klar ist das ein Thema, Sie haben es nur noch nicht gemerkt. Geschlechter lassen sich nun einmal nicht gleichstellen, ebenso wenig wie Klassen, Rassen oder Religionen. Man kann nur Individuen gleichstellen.

(Unruhe)

Wenn Individuen vor dem Recht gleich sind, also für alle dieselben Gesetze gelten, dann ist die Gleichstellung erreicht.

(Beifall von der AfD)

Dieses Stadium haben wir in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen längst erreicht und brauchen daher Staatssozialismus, Genderei und Quote nicht. Besser ist es, die kostbare Schulzeit unserer Kinder zu nutzen, um ihnen Rechnen, Lesen und Schreiben beizubringen. Mit einer guten Schulausbildung, wie sie die AfD fordert, werden die Kinder dann – unterstützt durch die sie liebenden und versorgenden Eltern – ihren Weg ins Leben fast wie von alleine finden. Wir von der AfD stehen Ihrem Antrag kritisch gegenüber.

(Beifall von der AfD – Zuruf von der CDU)

Präsident André Kuper: Danke. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen das Wort.

Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Jahr für Jahr müssen wir feststellen, dass es bei der Entscheidung für einen Ausbildungsberuf kaum Veränderungen bei den jungen Frauen und Männern gibt. Nach wie vor ist die Berufswahl wesentlich von traditionellen Rollenbildern geprägt.

Mehr als die Hälfte der Mädchen – das haben wir heute gehört – wählt aus 300 anerkannten Ausbildungsberufen im dualen System nur zehn frauentypische Berufe. Spitzenreiter sind nach wie vor die Kauffrau für Büromanagement sowie Medizinische und Zahnmedizinische Fachangestellte. Unter diesen zehn Berufen befindet sich kein einziger mit technischer Ausrichtung.

Das Berufswahlverhalten junger Männer ist ähnlich traditionell. Trotz vielfältiger Interessen und Stärken entscheiden sie sich häufig für gewissermaßen jungentypische Berufe wie Kraftfahrzeugmechatroniker, Industriemechaniker oder Elektroniker.

Mit dieser verengten Ausrichtung auf nur wenige Berufe schöpfen junge Frauen und Männer ihre beruflichen Potenziale nicht aus. Sie verschließen sich damit wertvollen Optionen für ihre persönliche Zukunft gegenüber.

Die Entwicklung in Technik, Digitalisierung und die Vernetzung der Arbeitswelt schreiten voran, gleichzeitig wird unsere Gesellschaft immer älter. Das bedeutet, wir brauchen mehr weibliche und männliche Fachkräfte in Technik und Informatik. Aber auch in Pflege, Gesundheit und Erziehung wächst der Bedarf. Es gilt deshalb, Berufsorientierung und Berufswahl fernab von Rollenklischees und damit zukunftsfähig zu gestalten.

Das Problem dieser eingeschränkten Berufswahl von Mädchen und Jungen ist nicht neu; es wurde hier bereits erwähnt. Es gibt seit dem Jahr 2001 in jedem Jahr den Girls‘Day, um mehr Mädchen für die sogenannten MINT-Berufe zu begeistern. Seit dem Jahr 2011 gibt es auch den Boys‘Day, damit Jungen die Gelegenheit erhalten, Berufe zum Beispiel in Pflege und Erziehung kennenzulernen. Leider sind diese Aktionstage zeitlich auf einen Tag im Jahr begrenzt. Ihre Wirksamkeit ist entsprechend eingeschränkt.

An diesem Punkt will die Landesregierung ansetzen und das Konzept von Girls‘Day und Boys‘Day weiterentwickeln. Wir wollen beide Aktionstage nachhaltiger gestalten, damit Mädchen und Jungen in für sie untypischen Berufsfeldern kontinuierlicher gefördert werden können – nicht nur an einem Tag im Jahr. Ganz konkret wollen wir dabei an das Konzept der Girls‘Day- und Boys‘Day-Akademien anknüpfen, wie es sie beispielsweise in Baden-Württemberg gibt. Hierzu haben wir bereits erste Gespräche mit möglichen Kooperationspartnern geführt.

Für die Weiterentwicklung der Zukunftstage sind im Haushaltsentwurf 2018 bereits Landesmittel in Höhe von 150.000 € vorgesehen. Darüber hinaus werden einzelne Ressorts der Landesregierung die jährlichen Zukunftstage wie bisher mit eigenen Aktionen unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Da mir keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, sind wir am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1116 an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Wer dieser Überweisungsempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP, die AfD und der fraktionslose Abgeordnete Neppe. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Diese Überweisungsempfehlung ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

14 Nordrhein-Westfalen in Europa: Erste Impulse setzen – grenzüberschreitende Kooperation mit den Niederlanden und Belgien intensivieren, den europäischen Zusammenhalt fördern, die strukturellen Verknüpfungen ausbauen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 17/1113

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Nolten das Wort.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer in Borken, Kleve, Heinsberg oder Aachen lebt, für den sind Venlo, Roermond oder Lüttich ganz nah. Viele Menschen denken und leben ihren Alltag grenzüberschreitend, wohnen hier, arbeiten dort, kaufen an Feiertagen beim Nachbarn ein.

Es gibt aber noch Barrieren, denn anders kann die geringere Wirtschaftsleistung in den Grenzräumen nicht erklärt werden. Fragen wir uns, was jeder Einzelne von uns vom Baurecht, vom Schulwesen, vom Gesundheitswesen oder von den politischen Entscheidungsprozessen bei den Nachbarn weiß. Dabei bergen die kulturelle Vielfalt, andere Planungs- und Gestaltungsansätze in der Wirtschafts- und Strukturpolitik, vor allem aber in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik Chancen – Chancen für uns alle.

Wir wollen, dass vor allen Dingen die jungen Menschen diese Chancen nutzen.

Hierfür ist sprachliche Kommunikationsfähigkeit von Bedeutung. Wer wohnt auf der deutschen Seite der Grenze und spricht Niederländisch? Unser Kollege Bergmann ist da sicherlich eine rühmliche Ausnahme.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Nadja Lüders [SPD]: Nein!)

Mit einem Tag der niederländischen Sprache in den Schulen und in den Kommunen könnten wir einen Impuls setzen. Denkbar sind auch das Lernen in Sprachtandems außerhalb der Schule und längere Austauschaufenthalte im Nachbarland.

Europaschulen, wie es sie mittlerweile zahlreich im Grenzland gibt, lenken zwar den Blick über die Grenzen, aber erst die Euregioprofilschulen haben Partner auf der anderen Seite. Leider fehlt ihnen größtenteils das Lehrmaterial.

Vielleicht sind Dependance-Schulen, Lehrerpools, Module zur Kultur und Geschichte des Nachbarn bis hin zu Doppelabschlüssen realisierbare Chancen und Optionen.

Auch bei der Ausbildung können wir mehr tun – mit berufsbezogenen e-Learning-Modulen, mit Euregio-Kompetenzpraktika, mit strukturierten Aufbaulehrgängen, wenn wichtige Inhalte in der Ausbildung fehlen. Wir wollen interessierten niederländischen und belgischen Auszubildenden die Möglichkeit geben, in deutschen Berufsschulen Module zu besuchen, damit sie leichter in den regionalen Arbeitsmarkt eintreten können.

Es gibt etwa 3.000 unterschiedliche Berufe. 95 % davon sind nicht reglementiert. Wenn also der niederländische Anstreicher einen Job sucht, dann bekommt er über EURES, über die entsprechenden Grenzgänger-Infopunkte Informationen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche und Aufnahme der Arbeit.

Wir müssen aber den Blick noch weiter lenken auf die 150 reglementierten Berufe. Besonders in den Bereichen Bildung, Erziehung und im Gesundheitswesen variieren die Ausbildungsinhalte und -zeiten in den einzelnen Ländern sehr stark; der Landtag hat vor zwei Jahren intensiv darüber diskutiert.

Es wäre sinnvoll, etwas von den Niederlanden zu lernen – nicht beim Fußball, sondern insbesondere bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen.

(Heiterkeit von Nadja Lüders [SPD])

Die Anerkennung läuft dort nämlich tatsächlich deutlich schneller, zielführender und pragmatischer ab. Da müssen wir mehr tun.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zum Schluss zur Hochschulbildung. Allein in der Euregio Maas-Rhein sind über 120.000 Studierende an den verschiedenen Hochschulen eingeschrieben, weitere Hunderttausende im näheren und weiteren Umfeld. Wir wünschen mehr Unterstützung für internationale Bachelor- und Masterstudiengänge über neue Europa-Studiengänge, über das Programm „Erasmus+“ hinaus.

Warum muss ein Bonner Student, der im Rahmen des Double-Degree-Programms auch an der Universität Wageningen studiert, zweimal – hier wie dort – Semesterbeiträge bezahlen? Was unsere benachbarten Bundesländer angeht, greift eine Ausnahmeregelung. Trotzdem ist für den Bonner Agrarstudenten Wageningen näher als jede andere vergleichbare Agrar-Fakultät in Deutschland.

Wenn ich einen Wunsch frei hätte – es geht auf Weihnachten zu –, wünschte ich mir, wir arbeiteten an der Harmonisierung der Semesterzeiten. Im regulären Zeitplan bekommen wir faktisch keine internationalen Summer Schools hin. Also: Weg mit unserem deutschen Sonderweg, wie es auch die KMK schon mehrfach gefordert hat! Her mit verbindlichen Umrechnungsschlüsseln für die Noten!

Die Euregios sind im Bildungsbereich hervorragende „Labore für Europa“. Die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit müssen wir für den Fall sichern, dass es keine Fortführung der Projekte im INTERREG-VI-Programm für sie gibt. Wir wissen, dass die Euregios einige trennende Regelungen nicht selbst ausräumen können. Das muss das Land tun.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, die Redezeit.

Dr. Ralf Nolten (CDU): Wir wollen dies mit Nachdruck angehen und laden alle, denen vitale Grenzregionen und das gemeinsame Europa am Herzen liegen, zur Mitarbeit ein. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Nolten. – Für die FDP hat der Kollege Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es gibt Anträge, da freut man sich, wenn man dazu reden darf, und dies ist ein solcher Antrag. Denn wie oft wird – zu Recht oder auch zu Unrecht – Kritik an der Europäischen Union geäußert? Gerade Populisten tun sich damit hervor, Europa für alles Mögliche verantwortlich zu machen.

Dabei, meine Damen und Herren, wird leichtfertig vergessen, dass es die Europäische Union ist, die dafür sorgt, dass wir so lange wie keine Generation vor uns in Frieden und Freiheit zusammenleben können.

(Lachen von Christian Loose [AfD])

Daher, meine Damen und Herren, freut es mich als überzeugter Europäer, wenn wir heute mit unserem Antrag Europa wieder ein Stück besser machen und Europa wieder mehr in die Herzen der Bürgerinnen und Bürger bringen.

(Beifall von der FDP)

Ich selbst komme aus der Grenzregion. Ich wohne 3 km Luftlinie von den Niederlanden entfernt. Die nächstgrößere Stadt ist für mich nicht Mönchengladbach, sondern Venlo. Dort habe ich auch studiert. Wir in der Grenzregion leben Europa tagtäglich. Die Menschen wissen, wo gerade der Sprit oder der Kaffee billiger ist oder welche anderen Lebensmittel beim Nachbarn oder daheim günstiger sind. Wir genießen es, bei unserem Nachbarn Produkte einzukaufen, die es bei uns in der Form vielleicht gar nicht gibt.

Aber, meine Damen und Herren, immer wieder stoßen wir in den Grenzregionen auch an Grenzen. Dies ist nicht mehr wie früher die Grenzschranke, sondern es sind rechtliche Schranken, es sind Gesetze, Verordnungen und andere Regelungen, Hemmnisse und fehlende Verknüpfungen, die den Menschen im Wege stehen, um im Nachbarland zur Schule gehen, den Kindergarten nutzen, eine Ausbildung absolvieren oder einen Arbeitsplatz annehmen zu können.

Meine Damen und Herren, diese Schranken werden wir in der NRW-Koalition konsequent beseitigen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb liegt Ihnen heute hier als erster wichtiger Schritt ein Antrag von CDU und FDP vor. Wir haben bewusst als Erstes Themen angesprochen, die gerade unsere jungen Bürgerinnen und Bürger betreffen. Wir wollen dafür sorgen, dass sie mehr miteinander kommunizieren, dass sie mehr vom Nachbarn erfahren, dass sie dort aufgrund der Freiheiten, die sie haben, beispielsweise die Möglichkeiten nutzen können, eine Ausbildung zu machen.

Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir hiermit Europa ein Stück besser machen. Wir freuen uns, wenn Sie diesen Weg mitgehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD hat nun der Abgeordnete Weiß das Wort.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich die schwarz-gelbe Landesregierung zu ihrer Lernfähigkeit beglückwünschen. Sie hatten einige Jahre Zeit, um von der damaligen rot-grünen Landesregierung zu lernen, wie vorbildliche Regionalpolitik funktioniert. Diese Zeit – das muss man anerkennen – haben Sie offenbar genutzt. Nichtsdestotrotz mangelt es Ihrem Antrag an zwei grundlegenden Eigenschaften. Es mangelt ihm an Innovation, und es mangelt ihm an Präzision. Lassen Sie mich Ihnen erklären, wieso.

An Innovation fehlt es Ihrem Antrag, weil er lediglich die Stoßrichtung der Benelux-Strategie der letzten SPD-geführten Landesregierung übernimmt.

(Dr. Werner Pfeil [FDP]: Die es nicht umgesetzt hat!)

Auch wenn das eine erfreuliche Feststellung ist, muss man sich doch fragen, wo genau die ersten Impulse in diesem Antrag gesetzt werden.

Die Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen war von Anfang an ein expliziter Teil der Benelux-Strategie der rot-grünen Landesregierung.

(Dr. Werner Pfeil [FDP]: Was immer noch ein Problem ist!)

Die wichtigen Impulse zu diesem Thema wurden also bereits vor Jahren von uns gesetzt.

Die SPD-Fraktion – das sollten Sie auch wissen – hat übrigens erst im vergangenen Jahr zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Antrag zur Benelux-Strategie gestellt und im Rahmen dessen eine Anhörung von Sachverständigen abgehalten. Dabei wurde die Strategie von allen, besonders von den niederländischen Verbänden, ausdrücklich und als vortrefflich gelobt. Die Empfehlung der Sachverständigen war damals – das ist noch gar nicht so lange her –, alle Energie auf die Umsetzung dieser Strategie anzuwenden.

Hätten die Fraktionen von CDU und FDP die damalige Debatte etwas genauer verfolgt, hätten sie auch mitbekommen, dass das Problem, das sie in ihrem Antrag lösen wollen, nicht die gegenseitige Anerkennung ist, sondern die Einstufung der jeweiligen Abschlüsse. Um die Sachverständigen von damals zu zitieren: Der Teufel steckt im Detail. – Insofern sollten Sie sich schon die Mühe machen, diese Details bis in die letzten Verästelungen zu lesen, bevor Sie mit vagen Anträgen kommen, die mehr Fragen hervorrufen als Lösungen präsentieren.

Das bringt mich direkt zu meinem zweiten Punkt: Ihrem Antrag fehlt es an Präzision. Was genau will die Landesregierung in Bewegung setzen? Die Überschrift Ihres Antrags lässt erst einmal vieles vermuten: Kooperationen intensivieren, Zusammenhalt fördern und Verknüpfungen ausbauen. – So weit, so gut. Diese Ziele decken sich in der Tat auch mit der Benelux-Strategie der von mir bereits erwähnten ehemaligen rot-grünen Landesregierung.

Im fortlaufenden Text bemängeln Sie dann die Existenz von grenzbezogenen Hemmnissen. Wer aber auf Antworten und Lösungsvorschläge in Ihrem Antrag hofft, wird enttäuscht. Kein Wort davon! Alles, was Sie vorschlagen, ist: prüfen, sondieren, Erfahrungen einholen. Was ist Ihr Vorschlag für eine intensivere grenzüberschreitende Kooperation? Wie soll der Zusammenhalt denn gefördert werden? Mit welchen Mitteln sollen Verknüpfungen ausgebaut werden?

Der Antrag enthält so gut wie keine Antworten auf die Fragen, die er selbst aufwirft. Auf der Basis dieses Antrags muss jedenfalls befürchtet werden, dass wir uns alle zusammen im Klein-Klein verlieren. Genau das haben Sie uns heute Vormittag in einem anderen Zusammenhang vorgeworfen.

Grundsätzlich wird sich in Bezug auf die Benelux-Kooperation – wie auch schon in den vergangenen Jahren – kaum etwas durchsetzen lassen, wenn es keine Bewegung auf der Bundesebene gibt. Um diesen Prozess auch in Berlin anzustoßen, sollten Sie doch bitte schön mehr präsentieren als ein paar Infotreffen in den Grenzregionen. Die sind wichtig, die sind richtig, aber da muss noch ein bisschen mehr gehen.

Dass es nach über 60 Jahren europäischer Integration durch nationalstaatliche Grenzen Probleme in einigen Bereichen gibt, lässt sich nicht abstreiten. Wir haben uns in unserer damaligen Verantwortung für den Abbau dieser Probleme eingesetzt, und wir werden unser Engagement auch als Opposition weiterführen. Was wir brauchen, sind in der Tat echte Strategien und keine kurzsichtigen Aktionen.

Aus der besagten Benelux-Strategie der Vorgängerregierung haben Sie sich nun – ich habe es bereits erwähnt – bedient. Das ist auch gut so, das können Sie auch weiterhin tun. Und wenn Sie das schon tun, ist das auch gar nicht mehr so weit bis zum nächsten, bis zum wichtigen Schritt, der fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit. Wir von der SPD sind auf jeden Fall bereit dazu.

Es gibt noch einiges, es gibt noch vieles zu tun, auch wenn in der Vergangenheit viele Fortschritte und Erfolge zu feiern waren. Deshalb möchte ich abschließend festhalten, dass wir uns parteiübergreifend darauf einigen sollten, dass die noch bestehenden Hindernisse überwunden werden müssen. Ich denke, wir haben ausreichend Zeit, im Ausschuss weiter darüber zu diskutieren, und wenn wir das alles zusammen hinkriegen, ist es umso besser. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die Grünen hat nun der Abgeordnete Remmel das Wort.

Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will an den Beitrag des Kollegen Weiß anknüpfen. In der Tat sollten wir gerade bei den Beziehungen zu unserem Nachbarn das Gemeinsame, das Verbindende zwischen den Fraktionen in den Vordergrund stellen. Schließlich macht es keinen Sinn, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Deshalb habe ich mich schon etwas – das muss ich zugeben – an den Formulierungen Ihres Antrags gestoßen, die von ersten Schritten sprechen und damit ausblenden, was in der Vergangenheit unter früheren Landesregierung passiert ist.

Auch die schwarz-gelbe Landesregierung von 2005 bis 2010 hat gut mit unseren Nachbarn zusammengearbeitet, hat Arbeit geleistet, auf die dann die Nachfolgeregierung aufbauen konnte; gar keine Frage. Deshalb sollten wir das Gemeinsame, Verbindende an der Stelle in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen stellen.

Ich rate allerdings auch dringend dazu, aktuelle Entwicklungen mit einzubeziehen. Der Ministerpräsident hat ja einen Auftaktbesuch in den Niederlanden gemacht. In den Niederlanden gibt es eine neue Regierung, die ein neues Regierungsprogramm hat. Es lohnt in der Tat, sich das näher anzuschauen. Insbesondere beim Umwelt- und Klimaschutz setzt die neue Regierung bedeutende Schwerpunkte, auch weil es in den Niederlanden Rechtsverfahren gegeben hat, die einzelnen Bürgern Klagerechte zugestehen, wenn es darum geht, Klimaschutz auch tatsächlich durchzusetzen.

Natürlich haben wir mit unseren belgischen Nachbarn bestimmte Interessenslagen, die intensiv neu zu diskutieren sind, beispielsweise was die Verknüpfung der jeweiligen Energieerzeugung und Energienetze angeht. Wir setzen natürlich auch darauf, erneuerbaren Strom aus Belgien und den Niederlanden zu beziehen und umgekehrt die Leitungen zu verbessern.

Also, es gibt Themen, die neu hinzukommen zu den alten; Sie haben einige in Ihrem Antrag angeschnitten. Die gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn ist für Nordrhein-Westfalen lebensnotwendig – für die Menschen, für die wirtschaftlichen Beziehungen und für die Beziehungen über die Grenzen hinaus. Deshalb unterstützen wir den Grundimpuls und raten dazu, das im Ausschuss zu vertiefen und – vielleicht auch aufgrund eines Berichtes der Landesregierung – an das anzuknüpfen, was bisher geleistet worden ist, und neue Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

In dem Sinne wünsche ich mir an dieser Stelle ein gemeinsames, fraktionsübergreifendes Arbeiten. Davon zeugt auch, dass es weiterhin die Parlamentariergruppe gibt, die sich insbesondere mit der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten auf dieser Ebene beschäftigt.

In diesem Sinne sage ich herzlichen Dank für den Antrag und den Impuls und habe die Hoffnung, daraus nach der Ausschussberatung vielleicht einen gemeinsamen Antrag machen zu können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die AfD hat der Abgeordnete Tritschler das Wort.

Sven Werner Tritschler (AfD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir freuen uns über diesen Antrag, der in vielen Bereichen richtige und wichtige Impulse gibt. Die AfD unterstützt ausdrücklich die vertiefte regionale Zusammenarbeit – gerade in Bildungsfragen –, gibt allerdings auch zu bedenken, dass es hier nicht um eine neuerliche Vereinheitlichung bei der Bildung zulasten von deutschen Bildungsstandards gehen kann. Wiederholen Sie bitte nicht die Bologna-Katastrophe im Bereich der beruflichen Bildung.

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Ebenso begrüßen wir natürlich auch den Abbau bestehender Handelshemmnisse und die daraus entstehenden Chancen für die Wirtschaft in der Grenzregion. Natürlich begrüßen wir es auch, dass der Ansatz der Zusammenarbeit hier ausnahmsweise einmal nicht über den Moloch Brüssel, sondern durch regionale Initiative erfolgen soll.

Wir hätten uns vielleicht noch gewünscht, dass Sie die besonderen Bande unserer Deutschen mit den Menschen in Eupen und Malmedy betont und der Unterstützung der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien einen besonderen Stellenwert eingeräumt hätten.

(Beifall von der AfD – Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

– Keine Angst, wir wollen es nicht wiederholen.

Das kann man ja vielleicht noch nachholen.

In einem Punkt teilen wir Ihre Begeisterung jedoch ausdrücklich nicht. Sie schreiben: „Dank der engen Kooperation ist die Grenze für die Menschen im Grenzraum in vielerlei Hinsicht kaum wahrnehmbar …“. Da haben Sie recht. Das bedeutet aber leider auch, dass sie für Verbrecher und Terroristen nicht mehr wahrnehmbar ist. Das ist kein Grund zur Freude, meine Damen und Herren.

(Beifall von der AfD)

Wenn Sie mit Polizisten aus dem Grenzgebiet sprechen, werden die Ihnen sagen, dass es dort überproportional viel Einbruchskriminalität gibt und dass sich die Täter eben jene Grenze zunutze machen. Wenn man bedenkt, dass die Terroristenbrutstätte Brüssel eine gute Autostunde von NRW entfernt liegt, dann wird aus Ihrer Politik des offenen Scheunentors eine grob fahrlässige Politik.

(Beifall von der AfD)

Nachdem im Rahmen des G20-Gipfels Grenzkontrollen kurzfristig wieder eingeführt wurden – denn Politiker haben im Gegensatz zu Normalbürgern offenbar Anspruch auf den Schutz durch Staatsgrenzen –, wurden bundesweit Hunderte gesuchte Personen und Personen ohne gültigen Aufenthaltstitel festgenommen. Auch Waffen und Drogen wurden in beängstigendem Ausmaß aufgefunden.

Aber das interessiert Sie nicht. Sie wollen es gar nicht wissen. Auf meine Kleine Anfrage vermochte der Herr Innenminister nicht zu sagen, wie viele Kriminelle, wie viele Illegale, wie viele Waffen und Drogen an der deutsch-niederländischen oder an der deutsch-belgischen Grenze in NRW sichergestellt wurden.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, was verschweigen Sie den Menschen im Lande? Warum vertuschen Sie die hässlichen Nebenwirkungen Ihrer Europapolitik? Und warum schreiben Sie solche EU-besoffenen Anträge, während viele Menschen in der Grenzregion ganz andere Probleme haben?

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Erzählen Sie mal!)

Nein, wenn es Ihnen mit Europa wirklich so wichtig ist – und immerhin erzählen Sie uns das bei jeder Gelegenheit –, dann müssen Sie auch die damit verbundenen Risiken aufzeigen und bekämpfen. Aber das fehlt in Ihrem Antrag völlig. Wundern Sie sich daher nicht, wenn die Menschen Ihrem vermeintlichen Friedensprojekt davonlaufen; denn das wird sich nicht ändern, solange Sie nicht ehrlich damit umgehen.

Ihr grenzenloses Europa ist ein grenzenloses Verbrecherparadies.

(Fabian Schrumpf [CDU]: Ach!)

Es dient nicht den Bürgern, es dient Eliten.

(Beifall von der AfD)

Denken Sie besser um, bevor die Errungenschaften, die Sie zu Recht benennen, gemeinsam mit den Verheerungen der EU von den Bürgern beerdigt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Reul in Vertretung von Minister Holthoff-Pförtner das Wort.

Herbert Reul, Minister des Innern: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein Satz vorweg: Dass man ein grenzenloses Europa als grenzenloses Verbrecherparadies beschreibt, macht mich fassungslos!

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Das macht mich fassungslos! Lassen Sie sich von normalen Menschen mal erzählen, was sie an Europa toll finden. Die kommen da auf ganz andere Dinge.

(Roger Beckamp [AfD]: Ja, erzählen Sie mal!)

Die Chancen, die Europa bietet, haben viele Kollegen eben schon richtig beschrieben.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Wir haben deshalb die Zusammenarbeit im Beneluxraum immer als lebendig und vielfältig verstanden. Die Landesregierung hat als privilegierter Partner nicht versehentlich mit der Beneluxunion immer enger zusammengearbeitet und Kontakte gepflegt – auf nationaler Ebene, mit niederländischen Provinzen, mit Regionen und Gemeinschaften Belgiens.

(Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Da braucht es auch keinen Hinweis darauf, dass es dort verschiedene Regionen gibt. Die Zusammenarbeit ist – von welcher Regierung auch immer – stets weitergeführt worden.

(Zuruf von Sven Werner Tritschler [AfD])

Das ist eine gute Historie, auch im Zusammenhang mit der Unterstützung der Euregios in den unmittelbaren Grenzregionen.

Eine Äußerung von Herrn Remmel möchte ich aufnehmen: Es gibt, soweit ich mich auch aus meiner früheren Zeit hier erinnern kann, in diesem Parlament eine große Tradition, die Zusammenarbeit im Beneluxraum zu fördern. Es gab in dieser Hinsicht mal stärkere, mal schwächere Zeiten, aber dass sich alle darum bemühen wollen, ist richtig. Es ist notwendig, dass wir da jetzt noch etwas intensiver einsteigen und uns intensiver um diese Zusammenarbeit kümmern.

Deshalb hat der Ministerpräsident, um ein konkretes Projekt zu benennen, seine erste Auslandsreise auch in das Nachbarland Niederlande unternommen.

(Roger Beckamp [AfD]: Aus den Niederlanden kommt aber niemand hierhin!)

Das war kein Zufall, und daraus sind ganz konkrete Ergebnisse erwachsen.

Wir werden die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Niederlanden intensivieren, die Kooperation gezielter eingehen und die Kenntnisse der Akteure vor Ort über Probleme und Notwendigkeiten besser berücksichtigen. Denn es macht immer Sinn, ganz konkrete Dinge aufzunehmen und nicht irgendwo in Wolkenkuckucksheim zu arbeiten.

Wir werden damit in die Lage versetzt, bei unseren gemeinsamen Regierungskonsultationen konkrete Ziele und Maßnahmen zu definieren, die bei den Menschen in der Grenzregion auch ankommen.

Ein zweites Beispiel: Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, den ich heute vertrete, ist zu Beginn der Woche nach Maastricht gereist, um gemeinsam mit dem von der niederländischen Nationalregierung benannten Vertreter ganz konkrete erste Schritte dazu festzulegen, wie wir die umfangreichen Kooperationen über die Grenzen hinweg noch effektiver bündeln und ihnen neue Dynamik verleihen können.

Die Kooperation mit dem gesamten Beneluxraum bzw. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist ein Kernanliegen der Europapolitik dieser Landesregierung, weil sie konkret ist und weil sie unsere Grenzgebiete betrifft. Das spiegelt sich nicht nur im Koalitionsvertrag wider, sondern auch in dem vorliegenden Antrag der beiden Regierungsfraktionen, dessen Inhalt ich zu 100 % begrüße.

Natürlich bedeutet Europa auch, dass es Schwierigkeiten und Probleme gibt. Offene Grenzen führen zu Problemen bei der Kriminalitätsentwicklung. Die Antwort darauf ist aber nicht, die Grenzen zu schließen und sich abzuschotten. Die Antwort ist, eine kluge polizeiliche Zusammenarbeit zu organisieren.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Roger Beckamp [AfD])

Falls Sie da nicht alles mitbekommen: Es hat vor Kurzem, vor wenigen Wochen, eine gemeinsame Fahndungslage mit den Niederlanden gegeben. Im Bereich von strategischer Fahndung wird es auch noch mehr Überlegungen geben, wie wir zusammenarbeiten können. Da ist noch lange nicht alles erreicht, was wir erreichen wollen. Darin steckt nämlich Potenzial. Es wird aber auch schon gemacht.

Bei der Arbeitsmobilität ist die Zusammenarbeit zwingend notwendig und wichtig. Zur Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen von bestimmten Berufsgruppen – ich will nicht das wiederholen, was eben hier schon vorgetragen wurde – treiben wir den Fachdialog voran und versuchen, auch die Akteure der Kammerorganisationen einzubeziehen.

Wie es im Antrag steht, möchten wir auch die Beziehungen zu Beginn der Schulzeit aufgreifen. Es ist völlig richtig: Bei der Zusammenarbeit von Schule und Hochschule ist die grenzüberschreitende Kooperation von höchster Bedeutung. Da gibt es schon einiges, aber auch noch Nachhol- und Verbesserungsbedarf.

In diesem Bereich sind schon konkrete Vorschläge gemacht worden. Ich gehe davon aus, dass der Antrag an dieser Stelle in die richtige Richtung weist. Die Landesregierung ist an der Arbeit. Sie wird das, was hier gemeinsam beschlossen und erarbeitet    

 

wird, dann auch konkret umsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Minister Reul. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe daher die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/1113 an den Ausschuss für Europa und Internationales – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Bildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD, die Grünen, die CDU, die FDP und die AfD. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit haben wir diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung angekommen.

Das Plenum berufe ich wieder ein für morgen, Freitag, den 17. November 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19.02 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

 

 

 

Anlage 1

Zu TOP 9 – Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern verhindern – zu Protokoll gegebene Reden

Björn Franken (CDU):

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Grünen haben mit dem vorliegenden Antrag ein Thema aufgebauscht und in einer Art dargestellt, die der aktuellen Situation in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen in keiner Weise gerecht wird.

In den letzten Jahren hat Deutschland einen großen Akt der Humanität geleistet. Mehrere Hunderttausend geflüchtete Menschen aus zahlreichen Ländern haben in Deutschland – und gerade auch in Nordrhein-Westfalen – Sicherheit und Zuflucht gefunden. Dies ist nur durch das große Engagement der Bürgerinnen und Bürgern möglich – und auch Politik, sowie die Mitarbeiter von Verwaltungen und Behörden tragen ihren Teil dazu bei, dass diese Herausforderung gelingt.

Es ist breiter Konsens in Gesellschaft und Politik, dass es richtig ist, Schutzsuchenden Obdach in unserem Land zu gewähren. Zahlreiche Vereine, Schulen, die Wirtschaft und ehrenamtliche Helfer und Helferinnen, leisten tagtäglich einen großen Beitrag dazu.

Abschiebung beziehungsweise Rücküberstellung sind ein sensibles Thema, mit dem wir uns sehr differenziert auseinander setzen sollten. Die Art und Weise, wie Sie sich jedoch dem Thema annähern, ist so nicht angebracht und ist vollkommen überzogen. Die Menschen, die von Verfolgung bedroht sind und denen in ihren Herkunftsländern Gefahr droht, müssen wir aufnehmen und ihnen Integrationshilfen bereitstellen. Dies geschieht auch, doch davon erwähnen Sie im Antrag kein Wort.

Es gilt aber auch, dass die Regeln des Rechtsstaates für Flüchtlingen genauso verbindlich angewendet werden müssen, wie in allen anderen Rechtsbereichen. Wer nach den Gesetzen unseres Landes das Recht auf Schutz hat, dem wird dieser auch gewährt.

Es muss aber auch klar sein, dass der, der nicht schutzberechtigt ist, oder unsere Gesetze missachtet, das Land möglichst zeitnah wieder verlassen muss. Hier müssen wir – auch im Sinne der tatsächlich schutzbedürftigen Menschen – konsequent handeln. Die Landesbehörden gehen dabei konsequent, aber maßvoll vor.

Die NRW-Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag in erster Linie darauf verständigt, die freiwillige Ausreise zu fördern. Wird diese Möglichkeit der freiwilligen Ausreise jedoch nicht genutzt, muss klar sein, dass das geltende Recht angewendet wird und Ausreisepflichtige konsequent abgeschoben werden.

Die Landesregierung hat sich auch dazu entschlossen, dass das Abschiebungshaftvollzugsgesetz praxisgerecht angepasst wird. Wer im Asylverfahren vorsätzlich falsche Angaben macht oder eine ausreichende Mitwirkung unterlässt, muss eine spürbare Sanktion erfahren.

Wir haben Gesetze und klare Vorgaben, die Abschiebungen und Rücküberstellungen regeln. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen handeln nach diesen Regeln. Dabei findet vonseiten der zuständigen Landesbehörden ein ständiges Abwägen der Verhältnismäßigkeit der Mittel statt.

Dabei wird gerade bei Familien und Kindern größte Rücksicht von den Beamtinnen und Beamten genommen. Die Belastungen bei der Abschiebung oder Rücküberstellung werden so gering wie möglich gehalten. In einer Großzahl der Fälle erfolgen die Maßnahmen auf Grundlage einer freiwilligen Ausreise. Ich möchte aber auch betonen: Es gibt Situationen in denen die Behörden keine andere Möglichkeit mehr haben, als die des schnellen Zugriffs.

Im Januar 2016 wurde mit einem Runderlass des damaligen Innenministers die Abschiebung von Familien mit Kindern zur Nachtzeit geregelt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Daneben bitte ich die nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden vor diesem Hintergrund, ggf. in Abstimmung mit den zuständigen Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) und/oder speziell der Zentralstelle für Flugabschiebungen des Landes Nordrhein-Westfalen (ZFA), Abschiebungsmaßnahmen bei Familien mit Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich unter Ausschöpfung entsprechender Handlungsspielräume nicht in der Zeit zwischen 21:00 – 06:00 Uhr zu beginnen. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, sind die Gründe aktenkundig zu machen.“

Auch unter Rot-Grün ging man also davon aus, dass in Einzelfällen nicht vermeidbar ist, in diesem Zeitrahmen abzuschieben oder zurückzuführen. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen sprechen im vorliegenden Antrag davon, dass Abschiebungen und Rücküberstellungen in der Nachtzeit zu vermeiden sind.

Damit sind wir ganz bei Ihnen. Doch auch im angesprochenen Fall – der im Übrigen noch unter rot-grüner Verantwortung bearbeitet wurde – hat man nicht gegen den oben genannten Runderlass gehandelt und die Landesregierung verweist in diesem Zusammenhang auf die entsprechende Dokumentation.

Dieser Antrag geht an den Tatsachen vorbei und blendet – mit Blick auf einen Einzelfall – aus, was Deutschland und Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren geleistet haben. Dieser Antrag ist reißerisch und überflüssig; denn den bestehenden Regelungen wird bereits heute von den Behörden nachgekommen.

Sie leisten denen einen Bärendienst, die sich tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagieren, indem Sie diesen Einzelfall skandalisieren und zu Ihren politischen Zwecken missbrauchen.

Daher ist Ihr Antrag abzulehnen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ellen Stock (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von uns können sich wahrscheinlich lebhaft vorstellen, wie grausam es sein muss, als mehrköpfige Familie mit teils sehr kleinen Kindern nachts von den Behörden aus dem Schlaf gerissen und mit kaum mehr als dem Nötigsten unter Zwang aus dem Land geschafft zu werden.

Vor allem die Eltern unter uns werden nachfühlen können, wie sehr die Kinder von einem solchen nächtlichen Ereignis beeinträchtigt werden, wie schwer es ihnen fällt, aus dem Tiefschlaf zu erwachen und sich zu orientieren – viel schwerer als uns Erwachsene –, wie wichtig es für sie ist, sich in Sicherheit zu fühlen, wie traumatisch es für sie ist, unverhofft dieser Sicherheit beraubt zu werden, und wie groß die Angst der Kleinen sein muss, wenn so etwas passiert.

Kinder verstehen unsere Erwachsenenwelt nicht in Gänze und viele Dinge ängstigen sie. Eine solche Erfahrung kann ein Kind nachhaltig traumatisieren und seine Psyche ernsthaft angreifen. Vielleicht werden sie monatelang nicht mehr schlafen können, nachts weinend aufwachen oder gar schlimmere seelische Probleme entwickeln.

Weil wir all das wissen, weil wir das Leiden der Kinder so gering wie möglich halten müssen und sie keiner unnötigen Grausamkeit aussetzen dürfen, hat der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger – wie im Antrag der Grünen erwähnt – bereits im vergangenen Jahr erlassen, dass Abschiebungen für Familien mit Kindern unter 14 Jahren grundsätzlich unter Ausschöpfung entsprechen-der Handlungsspielräume nicht in der Zeit zwischen 21:00 und 06:00 Uhr beginnen sollen. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, so will es der Erlass, sind die Gründe aktenkundig zu machen.

Im Prinzip diskutieren wir hier also über eine völlig eindeutige Lage: Nur in seltenen Ausnahmefällen dürfen Familien mit Kindern in der Nacht abgeschoben werden und das nur mit guten Gründen.

„Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“ – Dieses bekannte Bonmot von Gustav Heinemann, welches auch noch anderen Politikern zugeschrieben wird, trifft hier in vieler Hinsicht zu. Denn, gleichgültig woher die Familie stammt, aus welchen Gründen und wohin sie abgeschoben wird, gleichgültig weshalb sie sich gegen eine freiwillige Rückkehr entschieden hat und wie oft sie vorgewarnt wurde: Diese Familien sind schwach; denn sie haben keine Heimat mehr, kein sicheres Heim, keine Selbstbestimmung, kein eigenes Auskommen. Und sie können nicht einmal ihre schwächsten Mitglieder effektiv beschützen: die Kinder. Die Kleinen können am wenigsten für ihre missliche Situation und leiden am meisten darunter. Sie brauchen Stabilität und Sicherheit.

Wenn wir es also nicht schaffen, diese Schwächsten unter den Schwachen vor unnötigen Strapazen zu beschützen und ihnen wenigstens ein wenig Würde und Menschlichkeit zuzugestehen, dann ist das kein gutes Zeugnis für uns, unseren Wert als humane Gesellschaft und unseren modernen Rechtsstaat.

Wir diskutieren hier heute gar nicht über Abschiebungen im Allgemeinen. Das hat sicherlich woanders seinen Ort und seine Berechtigung. Wir diskutieren hier darüber, dass geltende Erlasse missachtet werden, obwohl es dem Kindeswohl, internationalen Konventionen und auch unseren eigenen Ansprüchen an unsere Gesellschaft und unser staatliches Handeln massiv entgegensteht.

Unsere Fraktion legt großen Wert darauf, dass diese Punkte beachtet werden. Wir begrüßen deshalb den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und stimmen ihm zu. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Stefan Lenzen (FDP):

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Niemand schiebt gerne kleine Kinder ab. Zumindest keiner, der westeuropäischen Zivilisationsstandards genügt. Wenn Sie uns von der FDP dies unterstellen wollen, sind Sie komplett an der falschen Adresse. Wir werden – genauso wie die rot-grüne Vorgängerregierung – alles tun, um die Abschiebung von Kindern zu vermeiden.

Der Minister hat im Ausschuss deutlich gemacht, dass sich zur Praxis der rot-grünen Regierung bei der Abschiebung von Familien überhaupt nichts verändert hat. Wenn Sie also unser heutiges Handeln kritisieren, dann verurteilen Sie im Grunde genommen sich selbst, die sie in den vergangenen Jahren auch ab und an gezwungen waren, Minderjährige nächtlich abzuschieben.

Zum Vorgehen der vorherigen Landesregierung hat sich überhaupt nichts geändert. Die einschlägigen Erlasse sind weiterhin in Kraft und werden im Handeln der Exekutive buchstabengetreu umgesetzt. Ihr Antrag entbehrt also jeglicher Grundlage und wird deshalb von uns abgelehnt.

Ich muss Ihnen mitteilen, dass wir diesen Antrag, der anderes unterstellt, als Beleidigung empfinden. Die Menschenrechte wurden überall auf der Welt von Liberalen erkämpft und durchgesetzt. Uns zu unterstellen, wir würden diese Rechte leichtfertig aufs Spiel setzen, ist eine bodenlose Frechheit. Wir schieben nur dann ab, wenn wir dazu gezwungen werden, weil Ausreisepflichtige nicht freiwillig unser Land verlassen. Denn das Recht muss durchgesetzt werden, wenn der Rechtsstaat Bestand haben soll. Und das Recht gilt für jedermann – gleich ob arm oder reich, ob Bürger oder Flüchtling.

Wann immer es geht, werden wir nächtliche Abschiebungen von Familien vermeiden.

In vollkommener Übereinstimmung mit Ihrem Regierungshandeln und Ihrer Erlasse werden wir aber nächtliche Abschiebungen dann durchführen, wenn das zwingend notwendig ist, um eine Rückführung überhaupt durchführen zu können. Nur dann werden wir dies tun, wenn es anders nicht möglich ist, Menschen, die kein Recht haben, sich in unserem Land aufzuhalten, zurückzuführen.

Wir werden nur dann nächtliche Abschiebungen von Familien veranlassen, wenn es gar nicht anders geht. Es kann sein, dass die Ausreisepflichtigen selbst uns dazu zwingen, weil sie sich der Ausreise entziehen – und eine nächtliche Abschiebung einer Trennung von Familien oder Abschiebehaft vorzuziehen ist. Oder es kann sein, dass, wie in dem von Ihnen beispielhaft angeführten Fall der Familie D. aus Essen, die uns vorgegebenen Bedingungen des Aufnahmelandes zur Übernahme von Flüchtlingen eine nächtlichen Einsatz nötig machen, weil sonst gar nicht zurückgeführt werden kann.

Für all diese Fälle haben Sie in Ihren Erlassen Vorsorge getragen und die Möglichkeit der nächtlichen Rückführung offen gelassen. Und es ist auch exakt dasselbe, was sie tatsächlich getan haben, als Sie noch Regierungsverantwortung getragen haben. Familien in Nordrhein-Westfalen bekommen sogar eine zweite Aufforderung zur freiwilligen Ausreise – verbunden mit der klaren Warnung, dass andernfalls die Abschiebung die zwangsläufige Folge ist.

Weil das Recht auch bei denen angewandt werden muss, die kein Recht auf Aufenthalt in unserem Land haben. Weil das Recht eben für jedermann gilt – ohne Ansehen der Person. Denn ein Recht, das für alle gleich gilt, ist die Grundlage unserer Gesellschaft, unserer Demokratie und unsere Zivilisation.

Berivan Aymaz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Immer wieder kommt es zu Fällen, bei denen Familien mit Kindern mitten in der Nacht aus Unterkünften abgeholt und zum Flughafen gebracht werden, um anschließend in ihr Herkunftsland oder im Rahmen eines Dublin-Verfahrens ins Ankunftsland rücküberstellt zu werden.

Die nächtliche Uhrzeit begründen die Behörden oft mit Flugzeiten und dem Argument des Überraschungseffektes. Dabei können diese Aktionen gravierende Folgen für die Betroffenen haben.

Nächtliche Abschiebungen und Rücküberstellungen sind insbesondere für Kinder beängstigende Erfahrungen. Sie widersprechen dem Kindeswohl und verstoßen gegen die UN-Kinderrechts­konvention, nach der das Wohl des Kindes bei jedem Verwaltungshandeln vorrangig zu berücksichtigen ist.

Zudem wiederspricht ein solches Vorgehen dem Erlass vom 13. Januar 2016, mit dem die rot-grüne Landesregierung klarstellte, dass Abschiebungsmaßnahmen von Familien mit Kindern unter 14 Jahren „grundsätzlich unter Ausschöpfung entsprechender Handlungsspielräume nicht in der Zeit zwischen 21:00 bis 06:00 Uhr“ begonnen werden sollen.

Diese Lage wurde durch den Erlass vom 17. November 2016, der aus einer „Checkliste zur Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg“ besteht, noch mal bestätigt.

Demnach sind unvermeidliche Beeinträchtigungen und Belastungen einer Abschiebung für die Betroffenen auf ein Mindestmaß zu reduzieren und Abläufe und das Zusammenwirken der beteiligten Behörden zu optimieren. Und bei der Abschiebung wird dem Schutz von Ehe und Familie, insbesondere der Familieneinheit, grundsätzlich Rechnung getragen.

An Herrn Minister Stamp appelliere ich, seiner Verantwortung als Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration gerecht zu werden und den Schutz der Schwächsten – nämlich Kinder von Geflüchteten – sicherzustellen und sich dafür auch bei seinen Länderkollegen stark zu machen.

Bei Abschiebungen und Rücküberstellungen muss das Kindeswohl im Vordergrund stehen. Vor diesem Hintergrund müssen Abschiebungen und Rücküberstellungen von Familien mit Kindern zur Nachtzeit unbedingt vermieden werden.

Abschiebungen ohne vorherige Ankündigung sind aus unserer Sicht inakzeptabel und entsprechen nicht unserem Verständnis von einem humanitären Umgang mit Menschen, die bei uns Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Viele Geflüchtete kommen aus Ländern, in denen das Regime nachts zugreift, um zu verschleppen und zu foltern. Die psychischen Wunden werden durch nächtliche Abschiebungen wieder aufgerissen.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD):

Vor jeder Abschiebung gibt es zahlreiche Aufforderungen zur Ausreise. Jeder Ausreisepflichtige und insbesondere Familien werden informiert und beraten, sowohl von der Verwaltung als auch von verschiedenen Sozialverbänden.

Gerade eine Familie trägt in dieser Zeit eine große Verantwortung bei ihrer Entscheidung.

Fragwürdig scheint mir die Qualität der Beratungen, vor allem die, dahin gehend beraten, es auf eine Abschiebung ankommen zu lassen, statt Hilfen für eine geordnete Rückführung anzunehmen, die es durchaus ja auch gibt, und deren Ausweitung wir ausdrücklich zustimmen.

In NRW leben derzeit über 60.000 Menschen die sofort ausreisepflichtig sind. Der zügigen Ausreise dieser Personen sollte ihre Aufmerksamkeit gelten, jedem Einzelnen und jeder Familie, um Abschiebungen so weit wie möglich zu vermeiden, aber wenn notwendig, selbstverständlich unter Beachtung der Erlasse vom 13.1. und 17.11.2016 durchführen zu können.

Rückführungen und in letzter Konsequenz natürlich auch Abschiebungen sind Teil der Asylgesetzgebung.

Ohne Rückführung derer, die kein Bleiberecht haben, ist das Asylrecht weder in seiner rechtlichen Form und schon gar nicht in der in den letzten Jahren praktizierten Form für unser Land finanzierbar und gesellschaftlich tragbar.

Dass die Grünen das ganz anders sehen, ist bekannt. Ihnen geht es doch gar nicht um diesen Einzelfall, in dem die Verwaltung offenbar alle Möglichkeiten geprüft hat. Es geht ihnen darum, jeden, der kommen möchte, mit offenen Armen aufzunehmen. Prüfungen des Bleiberechts halten Sie für eine Zumutung, Rückführung ist allenfalls auf freiwilliger Basis akzeptabel und Abschiebungen sind des Teufels.

Es ist bedauerlich, dass Sie sich der öffentlichen Debatte über diesen sinnfreien Antrag im Parlament nun entziehen. Dass sie diesen Antrag gestellt haben, gibt mir einen Eindruck davon, wie schwierig die Sondierungsgespräche zwischen ihnen und der CSU sein müssen. Ich hoffe, auch dieser Antrag zeigt ihren möglichen Regierungspartnern in Berlin, dass Neuwahlen oder eine Minderheitenregierung vernünftiger wären.

Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration:

Bei der Umsetzung der Ausreisepflicht ist es uns in Nordrhein-Westfalen wichtig, nicht nur konsequent, sondern auch rücksichtsvoll vorzugehen.

Bei Vorliegen besonderer humanitärer Gründe – wie dies z. B. bei Familien mit Kindern der Fall ist – sollen Betroffene daher vor dem geplanten Abschiebungstermin informiert werden, dass ihre Abschiebung zeitnah bevorsteht und davon nur dann abgesehen werden kann, wenn sie glaubhaft machen, nunmehr von einer freiwilligen Ausreise Gebrauch zu machen.

In Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen darf der konkrete Termin dabei nicht genannt werden. Zum Schutz der Kinder sind die nordrhein-westfälischen Ausländerbehörden außerdem gehalten, Abschiebemaßnahmen bei Kindern unter 14 Jahren unter Ausschöpfung entsprechender Handlungsspielräume nicht in der Zeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr zu beginnen. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, sind die Gründe aktenkundig zu machen. Dadurch ist jeder Einzelfall dokumentiert und überprüfbar.

Die Ausländerbehörden waren und sind stets bestrebt, entsprechend dieser Grundsätze eine für den jeweiligen ausreisepflichtigen möglichst rücksichtsvolle Rückkehr zu gewährleisten.

Gleichwohl gibt es Rahmenbedingungen, die für die Ausländerbehörden nicht beeinflussbar sind und eine Rückführung außerhalb des genannten Zeitfensters im Einzelfall nicht zulassen. Gerade bei Rückstellungen im Rahmen der Dublin-III- Verordnung sind die Behörden an Rahmenvorgaben gebunden, die die jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten bei einer Rücküberstellung vorgeben. Innerhalb dieser Rahmenvorgaben werden die Handlungsspielräume durch konkrete Zeitfenster und Flugzeiten eingeschränkt.

Trotz sorgfältiger Prüfung der Zentralstelle des Landes NRW für Flugabschiebungen (ZFA) in Bielefeld kann es in Einzelfällen vorkommt, dass sich kein Flugzeiten finden lassen, dies den Ausländerbehörden ermöglichen, Abschiebemaßnahmen außerhalb der Nachtzeit beginnen zu lassen.

Denn bei der Entscheidung über die Durchführung einer Abschiebung ist eine Vielzahl von Faktoren maßgeblich, welche unter- und gegeneinander abgewogen werden müssen. So gilt es bei jeder Abschiebung neben den einschneidenden Auswirkungen auf die rückzuführenden Personen immer auch logistische und organisatorische Aspekte zu bedenken – zum Beispiel verfügbare Flüge, Abflug- und Ankunftszeiten oder auch zeitnah Möglichkeiten der Weiterfahrt im Zielland. Für solche Fälle sieht der Erlass ausdrücklich eine Dokumentationspflicht unter Angabe der Gründe vor.

Mit dem Erlass vom 17. November 2016 wurde den Ausländerbehörden eine Checkliste zur Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg zur Anwendung in der Praxis bekannt gegeben. Durch die Verwendung der Checkliste sollen die unvermeidlichen Beeinträchtigungen und Belastungen einer Abschiebung für die Betroffenen auf ein Mindestmaß reduziert und die Abläufe und das Zusammenwirken der beteiligten Behörden optimiert werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass Rückführungen für alle am Verfahren beteiligten Personen immer eine besondere emotionale Belastung darstellen, setzen wir hier in Nordrhein-Westfalen vorrangig auf die freiwillige Rückkehr. Sie ist gerade auch für Familien die schonende und weniger belastende Maßnahme.

So weit das Fachpolitische.

Eines möchte ich aber auch noch ganz grundsätzlich sagen: Wir sind uns sicher einig, dass es Abschiebungen erst gar nicht geben sollte. Deshalb benötigen wir dringend eine Neuordnung der Migrationspolitik. Wir brauchen hier dringend die nötigen Impulse und Anstrengungen, auch wenn das schwierige Debatten sind. Die müssen wir jetzt führen. Das wünsche ich mir auch von Ihnen, meine Damen und Herren von den Grünen. Wir müssen endlich alle Einwanderung und aufenthaltsbezogenen Regelungen in einem Einwanderungsgesetz Buch klar, verständlich und systematisch zusammenfassen.

Der Flickenteppich gerade der vergangenen Jahre, in denen es durchschnittlich nahezu alle paar Monate neue punktuelle und häufig unsystematische, mehr Einzelfall- als Konzept orientierte Änderungen des Aufenthalts- und des Asylrechts gab, muss der Vergangenheit angehören.

Als Einwanderungsland benötigt Deutschland vernünftige Regelungen. Ich will das voranbringen, und ich würde mich dabei über Ihre Unterstützung freuen. – Vielen Dank.

 

Anlage 2

Zu TOP 11 – Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Reden

Serdar Yüksel (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, am 16. Juni 2016 hatten sich Bund und Länder auf eine Übernahme der Kosten für die Unter­kunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutzberech-tigte im SGB II durch den Bund für die Jahre 2016 bis 2018 verständigt.

Für die Weiterleitung des vorgesehenen Bestand­­teils der Bundesbeteiligung zur Entlastung von den flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft fehlte es bislang an einer Regelung im AG-SGB II NRW, welche die diesbezüglich unterschiedlichen finanziellen Belastungen der Kommunen berück-sichtigt und eine bedarfsgerechte Verteilung ermöglicht.

Diese notwendige gesetzliche Anpassung erfolgt durch Novellierung des AG-SGB II NRW mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.

Am 8. November haben wir im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Gesetz-entwurf einstimmig angenommen. Insbesondere vor den Hintergrund, dass die kommunalen Spitzenverbände zuvor den Gesetzentwurf be-grüßt hatten, war eine Annahme des Gesetzentwurfs folgerichtig.

Für uns als Sozialdemokraten war von Anfang an klar, dass die Kommunen bei der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge unterstützt werden müssen und dass ein symbolisches „Wir schaffen das“ allein nicht ausreichen kann.

Auf unsere Initiative hin werden die Kommunen nun endlich in diesem Bereich entlastet. Wir sind froh, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unser Appell endlich Berücksichtigung findet. Wir werden dem Gesetzentwurf daher natürlich zustimmen.

Das stellt jedoch nur eine Säule bei der Unterstützung und Entlastung der Kommunen dar und kann allein noch nicht ausreichend sein!

Durch die Kürzung der Mittel für die Flüchtlingsberatung im Haushalt 2018 wird es zu einer Mehrbelastung der Kommunen kommen. Auch hier ist die Landesregierung in der Pflicht.

Die Chance auch hier die Kommunen und eine soziale Integration der Flüchtlinge vor Ort weiter zu unterstützen, hat die Landesregierung mit ihrem Haushaltsplan leider verpasst.

Ob es sich politisch rechtfertigen lässt, dass umfänglich neue Stellen in den Ministerien geschaffen werden und gleichzeitig behauptet wird, dass kein Geld für die Stellen bei der Flüchtlingsberatung zur Verfügung stehe, bleibt höchst zweifelhaft. ­– Vielen Dank!

Stefan Lenzen (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen. Mit dieser Gesetzesänderung wird statt einer pauschalen Verteilung eine zwischen den Kommunen differenzierte und an der jeweiligen Belastung orientierte Weitergabe der Bundesbeteiligung an den flüchtlingsbedingten Mehrausgaben der Kommunen bei den Kosten der Unterkunft eingeführt. Die Verteilung nach dem tatsächlichen Aufwand für die Flüchtlinge vor Ort entspricht der Forderung der kommunalen Spitzenverbände, die der Ausschuss in seinen Beratungen angehört hat.

Weiterhin sind redaktionelle Anpassungen sowie eine Entfristung des Ausführungsgesetzes vorgesehen. So werden Regelungen zur Weiterleitung der Kosten der Unterkunft an geänderte bundesrechtliche Vorgaben angepasst. Dabei handelt es sich nach unserer Auffassung um notwendige technische Änderungen, die keine politische Debatte erfordern. So hat auch im Ausschuss keine inhaltliche Diskussion stattgefunden. Vielmehr wurde der Gesetzentwurf im Ausschuss einstimmig angenommen. So wird unsere Fraktion auch heute zustimmen. – Ich danke Ihnen!