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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/78

16. Wahlperiode

29.01.2015

78. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 29. Januar 2015

Mitteilungen der Präsidentin. 7903

1   Gestaltung des digitalen Wandels in Nordrhein-Westfalen

Regierungserklärung

In Verbindung mit:

Schnelles Netz für Alle: Europäische Kostensenkungsrichtlinie konstruktiv begleiten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7771

Und:

Die Digitale Zukunft Nordrhein-Westfalens benötigt ein eigenes „Internetministerium“ sowie einen „Internetausschuss“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7773. 7903

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 7903

Armin Laschet (CDU) 7913

Norbert Römer (SPD) 7919

Christian Lindner (FDP) 7924

Reiner Priggen (GRÜNE) 7931

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 7935

Minister Garrelt Duin. 7940

Hendrik Wüst (CDU) 7944

Rainer Schmeltzer (SPD) 7949

Ralph Bombis (FDP) 7953

Matthi Bolte (GRÜNE) 7955

Michele Marsching (PIRATEN) 7961

Daniel Schwerd (PIRATEN) 7963

Ministerin Sylvia Löhrmann. 7965

Ergebnis. 7965

2   Menschliche Zuwendung statt Bürokratie: Pflegedokumentation in Nordrhein-Westfalen vereinfachen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7768. 7966

Oskar Burkert (CDU) 7966

Serdar Yüksel (SPD) 7966

Arif Ünal (GRÜNE) 7967

Susanne Schneider (FDP) 7968

Daniel Düngel (PIRATEN) 7969

Ministerin Barbara Steffens. 7970

Ergebnis. 7971

3   Schulministerin muss ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Lehrkräften an Realschulen nachkommen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7779. 7971

Yvonne Gebauer (FDP) 7971

Rüdiger Weiß (SPD) 7972

Petra Vogt (CDU) 7973

Ali Bas (GRÜNE) 7974

Michele Marsching (PIRATEN) 7976

Ministerin Sylvia Löhrmann. 7977

Ergebnis. 7978

4   Die Novelle des Kraft-Wärme-Kopp-lungsgesetzes (KWKG) schnell und zielgerichtet vorantreiben – Nordrhein-Westfalens KWK-Potenziale nutzen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7770

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7840 – Neudruck. 7978

Thomas Eiskirch (SPD) 7978

Thomas Kufen (CDU) 7979

Wibke Brems (GRÜNE) 7980

Dietmar Brockes (FDP) 7981

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 7981

Minister Johannes Remmel 7982

Ergebnis. 7983

5   Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen (BauGB-AG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7774

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7841

zweite Lesung. 7983

Reiner Breuer (SPD) 7983

Josef Hovenjürgen (CDU) 7984

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 7985

Holger Ellerbrock (FDP) 7986

Oliver Bayer (PIRATEN) 7987

Minister Michael Groschek. 7989

Ergebnis. 7989

6   Wirtschaftliche Schwäche Nordrhein-Westfalens überwinden – Mit Impulsen für Innovation, Investitionen und Qualifikation Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand nachhaltig stärken

Große Anfrage 12
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6609

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/7350

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7839. 7989

Dietmar Brockes (FDP) 7989

Frank Sundermann (SPD) 7990

Hendrik Wüst (CDU) 7991

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 7993

Daniel Schwerd (PIRATEN) 7994

Minister Garrelt Duin. 7994

Ergebnis. 7996

7   Wirtschaft in der Ausbildung unterstützen statt immer mehr belasten – Keine Ausbildungsabgabe und keine Quote für abgeschlossene Lehrverträge!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7780. 7996

Ulrich Alda (FDP) 7996

Daniela Jansen (SPD) 7997

Matthias Kerkhoff (CDU) 7998

Martina Maaßen (GRÜNE) 7999

Torsten Sommer (PIRATEN) 8001

Minister Guntram Schneider 8001

Ulrich Alda (FDP) 8002

Minister Guntram Schneider 8003

Ergebnis. 8003


Entschuldigt waren:

Minister Garrelt Duin    
(ab 17:45 Uhr)

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Ministerin Barbara Steffens      
(bis 12:15 Uhr)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans

Brigitte Dmoch-Schweren (SPD)

Günter Garbrecht (SPD)

Falk Heinrichs (SPD)

Gerda Kieninger (SPD)

Michael Scheffler (SPD)

Tanja Wagener (SPD)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 15 Uhr)

Margret Voßeler (CDU
(ab 16:30 Uhr)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)           
(ab 17 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 19 Uhr)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 18 Uhr)

Reiner Priggen (GRÜNE)          
(ab 15:15 Uhr)

Stefan Fricke (PIRATEN)

Monika Pieper (PIRATEN)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer 78. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Gestaltung des digitalen Wandels in Nordrhein-Westfalen

Regierungserklärung

In Verbindung mit:

Schnelles Netz für Alle: Europäische Kostensenkungsrichtlinie konstruktiv begleiten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7771

Und:

Die Digitale Zukunft Nordrhein-Westfalens benötigt ein eigenes „Internetministerium“ sowie einen „Internetausschuss“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7773

Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 20. Januar 2015 mitgeteilt, dass die Ministerpräsidentin beabsichtigt, heute eine Regierungserklärung abzugeben. Bevor ich Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das Wort zur Einbringung der Regierungserklärung übergebe, bitte ich, wenn Sie mir schon nicht zuhören, ganz höflich, dass Sie gleich ruhig sind. Frau Ministerpräsidentin!

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man eine Rede hält, dann hat man normalerweise das Herz auf der Zunge. Ich habe heute ein Herz in der Hand, um deutlich zu machen, was das für unser Land und auch für die Zukunft unseres Landes bedeutet.

Was ich hier in der Hand halte, ist ein Kunstherz, das weltweit kleinste voll implantierbare Kunstherz. Das Besondere ist: Nach der Einpflanzung steuert es sich autonom, also ohne Eingriffe von außen und passt sich dem jeweiligen Bedarf an. Wenn man schneller läuft, muss es schneller schlagen. Es muss sich anpassen. Das sind 2,4 Millionen € – gut angelegtes Geld, wie ich finde –, ein Beispiel für Digitalisierung, die in Nordrhein-Westfalen bereits stattgefunden hat, die hier ihren Ursprung nimmt.

Ein Zweites ist das Unternehmen Cumulocity. Die sitzen ganz hier in der Nähe. 2010 als Ausgründung von Nokia, im Silicon Valley gestartet. Der Sitz ist heute 5 km von hier und bietet eine digitale Plattform zur Vernetzung von Maschinen untereinander. Vernetzt werden damit beispielsweise Verkaufsautomaten oder Fahrzeugflotten. Das Unternehmen mit inzwischen 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeitet für zahlreiche Unternehmen, auch aus dem Silicon Valley.

Für Etliches ist Nordrhein-Westfalen im Digitalzeitalter bereits der Platz, an dem man sein sollte. Wir arbeiten daran, dass es noch sehr viel mehr werden. Das ist Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir alle, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind längst Teil dieses digitalen Wandels. Die Landesregierung wird wie bisher ihren Beitrag leisten, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.

Mit dieser Regierungserklärung wollen wir deutlich machen, wie viele Schritte bereits gegangen sind und dass viele noch folgen werden. Denn es ist entscheidend, den digitalen Wandel in seiner Dynamik wahrzunehmen, weil er Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändert und weiter verändern wird.

Schätzungen sagen, dass sich der Datenstrom im Netz bis zum Ende des Jahrzehnts verachtfachen wird. Bis dahin werden weltweit 50 Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein. In dieser Zeit, während ich hier die Regierungserklärung abhalte, werden in Deutschland alleine rund 256.000 Apps heruntergeladen. Wir in Nordrhein-Westfalen sind längst Teil dieses Wandels. Und wir wollen ihn weiter nutzen und mitgestalten, ohne die zu erwartenden Umwälzungen kleinzureden.

Die Voraussetzungen in unserem Land sind gut. Bei uns arbeiten bereits jetzt über 23.000 Unternehmen in den Informations- und Kommunikationstechnologien mit rund 200.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Diese Unternehmen erwirtschaften bereits heute einen Umsatz von rund 100 Milliarden €. Das ist die Hälfte der bundesweiten Branchenumsätze, die bei uns hier in Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet werden. Und darüber freuen wir uns.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der digitale Wandel eröffnet in Nordrhein-Westfalen nicht nur die Chance auf Wirtschaftswachstum, auf neue Arbeitsplätze. Er eröffnet auch die Perspektive auf mehr Lebensqualität, auf Nachhaltigkeit, auf mehr Gesundheit, in vielen Bereichen von einer humaneren Gestaltung der Arbeitswelt bis hin zu einer intelligenteren Verkehrsinfrastruktur.

Aber es geht auch um Fragen, wie „Gute Arbeit“ gesichert werden kann. Es geht um die Änderung kultureller und gesellschaftlicher Grundlagen, um die Sicherung von Bürger- und Grundrechten, aber auch um ein Thema wie Verbraucherschutz. Digitalisierung ist deshalb kein Selbstzweck. Wir müssen und können auch diese Veränderungen in den Dienst des Menschen stellen – für ein noch besseres Nordrhein-Westfalen, ein NRW 4.0 für die Menschen in diesem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit welcher Gesamtstrategie die Landesregierung diese Chancen nutzen will, das möchte ich mit zehn Feldern kurz skizzieren.

Erstens: Bildung. Der digitale Wandel verändert viel, aber er verändert – ich sage das ganz bewusst – Gott sei Dank nicht alles. Geborgenheit in der Familie, Wertevermittlung, gute Bildung, Betreuung, Erziehung zu Hause, in Kita und Schule – da geht es immer um enge, direkte menschliche Beziehungen. Das alles soll und darf Digitalisierung nicht ersetzen. Aber sie kann Teil dieser Welt werden.

Ein entscheidender Schlüssel, um die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen, ist Bildung. Deshalb haben wir als Landesregierung hier einen klaren Schwerpunkt gelegt, und wir haben Wort gehalten: Seit 2010 haben wir mehr als 115 Milliarden € in die Zukunft investiert. Im Haushalt 2015 kommen noch einmal rund 26 Milliarden € hinzu. Das heißt, jeder dritte Euro des Landeshaushalts geht in Kinder, Bildung und Familien. Das ist der richtige Weg, um dieses Land voranzubringen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die sogenannten MINT-Fächer spielen in der Bewältigung des digitalen Wandels – wie wir alle wissen – eine besondere Rolle. Es ist darum eine gute Nachricht, dass das gemeinsame Werben von Landesregierung, Wirtschaft und Gesellschaft seit 2010 dazu geführt hat, dass die Zahl der MINT-Studienanfänger um über 50 % angewachsen ist. Aber Anfängerzahlen sind das eine. Entscheidend sind die Absolventenzahlen. Deshalb sind wir sehr stolz darauf, dass wir im Bundesvergleich den höchsten Anteil von Abschlüssen in den MINT-Fächern haben. Andere reden über Ingenieurmangel. Wir in Nordrhein-Westfalen tun etwas dagegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch in der schulischen Bildung und in der Hochschullehre müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die der digitale Wandel eröffnet.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Ministerin Sylvia Löhrmann: Das ist angeblich Herrn Pinkwart zu verdanken!)

– Ach so, okay. – An unseren Schulen soll LOGINEO NRW einen sicheren und landesweit verfügbaren digitalen Lernraum für Lehrkräfte bieten. Das ist etwas Wichtiges, wenn wir gemeinsam weiter auf diesem Weg vorangehen wollen.

Mit heute schon ca. 30.000 Suchanfragen im Monat bietet learn:line NRW Zugriff auf mehr als 25.000 freie Lernmittel. Dort gibt es einen Pool von Lernaufgaben, den wir weiter ausbauen wollen, eine Aufgabe, die meine Kollegin Löhrmann mit viel Verve voranbringt. Als erstes Bundesland entwickelt und erprobt Nordrhein-Westfalen zwei Prototypen digitaler Schulbücher. Es ist wichtig, dass wir hier vorangehen.

Im Rahmen eines Modellversuchs soll in Grundschulen – schwerpunktmäßig in den Klassen 3 und 4 – das Programmieren im Sachkundeunterricht auf den Stundenplan kommen. Damit soll auch jüngeren Schülerinnen und Schülern spielerisch die Softwareseite der digitalen Welt nähergebracht werden. An den Vorbereitungen sind die Hochschulen Aachen, Paderborn und Wuppertal beteiligt.

18 Weiterbildungskollegs in Nordrhein-Westfalen bieten den berufsbegleitenden Lehrgang Abitur-online an. Auch da geht es darum, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Weiterbildung wird so noch besser auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet, die online betreut werden und natürlich auch ihrer Berufstätigkeit weiter nachgehen können. Sie können ihre Zeit flexibler einteilen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen anpassen. Das ist ein wichtiges, ein gutes Instrument.

Wir alle kennen die Fernuniversität Hagen als Vorreiter digitaler Lernformate. Aber sie steht nicht allein. Ein weiteres gutes Beispiel ist das Flipped-Classroom-Konzept der Fachhochschule in Köln. Hier werden Inhalte online vermittelt und in Präsenzveranstaltungen in Form von Seminaren und Tutorien gefestigt, vertieft und diskutiert. Und was ist der Erfolg? Der Erfolg ist, dass in einem Fach wie Werkstofftechnik die Studienabbrecherquote von 50 % auf 10 % gesenkt werden konnte. Das ist sinnvoller digitaler Einsatz in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gerade jetzt hat der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft zusammen mit der Heinz Nixdorf Stiftung Hochschulen für herausragende Digitalisierungskonzepte ausgezeichnet, acht Hochschulen bundesweit, zwei davon hier in Nordrhein-Westfalen. Wir gratulieren der RWTH Aachen und der Universität Paderborn. Herzlichen Glückwunsch von hier aus!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den PIRATEN: Alles keine Leistungen der Landesregierung!)

Aber Digitalisierung, meine Damen und Herren, bietet auch Möglichkeiten im Rahmen der vorsorgenden Politik.

(Unruhe)

– Es freuen sich alle so sehr darüber, dass sie den Preis bekommen haben.

Gegenwärtig wird an einem Onlineangebot zum Aufbau kommunaler Präventionsketten in den Kommunen gearbeitet. Dadurch können die Kommunen ihre Planungen besser aufeinander abstimmen. Auch das ist ein sinnvolles Modul.

Ohne genügend Fachkräfte – sie sind der Schlüssel, und das wissen wir – kann der digitale Wandel nicht gelingen. Darum wird in diesem Jahr der Einstieg aller NRW-Kommunen in das Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ hierbei auch von Bedeutung sein. Ende 2018/2019 erreichen wir damit über eine halbe Million Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10. Dieser systemische Ansatz wird übrigens ausdrücklich in der am Montag vorgestellten Studie von Prognos begrüßt, auch als gute Vorbereitung für das Zeitalter der wachsenden Digitalisierung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, wir müssen alle Talente entdecken und fördern, die wir haben. Wir werden darum bis zum Jahr 2020 rund 40 Talentscouts an unseren Hochschulen ausbilden. Circa 22 Millionen € werden wir in die Talentförderung im Hochschulbereich investieren.

Es geht nicht nur um Hochschulbildung. Es geht nicht nur um schulische Bildung. Wir wissen auch um die Stärke der dualen Ausbildung in diesem Land. Damit die auch in Zukunft ihre treibende Kraft entfalten kann, werden wir im Rahmen des Ausbildungskonsenses in diesem Jahr eine große Kampagne „Duale Ausbildung“ starten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn wir wollen, dass diese Ausbildungssysteme auf Dauer auch in die neue Zeit mit überführt werden.

Meine Damen und Herren, das größte Risiko für unsere Wirtschaft besteht darin, die Chancen zu verpassen und nicht die Rolle als Treiber der Digitalisierung in Deutschland und in der Welt zu übernehmen.

Klar ist aber auch, neue Geschäftsmodelle, neue Produkte, der schnelle Takt der digitalen Entwicklung stellt die Wirtschaft vor noch einmal erhöhte Anforderungen an Flexibilität und Innovationskraft. Niemand sollte glauben, es gäbe zahlreiche Nischen, die vom digitalen Wandel vergessen werden. Es sind mehr betroffen, als sich viele heute schon ausmalen.

Wenn wir die Möglichkeiten nutzen, dann kann „Industrie 4.0“ zum großen Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft werden, insbesondere hier in Nordrhein-Westfalen. Dann können – so Prognos im Rahmen der Studie – bis 2025 in den Kernbranchen des Landes rund 15,6 Milliarden € an zusätzlicher Wertschöpfung und Chancen für zusätzliches Wachstum entstehen. Wir wollen dazu beitragen, dass dieses Wachstum auch stattfindet, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dazu müssen eine Menge Dinge gerade in den Unternehmen vorbereitet werden, neue Geschäftsmodelle, die Überarbeitung von Strategien, Strukturen und Abläufen, das Verhältnis zum Kunden, der Ablauf der Produktion, Wartungen. Wie wird das eigentlich in Zukunft organisiert? Alles das wird auf den Prüfstand zu stellen sein und wird überarbeitet werden müssen.

Es stellen sich Fragen wie: Wer ist künftig noch Hersteller von was? Wer ist Zulieferer? Das werden Themen sein, die ich mit den Unternehmen dieses Landes, mit Industrie, Handel, Dienstleistung und Handwerk, aber auch mit Gewerkschaften und Wissenschaft im Rahmen einer Gesprächsreihe „Digitaler Aufbruch“ diskutieren werde, die im März dieses Jahres beginnen wird.

(Christian Lindner [FDP]: Runder Tisch!)

Dass noch nicht alle Unternehmen die Herausforderungen annehmen, bestätigen die Studienergebnisse der DZ BANK. Das Institut geht davon aus, dass aktuell 70 % der kleinen und mittleren …

(Christian Lindner [FDP]: Wir wollen auch noch einen runden Tisch!)

– Ich weiß, Sie sind in der digitalen Welt schon so zu Hause. Sie wissen das alles, Herr Lindner. Aber es wäre nett, wenn Sie uns doch einmal einen Moment Ruhe gönnen könnten. Das wäre nett von Ihnen. Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Also: Die DZ BANK hat Studienergebnisse vorgestellt. Die müssen uns Sorgen machen. Die DZ– BANK-Studie besagt, dass 70 % der kleinen und mittleren Unternehmen der Digitalisierung noch keine ausreichende Relevanz beimessen. Hier werden wir gegensteuern. Hierzu werden wir Gespräche führen. Wir werden aktiv für die Chancen des digitalen Wandels werben.

Um diesen Prozess voranzutreiben, hat der Wirtschaftsminister Garrelt Duin im März 2014 Prof. Dr.  Kollmann zum Beauftragten für die Digitale Wirtschaft ernannt. Er ist der direkte Ansprechpartner und entwickelt konkrete Ideen zur Unterstützung der Branche in Nordrhein-Westfalen. Er koordiniert die Arbeit des Beirats Digitale Wirtschaft.

Was „Industrie 4.0“ in der Praxis heißt, davon kann man sich schon heute in der SmartFactory am CENTRUM INDUSTRIAL IT in Lemgo ein Bild machen. Hier forschen die Hochschule Ostwestfalen-Lippe und die Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam mit Partnern aus der Industrie an innovativen Steuerungs- und Produktionstechnologien.

Ostwestfalen ist übrigens insgesamt stark in Sachen „Industrie 4.0“. Das Spitzencluster „it’s OWL“ ist deutschlandweit das größte Industriecluster dieser Art mit 174 Unternehmen, Hochschulen, Forschungszentren und wirtschaftsnahen Organisationen. Das ist Bündelung von Kompetenz, so wie es in NRW eingeübt ist. Das ist das, was unser Land stark macht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das reicht noch nicht aus. Dafür braucht es auch weiter Unterstützung. Als Land werden wir insgesamt 640 Millionen € in innovative Zukunftsprojekte unserer Wirtschaft mit Schwerpunkt Digitalisierung investieren, und zwar in Projekte, die sich in unseren Leitmarktwettbewerben durchsetzen. Dabei geht es nicht nur um SmartFactory. Dabei geht es um Energiesicherheit, Energieeffizienz durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien, um Logistik, um Medizintechnologie, um die Schlüsselbranchen Fahrzeugbau einschließlich der Zulieferung, Cloud Computing, um leistungsfähige Netze und es geht darum, dass diese hoch vernetzte Welt sicher sein muss.

Im Bereich Medien ist die Bedeutung der Digitalisierung früher und stärker deutlich geworden als in anderen Bereichen. Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Entwicklung mit großem Erfolg gestellt. Das Land hat sich weiterentwickelt zum führenden Medien- und Kreativstandort in Deutschland und zu einem der stärksten in Europa.

Aber wir müssen weiter Innovationen und Vielfalt fördern. Die Film- und Medienstiftung NRW hat 2014 darum zum Beispiel das europaweit erste Förderprogramm für Webvideo-Macher unterstützt. Wir fördern auch das UFA LAB in Köln, einen Ort für kreative Innovationen im Webvideobereich.

Aus Mitteln des Landes wird so eine Vielzahl kleiner engagierter Vorhaben der Kreativwirtschaft unterstützt, für die Musikwirtschaft mit einem Designerkongress. Es gilt, die heterogene und kleinteilige Branche besser miteinander zu vernetzen und eine größere Sichtbarkeit zu gewährleisten. Das ist Voraussetzung für Erfolge am Markt, regional, national und international.

Daneben sorgt der Leitmarktwettbewerb CreateMedia.NRW für einen Innovationsschub in der Medien- und Kreativwirtschaft. 40 Millionen € stehen bis 2020 für solche innovativen Projekte zur Verfügung.

Nehmen wir auch den Bereich Gaming – Spielen. Es gehört vor allem für jüngere Menschen zum Alltag dazu. Aber die Grundlagen werden jetzt zunehmend auf andere Felder übertragen: zum Beispiel Schulung für die Chemieindustrie, Prozesse im Automobilbau. Köln ist ein wichtiges Zentrum für die Entwicklung von Health Games, wie es so schön heißt, also für die Gesundheit, für kranke Kinder, oder von Apps in diesem Bereich etwa für Menschen, die an Depressionen leiden.

Die Landesregierung unterstützt diese kreativen Ansätze gezielt bei der Erschließung von Märkten zum Beispiel mit Kongressen und Workshops in Kooperation mit Wirtschafts- und Gesundheitsministerium. Frau Steffens kann heute leider nicht hier sein; aber hier wird eine hervorragende Arbeit geleistet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wie breit dieses Feld ist, zeigt sich daran, dass wir digitale Herausforderungen auch im Bereich Energie haben. Digitale Technologie hilft uns, eine der größten Herausforderungen der Energiewende zu bestehen, die Erzeugung erneuerbarer Energien mit der Energienutzung zu harmonisieren. Wenn viele Tausend dezentrale Energieerzeuger einspeisen – Solaranlagen, Windparks und andere –, kann dies zu erheblichen Netzschwankungen führen und damit Industrieanlagen potenziell empfindlich beschädigen.

An der Universität Wuppertal wurde zusammen mit einem Industriepartner das Gerät iNES – intelligente Ortsnetzstation – entwickelt. Das ist Smart-Grid-Technologie. Es wird in einigen Ortsnetzen bereits eingesetzt. Stromsensoren alarmieren iNES, wenn plötzlich die Netzspannung auf gefährliche Werte steigt. Das Netz reagiert dann sofort und regelt beispielsweise Solaranlagen herunter. Das ist ein Element, das bereits jetzt funktioniert und den HERMES AWARD 2014 gewonnen hat.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Durch eine intelligente Vernetzung von vielen dezentralen Energieerzeugern und Verbrauchern kann und muss das schwankende Angebot von Sonnen- und Windstrom optimiert werden.

Erneuerbare Energien effizient zu nutzen, bedeutet auch, die Möglichkeiten eines virtuellen Kraftwerks auszuloten. Ein Pilotvorhaben zum virtuellen Kraftwerk wollen wir nach Nordrhein-Westfalen holen. Wir arbeiten intensiv an der Bewerbung mit Unternehmen der Stromerzeugung, der Stromverteilung und der energieintensiven Industrie hier im Lande. Denn nur durch eine intelligente Verbindung erneuerbarer Energien mit gesicherter Leistung schaffen wir die Energiewende und erhalten die Versorgungssicherheit. Das ist ein wichtiger Faktor für die weitere Zukunft unseres Landes.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, wichtig sind die Grundlagen. Nordrhein-Westfalen ist beim schnellen Internet im Vergleich zu anderen Flächenländern vorne.

(Zurufe von der CDU)

– Ich empfehle Ihnen, heute einfach mal die Tageszeitung oder die Presseschau zu lesen. Dort haben Sie die Daten, die ich jetzt noch mal vortrage.

Mitte 2014 waren 70,7 % der Haushalte mit Übertragungsraten von 50 Mbit/s oder mehr ausgestattet. Damit liegen wir knapp vor Baden-Württemberg und deutlich vor Bayern. – Da darf man auch mal klatschen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von den PIRATEN: Oh!)

Aber damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Dafür haben diese Netze eine zu große Bedeutung im digitalen Wandel. Wir müssen die noch bestehenden weißen Flecken erschließen, und deshalb haben wir bereits vor einem Jahr den „Runden Tisch Breitband“ gegründet und Maßnahmen zum beschleunigten Netzausbau beschlossen. Denn unsere Zusage steht: Wir werden dafür sorgen, dass bis 2018 die noch fehlenden Kommunen im ländlichen Raum an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dabei sind intelligente Lösungen gefragt. Es geht nicht nur darum, Milliarden in den Raum zu stellen, es geht darum, jeweils vor Ort kostengünstige und intelligente Lösungen zu finden. Das ist der Weg, den wir gehen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir setzen auf die Zusammenarbeit der Partner vor Ort, um diese intelligenten Lösungen schnell, gezielt und kostengünstig für alle Beteiligten umzusetzen.

Ich möchte dazu zwei Beispiele nennen:

Das erste ist Wettringen im Kreis Steinfurt. Der Bürgermeister persönlich sorgte 2013 zusammen mit seinem Wirtschaftsförderer durch direkte persönliche Ansprache der Anwohner und der ansässigen Betriebe und Kooperation mit Stadtwerken und Netzbetreibern dafür, dass im Ortskern und dem angrenzenden Gewerbegebiet Glasfaserkabel verlegt wurden. Das ist eine intelligente Initiative: Marktmacht herstellen, indem man sich zusammentut.

(Zuruf von der CDU)

Das Gleiche ist übrigens in Hamminkeln passiert. Dort war es ein bürgerschaftliches Engagement, in das dann auch die Wirtschaft eingestiegen ist. Das sind intelligente Konzepte.

Eine Opposition, die immer nur sagt, wir müssen Milliarden auf den Tisch legen, geht den falschen Weg. Wir wollen intelligente Lösungen für Breitband, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Wir unterstützen natürlich die Kommunen im ländlichen Raum, weil das mit der Marktmacht nicht überall funktioniert.

(Zurufe von der CDU: Ach! – Weitere Zurufe von der CDU)

– Intelligente Lösungen sind halt manchmal schwierig.

Natürlich ist auch finanzielle Unterstützung notwendig; das wissen wir. Wir unterstützen die Kommunen im ländlichen Raum mit 60 Millionen €.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

– Für Sie ist das nicht viel Geld. Sagen Sie doch, dass das Peanuts sind! Und bei den nächsten Haushaltsdebatten wollen Sie uns wieder vorführen, dass wir zu viel Geld ausgeben. Das ist doch Ihre Art, in diesem Land Politik zu machen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Glauben Sie, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen das durchgehen lassen? Das glauben Sie doch selber nicht.

(Widerspruch von der CDU)

Also: 60 Millionen € für den ländlichen Raum und – das ist unsere Zusage – die kompletten Einnahmen aus der digitalen Dividende II, also aus der Versteigerung der 700-Megahertz-Frequenzen, die ja jetzt erfolgen wird. Davon geht die Hälfte an die Länder. Dafür habe ich in Berlin erfolgreich gekämpft. Das wollte der Bund nämlich nicht; das darf ich hier auch mal sagen

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank – Zurufe von der CDU: Och!)

– Die eine Hälfte bekommt der Bund. Er sagt zu, dieses Geld auch in Breitband im ländlichen Raum zu investieren. Die andere Hälfte bekommen die Länder. Unseren Anteil werden wir ebenfalls voll in den Breitbandausbau investieren. Das ist die Zusage, die steht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Darüber hinaus haben wir als nordrhein-westfälische Landesregierung auch für das sogenannte Juncker-Investitionspaket von 315 Milliarden € für EU-Investitionsvorhaben IKT-Projekte mit dem Schwerpunkt Breitband von 3,7 Milliarden € angemeldet.

(Zuruf von der CDU: Dazu braucht man Geld!)

– Natürlich braucht man auch Geld dazu. Aber es geht erst einmal darum, soweit wie möglich intelligente Lösungen zu nutzen. Dass es Ihnen schwerfällt, darüber nachzudenken, das ist uns bekannt, das wissen wir.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Neben dem Breitbandausbau spielt die Versorgung über Funknetze eine wachsende Rolle. In immer mehr Kommunen unseres Landes entstehen frei zugängliche WLAN-Netze. Kostenloses WLAN in der Fußgängerzone, in öffentlichen Räumlichkeiten soll zur Selbstverständlichkeit werden.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen darüber hinaus eine außerordentlich aktive Community, die selbstverwaltete öffentliche Orte im Digitalen schafft. Ehrenamtlich Aktive haben in 42 Städten im Land 1.000 Freifunk-Knoten mit freiem WLAN zum Nutzen aller aufgebaut. Damit es solche Netze weiter und künftig in noch größerer Anzahl gibt, muss dringend klargestellt werden, dass Private nicht haften, wenn sie ihre Rechner für solche Netze zur Verfügung stellen. Das ist eine dringende Aufgabe für die Politik in Deutschland.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Weil das Netz heute von so zentraler Bedeutung ist, gilt für uns: Wir müssen Netzneutralität und Vielfalt sicherstellen. Auch das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, weltweit wurden 2013 schätzungsweise vier Zettabyte an Daten generiert. Das ist 1021, eine Eins mit 21 Nullen. Der digitale Wandel ermöglicht die Speicherung, Auswertung und Vernetzung dieser Datenmenge. Damit wird aus Big Data Smart Data.

Auch deshalb kommt der Sicherung von Datenübertragungen und ?beständen gegen unbefugten Zugriff eine entscheidende Rolle zu. Dies gilt für den privaten Bereich genauso wie für Wirtschaft und Verwaltung. Wir brauchen Datensicherheit, und wir brauchen Datenhoheit. Dafür ist Vertrauen entscheidend. Jeder muss sich darauf verlassen können, dass seine Daten nicht missbraucht werden. Jeder muss entscheiden können, wie viel und was er von sich und seinen Daten preisgibt.

Insgesamt arbeiten in Nordrhein-Westfalen über 30 Hochschul- und Forschungseinrichtungen am Thema „IT-Sicherheit“. Eine der größten und leistungsfähigsten Einrichtungen in diesem Bereich ist das Horst Görtz Institut an der Ruhr-Uni Bochum.

Weil wir wissen, dass es so viele sind, die gut miteinander zusammenarbeiten, haben wir uns ein klares Ziel gesetzt: Insgesamt rund 1.000 Forscherinnen und Forscher in Nordrhein-Westfalen werden in Fragen der IT-Sicherheit miteinander vernetzt arbeiten. Das ist unser Ziel.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn eines ist doch klar: Wir wollen nicht, dass das, was mit den persönlichen Daten der Menschen geschieht, immer nur von Externen irgendwo im Silicon Valley in Kalifornien entschieden wird. Wir wollen Datensicherheit selbst organisieren. Das muss das Ziel sein hier in der Bundesrepublik Deutschland.

(Marcel Hafke [FDP]: Wie denn?)

Neben der Datensicherheit müssen wir die Datenhoheit verbessern. Es geht um die Entwicklung eines digitalen Ordnungsrahmens. Wir wollen, dass Firmen die Daten von Menschen nur dann verarbeiten und weitergeben können, wenn die Betroffenen dem ausdrücklich zugestimmt haben. Datenschutzfreundliche Voreinstellungen sollen Standard sein. Anbieter von Telemediendiensten, insbesondere von sozialen Netzwerken, sollen verpflichtet werden, die Sicherheitseinstellungen auf der höchsten Sicherheitsstufe gemäß dem Stand der Technik voreinzustellen. Wenn sich Menschen beim Online-Dienst anmelden, sollen sie bewusst und aktiv jeder Veröffentlichung von persönlichen Details zustimmen. Maximale Auswertung und Verarbeitung darf nicht von vornherein als Normalfall gelten.

Wir brauchen die gesetzliche Verankerung des Rechts auf einen „digitalen Neustart“. Mit den Gesetzen der analogen Zeit können wir nicht wirksam auf die Herausforderungen der digitalen Welt reagieren. Wir werden uns auf der Bundesebene deshalb aktiv dafür einsetzen, einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen, der die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen besser schützt. Das muss unser Ziel sein.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Dafür ist ganz entscheidend, dass in diesem Jahr endlich die Datenschutzgrundverordnung der EU verabschiedet wird.

Wichtig ist auch, den verantwortungsvollen Umgang mit Daten frühzeitig zu lernen. Der Medienpass Nordrhein-Westfalen ist hier beispielgebend. Er ist seit 2012 das wichtigste Instrument, das demnächst auch in anderen Ländern zur Anwendung kommen wird. Wir wollen das jetzt auf die Jahrgangsstufen 7 bis 10 ausweiten.

Es geht darum, alle Altersstufen kompetent zu machen im Umgang mit der digitalen Welt. Mit der VERBRAUCHER INITIATIVE, den Verbraucherkonferenzen in den Regionen, wollen wir Risiken und Nutzen auch des Internets im Alter besprechen, und wir wollen darüber informieren.

Weil wir in der digitalen Welt den Verbraucherschutz stärken müssen, ist auch die Rolle der Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen hervorzuheben. Bis Ende 2015 werden wir die Anzahl auf 62 Beratungsstellen steigern. Auch das gehört mit zum digitalen Wandel: dass wir Verbraucherrechte nicht hinten runterfallen lassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich habe vorhin das Horst Görtz Institut in Bochum erwähnt, das im Bereich der IT-Sicherheit ganz vorne ist. Aus dem Institut heraus sind in den vergangenen zwei Jahren fünf junge Unternehmen gegründet worden. Sie bieten Lösungen zum Beispiel dafür an, wie man über Facebook verschlüsselte Nachrichten verschicken lassen kann oder wie man geschäftliche Daten sicher – ich betone: sicher! – auf dem Smartphone ablegen kann.

Für ein starkes NRW 4.0 brauchen wir mehr derartige Existenzgründungen. Hier sind wir noch nicht gut genug. Minister Duin und Ministerin Schulze haben deshalb in dieser Woche eine Start-up-Offensive vorgestellt. Bis 2020 nehmen wir insgesamt 70 Millionen € in die Hand, damit aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen heraus mehr Gründungen gelingen und die Kooperation mit der mittelständischen Wirtschaft hierbei noch enger wird.

Wir haben ein ehrgeiziges Ziel: Wir wollen Gründerland Nummer eins werden. – Dafür haben wir gute Voraussetzungen. Wir haben nicht nur bereits ein vielfältiges Netz von Start-up-Unternehmen, sondern auch eine große IKT-Wirtschaft, wie ich vorhin schon erwähnt habe. Wir sind eine Topadresse.

Aber unser größtes Pfund gegen die Mitbewerber, das sind diejenigen, die hinterher Anwendungen übernehmen sollen. Das ist die Wirtschaft, das ist die Industrie. Und die Nähe zu denjenigen, für die man diese Anwendungen entwickelt, ist ein großes Pfund. An dieser Stelle sehen wir unsere Chancen. Und wir werden diese Chancen nutzen. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir verbessern unsere Instrumente: von der Beratung bis zur Finanzierung. Wir haben ein Venture-Center bei der NRW.BANK aufgebaut. Die Zusage heißt, dass keine erfolgversprechende Unternehmensidee an der Finanzierung scheitern wird.

Ich sage aber auch: Entscheidend sind nicht nur die Instrumente, damit wir mehr Gründungen bekommen. Mindestens genauso entscheidend ist, dass wir eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, welchen Stellenwert Gründerinnen und Gründer in unserer Gesellschaft haben. Wir müssen sie ermutigen. Viele trauen sich nicht. Wir brauchen Ermutigung von Familie, von Freunden, aus dem Umfeld und aus der Gesellschaft.

Eines ist ganz wichtig: Wir haben hier einen kleinen Nachteil in Deutschland – auch im Vergleich zu den USA. Dort gilt jemand, der mit einem Unternehmen gescheitert ist, als jemand, der Erfahrungen gesammelt hat, die er zielbringend für die neue Gründung einsetzen kann. Bei uns gilt er als gescheitert und erhält kaum noch eine neue Chance. Diese Mentalität müssen wir verändern. Dafür führen wir einen öffentlichen Dialog. Es ist wichtig, dass wir das gemeinsam vorantreiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, natürlich ist auch auf diesem Feld das Thema „Infrastruktur“ – auch Verkehrsinfrastruktur – entscheidend. Bis 2020 werden wir mehr als 11 Milliarden € an Landes- und Bundesmitteln in unsere Infrastruktur investieren. Allein in diesem Jahr gehen rund 618 Millionen € an Landesmitteln in Straße und Schiene. Aber das reicht nicht! Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, hier auch den Bund endlich so in die Pflicht zu nehmen, dass wir den bestehenden Investitionsstau beseitigen können.

Bei der Leverkusener Brücke, die uns sozusagen aufs Butterbrot fällt, reden wir über eine Bundesautobahnbrücke. Wir reden über marode Bundeswasserstraßen. Hier gilt es, weiter gemeinsam Druck Richtung Berlin zu machen. Und das wollen wir tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Neben der Verkehrsinfrastruktur brauchen wir aber auch Investitionen in die digitale Infrastruktur auf diesem Feld, damit wir die Rolle als Transitland in Europa auch weiter ausfüllen können. Wir haben dieser Tage gelesen, dass das Bundesverkehrsministerium auf der A9 zwischen Nürnberg und München ein „Digitales Testfeld Autobahn“ für autonomes Fahren“ plant.

Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Wir halten das Ruhrgebiet, was ein solches Testfeld anbelangt, für wesentlich geeigneter.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind seit über einem Jahr mit Herrn Dobrindt dazu im Gespräch. Warum ist es geeigneter? Wir haben die Parallelität der drei Autobahnen A2, A42 und A40. Da kann man Versuche reibungsloser durchführen. Es ist doch wichtig, dass die Tauglichkeit auch in einem Ballungsraum getestet wird. Es kann doch nicht immer so sein: Wenn der Verkehrsminister aus Bayern kommt, dann gehen solche Projekte auch nach Bayern! Liebe CDU, das ist doch Ihr Fraktionspartner! Helfen Sie doch mit, dass da endlich mal Vernunft einzieht und nicht immer nur die regionale Sicht zählt!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn unsere Autos in immer mehr Verkehrssituationen autonom gesteuert werden, muss auch klar sein, dass dieses autonome Fahren absolut zuverlässig sein muss. Zu dieser Frage wird in Aachen geforscht. Dabei geht es – das finde ich besonders interessant – um die Frage der elektronischen Fahrzeugkopplung bei Lastwagen. Das heißt, mithilfe von Digitalisierung werden maximal vier Lkw vollautomatisiert im Konvoi hintereinander herfahren und dabei Beschleunigung, Abstandhalten und Bremsvorgänge selbst regeln können. Erst gestern Nacht gab es wieder einen katastrophalen Unfall, wo ein Lkw ungebremst auf ein Stauende auffuhr. Diese Unfälle würden dann ein Stück weit der Vergangenheit angehören. So können Sicherheit und Verkehrsfluss optimiert werden. Das sind wichtige Ansätze für die digitale Zukunft, die uns allen auch in diesem Land nutzen werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zur Optimierung der Verkehrsströme gehört auch die Verkehrszentrale NRW, die wir zur telematischen Schaltstelle ausgebaut haben: das Portal Verkehrsinfo.NRW, das im Frühjahr 2015 in Regelbetrieb gehen wird.

Auch bei der digitalen Verkehrsinfrastruktur sind wir Vorbild in der Forschung. Der Lehrstuhl für Kommunikationsnetze an der TU Dortmund hat in Kooperation mit einem Wirtschaftsunternehmen eine „intelligente Leitplanke“ entwickelt. Sie schützt vor Falschfahrern. Auch das ist, wie wir wissen, eine Ursache für viele sehr schwere Unfälle.

All das sind wichtige Systeme, wichtige Entwicklungen made in NRW. Und wir sind stolz darauf, dass solche Entwicklungen hier entstehen können!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Frage, wie wir in einer zunehmend digitalisierten Welt leben wollen, betrifft vor allem auch unsere Städte und Gemeinden. Das Beispiel der Stadt Wuppertal ging dieser Tage durch die Presse: Online City Wuppertal – in dieser Form. Es geht um die Kunst und die Herausforderung, den stationären mit dem Internethandel zu verbinden. Das ist nicht als Gegensatz zu verstehen, sondern es geht darum, durch intelligente Konzepte für beide eine Win-win-Situation zu erzielen. Das ist in Wuppertal der Fall. Dies sind kreative Ideen, die der digitale Wandel braucht.

Die Landesregierung stellt eine umfangreiche Anzahl von Förderinstrumenten bereit, um die Innenstädte in Zeiten der Digitalisierung zu beleben. Ein Beispiel ist der Landeswettbewerb „Ab in die Mitte“, den wir jetzt zu „App in die Mitte“ weiterentwickeln, um auch die Angebote des Webs …

(Zuruf von der CDU: Oh!)

– Machen Sie das doch mal! Gehen Sie doch mal da hin und gucken sich das mal an! Wenn Sie das getan hätten, würden Sie das nicht so diskreditieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sind Angebote, auf die die Bürger in diesem Land warten.

(Zuruf von der CDU)

– Das ist vielleicht nicht mehr Ihre Generation, lieber Kollege. Wenn ich aber auf meinen Sohn gucke: Der geht mit seinem Handy durch die Innenstadt. Von daher ist es sinnvoll, dass wir auch die kommunalen Angebote, zum Beispiel Kulturangebote, für ihn gleich sichtbar in einer App anzeigen.

(Armin Laschet [CDU]: Oh mein Gott!)

– Ja, das gibt es an einzelnen Stellen – vielleicht in Aachen, aber nicht flächendeckend in Nordrhein-Westfalen, Herr Laschet! Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass es hier nicht 18 Plattformen gibt, sondern eine! Das ist das Problem, das es dabei zu lösen gilt!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Heimat vor der Haustür zu erleben heißt auch, sich in seinem Viertel, in seinem Quartier auszukennen. Dabei soll künftig ein digitaler Quartierslotse helfen, den wir gemeinsam mit drei Kommunen entwickeln wollen. In nur einer Anwendung soll das gesamte Portal eines Quartiers sichtbar werden. Das ist wichtig. Dabei geht es um Angebote von Vereinen, um Initiativen um die Ecke, Stadtteilbüchereien, Schwimmbäder und Gottesdienstzeiten. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürgern die für sie zum Teil verborgenen Schätze in ihrer Nachbarschaft vor Augen zu führen. Sie sollen auf einen Blick erfahren, was in ihrem Quartier los ist, und sie sollen mit einem Klick auch Kontakt aufnehmen können. Das Smartphone wird so zum Lotsen werden.

Bei diesem Thema geht es um Möglichkeiten und Teilhabe. Das ist eine menschliche Dimension dieser Digitalisierung, die nutzbringend sein kann. Wir wollen dafür sorgen, dass sie auch genutzt und optimal organisiert wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich war letzte Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Neben vielen anderen Themen ging es dort um die Urbanisierung. Wenn Sie mit Experten aus der ganzen Welt, aus Forschung, Politik und Wirtschaft, zusammensitzen, dann erkennen Sie, was es bedeutet, eine digitale Grundstruktur in eine Stadt einzuziehen, was es für die Lebensqualität, aber auch beispielsweise für die medizinische Versorgung und insbesondere für den ländlichen Raum bedeuten kann, wo wir mit den demografischen Veränderungen umgehen können müssen.

Eines der Beispiele dafür ist das Projekt „Telematik in der Intensivmedizin“ des Universitätsklinikums Aachen. Hierbei können Krankenhäuser aus dem ländlichen Raum durch Vernetzung Zugriff auf das Know-how zum Beispiel von Unikliniken bekommen. Auch hier gilt: hochwertige, wohnortnahe medizinische Versorgung dank digitaler Technologie. Diese Möglichkeit wollen wir nutzen, weil wir wollen, dass die Menschen möglichst lange dort wohnen bleiben können, wo sie gerne wohnen möchten, und nicht wegen mangelnder Qualität in der medizinischen Versorgung abwandern müssen.

(Beifall von der SPD und Reiner Priggen [GRÜNE])

Es geht darum, Krankentransporte zu vermeiden, indem Ultraschallgeräte eingesetzt und die Bilder sofort an die Krankenhäuser übermittelt werden. Das ist für Menschen, für die es psychisch und physisch eine Belastung ist, zu solchen Zwecken in ein Krankenhaus transportiert zu werden, besonders wichtig.

Es geht um das Arzneimittelkonto, das als App jederzeit einsehbar sein wird. Das ist eine ganz wichtige Entwicklung; denn wir wissen, wie viele Menschen durch zu viele oder eine falsche Zusammensetzung von Medikamenten gefährdet werden. Wir wollen dem begegnen. Dafür bietet die Digitalisierung eine weitere Chance. Sie ist auch in diesem Feld für den Menschen nutzbringend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Frau Kollegin Steffens hat in den vergangenen Jahren nutzerorientierte digitale Anwendungen mit insgesamt 25 Millionen € in ca. 30 Projekten mit den Schwerpunkten Elektronischer Arztbrief, Pflegeberichte, Fall- und Patientenakten, elektronisch gestützte Arzneimitteltherapie­sicherheitsprüfung und Telemedizin gefördert – sinnvoll investiertes Geld.

Wichtig ist bei all diesen Beispielen, dass schon bei der Entwicklung von Anwendungen ein intensiver Dialog mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern geführt wird. Intelligente Systeme haben nämlich nur dann einen Mehrwert, wenn sie sich nach Bedarfen richten, die dann auch gebraucht werden und die so organisiert sind, dass sie auch optimal genutzt werden können.

Meine Damen und Herren, auch die Verwaltung muss mit der Dynamik in der Vernetzung und Digitalisierung Schritt halten. Das betrifft alle Teile der Verwaltung. Die Vorteile einer digitalen Verwaltung spüren wir schon seit vielen Jahren, etwa als 2001 die elektronische Steuererklärung ELSTER eingeführt wurde. Davon macht inzwischen jeder Zweite in Nordrhein-Westfalen Gebrauch.

Ich will einige zentrale Bereiche nennen, wie wir uns in Nordrhein-Westfalen dem digitalen Wandel stellen werden. Zunächst einmal ist hier das wichtige E-Government-Gesetz zu nennen. Damit werden wir eine Reihe praktischer Verbesserungen für Wirtschaft und Bürger organisieren.

Wir wollen zugleich zeigen, dass Digitalisierung eine besonders intelligente Form von Verwaltungsvereinfachung und Bürokratieabbau ist. Ab 2016 sollen die Behörden den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen die Möglichkeit einer sicheren – ich betone: sicheren! – elektronischen Kommunikation anbieten. Auch Nachweise muss man dann nicht mehr in Papierform einreichen.

Ebenfalls bis 2016 wollen wir mit dem neuen Personalausweis elektronisch identifizieren können. Das heißt, der Gang zur Behörde kann dann entfallen. Ich muss mir nicht extra frei nehmen, um zur Behörde zu gehen, sondern das Anliegen kann auf elektronischem Weg bearbeitet werden.

Es ist eine Sisyphusarbeit, die Vorschriften des Landes dahin gehend zu durchleuchten, ob wirklich eine eigenhändige Unterschrift oder ein persönliches Erscheinen erforderlich sind. Hier gilt es abzuwägen und alle Regelungen zu durchforsten.

Die Verwaltung selbst wird schrittweise bis 2022 auf die elektronische Aktenführung übergehen.

Das neue Portal Open.NRW soll in diesem Jahr starten. Es wird Daten, Dokumente und Informationen der Landesverwaltung in offenen Formaten und lizenzfrei zugänglich machen. Das bietet auch Initiativen und Start-ups neue Möglichkeiten, die diese Daten nutzen können, schafft somit Chancen für neue Geschäftsmodelle.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Nicht zuletzt wollen wir den Menschen damit auch mehr Möglichkeiten bieten, sich an politischen Prozessen zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, unsere Justiz ist ebenfalls längst auf dem digitalen Weg. Bereits seit dem 1. Januar 2004 gibt es das elektronisch geführte Handelsregister. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit beträgt noch rund 16 Stunden. Man kann sich schon heute über Apps über Gerichtstermine informieren. Der elektronische Rechtsverkehr wird in der gesamten Justiz kommen. Ab 1. Januar 2018 können zunächst Rechtanwältinnen und Rechtsanwälte elektronisch mit den Gerichten kommunizieren, ab 2022 wird die Justiz komplett elektronisch arbeiten.

Übrigens: Nordrhein-Westfalen ist im digitalen Bereich auch europaweit bestens aufgestellt. Von hier aus wird für die gesamte Europäische Union die Infrastruktur für ein europäisches Justizportal aufgebaut. Hierzu gehören insbesondere europäische Register wie das Handels-, Unternehmens- und Insolvenzregister. Diese Aufgabe hat Europa der nordrhein-westfälischen Justiz anvertraut. Und darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Übrigens ging es letzte Woche in Davos fast immer um die Digitalisierung. Es ging aber auch um die Frage, welche neuen rechtlichen Rahmenbedingungen wir als Politik eigentlich setzen müssen. Mit solchen Fragen beschäftigt sich der nächste Juristentag, der 2016 in Essen stattfinden wird. Der Titel eines Forums lautet „Digitale Wirtschaft – analoges Recht. Braucht das BGB ein Update?“. Das klingt banal, aber in Davos wurden zum Beispiel folgende Fragen gestellt: Wer haftet dafür, wenn der Fahrer beim autonomen Fahren im Grunde gar keinen Einfluss mehr nimmt und ein Unfall passiert? Wer ist verantwortlich? Was ist mit Maschinen, die selbstständig lernen und selbstständig Entscheidungen treffen? Wie wird das in solchen Fällen geregelt? – Wir stehen im Bereich der Justiz vor einer Menge Herausforderungen. Ich bin froh, dass sich der Juristentag mit diesen Themen intensiv auseinandersetzen wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine der wichtigsten Aufgaben wird es sein, den digitalen Wandel so zu gestalten, dass er möglichst vielen Menschen zugutekommt. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass es in der digitalen Welt faire und gute Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben muss. Smartphone und Laptop können neue Formen der Zeitsouveränität schaffen und neue Möglichkeiten bieten, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Viele Menschen nutzen und schätzen diese neuen Möglichkeiten.

Zugleich wissen wir, dass auch neue Herausforderungen entstehen, dass es zur Arbeitsverdichtung kommen kann, zu dem Gefühl, andauernd erreichbar sein zu müssen, oder dazu, tatsächlich andauernd erreichbar sein zu müssen, online kontrolliert zu werden.

(Christian Lindner [FDP]: Das sind Sie doch gar nicht!)

– Bitte?

(Christian Lindner [FDP]: Sie nehmen sich doch das Recht, nicht erreichbar zu sein!)

– Ja. Ich halte es auch für ein Menschenrecht, nicht erreichbar zu sein, Herr Lindner. Da mag ich mich von Ihnen unterscheiden. Das ist wohl wahr. Sie reden ja immer nur von Freiheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das alles bedarf, wie wir feststellen, einer intensiven gesellschaftlichen Diskussion und politischen Begleitung. In vielen Branchen sehen wir zudem eine …

(Zurufe von der FDP)

– Dass Ihnen die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nicht am Herzen liegen, das wissen wir schon länger. Mir und uns liegen sie aber am Herzen. Vielleicht geben Sie uns die Gelegenheit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Reden wir doch miteinander darüber, was denn gerade auf dem Arbeitsmarkt in manchen Bereichen passiert. Reden wir doch mal über die wachsende Zahl von freiberuflichen Dienstleistungen. Da geht es nicht nur um Taxifahren, sondern unter anderem auch um Softwareexperten. Das Netzwerk TopCoder vermittelt inzwischen in 200 Ländern die Dienste von 30.000 freiberuflichen Programmierern. Wie ist es eigentlich in einer solchen Welt? Welche Arbeitsrechte gelten dort? Wie schaffen wir es, dass das menschenwürdige Arbeitsverhältnisse auf Dauer sind? – Mit diesen Fragen muss sich auch der Landtag Nordrhein-Westfalen beschäftigen. Das sind wichtige Themen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die neuen Gestaltungsräume nutzen und zugleich Regeln finden, damit digitale Arbeit auch „Gute Arbeit“ ist, daran müssen wir – davon bin ich überzeugt – gemeinsam arbeiten. Soziale Sicherheit und digitale Teilhabe zu verbinden – das ist eine zentrale Zukunftsaufgabe von Politik, Gewerkschaften und Unternehmen.

Auch wenn wir uns bewusst sind, dass wir diese Aufgabe in einer sich global vernetzenden Arbeitswelt als Land gewiss nicht allein lösen können, werden wir unseren Beitrag leisten. Dazu gehört insbesondere das Wissen um den Wert von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft. Das wollen wir gerne auch mit den Betriebsräten in einer großen Konferenz diskutieren. Wir wissen: Auch ein NRW 4.0 muss Mitbestimmungsland Nummer eins sein. Das ist und bleibt unsere Zielsetzung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen hat für den digitalen Zukunftsdialog bereits jetzt eine Reihe von Diskussionsplattformen. Einige habe ich bereits erwähnt. Noch hinzuzufügen sind das Medienforum NRW sowie viele Veranstaltungsformate und runde Tische, die wir organisiert haben: ANGA  COM, Interactive Cologne, VideoDays usw. Vieles ist da wichtig. NRW ist der Ort für den Diskurs über alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen im Netz.

Wir wollen zudem eine Einrichtung schaffen, die sich unabhängig, praxisnah und wissenschaftlich fundiert mit den komplexen Fragen auseinandersetzt. Gemeinsam mit den Gesellschaftern des Grimme-Instituts und der Universität zu Köln haben wir das Grimme-Forschungskolleg gegründet. Durch die Verbindung des Praxiswissens des Grimme-Instituts mit der Exzellenz-Universität zu Köln sollen die drängenden Fragen der Digitalisierung der Gesellschaft bearbeitet werden.

Eines ist mir besonders wichtig: Die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen wird in diesem Jahr ein Projekt beginnen, das die Möglichkeiten und Risiken von Big Data für die Demokratie zum Thema hat. Auch damit müssen wir uns in diesem Haus intensiv auseinandersetzen, finde ich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir in Nordrhein-Westfalen wollen und werden die großen Chancen des digitalen Aufbruchs nutzen – für unsere Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger. Dabei werden wir die Herausforderungen und Risiken nicht ausblenden. Wir gehen selbstbewusst in die digitale Zeit. Für uns bleibt es aber dabei: Bei allen Herausforderungen und Veränderungen und bei aller Faszination von technologischen Entwicklungen steht auch weiterhin der Mensch im Mittelpunkt unserer Politik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für uns ist klar: NRW 4.0 bleibt Heimat:

–   eine Heimat guter Bildung mit Chancen für alle Kinder, weil das unsere Zukunft sichert;

–   eine Heimat für Familien, Lebenspartnerschaften und Alleinerziehende;

–   eine Heimat, in der sich alle, ob Jung oder Alt, ob alteingesessen oder zugezogen, wohlfühlen und in der soziale Verantwortung großgeschrieben wird;

–   eine Heimat der wirtschaftlichen Dynamik und Moderne mit starker Industrie, Dienstleistung, Handel und Handwerk;

–   eine Heimat – das ist mir wichtig –, die Menschen ermutigt und nicht entmutigt.

Mit MegaBits, MegaHerz und MegaStark. – Vielen Dank.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben die Regierungserklärung soeben entgegengenommen. Bevor ich die Aussprache eröffne, würde ich gerne noch drei Hinweise geben.

Erstens. Die Ministerpräsidentin hat ihre Redezeit um 6:40 Minuten überzogen.

(Christian Lindner [FDP]: Es fühlte sich mehr an!)

Diese zusätzliche Redezeit wird den Fraktionen in der Aussprache selbstverständlich ebenfalls zur Verfügung gestellt.

Zweitens. Ich will daran erinnern, dass das Fotografieren und erst recht das Telefonieren im Plenarsaal nach wie vor verboten sind. Das gilt auch bei einer Debatte über die Digitalisierung. In einem Fall handelte es sich um eine grüne Smartphonehülle, die sehr weit geleuchtet hat, und im anderen Fall um eine rote Smartphonehülle. Das kann man von hier vorne sehr schön sehen.

(Zurufe von der CDU: Aha!)

– Ja. Man sollte aber nicht von der Farbe den Rückschluss auf eine Fraktion ziehen wollen.

Drittens. Auch mit Blick auf die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne weise ich darauf hin, dass der Grundgeräuschpegel im Plenarsaal heute Morgen wieder extrem hoch ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Jetzt eröffne ich die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Fraktionsvorsitzender Armin Laschet für die CDU-Fraktion das Wort.

Armin Laschet (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, wir hatten Sie im Dezember 2014 um eine Regierungserklärung in diesem Hause gebeten und Ihnen das Thema „Digitalisierung“ vorgeschlagen. Wir hätten aber nicht gedacht, dass Sie nun eine Sammlung von allem, was seit 15 Jahren in diesem Lande stattfindet, hier vortragen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Darauf, dass es seit dem 1. Januar 2004 ein elektronisch geführtes Handelsregister gibt,

(Ralph Bombis [FDP]: Nein!)

wären wir auch noch gekommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dass Sie in der Landesverwaltung Computer haben, hätten wir auch noch vermutet.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Die haben sogar noch Pferde!)

Und dass Sie sich zum Ziel gesetzt haben, es mit viel Kraft und Anstrengung bis zum Jahr 2017 zu schaffen, in öffentlichen Ämtern Geldtransaktionen in Echtzeit durchzuführen – das machen wir täglich in jedem Supermarkt, und da gibt es noch PAYBACK-Punkte!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das sind schlicht und einfach Banalitäten – und dann noch in diesen Begriff gepackt: „in Echtzeit bezahlen“. Das macht jeder Mensch mit seiner EC-Karte sowieso jeden Tag.

Und womit sich der Juristentag 2016 in Essen beschäftigt, hätten wir auch noch herausgefunden, ohne dass wir dafür eine Regierungserklärung gebraucht hätten.

(Beifall von der CDU – Hans-Willi Körfges [SPD]: Na, na!)

Deshalb: Diese Aufzählerei – wir sind nicht die Kassenprüfer des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme,

(Lachen und Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

wir sind der Landtag von Nordrhein-Westfalen!

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Man kann sich richtig vorstellen, wie diese Erklärung entstanden ist. Da sagt die Staatskanzlei den Ministern: Wir haben die Absicht, eine Regierungserklärung zur Digitalisierung zu machen, schreibt doch mal alles auf, was man unter „Digitalisierung“ verbuchen könnte.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Genau so!)

Dann hat der Minister das auf seinem Schreibtisch liegen und gibt daraufhin die Aufforderung in sein Haus, in die Referate: Sagt ihr in jedem einzelnen Referat doch mal, was wir denn der Staatskanzlei zum Thema „Digitalisierung“ melden können!

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: So machen wir das von den Fraktionen auch!)

So findet das häufig statt, wenn Regierungserklärungen entstehen.

(Zurufe von der SPD)

Nur, der Unterschied ist: Regierungserklärung heißt: Regierungsarbeit erklären,

(Zuruf von der SPD: Sehr erhellend!)

und nicht eine Große Anfrage vorlesen, wo Tausende Details zusammengetragen werden.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Das wäre doch die eigentliche Leistung.

Es ist ja wahr, was da alles schon passiert, das wissen wir auch. Und dass man in Wuppertal mithilfe einer App herausfinden kann, welches Kulturangebot es gibt – ja, das ist großartig, aber das beschreibt nicht den großen Bogen, was das mit der Wirtschaftskraft unseres Landes zu tun hat und was das auch mit dem analogen Wirtschaften zu tun hat. Das aber hätte man in einer Regierungserklärung erklären müssen, und das ist heute nicht passiert.

(Beifall von der CDU)

Sie haben im Zusammenhang mit der Digitalisierung zum Beispiel über Schule gesprochen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Taschenrechner!)

Unser großes Problem in diesem Land ist der Unterrichtsausfall. Der wird aber gar nicht mehr erfasst.

(Zurufe von der SPD)

Dabei wären die Bildungschancen größer, wenn man die Digitalisierung nutzen würde und Unterrichtsausfall mit einem Klick erfassen könnte.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das wäre eine konkrete Antwort auf ein aktuelles Problem, mit dem sich Eltern herumschlagen müssen.

Oder: Wir wissen, dass bei Big Data im Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung heute schon große Datenmengen vorhanden sind, die die Handlungsmuster von Einbrecherbanden kontrollieren könnten. Polizeibehörden schildern mir, dass sie damit beschäftigt sind, Hunderte selbstgestrickte Programme zusammenzuführen, dass aber zum Teil das Personal gar nicht vorhanden ist, um dies einzubauen.

Da hätte man sagen können: Hier ist die Welt der Digitalisierung; für unsere konkrete Arbeit in der Tagespolitik hat das diese oder jene Auswirkung. Und das haben Sie nicht getan.

(Beifall von der CDU)

Das gilt auch für das wirtschaftliche Wachstum. Das Ziel muss doch sein, Menschen in Arbeit zu bringen, den Wohlstand unserer Bürger zu sichern und dazu dann die Digitalisierung zu nutzen.

„Das ist nicht NRW 4.0, sondern die Realität 2015“, hat die „WAZ“ nach Ihrer Pressekonferenz zu Beginn dieses Jahres geschrieben. Wir haben manches wortgleich heute noch einmal gehört, was Sie der Presse schon vor zwei Wochen vorgetragen haben.

Kollege Remmel ist gerade einmal kurz aus dem Saal. Das wäre eigentlich eine Aufgabe für den Umweltminister gewesen. Diese Initiative hat eine bedenkliche Ökobilanz: viel Verpackung, wenig Inhalt.

(Beifall von der CDU)

Das hat Ihre Regierungserklärung ausgezeichnet.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Es ist ein, wie die „taz“ geschrieben hat, Sammelsurium von Projekten. Man könnte meinen, so schreibt die „taz“, Sie hätten erst vor Weihnachten von der Existenz des Internets erfahren.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war Frau Merkel!)

Frau Ministerpräsidentin, hat Sie das eigentlich gewundert, wie die Presse auf Ihre Pressekonferenz reagiert hat? Die Menschen, die da vor Ihnen saßen, erleben seit zehn bis 15 Jahren existenziell für ihren Berufsstand, was das bedeutet: technologischer Wandel, Digitalisierung. Die Leute aus der Content Wirtschaft sind die Ersten, die das fühlen: Filme, Musik, Bücher, Presse – sie alle kämpfen seit langer Zeit mit diesen Themen, und wenn Sie denen sagen: „Ich habe mich mal die letzten Wochen mit Digitalisierung beschäftigt, und das ist spannend“ –

(Lachen von der CDU)

also, da haben Sie gerade die falsche Gruppe angesprochen. Denn die muss sich genau mit diesem Thema auseinandersetzen, und zwar in einer Geschwindigkeit, wie das die anderen Berufsgruppen erst in einigen Jahren zu leisten haben.

(Beifall von der CDU)

Deshalb: Wir haben ja gar keinen Dissens in der Einschätzung, dass das ein ausgesprochen wichtiges Thema ist. Wenn man twittert, sieht man, was da an neuen Informationen quasi stündlich kommt.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die „New York Times“ hat in dieser Nacht einen Artikel getweetet über die Frage, was „Uber“ eigentlich als Modell bedeutet. 160.000 Fahrer nutzen das Taxi-Modell. So etwas kann blitzschnell gehen: 40.000 Neuanmeldungen allein im Dezember; ungefähr ein Viertel der Aktivitäten in den USA hat im Dezember stattgefunden.

Das wird uns auch erwischen, und das bekommen wir nicht mit irgendwelchen Regulierungen in den Griff. Dieses Phänomen wird die Welt in vielen Bereichen verändern. Dies wahrzunehmen, sollte kein Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition sein. Die Frage ist nur: Wie bringt man das in die politischen Prozesse, in denen wir um die Wirtschaftskraft unseres Landes kämpfen?

Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württem-berg hat auch eine Regierungserklärung gehalten, und zwar zum Thema: „Heimat, Hightech, Highspeed“. Dieser Dreiklang kommt einem irgendwie bekannt vor, nachdem man Sie gerade gehört hat. Ich würde in Ihrer neuen Sprache sagen: Das kommt einem mega bekannt vor.

(Lachen und Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Aber der Unterschied ist – ich empfehle jedem, zum Kontrast gleich ins Büro zu gehen und das nachzulesen –: Da wird eine Vision für das Land mit einer Strategie verbunden, was man daraus macht. Das ist nicht nur die Addition dessen, was alles stattfindet, worauf eine Landesregierung teilweise gar keinen Einfluss hat – wie Menschen privat mit Smartphones umgehen –, sondern auch die Antwort auf die Frage: Was heißt das für die Landespolitik? – Das hätten wir heute auch von Ihnen erwartet.

(Beifall von der CDU)

Dass Sie das Thema jetzt plötzlich neu entdeckt haben, zeigt sich daran, dass das in den Ministerien noch nicht angekommen ist. Die Wissenschaftsministerin hat am 23. Dezember, also noch vor Weihnachten, die „Planungsgrundsätze für den Landeshochschulentwicklungsplan“ vorgelegt. Darin kommt das Wort „Digitalisierung“ überhaupt nicht vor. Sie geben den Hochschulen etwas vor, denen Sie gerade die Freiheit genommen haben. Alles das, was Sie eben gewürdigt haben, haben die Hochschulen unter Hochschulfreiheitsbedingungen entwickelt, wenn Sie die RWTH, Paderborn und andere loben.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Wir in der Mitte des Plenarsaals haben uns ja gefreut, dass fünfmal die RWTH Aachen erwähnt wurde. Ja, die haben das unter diesen Bedingungen entwickelt. Jetzt kommen am 23. Dezember 2014 plötzlich Planungsgrundsätze. Jetzt sitzen da wiederum Beamte, die glauben zu wissen, was gut für die Hochschulen ist, und die reden nicht mal über Digitalisierung. In der Broschüre „Wissen schafft Chancen: Dynamische Entwicklung von Wissenschaft und Forschung seit 2010“ des Ministeriums findet sich kein einziger Spiegelstrich über Digitalisierung.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Also: Lassen Sie die Hochschulen lieber da weiterarbeiten, damit sie so erfolgreich sind, wie Sie es beschrieben haben. Lassen Sie als Staat die Finger weg von diesen Themen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Bei allem, was Sie hier vorgetragen haben, drängt sich auf: Das ist nicht in der Planungsabteilung, sondern in der Kommunikationsabteilung entstanden. Sie denken jetzt: Wir können von den Defiziten, die wir in der Landespolitik haben, ablenken, indem wir über irgendetwas reden, was modern und schick klingt.

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen brauchen diese Erklärungen nicht. Die Wirtschaft braucht erst recht keine Erklärungen, wie sie mit der Digitalisierung umgeht. Das ist kein politischer Prozess, den die Politik angestoßen hat, sondern es ist ein Prozess, der seit vielen Jahren stattfindet. Wir müssen uns die Frage stellen – an ein paar Punkten flammte das auf –: Was muss die Politik tun, um die Bedingungen unseres Wohlstands, unserer Arbeitsplätze in der Zeit neuer Geschäftsmodelle zu sichern? Das betrifft die Infrastruktur, die innere Sicherheit, die Energie, Forschung, Bildung und Medien.

(Marc Herter [SPD]: Genau!)

Deshalb, Frau Ministerpräsidentin, eignet sich das nicht zum Ablenken. Die Digitalisierung wird den Druck erhöhen, mit dem, was Landespolitik macht, auf der Höhe der Zeit zu sein. Genau darum geht es.

(Norbert Römer [SPD]: Da bin ich mal gespannt, wie das bei Ihnen wirkt!)

Sie sollten noch einmal nachlesen, wie rund um die Pressekonferenz – „MegaBits. MegaHerz. MegaStark.“, „smart“, „Quartier“, „place to be“ und was Sie alles gesagt haben –, wie darüber in den Netzen diskutiert wird; Sie twittern ja auch so alle sechs Wochen mal.

(Heiterkeit von der CDU und den PIRATEN)

Ich würde da einfach mal nachlesen. Das ist eine größere Schulung als alles, was wir sonst so lesen oder an Briefen bekommen, wie Menschen über bestimmte Prozesse diskutieren. Hierüber hat man sich im Wesentlichen lustig gemacht. Es hat den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen sicher nicht gestärkt, wenn man mit solchen Sprüchen versucht, Punkte in der digitalisierten Wirtschaft zu machen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wichtig für die „Industrie 4.0“ sind ein Investitionsklima, Wettbewerbsbedingungen und eine gute Infrastruktur. Wir haben hier schon viele Debatten über den Wettbewerb der deutschen Länder geführt, wer da wie stark ist, was wir mehr machen könnten.

Sie sprechen neuerdings immer darüber, dass die Direktinvestitionen in Nordrhein-Westfalen so hoch und wir auf Platz eins seien. – Ja, das stimmt. Wir sind auf Platz eins. Aber wir haben erneut einen Rückgang von 1,4 %. Wir sind bei den Pro-Kopf-Investitionen schon hinter Hessen. Bayern lag bei den Direktinvestitionen vor zehn Jahren 35 % hinter uns und steht jetzt knapp davor, uns zu überholen. Das ist die Entwicklung, die man wahrnehmen muss. Es hilft nicht weiter, Statistiken zu lesen und zu sagen: „Das alles ist toll“, sondern man muss an den Defiziten arbeiten, um als Land besser zu werden.

(Beifall von der CDU)

Prognos, das Sie ja gerne zitieren und freundlich begleiten, hat in seiner Studie gesagt: Bayern, Hessen und Baden-Württemberg haben deutlich höhere Wachstumsraten als Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist die Frage – auch die Länder haben Schuldenbremsen und demografischen Wandel; sie haben vieles, was wir auch haben –: Was müssen wir anders machen, um hier nicht weiter zurückzufallen, um die Gründerquote, die in Nordrhein-Westfalen unter dem Bundesdurchschnitt liegt, die im Ruhrgebiet noch mal unter dem Landesdurchschnitt liegt, wieder voranzubringen? Welche Entscheidungen brauchen wir da?

Deshalb: Wir brauchen unsere Industrie und unseren Mittelstand nicht für die Digitalisierung zu sensibilisieren. Wir müssen sie mobilisieren. Wir wissen, dass die meisten Industriearbeitsplätze heute in Südwestfalen, in Ostwestfalen und im Münsterland sind. Da ist aber das langsamere Internet. Mit Ihrer Statistik, wenn Sie sagen: „Wir liegen vor Bayern“, wäre ich vorsichtig. Das liegt daran, dass wir viele Städte haben und die Versorger – nicht die Landesregierung – in den Städten viel Geld investiert haben, sodass dort das schnelle Internet weiter ist. In Bayern gibt es mehr ländliche Regionen. Da hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt: Hier wollen wir aufholen. – Sie machen das mit 60 Millionen. Die machen das mit 2 Milliarden. Das ist der Unterschied: Die machen das mit 2 Milliarden!

(Beifall von der CDU – Heiterkeit von Marc Herter [SPD] – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – Hans-Willi Körfges [SPD]: Sprechblase!)

Sie haben dann geschildert, dass es in Wettringen einen besonders intelligenten Bürgermeister gibt. – Stimmt; das ist ja auch ein Christdemokrat.

(Beifall von der CDU)

Der hat vor Ort alle zusammengerufen und Glasfaser dorthin gebracht. Finde ich gut. Bräuchten wir mehr. Aber die Kommunen brauchen dabei Unterstützung. In Bayern bekommt jede Kommune, die das macht, mindestens 500.000 € zusätzlich vom Land, wenn sie solche Initiativen macht. Die werden in den ländlichen Regionen wieder aufholen, die werden die Industriearbeitsplätze in den ländlichen Regionen jetzt für die Zukunft sichern. Wenn wir mithalten wollen, müssen wir hier mehr machen als das, was Sie heute vorgetragen haben. Da müssen Sie einen Schwerpunkt setzen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Natürlich sagen wir Ihnen: Sie machen zu viele Schulden. Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit ja mal gesagt: Schulden sind etwas Gutes, es ist präventive Politik.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

„Ich sage selbstbewusst: Ich mache Schulden.“ An diesem Pult. Können wir gleich heraussuchen. Faktencheck. „Ich mache Schulden. Das ist gut, das ist präventive Politik.“ – Nein, jetzt spüren wir, es ist eben nicht klug. Hätten wir mehr Handlungsspielräume, hätten wir mehr Wirtschaftskraft, hätten wir 3,2 Milliarden € mehr Steuereinnahmen, hätten wir Spielräume im Haushalt, dann könnten wir in die Zukunft investieren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist die Schuldenlast der Vergangenheit, die das verhindert. Das sind die Lasten, die wir aus vielen Jahrzehnten haben. Johannes Rau hat auch schon solche Sprüche gemacht: Schulden von heute ist Steuerkraft von morgen. – Nein, die Schulden der damaligen Zeit behindern uns heute, da zu investieren, wo Zukunft ist. Das ist die Botschaft.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt haben wir gehört, dass Sie neue runde Tische gründen. Wenn ich richtig mitzähle, haben wir zum Thema „Breitband“ inzwischen drei runde Tische: irgendwo, irgendwie, irgendwann.

(Heiterkeit von der CDU)

Der bisherige „Runde Tisch Breitband“ ist ergebnislos, und wir bringen, ebenso wie die Piraten, Woche für Woche Anträge in diesen Landtag ein, wie bei Breitband mehr geschehen kann, mit sehr konkreten Vorschlägen. Sie haben irgendwann einmal mit einer Koalition der Einladung begonnen. Wenn Sie das ernst nehmen würden … Ich weiß nicht, ob das heute noch gilt, oder ob das nur in der Zeit, als Sie von der Linken geduldet wurden, galt. Aber wenn das noch heute gilt, würde ich mir die einmal anschauen. Da haben Fachleute konkrete Ideen entwickelt, wie wir vorankommen können. Sie lehnen das in diesem Landtag alles ab. Es ist die alte Arroganz der Macht, die Sie wieder gepackt hat. Nicht mehr zuhören, sondern alles ablehnen!

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Hans-Willi Körfges [SPD]: Wir warten auf den ersten Vorschlag!)

– Den bekommen Sie jetzt sofort, Herr Körfges. Sie können Vorschläge haben. Ich habe Ihnen ja gerade gesagt: Wenn Sie nur einmal die Anträge lesen und sie bearbeiten würden, hätten Sie Vorschläge in Hülle und Fülle. Daran könnten Sie einmal richtig arbeiten, Herr Körfges. Es wäre für Sie doch mal eine originelle Idee, an Anträgen zu arbeiten.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Ein ganz neues Verständnis eines Abgeordneten: Anträge lesen und überlegen „Kriegen wir das hin?“

(Heiterkeit von der CDU)

Sie machen Vorschläge, wie das E-Government …

(Marc Herter [SPD]: Jetzt sind wir auf Ihrem Niveau angekommen!)

– Sie können da auch noch lernen, Herr Herter. Auch Sie können von Anträgen lernen, Sie ganz besonders.

Ich mache Ihnen einmal einen Vorschlag. Sie machen hier eine große Rede, wie E-Government in Zukunft Bürokratie abbauen könnte. Dann sagen Sie: Die Vorschriften, die es gibt, sind jetzt online zugänglich.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Bürokratieabbau würde bedeuten, Vorschriften nicht online zugänglich zu machen, sondern Vorschriften abzuschaffen. Das wäre doch einmal eine originelle Idee.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Das wäre doch der smarteste Vorschlag. Zu „smart Bürokratieabbau“ kommt jetzt der Vorschlag: Sofort Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen!

(Zuruf von der SPD)

Schon haben Sie einen Schub in diesem Land.

(Beifall von der CDU)

Smarter Vorschlag!

(Zurufe von der SPD)

Dafür brauchen Sie keine digitalen Quartierlotsen. Das können Sie hier im Landtag beschließen.

(Christian Lindner [FDP]: Mindestlohndokumentationsverfahren!)

Das Nächste ist: Wie bekommen wir diesen gefesselten Riesen Nordrhein-Westfalen entfesselt? Ob Mittelstand oder Start-up-Unternehmen – der digitale Wandel erfordert Kapital in den Unternehmen. Die Firmen brauchen mehr von dem, was sie erwirtschaften, um es zu reinvestieren. Denn das, was Sie an Digitalisierung zu Recht beschrieben haben, erfordert einen großen Investitionsbedarf in den nächsten Wochen und Monaten.

Was Sie aber machen, ist, diejenigen, die da wirtschaften, noch einmal zusätzlich zu belasten: Gewerbesteuer, Grunderwerbsteuer, Wasserentnahmeentgelt, immer neue Steuerformen zu erfinden und die Kommunen, die in Haushaltsnöten sind, noch einmal zu nötigen, als Erstes die Steuern zu erhöhen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist genau das, was diesen Start-up-Unterneh-men, die dann etwas erwirtschaften, fehlt. Wir brauchen Mittel, die Investitionen in Digitalisierung voranbringen. Deshalb hängt die neue digitale Welt ganz eng mit der alten analogen Welt zusammen.

Nun haben Sie über die analoge Infrastruktur, über die Baustellen und die Leverkusener Brücke, die Bundeswasserstraßen und die Bundesautobahnen gesprochen. In der Tat wird das wichtig. Denn was nützen kommunizierende Autos und Lastwagen, wenn dann alle gemeinsam im Stau stehen? Es muss den Sinn haben, dass Infrastrukturdefizite da, wo sie sind, abgebaut werden. Sie haben gesagt: Da muss der Bund mehr tun,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)

und es sei ein bayerischer Verkehrsminister, der verhindert, dass dort mehr getan wird.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wie immer!)

Sie wissen ganz genau, dass Sie abgeschlossene Planfeststellungverfahren brauchen. Alle Planfeststellungsverfahren, die hier bei Bundesstraßen abgeschlossen werden, bekommen auch Bundesgeld. Das wissen Sie ganz genau. Bis vor Kurzem haben Sie Bundesgeld zurücküberwiesen. Deshalb: Smart hin, smart her – machen Sie Ihre Hausaufgaben und stellen Sie eine Infrastruktur analog her, damit diese Autobahnen gemacht werden!

(Beifall von der CDU)

Damit es „smart Traffic“ gibt, braucht man mindestens Traffic, also Verkehr, der sich in diesem Land bewegt.

Jetzt sage ich nur eines – darüber sind so leicht weggegangen –: Das ist eine große Debatte, die geführt wird, kontrovers in allen Parteien, auch in unserer. „Wir sind für Netzneutralität“, haben Sie gesagt.

Ich finde, wir müssen eine ernsthafte Debatte darüber führen, ob es Felder gibt, bei denen man priorisieren muss. Wenn Sie selbstfahrende Lkws haben, die ganz eng hintereinander fahren – Sie haben über das Sicherheitsrisiko gesprochen, das Sie in Davos erörtert haben –, wenn wir den Verkehr ganz eng, ganz schnell zusammenführen, brauchen Sie dafür eine Priorisierung. Wenn Sie bei medizinischen Leistungen Top-Medizin anbieten wollen, brauchen Sie eine Priorisierung. Dann muss das, was da übertragen werden soll, schneller sein als meine Mail an irgendwen.

Diese Debatte ist nicht abgeschlossen, hätte aber auch hierhin gehört. Das gilt auch für die digitale Wirtschaft. Wenn wir hier Spitze sein wollen, brauchen Sie Priorisierung. Nicht jede App, die jeder zu jeder Sekunde abruft, hat die gleiche Priorität wie ein Notfall in einem Krankenhaus oder ein schnelles Fahrzeug auf der Autobahn. Diese Debatten müssen wir führen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir brauchen auch Regeln im Internet. Wir wollten das freie Internet; das war einmal eine große Piratenidee, die auch richtig war. Wir brauchen aber auch in diesem Internet Regeln.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Da gibt es schon Regeln!)

– Das ist ja gut, da sind wir uns ja einig. Wir brauchen nur die Debatte darüber und keine leichtfertigen Schlagworte, was da alles stattfindet.

Sie haben gesagt: Sie wollen Nordrhein-Westfalen zum Start-up-Land Nummer eins machen. Da könnten wir uns – Sie, wir in der Opposition, Bayern vielleicht gleich mit – beim Bund dafür starkmachen, die notwendigen Fördermechanismen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir brauchen Investitionszuschüsse zu Wagniskapital, wir brauchen steuerwirksame Sofortabschreibungsmöglichkeiten bis hin zur Steuerfreistellung von Gewinnen bei Beteiligungsveräußerungen, gerade in diesem Teil der Wirtschaft. Und wenn wir das zusammen angehen, kann man dazu vielleicht in Berlin auch einiges erreichen.

(Beifall von der CDU)

Ich habe kürzlich von Prof. Pinkwart, unserem früheren Wissenschaftsminister, gehört, dass er das Thema „Reverse Mentoring“ in die Debatte eingebracht hat. Das wäre auch eine Idee für die Landesverwaltung. Das heißt, junge Arbeitnehmer, die oft viel affiner zu diesen neuen Medien sind und ganz anders in diese Thematik hineingewachsen sind, machen mithilfe moderner Informationstechnologien Schulungen in Betrieben für ältere Arbeitnehmer. Also das, was man üblicherweise lernt, dass der Erfahrenere der Ältere ist, der den Jüngeren anlernt, könnte man umdrehen. In der öffentlichen Verwaltung könnten Sie damit beginnen, dass solche Pilotprojekte auch in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Das Gleiche gilt für die digitale Weiterbildung, die ebenfalls ein Thema sein sollte.

Dann haben Sie über – ich fand, es war ein zu starkes Wort – das Menschenrecht auf Unerreichbarkeit gesprochen. Menschenrechte sind ganz wesentliche Rechte. Man kann sagen: Wir brauchen Zustände, wo man auch einmal unerreichbar ist. Das sei jedem zugestanden. Aber ein Menschenrecht auf Unerreichbarkeit zu fordern, in einer Zeit, in der Uber und ähnliche Unternehmen jetzt plötzlich aus dem Boden sprießen und in immer neuen Berufsformen entlang unserer Regeln, die wir haben, plötzlich neue Arbeitsplätze entstehen, ist es meines Erachtens eine Frage, über die Sie noch einmal nachdenken sollten, ob das wirklich die richtige Tonlage ist, um dieser Digitalisierung gerecht zu werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Menschen haben nämlich existenzielle Ängste. 34 % haben in einer Umfrage gesagt, Sie haben Angst, menschlich überflüssig zu werden in einer solchen Gesellschaft. Es gibt eine Studie von Benedikt Frey und Michael Osborne, zwei Wissenschaftler der Universität Oxford, die untersucht haben, dass 47 % der Arbeitsplätze, die wir heute kennen, potenziell wegfallen können. Sie haben genau die Berufe identifiziert, die es betrifft. Es sind 700 Berufe, die auf ihre Ersetzbarkeit durch automatisierte und digitale Prozesse hin analysiert wurden. Das war nicht der Physiotherapeut, nicht der Arzt, auch nicht der Psychologe, aber das waren Kassierer, Rechtsanwaltsgehilfen, Banker, Makler, Bibliothekare, Call-Center-Mitarbeiter und viele mehr – eine lange, lange Liste von Menschen, die sich voll Sorge fragen: Was wird denn aus meinem Arbeitsplatz in dieser digitalisierten Welt?

Ich denke, auch das müssen wir ernst nehmen, auch das müssen wir thematisieren. Und das gelingt uns nicht, indem wir ein Menschenrecht auf Unerreichbarkeit erfinden,

(Beifall von der CDU)

sondern indem wir uns mit diesen Berufen beschäftigen.

Wir kennen viele Chancen, die in unserem Lande genutzt wurden. Wir müssen aber dazusagen: Es gibt Digitalisierungsgewinner und Digitalisierungsverlierer. Deshalb müssen wir diesen Zusammenhang herstellen zwischen der analogen Welt der Wirtschaft, zwischen dem Kampf um jeden Arbeitsplatz, um alles, was wir da tun müssen, und das verbinden mit den Gedanken, die zurzeit bei der Digitalisierung entstehen. Das haben Sie mit Ihrer Regierungserklärung in dem Maße nicht geleistet.

Ausgerechnet bei den Lehrern, die unsere Schüler für die digitale Zukunft fitmachen können, nämlich die, die beispielsweise in Mathematik oder in den MINT-Fächern unterrichten, erleben wir in den nächsten Jahren eine dramatische Unterversorgung. Die Lücke bei den MINT-Fächern, insbesondere bei den Technik- und Informatiklehrern, die durch Pensionierung bis zum Jahr 2025 entstehen wird, kann nach jetzigem Stand nicht einmal ansatzweise durch die Zahl von Hochschulabgängern kompensiert werden. So steht bei einzelnen Schulen ausgerechnet der Wegfall jener Fächer, die Sie als Zukunftsfächer bezeichnet haben, im Moment ganz oben auf der Tagesordnung. Diesen Punkt haben Sie in Ihrer Regierungserklärung überhaupt nicht angesprochen. Auch hier werden Grundlagen für die Zukunft gelegt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen und die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen haben alle Potenziale, um zu den Gewinnern der Digitalisierung zu gehören. Die „Industrie 4.0“ ist die Zukunft des Industrielands Nordrhein-Westfalen. Die Digitalisierung kann einen Schub dafür geben, dass unser Land zum Ort des Aufstiegs für viele wird.

Aber, um es sinngemäß mit den Worten der „Rheinischen Post“ vom vergangenen Wochenende zu sagen: Nordrhein-Westfalen kann mehr, als Ihre Politik erlaubt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb brauchen wir eine andere Politik, die hier die Freiräume wieder möglich macht, die entbürokratisiert, die denen, die digital wirtschaften wollen, Freiräume gibt, aus denen die Kraft dieses Landes entsteht. Wenn uns das gelingt, wird die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte unseres Landes. Dazu brauchen wir mehr als eine Addition von Einzelmaßnahmen, wie Sie uns das heute berichtet haben.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Römer.

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin hat in ihrer beeindruckenden Regierungserklärung dargelegt

(Lachen von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: Peinlich! – Weitere Zurufe)

– ich komme gleich zu Ihnen, freuen Sie sich mal! –, wie die Digitalisierung das Leben, das Arbeiten und das Wirtschaften in unserem Land schon verändert hat und weiter verändern wird.

(Zuruf von der CDU: Wo sind denn Ihre Leute? – Gegenruf von den PIRATEN: Essen!)

Sie hat gezeigt, welch großartige Chancen und Perspektiven die Digitalisierung für Nordrhein-Westfa-len bietet und dass unsere Koalition fest entschlossen ist, keine dieser Chancen ungenutzt zu lassen.

Die Vielzahl von Maßnahmen, Projekten und Förderprogrammen spricht für sich. Vor allem, Herr Kollege Laschet, hat Hannelore Kraft aber überzeugend dargelegt, dass wir die Digitalisierung als gesamtgesellschaftliche Herausforderung begreifen müssen, die alle Politikbereiche in Anspruch nimmt.

Und was zeigt uns die Opposition? – Wir führen hier eine Debatte über die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung. Die CDU – Herr Kollege Laschet, hat uns gerade empfohlen, wir sollten Anträge lesen – legt uns einen Antrag vor, der die Kostensenkungsrichtlinie 2014/61 der EU begrüßt, der die Nutzung von Straßenlaternen als Sendemasten in Erwägung zieht und der Trinkwasser als unser kostbarstes Lebensmittel preist. Dazu kann ich nur sagen, Herr Kollege Laschet: In Ihrer Rede habe ich nichts anderes gehört. Wenn Sie hier ein Kontrastprogramm präsentieren wollen, dann ist Ihnen das mit diesem Antrag toll gelungen, allerdings fällt es mir schwer, Herr Kollege Laschet, dabei ernst zu bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann verstehen, dass Ihnen heute Morgen bei der Durchsicht der Presseschau die Petersilie verhagelt ist; denn Ihre gesamte Kritik zielt ins Leere. Computerland NRW, auf Kohle und Stahl folgt „Industrie 4.0“, Nordrhein-Westfalen setzt Maßstäbe beim digitalen Wandel – das steht heute Morgen in einer nicht unwichtigen Zeitung geschrieben. Ja, völlig richtig, Herr Kollege Laschet! Aber von Ihnen haben wir keinen einzigen Vorschlag gehört, was Sie denn hier im Land ändern wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie reden über eine andere Politik, aber Sie sagen nichts über sie. Das sind Phrasen, das ist Polemik. Sie packen Ihre ideologischen Glaubensbekenntnisse unter dieses Stichwort „Digitalisierung“. Mehr habe ich von Ihnen, Herr Kollege Laschet, nicht gehört. Das entlarvt Sie!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Manches von dem, was Sie sagen, ist ja nicht falsch. Aber Binsenweisheiten und Schlagworte sind doch – das haben wir gerade erfahren – noch lange kein politisches Konzept. Ich habe – im Sinne Ihrer Fraktion – schlimme Befürchtungen. Ihrer Fraktion stand teilweise auch das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie Ihnen zugehört hat.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Wo gucken Sie denn hin?)

Sie wartete ja auch darauf,

(Christof Rasche [FDP]: Voll daneben! – Weitere Zurufe)

wann denn das Gesamtkonzept kommen würde? Wann denn das Kontrastprogramm der CDU kommen würde?

Ich habe den Eindruck, dass für Sie die Digitalisierung eine thematische Welle ist, auf der man surfen kann, bis eine andere auftaucht. Sie führen das Wort „Digitalisierung“, Herr Kollege Laschet, so oft im Mund, weil es ja offensichtlich so modern klingt. Aber die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung – das hat Ihre Rede zumindest deutlich gemacht – haben Sie anscheinend noch gar nicht erfasst, Herr Kollege Laschet.

Der Eindruck wird auch nicht besser, wenn man sich den jüngsten Entwurf des Grundsatzprogramms der NRW-CDU ansieht: Dem Thema „Digitale Ökonomie“ widmet sich die CDU in diesem Entwurf, wenn man großzügig die einzelnen Zeilen addiert, auf sage und schreibe knapp zwei Seiten, meine Damen und Herren. Wahrlich ein beeindruckender Nachweis von Wirtschaftskompetenz und ein nicht minder beeindruckender Ausweis Ihres Spürsinns für Zukunftsthemen, Herr Kollege Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Also: Was bleibt übrig, wenn man diese üppige Rhetoriksahne mal abstreift? Dass die NRW-CDU den digitalen Handel und die „Industrie 4.0“ irgendwie wichtig findet, beides irgendwie fördern möchte, zumindest aber das Breitbandnetz ausbauen will! Klar, Breitbandausbau ist wichtig, keine Frage. Das hat die Ministerpräsidentin deutlich gemacht. Der läuft ja längst. Und diese Regierung wird dafür sorgen, dass das schnelle Internet bald landesweit zur Verfügung steht, weil der schnelle Internetzugang genauso selbstverständlich sein muss wie die Wasserversorgung und wie der Stromanschluss.

Doch genauso wenig, meine Damen und Herren, wie ein funktionales Schulgebäude einen guten Schulunterricht gewährleistet, besteht die Herausforderung der Digitalisierung allein in der Verlegung von Leitungen.

Die Digitalisierung ist die vierte industrielle Revolution. Im Übrigen – ein kurzer Blick zurück –: Die erste begann mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert. Sie hat die Arbeitskraft von Menschen und Tieren durch die Kraft der Maschinen ersetzt.

Ja, wir sollten uns daran erinnern, welche rasanten Veränderungsprozesse in der Wirtschaft stattgefunden haben und noch stattfinden werden, wo vor allem Politik Verantwortung dafür hatte, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen so gesetzt worden sind, dass alle daran teilhaben konnten, dass es den Fortschritt gab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn die explosionsartige Produktivitätssteigerung durch die standardisierte Fließband- und Massenproduktion markierte zu Beginn des 20. Jahrhun-derts den Beginn der zweiten Phase. In den 1970er-Jahren wurde diese zweite Phase durch die dritte, die computergestützte Automatisierung, abgelöst.

Zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts treten wir mit der Digitalisierung in die vierte Phase der Industrialisierung. Diese neue Qualität besteht in einer vierfachen intelligenten Vernetzung:

Erstens in der intelligenten Vernetzung von Maschinen untereinander;

zweitens in der Vernetzung der Maschinen mit ihrer Umwelt durch Sensoren, Antriebselemente, also durch sogenannte Aktoren;

drittens in der Vernetzung der physischen Maschinenwelt mit der virtuellen Datenwelt des Internets,

dann anschließend in der intelligenten Vernetzung von Maschinen mit ihren in Gebrauch befindlichen Produkten.

Egal, wie wir diese neuen Produktionssysteme nennen wollen – „Industrie 4.0“, Internet der Dinge oder wie die Amerikaner sagen „Industrial Internet“ –: Ihre weitreichenden Folgen lassen sich schon allein daran ablesen, dass stets nur von Maschinen, nicht von Menschen die Rede ist. Muss uns das Sorgen machen? Ist das eine Bedrohung, Herr Kollege Laschet, auch und gerade für Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, dem Industrieland Nummer eins in Deutschland und Europa?

Was bleibt von unserer Privatsphäre, wenn Alltagsgegenstände unseren Lebenswandel auswerten oder unsere zwischenmenschlichen Kontakte aufzeichnen? Was wird aus unserer Selbstbestimmung? Was bleibt von unserer Kreativität, sollten Maschinen das Handeln von Arbeitnehmern und Konsumenten kontrollieren und dirigieren? Die Digitalisierung ist also nicht nur eine Frage der Technologie und der Technologiepolitik. Sie ist auch eine Herausforderung der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, nicht zuletzt eine der Bildung und der Bürgerrechte.

Um es gleich zu sagen: Ja, ich bin davon überzeugt, wir sind davon überzeugt, dass die Chancen weit größer sind als die Risiken und dass die Vorteile der digitalen Ökonomie ihre Nachteile weit übertreffen – vorausgesetzt, meine Damen und Herren, wir sind willens und fähig, die digitale Ökonomie politisch zu gestalten und für den gesellschaftlichen Fortschritt zu nutzen.

Denn die Geschichte der Industrialisierung – deshalb habe ich das vorhin so benannt – zeigt doch, dass das möglich ist. Die Antworten auf die politischen und sozialen Fragen ihrer ersten Phasen in Deutschland waren die Demokratie und der Sozialstaat, die betriebliche Mitstimmung und das progressive Steuersystem. Erst durch diese politische Innovation wurden die brutalen Auswüchse des Industriekapitalismus zurückgeschnitten, wurden seine immensen Produktionsgewinne in Wohlstandsgewinne für alle transformiert und schließlich der Nutzen technologischer Innovationen für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich und erschwinglich.

Und die Ministerpräsidentin hat vorhin deutlich gemacht – da hätten Sie zuhören sollen –, dass das genau der Antrieb für uns ist, dies auch in der Zukunft so zu gestalten, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Denn im Grunde sind das doch immer noch die wesentlichen Merkmale, an denen wir gesellschaftlichen Fortschritt auch durch Digitalisierung festmachen können. Er verhilft allen Menschen zu mehr und besseren materiellen wie immateriellen Gütern, die es ihm dann ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und dazu zählen Einkommen und soziale Sicherheit, Wissen und Bildung, Gesundheit und Mobilität und schließlich auch – ja, gerade wir in Nordrhein-Westfalen wissen, wie wichtig das ist – politische Mündigkeit und demokratische Mitbestimmung.

Der gesellschaftliche Fortschritt ist doch nichts Selbstverständliches, schon gar nicht kommt er von selbst. Demokratie und Sozialstaat gab es nicht umsonst. Auch das muss in diesem Hohen Hause offen ausgesprochen werden. Sie mussten erst von der Arbeiterbewegung, von den Gewerkschaften erkämpft werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch dafür gibt es Beispiele in unserer Geschichte.

Auch der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, ebenfalls ein Ausweis des Fortschritts, wurde erst durch die neuen sozialen Bewegungen der 1970er-Jahre zu einem Meta- und Megathema von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Also, technische Innovationen waren in der Vergangenheit oft Initialzündungen für gesellschaftliche Innovation.

Und doch sind technologischer Fortschritt und gesellschaftlicher Fortschritt, Herr Kollege Laschet, nicht dasselbe. Den technologischen Wandel aufzuhalten, ist noch nie gelungen, wird auch nicht gelingen. Die Digitalisierung unserer Wirtschaft, unserer Arbeitswelt und unseres Zusammenlebens – das ist vorhin beispielhaft deutlich geworden – ist längst eingetreten. Die Frage des Ja oder Nein stellt sich also gar nicht, die Frage nach dem Wie aber sehr wohl.

(Beifall von Marc Herter [SPD])

Wir müssen, meine Damen und Herren, die Digitalisierung nicht über uns ergehen lassen. Wir können sie gestalten, wir wollen sie gestalten. Die Digitalisierung unserer Ökonomie führt zu immensen Produktivitätssteigerungen. Manche Schätzungen gehen von 30 % und mehr in den kommenden zehn bis 15 Jahren aus.

Und diese Produktivitätssteigerungen beruhen vor allem auf der Vernetzung sogenannter intelligenter Maschinen. Die Maschine bestellt sich selbst den gerade geforderten Typ eines Rohlings und tauscht sich selbstständig mit anderen Maschinen oder Lagersystemen über verfügbare Kapazitäten aus. Der Rohling wiederum sagt der Maschine, wie er bearbeitet werden will. Das Endprodukt sendet kontinuierlich Daten über seine Verwendung an seinen Hersteller zurück, damit dieser das Produkt kontinuierlich anpassen und verbessern kann.

Die intelligente Fabrik verbindet schließlich die Effizienz der Massenproduktion mit der Qualität einer individuellen Maßanfertigung. Das ist revolutionär. Dabei ist nicht einmal sicher, ob eine Fabrik in jedem Fall noch gebraucht wird. Denn der 3D-Druck macht oft eine physische Lieferung überflüssig. Es reicht, eine über das Netz bereitgestellte Druckanleitung samt Betriebs- und Wartungssoftware bzw. softwaregesteuerte Betriebs- und Wartungsdienstleistungen zu verwenden.

Handwerker, meine Damen und Herren, müssen Ersatzteile nicht mehr bestellen, sondern können Produktionsanleitungen aus dem Internet bestellen und durch ihren 3D-Drucker selbst herstellen. Auf ihren Datenbrillen erhalten Sie zudem die visualisierten Einbauanleitungen. Auf Internetplattformen vernetzen sich verschiedene Software- und Hardwareanbieter, Produktions- und Dienstleistungsanbieter

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Da sind Sie überrascht!)

– Sie kennen das alles? –,

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Was steht da auf dem Zettel?)

um Wissen und Kapazitäten zu bündeln und um ihren Kunden maßgeschneiderte Produkte anbieten zu können.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen können so ihren Vertrieb auf die ganze Welt ausweiten. Produkte werden aber immer seltener gekauft. Ihre Nutzung wird über Internetplattformen als Dienstleistung nachgefragt und bezahlt.

Kurzum: Das Internet der Dinge und der 3D-Druck bringen neue Geschäftsmodelle hervor; neue Zulieferer- und Dienstleistungssektoren entstehen. Die Grenzen zwischen der virtuellen und der realen Welt verschwimmen genauso wie die Grenzen zwischen dem Industriesektor und dem Dienstleistungssektor. Es ist noch nicht alles Realität, aber es ist auch keine Utopie mehr.

Allerdings verraten uns doch diese Beispiele noch überhaupt nichts über ihre Folgen und Nebenwirkungen für den Arbeitsmarkt, für die Sozialpolitik, für die Bürgerrechte. Eigentlich hätten, meine Damen und Herren, die Hunderte von Weltmarktführern im produzierenden Gewerbe aus Nordrhein-Westfalen eine ausgezeichnete Ausgangsposition, um die Ära der digitalen Ökonomie zu ihrer eigenen Ära zu machen. Doch ausgerechnet die deutschen Unternehmen zögern, wenn es um die Erschließung der neuen Technologien, der „Industrie 4.0“ geht.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Zum einen – darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen, und wir werden mit den Programmen, von denen sie gesprochen hat, die Antworten darauf geben – fehlt kleinen und mittleren Unternehmen noch zu oft das Wissen um die Potenziale des Internets der Dinge. Selbst wenn es vorhanden ist, fehlt oft der Zugang zu diesen Technologien. Hier schlummert das Potenzial. Die aktuelle Prognos-Studie, die ansonsten eindrucksvoll die Stärken und Chancen unseres Landes belegt, weist doch nach: Bei 70 % der kleinen und mittleren Unternehmen spielt die Digitalisierung derzeit nur eine geringe Rolle. – Das muss sich ändern.

Zum anderen mangelt es an Datensicherheit. Auch darauf hat die Ministerpräsidentin hingewiesen. Aber Daten, ihr Austausch, ihre Erhebung und Verarbeitung, entscheiden heute mehr denn je über wirtschaftlichen Erfolg. Sie sollten das nicht kleinreden, was hier Nordrhein-Westfalen entstanden ist – in Aachen, in Bochum – und was wir weiterentwickeln werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sind unsere Vorsprünge, von denen auch heute in den Zeitungen berichtet wird. Also, Big Data, die Verwertung großer Datenmengen, ist das Rückgrat aller neuen Geschäftsmodelle und treibt die Entwicklung jener Technologien und Produkte voran, die unser Leben verbessern und gesellschaftlichen Fortschritt versprechen können. Aber dieses Versprechen wird nur dann eingelöst werden können, wenn Daten nicht nur erhoben und ausgewertet, sondern auch geschützt werden.

Die Aufgabe einer modernen Wirtschafts- und Technologiepolitik hat die Ministerpräsidentin auf den Punkt gebracht: Sie besteht erstens darin, unseren kleinen und mittleren Unternehmen Zugang zu den neuen Technologien zu verschaffen, zweitens, ihre Innovationsfähigkeiten zu stärken, und drittens, die Entwicklung einer effektiven Datensicherheitstechnologie zu fördern, die alle Unternehmen nutzen und anbieten können, nicht nur die Big Player in dieser Szene.

Aus diesem Grund bringt unsere Koalition eine neue Mittelstandsinitiative zur Forschungsförderung auf den Weg, die Wirtschaft und Wissenschaft noch besser miteinander vernetzen wird. Vor allem werden wir die Lücken im Förderangebot von Bund und EU durch gezielte Maßnahmen der Landesförderung schließen. Diese Lücke besteht doch in der Übertragung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung auf die konkrete Produktentwicklung, also der Förderung einer anwendungsorientierten Forschung. Wir wollen, dass die Hochschulen und das Land stärker von Patenten und Patentfamilien profitieren. Das ist Zukunftsmusik, meine Damen und Herren.

Vor allem wollen wir aber, dass diese Patente in Kooperation mit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft genutzt werden, dass hier entwickelt und produziert wird, dass die Wertschöpfung bei uns im Land bleibt und nicht außerhalb von Deutschland, von Europa genutzt werden kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Also, der Gegenstand der staatlichen Forschungsförderung werden in Zukunft noch mehr als bisher die Datensicherheit und der Datenschutz sein. Wenn unsere Unternehmen ihre Innovationen im Internet der Dinge nicht schützen können, werden sie nicht investieren und ihre Wachstumschancen nicht nutzen können; denn die Zwillingsschwester der Datensicherheit ist doch der Datenschutz.

Viele Investitionen der digitalen Ökonomie beruhen auf der mehr oder minder freiwilligen Zuarbeit der Konsumenten, also auf der Auswertung des Nutzungsverhaltens von intelligent vernetzten Maschinen und Produkten. Aber die digitale Welt wird nicht intelligent, wenn sich die Menschen der Auswertung ihrer Daten verweigern, vielleicht sogar aus guten Gründen verweigern.

Wenn zum Beispiel der anfallende Müll digital erfasst und ausgewertet wird, dann kann das die Effizienz der Müllentsorgung steigern und dem Umweltschutz dienen. Wenn aber der anfallende Müll einem Menschen individuell zugeordnet werden kann, wie hoch ist dann das Risiko, meine Damen und Herren, dass eine Kranken- oder Lebensversicherung von zu vielen Cola-Dosen oder Schokoladenverpackungen erfährt, die für sie Grund genug sein könnten, die Beiträge zu erhöhen?

Was wir also für das Zeitalter der digitalen Ökonomie und des Internets der Dinge brauchen, sind Technologien, die wie Sicherheitsscanner am Flughafen funktionieren: Sie erfassen Daten von Menschen und ihrem Verhalten, aber sie entblößen die Menschen nicht.

Um den Zukunftsmarkt Datenschutz und Datensicherheit zu erschließen, haben wir also in Nordrhein-Westfalen eine hervorragende Ausgangsposition; das wird heute überall beschrieben. Die Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen. Diesen Vorsprung, meine Damen und Herren, wollen wir nutzen und noch weiter ausbauen. Das ist der Grund, warum auch diese Regierungserklärung eine so beeindruckende gewesen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, die Digitalisierung der Gesellschaft verlangt mehr als neue Technologien. Sie verlangt Datenmündigkeit, auch Risikomündigkeit eines jeden Menschen. Unsere Schulen müssen Kindern und Jugendlichen nicht beibringen, wie man eine App bedient. Das finden sie selbst heraus. Aber die Kinder und Jugendlichen müssen wissen, wie eine App funktioniert, was mit ihren Daten passieren kann und wie sie verantwortungsvoll mit ihren Daten umgehen können. Je mehr wir in die Daten- und Risikomündigkeit investieren, desto besser werden wir als Bürgerinnen und Bürger die Vor- und Nachteile von Geschäftsmodellen für uns und andere bewerten können. Das sind gut angelegte Investitionen in die Zukunft, meine Damen und Herren, und davon brauchen wir mehr und nicht weniger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin davon überzeugt – Herr Kollege Laschet hat auf das Wegbrechen von vielen Berufen hingewiesen –, dass die intelligente Fabrik, das Internet der Dinge keine menschenleere Fabrik sein wird. Zudem entstehen ja mit neuen Geschäftsmodellen, Dienstleistungs- und Zulieferersektoren auch neue Arbeitsplätze.

Aber natürlich wird die Digitalisierung die Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt verändern. Einfache standardisierte Tätigkeiten, auch solche der Kontrolle und Logistik, wird es immer weniger geben. Das ist aber keine neue Entwicklung.

Das Neue wird sein – darauf sind viele noch nicht eingestellt –, dass auch Planungs- und Managementbereiche durch die Einführung von „Industrie-4.0“-Systemen genauso betroffen sein werden wie operative Tätigkeiten in der Produktion.

Aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in der digitalen Fabrik nicht verschwinden. Sie werden für neue Tätigkeiten gebraucht. Arbeitsorganisation wird dezentraler. Die Aufgaben der Beschäftigten werden komplexer, auch anspruchsvoller. Das stellt ganz neue, ganz andere Anforderungen an ihre Qualifikationen.

Die Ersten im Übrigen, die das gesehen und erkannt haben, waren die Gewerkschaften, die IG Metall vorne weg.

Ja, Herr Kollege Lindner, ja, Mitbestimmung ist ein guter Produktionsfaktor in unserem Land.

(Christian Lindner [FDP]: Ich habe doch gar nichts gesagt!)

Wir wollen und wir müssen die Mitbestimmung ausbauen, Herr Kollege Lindner.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie dann an unserer Seite sind, würde ich mich freuen, dass wir das dann gemeinsam machen können.

(Christian Lindner [FDP]: Ich habe doch gar nichts gesagt!)

– Das ist neu, dass Sie nichts gesagt haben. – Denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden, meine Damen und Herren, als Entscheider und Problemlöser gefragt sein, weil die digitale Produktion alles andere als störungsresistent ist.

Auch soziale Kompetenzen erlangen im Übrigen einen höheren Stellenwert. Reden Sie mal mit der IG Metall. Dann werden Sie erleben, was die Ihnen schon alles mit auf den Weg geben können. Denn mit der Verzahnung einstmals getrennter Abteilungen und Aufgaben wird der Bedarf an zwischenmenschlicher Kommunikation zunehmen. Ja, entgegen vieler Befürchtungen wird klar: Mehr zwischenmenschliche Kommunikation ist in der digitalen Fabrik gefragt, nicht weniger. Technik und Arbeitsgestaltung müssen zusammen gedacht und zusammengebracht werden. Der IG Metall-Vorsit-zende Detlef Wetzel hat doch recht mit seiner Forderung: Die Menschen müssen die Systeme steuern und nicht umgekehrt.

Deshalb ist es gut und richtig, dass die Landesregierung eine große Betriebsrätekonferenz durchführen wird. Ja, die Betriebsräte sind für eine erfolgreiche Gestaltung der digitalen Arbeitswelt von entscheidender Bedeutung. All denjenigen, die ihnen skeptisch gegenüberstehen, sage ich: Habt keine Angst vor starken Betriebsräten! Starke Betriebsräte sind ein starkes Stück Deutschland! Die brauchen wir für die Gestaltung der Zukunft, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Arbeitsbedingungen zu verbessern, kontinuierlichen Zusammenhalt zwischen Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften zu organisieren, das muss Politik mit machen. Das hat die Ministerpräsidentin herausgestellt. Also Bildung, Qualifizierung, Weiterbildung – und das ein Leben lang –, das sind die Schlüsselfaktoren dafür, dass wir die Zukunft meistern können. 115 Milliarden € haben wir seit 2010 – die Ministerpräsidentin hat das gesagt – bisher in Bildung, in die Förderung von Kindern gesteckt und in diesem Jahr noch einmal knapp 26 Millionen €.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenigstens das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. So viel Geld wie wir in die Förderung von Kindern, in die Bildung und in die Forschung stecken, investiert kein anderes Bundesland. Auch da ist Nordrhein-Westfalen spitze, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir brauchen uns nicht zu verstecken.

Das ist im Übrigen der Unterschied zwischen uns und Schwarz-Gelb. Sie wollen, Herr Kollege Laschet, Eltern und junge Erwachsene von der Kita bis zur Uni mit Gebührenerhöhungsorgien überziehen. Wir dagegen reißen die sozialen und finanziellen Hürden nach und nach nieder, die jungen Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren und die junge Menschen daran hindern, das Beste aus ihren Talenten machen zu können. Wir reißen diese Hürden nicht nur nieder, weil sie zutiefst ungerecht sind, sondern weil wir es uns gar nicht mehr leisten können, auf die Fähigkeiten und Talente auch nur eines jungen Menschen zu verzichten. „Kein Kind zurücklassen“ steht für eine richtige, eine auf Zukunft orientierte Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, auch das bleibt richtig: Digitale Ökonomie verlangt nach Regeln, und sie verlangt nach Investitionen. Ohne Regeln gibt es keine Rechte, weder für Unternehmen noch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ohne Investitionen in Bildung, Forschung und digitale Infrastruktur können wir die Wachstumsmöglichkeiten der Digitalisierung nicht erschließen, schon gar nicht in Wohlstandsgewinne für alle verwandeln. Das gilt im Übrigen für die Datenschutztechnologie genauso wie für die Internettechnologie, auf deren Basis ja Handelsplattformen der Zukunft entstehen.

Wir wollen, dass unsere Unternehmen aus NRW diese selbst betreiben und bewirtschaften und nicht von den üblichen Verdächtigen der IT-Weltkonzerne abhängig sind, meine Damen und Herren. Auch das stärkt die Kraft in unserem Land. In jedem Fall dürfen wir die Investitionen in sie und den Betrieb der digitalen Infrastruktur der Zukunft nicht allein diesen Big Playern überlassen, die sich allein ihren Aktionären, nicht aber dem Gemeinwohl, der Daseinsvorsorge verpflichtet fühlen.

Da will ich einen Hinweis geben: Ohne die Forschungsinvestitionen des Staates gäbe es heute keine Mikroprozessoren, keine LCD-Bildschirme, kein GPS, kein MP3, kein Internet und damit auch nicht die exorbitanten Gewinne von Google oder Apple, die sich diese Innovationen zunutze machen.

Gleichwohl, meine Damen und Herren, danken diese Konzerne die Hilfe des Steuerzahlers schlecht, wie wir ja in Kenntnis ihrer Steuervermeidungsstrategien wissen. Auch das muss man in Erwägung ziehen,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

wenn es um die Zukunftsfragen geht.

Bei allen Unterschieden zwischen den frühen Phasen und der jetzt angebrochenen vierten Phase der Industrialisierung gibt es eine Herausforderung, die gemein ist: die Beteiligung der Menschen an den Wohlstandsgewinnen durch immense Produktivitätssteigerungen.

Es lohnt sich im Übrigen, daran zu erinnern, dass schon Henry Ford wusste: Autos kaufen keine Autos. – Im Zeitalter der digitalen Ökonomie werden zwar Maschinen mit Maschinen kommunizieren, sie werden sich aber nicht gegenseitig kaufen und bezahlen.

Mit anderen Worten: Auch in der neuen Welt der digitalen Ökonomie stellen sich die klassischen Fragen nach einer gerechten Verteilung von Gewinnen, der Schaffung von Kaufkraft, nach angemessenen Arbeitszeiten und nach den Bedingungen sozialer Sicherheit.

Die Ministerpräsidentin hat die Chancen und auch die Herausforderungen der Digitalisierung in allen Bereichen der Lebens- und Arbeitswelt klar benannt. Wir stehen mitten in diesem rasanten Veränderungsprozess, aber wir müssen ihn nicht fürchten.

Nordrhein-Westfalen ist auf die kommenden Herausforderungen bestens vorbereitet. Unsere Stärke ist die dichteste Industrielandschaft Europas, die sich mit einer der größten, innovativsten Wissenschaftslandschaften verbindet. Herr Kollege Laschet, und diese Stärke verdanken wir nicht zuletzt der Politik von Johannes Rau.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Seine Regierungen haben in den 80er- und 90er-Jahren die Basis für den kommenden Aufbruch in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft geschaffen. Ja, auch hier noch einmal an die Kurzatmigkeit derjenigen, die jetzt auf den Oppositionsbänken sitzen: Gute Politik verlangt nach langen Linien, und sie braucht langen Atem.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Die Digitalisierung verlangt neue Antworten auf alte Fragen, und ich bin mir sicher, dass wir die Antworten auf diese Fragen finden werden und dass wir sie in Nordrhein-Westfalen finden werden, dem Land des rheinischen Kapitalismus, der sozialen Demokratie, der Sozialpartnerschaft, dem Mitbestimmungsland Nummer eins. Das macht mich zuversichtlich. Glück auf für unser Land!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Ministerin Sylvia Löhrmann)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Römer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Lindner.

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche. Sie verändert die Art unseres Miteinanders in Wirtschaft und Gesellschaft. Sie bietet großartige Chancen für Teilhabe und ein enormes Potenzial, zu neuem Wohlstand zu kommen. Das ist nicht die Erkenntnis dieser Debatte, sondern das ist gemeinhin bekannt. Die Frau Bundeskanzlerin ist vor zwei Jahren regelrecht belächelt worden, als sie vom Internet als dem Neuland gesprochen hat. Diese Debatte wird also schon länger geführt.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben heute gesagt, Sie wünschen sich smarte Wirtschaft, smartes Arbeiten, smartes Wohnen, smarte Bildung für Nordrhein-Westfalen. – Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre eine smarte Regierung, Frau Ministerpräsidentin,

(Beifall von der FDP und der CDU)

die das Thema engagiert angeht, und zwar nicht nur heute. Ich habe mir die Mühe gemacht, mir Ihre Initiativen dieser Legislaturperiode genau anzusehen: 124 Gesetzentwürfe der Landesregierung, mit den Koalitionsfraktionen gemeinsam sind es 133, null zur digitalen Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft, 80 Anträge der Koalitionsfraktionen,

(Zuruf von der Regierungsbank: Falsch!)

null zum digitalen Wandel. Zu Ihrer Ehrenrettung: Es gibt einen einzigen Antrag, den Sie mitgezeichnet haben. Da sind Sie einer Initiative der Opposition beigetreten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Da haben Sie schlecht gezählt!)

Also: Frau Ministerpräsidentin, inzwischen regieren Sie seit vier Jahren und haben so gut wie keine messbare Initiative, keine von Ihnen ausgehende Debatte hier im Hause vorzuweisen.

Sie haben von NRW 4.0 gesprochen. Geliefert haben Sie in den vergangenen vier Jahren viermal null, Frau Kraft.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die heutige Überschrift lautet: „MegaBits. MegaHerz. MegaStark“. MegaEnttäuschend war das, was Sie geboten haben.

(Beifall von der FDP)

Denn heute hat nicht die Regierungschefin gesprochen – wir haben nichts gehört über die langen Linien Ihrer Politik, über eine Strategie –,

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

sondern das Wort hatte die Vorsitzende einer Enquetekommission, die mit viel Fleiß unterschiedliche Initiativen zusammengebunden hat. Aber das ersetzt eben nicht einen konzeptionellen strategischen Ansatz in Fragen der Digitalisierung. Das, was wir heute gehört haben, war Maßnahmenhuberei, aber keine Gestaltung. Und die bräuchten wir, die vermissen wir von Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Übrigen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ist das Motiv für die heutige Regierungserklärung klar. Das vergangene Jahr war eine Enttäuschung für die Koalition: Flüchtlingsskandal, Besoldungsskandal, skandalöse Haushaltssperre. Das gesamte Jahr 2014 war ein Krisenjahr. Da liegt es nahe, dass in der Staatskanzlei überlegt wird: Wir brauchen jetzt einen neuen Start. Wir brauchen einen neuen Anfang. Wir brauchen ein neues Thema. Die Kommunikationsklempner würden sagen: Wir brauchen einen Agendawechsel in der Landespolitik, Frau Ministerpräsidentin. Wir müssen etwas Neues anschieben, um neuen Gesprächsstoff zu haben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wir sind doch nicht bei der FDP! – Minister Johannes Remmel: Wir brauchen hier nicht die eigene Geschichte zu erzählen! – Weitere Zurufe von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Aber Frau Beer, ich habe noch gar nicht angefangen; ich komme noch. Sparen Sie sich noch ein paar Nerven auf!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Also: Der neue Agendawechsel soll kommen. Nur, Frau Ministerpräsidentin, Sie haben bei all dem, was Sie heute vorgetragen haben, ein Problem. Vernetzen kann man Industrie und Handwerk nur, wenn man sie überhaupt noch hat. Auch für das autonome Fahren braucht man intakte Landesstraßen. Programmierunterricht in der Schule macht nur Sinn, wenn es qualifizierte Lehrer gibt und die Schüler zumindest minimale Mathematikkenntnisse haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie können, Frau Ministerpräsidentin, mit Ihrem neuen Thema „Digitalisierung“ Ihren alten Problemen nicht entfliehen. Die Digitalisierung wird im Gegenteil dazu führen, dass die alten Defizite noch schneller und schmerzhafter für alle sichtbar werden, Frau Ministerpräsidentin. Das ist der Zusammenhang.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das will ich an fünf Punkten deutlich machen:

Erstens. Frau Ministerpräsidentin, das wird Sie vielleicht überraschen, der erste Punkt ist der, bei dem ich Ihnen ausdrücklich zustimme. Sie haben gesagt, wir brauchen einen neuen Ordnungsrahmen für die digitale Ökonomie. Wir brauchen starke Leitplanken durch gutes Recht für die Transformation hin zu der massenhaften Sammlung und Bewirtschaftung von Daten.

Sie haben hier von Datensouveränität, Datenhoheit gesprochen. In dem Punkt – das ist im engeren Sinne kein landespolitischer Punkt, aber Sie haben ihn angesprochen – sind wir bei Ihnen. Der Chef von Google hat vorige Tage gesagt: Wenn es Dinge gibt, von denen Sie nicht wollen, dass sie alle erfahren, tun Sie sie nicht.

Er meint damit, dass es möglich ist, durch die Sammlung und Bewirtschaftung von Daten lückenlose Persönlichkeitsprofile anzulegen. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger wider Willen gewissermaßen zu gläsernen Kunden werden. Wenn Sie hier mit Ihrem Bundesjustizminister Heiko Maas neues Recht durchsetzen wollen, dann unterstützen und begleiten wir das.

Aber zu Ihrem digitalen Ordnungsrahmen, Frau Ministerpräsidentin, gehört auch, dass Sie dafür sorgen, dass die Bürger nicht nur nicht zu gläsernen Kunden, sondern auch nicht zu gläsernen Bürgern wider Willen werden. Sie sollten auch Ihren Innenminister digital zur Ordnung rufen, wenn er nämlich fortwährend über die Vorratsdatenspeicherung fabuliert und dort in die Privatsphäre eingreift.

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie es also mit Datenhoheit ernst meinen, dann stärken Sie Heiko Maas den Rücken nicht nur, wenn er Regeln gegen Google durchsetzen will, sondern auch, wenn er Regeln gegen Jäger durchsetzen will. Dann erst ist das in einer vernünftigen Balance.

(Beifall von der FDP – Armin Laschet [CDU]: Jäger ist ein guter Mann!)

Zweiter Punkt: Bildung. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, die heute veröffentlicht worden ist, hat noch einmal herausgearbeitet, dass die Digitalkompetenz die zentrale Schlüsselqualifikation der Zukunft sein wird, nicht nur, um das Potenzial, das sich mit der Digitalisierung verbindet, beruflich verwertbar, sondern auch im Alltagsleben nutzbar zu machen.

Neueste Technologie in den Schulen, das wäre jetzt eine Anforderung. In der Realität sieht es aber so aus, dass sich auf dem Schulhof die Schülerinnen und Schüler über die neueste App auf dem Smartphone unterhalten. Dann geht es aber zurück ins Klassenzimmer und im wahrsten Sinne des Wortes zurück in die Kreidezeit, weil unsere Schulen längst nicht den technologischen Wandel und die technologischen Möglichkeiten aufgenommen haben – nicht im Grundschulbereich, nicht im weiterführenden und auch nicht im beruflichen Bereich.

In anderen Gesellschaften, insbesondere im privaten Bereich, Frau Ministerpräsidentin, da wird längst über die vernetzte Schule gesprochen. Da werden die Möglichkeiten von E-Learning längst genutzt. Sie, Frau Löhrmann, haben sich vor einiger Zeit noch schwer damit getan, ein Tablet statt einen Taschenrechner im Mathematikunterricht zuzulassen, während an anderen Orten auf der Welt längst über das Schultablet für alle nachgedacht wird.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Warum kann Nordrhein-Westfalen in einer solchen Frage nicht einmal führend sein? Warum müssen wir das anderen überlassen?

(Beifall von der FDP)

Weil wir falsche Schwerpunkte setzen. Ich sage gleich: Die Modernisierung unserer Bildungslandschaft, um im Weltmaßstab beispielsweise mit Nordamerika konkurrieren zu können, ist keine Aufgabe, die das Land Nordrhein-Westfalen alleine stemmen kann, das ist letztlich eine Aufgabe für den Gesamtstaat, der bei der Koordination und der Finanzierung von Bildung mehr Verantwortung übernehmen muss. Das Geld dafür wäre da. Es muss kein Science-Fiction sein, über E-Learning, über Tablet für alle, über vernetzte Schule zu sprechen, wenn die Politik in Deutschland bis 2030 nicht 230 Milliarden € für ein Rentenpaket aufwenden, sondern in die beste und modernste Bildung der Welt investieren würde. Das wäre bei entsprechenden politischen Rahmenbedingungen möglich.

(Beifall von der FDP)

Aber wir müssen vor allen Dingen unsere aktuellen Anforderungen angehen. Ich habe bereits eingangs gesagt: Für den MINT-Bereich, der die Schlüsselqualifikationen darstellt, sieht die Lage in Nordrhein-Westfalen beklagenswert aus. Anders, als Sie das eben hier dargestellt haben, Frau Ministerpräsidentin, ist die Lage nämlich alles andere als rosig. Bei der Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik erreichen 30,6 % der Schüler in NRW nicht die KMK-Mindeststandards für einen mittleren Abschluss. Das ist die Situation der Kompetenz im Fach Mathematik.

Wir haben unlängst die Studie von Herrn Klemm im Auftrag der Telekom-Stiftung diskutiert – sie ist öffentlich vorgestellt worden – mit dem Ergebnis, dass sich bis 2025 die Zahl der Lehrer in den wichtigen Fächern Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Technologie, Naturwissenschaften halbieren wird. In zehn Jahren wird es in den Schlüsselbereichen nur halb so viele Lehrkräfte geben wie heute und wie notwendig wären! Nordrhein-Westfalen steht – davon haben Sie hier nicht gesprochen; dazu haben Sie nichts gesagt; nicht eine Ihrer 180 Maßnahmen betraf diesen Bereich – vor einer Bildungskatastrophe im MINT-Bereich, wenn Sie nicht endlich den Lehrermangel in diesem Bereich entschlossen angehen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dazu kam von Ihnen nichts. Sie haben kein Konzept dafür. Nichts! Erst auf Antrag der Freien Demokraten wird sich der Landtag morgen damit beschäftigen. Wir haben nämlich dazu einen Antrag vorgelegt.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich nenne Ihnen auch unsere Forderung: Gerade im MINT-Bereich sind doch auch in der Wirtschaft die Fachkräfte knapp. Die Lehrer für diese Fächer sind doch in allen Bundesländern knapp. Da muss man sich doch nicht wundern, dass gerade in Nordrhein-Westfalen der Fachlehrermangel in dem Bereich besonders groß werden wird, weil Sie, Frau Ministerpräsidentin, es zu verantworten haben, dass wir das am wenigsten attraktive Besoldungsrecht haben und weil Sie Ihre Beschäftigten behandeln wie ostelbische Junker ihre Stiefelknechte. Da müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Qualifiziertesten eben nicht hier Mathelehrer werden wollen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wie ein Bumerang wird das zurückkommen und hier einschlagen.

Wir haben also einen Antrag vorgelegt, den Lehrerberuf attraktiver zu machen, um im Wettbewerb mit Wirtschaft und anderen Bundesländern reüssieren zu können. Das, was Sie heute zum Bildungsbereich gesagt haben, Frau Ministerpräsidentin, war oberflächlich, das war allerhöchstens Pepita. Die wesentlichen Fragen sind Sie nicht angegangen.

Dritter Punkt. Das Wertschöpfungspotenzial der Digitalisierung kann man nur durch leistungsfähige Infrastruktur erschließen. Das ist insbesondere für Mittelstand und Handwerk relevant; denn die großen Player – Industrie, Großunternehmen – schaffen sich ihre eigenen Zugänge zum breitbandigen Netz. Mittelstand und Handwerk müssen sich auf das verlassen, was vor Ort zur Verfügung gestellt wird. Die können es aus eigener Kraft nicht leisten. Beispielsweise können sie nicht eigene Leitungen legen. Sie müssen sich also entweder mit dem zufrieden geben, was da ist, oder sie verlassen den Standort.

Deshalb ist es so entscheidend, dass wir im Breitbandausbau Fortschritte machen. Das ist ein Thema für die Kommunen – für unsere 396 Städte und Gemeinden –, die das leisten müssen.

40 % des ländlichen Raums aber haben nicht einmal Zugang zu 16 Mbit/s.

(Lachen von Reiner Priggen [GRÜNE])

– Herr Priggen, Sie lachen darüber, weil Sie nämlich immer noch davon ausgehen, dass 2 Mbit/s „State-of-the-Art“ sind. Eine 100-Megabyte-Datei damit herunterzuladen, dauert aber sieben Minuten. Mit Glasfaser geht das in wenigen Sekunden. Ich glaube, sehr verehrter Kollege, Herr Priggen, dass Sie als Erstes Ihr Bild vom Breitband verändern müssen. Zwei Megabit in der Sekunde sind nämlich nicht mehr Zukunft, das ist der Stand des Jahres 2005.

(Beifall von der FDP)

Dass wir in Nordrhein-Westfalen insbesondere im ländlichen Raum nicht auf der Höhe der Zeit sind, hat erheblich auch mit Verantwortung der rot-grünen Landesregierung zu tun. Wie war das denn bei den Anmeldungen zur neuen EFRE-Förderperiode im vergangenen Herbst? Was haben wir denn da bei EFRE gemacht? Nordrhein-Westfalen hat das Querschnittsziel Gleichstellung und Nachhaltigkeit angemeldet. Auch die Förderung erneuerbarer Energien, die in Deutschland scheinbar noch nicht hoch genug subventioniert werden, ist angemeldet worden. Weiterhin ist die ökologische Revitalisierung von Städten angemeldet worden. Sie haben die Chance vertan, beim EFRE-Programm auch die Versorgung mit Breitband im ländlichen Raum anzumelden. Da haben Sie Geld verschenkt, das haben Sie liegen gelassen! Das ist eine falsche Schwerpunktsetzung!

(Beifall von der FDP)

Dass das eben von mir genannte Förderprogramm „Breitband im ländlichen Raum“ nur 2 Mbit in den Blick nimmt, hatte ich schon gesagt. Das zweite Problem ist aber, dass Sie nur Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern berücksichtigen. Damit fallen viele durch den Rost dieses Förderprogrammes. Das muss verändert werden.

Wenn ich schon bei diesem Förderprogramm bin, will ich durchaus noch etwas sagen, weil das symbolisch ist. Man stelle sich einen Verantwortungsträger – ein Ratsmitglied, einen Bürgermeister, einen Gemeindebeamter – in einer Kommune vor. Weiter stelle man sich vor, dass der sich informieren will, welche Förderung es im Land Nordrhein-Westfalen gibt. Der wird dann auf die Internetseite des zuständigen Ministeriums, des Ministeriums von Johannes Remmel, gehen und „Ländlicher Raum“ anklicken. Anschließend wird er – ich habe ich das gestern Abend noch angeschaut – auf den Unterbereich „Breitbandversorgung“ gehen. Der erste Link, der auf der Internetseite „Breitbandversorgung im ländlichen Raum“ von Herrn Remmel angezeigt wird, ist einer, der auf weitere Informationen – insbesondere auf die „Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Breitbandversorgung öffentlicher Raum“ – verweist. Was kommt, wenn man diese Richtlinie sehen will? Es kommt eine neue Seite: „Fehler 404 – angefordertes Dokument nicht gefunden“. Das kann jedem passieren; aber es ist gleichzeitig symbolisch, Herr Remmel, für die Art und Weise, wie Sie die Breitbandversorgung angehen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Fehler 404 – Seite nicht gefunden!

Stellen Sie also die Finanzierung auf eine andere Grundlage. Insbesondere das Breitbandförderprogramm der NRW.BANK muss angepasst werden. Glasfaserleitungen müssen bis zum Gehsteig gelegt werden dürfen, nicht nur bis ins Haus, wenn das noch nicht darstellbar ist. Das kann einen Aufholprozess in der Glasfaserversorgung sicherstellen. Nehmen Sie jede der 396 Kommunen an die Hand und finden Sie individuelle Wege, sie ans Breitbandnetz anzuschließen.

Vor allen Dingen, Frau Ministerpräsidentin, sorgen Sie dafür, dass das Koordinationsbüro „Breitband NRW“ weiter finanziert wird. Mit ihm haben wir ein Instrument, das die Kommunen beraten soll. Bis zu der Stunde aber, als Sie hier Ihre Regierungserklärung gehalten haben, Frau Ministerpräsidentin, war die weitere Finanzierung von „Breitband NRW“ noch nicht sichergestellt. Es hat noch keine Förderzusage für das Jahr 2015. Ändern Sie das, wenn Sie ernstgenommen werden wollen in Ihren Bemühungen, Breitbandversorgung sicherzustellen. Sie können hier nicht nur schöne Worte sprechen für das Protokoll, Sie müssen auch Taten zeigen, Frau Ministerpräsidentin.

(Beifall von der FDP)

Ich komme viertens zum E-Government. Digitalisierung der Verwaltung bedeutet Bürgerfreundlichkeit und zugleich auch das Potential, Kosten zu senken. Dieser Bereich beinhaltet erhebliche Potenziale, wenn wir an das papierlose, schnelle und medienbruchfreie Genehmigungsverfahren denken. Warum machen wir das nicht bei der Nachverfolgung von Bauplänen, der Beantragung von Führungszeugnissen oder bei der elektronischen Gewerbeanmeldung? Das gibt es andernorts in Europa bereits. Warum nicht auch in Nordrhein-Westfalen? Warum können wir hier nicht Vorreiter sein?

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass Sie Digitalisierung im öffentlichen Bereich, Frau Ministerpräsidentin, bislang nicht wirklich richtig ernst nehmen, dass das bislang kein echtes Anliegen war. Das wurde zum Beispiel bei einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion aus dem Dezember des vergangenen Jahres deutlich, als wir uns bei Ihnen erkundigt haben, wie der elektronische Rechtsverkehr in der nordrhein-westfälischen Fachgerichtsbarkeit läuft. Wir haben gefragt: Was passiert mit dem elektronischen Rechtsverkehr bei den Fachgerichten in Nordrhein-Westfalen? Ich zitiere aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage aus dem Dezember des vergangenen Jahres:

Die elektronisch und per Fax eingehenden Dokumente werden ausgedruckt und in den obligatorischen Papierumlauf gegeben.

So haben wir uns die Digitalisierung nicht vorgestellt, Frau Ministerpräsidentin. Ihre Regierung befindet sich noch im Zeitalter der E-Mail-Ausdrucker. Das ist aber nicht auf der Höhe der Zeit.

(Beifall von der FDP)

Schon in Ihrem Koalitionsvertrag 2010 war angekündigt worden, dass Sie Open Government als politisch prioritäres Ziel Ihrer Landespolitik ansehen. Wir haben im Februar 2012 nachgefragt. Auch da wurde bestätigt, das sei ein prioritäres politisches Ziel.

Im Januar 2015 warten wir immer noch auf das Portal Open.NRW. In den vergangenen viereinhalb Jahren ist nichts passiert. Als Sie von einem politisch prioritären Ziel sprachen, sind wir davon ausgegangen, dass Sie das im Breitbandtempo erledigen und nicht im Modemtempo der 1990er-Jahre, Frau Ministerpräsidentin. Wir brauchen mehr Tempo bei den entscheidenden Fragen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Warum gibt es keinen energischeren Kampf gegen Wohnungseinbrüche durch eine zentrale Fahndungsplattform beim LKA? Warum ist die Polizei nicht in der Lage, beispielsweise Hehlerware und Diebesgut bei eBay zu suchen und zu ermitteln, wer die Verantwortung dafür trägt, auf welchem Wege das dorthin gekommen ist? Warum gibt es das alles nicht?

Das zeigt nur eines, Frau Ministerpräsidentin: Sie haben die großen Chancen von Modernisierung und Digitalisierung für öffentliche Verwaltung und Sicherheitsbehörden bislang noch nicht ausreichend wahrgenommen. Es fehlt Ihnen an Ehrgeiz, in diesem Bereich tatsächlich Fortschritte zu machen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der letzte Punkt betrifft die Frage der Gründungen, die Sie hier sehr hervorgehoben haben. Das ist mir sympathisch, und es ist für unsere Volkswirtschaft gewissermaßen Hefe im Teig, wenn es eine Gründungskultur gibt.

(Volker Münchow [SPD]: Sie kennen sich damit aus?)

Eine Gründungskultur, wenn Menschen sich auf den Weg machen, sich eine Existenz aufzubauen, ist auch Ausdruck des Zukunftsvertrauens einer Gesellschaft insgesamt.

(Zuruf von Volker Münchow [SPD])

Das sichert den individuellen Aufstieg. Das schafft Arbeitsplätze. – Bitte?

(Volker Münchow [SPD]: Damit haben Sie ja Erfahrung!)

– Ach, gucken Sie einmal da!

(Christof Rasche [FDP]: Guck mal, das Schwergewicht der SPD!)

Das ist interessant. Haben Sie nicht gehört, was die Ministerpräsidentin gesagt hat?

(Volker Münchow [SPD]: Doch!)

Haben Sie das nicht gehört, Herr Kollege von der SPD?

(Volker Münchow [SPD]: Doch!)

Sie sagen, ich hätte Erfahrung. In der Tat, Herr Kollege, ich habe in der Hochphase der New Economy schon einmal ein Unternehmen gegründet, und dieses Unternehmen war damals nicht erfolgreich.

Heute hat die Ministerpräsidentin hier gesagt, man solle auch das Scheitern von Pionieren nicht ein Leben lang biografisch als Stigma verwenden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Da haben Sie einen in Ihren eigenen Reihen, Frau Ministerpräsidentin. Sie haben einen, der nicht zuhört, was Sie machen. Das ist Ihr Kollege. Das ist einer der Gründe, warum die Menschen heute lieber in den öffentlichen Dienst gehen - da haben Sie ja auch gearbeitet -, statt ein Unternehmen zu gründen. Wenn man nämlich Erfolg hat, gerät man in das Visier der sozialdemokratischen Umverteiler, und wenn man scheitert, ist man sich Spott und Häme sicher. Das ist doch der Grund.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kollege: Sie sind übrigens der Zweite. Herr Hahnen hat hier am Pult schon einmal dasselbe probiert. Es sind meistens solche Sozialdemokraten, die das ganze Leben beim Staat gearbeitet oder vom Staat gelebt haben, die anderen unternehmerisches Engagement vorwerfen.

(Beifall von der FDP)

Ich sage Ihnen noch etwas, weil Sie sich hier bis auf die Knochen blamiert haben: Durch Ihren dämlichen Zwischenruf haben Sie im Grunde die gesamte Regierungserklärung der Ministerpräsidentin zur Makulatur gemacht.

(Lachen und Beifall von der FDP und der CDU)

Sie können sich bei dem Kollegen bedanken, der jetzt zum ersten Mal überhaupt im Landtag in Erscheinung tritt, Frau Ministerpräsidentin.

(Lachen von der CDU)

Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Kollege: Mit mir können Sie das ja machen. Schauen Sie, ich bin FDP-Vorsitzender. Ich bin andere Anwürfe gewohnt. Welchen Eindruck macht so ein dümmlicher Zwischenruf wie Ihrer aber auf irgendeinen gründungswilligen jungen Menschen? Was macht das für einen Eindruck?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das hat Spaß gemacht.

(Heiterkeit – Zuruf von der Regierungsbank: Das hat man gemerkt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen das verstehen. Einen solchen Ball auf dem Elfmeterpunkt kann man natürlich nicht ungenutzt passieren lassen. Jetzt ist es aber auch gut, und wir kommen wieder zu den eigentlichen Punkten zurück.

Im Vergleich der 26 innovationsbasierten Volkswirtschaften der Welt steht Deutschland auf dem 22. Platz, und Nordrhein-Westfalen schneidet mit Blick auf das Gründungsklima schlechter ab als der Bundesdurchschnitt.

Man hat den Eindruck, in den Vereinigten Staaten werden Unternehmen von irgendwelchen Nerds im Pullover gegründet. Der Eindruck ist jedoch falsch. Facebook, Amazon und andere solcher großen Technologie- und Plattformunternehmen sind alle aus dem Umfeld von Elitehochschulen gegründet worden, von hochqualifizierten Menschen, die zum Teil auch einmal als zweite oder dritte Gründung ein solch großes Unternehmen auf den Weg gebracht haben.

Weil Sie das erkannt haben, starten Sie jetzt bei uns eine Start-up-Offensive. Diese haben der Wirtschaftsminister und die Wissenschaftsministerin vorgestellt. Habe ich die Zahl richtig im Kopf? Sie wollen dafür 70 Millionen € in die Hand nehmen? Das ist bemerkenswert.

Wir haben uns hier mit dem Hochschulzukunftsgesetz beschäftigt. Das Hochschulzukunftsgesetz hat dafür gesorgt, dass es in den Hochschulen selbst ein Interesse an der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von Innovation und Patenten gibt. Mit dem Hochschulrat haben wir den Versuch unternommen, die Hochschule in den Bereich der Wirtschaft hinein zu öffnen. Wir haben Signale für Ausgründungen und für die Kooperation zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung und innovativen Unternehmen und Unternehmensgründungen gesendet.

Das hat auch zu einem enormen Zuwachs beispielsweise in der Rekrutierung von Drittmitteln für die Hochschulen geführt. Nordrhein-Westfalen war also tatsächlich auf dem Weg, über das Hochschulzukunftsgesetz – nein: Hochschulfreiheitsgesetz – eine Brücke hin zu hochinnovativen Unternehmen zu schlagen, und jetzt kommen Sie mit dem Hochschulzukunftsgesetz und machen alle diese Ansätze kaputt.

(Nadja Lüders [SPD]: Freud’sche Fehlleistung!)

Sie laden die Wirtschaft aus den Hochschulen aus, Sie nehmen die wirtschaftlichen und autonomen Gestaltungsspielräume weg und wollen jetzt 70 Millionen € investieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie wollen jetzt mit 70 Millionen € reparieren, was Sie wegen des Diktats von ver.di, die Ihnen das Hochschulzukunftsgesetz geschrieben haben, mutwillig kaputt gemacht haben. 70 Millionen € werden aber nicht ausreichen, um den entstandenen Schaden dort zu korrigieren. Denn es ist vor allen Dingen ein Schaden in der Haltung, der Mentalität und dem Klima, den Sie zu verantworten haben.

(Beifall von der FDP)

Ich lasse jetzt einmal außen vor, dass unsere Hochschulen insgesamt unterfinanziert sind, seit Sie ihnen die Mittel aus den Studienbeiträgen entzogen und das auch nicht ausreichend kompensiert haben, was doch zu einem enormen Qualitätsrückgang führt. Das wollen wir hier jetzt aber nicht weiter diskutieren; das haben wir bereits x-mal gemacht.

(Widerspruch von Ministerin Svenja Schulze)

– Doch, das ist so. Aber das soll jetzt nicht mein Punkt sein.

Ich will beim Thema „Gründungen“ einen Punkt ansprechen, Frau Ministerpräsidentin, über den ich gewundert habe. Sie haben es bei Ihrer heutigen Regierungserklärung nun wirklich nicht an Ausführlichkeit mangeln lassen.

(Heiterkeit von Klaus Kaiser [CDU])

Sie haben es sogar geschafft, die Redezeit um 6:40 Minuten zu überziehen. Gefühlt war es sogar noch mehr. Trotzdem haben Sie nichts zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Risikokapital für Gründungen gesagt. Das ist interessant. Denn wenn Sie so ausführlich sprechen und nahezu jedes Projekt an welcher Hochschule auch immer erwähnen, muss es ja politische Absicht sein, dass Sie kein Wort zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gesagt haben.

Bayern hat eine Initiative auf den Weg gebracht, um Gründungen und den Zugang zu Risikokapital zu erleichtern. Was sagt Norbert Walter-Borjans dazu? Ich nenne die steuerlichen Sofortabschreibungsmöglichkeiten beim Erwerb von Anteilen an Start-ups. Ich nenne die Aufhebung bzw. Abschwächung des Verlustabzugs beim Einstieg von neuen Investoren in Start-ups. Ich nenne Ausnahmen von der Mindestbesteuerung für junge Unternehmen.

Frau Ministerpräsidentin, das sind genau die Punkte, die beispielsweise der Bundesverband Deutsche Startups regelmäßig beklagt. Sie bedeuten im internationalen Vergleich einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für unser Land Nordrhein-Westfalen und für Deutschland insgesamt. Warum haben Sie dazu gar nichts gesagt, Frau Ministerpräsidentin? Ist das für Sie kein Thema? Oder sehen Sie da nur Heuschrecken, die investieren?

Hier müssen Sie nacharbeiten. Wir erwarten von Ihnen, wenn Sie Ihre Regierungserklärung ernst meinen, dass das Land Nordrhein-Westfalen die Initiative des Freistaats Bayern für bessere rechtliche Rahmenbedingungen für Start-ups aktiv unterstützt. Daran werden Sie jetzt gemessen werden, Frau Ministerpräsidentin. Das ist die nächste Hürde, die Sie nehmen müssen. Sonst ist alles, was Sie hier gesagt haben, nichts weiter als heiße Luft, weil Sie an die wirklichen, tiefgreifenden Probleme nicht herangehen können oder wollen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mein letzter Punkt: Natürlich sind kleine Unternehmen mit wenig Managementkapazität besonders von Bürokratie betroffen. Sie brauchen ihre Arbeitskraft, um ihr Produkt zu entwickeln, sich einen Markt zu eröffnen, den Marktzugang zu organisieren. Hierzulande müssen sie sich aber mit Bürokratie herumschlagen. In den USA geht man zur Gründung eines Unternehmens in die Garage, bei uns geht man aufs Amt. Während man dort schon an der Idee schraubt, füllt man hier noch Formulare aus. Hätte Steve Jobs Apple nicht in Palo Alto gegründet, sondern bei Hannelore Kraft in Castrop-Rauxel, wäre er bereits an der Baunutzungsverordnung für seine Garage gescheitert. Das ist die Realität.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Tun Sie also mal was für den Bürokratieabbau! Damit meine ich übrigens nicht das Tariftreue- und Vergabegesetz.

(Ralf Witzel [FDP]: Auch!)

Denn welches IT-Start-up hat unbedingt ein Interesse, an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen? Das werden die aller-, aller-, allerwenigsten sein. Das Tariftreue- und Vergabegesetz müssen Sie wegen unseres Handwerks abschaffen. Aber wie sieht es mit den ganzen anderen bürokratischen Fragen aus? Was ist mit Umsatzsteuervoranmeldungen auch bei Gründungsunternehmen? Wie ist das mit den Buchführungspflichten?

Ein ganz aktuelles Beispiel ist Guntram Schneider. Er lässt sich in der Presse immer damit zitieren, er sei derjenige, der die Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung zusammen mit dem Zoll auf Punkt und Komma durchsetzen werde. Genau das werden doch die neuen bürokratischen Lasten für das kleine Unternehmen mit seinen paar Beschäftigen sein. Es muss dann für Guntram Schneider Statistiken ausfüllen, statt sich um sein Geschäft zu kümmern. Das sind doch die bürokratischen Belastungen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In Berlin wird gerade die Arbeitsstättenverordnung diskutiert. Was sagen Sie denn dazu, Frau Kraft? Für das IT-Start-up wird von Frau Nahles demnächst festgelegt, wie groß das Fenster in der Teeküche und wie hoch die Temperatur im Archiv sein muss.

Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie es mit dem gründerfreundlichen Klima wirklich ernst meinen, dann hören Sie endlich damit auf, zu unterstützen oder selbst zu veranlassen, dass die kleinen, aber auch unsere etablierten mittelständischen Betriebe durch immer neue Bürokratie gefesselt werden. Da täten Sie allen einen Gefallen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Dietmar Schulz [PIRATEN])

Ich komme zum Schluss, verehrte Anwesende. Letztlich ist es eine Frage des Klimas. Berlin ist die Gründerstadt Nummer eins in Deutschland – nicht wegen besonders guter wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, sondern eher, weil Berlin ein spannender Standort mit Kultur ist. Vor einigen Jahren sagte man: You can’t hire into Berlin. – Deshalb hat eBay seinen Europasitz seinerzeit nicht nach Berlin, nicht nach Deutschland verlegt. Das hat sich fundamental verändert – nicht weil Herr Wowereit jetzt ein Feuerwerk an wirtschaftspolitischer Liberalität entfacht hätte, sondern weil dort einfach das Klima stimmt.

(Ingrid Hack [SPD]: Nein, dort ist die Politik natürlich nicht schuld, Herr Lindner! Das ist klar, wenn es Ihnen nicht passt! – Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Der heißt jetzt Müller!)

– Herr Müller hat aber noch nicht so viel mit den Rahmenbedingungen der letzten Jahre zu tun, Frau Ministerpräsidentin. Da ist Herr Wowereit eine längere Zeit verantwortlich gewesen. Deshalb war es schon richtig, dass ich von Herrn Wowereit gesprochen habe.

Übrigens wird es Herrn Müller nicht gelingen, ein besonderes Klima der Elektrizität in Berlin zu entfachen. Wenn man Herrn Wowereit eines zugutehalten muss, dann ist es nicht sein Flughafen, sondern das, was er geleistet hat, um die Stadt interessant zu machen. „Arm, aber sexy“ hat er gesagt. Bei dem Weg in Richtung Armut stehen Sie ihm in nichts nach. Wenn es darum geht, Nordrhein-Westfalen auch zu einem attraktiven Standort zu machen, gibt es bei Ihnen aber noch einigen Anlass zur Vervollkommnung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn bislang strahlt Ihre Regierung keine Offenheit für Fortschritt, für neue Technologien aus. Bislang preist Ihre Regierung die wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit nicht besonders, sondern stellt sie eher unter Generalvorbehalt.

Deshalb möchte ich zum Abschluss folgenden Satz aus der Manuskriptfassung Ihrer Regierungserklärung zitieren:

„Die Landesregierung wird wie bisher ihren Beitrag leisten, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.“

Wie bisher? Bitte nicht! Denn das ist eine Drohung. Machen Sie es anders als bisher!

(Langanhaltender Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lindner. – Nun spricht für die grüne Fraktion der Fraktionsvorsitzende, Herr Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Gestatten Sie mir zwei, drei Vorbemerkungen, Herr Lindner, einfach um Ihrem Alarmismus zu widersprechen.

Erstens. Sie erwecken ja den Eindruck, als ob 2025 in Nordrhein-Westfalen eine Bildungskatastrophe im MINT-Bereich ausbrechen würde.

(Zuruf von den PIRATEN: Nicht nur da!)

Bis dahin werden zwei komplette Durchgänge von Lehrern und Lehrerinnen ausgebildet. Derzeit studieren 26 % derjenigen, die in Deutschland studieren, in NRW, obwohl wir nur 21 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Das heißt, wir sind ein hochattraktives Land für Studierende. Ich bin auch ganz sicher, dass im Rahmen der Schwerpunktsetzung die notwendigen Zahlen innerhalb von zehn Jahren zur Verfügung stehen werden. Insofern ist Gelassenheit angesagt und nicht dieser Katastrophismus.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Ich habe eben, lieber Christian Lindner, ein bisschen Spaß gehabt, als du am Anfang deiner Rede etwas von 16 Mbit erzählt hast. In der Vorbereitung habe ich noch mal eine bösartige Anfrage der Abgeordneten Horst Becker und Reiner Priggen vom 19. Februar 2010 herausgesucht; da war die FDP noch in der Regierung, Armin Laschet noch im Kabinett. Da haben wir beide gefragt: „Wird das ‚schnelle Internet‘ 2010 auch nach Linnich-Boslar kommen?“ Die Antwort auf diese Kleine Anfrage findet man in der Drucksache 14/10985. Mit der habt ihr uns damals eine lange Liste mit den Orten geschickt, die das „schnelle Internet“ haben. Ihr habt da alle Kommunen aufgeführt, auf ganz vielen Seiten. Da steht unter „DSL-Verfügbarkeit 384 Kilobit“ immer 100 % der Haushalte, 99 % der Haushalte usw. Als ihr mit dem Regieren aufgehört hat, war das für euch „schnelles Internet“.

(Heiterkeit von den GRÜNEN und der Regierungsbank – Minister Johannes Remmel: Das waren aber drei Elfmeter! Drei Elfmeter waren das!)

Jetzt würde ich ganz gerne, um auch das klarzustellen – entschuldigen Sie, Frau Ministerpräsidentin –, einen Satz aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann vom 15. Oktober 2014 zitieren, nur einen Satz: „Bei der digitalen Infrastruktur liegen wir zusammen mit NRW an der Spitze der Flächenländer.“

(Minister Johannes Remmel: Wunderbar!)

Das sagte der baden-württembergische Ministerpräsident.

Die reale Zahl sieht so aus: Mitte 2014 hatten 70,7 % der Haushalte in NRW eine Übertragungsrate von 50 Mbit. Ich wiederhole: 50 Mbit – nicht 384 KBit. Baden-Württemberg hatte 69, 2 %, Bayern 62,4 %. Ministerpräsident Kretschmann muss ja auch nicht in seinem eigenen Parlament sagen: „NRW liegt noch ein bisschen vor uns“, aber er ist an dieser Stelle zumindest fair. Er ist jedenfalls fairer, als Sie beide, Herr Lindner und Herr Laschet, wenn Sie immer als Erstes das Land schlechtmachen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der Regierungsbank – Zuruf von der CDU)

Dann muss ich sagen: Eigentlich hätten wir heute noch zwölf weitere Regierungserklärungen haben können. Denn gucken Sie mal, wie dieser Prozess abläuft, wie er alle Lebens- und Arbeitsbereiche umwälzt, und das nicht nur in diesem Jahr, sondern seit den letzten zehn, 20 Jahren. Wir wissen – ob es nun Guntram Schneiders Ministerium, das Justizministerium oder das Gesundheitsministerium ist, egal welches Haus –: Jedes Haus arbeitet zu diesem Thema seit Jahren akribisch mit sehr viel Elan nach vorne. Das hätte alles angesprochen werden müssen. Das wäre spannend gewesen. Das wäre auch adäquat gewesen, wenn wir darüber sprechen, welche Bedeutung der ganze Prozess für unser Land hat – dieses alte, von Kohle und Stahl geprägte Industrieland.

Wenn man das Ganze ein bisschen genauer einordnen will, dann muss man sich fragen: Was haben herausragende technische Neuerungen immer wieder an durchgreifenden Veränderungen gebracht für unsere Arbeitsweise, aber auch für die private Umgehensweise? Ich sage mal: Es war der Buchdruck, der als Urknall der Moderne überall die Möglichkeit geschaffen hat, sich Bildung anzueignen.

Gerade wir in diesem Land haben mit solch durchgreifenden Veränderungen große Erfahrungen gemacht. Die erste industrielle Revolution hat in Nordrhein-Westfalen ihren Ursprung gehabt. Die Dampfmaschinen wurden entwickelt, und mit den Dampfmaschinen war es möglich, die Kohle aus großen Tiefen zu fördern und obendrüber Stahl zu produzieren. Das ist eine der Gründungstatsachen des modernen Industrielandes Nordrhein-Westfalen gewesen. Danach kamen die Fließbandfertigung, der Einsatz elektrischer Energie. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kam die Automatisierung der Produktion hinzu.

Wenn wir über Digitalisierung reden, dann reden wir über einen Prozess, der mit nie geahnter Geschwindigkeit alles, was wir an Arbeit machen, was wir an Ausbildung machen, bis hin in unsere privaten Verhältnisse ändert und umwälzt.

Frau Ministerpräsidentin, ich habe mich sehr gefreut, dass Sie in den ersten fünf Minuten Ihrer Rede dreimal die Technische Hochschule Aachen erwähnt haben; Sigrid Beer hat sich über Paderborn gefreut, Aachen war insgesamt fünfmal dabei. Ich kann mich noch gut erinnern – es ist spannend, wenn wir das Thema in der Fraktion diskutieren und ich als über Sechzigjähriger dabei bin – an meinen Studienbeginn als Maschinenbauer an der TH Aachen. Wenn ich Matthi Bolte, der bei uns im Netzbereich arbeitet, und der 32 Jahre später geboren ist als ich, den Rechenschieber zeige, mit dem ich im ersten Semester angefangen habe – er versteht diese logarithmischen Hieroglyphen gar nicht; er meint, das sei eine Grabbeigabe aus dem Pharaonengrab.

(Heiterkeit von der Regierungsbank)

Und ich weiß noch: Ich war stolz wie Bolle; das war damals ein ganz modernes Ding, das war wie der Zauberstab von Harry Potter. Das ist jetzt alles Geschichte.

Norbert Römer hat mir irgendwann mal erzählt, dass er noch Bleidruck gelernt hat. Im Zusammenhang mit solchen Dingen erkennen wir – und das ist auch die Alterserfahrung –: Viele Menschen, die arbeiten, erleben diese Prozesse auch als Bedrohung, als radikale Veränderung ihres Lebens.

Die Frage ist doch: Wie können wir diese Prozesse gestalten? – Dafür sind wir als Politik verantwortlich. Wie können wir sie so gestalten, dass die Menschen mitgenommen werden, dass wir die Arbeitsplätze erhalten, dass wir in diesem Wandel, der in unserem Land stattfindet, die modernen Arbeitsplätze hierher holen? Das genau ist unsere Aufgabe. Dazu habe ich von beiden Oppositionsführern nicht ein einziges konstruktives Wort gehört.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Altbundespräsident Horst Köhler hat in seiner Berliner Rede am 24. März 2009 einen ganz bemerkenswerten Satz gesagt, nämlich: „Nehmen wir uns deshalb die nächste industrielle Revolution bewusst vor: diesmal die ökologische industrielle Revolution.“

Und das ist das, was aus meiner Sicht jetzt passiert – mit allen Ängsten, die damit verbunden sind. Wir erleben nichts anderes als den Übergang vom fossilen zum elektrischen Zeitalter. Das dauert, das streckt sich über einen bestimmten Zeitraum, aber das ist genau der Prozess, der gerade abläuft. Dabei haben viele Menschen Ängste, zum Beispiel um ihren Arbeitsplatz. Das sind immense Herausforderungen. Aber das ist genau die Chance, die wir haben.

Die Digitalisierung ist die ganz große Chance bei der Umsetzung der ökologischen industriellen Revolution. Das ist ein Umbruch in der Geschichte der Technik und der menschlichen Kommunikation. Manchmal ist das hart. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass wir einmal zu viert zu Hause am Tisch sitzen und alle auf diese Dinger gucken, die immer irgendwie am Hupen und am Piepen sind. Aber es ist ein Teil dessen, was wir erleben.

Aus meiner Sicht müssen wir – das ist das Faszinierende für jemanden, der aus der Technik kommt – die Chancen, die in diesem Prozess liegen, in allen Bereichen sehen und nutzen, die Interessenauseinander­setzungen dahinter austragen und die Probleme dabei ansprechen. Auch dazu habe ich nichts gehört.

In der heutigen Gesellschaft müssen diejenigen, die ausgebildet werden, immer wieder gucken, dass sie mit ihrem Wissen standhalten. Es ist nicht wie früher, als der Meister das Know-how bei der Arbeit an den Gesellen weitergegeben hat. Das ändert sich so radikal, dass erhebliche Risiken darin liegen, wenn Unternehmen diese Prozesse nicht mitmachen.

Wir erinnern uns alle noch gut an einen namhaften Weltmarktführer, Triumph-Adler, der die besten Schreibmaschinen der Welt hergestellt hat. Wie viele Literaturnobelpreisträger haben auf einer Triumph-Adler geschrieben? Dieses Unternehmen hat den Übergang zur Computertechnik nicht erfolgreich geschafft; es ist heute nicht mehr da.

Genau diese Diskussion führen wir an vielen Stellen. Der Kollege Guido van den Berg, den wir alle als jemanden kennen, der sich engagiert für die Arbeitsplätze im Braunkohlenrevier einsetzt, hat mich eingeladen. Wir sind zusammen nach Berlin gefahren und haben uns Younicos angesehen. Norbert Römer ist seit Langem im Aufsichtsgremium des Regionalversorgers WEMAG in Mecklenburg-Vorpommern, in Schwerin. Da bin ich letzte Woche gewesen und habe mir den Batteriespeicher angesehen, den Younicos entwickelt hat – ein faszinierendes Instrument, um tatsächlich Netzstabilität zu erzeugen.

Ich finde, genau so etwas, was Younicos entwickelt hat, was in Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt wird, müssen wir nach Nordrhein-Westfalen holen. Wir müssen Netzstabilität über Batteriespeicher herstellen. Das Entscheidende an der Stelle ist der Prozessrechner. Der wird so gut gesteuert, dass der Hersteller 20 Jahre Garantie auf die Batterie gibt. Wenn Sie sich die Batterietechnik ansehen, dann erkennen Sie, dass es das sonst nicht gibt. Er gibt 20 Jahre, weil die Software der Steuerung so genial ist, dass die Batterien, Tausende von Einzelzellen, optimal be- und entladen werden. Das ist eine hervorragende Lösung.

Die speichern damit Windstrom und nutzen ihn für die Netzstabilisierung. Die WEMAG bewirbt sich im Wettbewerb. Die Netzstabilisierung wird jede Woche auktioniert. Seitdem das Ganze in Betrieb ist, hat die WEMAG die Auktion jede Woche gewonnen. Das heißt, sie sind in der Lage, im Wettbewerb mit den großen alten Kraftwerksblöcken tatsächlich zu bestehen.

Wir werden noch 30 Jahre einzelne Kohlekraftwerke haben – das ist gar nicht die Frage –, aber es werden weniger. Die, die jetzt Netzstabilisierung über die Schwungmassen der Kohlekraftwerke machen, stehen mit denen dann immer mehr im Wettbewerb.

Nachdem wir in Berlin waren, hat Guido van den Berg versucht, bei den großen regionalen Unternehmen durchzusetzen, dass sie das im Rheinischen Revier einsetzen. Die haben uns ihrerseits vorgeschlagen, CO2-Freilandbegasung von Rüben und Kartoffeln zu machen, sind nicht darauf eingegangen.

Für das modernste Elektrofahrzeug, das in NRW gebaut wird, den Streetscooter in Aachen, wurde eine Beteiligung über 6 Millionen € gesucht. Dafür sollten 50 % abgegeben werden. Deshalb bin ich wenig später bei dem gleichen Unternehmen gewesen und habe gefragt: Ist das nicht etwas für die Innovationsregion Rheinisches Revier? – Kein Interesse. Automobilherstellung ist nicht ihr Bereich. Jetzt hat die Post es aufgekauft. Genau das ist der harte Kampf um die Zukunftsbereiche in der Realität.

Die Chancen, die Möglichkeiten, die in dem Prozess liegen – ich könnte jetzt aus den ganzen Jahren, in denen ich mich mit Energiepolitik beschäftigt habe, eine Kette von Unternehmen aufzählen –, müssen wir nutzen. Es ist die Frage, wo wir unterstützen können, worauf wir hinweisen können. Wir waren wie ein Missionswerk unterwegs. Letztendlich entscheidet das Unternehmen. Es ist natürlich eine harte Situation, wenn all die neuen Bereiche, auf die wir hinausmüssen, von den Unternehmen abgelehnt werden. Trotzdem müssen wir weiterkommen. Deswegen ist es genau richtig, das virtuelle Kraftwerk hierher zu holen. Wir wollen zusammen dafür kämpfen, dass wir die neuen Chancen und Möglichkeiten, die wir im Rahmen der Energiewende brauchen, hierhin nach NRW bekommen.

Ich sage auch ganz klar: Ohne die Möglichkeiten der Digitalisierung wäre der Ausbau der Erneuerbaren überhaupt nicht möglich gewesen. Die erneuerbaren Energien mit ihren Potenzialen, die heute Primärenergieträger Nummer eins in Deutschland sind, gäbe es sonst nicht. Das ist genau der revolutionäre Prozess. Ich kann die Steuerung für den Einsatz dieser Technik nutzen, Zug um Zug aufbauen und damit sowohl Arbeitsplätze, Entwicklungsmöglichkeiten als auch eine reduzierte Abhängigkeit von Rohstoffimporten herstellen. Wenn wir die Kette so erfolgreich fortsetzen, dann muss ich vor keinem Ölscheich auf den Knien rutschen und ihn darum bitten, dass er uns Öl oder Gas liefert. Ich muss bei niemandem, der Menschenrechte verletzt, anstehen. Dann haben wir eine gerechte Verteilung der kostenlosen Energieträger Sonne und Wind für alle.

Es ist noch eine Strecke, aber die Entwicklung dahin geht mit der Digitalisierung Meter um Meter voran. Das sollten wir zusammen machen und das Land aufstellen, aber auch die Ängste derjenigen aufnehmen, die da jetzt noch beschäftigt sind und diese Perspektive noch nicht so sehen, und ihnen Lösungsmöglichkeiten anbieten. Aber der Weg muss eindeutig sein. So sind wir verabredet, und genau das machen wir.

Zur gesamten Energiepolitik habe ich von beiden Oppositionsführern nicht ein einziges Wort gehört.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich führe das nur exemplarisch auf; wir waren da bei vielen Firmen.

Alles gilt genauso für den gesamten Bereich der Mobilität, für das, was Mike Groschek macht. Es geht um die spannenden Projekte im Bereich der Mobilität, die Umstellung der Mobilität Zug um Zug in Richtung Elektromobilität –

(Christof Rasche [FDP]: Aufs Fahrrad!)

mit besseren Batterien, mit Möglichkeiten zum Be- und Entladen. Ein Beispiel ist die Krankenschwester, die aus der Eifel 30 km zum Klinikum nach Aachen fährt. Das Auto steht elf Stunden zu Hause und neun bis zehn Stunden am Klinikum. In der Zeit kann es angeschlossen werden. Es hat einen mobilen Speicher, den man laden kann. Das ist genau die richtige Einsatzmöglichkeit und kostet einen Bruchteil dessen, was Benzin kostet.

Das geht nicht so schnell, die Entwicklung braucht Zeit, aber genau das ist die Perspektive. Auch da muss niemand Angst haben. Unsere hervorragende Motorentechnik wird noch über lange Zeit die Basis sein. Aber wenn wir in den anderen Bereichen nicht entwickeln, nicht aufpassen, nicht forcieren, dann geht uns die Weltmarktführerschaft, die wir in der Technik haben, verloren. Auch das ist ein Bereich, in dem wir darum kämpfen, dass wir die Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen behalten und sogar ausbauen. Deswegen ist das so wichtig.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das gilt im Verkehrsbereich – „Smart City“ – und auch in allen anderen Bereichen. Im Gesundheitssystem – Kollege Bolte wird es gleich noch ansprechen – bieten sich immense Möglichkeiten. Die Bevölkerung wird immer älter. Da geht es um vernünftige Pflege und Unterstützung.

Wir könnten es für alle Bereiche durchdiskutieren. Es ist, glaube ich, eine sehr interessante und spannende Diskussion und eine – gerade wenn Sie eine Affinität zur Technik haben – herausfordernde Möglichkeit.

Grundlage von allem – das war ja der Ausgangspunkt – ist natürlich, dass wir den Netzausbau hinbekommen. Der Netzausbau ist doch nichts anderes als der Ausbau von Stromleitungen und Wasserleitungen. Der Netzausbau in Nordrhein-Westfalen ist laut Ministerpräsident Kretschmann – ich glaube, der gilt da als unabhängiger Zeuge – sehr gut. Aber wir müssen noch viel besser werden und auch die Schwächen klar benennen.

Wenn wir in Nordrhein-Westfalen sagen: „Wir brauchen den Breitbandanschluss“, dann müssen wir natürlich die Differenzierung vor allen Dingen zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum sehen. Es kann nicht sein – das ist der entscheidende Punkt –, dass wir unsere Bemühungen nicht ganz, ganz hoch ansetzen, dem ländlichen Raum die gleichen Chancen zu geben. Denn der schnelle Breitbandanschluss ist im ländlichen Raum Existenzgrundlage für Mittelstand, für Handwerk, für Firmen; er ist Bildungszugang. Es gibt nicht einen einzigen Grund, warum wir das dort nicht machen sollten.

Genau deswegen hat die Regierung die Schwerpunkte so gesetzt. Kollege Lindner hat eben eventuell die Programme durcheinandergebracht; denn die ELER-Mittel sind an der Stelle deutlich aufgestockt worden. Und es wird intensiviert. Auch wenn wir unter allen Ländern führend sind, wird da noch deutlich aufgestockt.

Wenn die Auktionsmittel hereinkommen – wir wissen nicht genau, wie viel es ist; man kann aber nüchtern davon ausgehen, dass mindestens 1 Milliarde € reinkommen –, dann werden wir nach dem Königsteiner Schlüssel mindestens 100 Millionen € bekommen, die direkt umgesetzt werden sollen.

Zu dem großartigen Beschwören der immensen bayerischen Leistung von 1,5 Milliarden € – das habe ich jetzt zweimal gehört –: Die Realität sieht anders aus. Es fließen deutlich weniger Mittel ab, lieber Armin Laschet, keine 50 Millionen €, weil die Kommunen auch in Bayern die Gegenfinanzierung nicht hinbekommen. Horst Seehofer bläst es in jeder Regierungserklärung – zwei Regierungserklärungen habe ich mir durchgelesen – als Ziel der bayerischen Politik auf. Aber die Realität sieht ganz anders aus. Ich glaube, wir können uns da gut blicken lassen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema hat außerordentlich viele Facetten. Ich habe eingangs gesagt, wir könnten eigentlich zwölf Unterrichtungen – eine aus jedem Ressort – machen.

Und es geht nicht nur um den technischen Teil. Ich will noch einen zweiten Bereich ansprechen: Das ist ganz eindeutig alles, was mit Verbraucherschutz zu tun hat. Wir alle erleben immer wieder, dass Bürgerinnen und Bürger uns anschreiben oder ansprechen. Wer einmal in die Verbraucherzentralen vor Ort geht und fragt, welche Probleme von den Menschen dort am meisten angesprochen werden, der erfährt, dass das immer mit Telekommunikation, mit Digitalisierung zu tun hat. Die Menschen kommen mit den Vertragskonditionen, mit dem Gebaren der Unternehmen nicht klar.

Also wissen wir auch, dass wir eine Beratungseinrichtung brauchen und Gesetze anpassen müssen, damit der Verbraucherschutz an der Stelle gewährleistet ist. Das ist unsere Aufgabe. Auch da hat die Landesregierung eine sehr gute Arbeit geleistet. Die Ministerpräsidentin hat vorhin erklärt, Ziel ist der Ausbau auf 62 Beratungsstellen, damit überall im Land auch diejenigen, die mit diesen Angeboten noch nicht klarkommen – das muss man ja auch erst lernen –, die Chance haben, damit umzugehen.

Es gibt ein riesiges Spektrum an Themen. Wir könnten hierzu sehr lang und sehr detailliert diskutieren. Es ist ein laufender Prozess. Die Digitalisierung ist nicht mit der Regierungserklärung erfunden worden, natürlich nicht. Ich habe die Veränderungsprozesse in den Ausbildungen beschrieben. Wir wissen, dass das seit langer Zeit durch alle Betriebe, durch alle Ausbildungsbereiche geht. Es wird auch noch lange so weitergehen. Es ist ein unglaublich faszinierender Prozess, weil genau damit auch die Chance besteht, für die Menschen insgesamt etwas zu erreichen, was für sie eine Steigerung der Lebensqualität bedeutet. Das muss unser Ziel sein. Da sind wir in der Verpflichtung, Technologie sich entwickeln zu lassen und gleichzeitig die notwendigen Schutzrahmen zu setzen, damit die Menschen dem nicht hilflos ausgeliefert sind. Ich meine, da machen wir eine vernünftige Arbeit.

Wenn der baden-württembergische Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen lobt, dann wollen wir das so stehen lassen. Dass die Oppositionsführer pflichtgemäß kritischer sein müssen, nehmen wir in dem üblichen Wettbewerb, den wir hier haben, gelassen hin. Das muss dann so sein. Aber wir machen die Arbeit und werden die weiteren Debatten zusammen führen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Priggen. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Vorsitzende der Fraktion, Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Liebe Frau Ministerpräsidentin! Liebe Landesregierung! „MegaBits. MegaHerz. MegaStark“. SuperGeil. Gestern Abend um exakt 21:29 Uhr erhielt ich eine E-Mail, dass in wenigen Minuten ein reitender Bote der Landesregierung den Text der Regierungserklärung an der Pforte des Landtags abgeben wird – auf Papier, auf totem Holz.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Digitale Revolution!

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Geil! – „Das Internet wird verschwinden“, das sagte Eric Schmidt, ehemaliger Chef und aktueller Chairman von Google, kürzlich auf dem World Economic Forum in Davos. Allerdings rief Schmidt mit diesem Satz nicht das Ende des Internets aus, sondern deutete damit auf eine Zukunft, in der das Internet ganz selbstverständlich sein werde, in der die Grenze zwischen digitalem und analogem Raum verschwinde. Das nennen wir das „Internet der Dinge“.

Sie, liebe Landesregierung, haben das „Internet der Dinge“ nun entdeckt. Diese Erkenntnis steckt wohl hinter Ihrem Vorstoß, die Digitalisierung zum künftigen Schwerpunkt der Regierungsarbeit zu machen. Doch sosehr wir Piraten das begrüßen, so sehr zeugt Ihr Vorstoß doch von einer gewissen Unkenntnis, von Naivität und mitunter sogar von Fahrlässigkeit. Wir Piraten gehen nicht ins Internet, wir sind Teil des Internets, wir gestalten es mit.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch von einem Gestaltungsanspruch ist in Ihrer sogenannten Digitalen Agenda leider nicht viel zu spüren. Wir würden Sie dabei ja gern unterstützen, aber Sie lassen sich ja nicht helfen. Eine lose Zusammenstellung von Politikfeldern mit einem „smart“ davor und einem „4.0“ dahinter, eingepackt in diese Präfix-Anapher, die drei MEGAperls – das ist noch keine Strategie.

Sie denken das Digitale bestenfalls als Geschäftsmodell und als Möglichkeit, den Standort voranzubringen.

Und wo denken Sie über das Lebensmodell der Menschen in NRW nach? – Sie haben noch nicht verinnerlicht, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Gesellschaft stehen. Das Digitale macht nicht einfach das Analoge hübsch. Das Digitale betrifft unser Leben in umfassendster Weise.

Die Aufgabe muss es sein, das Internet in die Politik und die Politik ins Internet zu bringen. Wenn wir Piraten von Netzpolitik sprechen, dann denken wir nicht nur an Breitbandausbau und Freifunk, sondern meinen damit die Blickwinkel, aus denen wir die Welt und die Gesellschaft betrachten.

Diese Blickwinkel sucht man vergeblich in Ihren digitalen Schwerpunkten. Zwei Beispiele:

Die Bundeszentrale für politische Bildung rief jüngst zu einer „Neuen Ethik für das Internet der Dinge“ auf und will damit eine breite gesellschaftliche Debatte befördern. Die Antwort der Landesregierung: ein Wettbewerb namens „App in die Mitte“.

Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, spricht von der Serienreife des autonom fahrenden Automobils und bittet die Politik um ethische und rechtliche Rahmenbedingungen. Antwort der Landesregierung: Sie stellt LED-Leinwände an Autobahnen auf.

Herr Minister Groschek, ich habe gestern mit Interesse vernommen, dass Sie die A40 zur Teststrecke für autonom fahrende Automobile freigeben wollen. Ich glaube allerdings, Sie haben da etwas noch nicht so richtig verstanden. Es geht ums autonome Fahren und nicht ums autonome Stehen!

(Beifall von den PIRATEN, der FDP und Hendrik Wüst [CDU])

Mit der Einführung des Internetprotokolls Version 6 können 340 Sextillionen Adressen vergeben werden. Beeindruckend, oder? Wissen Sie, was es bedeutet, wenn nun auch die Dinge miteinander kommunizieren?

Frau Ministerpräsidentin, ganz ehrlich, ich erwarte keine mathematischen Hochrechnungen von Ihnen. Ich möchte nur wissen, ob Sie auf eine Welt vorbereitet sind, in der Autos mit Versicherungen kommunizieren oder Social-Media-Konzerne heimlich gemütsmanipulierende Experimente mit Ihnen durchführen, ohne Sie darüber zu informieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Eine Regierungserklärung soll Antworten liefern. Aber welche Frage haben Sie sich eigentlich gestellt? – Sie kleben Etiketten auf leere Tüten. Supergeil.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Sie hängen der Zukunft hinterher, anstatt sie zu gestalten. Sie wollen NRW als Heimat in der digitalen Welt darstellen. Ich folge lieber dem Spruch, den ich auf einem T-Shirt eines jungen Mannes gelesen habe: „Home is, where your wifi connects automatically“.

(Beifall von den PIRATEN)

Ihr Versuch, die digitale Revolution durch ein analoges Heimatverständnis einzugrenzen, macht deutlich, wie wenig Ihnen die Tragweite und die Auswirkungen der Digitalisierung bewusst sind.

Stattdessen lassen sie uns mit Gunter Dueck über das Internet, die Bildung und die Zukunft der Arbeit in einer vernetzten Welt nachdenken. Lassen Sie uns mit Jeremy Rifkin über seine Theorie der Nullgrenzkostengesellschaft diskutieren. Und lassen Sie uns mit Jaron Lanier über sein Konzept einer nachhaltigen Informationsökonomie debattieren. Das wären zumindest Ansätze.

Eine der spürbarsten Auswirkungen der Digitalisierung ist die fortschreitende Automatisierung der Arbeit. Das klang ja heute schon an. Sie wird hunderttausendfach Jobs kosten – und gleichzeitig neue generieren können. Dazu braucht es politische Antworten – und zwar tschakka!

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen hat schon einmal darunter gelitten, dass die Zeichen der Zeit zu spät erkannt wurden. Viel zu lange hat man in der Vergangenheit das tote Pferd der Kohleförderung geritten. Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, unter denen sich digitaler Wandel zum größtmöglichen gesamtgesellschaftlichen Nutzen vollzieht:

1. die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur,

2. eine gesetzliche Sicherstellung der informationellen Selbstbestimmung,

3. eine gleichberechtigte Sicherung der digitalen Teilhabe aller Menschen und

4. eine verbesserte Transparenz von politischen Prozessen.

Das geht nur aus einer Hand, unter einem Dach, in einem eigenen Internetministerium.

(Beifall von den PIRATEN)

Was für Finnland gut ist, kann für Nordrhein-Westfalen nicht schlecht sein. Nur ein Internetministerium kann alle politischen Handlungsfelder thematisch so bündeln, dass die digitale Daseinsvorsorge sichergestellt werden kann. Zur Daseinsvorsorge für die Menschen und für das Land müssen allerdings auch ausreichende Investitionsmittel bereitgestellt werden. Derzeit werden die Themen in einer Vielzahl von Landesministerien behandelt – und im schlimmsten Fall eben auch gar nicht. Supergeil.

Zentrale Forderung einer digitalen Daseinsvorsorge ist der flächendeckende Zugang zum Breitbandnetz. Nur so können alle Bürger Nordrhein-Westfalens an der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft teilhaben.

Die BREKO Breitbandstudie 2014 hat herausgefunden: Breitbandzugang ist Standortfaktor Nummer eins – vor Strompreisen, Verkehrsanbindung sowie Gewerbe- und Grundsteuer. Der Breitbandzugang spielt eine Schlüsselrolle bei dem Ausbau von Wohlstand und Teilhabe in Nordrhein-Westfalen. Eine digitale Spaltung in städtische und ländliche Regionen muss verhindert werden. Denn das kann sich ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen nicht leisten.

(Beifall von den PIRATEN)

Lassen Sie mich aufzeigen, wie fahrlässig die Landesregierung mit diesem wichtigen Thema umgeht: In unserem ersten Antrag zur Breitbandpolitik haben wir die Landesregierung gefragt: Wie wollen Sie eigentlich das Ziel erreichen, Internet mit 50 Mbit/s flächendeckend bis 2018 zu garantieren? Stellen Sie die notwendigen Mittel zur Verfügung, oder sind das nur Sonntagsreden? Vor zwei Jahren haben wir Ihnen die Frage gestellt. Weder konnten Sie sie bis heute beantworten noch können Sie glaubhaft vermitteln, wie dies in Zukunft geschehen soll.

Sie haben den Kopf jetzt zwei Jahre in den Sand gesteckt und hoffen darauf, dass Geld und Impulse vom Bund kommen. Von den drei Hütchenspielern der Internet-Tankstelle: Gabrindt, Dobriel und de Maiziere. Supergeil.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Oberbergischen Kreis kann nur jeder zweite Haushalt auf bis zu 16 Mbit/s zugreifen, was aber nur bedeutet, dass er etwas mehr als 6 Mbits/s erhält. Im Kreis Heinsberg sieht es nicht viel besser aus. Aber ich bin mir sicher, die Kohle- und Kupferkabel-Landesregierung wird im ländlichen Raum kein Modem zurücklassen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Landesregierung verharrt offensichtlich in der Hoffnung, dass irgendwer schon Verantwortung übernehmen und den Netzzugang im ländlichen Gebiet sicherstellen wird. Ein wenig Glück haben Sie, Frau Kraft, ja schon: Funkfrequenzen. Supergeil.

Wir fordern die Landesregierung auf, sicherzustellen, dass die erwarteten Fördermittel aus der Funkfrequenzversteigerung nicht allein großen Telekommunikationsunternehmen, sondern auch kommunalen Unternehmen zugutekommen, die nachhaltige Glasfaseranschlüsse planen und ausbauen.

Und jetzt ein Lob: Ich hatte vorhin ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität gehört. Super! Wir werden das im Blick behalten.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von den PIRATEN: Supergeil!)

Den Kernpunkt der Breitbandpolitik hat die Kohle- und Kupferkabelregierung noch gar nicht auf dem Schirm; denn Branchenkenner erwarten, dass im Jahr 2020 durchschnittliche Bandbreiten von 200 Mbit/s im Down- und 120 Mbit/s im Upstream nachgefragt werden. Die Landesregierung hat nur einen Zeithorizont bis 2018 und setzt dabei auf den heutigen Technologiestandard Kupfer. Dabei sind die auf Kuper basierenden Technologien in einigen Jahren schon wieder völlig veraltet.

Das derzeitige kupferbasierte Breitbandnetz ist Lichtjahre davon entfernt, diese Leistung zu erbringen. Deswegen fordern wir den Sprung in den Gigabitbereich. Glasfaser statt Kupfer, Giga statt Mega. Supergeil.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir fordern die Landesregierung auf, einen Fahrplan „Glasfaserausbau“ zu erarbeiten, der mit konkreten Schritten festlegt, wie die Mehrheit der Haushalte und Unternehmen mit Glasfaser – oder zumindest den Leerrohren – bis ins Jahr 2020 und einer flächendeckenden Glasfaserinfrastruktur bis 2025 aufgebaut wird.

Wir bitten Sie: Seien Sie mutig. Lassen Sie uns das erste Bundesland sein, das eine flächendeckende Glasfaserinfrastruktur anbietet!

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir jetzt planen und Synergien mit anderen Infrastrukturträgern nutzen, also Kanalsysteme, Straßen, Schienen oder Strommasten einbeziehen, ist der Glasfaserausbau realistisch zu stemmen. Das wäre wirklich „smart“, Frau Kraft.

Ist die nordrhein-westfälische Wirtschaft gut aufgestellt für die digitale Zukunft? Wer mit einem Einzelhändler oder einem Presseverleger redet, der weiß, wie stark die Umbruchskraft der Digitalisierung bereits jetzt ist. Und das ist erst der Anfang.

Experten prognostizieren, dass die Hälfte der Arbeitsplätze durch eine fortschreitende Digitalisierung gefährdet ist. Die Industrialisierung hat für eine Automatisierung der Muskelkraft gesorgt. Die Digitalisierung wird mit ihren Algorithmen weite Teile der Kopfarbeit automatisieren. Herr Laschet sagte es: Das Oxford-Papier von Osborne und Frey sagt: In den nächsten beiden Dekaden sind 47 % aller Jobs durch Digitalisierung und Robotisierung vom Wegfall bedroht. Mit über 90 % Wahrscheinlichkeit müssen Immobilienmakler, Sachbearbeiter, Köche oder Packer um ihre Jobs fürchten.

Was erzählen Sie diesen Menschen, Frau Kraft? Ist unsere Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik darauf vorbereitet? Und was ist mit unserer Sozialpolitik, die sich stark am Haben oder Nichthaben von Arbeit orientiert?

Seit langer Zeit ist die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet viel zu hoch. Wir können nicht zulassen, dass sich die Zahl der abgehängten Personen weiter erhöht. Weniger als die Hälfte aller Kleinunternehmer und Selbstständigen glaubt, im Hinblick auf die Digitalisierung ihres Geschäfts gut aufgestellt zu sein.

Auch unsere traditionsreichen Mittelständler müssen aufpassen, nicht von einer sogenannten disruptiven Innovation überrascht zu werden, also einem neuen Produkt, das das Geschäftsmodell einer ganzen Branche von heute auf morgen auf den Kopf stellt. Generell gilt: Eher wird Google die Autobranche revolutionieren, als dass ein deutscher Autokonzern zum führenden Suchmaschinenbetreiber aufsteigt.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Landesregierung setzt auf das Schlagwort „Industrie 4.0“. Supergeil. Gemeint ist damit die umfassende Vernetzung und Digitalisierung der Produktion. Darüber wird in Deutschland viel geredet, aber wenig gemacht. Dabei ist das sogenannte Internet der Dinge alles andere als unkritisch zu sehen.

Wenn nicht nur alle Produktions- und Arbeitsschritte, sondern auch alle Haushaltsgeräte Sensoren besitzen und sich untereinander austauschen, fallen große Mengen an sensiblen Daten an. Und nicht erst seit Google wissen wir: Mit Daten lässt sich Geld verdienen. – Es ist also von großer Wichtigkeit, dass wir klare Datenschutz- und Datensicherheitsstandards einführen. Denn dahinter verbergen sich gesellschaftliche Fragen: Haben wir noch die Souveränität über unsere Daten? Und wer darf unsere Daten nutzen?

Die Souveränität über die Verwertung der persönlichen Daten darf dem Bürger nicht entzogen werden. Eine entscheidende 4.0-Frage ist die nach der Energieversorgung. Wir Piraten setzen auf dezentrale Energieversorgung; das Wuppertal Institut übrigens auch. Dafür brauchen wir intelligente Netze – Netze, in denen Erzeugungsanlagen, Verbraucher und Speicher miteinander kommunizieren können. Es ist heute die Aufgabe der Politik, nicht auch noch den gläsernen Stromkunden Wirklichkeit werden zu lassen. All das sind Herausforderungen, die von der Landespolitik angegangen werden müssen.

Die digitale Revolution ist keine Kreisgebietsreform.

Die Landesregierung führt an, sie wolle 640 Millionen € an Fördermitteln für innovative Projekte ausgeben. Eine imposante Zahl! Aber: Gestreckt bis 2020 wird’s doch recht überschaubar. Berücksichtigt man, dass die Landesregierung einfach nur europäische Fördermittel durchleitet, dann muss man zu dem Schluss kommen: Ihre Innovationskraft ist die einer mittleren Verwaltungsbehörde. – Das ist keine wirkliche Eigenleistung.

(Beifall von den PIRATEN)

Immerhin sprechen Sie die Bedeutung von Datensicherheit an. Digitale Kommunikation, digitale Daten sind ein großer Wirtschaftsfaktor. Das Vertrauen in die Sicherheit, in die Integrität und den Datenschutz ist daher zu einem gesellschaftlichen Wert geworden. Das erkennt auch die Landesregierung an und möchte „Cybersicherheit“ fördern.

Was sich gut anhört, ist aber paradox: Die milliardenschweren Ausspähprogramme der Amerikaner und Engländer, die das Ziel haben, jede Kommunikation mitzulesen und jedes Netzwerk zu knacken, sind die größte Bedrohung für das Vertrauen in digitale Kommunikation. Der BND kooperiert in noch ungeklärtem Ausmaß mit den genannten Diensten. Und wer sabotiert die Aufklärung dieser Geheimdienstaffäre? Die aktuelle Große Koalition auf Bundesebene!

Da ist es – ich bitte um Verständnis – nicht wirklich glaubwürdig, wenn Frau Kraft nun ausgerechnet auf Cybersicherheit setzt. Das beste Rezept gegen den Vertrauensverlust ist der Einsatz von sogenannter quelloffener Software. Open-Source-Projekte sollten Sie also fördern und den Menschen, Unternehmen und Behörden zur Verfügung stellen und keine universitären Auftragsarbeiten für die Industrie vorantreiben.

Die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen sind verunsichert über das Ausmaß der Wirtschaftsspionage und fragen nach möglichen Schutzmaßnahmen. Das war im Übrigen vor einem Jahr noch nicht auf ihrer Agenda. Wir hatten einen Antrag geschrieben und eine Anhörung zu dem Thema gefordert. Das Wichtigste ist, dass wir die Bürger in die Lage versetzen, an einer modernen Informations- und Wissensgesellschaft teilnehmen zu können.

Die erfolgreiche Bewältigung der digitalen Revolution wird dezentral von den Bürgern ausgehen, die in der Lage sind, die Chancen einer globalen, digital vernetzten Welt auch zu nutzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber, liebe Frau Kraft, wenn Sie von NRW 4.0 sprechen, dann meinen Sie digitale Stauschilder. Wir Piraten sprechen aber von der Digitalisierung all unserer Lebensräume, von den eigenen vier Wänden bis hin zur öffentlichen Infrastruktur wie dem öffentlichen Nahverkehr oder der Wasserversorgung.

Smarte Wirtschaft, smarte Arbeit, smarte Verwaltungen – das sind die Begriffe, die Sie prägen wollen. Supergeil.

(Beifall von den PIRATEN)

Dass für diese Schlagworte viele, viele Daten von nordrhein-westfälischen Konsumenten, Arbeitnehmern und Bürgern gesammelt und noch verarbeitet werden müssen, haben Sie noch nicht wahrgenommen. Wir Piraten sagen Ihnen: Der Schutz der Privatheit ist ein, wenn nicht das zentrale Thema der digitalen Revolution.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie sprechen beispielsweise von der smarten Dienstleistung und von der Innenstadt als einen begehbaren Onlineshop. Gehen Sie doch heute einmal auf die Website eines Onlineshops wie Amazon! Sie werden schnell feststellen, wie viele Tracker-Programme dabei Ihr Surfverhalten analysieren. Das sind oftmals zehn, 20 verschiedene Firmen, die verfolgen, welche Produkte Sie sich anschauen, welchen Geschmack Sie haben, was Sie kaufen.

Die Firmen wollen am liebsten eine 360-Grad-Sicht auf ihre Kunden haben. Und in Ihrem begehbaren Onlineshop in der Innenstadt werden Sie diese 360-Grad-Sicht auch erreichen. Anstelle von unsichtbaren Programmen sind es dann unsichtbare WLAN-Tracker der Smartphones, RFID-Chips in der Ware oder die softwaregestützte Videoüberwachung. Diese Überwachungssysteme folgen Ihnen dann wie Spione durch die Innenstadt.

In Ihrer Wahrnehmung, Frau Ministerpräsidentin, scheint die Stadt ein Urban Entertainment Center zu sein, eine Aneinanderreihung endloser Geschäfts- und Einkaufsstraßen. Wo bleibt zukünftig Raum für Begegnungsstätten und öffentliche Plätze, für einen zwanglosen, unbeobachteten und freien Umgang miteinander?

Oder, Frau Löhrmann, stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen nach einem harten Arbeitstag durch Ihren Lieblingssupermarkt in Solingen. Stellen Sie sich weiterhin vor, der Supermarktbetreiber und 20 andere Firmen würden dabei erfassen, wie Sie zielstrebig nach der Bio-Schokolade greifen. Ihr Supermarkt schlussfolgert aufgrund Ihres Bewegungsprofils und der Videoaufnahmen, dass Sie an diesem Tag wieder einmal von Ihrem Koalitionspartner oder gar von Piraten geärgert wurden, dass Sie deshalb unbedingt Schokolade brauchen und dass der Supermarkt Ihnen diese heute ruhig für zehn Cent mehr verkaufen kann.

Solche Systeme, Frau Löhrmann, gibt es dann nicht nur im Supermarkt, sondern in der ganzen Innenstadt. Überall werden Sie durchsichtig gemacht. Wir wollen aber keine gläserne Gesellschaft!

(Beifall von den PIRATEN)

Stichwort Datenvermeidung: Welche Lösung verarbeitet am wenigsten persönliche Daten? Stichwort Dezentralität: Gibt es dezentrale Alternativen zu zentral gespeicherten Datenbergen? Stichwort Privacy by Default: Welche Konfiguration ist die schonendste für die Rechte unserer Bürger?

Frau Ministerpräsidentin, Sie sprachen von Datensicherheit in Ihrer Rede. Sie wollen die Spitzenforschung in diesem Feld in NRW fördern. Supergeil. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich das sage: Wir haben bereits Spitzenuniversitäten in dem Feld. Das Problem ist: Wir nutzen nur deren Forschungsergebnisse nicht,

(Beifall von den PIRATEN)

weil das Land für Datensicherheit zu geizig ist.

In unserer Anhörung 2014 sprach ein IT-Sicherheitsexperte davon, dass er innerhalb von drei Stunden auf jedes Behördennetz zugreifen konnte, in das er eindringen wollte. Er konnte dann leicht auf Meldedaten und sogar auf Daten von Menschen in Zeugenschutzprogrammen zurückgreifen.

Wir, Frau Kraft und Frau Löhrmann, nehmen unsere Grundrechte auch im digitalen Zeitalter sehr, sehr ernst. Da sind wir konservativ. Wir können unseren Grundrechten in der digitalen Welt nur gerecht werden, indem wir sagen: Wir stellen den Schutz der Privatheit an den Anfang einer jeden Überlegung. Privatheitsschutz von Anfang an heißt: Wir füllen „Privacy by Design“ und „Privacy by Default“ mit Leben.

Es kann sein, dass Ihnen die Begriffe nichts sagen. Bitte hören sie genau zu! Wir brauchen dafür Privacy-Impact-Assessments oder auf Deutsch Privatheitsfolgeabschätzungen.

(Beifall von den PIRATEN)

Auf der bisherigen Grundlage können wir doch nicht ernsthaft ein NRW 4.0 aufbauen. Das ist absurd. Unsere Datensicherheit ist desaströs. Wir haben einen Antrag zur Überprüfung und Sicherung unserer Systeme eingebracht. Bei der Anhörung hielten alle anderen Fraktionen – SPD, Grüne, FDP und CDU – es nicht einmal für notwendig, einen eigenen Sicherheitsexperten einzuladen.

Wir sind bei kommunaler Sicherheit auf unterstem Niveau. Hier können wir uns nicht mit der Konnexität oder der Unabhängigkeit der Kommunen herausreden. Da gibt es Bürgermeister, die sämtliche Daten in einem Server ungeschützt unter ihrem Schreibtisch stehen haben, also so, als würden die Behörden ihre gesamten Aktenbestände offen auf den Fluren stehen lassen. Das geht in einer vernetzten Welt, in der alles und alle miteinander verbunden sind, einfach nicht mehr.

Deshalb, liebe Frau Ministerpräsidentin, reicht es nicht, nur von der Förderung der Datensicherheit in der Forschung zu sprechen. Sie müssen auch das tun, was die Experten Ihnen sagen.

(Beifall von den PIRATEN)

Weiterhin brauchen wir Bildungsangebote auf allen Ebenen. In staatlichen Einrichtungen müssen eigene IT-Sicherheitsbeauftragte die Nutzer für einen sicheren Umgang mit ihren Programmen schulen und sensibilisieren. Und wir müssen Weiterbildungsmaßnahmen für die Anwendung von Datenschutzregeln in Behörden fördern, den Selbstdatenschutz vorantreiben und die Menschen zuhause, in Behörden, im Krankenhaus oder anderswo befähigen, ihre Hardware und Software sicher und angemessen zu verwenden.

Auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll 2015 im Zeichen der Landespolitik 4.0 stehen. Aber die Landesregierung hat auch hier den Fortschritt verschlafen. Im Gesundheitsbereich stehen angeblich 50 Millionen € zur Verfügung. Unterm Strich bleiben etwas mehr als 5 Millionen € für den Aufbau der Telematik-Infrastruktur. Das reicht nicht.

Jedoch ist das nicht die entscheidende Frage der Menschen. Die entscheidende Frage ist, ob der technische Fortschritt und die Anwendung im Gesundheitswesen auch die Bürgerrechte achtet.

(Beifall von den PIRATEN)

Und, Herr Laschet, erlauben Sie mir die Bemerkung: Im Gesundheitswesen ist die Digitalisierung im wahrsten Sinne des Wortes mit Sicherheit kein Wohlfühlthema. Der Ausbau der Telematik-Infra-struktur kann nur in Zusammenarbeit mit Gesundheitsexperten, IT-Spezialisten, Medizinern, Datenschützern und Ethikern gelingen.

Dazu benötigen wir allerdings eine Struktur, die diesen Themenkomplex permanent auch bearbeitet. Nur die Bündelung der Ressourcen in einem Ministerium kann hier eine Lösung sein.

In Zukunft stehen exorbitant hohe Mengen an Daten zur Verfügung. Ich spreche von standardisierten Entlassungsbriefen, zum Beispiel nach einer Krankenhausbehandlung, oder von elektronischen Medikationsplänen oder von ausführlichen online verfügbaren Versichertenstandards. Wissen Sie, Sie machen sich Sorgen um Hacker und bauen hier ein Paradies für jeden, der Daten abfischen möchte. Es wird eine große Herausforderung sein, die Chancen der modernen IT-Technologien in der täglichen Versorgung sicher zu nutzen. Die 5 Millionen € der Landesregierung sind an dieser Stelle eher mini statt mega.

Frau Kraft, als kleinste Oppositionspartei haben wir Ihnen nur die dringendsten Themenfelder aufgezeigt, auf denen die Landespolitik brachliegt. Wir wären heute etwas softer gewesen, hätten Sie nicht in den letzten zweieinhalb Jahren all unsere Anträge in den diversen Ausschüssen hier im Parlament einfach vom Tisch gefegt. Ein paar kleine Stellen mehr für den Datenschutzbeauftragten? – Nein.

Wir brauchen Ideen für das Land und die Menschen, die hier leben, damit wir nicht eine weitere Revolution in Wirtschaft und Gesellschaft verschlafen. Frau Ministerpräsidentin, wir brauchen eine digitale Daseinsvorsorge für die Menschen in unserem Land.

(Beifall von den PIRATEN)

Sehr, sehr geiler Dorsch übrigens, sehr geil! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ministerpräsidentin hat heute in ihrer Regierungserklärung eines klargemacht: Wir betreten kein Neuland, sondern wir arbeiten sehr detailliert an den tatsächlich entscheidenden Punkten quer über die jeweiligen Zuständigkeiten in den einzelnen Ressorts daran, dass wir das Ziel, NRW 4.0 zu realisieren, auch wirklich erreichen können. Ganz herzlichen Dank dafür, dass das so deutlich gemacht worden ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und was macht die Opposition? Sie müssen sich schon einig werden. Ich beziehe das jetzt nicht auf die drei Fraktionen, sondern auf die einzelnen Wortbeiträge; denn das ist manchmal nicht ganz klar geworden: Wir wollen ganz viel Transparenz, aber nicht den gläsernen Bürger.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Richtig!)

Herr Laschet sagt, das sei alles viel zu viel Klein-klein, und stellt dann Anträge zu Laternenmasten. Also, bleiben Sie bitte einmal bei sich, wenn Sie irgendwie noch kongruent argumentieren wollen!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Transparenz der Politik und nicht der Menschen! Das müssen Sie begreifen!)

Immerhin hat der Kollege Laschet auf Twitter hingewiesen. Wir haben dann natürlich auf Twitter weiterverfolgt, was so gesagt worden ist. Ich komme darauf nachher noch einmal zurück. Aber der User JanMie – wer immer sich real dahinter verbirgt – schrieb:

Eines haben wir aus der Rede von Armin Laschet gelernt: Laschet liest „taz“, trägt Krawatte in Piratenorange und sammelt PAYBACK-Punkte. Immerhin, das haben wir heute von Ihnen zu diesem Thema Neues gelernt. Da hat JanMie durchaus recht.

(Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Der Pressesprecher der Grünen ist das, damit Sie es wissen!)

– Das ist egal. – Genauso haben wir gelernt, dass auch Dr. Paul seine Rede hier im Landtag von Totholz abliest und auch nicht ganz so modern ist, wie man vielleicht an mancher Stelle meinen sollte.

(Christof Rasche [FDP]: Organisierte Nachrichten!)

Meine Damen und Herren, zum Kern und zum Ernst der Sache. Es geht um Digitalisierung. Es geht – wie mehrfach schon gesagt worden ist – um digitale Revolution. Es geht um diese digitale Revolution im Rahmen der Globalisierung. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung; denn es lauert eine Gefahr – Herr Römer hat darauf auch schon ausführlich hingewiesen –:

Wenn wir die Weichen nicht richtig stellen, kann es eine Entwicklung geben, dass wir künftig nicht mehr wie bislang Ausrüster der Welt sind, sondern Maschinen in China gebaut werden, Software in den USA entwickelt wird und unsere Rolle dabei nicht mehr auffindbar ist. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen.

Sehr geehrter Herr Laschet, Sie versuchen ja, in der Außendarstellung immer auch den Eindruck zu erwecken, Sie würden sich insbesondere um Themen der Wirtschaft kümmern. Sie haben hier heute gesagt: Wir brauchen den Mittelstand für dieses Thema nicht zu sensibilisieren. Entschuldigen Sie die Härte auch im Ausdruck. Sie haben das wörtlich hier gesagt: Wir brauchen den Mittelstand für dieses Thema nicht zu sensibilisieren.

(Hendrik Wüst [CDU]: Ach Gott!)

Mehr Ahnungslosigkeit habe ich bei diesem Thema selten vernommen. Das ist komplett an der Realität vorbei.

(Beifall von der SPD)

Das ist komplett an der Realität vorbei. Die DZ-Studie ist schon erwähnt worden. 70 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen mit weniger als 5 Millionen € Umsatz sagen, das Thema „Digitalisierung“ habe für sie keine Relevanz. Die Hälfte dieser Unternehmen sagt: Maximal 5 % unseres Umsatzes wollen wir in dieses Thema an Zukunftsinvestitionen tätigen.

Genau aus diesem Grund kommt nicht nur die Landesregierung, sondern zum Beispiel die IHK Köln – viele andere folgen diesem Beispiel jetzt – zu der Erkenntnis, dass man die Bemühungen zur Aufklärung und zur Sensibilisierung unserer Hidden Champions, unserer starken Familienbetriebe, unseres Mittelstands im Land intensivieren muss. Da sagen Sie, das sei alles schon erledigt; die wissen alle schon Bescheid. Das Gegenteil ist der Fall. Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen entsprechend erhöhen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Manche glauben nämlich wie Sie, dass man dann, wenn man bei Facebook und bei Twitter ist, die Herausforderungen der Digitalisierung schon abgearbeitet hätte. Das ist doch viel zu kurzsichtig und zeigt, dass man davon nicht wirklich etwas verstanden hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Aber Sie sind ja noch nicht einmal dabei!)

Wir haben Superbeispiele. Die würde ich mir an Ihrer Stelle alle angucken. Das Waggonwerk von Siemens in Krefeld ist so ein Beispiel. Es ist kein leichter Markt – wir werden ja selbst in einigen Wochen mit solchen Fragestellungen hier im Land noch einmal zu tun haben –, wenn man sich international behaupten muss. Wenn man zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitszüge baut, die in der Türkei auf die Schiene gesetzt werden – diese werden auch in Deutschland gebaut und auf die Schiene gesetzt, aber wenn man einen internationalen Markt hat –, dann muss man seine Wettbewerbsfähigkeit schon sehr genau unter Beweis stellen.

Wenn Sie durch diesen Betrieb gehen, in dem nach wie vor eine vierstellige Zahl von Kolleginnen und Kollegen arbeitet, bei der es sich wirklich um gute Arbeit im klassischen Sinne handelt, dann werden Sie feststellen, dass das eine Fabrik ist, in der es quasi kein Papier mehr gibt, in der auch der Vorarbeiter seine Dinge digital erledigt, in der der Handwerker, der am Ende das Gepäcknetz in so einem Waggon anschraubt, die Vorbereitungen für seine entsprechenden Handlungen auf digitalem Weg erledigt.

Das Ganze geht in Kombination mit den Elementen, die „Gute Arbeit“ ausmachen, von denen Norbert Römer hier vorhin gesprochen hat. Das muss unser Anspruch sein: hohe Wettbewerbsfähigkeit, rein in die Digitalisierung, aber eben nicht nutzen nur für die Steigerung der Effizienzen; das auch, aber auch, um dafür zu sorgen, dass diese industriellen Arbeitsplätze hier erhalten bleiben. Das ist die Herausforderung, an der wir arbeiten!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dafür gibt es viele gute Beispiele in unserem Land.

„it’s OWL“ ist von der Ministerpräsidentin schon erwähnt worden.

Nehmen Sie den Landmaschinenhersteller CLAAS! Das ist ein absolutes Hightech-Unternehmen. Wenn man eine Umfrage auf der Straße machen würde, würde man wahrscheinlich hören, dass die Trecker bauen. Das hält man dann noch nicht für die Spitze der Bewegung. Das Gegenteil ist aber der Fall, wie Sie wissen. Dort passiert etwas an beiden Enden der Entwicklung, nämlich in der Produktion und bei den Produkten.

Das ist doch das Entscheidende: dass Digitalisierung nicht nur eine Frage ist, wie sich Produktion verändert, sondern genauso eine Frage ist, wie dadurch neue Produkte entwickelt werden und neue Geschäftsmodelle entstehen. Das darf und muss nicht irgendwo in der Welt passieren, sondern das kann hier in Nordrhein-Westfalen passieren. Dafür haben wir die entsprechenden Unternehmen und die entsprechenden qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nehmen Sie den Gründerpreisträger, den wir im Herbst letzten Jahres ausgezeichnet haben, die Firma betriko aus Kalletal. Das sind junge motivierte Leute, die sich auch in diesem Feld der Landwirtschaft Gedanken gemacht haben: Wie kann man die Tätigkeiten digitalisieren? Wie kann man damit Ressourcen schonen? Wie kann man dort effizienter werden? Das sind hervorragende junge Leute, die wir in unserem Land haben.

Nehmen Sie – weil Sie über die Wissenschaft gesprochen haben – noch einmal das Fraunhofer-Institut in Dortmund beim Thema „Logistik 4.0“ als ganz wichtiges Scharnier zu dem, was wir an industrieller Produktion und was wir an neuen Dienstleistungen haben! Weltmarktführer, wohin man sieht!

Sehr geehrter Herr Laschet, wenn es dann darum geht, den Mittelstand zu sensibilisieren, auf die Chancen aufmerksam zu machen und in das Gespräch mit denen hineinzugehen, dann merken Sie sofort, dass diese Skepsis, die gegenüber diesem Thema da ist, die Zurückhaltung, die gegenüber diesem Thema da ist, im Kern eine Ursache hat. Das ist nicht die Geschwindigkeit des Netzes. Das sind nicht andere Dinge, sondern im Kern geht es um eine Frage: Ist das sicher? Haben wir die Elemente, die wir brauchen, um auch den Schutz geistigen Eigentums sicherzustellen?

Ein Mittelständler aus dem Sauerland hat keine Lust, seine Daten, das, was er sich mit seinen Ingenieurinnen und Ingenieuren ausgedacht hat, in eine Cloud zu geben, bei der er nicht weiß, wo in dieser Welt der eigentliche Server steht, wer darauf Zugriff hat und wer ihm dann dieses geistige Eigentum irgendwann stiehlt mit dem Ergebnis, dass er sich dann wundert, dass das baugleiche Produkt irgendwo anders in der Welt zu einem anderen Preis hergestellt wird.

Deswegen ist das die riesige Chance, die Nordrhein-Westfalen hat: auf der einen Seite die digitale Wirtschaft auch mit den Start-ups – zu den Bedingungen komme ich gleich noch einmal – und auf der anderen Seite das, was wir an gewachsener industrieller Struktur haben.

Dieses zu verheiraten und dann noch zu ergänzen um das Thema „Cybersecurity“, um das Thema „Internetsicherheit“ – auch dafür haben wir beispielsweise in Bochum die entsprechenden Unternehmen, die entsprechenden Forschungseinrichtungen –: Das kann unser Alleinstellungsmerkmal sein, wenn wir das jetzt nicht zerfleddern, sondern ganz klar zu unserem Schwerpunkt machen: „Industrie 4.0“ inklusive Sicherheit. Das ist dann auch für den Mittelstand attraktiv.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es gibt – das ist der zweite Punkt, auf den ich eingehen will – neue Entwicklungen bei den Unternehmen, die unter der Überschrift „Share Economy“ laufen. Uber ist da nur das prominenteste Beispiel. Es gibt viele andere Beispiele, mittlerweile unter anderem die Vermietung bzw. die Überlassung von Wohnungen für Kurzzeitübernachtungen. Früher ging man ins Hotel. Heute gibt es dafür andere Plattformen, die dazu genutzt werden. All das gehört mit in diesen Bereich „Share Economy“.

Das kann große Chancen bieten. Aber Norbert Römer hat völlig zu Recht auch auf etwas anderes hingewiesen. Denn Dinge zu teilen, hat ja so einen romantischen Anstrich. Deswegen klingt das erst einmal alles so schön, mal mitfahren zu dürfen bei einem anderen und nicht das Taxi rufen zu müssen. Das klingt schön und hat einen romantischen Touch.

Aber darauf, womit wir es da im Kern am Ende zu tun haben, weisen glücklicherweise inzwischen viele hin, und zwar nicht nur Wissenschaftler; auch in der Literatur und an vielen anderen Orten finden sich entsprechende Beiträge. Wir haben es diesbezüglich mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, die mir große Sorge bereitet. Das hat nämlich nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun. Das ist dunkelster Kapitalismus in Reinkultur. Das hat nichts mehr damit zu tun, dass Menschen in eine geordnete Perspektive kommen können, sondern das ist nur noch Selbstausbeutung zugunsten von ganz, ganz wenigen, die dann glauben, sie könnten mit der Zurverfügungstellung dieser Plattformen die Probleme der Menschheit lösen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das geht so nicht. Deswegen müssen wir uns auch um solche Fragestellungen kümmern. Man muss da nichts kaputtregulieren. Das ist nicht unser Ansatz. Aber man muss eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, was eine solche Entwicklung möglicherweise nach sich zieht.

Des Weiteren ist die Kreativwirtschaft und das, was in dem Bereich initiiert wird, angesprochen worden. In der Rede von Herrn Laschet kam das Wort „Content“ ein- oder zweimal vor. Wir haben auf der Bundesebene schon eine Content Allianz. Um das ein bisschen plastischer zu machen: Es geht darum, dass die Designer, die Buchautoren, die Musiker, aber auch diejenigen, die als Verlage oder als Sender an diesen Themen mitarbeiten, natürlich bei der Digitalisierung enorm herausgefordert sind, weil wir alle wissen, dass man sich bestimmte Dinge legal oder illegal besorgen kann. Wenn man sich einen Song herunterlädt, geht das legal, es gibt aber auch andere Wege. Die, die legal sind, sichern den Kreativen ein Einkommen.

(Zuruf von den PIRATEN: Schön wär‘s!)

Die, die illegal sind, tun dies nicht.

Deswegen geht es bei den von der Content Allianz aufgeworfenen Fragen zum Beispiel darum, wie das Urheberrecht so angepasst werden kann, dass es für die hier ansässige Kreativwirtschaft wieder eine entsprechende Perspektive bringt?

Ich bin davon überzeugt, dass diese Kreativen in unserem Land so etwas sind wie die Hefe im Teig unserer Wirtschaft.

Deshalb sollten wir, Herr Lindner, gemeinsam überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, diejenigen zu unterstützen, die Kapital zur Verfügung stellen. Das haben wir mit unserer Start-up-Initiative mit auf den Weg gebracht, das bringen wir mit dem Venture-Center bei der NRW.BANK auf den Weg.

In Berlin gelten übrigens keine anderen steuerlichen Grundsätze als hier. Wenn Sie über Wowereit und Müller philosophieren, streuen Sie den Leuten Sand in die Augen. Darum geht es überhaupt nicht, sondern darum, ganz klar festzustellen, dass Ihr sogenanntes Hochschulfreiheitsgesetz zu null Verbesserung der Selbstständigenquote oder der Zahl der Gründungsinitiativen in diesem Land geführt hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Null: Das war das Ergebnis, das wir vorgefunden haben.

Mit den konkreten Maßnahmen, die Sie versuchen kleinzureden, helfen wir an den Universitäten, junge Menschen dafür zu mobilisieren und zu begeistern, den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen.

Über den vierten Punkt, das Thema „Breitband und Breitbandausbau“, gibt es häufig die intensivsten Diskussionen. Es ist mehrfach dargelegt worden, dass wir unter den Flächenländern auf Platz eins sind. Ich verstehe nicht, egal, wer diese Diskussion führt – stellen Sie sich das mal im Fußball oder in irgendeiner anderen Sportart vor –, warum sich der Tabellenführer an anderen orientieren soll, die hinter ihm liegen?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Für diese Logik gibt es keinen Grund. Wir schauen auf unser Land und nicht nach Bayern, nach Hessen.

(Armin Laschet [CDU]: Wo?)

Wir gucken – das ist in der Studie, die wir Ende März/Anfang April zur Verfügung haben, so angelegt – en détail in unser Land. Wo sind die weißen Flecken, die bisher nur 2 Mbit zur Verfügung haben? Inzwischen gilt der Ort, der nur 2 Mbit hat, als weißer Fleck. Wo gibt es Lösungsmöglichkeiten?

(Armin Laschet [CDU]: Das ist das Problem!)

Dieses detaillierte Hinsehen wird uns dazu führen – darauf hat die Ministerpräsidentin dankenswerterweise sehr genau hingewiesen –, nach intelligenten Lösungen zu suchen.

Ich will Ihnen eine Information geben, die wohl für die gesamte Debatte über Fördergelder gilt, egal aus welchem Topf Sie die öffentliche Förderung organisieren, ob aus EFRE, ELER oder der Gemeinschaftsaufgabe für regionale Wirtschaftsförderung: Kein einziger Antrag irgendeiner Kommune musste bisher abgelehnt werden. Alle intelligenten Lösungen, die von Kommunalpolitikern in Kürten, in Wermelskirchen, in Hövelhof oder wo auch immer in diesem Land auf den Weg gebracht wurden, konnten durch entsprechende finanzielle Mittel des Landes mitfinanziert werden. Kein einziger Antrag ist abgelehnt worden.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Ministerin Sylvia Löhrmann)

Bauen Sie also keinen Pappkameraden auf, als ob das Geld nicht reichen würde! Es geht vielmehr darum, über die Finanzierung aus Steuergeld hinaus gute Lösungen zu finden. Die Frau Ministerpräsidentin hat dies am Beispiel Wettringen deutlich gemacht. Man könnte andere hinzufügen wie Hamminkeln, wo Bürgerinnen und Bürger sich zusammengeschlossen haben, um das Problem zu lösen. Tatsache ist, dass nicht jeder Bürgermeister um das weiß, was andere vielleicht schon praktiziert haben. Der runde Tisch und das Papier, das wir, wie gerade erwähnt, in ein paar Wochen vorlegen werden, dienen dazu, diese Best-Practice-Beispiele zugänglich zu machen und intelligente Lösungen Realität werden zu lassen.

Herr Lindner hat ebenfalls eine Reihe von Punkten angesprochen. Wir kannten die meisten schon, weil man, wie sich das für Staatsbürger gehört, so ein Dreikönigstreffen verfolgt und mitbekommt, welche Rede Sie da halten. Man kennt auch Ihre Reden hier. In der analogen Zeit hätte man gesagt: „Ihre Platte hat einen Sprung“, weil sich alles wiederholt: Pepita, Stiefelknechte, die Garage in Castrop. Lassen Sie sich mal was Neues einfallen! Wir kennen diese Punkte alle rauf und runter. Das ist alt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von Christian Lindner [FDP])

Aber einen sehr wichtigen Punkt haben Sie erwähnt: Wie ist das gerade für Gründerinnen und Gründer mit der Bürokratie? Wie steht es mit der Belastung der Unternehmen?

Vielleicht haben Sie es nicht ganz so aufmerksam verfolgt – ich habe noch gar keine Kritik gehört –, aber wir haben in der letzten Woche nach einer intensiven Diskussion mit dem Vorsitzenden des Normenkontrollrates Dr. Ludewig etwas auf den Weg gebracht, mit dem wir wiederum an der Spitze der Bewegung stehen.

In ganz Deutschland gilt hinsichtlich der Auswertung von Bürokratiekosten das, was auf der Bundesebene gemacht wird: etwa das Standardkostenmodell; Sie kennen diese Diskussionen gut genug. Bisher wird das, was tatsächlich an Aufwand in den Unternehmen anfällt, der sogenannte Erfüllungsaufwand, auf der Länderebene – dort sitzen oft die entsprechenden Behörden, die Bundesrecht plus Landesrecht umsetzen -nicht berechnet. Es gibt – das hat Dr. Ludewig ausdrücklich unterstrichen – bisher nur ein einziges Bundesland, das sich an dieses Thema heranwagt, um den Erfüllungsaufwand für die Unternehmen zu messen, um danach die politischen Entscheidungen klüger treffen zu können: Nordrhein-Westfalen. Es macht ernst mit dem Thema „Erfassung von Bürokratiekosten und Abbau von Bürokratie“!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

– Das wird ja, wie Sie wissen, schrittweise erweitert. Das gilt beim Normenkontrollrat wie auch bei der Clearingstelle. Die haben diese Schrittfolge genauso eingehalten.

Manches können wir aber nicht alleine. Vieles von dem, was Sie zu Recht an Beschwernissen beschrieben haben, liegt nicht allein in unserer Hand. Deshalb sind wir voll und ganz an der Seite von Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der vor wenigen Wochen einen Katalog von Maßnahmen vorgelegt und unter anderem vorgeschlagen hat, Gründerinnen und Gründer für ein paar Jahre – zwei oder drei – gänzlich von bestimmten Pflichten zu befreien. Genau das wollen wir real werden lassen. Das ist in der Großen Koalition in Berlin so auf den Weg gebracht worden und hat unsere ausdrückliche Unterstützung. Da müssen wir nicht als Land irgendetwas frickeln, sondern wir unterstützen die Bundesregierung bei diesen Vorhaben, Gründerinnen und Gründer von Bürokratie zu entlasten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Laschet, apropos Schutz geistigen Eigentum, weil Sie so schön gesagt haben, Sie seien nicht der Buchhalter.

(Armin Laschet [CDU]: Was habe ich gesagt?)

– Vorhin haben Sie gesagt, Sie seien nicht der Buchhalter oder die Regierungschefin sollte nicht die Buchhalterin sein oder so ähnlich. Das Zitat kenne ich. Es ist von Gerhard Schröder: Anfang der Neunziger, Landesparteitag der SPD in Niedersachsen. Der hat das damals erfunden.

(Beifall von der SPD)

Er hat gesagt: Ich bin hier nicht der Buchhalter der Partei. Ich muss mich um große Fragen kümmern. – Das hat er bei einem Wutausbruch gesagt, weil ihm ein Juso in einer Rechenschaftsdebatte auf dem Landesparteitag doofe Fragen gestellt hatte. Da ist das entstanden. Nur damit Sie das klar vor Augen haben!

Herr Laschet, wir sind es gewesen, und zwar schon vor einiger Zeit und nicht erst in der Wirtschaftskrise 2008/2009, aber danach natürlich noch einmal sehr viel intensiver, die gesagt haben: Es muss wieder zu einem Kernbestandteil von moderner Wirtschaftspolitik gehören, Industriepolitik zu betreiben. – Wir sind es gewesen, die das auf die Tagesordnung gesetzt haben. Mit zeitlicher Verzögerung kam Herr Laschet und rief: Ganz wichtiges Thema! Ich auch, ich auch, ich auch!

(Beifall von der SPD)

Dann haben wir gesagt: So, wie Schwarz-Gelb in Berlin die Energiewende macht, kann es nicht weitergehen. Das Thema „Energiewende“ muss ein zentrales Thema in der Politik sein. Da ist Frau Ministerpräsidentin nach Berlin gegangen und hat gesagt: In der neuen großen Koalition wird nichts verhandelt ohne mich, ohne NRW. – Daraufhin hat Herr Laschet gesagt: Ich auch, ich auch, ich auch! Super Thema!

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Das Gleiche passiert jetzt wieder. Wir haben bei dem Thema „Digitalisierung“ den Stein ins Rollen gebracht.

(Armin Laschet [CDU]: Oh je!)

Wir arbeiten nicht erst seit dieser Regierungserklärung, sondern kontinuierlich an diesen Themen. Viele Instrumente sind dargestellt worden. Jetzt sagt Herr Laschet: Ich auch, ich auch, ich auch! Das ist ein ganz wichtiges Thema!

(Armin Laschet [CDU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Sie kennen doch das mit dem Hasen und dem Igel und erleben es überall: Da, wo Sie hinkommen, sind wir schon gewesen. Da, wo Sie hinkommen, wird man Ihnen immer wieder sagen, dass …

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei Ihnen hat man ja manchmal den Eindruck, Sie sind nicht in der Cloud, sondern im Wolkenkuckucksheim. Das ist nicht das Gleiche, sehr geehrter Herr Laschet.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Die Ministerpräsidentin hat heute über diese manchmal sehr technischen Fragen hinaus in Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung, der gesellschaftlichen Teilhabe und der Demokratie unseres Landes klare Bekenntnisse abgegeben. Es wurden Themen angesprochen wie Störerhaftung, Netzneutralität. Ich kenne keine andere Landesregierung, die das in einer solchen Klarheit zum Ausdruck gebracht hat wie die Ministerpräsidentin hier heute Morgen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Seitens der Opposition ist vorgetragen worden, das sei zu detailliert gewesen. Dazu kann ich nur sagen: Nur wer sich in den Details wirklich auskennt, kann auch die großen Linien in diesem Land mitbestimmen. Das hat die Ministerpräsidentin unter Beweis gestellt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wüst das Wort.

Hendrik Wüst (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Nach der Rede von Herrn Römer hatte ich schon befürchtet, wir würden alle in einem verspäteten Mittagsschlaf versuppen. Aber die lebhafte Rede des Ministers gibt Anlass zur Hoffnung, dass wir in der letzten Phase dieser Debatte doch noch in einen spannenden Diskurs eintreten.

Für einen Minister, der mittlerweile bekannt dafür ist, dass er wenig zu regeln, wenig zu sagen hat und sich gegen die grünen Minister kaum durchsetzen kann, haben Sie gerade ganz schön die Backen aufgeblasen, Herr Duin. Das war ganz schön mutig.

(Beifall von der CDU)

Ich fände es toll, wenn Sie mit all den Behauptungen, wie schön alles in Nordrhein-Westfalen sei, auch noch recht hätten.

Sie kommen jetzt mit dem Standardkostenmodell – das hat übrigens mal eine Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, eine gewisse Frau Müller, eingeführt, die schon seit Langem nicht mehr da ist; es ist also schon ein wenig her – um die Kurve, nachdem Sie das Tariftreue- und Vergabegesetz, das Klimaschutzgesetz eingeführt haben. Nichtraucherschutz, Ladenöffnung, LEP, all die ganzen Schweinereien haben Sie gemacht, und jetzt kommen Sie mit der Erfassung mit Blick auf die Zukunft. Ich weiß nicht, wem Sie das als Leistung verkaufen wollen. Hier kommen Sie damit jedenfalls nicht durch.

(Beifall von der CDU)

Ihre Regierung bedroht Handwerk und Mittelstand mit Ausbildungsplatzumlage. Ihre Regierung fordert ein Unternehmensstrafrecht. Das ist die graue Realität der Wirtschaftspolitik in diesem Lande und nicht die schönen Überschriften, die Sie bei IHK-Neujahrsempfängen den Leuten erzählen.

(Beifall von der CDU)

Für die Industriepolitik gilt das Gleiche. Es ist wahrscheinlich ein großer Regiefehler gewesen, dass Sie erst nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind, als der Koalitionsvertrag schon fertig war. Sonst hätten Sie das bestimmt alles ganz anders gemacht. Auch hier ist ja die Realität, dass die Industriepolitik vor allem dadurch bedroht wird, dass im Landesentwicklungsplan kein Raum mehr dafür ist und dass Sie einen Klimaschutzplan verhandeln, von dem zwar heute noch niemand etwas weiß, aber jeder ahnt: Gut wird das nicht, was dabei herauskommt. – Das ist die Realität in der Industriepolitik.

Zur Energiepolitik – daran erinnere ich mich noch sehr genau – haben Sie hier gesagt: Wir legen bis März einen Masterplan vor. – Ich habe wohl vergessen, welches Jahr. Das muss noch kommen. Der Masterplan liegt nämlich noch nicht vor. Also: mal langsam, mal langsam, mal langsam!

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Jetzt sagen Sie, die Digitalisierung hätten Sie auch erfunden – das ist interessant – und auch für Netzneutralität seien Sie schon immer gewesen. Die Debatte hat sich auch da längst gedreht. Man muss den Piraten zugutehalten, dass sie viele dieser Themen gesetzt haben. Ich will das ausdrücklich tun, ohne jede Ironie. Auch bei der Netzneutralität waren die Piraten vorne. Inzwischen gibt es aber selbst bei den Piraten – jetzt kommt eine Spekulation – bestimmt den einen oder anderen, der das infrage stellt oder jedenfalls differenzierter diskutiert. Ich bin nicht sicher, ob wir mit Netzneutralität „Industrie 4.0“ wirklich hinbekommen.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Genau, Frau Kraft sagt gerade: Was versteht man darunter? – Die orthodoxe Variante „Netzneutralität“ und „Wir haben es erfunden“ wird mit „Industrie 4.0“ nicht vereinbar sein, wird mit eHealth nicht vereinbar sein. Armin Laschet hat es beschrieben. Da kommt es darauf an, dass die Daten ruckzuck da sind, ohne Zeitverzug. Bei unseren E-Mails ist das nicht ganz so wichtig. Deswegen wird es, wenn man es schematisch darstellt, in der Frage des Internets Kanäle oder Ähnliches geben müssen. Die Landesmedienanstalt hat letzten Freitag beschlossen, dass das für bestimmte Telemedien laufen soll. Herr Staatssekretär Eumann könnte die Debatte sicherlich um den Punkt bereichern. Es geht also schon jetzt los, zu definieren, für wen ein Vorrang gelten soll.

(Zuruf)

– Herr Eumann kann leider hier nicht reden, weil er Staatssekretär ist, aber ich weiß, dass er es weiß.

Die Debatte ist also längst eröffnet: Wer erhält Vorfahrt? Wer erhält Vorrang in der Netzneutralitätsdebatte? Also sagen Sie bloß nicht, Sie hätten es erfunden. Ich bin nicht sicher, ob Sie wirklich in der aktuellen Debatte drin sind.

Ich möchte Ihnen noch eines zu der DZ-Studie sagen, die ja beschreibt und immer wieder dafür angeführt wird, wenn es heißt, dass der Mittelstand noch nicht so genau weiß, wie ihn Digitalisierung trifft. Da geht es ein Stück weit auch um Begriffe.

Wenn Sie von vernetzter Automatisierung reden, dann werden wahrscheinlich ganz andere Zahlen herauskommen. Dann werden die sagen: Das machen wir längst, wir sind da voll drauf. Wenn Sie mit denen über „Industrie 4.0“ sprechen, meinen die vielleicht gar nicht das Gleiche.

Bei einem jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher: Der Mittelstand wird nicht warten, bis die Politik hier in die Hufe kommt und ihnen erklärt, wie das Geschäft funktioniert. Das glaube ich ganz sicher nicht. Nach den beiden Reden der Regierung heute bin ich in dieser Annahme noch bestärkt.

Ich will aber gar nicht motzen, Frau Ministerpräsidentin, wie Sie das von mir gewohnt sind, sondern Sie wirklich ernsthaft loben.

(Lachen von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Da müssen Sie selber lachen. Es gibt nichts Höheres, um ein Thema in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung zu setzen, als eine Regierungserklärung. Deswegen finde ich es gut, dass Sie es – bei allen inhaltlichen Schwächen, über die jetzt schon ausführlich gesprochen wurde – gemacht haben. Man könnte auch sagen: Nach der digitalen Agenda der Bundesregierung wurde es auch langsam Zeit. Alles geschenkt! Es ist aber gut, dass wir das in dieser Bedeutsamkeit und Ausführlichkeit heute hier miteinander besprechen. Selbst der Letzte hat heute gemerkt, dass „Industrie 4.0“ für ein altes Industrieland bedeutsam ist.

Der „Letzte“ ist Herr Römer, der uns aus Wikipedia die Definition von „Industrie 4.0“ vorgetragen hat. Das hat mich etwas überrascht. Ich finde gut, dass er sich damit auseinandergesetzt hat. Er hätte aber sein Wissensdefizit nicht besser zur Schau stellen können, als mit dieser Definition anzufangen. Aber auch da hat die Debatte offensichtlich dazu geführt, sich damit auseinanderzusetzen.

Wir sind stolz auf die industrielle Stärke unseres Bundeslandes und auf die langen Wertschöpfungsketten. Jedenfalls gilt das für die meisten von uns. Bei den Grünen bin ich da nicht immer so sicher; denn am Anfang der langen Wertschöpfungsketten wird oft viel Energie verbraucht. Insgesamt aber finden wir das alle eigentlich ganz gut.

Wir glauben auch, dass unsere Industrie stark ist und einiges abkann. Es soll aber bitte niemand glauben, dass die enormen Veränderungen, die mit der Digitalisierung und „Industrie 4.0“ beschrieben sind, nicht eine ganz brutale, zerstörerische Kraft auch für einen alten Industriestandort entfalten können. Sie können aber auf der anderen Seite eben auch sehr viele Chancen bringen.

Herr Römer hat die Qualifizierungsmuster beschrieben und gesagt – so habe ich Sie verstanden; ich will redlich sein –, dass sie anders werden. Sie haben festgestellt, dass wir immer noch Arbeiter in den Fabriken brauchen werden. Ich hoffe das. Das könnte sich aber als Pfeifen im Wald herausstellen. Wenn der Minister von „Turbokapitalismus“ spricht, glaube ich, dass da durchaus eine ernsthafte Bedrohung im Hinblick auf die Frage vorhanden ist, wie man hier in Zukunft anständige Arbeit organisiert. Da sehe ich eine mindestens so große Bedrohung wie Chance.

Wenn im Westen Chinas – bei den Uiguren – deutsche Berater Automobilzulieferer mit „unskilled worker“ – das sind völlig unqualifizierte Menschen, Analphabeten – aufbauen und diese mit Datenbrillen – die werden mit roten und grünen Punkten angewiesen, was sie zu greifen haben –, macht man Menschen zu Maschinen. Das ist eine Bedrohung, der wir wahrscheinlich im Hinblick auf unsere berechtigten Ansprüche, wie man hier zu arbeiten hat, kaum Herr werden. Insofern ist „Industrie 4.0“ sicherlich mit vielen Chancen verbunden, aber auch mit einer ganzen Menge besorgniserregender Risiken.

Im Übrigen erleben wir alle Digitalisierung. Wir diskutieren heute so, als fände es da hinten statt und wir würden uns das angucken. Wir sind aber mittendrin. Der Minister hat eben gesagt, eine Schallplatte hätte einen Sprung. Ich komme eher aus dem Kassetten- und CD-Zeitalter, weiß aber, dass es Schallplatten gibt. Ich habe auch noch ein paar. Meine ersten „Queen“-Sachen waren auch noch auf Platte. Dann hat er gesagt: „Wir laden etwas runter“. Den Satz habe ich vor einem guten Jahr auch einmal gesagt. Nach mir sprach der Vorsitzende der Geschäftsleitung von Microsoft in Deutschland. Er beschrieb meine Worte als „heillos veraltet“. Man würde bei iTunes nichts mehr herunterladen. Das sei total vorbei. Wir seien jetzt im Zeitalter der Streamingdienste angekommen.

Nachdem wir uns jetzt alle erzählt haben, was wir alles wissen, ist die spannende Frage, zu welchen Veränderungen das führt.

Man hat mit Schallplatten noch gutes Geld verdient. Udo Jürgens ist sicherlich nicht über Streamingdienste Millionär geworden. Auch hat man mit Kassetten und CDs noch gutes Geld verdient. Selbst bei iTunes haben die Künstler noch einigermaßen akzeptables Geld verdient. Bei den Streamingdiensten ist das anders. Die ersten Topstars aus Amerika machen auch Front dagegen.

Es ist über Journalismus gesprochen worden. Darüber bin ich sehr dankbar. Auch über Buchautoren kann man an der Stelle sprechen, über vieles andere auch. Alles, was Content ist, hat sich ja längst verändert.

Wir haben über Handel gesprochen. Wie war das hier zu Zeiten der Minderheitsregierung? Es hieß: Regierung der Einladung. Ich wurde einmal in die Staatskanzlei eingeladen – seitdem irgendwie nicht mehr.

(Zuruf von der SPD)

– Da gibt es nur noch Leitungswasser; da will ich nicht hin. – Wir haben da einmal darüber diskutiert, wie wir es gemeinsam hinbekommen, im Landesentwicklungsplan die Grüne-Wiese-Geschichte zu verhindern. Während wir das gemacht haben, ist der Internethandel vor Weihnachten, was den Umsatz angeht, um 20 % hochgeschnellt. Da können wir gar nichts machen. Wir befinden uns also mitten in der radikalsten Veränderung der letzten Jahrzehnte, was viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche angeht. Warum soll das bei der Industrie am Ende anders sein?

Google zieht heute schon aus Europa mehr als 10 Milliarden € Werbeumsätze. Was das für die werbefinanzierte Content Industrie in Europa bedeutet, können Sie sich lebhaft ausrechnen.

Es gibt hier also viel Neues und Spannendes, an das man ambitioniert herangehen muss. Eine Debatte um die besseren Wege ist mir immer lieber, als darüber zu sprechen, wie wir die Regierung an der Stelle wachküssen können – oder wer auch immer wen wachküssen soll. Wir führen jetzt die Debatte, und das ist gut.

Wie nahe wir vor spürbaren großen Veränderungen in der Industrie stehen, zeigt eine Anekdote in einem Buch, das ich nicht über Weihnachten, sondern schon im letzten Sommer gelesen habe. Ich habe es schon mehrfach empfohlen, es ist von Christoph Keese. Das ist ein Springer-Lobbyist. Insofern ist das Buch wahrscheinlich nicht ganz ohne Eigennutz verfasst worden.

In dem Buch steht die Anekdote, dass sich ein Energiemanager aus dem klassischen Energieerzeugungsbereich mit einem Internetunternehmer unterhält. Der Energiemanager sagt: „Was redet ihr da immer? Ich verstehe eure Sprache nicht. Lasst mich in Frieden. Wir haben Kraftwerke, produzieren Strom, liefern den an den Kunden und werden bezahlt. Dann ist das Thema erledigt. Wir haben die Kraftwerke, die Netze und die Kundenverbindungen. Uns passiert nichts“. Der Internetmanager antwortet: „Pass mal auf, mein lieber Freund, du weißt gar nichts über deine Kunden. Nichts weißt du! Du kennst die Adresse und die Stromzählernummer. Außerdem weißt du, wie viele Kilowattstunden im Jahr verkauft werden. Mehr weißt du überhaupt nicht“.

Google oder Apple – wahlweise – wissen heute schon, wann wir morgens aufstehen. Google und Apple wissen, wann der erste Termin ist, wann wir aufstehen werden und wann warmes Wasser zum Duschen gebraucht wird. Google Now weiß heute schon, wann wir üblicherweise nach Hause fahren und wieviel Stau es dann gibt. Deswegen nutze ich den Service. Ich kann schon im Büro nachgucken, wie lange der Stau andauert und wann ich losfahren muss. Ich muss nicht erst das Navi im Auto anmachen. Google und Apple wissen jetzt schon, wann wir zu Hause ankommen, dass wir dann wahrscheinlich ein warmes Wohnzimmer und ein kaltes Bier im Kühlschrank wollen. Und so weiter, und so fort.

Wer wird wohl den intelligenteren Service anbieten können? RWE, E.ON oder andere? Das ist eine spannende Frage.

Die Zutaten für die nächste disruptive Entwicklung in genau dem Bereich sind alle schon vorhanden. Die Services sind schon da, und das Wissen ist schon vorhanden. Google hat nicht überraschend in Haustechnik investiert. Die haben nämlich vor, genau das zu machen, was ich eben beschrieben habe. Es gibt also noch jede Menge vergleichbarer Beispiele, mit denen ich Sie nicht weiter beschäftigen möchte.

Ich möchte noch einige Anmerkungen zur Regierungserklärung machen. Ich teile die Ansichten zum Open.NRW-Portal und zu Big Data. Es ist klug, dass junge Start-ups damit ihr Glück machen sollen. Das ist völlig in Ordnung.

Zum Thema „Datensicherheit“. Frau Ministerpräsidentin, ich habe Sie hier heute live gehört, und ich habe Sie auch am Montag bei der Übergabe der Prognos-Studie sprechen gehört. Sinngemäß sagen Sie, wir wollen nicht, dass die Inhalte der Clouds im Silicon Valley gespeichert werden oder dass dort die Standards beschrieben werden.

Diese Ansicht teile ich. Das sollten wir nicht wollen. Es ist aber längst passiert, wann immer wir einen schicken Service auf unseren Handys und Smartphones nutzen wollen.

Sorry, aber ich habe nie eine AGB gelesen. Ich bin Jurist, ich könnte das vielleicht noch verstehen, aber ich habe gar keinen Bock darauf.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deswegen!)

– Ja, vielleicht habe ich sie genau deswegen nicht gelesen. Diesmal wirklich geschenkt, Herr Römer. Das ist nicht das Thema, aber unsere Daten sind längst im Silicon Valley – das ist die Realität –, und wir bekommen sie auch nicht zurück.

Auf die neue EU-Datenschutzrichtlinie zu hoffen, traue ich mich schon gar nicht mehr. Dort kümmert man sich sehr liebevoll um die Frage, ob wir von Hemdenherstellern oder anderen Unternehmen eine Postwurfsendung bekommen können, ohne vorher eingewilligt zu haben. Auf dem Niveau verharrt man dort. Ich bin nicht sicher, ob dort wirklich die richtigen Debatten mit der nötigen Verve geführt werden.

Am kommenden Freitag, also morgen, werden die neuen AGB von Facebook gelten, dem größten Datenstaubsauger, den es bisher gegeben hat. Dann werden die nächsten strategischen Schritte für die nächsten Milliardenmittelabflüsse aus Europa ins Silicon Valley vorbereitet und die nächsten Clouds gefüllt. Wir werden sie wahrscheinlich nicht daran hindern.

Jeder Jurist, der sich damit noch besser auskennt als ich, sagt mir: Vielleicht kann man dagegen vorgehen, aber sicher wissen wir es nicht. – Am Ende liegt es an jedem selbst, wenn er die AGB liest und ihnen durch Ankreuzen zustimmt.

Das Thema des sicheren Hafens von Daten erinnert mich ein bisschen an den sicheren Standort Deutschland in der Finanzkrise. An der Stelle frisst uns nicht die Gier, sondern uns frisst der Wunsch nach gutem Service, und schwups, sind die Daten ganz woanders.

Die spannende Frage bei der Debatte ist: Wie schaffen wir es, diese Datenkraken dazu zu nutzen, unsere Probleme zu lösen? Wie bekommen wir das digitale Haus dazu, dass ältere Menschen länger zu Hause leben können? Wie bekommen wir das digitalisierte Haus dazu, energieeffizienter zu sein? Wie schaffen wir es damit vielleicht sogar, Einbruchprävention zu betreiben, Sicherheit herzustellen und, und, und?

Es gibt also jede Menge spannender Fragen, über die es sich in den nächsten Wochen und Monaten zu sprechen lohnt. Seit heute wissen wir: Alle finden das Thema wichtig, alle wollen darüber diskutieren. Das ist schon einmal gut. So manche Ankündigung erscheint mir neben der zum Thema „Datensicherheit“ jedoch auch noch ein bisschen realitätsfern.

Die elektronische Verwaltung E-Government hat mir der Bundesvorsitzende der Steuerberaterverbände, Herr Elster, einmal folgendermaßen erklärt: Wenn man eine elektronische Steuererklärung bzw. Bilanz abgibt, ruft das Finanzamt an und bittet darum, man möge alles noch einmal per Post hinterherschicken. Man hätte nämlich nicht mehr so viel Papier und hätte noch lange nicht die Software, um die elektronisch eingegangenen Daten auch bearbeiten zu können. Das ist derzeit noch die Realität in der Finanzverwaltung. Das heißt, was das E-Government betrifft, sind wir noch nicht sehr weit gekommen.

Zum Thema „Start-up“. 70 Millionen € sind eine ehrbare Summe. Mehr zu fordern ist immer einfach. Wenn man eine größere Summe zur Verfügung hätte, würde man diese regierungsseitig wahrscheinlich auch gerne angeben. Ich glaube aber, dass das nicht die zentrale, spannende Frage ist.

In Deutschland liegt unglaublich viel Geld bei Lebensversicherungen und Rentenkassen, das nach Anlage sucht. Nach den derzeit gültigen Regelungen im VAG bzw. gemäß der Solvency-II-Richtlinie kann man bis zu 15 % dieser Mittel in diesen Risikoanlageklassen in den nicht gelisteten Investments investieren.

Das Problem bei einem Start-up ist, glaube ich, vielmehr praktischer Natur. Diese Unternehmen brauchen natürlich Bürokratie. Ich halte die Bürokratie an der Stelle auch teilweise für gerechtfertigt. Denn dort liegt sozusagen auch meine Lebensversicherung. Deshalb ist das völlig okay. Das Problem ist aber rein praktischer Natur.

Wenn Sie die erste Finanzierungsrunde eines Start-ups mit den drei Fs, nämlich Familiy, Friends and Fools, realisieren, dann folgt die zweite Runde erfahrungsgemäß nach einem Dreivierteljahr oder nach anderthalb Jahren. Dafür müssen Sie erst einmal ein Produkt konzipiert haben, Sie müssen vielleicht schon erste Testkunden haben, Sie müssen ein Pricing haben, und Sie müssen darauf basierend einen Businessplan haben. Damit sind Sie als Start-up-Unternehmer sehr gut beschäftigt. Sie brauchen Zeit dafür. Schließlich geschieht das nicht alles über Nacht.

Dann kommt der institutionelle Anleger auf Sie zu und will viele Informationen von Ihnen. Ich bestreite auch gar nicht, dass er das zu Recht wissen möchte, aber im Ergebnis führt das in ein zeitliches Problem. Denn in dem Moment, in dem Sie anfangen, ihm diese Fragen zu beantworten, haben Sie vielleicht noch drei Monate Zeit, bevor Sie zum Insolvenzrichter müssen. Wenn Sie mit all den Fragen fertig sind, befinden Sie sich längst in der Insolvenzverschleppung.

Das heißt, es handelt sich vielmehr um ein praktisches Problem. Deshalb sollten wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir dieses praktische Problem lösen können. Ich glaube, dass die 70 Millionen € aller Ehren wert sind. Sie retten uns am Ende aber nicht. Wenn es Probleme aufgrund bürokratischer Hemmnisse gibt, dann an dieser Stelle. Dort liegt viel mehr Geld, als jeder staatliche Haushalt in die Hand nehmen kann.

Es gibt ein Bundesprogramm INVEST. Dieses finde ich als Anwender interessant. Es ist unbürokratisch, und nach nicht einmal drei Monaten ist die Kohle da. 20 % des Risikoinvests bekommt man erstattet, aber das Geld ist ein verlorener Zuschuss. Das scheint mir aber keine intelligente Lösung zu sein. Da muss uns etwas Besseres einfallen.

Stichwort „intelligente Lösung“. Ich möchte nun auf die Ausbaudynamik zu sprechen kommen. Frau Ministerpräsidentin, Sie haben gesagt, wenn es um nordrhein-westfälisches Geld gehe, sei das alles nicht so wichtig. Es seien intelligente Lösungen gefragt.

Wenn das Geld gefragt ist, dann von Bund und Land. Den Streit darüber lassen wir jetzt sein. Ich gebe zu, dass ich das auch stark verkürzt wiedergegeben habe.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Ja, ist in Ordnung. Die Politik, die Sie bisher betreiben, ist jedoch nicht intelligent.

(Beifall von der CDU)

Letztens hat eine Expertenanhörung im Ausschuss stattgefunden. Dort hat Herr Bolte gesagt: Wir wollen eine nachhaltige Breitbandentwicklung und nicht das, was Bayern jetzt macht.

Denn dort fließen dann nämlich die 2 Milliarden € hin, indem man mit der Deutschen Telekom hauptsächlich Vectoring betreibt. Das ist das, was Bayern derzeit macht. Ich halte das als ersten Schritt für keinen schlechten Weg, und auch die Experten – selbst der Experte, der von der SPD-Fraktion berufen worden ist – haben gesagt: Jawohl, am Ende ist es richtig, dass in jedem Haus und in jeder Wohnung Breitband mittels Glasfaser hergestellt wird.

Ja, selbstverständlich, aber im ersten Schritt würde es schon reichen, wenn wir am Kabelverzweiger, sprich: an den grauen Kästen an der Straße, Glasfaser hätten und den Rest mit Vectoring realisieren würden. Die allermeisten Nutzer brauchen mehr, als Vectoring in den nächsten Jahren liefern kann, in absehbarer Zeit sowieso nicht. In fünf oder zehn Jahren vielleicht, aber als ersten Schritt die Förderpolitik des Landes darauf auszurichten, den Weg zu gehen, die letzte Meile noch mit Kupferkabel zu versorgen, würde Ihnen helfen, Ihr Ziel bis 2018 zu erreichen. Denn mit dem derzeitigen Ausbaupfad von 1,4 % im Jahr schaffen Sie es nicht. Mit dem von mir beschriebenen Weg können Sie es schaffen.

Die regierungstragenden Fraktionen haben im Expertengespräch unter dem Stichwort „nachhaltiger Ausbau“ hingegen exakt die gegenteilige Politik vertreten. Lieber etwas weniger Ausbaudynamik, aber dafür nachher Glasfaser in jedem Keller. – Ich halte das für den falschen Weg.

(Beifall von der CDU)

Um bei den nächsten Themen der Digitalisierung die Nase wieder vorn zu haben – denn die ersten Themen haben wir gemeinsam brav verpennt –, wird es nötig sein, ein bisschen mehr zu liefern als flotte Anglizismen, direkte staatliche Förderung oder Gesprächsplattformen – so wichtig Gesprächsplattformen insbesondere über neue Geschäftsmodelle auch sind. Es gibt eine Menge regulatorischer Fragen zu klären und eine Menge dicker Bretter zu bohren.

Übrigens gibt es für Europa auch eine Menge Werteentscheidungen mit dem Silicon Valley zum Thema „geistiges Eigentum“ zu diskutieren. Der Bundestag hat ein Leistungsschutzrecht beschlossen. Davon kann man Fan sein, oder man kann es ablehnen. Jetzt steht es aber im Gesetz. Google sagt allerdings: Wer sich darauf beruft, fliegt bei uns raus. – Damit wird das Monopol ausgenutzt, das Google in dem Bereich hat.

(Zuruf von Staatssekretär Dr. Marc Jan Eumann)

– Sie wissen genau, warum ich es kenne. Aber geschenkt! – Es ist ein deutsches Gesetz. Google sagt: Wer sich darauf beruft, wird bei uns ausgelistet. – Als Content Industrie hängen Sie da am Fliegenfänger.

Wir haben also eine ganze Menge an regulatorischen Grundsatzfragen zu klären, die auch Wertefragen sind.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit nähert sich dem Ende.

Hendrik Wüst (CDU): Ich bin dankbar dafür, dass wir dieses Thema mit der prominenten Platzierung jetzt da auf der Agenda haben, wo es hingehört, und freue mich auf die weitere Debatte darüber. Wir werden von diesem Thema nicht mehr loskommen. Die frühere HP-Chefin Carly Fiorina hat gesagt: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird auch digitalisiert werden.“ Deswegen bin ich sicher, dass wir darüber noch lange intensiv streiten können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. Sie haben die zusätzlichen 6:40 Minuten jetzt auch wirklich verwendet. – Nächster Redner ist Herr Kollege Schmeltzer für die SPD-Fraktion.

Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die heutige Ausgabe der „WAZ“ ist ja an der einen oder anderen Stelle heute schon einmal herangezogen worden. Darin steht auch:

„Denn bei der Informationstechnologie (IT) stellt sich NRW derzeit gut auf. Bei der Digitalisierung muss es kaum einen innerdeutschen Vergleich scheuen.“

Das ist eine gute Zusammenfassung dessen, was wir in Nordrhein-Westfalen vorzuweisen haben. Das wurde im Laufe der Debatte von Ministerpräsidentin Kraft und Wirtschaftsminister Duin auch dargestellt.

Auch Herr Lindner ist jetzt wieder bei der Debatte dabei. Als der Wirtschaftsminister gesprochen hat, war er voll in der Digitalisierung. Da war er nämlich mit seinem Smartphone beschäftigt.

Herr Lindner, gestatten Sie mir folgenden Hinweis – ich kenne Sie ja schon seit 2000;

(Christian Lindner [FDP]: Seit 15 Jahren!)

Sie haben sich in der Art eigentlich gar nicht verändert –: Das, was Sie heute gebracht haben, war ein Null-null-Lindner. Sie sind hier wieder mit einer Arroganz sondergleichen aufgetreten und haben etwas behauptet, was definitiv jeder Wahrheit entbehrt: Wir hätten keine Initiativen eingebracht; wir hätten keine Anträge gestellt.

Herr Lindner, ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht wahrgenommen haben; denn Sie sind kaum in diesem Parlament anwesend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie sind kaum da. Dann stellen Sie sich hierhin, blasen sich auf und tragen Unwahrheiten vor. Sobald Sie wieder sitzen, gucken Sie direkt nach, ob die Presse das auch alles gebracht hat.

Ich nenne Ihnen einmal einige Anträge der SPD und der Grünen:

–   September 2012: Modernes Regieren im digitalen Zeitalter – Open Government Strategie für Nordrhein- Westfalen vorantreiben!

–   Dezember 2012: EU-Datenschutzreform: Hohe Datenschutzstandards sicherstellen!

–   Mai 2013: Für echtes Netz: Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben!

–   November 2013: Offene Zugänge zum Internet schaffen

–   Januar 2014: Öffentlich-rechtliches Telemedienangebot für Beitragszahlerinnen und -zahler verbessern (Abschaffung der 7-Tage-Frist)

Wir haben offene Online-Konsultationen eingeführt – zum Landesmediengesetz, zur Hochschule und zum Hochschulzukunftsgesetz.

Außerdem haben wir weitere Dinge auf den Weg gebracht, die Sie übrigens wieder abgeschafft haben. Ich erinnere an die 13. Legislaturperiode. Ministerpräsidentin Kraft wird sich ganz besonders daran erinnern. Sie waren zu dieser Zeit aber auch im Landtag. Seinerzeit war es die rot-grüne Landesregierung, die den Weg schon sehr weit im Voraus gesehen hat und aus diesem Grunde einen Medienausschuss eingerichtet hat. Dieser Medienausschuss hat bereits die Digitalisierung

(Armin Laschet [CDU]: Erfunden!)

und die Globalisierung durch die neuen Technologien aufgegriffen.

Im Jahr 2005 haben Sie diesen Medienausschuss mit einem Handstreich wieder weggewischt. Dieser Medienausschuss hat den Tag der Medienkompetenz ins Leben gerufen, der 2003 erstmalig durchgeführt wurde. Sie haben diese Bildungsinitiative zur Steigerung der Medienkompetenz, den Tag der Medienkompetenz, mit einem Handstreich weggewischt.

Daher dürfen Sie sich nicht hierhin stellen und sich aufblasen. Auch wenn ich Ihnen das tausendmal sage, werden Sie es natürlich beim nächsten Mal wieder machen. Sie haben dort aber einen Bruch begangen. Sie wissen auch, dass Rot-Grün in diesen Punkten schon sehr lange auf dem Weg ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn wir über die Dinge sprechen, die wir seinerzeit schon auf den Weg gebracht haben, dürfen wir auch darüber reden, was wir denn seinerzeit etwa neben dem Tag der Medienkompetenz noch initiiert haben.

Es war uns immer wichtig – federführend war unser damaliger Sprecher, der heutige Staatssekretär Marc Jan Eumann –, die Medienkompetenz sehr frühzeitig in die Schulen zu den Kindern und Jugendlichen zu bringen. Das haben wir damals auf den Weg gebracht und in der Regierungsverantwortung, die wir seit 2010 – Gott sei Dank für dieses Land – wieder übernommen haben, weiter fortgeführt. Wir haben diese Medienkompetenz in die Schulen gebracht und auch dafür gesorgt, dass die Medienkompetenz so weit, wie es unter den finanziellen Gesichtspunkten möglich ist, auch in Hardware und in Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer vor Ort ankommt.

Rückblickend sieht man heute, wie wichtig es war, dass wir in der 13. Legislaturperiode einen Medienausschuss mit Blick auf die neuen Technologien eingeführt haben. Ich denke nur an unseren Besuch im Jahre 2000 auf der Expo in Hannover. Dort haben wir uns einiges angesehen, was wir im Jahre 2000 noch belächelt und wozu wir gesagt haben: So etwas wird nie kommen.

Wir konnten uns nicht vorstellen, dass die Flachbildschirme einen solchen Siegeszug antreten würden. Das Exemplar, das dort stand, kostete noch 30.000 DM. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es im Rahmen der Digitalisierung begehbare Kleiderschränke geben würde, aus denen man die Sachen nicht mehr aus dem Kleiderschranken herausholen muss. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sich die neu entwickelten Telekommunikationsgeräte, die wir dort gesehen haben, durchsetzen würden. Das waren die ersten Handys. Wir konnten nicht nachvollziehen, dass es einmal so kleine Geräte geben würde.

Deswegen war es wichtig und richtig, dass wir diesen Bogen gespannt haben und hier im Lande daran weitergearbeitet haben.

Herr Laschet, es war falsch, dass Sie diesen Bogen, den wir gespannt haben, was Sie eben kritisiert haben, dann unterbrochen haben und den intelligenten Medien keine Zukunft gegeben haben, indem Sie ihnen in den Jahren 2005 bis 2010 keine Chance gegeben haben und sich diesem Thema überhaupt nicht gewidmet haben.

(Beifall von der SPD und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Vorhin hat Herr Lindner – ich glaube, er war es; doch, natürlich; bei solchen Sachen kann es nur Herr Lindner gewesen sein – auf die Statistik bezüglich der Mbit-Verbindungen im Lande Nordrhein-Westfalen hingewiesen und süffisant, wie es seine Art ist, gesagt: 2 Mbit, das war doch Stand 2005. – Herr Lindner, dann frage ich Sie: Warum haben sich diese 2 Mbit, die Stand 2005 waren, in den Jahren 2006, 2007, 2008, 2009 und 2010 – bis Mai 2010 – nicht so verbessert, wie sie sich hätten verbessern müssen? Haben Sie da auch wieder gepennt? Oder haben Sie vergessen, dass Sie da regiert haben?

(Beifall von der SPD)

Die Zahlen, die der Minister in der letzten Woche dem Wirtschaftsausschuss vorgelegt hat, sprechen für sich.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Da können Sie ruhig mit Ihren 6 Mbit und was weiß ich ankommen. Das ist mir alles ganz egal. Heute haben wir – bleiben wir bei den 2 Mbit – eine Versorgung von 99,6 %. Dann kommen Sie mit Ihren 16 Mbit – okay, da haben wir eine Versorgung von 82 %, und bei 50 Mbit haben wir eine Versorgung von 70,7 %.

Und dann – dieser Vergleich ist schon mehrfach hier angestrengt worden -vergleichen wir uns immer wieder gerne mit Bayern, das weit hinter uns liegt.

(Zuruf von den PIRATEN: Das geht da ja auch so super mit den vielen ländlichen Gebieten!)

Da greife ich gleich die Sache mit den 2 Milliarden € auf. Sie haben ja schon mehrfach in diesem Hohen Haus, Herr Wüst – Entschuldigung, wie konnte ich Sie jetzt nur übersehen; aber bei Herrn Schemmer hätte ich Sie jetzt wirklich nicht vermutet –, auf die Finanzierung des Breitbandausbaus hingewiesen.

Jetzt mache ich es mal mit Ihren Worten: „EFRE? – Geschenkt!“. Das steht ja auch in Ihrem Antrag, und ich danke Ihnen für diesen Satz: Finanzierung mit EFRE ist nicht möglich. – Irgendwann kommt ja die Einsicht.

Aber Sie haben auch immer wieder darauf hingewiesen: Bayern finanziert viel mehr als Nordrhein-Westfalen, Bayern ist das Vorzeigeland par excellence. Der Kollege Vogt aus meiner Fraktion und ich haben Ihnen schon mehrfach – schon damals und bis Mitte 2014 – dargelegt, wie es denn in Bayern gelaufen ist:

Die haben zunächst Unmengen an Geld in ihren Haushalt eingestellt und dann gemerkt: Kein Mensch in Bayern will das Geld, bis Mitte 2014. Wir haben in Nordrhein-Westfalen in mehreren Plenardebatten darauf hingewiesen, dass es sich in Bayern um Luftnummern handelt.

Da hat Bayern festgestellt: Wenn die in Nordrhein-Westfalen schon merken, dass das bei uns Luftnummern sind, dann ändern wir das, dann machen wir aus 500 Millionen € mal eben 2 Milliarden €. Das macht sich im Haushalt ja ganz gut, und zur Verfügung stellen müssen wir es sowieso nicht, weil kaum einer etwas davon abruft. Von den 2 Milliarden € sind schätzungsweise 30 Millionen irgendwann abgerufen worden

(Zuruf: 37 Millionen €!)

– 37 Millionen €, Entschuldigung; wir wollen das nicht kleiner machen. – Die Städte und Gemeinden, die kleinen Kommunen – sie greifen nicht nach dem Geld, weil es nicht attraktiv ist. Und deswegen bleiben sie in der Versorgung so weit hinter uns. Darum: Bayern brauchen wir nicht als Vorbild. Wir haben gute Ansätze, wie wir das in Nordrhein-Westfalen machen und damit sind wir wesentlich besser aufgestellt.

Was die Finanzierung betrifft, ist das vielleicht in der Regierungserklärung etwas untergegangen: Immer dann, wenn es interessant wird, wenn es darum geht, Lösungswege zu finden, wie man etwas finanzieren kann – wobei Sie uns ja immer unterstellen, dass wir das nicht könnten –, dann ducken Sie sich relativ schnell weg, so wie der Fraktionsvorsitzende der CDU jetzt, vielleicht weil er das gar nicht hören möchte.

Die Ministerpräsidentin hat deutlich darauf hingewiesen, dass auf Ebene der Europäischen Union – und ich glaube, ausschließlich der Kollege Wüst hat einen fragenden Zwischenruf gemacht, der an dieser Stelle sehr konstruktiv war – das sogenannte Juncker-Investitionspaket existiert, mit insgesamt 315 Milliarden € Investitionsvorhaben für IKT-Pro-jekte mit dem Schwerpunkt Breitband.

Wir müssten in Nordrhein-Westfalen doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn wir das Förderprogramm auf EU-Ebene, das sich schwerpunktmäßig mit Breitband befasst, worauf wir definitiv zugreifen können – anders als bei EFRE, ich hoffe, das ist endlich mal angekommen –, nicht nutzen würden. Wir haben schon über 3 Milliarden € für die Umsetzung von uns in NRW angemeldet.

Da müssen wir natürlich am Ball bleiben und schauen, wie es mit dem Juncker-Investitionspaket weitergeht. Wenn das so aufgelegt wird, wie es angedacht ist, dann haben wir bereits Maßnahmen angemeldet. Das wird neben der Ausschüttung der Gelder aus der Funkfrequenzversteigerung gutes Geld sein, das wir ausschließlich in den Breitbandausbau stecken können.

Digitale Gesellschaft ist mehr als Technologie. „Fortschritt gestalten“, das ist der Titel eines Dialogprozesses – einer von vielen –, an dem Minister Duin beteiligt ist. Herr Kollege Wüst, man kann es nicht stehen lassen, dass Minister Duin viel rede, aber wenig mache. – Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Ein Punkt an dieser Stelle: „Fortschritt gestalten“ ist ein Dialogprozess der Landesregierung, ein Austausch von Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftlichen Gruppen, wozu für uns natürlich – das wird keinen verwundern – an erster Stelle auch die Gewerkschaften stehen. Das hat der Kollege Römer trefflich und richtig ausgesprochen: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land – egal aus welcher Branche – sind das größte Kapital eines jeden Unternehmens. Sie haben das größte Know-how, weil sie täglich an der Sache arbeiten. Das gilt auch beim Fortschritt in der Digitalisierung. Deswegen werden wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Dialogprozess integrieren.

Im Zusammenhang mit dem Dialogprozess „Fortschritt gestalten“ gab es in der letzten Woche, am 22. Januar 2015, in Köln einen Fortschrittkongress. Auf diesem Kongress – Herr Kollege Wüst, ich unterstelle einfach mal freundlich, wie ich bin, dass Sie keine Zeit hatten; aber Sie haben ja einen Beobachter in Form eines Mitarbeiters geschickt – konnte man sehen, wie Informations- und Kommunikationstechnologien auch von den Fachleuten als einen der wesentlichen Bestandteile des Lebens in unserem Land gesehen werden.

Man konnte nicht nur sehen, sondern man konnte auch hören, wie uns Fachleute – das waren Fachleute aus den verschiedensten Bereichen – Zuspruch gegeben haben bei dem, was wir im Rahmen der digitalen Gesellschaft, der digitalen Wirtschaft disziplin- und ressortübergreifend auf den Weg bringen. Sie sagen, wir seien auf dem richtigen Weg. Das macht uns Mut. Deshalb werden wir diesen Weg gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrnehmungen in der Debatte sind ja sehr unterschiedlich. Wenn die einen kritisieren, die Regierungserklärung sei „nur“ eine Aufzählung dessen, was gemacht wird, dann finde ich es schon erstaunlich, dass man da sagt: „Das ist ja „nur“ eine Aufzählung“.

„Nur eine Aufzählung mit Überschreitung der Redezeit“ – da würde ich sagen: Das ist viel mehr, als Sie auch nur ansatzweise angedacht hätten. Wobei, genau genommen, das mit der „Aufzählung“ natürlich nicht stimmt.

Der Nächste, nämlich Herr Paul, sagt: Hier wird nur geredet, aber wenig gemacht. – Herr Paul, dann würde ich Ihnen doch empfehlen: Lesen Sie die Regierungserklärung nochmals, und nehmen Sie nur einmal die Punkte heraus, die alle schon gemacht wurden – dann würden Sie diesen Satz revidieren.

Dann wird seitens von Herrn Paul immer wieder dargelegt, womit all das gefördert werden müsste, was bislang noch nicht gemacht wurde. Wenn ich geahnt hätte, wie oft Sie die Worte „fördern, fördern, fördern“ statt „supergeil, supergeil, supergeil“ angeführt haben, hätte ich das mal mitgeschrieben.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Haushaltsplanberatungen, die ab Sommer wieder anstehen, und wie Sie all die Förderpunkte, die Sie angesprochen haben, nicht nur einfach als Antrag auf mehr Geld einbringen, sondern auch mit realistischen – Herr Paul, das ist der wesentliche Punkt – Gegenfinanzierungen untermauern. Ich glaube, das wird eine ganz interessante Haushaltsdebatte, die wir dann haben werden.

(Zuruf von den PIRATEN: Ja, ja!)

Es wurde immer wieder auf den Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen hingewiesen und wie wichtig er für uns ist. Die Zeitungen schrieben heute – ich zitiere –:

„Die Hochschulen sind ein dickes Pfund in dieser Region, denn sie bringen die nötigen Informatikfachkräfte und die Gründer von innovativen Unternehmen, sogenannte Start-ups, hervor.“

Also genau das, was Minister Garrelt Duin eben deutlich hervorgehoben hat.

Herr Kollege Wüst, Sie haben von 70 Millionen € gesprochen. Herr Kollege, das war übrigens eine sehr interessante, sachliche Rede, die ich von Ihnen heute gehört habe; das konnte man insbesondere an den Gesichtern von Herrn Hovenjürgen und Herrn Laschet ablesen. Die haben hoch interessiert zugehört. Ich hatte das Gefühl, sie haben bei Ihrer Rede sehr viel gelernt. Vielleicht sollten Sie das noch einmal intensivieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die 70 Millionen € sind natürlich – ich danke Ihnen recht herzlich, das war eine ehrliche Feststellung – immer „nur“ 70 Millionen. Aber Sie haben auch gesagt: Das ist aller Ehren wert. – Mit diesen 70 Millionen € – dafür garantiert Garrelt Duin sicherlich, er hat das auch so vorgestellt – werden wir die Chance für junge Hochschulabsolventen nutzen und neue Impulse für Unternehmensgründungen und Start-ups geben. Es ist unser Ziel, dass wir diese jungen Menschen an unserem hervorragenden Hochschulstandort im Digitalen ausbilden und sie dann mit ihrem Know-how in Nordrhein-Westfalen halten, damit sie nicht anschließend in andere Bundesländer oder sogar ins benachbarte Ausland abwandern. Deswegen ist es umso wichtiger, dass Start-ups finanziert und unterstützt werden.

Es sind verschiedene Punkte angesprochen worden. Digitalisierung ist mehr als nur das, worüber man mit Smartphone und Internet spricht. Die Energie ist angesprochen worden, Vernetzung und Steuerung unterschiedlicher Energieerzeuger. Wir haben in diesem Parlament das Thema des virtuellen Kraftwerks sehr intensiv diskutiert. Der eingebrachte Antrag ist hier einstimmig verabschiedet worden. Das ist ein Zeichen dafür, dass Sie an der Stelle nicht nur sensibilisiert sind, sondern auch uns und die Landesregierung unterstützen, dass das der richtige Weg ist, so wie wir es eingebracht haben und wie die Bewerbung in Berlin läuft.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Betriebsräte, Gewerkschaften müssen frühzeitig in die Gestaltung des digitalen Wandels einbezogen werden. Ich kann mich daran erinnern, als ich Mitte der 80er-Jahre Betriebsratsvorsitzender war und uns die Geschäftsführung gesagt hat – das geht in die Richtung des Rechenschiebers von Reiner Priggen –: Wir stellen hier mal versuchsweise einen PC hin.

Unabhängig davon, dass ich Mitte der 80er-Jahre – das gehört zur Wahrheit dazu – überhaupt nicht wusste, was die wollten, als von einem „PC“ die Rede war, haben wir dann als Betriebsrat mit allen möglichen rechtlichen Mitteln dagegen gearbeitet, um dieses Teufelswerk zu verhindern.

Heute würde man uns auslachen und lacht uns auch aus. Heute gehört das zum Standard. Die Zeit ist schneller geworden. Deswegen brauchen wir die Erkenntnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen: Apps sind angesprochen worden. Ohne die Apps der Deutschen Bahn oder des ÖPNV würde auch manch ein Abgeordneter seinen Zug verpassen, wenn wir ehrlich sind. Aber zu der Sache mit der BAB 9 – entweder äußert sich Herr Laschet wider besseres Wissen, oder er hat einfach keine Ahnung davon, lassen wir auch das dahingestellt –, Nürnberg–München: Frau Ministerpräsidentin hat darauf hingewiesen, dass es hier darum geht, ein digitales Testfeld Autobahn auszuweisen, das der Bundesverkehrsminister auf den Weg bringen will. Ich sage ganz klar: Warum soll es ein solches Testfeld mal wieder auf einer Ferienstrecke in Bayern geben und nicht in einem verkehrlichen Ballungsraum, im Ruhrgebiet, wo man es wirklich austesten könnte?

Wenn Herr Laschet dann die Hände hochhebt und sagt: „Das geht doch alles nur – das wissen Sie doch hier im Haus – mit fertigen Planfeststellungsverfahren“, dann sage ich, mit Verlaub: Auch da hat Herr Laschet mal wieder überhaupt keine Ahnung: Für ein digitales Testfeld Autobahn ist ein Planfeststellungsverfahren so über wie Sahne für Pommes.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, da etwas nach vorne zu bringen und zu argumentieren, nur um seinen Unionsverkehrsminister zu schützen, das ist schon hanebüchen. Machen Sie sich da bitte mal schlau. – Herr Hovenjürgen, ich bin mir sicher – bei Planfeststellungsverfahren und Autobahnen geht Herr Schemmer –, Sie werden ihm das gleich mitteilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein allerletzter Punkt – dann will ich die Debatte auch nicht weiter strapazieren – ist der Hinweis zu dem Wagniskapital, mal wieder von Herrn Lindner. Ich erinnere mich sehr gut, dass wir dieses Thema am gestrigen Tage – Tagesordnungspunkt 7 – hier im Hause debattiert haben. Es wäre schön gewesen, Herr Lindner, da Sie heute darüber reden, wenn Sie gestern auch anwesend gewesen wären. Aber es gibt ja vorläufige Plenarprotokolle, in denen man das eine oder andere nachlesen kann.

(Christian Lindner [FDP]: Was sagen Sie zur Präsenz? Gucken Sie mal da!)

– Ja, das sage ich, Herr Lindner. Das können wir gerne mal aufwiegen. Ich glaube, da schneiden Sie ganz schlecht ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Über Tagesordnungspunkte des Vortages sollte man nur reden, wenn man am Vortag auch da war, Herr Lindner. Wenn Sie etwas behaupten, was nicht gesagt wurde, sondern das Gegenteil, Herr Lindner,

(Christian Lindner [FDP]: Oberlehrer!)

dann sollten Sie sich nicht wieder so arrogant zurücklehnen, sondern das zur Kenntnis nehmen, mit Verlaub.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Lindner hat uns vorgeworfen, dass die Landesregierung dem Antrag von Bayern nicht folgt. Es hat eine Debatte dazu gegeben. Elisabeth Müller-Witt hat für die SPD-Fraktion ausführlich dazu gesprochen, aber auch – ich habe es gesehen – die Landesregierung.

(Christian Lindner [FDP]: Nicht vorgeworfen, Herr Schmeltzer! Ich habe nur gesagt, Sie würden daran gemessen, ob Sie es tun!)

Nur so viel: Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie dazu im zweiten Quartal im Rahmen eines Gesetzentwurfs aktiv wird. Die Finanzminister der anderen Länder – nicht einige – haben das nicht gerade mit Gegenliebe aufgenommen.

Über eins sind wir uns doch im Klaren – aber das zeichnet Sie mit Ihrer Partei aus, Herr Lindner –: Der Antrag, der von der bayerischen Landesregierung zum Wagniskapital in den Bundesrat eingebracht wurde, ist ein typischer bayerischer Vorstoß. Er hat nur ein einziges Ziel: Er soll zulasten der Allgemeinheit gehen. Hier sollen mal wieder die Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert werden.

(Ralph Bombis [FDP]: Ich dachte, wir debattieren über digitalen Wandel!)

Daher hat der Finanzminister gut geantwortet, indem er gesagt hat: Die Landesminister sind dagegen. – Wir sind dagegen. Aber das ist die typische Politik der FDP. In vielen wolkigen Worten wird ohne Konzept vorgetragen. Aber Ihre gesamte Politik ist ja ohne Konzept. Deswegen wird das auch nicht verfangen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Herr Kollege Schmeltzer hat von den zusätzlichen 6:40 Minuten 4:10 Minuten verbraucht, sodass er noch ein kleines Redezeitkonto hätte. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Bombis für die FDP-Fraktion.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Wir haben heute Morgen eine Regierungserklärung gehört, zu der man treffenderweise feststellen kann: lange Rede, sehr kurzer Sinn. – Es gab wenige konkrete Punkte und, zugegeben, eine Zustandsbeschreibung. Folgerichtig hat der Kollege Priggen kein Wort über diese Regierungserklärung verloren. Er hat einige interessante Punkte genannt, aber dass er zu den einzelnen Punkten der Regierungserklärung konkret nichts gesagt hat, spiegelt schön wider, dass sie eben nicht viel Inhalt hatte.

Wir haben wirklich allen Grund, uns mit dem Thema „Digitalisierung“ und mit den Vorrausetzungen dafür auseinanderzusetzen.

Dort ist als Allererstes festzuhalten, dass die Grundlage für ein digitales Nordrhein-Westfalen eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur ist. Denn der schönste und modernste ICE bringt Ihnen gar nichts, wenn er auf alten Schienen fahren muss. Und um die Potenziale von „Industrie 4.0“, Handwerk 4.0, NRW 4.0 – wie es so schön genannt worden ist – wirklich zu heben, brauchen wir eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur.

Die Landesregierung verweist darauf, dass NRW im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut dasteht. Aber es geht nicht darum, wie weit wir im Vergleich zu anderen Ländern sind. Für die einzelnen Unternehmen, für die Menschen in unserem Land geht es nicht darum, stolz auf das zu blicken, was wir im Moment haben. Für jedes einzelne Unternehmen im ländlichen Raum geht es darum, nicht von der Breitbandversorgung abgeschnitten zu sein. Aber das ist für viel zu viele Unternehmen und Menschen in diesem Land immer noch der Fall, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Für mich aus dem Rhein-Erft-Kreis kann ich feststellen: Bei uns verfügen ungefähr 30 % der Haushalte noch nicht mal über mindestens 16 Mbit. In anderen ländlichen Regionen haben über 40 % der Haushalte noch keinen Zugang zu dieser Internetgeschwindigkeit.

Man muss festhalten: Industrie und Handwerk, Wirtschaft gibt es nicht nur in den Ballungsräumen oder aber in den Gewerbegebieten, die jetzt, wenn sie Glück haben, von einem Ausbau profitieren können. Deshalb muss die Landesregierung die Kommunen bei dem Infrastrukturausbau unterstützen – jede Kommune.

Diesbezüglich liegt ein Antrag der Opposition vor. Herr Römer, das in Ihrer etwas pastoral arroganten Art – das muss ich leider sagen – als Klein-Klein zu beschimpfen, das ist genau der falsche Weg, sich einem solchen Thema zu nähern. Hier werden konkrete Vorschläge gemacht. Dass so abschätzig abzutun, kann es doch nicht sein, wenn wir an einem weiteren umfassenden Breitbandausbau und einer Digitalisierung in unserem Land interessiert sind, das ist der falsche Weg.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen verstärkte Kooperation von Unternehmen, etwa durch Anreize beim Ausbau der Infrastruktur. Wir brauchen die Mitnutzung von bestehenden Infrastrukturen. Wir brauchen die Mitnutzung auch von Kanalisationssystemen für die Verlegung von Breitbandkabeln. Wir brauchen eine vorausschauende Breitbandverkabelung bei Neubauten, die Verlegung von Leerrohren, auch überirdische Breitbandtrassen etwa außerhalb von Ortschaften.

All dies ist Inhalt der Oppositionsanträge, die zu diesen Themenkomplexen vorliegen. Hier liegen konkrete Maßnahmenvorschläge auf dem Tisch. Wenn die Landesregierung es ernst meint mit dem Inhalt der Regierungserklärung, zumindest mit dem Namen der Regierungserklärung – Digitalisierung –, dann sollten diese Maßnahmen auch endlich einmal umgesetzt werden. Bürger und Mittelstand warten darauf. Das ist kein Klein-Klein, meine Damen und Herren, das ist die Grundlage für eine Digitalisierung.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: So sieht das aus!)

Es gibt einen weiteren Antrag – auch den will ich nicht unerwähnt lassen –, nämlich vonseiten der Piratenfraktion, in der ein Internetministerium gefordert wird. Herr Paul hat darauf hingewiesen. Ich will ganz klar sagen: Wir als FDP sehen diese Forderung sehr skeptisch. Wir sind der Auffassung: Es geht hier nicht um Strukturen, es geht nicht um die Schaffung von neuer Bürokratie, es geht nicht so sehr um Zuständigkeiten. Es geht darum, dass wir tatsächlich etwas für die Menschen tun. Dafür haben wir die Möglichkeiten, dafür brauchen wir keine Strukturen, neue Bürokratien. Dafür brauchen wir endlich Handeln vonseiten der Landesregierung.

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

Solche Maßnahmenpakete – ich habe es bereits gesagt – liegen auf dem Tisch. Solche Maßnahmenpakete sind in den Oppositionsanträgen enthalten. Wenn die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen nicht pauschal alle Initiativen, die von der Opposition kommen, in Bausch und Bogen ablehnen würden, würden wir hier vielleicht auch mal ein Stück vorwärtsgehen. Es geht durchaus auch darum, zu fragen, wie wir bestimmte Perioden überbrücken können, bis wir überall eine flächendeckende Breitbandversorgung haben. Da können auch solche Hinweise hilfreich sein. Die sollten wir nicht abtun, die sollten wir nicht, nur weil der falsche Briefkopf auf dem Antrag steht, abwerten oder ablehnen. Ich bin der Auffassung, hier gibt es viel Potenzial nach oben.

(Beifall von der FDP)

Entscheidend ist, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Ich will nicht auf alles eingehen, was hier gesagt worden ist. Ich will nur ein paar Punkte aufgreifen, die in der Debatte angesprochen worden sind.

Hochschulfreiheitsgesetz: Natürlich ist es so, dass das Hochschulfreiheitsgesetz für die Innovationskraft unseres Landes eine unglaubliche Beförderung dargestellt hat, weil sie Menschen, die abgewandert waren, nach Nordrhein-Westfalen zurückgeholt hat, Menschen, die nicht mehr bereit waren, in unserem Land Forschung zu treiben und in die Wirtschaft zu transferieren. Allein das hat die Innovationskraft unseres Landes so weit nach vorne gebracht, dass es geradezu despektierlich ist, hier zu sagen, dass es keine Wirkung für die Selbstständigen und für die Unternehmen in diesem Land gehabt hätte, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Natürlich ist es, wenn wir Bürokratiefolgekosten – im Übrigen eine Initiative, die ich durchaus honorieren möchte, Herr Minister – untersuchen, dringend notwendig, dass wir auch bestehende Gesetze dieser Untersuchung unterziehen. Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass es möglich sein würde, von meiner Seite aus in dieser Debatte noch mal auf das Tariftreue- und Vergabegesetz einzugehen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Sie hätten mich enttäuscht, wenn es nicht gekommen wäre!)

Sie haben mir mit diesem Hinweis die Möglichkeit gegeben. Vielen Dank, Herr Minister! Allein dieses Gesetz sollten Sie mal auf seine Bürokratiefolgekosten untersuchen.

Ich füge hinzu: Untersuchen Sie auch mal den Entwurf des Landesentwicklungsplans auf seine Bürokratiefolgekosten, und zeigen Sie mir in diesem Landesentwicklungsplanentwurf – wenn Sie schon sagen, dass es von dieser Landesregierung ein Ja zur Industrie geben wird –, auf welcher Seite genau das steht. Das muss ich überlesen haben; aber das kann mir ja auch mal passieren.

Meine Damen und Herren, Bildung/Schule ist angesprochen worden. Wir müssen die Medienkompetenz in diesem Land natürlich steigern. Auch dazu ist einiges gesagt worden, dem ich ausdrücklich beipflichte. Aber wir müssen unsere Schulen dann natürlich auch durch technische und sachliche Ausstattung in die Lage versetzen, dies zu leisten. Es kann doch nicht richtig sein, dass Schüler im Medienunterricht immer noch Zeitungsausschnitte zusammenstückeln – sosehr ich die Zeitungslektüre schätze –, das ist in der heutigen Zeit doch nicht mehr angemessen. Aber das ist die Realität in den Schulen, Frau Löhrmann.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

Wir müssen dahin kommen, dass dafür die Voraussetzungen geschaffen werden.

Es kann helfen, wenn wir den Schulen ein bisschen besser zuhören, wenn wir den Schulen ein bisschen mehr Freiheit lassen. Wenn wir auch den Kindern und Jugendlichen in dem Zusammenhang ein bisschen mehr zuhören, dann können wir als Land vielleicht die Rahmenbedingungen setzen, die notwendig sind, um die Probleme besser anzufassen und ein Verständnis für die Digitalisierung von ganz unten aufzubauen.

(Beifall von der FDP)

Letztlich will ich noch etwas zu dem Thema „Startups“ sagen, wir haben es gestern debattiert. Herr Schmeltzer, mit welcher Arroganz Sie hier auf die Einlassung von Christian Lindner geantwortet haben, das spottet wirklich jeder Beschreibung.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann müssen Sie sich da bedanken!)

In der gestrigen Debatte – wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie die Position der FDP-Fraktion auch gehört – haben wir erklärt, dass wir diese Initiative sehr wohl positiv sehen, weil sie nämlich Möglichkeiten zur Schaffung von mehr Wagniskapital gerade in der Wachstumsphase von Unternehmen schafft. Wir sehen aber sehr wohl auch, dass es keine Fehlentwicklungen im Hinblick auf die Steuerpolitik geben darf, was Ausnahmen von Ausnahmen angeht.

Wir müssen aber auf jeden Fall dafür sorgen, dass mehr Wagniskapital in die deutschen Unternehmen kommt. Das Problem ist doch, dass das Wagniskapital andernfalls aus den USA kommt – unter der Bedingung, dass die Unternehmen in die USA abwandern. Und dann haben wir hier in Deutschland überhaupt nichts gewonnen. Reden Sie doch mal mit Ihrem eigenen Bundeswirtschafts­minister, der das inzwischen genauso sieht. Vielleicht sollten Sie sich, bevor Sie hier mit Arroganz auf solche Dinge antworten, mal umfassend informieren, Herr Schmeltzer.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Dito! Lesen Sie es nach!)

Ich kann leider nur festhalten: Diese Regierungserklärung war eine Enttäuschung. Sie hat lediglich den Istzustand beschrieben. Die Digitalisierung wird nicht nur riesige gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen, sie wird nicht nur riesige Veränderungen für die Wirtschaft mit sich bringen – ich füge hinzu: Sie bringt Veränderungen mit sich – und das ist mir heute zu kurz gekommen –, die wir alle, die wir hier versammelt sind, in ihren Konsequenzen noch gar nicht abschätzen können. Da teile ich ausdrücklich auch die Sorge, dass diese Entwicklungen erhebliche Auswirkungen zum Beispiel auf den Arbeitsmarkt haben werden.

Umso wichtiger ist es, dass die Politik hier Antworten gibt, dass die Politik übrigens auch permanent konkrete Antworten gibt und permanent in Bewegung bleibt. Denn die Digitalisierung zeichnet sich durch eine solche permanente Bewegung und Entwicklung aus.

Bisher sehe ich konkrete Initiativen hier nur vonseiten der Opposition. Ich hätte mir hier vonseiten der Regierung mehr gewünscht. Das war unter dem Strich wirklich eine Enttäuschung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. Sie haben von den zusätzlichen 6:40 Minuten Redezeit 1:30 Minuten genutzt. – Der nächste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns heute ja schon intensiv über unsere digitalen Biografien unterhalten. Ich habe auch ein bisschen zurückgeguckt: Es ist etwas mehr als 25 Jahre her, dass Tim Berners-Lee sein erstes Konzept für ein World Wide Web vorstellte. Es sind 21 Jahre, dass Al Gore seine Rede zum Information-Superhighway hielt und darin ausführte, dass die globale Informationsinfrastruktur größere Implikationen für unsere Gesellschaft haben werde als Fußball. Es sind gut 15 Jahre, dass Boris Becker fragte: „Bin ich da schon drin, oder was?“, und damit Millionen Deutsche ins Internet führte. Es sind zehn Jahre, dass heute dominierende Plattformen wie YouTube oder auch Facebook ans Netz gegangen sind. Und es sind auch erst fünf Jahre, in denen Smartphones den Massenmarkt für das mobile Internet bereitet haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde in diesem Jahr 30 Jahre alt.

(Beifall)

Und wenn ich mir dann anschaue, dass dieser digitale Wandel sich allein in meiner Lebensspanne ereignet hat, dann zeigt das für mich, wie unfassbar schnell dieser Prozess mit all seinen gesellschaftlichen Implikationen vonstattengeht.

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft so schnell und so tiefgreifend, dass sie vielen Menschen immer noch eher als Bedrohung erscheint denn als Chance. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass hier tatsächlich etwas mit unserer Gesellschaft passiert.

Seit den Snowden-Enthüllungen fehlt vielen Menschen die digitale Utopie. Das Internet lebt aber davon, dass es Menschen gibt, die große Ideen haben, dass sie den Mut finden, sie auszuprobieren, oder zumindest den Mut haben, darüber zu sprechen. Schon alleine deswegen ist es so wichtig, dass wir diese Debatte hier heute führen.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])

Und dann schauen wir uns an, was wir hier in den vergangenen Stunden von der Opposition erlebt haben: Das zeigt deutlich, wie wenig Sie vom digitalen Wandel verstanden haben.

(Lachen von den PIRATEN)

Die Gestaltung des digitalen Wandels braucht Weitsicht. Sie mögen uns das Gegenteil vorwerfen, aber Sie agieren kleinkariert. Sie stellen sich das Internet vor wie eine Art digitale Vorstadtsiedlung mit Jägerzäunchen und Heckenrosen, dazwischen ein paar digitale Gartenzwerge. Das Internet ist aber viel mehr: Es ist eine Milliardenmetropole über alle Grenzen hinweg. Das haben Sie nicht verstanden, das hat Herr Laschet nicht verstanden, das hat Herr Lindner nicht verstanden; denn Sie führen sich hier auf wie die Onlineplatzwarte, die schauen, dass jeder seine Hecke gleich hoch geschnitten hat.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])

Herr Laschet und Herr Lindner, Sie haben die Digitalisierung erst vor ein paar Wochen recht plötzlich entdeckt. Aber auch in diesen paar Wochen sind die Unterschiede schon sehr, sehr deutlich geworden. Wir als rot-grüne Koalition wollen den digitalen Wandel, weil er Gutes für die Menschen bringen kann. Sie von der CDU wollen den digitalen Wandel, weil Sie sich mehr Daten für Ihre Überwachungsfanatiker aus dem Innenausschuss erhoffen.

(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])

Bei Herrn Lindner war ich heute Morgen tatsächlich ganz fasziniert. Sie haben Konzepte für das digitale Zeitalter eingefordert. Wenn man Sie dann aber nach Ihren Konzepten fragt, steigen Sie hinunter in den Keller und holen die alten Schellackplatten heraus: Abbau von gesetzlichen Regelungen, Abbau von Vorschriften, das gute alte Tariftreue- und Vergabegesetz. Mir fehlte heute eigentlich nur, dass das Nichtraucherschutzgesetz die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen hemmen würde, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Mir tut ehrlich gesagt die FDP-Fraktion leid, die sich diese ewig gleichen Versatzstücke bestimmt noch viel häufiger anhören muss, als wir hier im Plenum.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute über Ideen sprechen, dann auch über die Hoffnung, die der digitale Wandel geweckt hat.

Erinnern wir uns – es ist erst wenige Jahre her – an die Freiheitsbewegung „Arabischer Frühling“! Verstehen wir das Internet endlich als den urdemokratischen Raum, der er ist, der auch unseren bekannten demokratischen Werkzeugen zu neuem Schwung verhelfen kann! So lässt sich auch Umtrieben wie von PEGIDA und Konsorten viel stärker begegnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Internet bringt noch etwas weiteres Entscheidendes mit sich: Die Trennung zwischen oben und unten, zwischen Sender und Empfänger ist aufgehoben. Jeder kann mit einem Klick etwas veröffentlichen. Manche Blogger haben mehr Reichweite im Netz als wir alle hier zusammen.

Wer sich dieses digitalen Wandels in all seinen Facetten annimmt, wie wir das tun, der stellt die Chancen, die Hoffnungen und die Utopien von einem besseren Leben im digitalen Zeitalter in den Mittelpunkt seines Handelns. Er lässt die Menschen aber nicht allein. Ich fand es wichtig und ich fand es gut – das sage ich wirklich allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an dieser Debatte beteiligt haben –, dass alle deutlich gemacht haben: Wir wollen die Menschen mitnehmen. Wir wollen ihre Befürchtungen ernst nehmen.

Denn viele fragen: Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Wie kann meine Firma mit dem digitalen Wandel Schritt halten? Sind meine Daten noch sicher? Werden meine Kinder gemobbt? – Ich finde, all diese Fragen haben ihre Berechtigung. Ich kann die Vorwürfe, dass wir das mit der ganzen Gesellschaft breit diskutieren wollen, überhaupt nicht nachvollziehen. Eine solche Diskussion finde ich überhaupt nicht verwerflich, sondern richtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Angst um die Privatsphäre im digitalen Zeitalter ist heute mehrfach angesprochen worden. Es ist die Angst um den Schutz der eigenen Daten in einer Zeit, in der Daten gleichermaßen Rohstoff und Ware sind, einer ganz anderen Zeit, als das deutsche Datenschutzrecht zu Zeiten von Lochkarten etabliert wurde. Diese Angst ist ernst zu nehmen.

Deshalb wollen wir die damit verbundenen Diskussionen auch offensiv führen. Es kann nicht sein, mein Damen und Herren, dass über 500 Millionen Menschen in Europa den Datenkraken – eine der prominentesten ändert in diesen Tagen wieder ihre Geschäftsbedingungen – schutzlos ausgeliefert sind, weil Frau Merkel die Datenschutzgrundverordnung in Brüssel blockiert. Maximaler Datenschutz ist das Gebot der Stunde. Damit lassen sich auch erfolgreiche Geschäftsmodelle etablieren.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der digitale Wandel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, er bietet auch Lösungsansätze für viele Fragen, mit denen wir heute konfrontiert sind, etwa auch für die Gestaltung des ländlichen Raums, um den Herausforderungen zu begegnen, mit denen der ländliche Raum konfrontiert ist.

Wir erleben heute, dass immer mehr Gemeinden in ihrer Struktur bedroht sind. Versorgungssicherheit ist längst zur Überlebensfrage dörflicher Strukturen geworden. Es ist ein ganz zentraler Ansatz grüner Politik schon immer gewesen, dass Menschen auch im Alter, bei Pflegebedürftigkeit, solange es eben geht, selbstbestimmt in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Dafür bieten digitale Technologien Möglichkeiten, die wir vor zehn bis 15 Jahren noch nicht mal erträumt hätten. Gerade im ländlichen Bereich schlägt sich die alternde Gesellschaft nieder. Gerade dort sehen wir, wie groß die Herausforderungen sind. Heute haben wir 550.000 pflegebedürftige Menschen; ihre Zahl wird sich bis 2050 nahezu verdoppeln. Ihnen ein selbstbestimmtes Leben in ihrer Heimat zu ermöglichen, daran arbeiten verschiedene Forschungsprojekte.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen, eines dieser Projekte zu besuchen, das Projekt „KogniHome“ am CITEC an der Universität Bielefeld. Ich bin stolz darauf, dass wir hier bei uns in Nordrhein-Westfalen solche Spitzenforschung zu Zukunftsfragen haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Gerade im ländlichen Raum stellen sich besondere Herausforderungen durch den Fachkräftemangel im Gesundheitssektor. Es fehlen in NRW über 4.000 Fachkräfte in diesem Bereich. Da setzt der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien an.

Altersgerechte Assistenzsysteme bieten älteren Menschen Unterstützung in ihrem Alltag. Sie helfen älteren Menschen, auch bei nachlassender Mobilität, bei steigendem Unterstützungs- und Pflegebedarf in ihrer häuslichen Umgebung zu verbleiben – sei es, dass der digitale Helfer darauf achtet, dass beim Verlassen der Wohnung der Herd auch wirklich ausgeschaltet ist, oder sei es, dass er Alarm schlägt, wenn man gestürzt ist. Der Ausbau dieses Sektors wir zu mehr Selbstbestimmtheit für ältere, pflegebedürftige Menschen führen.

Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung diesen Sektor weiter vorantreibt, etwa durch die Vernetzung guter Praxisbeispiele, aber auch einfach dadurch, dass Diskussionen und Bewertungen von Ideen ermöglicht und Informationen über Fördermöglichkeiten online auf einer digitalen Landkarte zugänglich gemacht werden.

Meine Damen und Herren, die Vernetzung des Gesundheitswesens schreitet voran. Ich finde, das ist unter dem Aspekt „Selbstbestimmung“ eine unglaublich spannende Diskussion. Alle Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen werden sukzessive vernetzt. Informationen und Daten werden ausgetauscht. Damit haben wir natürlich sofort die Diskussion über höchste Datenschutzstandards. Deswegen brauchen wir nicht nur hohe Standards, wir brauchen von Anfang an Transparenz und Beteiligung, damit dieser Prozess besser gelingt als etwa bei der elektronischen Gesundheitskarte; das vernetzte Gesundheitswesen ist eben kein Selbstzweck, sondern es ermöglicht eine qualitativ bessere Versorgung für die Patientinnen und Patienten, jedenfalls dann, wenn es richtig gemacht ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

An dieser Stelle gilt der alte Grundsatz: Technik muss dem Menschen dienen. – Die Technisierung im Gesundheitsbereich darf nicht dazu führen, dass es eine neue Überwachungsstruktur gibt. Sie darf auch nicht dazu führen, dass es Bevormundungen gibt. Ein Avatar ersetzt sicherlich keine menschliche Zuneigung, auch wenn er im Alltag viel hilft. An anderen Stellen sehe ich in einer Bürgerplattform im Netz, die einen ehrenamtlichen Besuchsdienst organisieren kann, ein enormes Potenzial in der Frage des selbstbestimmten Altwerdens im ländlichen Raum. Das sind Anwendungen, die wir voranbringen wollen und die für die Betroffenen aber leicht, intuitiv und barrierefrei zu bedienen sein sollen – erst recht natürlich für die „Silversurfer“.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich finde es gut, dass es diese vielen Projekte gibt, über die wir heute gesprochen haben. Das betrifft auch das beeindruckende Projekt „Telematik in der Intensivmedizin“ aus Aachen. Es gibt die Richtung vor, Spezialistinnen und Spezialisten sinnvoll zusammenzuführen, damit Patientinnen und Patienten entlastet werden, indem Transporte und Wege reduziert werden. Durch den Einsatz digitaler Technologien entsteht idealerweise eine wohnortnahe medizinische Versorgung, die nach den Maßstäben, die wir heute kennen, in Zukunft vielleicht nicht mehr möglich wäre. Ich möchte alle einladen, an der Gestaltung dieses aus meiner Sicht hochspannenden Prozesses mitzuwirken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Versorgungssicherheit betrifft auch den Transport von Gütern und Menschen in ländlichen Räumen, auch wenn die Versorgungswege, die wir heute kennen, unwirtschaftlich werden. Es braucht auch da kreative und pragmatische Lösungen. Und es gibt auch schon viele Möglichkeiten, etwa wenn Busse nicht mehr nur Menschen, sondern auch Güter transportieren, oder dadurch, dass Paketdienste Apps anbieten, mit deren Hilfe Privatpersonen Pakete auf ihren normalen Fahrten transportieren können.

All das bietet Ansätze, um Versorgungssicherheit im ländlichen Raum zu gewährleisten, herzustellen. Es bieten sich digitale Ansätze, Menschen und Dienstleistungen zu vernetzen. Und wenn im Dorf aus dem realen Tante-Emma-Laden ein Discounter werden konnte, dann wird es doch wohl auch möglich sein, dass, wenn sich dieser Discounter nicht mehr lohnt, ein digitaler Tante-Emma-Laden entsteht.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns von den Dörfern ein Stück weit weg in die Smart Cities. Wir haben dazu in der heutigen Debatte spannende Impulse gehört. Was in den Dörfern gilt, gilt in den Städten natürlich genauso.

Smart City ist eine Vision, ist eine Idee für eine kluge Vernetzung von Innovation und Ressourcenschutz. Ein verstärkter Einsatz von Sensorik, von Big-Data-Anwendun-gen lässt sich nutzen, um etwa die Abfallentsorgung, aber auch die Versorgung der Städte effizienter und ressourcenschonender zu gestalten. Intelligente Lösungen von Verkehrsströmen, Vernetzung von Autofahrern, gerade auch die Ermöglichung alternativer Mobilität durch digitale Anwendungen – all das lässt sich mit digitaler Technologie angehen. Dafür wollen wir in den nächsten Jahren den Rahmen schaffen, damit Nordrhein-Westfalen diese Chance nutzen kann.

Wir streiten in diesem Zusammenhang aber auch – auch das ist mehrfach angesprochen worden – für einen Rechtsrahmen, bei dem der Datenschutz höchste Priorität genießt, höchste Priorität einnimmt. Sascha Lobo hat kürzlich das Bild „Bevormundet durch die Zahnbürste“ gezeichnet. Das ist nicht unsere Vision. Aber wenn der hundert Jahre alte Schließzylinder durch einen elektronischen Mechanismus ersetzt wird, dann zieht das natürlich Sicherheitsfragen nach sich – Sicherheitsfragen, die etwa am Cybercrimekompetenzzentrum beim Landeskriminalamt bereits jetzt bearbeitet werden. Es ist gut, dass wir uns an dieser Stelle schon auf den Weg machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Bildungsbereich. Digitale Lernformen bieten schon heute eine wichtige Säule für Bildungsinnovation in Nordrhein-Westfalen. Digitales Lernen wird aber mit Sicherheit in absehbarer Zeit den gewohnten Präsenzunterricht nicht vollständig ersetzen; da bin ich mir ziemlich sicher, Frau Ministerin.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das ist auch nicht wünschenswert!)

– Es ist auch nicht wünschenswert, genau. – Aber wir werden natürlich auch über Formen des digitalen Lernens weiterhin miteinander diskutieren müssen, weiterhin miteinander streiten müssen. Ich finde, wir sollten Formen wie Massive Open Online Courses zumindest als alternative Formen im Auge behalten, die eine Bildungslandschaft auch substituieren können. Das sind hochspannende Prozesse.

Wir haben heute an ganz vielen Stellen berichtet, was für uns wichtige Diskussionsfragen und wichtige Punkte sind, bei denen wir glauben, dass es lohnt, weiterhin die Debatten darüber zu führen – und nicht nur zurückzuschauen, was wir seit 2010 in diesem Land alles schon geschafft haben –, um den digitalen Wandel im Bildungsbereich auch mitzugestalten. Denn da ist einiges zusammengekommen: Stärkung von learn:line, Stärkung von offenen und freien Bildungsmaterialien. Auch Trends wie Gamification sind aufgenommen.

Bildung ist die Voraussetzung schlechthin für einen selbstbestimmten, aber auch kritischen und selbstbewussten Umgang mit Medien. Ich nenne da bewusst noch mal den Medienpass NRW als ein Erfolgsmodell. Von ihm profitieren inzwischen Tausende Schülerinnen und Schüler. Er wird in diesem Jahr noch auf die gesamte Sekundarstufe I ausgeweitet.

Ich wünsche mir, dass sich mehr Schulen für den sinnvollen Ansatz „Bring your own device“ öffnen. Herr Lindner hat vorhin wieder die Debatte aufgemacht: Stellt jedem Kind einen Laptop hin, und schon haben wir digitale Bildung und alles wird gut. – Das hat uns die letzten 20 Jahre nicht weitergebracht. Ich finde, wir sollten ausloten: Wie schaffen wir Bedingungen, wie können wir Prozesse vor Ort unterstützen, damit es zum Beispiel mehr WLAN in den Schulen gibt? Denn Bildung schafft natürlich Zugänge. Bildung befähigt zu sozialer und politischer Teilhabe. Und das ist mir eine zweite Herzensangelegenheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für eine digitale Bürgergesellschaft geht es nicht weniger um die Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Bürger. Da geht es um die Frage: Wie gestaltet sich dieses Verhältnis im digitalen Zeitalter? Viele von Ihnen wissen, dass das eine Frage ist, die mich schon seit vielen Jahren sehr intensiv bewegt hat. Das gilt für einen sehr konkreten Rahmen wie etwa E-Government. Die Landesregierung wird noch in diesem Jahr ein E-Government-Gesetz einbringen. Das ist gut so.

Übrigens, viele der Kritikpunkte, die Herr Laschet und Herr Lindner heute formuliert haben, stehen genau so im Bundesgesetz zum E-Government. Das hat noch die schwarz-gelbe Bundesregierung beschlossen. Von daher geht Ihre Kritik da mal wieder ins Leere.

Wir werden natürlich noch deutlich darüber hinausgehen, weil wir der Überzeugung sind: E-Govern-ment bringt Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger, denn Verwaltung muss für die Bürgerinnen und Bürger da sein. Wer individuell ständig erreichbar ist, empfindet es doch völlig zu Recht als Anachronismus, wenn er zwei Stunden auf dem Behördenflur warten soll.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben auch als grüne Fraktion gerade im letzten Jahr einiges an Bewegung ins System reingebracht. Wir haben mit unserer Fraktion die Internetangebote aller 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen auf ihren Bürgerservice, auf ihre Angebote, auf ihre Transparenz getestet.

Wir konnten sehen: In NRW wird auf kommunaler Ebene viel gemacht, es wurde viel erreicht. Aber es gibt auch noch jede Menge zu tun. Der grüne Onlinecheck hat an der Stelle Bewegung ins System, in die Landschaft gebracht. Das nehme ich für uns in Anspruch. Es haben sich viele Kommunen bei uns gemeldet, haben auch konkrete Änderungen angekündigt. Ich bin mir sicher, dass es darüber hinaus noch viel mehr Orte gibt, wo viel mehr passiert ist.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Römer [SPD])

Das E-Government-Gesetz bringt aber nicht nur eine serviceorientierte Verwaltung. Wir wollen auch die technische Verwaltungsmodernisierung im Auge behalten; denn wenn wir uns anschauen, wie Innovation vorangebracht wird, dann sehen wir auch, dass es im IT-Bereich Beispiele gibt, etwa Estland, wo Innovationen gerade durch den öffentlichen Sektor, durch öffentliche IT vorangebracht wurden. Das kann man sich angesichts einiger Projekte, die in Deutschland in den letzten Jahren gehörig vor die Wand gefahren wurden, gar nicht vorstellen. Aber wenn wir da von den Guten, Starken lernen, die vorangegangen sind, dann werden wir auch in Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen öffentliche IT als Top-Runner positionieren können.

Wir gehen da kleine Schritte. So muss beispielsweise nach unserem E-Government-Gesetz jede Behörde, jede öffentliche Stelle in Zukunft verschlüsselte Kommunikationskanäle anbieten; denn jede Bürgerin und jeder Bürger haben in unserem Land natürlich ein Recht darauf, dass ihre Daten ein Höchstmaß an Schutz genießen, wenn sie sich an die Verwaltung wenden. Unser Anspruch ist nach wie vor, den Einsatz freier und offener Software auch in der Verwaltung auf- und auszubauen. Dafür haben wir uns im Koalitionsvertrag schon verabredet. Wir wollen Vertrauen wiederherstellen.

Wir wollen auch – das ist mehrfach gefallen – Forschung für sichere IT bei uns in Nordrhein-West-falen stärken, nicht zuletzt durch die Leitmarktwettbewerbe. Wir wollen Unternehmen unterstützen, die sich und ihre IT sicher und modern aufstellen wollen, und wir wollen, dass Nordrhein-Westfalen unter Rot-Grün zum Land der sicheren IT wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt für die digitale Bürgergesellschaft ist der ganze Bereich Open.NRW. Er ist hier an vielen Stellen so ein bisschen als Luxusprodukt dargestellt worden. Die zweite Säule unserer Bemühungen für die digitale Bürgergesellschaft ist Open.NRW.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Wir haben diesen Prozess, Herr Lindner, seit 2010 vorangetrieben. Die Landesregierung hat im letzten Jahr bereits ihre Open-Government-Strategie beschlossen.

(Christian Lindner [FDP]: Wo ist das Portal?)

Sie haben sich offensichtlich nicht herausgesucht, wie sehr wir in den letzten Jahren am Open Government gearbeitet haben. Sie sehen nicht, wie groß die Fortschritte waren, wie groß die Diskussionen auch waren, die wir da geführt haben. Dies zeigt, dass Sie sich damit nicht in der richtigen Weise beschäftigt haben.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Keine Leute!)

Wir haben dafür Geld bereitgestellt. Wir haben das Portal in Auftrag gegeben. Das Portal wird in etwa zwei Monaten in Betrieb gehen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

– Sie haben danach gefragt, Herr Kollege.

(Christian Lindner [FDP]: Das finde ich gut! Sie sind der Erste, der das heute hier sagt! – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Merken wir uns!)

– Gut. Ich habe jetzt eine Zahl in den Raum gestellt. Mein Stand ist: erstes Quartal 2014 – 2015, sorry.

(Zuruf von den PIRATEN: 2014 wäre schwierig!)

2014 wäre auch nicht schlecht gewesen. Aber natürlich ist so ein Prozess auch in Ordnung. Wenn Sie fragen, warum so ein Prozess länger dauert, dann sage ich Ihnen: Das liegt natürlich daran, dass wir den Anspruch haben, dass Open Government von unten wachsen kann, dass Verwaltungen mitgenommen werden.

(Christof Rasche [FDP]: Also doch 2022!)

Das ist auch eine kulturelle Frage. Ich weiß, Sie haben irgendwie immer ein Problem mit allen öffentlichen Stellen. Aber es gibt nun einmal so etwas wie eine Verwaltungskultur, und es ist auch in Ordnung, dass es sie gibt. Dafür wollen wir die Menschen dann auch mitnehmen.

(Christian Lindner [FDP]: Beamte versorgen, alle mitnehmen, niemanden zurücklassen!)

Das ist für uns als rot-grüne Regierung selbstverständlich.

Wir haben mit der Open-Government-Strategie die richtigen Prozesse definiert. Wir haben mit dem Haushalt 2,5 Millionen € bereitgestellt. Wir werden die Vorarbeiten aus den letzten Jahren nutzen, um aus dem Informationsfreiheitsgesetz ein Transparenzgesetz zu machen und einen festen Rahmen für Open Data hier bereitzustellen.

Die digitale Bürgergesellschaft setzt natürlich Zugänge zum Internet voraus. Öffentliche WLANs sind hierbei eine ganz wichtige Säule. Wir haben die Situation, dass sich alleine bis 2018 der mobile Datenverkehr verzehnfachen wird.

Eine zentrale Rolle spielt dabei der Freifunk. Hunderte Menschen sind inzwischen in den Initiativen vor Ort aktiv. Das ist ein unglaublich anerkennenswertes Engagement. Wir diskutieren deshalb ja auch hier interfraktionell darüber: Wie können wir dieses Engagement stärken? Wie können wir gute Initiativen nach vorne stellen? – Wir haben das bereits getan, indem wir seit 2012 auf den Seiten des Breitbandconsultings für die Freifunkinitiativen eine Möglichkeit bereitstellen, sich darzustellen und auch für ihre Anliegen zu werben.

Wenn man sich ein gelungenes Beispiel dafür anschauen will, dann muss man – das fand ich unglaublich interessant – ausgerechnet nach Arnsberg fahren;

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

denn Arnsberg ist tatsächlich die Gemeinde, die ihre ganze Innenstadt inzwischen unter einem Bürgernetz, einem Freifunknetz stehen hat. Es ist einfach unglaublich beeindruckend, wie da aus zivilgesellschaftlicher Initiative, auch aus bürgerschaftlichem Engagement – mit Unterstützung natürlich auch der Kommunalpolitik – so etwas Tolles gewachsen ist.

(Zuruf von den PIRATEN: Ein Lob an die Arnsberger Piraten!)

Natürlich brauchen wir dafür nach wie vor Rechtsklarheit. Das Stichwort „Störerhaftung“ ist mehrfach gefallen. Wir setzen uns im Bund weiterhin für Rechtsklarheit, für eine echte Abschaffung der Störerhaftung ein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber die Störerhaftung ist nur eine Fragestellung. Wir wollen auch weiterdenken. Lassen Sie uns etwa nachdenken über solche Projekte wie WLAN im ÖPNV. Es gibt dazu erste Projekte im Münsterland, wo es funktioniert. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir auch in diesen Diskussionen weiterkommen und Prozesse vor Ort mit anstoßen können.

Meine Damen und Herren, Samuel Beckett hat einmal gesagt: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“

(Michele Marsching [PIRATEN]: Einmal übersetzen, sonst verstehen die das da nicht!)

Wenn ich mir unsere Debatte zum Breitbandausbau heute vor Augen führe, dann Mbit ist da doch ziemlich viel „fail again“ bei der Opposition zu hören gewesen; denn es ist doch so, dass sich andere Länder im Moment dafür feiern lassen, dass sie gerade den letzten weißen Fleck mit 2  Mbit versorgt haben. Das ist für uns seit Jahren kein Thema mehr. Dieses Thema ist seit Jahren für uns erledigt. Es ist doch so, dass Bayern von der Realisierung seiner großspurigen Ziele noch viel weiter entfernt ist als eine letzte Meile. Es ist doch auch so, dass Dobrindt auf Bundesebene immer noch der Minister für Hochglanzfotos, schöne Ankündigungen und digitale Zauberei ist, aber keinen Cent für den Breitbandausbau herausrückt.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Deshalb bleibt es bei unserer Forderung. Wir brauchen eine faire Verteilung der Frequenzerlöse. Wir brauchen aber darüber hinaus auch ein Bundesprogramm, das über die digitale Dividende hinausgeht. Damit das alles möglich wird, brauchen wir ein echtes Netz. Wir brauchen eine starke Sicherung der Netzneutralität. Denn sie ist Grundbedingung für ein freies und offenes Internet.

Wenn ich jetzt zum Schluss noch einmal auf die Debatte zurückblicke, dann fällt mir ein, dass es bei Herrn Laschet, Herrn Lindner und auch bei Herrn Dr. Paul Kritik an der Überschrift der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin gegeben hat.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: An der ganzen Regierungserklärung!)

Das zeigt eigentlich nur: Sie denken in Überschriften. Wir denken in Konzepten.

(Beifall von den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: In welchen denn? – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Dann braucht man solche Überschriften nicht!)

Bei der CDU ist es oft so: Das Denken reicht nicht bis zu „MegaHerz“. Das Denken bleibt bei Doppelherz stehen.

Die FDP stört sich an „MegaStark“. Herr Lindner wäre gerne der Transformer Megatron. Aber auch das passiert nicht.

Bei der Piratenfraktion, finde ich, ist es nicht ausreichend, dass Ihnen immer wieder nur Ihr Ladenhüter „Internetministerium“ eingefallen ist, anstatt endlich die Digitalisierung als Querschnitt über alle Bereiche zu begreifen. Da ist von Ihrer angeblichen Innovationskraft auch nichts mehr übrig.

(Zuruf von den PIRATEN: Was in Finnland gut ist, muss hier nicht schlecht sein!)

Das sind die Unterschiede zwischen der Opposition und der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen.

Meine Damen und Herren, wir wollen keine Spaltung zwischen denen, die sich Sicherheit im digitalen Zeitalter leisten können, und denjenigen, die das nicht können. Deshalb setzen wir auf das Land der sicheren IT und des Datenschutzes.

Wir wollen keine digitale Spaltung zwischen Land und Stadt. Deshalb setzen wir auf intelligente Städte und Dörfer, auf unsere smarte Heimat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine politische Spaltung in unserem Land. Deshalb setzen wir auf die digitale Revitalisierung unserer Demokratie. Kleinkrämerei, wie wir sie heute in viel zu vielen Beiträgen gehört haben, können wir dabei nicht gebrauchen. Wir wollen die Menschen in unserem Land begeistern, ihre Ideen für die Zukunft, für unser digitales NRW der Zukunft einzubringen.

Alle, die das heute verstanden haben, möchten wir gerne mitnehmen, die möchten wir gerne einladen, an diesem digitalen NRW mitzuarbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Sehr, sehr geile Regierungserklärung!

Ich möchte etwas zum Thema „Schule“ und zum Thema „Bildung“ sagen. Ich bin den Kollegen Bombis und Bolte durchaus dankbar, dass ein Teil zum Thema „Bildung“ gekommen ist. Bei vielen der Redebeiträge bin ich ein bisschen geschockt, dass in den Erwiderungen die Wirtschaft so viel vorkommt, der Breitbandausbau so viel vorkommt. Das ist alles gut. Aber es wird viel zu wenig über die Wurzeln der digitalen Chancen, der digitalen Teilhabe geredet. Das ist die Nutzung des Digitalen in der Bildung.

Politik ist das lange und langsame Bohren dicker Bretter. Das ist ein Satz von Max Weber. Der wird auch hier im Haus tagaus und tagein immer wieder belegt. Noch zu Beginn dieser Legislatur war Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, das Thema „Einsatz digitaler Medien in Schulen“ in der Regierungserklärung nicht ein einziges Wort wert. Auch Frau Ministerin Löhrmann hat das Thema in ihrer Erklärung im zuständigen Schulausschuss im Jahr 2012 nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt.

Umso mehr finde ich es gut, dass Ihnen heute der digitale Wandel in der Bildung plötzlich so wichtig ist, dass sie ihn sogar als Einstieg in Ihre Regierungserklärung verwenden.

Seit 2012 haben wir Piraten dieses Thema hier immer wieder auf die Agenda gesetzt. Wir haben Initiativen gestartet. Wir freuen uns natürlich jetzt umso mehr, dass dieses dicke Brett anscheinend endlich durchbohrt scheint und dass das Thema „digitales Lernen“ bei den Zielen der Regierung vorne steht. Der „Raubmordkopie“ sei Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Schmeltzer, auch wenn Sie es nicht verstehen: Das ist halt supergeil. Allerdings wurde es auch höchste Zeit. Denn die bisherige Regierungsbilanz in diesem Bereich ist einfach nur – ich kann es nicht anders sagen – erbärmlich. Was haben Sie nämlich schon gemacht?

Sie haben in der Oberstufe verbindlich grafikfähige Taschenrechner eingeführt. Damit haben Sie einen Beschluss der Kultusministerkonferenz mit dem Titel „Medienbildung in der Schule“ umgesetzt. Grafikfähige Taschenrechner, eine Technologie aus den 80er-Jahren des letzten Jahrtausends? Rly?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Fachleute sind Sturm gelaufen. Wir Piraten haben Ausnahmeregelungen erkämpft, um den Einsatz von Laptops und Tablets zu erlauben. Aber selbst die scheinen – da müssen wir uns tatsächlich an die eigene Nase fassen – untauglich zu sein. Denn die Fachleute haben die Ausnahmen bei der Anhörung zu unserem Antrag „Bildungsinnovation 2020“ als eines der größten Hemmnisse ihrer eigenen IT-Arbeit bezeichnet.

Sie verzichten auf die EU-Fördermöglichkeiten aus dem Programm „Digitale Bildung öffnen“. Aber genau mit dieser Initiative will die EU-Kommission doch die digitale Kompetenz an Schulen fördern.

Sie wollen sich hier nicht auf Ziele für die gemeinsame Strategie mit dem Bund zum digitalen Lernen festlegen. Vorauseilend versicherten Sie uns, Frau Ministerin, dass sich die Landesregierung doch ohnehin schon für die von uns formulierten Ziele einsetze. Am 24. November allerdings konnten Sie im Ausschuss noch keine Angaben zum Sachstand bei der gemeinsamen Strategie machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Man habe halt noch nichts gehört und trotzdem irgendwie die Befürchtung, dass im Rahmen der Digitalen Agenda das digitale Lernen in den Hintergrund rücken würde. In Wahrheit aber hatte die Bundesbildungsministerin bereits Anfang November vermelden lassen, dass ein Expertengremium zu diesem Thema die Arbeit aufgenommen habe.

Da stellt sich mir doch die Frage, ob das Thema „digitales Lernen“ bei dieser Landesregierung tatsächlich in den richtigen Händen liegt. Aber, Frau Ministerin, das ist gar nicht böse gemeint: Das Schulministerium hat nun einmal sehr viele Aufgaben. Und viele Fragen liegen ja auch weit verstreut in anderen Ministerien.

Wenn ich aber gerade schon so schön zu Ihnen rede, kann ich noch anfügen, dass Sie in der Pressekonferenz am 15. Januar angekündigt haben – ich zitiere –: „Zum gesamten Feld Digitales Lernen werde ich Sie – wenn wir unsere Pläne konkretisiert haben – gesondert informieren.“

In meinen Ohren klingt das ein klitzekleines bisschen besser als die kontinuierliche Weiterentwicklung und Bearbeitung der fünf Handlungsfelder, die Sie sonst immer beschworen haben. Aber damit ist es doch nicht getan. Konkretisieren Sie endlich Ihre Pläne! Denn das tun Sie in dieser Regierungserklärung wieder nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, eine Empfehlung abzugeben. Reden Sie doch mal mit den Experten, die keine unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen verfolgen! Reden Sie mit dem Chaos Computer Club, mit Initiativen für offene Lernmittel, mit Open-Source-Communities! Und wenn Sie da absolute Berührungsängste haben, sitzen wir auch noch da. Fragen Sie uns! Wir freuen uns auf Ihre Fragen.

Bisher präsentiert die Landesregierung bereits laufende Programme wie den Medienpass als die Antwort auf Herausforderungen beim Lernen mit Medien. Nichts gegen den Medienpass, er hat durchaus seine guten Seiten. Aber dieses Angebot ist nun mal unverbindlich. So bleibt jeder Schule selbst überlassen zu entscheiden, ob der Medienpass zum Einsatz kommt oder nicht.

Wie soll denn ein solches Angebot helfen, die riesige Aufgabe zu erfüllen, dass jeder Schüler und jede Schülerin wie selbstverständlich Informationstechnologie im Unterricht einsetzen können soll? Ganz ehrlich, das ist so, als wenn Sie das Glas Wasser hier in die Luft halten

(Der Abgeordnete hält sein Glas Wasser hoch.)

und sagen: Bitte schön, jetzt kann jeder schwimmen lernen.

(Beifall von den PIRATEN)

Diejenigen, die sich mit Bildung beschäftigen, wissen, dass Laptop-Klassen doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze haben. Die Praxis zeigt doch, dass die Eltern inzwischen erkannt haben, dass das digitale Lernen für ihre Kinder unabdingbar für die gesellschaftliche Teilhabe ist. Die Landesregierung scheint das noch nicht ganz begriffen zu haben.

Am Ende höre ich in der Regierungserklärung auch noch etwas von fremden Federn. Damit kann man sich schön schmücken. Aber die Weiterentwicklung der learn:line geht auf unsere Initiative zurück. Ihr Vorzeigeprojekt LOGINEO, heute hier namentlich erwähnt, wird von den Landschaftsverbänden entwickelt und bereitgestellt.

(Zuruf von den PIRATEN: Ganz genau!)

Jetzt anzukündigen, dass man in der sowieso geplanten Novellierung der Lehrerausbildung dem Thema „Medienbildung“ mehr Gewicht verleihen will, ist doch keine politische Großtat. Das sind die Vorgaben der Kultusministerkonferenz, die das ohnehin erforderlich machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist auch kein Ruhmesblatt, wenn die Ministerin bei der Vorstellung der ICILS-Studie, die computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülern untersucht, feststellt, dass nicht das Land, sondern die Schulträger bei der Ausstattung von Schulen zuständig seien. – Gerade haben Sie es wiederholt. Das mag nach dem Buchstaben des Gesetzes richtig sein. Aber hier zu sagen: „Da können wir auch nicht viel machen“, das ist – supergeil. Da muss man das Gesetz tatsächlich mal nehmen und es benutzen, ausnutzen. Der Erziehungsauftrag der Schule beinhaltet nämlich nach § 2 Schulgesetz auch – ich zitiere –:

„Schülerinnen und Schüler werden befähigt, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen, kulturellen und politischen Leben teilzunehmen und ihr eigenes Leben zu gestalten.“

Dazu gehört mehr und mehr die Fähigkeit, webbasierte Medien zu nutzen, Informationen, die im Internet verfügbar sind, einzuordnen und zu verarbeiten. Deswegen steht im selben Paragrafen des Schulgesetzes:

„Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere      lernen

9. mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen.“

Die Verantwortung, hierfür geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, liegt beim Land. Um bei der technischen Ausstattung von Schulen aus dem Mittelalter – so sagt es der Verband Bildung und Erziehung – herauszukommen, ist es doch aber gar nicht notwendig, dass man die Finanzierung der Schulträgeraufgaben auf den Kopf stellt und das Land alles übernimmt. Denn wenn der politische Wille vorhanden wäre, stünde der Entwicklung nichts im Weg, wenn das Land auf die Schulträger nur zugehen würde.

Was lese ich dazu in der heutigen Erklärung? Leider gar nichts. Nach der Vorstellung der Studie ist auch das – supergeil.

Kollege Klaus Kaiser – ich sehe ihn gerade nicht, aber Ehre, wem Ehre gebührt – hat in der Anhörung zur Bildungsinnovation 2020 die durchaus berechtigte Frage gestellt: Was sollte für die Landespolitik in diesem Zusammenhang oberste Priorität haben? Die kommunalen Spitzenverbände haben geantwortet und gesagt: das Auflegen einer Strategie und ein Vorgehen mit allen Beteiligten. – Den Startschuss dafür hatten wir uns nach der Vorstellung der Studie irgendwie erhofft. Aber was kommt von Ihnen? Nichts. Auch das: supergeil.

Die Koordination der Entwicklung einer solchen Strategie und die Umsetzung einer solchen Strategie wären Aufgaben eines von uns geforderten Internetministeriums, übrigens genauso – Kollege Bolte hat es gerade angesprochen – wie die beständige Förderung und Entwicklung einer offenen Infrastruktur aus Open-Source-Software, aus offenen Standards, Dateiformaten und Inhalten unter freier Lizenz.

Sie reden immer der Chancengleichheit, der Bildungsgerechtigkeit das Wort. Aber die ICILS-Studie hat genau gezeigt, dass die Bildungsministerin hier eklatant verschläft. Von wegen „Kein Kind zurücklassen“!

Sie leben so sehr in der Vergangenheit, dass Sie die Gegenwart für die Zukunft halten. Wer hier eine Regierungserklärung abgeben könnte, die sich nicht anhört wie aus Zeiten, in denen wir noch per Akustikkoppler ins Netz gegangen sind, der würde auch verstehen, wenn ich sage: Oh, eine Regierungserklärung, die ist aber weich. – Sehr, sehr geil. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Marsching, vielen Dank. Sie haben es gerade für richtig gehalten, sechsmal das Wort „geil“ oder „supergeil“ zu verwenden. Ich halte das für sehr grenzwertig, im Rahmen einer Parlamentsdebatte vor dem Hohen Haus so zu argumentieren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP – Michele Marsching [PIRATEN]: Ich bin nicht der Einzige!)

Ich habe die herzliche Bitte, das in Zukunft einzustellen. – Für die Fraktion der Piraten spricht Kollege Schwerd.

(Unruhe)

– Das Wort hat der Kollege Schwerd.

(Anhaltende Unruhe)

– Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ruhe für den Kollegen Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident, herzlichen Dank dafür. – Frau Ministerpräsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Ganz ehrlich: Ich komme nicht wirklich über den Werbeslogan mit diesem „Mega“, was wir da hören. So leid es mir tut, auch ich muss Friedrich Liechtenstein zitieren, der sinngemäß sagte: „Sehr, sehr geil“. Es ist „großartig“, was Sie hier abliefern. Teilweise. Hut ab!

Frau Ministerpräsidentin, Sie sollten Ihre Werbeagentur wechseln. Nur für den Fall, dass man es Ihnen nicht gesagt hat: Etwa um die Jahrtausendwende herum haben die Prozessoren mit dem Pentium III die Gigahertzgrenze überschritten. Und einen Speicher in Megabytegröße findet man vielleicht noch in Haushaltsgeräten. Bei IT-Technik ist man um den Faktor 1.000.000 weiter. Vielleicht sollten Sie von der Agentur Ihr Geld zurückfordern.

Ihre Regierungserklärung erinnert mich an das Spiel „Duke Nukem Forever“. Das ist dadurch bekannt geworden, dass es jahrelang, man muss eher „jahrzehntelang“ sagen, angekündigt worden ist und mehrfach den Vaporware-Award gewonnen hat. Damit bezeichnet man Software, die nur aus Ankündigungen besteht.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Zweck ist klar: heiße Luft verbreiten, um die Konkurrenz abzuschrecken. Und: Features nicht implementieren müssen, sondern ankündigen reicht aus.

Ich habe auch an einen Fallobstkorb gedacht, als ich die Regierungserklärung gehört habe. Das war in etwa so: Wir gehen durch das Land und sammeln ein, was uns an Digitalem vor die Füße gefallen ist – ganz egal, ob die Landesregierung irgendetwas damit zu tun hat, ganz egal, ob die politischen Rahmenbedingungen damit etwas zu tun haben. Bei manchen Dingen muss man sogar sagen: Die haben sich trotz der politischen Rahmenbedingungen entwickelt.

(Beifall von den PIRATEN)

Beispiel Freifunk: Ja, wir haben mittlerweile sogar 1.700 Freifunkknoten in NRW, aber sicherlich nicht, weil die politischen Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen so toll sind. Das Gegenteil ist der Fall. Das haben Leute gemacht trotz der Tatsache, dass sie sich auf rechtlich dünnem Eis bewegen. Und dafür hat die Landesregierung überhaupt nichts getan.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir haben heute viele bunte Buzzwords gehört, viele Ankündigungen, was alles wichtig ist und was man alles tun sollte. Aber um Goethe zu zitieren:

„Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“

(Beifall von den PIRATEN)

Der Wandel zur Informationsgesellschaft umfasst sämtliche Lebensbereiche: die Welt der Wirtschaft – zweifellos –, aber auch die Welt der Arbeit, des Lernens, der sozialen und gesellschaftlichen Interaktion, des Staatswesens und der Verwaltung. Selbst die demokratische Willensbildung wird durch diesen Wandel fundamental beeinflusst. Dieser umfassende Umwälzungsprozess wirft bislang ungeklärte Fragen in den unterschiedlichsten Bereichen auf – angefangen bei der Koordinierung eines flächendeckenden Ausbaus einer zeitgemäßen Breitbandinfrastruktur in unserem Land über Fragen der verbesserten Start-up-Förderung, die Anpassung des Urheberrechts an die neuen Bedingungen innerhalb Kultur und Bildung bis hin zu rechtlichen Grundsatzfragen im Bereich der Netzneutralität wie eines zeitgemäßen Datenschutzes.

Herrn Wüst muss ich leider sagen: Nein, an der Netzneutralität führt nichts vorbei. Wir haben darüber auch nicht intern diskutiert. Es ist nach wie vor so, dass Netzneutralität fundamental ist im Internet. Wir müssen eher mit einigen Mythen aufräumen, die sich um die Netzneutralität ranken, wie zum Beispiel, dass selbstfahrende Autos irgendeine Bevorzugung im Internet haben müssen. Wenn ein selbstfahrendes Auto ohne eine ausreichende Internetverbindung im Verkehr nicht sicher navigieren können würde, dann würde das Lebensgefahr bedeuten, wenn sich ein Fahrzeug im Tunnel befindet. Das kann nicht sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade bezüglich des allerletzten Punktes, den ich ansprach, Datenschutz und Privatsphäre, haben wir es durch das Phänomen der globalen Überwachung mit einem bereits weit fortgeschrittenen Prozess der Verletzung elementarer Bürgerrechte zu tun. Hinzu kommt die Wirtschaftsspionage. Herr Minister Duin hat dies angesprochen und auf die seiner Ansicht nach ungelösten Probleme in der Cloud hingewiesen. Dabei hat er aber verschwiegen bzw. vergessen, dass wir auch noch ein ungelöstes Problem der Wirtschaftsspionage staatlich organisierter Art haben.

All dies verlangt ein abgestimmtes, koordiniertes Handeln. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, wird es Zeit, dass die Ressourcen und auch die widerstrebenden Kompetenzen unterschiedlicher Politikbereiche endlich synchronisiert und gebündelt werden.

Bei der Regierungsbildung 2013 im Bund war die Einsicht dazu schon fast gereift. Wie wir wissen, war man sehr nahe dran, ein Internetministerium dort einzurichten. Es wurde dann allerdings nur ein Datenautobahnministerium. Im letzten Moment wurde die Chance vertan, die dringend notwendigen Synergieeffekte im Bereich der digitalen Agenda zu schaffen. Diesen fundamentalen Fehler darf die Landesregierung nicht wiederholen!

(Beifall von den PIRATEN)

Übrigens, Herr Minister Duin, Sie sprachen eben einen Twitter-Account an: JanMie. Dahinter steckt Jan Miebach, der Pressesprecher der grünen Fraktion im Landtag NRW.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das muss man nicht wissen als Koalitionspartner! – Weitere Zurufe)

Soweit zum Thema „Medienkritik“. Wenn Sie das als Stimme aus dem Netz ankündigen, dann sollte bedacht werden, dass die nicht so ganz unabhängig ist. Also: Medienkritik 6, setzen!

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Schmeltzer sprach die angeblich so lange Initiativenliste der rot-grünen Koalition an. Ich muss sagen: Die Liste der Vorschläge, die die Piratenfraktion hier gebracht hat und die Sie einfach so ohne Sinn und Verstand abgelehnt haben, ist sehr viel länger.

(Beifall von den PIRATEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Qualität vor Quantität!)

Da frage ich mich: Wer soll denn hier die digitale Agenda unseres Landes führen? Herr Bolte hat eben angesprochen, es sei ein Problem, dass wir da einen Ladenhüter präsentieren würden. Tatsächlich handele es sich um eine Querschnittsfunktion. – Das mag so sein. Wie es aber mit Querschnittsfunktionen so ist: Man hat es mit der Diffusion von Verantwortung zu tun. Eigentlich ist niemand für das Thema verantwortlich. Wie wir wissen, steht bei Herrn Schmeltzer sowieso alles unter einem Finanzierungsvorbehalt. Dann ist es sehr einfach, diese Aufgaben als wichtig zu definieren, aber nicht umzusetzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wen wollen wir denn jetzt zum Chef der digitalen Agenda unseres Landes machen? Den Justizminister, der auf der Suche nach rechtsfreien Räumen im Internet war? Den Wirtschaftsminister, der sich angesichts staatlich organisierter Wirtschaftsspionage für nicht zuständig erklärt hat? Den Innenminister, der alle Internetnutzer erst einmal unter Generalverdacht stellen will? Die Medienministerin, die eine Suchmaschinensteuer im Internet durchgewunken hat? Den Bauminister, der auf einem Zukunftskongress Internet-Start-Ups in „gut“ und „böse“ sortiert hat? Oder die Ministerpräsidentin, die bislang alle Anträge, dieses Thema zur Chefsache zu machen, hat ablehnen lassen?

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ich lehne keine Anträge ab, das macht das Parlament!)

Deshalb fordern wir Sie in unserem Antrag auf, der von Ihnen verkündeten Einsicht in die Bedeutung des digitalen Wandels nunmehr endlich auch Taten folgen zu lassen. Konzentrieren Sie die Aufgabe an einer Stelle und holen Sie die dafür notwendige Kompetenz an Bord.

Herr Bombis, es geht dabei um Konzentration, Koordination und Kompetenz. Im Landtag sollten wir selbstverständlich einen der Bedeutung angemessenen Spiegelausschuss einführen.

Frau Kraft, damit Sie die Kraft für die notwendigen Änderungen finden, habe ich Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir haben heute schon mehrfach darüber gesprochen. Ich hab Ihnen ein „Doppelherz“ mitgebracht. Das würde ich Ihnen gerne schenken.

(Beifall von den PIRATEN – Daniel Schwerd [PIRATEN] will der Ministerpräsidentin das Stärkungsmittel „Doppelherz“ überreichen. – Die Ministerpräsidentin lehnt das Geschenk ab.)

Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz kurz: Zum einen ist das, was Sie da ausgesucht haben, nicht glutenfrei, obwohl das nicht nur im Internet nachzulesen und herauszufinden wäre. Und jemand anderes hat Ihnen den Gag schon vorweggenommen. Das war Herr Bolte, der das mit dem „Doppelherz“ aus meiner Sicht bzw. aus Sicht der Landesregierung richtig zugewiesen hat.

Ich will – Herr Marsching, weil Sie das so ausgeführt haben – nur eines deutlich machen: Es ist immer etwas schwierig, wenn Leute wider besseres Wissen hier einfach Dinge in den Raum stellen. Zu dem Thema „Wie steht es in Deutschland um die Internetkompetenzen?“ liegt uns eine von Professor Bos verantwortete Studie vor. Wir haben alle Fraktionen eingeladen, sich das gemeinsam anzuhören bzw. vorstellen zu lassen. Professor Bos hat ausdrücklich bestätigt, dass das, was diese Landesregierung seit 2010 zum Thema „Implementierungen von Anforderungen und Kompetenzen im Bereich der Medienbildung“ auf den Weg gebracht hat, als anschlussfähig in Bezug auf das bezeichnet werden kann, was aufgrund neuerer Entwicklungen ansteht. Es war mir wichtig, das hier einmal sehr deutlich zu machen.

Bei den Beratungen Ihrer vielen Anträge im Schulausschuss – wir haben schon mal Streit im Schulausschuss; in diesen Fragen waren wir uns aber einig – wurde erfreulicherweise festgestellt, dass wir die Dinge nachhaltig und systematisch, nicht aktionistisch auf den Weg bringen. Ich bin froh, dass in dieser Frage an dieser Stelle so viel Einigkeit herrscht. Das möchte ich hier einmal deutlich machen, damit Ihre Anwürfe nicht unkommentiert stehen bleiben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Erstens stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/7771. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/7771 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/7773. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen also zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/7773. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Piraten. Wer kann dem nicht zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Damit ist der Antrag Drucksache 16/7773 der Fraktion der Piraten abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

2   Menschliche Zuwendung statt Bürokratie: Pflegedokumentation in Nordrhein-Westfalen vereinfachen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/7768

Ich erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Burkert das Wort.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aktuell werden in Deutschland 740.000 Pflegebedürftige in 12.400 Pflegeheimen versorgt. Hierfür gibt es Tausende von Vorschriften, die die bürokratischen Pflichten des Pflegepersonals regeln. So bestehen Dokumentationspflichten für fast alle Bereiche – von Hygiene über Medikamenteneinnahme, Flüssigkeitsaufnahme bis hin zur Wunddokumentation, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Selbstverständlich ist diese Pflegedokumentation eine wichtige Grundlage, um die Qualität in der Pflege zu sichern. Sie sorgt für Transparenz, erleichtert die Kommunikation des Pflegepersonals untereinander und erlaubt eine Einbindung der Angehörigen und Patienten. Leider wurde sie aber in den letzten Jahren immer umfangreicher und nimmt mittlerweile 13 % der täglichen Arbeitszeit des Pflegepersonals pro Patient in Anspruch.

Das Statistische Bundesamt hat ermittelt: Wenn man pro examinierter Pflegekraft von 25 bis 30 zu betreuenden Patienten täglich ausgeht, nimmt diese Dokumentationspflicht gut mehrere Stunden am Tag in Anspruch. Allein das Einrichten einer Pflegedokumentation für einen neuen Patienten dauert in stationären Bereichen 6,5 Stunden und im ambulanten immerhin 3,2 Stunden.

Insgesamt entstehen den Pflegeeinrichtungen und Diensten bundesweit nur aufgrund der Dokumentationspflicht Kosten in Höhe von 2,7 Milliarden € jährlich. Dabei handelt es sich um Geld, das den zu Pflegenden zugutekommen und für mehr Betreuung eingesetzt werden muss.

Ganz abgesehen von dem unglaublichen Kostenaufwand beklagen viele Pflegekräfte und auch Angehörige und Patienten genau diesen viel zu hohen Bürokratieaufbau in der Pflege. Wertvolle Zeit, die eigentlich für die genannten Zuwendungen am Bett dringend benötigt wird, geht so verloren.

Um hier Abhilfe zu schaffen, hat das Bundesgesundheitsministerium unter dem Titel „Praktische Anwendung des Strukturmodells – Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation in der ambulanten und stationären Langzeitpflege“ ein Projekt zum Bürokratieabbau in der Pflege ins Leben gerufen und finanziell unterstützt.

Ziel des Projektes war es, verschiedene Vorschläge zum Abbau von Bürokratie in der Pflegedokumentation zu finden und diese vor allem auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen. Erarbeitet wurde das Projekt von der damaligen Ombudsfrau für Entbürokratisierung in der Pflege, Frau Elisabeth Beikirch, in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis sowie juristischer Expertise. Im Rahmen des Projektes haben sich 26 stationäre Pflegeeinrichtungen und 31 ambulante Pflegeeinrichtungen drei Monate lang an einem Praxistest für eine einfachere Dokumentation in der Pflege beteiligt.

Im Ergebnis wurde der Praxistest von allen beteiligten Stellen für gut und praxistauglich befunden. Die Ergebnisse des Projektes sind mit den bestehenden Gesetzen, Verträgen und Qualitätsprüfungsinhalten zu vereinbaren.

Die Organe der Selbstverwaltung der Pflege haben daraufhin am 4. Juli 2014 die Umsetzung der Empfehlungen des Strukturmodells ausdrücklich befürwortet. Ein detaillierter Abschlussbericht ist auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums zu finden.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der Bürokratieabbau in den Bereichen der Pflege ist machbar und möglich. Wir fordern mit unserem Antrag die sofortige Umsetzung des Bürokratieabbaus. Dies ist zwingend in die noch vorzulegende Durchführungsverordnung zum GEPA aufzunehmen. Es ist wichtig, dass das MGEPA – hier ausdrücklich im Rahmen der Rechtsaufsicht, § 281 SGB V – den Medizinischen Dienst anweist, den Bürokratieabbau nicht zu behindern, sondern vielmehr aktiv zu unterstützen. Die Pflegeeinrichtungen müssen hier schnellst-möglich Rechtssicherheit bekommen. – Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion der SPD spricht der Kollege Yüksel.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Burkert, die Forderung nach weniger Bürokratie ist natürlich ein alter Kassenschlager aller Parteien. Weniger Bürokratie möchten wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, und im Pflegebereich insbesondere die Pflegenden, die Patienten sowie ihre Angehörigen. Doch darüber, wie sich das realisieren lässt, sind wir doch unterschiedlicher Auffassung.

Ziel der nordrhein-westfälischen Gesundheits- und Pflegepolitik ist eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Pflege durch eine entsprechende stationäre wie auch ambulante Personal- und Versorgungsinfrastruktur.

Zur Pflege gehört die Pflegedokumentation. Sie ist notwendig, um fachliche Standards, Qualität und haftungsrechtliche Risiken sicherzustellen. Über das notwendige Maß bzw. den Aufwand der Dokumentation lässt sich sicherlich sprechen.

Wie im Antrag erläutert, wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit gemeinsam mit Kranken- und Pflegekassen sowie Verbänden im Jahr 2013 Empfehlungen zur Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation entwickelt und anschließend einem Praxistest unterzogen.

An dem Test für eine einfache Dokumentation im praktischen Alltag haben sich damals 26 stationäre Pflegeeinrichtungen und 31 ambulante Pflegedienste beteiligt. Die Ergebnisse zeigen einen hohen pflegefachlichen Nutzen, eine breite Akzeptanz unter den Pflegekräften sowie große Chancen, den Ansatz der Reduzierung der Pflegedokumentation zu realisieren. Die positiven Ergebnisse des Strukturmodells sollten durch eine bundesweite Implementierungsstrategie durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert werden.

Am 1. Januar 2015 war Projektbeginn der bundesweiten Umsetzung, unterstützt durch den Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Herrn Karl-Josef Laumann, der kein Unbekannter ist. Durch die Einrichtung eines Projektbüros beim Pflegebeauftragten sollte die Implementierung vorangetrieben werden. Das ist auch die Absicht des Pflegebeauftragten.

Wie Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU-Fraktion, dem Abschlussbericht der Implementierungsstrategie entnommen haben sollten, bedarf es zur erfolgreichen Umsetzung des Strukturmodells der Pflegedokumentation einer Teilnahme aller Akteure des Pflegebereichs sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene.

Es genügt also nicht, wie Sie gerade in Ihrer Rede und auch in Ihrem Antrag gefordert haben, weniger Bürokratie im Land Nordrhein-Westfalen einzufordern, sondern entsprechend – und so äußert sich auch Ihr ehemaliger Kollege – bundesweit Pflegeeinrichtungen und Pflegeverbände bei der Umsetzung zu unterstützen. Das heißt, dass das Projekt von Pflege- und Krankenkassen, Pflegeeinrichtungen und -verbänden gemeinsam mit der Politik umgesetzt wird. In erster Linie ist hierfür der Bundesgesetzgeber als Initiator bzw. der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung zuständig.

Es entspricht also nicht unserer gesetzgeberischen Pflicht, den Pflegeeinrichtungen und Pflegeverbänden in Nordrhein-Westfalen ihre Arbeit vorzuschreiben, welche sie selbst projektmäßig übernehmen.

Zur fachlichen Klarstellung: Es ist auch nicht eine einseitige Verantwortung der Heimaufsicht – so haben Sie sich gerade geäußert –, die Maßnahmen zur Verschlankung der Pflegedokumentation umzusetzen. Die Projektumsetzung findet in Absprache mit den Kassen und Verbänden im Pflegebereich und dem Projektbüro des Pflegebevollmächtigten statt. Dies entspricht der Forderung im Abschlussbericht, in dem es auf Seite 9 heißt:

„Die Gesamtsteuerung des Verfahrens der Implementierung erfolgt durch das Projektbüro … in Zusammenarbeit mit den Verbänden und Kooperationsgremien der Länder.“

Ihr Antrag ist demnach aktuelle Sachlage. Er ist ein gegenwärtiges Projekt, welches federführend auf der Bundesebene in Zusammenarbeit mit den Pflegekassen und Verbänden realisiert wird.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir können weiterhin gemeinsam im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales über die Unterstützung bzw. Förderung des Strukturmodells der Pflegedokumentation beraten. Alles andere ist eigenmächtiges Eingreifen in das aktuelle Projekt.

Wenn die Intention Ihres Antrags dahin gehend zu interpretieren ist, dass der Arbeit des ehemaligen Kollegen und Ministers und heutigen Staatssekretärs im Bundesministerium für Gesundheit, Herrn Laumann, und seinen Aufgaben als Pflegebevollmächtigter Rechnung zu tragen ist, nehme ich das wohlwollend zur Kenntnis.

Lassen Sie mich abschließend festhalten, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen die Verantwortung für eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Pflege tragen und dementsprechend das im Antrag erwähnte Projekt im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales begleiten werden. Wir freuen uns auf die Überweisung und stimmen dieser natürlich zu. – Danke sehr.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, längere Telefongespräche nicht im Plenarsaal zu führen, sondern außerhalb des Plenarsaals.

(Ein Abgeordneter verlässt den Plenarsaal.)

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der Tat klagen viele in der Pflege seit Jahren über die ausufernden Dokumentationsverfahren. Seit vielen Jahren befassen sich auch Expertinnen und Experten mit diesem Thema, um eine Vereinfachung und einen Abbau des Aufwandes bei der Pflegedokumentation zu erreichen. Gerade Nordrhein-Westfalen hat diese Debatte nicht nur hier in NRW, sondern auch auf der Bundesebene befördert und die Modellprojekte angestoßen.

Wir wissen aber auch, dass sowohl die Pflegekassen als Kostenträger als auch Rechtsprechung, Wissenschaft und Einrichtungsträger immer wieder unterschiedliche Anforderungen an die Pflegedokumentation formuliert und erarbeitet haben.

Im vergangenen Jahr wurde nun der eben genannte Abschlussbericht der Bundesregierung vorgelegt. Dieser Bericht enthält einige zentrale Aussagen, die wir sehr stark unterstützen. Die zentralen Empfehlungen sehen in der Tat eine deutliche Vereinfachung und Begrenzung der Dokumentation vor, die wir tatsächlich sehr begrüßen.

In einem viermonatigen Praxistest haben viele Einrichtungen und Dienste in fünf Bundesländern eine schlankere Dokumentation erprobt. So soll sich die Informationssammlung nicht mehr über 14 Themenfelder erstrecken, sondern an nur noch fünf übergeordneten Themenbereichen orientieren. Die Dokumentation der tatsächlichen Leistungen soll reduziert werden, indem nur noch Abweichungen von der Routine dokumentiert werden. Das ist zu begrüßen.

Für uns ist es besonders wichtig, dass es neben diesen Vereinfachungen auch zu einem Paradigmenwechsel kommen soll, bei dem nun die individuellen Wünsche der Pflegebedürftigen in der Pflegeplanung einen zentralen Platz erhalten und die klassischen Pflegeziele ersetzen sollen. Damit wird die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen im Vordergrund stehen. Dies ist in der Tat neu.

So geht es nicht nur um mehr Zeit für die Pflege, sondern vor allem auch um einen neuen Blick auf die Pflege. Bei diesem Blick stehen nicht mehr die Verrichtungen im Vordergrund. Vielmehr wird der pflegebedürftige Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wünschen in den Mittelpunkt gerückt. Dies bedeutet, die Wünsche der pflegebedürftigen Menschen in deren eigenen Worten aufzunehmen und der täglichen Planung zugrunde zu legen. Das ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der Pflege, den wir sehr stark begrüßen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diese Stärkung der Selbstbestimmung ist sehr positiv, stellt aber auch eine große Herausforderung für die Pflege dar.

Wichtig ist auch, dass die Prüfinstanzen ihre Anforderungen an die Verschriftlichung der pflegerischen Reflexion tatsächlich senken und die Argumentation der Pflegefachkräfte in ihre Bewertungen einbeziehen. Die überarbeiteten Transparenzvereinbarungen sehen wir in diesem Bereich auch in NRW vor.

NRW selbst hat sich natürlich mit Nachdruck für diesen Richtungswechsel eingesetzt. Es gab auch fünf nordrhein-westfälische Testregionen, in denen das neue Modell in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kam.

Seitens der Landesregierung wurden durch die Unterstützung der Modellversuche, die frühe Information der WTG-Behörden und die WTG-Konformität des neuen Dokumentationsverfahrens die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die neue Dokumentationsstruktur auch in NRW eingesetzt werden kann.

Deswegen freuen wir uns natürlich, wenn wir im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales ausführlich über diese Themen diskutieren werden und diesen Paradigmenwechsel auch in NRW umsetzen können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wo Menschen gepflegt werden und eine umfassende und würdevolle Pflege möglich sein soll, müssen Methoden, Behandlungen, Fort- und Rückschritte nachvollziehbar festgehalten werden. Erst dadurch wird die Grundlage für eine möglichst reibungslose Kooperation aller an Pflege Beteiligten und somit für die Pflegequalität gelegt.

Eines ist klar: Um das Ziel einer nachvollziehbaren und gleichzeitig effektiven Pflege zu erreichen, ist und bleibt die Erstellung einer Pflegedokumentation notwendig. Die Dokumentation ist aber kein Selbstzweck. Sie ist kein Wert an sich. Sie muss sich kritisch-konstruktiv hinterfragen lassen und stets zielorientiert sein. Ziel ist eine Pflege im Sinne des zu Pflegenden. Ziel ist nicht, mit immer mehr Bürokratie die Heimaufsicht oder den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zu beschäftigen.

Was muss eine Pflegedokumentation aber leisten? Wie muss sie gestaltet sein? Sie dient der Sammlung der relevanten Daten über den Patienten und sorgt dafür, dass diese, etwa beim Schichtwechsel, nicht verloren gehen. Sie bietet außerdem eine wertvolle Grundlage für die ärztliche Beratung. Ferner müssen die relevanten Punkte schnell entnehmbar sein. Sie muss also alles Wichtige enthalten, darf aber gleichzeitig nicht zu umfangreich werden, damit nicht seitenweise Nebensächlichkeiten den Blick auf das Entscheidende versperren.

Die Wichtigkeit eines solchen Instruments ist an sich gar nicht hoch genug einzuschätzen. Aber genau hier liegt das Problem der jetzigen Form der Pflegedokumentation. Darüber sind sich die meisten auch einig: Es ist ein bürokratisches Monster.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wo doch der eigentliche Sinn der Dokumentation darin liegen sollte, alle Informationen über den Patienten zusammenzuführen und somit mehr Zeit für die tatsächliche Pflege eines Patienten zu haben, ist jetzt genau das Gegenteil der Fall: Die Pflegedokumentation nimmt immer mehr Raum ein, der Patient gerät zwangsläufig in den Hintergrund.

In den meisten Einrichtungen gilt: Lieber zu viel als zu wenig schreiben. Die für die Dokumentation investierte Zeit ist dann kein Dienst am Patienten, sondern in erster Linie auf die Prüfungen des MDK und der Heimaufsicht ausgerichtet. Das ist weder aus fachlicher noch aus rechtlicher Sicht notwendig.

Natürlich muss in eine wirkungsvolle Dokumentation Zeit investiert werden, und natürlich ist es auch wichtig, Besonderheiten und Abweichungen angemessen festzuhalten. Aber warum muss ein ständig wiederkehrendes Ereignis, wie etwa der Zeitpunkt des Frühstücks, immer wieder dokumentiert werden?

Anstelle einer Dokumentation, die den praktischen Bezug in den Blickpunkt stellt und die individuelle Beschäftigung mit dem Patienten fördert, wird ein verworrenes System aus teils widersprüchlichen Dienstanweisungen, Standards und Ablaufbeschreibungen diktiert.

Die zu umfangreiche und verworrene Pflegedokumentation hat letztendlich auch eine wirtschaftliche Dimension. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass der finanzielle Aufwand für die Pflegedokumentation jährlich 2,7 Milliarden € beträgt. Wenn es uns gelingt, hier Verbesserungen umzusetzen, kann auch der finanzielle Druck im Pflegewesen zumindest etwas abgemildert werden. Des Weiteren wurde für den zeitlichen Dokumentationsaufwand ein Anteil von 13 % an der Gesamtarbeitszeit einer Pflegekraft festgestellt – Zeit, die für eine gute Pflege so wertvoll ist.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wie lassen sich also diese undurchschaubaren Zustände entbürokratisieren? Es gibt ja Alternativen, wir hörten davon: 2013 begann der Praxistest zur Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation. Seit Ende letzten Jahres liegen die Ergebnisse vor.

Das Ergebnis ist deutlich: So sei unter anderem die Dokumentation von Routinetätigkeiten nicht nur fachlich, sondern auch juristisch gesehen überflüssig. Es seien nur die Ereignisse und Leistungen zu dokumentieren, die von der Pflegeplanung abwichen.

Allerdings müssen sich solche Ereignisse, die das Potenzial haben, die Situation für alle Beteiligten zu verbessern, auch herumsprechen. Die Heimaufsichten müssen – wie in vielen anderen Ländern bereits geschehen – über die empfohlenen Maßnahmen ausführlich informiert werden. Das ist Aufgabe der Landesregierung.

Sehr gerne unterstützen wir die Bestrebungen, die Pflegedokumentation weniger bürokratisch zu gestalten, und freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde wahrscheinlich nicht die ganzen fünf Minuten brauchen. Das war, Frau Ministerin, meine Replik auf das „Gespanntsein“.

Uns als Piraten wird oft vorgeworfen, wir redeten über irgendwelche Bundesthemen. Jetzt haben wir schon ganz viel gehört, und natürlich ist die Übermittlung der Information Aufgabe der Landesregierung; nichtsdestotrotz reden wir hier an sich über ein Bundesthema.

Ich vermute einmal vorsichtig, dass das ein wenig der Versuch ist, eine Regelung, die im Bund auf den Weg gebracht wurde, im Land noch einmal zu debattieren und zu zeigen, dass es eine gute Regelung ist, die aber im Land in den entsprechenden Einrichtungen und Diensten noch nicht so richtig gegriffen hat.

Wie dem auch sei – sinnvoll wäre es gewesen, auf Bundesebene eine konkrete gesetzliche Regelung zu schaffen, die uns als Land die entsprechende Rechtssicherheit gebracht hätte. – Frau Ministerin Steffens hatte sich im Rahmen der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Frau Kollegin Scharrenbach schon einmal ähnlich geäußert. – Es wäre aus meiner Sicht daher der richtige Ansatz, mit dem CDU-Antrag eine bundesgesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, um diese Rechtssicherheit zu schaffen.

Die Realisierung des ersten Beschlusspunktes des vorliegenden Antrags, der Informationspflicht nachzukommen – auch das hat Frau Ministerin Steffens in der Antwort auf die Kleine Anfrage geschrieben –, ist für das erste Quartal 2015 geplant. Ich vermute, im folgenden Redebeitrag wird Frau Ministerin noch näher darauf eingehen, wann und wie das genau stattfinden wird. Da schauen wir uns mal den Stand der Dinge an.

Den zweiten Beschlusspunkt kann ich nur unterstützen: eine Berichtspflicht, damit der Landtag und der Ausschuss über den Stand der Umsetzung und die ersten Erfahrungen informiert werden. Das halten wir Piraten ganz grundsätzlich immer für sinnvoll.

Zur Pflegedokumentation im ganz Allgemeinen noch eine Anmerkung; dazu ist gerade schon viel gesagt worden. Das Ganze ist ein Riesenbürokratiemonster, gar keine Frage. Mein Kollege Wegner hatte es seinerzeit auch schon im Ausschuss angesprochen. Ich fasse es einmal kurz zusammen: Wenn man ein solches Bürokratiemonster wie diese sehr umfangreiche Pflegedokumentation hat, die dann aber – ob sie jetzt sinnvoll ist oder nicht – am Ende nicht hundertprozentig nachvollziehbar für alle kontrolliert wird, dann bringt das Ganze nichts.

Dann kann man reformieren, dann kann man versuchen, eine Vereinfachung dieser Pflegedokumentation zu erreichen – ich glaube, da ist ein ganz guter Schritt gemacht worden. Das Problem allerdings – Kollege Wegner hat es seinerzeit im Ausschuss auch schon vorgetragen- bleibt bestehen: Auch die vereinfachte Pflegedokumentation muss von den Medizinischen Diensten vernünftig überprüft werden und werden können; es muss geschaut werden, ob alles passt, etwa der Personalschlüssel.

Das sind einige Mängel, die wir bislang festgestellt haben. Da bin ich gespannt, was uns in den nächsten Monaten erwartet.

Ansonsten: Die Informationspflicht ist auf den Weg gebracht. Von daher sehe ich momentan eigentlich keinen Punkt, der für diesen Antrag spricht. Aber vielleicht kann uns Frau Ministerin Steffens erleuchten oder mit neuen Informationen versorgen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erleuchten, warum der Antrag gestellt worden ist, kann ich Sie auch nicht; ich weiß es nicht. Aber ich möchte versuchen, noch das eine oder andere zum Thema deutlich zu machen.

Lieber Herr Burkert, ich finde es gut, dass Sie einen solchen Antrag stellen. Das Thema ist wichtig für Nordrhein-Westfalen. Wenn wir uns die Historie zur Frage der Pflegedokumentation ansehen, dann haben wir in diesem Parlament oft und viel darüber diskutiert und auch an den Bund appelliert, dass es Änderungen und Verbesserungen geben soll. Daher sind wir alle über das, was jetzt als Ergebnis der Bundesebene auf dem Tisch liegt, sehr froh; denn damit sind wir im Gegensatz zu dem, wo wir noch vor fünf Jahren standen, einen erheblichen Schritt weiter.

In der Tat leidet die Pflege – da haben wir einen Konsens – unter zu viel Bürokratie; das ist überhaupt keine Frage. Es fängt bei den unsinnigen Pflegenoten an und hört beim Dokumentationswesen noch lange nicht auf. Daneben gibt es noch sehr viele andere Dinge, die diejenigen beschäftigen, die sich in der Pflege um Menschen kümmern wollen. Gerade die Dokumentation ist für viele Beschäftigte eine massiv demotivierende Belastung.

Bei jedem Termin vor Ort ist das einer der Hauptpunkte. Die Pflegefachkräfte sagen, dass sie mehr Zeit für die Menschen haben wollen, nicht für Akten, und dass sie diese Art der Dokumentation als eine gefühlte Kultur des Misstrauens erleben. Das ist es im Grunde genommen auch. Wir brauchen rechtliche Regelungen und Rahmenbedingungen, was aus welchen Gründen dokumentiert werden muss, aber so, wie es ausgeufert ist, ist das ein Unding.

Klar ist: Das Landesrecht – deswegen ist die Diskussion hier im Landtag vielleicht nicht ganz richtig platziert – ist hieran unbeteiligt; denn wir haben im WTG keine Vorgaben dazu. Es gibt die Vorgabe, dass dokumentiert werden muss, aber wir haben keine eigenen Dokumentationserwartungen, sondern akzeptieren vorhandene ordnungsgemäß geführte Dokumentation. Daher gibt es hier keine eigenen Anforderungen.

Die Dokumentation findet vonseiten der Kostenträger statt. Oft geht es um haftungsrechtliche Fragen, weil wir ein Stück weit die Amerikanisierung des Prozesswesens haben. Immer, wenn es irgendwo Bedenken der Angehörigen gibt, wird geklagt. Die Dokumentation hat eher ganz andere Ursachen als solche, die vom Land kommen. Deswegen brauchen wir eine Dokumentation, aber sie soll den Menschen dienen und nicht nur um des Dokumentierens willen geschehen.

Es ist richtig, dass wir in die Richtung gehen, die Arbeit der Pflegekräfte zu erleichtern durch eine Dokumentation, die strukturiert ist, die Sicherheit bei der Übergabe gibt, die auch so etwas wie Biografiearbeit liefert. Wir brauchen eine Dokumentation, die den Fachkräften hilft und die Pflegebedürftigen vor schlechter Pflege schützt.

Die ehemalige Ombudsfrau für Bürokratieabbau, Elisabeth Beikirch, hat hier einen wichtigen Stein ins Rollen gebracht. Wir haben uns in Nordrhein-Westfalen in der Zeit, in der sie an dem Prozess gearbeitet hat, sehr intensiv beteiligt und sie unterstützt. Sie ist, wie ich finde, einen sehr unkonventionellen und sehr guten Weg gegangen. Sie hat nämlich mit den Fachleuten diskutiert und nicht die politische Beteiligung in den Vordergrund gestellt. Sie hat nicht die Verbandsrituale vollzogen, die sonst immer üblich sind, sondern sie ist in die Praxis gegangen und hat versucht, mit neuen Modellen zu zeigen, wie in der Struktur eine andere Dokumentation möglich ist. Dieser pragmatische, einfache, unkonventionelle Weg war genau richtig. Das Ergebnis sehen wir.

Nordrhein-Westfalen hat sich daran, wie gesagt, mit seinen Modellen beteiligt; ich habe das auch schon in der Antwort auf die Kleine Anfrage mitgeteilt. Zahlreiche Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und auch bundesweit haben sich daran beteiligt. In dem ganzen Prozess haben fortlaufend Besprechungen mit den Heimaufsichten stattgefunden. Deswegen auch da: Die Heimaufsichten in Nordrhein-Westfalen sind darüber informiert. Sie wissen seit Beginn des Prozesses, dass das Land sagt: Diese neue Art der Dokumentation entspricht unseren Anforderungen gemäß WTG. Damit sind wir völlig zufrieden, das ist eine gute Dokumentation. Wir haben sogar schon vor Ablauf des Modellversuchs in alle Richtungen deutlich kommuniziert, dass wir in Nordrhein-Westfalen die klare Auffassung haben: Diese neue Dokumentation ist der Weg in die richtige Richtung, sie entspricht unseren Anforderungen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Ziel auf Bundesebene ist es, in 25 % der ambulanten und stationären Einrichtungen durch Schulungen genau das zu implementieren. Ich wäre froh, wir würden die 25-%-Latte ganz schnell reißen und sehr viel mehr erreichen, weil ich glaube, dass das im Interesse der Menschen ist. Der neue Landesausschuss Alter und Pflege wird in seiner konstituierenden Sitzung ein Begleitgremium einrichten, das diese 25 % mit vorantreibt, hoffentlich auch mehr.

Eine gesetzliche Regelung, wie Sie sie eben gefordert haben, können wir nicht in der DVO treffen. Dafür müssten wir das WTG novellieren und dort diesen Weg der Dokumentation festschreiben. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das rechtlich so einfach machbar ist. Der bessere Weg wäre der bundesgesetzliche gewesen, aber wir gehen jetzt diesen Weg gemeinsam. Darüber können wir auch gerne noch im Ausschuss diskutieren. Ich meine, wir sind in Nordrhein-Westfalen mit allem, was wir schon gemacht haben, auf einem sehr guten Weg. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 48 Sekunden überschritten. Möchte jemand noch das Wort ergreifen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/7768 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

3   Schulministerin muss ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Lehrkräften an Realschulen nachkommen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7779

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Gebauer das Wort. – Bitte schön.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute Morgen hat Frau Ministerpräsidentin Kraft in ihrer Regierungserklärung unter anderem gesagt, dass im Rahmen der rot-grünen Politik in Nordrhein-West-falen der Mensch für sie weiter im Mittelpunkt stehe und sie sich für Chancen für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen einsetze. Große Worte, hinter denen dann aber auch Taten stehen müssen. Ob Frau Kraft als Ministerpräsidentin, aber auch Sie, Frau Ministerin Löhrmann, dieser Verantwortung für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen gerecht werden, das wage ich doch in Zweifel zu ziehen.

(Beifall von der FDP)

Denn der Umgang der Landesregierung mit weit über 200.000 Realschülerinnen und -schülern in Nordrhein-Westfalen spricht an der Stelle eine andere Sprache und lässt die notwendigen Taten vermissen.

Meine Damen und Herren, Kinder, Jugendliche und Pädagogen an unseren Realschulen werden massiv benachteiligt, und das, obwohl die Landesregierung im Rahmen des Schulkonsenses die Realschulen als verbindliche Angebotsschulform in Nordrhein-Westfalen festgeschrieben hat.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wir haben als FDP immer gesagt, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung mehr Zusammenschlüsse von Haupt- und Realschulen in Nordrhein-Westfalen brauchen. Uns war dabei aber immer wichtig, dass der Elternwille berücksichtigt wird.

Was passiert momentan vor Ort? Es wird ganz gezielt nach demografiefesten Realschulen gegriffen. In diesem Verfahren wird bei der Beratung der Eltern nicht davor zurückgeschreckt, bei entsprechenden Elternabenden Informationen zu politisch unliebsamen Varianten der Sekundarschulen, nämlich die des kooperativen Lernens der differenzierten Bildungsgänge, gezielt wegzulassen. Ein solches Verfahren, meine Damen und Herren, ist unredlich. Wenn man es zu Ende denkt, dann ist es eine Missachtung des Elternwillens und auch eine Manipulation.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Aber Realschulen werden auch ganz gezielt benachteiligt. Pädagogen müssen an Realschulen 28 Stunden unterrichten, an Gesamtschulen, an Gymnasien und an Sekundarschulen sind es nur 25,5 Stunden. Wir haben als FDP Rot-Grün gefragt, ob zumindest hier mittelfristig eine Angleichung angedacht ist. Die Antwort der Landesregierung lautete: Nein.

In einer Vielzahl von Briefen, die mich erreichen – wahrscheinlich auch andere Kolleginnen und -kollegen im Bereich Bildungspolitik –, wird immer wieder dargelegt, dass die Unterrichtsversorgung an den Realschulen nicht sichergestellt wird. Eltern beklagen sich massiv, dass teilweise über Jahre in den Fächern der gesetzlich vorgeschriebene Unterricht nicht erteilt werden kann.

Dass es sich hierbei nicht um sogenannte Einzelphänomene handelt, bestätigen auch die Anträge der Lehrerversammlungen der Realschulen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Gewerkschaftsübergreifend – das ist nicht immer selbstverständlich – fordern hier die Personalversammlungen gleiche Chancen und eine faire Unterstützung.

Durch das Handeln der Landesregierung bzw. durch das Unterlassen an dieser Stelle demotivieren Sie diese Lehrkräfte und bluten die Realschulen zulasten der Chancen unserer jungen Menschen, unserer Jugendlichen, aus.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Auch bei der Verteilung von Schulsozialarbeitern gibt es bei den Realschulen eine Benachteiligung. Im Haushalt 2014 zu den landeseigenen Schulsozialarbeitern kann man Folgendes nachlesen: Für die Sekundarschulen sind es 46 Stellen, für die Gesamtschulen 275. Für die Realschulen sind es 3.

Zu guter Letzt war noch in der Zeitung zu lesen, dass für auslaufende Realschulen auch Schulleiterstellen gar nicht mehr ausgeschrieben werden. Da frage ich Sie, Frau Ministerin Löhrmann, aber auch in Abwesenheit Frau Ministerpräsidentin Kraft: Wo bleibt da Ihre Verantwortung für die Kinder und für die Jugendlichen, für die jungen Erwachsenen, für die Schulen, die oft noch über Jahre entsprechend auslaufend weiterbestehen?

(Beifall von der FDP)

Wie sieht es hier mit den Chancen für alle Kinder aus? Denn auch für auslaufende Haupt- und Realschulen muss eine vernünftige Stellenausstattung erfolgen, damit beste Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen bis zu der Schließung der entsprechenden Schulen auch stets gewährleistet ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebauer. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Antrag, meine Damen und Herren der FDP, für eine Stärkung der Realschulen in NRW zielt nicht nur inhaltlich an der Sache vorbei, sondern es hilft den Betroffenen in keiner Weise. Falsche Behauptungen bleiben falsche Behauptungen,

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

auch wenn sie gebetsmühlenartig vorgetragen werden. Sie werden deshalb dadurch nicht zur Wahrheit.

So behaupten Sie beispielsweise, dass die Landesregierung – ich zitiere – „Realschulen gezielt abwickeln möchte“. Sie wissen jedoch ganz genau, dass das blanker Unsinn ist. Weder die Landesregierung noch die sie unterstützenden Politikerinnen und Politiker lösen Schulen im Land auf. Es ist einzig und allein Aufgabe des Schulträgers, das zu tun. Der Schulträger löst diese Aufgabe unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und des konkreten Anmeldeverfahrens.

Wenn Sie Beispiele dafür nennen könnten, wo eine Bezirksregierung in ihrer Beratung gezielt einen Schulträger dazu gedrängt hat, eine Realschule unter Nichtbeachtung der eben angeführten Kriterien zu schließen, wie Sie es in Ihrem Antrag behaupten, wären wir schon einen Schritt weiter. Im Übrigen – das haben Sie dankenswerterweise erwähnt – steht im Schulkonsens sogar ausdrücklich, dass die Realschule als zukunftsfähige Schulform gewollt ist.

Worum geht es in Ihrem Antrag wirklich? Steht er nicht in einer Reihe mit anderen Anträgen wie dem Stärkungspakt Gymnasium oder dem Fach Wirtschaft an Realschulen? Es ist eine grundlegende Strategie der FDP erkennbar, sich, nachdem sie sich dem Schulkonsens verweigert hat, um vermeintlich vorhandene Schulprobleme zu kümmern.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die FDP macht Schulformpolitik!)

Sie sprechen von einer Lehrerunterversorgung an den Realschulen in NRW. Das Gegenteil ist doch der Fall. Belastbare Zahlen, die vorliegen, beweisen das auch. Für das Schuljahr 2015/2016 wird eine Personalausstattungsquote von 102,7 % erwartet. Dies ist eine ebenso gute Quote wie an Gymnasien und Sekundarschulen und auch an Gesamtschulen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag weiter – und haben das gerade auch ausgeführt – es gebe deutlichen und steigenden Unterrichtsausfall. Gibt es dazu vielleicht konkrete Zahlen?

Zum Vergleich: Wenn ich die Ausfallquote an Gesamtschulen oder an Hauptschulen nehme, liegt der Unterrichtsausfall mit 2,7 % deutlich darunter. Dass er immer noch zu hoch ist, können wir gerne konzedieren, aber es ist eben nicht so das Schreckgespenst, wie Sie es gerade hier an die Wand gemalt haben.

Ein weiteres Beispiel sind die Klassenstärken. Laut Schulkonsens sollte die Klassenstärke an Realschulen von 28 auf 26 Schülerinnen und Schüler gesenkt werden. Dieses Soll ist bereits im Jahr 2011 mit 26,1 Schülern erfüllt worden – Tendenz: weiter fallend. Demografiebedingt ist dies an allen anderen gängigen Schulformen ähnlich zu beobachten. Die avisierte Klassenstärke der Sekundarschule bewegt sich mit 25 Schülern in genau demselben Rahmen.

Im letzten Antrag, meine Damen und Herren, ist von – ich zitiere – „mutwilliger Täuschung der Schulministerin und der Landesregierung beim Aufzeigen der Anschlussperspektiven nach der Sek. I“ die Rede. Während die Sekundarschule am Ende auf jeden Fall das Etikett „Abitur“ stehen hätte, würden Realschulen bewusst davon ausgenommen bzw. es würde nicht kommuniziert. Das ist mehr als eine starke Behauptung; sie entbehrt jeder Realität.

Fakt ist, dass heute schon jeder Realschule freisteht, und das wissen Realschulen im Übrigen auch, mit anderen Schulen, die beispielsweise eine Oberstufe haben, eine Kooperation einzugehen. Glauben Sie wirklich, dass Eltern, die ihre Kinder an eine Realschule schicken, das nicht wüssten, was am Ende der Schullaufbahn ihrer Kinder steht?

Zur Frage des Ganztags: Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass die Realschulen in ihrer Ganztagsausstattung systematisch gegenüber anderen Schulformen benachteiligt werden. Dazu kann ich Folgendes feststellen: Tatsächlich werden im Schuljahr 2014/2015 bereits 131 von 563 Realschulen im Ganztag betrieben. Jeder Antrag einer Realschule auf Umwandlung in den Ganztag wurde in den vergangenen Jahren von der Landesregierung bewilligt. Vor diesem Hintergrund von einer Benachteiligung zu reden, erschließt sich mir beim besten Willen nicht.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Sie deklarieren in Ihrem Antrag zudem die Realschule als großen Zuliefererbetrieb für Gymnasien und Gesamtschulen. Das entspricht nicht so ganz der Realität; denn laut Zahlen aus dem Schulministerium ist es ungefähr ein Viertel der Schülerinnen und Schüler der Realschulen, das in die Oberstufe geht.

Nehme ich die Zahlen der Bertelsmann Stiftung dazu, weil ich sage, die Zahlen der Landesregierung sind vielleicht in der Wolle gefärbt, dann komme ich auf keine anderen Zahlen. Es bleibt dabei, dass ungefähr ein Viertel der Schülerinnen und Schüler ihren Weg in der Schule fortführt.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Zwei Drittel aller Schüler werden die Schullaufbahn nicht fortsetzen, sondern gehen in die Berufswelt oder in die Berufskollegs.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss?

Rüdiger Weiß (SPD): Ja, ich komme zum Schluss. – Das waren nur einige Beispiele, die Ihnen zeigen sollten, dass der vorliegende Antrag uns inhaltlich nicht weiterbringen wird. Wir stehen deshalb Ihrem Antrag ablehnend gegenüber, freuen uns aber dennoch nach der Überweisung in den Schulausschuss auf die weitere Beratung dort. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Weiß. – Da der Antrag wohl gemäß Vorschlag überwiesen werden soll – wovon ich ausgehe –, wird auch noch genug Zeit sein, in Ruhe im Ausschuss darüber zu diskutieren. Bevor das aber der Fall ist, spricht für die CDU-Fraktion Frau Vogt. Bitte schön.

Petra Vogt (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende FDP-Antrag trägt den Titel „Schulministerin muss ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Lehrkräften an Realschulen nachkommen“. Wir würden diesen Satz gerne erweitern, indem wir sagen, dass die Schulministerin ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Lehrkräften aller Schulen nachkommen muss.

(Beifall von der CDU)

Aus Sicht einer für den Schulkonsens verantwortlichen Fraktion möchte ich an dieser Stelle betonen, dass für uns die Grundlage des Schulkonsenses war und ist, ein gleichberechtigtes Nebeneinander unterschiedlicher Schulformen zu haben. Die Kommunen können und sollen ein an ihren Bedürfnissen orientiertes Schulformenangebot vorhalten. Der Elternwille spielt für uns in diesem Zusammenhang eine große Rolle.

Viele Kommunen in unserem Land haben bereits von den durch den Schulkonsens entstandenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und Sekundarschulen gegründet.

Wir hätten uns zwar auch gewünscht, mehr kooperative Formen zu bekommen, aber diese Entscheidung wurde aus gutem Grund in kommunale Hände gelegt, und wir akzeptieren selbstverständlich die dort getroffene Wahl. Was wir allerdings nicht akzeptieren, und hier schließen wir uns ausdrücklich der FDP-Auffassung an, ist eine Bevorzugung der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens durch die Schulaufsicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Von einer Bevorzugung der integrierten Systeme war im Schulkonsens nie die Rede. Das hätte auch niemals die Zustimmung der CDU gefunden.

(Beifall von der CDU)

Wir hören aber auch – und das bezieht sich nicht nur auf die Realschulen –, dass die Schulaufsicht häufig die Kommunen nicht neutral über die unterschiedlichen Schulformen für den jeweiligen Standort informiert, sondern mit klarer Tendenz in Richtung der integrierten Systeme berät.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist Ihre Pflicht, Frau Ministerin Löhrmann, dafür zu sorgen, dass Ihre nachgeordneten Behörden sich an den Schulkonsens halten und nicht aus ideologischen Gründen einzelne Systeme bevorzugen.

Es kann nicht sein, dass Sie den Schulkonsens unterlaufen und daraus ein Schulschließungsprogramm für das gegliederte Schulsystem machen,

(Beifall von der CDU und der FDP)

so wie Sie das Inklusionsgesetz als Schließungsprogramm für die Förderschulen betrachten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Genau!)

Ein weiterer Kritikpunkt im FDP-Antrag betrifft den Umgang mit auslaufenden Schulen. Hier hören wir ebenfalls – das wiederum nicht nur in Bezug auf die Realschulen –, dass die Lehrerversorgung oftmals Probleme bereitet. Wir haben gerade gegenüber diesen Schulen eine hohe Verantwortung, da sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten müssen.

Hier wäre aus unserer Sicht mehr Aufmerksamkeit und Flexibilität gefordert, um den Schülern den ihnen zustehenden Unterricht auch ordnungsgemäß zukommen zu lassen.

Die Schulen selbst sind häufig sehr bemüht, vernünftige Lösungen zu finden, scheitern aber nicht selten an der Schulaufsicht und fühlen sich im Stich gelassen.

Einer Forderung der FDP in diesem Antrag können wir allerdings nicht folgen. Wir möchten nicht, dass alle Realschulen verpflichtet werden, eine Kooperation mit gymnasialen Oberstufen einzugehen. Viele machen das bereits seit geraumer Zeit freiwillig. Kollege Weiß hat in seiner Rede bereits darauf hingewiesen. Andere haben jedoch den Schwerpunkt auf die Vorbereitung für eine duale Ausbildung gelegt. Das ist lange Tradition der Realschulen und ein Erfolgsgarant unserer Wirtschaft.

Wir möchten es den Realschulen daher weiterhin freistellen, für welchen Weg sie sich im Einklang mit unserem Schulprofil entscheiden. Meine Damen und Herren, aus Sicht der CDU-Fraktion kann durchaus ein erfolgreiches Leben, ein erfolgreiches Arbeitsleben gelingen – ohne Abitur. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Vogt. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Kollege Bas.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Übereinkommen zwischen CDU, Grünen und SPD über die Eckpunkte der Schulpolitik in NRW, dem sogenannten Schulfrieden, aus dem Jahre 2011, hat unserem Land gutgetan.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und nichts weiter, liebe CDU, wird in NRW umgesetzt.

In den vergangenen Jahren sind landesweit viele Schulen des längeren gemeinsamen Lernens entstanden. Gerade im ländlichen Raum hat diese Entwicklung eine neue Dynamik entfaltet, die parteiübergreifend auf kommunaler Ebene vielfach gelobt wird.

Seit der Einführung der Sekundarschule bieten viele Kommunen dieses neue Bildungsangebot an und kommen damit den Bedürfnissen vieler Familien in unserem Land entgegen, die sich genau überlegen, welche Bildung für ihr Kind die beste ist.

In vielen Kreisen und Städten finden wir somit ein breites Angebot an weiterführenden Schulen, zu denen neben dem Gymnasium, der Gesamtschule, der Realschule und unseren Berufskollegs nun auch die Sekundarschule gehört.

Nun aber zum Antrag der FDP, der sich mit der Realschule befasst. Ich muss gestehen, ich habe schon viele plakative Schulanträge der FDP gelesen. Dieser hier aber toppt alles. Auffällig ist, dass sich dieser Antrag aus einer Aneinanderreihung von Vorwürfen und Behauptungen zusammensetzt, die darauf abzielen, der Regierung zu unterstellen, die Realschule in NRW angeblich zu zerstören – getreu dem Motto: Wenn man nur lange genug mit Dreck wirft, bleibt schon irgendetwas hängen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nun aber schön der Reihe nach! Sie behaupten, dass Realschullehrkräfte durch die um 2,5 Unterrichtsstunden höhere Unterrichtsverpflichtung gegenüber den Sekundarschullehrkräften demotivierter seien. Worauf stützen Sie diese Behauptung? Haben Lehrkräfte an Sekundarschulen jetzt weniger zu tun als in Realschulen? Wird jetzt weniger individuell gefördert? Glauben Sie das ernsthaft?

Sie behaupten, dass an unseren Realschulen die Lehrerversorgung nicht gesichert sei und dass auslaufende Realschulen personell ausgeblutet würden. Auch hier die Frage: Worauf stützen Sie Ihre Behauptung?

Vielleicht dazu ein Beispiel aus meiner Region, in der ein solches Szenario an einer auslaufenden Realschule in Umlauf gebracht wurde. Hier stellte sich heraus, dass bestimmte Abläufe während der Umwandlung der Schule in eine Sekundarschule der Elternschaft nicht ausreichend kommuniziert wurden und dass die Versorgung der Klassen mit Lehrkräften bis zum letzten Schultag an der auslaufenden Schule gewährleistet ist.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Gebauer?

Ali Bas (GRÜNE): Danach.

Vizepräsident Oliver Keymis: Nach Ihrer Rede?

Ali Bas (GRÜNE): Genau.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann gibt es keine Zwischenfrage mehr.

Ali Bas (GRÜNE): Dieses wurde sowohl von der Bezirksregierung als auch vom MSW deutlich versichert. Wenn Sie sich hier hinstellen und mit Pauschalvorwürfen die funktionierenden örtlichen Schullandschaften wuschig machen wollen, dann sind Sie hier an der falschen Adresse.

Des Weiteren behaupten Sie, dass die Realschule beim Ausbau von Ganztagsangeboten und bei der Versorgung mit Schulsozialarbeit gegenüber den integrativen Schulen benachteiligt werde, was nicht stimmt. Auch hier die Frage: Worauf stützten Sie Ihre Behauptung?

Es trifft sich gut, dass ich gestern eine Gruppe von Lehrkräften mehrerer Realschulen zu Besuch hatte. Sie konnte ich gleich fragen, und keiner war bekannt, dass die Realschulen ihr Ganztagsangebot nicht realisieren konnten.

Zum beendeten Schulversuch zum Fach Wirtschaft an Realschulen sind wir im vergangenen Jahr mehr als ausführlich im Ausschuss eingegangen. Wie Sie sich erinnern können, gab es dazu eine Anhörung mit einer Reihe von guten Argumenten aus der Wissenschaft, diesen Schulversuch in der bisherigen Form nicht weiterzuführen, sondern in einem neuen Wahlpflichtfach Politik/ökonomische Bildung aufgehen zu lassen. Darüber hinaus wird die Verbraucherbildung künftig an allen Schulformen eine wichtige Rolle spielen.

Zuallerletzt möchte ich noch den Punkt „Anschlussperspektiven“ erwähnen. Hier reden Sie von einer mutwilligen Täuschung der Eltern und beklagen, dass die Realschulen keine verpflichtende Kooperation mit einer gymnasialen Oberstufe eingehen können und dass Rot-Grün angeblich unterschlage, dass man nach der Realschule an eine gymnasiale Oberstufe wechseln könne. Ich empfehle Ihnen hier einen Blick auf die Homepage des Schulministeriums, wo Sie an vielen Stellen über die zahlreichen Anschlussmöglichkeiten an der Realschule ausführlich informiert werden.

Ganz besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen die Handreichung „Realschule NRW – Chancen für Viele“ wo es unter anderem heißt:

„Daher sollte den Eltern und den Schülerinnen und Schülern stets verdeutlicht werden, dass alle Anschlussmöglichkeiten gegeben sind.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Antrag ist geprägt von undifferenzierten Behauptungen und Unterstellungen – für mich ein Zeichen bildungspolitischer Orientierungslosigkeit. Letztlich bauen Sie einen magentafarbenen Popanz auf, mit dem wir uns demnächst sehr gerne im Ausschuss für Schule und Weiterbildung beschäftigen werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bas. – Bleiben Sie bitte am Pult stehen, weil die FDP eine Kurzintervention angemeldet hat. Das werden Sie, Frau Gebauer jetzt wohl für die Fraktion durchführen. Bitte.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bas, Sie haben der FDP unterstellt, wir würden falsch reden, falsches Zeugnis ablegen. Sie haben aber als Mitglied des Schulausschusses auch schon von Lehrkräften, von Pädagogen hier in Nordrhein-Westfalen die entsprechenden Unterlagen zugeschickt bekommen. Ich spiele jetzt ganz bewusst auf die Personalversammlungen an, die ganz klar und deutlich artikuliert haben, was wir in unserem Antrag entsprechend gefordert haben. Das können Sie, wenn Sie es nicht vorliegen haben, bei mir noch einmal einsehen.

Ich nenne nur eine Personalversammlung, nämlich die der GEW. Diese sagt auf der Personalversammlung vom 30. September 2014:

Die Personalversammlung möge beschließen, dass sich der BPR bei den zuständigen Stellen dafür einsetzt, dass die Pflichtstundenzahl auf 25,5 Unterrichtsstunden reduziert wird.

Das ist eine GEW-Forderung, die wir hier auch aufgestellt haben. Da wundert es mich, dass Sie uns unterstellen, dass wir hier irgendwelche Behauptungen aufstellen würden, die mit der Realität, mit den Ansprüchen der Pädagoginnen und Pädagogen in Nordrhein-Westfalen nichts zu tun hätten.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Gebauer. – Herr Kollege Bas, Sie haben anderthalb Minuten für eine Erwiderung.

Ali Bas (GRÜNE): Ich stelle fest, dass Sie da gerade ein Statement abgegeben haben und keine Frage gestellt haben.

(Zuruf von der FDP: Zwischenfragen haben Sie ja nicht zugelassen!)

Nichtsdestotrotz kann ich Ihnen antworten, wenn es um die Pflichtstundenzahl beim Unterricht an Realschulen im Vergleich zu Sekundarschulen geht. Wir vergleichen hier zwei unterschiedliche Schulformen. Da gibt es unterschiedliche pädagogische Konzepte, unterschiedliche Anliegen, die sich auch in den Unterrichtsstunden widerspiegeln.

Und wenn Sie schon vergleichen: Es gibt auch an Gymnasien und an Gesamtschulen 25,5 Stunden. Sie können in Ihre Behauptung also gleich die anderen Schulformen miteinbeziehen, statt die ganze Zeit nur zu vergleichen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bas. – Damit sind wir am Ende dieses Beitrags und rufen einen Beitrag der Fraktion der Piraten auf. Den gestaltet Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Der FDP-Antrag „Rettet die Realschulen!“ Liebe FDP, Sie fordern die Landesregierung auf, der Verantwortung gegenüber Kindern und Lehrkräften in der Realschule nachzukommen. Ich persönlich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Aber ich glaube, das gilt für alle Schulformen.

Warum hier also explizit die Realschulen herausnehmen? Besteht bei anderen Schulformen kein Handlungsbedarf? Oder müssen Sie hier noch mal darstellen, dass Sie – außer dem Gymnasium – die anderen Schulformen nicht so im Blick haben? Das können Sie mir vielleicht erklären. Vielleicht ist das aber auch ein Wahlkampfauftakt bei der FDP: Rettet das dreigliedrige Schulsystem!

Es wurde gerade schon gesagt – der Antrag postuliert das auch –: massive Benachteiligung der Realschulen und die Absicht von Rot-Grün, möglichst viele Realschulen in die Auflösung zu treiben. – Wir können das so nicht nachvollziehen. Wir sagen, gerade bei den Realschulen erreicht die Lehrerbedarfsdeckungsquote doch einen relativ guten Wert. Es gibt auch keine Kienbaum-Lücke bei den Realschulen. Ich bin gespannt, was Sie im Ausschuss noch vorbringen, wie Sie untermauern werden, warum die Realschulen stiefmütterlich behandelt würden.

Sachlich betrachtet ist es selbstverständlich so, dass Schülerinnen und Schüler an Realschulen ein Recht auf guten Unterricht haben und die dortigen Lehrer angemessene Rahmenbedingungen vorfinden müssen. Aber auch das gilt nun mal für alle Schulen.

Was ich gut finde, ist die Forderung nach der flächendeckenden Versorgung aller Schulformen mit Sozialarbeitern. Hinter dieser Forderung stehen wir natürlich auch. Aber auch hier frage ich, warum die Realschulen einen besonderen Bedarf haben sollen.

Auch bei den Maßnahmen zum Ausbau der Ganztagsangebote sind wir bei Ihnen. Aber auch da die Frage: Warum nur die Realschulen? Da kann man zum Beispiel auch über Gymnasien reden.

Herr Weiß und Frau Vogt haben es schon angesprochen: die Kooperation mit anderen Schulen, mit Berufskollegs, Gesamtschulen usw. Ich glaube, dass clevere Realschulen schon heute diese Kooperation dort machen, wo sie sie brauchen. Denn wer sollte sie daran hindern?

Liebe Frau Gebauer, die Benachteiligung der Realschule, die Sie in den Raum stellen, sehen wir nicht – vor allen Dingen nicht im Vergleich mit den Sekundarschulen; der Vergleich ist einfach nicht standesgemäß. Die Realschulen bieten eine erweiterte allgemeine Bildung und befähigen dazu, den Bildungsweg in berufs- und in studienqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen. An Sekundarschulen können Schülerinnen und Schüler einfach alle Abschlüsse machen. Sie gewährleisten auch gymnasiale Standards in allen Organisationsformen.

Dieser grundsätzliche Unterschied in den Organisationsformen erfordert auch eine unterschiedliche Ausstattung. Unterschiedliche Ausstattung ist hier nicht negativ, sondern durchaus gewollt und nicht per se ein Skandal. Problematisch würde es, wenn die Ausstattung für die Erfüllung der Aufgaben nicht ausreichen würde. Da kann man tatsächlich sagen: Viele Schulen – das ist unser Eindruck in Nordrhein-Westfalen – werden auf Verschleiß gefahren, leider auch hier und nicht nur die Realschulen.

Ich bin gespannt auf die weitere Beratung im Ausschuss, ob uns dort darüber Aufschluss gegeben wird, warum wir jetzt explizit über die Realschule reden müssen und nicht auch über andere Schulformen. Ich freue mich auf die Beratung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss die tibetische Gebetsmühle bedienen, die Sie jetzt angeleiert haben, und mich wiederholen, das bleibt nicht aus.

Wir haben einen Schulkonsens in Nordrhein-Westfalen. Den haben die genannten Fraktionen beschlossen. Der ist breit getragen. Dem zufolge schafft die Landesregierung keine Schulform ab. Und daran halten wir uns, und zwar aus Überzeugung.

Die Entscheidung über Schulneugründungen und -schließungen treffen die Schulträger auf der Basis des in der Kommune festgestellten Bedarfs. Und – das wurde schon gesagt – entscheidende Faktoren dafür sind die demografische Entwicklung und das Schulwahlverhalten der Eltern.

Eines finde ich bei der FDP immer überraschend: Hier wird es bekämpft, vor Ort stimmen in der Regel viele Ratsfraktionen den neuen Schulen zu. Also: Die CDU-Bürgermeister wollen es, die SPD-Bürger-meister wollen es, andere Bürgermeister wollen es – und ganz oft sind vor Ort auch die FDP-Leute mit im Boot, sowohl was Sekundarschulgründungen als sogar auch was Gesamtschulgründungen angeht. Die kommen zu den Einweihungsfeiern und sagen mir, dass sie über den Schulkonsens froh sind, dass sie die FDP-Position im Land nicht teilen, meine Damen und Herren. Das muss an dieser Stelle vielleicht auch mal gesagt werden. Sind die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker denn alle so dumm, dass sie ihre Entscheidungen vor Ort nicht eigenverantwortlich treffen können?

Also: Die Landesregierung denkt das ausdrücklich nicht.

Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich noch mal was zu diesen Unterstellungen sagen; Herr Weiß und Herr Bas haben es schon angesprochen.

Die FDP behauptet, wir würden gezielt Fachkräfte abziehen. – Wir haben ein Personalentwicklungskonzept mit allen Hauptpersonalräten abgestimmt – im Übrigen auch mit dem Hauptpersonalrat der Realschule; interessanterweise hat der Verband sich trotzdem dagegen ausgesprochen; aber das brauche ich hier jetzt nicht zu kommentieren. Also: Alle Verbände sind sich auch der Schwierigkeit bei der Personalentwicklung bewusst, neu entstehende Schulen und auslaufende Schulen personalwirtschaftlich vernünftig auszustatten.

Das ist aber ein objektives Problem. Da halten wir uns an die Empfehlungen. Da gibt es keine Benachteiligung und keine Ansage bezogen auf irgendeine Schulformen. Es ist mir sehr, sehr wichtig, das hier noch mal festzuhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schmitz?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Aber ja – wenn Sie dann die Zeit anhalten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Machen wir.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank, werte Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Frau Ministerin, die heterogene Schülerschaft ist ja inzwischen auch bei den Realschulen längst angekommen. Wie rechtfertigen Sie jetzt noch die 28 Stunden, die die Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen leisten müssen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Wir haben diese Frage in den Beratungen zum Schulkonsens abgewogen. Wir haben hier – das hat Herr Marsching ausgeführt, obwohl er an den Beratungen zum Schulkonsens nicht beteiligt war;

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich kann lesen!)

da waren Sie noch nicht hier, okay –,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber lesen kann ich trotzdem!)

die unterschiedliche Anlage der Bildungsgänge, die gesamte breite Palette einschließlich gymnasialer Standards, zugrunde gelegt und gesagt, dass hier andere Fördermaßnahmen zu ergreifen sind.

Wenn Sie von Gleichbehandlung sprechen, dann frage ich mich: Warum fordern Sie nicht, dass die Unterrichtsverpflichtung für die Grundschulen abgesenkt wird? Ich meine, da entlarven Sie sich doch selbst.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Einen Punkt fand ich besonders bezeichnend: Sie haben behauptet, die Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen würden die individuelle Förderung weniger motiviert betreiben. – An Realschulen stehen in der Stundentafel 14 Ergänzungsstunden für die individuelle Förderung zu Verfügung. An Gesamtschulen sind es neun bis zwölf Stunden. Realschulen haben hervorragende Förderkonzepte entwickelt und werden ihrer Aufgabe gerecht. Den Lehrkräften mangelnde Motivation vorzuwerfen heißt, ihr Engagement zu verkennen. Ich finde, es ist starker Tobak, was Sie hier den Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen unterstellen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Yvonne Gebauer [FDP])

Alle Kolleginnen und Kollegen gestalten das aus, was Sie ins Gesetz geschrieben haben, nämlich individuelle Förderung in ihrem Unterricht zu verankern.

Zum Thema „Ganztag“: Alle Anträge auf Ganztagsunterricht sind von dieser Landesregierung im Rahmen der zur Verfügung gestellten Mittel genehmigt worden. Das wäre die einzige Grenze. Aber bisher haben wir das offenbar so geplant, dass wir alle Anträge genehmigen konnten. Das ist mir auch sehr wichtig.

Besonders interessant ist die Geschichte mit dem Übergang in die Oberstufe. Das hat Herr Weiß schon gesagt. Die Quote ist in der letzten Zeit sogar noch ein bisschen gestiegen, nämlich vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2013 auf 36,4 %. Da ist also überhaupt kein Handlungsbedarf, so als müsste man hier jemanden zwingen. Erfreulich ist ja, dass die Jugendlichen in ihren Entscheidungen so frei sind: mal gehen sie in ein Gymnasium, mal gehen sie aber auch in eine Gesamtschule. Das ist ein Bildungsangebot, das es, wenn es nach Ihnen ginge, für die jungen Menschen überhaupt nicht gäbe. Ich finde, das ist bezeichnend.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Letzter Punkt: Würdigung der Arbeit von Realschulen. Eine der ersten Realschulen mit Ganztag und einem tollen Konzept ist die Erich-Kästner-Realschule in Gladbeck, eine in jeder Hinsicht vorbildliche Schule. Sie ist unter den Top 20 für den deutschen Schulpreis. Ich wünsche im Namen der Landesregierung viel Erfolg und hoffe, dass sie bei den „Winnern“ ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Wir sind am Ende der Beratung. Es gibt auch keine weiteren Wortmeldungen.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/7779 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Beratung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dieser Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Beides nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

4   Die Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungs­gesetzes (KWKG) schnell und zielgerichtet vorantreiben – Nordrhein-Westfalens KWK-Potenziale nutzen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7770

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/7840 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Eiskirch das Wort.

Thomas Eiskirch (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt einen Satz, der hier immer wieder gesagt worden ist: Energiewende ist mehr als nur die Stromwende. – Der ist richtig, aber – dies stellt man fest, wenn man in Diskussionen geht – oftmals von erstaunlicher Folgenlosigkeit in der Weise, dass man keine wirklich konkreten Punkte hat, etwas, was man bei den anderen mindestens ebenso bedeutsamen Punkten nicht nur bespricht, sondern auch umsetzt. Da geht es natürlich um den Wärmebereich, da geht es um Effizienz und viele andere Dinge.

Heute reden wir noch mal ganz konkret auch über den Wärmesektor. Es gibt keine Energiewende – ich glaube, da sind wir uns auch einig – ohne die Einbeziehung des Wärmesektors. Ich bin sehr froh, dass diese Einigkeit über die Grenzen der Fraktionen und Parteien hinweg hier heute auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen deutlich gemacht werden kann.

KWK ist eine der wesentlichen Effizienztechnologien, ist wichtig, um Effizienz zu steigern, um mehr Leistung aus einzelnen Kraftwerken nutzbar zu machen. Und es ist auch eine ganz besonders wichtige Technologie, um im Klimaschutz voranzukommen.

Minister Remmel sagt gerne – wie ich finde, zu Recht –: der schlummernde Riese der Energiewende. Diesen schlummernden Riesen sollten wir aufwecken, noch größer machen und nicht nur schlicht und ergreifend am Leben erhalten.

Beim Thema „nicht nur am Leben erhalten“ bin ich auch an einem der Knackpunkte der momentanen Diskussion zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bund. Da geht es um die Frage: Gibt es die Bereitschaft beim Bund, das KWK-Gesetz schnell zu novellieren und nicht nur als Bestandteil von anderen Überlegungen zu verstehen?

(Beifall von Thomas Kufen [CDU])

Ich will hier deutlich sagen – ich glaube, für uns alle; Kollege Kufen nickt –: Aus unserer Sicht muss das schneller gehen. Ob es der 01.06., der 01.07. oder der 01.08. ist, wäre mir egal. Aber – ich sage mal unter uns, um einfach mal eine Marke zu setzen, an der man sich vielleicht orientieren kann – so ab dem 01.10. fände ich es nicht mehr besonders schnell.

Die zweite Fragestellung ist: Reicht es, den Bestand zu sichern?

Ich will ehrlich sagen: Erst einmal ist es ein gutes Signal, dass wir mehr und mehr hören, dass es dazu eine Bereitschaft gibt. Das macht deutlich, man will das Thema „KWK“. Man möchte deutlich machen: Das ist notwendig, um die Energiewende gestalten zu können.

Aber aus meiner Sicht ist die Fragestellung: Kann ich KWK-Anlagen technisch so erneuern? Kann ich Anlagen, die noch nicht eingebunden sind, einbinden?

Wenn wir einen Schub haben wollen, ist es notwendig, auch über den Bestand hinauszugehen. Das machen wir in unserem Antrag gemeinsam deutlich, indem wir sagen: Wir halten fest am 25-%-Ziel. Das unterstreichen wir noch mal eindeutig.

(Beifall von der SPD)

Kollege Kufen sagte neulich im Wirtschaftsausschuss sehr zu Recht, das Thema brenne auch auf VKU-Tagungen – nicht nur in Wuppertal – den kommunalen Unternehmen und den Stadtwerken unter den Nägeln. Das ist völlig richtig. Deswegen ist es natürlich notwendig, bestehende Erzeugung auf Kraft-Wärme-Kopplung umzustellen. Ausbau und Modernisierung müssen aber hinreichend hinzukommen. Das heißt, wir müssen ein Stück mehr schaffen.

Ich frage auch hier – das wird ja die Diskussion sein –: Ist dies möglich bei dem Deckel, den der Bund vorgibt? Wir haben in unserem Antrag nichts von einem Deckel geschrieben, sondern von 25 %. Ich werte das als gemeinsame Aussage dazu, dass im Zweifelsfall der Deckel angehoben werden sollte.

Drittens. Wir merken, dass der Bundeswirtschaftsminister durchaus auf unserer Seite ist. Ich glaube, Landeswirtschaftsminister und Landesumweltminister haben die gleiche Sichtweise. Das ist ganz wichtig. Uns geht es auch darum, dass das technologieoffen passiert.

Der Landtag Nordrhein-Westfalen kann dieses Gesetz nicht bestimmen. Der gemeinsame Antrag macht aber deutlich: Wir wollen mit den regierungstragenden Fraktionen und der CDU, die den Antrag mitgeprägt hat und mitgestaltet hat, den Parteien, Ministerien und Fraktionen in Berlin gemeinsam signalisieren, dass Nordrhein-Westfalen hier mit einer Stimme spricht, dass man ein gemeinsames Ziel verfolgt. Das ist für Nordrhein-Westfalen rund um die Energiewende eine nicht zu unterschätzende, vielleicht sogar die entscheidende Fragestellung.

Wir wollen ein deutliches Signal in unsere Region setzen, schnell ein neues Kraft-Wärme-Gesetz auf den Weg zu bringen und zu verabschieden. Erstens. Die bestehenden Anlagen müssen modernisiert werden können. Zweitens. Es muss aber auch darüber hinausgehen, im Zweifelsfall auch durch die Anhebung eines Deckels. Drittens. Es muss auch so geschehen, dass die Anlagen, die es in Nordrhein-Westfalen in der Breite der konventionellen Erzeugung gibt, eine Möglichkeit haben, entsprechend modernisiert zu werden.

Dem geänderten Antrag der Piraten würden wir unsere Zustimmung geben können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜ-NEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die CDU-Fraktion hat das Wort nun Herr Kufen.

Thomas Kufen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nahtlos an das anschließen, was der Kollege Eiskirch gesagt hat. Das haben wir ja auch in unserem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen verdeutlicht.

Die Kraft-Wärme-Kopplung, kurz: KWK, erzeugt heute schon rund 96 Terawattstunden Strom. Das ist ein Anteil von rund 16 % am Strommarkt insgesamt. Auch am Wärmemarkt beträgt der Anteil mittlerweile 20 %.

Politisches Ziel ist es, 20 % KWK-Stromanteil bis 2020 zu erreichen. Die politische Realität sieht gleichwohl etwas anders aus. Unter den aktuellen Bedingungen werden wir dieses Ziel verfehlen. Der Ausbau der KWK-Stromerzeugung wird bestenfalls stagnieren. Laut dem Branchenverband BDEW können heute und in den nächsten Jahren nur noch bestimmte KWK-Anlagen wirtschaftlich betrieben werden. Insbesondere die Erdgas-KWK-Anlagen werden in sehr schwieriges Fahrwasser geraten.

Ab 2017 erzielen nur noch die Steinkohleanlagen einen positiven Deckungsbeitrag, die mit 45 % einen hohen elektrischen Wirkungsgrad besitzen. Allerdings sind auch in diesen modernen Anlagen die Deckungsbeiträge dann so gering, dass sich neue Investitionen wahrscheinlich nicht mehr rechnen werden. Für die Betreiber steht fest, dass sie sich aktuell und zukünftig auf neue Verluste werden einstellen müssen. Das trifft nicht nur die Energiewirtschaft im Allgemeinen, sondern gerade auch die Stadtwerke, im Besonderen in Nordrhein-Westfalen.

Passend dazu ist heute der Aufmacher der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Denn mittlerweile zeigen viele Stadtwerke die rote Lampe, melden eine Schieflage, in die sie zunehmend geraten, und fühlen sich gerade mit Blick auf die Energiewende, die sie gestalten wollen, zunehmend abgehängt.

Das unterstreicht aus unserer Sicht die Richtigkeit unseres Antrags. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass die Bundesregierung ein KWK-Gesetz zeitnah novelliert, und das aus den Gründen, die wir hier gemeinsam in unseren Antrag gegossen haben.

Gemeinsam streiten wir für die Interessen des Energielandes Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam streiten wir auch gegen den Bund für das KWK-Vorreiterland Nordrhein-Westfalen; auch das will ich für die CDU-Fraktion durchaus einräumen.

Der Verband kommunaler Unternehmen warnte bereits vor Weihnachten, dass eine weitere zeitliche Verzögerung der KWKG-Novelle angesichts der erheblichen aufzuladenden negativen Deckungsbeiträge für die meisten KWK-Anlagen unternehmerisch nicht mehr hinnehmbar sei.

Also, die Aufforderung ist: Düsseldorf muss in Berlin vorstellig werden. Das wollen wir gemeinsam tun.

Vieles haben wir bereits im Landtag beraten, auch die Potenziale, auch die zukunftsweisenden Energieeffizienzaspekte, die CO2-Reduzierungsaspekte gerade im Bereich der KWK.

Grundsätzlich müssen wir die Mechanismen des KWKG für die arbeitsseitige Förderung beibehalten. Deshalb müssen wir auch weiter Investitions-, Planungs- und Prozesssicherheit gerade in Nordrhein-Westfalen gewährleisten. Insbesondere KWK-Anlagen in einem so verdichteten Raum wie Nordrhein-Westfalen sind mit Blick auf die Wärmesenken in der Industrie ein kostengünstiger und entscheidender Beitrag zu der notwendigen Energieeffizienz. Die brauchen wir, damit wir eben nicht nur bei der reinen Stromdebatte, bei der Energiewende bleiben, sondern auch eine neue Allianz zwischen Strom und Wärme eingehen können, um die Erfolge der Energiewende zu erreichen.

Deshalb brauchen wir die fortgesetzte verstärkte Fokussierung auf Klimaschutz gerade im Wärmesektor. Wir brauchen die Einführung eines Zukunftselementes zur Bestandssicherung der KWK-Anlagen, aber eben auch – das hat ja der Kollege Eiskirch deutlich gemacht – verbesserte Anreize für Neubau und Modernisierung und vor allem die Berücksichtigung von Wärme- und Kälteanlagen.

KWK hat ein großes Potenzial. Deshalb verbinden wir mit unserem Antrag auch die Hoffnung, dass die Landesregierung in Berlin erfolgreich für eine Novellierung des KWK-Gesetzes bis spätestens zum Sommer wirbt. Die Latte liegt hoch. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in dieser energiepolitischen Frage einig sind. Schön ist auch – gestatten Sie mir den Seitenhieb –, dass sich die Regierung einig ist. Das ist schon wichtig – die Einigkeit mit der Opposition ist aber noch viel schöner.

(Beifall von der CDU)

Sie können an diesem Antrag ablesen, dass Sie auch die CDU an Ihrer Seite haben, wenn es um die Interessen Nordrhein-Westfalens geht. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank Herr Kollege Kufen. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon viel über die Vorzüge der Kraft-Wärme-Kopplung gehört. Ich möchte hinzufügen: Sie ist nicht nur effizient und spart CO2-Emissionen ein. Ich finde es auch wichtig, zu betonen, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen die erneuerbaren Energien sehr gut ergänzen können, wenn sie stromgeführt werden und im Zusammenhang mit einem Wärmespeicher einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können.

Nordrhein-Westfalen hat für die Kraft-Wärme-Kopplung sehr, sehr gute Voraussetzungen: nicht nur mit der eigenen Siedlungsstruktur, der Siedlungsdichte und der Industriestruktur. Die Landesregierung hat ja auch das Ziel der Bundesregierung unterstützt, einen KWK-Stromanteil von 25 % zu erreichen, und sich ebenfalls dieses Mindestziel gesetzt. Die Landesregierung investiert mehr als 250 Millionen € – ein schöner Packen Geld, mit dem wir viel erreichen können – und unterstützt Kraft-Wärme-Kopplung von der KWK-Modellkommune über die Förderung von Klein- und Mini-BHKWs bis zur Förderung von Fernwärmenetzen.

Wenn man sich all das anhört, könnte man meinen, die Welt sei eigentlich in Ordnung. Warum müssen wir diesen Antrag verabschieden? Leider verändert sich die Realität manchmal schneller als Gesetze. Das gilt auch für das, wie ich gerne zugebe, ursprünglich gute KWK-Gesetz des Bundes. In letzter Zeit gab es vor allen Dingen am Strommarkt einige Veränderungen, die dazu führten, dass bestehende Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und erst recht neue Anlagen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind. Das wird vor allen Dingen von zwei Veränderungen verursacht:

Erstens. Die Preise an der Strombörse sind in letzter Zeit massiv nach unten gegangen. Das sorgt für gesunkene Erlöse bei den entsprechenden Anlagen.

Zweitens. Auch bei den CO2-Zertifikaten gibt es einen Preisverfall. Das sorgt für Wettbewerbsvorteile für die CO2-schleudernden Kohlekraftwerke. Insbesondere hocheffizienten und vergleichsweise klimafreundlichen Gas-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen droht unter den derzeitigen Bedingungen das Aus. Das halten wir energiepolitisch und klimapolitisch für absolut unsinnig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hinzu kommt, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen seit August 2014 auch durch die EEG-Reform belastet werden, da auch eigengenutzter Strom aus diesen Anlagen mit einem Teil der EEG-Umlage belastet wird. Das sollte in der nächsten Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes kompensiert werden. Deswegen ist es umso wichtiger, dass diese Novelle auf Bundesebene zeitnah kommt.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen – wie an vielen Stellen – Investitionssicherheit. Dafür bedarf es sicherer politischer Rahmenbedingungen. Ich möchte erwähnen, dass Pioniere wie beispielsweise die Stadtwerke Lemgo, die seit Jahrzehnten in diesem Bereich unterwegs sind, die einen Anteil von 70 % KWK-Strom in ihrem eigenen Portfolio haben und auch vorangehen, zum Beispiel was das Thema „Elektrokessel“ angeht, Alarm schlagen. Spätestens das sollte für uns ein Hinweis sein, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Daher freue ich mich über das wichtige gemeinsame Signal, das wir heute aus diesem Landtag nach Berlin senden, mit dem wir alle gemeinsam klar sagen: Wir benötigen eine schnelle Novelle des Kraft?Wärme-Kopplungsgesetzes, die für sichere Rahmenbedingungen für neue, aber auch für bestehende Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sorgt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kraft-Wärme-Kopplungs-gesetz soll überarbeitet werden. Der Anfang Oktober 2014 vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegte Evaluierungsbericht einschließlich einer Potenzial- und Kosten-Nutzen-Analyse zu KWK zeigt dringenden Novellierungsbedarf beim KWK-Gesetz. Ich denke – das ist hier ja auch deutlich geworden –, bis hier gibt es keine streitigen Punkte.

Meine Damen und Herren, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind seit rund zwei Jahren in einer äußerst angespannten wirtschaftlichen Situation. Der Neubau von Kohle- und Gaskraft-KWK-Anlagen ist unwirtschaftlich. Ähnlich wie Gaskraftwerke der allgemeinen Versorgung sind auch Gas-KWK-Anlagen im Betrieb nicht mehr rentabel, weil der mit 23 Milliarden € subventionierte EEG-Strom die Börsenpreise nach unten gedrückt hat. Um das einmal deutlich zu machen: Die EEG-Umlage mit 6,17 Cent je Kilowattstunde ist fast doppelt so hoch wie der Börsenstrompreis. Es ist also kein Wunder, dass die KWK-Ausbauziele für 2020 derzeit nicht einzuhalten sind.

Das sind die Fakten. – Jetzt zum Antrag – bemerkenswerterweise – von SPD, Grünen und CDU, der die Landesregierung auffordert, sich im Bund für KWK einzusetzen.

Dazu muss ich sagen: Das ist ein regelrechtes Armutszeugnis. Ihre drei Fraktionen stellen im Bundestag 89 % aller Abgeordneten – und Sie fordern, dass sich die Landesregierung auf den Weg macht, sich für KWK einzusetzen. Warum reden Sie denn nicht einfach einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, anstatt diesen Antrag einzubringen?

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind aber doch schon 15 Jahre dabei!)

Gemäß Ihrem Antrag wollen Sie das Vorziehen des KWK-Gesetzes unabhängig von den Überlegungen zum Design des Strommarktes. Das ist wieder ein Punkt, worüber man sich wundern muss. Denn in jeder Podiumsdiskussion zur Energiepolitik ist man sich über fast alle Parteigrenzen hinweg einig, dass wir möglichst bald ein neues Strommarktdesign benötigen. Sie nicken, Herr Kollege Eiskirch. Nun wollen Sie diesen einen Punkt vorziehen. Wir müssten doch heute eigentlich fordern, dass der Bund endlich in die Gänge kommt und ein neues Strommarktdesign vorlegt, um endlich eine Gesamtkonzeptionierung zu haben

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wo wird denn etwas vorgezogen?)

und nicht wieder einzelne Maßnahmen vorzuziehen. Mit diesem Antrag setzen Sie die zu Recht beklagte Flickschusterei in der Energiepolitik fort. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass seitens des Bundes endlich ein Gesamtkonzept vorgelegt wird und man dann die entsprechenden Maßnahmen so anpasst, dass sie auch zusammenpassen.

Meine Damen und Herren, deshalb werden wir diesem Antrag heute nicht zustimmen. Der Änderungsantrag der Piraten verbessert den Antrag, weshalb wir uns bei diesem der Stimme enthalten werden. Aber dem Ursprungsantrag können wir eben nicht zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer draußen und drinnen! Wir debattieren heute über einen gemeinsamen Antrag von Regierungsfraktionen und CDU zur Kraft-Wärme-Kopplung. Es ist erfreulich, dass man zu einem gemeinsamen Antrag hat finden können. Das ist genauso erfreulich wie die Kraft-Wärme-Kopplung selbst.

Ich zitiere einmal aus unserem Wahlprogramm:

„Die PIRATEN NRW sehen im weiteren Fortbestehen der Förderung von insbesondere dezentraler KWK (Energieerzeugung in Bürgerhand: Kleinst-Blockheizkraftwerke) und dem Ausbau regionaler Wärmenetze einen direkten Weg, die effiziente Erzeugung und Nutzung von Energie sicherzustellen und zu verbessern. Grundsätzlich ist bei der Energieerzeugung, die thermische Prozesse nutzt, KWK vorzusehen. Ein entsprechender Ausbau ist auch eine Infrastrukturmaßnahme, die Aufgabe des Landes ist. Dabei ist eine enge planerische Zusammenarbeit mit regionalen Strukturen vorzusehen.“

Die Kraft-Wärme-Kopplung ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie die Energiewende kleinteilig, lokal und regional vorankommt. Sie hilft mit, auf Produzenten- und Anbieterseite weg vom schädlichen Oligopol und hin zum volkswirtschaftlich und ordnungspolitisch sinnvollen und erwünschten Polypol zu kommen.

Es ist richtig, dass Nordrhein-Westfalen große Potentiale hat und dass diese genutzt werden müssen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Marktbedingungen wird die Kraft-Wärme-Kopplung-Stromer-zeugung bis zum Jahr 2020 gegenüber dem heutigen Stand stagnieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

In der Kraft-Wärme-Kopplung-Studie der Landesregierung fällt auf, dass das Potential sehr sensibel auf die Rahmenbedingungen reagiert. Die Fördersituation spielt also eine zentrale Rolle. Wir brauchen Investitionssicherheit, was die Förderung im KWK-G nach 2016 angeht, denn das hat unmittelbar Einfluss auf die sich über Jahre hinziehende Ausschöpfung von KWK-Potentialen. Die von der Landesregierung angestrebte Verdoppelung der KWK-Nutzung scheint nach Aussage der Potentialstudie mittelfristig problemlos möglich zu sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Wichtig ist, dass KWK einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Das Öko-Institut berechnete im Jahr 2014 die CO2-Einsparungen, indem es die Emissionen der gekoppelten Erzeugung denen einer getrennten Strom- und Wärmeerzeugung gegenüberstellte. Es ergaben sich knapp 40 Millionen t Einsparungen von CO2-Emissionen. Das Erreichen hoher Anschlussgrade ist von essentieller Bedeutung, besonders um vorhandene Wärmesenken anzubinden. Dies erfordert eine entsprechende politische Flankierung.

Deshalb unser Änderungsantrag. In der Begründung des ursprünglichen Antrages werden Wärmespeicher und Verteilnetze erwähnt. In den Forderungen tauchen sie jedoch nicht ausreichend auf. Die Unterstützung von Nah- und Fernwärmenetzen ist schön und richtig; besser und genauer ist aber die Förderung von Nah- und Fernnetzen für Wärme und Kälte sowie die Förderung von Wärme- und Kältespeichern. Wir möchten das ergänzen, damit das insgesamt eine runde Sache wird. Mit diesem Zusatz ist der Antrag dann auch ohne Vorbehalte zustimmungsfähig. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal bin ich sehr dankbar, dass der Landtag Nordrhein-Westfalen fast in seiner vollständigen Breite das für Nordrhein-Westfalen so wichtige Ziel unterstützt, den KWK-Ausbau voranzubringen und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Auch die inhaltlichen Aussagen, die Sie zu der Vorzüglichkeit der KWK-Erzeugung getroffen haben, sind durch nichts zu ergänzen.

Mir ist aber wichtig, zu Beginn unserer Argumentation noch einmal zu betonen, dass wir in Nordrhein-Westfalen schon gute Vorarbeiten beim Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung auf den unterschiedlichen Ebenen geleistet haben, sei es in Konzeption, sei es in Potentialstudien, sei es in Modellprojekten, sei es bei der Förderung von Mikro-KWK und entsprechender Nah- und Fernwärme. Diese Projekte finden schon in Nordrhein-Westfalen statt.

An dieser Stelle möchte ich unterstreichen: Ja, wir haben fehlende Rahmenbedingungen. Trotzdem haben sich Unternehmen in Nordrhein-Westfalen entschlossen, in Kraft-Wärme-Kopplung zu investieren. Die zwei großen Kraftwerke, die derzeit in diesem Rahmen gebaut werden, werden in Nordrhein-Westfalen gebaut, nämlich in Düsseldorf und in Köln. Das muss man in jeder Diskussion voranstellen, wenn behauptet wird, dass sich in diesem Sektor zurzeit nichts täte. Es gab also den Mut der Investoren, ein Stück voranzugehen.

Wir sind schon in Vorleistung eingetreten. Jetzt muss aber auch die Bundesregierung mit den nötigen Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau sorgen und vor allem die Zurückhaltung bei den Investitionen beseitigen. Das ist der Hauptgrund, warum wir drängen, jetzt eine Entscheidung zu treffen. Es gibt viele Investoren – gerade hier am Industriestandort –, die gerne investieren würden. Sie warten aber ab, wie die Rahmenbedingungen sein werden. Deshalb gilt es, hier schnell Sicherheit für entsprechende Investitionen zu schaffen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Für unser Bundesland, aber auch für die Energiewende und den Klimaschutz schlechthin ist die KWK in der Tat so etwas wie der archimedische Punkt. „Cogito ergo sum“ heißt hier „KWK ergo sum“. Die KWK hat in Bezug auf beides eine Ausgleichswirkung. Sie gleicht zwischen Energieeffizienz, Energienutzung, Stromerzeugung und Wärme aus. Damit also findet sie, was die Ausgleichswirkung angeht, einen fast alchemistischen Punkt. Dabei geht es um die Umwandlung des einen in das andere. Sonst gibt es das nirgendwo. Das ist das entscheidende Argument.

Herr Brockes, ich muss Ihnen widersprechen. Alle sind sich einig, dass Flexibilitätsoptionen im Rahmen des Strommarktdesigns die erste Option sein müssen. Mit KWK haben wir eine Flexibilitätsoption schlechthin. Deshalb ist das auch nicht abgeleitet von einem Strommarktdesign zu diskutieren und umzusetzen, sondern es ist zwingende Voraussetzung, gerade das zu tun.

Ich meine, dass die Bundesregierung hier auch im Wort steht. Die Bundesregierung hat versprochen: Das Nächste, was wir im Rahmen der EEG-Novellierung anpacken, ist die KWK-Novellierung. Darauf wartet jetzt die Landschaft. Nordrhein-Westfalen wartet darauf. Deshalb darf es nicht zurückgestellt werden, und deshalb darf es auch nicht – was meine Befürchtung ist – zur Verhandlungsmasse in Bezug auf andere Fragen gemacht werden. Es gibt ein Recht und eine Notwendigkeit an sich, jetzt zur Novellierung zu kommen. Deshalb hat sich die Landesregierung vorgenommen, auch mit Unterstützung der Fraktionen im Bundesrat dazu eine Initiative mit genau den Inhalten zu ergreifen, die Sie uns heute mit auf den Weg geben.

Ich bitte aber auch Sie, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf Ihren Wegen in Berlin dafür zu werben; denn es ist natürlich ein nordrhein-westfälisches Spezifikum. Vielleicht trifft das noch auf Baden-Württemberg und ein paar andere Länder zu, die einen hohen Industriebesatz haben und insofern auch den Ausgleich zwischen den Energieformen zum Vorteil gestalten können.

Also herzlichen Dank für diese Unterstützung. Wir sind aber noch am Anfang eines Weges, den wir gemeinsam – auch in Berlin – erfolgreich bestreiten müssen. Dafür bitte ich herzlich um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Piratenfraktion. Er liegt Ihnen als Drucksache 16/7840 – Neudruck – vor. Wer möchte diesen Änderungsantrag annehmen? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Kein Abgeordneter. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag 16/7840Neudruckangenommen.

Wir stimmen zweitens ab über den Antrag der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/7770. Die antragstellenden Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages. Wer möchte dem zustimmen?

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Selbstverständlich, Frau Kollegin – das hatte ich jetzt vorausgesetzt –, in der geänderten Fassung. – Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das ist die FDP-Fraktion. Enthält sich ein Kollege der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/7770 in der geänderten Fassung mit großer Mehrheit angenommen.

Ich rufe auf:

5   Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen (BauGB-AG NRW)

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/7774

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7841

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Breuer das Wort. Bitte sehr.

Reiner Breuer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat im Dezember letzten Jahres in seiner letzten Sitzung …

(Unruhe)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege. – Ich darf Sie doch sehr herzlich bitten, meine Kolleginnen und Kollegen, so Sie denn den Saal wirklich verlassen müssen, es doch leise zu tun. – So, Herr Kollege, bitte schön.

Reiner Breuer (SPD): Danke schön. – Meine Damen und Herren, der Landtag hat in seiner letzten Sitzung im letzten Jahr einstimmig ein Änderungsgesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches des Bundes beschlossen. Dieses Gesetz ist, um es einmal vorsichtig zu sagen, ein wenig verunglückt. Umso wichtiger ist es, dass der Landtag hier sehr einstimmig eine klare inhaltliche Position bezogen und deutlich gemacht hat, dass er einen kleinen, bescheidenen Beitrag dazu leisten will, den fortschreitenden Strukturwandel in der Landwirtschaft zu unterstützen.

Wir waren uns in der Diskussion ebenso darüber einig, dass wir Landwirten, die im sogenannten privilegierten Außenbereich einen Hof haben und dessen Nutzung dort aufgeben müssen, eine Folgenutzung ermöglichen wollen. Damit möchten wir ihnen auch eine neue Existenzgrundlage sichern.

Wir wollen schließlich auch nicht, dass dort Nutzungen aufgegeben und diese Gebäude dort dann dem Verfall und dem Leerstand ausgesetzt sind. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch nicht, dass es zur Zersiedelung der Landschaft im Außenbereich kommt. Das sieht auch der Bundesgesetzgeber genauso. Er hat deswegen im Baugesetzbuch einen Rechtsrahmen beschrieben, unter welchen Voraussetzungen eine Folgenutzung im Außenbereich ermöglicht werden soll – oder auch nicht.

Das Einzige, was wir hier im Landtag zu beschließen und auszufüllen haben, ist die Frage, ob man das innerhalb einer Siebenjahresfrist nach Aufgabe des Hofes erklären muss oder ob man sich dafür mehr Zeit nehmen darf. Um nicht mehr und nicht weniger geht es bei diesem Gesetz. Wir dürfen hier noch einmal feststellen, dass wir seitens der Koalitionsfraktionen dafür sind, dass man die Siebenjahresfrist weiter aussetzt.

Es herrscht darüber „Streit“, für wie lange diese Siebenjahresfrist weiter ausgesetzt werden soll. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass man das jetzt für weitere vier Jahre – nicht etwa drei Jahre, wie Herr Hausmann in einer Pressemitteilung erklärt hat – macht und dass wir anschließend dieses Gesetz in seinen Wirkungen Ende 2018 noch einmal evaluieren wollen.

Frau Philipp hat in der letzten Plenarrede sehr ausführlich dargestellt, in welchen Punkten dies aus unserer Sicht auch erforderlich erscheint.

CDU und FDP wollen weiterhin ein Gesetz mit Ewigkeitsgarantie und ohne Kontrolle schaffen und wollen das mit ihrem Antrag heute auch noch einmal deutlich machen. Wir lehnen ihn allerdings ab. Denn wir wollen materiell-rechtlich genau das noch einmal durch den Landtag beschließen lassen, was wir hier im Dezember schon einmal einstimmig beschlossen haben, und davon wollen wir auch nicht abweichen.

Wir müssen aber leider feststellen, dass wir es noch einmal beschließen müssen, weil eine Prüfung durch die Landtagsverwaltung und die Landesregierung ergeben hat, dass der Gesetzesbeschluss des letzten Jahres an einem formellen Mangel leidet und seitdem mit diesem behaftet ist. Wir finden das sehr ärgerlich und möchten das hier auch nicht verhehlen. Jedoch muss man auch feststellen, dass hierdurch kein Schaden für die Betroffenen entsteht und wir heute ohne Probleme eine Heilung herbeiführen können. Ich bin auch dankbar dafür, dass alle Fraktionen den Weg hierzu eröffnet haben, dies heute zu tun.

Wir wollen also heute inhaltlich exakt das beschließen, was wir schon einmal einstimmig im Dezember beschlossen haben. Deswegen finde ich es etwas irreführend, dass Herr Hausmann in seiner Pressemitteilung vom 20. Januar hier behauptet hat, dass das nicht der Fall sei. Ich finde es auch irreführend, dass hier behauptet wird – ich zitiere –, dass „klammheimlich und ohne Rückkoppelung mit den übrigen Landtagsfraktionen“ ein neuer Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden sei.

Das ist nicht zutreffend. Das wissen Sie auch. Dieses Verfahren ist mit den Geschäftsführungen der Fraktionen verabredet. Deswegen verstehe ich die Kritik an dieser Stelle auch nicht.

Ich möchte zugleich noch einmal betonen, dass wir inhaltlich exakt das beschließen wollen, was wir bereits im Dezember beschlossen haben. Was sollten wir Ihnen hier denn sonst vorlegen?

Reflexartig nach Skandal zu rufen ist vielleicht die Art von Herrn Hausmann, weil er gerade baupolitischer Sprecher seiner Fraktion geworden ist. Er bedarf vielleicht noch der Profilierung. Wir brauchen das nicht. Wir wollen diesen Sachverhalt ganz sachlich abarbeiten und die Aussetzung der Siebenjahresfrist rechtlich auf sichere Beine stellen. Dafür bitten wir um Ihre Unterstützung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Breuer, Sie haben hier ein bisschen viel weiße Salbe verteilt. Fakt ist: Ja, es war zwischen den Geschäftsführungen abgesprochen, dass wir hier einen Heilungsprozess herbeiführen wollen. Wir hätten uns aber gewünscht, dass Sie uns an der textlichen Situation ein Stückchen früher beteiligen, als Sie es dann getan haben.

Es ist Folgendes passiert: Sie haben etwas zu lange auf Ihre Meinungsfindung in der Koalition gewartet. Deswegen haben wir erst spät im Dezember die Entscheidungen treffen können. Der Koalitionsfriede war zu sichern. Insofern haben Sie sehr lange gebraucht, um eine Antwort auf unsere Gesetzesinitiative vom 20. Juni 2014 zu finden.

Herr Breuer, was Sie hier wahrscheinlich schamhaft verschwiegen haben, ist die Anhörung, die wir hatten. In der Anhörung waren alle Experten anwesend. Ich war gerade neu in Ihrem bzw. unserem Ausschuss. Ich habe eine solche Anhörung noch nicht erlebt, in der alle Experten ein positives Votum zu einem Gesetzesentwurf abgeben und sagen: Ja, es ist der richtige Weg, auf eine Siebenjahresfrist zu verzichten, wenn man die positiven Effekte berücksichtigt, die wir damit erzielen können, nämlich einen Substanzerhalt, die Verhinderung weiterer Zersiedelung und gleichzeitig sozusagen die Sicherung von Ortsbildern durch Erhalt von Gebäuden. Das alles war die Substanz in dieser Anhörung, der Sie ebenfalls beigewohnt haben. Insofern waren wir schon in der Debatte nicht glücklich über Ihre neue Befristung dieses Sachverhaltes.

Deswegen geben FDP und CDU Ihnen jetzt noch einmal die Möglichkeit, hier der Anhörung Rechnung zu tragen. Damit auch ein Stück weit Ihrem Wunsch entsprochen wird, das im Auge zu behalten, schlagen wir vor, die Landesregierung jeweils nach fünf Jahren berichten zu lassen, welche Effekte eingetreten sind. Wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen könnten, würden wir mit vollem Herzen zustimmen, Herr Breuer, aber leider müssen wir wohl befürchten, dass Sie auch heute wieder nicht bereit sein werden, über Ihren Schatten zu springen.

Wer ein Gesetz auf den Weg bringt, das sich auf einen Sachverhalt bezieht, der einen Tag vorher außer Kraft gesetzt ist, muss sich nicht wundern, wenn das Gesetz dann nicht trägt. Deshalb ist es sehr unerquicklich, aber sehr wahrscheinlich auch Ihrer Unentschlossenheit in der Koalition zu verdanken, dass wir vor der heutigen Situation stehen.

Es ist gut, wenn eine Regelung für den ländlichen Raum auf den Weg gebracht wird, sodass Übergänge gestaltet werden können. Denn in der Anhörung wurde auch deutlich, wie schwierig es ist, im ländlichen Raum letztendlich einen Eigentumsübergang zu gestalten, Erbnachfolgen zu regeln und gleichzeitig Gebäudesubstanz zu erhalten. All das war Bestandteil der Anhörung. Deswegen war der Tenor der Anhörung: Verzichtet auf eine Fristsetzung, entfristet dauerhaft.

Leider sind Sie offensichtlich auch heute nicht bereit, über diesen Schatten zu springen. Dadurch wird das, was Sie vorlegen, nicht besser. Allerdings ist das, was Sie vorlegen, besser als gar nichts. Deswegen würden wir am Ende zustimmen. Allerdings geht uns das – das sagen wir ganz deutlich – nicht weit genug. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Schneckenburger das Wort.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich wirklich darüber, Herr Hovenjürgen, dass die Tonlage, die Sie jetzt hier angeschlagen haben, deutlich moderater ist, als es die Aufstellung der CDU im Dezember war. Das ist schon einmal ein Schritt nach vorne.

(Zurufe von der CDU)

Allerdings haben Sie in der Sache wiederum einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Grunde genommen immer nur „Weiter so, weiter so!“ sagt, mit einer Berichtspflicht, die aber keinerlei Auswirkungen auf die Praxis des Baugesetzbuches hätte.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wer sagt das denn?)

Wir sehen das anders. Wir sind dafür, in eine ernsthafte Debatte um die Frage einzutreten, wie mit der Siebenjahresfrist im Baugesetzbuch umzugehen ist und dies auch ernsthaft zu evaluieren. Wenn man zwar die Evaluierung in seinen Gesetzesvorschlag hineinschreibt, aber gleichzeitig sagt, die Dinge sollen weiterlaufen, wäre das keine ernsthafte Evaluierung.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir wollen wirklich im Auge behalten, was sich im ländlichen Raum verändert. In dem Zusammenhang möchte ich auch gar nicht verhehlen: Wir sehen eine dauerhafte Aussetzung der Siebenjahresfrist durchaus kritisch, würden uns aber durch eine Evaluation natürlich gegebenenfalls an der Stelle auch noch einmal korrigieren. Das setzt aber voraus, dass man wirklich in einen ernsthaften Prozess miteinander einsteigt.

Wir sehen die dauerhafte Aussetzung deswegen kritisch, weil der konsequente Schutz des Außenbereichs aus unserer Sicht im Vordergrund stehen muss. Durch eine unbefristete Nutzung kann eine unbeschränkte und auch nach und nach stattfindende Nutzung aber schlecht gesteuert werden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schemmer zu?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Immer gerne, Herr Präsident.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Schemmer.

Bernhard Schemmer*) (CDU): Schönen Dank. – Sie haben ja nun durch Hin- und Herdiskutiererei an dem in der Anhörung Gesagten vorbei bis eine Stunde vor der entsprechenden Plenarsitzung keine Einigung zwischen Rot und Grün hingekriegt. Das heißt: Sie haben sehr lange diskutiert, obwohl die Sachlage sehr klar war. Meine Frage: Wäre dann, wenn man nach einer so langen selbst verursachten Diskussion kein rechtskräftiges Gesetz zustande kriegt, im Vortrag hier nicht ein bisschen mehr Demut angesagt?

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP] – Norbert Meesters [SPD]: Da kennen Sie sich aus!)

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Schemmer. In Sachen Demut orientiere ich mich immer gerne an Ihnen.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In der Tat haben wir miteinander sorgfältig diskutiert. Ich finde, es steht einer Koalition auch gut zu Gesicht,

(Beifall von der SPD)

dass sie unterschiedliche Auffassungen in der Sache miteinander austrägt und am Ende versucht, dennoch einen gemeinsamen Weg zu formulieren. Das ist an dieser Stelle gelungen. Es gelingt auch an anderen Stellen.

(Jochen Ott [SPD]: Bei der CDU ist das immer schwer!)

Richtig ist, dass es eine rechtliche Unsicherheit in der Frage gab, wie die zeitliche Befristung des Gesetzes denn nun zu verstehen ist, die wir ausräumen wollten. Deswegen kommen wir damit auch noch einmal ins Parlament, um diese Unsicherheit auszuräumen. Sie können aber ganz sicher sein, Herr Schemmer, dass diese Koalition an der Diskussion um die Frage des Baugesetzbuches keinen dauerhaften Schaden erleiden wird und auch nicht erlangt hat.

Warum sähen wir eine Entfristung kritisch? Nachfolgenutzungen ziehen immer neue Verkehre nach sich. Sie ziehen in der Konsequenz auch Versiegelungen nach sich.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Herr Hovenjürgen, wenn man die Dinge ernsthaft betrachtet, muss man sich auch noch einmal mit der Frage befassen, ob Nachfolgenutzungen gegebenenfalls auch schwierige Situationen, Konkurrenzsituationen, Konfliktsituationen mit landwirtschaftlichen Nutzungen nach sich ziehen. Was passiert denn da eigentlich im Raum? Es gibt ein Interesse der Eigentümer, ihren Besitz auch weiter zu verwerten. Das ist richtig. Das ist in Ordnung. Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe des Planungsrechtes, solche Nutzungskonflikte miteinander auszutarieren. Ich finde, dass es auch im Interesse der bäuerlichen, landwirtschaftlichen Nutzungen sein müsste, diese Interessenkonflikte anzugehen und gegebenenfalls auch nach einer Lösungsmöglichkeit zu suchen.

Darum haben wir Ihnen einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch gelegt, der jetzt noch einmal endgültig klarmacht, wie das weitere Verfahren sein wird, und damit Rechtsunsicherheiten beseitigt.

Dann haben wir die Chance, miteinander im Jahr 2018 auf der Grundlage einer Evaluation, bei der noch einmal genau geschaut wird, wie die Entwicklung im ländlichen Raum sich vollzogen hat, und Fragestellungen miteinander definiert werden, abschließend eine gegebenenfalls veränderte gesetzliche Regelung zu finden oder auch die bisherige Regelung fortzuschreiben. Ich finde, das ist ein sauberes Verfahren, das auch allen Beteiligten die Chance gibt, sich in diesen Prozess einzubringen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Schneckenburger. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Diskussion ist deutlich geworden, dass man hier in wenigen Worten skizzieren muss, wie es denn nun wirklich war. Es gab einen Antrag von CDU und FDP, der sachlich-inhaltlich begründet war. Dieser Antrag ist in einer Anhörung geprüft worden. Ich habe selten eine Anhörung erlebt, bei der es so viel Zustimmung gab.

Die von Frau Kollegin Schneckenburger eben fadenscheinig vorgebrachte Argumentation in Bezug auf Verkehr, Landwirtschaft und Besitzverhältnisse spiegelt vorgebliche Probleme, zum Beispiel eine zusätzliche Versiegelung, vor. Das ist in der Anhörung besprochen worden. Es ist dort von allen Sachverständigen in toto vollständig abgelehnt und als Scheinargument bezeichnet worden.

(Widerspruch von der SPD)

Der nächste Punkt war, dass kurz vor der Plenarsitzung ein zusammengeschusterter Gesetzentwurf der Koalition vorgelegt wurde, der – und das ist das Problem – nicht nur rechtliche Unsicherheiten beinhaltete, sondern sogar einen Rechtsbruch darstellte.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hört, hört!)

Er war rechtlich nicht haltbar, wie wir später festgestellt haben. Das muss man so deutlich sagen.

Wir haben diesem Gesetzentwurf dann mit Bauchschmerzen zugestimmt, weil wir gesagt haben: Das ist wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung.

Viel wichtiger ist aber, jetzt einmal darüber zu sprechen, wie wir hier formal miteinander umgehen. Wir haben den CDU/FDP-Antrag, der nach wie vor richtig war und richtig ist. Dieser Antrag hat letztendlich die Zielrichtung, zu sagen: Jawohl, wir wollen das abschaffen. – Als CDU und FDP sind wir es gewohnt, uns selbst infrage zu stellen und unsere Gesetze nach fünf Jahren zu überprüfen. Das haben wir dort hineingeschrieben. Sie legen jetzt einen neuen Gesetzentwurf vor, der eine Verlängerung von drei Jahren vorsieht.

(Reiner Breuer [SPD]: Vier!)

Darüber kann man denken, was man will. Aber wie gehen wir miteinander um? In Ihrer Gesetzesbegründung schwiemeln Sie da herum, indem Sie schreiben, das habe das Ziel nicht erreicht; es sei keine wirksame Verlängerung möglich. – Meine Damen und Herren, ich nehme Ihnen nicht übel, dass da ein Fehler gemacht worden ist. Wer arbeitet, macht Fehler. Wenn jemand zu seinem Fehler steht, ist es in Ordnung. Das wird abgearbeitet. Sie versuchen hier aber, etwas zu vertuschen, indem Sie schreiben, das habe das Ziel nicht erreicht; die Wirksamkeit habe nicht erreicht werden können.

Genau das meinte Herr Kollege Schemmer eben: Ein bisschen mehr Demut wäre im Hinblick auf die eigenen Fehler schon richtig gewesen. Das muss man hier deutlich sagen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir werden heute natürlich unserem eigenen Antrag zustimmen. Selbst wenn Sie wider besseres Wissen unserem Antrag nicht zustimmen sollten, werden wir auch diesmal Ihrem Gesetzentwurf zustimmen,

(Beifall von Reiner Breuer [SPD])

weil er wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung ist. Da sind wir konsequent.

Ich habe nur noch eine Frage, die vielleicht der Kollege Groschek gleich beantworten kann. Das alte Gesetz – das haben wir ja hin und her diskutiert, Herr Schemmer – ist doch veröffentlicht. Insofern müssen wir jetzt auch veröffentlichen, dass wir das alte Gesetz zurückziehen und ein neues Gesetz beschließen. Ich fände es gut, wenn deutlich würde, warum jetzt ein neues Gesetz gemacht worden ist, anstatt hier etwas zu vertuschen und zu verschwiemeln. Das ist einfach peinlich. So etwas ist dieses Hauses unwürdig. – Schönen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank! – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind nicht mehr viele Zuschauer da, die ich jetzt verwirren kann.

Wir könnten es uns einfach machen und könnten jetzt hier sagen: „Wir tun etwas für den Strukturwandel in der Landwirtschaft, und wir tun etwas für den ländlichen Raum“, und es dabei belassen. Dann weiß jeder, was wir hier machen. Wir könnten das noch ein bisschen ausführen und sagen: „Wir tun auch was für Landwirte oder Ex-Landwirte, die ehemalige Landwirtschaftsgebäude sinnvoll nachnutzen wollen, obwohl sie relativ weit draußen liegen.“ – Das wäre die einfache Variante.

Was wir wirklich tun, habe ich versucht, 13 Passanten irgendwie näherzubringen. Meistens habe ich dazu irgendwann einen Flipchart gebraucht – gut, dass die Passanten meistens in der Nähe der Piratenfraktion rumliefen und ich einen Flipchart dabei hatte – oder irgendwelche Vergleiche mit Ampelanlagen und Kuhherden gezogen. Na ja, gut.

Was wir tun, ist eigentlich, erst einmal einen Satz zu verabschieden, nämlich den Satz – einen einzigen Satz hat dieses Gesetz, das wir heute machen wollen, plus einen Satz, der das Inkrafttreten regelt –,

(Zuruf von der SPD: Ja, das wissen wir!)

dass wir eine Frist eines anderen Gesetzes hier auf Landesebene aussetzen.

Ich wollte jetzt gar nicht weiter in die Tiefe gehen, weil das wahrscheinlich auch schwer verständlich ist. Aber ich habe gemerkt: Selbst Herr Ellerbrock hat es nicht verstanden.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Och! – Weitere Zurufe: Das wäre aber neu! Das kann doch nicht sein!)

Was wir jetzt heute machen – Kurzform des Ganzen ist: Wir haben ein Bundesgesetz, da gibt es eine Frist, eine bestimmte Frist, in der man etwas machen kann und danach nicht mehr. Dann wurde gesagt: „Okay, die Länder können diese Frist aussetzen“, anstatt dass man einfach beim Bundesgesetz ansetzt und das streicht. Gut, die Länder können das einzeln streichen.

Wir haben also ein Gesetz, das etwas anderes aussetzt. Das ist schon mal interessant. So. Dann haben wir dieses Gesetz, das galt bis 2014. Und dann gab es einen Gesetzentwurf, ein Änderungsgesetz, von CDU und FDP. Die wollten eine Berichtspflicht einführen und 2014 rausschmeißen.

Dann gab es noch einen Änderungsantrag des Änderungsgesetzes für das Gesetz, das die Frist aussetzt, das Gesetz vom Bund. Das sagte: erst 2018. Da war ein Bug drin.

Aber interessant ist – weshalb ich vorhin sagte, dass Sie das nicht verstanden haben –: In ihrem Änderungsgesetz war der Bug auch schon.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Nein, eben nicht!)

Da stand nämlich – ich erkläre es jetzt so, dass die Zuschauer es wahrscheinlich nicht verstehen –:

(Zuruf von der FDP: Sie reden so, als hätten Sie es selber nicht verstanden!)

Hinzugefügt wird § 3 ...

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Hinzugefügt wird § 3, und dort steht: tritt am Nachfolgetag in Kraft. – Aber Sie fügen auch – Sie machen einen Programmierfehler, Sie nehmen die falsche Variable – den § 3 dem ursprünglichen Gesetz hinzu. Damit ist da genau der gleiche Fehler drin wie später in dem rot-grünen Gesetz.

Das ist aber niemandem aufgefallen, übrigens auch in der Anhörung nicht. Die fanden das alle gut, nur inhaltlich-formal hat es niemand geprüft.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bayer, trotz Ihrer Erklärungen ist bei Herrn Kollegen Ellerbrock eine Frage offen geblieben.

(Heiterkeit)

Würden Sie die zulassen?

Oliver Bayer (PIRATEN): Dann gucken wir mal. Ich lasse die Frage zu.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay. Bitte, Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Kollege Bayer, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der von CDU und FDP vorgelegte Antrag rechtlich einwandfrei ist, weil er die eben von Ihnen angesprochene Problematik in einem eigenen Punkt – nämlich Nummer 3 – rechtlich klar definiert hat, und somit rechtsgültig wäre, im Gegensatz zu dem darauf bezogenen Änderungsantrag?

(Beifall von der CDU)

Sollten Sie dieses so nicht anerkennen können ...

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das war die Frage, Herr Kollege. Das reicht.

Oliver Bayer (PIRATEN): Ja, da steht aber, dass § 3 dem Gesetz hinzugefügt wird. Sonst hätten Sie ja trennen müssen: § 1: Gegenüberstellung, Änderung des alten Gesetzes; § 2: Dieses Änderungsgesetz tritt nach Verkündigung in Kraft.

(Zuruf von der CDU)

Es ist eigentlich egal, wer schuld ist; ich wollte es nur klarstellen.

(Lachen von der CDU)

Tatsache ist, dass wir jetzt ein neues Gesetz haben, und wir haben noch einen Änderungsantrag für das neue Gesetz. Wir machen es heute ein bisschen einfacher: Das neue Gesetz ändert nicht das alte, sondern es ist einfach ein neues Gesetz.

Das neue Gesetz stellt eigentlich das her, was wir im Dezember beschlossen haben. Zu Recht haben CDU und FDP noch einmal einen Änderungsantrag eingebracht, der die Berichtspflicht reinschreibt, aber die Befristung ganz weglässt. Die Argumente haben wir beim letzten Mal ausgetauscht. Die Aussetzung der Frist kann dauerhaft erfolgen.

Wir – also die Piraten – sind auch für Bauen in integrierten Lagen, aus vielen Gründen. Das ist aber, wenn man das hier als Argument verwendet, eigentlich nur relevant, wenn man den Aspekt aus Prinzip vorbringen möchte.

Wie gesagt, die Anhörung hat zur Form der Anträge nicht viel gesagt, nur zum Inhalt. Der rot-grüne Antrag macht Sinn, der Antrag von FDP und CDU macht Sinn. Wir werden beiden zustimmen. Wir werden dem so geänderten Antrag zustimmen – jedenfalls empfehle ich das –, aber auch einem Antrag, der nicht so geändert ist.

Minister Groschek hat beim letzten Mal gesagt: Die Aussetzung heute zu beschließen, wäre auf jeden Fall ein Stück Fortschritt. Und fortschrittlich sollten wir in NRW sein. Das ist uns bisher nicht gelungen; aber heute könnten wir fortschrittlich sein.

Ich hoffe nicht, dass wir uns im März noch einmal darüber unterhalten, aber wenn nötig, dann machen wir es halt. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bayer, bleiben Sie bitte noch einen kleinen Moment hier. Ich war noch nicht dazu gekommen, Sie zu fragen, ob Sie noch eine weitere Zwischenfrage zulassen würden, ich glaube, von Herrn Kollegen Dudas.

Oliver Bayer (PIRATEN): Ja, aber gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Gordan Dudas (SPD): Herr Kollege, vielen Dank für Ihren ausführlichen Redebeitrag. Aber ich muss jetzt ganz offen gestehen: Ich habe nicht ein Wort verstanden von dem, was Sie uns sagen wollten.

Könnten Sie das vielleicht noch mal in Kürze und für alle verständlich wiederholen,

(Heiterkeit – Zurufe)

um die Position der Piraten noch mal deutlich machen?

Oliver Bayer (PIRATEN): Ich hatte ja so etwas befürchtet, und deshalb ... Eigentlich wollte ich den Teil weglassen, wo ich mir hier statt einer Rede ein Flussdiagramm aufgemalt habe.

(Heiterkeit und Beifall – Zurufe)

Ich möchte es noch einmal in kurz formulieren: Wir tun was wegen des Strukturwandels in der Landwirtschaft, und wir tun was für den ländlichen Raum. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Die Aufforderung in einer Zwischenfrage an den Redner, die Rede noch einmal zu wiederholen, würde uns mit Blick auf die Geschäftsordnung übrigens auch vor Probleme stellen. Aber ich denke, das haben wir so miteinander gut gelöst. – Vielen Dank.

Jetzt hat das Wort für die Landesregierung Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Da ich weiß, wie präsent Ihnen mein Redebeitrag vom letzten Mal ist, brauche ich ihn nicht zu wiederholen. Ich darf hinzufügen: Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass uns der jetzt vorliegende Gesetzentwurf ein ganzes Stück weiterbringt. Fortschritt in diesem Land ist nämlich nicht nur digital, sondern auch noch analog, und das ist auch gut so. Deshalb bitte ich Sie alle um möglichst breite Zustimmung. Die Landesregierung ist prinzipiell streitfrei. Wenn der Landtag das häufiger ist, ist das auch ein Fortschritt.

(Heiterkeit von der SPD und der CDU – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Erstens stimmen wir ab über den Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 16/7841. Wer möchte diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Enthält sich ein Abgeordneter seiner Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/7841 abgelehnt.

Wir stimmen zweitens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/7774 ab. Wer möchte dem seine Zustimmung geben? – Stimmt jemand gegen den Gesetzentwurf? – Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/7774 in zweiter Lesung einstimmig vom Landtag Nordrhein-Westfalen verabschiedet.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 5 und rufe auf:

6   Wirtschaftliche Schwäche Nordrhein-Westfalens überwinden – Mit Impulsen für Innovation, Investitionen und Qualifikation Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand nachhaltig stärken

Große Anfrage 12
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6609

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/7350

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7839

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich mich bei der Landesregierung für die ausführliche Beantwortung unserer Großen Anfrage bedanken. Wir haben letztens im Wirtschaftsausschuss noch gesehen, dass die Antworten nicht immer besonders umfangreich ausfallen, aber hier haben Sie das doch sehr ausführlich gemacht. – Ganz herzlichen Dank dafür.

Kein Lob kann ich Ihnen jedoch für das geben, was den Inhalt der Antwort auf die Große Anfrage angeht; denn darin zeichnen Sie nicht nur ein Zerrbild der Realität, Sie stellen unter dem Strich auch lediglich dar, was die Landesregierung in der Vergangenheit unternommen habe.

Neue Impulse finden wir keine. Dabei wären solche zwingend notwendig, meine Damen und Herren; denn Nordrhein-Westfalen wird immer weiter abgehängt. Die Indikatoren machen dies sehr deutlich. Sowohl das tatsächliche Wirtschaftswachstum als auch der ifo-Geschäftsklimaindex bleiben in NRW regelmäßig erheblich hinter dem Bundesdurchschnitt zurück. Die Statistikbehörden, das ifo-Institut oder auch wissenschaftliche Studien zeigen: In schwierigen Zeiten fällt der wirtschaftliche Einbruch in Nordrhein-Westfalen deutlich stärker aus als im Bundesdurchschnitt, in günstigeren Zeiten ist die Erholung der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen dagegen leider unterdurchschnittlich ausgeprägt. Die relativ schwache Position des Landes innerhalb Deutschlands wird hier zementiert, meine Damen und Herren.

Am vergangenen Montag nun hat die Ministerpräsidentin eine Studie von Prognos entgegengenommen. Schauen Sie doch da mal genauer hin, Herr Minister Duin; sie bestätigt nämlich letztendlich das, was die Unternehmensberatung McKinsey oder auch das von unserer Fraktion beauftragte Gutachten des IW Köln bereits ausgesagt hatten. Dort steht: Die Chancen liegen auf der Straße, Nordrhein-Westfalen hat große Potenziale. – Die müssen aber auch gehoben werden. Im Moment wirkt sich die schlechte Wirtschaftspolitik leider auf alle Menschen und alle Lebensbereiche aus.

Die trotzige Botschaft aus Ihrer Antwort ist: Wir sind doch die Größten. – Nur, meine Damen und Herren, sind wir tatsächlich die Größten, nur weil wir das größte Bundesland sind? – Es kommt hier nicht auf die Größe an, wir müssen die Besten sein. Das muss unser Anspruch sein.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Von der Größe und der daraus logisch folgenden Wirtschaftskraft in absoluten Zahlen auf eine gute Wirtschaftspolitik zu schließen, ist schon, ehrlich gesagt, ein mutiges Manöver. Das ist auch die Kritik an Ihrer Politik, Herr Minister Duin: zu viel Eigenlob, zu viel Behäbigkeit, zu wenig Impulse für Wachstum und Beschäftigung. – Dabei bräuchte Nordrhein-Westfalen gerade diese.

Wir bräuchten eine Investitionsoffensive, meine Damen und Herren: Straßenbau statt Radwege, sichere Planung für Industrie statt Klimaideologie, Bürokratieabbau statt Mindestlohn oder Tariftreue- und Vergabegesetz.

NRW bräuchte eine Innovationsoffensive, meine Damen und Herren: EU-Mittel für Hochschulen und Wissenschaft statt für soziales Quartiersmanagement und Ökoprojekte,

(Beifall von der FDP)

Freiheit an den Hochschulen statt Führung durch die Ministerialbürokratie.

(Beifall von der FDP)

Und NRW bräuchte eine Beschäftigungsoffensive. Eine Frauenquote in Aufsichtsräten hilft gut ausgebildeten Müttern, die zurück in den Beruf wollen, herzlich wenig.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Mehr Tempo beim Ausbau von Betreuungsplätzen – das würde helfen. Mehr Engagement für die Qualifikation der Menschen – darin, meine Damen und Herren, liegen die Wachstumspotenziale. Wenn die Menschen die Chancen bekommen, arbeiten gehen zu können, so bekommen wir wirtschaftlichen Aufschwung. Daran müssten wir arbeiten.

Deshalb haben wir Ihnen heute einen Entschließungsantrag vorgelegt. Dieser enthält entsprechende Wachstums- und Qualifizierungsmaßnahmen und -möglichkeiten. Nehmen Sie dies als Hausaufgaben an. Geben wir das der Landesregierung heute an die Hand, damit es in unserem Land auch wirklich wieder vorangeht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Sundermann das Wort.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Brockes! Ich habe da oben gesessen und mir Ihre Ausführungen angehört und hatte – ehrlich gesagt – die Hoffnung, dass Sie aus dem Zahlenmaterial einer so umfangreichen Antwort etwas Neues entwickeln würden.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Diese Chance haben Sie deutlich vertan. Sie haben das gemacht, was Sie seit ewigen Zeiten hier machen. Seit drei Jahren versuchen Sie, ein negatives Etikett auf die Wirtschaftspolitik dieses Landes, im Prinzip auf das ganze Land, zu kleben. Das haben Sie auch jetzt wieder gemacht. Das ist aus meiner Sicht ein wenig enttäuschend, aber letztendlich war es vielleicht zu erwarten.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, auch vonseiten der SPD-Fraktion zunächst einen Dank an die Landesregierung und sogar an die FDP-Fraktion für das Stellen dieser sehr gut strukturieren und umfangreichen Großen Anfrage. Auf 318 Seiten wurden 286 Fragen beantwortet. Es ist ein umfangreiches Datenkompendium rund um die wesentlichen, die Wirtschaft und damit auch die Wirtschaftspolitik beeinflussenden Faktoren entstanden.

Viele Informationen und Zahlen sind hier zusammengetragen. Auch ich möchte mit einem Blick auf die aus meiner Sicht wichtigen und für die Bewertung der Lage des Landes und die Zukunftsfähigkeit Nordrhein-Westfalens aussagekräftigen Zahlen beginnen. Beide Zahlen beschreiben die Attraktivität von Nordrhein-Westfalen für ausländische Investoren. Sicherlich habe ich das bewusst ausgewählt, um nicht immer diese Nabelschau zu betreiben. Herr Brockes hat wieder ein Paradebeispiel dafür geliefert, wie er immer wieder nur eine Nabelschau macht, anstatt sich zu öffnen und zu fragen, wie die anderen Menschen auf dieses Land schauen.

Nordrhein-Westfalen ist mit 160 Milliarden € direkter Investitionen ausländischer Unternehmen der mit Abstand interessanteste und lukrativste Standort in der Bundesrepublik.

Die zweite Zahl, die ich einbringen möchte, ist die Zahl, die aktuell beschreibt, wie unser Land gesehen wird. In 2013 gab es 40 chinesische Direktinvestitionen in unser Land. Das sind mehr Direktinvestitionen als in Frankreich oder in England. Diese Zahl belegt, dass wir hier auch zukünftig in der Champions League mitspielen können.

Wenn wir über Zukunftsfähigkeit sprechen, stimmt mich noch eine weitere Zahl sehr optimistisch. Aktuell studieren in Nordrhein-Westfalen ca. 700.000 Studenten, mehr als jemals zuvor. Das ist – gestatten Sie mir den Einwurf – ein Verdienst sozialdemokratischer Politik, vor allen Dingen unter Johannes Rau in den 80er- und 90er-Jahren.

(Beifall von der SPD)

Diese 700.000 jungen Menschen sind ein großes Potenzial für zukünftige Innovationen in unserem Land und damit auch für Investitionen, für Fortschritt und auch für die wirtschaftliche Prosperität. Eine Schlüsselrolle spielen hier – das wurde heute Morgen sehr intensiv diskutiert – die MINT-Studiengänge. Auch und gerade an dieser entscheidenden Stelle verzeichnen wir ein deutliches Wachstum bei der Zahl der Studienanfänger. Waren es in 2010 50.000 Studenten, haben wir mittlerweile 85.000. Auch bei den Absolventenzahlen liegt Nordrhein-Westfalen vorn.

Was macht das Land nun mit diesen positiven Zahlen? Zwei Dinge sind aus meiner Sicht entscheidend.

Erstens die Verknüpfung zwischen Hochschule, also der Wissenschaft, auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen Seite. Die Frage, die dahintersteckt, ist doch: Wie wird aus Forschung Produktivität, Produktion und Wertschöpfung? Hier werden, wie Anfang der Woche die Wissenschaftsministerin und auch der Wirtschaftsminister dargelegt haben, 70 Millionen € bis 2020 zielgerichtet ein-gesetzt.

(Ministerin Svenja Schulze: Genau!)

Wichtig sind neben dem Transfer in bestehende Unternehmen aber auch die Gründer. Auch hier ist das Land gut aufgestellt. Bei 56 Startercentern landesweit werden flächendeckend auch an vielen Hochschulstandorten in NRW die Gründer unterstützt.

Wichtig, meine Damen und Herren, ist aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz für Gründung. Auch das wurde hier schon gesagt. Wichtig ist auch der Gründergeist. Gründergeist erfordert Mut, einen positiven, einen offenen Blick auf die Zukunft, Chancen zu erkennen und diese zu nutzen. Diesen positiven offenen mutigen Geist kann ich in den Ausführungen der FDP und auch in dem Entschließungsantrag leider nicht einmal im Ansatz erkennen. Sie ergehen sich lieber wie so oft in der Beschreibung des Negativen.

Meine Damen und Herren von der FDP, Ihr Entschließungsantrag zeigt aus meiner Sicht einmal mehr, dass Sie nicht bereit sind, sich seriös mit der wirtschaftlichen Situation in NRW und auch nicht mit der Politik der Landesregierung auseinanderzusetzen.

Sie stellen 286 Fragen an die Landesregierung, und heraus kommt ein solcher Entschließungsantrag, ein Gebräu aus Altbekanntem, nur neu aufgesetzt. Steuerliche Entfesselungsimpulse dürfen hier natürlich genauso wenig fehlen wie das unvermeidliche Verweisen auf das Tariftreue- und Vergabegesetz. Meine Damen und Herren, kreativ und seriös ist sicherlich anders.

Meine Damen und Herren von der FDP, ich gestehe Ihnen zu, an die Zukunft eines Landes zu glauben. Wenn man aber so sehr an der eigenen Zukunft zweifelt, ist das sicherlich schwer. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben hier in den nächsten anderthalb Jahren noch die Chance mitzuarbeiten. Die Große Anfrage war doch ein guter Aufschlag. Wir als SPD-Fraktion – ich glaube, ich kann für die ganze Koalition sprechen – sind an einem kritischen Dialog und dem Ringen um die besseren Lösungen sicherlich jederzeit interessiert.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die Redezeit.

Frank Sundermann (SPD): In diesem Sinne Glück auf!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Sundermann. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wüst das Wort.

Hendrik Wüst (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Sundermann! Über die Verdienste von Johannes Rau in verschiedenen Politikfeldern kann man trefflich streiten.

Aber wenn ich noch einmal auf unsere Digitalisierungsdebatte heute Morgen zurückkomme, dann ist mir bei Ihrem Hinweis auf Rau das Lachen im Hals steckengeblieben. Es war die Regierung Rau, die auf Druck der Gewerkschaft in den 80er-Jahren das technikfreie Büro propagiert und in einem späteren Aufholschritt gesagt hat: Wir sind so speziell. Mit SAP und IBM tun wir es nicht, wir entwickeln es alles selbst. Beide Strategien sind jämmerlich gescheitert, und unsere Verwaltung ist heute noch dabei, das aufzuholen.

Sie können Johannes Rau bestimmt aus Ihrer Sicht für vieles Gute in Anspruch nehmen, aber an der Stelle definitiv nicht, und für Wirtschaftspolitik im Allgemeinen wahrscheinlich auch nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Große Anfragen machen viel Arbeit und verdienen Dank an Fragesteller und insbesondere an die Beantworter für die akribische Arbeit, aber auch für die intellektuelle kreative Arbeit, die Ergebnisse einer solchen Anfrage gelegentlich auch zu kaschieren, zu verschleiern oder mindestens umzudeuten. Auch das ist eine Leistung, die im politischen Geschäft Anerkennung verdient. In dieser Hinsicht hat man sich im Ministerium offensichtlich auch besondere Verdienste erworben.

Am Anfang wird dick aufgetragen, man sei doch die 19. Wirtschaftskraft der Welt. Das klingt beeindruckend. Man möchte „wow“ ausrufen oder, um es mit den Piraten zu sagen, „Supergeil“. Das ist es aber wiederum nicht, wenn man uns beispielsweise mit den Niederlanden vergleicht. Vergleiche hinken. Aber in dem Fall fällt er sogar positiv aus, weil NRW sogar noch ein wenig größer ist. Die Wirtschaftsleistung der Niederlande liegt um ein Drittel höher als die des Landes Nordrhein-Westfalen. Also so herausragend ist das mit dem 19. Platz nicht.

Dann suchen Sie andere Rankings und Vergleiche, in denen man oben angesiedelt ist: Bei den ausländischen Kapitalanlegern ist man die Nummer eins – noch. Rechnet man es herunter auf die Pro-Kopf-Investitionen, ist Hessen in der Rubrik der ausländischen Kapitalanleger schon wieder vor uns. Bayern holt kräftig auf. Ernst & Young hat ermittelt, dass 22 % der potenziellen ausländischen Investoren Bayern für einen attraktiven Standort halten. Nordrhein-Westfalen nennt in Wahrheit nämlich niemand, kein ausländischer Investor nennt NRW als attraktiven Standort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Jammern Sie doch nicht nur herum!)

Ernst & Young zitieren Sie nicht, weil es nicht passt.

Wenn man dann zu den einzelnen Fragen der Großen Anfrage kommt, wird es schon etwas detaillierter, etwas finsterer. Sie beschreiben, dass zwischen 1991 und 2000 die Wirtschaft jedes Jahr um 0,5 Prozentpunkte langsamer gewachsen ist als im westdeutschen Schnitt. Das sind in Summe fünf Prozentpunkte.

In den Jahren von 2000 bis 2013 waren es dann nur noch 0,3 % Abstand beim Wirtschaftswachstum von NRW auf die anderen westdeutschen Flächenländer, in Summe immer noch 4,2 %. Mit anderen Worten: Seit 1991 beträgt der Wachstumsrückstand auf die westdeutschen Flächenländer mehr als neun Prozentpunkte – 3,6 Milliarden € Steuermehreinnahmen Jahr für Jahr.

Da fragt man sich natürlich, woran das liegt. Liegt das an anderen landespolitischen Rahmenbedingungen? –Ihre Antwortet lautet recht kess: Nein! Ich zitiere:

„Die grundlegenden wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen werden auf europäischer und bundespolitischer Ebene gestaltet. Auf dieser Ebene gibt es annähernd gleiche Rahmenbedingungen in allen Bundesländern.“

Wenn das so ist, warum haben wir dann das Wachstumsproblem? Warum gibt es dann Jahre, wie in dem Zeitraum von 2007 bis 2009, in denen wir überdurchschnittlich im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern wachsen? Auch zu dieser Zeit waren die EU-weiten und bundesweiten Rahmenbedingungen gleich. Auch zu dieser Zeit war die historische Hypothek, der Strukturwandel, auf den Sie gerne verweisen, genauso wie nachher und vorher.

Da liegt es auf der Hand, dass es an einer anderen landespolitischen Kultur in diesen Jahren der Regierung Rüttgers und Pinkwart lag. Sie sagen: Nein, in gar keinem Fall – Zitat:

„Das steht offensichtlich in keiner kausalen Beziehung zu Aktivitäten der damaligen Landesregierung.“

Mit Verlaub, das ist schon ziemlich peinlich,

(Beifall von der CDU und der FDP)

wenn man so platt unterwegs ist. Das wird nur noch durch ein Zitat getoppt:

„Die Einflussmöglichkeiten der Landesregierung sind unter diesen Umständen naturgemäß begrenzt.“

Der Einfluss wäre da: bei der Erhöhung der Grunderwerbsteuer, bei der flächendeckenden Gewerbesteuererhöhung, beim Bürokratieabbau statt Bürokratieaufbau. Das ist alles gemacht worden. Das gilt auch für die Rücknahme von vielen Widerspruchsmöglichkeiten im Planungsverfahren. Im zweiten Staatsexamen für Juristen wird in Nordrhein-Westfalen das Widerspruchsverfahren gar nicht mehr geprüft, weil es in vielen Bereichen abgeschafft worden ist. Sie packen Bürokratie drauf: das Tariftreue- und Vergabegesetzt sei hier noch einmal genannt.

(Heiterkeit von den GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Da ist es wieder!)

Hochschulfreiheitsgesetz statt Hochschulentmündigungsgesetz! An all diesen Stellschrauben kann man drehen wie bei der Verkehrsinfrastruktur: Planungen vorhalten statt Planung zu blockieren. Die Ministerpräsidentin hat heute Geld für die Brücke in Leverkusen gefordert. Warum dauert das acht Jahre? – Weil die neue Brücke hundert Meter über der alten gebaut werden soll und man neue Planungen erstellen muss. Wo ist die Planung? – Sie gibt es nicht. Das ist Landesaufgabe; alles Landespolitik, mit der man andere Rahmensetzungen vornehmen kann.

Ich danke ganz herzlich für die von der FDP mit dieser Anfrage gegebenen Möglichkeit, dazu zu sprechen. Wir werden uns an den Daten aus dieser Großen Anfrage noch sattsam bedienen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst, dass ich mich bei der Landesregierung und den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese Große Anfrage beantwortet haben, bedanke. Denn in der Tat: 286 Fragen sind kein Pappenstiel!

Insofern möchte ich mich an der Stelle bei der FDP bedanken, dass Sie ein sehr umfängliches Material für die wirtschaftspolitische Analyse und für die Debatte liefern, die man auch in der eigenen Fraktion führt.

Nicht ganz so euphorisch würde ich mich, sehr geehrter Herr Brockes, für den Entschließungsantrag bedanken, den Sie uns auf den Tisch gelegt haben, und für die kleine Rede, die Sie dazu gehalten haben, die die üblichen ideologischen Versatzstücke enthält. Inzwischen fragt man sich, ehrlich gesagt, ob Sie jedes Mal, wenn Sie das Wort „Tariftreue- und Vergabegesetz“ in einer Ihrer Reden unterbringen, vielleicht fünf Euro aus der Fraktionskasse ausgezahlt bekommen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, warum das so konstant von Ihnen vorgetragen wird.

Lassen Sie uns nun zu Ihrem Entschließungsantrag kommen und lassen Sie uns einen ganz kleinen Faktencheck zu diesem Entschließungsantrag machen.

Sie sprechen von einem schlechten Gründerklima in Nordrhein-Westfalen. Tatsächlich, und das könnten Sie ja der Großen Anfrage entnehmen, hat sich die Gründerquote seit Mitte der 90er-Jahre bis heute von 8,8 % auf 10,3 % erhöht. Damit ist der Abstand zum Bundesdurchschnitt – erklärbar aus der Struktur der Wirtschaft Nordrhein-Westfalens – in den letzten Jahren deutlich verkürzt worden. Das ist ein Ergebnis guter Politik. Was machen Sie daraus? – Sie machen daraus, dass sich das schlechte Gründungsklima in einer Selbstständigenquote von 10,3 % manifestiere; der Bundesdurchschnitt liegt bei 11 %. Bravo! Das nenne ich wirklich kreative Interpretation von Zahlen. Da braucht man auch keine Große Anfrage mehr, da braucht man auch keinen Faktencheck mehr!

(Beifall von den GRÜNEN)

Zweitens. Sie sprechen von der zweithöchsten Arbeitslosenquote im Westen Deutschlands. Die Antwort der Landesregierung auf Ihre Große Anfrage zeigt, dass die Zahl der Erwerbstätigen in Jahr 2013 auf den höchsten bisher je in NRW erreichen Wert gestiegen ist, nämlich auf 8,9 Millionen Menschen. Im letzten vollständigen Regierungsjahr von Schwarz-Gelb, 2009, betrug die Arbeitslosenquote 9,2 %; heute beträgt sie 7,8 %. Ergebnis guter Politik, auch Ergebnis einer gesunden Wirtschaft, die das aus sich heraus geschafft hat!

Was machen Sie daraus? Sie machen daraus ein Standortproblem, indem Sie ständig die Behauptung aufstellen, dass ein bürokratisches Monster in Nordrhein-Westfalen namens Tariftreue- und Verga-begesetz die Nordrhein-westfälische Wirtschaft stranguliere.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Das ist Ihr Blick auf die Realität. Ehrlich gesagt, wenn man eine solche Brille aufhat, dann frage ich mich allen Ernstes, warum man Große Anfragen stellt.

Wir jedenfalls sind der Auffassung, dass auch 7,8 % für Nordrhein-Westfalen immer noch eine Problemlage bedeuten. Wir haben in Teilregionen eine wesentlich höhere Arbeitslosenzahl; das darf man überhaupt nicht aus dem Blick verlieren. Wir werden auch weiterhin mit den Kommunen und Jobcentern zusammenarbeiten, um die Perspektiven arbeitsloser Menschen in Nordrhein-Westfalen zu verbessern. Dabei muss man auch die unterschiedlichen Problemlagen und Bedarfe in den Regionen genau berücksichtigen.

Es braucht auch Handlungskonzepte in anderen Regionen, um das umgekehrte Problem zu bewältigen, nämlich einen größer werdenden Fachkräftebedarf, der nicht mehr zur Entwicklung der Unternehmen passt. Das alles bleibt bei Ihnen außen vor. Sie scheren das Land über einen Kamm. Sie zeichnen ein Zerrbild des Landes. Ich muss das an dieser Stelle leider auch einmal sagen: Sie reden auch die Situation des Landes schlecht. Konzeptionell bringen Sie aber nichts nach vorne – wirklich überhaupt nichts! –, was dazu beitragen würde, eine wirtschaftspolitische Debatte in Nordrhein-Westfalen nach vorne zu führen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das heißt im Ergebnis: Es ist eine Aneinanderreihung von Versatzstücken. Ich würde mir wünschen, dass sich die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wirtschaftsministerium zumindest dahin gehend gelohnt hat, dass sie die Debatte der FDP in Zukunft befruchten möge und wir an dieser Stelle in ganzes Stück weiterkommen. Mit dieser Hoffnung sage ich herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Schneckenburger. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Die Landesregierung hat mit einem 150-seitigen Kompendium plus Anhang auf die Fragen der FDP-Fraktion geantwortet. Zudem liegen verschiedene Studien von privatwirtschaftlichen Organisationen vor, die sich mit den wirtschaftspolitischen Herausforderungen beschäftigen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ja sowas!)

Es gibt also keinen Mangel an totem Holz. Die Frage ist nur: Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?

Was uns nicht weiterbringt, sind Werbeslogans aus den Ministerien: NRW sei Industrieland Nummer eins, NRW sei exportstärkstes Bundesland, NRW sei das Bundesland mit den meisten ausländischen Investitionen. Stimmen denn die Aussagen, wenn man sie ungeschönt pro Kopf betrachtet?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Antwort ist: Nein. Weder sind wir pro Einwohner exportstärkstes Bundesland noch sind wir pro Einwohner besonders industriell geprägt. Der Anteil des produzierenden Sektors liegt mit 27 % zwei Prozentpunkte unter dem gesamtdeutschen Wert, heißt es in der Prognos-Studie. Das zeigt einmal mehr, dass Wachstumsbranchen wie eben Kultur und Kreativwirtschaft oder die Informations- und Kommunikationsbranche an Stellenwert gewinnen. Es stellt weder die Realität dar noch kann es in unserem Interesse sein, das alte Image vom Industrieland NRW weiter zu bemühen.

Baden-Württemberg liegt im Ranking vor Nordrhein-Westfalen, was die Anzahl ausländischer Investitionsprojekte angeht.

Für uns ist klar: Der Wohlstand hängt von der Bewältigung langfristiger Herausforderungen ab und nicht, wie die FDP suggeriert, indem man weniger Fahrradwege baut oder wir den Klimaschutz ad acta legen.

Die Statistiken zeigen, dass Wohlstand und die Höhe der Arbeitslosigkeit in unserem Land sehr ungleich verteilt sind. Während in Coesfeld die offizielle Arbeitslosenquote bei gerade einmal 4,1 % liegt, leiden Dortmund, Gelsenkirchen und Duisburg unter einer Arbeitslosenquote von 13 %.

Die unterdurchschnittlichen Wachstumsraten in NRW hängen also noch immer mit dem laufenden Strukturwandel im Ruhrgebiet zusammen. Viele Milliarden an Fördermitteln fließen seit Jahrzehnten in diese Region. Da müssen wir uns fragen: Hätten wir mit einer vorteilhafteren Verwendung der Gelder den Strukturwandel besser bewältigen können? Gab oder gibt es Alternativen?

Der zukünftige Wohlstand wird von unserem Umgang mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen abhängen. Über die digitale Revolution haben wir heute schon gesprochen. Lassen Sie uns das erste Bundesland sein mit einem gut ausgebauten Glasfasernetz, und zwar auch auf der letzten Meile! Verteidigen Sie die Netzneutralität zum Wohle der kleinen Firmen, und unterstützen Sie Existenzgründer! Bildung und Weiterbildung müssen den Menschen befähigen, der digitalen Revolution zu folgen. Wir wollen Sie ja aktiv gestalten und nicht nur passiv konsumieren.

Der demografische Wandel ist ein weiterer Faktor. Die Folgen einer sinkenden und immer älter werdenden Gesellschaft sind für unsere Wirtschaft noch gar nicht abzusehen. Umso wichtiger ist es, dass wir Migration als positiven Faktor sehen.

Aber auch die Frage einer sicheren und zugleich nachhaltigen Energiepolitik wird uns weiter beschäftigen. Alle RWE-Kraftwerke im rheinischen Braunkohlerevier sind unter den Top 20 der Industrieanlagen in Europa, die den größten Schaden an Gesundheit und Umwelt anrichten. Hinzu kommen mehr als 30.000 Heimatvertriebene sowie Ewigkeitsschäden durch Grundwasserabsenkungen sowie Schadstoffe im Abraum.

Die Braunkohlekraftwerke befinden sich aufgrund der mangelnden Flexibilität im direkten Gegensatz zur Energiewende. Aus den genannten Gründen ist ein Ausstieg aus der Braunkohle in NRW unvermeidbar. Daher fordern wir Piraten ein Braunkohleausstiegsgesetz.

(Beifall von den PIRATEN)

Es gibt mehr Ausreden als Reden. Allerdings sind die Ausreden meist imposanter als die Reden, sagt man. Liebe Landesregierung, hören Sie mit den Ausreden auf, und stellen Sie sich den Aufgaben! Konkrete Vorschläge gibt es von uns weiß Gott genug.

Einige Worte noch zum FDP-Entschließungsantrag:

Manche Punkte im Beschlussteil sind zustimmungsfähig, andere Punkte nicht. Das Weltuntergangsprosa im Begründungsteil ist unerquicklich. Wir müssen diesen Antrag daher ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zu Beginn einen ganz herzlichen Dank aussprechen. Die Initiative der FDP, die 286 Fragen, haben wir mit Freude gelesen und entgegengenommen. Dann haben wir nicht nur das hineingeschrieben, was Sie nachlesen konnten, sondern wir haben es auch so hineingeschrieben, dass man sagen kann: Wir waren fleißig, wir waren pünktlich.

Deswegen ein ganz herzlicher Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur in meinem Hause – an die in besonderer Weise –, sondern es war eine ganze Reihe von Häusern an der Beantwortung dieser Fragen zu beteiligen. Diesem Dank, der hier schon mehrfach zum Ausdruck gekommen ist, will ich mich ausdrücklich anschließen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich wollte – ich hatte noch keine Gelegenheit – eigentlich Herrn Wüst nach seiner Rede zur Digitalisierung ob seiner Sachlichkeit loben. Nun hat er es mir wieder schwergemacht.

(Zuruf von Hendrik Wüst [CDU])

– Ja, das ist ja die Absicht.

(Heiterkeit)

Diesen Pfad, den Sie heute Mittag eingeschlagen hatten, haben Sie natürlich jetzt wieder verlassen. Immerhin, Sie haben hoffentlich alles oder sehr viel davon gelesen. Das ist angesichts des Volumens schon eine Bemerkung wert.

Meine Damen und Herren, im Kern geht es darum – ich werde nicht müde, das immer wieder zu betonen –, dass wir mit den Antworten, mit den konkreten Handlungen immer wieder unter Beweis stellen, dass es uns um eine vorausschauende Wirtschaftspolitik für das Land Nordrhein-Westfalen geht, dass es eben nicht darum geht, Strukturen, die nicht zukunftsfähig sind, durch beispielsweise eine entsprechende finanzielle Unterstützung, Subventionierung oder wie auch immer künstlich am Leben zu halten, sondern dass es uns darum geht, in das zu investieren, was Zukunft hat.

Das ist in den verschiedenen Studien angesprochen worden, ob von McKinsey – Sie wissen, dass wir uns intensiv damit auseinandergesetzt haben und das auch weiter tun – oder auch jüngst von Prognos oder – ich will es ausdrücklich hinzufügen, Vertreter aller Fraktionen waren Anfang dieser Woche dabei – vom DGB zur Zukunft der Wirtschaft und der Arbeit in diesem Land.

Alle gehen davon aus, dass dieses Land enormes Potenzial hat. Wir ringen über den richtigen Weg, dieses Potenzial zu heben. Aber ich bin ganz sicher, dass das der richtige Weg ist, vorausschauend zu agieren und nicht Bestehendes, nicht Zukunftsfähiges weiter zu subventionieren.

Es geht dabei um diese zentralen Fragen, die gerade schon angeklungen sind: Wie bekommen wir es hin, dass die notwendigen Investitionen in unsere Infrastruktur ermöglicht werden? Wir, der Finanzminister, der Verkehrsminister und ich, werden noch vor Ostern gemeinsam mit einer Reihe von Vertreterinnen und Vertretern aus der nordrhein-westfälischen Wirtschaft ein Gespräch mit Herrn Dobrindt in Berlin führen, um in diesen so wichtigen Fragen Schritte voranzugehen.

Es geht darum, dass wir in Bildung investieren. Auch das ist heute schon deutlich geworden. Massiv wie nie zuvor investiert diese Landesregierung in das Thema Bildung – nicht nur an den Schulen, da in besonderer Weise, sondern genauso auch an den Hochschulen, die eine ganz wichtige Rolle für die Attraktivität des Standortes haben.

Außerdem kümmern wir uns immens um das Thema der dualen Ausbildung. Für uns ist klar: Eine duale Ausbildung ist nicht weniger wert als ein Studium. Diese beiden Wege, die man einschlagen kann, die man vielleicht im Laufe eines Berufslebens auch noch einmal verknüpfen kann, sind gleichwertig. Wir werden nicht müde, auch das immer wieder zu betonen.

(Beifall von der SPD)

Damit bin ich bei einem der ganz wichtigen Träger unserer Wirtschaftskraft, nämlich bei dem Handwerk, das wir intensiv unterstützen, mit dem wir einen intensiven Dialog aufgebaut haben, zum Beispiel zum Thema Energieeffizienz – Stichwort Ausrüster der Energiewende in Nordrhein-Westfalen.

Wenn wir über die Energiepolitik sprechen, dann ist es diese Landesregierung, die zum Beispiel bei der Reform des EEG mit Blick auf die besondere Ausgleichsregelung dafür gesorgt hat, dass energieintensive Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen auch zukünftig wettbewerbsfähig sind. Wir werden diesen konsequenten Kurs in der Energiepolitik bei dem gleichseitigen Dreieck von Klimaschutz, von Versorgungssicherheit und von Bezahlbarkeit entsprechend fortsetzen.

Dasselbe gilt für das Thema Fachkräfte, wo es darum geht, junge Menschen zu qualifizieren, wo es darum geht, Älteren tatsächlich die Chance in den Betrieben zu geben, auch über 60, 62, 63 Jahre hinaus in den Betrieben tätig zu sein, tatsächlich Beschäftigungschancen zu haben, und wo es vor allen Dingen darum geht, die Frauenerwerbsquote zu steigern. Das ist einer der schwersten Steine, die man hier vorfindet. Das haben jüngste Untersuchungen noch einmal gezeigt.

Das, was die Kollegin Schäfer in einer großen Kraftanstrengung für die U3-Betreuung auf den Weg gebracht hat, ist ein ganz wichtiger Baustein dafür, dass wir auch beim Thema Frauenerwerbsquote endlich einen Schritt vorankommen und dort nicht die Plätze belegen, wie das zurzeit noch oder in den vergangenen Jahren der Fall war.

(Beifall von der SPD)

Über Digitalisierung, meine Damen und Herren, haben wir heute schon ausreichend gesprochen, deswegen ein allerletzter Punkt, der auch wichtig ist, dass wir verstehen, nicht alles über einen Kamm zu scheren, sondern dass wir uns der Besonderheiten der sehr vitalen Regionen unseres Landes bewusst werden, dass wir gucken, was wir speziell beispielsweise in der Innovationsregion Rheinisches Revier tun können, was wir speziell z. B. in der Emscher-Lippe-Region tun können. Das sind passgenaue Programme, die wir dort auflegen, wobei nicht alles über einen Kamm geschert wird.

Der Forderungskatalog der FDP, den wir jetzt hier vorfinden, richtet sich zu mehr als zwei Drittel direkt an Herrn Schäuble – kalte Progression und all diese Dinge, die Sie da aufgeschrieben haben. Das können Sie Herrn Schäuble gerne schicken, ist aber hier überhaupt nicht das Thema.

Als Sahnehäubchen obendrauf: das Tariftreue- und Vergabegesetz. Ich habe es heute schon einmal gesagt: Die Schallplatte hat einen Sprung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Der Minister hat die Redezeit um eine knappe Minute überzogen. Wünscht eine der Fraktionen noch zu reden? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Ich stelle fest, dass die Antwort auf die Große Anfrage 12 der Fraktion der FDP zur Kenntnis genommen, debattiert und damit die Große Anfrage erledigt 12 ist.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/7839. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist damit der Entschließungsantrag Drucksache 16/7839 der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe auf:

7   Wirtschaft in der Ausbildung unterstützen statt immer mehr belasten – Keine Ausbildungsabgabe und keine Quote für abgeschlossene Lehrverträge!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/7780

Ich eröffne die Aussprache. Als Erstes hat für die antragstellende Fraktion Herr Kollege Alda das Wort.

Ulrich Alda*) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich bin gerade von einer netten Kollegin vom Wettbewerber angesprochen worden, die sagte, wir hätten wohl eine Abgabenphobie oder Sonstiges. Nein, das haben wir nicht. Der Titel unseres Antrages heißt: „Wirtschaft in der Ausbildung unterstützen“. – Mensch, lest das doch einfach mal!

(Zuruf von den GRÜNEN)

In Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren, sind die Unternehmen ihrer Ausbildungsverpflichtung in der Vergangenheit mehr als nötig nachgekommen. Nach Angaben der NRW-Unternehmens-verbände sind seit 2008 fast 5.000 Ausbildungsplätze zusätzlich geschaffen worden. Mehr als die Hälfte der ausbildungsberechtigten Betriebe stellen Lehrstellen bereit, darunter etwa 90 % aller Betriebe mit mehr als 50 Leuten. Das sind die, die ausbilden, Herr Minister.

Der Wille der Unternehmen zur Ausbildung ist also durchaus vorhanden; das ist unbestreitbar. Ich weiß daher nicht, woher Minister Schneider seine Informationen bezieht, wonach rund 60 % der Betriebe ausbilden können. Immer mehr Unternehmen erzählen von Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Das, meine Damen und Herren, würde ich, wenn Sie mir erlauben, gerne einmal von verschiedenen Seiten beleuchten, nämlich einmal von der Seite derjenigen, die es vielleicht nicht können, zum anderen von der Seite derjenigen, die es vielleicht nicht wollen.

Nun können wir darüber diskutieren, ob wir wie weiland Kanzler Adenauer sagen, wir kaufen uns ein neues Volk oder einen Teil der Jugend neu. Das geht nicht. Es ist unsere Jugend, die wir – zumindest die Älteren – erzogen haben. Aber aus der Sicht von Arbeitgebern kleiner Betriebe kann man ein Mindestmaß an Sozialkompetenz und auch Schulkenntnissen verlangen. Oder, Herr Minister – ich frage Sie einmal ganz persönlich –, würden Sie jemanden dreieinhalb Jahre, rechtlich unkündbar, an sich binden, der dieses Mindestmaß nicht mitbringt? Wir haben es also mit einem Vermittlungsproblem und nicht mit einer mangelhaften Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen zu tun.

Das Hotel- und Gaststättengewerbe hat massive Schwierigkeiten, Ausbildungsplätze zu besetzen. An dieser Stelle sieht man auch die andere Seite der Medaille: Dienstleistungen, Vertrieb, alles, was sofort zu messen ist, das ist gar nicht begehrt. Dort gibt es ungünstige Arbeitszeiten usw.

Andererseits macht die Konkurrenz mit den akademischen Berufen – das habe ich hier auch schon einmal erwähnt – den Banken und Versicherungen zu schaffen. Hier kommen wir an ein ganz anderes dickes Problem. In Deutschland liegt der öffentliche und politische Fokus zunehmend auf der akademischen Ausbildung als Weg zu exzellenter Qualifizierung und exzellentem Wohlstand. Nicht nur Banken, sondern auch Innungen und Handwerk beklagen einen ungesunden Akademisierungstrend sowie eine Unwucht im Verhältnis der Förderung von akademischer und beruflicher Ausbildung.

Gehen wir doch einmal gemeinsam daran, Herr Minister, und bringen wir der Jugend mit einfachen Sätzen bei, dass Berufsausbildung gut ist. Das Wort „gut“ wird ja bei Rot-Grün mittlerweile überstrapaziert, sodass es kaum noch einer wahrnimmt. Aber an der Stelle ist es wirklich einmal vonnöten;

(Beifall von der FDP)

denn ein guter Handwerker verdient immer noch mehr als ein schlechter Akademiker, und das nicht nur monatlich, sondern – glauben Sie es mir – auch bezogen auf das Lebenseinkommen.

Doch wie reagiert die Landesregierung? Sie fordert die Unternehmen dazu auf, noch mehr auszubilden, noch eine Schippe draufzulegen, wie es die Ministerpräsidentin ausdrückt. Neben dieser freiwilligen Aufforderung ist auch noch irgendwo die Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe im Raum. Der wiederholte Ruf nach dieser Abgabe zeigt die Ideenlosigkeit der Landesregierung bei der Lösung dieses Problems, auch wenn die Ministerpräsidentin das mittlerweile dementiert hat. Nur, ich sage Ihnen ganz offen, Herr Minister: Trau, schau, wem. Heute Morgen haben wir ja gehört: Vorsicht bei Aussagen wie: Wir sind da mega.

Eine Ausbildungsabgabe ist kein geeignetes Mittel, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die duale Ausbildung zu stärken. Wenn es noch eines Beweises gegen diese Ausbildungsplatzabgabe bedarf, dann schauen Sie sich einmal in der Bauindustrie um: Da gibt es sie. Richtig geholfen hat sie dort überhaupt nicht.

Schauen Sie zum Beispiel in den Pflegebereich: Dort klappt es einigermaßen. Aber zu welchen Kosten? Da werden wir uns auch noch wundern, was die Unternehmen langfristig dazu sagen.

Ich befürchte, so wird NRW immer weiter wirtschaftlich abgehängt. Finanzstarke Betriebe hätten darüber hinaus die Möglichkeit, sich aus ihrer Ausbildungsverantwortung freizukaufen.

Abschließend möchte ich sagen: Die einseitige Schuldzuweisung der rot-grünen Landesregierung an die Unternehmen und das Handwerk ist mit Sicherheit der falsche Ansatz. Die Landesregierung hat den Ausbildungskonsens mit allen Partnern geschlossen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Jetzt auf einzelne Partner, nämlich die Wirtschaft, Druck auszuüben, halte ich für einen schlechten Stil. Ich fordere die Regierung auf: Kehren Sie zu einer Konsensorientierung zurück, und setzen Sie wieder auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, erwarten das. Die Eltern erwarten das. Die Gesellschaft erwartet das.

Das sollten wir im Ausschuss diskutieren. Ich freue mich auf Ihre Argumente und danke fürs Zuhören.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Jansen.

Daniela Jansen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Zuschauer gibt es ganz offenkundig nicht mehr. Der Antrag der FDP greift ein wichtiges Thema auf. Es müssen mehr junge Leute ausgebildet werden, damit der Fachkräftemangel endlich behoben bzw. abgemildert werden kann. Das war doch, glaube ich, die Aussage, Herr Alda, oder?

(Zuruf von Ulrich Alda [FDP])

– Gut. Ich wollte das nur noch einmal ganz klar sagen. Wenn ja, dann streiten wir uns eigentlich nur noch über den Weg, der dahin führt.

Im FDP-Antrag wird der Sorge Ausdruck verliehen, dass es eine wachsende Anzahl von Azubis gibt, die die Ausbildung abbrechen, dass es einen hohen Anteil von jungen Menschen gibt, die nach wie vor im Übergangssystem sind.

Mich würde zum einen interessieren, auf welche Zahlen Sie das stützen. Zum anderen würde ich Ihnen sofort einen Vorschlag machen, wo Sie andere Zahlen finden. Die neueste Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt nämlich, dass der Anteil von Schülern und Schülerinnen im Übergangsbereich in NRW seit 2005 um 31 % gesunken ist. Das ist ein Zeitraum von zehn Jahren und somit ein langer Zeitraum. Aber wir können auch auf das letzte Ausbildungsjahr, das Jahr 2013, zurückblicken. Da gab es nämlich vor allem einen Rückgang an Schülerinnen und Schülern in Klassen an Berufsschulen für Schüler ohne Ausbildungsvertrag, also die, die wir klassisch als Warteschlangenschüler titulieren. Das heißt, die Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ wirkt.

Ich komme zum Antrag: Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass Umlagen auf jeden Fall mehr Ausbildungsplätze schaffen können. Da haben wir ein sehr erfolgreiches Beispiel in NRW. Das ist bei der Pflegeausbildung so passiert. Ich halte es auch für realistisch, dass man bei einem Fachkräftemangel diesen Weg geht.

Im Falle einer gewünschten Einführung ist dann natürlich die Frage, wie das durchzusetzen oder zu organisieren ist, ob das gesetzlich oder freiwillig, regional oder auch nach Branchen geschehen soll.

Im Baugerüstgewerbe gibt es eine Umlage, um Planungssicherheit zu schaffen. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Ich habe mir von Kollegen aus OWL erzählen lassen, dass es dort die Anregung der SPD gibt, über eine Umlage der Kammern zusätzliche Ausbildungsstellen zu schaffen. Das wäre eine regionale Lösung, bei der dann die Kammern auch Herr des Verfahrens bleiben würden.

Auf freiwilliger Basis gibt es diese Umlagen in bestimmten Gewerken und im Ausland schon länger. Ich verrate Ihnen wohl auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass die SPD Ausbildungsplatzumlagen grundsätzlich sehr positiv gegenübersteht. Die Regierung und auch die SPD werden sich sicherlich nie pauschal gegen die Einführung von Ausbildungsumlagen aussprechen.

Sie nennen in Ihrem Antrag auch die Betriebe als Zielgruppe für eine solche Ausbildungsumlage. Das ist klar. Vielfach zitieren Sie, dass Betriebe die Ausbildung als ökonomisches Risiko sehen, dass also eigene Bilanzen zerstört werden, weil es mit der Ausbildungsumlage teurer wird und ein Verlauf auch nicht planbar ist.

Aber genau dafür bieten sich Umlagen ja eigentlich an, dass man eben das Risiko von den wenigen Betrieben, die bis jetzt ausbilden, durch eine Umlagefinanzierung auf alle verlagert und dementsprechend auch genügend junge Leute ausgebildet werden können.

Ich muss Ihnen auch ganz ehrlich sagen: Wenn Betriebe nicht ausbilden, kann es ja mit dem Fachkräftemangel auch nicht so schlimm sein. Denn diese mangelnde Ausbildungsreife, die wir immer wieder vorgeworfen bekommen, kann ja nicht als einziger Grund gelten.

Ich möchte auch ganz klar an die Freiheit und an die Eigenverantwortung appellieren. Denn unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, heißt auch, zukünftigem Nachwuchs eine Perspektive zu geben, diesen mit aufzunehmen und spätestens mittelfristig positive ökonomische Entwicklungen nutzen zu können.

Ganz konkret zu Ihrem Forderungsteil, der ja relativ knackig ist: Sie haben in Ihrem Forderungsteil stehen, die Zahl der Menschen zu reduzieren, die sich im Übergangssystem befinden. Da sind wir, glaube ich, absolut d‘accord und sind auf dem besten Wege dazu.

Ein weiterer Punkt ist, wieder zu einem partnerschaftlichen Dialog mit der Wirtschaft zurückzukehren. Absolut einverstanden! Sie haben es gerade genannt. Im Ausbildungskonsens sind alle wesentlichen Partner an einem Tisch, meine Damen und Herren. Da sitzen die Spitzenverbände, die Kammern, die Arbeitgeberverbände und auch die Regierung.

Ich komme aber auch noch zu einem speziellen Punkt aus Ihrem Forderungskontext. Sie können sich wahrscheinlich schon vorstellen, welcher das ist. Ich weiß nicht genau, ob Sie diese Radiowerbung kennen. Da wird mantraartig immer wiederholt: Ananasdiät! Ananasdiät! – Es scheint mir ein bisschen so, als ob dieses Tariftreue- und Vergabegesetz bei Ihnen diese „Ananasdiät“ ist.

(Beifall von der SPD)

Ich bitte darum, in Zukunft darauf zu verzichten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kerkhoff.

Matthias Kerkhoff (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe jetzt noch ganz unter dem Eindruck dieser Ananasdiät. Ich habe das bisher nicht kennengelernt.

Frau Jansen, Sie haben jetzt lange Ausführungen über das Wesen und das Funktionieren von Ausbildungsplatzabgaben gemacht. Was ich nicht so genau verstanden habe, ist aber, ob Sie jetzt eine solche einführen möchten, ja oder nein. Uns würde schon interessieren: Wie ist Ihre Haltung, wie ist die Haltung Ihrer Fraktion dazu? Das Gleiche gilt für den Minister und die Landesregierung. Der Antrag der FDP-Fraktion gibt Ihnen heute die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, ob Sie eine solche Abgabe wollen oder eben nicht.

Wir sind der Auffassung, eine solche Abgabe ist ein falsches Signal. Das hilft keinem einzigen Jugendlichen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Das ist völlig unabhängig von der Frage, ob sie rechtlich möglich ist oder nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir erwarten, dass Sie sich zu den Zielen des Ausbildungskonsenses bekennen und darlegen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um die Situation der unversorgten Bewerber, aber auch die Situation derjenigen, die sich in den sogenannten Warteschleifen befinden, zu verbessern.

Meine Damen und Herren, die duale Berufsausbildung ist eine der großen Stärken unseres Landes. Nicht umsonst versuchen deutsche Konzerne, die Standorte im Ausland aufbauen, zur Fachkräftegewinnung ähnliche Systeme einzuführen. Sie ist eine der wesentlichen Gründe für die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland. Die Akzeptanz ist hoch. Wir alle tun gut daran, dazu beizutragen, dass das so bleibt.

Aber wenn es auf der einen Seite für Jugendliche schwieriger wird, Ausbildungsstellen zu finden, wenn sie in der falschen Stadt wohnen oder Leistungsdefizite haben, und auf der anderen Seite Unternehmen erleben, dass sie für freie Ausbildungsstellen keine oder kaum passende Bewerbungen bekommen, dann frisst eine solche Entwicklung langsam an der Akzeptanz eines solchen Systems. Daran sollten wir alle gemeinsam kein Interesse haben.

Jugendliche müssen wissen: Das Beste, was mir passieren kann, ist ein Ausbildungsplatz. Damit habe ich Chancen und berufliche Perspektiven.

Den Unternehmen muss klar sein: Nur mit eigener Ausbildung bin ich in der Lage, langfristig meinen Fachkräftebedarf zu sichern, und wenn die Bewerberzahlen zurückgehen oder sich die Struktur der Bewerber verändert, dann muss ich auch prüfen, ob ich die Defizite, die ich vielleicht bei dem einen oder anderen sehe, nicht in den Griff bekommen kann.

Die Agentur für Arbeit beschreibt die Situation auf dem Ausbildungsmarkt folgendermaßen: weniger Bewerber, mehr Stellen, regional große Unterschiede.

Deshalb müssen auch die Lösungswege die Vielschichtigkeit der Herausforderungen beinhalten. Es gibt Regionen mit mehr freien Stellen als Bewerbern. Es gibt Regionen mit mehr Bewerbern als freien Stellen. Es gibt auch die Situation, dass Bewerber und Stellen nicht zusammenpassen.

Von einer zu geringen Ausbildungsbereitschaft zu sprechen, ist nicht richtig. Die Herausforderungen am Ausbildungsmarkt sind nicht gegen die Unternehmen, sondern nur mit ihnen zu lösen. Sie müssen aus ureigenstem Interesse Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Es hilft auch nicht weiter, wenn die Landesregierung auf Beschwerden zum Thema „Ausbildungsreife“ auf die hohe formale Qualifikation verweist. Wenn es hier Probleme gibt, muss man das ernst nehmen und darf das nicht vom Tisch wischen.

(Beifall von der CDU)

Eine Ausbildungsplatzabgabe ist das falsche Instrument. Sie führt im Ergebnis dann dazu, dass außerbetriebliche Ausbildungsplätze eingekauft würden, die eben nicht die Praxisnähe besitzen und eher nach Wunsch und Neigung des Bewerbers als nach tatsächlichem Bedarf am Arbeitsmarkt entstehen.

Meine Damen und Herren, das Thema „Berufsorientierung“ bleibt auf der Tagesordnung. Es ist ja auch eben angesprochen worden. Sie reden alle immer so stolz von KAoA. Natürlich, systematische Berufungsorientierung ist wichtig. Wer würde das bezweifeln! Aber mit der Einführung von KAoA stoppen Sie vor Ort, zum Beispiel bei mir im Wahlkreis, die Finanzierung des Programms „ProBe“, das intensiver und besser auf Ausbildung vorbereitet hat. Gerade schwächere Jugendliche haben es so schwerer in der Berufsorientierung und damit auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.

Wir müssen uns aber auch Gedanken darüber machen, wenn wir einerseits Regionen mit unversorgten Bewerbern und andererseits Regionen mit offenen Stellen haben, wie wir das zusammenbringen. Mobilität spielt hier eine wichtige Rolle, und zwar auf der Straße, auf der Schiene und im Kopf. Wenn es den Wunschberuf am Wunschort nicht gibt, dann muss in einem zweiten Schritt auch über den Tellerrand geschaut werden, ob nicht in der Nachbarstadt, im Nachbarkreis ein ähnlich attraktiver Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Dann muss die Botschaft lauten: Dort, wo ich zum Skifahren oder zum Feiern hinfahre, kann auch mein künftiger Ausbildungsplatz sein.

Meine Damen und Herren, es gehört zur Wahrheit und Vollständigkeit dazu, dass auch durch Landespolitik ein Beitrag zu mehr Ausbildungsplätzen geleistet werden kann.

Damit sind wir beim Thema „Wirtschaftspolitik“. Der Tagesordnungspunkt vorher hat das ausführlich behandelt.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Matthias Kerkhoff (CDU): Da reden wir über zu viel Bürokratie und Gängelung, neue Vorschriften und Auflagen. Ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Ich füge jedoch hinzu: Wir als Abgeordnete können neben guter Gesetzgebung hier im Hause auch in unseren Wahlkreisen etwas beitragen: indem wir bei Unternehmens- und Schulbesuchen über das Thema „Ausbildung“ sprechen, indem wir uns selber zu Botschaftern der dualen Ausbildung machen und dafür bei Unternehmen, bei Schülern und bei Eltern werben. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kerkhoff. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Maaßen.

Martina Maaßen (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es gleich zu Anfang: Die grüne Regierungsfraktion spricht sich nicht, wie hier von der FDP gewünscht, gegen eine Ausbildungsplatzabgabe oder ?umlage aus.

(Zuruf von der FDP: Schade!)

– Es tut mir auch leid, aber wir machen es nicht.

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit der SPD einen Prüfauftrag vermerkt. Und wir werden diesen Prüfauftrag angehen. Ich gehe für die Grünen noch einen Schritt weiter: Wir begleiten diesen Prüfauftrag positiv. Wir sehen hier einen Anreiz, auszubilden und das duale System zu sichern. Ausbildende Betriebe können unterstützt werden.

Wir haben das Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ auf den Weg gebracht mit Bestandteilen einer frühzeitigen Berufsorientierung und Kompetenzvermittlung. Die Wirtschaft hat sich verpflichtet, mehr Ausbildungsplätze im dualen System anzubieten. Hinzu kommt, dass wir noch nicht ausbildungsreifen jungen Menschen mittels Jugendberufswerkstätten oder Produktionsschulen auf die Sprünge helfen.

Lieber Herr Alda, lieber Uli, wir sind uns zwar sympathisch – aber nur so lange, wie wir nicht über Politik reden, dann wird es kritisch.

(Beifall von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Entschuldige bitte: Aber es ist doch totaler Quatsch, zu fordern, die Zahl der Menschen, die sich im Übergangssystem Schule/Beruf befinden, zu reduzieren. Entweder sind der FDP die Begrifflichkeiten nicht klar oder sie blickt nicht mehr durch.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniela Jansen [SPD])

So, wie sich alle kleinen Kinder im Übergangssystem Kita/Schule befinden, so befinden sich alle Jugendlichen im Übergangssystem Schule/Beruf.

Im Rahmen dieses Systems werden nun nach und nach flächendeckend Angebote installiert. Der Fokus liegt dabei natürlich auf einer betrieblichen Ausbildung. Daneben muss es aber auch weiterhin außerbetriebliche und schulische Angebote geben, und die sinnlosen Warteschleifen müssen vermieden werden.

Um dies zu verwirklichen, muss man gemeinsam an einem Strang ziehen, und diesen Strang gibt es im Ausbildungskonsens. Aber es ist festzustellen, dass die von der Wirtschaft im Ausbildungskonsens gemachten Zusagen nicht realisiert werden. Es scheint so zu sein, dass zwischen der Funktionärsebene und den Unternehmen keine Einflussmöglichkeiten bestehen, dass Information und Kommunikation nicht ausreichend vorhanden sind.

Wir Grünen sehen es so: Eine Ausbildungsumlage oder ?abgabe ist keine Zwangsumlage, sondern eine Investitionsleistung in unsere Jugend.

Erschreckend ist auch, dass laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie annähernd 60 % aller aktiven Ausbildungsbetriebe noch nie einen Azubi mit Migrationshintergrund eingestellt haben. Den Unternehmen scheint noch nicht existenziell bewusst geworden zu sein, dass sie im Lichte des drohenden Fachkräftemangels – zumindest in einigen Branchen – selbst für Nachwuchs sorgen müssen und nicht mehr unproblematisch Fachkräfte einkaufen können. Im neuen Prognos-Bericht ist zu lesen, dass unzureichende Ausbildung Gift für den Wirtschaftsstandort NRW ist. Das muss uns doch alle aufrütteln.

Die Jugendarbeitslosigkeit in NRW ist besonders gravierend. Im Juli 2014 waren in NRW 80.000 Jugendliche unter 25 Jahren arbeitslos. Dies entspricht einer Quote von 8,1 %. In NRW fanden ca. 20.000 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz. Mehrere Tausend Bewerber hatten überhaupt keine Anschlussperspektive und blieben unversorgt. Die abgeschlossenen Ausbildungsverträge gingen in 2013 um 3,2 % zurück. Und so viel zu regionalen Unterschieden: Lediglich in drei von 34 Bezirken, die die BA untersucht hat, war die Entwicklung im Ausbildungsmarkt positiv.

Unternehmen haben eine gesellschaftliche Verantwortung. Dieser Verantwortung stellt sich das Baugewerbe. Hier gibt es schon seit 1975 einen tariflich geregelten Ausbildungsfonds.

Es ist auch bereits auf die Umlagefinanzierung in der Altenpflege hingewiesen worden. Die hat uns 10.000 neue Ausbildungsplätze gebracht.

Unsere europäischen Nachbarn in Frankreich und Dänemark haben schon seit 1925 bzw. 1977 Ausbildungsabgaben. Liebe Kollegen der FDP, mir ist nicht bekannt, dass Altenheime oder Baubetriebe in Deutschland oder die Dänen oder die Franzosen bürokratisch untergehen, weil es dort eine Ausbildungsplatzumlage gibt.

(Zuruf von der FDP)

– Trotzdem, es hat sich doch bewährt. Wir sollten uns das wenigstens mal in Ruhe anschauen.

(Zuruf von der FDP: Das duale System: Ja!)

– Das duale System und auch die Ausbildungsumlage – nach meiner Wahrnehmung und der Wahrnehmung der Grünen.

Ich möchte mit einem Zitat meines derzeitigen Schülerpraktikanten Kubilay schließen, der aus seiner Sicht sicherlich auch ein Fachexperte ist:

Durch eine Abgabe oder Umlage können sich viele Jugendliche weiterentwickeln und bleiben nicht auf der Strecke. Man darf nie vergessen, dass die Jugendlichen heute die Zukunft von morgen sind. Und wenn man auf die Zukunft setzt und will, dass es vorangeht, dann muss man auch die Zukunft unserer Jugendlichen fördern.

In diesem Sinne! – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und Daniela Jansen [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Maaßen. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren – weniger auf der Tribüne, dafür, hoffe ich, umso mehr im Stream!

Zum einen, liebe Kollegin Jansen: Die Ananasdiät habe ich mir aufgeschrieben. Ich werde dann berichten.

Zum Zweiten: Es ist schon ein bisschen verwirrend, was die Landesregierung in letzter Zeit an Aussagen zur Ausbildungsumlage in die Welt gesetzt hat. Frau Ministerpräsidentin schließt sie konsequent aus – auch in Zukunft. Herr Minister Schneider bringt sie öfter mal ins Spiel. Da wäre eine eindeutige Kommunikation besser. Hinterher glaubt noch irgendjemand, Sie wären sich nicht einig. Das wäre ja nicht richtig.

Ich stehe der Ausbildungsumlage übrigens sehr neutral gegenüber, möchte aber zu bedenken geben, dass man zuerst mal prüfen muss, ob die denn wirklich die Steuerungswirkung entfalten kann, die man sich davon erhofft. Aber das können wir ja demnächst im Ausschuss besprechen. Deswegen finde ich den Antrag an der Stelle gar nicht schlecht – bin aber nicht ganz sicher, ob das Ergebnis erzielt wird, das sich der Kollege Alda wünscht. Aber schauen wir mal.

Ich habe mir zunächst mal die Zahl der Auszubildenden in den letzten Jahren angeschaut. Dabei habe ich nicht nur den FDP-Antrag zugrunde gelegt, in dem nur das Jahr 2012 bis 2013 betrachtet wird. IT.NRW listet Zahlen von 2009 bis 2013 auf. In diesem Zeitraum gab es landesweit einen Rückgang an Auszubildenden von etwas mehr als 6 %, größtenteils übrigens im Handwerk, zu einem etwas kleineren Teil in der Industrie. Das ist nicht gut für unser Land. Wir wissen, wie viele Fachkräfte wir in Zukunft brauchen. Da müssen wir wirklich einhaken.

Wie kann man dem begegnen? Warum wird überhaupt weniger ausgebildet? – Die Unternehmen und auch die Unternehmensverbände sagen ganz gerne: Es gibt zu viel Bürokratie. – Das kann man sagen, man muss dann aber auch exakt benennen, welche bürokratischen Hemmnisse es gibt. Dann kann man sich diese anschauen. Hier immer wieder mantraähnlich das Tariftreue- und Vergabegesetz zu kritisieren,

(Ulrich Alda [FDP]: Ananas)

ja, das ist wahrscheinlich genauso hilfreich, wie ständig eine Ananasdiät zu wiederholen. Das macht keinen Sinn. Es ist auch unglaubwürdig, wenn man das bei jeder Problemstellung aus dem Hut zaubert. Da sollte man sich schon etwas differenzierter dranbegeben. Aber das können wir ja im Ausschuss machen. Darauf freue ich mich.

Der zweite Punkt, den Unternehmen und Verbände immer wieder vorbringen, ist, dass junge Menschen heutzutage nicht so ausbildungsfähig seien. Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Menschen heutzutage dümmer sind als früher.

(Ulrich Alda [FDP]: Ein Teil der Jugendlichen!)

– Auch das glaube nicht – nicht im Schnitt! Ich glaube, dass Unternehmen heutzutage genauere Vorstellungen haben, was ein zukünftiger Auszubildender alles schon können soll. Und ich glaube, da wird ein bisschen zu viel gefordert. Ich finde auch nicht, dass unsere Schulen dafür zuständig sind, diese Forderung zu erfüllen. Die Schulen sind ja schließlich nicht Dienstleister der Wirtschaft. Wenn Unternehmen genauere Vorstellungen haben, dann müssen sie auch in die Pflicht genommen werden. Wie man ihnen dabei helfen kann, darüber können wir ebenfalls reden.

Hier gebe ich der FDP recht: Dies muss in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft geschehen. Miteinander reden – das ist ganz wichtig. Der runde Tisch ist bereits erwähnt worden.

Wer mir bei dem runden Tisch aber immer wieder fehlt, das sind die Kleinunternehmen. Es gibt sehr viele kleinere Unternehmen – Kollegin Maaßen sprach es eben an –, auch mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Es gibt auch Kleinunternehmen, die von Menschen mit Migrationshintergrund ins Leben gerufen worden sind, wo also die Unternehmer einen Migrationshintergrund haben. Dort gibt es noch sehr viel Respekt vor unserem dualen Ausbildungssystem. Da kann man Hilfestellung geben. Da können wir eine echte Trendwende schaffen. Das wäre eine richtig gute Sache. Ich freue mich, dass wir uns darüber im Ausschuss unterhalten können.

Ich möchte meine Redezeit zu diesem Zeitpunkt nicht überschreiten. Ich freue mich auf die Anhörung, die es dazu wahrscheinlich geben wird – das hoffe ich zumindest, denn sonst wäre das nur ein Showantrag, wovon ich nicht ausgehe – und auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schneider.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Worum es geht?

Erstens. Wir haben in den letzten Jahren einen Rückgang nicht bei den angebotenen Ausbildungsplätzen zu verzeichnen, sondern bei den abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen. Dies ist regional sehr unterschiedlich, auch von Branche zu Branche sehr unterschiedlich, einige sind ja schon angesprochen worden.

Das Bemerkenswerte und das Schwierige liegt darin, dass in den industriellen Kernberufen bei den abgeschlossenen Ausbildungs­verhältnissen Rückgänge von bis zu 10 % zu verzeichnen sind. Ich sage Ihnen: Das machen Sie einige Jahre, und dann haben Sie zeitlich gestreckt ein echtes Fachkräfteproblem. Wir haben ja den ganzen Tag darüber diskutiert, wie wichtig qualifizierte Arbeit für das Industrieland NRW ist. Und die ist eben verbunden mit beruflicher Qualifizierung und mit Weiterbildung. Deshalb ist die jetzige Situation so gefährlich.

Zweitens. Wir haben mit großem Erfolg das neue Übergangssystem von der Schule in den Beruf eingeführt. Zwischenzeitlich sind etwa 200.000 junge Menschen mit diesem Übergangssystem erreicht. Wir wollen über diesen Weg auch die sogenannten Warteschleifen minimieren, um die jungen Menschen möglichst früh in Ausbildung oder Studium zu bringen. Dies geht aber erst dann, wenn wir mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung haben. Ansonsten wird sich die Zahl derer, die sich in Warteschleifen befinden, nicht reduzieren lassen.

Zur Qualifikation der jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen: Hier hat sich fundamental etwas verändert. 70 % der Ausbildungsplatzsuchenden, die ohne Erfolg bleiben, haben mindestens einen Realschulabschluss, wenn nicht eine Studienberechtigung. Also: Die Gleichung, dass diejenigen, die übrig bleiben, nicht ausbildungsfähig oder ?willig sind, die geht seit Langem nicht mehr auf.

Was ist nun zu tun? – Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt auch hier auf sozialen Ausgleich. Unser Ausbildungskonsens wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Wir diskutieren derzeit auf der Arbeitsebene darüber, wie wir die Verhältnisse in diesem Jahr verbessern können. Natürlich geht dies am besten, wenn alle Beteiligten an einem Strick ziehen und sich in der Zielsetzung einig sind. Ohne Druck!

Die Wirtschaft ist für die Ausbildung im dualen System zuständig. Die Kammern haben den gesetzlichen Auftrag, die Durchführung der Berufsausbildung zu organisieren. Deshalb kann man schon erwarten, dass jetzt gehandelt wird. Dies heißt auch, dass jetzt geliefert wird. Selbstverständlich!

Im Übrigen handelt es sich um eine Umlage, nicht um eine Abgabe. Ich bitte, hier exakt zu bleiben. Eine Abgabe wäre eine neue Steuer. Das will ja wohl niemand.

Eine Ausbildungsplatzumlage steht nicht auf der politischen Agenda der Landesregierung. Allerdings – Frau Maaßen hat darauf hingewiesen – ist im Koalitionsvertrag ein Prüfungsauftrag vermerkt, dem wir selbstverständlich nachkommen werden.

Wir setzen aber darauf, dass sich die Wirtschaft im ureigenen Interesse bewegt und mehr Ausbildungsverhältnisse im dualen System abschließt. Dies bezieht sich auch auf junge Leute, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Es bezieht sich ebenfalls auf junge Leute mit Migrationshintergrund.

Und es tut sich ja einiges. Ich könnte zum Beispiel die Kammer Siegen nennen, die hier – natürlich mit eigenem Geld untersetzt – ganz hervorragende Aktivitäten auf den Weg bringt, um die Berufsausbildung in ihrem Bereich voranzubringen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Ich weiß nicht, was die Diskussion über eine Quote soll. Niemand denkt daran, irgendeine Quote einzuführen. Ich habe den Eindruck, dass manche reflexartig zurückschrecken, wenn das Wort „Quote“ fällt. Dies ist nun wirklich außerhalb der aktuellen Diskussion.

Meine Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten, die wir haben, …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: … über die wir auch nicht hinweggehen sollten, gibt es auch Positives. Heute sind die jüngsten Arbeitsmarktdaten, auch bezogen auf NRW, bekanntgegeben worden.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, Sie überziehen gerade die Redezeit.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Bei den bis zu 25-Jährigen ist die Arbeitslosigkeit zwar leicht angestiegen, aber immerhin um über 9 % zurückgegangen gegenüber den vergleichbaren Zahlen im letzten Jahr.

Sie sehen: Trotz aller Schwierigkeiten funktioniert das duale Ausbildungssystem. Es ist das beste der Welt. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister hat seine Redezeit um 1:30 Minuten überzogen. Möchte jemand aus einer der Fraktionen noch reden? – Herr Kollege Alda. Bitte schön.

Ulrich Alda*) (FDP): Wie viel Zeit habe ich?

Präsidentin Carina Gödecke: 1:30.


Ulrich Alda*) (FDP): 1:30 – so viel brauche ich gar nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, auf die Ananas-Sache gehe ich jetzt nicht ein. Das betrachte ich als Bestandteil zur Hebung der allgemeinen Stimmung nach langen Plenartagen.

Ich will Ihnen aber mal ganz ehrlich sagen, was mich in Harnisch bringt. Ob Sie hier jetzt „Umlage“, „Abgabe“ oder sonst was sagen: Das zeigt mir doch, dass Sie von den betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen gar nichts wissen. Das sind Kosten, einzig und allein Kosten!

Mich bringt weiter in Harnisch, dass die Ministerpräsidentin hier sagt: Es gibt keine Abgabe. – Oder Umlage – nennen Sie es, wie Sie wollen. Dafür hat sie sich in der Presse feiern lassen. Hier höre ich aus den Fraktionen von Rot-Grün, dass es eben doch so ist, dass Sie es weiterhin verfolgen. Das nehmen wir, glaube ich, als Gesamteindruck für heute Abend mit. – Schönen Feierabend!

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Bitte schön, Herr Minister. Das hatte ich jetzt geradezu erwartet.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Danke schön. – Herr Alda, ich will versuchen, Ihnen den Unterschied zwischen Abgabe und Umlage zu erklären.

Eine Umlage ist dazu da, einen Kostenausgleich zwischen den Unternehmen, die ausbilden, und denen, die nicht ausbilden, herbeizuführen. Viele Kammern – auch außerhalb unseres Bundeslandes – denken insgeheim seit Langem über einen Kostenausgleich nach, auch um Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen den Unternehmen selbst im Bereich der Berufsausbildung herzustellen.

Eine Abgabe ist eigentlich eine Steuer, die irgendwo landet, die nicht zweckgebunden ist, die eigentlich unbrauchbar ist. Deshalb hat niemand in der Fachöffentlichkeit an eine Ausbildungsabgabe gedacht – jedenfalls nicht diejenigen, die mit Sachverstand gesegnet sind. – Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Der guten Ordnung halber will ich mitteilen, dass der Minister seine Redezeit jetzt insgesamt um zwei Minuten 23 Sekunden überzogen hat. Möchte jetzt noch jemand reden? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/7780 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Dieser Ausschuss bekommt die Federführung. Dann gibt es die Mitberatung, und zwar beim Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk sowie beim Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen die Überweisung? – Oder gibt es eine Enthaltung dazu? – Beides ist nicht der Fall. Damit haben wir so überwiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung angekommen. Es ist 18:51 Uhr.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 30. Januar 2015, 10 Uhr, und wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend.

Schluss: 18:51 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

 

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.