Das Dokument ist auch im PDF und Word Format verfügbar.

Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/63

16. Wahlperiode

03.07.2014

63. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 3. Juli 2014

Mitteilungen der Präsidentin. 6327

Ergänzung der Tagesordnung. 6327

Ergebnis. 6327

1   Auswirkungen des Unwetterereignisses vom 9. Juni 2014

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Nach dem Orkan „Ela“ – Jetzt die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen nicht allein lassen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6086

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6202. 6327

Minister Ralf Jäger 6327

Minister Johannes Remmel 6329

Thomas Kufen (CDU) 6330

Michael Hübner (SPD) 6332

Dr. Robert Orth (FDP) 6334

Reiner Priggen (GRÜNE) 6335

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6338

Minister Ralf Jäger 6339

Marc Lürbke (FDP) 6340

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 6341

Ergebnis. 6342

2   Schwere Vertrauenskrise zwischen regierungstragenden Fraktionen und Innenminister Jäger belastet die Polizei in Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6190

In Verbindung mit:

Betreibt das Ministerium des Inneren NRW gezielt Desinformation, um Demokraten zu verunglimpfen?

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6120

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6205. 6343

Theo Kruse (CDU) 6343

Torsten Sommer (PIRATEN) 6344

Nadja Lüders (SPD) 6346

Dr. Robert Orth (FDP) 6348

Verena Schäffer (GRÜNE) 6349

Minister Ralf Jäger 6350

Werner Lohn (CDU) 6353

Thomas Stotko (SPD) 6355

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 6356

Dr. Robert Orth (FDP) 6358

Torsten Sommer (PIRATEN) 6359

Minister Ralf Jäger 6360

Daniel Sieveke (CDU) 6361

Norbert Römer (SPD) 6362

Reiner Priggen (GRÜNE)
(Persönliche Bemerkung gemäß § 30 GO) 6363

Ergebnis. 6364

Namentliche Abstimmung
siehe Anlage 1

3   Nordrhein-westfälische Finanzverwaltung der Zukunft

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6132. 6364

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 6364

Uli Hahnen (SPD) 6365

Ralf Witzel (FDP) 6366

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6367

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6368

Robert Stein (fraktionslos) 6368

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6369

Ergebnis. 6371

4   Korruptionsanfälligkeit und Misswirtschaft beenden – Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) in neue Strukturen überführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6126. 6371

Ralf Witzel (FDP) 6371

Stefan Zimkeit (SPD) 6372

Hendrik Schmitz (CDU) 6374

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 6376

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6378

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 6379

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 6382

Dirk Wedel (FDP) 6384

Ergebnis. 6385

5   Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5751

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/6150

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6231

zweite Lesung. 6385

Marc Herter (SPD) 6385

Sigrid Beer (GRÜNE) 6385

André Kuper (CDU) 6386

Yvonne Gebauer (FDP) 6388

Monika Pieper (PIRATEN) 6389

Ministerin Sylvia Löhrmann. 6389

Ergebnis. 6391

6   10. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und zur Regelung der Rechtsverhältnisse des Versorgungswerks der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Landtags Brandenburg

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6123

erste Lesung

In Verbindung mit:

11. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6124

erste Lesung

Und:

12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6125

erste Lesung. 6391

Marc Herter (SPD) 6392

Lutz Lienenkämper (CDU) 6393

Sigrid Beer (GRÜNE) 6394

Angela Freimuth (FDP) 6395

Michele Marsching (PIRATEN) 6396

Ergebnis. 6397

7   Halbjahresbericht des Petitionsausschusses. 6397

Rita Klöpper (CDU) 6398

8   Einspruch! Die Änderungen des Antiterrordateigesetzes setzen die Vorgaben aus dem Urteil des BVerfG vom 24. April 2013 (1 BVR 1215/07) nicht um

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6117. 6402

Frank Herrmann (PIRATEN) 6402

Thomas Marquardt (SPD) 6403

Daniel Sieveke (CDU) 6404

Monika Düker (GRÜNE) 6405

Dirk Wedel (FDP) 6406

Minister Ralf Jäger 6407

Ergebnis. 6408

9   Freie Berufe in Nordrhein-Westfalen stärken: Europäisches Semester kritisch begleiten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6134. 6408

Hendrik Wüst (CDU) 6408

Thomas Eiskirch (SPD) 6409

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 6409

Ralph Bombis (FDP) 6410

Daniel Schwerd (PIRATEN) 6411

Minister Garrelt Duin. 6411

Ergebnis. 6412

10 Spione unerwünscht: Wissen über sichere E-Mail-Kommunikation verbreiten!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6115

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6203. 6412

Daniel Schwerd (PIRATEN) 6412

Jens Geyer (SPD) 6413

Lothar Hegemann (CDU) 6414

Matthi Bolte (GRÜNE) 6416

Dr. Robert Orth (FDP) 6416

Minister Ralf Jäger 6417

Daniel Schwerd (PIRATEN) 6418

Ergebnis. 6418

11 Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6089

erste Lesung. 6418

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 2)

Ergebnis. 6418

12 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6090

erste Lesung. 6418

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 6418

13 Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6091

erste Lesung. 6419

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 4)

Ergebnis. 6419

14 Gesetz zur finanziellen Beteiligung an den Schulkosten für die Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern und über die Berufsausübung der Gesundheitsfachberufe

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6092

erste Lesung. 6419

Ministerin Barbara Steffens. 6419

Serdar Yüksel (SPD) 6420

Oskar Burkert (CDU) 6420

Arif Ünal (GRÜNE) 6420

Susanne Schneider (FDP) 6420

Olaf Wegner (PIRATEN) 6420

Ergebnis. 6422

15 NRW unterstützt Europäisches Jahr der Entwicklung 2015

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5481

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Eine Welt
Drucksache 16/6151. 6422

Renate Hendricks (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Andrea Asch (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ilka von Boeselager (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Dr. Ingo Wolf (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Nicolaus Kern (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
zu Protokoll (siehe Anlage 5)

Ergebnis. 6422

16 Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkänderungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/6137

dritte Lesung. 6423

Alexander Vogt (SPD) 6423

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 6423

Oliver Keymis (GRÜNE) 6424

Thomas Nückel (FDP) 6424

Daniel Schwerd (PIRATEN) 6425

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 6426

Ergebnis. 6427

Anlage 1. 6429

Namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/6120TOP 2 (Betreibt das Ministerium des Inneren NRW gezielt Desinformation um Demokraten zu verunglimpfen?)

Anlage 2. 6437

Zu TOP 11 – „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 6437

Anlage 3. 6439

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 6439

Anlage 4. 6441

Zu TOP 13 – „Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 6441

Anlage 5. 6443

Zu TOP 15 – „NRW unterstützt Europäisches Jahr der Entwicklung 2015“ – zu Protokoll gegebene Reden

Renate Hendricks (SPD) 6443

Andrea Asch (GRÜNE) 6443

Ilka von Boeselager (CDU) 6444

Dr. Ingo Wolf (FDP) 6445

Nicolaus Kern (PIRATEN) 6446

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 6446

Entschuldigt waren:

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft      
(ab 17:30 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(bis 14 Uhr)

Minister Johannes Remmel      
(von 15:30 Uhr bis 17 Uhr)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(ab 18 Uhr)

Annette Watermann-Krass (SPD)          
(ab 15:30 Uhr)

Karl Schultheis (SPD)  
(von 10 Uhr bis 14 Uhr)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 14 Uhr)

Werner Jostmeier (CDU)          
(ab 12 Uhr)

Volker Jung (CDU)

Jens Kamieth (CDU)    
(von 12 Uhr bis 14 Uhr)

Bernd Krückel (CDU)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 13:30 Uhr)

Henning Höne (FDP)    
(von 15 Uhr bis 20 Uhr)

Christian Lindner (FDP)


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 63. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich zum einen daran erinnern, dass wir bereits gestern die Tagesordnung des heutigen Tages dahin gehend verändert haben, dass wir als neuen Tagesordnungspunkt 1 die Unterrichtung der Landesregierung über die Auswirkungen des Orkans Ela aufgenommen und dann festgestellt haben, dass sich die weiteren Tagesordnungspunkte entsprechend nach hinten verschieben.

Zusätzlich haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Schreiben vom 2. Juli 2014 eine Ergänzung der Tagesordnung beantragt, nämlich die dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes.

Dieses Gesetz soll laut Beantragung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Tagesordnungspunkt 16 in die heutige Tagesordnung aufgenommen werden. Eine Redezeit von Block 1 ist beantragt worden.

Gemäß § 20 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung lasse ich hierüber abstimmen. Wer dieser Veränderung der Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten, CDU und FDP. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir die Tagesordnung einstimmig so verändert.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf das immer noch neue Instrument der Live-Tagesordnung hinweisen, in der Sie nicht nur die Veränderungen nachlesen können, die sich im Laufe des Vortages ergeben, sondern auch Veränderungen, die sich im Laufe des Tages ergeben, insbesondere auch veränderte Zeitabfolgen. Auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer – obwohl wir uns an diese nur selten wenden – der Hinweis: Wann immer Sie im Internet die Sitzung verfolgen, haben Sie die Möglichkeit, sich die Live-Tagesordnung anzuschauen.

Nach diesen Vorbemerkungen rufe ich auf:

1   Auswirkungen des Unwetterereignisses vom 9. Juni 2014

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Nach dem Orkan „Ela“ – Jetzt die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen nicht allein lassen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6086

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6202

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass sich die Landesregierung die Unterrichtungszeit von 20 Minuten teilt. Zuerst wird Herr Minister Jäger unterrichten, anschließend Herr Minister Remmel. Die Aussprache, die danach folgt, findet wie verabredet statt, auch was die Redezeiten angeht. Allerdings beginnt die CDU-Fraktion und nicht, wie irrtümlich auf dem Redezettel und der Übersicht ausgewiesen, die SPD-Fraktion.

Herr Minister Jäger hat das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Unwetter vom 9. Mai dieses Jahres hat einen verheerenden Schaden angerichtet. Das gilt zum einen für den hohen finanziellen Schaden, aber es gilt vor allem auch für das schreckliche Ausmaß, mit dem das Sturmtief Ela die Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, getroffen hat.

Sechs Menschen haben ihr Leben verloren. In Düsseldorf wurden drei Menschen getötet, die vor dem Sturm in ein Gartenhaus geflüchtet waren, auf das eine große Pappel stürzte. In Köln erschlug ein umstürzender Baum nach einem Blitzeinschlag einen Radfahrer. In Krefeld zerstörte ein umstürzender Baum eine Stromleitung und traf einen 28-jährigen Radfahrer. Er verstarb durch diesen Stromschlag. In Essen verstarb ein Mensch bei Aufräumarbeiten. Unsere Gedanken waren und sind bei diesen Menschen, bei ihren Hinterbliebenen, ihren Familien und ihren Freunden.

Nach den uns vorliegenden Meldungen wurden durch das Unwetter und die anschließenden Aufräumarbeiten zudem 98 Menschen verletzt, davon 17 Einsatzkräfte. Die Landesregierung wünscht diesen Menschen eine gute Genesung sowie eine hoffentlich vollständige Erholung von den Folgen.

(Allgemeiner Beifall)

Das Interesse an einer Unterrichtung sowie einer Bewertung und Reaktion der Landesregierung im Anschluss an dieses Unwetter ist groß, sowohl hier im Landtag als auch in der Öffentlichkeit. Ich werde gleich darauf eingehen, aber lassen Sie mich zuvor noch etwas sagen, was mir besonders wichtig ist.

Im Namen der gesamten Landesregierung möchte ich allen Helferinnen und Helfern, allen Haupt- und Ehrenamtlichen und jedem Menschen danken, die dazu beigetragen haben, die Folgen des Unwetters zu beseitigen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich weiß, dass wir alle davon ausgehen, dass die Feuerwehr und die anderen Hilfskräfte das schon irgendwie richten werden. Dafür sind sie schließlich da. Ich möchte aber betonen: Der große, der schwere Einsatz, den nicht nur unsere Einsatzkräfte, sondern auch die Behörden vor Ort und die zahlreichen Freiwilligen geleistet haben, ist in diesem Ausmaß keine Selbstverständlichkeit. Dieser Einsatz verdient unser aller Respekt. Das sage ich sicherlich für alle Fraktionen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Durch die schweren Unwetter und Gewitter, den Starkregen und extremen Sturm wurde am Pfingstmontag, dem 9. Juni 2014, nahezu ganz Nordrhein-Westfalen getroffen. Besonders stark betroffen waren die Regionen Düsseldorf und Teile des Ruhrgebiets.

Ich habe bereits im Innenausschuss einen ausführlichen Bericht vorgelegt, aus dem sich die Leistungen der Einsatzkräfte und das bis dahin bekannte Ausmaß des Schadens ergeben. Darin sind auch Zahlen enthalten, die Auskunft geben über die vorläufige Schadensbilanz der Kommunen.

Ich vermute, wir alle haben an der einen oder anderen Stelle gesehen und gespürt, welche Auswirkungen der Sturm in den Kommunen hatte, in denen er gewütet hat. Wir konnten sehen, wie die Zerstörung von Baumlandschaften das Stadtbild verändert hat, wie das tägliche Leben zum Erliegen kam, weil Straßen und Zugstrecken durch Bäume blockiert waren, welche Kraftanstrengungen es für die Kommunen bedeutet hat, die Infrastruktur Schritt für Schritt wiederherzustellen. Für uns als Landesregierung war klar, dass wir die Kommunen bei dieser enormen Anstrengung unterstützen müssen.

Deshalb haben wir am 17. Juni 2014 beschlossen, einen Hilfsfonds für die besonders von den Unwettern betroffenen Kommunen einzurichten. Zweck dieses Fonds wird vorrangig die Beteiligung des Landes an der Wiederherstellung der notwendigen Infrastruktur in den Kommunen sein. Versicherbare Schäden sind davon nicht erfasst.

Die Gesamtsumme der bisher von den Kommunen gemeldeten Schäden beträgt ca. 220 Millionen €. Dabei handelt es sich um erste grobe Schätzungen. Es haben noch längst nicht alle Kommunen berichten können, weil die Aufräumarbeiten an vorderster Stelle standen. Ich schätze aber, dass wir am Ende auf einen gemeldeten Schaden in den Kommunen in einem dreistelligen Millionenbereich kommen werden.

Ich möchte an dieser Stelle auf die aktuelle Diskussion eingehen, bei der die uneinheitlichen Meldungen der Kommunen zu den Schäden an den Bäumen kritisiert werden. Es ist richtig, dass die höchste Schadensposition in den bisher vorliegenden Meldungen der Kommunen die Beseitigung und Neupflanzung zerstörter innerstädtischer Bäume ist. Nicht zu vergessen sind die Schäden auf den Verkehrswegen, im öffentlichen Nahverkehr, an öffentlichen Gebäuden, aber auch am Abwassersystem.

Was die Bäume betrifft, ist es richtig, dass nicht alle Kommunen die gleichen Berechnungsgrundlagen gewählt haben. Die auch in der Presse genannten Beträge umfassen eine Spanne von 200 € bis 2.000 €. Sicher ist, dass die Neupflanzung von Stadtbäumen höhere Kosten verursacht als eine Aufforstung im Wald.

Wir brauchen ein Verfahren, das so objektiv und so gerecht wie möglich die Schäden in den Kommunen abbildet und selbstverständlich Überzahlungen ausschließt. Hierzu gibt es aus meiner Sicht zwei Wege.

Der eine Weg wäre die Standardisierung. Das heißt, wir bräuchten geeignete Parameter, wonach die Schadensarten nach denselben Maßstäben erhoben und bewertet werden.

Ein anderer Weg wäre das Verwenden geeigneter Indikatoren, wie es uns seinerzeit beim Wintersturm Kyrill gelungen ist. Wir haben damals den sogenannten gefallenen Festmeter Holz zur Grundlage genommen. Danach wurden die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds für die Wiederherstellung der Schäden an der Infrastruktur auf die Kommunen verteilt. Es gab keinen Streit über diese Grundlage. Damals war man sich einig, dass dort, wo viel Holzschaden angefallen war, das Unwetter auch an der Infrastruktur heftigen Schaden angerichtet haben muss.

Solche abstrakten Indikatoren, die nicht die Schadenshöhe der jeweiligen Schadensmeldung abbilden, objektivieren das Verfahren. Indikatoren wie das Ausmaß, in dem die einzelne Kommune vom Unwetter getroffen wurde, spiegeln zugleich die reale Schadenshöhe wider und bilden zugleich keine Anreize zu Mitnahmeeffekten.

Ich persönlich bevorzuge diese Variante. Wichtig ist mir aber, dass wir zu einer gerechten Verteilung kommen, Überzahlung vermeiden und möglichst schnell Hilfe leisten. Dazu werde ich auf die kommunalen Spitzenverbände zugehen und versuchen, gemeinsam mit ihnen konsensual geeignete Kriterien zu finden. Ein erstes Gespräch mit den betroffenen Kommunen hatte ich bereits am 20. Juni. Dort habe ich diese Überlegung erläutert und Zustimmung erfahren.

Wenn über ein solches Verfahren mit den Kommunen Konsens erzielt werden kann, könnten diese Mittel schneller an die Kommunen weitergegeben werden. Aufwendige Prüfungen der Angaben der Kommunen über die Höhe der verschiedenen Schadensarten würden entfallen. Es käme dann eben nicht mehr darauf an, ob die Kommunen akzeptable Beträge zum Beispiel für die Schadensposition Baum angesetzt haben.

Meine Damen und Herren, neben der Vorbereitung des Landesfonds prüfen wir auch, ob wir Mittel aus dem Europäischen Solidaritätsfonds in Anspruch nehmen können. Dieser Fonds, der Mittel zur Bewältigung schwerer Katastrophen bereitstellt, setzt allerdings höhe Hürden. Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass wir diese Hürden nehmen. Erst wenn ein Ereignis einen gesamtwirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe verursacht hat, können aus diesem Fonds Mittel fließen. Das sind für Deutschland insgesamt 3,7 Milliarden €. Selbst wenn man die neue EU-Richtlinie und die lokale Betrachtung zugrunde legt, müsste hier ein Schaden von 2,7 Milliarden € allein im Regierungsbezirk Düsseldorf festgestellt werden.

Nichtsdestotrotz prüfen wir das selbstverständlich; denn beim Sturm Kyrill gab es damals auch zunächst Skepsis. Am Ende konnten wir doch Mittel aus diesem Fonds erhalten, weil die privaten Schäden, die hier mit subsumiert werden, enorm hoch waren.

Meine Damen und Herren, auch dieses Mal stellen wir fest, dass die Zahlen im privaten Bereich steigen. Unsere ersten Anfragen bei den Versicherungen hatten Schätzungen von 200 Millionen € an privaten Schäden ergeben. Inzwischen meldet der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft Schäden von 600 Millionen € in Privathaushalten.

Wir haben einen strukturierten Fragebogen an die Kommunen verschickt, um die vorläufigen Schadenschätzungen aller Kommunen zu erfahren. Wir erwarten am 18. Juli diese Antworten. Dann werden wir prüfen können, ob ein Antrag bei der Europäischen Union Erfolg versprechen könnte.

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass wir dann auch ein besseres Bild für das ganze Land haben, welche Schäden im Bereich der Infrastruktur bei den Kommunen entstanden sind. Wir werden in der Landesregierung dann darüber zu beschließen haben, mit welcher Summe das Land die Kommunen unterstützen kann – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Herr Minister Remmel, bitte.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Sturmtief Ela hat uns wieder sehr deutlich vor Augen geführt, dass wir trotz unserer privilegierten Lage in Mitteleuropa zukünftig vermehrt Naturstarkereignissen, Wetterereignissen ausgeliefert sein werden. Uns hat es in den Städten vor Augen geführt, was manche in Nordrhein-Westfalen schon 2007 bei Kyrill erfahren haben, dass diese Wetterereignisse innerhalb von Minuten ein komplettes Stadt- oder Landschaftsbild völlig verändern können. Ich habe mich mit den ökologischen Schäden zu beschäftigen, hier insbesondere im Wald. Im Gegensatz zu Kyrill sind die Schäden in unseren Wäldern nach Meldungen der Forstämter begrenzt. Der Landesbetrieb Wald und Holz schätzt, dass gut 80.000 Festmeter vor allem an Laubbäumen geschädigt wurden; zu Zeiten des Sturms Kyrill waren es 15 Millionen Festmeter.

Schäden sind vor allem in Kommunal- und Privatwäldern entstanden, aber auch der Landesbetrieb und damit der Landeswald ist mit 5.000 Festmetern betroffen.

Im Unterschied zum Sturm Kyrill hat es aber kaum großflächige Schäden gegeben, eher in kleinen Gruppen sind Waldbäume deshalb auch heute noch zu angemessenen Preisen zu vermarkten. Auch im Laufe des Jahres ist das noch möglich. Aufforstungen werden sich beschränken, weil wir teilweise mit Naturverjüngung arbeiten.

In der Priorität steht der Schutz der Bevölkerung, also das Entfernen beschädigter Bäume an Wegen und Straßen, im Vordergrund und hat absolute Priorität. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das bestehende Waldbetretungsverbot bis zum 7. Juli hinweisen. Die Erfahrung gerade bei solchen Schäden macht deutlich, dass die größten Personenschäden oft im Nachgang entstehen, weil man die aktuellen Gefahren nicht mehr im Blick hat – herunterfallende Äste, Bäume, die unter Spannung stehen. Deshalb bitte absolute Vorsicht!

Wir werden bei den Wiederaufforstungen im Schadensgebiet genauso agieren wie zu Zeiten von Kyrill. Das heißt, das Angebot, bei Wiederaufforstung zu helfen, auch finanziell zu fördern, wird zu den Konditionen laufen, wie das bei Kyrill der Fall war. Der Landesbetrieb wird die Förderanträge zügig bearbeiten.

Ich möchte an dieser Stelle noch hinweisen auf unsere Alleenförderrichtlinie, die unsere markanten Alleen in unseren Städten betrifft. Da gibt es ein bestehendes Förderinstrument, das auch auf zerstörte Alleen ausgerichtet ist, insbesondere auf innerstädtische Alleen. Hier geht es darum, wirklich geeignete Baumarten zu fördern und nicht erneut auf Exoten oder Zuchtformen zu setzen. Hier steht das Land mit Fördermitteln trotz Haushaltssperre zur Seite.

Bei allem Verständnis – auch darauf ist schon hingewiesen worden –, wir werden die Schäden bei den so lieb gewonnenen Stadtbäumen nicht eins zu eins ersetzen können. Wir werden auch nicht jeden Baum eins zu eins ersetzen können. Aber Stadtgrün ist wichtig, Stadtgrün erfüllt wichtige ökologische Funktionen, Stadtgrün hat auch einen hohen emotionalen Wert.

Deshalb unterstützt die Landesregierung vor allem bürgerschaftliches Engagement. Wir möchten die zivilgesellschaftlichen Ideen aufgreifen, Patenschaften zu übernehmen. Deshalb ist die Landesregierung bereit, aus den bestehenden Mitteln des Naturschutzetats jeden bürgerschaftlich gespendeten Euro für neue Stadtbäume mit einem Euro der Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Landeshaushalt zu unterstützen im Rahmen der bestehenden Haushaltsmittel. Ich hoffe, dass Sie für diese Aktion „Bürgerinnen und Bürger für Stadtbäume“ werben. So können wir gemeinschaftlich als bürgerschaftliches Engagement in Nordrhein-Westfalen in den Gebieten, die erheblich betroffen sind, neue Stadtbäume pflanzen. Das hat vielleicht auch noch den Nebeneffekt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren eigenen Baum pflanzen und schützen und nicht ein anonymes Gartenamt.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen gemeinsam Erfolg bei dieser Aktion. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Nach der Unterrichtung steht diese jetzt zur Aussprache. Diese Aussprache eröffnet Herr Kollege Kufen für die CDU-Fraktion.

Thomas Kufen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch drei Wochen nach dem Sturmtief Ela gibt es in den betroffenen Städten an Rhein und Ruhr immer noch umgefallene und umgeknickte Bäume, umherliegende Äste, beschädigte Autos, Oberleitungen, Laternen, Straßenschilder, Plakatwände und Ampeln, eingedrückte Garagen, Lauben, gesperrte Parks, Straßen, Gehwege, Friedhöfe, Spielplätze und Schulhöfe.

Durch das Unwetter kamen in Düsseldorf, Essen, Köln und Krefeld sechs Menschen ums Leben. Das macht uns betroffen. Wir nehmen Anteil; ihren Angehörigen und Hinterbliebenen gehört unser Mitgefühl. Hinzu kommen viele Menschen, die sich infolge des Sturms oder bei der Schadensbeseitigung Verletzungen zugezogen haben.

Die Folgen des schweren Unwetters am Pfingstmontag sind in den betroffenen Städten immer noch sichtbar und gegenwärtig. Der Verlust vieler stadtbildprägender Bäume hat das Erscheinungsbild dieser Städte verändert. Viele Städte wurden von dem verheerenden Sturm Ela drei- bis viermal härter getroffen als durch den Orkan Kyrill im Jahre 2007. Das Sturmtief hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Und anders als im Fall Kyrill im Winter 2007 wurden diesmal insbesondere die Bäume in voller Belaubung betroffen. Das hat zu den vielen Stamm- und Kronenbrüchen geführt.

Meine Damen und Herren, wir wollen alle hoffen, dass bei den weiteren Aufräumarbeiten in den Städten nicht noch weitere Menschen durch loses Astwerk und abgebrochene Bäume zu Schaden kommen. Viele Parks, viele Wälder und Friedhöfe sind nach wie vor zu Recht gesperrt. Angebrochene Äste und Bäume trocknen jetzt regelrecht aus. Sie stellen immer noch ein hohes Sicherheitsrisiko dar.

An dieser Frage zeigt sich übrigens auch, Herr Innenminister, dass Bevölkerungsschutz nur wirksam mit der Bevölkerung organisiert werden kann. Denn gleichzeitig sehen wir, dass sich viele Menschen doch recht sorglos verhalten und vorhandene Sperren überwinden, um sich selbst ein Bild zu machen. Vorsorge und Selbstschutz der Bevölkerung müssen uns weiter beschäftigen.

Die Aufräumarbeiten werden sich noch über Monate hinziehen – und das, obwohl mit der Schadensbeseitigung unmittelbar nach dem Sturm begonnen wurde. Zehntausende waren in den betroffenen Städten Tag für Tag unermüdlich im Einsatz, um die Funktionsfähigkeit der Städte wiederherzustellen. Die CDU-Fraktion – ich denke, auch im Namen aller Fraktionen – dankt den vielen Helferinnen und Helfern.

(Allgemeiner Beifall)

Schulen, Kindertageseinrichtungen waren tagelang geschlossen. Meine Heimatstadt Essen war zum Beispiel tagelang nicht mit der Deutschen Bahn zu erreichen, weil der Essener Hauptbahnhof gesperrt war.

Ich danke auch ausdrücklich den Einsatzkräften der Feuerwehren, der Polizei, des Technischen Hilfswerks, der Hilfsorganisationen, auch der Bundeswehr und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Städte für ihren tatkräftigen, mutigen Einsatz. Ohne die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer wäre der Katastrophenschutz in Nordrhein-Westfalen gar nicht handlungsfähig.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

In den ersten Tagen waren in Essen 85 % der eingesetzten Kräfte Freiwillige. Der Dank gilt daher nicht nur den Freiwilligen, sondern auch den vielen Arbeitgebern und Unternehmen, die für Freistellungen gesorgt und damit den Einsatz der freiwilligen Feuerwehren erst ermöglicht haben.

(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

Zu den Einsatzkräften kamen viele Helferinnen und Helfer, die sich ehrenamtlich, in der Nachbarschaftshilfe in einer breiten Welle der Solidarität und der Hilfsbereitschaft engagiert haben. Wir hoffen, dass diese Welle weiter anhält.

Das zeigt aber auch, die Organisation solcher Hilfsaktionen über E-Mail, über Rundruf, über Facebook stellt auch den Katastrophenschutz vor neue Herausforderungen. Denn es entstehen die Frage: Wie bindet man so etwas ein? Man stellt auch die Frage nach dem Versicherungsschutz bei Verletzungen. Wie ist es bei diesen Fragen mit der Amtshaftung? Wie gehen wir mit Pflichtverletzungen um? All diese Fragen sind nicht trivial, sondern haben in den betroffenen Städten in der Praxis zu großen Unsicherheiten geführt.

Aktuell sehen wir die Hilfsbereitschaft an den vielen Spenden, an den Baumpatenschaften, an Aktionen von Vereinen und Verbänden, Parteien und Unternehmen. Alle wollen einen Beitrag zur Wiederaufforstung oder zur Schadensbeseitigung an Sportplätzen, Pfarrheimen oder Kindertageseinrichtungen leisten.

Das Geleistete kann uns stolz machen. Es kann uns mit Stolz erfüllen, dass die Menschen in diesem Land nicht warten, dass Stadt oder Staat hilft, sondern selber mit anpacken. Insofern auch hier ein herzliches Wort des Dankes.

Das Zusammenspiel der Einsatzkräfte in den betroffenen Kommunen wird durchweg positiv bewertet. Das hat auch der Innenminister im Ausschuss schon deutlich gemacht. Unterstützung erhielten die vielen Betroffenen aus weiten Teilen des Landes. Die Koordinierung erfolgte über die Bezirksregierung.

Hier ist noch einmal deutlich geworden, Herr Innenminister, dass wir immer noch kein landesweit einheitlich elektronisches Stabsführungssystem haben. Viele Kommunen haben nämlich im Alltag gezeigt, dass sie über eine viel präzisere Schadenslage verfügen und auch die Einsatzkräfte viel präziser über ihre elektronischen Karten abbilden können, als das auf der Ebene der Bezirksregierung, die vielfach noch händisch mit Karten arbeitet, technisch möglich war.

Neben den landesweit notwendigen Leitführungssystemen ist aus unserer Sicht auch ein Ausbau zentraler Ausbildungsmöglichkeiten für das kommunale Katastrophenmanagement weiter sinnvoll. Das könnte das Land über das Institut der Feuerwehr NRW in Münster tun. Hier besteht die Möglichkeit, die Qualität des Katastrophenmanagements des kommunal organisierten Katastrophenschutzes weiter zu verbessern.

Der genaue Schaden in den Städten lässt sich erst nach und nach beziffern. Mit der Wiedergabe von Zahlen bin auch ich vorsichtiger geworden. Am 15. Juni, als wir – der Fraktionsvorsitzende Armin Laschet zusammen mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten – uns in Essen in der Einsatzzentrale ein Bild von der Lage gemacht haben, sprach die Stadtspitze der Stadt Essen noch von einem dreistelligen Millionenbetrag. Darüber reden wir heute nicht mehr. Das zeigt aber auch, dass wir jetzt in der Schadensermittlung präziser werden müssen, weil es den einheitlichen Standard zur Schadenserhebung nicht gibt. Insofern können wir noch nicht nachvollziehen, wie hoch der Schaden ist.

Wir können aber auch nicht nachvollziehen, warum sich die Grünen hier im Landtag schon jetzt einzelne Kommunen herauspicken und ihnen pauschal unterstellen, mit den Sturmschäden regelrecht Kasse machen zu wollen

(Beifall von der CDU, der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

und maßlos unanständige Forderungen zu stellen. Herr Priggen, Sie sind sonst immer der Yoda der NRW-Grünen. Das haben Sie doch gar nicht nötig, pauschal die Kommunen vorzuführen und quasi den Elbers zu machen.

(Zurufe: Oh, oh!)

Seien Sie doch einfach im Ton und im Zeitpunkt Ihrer Kritik zurückhaltender, bis wir wissen, wie hoch die Schadenslage wirklich ist.

(Beifall von der CDU)

Fakt ist, die Kosten für die Neupflanzung eines Baumes einschließlich Herausfräsen des alten Wurzelwerks, Pflanzenkauf, Pflanzung und einer üblicherweise vom Land geforderten zweijährigen Fertigungspflege kann man mit mindestens 1.000 € beziffern.

Hinzu kommen natürlich die Kosten für Sicherung, Fällung der Bäume, Wegräumen der Baumteile, der Äste, Beseitigung von gebrochenen Ästen und Kronen. Alles das kostet Zeit und wird die Kommunen sicherlich weiter belasten.

Ich würde mir wünschen, dass die Landesregierung die Kommunen an dieser Stelle deutlicher vor der geäußerten Pauschalkritik in Schutz nimmt.

(Beifall von der CDU)

Gleichwohl ersetzt das nicht die Frage nach einheitlichen Bewertungs­kriterien, die wir in den Kommunen brauchen. Auch da wollen wir Sie gerne unterstützen.

Die höchste Schadensposition stellt nach der Beseitigung offensichtlich die Ersatzpflanzung von innerstädtischen Bäumen dar. In Düsseldorf soll von rund 69.000 Straßenbäumen ein Viertel zerstört sein. Gleiches soll für Neuss gelten. In Essen soll jeder zehnte städtische Baum außerhalb der Wälder so stark beschädigt sein, dass die Standsicherheit nicht mehr gegeben ist und die Bäume beseitigt werden müssen.

Straßenbäume – darauf hat der Umweltminister schon dezent hingewiesen – sind wichtig für das innerstädtische Klima. Pflanzen sind für ein angenehmes Stadtklima das A und O. Eine herausragende Rolle spielen dabei die Straßenbäume, die durch Staubfilterung, Verdunstung und Sauerstoffproduktion die Stadtluft verbessern und durch Verschattung einer weiteren Aufheizung des Straßenraumes entgegenwirken. Das hat der NABU jüngst noch mal bestätigt.

Viele Kommunen sind allerdings in der Haushaltssicherung. Haushaltssanierungspläne, die auch mit dem Innenminister verabredet wurden, lassen keine weiteren Spielräume zu, um das Stadtbild mit Straßenbäumen nach dem verheerenden Sturm wiederherzustellen. Nichtsdestotrotz sind die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger bereit, ihren Beitrag zu leisten.

Gleichzeitig gibt es berechtigte Hoffnung, wie ich finde, wie wir finden, dass die Kommunen auch Forderungen ans Land stellen dürfen, dass jetzt Ähnliches gilt wie 2007 beim Orkan Kyrill, damals an die Regierung Rüttgers gerichtet, jetzt an die Regierung Kraft gerichtet.

Wir dürfen die Kassenlage der Kommunen hier nicht aus dem Blick lassen. Das heißt aber nicht, dass Wunschzettel abgegeben werden sollen; das ist doch völlig klar.

Zudem erwarten wir, dass die Landesregierung nicht nur ihren Verpflichtungen an dieser Stelle nachkommt, sondern sich auch selbst vor Ort über das Ausmaß der Schäden ein Bild macht und den Einsatz der vielen Helferinnen und Helfer würdigt. Auch da hätten wir als CDU uns eine schnellere Reaktion der Landesregierung gewünscht.

Herr Remmel, Sie begrüßen sonst jedes Windrad persönlich mit Handschlag. Wir hätten uns gewünscht, dass Sie sich auch in Essen über die Schadensfälle informieren, der Stadt, die mit am härtesten getroffen wurde.

(Beifall von der CDU)

Unser Antrag, meine Damen und Herren, nennt konkrete Punkte für ein Sofortmaßnahmenpaket. Diese Maßnahmenvorschläge zeigen auch, dass wir als CDU uns konstruktiv einbringen. Wir lassen dabei die Bundesregierung wie auch die europäische Ebene nicht außer Acht, wir sparen sie nicht aus. Auch sie wollen wir um Hilfe bitten für die sturmgeschädigten Städte.

Meine Damen und Herren, ein deutsches Sprichwort sagt: Nichts auf der Welt ist so schlecht, dass es nicht auch etwas Gutes in sich hat. Und kein Unglück ist so groß, dass es nicht noch ein kleines Stückchen Glück enthalten könnte. – Da ist es nur folgerichtig, dass der Innenminister, wie er angekündigt hat, die Abläufe der landesweiten Hilfen des nordrhein-westfälischen Feuer- und Katastrophenschutzes jetzt auch anhand der Erfahrungen mit dem Sturmtief Ela überprüfen will. Aus Sicht der Landesregierung hat er ja schon festgestellt: Es gibt keine besonderen Auffälligkeiten an der Struktur und der Koordinierung der Hilfen.

Fakt ist aber auch, dass wir uns immer stärker und immer häufiger mit klimabedingten Extremwetterereignissen werden auseinandersetzen müssen. Der heutige Katastrophenschutz ist, Herr Innenminister, in erster Linie ereignisorientiert. Es geht prinzipiell weniger darum, den Schutz davor als vielmehr die Hilfe danach zu organisieren. Das macht eine gut durchdachte Strategie für moderne Warnmittel und die kurzfristige Folgenbeseitigung immer wichtiger. Dabei müssen die Kommunen unterstützt werden. Das ist Aufgabe der Landesregierung. Dazu müssen Sie Ihren Beitrag leisten.

Anders als beim Orkan Kyrill war das Sturmtief Ela besonders verheerend in großstädtischen Ballungsräumen. Die Allianz Deutschland AG stellte schon im Jahr 2008 den Katastrophenschutz in Deutschland auf den Prüfstand und machte in einer Studie auf verschiedene Trends wie zum Beispiel den zunehmenden ökonomischen Druck auf die Infrastruktur und auf deren Abhängigkeit aufmerksam. Heraus kam zum Beispiel, dass die Verstädterung, die zunehmende Singularisierung, die Überalterung, das geänderte Konsumverhalten oder die Abhängigkeit von Informationstechnologien die Leistungsfähigkeit des Katastrophenschutzes vor neue Herausforderungen stellen wird.

Auch deshalb fordern wir als CDU, dass Sie das in Ihrer Nachbetrachtung mitbedenken und diese Aspekte mitaufnehmen, damit wir gemeinsam die Lehren für die Zukunft aus dem Pfingstunwetter vom 9. Juni 2014 ziehen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Kollege Kufen. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat werden wir hier heute eine Debatte führen, bei der wir weitgehende Einigkeit erzielen werden – Einigkeit über das, was die Landesregierung vorgetragen hat, an das sich auch die SPD-Fraktion anschließen wird.

Natürlich gilt auch unser Dank – genauso wie seitens der CDU-Fraktion – allen Helfern, allen Betroffenen, die die Aufräumarbeiten nach Ela unterstützt haben. Wir wollen uns sehr dafür bedanken. Natürlich gilt die Anteilnahme auch den Angehörigen der Menschen, die durch den Sturm Ela zu Tode kamen, sowie den Verletzten, die dabei zu Schaden gekommen sind und die in der Folge vielleicht auch noch zu Schaden kommen werden.

Meine Damen und Herren, ich will mit der Schilderung meines Eindrucks beginnen, den ich gewonnen habe, als ich Ela und Kyrill verglichen habe. Das ist auch schon in der Rede von Herrn Kufen deutlich geworden.

Kyrill war mehr oder weniger planbar. Das war auch vor Ort stärker planbar. Ela war weniger stark planbar.

Das musste ich auch ganz persönlich erleben. Ich habe mir an dem Tag das Wetterradar angeguckt und war wirklich erschrocken, dass der Sturm so plötzlich auf Gladbeck zugekommen ist; das war gar nicht zu erwarten. Man hatte nur wenige Stunden lang die Chance, sich darauf vorzubereiten.

Außerdem hat Kyrill eine ganze Nacht lang gewirkt. Ela dauerte eine Stunde, dann war der Sturm vorbei bzw. ist weitergezogen. Es gab nach einer Stunde – im Vergleich zu Kyrill, auf den man sich besser vorbereiten konnte – eine ganz erhebliche Schadensbilanz. Das war sehr erschreckend.

Kollege Kufen hat gerade deutlich gemacht, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob es sich um einen Wintersturm oder um einen Sommersturm handelt. Im Sommer ist die Laubsituation an den Bäumen natürlich eine ganz andere als im Winter. Das Laub bietet eine viel größere Auffangfläche. Silberlinden waren – um über eine bestimmte Baumart zu sprechen – gerade in der Blüte und von daher besonders behangen. Silberlinden gehören zumindest in meiner Heimatstadt Gladbeck zu den besonders betroffenen Bäumen. Sie sind sehr schnell umgefallen, haben Aufrisse in den Straßen produziert und somit im Straßenraum entsprechende Spuren hinterlassen.

Die vorläufige Gesamtschadenssumme, die Ralf Jäger, unser Innenminister, gerade genannt hat, ist in der Tat beeindruckend.

Aber auch die Anstrengungen der Landesregierung, über die gerade berichtet wurde, sind aus unserer Sicht beeindruckend. Hannelore Kraft hat mit ihrem Kabinett relativ kurzfristig einen Beschluss herbeigeführt, dass – entsprechend zu Kyrill – ein Hilfsfonds aufgelegt wird. Zur Art und Umfang dieses Hilfsfonds lassen sich naturgemäß noch keine Ausführungen im Detail machen.

Die vorläufige Schadenssumme in Höhe von 220 Millionen €, die Ralf Jäger gerade genannt hat, ist in der Tat beeindruckend. Sie ist umso beeindruckender, wenn man sich vor Augen führt, dass die Städte und Gemeinden im Prinzip nur jeweils eine Stunde betroffen waren.

Ich halte das für eine zügige und angemessene Reaktion der Landesregierung. Da ist, glaube ich, im Prinzip keine Kritik zu äußern. Von daher verstehe ich die leichten Andeutungen von Herrn Kufen in der Richtung als leichtes Oppositionsgehabe. Nichtsdestotrotz ist das eine schnelle und angemessene Reaktion der Landesregierung. Da hilft auch nicht, dass Sie Herrn Remmel heute auffordern, er möge in Essen mal den Zustand des Straßenbegleitgrüns beobachten. Das hilft letztlich nicht weiter. Das ist eine eher destruktive als eine konstruktive Kritik. Die Landesregierung hat zügig reagiert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte auch eingehen – dazu hat Ralf Jäger schon vorgetragen – auf die Erfassung der Daten seitens der Städte. Erst einmal, Herr Jäger, sage ich herzlichen Dank dafür, dass Sie bereits am 20. Juni die Vertreter der Städte und die Landräte der betroffenen Gebiete eingeladen und mit ihnen diskutiert haben.

Wir haben zuletzt auch interessante Diskussionen darüber geführt, ob ein Baum 2.000 € kostet oder auch nicht. Das hängt natürlich auch damit zusammen, was die Städte unter „Baumkosten“ subsummieren. Ich habe eben schon die Silberlinde in die Diskussion eingeführt. An den Straßenrändern stehen ganz unterschiedliche Baumtypen.

Meine Heimatstadt Gladbeck hat Gartenstadtcharakter. Das müsste Herrn Remmel eigentlich freuen. Wir haben fast ausschließlich Alleen. Auf 34 km2 befinden sich bei uns 16.000 Bäume. Das ist – wenn Sie das mit der gerade genannten Zahl aus Düsseldorf vergleichen – eine beachtlich hohe Zahl. Nichtsdestotrotz gilt es aber zu unterscheiden, ob es sich um eine Robinie, eine Buche oder um irgendeinen anderen Baumtyp handelt. Die verschiedenen Baumtypen haben nämlich unterschiedliche Beschaffungspreise. Die Stadt Gladbeck kalkuliert im Durchschnitt mit etwa 900 € pro Baum für Wiederbeschaffungs- und Einpflanzkosten – egal, um welchen Baum es sich handelt.

Hinzugerechnet werden muss natürlich – deshalb weichen die Zahlen in den einzelnen Städten ab –, dass es in den Bereichen, wo die Bäume standen, Aufbrüche gibt, dass Fahrradwege und Straßen teilweise nicht mehr nutzbar sind. Es gibt auch Beschädigungen bis in Kanäle hinein. Das alles muss noch bewertet werden. Die Städte kennen die Zahlen zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Auch die Landesregierung kann das zum derzeitigen Zeitpunkt natürlich nicht wissen.

In Parkanlagen sieht die Situation natürlich anders aus. Bei einer Neubepflanzung muss die Baumlücke nicht ausgefräst werden. Da würden wir mit geringeren Kosten kalkulieren. Genauso machen wir das in den betroffenen Waldbereichen. Ich habe in den letzten Tagen etwas über Setzlinge in den Zeitungen gelesen. Man könnte in den Wäldern in der Tat mit Setzlingen arbeiten. Im Straßenbegleitraum geht das aber natürlich nicht; denn ein Setzling wäre relativ zügig weg – egal, ob in Essen oder in Gladbeck.

Ich habe eine sehr differenzierte Herangehensweise erläutert, mit der ich aufzeigen will, dass sehr viel Aufwand erforderlich ist, um für die Städte zu einheitlichen Kriterien – so, wie Ralf Jäger das vorgetragen hat – zu kommen und eine Vergleichbarkeit der Kosten zu erzielen. Auch wir wollen nicht, dass die Landesregierung sozusagen einen Blankoscheck an die Städte ausstellt, um ihnen zu helfen. Wir müssen in Bezug auf die Anforderungen, welche die Städte an das Land stellen, eine Vergleichbarkeit erreichen. Das halte ich für absolut notwendig.

In meiner Heimatstadt Gladbeck hat der Eigenbetrieb, der die Grünanlagen pflegt, ganz kurzfristig zusätzliches Personal eingestellt – und das in einer Haushaltssanierungsplankommune. Wir haben in Gladbeck auch immer noch – das werden die Kollegen in Essen bestätigen – ein oder zwei gesperrte Straßen. Der Stadtwald ist weiterhin gesperrt, voraussichtlich bis zum 7. Juli, wahrscheinlich wird das aber noch länger dauern. In Gladbeck müssen Baumkronen beschnitten werden – das weiß ich auch aus Datteln –, damit die braunen Stellen, von denen der Kollege Kufen gerade gesprochen hat, entfernt werden. Das ist erforderlich, damit die Menschen wieder Sicherheit haben.

Ich möchte mich dem Appell von Minister Remmel ausdrücklich anschließen: Wer aktuell verniedlicht und meint, dass man den Wald schon wieder betreten kann, der agiert absolut fahrlässig. Es ist überraschend, wie viele Leute man derzeit aus Wäldern kommen sieht. Von daher bitte ich darum, sich an das Betretungsverbot zu halten, denn auch ein paar Tage nach einem solchen Sturm können sich immer wieder Äste lösen.

Wir haben neue Mitarbeiter eingestellt – mit Zeitverträgen zugegebenermaßen –, um die gesamten Schäden in den Griff zu bekommen. Wir müssen ganze Maschinenparks ausleihen. Und das ist – wenn sich die Kolleginnen und Kollegen damit einmal vertieft auseinandersetzen wollen – gar nicht so einfach, weil zum Beispiel Hubsteiger sehr vergriffen sind; denn natürlich will auch der Landesbetrieb die gerne haben. Von daher ist das alles nicht ganz einfach. Auch werden die Preise bei erhöhter Nachfrage bekanntlich nicht fallen.

Alles in allem gehen wir in Gladbeck von einer Schadenssumme von aktuell etwa 1 Million € aus. Das ist natürlich eine viel, viel geringere Zahl als in Essen. Aber das hat vielleicht auch damit zu tun, dass unser Stadtgebiet nicht ganz so groß ist und dass nur ein Teil unseres Stadtgebietes betroffen war, nämlich der südliche Teil von Gladbeck.

Vergleichbare Größenordnungen kenne ich aus Datteln, wo es auch etwa eine Schadenssumme von 1 Million € geben wird, und zwar in der gleichen Systematik: Es fallen zusätzliche Personalkosten an, Mitarbeiter müssen Überstunden machen, Kronen müssen nachbehandelt werden, um die Sicherheit wieder herzustellen, und natürlich wird es bis zum Ende des Jahres auch einen erhöhten Kontrollaufwand geben. Deshalb sind zum derzeitigen Zeitpunkt alle Kostenschätzungen schwierig.

Lieber Herr Innenminister, ich hoffe, dass es eine kurzfristige Einigung mit den betroffenen Kommunen gibt, wie man den Schaden zu begreifen hat, und dass den betroffenen Kommunen kurzfristig Hilfestellung gegeben werden kann, die in etwa das abmildert, was sie mit dem Sturm Ela erlebt haben.

Insofern bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche der weiteren Debatte einen guten Verlauf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Orth das Wort.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal in meiner Heimatstadt Düsseldorf ein solches Bild der Verwüstung zu sehen, wie ich das erleben musste. Das hat mich wirklich nachhaltig erschüttert.

Ich möchte auch im Namen meiner Fraktion allen danken, die auch unter Einsatz ihres Lebens, bei Gefahr für ihr Leben gearbeitet haben, um die Schäden zu beseitigen, und denen mein Beileid aussprechen, die Familienangehörige verloren haben. Ich wünsche mir, dass nicht noch weiteres passiert.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den PIRATEN)

Aber weil ich das alles so hautnah erlebt und gesehen habe, bin ich von der Unterrichtung der Landesregierung enttäuscht. Wir haben viele Worte gehört. Aber wir haben keine konkrete Hilfestellung vernommen. Es heißt: Wir wissen noch nicht, wie viel Geld wir geben. Wir wissen noch nicht, unter welchen Voraussetzungen wir was geben. – Sie sagen nicht einmal klar, ob Sie die beschädigten Bäume ersetzen oder nicht, meine Damen und Herren.

Ist ein Baum ein Teil der Infrastruktur oder ist er nice to have, meine Damen und Herren? In meinen Augen ist ein Baum in einer Straße ein Teil der Infrastruktur. Ich hätte gerne von der Landesregierung gewusst, ob sie das auch so sieht, ob die 20.000 Bäume, die wir in meiner Heimatstadt verloren haben, nun Teil der Hilfsmaßnahmen sind oder nicht.

Ich hätte auch gern vom Kollegen Remmel gehört, ob er mit seiner 1-€-Strategie meint, dass jemand, der eine kleine einjährige Krüppelkiefer für 1 € im Baumarkt kauft, auch noch 1 € von der Landesregierung dazubekommt. Oder wie darf ich das verstehen?

Wir reden hier doch nicht von irgendeinem kleinen Gestrüpp. Wir reden von Bäumen, die 100 oder 200 Jahre alt sind und ersetzt werden müssen. Der ganze Hofgarten in Düsseldorf, der vor Jahrhunderten angepflanzt wurde, ist zerstört. Der Grafenberger Wald ist in weiten Teilen nicht mehr existent. Ich sehe auf einmal Teile meiner Stadt von unten, die ich von dort noch nie sehen konnte, weil der Wald dort nicht mehr existiert. Und dann höre ich, der Wald sei kaum zu Schaden gekommen, meine Damen und Herren.

Das sind Aussagen, die mich als Düsseldorfer frustrieren. Ich hätte erwartet, dass Sie hier konkreter werden, dass Sie uns konkret sagen, was wir von Ihnen zu erwarten haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Im Gegensatz dazu hat die seinerzeitige Landesregierung von Schwarz-Gelb, als Kyrill über uns hereingebrochen war, sehr rasch gesagt, dass sie 100 Millionen zur Verfügung stellt. Und diese 100 Millionen hat man nicht erst zur Verfügung gestellt, als man sich die Refinanzierung angeschaut hatte. Nein, man hat gesagt: Das brauchen wir jetzt. Um die Finanzierung kümmern wir uns im Nachgang. – Das ist Krisenbewältigung. Die hätte ich von Ihnen auch erwartet, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Dr. Orth, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Kollege Engstfeld würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Robert Orth (FDP): Danke, wir brauchen heute keine Zwischenfragen. Ich habe auch eben der Landesregierung lange gelauscht und möchte nun meine Meinung dazu kundtun.

Nachdem ich von dem Misstrauen von Herrn Priggen gegenüber den Kommunen gelesen habe, hätte ich gerne mal gewusst: Woher kommt eigentlich dieses Grundmisstrauen gegenüber den Kommunen, Herr Priggen? Ich jedenfalls vertraue den Kommunen, dass sie das melden, was passiert ist. Ich finde, es ist eine Frechheit den Betroffenen gegenüber, ihnen zu unterstellen, dass sie sich an dem Schaden bereichern wollen. Ich weiß nicht, mit welchem Geist Sie so etwas sehen. Es ist nicht jeder, der einen Schaden erlitten hat, darum bemüht, sich auch noch dicke Kohle einzustreichen.

Sagen Sie den Kommunen bitte, dass Sie das so nicht gemeint haben! Entschuldigen Sie sich bei den Kommunen, ob bei Düsseldorf, ob bei Essen oder wem auch immer! Hier hat jeder großes Leid erlitten. Es ist einfach eine Frechheit, ihnen zu unterstellen, dass sie damit Kohle abziehen wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Insofern kann ich auch den Wortbeitrag der Sozialdemokraten nicht verstehen, wonach die Landesregierung angemessen reagiert hat. Wir haben heute eine Debatte, die ein bisschen so ist, als ob Sie weiße Salbe in der Drogerie kaufen, anstatt die Medizin vom Arzt zu bekommen.

Ich bin dafür, dass man echt hilft. Ich hätte von der Landesregierung heute gerne noch gewusst, ob die Bäume denn nun ersetzt werden oder nicht. Klare Aussagen helfen allen Betroffenen weiter, auch was die Einschätzung Ihrer Politik anbelangt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Orth, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Beitrag; denn genau wegen der Geisteshaltung, die aus diesem Beitrag herauskam, habe ich mich veranlasst gesehen, in diesem Zusammenhang ein paar Worte zum Landeshaushalt zu sagen. Dass die Vorstellung, wir könnten den Schaden ersetzen, der in Nordrhein-Westfalen bei dem Orkan an Bäumen entstanden ist, von jemandem geäußert wird, der uns, wenn wir es denn könnten und täten, übermorgen wieder mit dem Vorwurf, nicht richtig mit dem Geld umzugehen, vor das Verfassungsgericht zerren würde, das finde ich schon abenteuerlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich weiß ja, dass Sie vom Klimaschutz wenig Ahnung haben und dass das für Sie immer noch ein singuläres Ereignis ist. Sie haben aber auch den Hofgarten und den Grafenberger Wald mit den durch Kyrill geschädigten Wirtschaftswäldern gleichgesetzt. Sie müssen mal ein bisschen zuhören, wenn der Minister redet. Strukturell ist das ein anderer Schaden.

Sie sollten auch klar sagen, ob Sie erwarten, dass die Landesregierung aus dem Haushalt des Landes diese Schäden – die in Düsseldorf immens sind; sie sind wirklich schlimm; wir haben uns das angesehen – erstattet. Das kann sie nicht, um das ganz klar zu sagen. Das Geld dafür haben wir nicht. Aufgrund der schwierigen Haushaltssituation können wir überhaupt nicht alles das erstatten, was jetzt angefallen ist. Wir werden Hilfe leisten; das hat das Kabinett schon beschlossen. Die Erwartung, dass wir das alles ersetzen würden, ist aber unrealistisch. Herr Dr. Orth, genau das ist der Geist, der eben bei Ihren Ausführungen durchkam. Wenn Sie eine klare Antwort haben wollen: In dem Ausmaß, in dem Sie Erstattungen fordern, kann das Land das nicht leisten. Das müssen Sie doch selber wissen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will nicht alles wiederholen, was andere Kollegen schon gesagt haben. Es war ein Schadensereignis, wie wir es jetzt öfter erlebt haben und – das ist auch absehbar – erleben werden. Kyrill war 2007. Im Juli 2013 hatten wir ein weiteres großes Sturmereignis, das Sturmtief Andreas. Damals hat es Baden-Württemberg getroffen. Es gab Schäden in Höhe von 1,9 Milliarden € in privaten Haushalten. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass so etwas immer wieder vorkommt.

Insofern stellt sich natürlich die Frage, wie wir damit umgehen – zum einen, was wir tun, um das Risiko zu reduzieren, zum anderen aber auch, wie wir in den Städten fachlich mit der Wiederbepflanzung und allem anderen umgehen. Diese Frage muss in den Städten qualifiziert diskutiert werden – wie überhaupt die gesamte Klimaanpassung in allen Bereichen besprochen werden muss. Das ist das Richtige.

Dieser Orkan hat aus meiner Sicht aber vor allen Dingen gezeigt, dass die in Nordrhein-Westfalen vorhandene Katastrophenschutzorganisation sehr gut funktioniert. Man kann es noch verbessern. Das ist richtig. Da bin ich auch bei Herrn Kufen. Man muss gucken, wo Mängel bestehen und wo wir noch besser werden können. Es war aber schon gut, am Abend des Pfingstmontags und am Dienstag zu sehen, wie die THW-Kollegen, die Feuerwehrleute, die Polizisten und viele andere aus den Kommunen tätig waren und wie sofort reagiert wurde.

Es war auch gut, auf den Nachrichtenbildern des WDR zu sehen, wie in den Tagen darauf ganze Feuerwehrkolonnen vom Niederrhein, von Ostwestfalen und auch von uns, aus Aachen, ins Ruhrgebiet, zum Beispiel nach Essen, fuhren, um dort bei den Aufräumarbeiten mitzuhelfen, weil die Schäden dort so erheblich waren. Das zeigte: Das funktioniert. Die Solidarität ist da. Es gibt tatsächlich eine gute Organisation.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

31.000 Einsätze und 36.000 Kräfte! Eben habe ich die Bundeswehr vergessen zu erwähnen. Neben der Feuerwehr und dem THW war auch die Bundeswehr – gerade hier in Düsseldorf – im Einsatz. Auch ihr gebührt Dank.

Ich will ganz klar sagen: Wir können analysieren. Wir können gucken, wie wir besser vernetzen können. Wir können auch gucken – das ist zu Recht angesprochen worden –, welche Konsequenzen wir in der Ausbildung ziehen. Wir haben einen großen Katastrophenschutzkongress durchgeführt. Wir wissen, dass wir für das Ehrenamt mobilisieren müssen. Wir wissen, dass wir auch gucken müssen, welche Teile der Bevölkerung, denen das System des THWs und des Ehrenamtes nicht so vertraut ist, wir noch ansprechen können. Da gibt es Potenziale – gerade auch bei Menschen mit Migrationshintergrund.

Alles das sind Aufgaben nach vorne. Trotzdem ist man dann, wenn man in der Fernsehberichterstattung sieht, wie diese Kolonnen unterwegs sind, auch schon ein bisschen stolz darauf, dass das System insgesamt funktioniert und man in der Lage ist, tatsächlich da Hilfe zu leisten, wo sie am dringendsten notwendig ist.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Wir haben alle gemerkt, dass die Schäden an der Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs sehr massiv waren. So mussten wir feststellen, dass es mehr als eine Woche dauert, um die Hauptnahverkehrsachse zwischen Dortmund und Köln wieder zu reparieren. Am Anfang konnten Mitarbeiter nicht bei der Arbeit erscheinen, weil es einfach unmöglich war, in die Stadt hineinzukommen. Daran merken wir auch, wie verwundbar das System ist. Auch da muss man gucken, was man noch verbessern kann. Immerhin ist es aber geschafft worden, das innerhalb einer bestimmten Zeit wieder hinzukriegen.

Unser Mitgefühl gilt natürlich den Angehörigen derjenigen – das haben die Kollegen schon gesagt –, die ihr Leben verloren haben, und denjenigen, die sich verletzt haben – auch im Einsatz.

Es ist auch richtig – das hat Kollege Kufen bereits angesprochen; daran wird aber auch immer gearbeitet –, dass diejenigen, die dort im Einsatz sind, abgesichert sein müssen, wenn sie einen Schaden erleiden, wenn sie verletzt werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Dieser Aufgabe stellt man sich auch. Daran wird weiter gearbeitet.

Die Schäden sind erheblich. Die Versicherer haben Schäden in Höhe von 650 Millionen € an privaten Gebäuden und Autos in NRW, Hessen und Niedersachsen gemeldet. Es gab 250.000 Schäden an privaten Wohngebäuden und rund 100.000 Schäden an Kraftfahrzeugen in einem im Umfang von allein 250 Millionen €. Das sind schon erschreckende Zahlen.

Was die Schäden bei den Kommunen angeht, ist die Frage, ob der EU-Solidaritätsfonds hier hilft, aus meiner Sicht wahrscheinlich negativ zu beantworten, weil ein solcher Schaden bestimmte Größenordnungen erreichen muss. Nach allem, was wir jetzt wissen, haben die Schäden hier einen niedrigeren Umfang. Man kann das zwar versuchen, natürlich würde man diese Hilfe gerne in Anspruch nehmen, aber wir müssen davon ausgehen, dass das unter Umständen nicht möglich ist.

Sehr positiv finde ich auch die Beispiele von Initiativen, die in den Kommunen tätig geworden sind. Auch das ist eben schon angesprochen worden. Nicht zuletzt hier in Düsseldorf melden sich Bürger, aber auch Unternehmen, die Baumpatenschaften übernehmen wollen, um Bäume neu anzupflanzen. Das haben wir auch bei uns in Aachen erlebt. Als auf dem Aachener Lousberg, einem alten Park, die alten Alleen kaputtgegangen waren, sind wir angesprochen worden und haben Baumpatenschaften übernommen. Ich kann mich erinnern, dass wir als Familie 400 € für eine Buche gespendet haben, die mit einem Namensschild versehen worden ist und die wir uns beim Spazierengehen immer wieder angucken können. In den Kommunen ist also eine Reihe von Initiativen in Gang gesetzt worden.

Ich will auch die Initiative der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ loben, die das im Ruhrgebiet angestoßen hat. Das sind Initiativen, die dafür sorgen, dass sicherlich in vielen Städten noch Weiteres passieren wird.

Auch das von Bürgern angestoßene Aufräumen in Essen – dort haben Private angefangen, mit sehr viel Eigeninitiative ihren Beitrag zu leisten, weil die örtlichen Feuerwehren gar nicht in der Lage waren, das alles in den Wohnvierteln zu räumen – verdient unsere Anerkennung und Unterstützung.

Irritiert hat mich – das habe ich auch klar angesprochen –, dass wir sehr unterschiedliche Preisnoten bekommen haben, was die Aufräumarbeiten und die Wiederanpflanzungen angeht. Natürlich ist alles das, was zum Wert von Bäumen in der Stadt gesagt worden ist, richtig. Wir alle wissen, wie wertvoll gerade alte Bäume sind, wie sehr es ein Stadtbild prägt, wenn man in den Parks und in der Stadt einen schönen Baumbestand hat.

Aus den ersten Erhebungen hören wir aber – so berichtet zum Beispiel die „WAZ“ am 01.07. –, dass alleine in Mülheim pro Stadtbaum 1.050 € anfallen, in Witten nur 200 €, in Gelsenkirchen zwischen 1.300 und 1.500 €, in Essen sind es 2.000 € und in Bochum bis zu 3.800 €. Das sind Zahlen, die sehr unterschiedlich ausfallen.

Ich will nicht bezweifeln, dass die Kosten im Einzelfall so hoch sind. Wenn ein großer Stadtbaum umfällt und dabei etwas kaputtmacht, muss man auch diese Schäden beheben. Hierbei geht es um Zahlen, die in 10.000er- und 20.000er-Einheiten hochgerechnet werden. In Essen stehen für Bäume insgesamt 40 Millionen € an, in Bochum sind es 50 Millionen €.

Ich finde es sehr gut, dass der Innenminister eben gesagt hat, dass nach Kriterien gesucht wird, die es nicht notwendig machen, dass wir uns damit befassen, warum der einzelne Baum in welcher Stadt wie viel kostet. Das ist nicht unsere Aufgabe.

Durch die Debatte bin ich sehr gut darüber informiert, was das Bäumepflanzen und Wurzelfräsen in den unterschiedlichsten Kommunen in Nordrhein-Westfalen kostet. Ich könnte einen Preisüberblick erstellen und eine Empfehlung geben, in welcher Kommune man am günstigsten einkauft. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, das zu machen. Insofern finde ich es gut, nachvollziehbare Kriterien zu bekommen, um dann zu sagen, welche Unterstützung wir leisten können.

Ich will einen Satz zitieren, der ein bisschen so ist wie die von Herrn Orth. Ich habe von einem Stadtbaurat in Nordrhein-Westfalen einen Brief bekommen, in dem er sich mit mir über die Frage der Wertigkeit von Grün auseinandersetzt. Er schließt seinen Brief: „So gesehen möchte ich an Ihre Unterstützung in der Sache glauben und weiter auf die Zuwendung nach Schadensbilanz hoffen. Alles andere wäre unlauter.“

Ich will ganz klar sagen: Genau so können wir es nicht leisten. Alle Unterstützung in der Sache und Sympathien dafür, dass das wieder aufgebaut werden muss. Aber wir können nicht nach Schadensbilanz zahlen. Es ist auch nicht unlauter zu sagen: Liebe Leute, wir müssen auch unseren Haushalt im Auge behalten. Helfen – ja. Wir definieren die Kriterien, ziehen Konsequenzen aus dem Ereignis und verbessern den Katastrophenschutz. Trotzdem müssen wir an der Stelle unsere eigenen Möglichkeiten ein Stück weit im Auge behalten.

Herr Kufen hat mich als den Yoda-Meister der Grünen bezeichnet. Ich gebe zurück an den R2D2 der Kollegen der CDU: Den Haushalt werden wir beachten müssen, lieber Kollege von der CDU! Auch das gehört dazu. Sie waren mit bei den Ersten, die über die Presse veröffentlicht haben, was gewünscht wird.

Sie haben es eben zwar nicht mehr gesagt, aber gerade Ihr Ruhrgebietsvorsitzender Oliver Wittke, der immer ganz schnell ist, hat bilanziert: 500 Millionen € Schaden alleine in Essen. – Das war die Lawine, die losgetreten worden ist. Es kam eine Zahl nach der anderen.

(Armin Laschet [CDU]: Das war der Oberbürgermeister von Essen!)

– Oliver Wittke ist ja raffiniert und sagt das nicht selber, sondern sagt: Der Oberbürgermeister der Stadt Essen hat mir gesagt, es seien 500 Millionen.

Ich will nur Folgendes sagen: Es gibt einen Wettbewerb. Zahlen werden in den Raum gestellt, die immer weiter anwachsen. Dann kommt Herr Orth und sagt: Ich will wissen, ob ihr uns die Rechnung bezahlt oder nicht. – Morgen zieht er dann vor das Verfassungsgericht.

Ich fasse zusammen: Es ist sehr gut gearbeitet worden. Wir ziehen Konsequenzen und schauen uns an, was wir verbessern können. Das Land hilft auch. Aber es muss Verständnis dafür herrschen, dass das Land seinen Haushalt beachten muss und deshalb in seinen Unterstützungsleistungen ein gewisses Maß halten muss. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die Piraten spricht der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal! Liebe Bürgerinnen und Bürger zuhause am Stream! Die Piratenfraktion schließt sich ausdrücklich dem Dank an alle Organisationen, Hilfsorganisationen und öffentlichen Kräfte wie auch der Anteilnahme für die zu Schaden gekommenen Menschen bis hin zu den Verstorbenen an. Die Wünsche der Landesregierung werden auch von den Piraten begleitet.

Das in Rede stehende Ausmaß der Folgen des Orkans Ela, das die Folgen des Sturms Kyrill von Anfang 2007 bei Weitem übersteigt, ist öffentlich-rechtlich kaum versicherbar bzw. ist dies nicht. Deswegen wird es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, die Schäden in irgendeiner Form zu beseitigen. Gerade hat der Kollege Orth erwähnt: Ja, selbstverständlich gibt es Bäume, die 100 oder 200 Jahre alt sind. Ein Ersatz für derartige Bäume wird natürlich nicht eingekauft werden können, sondern es wird ein entsprechendes Konzept erstellt werden müssen, wie man innerhalb und außerhalb der städtischen Bereiche sinnvoll nachforstet. Man wird selbstverständlich eine Schadensbilanz aufzustellen haben, die das annähernd erfasst, wobei wir nicht davon ausgehen können, dass das wirklich eins zu ein erfasst werden kann.

Schäden, über die eben der Herr Innenminister berichtet hat, haben ein Ausmaß erreicht, welches das uns vorher bekannte Fassungsvermögen übersteigt. Seit dem Sturm laufen oder fahren wir täglich an Schadstellen vorbei und müssen das Ausmaß erschrocken zur Kenntnis nehmen. Bis heute ist man weit davon entfernt, von einer Räumbeseitigung der in die Hunderttausende gehenden Zahl gefallener Bäume sprechen zu können.

Die Aufräumarbeiten und vor allem die Wiederherstellung werden Jahre, möglicherweise sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die Kosten, die damit verbunden sind, sind immens hoch und gehen in die Hunderte von Millionen Euro. Ein abschließendes Ergebnis der Schadensfeststellung steht aus. Eine Bewertung derselben – wie auch von Minister Remmel gesagt – steht ebenfalls aus.

Die Belastung der Kommunen ist enorm. Eine Evaluierung der Schäden und des Gesamtszenarios wird vonseiten der Piraten wie auch – davon gehe ich aus – vonseiten aller hier im Hause vertretenen Parteien für unerlässlich gehalten. Deshalb begrüßen wir grundsätzlich den Antrag der CDU-Fraktion, der sich sehr detailliert mit einzelnen Ressortaufgaben oder -projekten befasst.

Auf ihn und die Einzelaspekte möchte ich ganz kurz eingehen. Ich greife dabei durchaus gerne das auf, was Herr Kollege Priggen sagte, will aber die Behauptung, dass die Oppositionsfraktionen bei der Inaussichtstellung von Hilfen gleich wieder vor das Verfassungsgericht ziehen würden, in Abrede stellen. Wie ich eben schon sagte, geht es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die selbstverständlich auch das Land Nordrhein-Westfalen mit den in Aussicht gestellten Hilfsmaßnahmen geradestehen wird.

Vielleicht ist es ein Zufall, aber das verfassungsrechtliche Urteil, über das wir gestern debattiert haben, wurde unter anderem dadurch erwirkt, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Oppositionsfraktionen eine verfassungsgemäße Auslegung des Gesetzes über die Beamtenbesoldung vorgetragen hat. Dieser Professor heißt mit Vornamen Kyrill. Da gilt hoffentlich nicht: Nomen est omen.

Wir müssen eindeutig sagen: Die Folge davon haben wir vorgestern Abend vernehmen müssen, nämlich die Verhängung der Haushaltssperre über das Land Nordrhein-Westfalen. Ich darf davon ausgehen und nehme Herrn Minister Jäger ausdrücklich beim Wort, der gesagt hat, dass trotz der Haushaltssperre entsprechende Hilfsmaßnahmen geleistet werden und wohl ein entsprechend hoher und ausreichender Hilfsfonds eingerichtet werden kann. Im Hinblick auf die Finanzlage wird es also unerlässlich sein, unter Berücksichtigung der entstandenen Schäden den Kommunen sehr bald mitzuteilen, in welchem Umfang sie mit Hilfeleistungen werden rechnen können.

Eingehend auf den Antrag der CDU führe ich aus: Als Erstes ist das Innenministerium genannt. Der Kollege Kufen hat richtig ausgeführt: Die Kommunen operieren im Bereich der Stabsführung sehr präzise. Grundsätzlich stellt sich die Frage, Herr Kollege Kufen, ob das in gleichem Maße auf Bezirksregierungsebene und auf Landesebene eingerichtet werden muss. Möglicherweise reicht es, die Ergebnisse der präzise arbeitenden Kommunen und ihrer Stabsstellen zusammenzutragen. Dazu bedarf es einer Abfrage. Ob es dazu eines weiteren bürokratischen Aufwands auf Bezirksregierungs- und Landesebene bedarf, möchte ich in Zweifel ziehen.

(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

Mit Blick auf Europa und den europäischen Solidaritätsfonds hat Herr Minister Jäger eben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, wie schwierig es ist, von dort Mittel zu erwirken. In der Tat: Es bedarf eines Mindestschadenswertes pro Region oder Land in Höhe von 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Richtigerweise hat der Kollege Jäger erwähnt, dass das in Bezug etwa auf den Regierungsbezirk Düsseldorf eine Schadenssumme von 2,7 Milliarden € bedeutete. Diese Schadenssumme wird selbst unter Berücksichtigung der privaten Schäden wahrscheinlich nicht erreicht werden.

Wenn gleichwohl die Möglichkeit geprüft wird und eine entsprechende Antragstellung auf europäischer Ebene erfolgen soll, um diesen Fonds anzuzapfen, wünsche ich bonne chance – auch Ihnen, Frau Ministerin Schwall-Düren.

Weiterhin wurde das Umweltministerium angesprochen: Die Hilfe ist notwendig, darf aber nicht im Hauruck-Verfahren erfolgen. Evaluiert werden muss, ob und welche Baumschäden vorhanden sind. Eine Analyse von Bäumen, Sträuchern, der städtischen Flora, die zu Schaden gekommen ist, wird notwendig sein.

In der Tat, Herr Minister Remmel: Stadtgrün ist wichtig. Lungen unserer Städte sind für die Menschen in unserem Land absolut wichtig. Hier wird man selbstverständlich schnellstmöglich zu einer entsprechenden faktischen Hilfeleistung kommen müssen.

Eine Einschätzung von x € pro umgefallenem Baum halte ich derzeit für völlig überzogen. Natürlich wird in irgendeiner Form der Schadensumfang festgestellt werden müssen. Aber, Herr Kollege Priggen, ganz ehrlich: Ich sehe uns nicht durch Essen laufen und die Bäume zählen, die umgefallen sind. Ein Stück weit Vertrauen in die Kommunen und in ihre Vertreter wird notwendig sein, um hierbei einen konsensualen und vor allem parteiübergreifenden Hilfskatalog aufstellen und umsetzen zu können.

Auch das Verkehrsministerium ist selbstverständlich insofern betroffen, als die Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Wir brauchen allerdings – davon gehen wir aus – kein Programm, sondern nur eine seriöse Aufstellung der notwendigsten investiven Maßnahmen.

Daher werden uns mit Blick auf den Antrag der CDU trotz aller guten Ansätze enthalten. Dem Entschließungsantrag von SPD und Grünen wird unsere Fraktion zustimmen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Paul hat mir gerade auf seinem Smartphone einige Bilder gezeigt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Smartphone? – Michael Hübner [SPD]: Ein Smartphone ist ein elektronisches Gerät!)

– Bitte?

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Alles gut!)

Diese Bilder zeigen, wie neben seinem kleinen Einfamilienhaus das Dach eines Mehrfamilienhauses durch den Sturm abgedeckt worden ist. Er hat mir erzählt, dass das 21:15 Uhr stattgefunden habe. Um 0:15 Uhr war ein ganzer Zug des Technischen Hilfswerks vor Ort und hat die ganze Nacht die Straße freigeräumt und das Dach geborgen.

Ähnliches haben wir in vielen Städten erlebt. Damit ist deutlich geworden: Das Konzept der landesweiten überörtlichen Hilfe hat hervorragend funktioniert. Das haben mir im Übrigen am 20. Juni die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte bestätigt. Darauf können wir in Nordrhein-Westfalen stolz sein. Denn das ist nicht unbedingt überall Standard.

Herr Kufen, es wird über Systeme diskutiert, mit denen man die Alarmierung digitalisieren und die Menschen auf anderen Wegen als über Radio- oder Fernsehdurchsagen informieren kann. Eine großflächige Anwendbarkeit ist bisher noch nicht gegeben. Trotzdem denkt die Landesregierung darüber nach, kontinuierlich solche Maßnahmen zu prüfen. Ich glaube – das sage ich ganz offen –: Wir hatten riesiges Glück.

(Beifall von der SPD und Thomas Kufen [CDU])

Wäre dieser Sturm zur Mittagszeit oder in der Rushhour ausgebrochen,

(Thomas Kufen [CDU]: Feiertag!)

in der sich viele Menschen nach Hause bewegen, hätten wir eine viel größere Zahl an Toten zu beklagen.

Ich möchte auf die Frage eingehen, wie und in welcher Größenordnung wir helfen. Zur Frage, wie wir helfen, ist bereits klar geworden, was ich favorisiere. Gemeinsam will ich mit den betroffenen Kommunen erörtern, dass wir einen Indikator finden, um zu verhindern, dass wir jeden einzelnen Baum und jede einzelne zerstörte Ampelanlage zählen müssen. Dieser Indikator sollte die Schadensintensität und die Schadensgröße möglichst gerecht abbilden, ohne dass es zu Überzahlungen kommt.

Weiterhin sage ich deutlich: Das Land wird diese Schäden nicht alleine tragen können. Wir werden die Kommunen dabei nicht vollständig entlasten können, weil damit auch die Leistungsfähigkeit des Landes überschritten würde. Aber wir wollen einen Beitrag leisten, der die Schäden in den Kommunen abmildert, die tatsächlich davon in hohem Maße betroffen sind. Diesen Prozess werde ich gern in der Sommerpause mit den Kommunen und den kommunalen Spitzenverbänden diskutieren. Dabei wird auch eine Rolle spielen, wie wir solche Indikatoren finden.

Danach werde ich selbstverständlich dem Parlament und dem Innenausschuss über das Ergebnis berichten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Eiskirch.

(Michael Hübner [SPD]: Zurückgezogen!)

– Okay, dann spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel ist bereits zum Katastrophenschutz gesagt worden. Ich will das auch nicht wiederholen, sondern die Chance nutzen, vielleicht einige Aussagen der letzten Wochen, die man hören und lesen konnte, ein wenig zu versachlichen.

Ich möchte zunächst auf den Einsatz der Bundeswehr eingehen. Den 238 Soldatinnen und Soldaten des Pionierregiments 100, die sich nach dem 9. Juni aus Minden, Holzminden und Augustdorf auf den Weg gemacht haben und vor Ort in über 600 Fällen ausgerückt sind, um Straßen und Wege passierbar zu machen, um Deiche zu schützen, gebührt unser Dank und großer Respekt.

Wir schulden ihnen aber auch eine richtige politische Einordnung ihres Einsatzes. Was habe ich da nicht alles gelesen? Von welch himmelschreiendem Unrecht, von welchen Mauscheleien war in dem Zusammenhang die Rede, dass in Düsseldorf geholfen wurde, in Essen und Gelsenkirchen aber nicht. Ja, das stimmt. Es hieß, dass die Bundeswehr nach eigenem Gutdünken angepackt habe, dass nur Düsseldorf in den Genuss der Hilfe gekommen sei, weil es Landeshauptstadt sei, obwohl der Sturm gegenüber anderen Städten keine Unterschiede gemacht habe, oder weil es reich sei und die Ruhrgebietsstädte so arm seien. Ich hörte auch, dass man in Düsseldorf kurz vor der Stichwahl zum Amt des Oberbürgermeistes dem bisherigen Amtsinhaber noch eine Steigbügelhilfe geben wollte. Meine Damen und Herren, was für Parolen!

Die Wahrheit ist: Der Einsatz der Bundeswehr erfolgte in den engen Grenzen des verfassungsmäßigen Rahmens. Die Pioniere sind nach Art. 35 Abs. 2 Grundgesetz zur vorgreiflichen Gefahrenabwehr und zum Schutz kritischer Infrastruktur tätig geworden, nicht aber zum Aufräumen; das dürfen sie im Übrigen auch gar nicht. Es ging in Düsseldorf darum, weitere Gefahren zum Beispiel für Passanten durch instabile, aber noch stehende Bäume zu beseitigen und wichtige Verkehrsadern für zum Beispiel Krankenwagen oder Polizei überhaupt erst wieder befahrbar zu machen. Es ging natürlich auch um die Funktionsfähigkeit der Deiche in Düsseldorf-Kaiserswerth. Meine Damen und Herren, ohne das Unglück für Essen und Gelsenkirchen schmälern zu wollen: Dort war die Situation einfache eine andere.

Also, verfahrensmäßig ist der Einsatz der Bundeswehr ordnungsgemäß abgelaufen. Auch die Zusammenarbeit mit den Reservisten des Kreisverbindungskommandos hier in Düsseldorf, mit dem THW, mit der Feuerwehr, mit allen anderen Blaulichtorganisationen ist nach dem, was ich gehört habe, ausgezeichnet gelaufen. Dafür sage ich noch einmal im Namen meiner gesamten Fraktion allen beteiligten Helfern herzlichen Dank für ihren unermüdlichen Einsatz.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich aber ärgert, ist Folgendes: Die Pioniere waren beim Pfingststurm vor unserer eigenen Haustür hoch willkommen – auch den Kritikern der Bundeswehr. Aber ansonsten weht den Soldatinnen und Soldaten oftmals aus Politik und Gesellschaft ein eher eisiger Wind ins Gesicht. Das ist dann schon eine ziemliche Doppelmoral, und daher sage ich hier ganz deutlich: Nicht nur hier beim Unwetter, sondern auch bei ihren anderen demokratisch legitimierten Aufträgen verdienen unsere Soldatinnen und Soldaten Respekt und Anerkennung und einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft.

(Beifall von der FDP, der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt, ein anderes Thema: Der Knaller kommt oft am Schluss. Das gilt nicht nur bei einigen WM-Spielen, das gilt, Herr Innenminister, auch bei dem von meiner Fraktion erbetenen und von Ihnen abgezeichneten Bericht – das muss man neuerdings dazusagen – für den Innenausschuss. Da lauten die zwei allerletzten Sätze unter „VI. Nachbereitung“ – ich zitiere das einmal – doch allen Ernstes:

„Wie bei allen anderen Einsätzen auch, werden die Abläufe der landesweiten Hilfe nachbereitet werden. Anlass für grundlegende Anpassungen ergibt sich aus dem Ereignis nicht.“

Punkt, Aus, Ende der Ansage.

Sie kündigen an, etwas nachzubereiten, geben aber schon einmal vorweg das Ergebnis bekannt, dass keine Anpassungen nötig sind – und das bei einer Katastrophe, die Menschenleben gefordert hat und die kaum vorstellbare Schäden verursacht hat, von denen in vielen Fällen immer noch unklar ist, wie diese langfristig beseitigt werden können.

Herr Priggen und Herr Kufen haben schon darauf hingewiesen: Ja, der Katastrophenschutz hat funktioniert. – Das will ich gar nicht bestreiten, aber natürlich müssen wir auch schauen, wo es Verbesserungspotenzial gibt. Insofern finde ich es sehr fragwürdig, von vornherein notwendige Anpassungen auszuschließen. Jedenfalls im Hinblick auf den wichtigen Aspekt der Bevölkerungswarnung bin ich sehr skeptisch, ob Sie sich entspannt zurücklehnen sollten, weil es keinen Anpassungsbedarf gebe.

Wie schon in Ihrem Bericht für den Innenausschuss geäußert, meinen Sie, über die amtlichen Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes hinaus seien keine weiteren Präzisierungen durch zusätzliche Warnungen möglich gewesen. Sind Sie sich da sicher? Ich glaube, Sie lehnen sich da etwas zu weit aus dem Fenster. Sie kündigen schließlich selbst an, Nordrhein-Westfalen werde die Kreise und kreisfreien Städte mit einem einheitlichen Warnsystem, dem sogenannten Modularen Warnsystem, MoWaS, ausstatten.

Sie reden in Ihrem Bericht von modernen Warnsystemen, die noch mehr Menschen erreichen sollen. Voraussichtlich im Herbst werde dann die Warn-App des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für Smartphones einsetzbar sein, die dann alle Warnungen offizieller Stellen vereine.

Also, bis heute gibt es von Ihrer Seite nicht einmal eine App, die überhaupt eine Warnung herausgibt. Viel schlimmer: In dieser Frage passiert nichts – und das seit Jahren. Sie kommen nicht voran mit den landesseitigen Planungen für ein flächendeckendes Warnsystem. Und dabei geht dies schon heute, und es ging auch schon Pfingsten.

Wie die meisten hier im Saal und auch die meisten Menschen im Lande habe auch ich ein Smartphone, und ich bin am Pfingstmontag, 9. Juni 2014, gewarnt worden. Mein Handy klingelte und ich erhielt die Nachricht: „Amtliche Unwetterwarnung vor schwerem Gewitter mit extremen Orkanböen, heftigem Starkregen und Hagel“. – Diese Nachricht habe ich bekommen. Und was habe ich gemacht? – Ich habe als Erstes mein Auto in die Garage gefahren. Ich habe meine Eltern angerufen und ihnen gesagt, sie mögen bitte das Gleiche tun. Ich habe ihnen geraten, zu Hause zu bleiben.

Nur, warum bin ich am Pfingstmontag gewarnt worden – vielleicht auch noch Herr Sieveke, Herr Jung und Frau Beer –, aber nicht Herr Dr. Orth, Herr Weske oder Frau Düker hier in Düsseldorf? – Weil einige Kommunen wie mein Heimatkreis Paderborn im Interesse ihrer Bürger richtigerweise nicht länger warten wollten,

(Beifall von der FDP)

bis ein von Ihnen, Herr Minister, sehr oft und sehr vage angekündigtes landesweites Warnsystem irgendwann einmal einsatzfähig ist. Diese Kommunen wie Paderborn haben stattdessen auf KATWARN, das Warnsystem der öffentlichen Versicherer, gesetzt. Dieses System der öffentlichen Versicherer, das diese nahezu kostenfrei zur Verfügung stellen, hat sich in Millionenstädten wie Hamburg und Berlin im Einsatz bewährt.

Aber lassen wir die Kosten einmal außen vor. KATWARN wäre ohne Frage die viel günstigere Lösung für das Land. – Was mich aber viel mehr besorgt, ist ein anderer Punkt in dieser Frage: Aus der kommunalen Familie hört man, dass viele Gemeinden längst unterschriftsreife Verträge zur Nutzung von KATWARN vorliegen haben – auch Düsseldorf, und das wohl schon seit über einem Jahr. Diese Kommunen werden aber durch verwirrende Aussagen aus Ihrem Hause, verwirrende Aussagen über die Zukunft, über den Startpunkt des Einsatzes des landesseitigen Warnsystems ausgebremst.

Das gibt mir schon zu denken. Da drängen sich schon Fragen auf. Michael Hübner, Sie haben es eben gesagt: Es war nicht planbar. Wir hatten wenig Zeit bei diesem Unwetter. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, wären die Schäden vielleicht geringer gewesen. Also, Herr Minister, warum haben Sie das MoWaS noch nicht an den Start gebracht? Hätte man dadurch Leid und schlimmere Schäden verhindern können? Warum sind Sie bisher noch nicht auf KATWARN gekommen? Hätte der flächendeckende Einsatz dieses Systems nicht Leid und Schäden verhindern können?

Ich hoffe, dass Sie neben den Einsätzen auch das Thema „Warnung“, das Thema „Warnsysteme“ entsprechend nachbereiten. Oder nehmen Sie auch hier vorweg, dass es keine grundlegenden Anpassungen geben muss? Ich hoffe, nicht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und Daniel Sieveke [CDU])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piraten spricht der Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer draußen und drinnen! Nachdem jetzt viele Vorredner sehr detailliert und sehr konkret zu diesem Ereignis Stellung genommen haben, werde ich es etwas allgemeiner halten und ein paar allgemeine Betrachtungen anstellen:

(Unruhe)

Gewitter in Deutschland und Nordrhein-Westfalen sind zu jeder Jahreszeit möglich. Kaltluftgewitter kann es ganzjährig geben. Eine organisierte Konvektion, eine Konvergenzzone gibt es eigentlich nur in der warmen Jahreszeit. Kaltluftgewitter ziehen im Allgemeinen schnell weiter, sind sehr lokal und richten keine großen Schäden flächendeckend an. Die Konvergenzen sind gefährlicher. Das ist ein typisches Hundstagephänomen, das man in der Regel im Juli und August erwarten kann.

(Unruhe)

In diesem Jahr nun kam die erste Unwetterkonvergenz ungewöhnlich früh. Gewitter, schwere Böen, Schäden an Bäumen und Gebäuden, ein Blitz schlug in die höchste Kirche von Essen ein, der Dachstuhl brannte ab. Die Schäden an Laubbäumen waren glücklicherweise sehr begrenzt, da sie noch kahl waren und den Böen wenig Angriffsfläche boten. – Ich rede von der Unwetterkonvergenz am 4. Januar dieses Jahres, im Hochwinter.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Herr Präsident, hier ist so viel Gebrabbel im Saal!)

Diese Konvergenzzone war tatsächlich nur wenig schwächer als die im Juni. Das war im Juni, Herr Minister. Sie hatten „9. Mai“ in Ihrer Einführungsrede gesagt. Aber das war sicherlich nur ein Versprecher. Man sieht, was ich schon in der Haushaltsrede zur Klimaanpassung im November 2011 hier ausführte: Der Klimawandel ist unbestreitbar, und er hat schon längst begonnen. Ob das Zwei-Grad-Ziel erreicht wird oder nicht: Anpassungsstrategien sind notwendig. Es wird zu extremen Niederschlägen, Hitzewellen und durch den hohen Energiegehalt der Atmosphäre zu extremen Unwettern kommen.

Das Haushaltskapitel 10 060 ging von weiteren plus 1,9 Grad Celsius Erwärmung bis Mitte des Jahrhunderts aus, zusätzlich zu den ca. 0,8 Grad Celsius, die wir seit der industriellen Revolution schon haben. Den Regierungsvorschlag zum Klimaschutz haben wir damals als unzureichend bezeichnet.

Wie die Energiewende ist die Klimaanpassungsstrategie regional und lokal. Deshalb lautete unser Antrag von damals, die Zuweisungen an Gemeinden und Gemeindeverbände von 0 auf 20 Millionen € zu erhöhen. Die Kommunen hatten bei der Anhörung zum Klimaschutzgesetz und in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass das Land ausreichende und verlässliche Finanzierungsgrundlagen schaffen muss. Wir sehen jetzt, dass diese 20 Millionen € bei weitem nicht gereicht hätten. Aber der Klimaschutzgesetzentwurf formulierte eine Pflicht zur Erstellung eines Klimaschutzkonzeptes und zur Umsetzung der daraus resultierenden Maßnahmen, darunter eben auch Anpassungen. Der Städtetag schätzte damals dafür eine Summe von ca. 12 Millionen €. Zusätzlich entstünden den Kommunen finanzielle Belastungen für die Durchführung der Konzepte, die aber damals noch nicht beziffert werden konnten.

Wir hatten unseren Antrag als Anfangsfinanzierung verstanden, der weitere finanzielle Landesmittel in den nächsten Jahren für die Kommunen folgen müssten. Wie recht wir hatten, sieht man jetzt!

(Beifall von den PIRATEN)

Wir können getrost hohe und ständig wachsende Beträge in den Haushalt einstellen und werden doch ständig hinterherhinken. Es gibt keinen Grund für die Regierung, sich zu beklagen; denn sie tut viel zu wenig, um die Energieproduktion in NRW auf Erneuerbare umzustellen und Klimaschutz zu betreiben. Braunkohlekraftwerke laufen ungeniert weiter, neue Steinkohlekraftwerke gehen in Betrieb. Der Schwarzbau Datteln IV wird nicht abgerissen, sondern soll legalisiert werden. Auf Bundesebene wird das EEG zerschossen.

Und was tut die Landesregierung und besonders die SPD, die im Bund mitregiert? Auf Bundesebene wird vom selben SPD-Minister Gabriel, der das EEG zerschießt, ein Fracking-Ermöglichungsgesetz durchgepeitscht. Was also tut die Landesregierung und besonders die SPD, die im Bund mitregiert? Sie geben ein jämmerliches Bild ab!

(Beifall von den PIRATEN)

Keine Strategie trotz der immer wiederholten hehren Worte von Klimaschutz und Energiewende! Nordrhein-Westfalen stößt im Bundesvergleich die meisten Klimagase aus, nicht nur absolut, sondern auch relativ. Nordrhein-Westfalen ist der Träger der roten Achterlaterne im Klimaschutz und bei der Energiewende. Und es ist keine Wende in Sicht!

(Zuruf von der SPD: Zum Thema!)

Was wir im Juni erlebt haben, war nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Konsequenzen. Sie schulden uns eine Strategie, die diesen Namen verdient, Klimaschutz und Anpassung an die Folgen der Erwärmung, und kein Hinterherhecheln und Flickwerk so wie jetzt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben über zwei Anträge abzustimmen. Wir stimmen erstens über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6086 ab. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/6086 der Fraktion der CDU mit den Stimmen von SPD und Grünen abgelehnt, bei Enthaltung der Fraktion der Piraten und Zustimmung der Fraktionen von CDU und FDP.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache . Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Damit ist der Antrag angenommen mit Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und bei Zustimmung der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Stein gegen die Stimmen von CDU und FDP.

Wir kommen nun zu:

2   Schwere Vertrauenskrise zwischen regierungstragenden Fraktionen und Innenminister Jäger belastet die Polizei in Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6190

In Verbindung mit:

Betreibt das Ministerium des Inneren NRW gezielt Desinformation, um Demokraten zu verunglimpfen?

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6120

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/6205

Die Fraktion der CDU hat mit Schreiben vom 30. Juni 2014 gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu der oben genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Kollegen Kruse von der CDU-Fraktion das Wort.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Dienst- und Fachaufsicht über die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben in unserem Land hat der Innenminister, der in den letzten Wochen und Monaten durch eine Vielzahl von öffentlichkeitswirksamen Aktionen versucht hat, sein Ansehen, seine Popularität zu erhöhen,

(Zurufe von der SPD)

allerdings ohne in der Substanz die Sicherheits- und Kriminalitätslage zu verbessern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Am Kommunalwahlabend des 25. Mai 2014 gab es nach meiner Kenntnis erstmalig in der Nachkriegsgeschichte vor dem Dortmunder Rathaus die Notwendigkeit, den Ein- und Ausgang durch polizeilichen Einsatz zu sichern.

Auf Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hat der nordrhein-westfälische Innenminister, Herr Ralf Jäger, dem Innenausschuss in der vergangenen Woche einen Bericht vorgelegt, der bereits im Vorfeld der Ausschusssitzung heftige öffentliche Kritik ausgelöst hat. Denn in dem Bericht des Innenministers heißt es unter anderem, dass deutlich alkoholisierte Politiker den Einsatz der Polizei erheblich gestört und vereinzelt sogar verbal Druck auf die Beamten ausgeübt haben.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Römer erklärte am 25. Juni 2014 gegenüber Journalisten in Düsseldorf, er habe den Bericht mit sehr viel Empörung zur Kenntnis genommen. Der Bericht enthalte viel Ungereimtes, weshalb er – Herr Römer – davon ausgehe, dass Innenminister Jäger das klarstellen werde. Die SPD-Abgeordnete Nadja Lüders wird in der „Westfalenpost“ vom gleichen Tage mit der Aussage zitiert:

„‘Wir sind alle auf dem Baum.‘ Es sei nicht hinnehmbar, dass jene, die sich Rechtsradikalen in den Weg stellten, als ‚besoffen und randalierend‘ dargestellt werden.“

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Kollegin Daniela Schneckenburger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht ebenfalls in der „Westfalenpost“ von einer Diffamierung derjenigen, die protestieren.

Noch weiter ging das Dortmunder SPD-Ratsmitglied Volker Baran. In der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 25. Juni 2014 bezichtigt Herr Baran den Innenminister Jäger sogar öffentlich der Lüge. Wörtlich heißt es dort von dem SPD-Ratsmitglied:

„Die Behauptung, betrunkene Politiker hätten den Einsatz gestört, ist eine glatte Lüge. Keiner hat die Beamten behindert. […] Der Innenminister verdreht die Wahrheit.“

Insgesamt 22 Landtagsabgeordnete und Ratsmitglieder von SPD, Bündnis 90/Die Grünen Piraten und Linkspartei haben Herrn Jägers Aussagen in einer gemeinsamen Erklärung als ehrenrührig verurteilt.

Das Presseecho auf den Streit zwischen Innenminister Jäger und seinen Genossen war entsprechend deutlich. Es gab eine ganze Reihe von Überschriften, wie:

SPD geht auf Distanz zu Jäger“, „Krawalle bringen Minister in Bedrängnis“

sowie „Minister-Image ist angeknackst“.

Die heftigen Reaktionen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, machen deutlich: Was wir in den vergangenen Tagen und Wochen erlebt haben, ist eine handfeste Vertrauenskrise zwischen Innenminister Jäger auf der einen und der rot-grünen Koalition auf der anderen Seite. Und diese Krise ist bis heute nicht überwunden.

(Zuruf von der SPD: Woher wollen Sie das wissen?)

Im Gegenteil, die mündlichen Ausführungen des Innenministers in der vergangenen Woche im Innenausschuss haben den Streit sogar noch verschärft und die Polizei mitten in die Auseinandersetzung hineingezogen. Auch deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.

Denn anstatt die im Raum stehenden Fragen zu beantworten und die Polizei damit vor ungerechtfertigten Anfeindungen zu schützen, haben Sie, Herr Minister Jäger, sich im Ausschuss vor eindeutigen Festlegungen gedrückt, indem Sie darauf hingewiesen haben, dass es sich bei dem Bericht lediglich um eine persönliche Darstellung und persönliche Eindrücke eines Einsatzbeamten handele.

Ich darf Sie in aller Ernsthaftigkeit daran erinnern, dass dieser Bericht Ihre Unterschrift trägt. Dass Sie sich nun auf Druck von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nachträglich von diesem Bericht distanzieren, ist nichts anderes als ein Akt politischer Feigheit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie müssen sich entscheiden: Stehen Sie als Innenminister dieses Landes vollumfänglich zu dem, was Ihre Polizei tut, oder schieben Sie die Verantwortung dafür auf einen anonymen Einsatzbeamten der Dortmunder Polizei ab? Ihr Verhalten ist mehr als beschämend. Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Hinzu kommt: Sie senden damit ein verheerendes Signal an die mehr als 40.000 Polizeibeamten in unserem Land. Diese wissen jetzt nämlich, dass ihr oberster Dienstherr Sie im Zweifelsfall im Stich lassen wird, sobald er wegen der Folgen eines Einsatzes aus den Reihen von SPD und Grünen unter Druck gerät, indem er die Verantwortung für einen Bericht, der Wahrheiten enthält, die der SPD und den Grünen nicht in den Kram passen, einfach von sich weist.

Für die CDU-Fraktion möchte ich in aller Nüchternheit feststellen: Die acht Einsatzbeamten der Dortmunder Polizei,

(Zuruf von den PIRATEN)

die am Abend der Kommunalwahl in einer hochaggressiven und aufgeheizten Situation die Ruhe bewahrt und dadurch eine Eskalation verhindert haben, verdienen den uneingeschränkten Dank und Respekt der Politik.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Wenn die Landesregierung und die Vertreter der rot-grünen Mehrheit schon nicht dazu in der Lage sind, dieses Bekenntnis über ihre Lippen zu bringen,

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU)

so möchte ich dies hiermit für die CDU-Fraktion tun.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister Jäger, unterm Strich – und das meine ich auch im Rahmen der Fürsorgepflicht der Opposition gegenüber der Landesregierung und gegenüber Ihnen –

(Lachen und Zurufe von der SPD)

kann man Ihre bisherigen Argumentationsversuche und Ihre Ausweichmanöver in dieser Angelegenheit als hilflos bezeichnen. Sie werden mit dieser Verhaltensweise weder Ihrer Verantwortung gerecht, noch stellen Sie sich uneingeschränkt hinter die Arbeit der Polizei. Das ist mieser und schlechter politischer Stil, durch den Sie das Vertrauen zerstören, das unsere Beamtinnen und Beamten bei der schwierigen Einsatzlage benötigen, in die wir sie als Gesetzgeber entsenden.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

In diesem Sinne kritisieren wir als CDU nicht den Einsatz am Abend der Kommunalwahl, …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit.

Theo Kruse (CDU): … sondern das, was Innenminister Jäger in seinem Bericht für den Innenausschuss daraus gemacht hat, und wie er die Dortmunder Polizei auf Druck der rot-grünen Mehrheit in diesem Hause im Stich gelassen hat. Das ist unerträglich, und das muss entsprechend diskutiert werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Abgeordneter Sommer.

(Unruhe – Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU – Hans-Willi Körfges [SPD]: Das ist unerhört!)

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Nach diesen absolut unsachlichen Einlassungen

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

möchte ich gerne ein paar Dinge zu dem Bericht sagen, den uns der Innenminister im Innenausschuss vorgelegt hat. Der Bericht wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet.

In dem Bericht finden sich diverse Verharmlosungen durch die Gleichstellung von Tätern und Opfern. An mehreren Stellen wird bewusst falsch informiert oder ein falscher Anschein erweckt. Es wird versucht, engagierte Demokraten zu verunglimpfen, und rechten Gewalttätern wird mehr Glauben geschenkt als der Zivilgesellschaft.

(Beifall von den PIRATEN)

Das fehlerhafte Vorgehen und der Einsatz des Staatsschutzes werden bagatellisiert. Man vertraut auf die Einschätzung einer Rechtsdezernentin, die offensichtlich über die Lage in Dortmund keine Kenntnis hatte – übrigens eine CDU-Rechtsdezernentin.

(Daniel Sieveke [CDU]: Was soll der Quatsch denn jetzt hier? – Zurufe von der SPD: Oho! Hört, hört!)

– Ja, wenn man das Fass aufmacht, muss man auch daraus trinken.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Im Detail: Am 25. Mai 2014 um 22:10 Uhr wird das Rathaus in Dortmund von rechten Gewalttätern überfallen – nicht von irgendwelchen politischen Kräften, sondern von rechten Gewalttätern, stadtbekannt, verurteilt. Rund zwei Dutzend gewalttätige Menschen prügeln auf eine Menschenkette ein, die sich vor dem Rathaus gebildet hat. Vonseiten der Angreifer wird unter anderem auch Reizgas eingesetzt. Kein Mensch hat das Recht, auf einen anderen Menschen einzuprügeln, weil diese vor einer Tür steht.

Wenige Minuten nach den ersten Attacken trifft die Polizei ein. Das ist positiv hervorzuheben. Negativ hervorzuheben ist, dass es leider nur acht Einsatzkräfte waren. Das ist an dieser Stelle zu wenig. Diese acht Einsatzkräfte drängen die Nazis – gut zu erkennen übrigens an uniformen T-Shirts mit der Aufschrift „NWDO“, einer als verfassungsfeindlich eingestuften und damit verbotenen Organisation – zurück.

Diese Polizisten stehen übrigens mit dem Rücken zur Menschenkette, mit Schlagstock und Pfefferspray in Richtung der rechten Angreifer. Warum mit dem Rücken zu der Menschenkette? – Weil sie von da überhaupt keine Gewalt erwarten, und weil von da aus auch überhaupt keine Gewalt kommt. Gewalt kommt ausschließlich von den Nazis, von den rechten Gewalttätern, die auf die Menschen vor dem Rathaus eindringen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Jetzt schaffen es diese acht Polizeibeamten unter Einsatz ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit, diese Nazis zurückzudrängen. Trotzdem versuchen die Nazis weiterhin, auf die Menschen vor dem Rathaus einzuprügeln. Mit weiteren Kräften gelingt es dann der Polizei, die Nazis so weit zurückzudrängen, dass diese Angriffe nicht mehr möglich sind, die fast durchgängig vom Skandieren ausländer- und verfassungsfeindlicher Parolen begleitet werden.

(Zuruf von den GRÜNEN)

– Bitte?

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU)

Nachdem die rechten Gewalttäter erfolgreich durch die Polizei zurückgedrängt worden sind, versuchen diese, die erste Strophe des Deutschlandliedes zu grölen, und zwar als Gruppe. Nach einigem Hin und Her gelingt es der Polizei schließlich, die Nazis vom Friedensplatz zu geleiten – ein Platz, der an jenem Abend seinem Namen wirklich keine Ehre gemacht hat.

Im Laufe des Angriffs der Nazis auf die Menschen vor dem Rathaus werden insgesamt zehn Personen verletzt, unter anderem auch unsere Kollegin Daniela Schneckenburger sowie weitere Kommunalpolitiker, übrigens auch von meiner Partei.

Jetzt komme ich zur Darstellung im Bericht des Innenministers. Auf Seite 3 oben heißt es, dass sich unter anderem auf Aussagen der rechten Gewalttäter verlassen wird. – Da stellt man sich schon die Frage, wie der eigentlich erfahrene Staatsschutz in Dortmund auch nur auf die Idee kommt, den Aussagen dieser Gewalttäter Glauben zu schenken.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Um 21 Uhr am Wahlabend schaut der Staatsschutz dann bei den stadtbekannten Nazis in Dorstfeld vorbei und wird von denen ebenfalls erkannt.

Wahrscheinlich erkennen die Nazis auch, dass die Beamten des Staatsschutzes kurz darauf wieder abrücken. Das steht auch im Bericht.

Um 21:16 Uhr kursiert dann auf Twitter – laut Bericht von den Nazis gestreut – ein Bild mit der Aufschrift „Mit einem Schlag ins Rathaus“. Hieraus leitet der Staatsschutz keinen Handlungsbedarf ab. Das ist eine krasse Fehleinschätzung. Sie kann den Beamten passieren, darf aber nicht. Wenn aber diese Fehleinschätzung passiert, gehört sie genau so und deutlich benannt in diesen Bericht.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Danach bewegen sich die Beamten des Staatsschutzes zum Rathaus, stellen da keinen Handlungsbedarf fest. Um kurz nach zehn verlassen sie das Geschehen am Rathaus. Auch eine Fehleinschätzung.

Weiter im Bericht: Laut Bericht befanden sich unter den Personen in der Menschenkette 20 vermummte Personen der Antifa. Vermummt, aber eindeutig zuzuordnen – spannend!

Aus meinen Erfahrungen – ich war am Wahlabend ab etwa 22:40 Uhr an der Stelle – und nach Durchsicht aller vorliegenden Videobilder komme ich auf maximal fünf vermummte Personen. Dass sich die Polizei hier so verzählt, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Warum steht das da drin? Das will ja irgendetwas bedingen.

Dass übrigens Menschen, die von den Nazis mit Reizgas angegriffen werden, sich Mund und Nase vermummen oder bedecken, kann ich durchaus nachvollziehen. Dass Menschen, die von den Nazis in Dortmund angegriffen werden, sich unkenntlich machen, kann ich übrigens auch verstehen. Dass normale Politiker wie Birgit Rydlewski oder Ullrich Sierau von der Hetze der Nazis in Dortmund beständig betroffen sind und dass vor ihrer Haustür zu Weihnachten demonstriert wird, gehört anscheinend zum Berufsrisiko. Normale Menschen müssen sich dieser Hetze aber nicht aussetzen.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Daher kann ich jede Vermummung verstehen.

Weiter geht es mit verharmlosenden Ausdrücken. Zitat:

„In dem Tumult wurden nach Angaben der Einsatzkräfte Flaschen geworfen[…] sowie geschlagen.“

Flaschen flogen ausschließlich von Nazis in Richtung der Menschen vor dem Rathaus, nicht umgekehrt. Die Aggression ging grundsätzlich und ausschließlich vonseiten der rechten Gewalttäter aus. Eine weitere Verharmlosung der Darstellung.

Nächstes Zitat:

„[…] die aggressiven Parteien voneinander trennen.“

„Aggressive Parteien“ – wie unsere genannte Kollegin Daniela Schneckenburger, die hier beständig durch gewalttätige Aggressionen auffällt!

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Frau Schneckenburger stand mit dem Rücken zum Rathaus. Auf sie wurde von den rechten Gewalttätern eingeprügelt und sie wurde niedergeschlagen. Das sind keine aggressiven Parteien. Das ist eine Aggression einer Gruppe gegenüber Zivilcourage beweisenden Menschen.

(Anhaltender Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Wie eben schon vorgetragen und auch im Bericht genannt wurden zehn Menschen verletzt, übrigens ausschließlich Menschen, die sich aus der Gruppe derjenigen zusammensetzen, die vorher die Menschenkette gebildet haben. Von den Nazis sind keine Verletzungen bekannt. Wie auch? In die Richtung gingen keine Aggressionen.

Weiter heißt es:

„Um 22:20 Uhr wurde durch den DGL vor Ort […] der Einsatz von Pfefferspray durch Einsatzkräfte gemeldet.“

Hier wird gezielt die Information weggelassen, dass das Reizgas ausschließlich zur Abwehr der rechten Gewalttäter eingesetzt wurde. Desinformation durch Weglassen von Informationen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Sommer, ich muss darauf hinweisen, dass Sie Ihre Redezeit im Rahmen dieses Blocks überschritten haben. Sie haben hinterher noch einmal die Möglichkeit, auszuführen.

Torsten Sommer (PIRATEN): Kein Problem. Ich mache gleich weiter mit 22:21 Uhr.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Lüders.

Nadja Lüders (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Das, was Sie, Herr Kruse, hier gerade abgelassen haben, zeigt einmal wieder eindeutig, dass Sie sich mit dem Thema an sich überhaupt nicht auseinandersetzen wollen.

(Beifall von der SPD)

Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass Sie sich mit dem Innenleben unserer Fraktion und mit dem Innenleben der regierungstragenden Fraktionen auseinandersetzen, aber in keinster Weise zu dem Thema reden.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Sie wissen sehr genau, dass wir unsere Polizei hier in NRW bei ihrer Arbeit unterstützen.

(Zuruf von der CDU)

Sie ist wertvoll. Sie haben es wirklich nicht verstanden. Wir sind in Dortmund außerordentlich dankbar für den Einsatz der ersten acht Kräfte, die vor Ort waren. Es geht uns nicht um den Einsatz. Es geht um die Wortwahl und den Duktus dieses Berichtes, der uns vorgelegt worden ist.

(Zuruf von der CDU: Von wem kommt er denn?)

Ich kann Ihnen sagen – ich komme gleich darauf zu sprechen –: Der Innenminister hat dem Innenausschuss, wenn Sie dort zugehört haben, sehr klar gesagt, dass er die Kritik an dem Bericht ernst nimmt. Er hat uns alle gemeinsam aufgefordert, die politische Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen zu führen. Sie haben da noch im Innenausschuss dieser Mahnung zugestimmt.

(Armin Laschet [CDU]: Das ist auch richtig!)

Umso verwunderter und erschrocken bin ich, Herr Laschet – ich komme jetzt zu Ihnen – über Ihr Schweigen – und das Schweigen, das hat uns einmal die Geschichte gelehrt, ist nicht gut –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich! – Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

zu dem Vorfall in Köln-Porz.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von der CDU)

Da hat sich der Bezirksbürgermeister der CDU von Stimmen von „PRO NRW“ wählen lassen, und Sie schweigen dazu!

(Zuruf von der CDU – Anhaltender Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Sie sagen auch jetzt nichts. Bekennen Sie an der Stelle Farbe, Herr Laschet, als Parteivorsitzender!

(Langanhaltender lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU)

Ich bin stolz auf die Demokratinnen und Demokraten in Dortmund, die sich den Rechten in den Weg gestellt haben. Das verdient ebenfalls unseren höchsten Respekt.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte mir nicht im Ansatz ausmalen, was passiert wäre, wenn die Rechten, die mit Flaschen und Tränengas bewaffnet waren, das Rathaus erstürmt hätten.

Ernsthaft: Die Ereignisse in meiner Heimatstadt erinnern mich an eine längst vergangene Zeit. Wenn uns unsere Geschichte eines gelehrt hat, dann das, dass es Demokratinnen und Demokraten braucht, die nicht wegschauen, Demokraten, die frühzeitig Zivilcourage beweisen und gegen rechte Gewalt aufstehen.

Das ist auch Teil einer langjährigen, 150-jährigen Geschichte meiner Partei, der Sozialdemokraten. Alle hier im Raum von meiner Partei sind an unserer Seite.

Gerade und weil wir uns in diesem Ziel so einig sind und uns vertrauen, pflegen wir dazu einen offenen Austausch. In diesem Zusammenhang ist es eben die Wortwahl des Berichtes, der – gelinde gesagt – in Dortmund zu Irritationen geführt hat. Ich will jetzt gar nicht auf Einzelheiten eingehen, weil ich dazu eine zweite Runde bräuchte. Wenn Sie das aber möchten, tue ich das gerne, wenn Sie dazu noch einmal einen Beleg brauchen, weil Sie anscheinend immer noch nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht.

Im Vorfeld hat der Staatsschutz ermittelt, dass es – nach Aussagen dieses Berichtes – keine Erkenntnisse gäbe, dass die Rechten ins Rathaus ziehen. Es wird beschrieben, dass sich um 21 Uhr eine Vielzahl von Rechten in Dortmund zu einer kleinen Feier aufgehalten hat, um direkt im nächsten Absatz zu beschreiben, dass die Beamten anschließend, während sie dies beobachtet haben, zum Rathaus gegangen sind.

Ernsthaft: Das verstehen wir nicht, warum man, wenn im Vorfeld keine Erkenntnisse vorlagen, dann Aufklärungsarbeiten am Rathaus durchführen muss, wenn man sie in Dortmund-Dorstfeld zusammen bei einer Feier beobachtet. Das ist uns nicht erklärlich.

Um 22.05 Uhr verließen die Beamten laut Bericht dann das Rathaus, da es keinerlei verdächtige Wahrnehmungen gegeben habe. Genau fünf Minuten später ging dann der erste Notruf bei der Polizei ein.

Über die Angriffe der Rechten in der Zwischenzeit, die mit Gewalt das Rathaus stürmen wollten, ist nichts im Bericht beschrieben.

Wenn man sich dann auf YouTube die veröffentlichten Berichte anschaut, so sagt dort ein Polizeibeamter vor laufender Kamera – ihr zitiere wörtlich mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Letztlich stellte sich das so dar, dass eine Gruppe von ca. 20 Personen versucht hat, mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und Ähnlichem in das Rathaus zu gelangen. Das ist von innen verhindert worden.

Auch dazu sagt der Bericht leider nichts.

(Zuruf von der CDU: Wer ist denn verantwortlich?)

Das ist die Kritik, die wir geübt haben, und das, was der Minister auch im Innenausschuss erklärt hat. Umso glücklicher und froh sind wir ja über die Worte, die unser Innenminister im Innenausschuss am vergangenen Donnerstag gefunden hat. Er hat nämlich klar und deutlich gesagt, dass er diese Kritik an dem Bericht ernst nimmt.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Das tut uns in Dortmund wirklich gut. Der Vorschlag vom Innenminister, sich an einen Tisch zu setzen und das Ganze mit der Polizeiführung in Dortmund zu besprechen – das hat der Polizeipräsident in Dortmund, Herr Lange, übrigens am selben Tag aufgenommen –, nehmen wir gerne an, um gemeinsam nach vorn zu schauen.

(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)

Das können Sie anscheinend in keiner Weise. Sie sind in der Vergangenheit verhaftet. Liebe Mitglieder der Opposition, gehen Sie mit uns gemeinsam den Weg für Demokratie –

(Zuruf von der CDU: Oje!)

auch in diesem Parlament. Denn das, was wir derzeit in kommunalen Parlamenten erleben, sollte uns allen eine Warnung sein.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich komme noch einmal zurück auf Köln: Wenn die CDU sich bei einer gemeinsamen Resolution des Rates im Umgang mit rechten Parteien der Stimme enthält

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Pfui!)

dann ist das ein Zeichen, dass sie keine Stellung beziehen wollen. Herr Laschet, ich fordere Sie noch einmal auf: Nehmen Sie zu dem Stellung, was in Köln-Porz passiert ist!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Lüders. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Details gehen, möchte ich eins voranstellen: Ich finde, dass der Wahlabend in Dortmund für die Demokratie kein guter Abend war, und zwar in jeder Beziehung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Außerdem möchte ich voranstellen, dass für den Innenminister und die nordrhein-westfälische Polizei die letzte Innenausschusssitzung kein guter Tag war.

(Beifall von der FDP)

Beides gehört leider zusammen.

Wenden wir uns zunächst einmal der Innenausschusssitzung zu. Es lag uns ein Bericht vor, und zwar der Bericht der Landesregierung, also von Frau Kraft und vom Fachminister. Darin haben wir einiges nachlesen können, haben unter anderem von alkoholisierten Politikern, aber auch von Gewalt lesen können. Wenn sich dann der Herr Minister am Anfang der Sitzung aus Angst, weil er Kritik aus den Koalitionsfraktionen bekommen hat, von diesem Bericht distanziert, ohne zu sagen, er ist richtig oder er ist falsch: Herr Minister, dann sind Sie das Leichtgewicht der Koalition schlechthin.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Jeder Bericht kann falsch sein. Aber wenn er falsch sein sollte, dann müssen Sie es auch klar sagen. Sie dürfen als zuständiger Fachminister die Polizei nicht im Regen lassen, weil Sie die politische Verantwortung dafür scheuen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Als wir im Ausschuss den weiteren Verlauf gehört haben, wurde auch die Polizei zitiert. Es wurde dargelegt, dass die Beamtinnen und Beamten noch im Nachgang mehrfach gefragt wurden, und es wurde von den fachlich Zuständigen aus dem Ministerium bestätigt, dass der Bericht sachlich richtig sei. Dann, meine ich, Herr Minister, müssen Sie sich an die Spitze der Bewegung setzen und das auch beim Namen nennen. Wenn Demokraten prügeln, ist das keine Zierde für die Demokratie, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der SPD und den PIRATEN)

Solange der Bericht der Polizei vom Minister nicht widerrufen wird, erlaube ich mir, zunächst davon auszugehen, dass er richtig ist.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Dann haben wir gehört, dass deutlich mehr Ermittlungsverfahren gegen bürgerlich, links usw. eingeleitet wurden als gegen die Rechte. Gewalt erwidert man nicht mit Gewalt. Das ist peinlich für Demokratie, wenn Sie sich so verhalten.

(Beifall von der FDP und der CDU – Unruhe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Dr. Orth, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wegner zulassen?

Dr. Robert Orth (FDP): Insofern kann ich nur sagen, es wäre gut gewesen, wenn alle Demokraten die Polizei die Arbeit hätten machen lassen.

(Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Dafür ist die Polizei da. Wir haben ein Gewaltmonopol. Ich finde es auch unerträglich, dass in Dortmund Rechte gewählt wurden und ins Rathaus einziehen. Aber ich würde keine Gewalt anwenden, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von den GRÜNEN: Wer hat denn Gewalt angewendet? Sagen Sie es doch! – Unruhe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Dr. Orth, es gibt eine Zwischenfrage.

Dr. Robert Orth (FDP): Ich möchte keine Zwischenfrage zulassen.

(Zuruf: Zwischenfragen zulassen! – Weitere Zurufe)

Aber, sehr geehrte Frau Schneckenburger, da Sie sich auch zu Wort gemeldet haben, können Sie ja uns allen gleich mal darlegen, wie es zu dem Video gekommen ist, in dem offenbar eine Dame, die Ihnen sehr ähnlich sieht, mit den Fäusten rumspielt. Ich wüsste gerne, was der Hintergrund der Sache ist, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Heftiger Widerspruch von den GRÜNEN)

Insofern habe ich ein klares Fazit für heute.

(Zurufe von den GRÜNEN)

– Ich würde gerne vortragen. – Entweder ist der Bericht der Polizei richtig – dann hat der Minister gekniffen und ist eigentlich nicht tragbar für ein so schweres Amt –,

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von den GRÜNEN – Unruhe – Glocke)

oder aber Sie liegen richtig: Die Polizei hat Falsches vorgetragen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Das wäre beschämend – auch für die Demokratie. Aber auch dann ist der Minister der Falsche am Platz. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind beschämend für dieses Haus! – Weitere Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Das war die Rede von Herrn Dr. Orth für die FDP-Fraktion.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, dass es nach dem Beitrag von Herrn Kruse nicht schlimmer werden könnte. Aber, Herr Orth, das geht gar nicht. Sie verdrehen die Tatsachen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Sie erheben ungeheuerliche Unterstellungen. Das ist peinlich für dieses Haus. Es ist auch peinlich, dass FDP und CDU kein Wort über den Bericht, über das Thema „Rechtsextremismus“ verlieren. Auf Sie wartet man bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus immer vergeblich.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Ich würde mir wünschen, dass Sie mal mit uns auf der Straße stehen!

Wir haben in Dortmund eine der gewaltbereitesten Neonaziszene in Nordrhein-Westfalen, aber auch bundesweit. In dieser Stadt sind Menschen ermordet worden. Es hat den Angriff auf die DGB-Demo im Jahr 2009 gegeben. Die Aufmärsche am 1. Mai, am 1. September sind mittlerweile von bundesweiter Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Es ist uns vor zwei Jahren gelungen, diese Gruppierung, diese autonomen Nationalisten zu verbieten: als nationaler Widerstand nach dem Vereinsgesetz. Das hat durchaus dazu geführt, dass sich Personen im Umfeld dieser Szene zum Ausstieg bewegen ließen.

Aber zur Wahrheit gehört auch – das muss man hier auch mal selbstkritisch ansprechen –, dass sich viele Mitglieder des Nationalen Widerstands Dortmund in der rechtsextremistischen Partei Die Rechte wiederfinden, die jetzt unter dem Deckmantel einer Partei neu agieren.

Ich finde es besonders erschreckend, dass genau diese Partei jetzt in Hamm und in Dortmund im Rat sowie in mehreren Bezirksvertretungen vertreten ist. Das ist doch das eigentliche Problem, über das wir diskutieren müssen. Von Ihnen dazu kein Wort, Herr Kruse.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Denn das gemeinsame Ziel von Demokratinnen und Demokraten muss sein, dass wir es schaffen, 2020 die rechtsextremen Parteien wieder aus den Stadträten herauszuwählen.

(Beifall von Minister Ralf Jäger)

Bis 2020 – das ist eine lange Strecke von sechs Jahren – brauchen wir einen Umgang damit. Aber für uns Grüne ist klar: Es darf keine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten, mit Neonazis geben. Das, was in Köln-Porz abgelaufen ist, ist peinlich für die Demokratie und geht so gar nicht.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Laut Polizei hat es im Vorfeld des Wahlabends keine Hinweise darauf gegeben, dass die Neonazis zur Wahlparty im Dortmunder Rathaus kommen würden. Dennoch stellt sich die Frage: Warum hat der Staatsschutz den Dortmunder Stadtteil Dorstfeld verlassen, um zum Rathaus zu fahren, statt an den Neonazis dranzubleiben? Diese Fehleinschätzung – als solche würde ich sie bezeichnen – hat dazu geführt, dass 30 Neonazis noch am späten Abend unbeobachtet losziehen konnten. Aus meiner Sicht hätte man annehmen können und auch müssen, dass eine Gruppe betrunkener Rechtsextremisten an so einem Abend noch loszieht, um Menschen zu bedrohen.

Im Innenausschuss haben die Vertreter des Innenministeriums ihr Bedauern darüber ausgesprochen. Ich meine aber, es schwächt Polizei nicht, sondern stärkt sie eigentlich, an solch einer Stelle auch mal zu sagen, dass man einen Fehler gemacht hat. Das hätte in dem Bericht auch so auftauchen müssen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Durch den Bericht selbst sind Menschen, die sich gegen Rassismus, gegen Rechtsextremismus positionieren und engagieren, mit Formulierungen wie „betrunkenen Politikern“ diffamiert worden.

In dem Bericht wird nicht deutlich, dass von Neonazis Gewalt gegen Demokratinnen und Demokraten ausgeübt wurde. Der alte Duktus von angeblichen Rechts-Links-Auseinandersetzungen, der meist zur Verharmlosung von rechtsextremer Gewalt geführt hat, lebt in diesem Bericht leider wieder auf.

Und die Darstellungen über die Gefährderansprache mit einem bekannten Neonazikader klingen leider so, als hätte man sich auf diese Aussagen berufen.

Solche Formulierungen sind fatal, weil sie das Vertrauen von demokratischen Bürgerinnen und Bürgern in Polizeiarbeit beschädigen, weil sie Fronten aufmachen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten auf der einen und Polizei auf der anderen Seite.

Das eigentlich Erschreckende dieses Berichtes und dieser ganzen Diskussion darüber ist, dass wir in der Diskussion, die wir in den letzten Jahren geführt haben, zurückgeworfen sind, weil es diese Empörung gibt, die zu Recht da ist. Ich meine, wir müssen jetzt wieder nach vorne arbeiten gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, weil die Gefahr durch Rechtsextremismus für unsere demokratische Gesellschaft vorhanden ist und wir alles daran setzen müssen, dieses Phänomen zu bekämpfen.

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus kann aber nur gemeinsam, kann nur mit Zivilgesellschaft gelingen. Wir können die Polizeiarbeit stärken. Wir können den Verfassungsschutz entsprechend ausrichten. Wir können den Opferschutz stärken – das haben wir auch durch die Beratungsstellen gemacht. Wir können Präventionsmaßnahmen auflegen. Wir können Aussteigerprojekte fördern. Aber demokratische Werte und das tägliche Einstehen für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit muss durch die Bürgerinnen und Bürger, durch uns alle jeden Tag auch gelebt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gerade in Dortmund haben wir so eine aktive Zivilgesellschaft, die sich am Wahlabend mutig vor das Rathaus in Dortmund gestellt hat.

Die rechtliche Lage ist im Innenausschuss dargestellt worden. Ja, die Neonazis hatten das Recht, an diesem Abend die Wahlparty zu betreten, weil es eine öffentliche Veranstaltung war. Ja, das ist so. Man hätte sich vielleicht im Rathaus früher auch einmal Gedanken darüber machen können, inwiefern man beispielsweise eine nichtöffentliche Veranstaltung durch die Fraktionen macht, aber das ist etwas anderes.

Klar ist: Die rechtliche Situation ist so, wie ich sie gerade geschildert habe. Natürlich ist es so, dass durch das Hindern am Betreten der Wahlparty der Straftatbestand der Nötigung erfüllt sein kann. Das ist die rechtliche Ebene. Es gibt aber noch eine andere Ebene, es gibt eine politische, es gibt eine moralische Ebene.

(Zurufe von der FDP)

Die politische Ebene ist,

(Weitere Zurufe von der FDP – Unruhe – Glocke)

dass es meiner Meinung nach richtig war, dass sich Menschen schützend vor dieses Rathaus gestellt haben. Ich kann sagen – ich glaube, da spreche ich zumindest für einige Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Parlamentes –: Viele von uns hätten sicherlich dasselbe getan, wenn Rechtsextreme versucht hätten, in das Rathaus in der eigenen Heimatstadt hineinzukommen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Ich meine aber auch, dass wir in den letzten Jahren in der Polizeiarbeit im Bereich Rassismus und Rechtsextremismus viel bewegt haben. Es gibt die Sonderkommissionen. Es gibt das Kompetenzzentrum beim LKA. Es gibt die gesonderte Erfassung der Straftaten der Allgemeinkriminalität durch Neonazis. Es gibt die feste Verankerung des Themenkomplexes in der Aus- und Fortbildung.

Jetzt muss es darum gehen, zum einen aus solchen Diskussionen zu lernen, mit der Zivilgesellschaft in Kontakt zu treten und den Bericht nachzubereiten. Aber es muss zum anderen auch darum gehen, die fraktionsübergreifende Beschlussempfehlung des Bundestags-Untersuchungsausschusses zum NSU umzusetzen.

Gerade für diejenigen, die sonst nicht im Innenausschuss sind, sage ich: Wir befinden uns weder am Anfang der Debatte noch am Ende, sondern wir sind eigentlich mittendrin in der Auseinandersetzung darüber, wie Polizeiarbeit besser werden kann, gerade bezogen auf dieses Themenfeld. Daran sollten wir alle als Demokratinnen und Demokraten für die Zukunft anknüpfen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In unserer demokratischen Gesellschaft darf kein Platz sein für rechtsextremistische Gewalt oder rechtsextremistische Parolen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Ich setze darauf, dass es in dieser Frage eine Einigkeit in diesem Landtag geben muss. Da darf es keine zwei Meinungen geben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der CDU)

Ich bin mir ziemlich sicher: Die Diskussion über das, was am 25. Mai in Dortmund geschehen ist, und auch der Streit – das muss man offen sagen –, der darüber geführt wird, dürfen uns von diesem Weg nicht abbringen.

Allerdings, Herr Kruse – ich habe Ihnen sehr genau zugehört –, frage ich mich: Was ist eigentlich Ihre Motivation? Warum beantragen Sie diese Aktuelle Stunde?

(Theo Kruse [CDU]: Habe ich doch erzählt!)

Ich frage Sie: Wollen Sie sich mit uns gemeinsam darüber auseinandersetzen, wie wir Rechtsextremismus in dieser Gesellschaft bekämpfen wollen? Oder wollen Sie politische Geländegewinne erzielen, Herr Kruse?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Frage müssen Sie beantworten. Ich glaube, dass wir in dieser Frage schon längst eine Linie gefunden haben. Ich kann für Sie diese Frage nicht beantworten. Ich finde es gut, wenn Sie das für Ihre Kolleginnen und Kollegen der CDU noch einmal deutlich machen würden.

(Armin Laschet [CDU]: Sagen Sie doch etwas zum Bericht! – Weitere Zurufe)

Wir haben uns letzte Woche im Innenausschuss sehr intensiv, sehr sachlich mit diesen Vorgängen am 25. Mai auseinandergesetzt. Mir ist wichtig, meine Damen und Herren, dass im Nachgang zu dieser Diskussion im Innenausschuss das Parlament eine klare Botschaft in die Öffentlichkeit gesandt hat: Gemeinsam danken wir den acht Polizeibeamtinnen und -beamten,

(Beifall von der SPD und der CDU)

die als erste am Rathaus ankommend einer größeren, einer aggressiven, einer gewalttätigen Gruppe gegenübergestanden haben. Die Acht haben genau das getan, was sie tun sollen: Sie haben nämlich deeskaliert. Sie haben ausufernde Gewalt verhindert. Und sie haben damit im Rahmen dessen, was ihnen möglich war, die Menschen, die vor dem Rathaus standen, zu diesem Zeitpunkt in der Weise, wie sie da waren, geschützt. Verstärkung kam. Die Lage beruhigte sich in kürzester Zeit. Viele Beamtinnen und Beamte sind an diesem Abend im Einsatz gewesen. Ich danke ihnen ausdrücklich.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und der FDP – Theo Kruse [CDU]: Wir auch!)

Ich meine, ich habe im Innenausschuss letzte Woche eine klare, auch politische Bewertung dieses Abends vorgenommen.

(Theo Kruse [CDU]: Nein, das haben Sie nicht!)

Ich will an diese Stelle noch einmal ausdrücklich betonen: Ich finde es erschreckend, ich finde es empörend, ich finde es wutemotional nachvollziehend, dass es Rechtsextremen gelingt, mit legalen Mitteln in unsere Parlamente und in unsere Räte einzuziehen. Das ist ein nur schwer zu ertragender Zustand, Herr Kruse.

Ich habe für jeden großes Verständnis, der einen solchen Zustand nicht hinnehmen will, der etwas dagegen tun und das ändern will. Ich kenne – Frau Schäffer hat zu Recht darauf hingewiesen – die besondere Situation in Dortmund. Nirgendwo in Nordrhein-Westfalen haben wir eine so verfestigte, aggressive und gut organisierte neonazistische Szene wie in Dortmund.

Gott sei Dank macht es der Entschließungsantrag von Rot-Grün noch einmal deutlich, dass das nicht erst am 25. Mai aufgetreten ist, sondern dass das eine jahrzehntelange schlimme Tradition in Dortmund hat. Das zu sehen, ist wichtig für diese Diskussion.

Wichtig, um die Diskussion zu verstehen, ist auch, zu erkennen, was das Ziel von Rechtextremisten und Neonazis ist. Sie wollen provozieren, sie wollen verbal Hass schüren. Das tun sie am 1. Mai, am Antikriegstag, den sie für ihre Zwecke mit ihren Aufmärschen missbrauchen. Ich habe für die Wut der Dortmunder über diese Aufmärsche allergrößtes Verständnis, weil es mich selbst auch wütend macht. Deshalb hat der Polizeipräsident lange zu Recht alle rechtlichen Mittel genutzt, diese Neonazi-Aufmärsche zu verbieten.

(Beifall von der SPD)

Deutsche Gerichte haben anders entschieden. Das müssen wir als Demokraten akzeptieren. Aber wir müssen jedes Mittel, das rechtstaatlich zulässig ist, gegen diese Neonazis nutzen, meine Damen und Herren.

Sich in solchen Situationen wie an dem 25. selbst in den Griff zu haben, besonnen und souverän zu reagieren, fällt schwer. Ich habe den Wahlabend im Rathaus Duisburg verbracht. Vier Mitglieder von PRO NRW und ein Mitglied der NPD haben leider ausreichend Stimmen erzielt, um zukünftig Mitglied im Rat der Stadt Duisburg zu sein. An einem Wahlabend diese Ergebnisse zur Erkenntnis nehmen zu müssen, während die am Nebentisch feiern, ist emotional für einen Demokraten nur schwer zu ertragen. Deshalb habe ich großes Verständnis für das Entsetzen in Dortmund über den Einzug dieses Rechtsradikalen.

Bei allen ehrlichen, redlichen Motiven muss aber auch eines klar sein: Bei allen Protesten gegen Rechtsextremisten müssen sich Demokraten an demokratische Gesetze halten,

(Allgemeiner Beifall)

weil wir sonst selbst in die Kritik derer geraten.

Um aber auch das deutlich zu sagen: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich die Menschen, die sich an dem Abend im Rathaus vor die Tür gestellt und den Einzug der Rechten verhindert haben, sehr wohl im Recht gesehen haben, meine Damen und Herren.

(Unruhe – Glocke)

Sie wollten eben nicht ein Rathaus widerstandslos Neonazis überlassen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich kann auch die Wut und die Empörung dieser Menschen sehr gut nachvollziehen.

Allerdings gilt für unsere Polizei: Sie muss, auch wenn es um Parteien aus dem rechtextremistischen Spektrum geht, immer nach Recht und Gesetz handeln. Dabei muss sie jeden Bürger schützen. Sie muss übrigens auch jeden Bürger davor schützen, Straftaten zu begehen. Sie darf nicht nach der Gesinnung beurteilen, sondern sie muss sich ausschließlich an den Handlungen dieser Personen ausrichten. Die Polizei schützt keine politische Gesinnung, sie schützt die in unserer Verfassung verbrieften Grundrechte.

(Beifall von der CDU)

Ich kann die Wut vieler wirklich verstehen, wenn sie als Demokraten tatenlos mitansehen müssen, wie sich Antidemokraten auf demokratische Rechte berufen. Ich kann diese Wut verstehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal kurz auf den Bericht vom 23. Juni zu sprechen kommen. Auch hier ist mir wichtig, eines zu betonen: Die Kritik an diesem Bericht nehme ich persönlich sehr ernst. Ich habe das bereits im Ausschuss gesagt. Herr Kruse, ich habe Ihnen ganz klar geantwortet: Ich stehe zu diesem Bericht, ich habe aber auch Verständnis dafür, dass einige Formulierungen bei Menschen als unsensibel empfunden werden, Irritationen auslösen und auf Unverständnis stoßen. Trotzdem ist das ein Wahrnehmungsbericht von Einsatzbeamten und kein politisches Manifest. – Das habe ich Ihnen, Herr Kruse, wortwörtlich so gesagt.

(Armin Laschet [CDU]: Ihr Bericht!)

Herr Kruse, ich möchte noch einmal deutlich machen, was ich bei Ihnen auch nicht in Ordnung finde. Ich finde nicht in Ordnung, wenn Sie die klare rechtsstaatliche Haltung – wie im Bericht dargestellt –, mit der unsere Polizei gegen Neonazis vorgeht, kritisieren oder infrage stellen.

Ich will auch das deutlich sagen: Wenn die klare rechtsstaatliche Haltung, mit der unsere Polizei gegen Neonazis vorgeht, im Bericht nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht wurde, werden wir das in Zukunft tun. Aber die Haltung unserer Polizei, Herr Kruse, in diesem Fall infrage zu stellen, finde ich, geht nicht.

(Zuruf von der CDU)

– Doch! Sehr wohl! Herr Kruse, ich habe Ihnen sehr genau zugehört.

(Weitere Zurufe von der CDU)

Ich finde, dass wir – die Zivilgesellschaft und die Polizei in Dortmund – bei dieser schwierigen Lage in der Vergangenheit gemeinsam schon viel erreicht haben. Wir haben im Kampf gegen Rechtsextremismus viel erreicht. Diese Leistung darf durch dieses Diskussion nicht in den Hintergrund geraten.

Um es deutlich und unmissverständlich zu sagen, meine Damen und Herren: In dem Pulk der Neonazis befanden sich kriminelle, verurteilte Straftäter, die mit Gewalt versucht haben, in das Rathaus einzudringen. Es ist unzweifelhaft: Auf Gewalt von Neonazis kann es nur eine Antwort des Rechtsstaates geben, eine konsequente Strafverfolgung der Justiz. Und dies geschieht. Dies geschah am 25. Mai, es geschah vor dem 25. Mai, und es geschah an jedem Tag nach dem 25. Mai genauso.

Ich bin sehr froh darüber, dass Herr Lange in Dortmund einen Dialog bzw. einen runden Tisch initiiert hat, um diese Vorgänge um den 25. Mai sachlich und in Ruhe gemeinsam mit der Zivilgesellschaft in Dortmund aufzuarbeiten.

Ich finde, dass aus der Debatte heute eines klar werden muss: Das Engagement der Zivilgesellschaft in Dortmund werte ich so: Menschen, die auf die Straße gehen und Naziaufmärsche mit friedlichen Gegendemos kontern, sind ausdrücklich erwünscht. Diesem Engagement der Dortmunderinnen und Dortmundern gebührt unser Dank, mein Dank. Wir sollten alles dafür tun, dass wir es an dieser Stelle – und auch in Zukunft – würdigen, meine Damen und Herren, Herr Dr. Orth.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich komme zum Schluss. – Ich will, bitte, noch einen Hinweis geben. Wir haben viel erreicht. Es darf nicht der falsche Eindruck entstehen, dass wir zivilgesellschaftliches Engagement nicht schätzen. Ganz im Gegenteil! Wir müssen klare Signale geben, dass wir auf einer Linie mit denen sind, die gegen Neonazis demonstrieren.

Eines muss, denke ich, heute auch klar werden, in Richtung des rechtsextremen Lagers: Ihr habt nicht gewonnen! Nicht am 25. Mai! Ihr werdet nie gewinnen, weil wir Demokraten zusammenstehen! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Lohn.

Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich eindeutig feststellen: Ich persönlich, aber auch die CDU-Fraktion hier im Landtag freuen uns über jeden Rat, der frei von Rechtsradikalen ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen ist das eine infame Unterstellung und ein infamer Versuch, uns in die Ecke von Rechtsradikalen zu drücken.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

– Man merkt an Ihrer Betroffenheit, dass Sie wirklich im Kern Ihres politischen Selbstverständnisses getroffen sind.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Herr Laschet sollte betroffen sein!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf die Äußerungen von Minister Jäger eingehen. Zunächst wird es Sie vielleicht erstaunen: Ich bin ihm dankbar dafür, dass er gesagt hat, alle demokratischen Kräfte hier im Haus, aber auch im Land müssen gemeinsam mit allen politisch möglichen und rechtlich zulässigen Mitteln gegen Rechtsradikalismus ankämpfen. Das ist genau die Meinung der CDU.

(Beifall von der CDU)

Nur leider Gottes war das in Dortmund anders. Da wurden die rechtlich zulässigen und politisch möglichen Mittel eindeutig überschritten. Deswegen bin ich dem Minister dankbar, dass er das hier auch ganz klar und in seinem Bericht auch deutlich gemacht hat.

Bezeichnenderweise war es nur so, dass von den Grünen bei dem Punkt gar kein Applaus kam und bei den SPD-Leuten betretenes Schweigen herrschte.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister, das ist kein Rückhalt aus Ihren Koalitionsfraktionen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn wir die Diskussion vom Ende her betrachten, kann man jetzt als Ergebnis schon feststellen: Ich hoffe, wir kommen wieder zu dem demokratischen Konsens gegen die Rechten. Aber festzustellen ist auch, dass das Koalitionsverhältnis zwischen den Grünen

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

und der SPD und dem SPD-Minister zerrüttet ist. Deswegen müssen wir heute hier darüber sprechen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

Wenn Sie meinen, die Diskussion heute, Herr Minister Jäger, wäre kontraproduktiv, kann ich Ihnen sagen: Die Tatsache, dass Sie einen Bericht vorgelegt haben, der von Ihrem Koalitionspartner massiv kritisiert wird, deutet darauf hin, dass die Kritik nicht in Richtung der CDU geht oder in Richtung der FDP. Die Kritik richtet sich zu 100 % gegen Sie.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das ist Ihr Bericht, um den es hier geht. Jeden Kritikpunkt, der aufgeführt wurde, müssen Sie sich persönlich anziehen. Da können Sie auch nicht von Köln-Porz reden oder von irgendwelchen anderen Sachen. Jedes Wort, das da drin steht, ist von Ihnen unterzeichnet. Sie müssen das rechtfertigen.

(Beifall von der CDU)

Das Vertrauen der Polizei, Herr Jäger, ist normalerweise das höchste Gut, das ein Innenminister hat. Sie haben sich in der Vergangenheit nicht ungeschickt angestellt. Aber Ihr Verhalten nach den Vorfällen in Dortmund und auch bei der letzten Innenausschusssitzung hat dazu geführt, dass das Vertrauen der Polizei in Sie als Innenminister nicht nur zerstört ist, sondern weg ist. Es ist definitiv weg.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Die Polizei ist enttäuscht von einem Minister, der sich bei dem geringsten Druck vonseiten der Grünen und einigen SPD-Granden aus Dortmund wegduckt, versucht, sich von einem Bericht zu distanzieren, und sagt, das wäre der Bericht eines einzelnen Einsatzbeamten gewesen.

Jeder, der weiß, wie die Berichte zustande kommen, kann Ihnen sagen, dass das völlig wahrheitswidrig ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Der Bericht kommt zustande, indem verschiedene am Einsatzort Beteiligte einzelne Berichte abgeben. Die werden zusammengefasst vom Polizeipräsidenten in Dortmund. Er gibt sie dann an das Ministerium weiter. Der Polizeipräsident in Dortmund ist ein politischer Beamter. Der hat bezeichnenderweise gesagt, die Polizei dürfe nicht neutral sein.

(Zuruf: Hört, hört!)

Damit steht er rechtlich auf sehr wackeligen Füßen. Denn unsere Polizei ist keine politische Polizei. Die ist verpflichtet, rechtlich neutral zu sein. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Berichte, die von der Polizei Dortmund über den Polizeipräsidenten Dortmund an Sie gehen, auch neutral und wahrheitsgemäß sind. Daran gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Wenn dann unangenehme Wahrheiten da drin stehen, wie zum Beispiel dass betrunkene SPD-Politiker massiv Druck ausgeübt haben in Person des Ex-Bürgermeisterkandidaten Drabig, dann ist das

(Zurufe von der SPD)

für die SPD und für die Grünen unangenehm. Trotzdem muss man mit solchen Wahrheiten, die sich ergeben, leben können.

Der Bericht wurde fast vier Wochen nach dem eigentlichen Wahltag vorgelegt. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt mit Sicherheit formelle Mängel, auch Mängel in der Art und Weise der Wortwahl in dem Bericht. Ich führe das darauf zurück, dass der im Verlauf der letzten drei Wochen, bevor er vorgelegt wurde, massiv korrigiert wurde.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Frechheit! – Weitere Zurufe von der SPD)

Denn so kommt ein Bericht zustande, der aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt ist.

(Weitere Zurufe von der SPD)

– Wenn Sie mit Ihrer Empörung fertig sind, mache ich gerne weiter.

„Empörung“ ist das Stichwort. Herr Römer guckt auf. Genau Sie meine ich damit. Sie müssten sich eigentlich in diese Debatte hier einklinken. Denn Sie haben ja über die Medien lauthals getönt, Sie seien über den Bericht Ihres Innenministers empört. Ich denke, danach wird es auch noch Gespräche zwischen Ihnen und Herrn Jäger gegeben haben. Heute stehen Sie aber nicht auf der Rednerliste. Hier hätten Sie Gelegenheit, Ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen und genau das zu benennen, was Sache ist.

(Beifall von der CDU)

Herr Römer, Sie haben gleich sicher noch die Gelegenheit dazu.

Es bleiben nach wie vor, auch nach der Diskussion heute hier, einige Fragen offen, vor allen Dingen: Hat es tatsächlich diese Einflussnahme von Ihnen und von SPD-Granden aus Dortmund gegeben, die den Minister dazu veranlasst haben, seinen Bericht zunächst in der Innenausschusssitzung zu relativieren und zu sagen, den habe ein Beamter geschrieben? Wenn das so sein sollte, sage ich Ihnen: Wir haben weder eine politische Polizei noch darf ein Bericht der Landesregierung von den Parteien vor Ort korrigiert werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Frau Schäffer von den Grünen – das muss ich sagen – tritt immer schön nett auf. Aber das, was Sie eben von sich gegeben haben, ist mit dem Rechtsstaat, in dem wir leben, nicht vereinbar.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben gesagt, es gebe rechtliche Möglichkeiten, Widerstand zu leisten, und daneben auch politische Möglichkeiten und moralische Rechtfertigungen. Das ist definitiv falsch. Wo das Recht beendet ist, ist auch das Ende des Protests erreicht. Was Sie hier vorgetragen haben, würde der Gewalt Tür und Tor öffnen.

(Beifall von der CDU – Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich fasse es nicht! – Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN] – Weitere Zurufe)

Wir können am Ende, glaube ich, doch noch insofern zusammenkommen, dass wir sagen: Wir müssen gemeinsam in den Kampf gegen die Rechten gehen. Dabei ist es natürlich schwer, den Verlauf der Diskussion hier zu vergessen; denn wenn Sie uns vorwerfen, wir würden rechtsradikale Tendenzen verfolgen, ist es schwierig, auf einen Nenner zu kommen.

(Marc Herter [SPD]: Sie lassen sich von diesen Rechtsradikalen wählen!)

Herr Minister, ich fordere Sie auf, gleich noch einmal klipp und klar und deutlich zu sagen: Das, was in dem Bericht steht, sind meine Aussagen. Ich nehme keinen Deut davon zurück.

Ich zitiere zum Abschluss noch eine Passage, die ich von Ihnen dann auch gerne als Ihre Passage bestätigt hätte. Beispielsweise heißt es dort auf Seite 8:

„Während die Einsatzkräfte die Gruppe der Angehörigen der rechten Szene räumlich zurückdrängten, wurde fortwährend aus dem Rücken der Polizeibeamten heraus aus der bürgerlichen/linken Gruppierung versucht, die vorhandenen Lücken in der Polizeikette auszunutzen, um Angehörige der rechten Gruppierung mit Schlägen und Tritten zu attackieren, was die Emotionen unter den Rechten immer wieder anheizte.“

Herr Minister Jäger, ist das Ihre Aussage in Ihrem Bericht? Dann stehen Sie dazu. Ducken Sie sich hier nicht weg. Fangen Sie nicht an, zu versuchen, mit Nebelkerzen Situationen zu verwischen. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, zu wissen: Wo steht unser Minister? Ist die Koalition noch handlungsfähig? Oder sehen wir einen Trümmerhaufen vor uns? – Danke.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Stotko das Wort.

Thomas Stotko (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohn, ich will kurz richtigstellen: In dem Bericht des Ministeriums steht weder der Name der Partei SPD noch der Name von Herrn Drabig. Gerade haben Sie das so zitiert. Das ist aber nicht der Fall.

Herrn Kruse und Herrn Orth möchte ich zumindest empfehlen, ein Gespräch mit Herrn van Benthem und Frau Bastian über die Frage zu führen, unter welchen Voraussetzungen man in Köln-Porz Bürgermeister wird. Das muss man hier doch nicht wegschieben. Ich halte das für wichtig – auch, dass der Bericht nicht geändert wird.

(Zurufe von der CDU)

Bevor Sie jetzt alle anfangen, zu reagieren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich will entgegen meinen Gepflogenheiten nichts mehr dazu sagen.

Wir können in einem freien Land offensichtlich nicht verhindern, dass Extremisten, Chaoten oder andere Staatsfeinde vor den Augen der Öffentlichkeit durch die Straßen ziehen und rassistische oder ausländerfeindliche Parolen skandieren. Wir konnten leider – ich glaube, das sehen wir alle gemeinsam so – nicht verhindern, dass mindestens 46 Rechtsextreme in unseren Kommunalparlamenten sitzen.

Gemeinsam können wir aber verhindern, dass diese Rechtsextremen die Straßen und Plätze dominieren und das Bild unseres Landes Nordrhein-Westfalen in der Öffentlichkeit prägen und eben auch verzerren; denn es ist unsere Aufgabe, als Demokratinnen und Demokraten deutlich zu machen, dass das mit der Mehrheit dieses Landes nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Unter schwierigen Umständen und sicherlich auch an den Grenzen dessen, was möglich ist, haben Menschen in Dortmund klargemacht, dass wir als Nordrhein-Westfalen, aber auch als Bundesrepublik Deutschland ein Land sind, das nach bitteren Erfahrungen mit Extremismus und Gewalt seine historischen Lektionen – vielleicht auch gründlicher als andere Länder – gelernt hat. Wir wollen nie wieder zurück in einen solchen braunen Sumpf, den es im 20. Jahrhundert in verschiedenen Phasen unserer Geschichte hierzulande leider gegeben hat.

Johannes Rau hat einmal gesagt – mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich ihn –:

„Die Stärke unserer Demokratie liegt doch gerade darin, dass alle die gleichen Rechte haben und dass für alle das gleiche Recht gilt. Genau daran müssen wir uns auch im Umgang mit Fremdenhass und Gewalt halten. Wir sollten sorgfältig prüfen, welche der Instrumente, die dem demokratischen Staat zur Verfügung stehen, in der aktuellen Auseinandersetzung mit dem Extremismus wirklich Erfolg versprechen.“

Johannes Rau hat das gesagt.

Ich glaube, dass wir als Politik die Bewertung der Frage, ob und wer sich in Dortmund wie richtig und mit welchem Erfolg verhalten hat, richtigerweise den Staatsanwaltschaften überlassen. Wir müssen aber hier und heute alle in unseren Parteien und in der Zivilgesellschaft dringend ermutigen; denn sie fühlen sich in den Parlamenten und in diesem Staat der Verfassung verpflichtet. Ihnen sollten wir als Parlament von Nordrhein-Westfalen die deutliche Botschaft übermitteln: In diesem Land dulden wir keinen Fremdenhass. Mit uns nie mehr!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Armin Laschet [CDU])

Wir alle tragen die Verantwortung für das, was aus diesem Land wird – mit einer Demokratie, für die wir auch als Parlamentarier aktiv eintreten, um einer Beschädigung des Ansehens der Demokratie und der Strukturen Einhalt zu gebieten.

Wir dürfen die Ereignisse aus Dortmund, einen sicherlich schwierigen Bericht und manch unbedachte Äußerung nicht zum Gegenstand pauschaler Schuldzuweisungen oder gar kalkulierter Unterstellungen unter den Demokratinnen und Demokraten machen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Weiß Frau Lüders das?)

Das wird der Tragweite dieses Problems nicht gerecht und spielt den Neonazis nur in die Hände.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wer von den Menschen in unserem Land im Alltag Courage im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit verlangt, der muss selber Vorbild sein. Dies gilt besonders für politische Verantwortungsträger und ganz besonders für die Parlamentarier in diesem Raum.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die vielbeschworene Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten – und das irritiert mich an der bisherigen Diskussion – steht nämlich leider allzu oft nur auf dem Papier. Der Alltag des Umgangs zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen ist meist von Polemik, verbalem Populismus und Konfrontation um der Konfrontation willen geprägt. Umso wichtiger ist es, dass wenigstens an manchen Stellen Grenzen gewahrt und ungeschriebene Gesetze eingehalten werden. Und dazu gehört die Geschlossenheit der Demokratinnen und Demokraten.

Es fällt mir auch leicht, an diese Geschlossenheit zu appellieren; denn in den Geschichtsbüchern kann man nachlesen, dass sich noch kurz vor der Machtübernahme die unterschiedlichen Parteien der Opposition beschimpften, statt gemeinsam Flagge gegen die Nazis zu zeigen. Diese fehlende Gemeinsamkeit der Demokratinnen und Demokraten war eine entscheidende offene Flanke für die Machtübernahme.

Wir dürfen und wir wollen den Nazis in Nordrhein-Westfalen, in der Bundesrepublik insgesamt und überall auf der Welt keine Chance geben, die demokratischen Fraktionen gegeneinander auszuspielen. Die jüngsten Aktivitäten von Nazis in Nordrhein-Westfalen zeigen – nicht nur in Duisburg –, dass wir entschlossen und geschlossen vorgehen müssen. Denn Demokratie und Freiheit sind nicht selbstverständlich. Sie müssen immer wieder verteidigt werden. Dabei darf sich niemand, wirklich niemand seiner Verantwortung entziehen.

Das hat übrigens auch Johannes Rau erkannt, den ich – mit Erlaubnis des Präsidenten – zum zweiten Mal zitieren möchte. Er hat gesagt:

„Der Konsens der freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft ist nicht naturgegeben, er ist nicht ein für allemal gesichert. Dieser Konsens muss immer wieder erarbeitet werden – rational und emotional. Was den meisten von uns selbstverständlich erscheint, muss immer wieder neu begründet, benannt und vor allem im Alltag Wirklichkeit werden.“

Lassen Sie uns mit Johannes Rau in diesem Parlament gemeinsam an diesem und für diesen Konsens arbeiten. Ich rufe trotz der bisherigen Debatte ausdrücklich alle zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Demokratinnen und Demokraten auf. Wir müssen – ob in Vereinen, Verbänden, Kirchen oder mit allen anderen Menschen, die sich in den Kommunen engagieren – gemeinsam Rückgrat gegen Rechtsextremismus zeigen. Wir alle müssen beim Kampf gegen Rechtsextreme zusammenhalten. Denn dann und nur dann haben die Nazis in unserem Land keine Chance. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Schneckenburger das Wort.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine Bemerkung zu Herrn Dr. Orth. Herr Dr. Orth, ich empfand Ihren Beitrag als infam.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Sie haben mich persönlich angegriffen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das richtigstellen. Wenn Sie das liberale Gesicht der FDP sind, dann hat, finde ich, die liberale Politik der FDP heute abgedankt.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Ihre Parteikolleginnen standen in Dortmund mit einer Flagge der FDP vor dem Rathaus. Als es später in die politische Auseinandersetzung ging, haben die sich weggeduckt. Das stimmt. Sie haben nicht unterschrieben. Das stimmt aber auch: Sie standen vor dem Rathaus. Sie lassen also auch Ihre Kolleginnen und Kollegen in Dortmund im Stich, Herr Dr. Orth.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Sehr geehrter Herr Laschet, ich will nicht auf die Beiträge Ihrer Kollegen eingehen, will aber noch mal deutlich sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen Schulterschluss aller Demokratinnen und Demokraten brauchen. Dazu gehört auch die CDU in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund wie in jeder anderen Stadt in Nordrhein-Westfalen.

Weil wir diese Einschätzung teilen, bitte ich Sie, wirklich noch mal zu überdenken, ob wir auch in einen zivilgesellschaftlichen Schulterschluss in der Auseinandersetzung vor Ort mit Nazis in Dortmund kommen können. Ich biete diesen Dialog ausdrücklich an. Ich bin der festen Überzeugung, dass das notwendig ist und dass wir als Zivilgesellschaft nur gemeinsam gegen die rechtsextremen Strukturen in Dortmund stehen können.

Herr Lohn, damit das nicht in Vergessenheit gerät, will ich Ihnen noch mal sagen: Im Jahr 2000 sind in Dortmund drei Dortmunder Polizisten von dem Neonazi Michael Berger ermordet worden. Das ist derselbe Neonazi, der ein guter Freund des Siggi Borchardt ist – SS-Siggi Borchardt, wie er sich nennen lässt –, der jetzt in den Dortmunder Rat eingezogen ist. Wir haben es nicht nur mit irgendwelchen Rechtsideologien zu tun, sondern wir haben es mit gewaltbereiten Neonazis zu tun.

Der Innenminister hat diesen Verein, dem die Neonazis angehören, in Dortmund zu Recht verboten. Nun nutzt dieser Verein die Hülle einer Partei – ich bin der festen Überzeugung, es ist nur die Hülle einer Partei –, um sich rechtsstaatlicher Strukturen zu bedienen. Dagegen können wir nichts tun. Das ist so.

Dortmund hat übrigens viel und lange Erfahrung in der Auseinander­setzung mit Neonazis. Sie saßen im Rat der Stadt Dortmund lange Zeit hinter mir. Wir haben einen Weg gefunden, um mit ihnen umzugehen. Wir haben einen Weg gefunden, um in Dortmund keine Öffentlichkeit für sie zu bereiten.

Aber das, was jetzt in den Rat der Stadt eingezogen ist, hat eine neue Qualität. Damit gibt es auch keine Erfahrung. Darum will ich einfach noch mal herzlich einladen, dass wir das auch wirklich zusammen tun und nicht versuchen – wie ich es zu Beginn der Debatte empfand –, parteipolitische Geländegewinne zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Ich meine das ausdrücklich auch an die Adresse der Polizei, gerade der Polizei in Dortmund, gerichtet: Wir brauchen einen gemeinsamen Dialog. Es kann nicht so weitergehen.

Gerade, weil wir diesen Dialog brauchen, und weil ich der festen Überzeugung bin, dass man auch Fehler benennen muss, will ich die Probleme, die ich und viele andere Menschen in Dortmund mit dem Bericht haben, noch mal an zwei Stellen benennen.

Die Lebenswirklichkeit sagt einem: Auf einer Party in Deutschland wird Alkohol getrunken. Die einen trinken mehr, die anderen trinken weniger, die dritten trinken gar nichts. Das wird am Wahlabend sicher auch in Dortmund so gewesen sein. Dessen bin ich mir ganz sicher.

Frage: Haben die Menschen in Dortmund gehandelt, weil sie Alkohol getrunken hatten? Waren es betrunkene Politiker? – Nein, das waren Menschen, die spontan rausgegangen sind, weil sie einen Hinweis erhalten haben – ich könnte Ihnen erklären, woran man das gesehen hat –, dass vor dem Rathaus gleich Neonazis auftauchen werden. Sie haben sich dort versammelt und standen unter Stress. Da war Angst, da war Wut und da war vor allen Dingen sehr viel Stress in der Luft. Es gab keine gemeinsame Überlegung, dass man ein Rathaus blockiert. Vielleicht ist es im Ergebnis so gewesen, dass man nicht durch die Tür konnte, weil dort viele Menschen standen. Aber es gab keineswegs die Absicht, ein Rathaus zu blockieren. Es gab keinerlei Verabredungen.

An der Stelle erzeugt der Bericht einen falschen Eindruck. Ich will auch noch mal sagen, warum er einen falschen Eindruck erzeugt:

(Große Unruhe bei der CDU)

Ein Polizeibericht – das würde zur Redlichkeit auf Ihrer Seite dazugehören – kann nur das darstellen, was die Polizei vom Zeitpunkt ihres Eintreffens an erlebt hat. Alle körperlichen Übergriffe sind vorher gewesen.

(Zuruf von der CDU: Falsch!)

Aus dieser Situation heraus ist die Polizei informiert worden. Alles ist vorher gewesen.

Ich finde, Herr Innenminister – das will ich auch noch mal deutlich sagen –, das hätte der Bericht deutlich machen müssen, und zwar deswegen, weil der Polizei in Dortmund ein Livebericht vorliegt. 5 Minuten und 21 Sekunden lang hat jemand auf das Notrufband der Polizei in Dortmund gesprochen und gesagt: Hier kommen Neonazis. Sie greifen das Rathaus an. Einsatz von Pfefferspray. Einsatz von Gewalt. Bitte kommen Sie schnell! – Warum gibt es in diesem Bericht keinen Hinweis darauf? Das will ich noch mal sehr deutlich fragen. Für mich das ist ein ganz entscheidender Punkt.

Ich glaube, die Menschen in Dortmund haben versucht, sich und andere vor Neonaziattacken zu schützen. Ihnen gebührt unser herzlicher Dank.

Herr Innenminister, Sie haben die Frage gestellt: Sie haben das Gute gewollt, haben sie es auch gut gemacht? – Ich kann das im Einzelfall nicht beurteilen.

(Ilka von Boeselager [CDU]: Dann lassen Sie es doch! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das muss die Justiz beurteilen – in jedem Einzelfall.

In der Gesamtheit kann ich nur sagen: Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft, die bereit ist, sich aufzustellen – auch vor den frisch gewählten Mitgliedern des Integrationsrates, die diesem Neonaziangriff schutzlos ausgeliefert gewesen wären.

(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Also: Die Sonne des Rechtsstaates scheint über allen Menschen gleich. Ich vertraue auf den Rechtsstaat. Er wird die Dinge aufklären. Davon gehe ich aus, das hoffe ich sehr. Ich hoffe auch sehr, dass alle Zeugenaussagen berücksichtigt werden.

Aber für mich ist unter dem Strich klar: Die Menschen in Dortmund haben das Richtige getan. Sie haben sich bemüht, sich in einer Situation aufzustellen, die ausgesprochen schwierig war.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, wir werden mit dieser Diskussion auch in der nächsten Zeit noch umgehen müssen. Ich wünsche mir sehr, dass sie bei allem Schlechten, das sie hat, auch bei allen schlechten und schwierigen Teilen der Debatte in Dortmund, dazu führen wird, dass sich mehr Menschen engagieren, dass die CDU in einen Konsens in Dortmund eintritt, dass sich die Zivilgesellschaft auch weiterhin mit breitem Rücken aufstellt und dass die Menschen ermutigt werden, rechtsextremem Terror nicht stattzugeben.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN, der SPD, den PIRATEN und Minister Guntram Schneider)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde bietet ja die Möglichkeit, sich mehrfach zu Wort zu melden und auf das einzugehen, was der eine oder die andere hier gesagt hat.

Insofern möchte ich zunächst einmal auf die Ausführungen des Herrn Ministers eingehen und ihm sagen, dass sein Wortbeitrag leider noch immer nicht zur Klarheit beigetragen hat.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Sie haben ihn nicht verstanden, Herr Dr. Orth!)

Denn zu Recht wurde kritisiert, dass in dem Bericht Pauschal­verurteilungen formuliert sind. „Betrunkene Politiker“ – das ist ein Begriff, von dem sich jeder angesprochen fühlen kann.

(Minister Ralf Jäger: Das steht da gar nicht drin, Herr Dr. Orth!)

Man kann sich auch zu Recht dagegen verwahren. Aber wenn man von „betrunkenen Politikern“ …

(Minister Ralf Jäger: Das steht da nicht drin, Herr Dr. Orth!)

– Also: Wenn man von „alkoholisierten Politikern“ schreibt, dann gehört es dazu, Ross und Reiter zu nennen, um den Abgeordneten zu ermöglichen, den Wahrheitsgehalt dieser Ausführungen nachzuvollziehen.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Wer waren denn dann die Personen? Ich finde jedenfalls, man kann schlecht einen Bericht mit solchen offenen Äußerungen in der Welt stehenlassen.

(Nadja Lüders [SPD]: Sie als Anwalt sollten die Unschuldsvermutung schon kennen!)

Das Parlament hat aus meiner Sicht Anspruch darauf, zu erfahren, wer es war und wie es war.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

In die gleiche Richtung hat auch der Kollege Lohn gefragt, der die Tatsachen ebenfalls aufgeklärt wissen will. Ich finde es sehr schade, dass dem Parlament hier ein Bericht mit pauschalen Äußerungen vorliegt, von denen der Minister einerseits sagt, sie seien richtig, von denen er sich andererseits aber politisch distanziert. Damit können wir im Parlament nicht umgehen. Ich finde, der Minister muss voll und ganz hinter einem Bericht stehen, oder er muss ihn ganz konkret korrigieren.

(Zuruf von der SPD: Unfug!)

Er kann einen Neudruck dieser Drucksache austeilen. Aber so, Herr Minister, lassen wir Ihnen das auf Dauer nicht durchgehen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Zur Frage „Recht und Moral“: Für mich ist ganz klar, dass es moralische Punkte gibt. Es gibt auch Ziele, die man verfolgt. Aber in einem Rechtsstaat ist die Auswahl der Mittel eben begrenzt, meine Damen und Herren.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie sollten sich entschuldigen!)

Um diese Frage, ob wir rechtsstaatlich handeln oder ob wir etwas, was wir für moralisch in Ordnung halten, über die Rechtsstaatsgrenzen hinaus einsetzen, geht es.

Wir als Politikerinnen und Politiker haben eine Vorbildfunktion. Wie sollen denn die Bürgerinnen und Bürger draußen erkennen, was sie dürfen und was sie nicht dürfen, wenn wir meinen, dass wir uns als Politiker über die Grenzen des Rechtsstaats hinwegsetzen können, meine Damen und Herren?

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich wiederhole das – ich habe es eben klar gesagt, aber vielleicht ist das bei dem Lärm hier nicht so ganz angekommen –: Natürlich sind wir Liberalen gegen jede Form von Gewalt von rechts, gegen Rechtsextremismus.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir verurteilen rechte Politik, ganz klar. Aber ich sage Ihnen auch: Wir verurteilen Gewalt von jeder Seite. Wir verurteilen Extremismus von jeder Seite. Extremismus ist nicht teilbar, meine Damen und Herren. Und auch um diese Frage geht es hier heute.

(Beifall von der FDP und der CDU – Sigrid Beer [GRÜNE]: Ist Frau Schneckenburger jetzt eine Extremistin, oder was? – Zuruf von den PIRATEN: Genau darum geht es nicht! – Zuruf von der SPD: Unfassbar! – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ruhe! – Ich habe dem Wortbeitrag von Frau Schneckenburger sehr genau zugehört.

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe eben auch klar gefragt, ob Sie, Frau Schneckenburger, die Fäuste genommen und Gewalt ausgeübt haben.

(Daniela Schneckenburger [GRÜNE]: Nein! – Weitere Zurufe)

Und ich habe von Ihnen kein Dementi gehört. Das finde ich sehr schade. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich davon distanziert hätten.

(Lebhafte Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN: Pfui! Buh! Frechheit! Unverschämtheit! Unter der Gürtellinie! – Unruhe – Glocke)

Meine Damen und Herren, ich habe schon …

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

– Sagen Sie: Ist das ein Mittel der demokratischen Auseinandersetzung?

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Anhaltende Unruhe – Glocke)

Vizepräsident Oliver Keymis: Kolleginnen und Kollegen, ich darf um Folgendes bitten:

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Herr Kollege Dr. Orth, Ihr Mikrofon ist offen, Sie haben das Rederecht. – Ich darf Sie, Kolleginnen und Kollegen, bei aller Empörung – möglicherweise auch begründeter Empörung – bitten,

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

dem Redner zuzuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

– Das gilt für beide Seiten, was die Empörung betrifft.

(Zurufe von der CDU)

Ich würde Ihnen nicht raten, den Präsidenten in der Ausübung seines Amtes zu kritisieren. Sonst kriegen wir hier wirklich ein Problem, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Jetzt erwarte ich, dass dem Redner zugehört wird.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrte Damen und Herren, ich wollte eben ausführen, dass ich schon sehr lange politisch aktiv bin und dass ich an sehr vielen friedlichen Demonstrationen gegen Rechte teilgenommen habe. Wir haben Lichterketten gebildet, wir haben demonstriert, wir haben all das gemacht. Und da ist meiner Meinung nach der Äquator.

Frau Schneckenburger, ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie das klarstellen würden. Ich würde mich freuen, wenn wir uns alle gemeinsam von Gewalt distanzieren würden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Pfui!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Kolleginnen und Kollegen, es spricht als nächster Redner Herr Kollege Sommer für die Piratenfraktion.

(Fortgesetzt Zurufe von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Unruhe – Glocke)

Herr Sommer, bitte schön.

Torsten Sommer (PIRATEN): Danke, Herr Präsident. Die Pause kommt mir ganz recht. Nach den Einlassungen von Herrn Dr. Orth, Vorsitzender im Rechtsausschuss dieses Landtages,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Darüber sollte man sich mal Gedanken machen!)

fällt es mir schwer, meine Rede zu halten.

(Zuruf von der CDU: Dann gehen Sie doch!)

Was das für eine Rechtsauffassung ist, verstehe ich wirklich nicht. Aber Sie haben wahrscheinlich die Rede einer Bürgerrechtspartei gehalten. Ihr Weg zur AfD ist anscheinend unumkehrbar. Erschreckend!

(Zurufe von der CDU)

So, kommen wir zurück zum Bericht!

(Zuruf von der FDP: Gucken Sie sich mal die Videos an!)

– Genau! Gucken Sie sich mal die Videos an! Völlig richtig! Dann sehen Sie, wie Ihre JuLis vernünftig und völlig passiv in der Menschenkette vor dem Rathaus standen. Aber das, was Sie hier an Einlassungen bringen, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden aufrechten Demokraten!

(Lebhafter Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Einfach unsäglich!

(Zuruf von der FDP: Sie!)

– Nein, nicht ich.

Kommen wir zurück zum Bericht, 22:21 Uhr – egal. Es wird im Bericht vielfach einfach falsch informiert, verharmlost, in Teilen – auch objektiv – wirklich die Unwahrheit berichtet.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wo sind denn die Belege dazu?)

– Die Belege dafür finden sogar Sie im Netz.

(Zuruf von den PIRATEN: Nein, bestimmt nicht!)

– Nein, Sie nicht. Stimmt. Wir zeigen Ihnen bei Gelegenheit, wie das geht.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber ich habe gelesen, dass wir hier im Saal demnächst eine Videoleinwand kriegen. Vielleicht hilft Ihnen das. Manche Leute können sich ja besser Bilder ansehen als zuhören.

(Zurufe von der CDU)

– “22:21 Uhr“ habe ich gesagt, nicht 21:12 Uhr. Aber egal!

(Zuruf von der CDU: Sie sind Ihrer Zeit voraus!)

– Ja, richtig, im Gegensatz zu Ihnen! Sie hängen hinten dran, mindestens 60 Jahre.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

– Immer noch Gemecker? Dann machen Sie sich doch mal ehrlich! Lassen Sie doch mal Ihren Golland reden! – Nein, der kommt auch nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Das würde zur Ehrlichkeit dazugehören.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Herr Kollege, was liefern Sie hier eigentlich ab? Das ist ja unglaublich!)

So, weiter. – Die Auswirkungen des Berichts in Dortmund, auf die Frau Kollegin Schneckenburger und auch Frau Kollegin Schäffer schon eingegangen sind, bedeuten einen absoluten Tiefpunkt für das Vertrauen der Menschen in Dortmund in die Polizei in Dortmund. Wir haben hier einen Tiefpunkt erreicht, der die Menschen abschreckt, mit der Polizei in Dortmund zusammenzuarbeiten.

(Theo Kruse [CDU]: So ein Blödsinn!)

– Für Sie ist das Blödsinn, ich weiß. Sie tauchen auch nie als Zeuge auf, Sie sind nämlich nie dabei. Dementsprechend tauchen Sie auch weder mit Namen noch mit Adresse auf den Seiten der Rechten auf und müssen sich deren Hetze stellen. Andere Menschen müssen das sehr wohl tun.

(Zuruf von der CDU: Sierau!)

– Zum Beispiel Herr Sierau. Genau. Nehmen wir mal einen absoluten Linksradikalen: Herrn Sierau.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Ich bitte das Innenministerium und auch Sie, Herr Minister, sehr herzlich darum, diesen „Bericht“ wirklich objektiv neu erstellen zu lassen. An diesem Bericht ist wenig zu retten. Wenn das durch das Innenministerium oder die Polizei in Dortmund nicht möglich ist, dann muss der Landtag handeln. Dann muss die Legislative an der Stelle die Exekutive kontrollieren. Das ist unser Job.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Das haben Sie auch nicht verstanden, ich weiß.

Wir verabreden sowieso einen Parlamentarischen Untersuchungs­ausschuss zu den Morden des NSU und dazu, was es in dem Zusammenhang an Vertuschungen gegeben hat. Wenn es wirklich immer noch Tendenzen in der Dortmunder Polizei oder in der Polizei NRW gibt, die in irgendeine Form verharmlosend

(Zurufe von der CDU und der FDP)

in Richtung Rechtsextremismus gehen sollten,

(Armin Laschet [CDU]: Das geht zu weit!)

wovon ich persönlich absolut nicht ausgehe und nicht ausgehen will – das ist ganz wichtig …

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber Sie sagen es schon einmal!)

– Ja, es müssen Dinge kontrolliert werden. Selbstverständlich! Deshalb habe ich den Herrn Innenminister ganz herzlich und persönlich darum gebeten, das zu tun.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Ich bitte wirklich darum, diesen Bericht zu evaluieren und neu zu erstellen, mit der Zivilgesellschaft und mit der Polizei in Dortmund. Das wäre ein Weg, um das Vertrauen, das hier verloren gegangen ist, wieder aufzubauen. Das ist ein Weg, den wirklich alle demokratischen Kräfte auch zusammen gehen müssen.

Ich möchte mich der Einladung von Frau Schneckenburger – auch wenn es mir wirklich schwerfällt – da anschließen: Diese Einladung geht an alle demokratischen Kräfte oder zumindest an diejenigen, die es noch auf dem Schild haben. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sommer. – Für die Landesregierung hat jetzt noch einmal Herr Minister Jäger das Wort.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Hoffentlich sagt er jetzt einmal was zu dem Bericht!)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Frau Schneckenburger, ich bin Ihnen für Ihren Wortbeitrag außerordentlich dankbar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn man selbst Opfer eines gewalttätigen Übergriffs geworden ist – trotzdem nüchtern und sehr rational die Dinge zu schildern und darauf zu argumentieren, finde ich sehr respektvoll.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben, wie ich finde, das, was in dieser Debatte gelegentlich untergegangen ist, glasklar herausgearbeitet. Ich hätte mich gefreut, wenn ich es selbst geschafft hätte, das so klar herauszuarbeiten.

Sie haben gesagt, ein Einsatzbericht könne nur das darstellen, was während eines Einsatzes geschieht, und nicht, was davor und was danach geschieht, dass ein Einsatzbericht ein Einsatzbericht ist und kein Urteil, das der Bericht lückenhaft sein muss, weil es um die Wahrnehmung von Beamten im Einsatz geht. Das ist das Entscheidende, was Frau Schneckenburger gesagt hat.

Jetzt ist die Justiz am Zug, das alles aufzubereiten, was an Informationen vorliegt, und entsprechend konsequent zu handeln. Ich bin froh, dass gegen eine ganze Reihe von Rechtsextremisten in Dortmund unter anderem wegen Beleidigung, Körperverletzung ganz konsequent ermittelt wird.

Eines will ich auch noch sagen, Frau Schneckenburger: Sie haben gesagt, die ehemalige Kameradschaft sei unter das Parteienprivileg gerutscht. Ja, das stimmt – größtenteils, aber nicht vollständig. Ich kann Ihnen aber genauso sagen: Wenn es eine rechtliche Handhabe gibt, darzustellen, dass es sich nicht um eine Partei, sondern um eine Nachfolgeorganisation dieser Kameradschaft handelt, werden wir auch diese verbieten, wie wir die Kameradschaft verboten haben.

(Minister Guntram Schneider: Sehr gut! – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will noch eine Klarstellung in Richtung Herrn Lohn vornehmen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Herr Lohn, Sie haben vorhin den Verdacht geäußert, dass dieser Bericht vom Ministerium verfälscht worden sei, um es einmal freundlich zu formulieren. Um es deutlich zu sagen: Einsatzberichte, die das Parlament anfordert, werden nicht vom Ministerium zensiert oder korrigiert. Der Respekt vor dem Parlament gebietet, dass ein solcher Einsatzbericht, wenn er von den Behörden angefordert wird, auch vorgelegt wird.

Ich weise entschieden für mich selbst, aber auch für meine Beamtinnen und Beamten in meinem Haus zurück, was Sie unterstellen: dass dieser Bericht gefälscht worden sei. Das weise ich mit aller Deutlichkeit zurück.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Sieveke.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich nicht einfach, in dieser aufgeheizten Stimmung hier zu sprechen. Auf dem Weg zum Rednerpult ist beispielsweise von Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen gesagt worden: Besser, wenn Sie nicht sprechen würden! – Es aber ist Teil der Demokratie, dass wir hier in diesem Haus eine Debatte darüber führen. Sie verbieten nicht anderen demokratischen Parteien, ob sie zu sprechen haben oder nicht zu sprechen haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich schiebe das deswegen an den Anfang dieser Debatte ein: Ich glaube, die Christdemokratie in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen, braucht keine Belehrungen, was Demokratie angeht.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir sind demokratisch, und wir stehen zur Demokratie.

(Beifall von der CDU – Erneut Zurufe von der SPD)

Und wir haben diese Demokratie auch verteidigt.

Es kamen eben Wortmeldungen, gerade auch aus der dunklen Vergangenheit unserer Geschichte, dass demokratische Kräfte nicht zusammenarbeiten konnten. Deswegen haben die Gründungsväter der Christdemokratie gerade auch die konfessionellen Grenzen über Bord geworfen und gesagt: Deswegen gründen wir die CDU. Das ist ein demokratischer Akt gewesen. Und darauf beziehen wir uns.

Aber zur Demokratie gehört auch die Rechtsstaatlichkeit. Und die Rechtsstaatlichkeit kann keine Unterscheidungen vornehmen, wie eben suggeriert wurde, dass ich auf der einen Seite recht haben kann und es auf der anderen Seite eine moralisch-politische Diskussion gibt.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

– Das funktioniert nicht, Frau Schäffer. Der Rechtsstaat gehört zu unserer demokratischen Freiheitsordnung. Wir stehen dazu.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

– Aber, Frau Schäffer, kommen Sie doch einmal wieder herunter! Ich gehe davon aus – auch bei allen Wortmeldungen, die eben in der Hitze der Debatte so geführt worden sind –, dass sich die demokratischen Kräfte doch auf die Rechtsstaatlichkeit berufen. Absolut.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Ja, natürlich, das tue ich auch!)

– Dann können wir das schon einmal als Fakt festhalten.

Aber unser Antrag ging doch in eine ganz andere Richtung!

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Ihr Antrag ist Schwachsinn!)

Unsere Aktuelle Stunde ging dahin, dass ein Bericht vorgelegt worden ist, zu dem man stehen kann oder nicht. Viele von uns waren in Dortmund überhaupt nicht dabei. Deswegen forderten wir vom Innenminister einen Bericht ein. Entweder stimmt dieser Bericht oder er stimmt nicht.

(Zuruf von Verena Schäffer [GRÜNE])

Man legt einen Bericht vor, und dann sagt man, das ist aber ein Bericht von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Das mag ja sein. Sie, Herr Minister, haben aber eben ausgeführt, dieser Bericht stimmt, und Sie stehen zu dem Bericht. Und Sie haben vor allem in der Innenausschusssitzung gesagt – heute übrigens noch nicht –, dass Sie der Meinung des Fraktionsvorsitzenden Römer eben nicht folgen; Sie hätten eine andere Meinung.

Jetzt müssen Sie uns schon einmal klarstellen, was die andere Meinung ist. Sie können hier nicht einen Bericht vorlegen und sagen: Zu dem Bericht stehe ich, aber er ist an der einen oder anderen Stelle ein bisschen unverständlich, irreführend, oder man kann ihn missverstehen.

Deswegen haben Herr Dr. Orth, Herr Lohn und Herr Kruse eben gesagt: Dann korrigieren Sie den Bericht und stellen den Bericht so vor, dass wir ihn als Basis verwenden können! Aber Sie können nicht sagen: „Das ist unser Bericht, zu dem stehe ich“, und auf der anderen Seite sagen: „Der Bericht ein aber bisschen unverständlich.“ Das geht so nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn wir alle – das meine ich jetzt so, wie ich es sage – fordern doch ein, dass wir bei dieser Thematik zusammenhalten. Aber dann muss doch die Faktenlage, über die wir hier diskutieren, auch eindeutig sein.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Es kann schriftlich nicht etwas anderes vorgelegt werden, als hier mündlich vorgetragen wird, was immer wieder Interpretationsspielräume für alle Seiten bedeutet.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alkoholisierte Politiker: Es geht nicht darum, dass die Politiker bei einer Wahlpartie etwas getrunken haben. Es geht darum, dass sich Politiker vor Ort – eben ist der ehemalige Unterbezirksvorsitzende der SPD hier namentlich genannt worden – den Einsatzkräften in den Weg stellen. Das ist zu kritisieren, und nicht, dass er vorher ein Bier getrunken hat.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das steht doch da überhaupt nicht!)

Die Polizei muss letztendlich die Rechtstaatlichkeit durchsetzen können. Das müssen wir als Demokraten verteidigen. Das ist unsere Aufgabe!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eines ist natürlich auch bemerkenswert. Ansonsten ist die Piratenfraktion immer ganz, ganz vorsichtig, wenn es um Videobeweise geht. Hier werden jetzt permanent irgendwelche YouTube-Videos nach vorne gestellt, die auf der einen oder anderen Seite gezeigt werden sollen.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Er hat nichts verstanden, das ist unglaublich!)

Herr Sommer, ich muss mir von Ihnen wirklich nicht vorhalten lassen, ob ich ein guter oder ein schlechter Demokrat bin oder ob ich überhaupt ein Demokrat bin. Ich bin ein Demokrat, und zwar von Anfang bis Ende. Und ich bin demokratisch legitimiert worden. Sie müssen das nicht anderen absprechen, nur weil sie nicht in allen Punkten Ihre Meinung teilen, dass sie gute Demokraten sind. Das können Sie sich auch einmal merken! – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist unverschämt!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die SPD-Fraktion hat sich der Fraktionsvorsitzende, Herr Kollege Römer, zu Wort gemeldet.

(Martin Börschel [SPD]: Und Herr Laschet schweigt!)

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser teilweise hitzigen, kontroversen Debatte über eine schwierige, für uns alle bedrückende Angelegenheit in Dortmund am Wahlabend der Kommunalwahl will ich als Erstes feststellen, dass dieser Wahltag in Dortmund mit den schlimmen Vorkommnissen am Abend ein ganz schlimmer Tag war für das friedliche Zusammenleben der Stadtgesellschaft, weil ein brauner Mob das Rathaus stürmen wollte.

Dann – das füge ich hinzu – ist dieser schlimmer Tag für die Stadtgesellschaft zu einem guten Tag für die Demokratie geworden, und zwar deshalb, weil mutige Frauen und Männer sich den Nazis entgegengestellt haben und ihr Rathaus, das Haus der kommunalen Demokratie, erfolgreich geschützt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Sie haben es erfolgreich vor dem braunen Mob geschützt. Ich bleibe bei dieser Begrifflichkeit: erfolgreich vor dem braunen Mob geschützt. Deshalb gehört für mich zuallererst herausgestellt: Diesen mutigen Frauen und Männern gehören unser Respekt, unsere Anerkennung und unsere Solidarität, die Solidarität aller Demokraten. Das sollte hier heute das Signal aus diesem Hohen Hause sein, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Denn – da will ich uns alle einbeziehen – im politischen Kampf der Demokraten gegen den braunen Mob darf es keinen Zweifel, kein Lavieren, kein Ausweichen geben. Deshalb bin ich dem Innenminister so außerordentlich dankbar dafür, dass er mit Beginn der Aufnahme seiner politischen Verantwortung hier in Nordrhein-Westfalen keinen Zweifel daran gelassen hat, dass diese Landesregierung, dass wir alle im politischen Kampf gegen diesen braunen Mob alle rechtstaatlichen Mittel ausschöpfen, um denen entgegenzutreten und sie zurückzuweisen. Das müssen wir festhalten, meine Damen und Herren. Dafür gebührt Ralf Jäger Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Dann füge ich nach dieser Debatte, Herr Kollege Orth, hinzu: Weil es kein Lavieren, kein Ausweichen, kein Taktieren geben darf, damit kein Zweifel aufkommt, war ich über Ihren Wortbeitrag erschrocken, entsetzt. Sie haben das gerade noch schlimmer gemacht. Das Entsetzen war im Übrigen auch Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen ins Gesicht geschrieben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist wohl wahr!)

Nutzen Sie die Gelegenheit und klären Sie das! Es darf keinen Zweifel geben. Da sind wir beieinander. Da stehen wir zusammen. Ich weiß doch auch, dass dann, wenn man sich mit Zivilcourage dem braunen Mob entgegenstellt – auch, um das Haus der Demokratie in Dortmund zu schützen –, nicht immer wieder gleich das Gesetz in die Hand genommen und geguckt werden kann, was da steht. Wenn man sich verteidigt, muss man sich auch verteidigen dürfen gegen diejenigen, die einen angreifen, mit den Mitteln, die Menschen haben!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch sich zu wehren, gehört dazu!

(Theo Kruse [CDU]: Das Gesetz spielt keine Rolle bei Ihnen?)

Weil es keinen Zweifel geben darf, kein Lavieren und kein Ausweichen, Herr Kollege Laschet, deshalb ist das Signal aus Köln so gefährlich für die Demokratie. Deshalb braucht es eine schnelle Klarstellung durch die CDU, vor allen Dingen durch die NRW-CDU, durch ihren Landesvorsitzenden. Herr Kollege Laschet, meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie nicht noch mehr Zeit verstreichen! Es ist ein schlimmes Signal. Es darf doch nicht der Verdacht entstehen, dass demokratische Parteien sich von Rechten unterstützen lassen wollen.

(Zurufe von der SPD: Bravo!)

Legen Sie doch einmal die Karten auf den Tisch!

(Langanhaltender Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, insofern könnte diese Aktuelle Stunde mit einem vernünftigen Ausgang eine gute Gelegenheit für uns alle sein, noch einmal zu überlegen, was wir bei aller notwendigen parteipolitischen Auseinandersetzung dann doch an Gemeinsamkeiten aufbringen.

Ich bin Daniela Schneckenburger dankbar dafür, dass sie gesagt hat: Wir wollen das in Dortmund machen. – Die SPD ist sowieso dabei. Kommen Sie mit dazu! – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen im Rahmen der Aktuellen Stunde liegen mir nicht vor, allerdings der Wunsch vonseiten des Herrn Kollegen Priggen, nach § 30 unserer Geschäftsordnung vor der Abstimmung eine persönliche Bemerkung vorzutragen. Ich erteile ihm jetzt das Wort, und zwar bis zu drei Minuten. Sie kennen die Regularien, Herr Kollege.

Reiner Priggen (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Orth, Sie haben eben zweimal meiner Fraktionskollegin Frau Schneckenburger fragend unterstellt, sie hätte an jenem Abend in Dortmund mit Fausthieben Gewalt gegen andere ausgeübt.

Dazu möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mit Entsetzen verfolgt, wie in Dortmund drei Polizisten ermordet wurden, und zwar genau aus dem Umkreis der Leute, die aufs Rathaus gestürmt sind. Ich habe verfolgt, wie seitens der Rechten vor den Privathäusern von Guntram Schneider, von Birgit Rydlewski, von Daniela Schneckenburger und von Uli Sierau demonstriert und sie sowie ihre Familien bedroht wurden.

Ich finde es unzulässig, was Sie gemacht haben. Wenn Sie Fragen haben, klären Sie das, statt hier einer Kollegin, die geschlagen worden ist – das konnte man sehen – und von der wir wissen, dass sie so etwas nicht tut, zweimal öffentlich so etwas zu unterstellen. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie sie, aber unterstellen Sie das nicht im Plenum vor allen Leuten, und dann noch zweimal hintereinander! Das ist Ihrer Partei unwürdig. Ich war entsetzt darüber, dass Sie das getan haben. Die Bitte an Sie lautet, das klarzustellen und wieder auszuräumen.

Wenn Sie politisch mit uns streiten wollen – man kann bei diesem Thema politisch miteinander streiten –, dann machen Sie das, dann aber nicht auf der Ebene, dass Sie sich gegen jemanden richten, der bedroht wird – das Gleiche gilt für die anderen Kollegen, die zu Hause bedroht worden sind –, vor allem, da auch Sie wissen, was in dem Dortmunder Umfeld passiert ist. Das sollten Sie hier nicht tun. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit, meine Damen und Herren, die persönliche Bemerkung des Herrn Kollegen Priggen. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aktuelle Stunde.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Piratenfraktion; er liegt Ihnen vor als Drucksache 16/6120. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt.

Außerdem hat die Piratenfraktion gemäß § 44 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung zu dem Antrag Drucksache 16/6120 beantragt. Nach Abs. 2 dieses Paragrafen erfolgt die namentliche Abstimmung durch Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben bei Namensaufruf bekanntlich mit Ja oder Nein zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten. Ich bitte Frau Kollegin Korte, mit dem Namensaufruf zu beginnen. Bitte.

(Der Namensaufruf erfolgt. [Abstimmungsliste siehe Anlage 1])

Vielen Dank, meine Damen und Herren. Ich darf Herrn Kollegen Markert bitten, sein Votum zu wiederholen, weil sein Votum akustisch hier vorn nicht angekommen ist. Herr Kollege Markert, bitte.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Nein!)

– Jetzt ist es angekommen. Herzlichen Dank. Ich darf fragen, ob es weitere Kolleginnen und Kollegen gibt, die beim Namensaufruf nicht im Plenum waren.

(Die Schriftführerin fordert Günter Garbrecht [SPD] auf, sein Votum abzugeben.)

Es gibt noch eine Nachmeldung von Herrn Kollegen Schwerd, der mit Ja votiert hat. – Gibt es noch weitere Kolleginnen und Kollegen, die gerade beim Namensaufruf nicht im Saal waren und jetzt noch votieren möchten? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen.

(Die Auszählung erfolgt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt vor. Ich darf es Ihnen mitteilen. Ihre Stimme abgegeben haben 223 Kolleginnen und Kollegen. Mit Ja haben 19 Abgeordnete votiert, mit Nein 204. Es hat keine Enthaltung gegeben. Damit ist der Antrag Drucksache 16/6120 abgelehnt.

Ich lasse dann abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/6205. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten sowie der fraktionslose Kollege Stein. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6205 mit der festgestellten Mehrheit angenommen.

Ich rufe auf:

3   Nordrhein-westfälische Finanzverwaltung der Zukunft

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6132

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Dr. Optendrenk das Wort. Bitte sehr. – Herr Kollege Dr. Optendrenk hat das Wort. Bitte schön.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fünf Jahren hat der Landtag Nordrhein-Westfalen mit den Stimmen aller Fraktionen einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Finanzverwaltung unseres Landes verabschiedet. Der Titel lautete damals: Ein nordrhein-westfälisches Aushängeschild für die Zukunft rüsten. – Dahinter stand die Erkenntnis, dass die Finanzverwaltung nicht nur eine wichtige Institution für unser Land ist, sondern auch öffentlich dokumentierte Rückendeckung durch die Politik verdient. Gemeinsam, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, sind die wesentlichen Leitsätze dazu formuliert worden.

Wir dürfen feststellen: Für die Arbeit der Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten in Nordrhein-Westfalen war dieses klare politische Signal wichtig.

Mit dem heute vorliegenden Antrag möchten wir an diese Gemeinsamkeit anknüpfen. Der Inhalt ist nicht völlig identisch mit dem Entschließungsantrag des Jahres 2009. Das kann er aber auch nicht sein. Das hängt damit zusammen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit unserer Behörden in der Zwischenzeit verändert haben.

Einige Grundvoraussetzungen sind aber gleich geblieben. Dazu will ich nachfolgend noch einige wesentliche Stichworte nennen.

Trotz aller Bemühungen und politischen Appelle ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, das deutsche Steuerrecht zu vereinfachen. Das Bild ist sehr unterschiedlich. Es gibt zwar an einigen wenigen Stellen Vereinfachungen, aber insgesamt überwiegt wohl der Eindruck, dass die immer komplizierter erscheinende Welt durch immer kompliziertere steuerrechtliche Regelungen nachvollzogen oder versucht wird, Umgehungen zu bändigen – und das mit immer weiter ausufernden und immer komplizierteren Rechtsnormen. Das stellt gerade die Rechtsanwender, also Finanzverwaltungen, Steuerberater und Gerichte, vor große Herausforderungen, und auch die Steuerpflichtigen haben es beim Verstehen alles andere als leicht.

Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land brauchen wir eine verlässliche Personalentwicklung in den Ämtern. Das geht bei den Einstellungszahlen los, betrifft aber auch Konzepte der Nachwuchsgewinnung und nicht zuletzt Aktivitäten, das vorhandene Personal zu halten, also Abwanderungen möglichst nicht noch durch schlechte Rahmenbedingungen zu vermehren oder zu beschleunigen.

Im IT-Bereich muss der Grundsatz noch stärker zur Geltung kommen: nicht an IT, sondern mit IT sparen. Es ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur ärgerlich, sondern höchst demotivierend, wenn immer wieder wichtige Anwendungen nicht zur Verfügung stehen. Denn wer ein hohes Aufkommen an Arbeit gut erledigen soll, der muss auch gute Arbeitsbedingungen haben.

Ein Weiteres: Wir brauchen nicht nur in der Finanzverwaltung endlich ein zukunftsorientiertes Dienstrecht für Nordrhein-Westfalen. Hier ist die Landesregierung leider seit Jahren im Verzug. Wir hoffen sehr, dass nach der Sommerpause endlich die Eckpunkte einer großen Dienstrechtsreform vorliegen und ein Gesetzentwurf beraten werden kann. Denn diese Reform ist kein Selbstzweck. Sie soll dazu dienen, unseren öffentlichen Dienst auch in Zukunft attraktiv zu halten. Sonst sind unsere Beteuerungen von der Bedeutung der Arbeitgeberpflichten des Landes leider nur Lippenbekenntnisse.

Wir als CDU stehen für konstruktive Beratung dieser Zukunftsaufgaben gerne zur Verfügung. Uns ist wichtig, dass die Beschäftigten klare Perspektiven haben – nicht nur bei der Besoldung, sondern auch bei den Aufstiegschancen, bei der Weiterbildung, bei ihren Arbeitsbedingungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein geflügeltes Wort lautet: Ein Finanzamt ist eine Einrichtung, die schneller als man selbst zu der Erkenntnis kommt, wie es einem finanziell geht. – Bei genauerer Betrachtung ist das nichts anderes als ein Lob für die hervorragende Arbeit der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung. Das ist wichtig festzuhalten. Denn wir wollen durch die Einnahmen, die da generiert werden, diesen Staat finanzieren. Die Einnahmeverwaltung leistet erst einmal den wichtigsten Beitrag, damit die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit, der Bereich der Bildung, die Infrastruktur, die Leistungen unseres Sozialstaates überhaupt finanzierbar sind.

Deshalb bedanken wir uns sehr herzlich bei allen Angehörigen der Finanzverwaltung für ihre Loyalität und Leistungsbereitschaft, aber auch für ihre Geduld mit dem Steuergesetzgeber.

Die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen dieses Landtags bitten wir um konstruktive Beratung dieses Antrags, um vielleicht am Ende wieder ein gemeinsames Signal an unsere gemeinsame Finanzverwaltung zu schicken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hahnen das Wort.

Uli Hahnen (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Optendrenk, das ist ein so lieber Antrag, der es zweifelsfrei verdient hätte, dass mehr Mitglieder des Landtags seine Beratung in der ersten Runde miterleben.

Wir haben immer gesagt, wir sind eine Koalition der Einladung. Einladung heißt üblicherweise auch, irgendwann gibt es eine Gegeneinladung. Insofern verstehe ich Ihren Antrag, Herr Dr. Optendrenk, als eine Gegeneinladung zu einem gemeinsamen vernünftigen Dialog über die Finanzverwaltung.

Denn zum einen betreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltung einen engagierten Job in einem immer schwierigeren Umfeld. Zum anderen – das hilft auch dem Finanzminister – ist die Finanzverwaltung die Einnahmeverwaltung, die dafür sorgt, dass entsprechende Finanzmittel da sind, sodass wir uns im Rahmen von Haushaltsplanberatungen streiten können, für welche Zwecke wir sie verwenden wollen.

Insoweit ist klar – erster Satz –: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltung in NRW leisten eine hervorragende Arbeit – kein Zweifel. Das können wir absolut unterstreichen.

Und wenn man Ihre sieben Eckpunkte betrachtet:

Ja, Steuergesetzgebung wird immer komplizierter. Da ist sicherlich der Bundesfinanzminister etwas stärker gefordert als der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ihr zweiter Eckpunkt – die Bekämpfung von Steuerkriminalität bei gleichmäßigem Steuervollzug –: ja. Ich sage Ihnen aber auch: Etwas mehr Mut Ihrerseits bei der Unterstützung des Ankaufs von Daten-CDs hätten wir uns sicherlich gewünscht. Ich will zumindest darauf hinweisen, dass die Stellenzahl der Steuerprüfer durch diese Koalition deutlich erhöht worden ist und das im Ausgleich auch mit dem, was im Innendienst an Anforderungen erwartet worden ist.

Drittens und viertens: risikobehaftete Fälle und IT. – Ja, selbstverständlich, das kann man unterstreichen.

Die leistungsgerechte Förderung und Bezahlung – Punkt 5 – ist, glaube ich, ein bisschen weiter zu sehen als nur bezogen auf das Thema „Bezahlung“, nämlich so, wie es gestern unter Tagesordnungspunkt 1 – Unterrichtung durch die Landesregierung – diskutiert worden ist.

Ja, Sie haben recht. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltung haben über viele Jahre, und zwar unabhängig davon, wer gerade die Mehrheit stellte, ob es unter der Führung der Sozialdemokraten oder unter der Führung der Christdemokraten war, nicht immer das, was man selber gerne als Leistungsanreize oder auch als Wertung der Arbeit gern gesehen hätte, bekommen.

Insofern würde ich Sie allerdings dann doch herzlich bitten, noch einmal mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden zu sprechen. Ich glaube, das Signal, das gestern kam, das Saarland mit 10 % Personalkürzung als Beispiel zu nehmen – das wären immerhin rund zweieinhalbtausend Stellen in der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung –, ist nicht so das ganz richtige Signal. Aber wir haben gesagt, wir wollen Ihre Gegeneinladung gerne annehmen und darüber in Ruhe diskutieren.

Einen Satz zum letzten Punkt: Ja, die demografische Entwicklung bereitet uns Sorgen, und zwar insbesondere, die besten Köpfe des Landes dann auch noch für die Finanzverwaltung, für den öffentlichen Dienst begeistern zu können. Wir haben, wie im Haushaltsplan ausgewiesen, mehr Stellen für auszubildende Anwärter geschaffen. Wir werden uns demnächst gemeinsam bessere neue Unterbringungsmöglichkeiten in Nordkirchen ansehen.

In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass der Finanzminister gestern trotz Haushaltssperre erklärt hat, dass die Anwärterinnen und Anwärter übernommen werden.

Fazit: Ihr Antrag ist eine gute Basis für gute Gespräche. Ich freue mich darauf, diese guten Gespräche in der HFA-Sitzung fortzuführen.

Vielleicht für die wenigen Zuschauerinnen und Zuschauer, die immerhin mehr sind als die Kolleginnen und Kollegen im Landtag: Es gibt doch etwas mehr als nur Streit und Stress in diesem Landtag. – Vielen Dank für die Gegeneinladung.

(Beifall von der SPD und Robert Stein [fraktionslos])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag beinhaltet viele wichtige, unterstützungswerte Positionen.

Selbstverständlich kommt der Einnahmeverwaltung des Landes ein besonderer Stellenwert für einen funktionierenden Staat zu.

Wir haben – auch das ist völlig richtig diagnostiziert – in der Vergangenheit eine Arbeitsverdichtung in weiten Teilen der Finanzverwaltung gehabt. Das liegt an der hier schon dargestellten Komplexität des Steuerrechts. Das liegt auch an Organisationsprozessentscheidungen etwa von Kombi-Bezirken, OFD-Fusionen. Da haben sich Beschäftigte auf neue Strukturen einstellen müssen.

Wir haben eine herausfordernde demografische Situation. Deshalb ist es notwendig und auch richtig, Anwärter, die aus einer sehr langen, sehr intensiven, für das Land auch kostenträchtigen Ausbildung kommen, selbstverständlich zu übernehmen und ihnen eine Perspektive anzubieten, insbesondere wenn man sich die Altersstruktur bei der Finanzverwaltung anschaut.

Und wir haben sicherlich auch derzeit einen hohen Arbeitsanfall durch die Vielzahl von eingegangenen Selbstanzeigen in den letzten Monaten, die natürlich jetzt gründlich ausgewertet und rechtlich weiter verfolgt werden müssen.

Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Vieles ist in dem Antrag angesprochen. Wir brauchen eine technisch optimale Unterstützung durch bestmögliche Systeme, ein funktionierendes Risikomanagement. Das sortiert oder strukturiert schon einmal ein bisschen die Fallzahlen, wobei durch automatisierte Prozesse die Aufmerksamkeit auf besondere Abweichungen gelenkt wird, sodass direkt Vorschläge durch Systeme erfolgen, wo man an welchen Stellen gründlicher gucken sollte und was sich innerhalb jahrelanger Regelwerte bewegt.

Wir brauchen eine einfache Steuergesetzgebung. Unsere Anforderungen als FDP-Landtagsfraktion an das Steuergesetz sind: einfach, niedrig und gerecht. Wir sollten deshalb überlegen, was in dieser Hinsicht noch getan werden kann. Insbesondere können auch die Bediensteten der Finanzverwaltung sicherlich wertvolle Anregungen aus ihrer beruflichen Praxis geben, an welchen Stellen möglicherweise für alle Beteiligten mehr mit Pauschalierungen statt mit komplizierten Einzelbelegpüfungen gearbeitet werden sollte.

Wir müssen zweifelhafte Steuergestaltungsoptionen reduzieren und Steuerschlupflöcher schließen, damit sich der Arbeitsanfall für die Finanzverwaltung durch die Notwendigkeit der Prüfung und Nachverfolgung besonders geschickter, komplizierter Gebilde nicht mehr so häufig als sehr hoch erweist.

„Demografie als Herausforderung“ ist ein wichtiger Teil dieses Antrags. Diesem Aspekt wollen wir uns stellen. Es ist gerade schon auf den Besuch aller Fraktionen bei der Fachhochschule für Finanzen des Landes in Nordkirchen verwiesen worden. Dabei geht es darum, sich dort einmal einen praktischen Überblick darüber zu verschaffen, wie Ausbildung gegenwärtig läuft und welche Anforderungen wir zukünftig damit verbinden müssen. Investitionen in Ausbildung für die Finanzverwaltung sind auch für die FDP-Landtagsfraktion – da gibt es bei uns eine lange Tradition – immer wichtig.

Wir müssen über Verbleibeanreize – also auch über Aspekte der Arbeitszufriedenheit und der Laufbahnperspektiven – reden. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn der Finanzminister das regelmäßig erheben würde, um sich einen Überblick auch darüber zu verschaffen, wie die Tendenzen zum Verbleib bzw. zur Identifikation mit der Finanzverwaltung aussehen und wie – gerade auch für Nachwuchskräfte, die leistungsbereit sind – Aufstiegsperspektiven geschaffen werden können. Das erfordert natürlich auch eine gewisse Anzahl von Beförderungsstellen.

Wir brauchen Arbeitszufriedenheitsuntersuchungen, die auch für viele Unternehmen selbstverständlich sind; denn es gibt in der Finanzverwaltung eine große Schnittstelle bzw. Schnittmengen auch mit der privaten Wirtschaft. Nicht wenige haben eine so qualifizierte Ausbildung in der Finanzverwaltung erfahren, dass sie sich nach mehreren Jahren der beruflichen Praxis und zusätzlicher Steuerberaterprüfung auch für attraktive andere Wege entscheiden können. Deshalb gibt es bei den Beschäftigten der Finanzverwaltung eine hohe Vermittlungsrate. Viele haben gute Vermittlungschancen in Bezug auf verwandte Bereiche außerhalb des öffentlichen Dienstes. Darauf müssen wir einen Blick werfen, wenn wir derartig intensiv in die vorherige Ausbildung investiert haben.

Ein letztes Wort zu dem Antrag aus dem Jahr 2009, auf den Bezug genommen wird. Darin bezog sich der erste Punkt des gemeinsamen Forderungskatalogs aller Fraktionen darauf, ein Auseinanderfallen zwischen Gehaltsanpassungen im Tarif- und im Beamtenbereich ab dem Haushalt 2009 zu verhindern. Es haben sich hier leider nicht alle an die gemeinsame Verabredung gehalten. Der Verfassungsgerichtshof hat das korrigiert. Auch auf diesen Aspekt müssen wir, was die Attraktivität des öffentlichen Dienstes angeht, natürlich Wert legen. Wir müssen Wert darauf legen, dass sich die Betroffenen leistungsgerecht und fair entlohnt fühlen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Mostofizadeh das Wort.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer schwierig, einen Einstieg zu finden, wenn man nicht zu pathetisch werden will. Eines muss ich aber klar sagen: Ich habe hohen Respekt vor der Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen. Wir als Grüne haben uns einmal die Mühe gemacht, uns die Leistungsfähigkeit in den verschiedenen Bundesländern anzugucken, insbesondere was Betriebsprüfungen und Steuerprüfungen anbetrifft. Da schneidet Nordrhein-Westfalen sehr ordentlich ab. Das finde ich zunächst einmal ganz hervorragend.

Zur Wahrheit gehört aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen – da nehme ich das Stichwort von Herrn Witzel auf –, dass, was die Bleibeunterstützung anbetrifft, CDU und FDP gerade in den Jahren zwischen 2008 und 2010 eher Weggehprämien ausgezahlt bzw. Prämien dafür gezahlt haben, dass man die Steuerverwaltung frühzeitig verlässt. Das hat gerade auf dem Gebiet der Betriebs- und Steuerprüfung zu einem ziemlich hohen Aderlass geführt.

Zur Wahrheit gehört auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Rot-Grün als eine der ersten Amtshandlungen eine Aufstockung gerade in diesem Bereich vorgenommen hat. Die Haushaltspläne von 2011 bis 2014 – wahrscheinlich wird das auch für die darüber hinaus gelten – zeigen, dass gerade bei der Finanzverwaltung ein hohes Augenmerk auf ausreichende Ausbildung – auch was die Zukunft anbetrifft – gelegt wird. Insofern spreche ich der Finanzverwaltung meinen Respekt aus.

Ich möchte auf einige weitere Punkte eingehen, die dieser Antrag beinhaltet:

Erstens. Es wird hier von einer Vereinfachung der Steuergesetzgebung gesprochen. Ausgerechnet die FDP hat damals bei Schwarz-Gelb als erste Maßnahme die Mövenpick-Steuer eingeführt. Allein was die Ausführung der Mövenpick-Steuer angeht, bedurfte es einer zwölfseitigen Erklärung des Bundesfinanzministers. Von daher habe ich meine Zweifel, ob die Überschriften immer mit dem Inhalt zusammenpassen. Insofern: Entscheidend ist auf dem Platz.

Zweitens. Es gab von Herrn Lehmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft in Nordrhein-Westfalen, die Anregung, zum Beispiel das Thema „Vermögensteuer und Erbschaftsteuer“ stärker anzupacken, um überhaupt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Länder über ausreichende Einnahmen verfügen.

Drittens. Dieser Punkt betrifft die Bekämpfung von Steuerkriminalität durch gleichmäßigen Steuervollzug. Die Beamtinnen und Beamten gerade der NRW-Steuerverwaltung haben während des gesamten Verfahrens um das Steuerabkommen mit der Schweiz mit Engelszungen auf CDU und FDP eingeredet, dieses Abkommen nicht zu unterschreiben und diesen Weg eben nicht zu verfolgen. Es ist unter anderem wesentlich unserem Finanzminister zu verdanken, dass dies im Bundesrat auch nicht geschehen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Unsere Fraktion wird sich selbstverständlich konstruktiv an dieser Debatte beteiligen. Wir stellen ausdrücklich in Aussicht, dass wir an einem Konsens aller Fraktionen interessiert sind und unsere Unterstützung dabei leisten werden, dies zu ermöglichen. Das muss am Ende des Tages aber auch mit gewissen Konkretisierungen geschehen.

Viertens. Selbstverständlich sind wir alle – ich möchte mir da gerade in diesen Tagen keinen schlanken Fuß machen – für leistungsgerechte Förderung und Bezahlung. Wir müssen aber am Ende des Tages auch sagen, wo und wie wir das finanzieren. Was die Überschriften angeht: Wer kann sich schon, wenn er halbwegs bei Verstand ist, einer solchen Forderung entziehen. Genauso wenig könnte man sich der Forderung nach Mehrausgaben für Bildung entziehen. Am Ende des Tages müssen wir aber immer sagen, wie es funktioniert bzw. wie der konkrete Plan aussieht, es umzusetzen.

Herr Kollege Dr. Optendrenk, herzlichen Dank für den Aufschlag. Wir werden uns damit selbstverständlich mit aller gebotenen Sachlichkeit auseinandersetzen. Ich denke, wir haben in den Gesprächen der nächsten Tage dafür Zeit. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schulz das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen im Saal! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Herr Kollege Dr. Optendrenk, Sie nehmen Lob für diesen Antrag von allen – auch von mir – mit. Sie haben zu Recht ausgeführt, dass es im Jahr 2009 einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller Fraktionen gab. Herr Kollege Mostofizadeh hat gerade in Aussicht gestellt, dass es wahrscheinlich auch in diesem Fall am Ende – das sollte Zielsetzung sein – möglicherweise einen gemeinsamen geänderten – vielleicht sogar einen gleichlautenden – Antrag geben wird.

Der Antrag beschreibt zutreffend die Situation in der Finanzverwaltung NRW und zeigt wirklich bemerkenswerte Perspektiven für die weitere Entwicklung auf. Der Herr Finanzminister ist sicherlich gern bereit, sie aus seiner Sicht demnächst mit aufzugreifen und daran mitzuwirken.

Die präzise Standortbestimmung, die darin enthalten ist, werden wir natürlich, was die Finanzverwaltung und auch vor allen Dingen die Ausbildungssituation angeht, wie schon erwähnt, mit dem Unterausschuss „Personal“ demnächst einmal in Nordkirchen selbst in Augenschein nehmen können.

Ja – es wurde schon erwähnt –, die Finanzverwaltung ist Dreh- und Angelpunkt der Einnahmen des Staates und auch des Landes. Hier braucht es eine – wie im Antrag der CDU erwähnt – ausreichende, sehr konkrete Evaluation der Zukunftsperspektiven.

Natürlich, Herr Kollege Dr. Optendrenk, sind die Punkte, die Sie zwar sehr ausführlich ausgeführt haben, noch sehr pauschal. Hier wird man vielleicht in die Konkretisierung im Rahmen der Ausschussberatungen noch einmal tiefer einsteigen können.

Insbesondere was die demografische Entwicklung innerhalb der Finanzverwaltung und im öffentlichen Dienst allgemein angeht, gibt dies natürlich durchaus auch Grund zur Sorge. Wir halten daher eine klare Aussage zu weiteren Einstellungen – gemeinsam übrigens auch mit der Deutschen Steuer-Gewerkschaft – zum Ausbau der Ausbildungskapazitäten für unverzichtbar. Das gilt insbesondere für die Fachhochschule für Finanzen in Nordkirchen.

Das wird man natürlich erst dann diskutieren können und vielleicht auch müssen, wenn die Haushaltssperre aufgehoben ist und wir im Hinblick auf die Haushaltssituation in Nordrhein-Westfalen ab 2015 in eine positive Zukunft blicken können. Das bleibt abzuwarten.

An dieser Stelle freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und sage: Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Ich erteile dem fraktionslosen Kollegen Stein das Wort. Bitte schön.

Robert Stein (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich kurz fassen – die allgemeine Harmonie, die bei diesem Antrag herrscht, muss ja nicht gestört werden –.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Der vorliegende Antrag der CDU zur Finanzverwaltung will eben jene stärker zukunftsfähig machen. Das ist gut und wichtig in unserer heutigen Zeit. Die Themen „Steuern“, „Steuergerechtigkeit“, aber auch „Haushalt und Finanzen“ hängen alle mit der Finanzverwaltung zusammen. Das ist in aller Munde. Für die fleißigen Finanzbeamten ist dieser Antrag ein gutes Signal aus dem Parlament.

Ich spreche jetzt noch einige Kleinigkeiten aus dem Antrag an.

Zuerst stehen da die Bereiche Steuergesetzgebung und Bekämpfung von Steuerkriminalität durch gleichmäßigen Steuervollzug. Da ist es natürlich absolut wichtig – deswegen ist es auch gut, dass das hier genannt ist, um Steuergerechtigkeit und Akzeptanz herzustellen –, das Steuersystem transparenter zu gestalten, diesen Dschungel an Paragrafen und Gesetzen etwas zu lichten und auch nachvollziehbar zu machen.

Denn wenn wir mal ehrlich sind: Wer versteht denn heute von den hier Anwesenden schon seine Steuererklärung in Gänze und welche Möglichkeiten der Gestaltung der Steuerberater genutzt hat? Ich glaube, das ist selbst für Leute schwierig in der Gänze, die aus affinen Berufsfeldern kommen.

Ein weiterer Fokus in dem Antrag liegt auf der Steigerung der Effizienz in der Finanzverwaltung, indem man gute IT-Prozesse, gute Computerprogramme hat, und dort gute automatisierte Prozesse programmiert, die Risikofälle identifizieren und dabei aber auch darauf achten, Unschuldige nicht unnötig in eine gewisse Ecke zu drängen.

Die Aspekte Demografiewandel und Gesundheitsmanagement sind in der heutigen Gesellschaft sowieso Thema. Das ist klar. Auch die Attraktivität der Finanzverwaltung im Kampf um die durch den Demografiewandel weniger werdenden High Potentials – wenn man das mal absolut rechnet – muss natürlich gesteigert werden, um auch konkurrenzfähig zu bleiben bei den klugen Köpfen im Vergleich zur Wirtschaft. Dann müssen eben reizvolle Karrieremöglichkeiten geschaffen werden.

Ich freue mich auch auf die Diskussion im Ausschuss und denke, dass wir hier – so vernehme ich das auch und bin gespannt, aber ich glaube nicht, dass Sie groß davon abweichen werden, Herr Finanzminister – eine sehr gute Grundlage haben, um eventuell sogar fraktionsübergreifend einen gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen. – Vielen Dank.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Norbert Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei so viel gemeinsamen Freuden will ich nicht außen vor bleiben. Ich freue mich auch, dass Sie die Leistungen der nordrhein-westfälischen Landesverwaltung so hoch schätzen. Diese Landesverwaltung hat das verdient. Die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen ist nicht nur absolut professionell, absolut engagiert und absolut motiviert, sondern sie ist vor allen Dingen auch eine Vorzeigeverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Diese Verwaltung kann sich sicher sein, dass ihr Minister ihr den Rücken stärkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das mag man ja daran sehen, dass es eine Reihe von Dingen gegeben hat, die für Aufmerksamkeit auch außerhalb des Landes gesorgt haben, die auch der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung gut getan und ihren Ruf gestärkt haben. Der Begriff „Wuppertal“ steht in der Schweiz nicht mehr für „Schwebebahnen“, sondern er steht für „Steuerfahndung“. Wir haben eine ganze Reihe von anderen Dingen, die wir in der gleichen Weise vorstellen könnten.

Deswegen finde ich es auch richtig, dass wir uns wirklich sehr unvoreingenommen gemeinsam über die Frage unterhalten, wie wir diese Verwaltung weiter verbessern können und wie wir sie für die Zukunft richtig aufstellen können.

Man sollte nur – das sage ich gerade auch an die Adresse der Zuhörerinnen und Zuhörer hier auf der Tribüne – nicht zulassen, dass jetzt ein paar Etiketten angeklebt werden, die zumindest mit dem Tun der letzten Jahre nicht so ganz übereinstimmen.

Ich finde es ja sehr schön, Herr Witzel, dass Sie sagen, wir müssen vor allen Dingen auch dafür sorgen, dass zweifelhafte Gestaltungsoptionen reduziert werden. Aber in den letzten Jahren war es die FDP, die für reiche Erben die Cash-GmbH mit allen Mitteln verteidigt hat, bis man gemeinsam mit anderen erst einmal dazu beitragen konnte, solche Schlupflöcher zu schließen.

Ein anderes – die Hotelsteuer, die Mövenpick-Steuer – ist schon angesprochen worden.

Richtig viele Belege für das, was Sie da als Ziel angesprochen haben, habe ich also noch nicht gefunden.

(Beifall von Birgit Rydlewski [PIRATEN] – Ralf Witzel [FDP]: Die an der Bundesregierung beteiligte SPD ändert doch nichts daran!)

Wenn wir das alles hinkriegen, ist es wunderbar. Darüber werden wir uns unterhalten.

Das Thema „Steuergesetzgebung“ ist übrigens ein schönes Zeichen dafür, dass es hier wirklich nicht um die Frage von Regierung und Opposition, von links oder rechts, von SPD, CDU, Grünen oder FDP, geht. Herr Optendrenk, wenn wir uns einmal angucken, was denn das Steuersystem so kompliziert macht, werden wir nämlich Folgendes feststellen:

Es sind immer Bereiche aus der Fachpolitik, die etwas möchten. Der Deutsche hat es sehr gern, wenn er die Steuern reduzieren kann. Wenn man etwas durchsetzen will – ich gucke einmal meinen Kollegen Bauminister an und nenne als Beispiel die energetische Sanierung –, haben die Fachpolitiker ein bestimmtes Interesse. Sie sagen nämlich: Wenn man die Menschen dazu bringen will, dass sie ihre Häuser dämmen lassen, muss das am besten nicht so erfolgen, dass sie einen Zuschuss bekommen – dann machen sie das nämlich nicht –, sondern so, dass sie ihre Steuer reduzieren können. – Dass das bedeutet, dass die Finanzämter eine Menge mehr zu tun haben, wird dabei gerne übersehen.

Diesen Konflikt, den wir untereinander austragen, trage ich auch mit der CDU aus; denn diese Partei sagt dann: Unsere Handwerker müssen endlich Aufträge bekommen. Die Aufträge werden nicht erteilt, weil die Sanierung nicht von der Steuer absetzbar ist.

Es gibt auch viele Beispiele für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Da muss der nordrhein-westfälischen Landesregierung und dem nordrhein-westfälischen Finanzminister niemand etwas vormachen, glaube ich.

Das Ganze haben wir im Übrigen auch in Bezug auf das Verhältnis von Außendienst und Innendienst gut ausgewogen. Wir haben im Jahr 2010 unmittelbar nach Regierungsübernahme zusätzliche Betriebsprüfer eingestellt. Wir haben dafür gesorgt, dass dann auch Anwärter in die Innenverwaltungen nachgekommen sind. Wir tun etwas für die Fahndung. Alles das sind Dinge, die sich sehen lassen können.

In Ihrem Antrag schreiben Sie: „Die Politik muss bereits heute die richtigen Weichenstellungen vornehmen.“ Wie ich gerade dargestellt habe, tun wir das schon. Wir unterhalten uns aber auch gerne mit Ihnen darüber.

Eines steht allerdings im krassen Gegensatz zu gestern. Heute liest man wieder überall, es werde ja nicht gespart. Hier schlagen Sie aber wieder mehr Investitionen in die Steuerverwaltung vor. Alles richtig! Das ist exakt das, was ich sage. Hier haben wir Konsens. Das gehört aber auch genau zu der Kategorie, die ich immer anspreche. Pauschal wollen Sie weniger ausgeben. Immer dann, wenn Sie hier ein konkretes Thema aufs Tapet bringen, wollen Sie aber mehr ausgeben.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister …

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Genau das geht eben nicht. Sie können nicht einerseits sagen, statt des Aussetzens einer Gehaltserhöhung sollten wir künftig mehrere Tausend Stellen abbauen, und andererseits in diesem Fall mehr Stellen und eine Stärkung fordern. Dann müssen Sie auch sagen, woher Sie die entsprechenden Mittel nehmen wollen. Das werden wir in unserer gemeinsamen Diskussion aber sicher näher besprechen können. – Vielen Dank.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Minister, bitte verlassen Sie noch nicht das Rednerpult. Herr Dr. Optendrenk hatte sich gerade zu einer Zwischenfrage gemeldet. Wollen Sie sie noch zulassen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Gerne.

Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das so. – Herr Dr. Optendrenk, bitte schön.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU: Herzlichen Dank. – Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, dass es vielleicht bei den Strukturveränderungen, bei denen man auch erst investieren muss, anschließend aber auch dauerhafte Erträge generiert, einen Konsens geben könnte? Können wir uns zum Beispiel beim Thema „Sparen durch IT in der Finanzverwaltung“ darauf verständigen, dass es einen politischen Konsens mit der Opposition darüber gibt, dass bestimmte Investitionen zunächst notwendig sind, weil man dann sowohl besser arbeiten kann als auch möglicherweise mehr Einnahmen generiert?

Wir haben Ihnen in der Vergangenheit immer Vorschläge gemacht, bei denen es nicht darum ging, pauschal mehr zu fordern, sondern die gleichzeitig Strukturveränderungen beinhalteten, weil wir wissen, dass Sie nicht unendlich viel mehr Geld auszugeben haben. Lassen Sie uns doch beim Thema „Finanzverwaltung“ einfach damit anfangen. Vielleicht können Sie das mittragen. Das wäre meine Frage und meine Bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das, was Sie gerade vorschlagen, hat einen Namen. Das ist präventive Politik – und genau das wollen Sie in vielen Bereichen nicht. Sie wollen nämlich nicht sagen: Ja, wir müssen jetzt investieren, um die richtigen Strukturen zu schaffen, damit es hinterher weniger Ausgaben gibt. – Genau das wollen wir. Darüber sollten wir uns in der Tat unterhalten.

Dazu gehört allerdings auch, dass wir beispielsweise, wie es in dem vom Kabinett beschlossenen Haushalt vorgesehen ist, in Nordrhein-Westfalen 40 Stellen mehr brauchen. Das Ganze erfolgt zwar gemeinsam mit den anderen Ländern. Es ist aber in Bayern und Nordrhein-Westfalen angesiedelt. Über diese 40 Stellen mehr brauchen wir Konsens.

Ich höre Sie jetzt schon sagen: Das ist ein Aufbau von Personal und nicht die Investition, die benötigt wird, um alles das zu machen, was in unserem Antrag steht. – Wenn es anders sein sollte, würde ich mich freuen. Darüber werden wir diskutieren.

Sie haben aber tatsächlich einen Punkt angesprochen, über den wir reden müssen, nämlich die Frage: Wie schaffen wir jetzt Strukturen, und zwar auch mit Investitionen in diese Strukturen, die uns hinterher helfen, unsere Arbeit schlanker zu erledigen? – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit schließe ich diese Debatte.

Wir stimmen ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/6132 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag so wie besprochen überwiesen.

Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt

4   Korruptionsanfälligkeit und Misswirtschaft beenden – Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) in neue Strukturen überführen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6126

Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hören wir für die antragstellende FDP-Fraktion den Kollegen Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Defizite und Skandale des BLB sind mittlerweile hinreichend bekannt. Es gibt Baukostenexplosionen bei diversen Projekten, ein Versagen der Aufsicht und windige Grundstücksgeschäfte in einer Vielzahl von Fällen, die Verdachtsmomente bis hin zu strafrechtlichen Sachverhalten aufwerfen.

Zwölf Sonder- und Jahresberichte des Landesrechnungshofs sind seit dem Jahr 2010 zu den großen Defiziten des BLB erschienen. Der BLB hat also beim Landesrechnungshof ein Abonnement in Sachen Steuergeldverschwendung.

Unzulänglichkeiten des BLB gibt es in verschiedenen Wahlperioden mit unterschiedlichen Regierungskonstellationen. Entscheidend ist nun, aus gravierenden Defiziten zu lernen und notwendige Strukturreformen zeitnah zu beschließen. Dafür halten wir ein Vorgehen in zwei Schritten für notwendig:

Zum einen brauchen wir Sofortmaßnahmen. Alle rechtlichen und finanziellen Ansprüche sind zu realisieren, um die Vermögensinteressen des Landes zu wahren.

Deshalb komme ich einmal auf das ganz aktuelle Projekt Domgärten, das im jüngsten Sonderbericht des Landesrechnungshofs behandelt wird, zu sprechen.

Wir haben alle dort seinerzeit zuständigen Geschäftsführer, die nach den Prüfungsfeststellungen des Landesrechnungshofs Grundstückskäufe genehmigt haben, zur Verantwortung zu ziehen. Die Grundstücksgeschäfte waren ökonomisch unvorteilhaft, da reine Grünflächen ohne Baurecht angekauft und dafür Wucherpreise gezahlt worden sind.

Es wurden gegen den ausdrücklichen Rat der Fachabteilung Liegenschaften erworben, die gar nicht benötigt werden, also vom Charakter her reine Vorratskäufe waren, sodass die damit offenbar gegen geltendes Recht verstoßen haben.

Ferner gab es nachträgliche Vertragsänderungen zum Schaden des BLB.

Wir haben Zwischenerwerber, die innerhalb weniger Tage mal eben mal 10 Millionen € Aufschlag für eine Grundstücksweiterreichung kassiert haben. Es sind Grundstücke von Mittelsmännern verkauft worden, die zum Verkaufszeitpunkt selber noch nicht Eigentümer der Liegenschaft gewesen sind.

Folge ist ein zeitnaher Abschreibungsbedarf von 36 Millionen €, fast die Hälfte des Kaufpreises der Domgärten.

In dieser Situation muss man sagen: Beide Geschäftsführer stehen nach den ausführlichen Untersuchungen des Landesrechnungshofs ganz eindeutig in der Verantwortung und müssen deshalb jetzt von dieser Landesregierung für ihre Entscheidungen haftbar gemacht werden.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Witzel, ich darf Sie einmal kurz unterbrechen. Der Kollege Mostofizadeh würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

Ralf Witzel (FDP): Ja, selbstverständlich. Immer gerne.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Mostofizadeh, bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege Witzel. Wir haben am 20. Juni eine Sondersitzung des HFA durchgeführt, in der es um die Rückberufung des Herrn Krähmer in das Ministerium ging. Sie haben damals, gestern und jetzt schon wieder aus meiner Sicht wichtige Fragen gestellt, die sich auf die zivilrechtliche Haftung und die Geschäfte rund um die Domgärten beziehen.

Ich habe Sie in der Sitzung gefragt, warum die FDP nicht bereits 2009 – ähnlich wie es die Abgeordneten von SPD und Grünen getan haben – diese Fragen gestellt hat. Auf meinen Vorhalt hin haben Sie geantwortet, Sie, Herr Ralf Witzel, seien 2009 noch nicht Mitglied des HFA gewesen.

Herr Kollege, wollten Sie mit Ihren Ausführungen damals und wollen Sie auch heute deutlich machen, dass der Kollege Dr. Orth, der Mitglied des Unterausschusses Landesbetriebe und Sondervermögen war, und die Kollegin Freimuth, die Mitglied des Haushalts- und Finanzausschusses war, damals in pflichtwidriger Weise nicht die notwendigen Fragen gestellt haben und der Kollege und die Kollegin innerhalb der Koalition nicht dafür gesorgt haben, dass diese Geschäfte verhindert worden sind, wie Sie es eben dargestellt haben, indem als erster Schritt eine 36-Millionen-Abschreibung notwendig geworden ist? Wie würden Sie das einschätzen?

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege, ich antworte gerne auf Ihre Frage. Die Frage, ob ich Kollegen meiner Fraktion pflichtwidrige Unterlassungen vorwerfe, verneine ich: Nein, das tue ich nicht.

Ich kann Ihnen nur darstellen: Sie haben mich ganz persönlich gefragt, warum ich mit bestimmten Details von Vorgängen, die – das habe ich eben ausgeführt – in früheren Jahren und Legislaturperioden geschehen sind – ich habe ausdrücklich nicht bestritten, dass es ganz unterschiedliche Regierungskonstellationen in den jeweiligen Abschnitten im Amt gab, als innerhalb des BLB Vorgänge gewesen sind –, keine unmittelbare fachliche Befassung hatte. Das ist die Frage, die Sie an mich persönlich gerichtet haben zu diesem Thema.

Das ist so vom Landesrechnungshof als einer Institution, die ich persönlich für neutral halte, weil sie nicht danach schaut, wer politisch wovon betroffen ist, sondern einfach Sachverhalte untersucht, vollständig dokumentiert worden. Den umfangreichen Prüfbericht haben wir seit einigen Wochen vorliegen. Der Bericht ist publiziert und für jedermann öffentlich. Dabei geht es nicht um irgendwelche vertraulichen Ausschusssitzungen oder Runden, die früher getagt haben.

Wenn jetzt ein solcher Sachverhalt öffentlich im Raum steht, sollten wir uns – die Hoffnung habe ich wirklich – einig sein, dass der Grundsatz gelten muss: Die Übernahme einer gut dotierten Verantwortungsposition und das Einstehen für eigene Handlungen gehören untrennbar zusammen. Wenn es dort Fragen gibt, die uns wahrscheinlich in vielen Teilen gemeinsam bewegen, erwarte ich, dass eine Landesregierung für die Vermögensinteressen des Landes ihre Rechtsposition optimal einsetzt.

Ebenso erwarten wir die Rückabwicklung der sittenwidrigen Wuchergeschäfte, aller Liegenschaftskäufe mit einem Aufschlag von mehr als 90 % über dem Verkehrswert.

Wir hoffen, dass der Finanzminister direkt nach der Sommerpause entsprechenden Vollzug meldet, dass alle Verfahren zur Anspruchsdurchsetzung eingeleitet worden sind, keine Ansprüche verjähren und man diese Situation nicht billigend in Kauf nimmt.

Wir brauchen eine völlige Neustrukturierung der Aufsicht, die sich an dem Leitmotto „Kompetenzen und Kompetenz statt Proporz und Ressortegoismen“ orientiert. Wir brauchen eine BLB-Aufsicht, die viel mehr Befugnisse hat und nicht erst spät eingeschaltet und nachträglich informiert wird und vor allem mehr eigenen Bausachverstand in den Aufsichtsgremien hat. Der BLB muss insgesamt valide Kalkulationsgrundlagen praktizieren und klare Richtlinien haben, die beim Mitteleinsatz angewandt werden. – Das sind zeitnahe Maßnahmen.

Wir brauchen aber auch eine Perspektive, bei der mehr passieren muss. Langfristig muss es unser Ziel sein, den heutigen BLB deutlich zu verschlanken und auf ein Kompetenzzentrum für Auftrags- und Vergabemanagement zu konzentrieren. Das heißt: Die heutige Eigenleistungsquote von rund 28 % ist uns noch viel zu hoch. Wir brauchen ein Kompetenzzentrum, das den Ressorts bei der Bedarfsermittlung hilft, sie berät, ihnen assistiert.

Aber ab dann müssen die detaillierten und endgültigen Leistungsbeschreibungen, die nach dieser Abstimmung vorliegen, im Markt an externe Dienstleister vergeben werden, ohne dass es zu Bedarfsnachmeldungen und -nachträgen kommt. Die Ressorts müssen tatsächlich durch ihre Liegenschaftsnutzungen die entstehenden Kosten selbst tragen. Es gibt viele Möglichkeiten zur Baukostenoptimierung, beispielsweise durch Maximalpreisverträge und partnerschaftliche Modelle, bei denen der Leistungserbringer mit in die Haftung eintritt.

Die zentrale Leitlinie eines neuen BLB muss lauten: Weg mit politischen Detailvorgaben und Filz! Stattdessen zählt das, was ökonomisch und baufachlich sinnvoll ist. Der Steuerzahler wird es uns danken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Auf die Frage der gut dotierten Posten und der damit verbundenen Verantwortung, Herr Witzel, möchte ich später noch bezogen auf Ihre Person zurückkommen.

Ich möchte aber, Herr Präsident, liebe nicht sehr zahlreich anwesenden Kolleginnen und Kollegen, zunächst mit dem Schluss Ihres Antrags beginnen und einen Vorschlag machen. Wir hatten ja die Debatte darüber, dass sich die FDP einen neuen Namen suchen solle.

(Ralf Witzel [FDP]: Quatsch!)

Ich will dafür einen Vorschlag einbringen. Wie wäre es mit PPD – Privatisierungspartei Deutschlands?

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch albern!)

Denn an diesen Plenartagen sind Sie bei der Debatte um die WestLB, bei der Debatte um die Landesbausparkasse und insbesondere jetzt bei der Debatte um den BLB endgültig zu Ihrem alten Motto „Privat vor Staat“ zurückgekommen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Die blumigen Aussagen zwischendurch, die Ihr Vorsitzender und Sie gemacht haben, nach denen man sich von dieser Position verabschiedet habe, haben Sie wieder aufgegeben. Insofern ist diese Ideologie wieder da. Dann wäre es nur konsequent, das im Namen Ihrer Partei so zu verarbeiten.

(Beifall von der SPD)

Sie haben über die Skandale des BLB gesprochen und die Behauptung in den Raum gestellt, dafür seien unterschiedliche Regierungen verantwortlich gewesen. Sie haben aber in allen Debatten noch kein einziges Projekt benannt, für das die heutige Landesregierung verantwortlich ist.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben die Domgärten angesprochen. Wer war denn da in der Regierung? Wir können gern fragen – gut ist, dass wir die Möglichkeit haben, im Redezeitenblock II darüber zu sprechen –, welche Skandale mit dem BLB in Verbindung gebracht werden.

Bei der von Ihnen angesprochenen Frage der Vermietung erinnere ich an das Vodafone-Haus. Zu Ihrer Zeit der politischen Verantwortung ist ein Gebäude gekauft worden, und man wusste nicht, was man damit anfangen soll. Jetzt beschweren Sie sich, dass es dort noch Teilleerstände gibt, obwohl ein Teil des Problems beseitigt worden ist.

Es gab den Erwerb des Schlosses Kellenberg im Jahr 2008, das Polizeipräsidium Köln-Kalk im Jahr 2006 und im Jahr 2005 den größten Bauskandal, den es in Nordrhein-Westfalen je gegeben hat, nämlich den des Landesarchivs in Duisburg.

Ich will insbesondere auf die Verantwortung der FDP und damit auch auf Ihre persönliche Verantwortung zu sprechen kommen.

(Zuruf von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Ich möchte als Erstes über die Frage der Domgärten reden; Sie haben sie angesprochen. Ein Grundstück wurde gekauft, weil man vielleicht eine Fachhochschule dorthin verlagern wollte, obwohl allen bekannt war, dass das entsprechende Baurecht gar nicht besteht.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das bedeutete für das Land Kosten in Höhe von 36 Millionen € allein für Abschreibungen.

(Zuruf von der FDP: Schlimm ist das!)

Es ging um eine Fachhochschule und um die Frage der Wissenschaftspolitik. Wer war eigentlich der zu dieser Zeit zuständige Minister? – Das war Herr Pinkwart.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn ich Ihre Aussagen verfolge, dass Sozialdemokraten an allem schuld seien, stelle ich fest: In „Wikipedia“ steht wohl etwas Falsches. Denn hinter dem Namen von Herrn Pinkwart steht in Klammern „FDP“.

(Martin Börschel [SPD]: Künftig PPD!)

Da ist Ihre politische Mitverantwortung. Stellen Sie sich dieser doch einmal.

Lassen Sie uns über das zuletzt diskutierte Projekt der Fachhochschule Bielefeld reden. Der BLB, den Sie so scharf kritisieren, sagt dazu, das koste 207 Millionen €. Das ist eine Schätzung des BLB aus dem Jahr 2007. Die Landesregierung und die politischen Entscheidungsträger haben entschieden, sie wollten den Bau tätigen, ohne Abstriche zu machen, sagten aber, das koste nur 150 Millionen €. Zuständiger Minister für Wissenschaft war damals Herr Pinkwart. Er war nicht nur für Wissenschaft zuständig; er nannte sich auch „Innovationsminister“. Das einzig Innovative waren augenscheinlich die Finanzierungsmodelle. Aus politischen Gründen wurde beim Kauf der Baupreis heruntergesetzt, um dieses Projekt umzusetzen, weil nicht mehr Geld da war. Das war unter Ihrer politischen Verantwortung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt tun Sie so, als hätten Sie mit all dem nichts zu tun. Das ist sehr interessant; das wurde in der Zwischenfrage schon angesprochen.

Sie sagten laut „WAZ“, der BLB sei der vom Landesrechnungshof identifizierte Intensivtäter bei der Verschwendung von Steuergeldern.

(Zustimmung von Ralf Witzel [FDP])

– Und Sie nicken. – Aber dann sind Sie der Mittäter oder – viel schlimmer – der Rädelsführer gewesen, weil Sie die politische Verantwortung für die Entscheidung haben, aus der Sie sich jetzt hinausstehlen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie versuchen, Ihr eigenes politisches Versagen dadurch zu kaschieren, dass Sie zum einen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BLB sowie zum anderen auf die Landesregierung zeigen und versuchen, die Schuld dort abzuwälzen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Davon können Sie weder hier noch in der Öffentlichkeit noch durch Ihre Zwischenrufe ablenken. Sie versuchen, Ihre Hände in Unschuld zu waschen und gehen dabei so weit – das ist zitiert worden – zu sagen: Ich war nicht im HFA. Ich habe damit nichts zu tun gehabt. – Sie waren im Parlament. Sie waren in der Fraktion, die das zu verantworten hat. Stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung!

Ich finde es wichtig, in diesem Zusammenhang über die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BLB zu reden. Gestern hat sich Herr Lindner wie immer in großer Pose hier hingestellt und gesagt: Reden Sie doch einmal mit den Gewerkschaften. – Bei diesem Antrag haben Sie mit Sicherheit weder mit Gewerkschaften noch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geredet. Dann hätten Sie diesen Antrag nämlich so nicht gestellt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Gewerkschaften – wir haben mit ihnen geredet –

(Ralf Witzel [FDP]: Wir auch!)

sind über diesen Antrag empört, weil sie der Meinung sind, dass Sie sich auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reinwaschen und Ihre ideologische Positionen vertreten wollen. Ich kann diese Empörung sehr gut nachvollziehen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das Gegenteil steht im Antrag drin! Lesen Sie ihn mal!)

– Noch einmal bitte!

(Ralf Witzel [FDP]: Im Antrag steht ausdrücklich drin, dass es nicht die Schuld der Beschäftigten ist und dass sie zu Unrecht in diesen Fällen öffentlich in Misskredit gebracht wurden! Das steht im Antrag drin!)

– Wie gesagt: Das müssten Sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BLB besprechen. Sie sind empört über Ihren Antrag, weil sie sich dadurch persönlich angegriffen fühlen. Sie sind der Meinung, dass Sie von Ihren eigenen Problemen ablenken wollen.

(Martin Börschel [SPD]: Zu Recht!)

– Sie haben damit selbstverständlich recht.

Was tut die FDP mit diesem Antrag? Das finde ich infam; darüber ärgere ich mich wirklich. Sie haben während Ihrer Regierungszeit den BLB finanziell und personell ausbluten lassen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben über massive Ausweitung der Leiharbeit die Arbeitsbedingungen beim BLB massiv verschlechtert.

Dann haben Sie mit politischen Entscheidungen für eine ganze Reihe von Bauskandalen gesorgt, die den Ruf des BLB zerstört haben.

Und genau diese beiden Dinge, die Sie verantwortet haben, nehmen Sie jetzt als Begründung, die Privatisierung durchzusetzen und Ihre ideologische Linie fortzusetzen. Das ist schlicht und einfach skandalös.

(Beifall von der SPD)

Sie, Herr Witzel, zeigen ständig mit dem Finger auf andere – unter anderem auf die Landesregierung, die längst tätig geworden ist: Die Landesregierung hat die Personalsituation beim BLB verbessert; die Landesregierung hat die Leiharbeit beim BLB heruntergefahren, fast abgeschafft; die Landesregierung hat für mehr Transparenz und für mehr Kontrolle beim BLB gesorgt. Und es hat seit 2010 auch keine neuen Bauskandale gegeben. Insofern ist Ihre Behauptung, die Sie auch an die Spitze des Antrags gestellt haben, dass entsprechende Maßnahmen jetzt notwendig seien, falsch.

(Ralf Witzel [FDP]: Und die Kostenexplosionen?)

– Welche Kostenexplosionen?

(Ralf Witzel [FDP]: Sie müssen doch nur reinschauen in die Anfragen, die wir gestellt haben, und die Tabellen, in denen überall große zweistellige Prozentsätze an Kostenexplosionen zu finden sind!)

– Ja, genau. Es gibt erhebliche Kostenexplosionen. 90 % dieser Kostenexplosionen sind auf die fünf Projekte zurückzuführen – insbesondere das Landesarchiv –, die Sie zu verantworten haben.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Ah!)

– Da können Sie ruhig „Ah“ rufen. Es ist ja klar, dass Sie das nicht hören wollen. Aber was hat damals ein Staatssekretär, der nicht Ihrer Partei, sondern der CDU angehörte, im Zusammenhang mit einem Projekt gesagt? Er hat gesagt: Wir müssen diese Projekte umsetzen – koste es, was es wolle. – Diese „Koste es, was es wolle“-Mentalität ist eigentlich der Kern des Problems. Sie versuchen, das jetzt auf die Mitarbeiter und die dafür nicht zuständige Landesregierung abzuwälzen. Das ist schlicht skandalös.

Leider müssen wir aufgrund der Gepflogenheiten hier im Haus der Überweisung des Antrags zustimmen. Aber eigentlich weist er nicht die Qualität für eine Beratung im Haushalts- und Finanzausschuss auf, die diesem angemessen wäre.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Schmitz.

Hendrik Schmitz (CDU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Zimkeit, das war wieder das, was wir erwartet hatten: eine ziemlich dünne Suppe, die Sie hier abgeliefert haben.

Da Sie die größten Bauskandale angesprochen haben, möchte auch ich, auch wenn es Ihnen schwerfällt, den größten Bauskandal ansprechen. Das war in den 80er-Jahren – vielleicht erinnern Sie sich noch – der Bauskandal um das Uniklinikum Aachen. In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, wer damals der Wissenschaftsminister war. Das war Johannes Rau,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Da war er in der Grundschule! – Heike Gebhard [SPD]: Gab es den BLB da schon?)

der spätere Ministerpräsident. Insofern bitte ich Sie, das mit zu bedenken.

Das, was Sie zur Zukunft des BLB gesagt haben,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Gab es den BLB da schon?)

haben Sie auch schon in Ihrer Pressemitteilung am 1. Juli erwähnt. Sie haben wenig aufgezeigt, was Sie selbst machen. Und darin unterscheidet sich Ihre Fraktion sehr deutlich von den anderen Fraktionen: Sie können lediglich mit dem Finger auf andere zeigen.

Meine Damen und Herren, der Bau- und Liegenschaftsbetrieb beschäftigt uns hier mit gewisser Regelmäßigkeit. Das ist jetzt schon die dritte Plenarwoche in Folge, in der wir uns mit dieser Thematik auseinandersetzen. In Köln bzw. im Rheinland, sehr geehrter Herr Minister, würde man schon fast von Tradition sprechen.

Schade ist allerdings, dass der Anlass solch ein trauriges Thema ist. So muss neben der Debatte hier im Plenum auch ein Untersuchungs­ausschuss die vielen Auffälligkeiten beim BLB in den vergangenen Jahren aufarbeiten. Das ist ein mühsames Geschäft, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren.

An der Stelle möchte ich sagen, dass wir uns mit der Forderung, dass sich dieser Untersuchungsausschuss gleichzeitig mit den Strukturen des BLB beschäftigt, nicht durchsetzen konnten. Diese Forderung führte bei Ihnen, Herr Zimkeit, zu dem bekannten Reflex: Der Wunsch, eine Bühne für das gegenseitige Mit-dem-Finger-aufeinander-Zeigen zu schaffen, war größer als der Wunsch, endlich mal in die Problemanalyse einzusteigen. Mittlerweile steht der Ausschuss ja auch ein wenig in der Kritik, weil es nicht wirklich vorangeht. Das liegt vielleicht systemimmanent daran, dass sich der Untersuchungsausschuss eben nur mit der Vergangenheit und nicht mit der Problemanalyse beschäftigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Zimkeit, wir als Politik sollten und müssen uns, wenn wir uns mit der einen Seite beschäftigen, auch mit der anderen Seite beschäftigten, nämlich ganz konkret mit der Zukunft des BLB.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ein Untersuchungsausschuss für die Zukunft ist ein tolles Modell!)

Denn sagen Sie mir doch mal, wie es weitergehen soll mit einem Landesbetrieb, der durch im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliche Kostensteigerungen, intransparentes, zum Teil kriminelles Handeln und finanzielle Verluste ins mediale Dauerfeuer geraten ist. Das ist doch die Frage, die wir hier beantworten müssen.

Wir, die CDU-Fraktion, aber auch die FPD-Fraktion und die Fraktion der Grünen haben durch Anträge und durch Presseäußerungen deutlich gemacht, dass sich dringend etwas ändern muss, dass der BLB nicht in seiner jetzigen Form fortbestehen kann und dass wir neue Weichenstellungen brauchen.

Ich hoffe – ganz ehrlich –, dass dies eine Erkenntnis ist, die in dieser Deutlichkeit auch mal bei der SPD gereift ist, lieber Herr Zimkeit.

(Beifall von Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

So wäre zumindest hier im Plenum der politische Wille zur Veränderung vorhanden.

Denn – auch das müssen Sie zur Kenntnis nehmen – wenn ich in Richtung Landesregierung blicke, kann ich diesen politischen Willen nicht erkennen. Ich kann vielleicht mit viel gutem Willen erahnen, dass bei der Landesregierung dieser Wille besteht. Denn was hat die Landesregierung in den vergangenen vier Jahren – so lange regiert sie ja bereits – getan?

Ich möchte daran erinnern, welch klare Antwort Ihnen der Landesrechnungshof in der vergangenen Woche auf diese Frage gegeben hat: Die Landesregierung hat viel zu wenig getan, um die konkreten Probleme des BLB tatsächlich in den Griff zu bekommen, zu wenig, um den Steuerzahler, unsere Bürgerinnen und Bürger, vor weiteren Schäden zu schützen, und zu wenig, um den BLB und vor allem seine Beschäftigten endlich aus der Schusslinie zu nehmen.

Herr Minister, im vergangenen Monat habe ich Ihnen hier vorwerfen müssen, dass Sie sich seit Monaten hinter einer laufenden Ressortabstimmung verstecken. Aber auch seitdem hören wir nichts Neues von Ihnen. Erst am Freitagabend vor Pfingsten, als der mediale Druck infolge des Landesrechnungshofberichts zu den Domgärten zu groß wurde, haben Sie uns einen der BLB-Geschäftsführer als Bauernopfer präsentiert – ein Bauernopfer, weil sich am eigentlichen Problem, der Struktur des BLB, nichts ändert.

(Beifall von der CDU)

Nun steht der BLB nur noch mit einem Geschäftsführer da, der alleine die vielen Baustellen, die es beim BLB gibt, in den Griff bekommen soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sehr sich die Landesregierung in Sachen BLB im Kreise dreht, das möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten mit einem Zitat verdeutlichen. Da heißt es:

„Wir werden alle gewonnenen Erkenntnisse auswerten: sowohl die nützlichen Hinweise des LRH als auch die Ergebnisse der beiden Sonderprüfungen. Dann werden wir die notwendigen Änderungen zügig, aber auch mit der erforderlichen Sorgfalt vornehmen …“

Meine Damen und Herren, dieses scheinbar aktuelle Zitat stammt aus einer Pressemitteilung des Finanzministers vom 13. Juli 2011. Das ist jetzt drei Jahre her – drei Jahre, in denen Sie die internen Konflikte mit den Besitzstandswahrern gescheut haben, drei Jahre, in denen Sie sich in Ihrem Kabinett nicht durchsetzen und nicht klarmachen konnten, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Für uns ist eines klar: Dieser Zustand, in dem sich der BLB befindet, muss geändert werden. Deswegen haben wir, die CDU-Fraktion, unsere konkreten Vorschläge bereits Anfang April in einem Antrag vorgestellt. Darin fordern wir als Erstes, dass der BLB NRW zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts weiterentwickelt wird. Die zweite Forderung lautet, dass der bisherige Verwaltungsrat in einen parlamentarischen Beirat umgewandelt wird. In dem dritten wichtigen Punkt heißt es, dass wir einen kleinen und schlagkräftigen Aufsichtsrat gründen wollen, in den immobilienwirtschaftliches Fachwissen eingebracht wird.

Jetzt hat die FDP-Fraktion ihre Vorstellung von einer Neustrukturierung des BLB vorgelegt. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe Ihren Antrag mit großem Interesse gelesen. Ich habe nur eine Sorge bei Ihrem Vorschlag: dass eine Zerschlagung des BLB, wie sie beschrieben wird, nicht hilft, sondern eher zu neuen Problemen führt.

Ich möchte an der Stelle noch mal daran erinnern, dass der BLB nach seiner Gründung fast vier Jahre gebraucht hat, um sein gesamtes Grundvermögen zu bewerten. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Liegenschaftsverwaltung des Landes nicht in eine ähnliche Situation bringen sollten.

Ich habe auch noch offene Fragen zu Ihrem Antrag: Wo soll denn das Grundvermögen des Landes zukünftig angesiedelt werden? Und was machen Sie mit den Beschäftigten des BLB? Das ist eben ja schon mal angesprochen worden. Dazu möchte ich an dieser Stelle noch mal sagen, dass bei aller Kritik, die es aktuell am BLB gibt, nicht vergessen werden sollte, dass der BLB sehr viele gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiter hat.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben diesen Mitarbeitern gegenüber auch eine Fürsorgepflicht. Und wir sollten sie nicht weiter verunsichern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Eine Zerschlagung wird meines Erachtens weder den Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler noch den Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erst recht nicht den Interessen des Landes gerecht. Zudem besteht, wie schon angesprochen, die Gefahr, dass sich sämtliche Problemstellungen aus der Gründungsphase des BLB in dieser Form wiederholen. Dadurch wertvolle Zeit und Steuergeld zu verschwenden, das ist ein Luxus, den wir uns – da werden Sie mit mir einig sein – angesichts der hier präsentierten Haushaltspläne nicht leisten können.

Wir plädieren daher nachdrücklich für eine Umstrukturierung statt für eine Zerschlagung.

In den kommenden Wochen und Monaten werden wir uns – da bin ich mir sehr sicher – noch viel und intensiv mit dem BLB beschäftigen. Nachdem die Oppositionsfraktionen Vorschläge zu neuen Strukturen für den BLB gemacht haben, ist es in unser aller Interesse, dass auch die Landesregierung endlich ihr Konzept vorstellt. Es ist höchste Zeit. Sie sind viel zu spät dran. Das wissen wir alle, das wissen Sie auch. Wir erwarten Ihr Konzept. Wir erwarten es mit Spannung. Und wir hoffen, dass wir uns dann endlich mit der Zukunft auseinandersetzen können und nicht immer nur mit dem Reflex, mit dem Finger auf andere zu zeigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt der Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe vorhin natürlich nicht ganz zufällig die Zwischenfrage gestellt – um die Reaktion von Herrn Witzel abzuwarten. Herr Kollege Witzel, Sie sagen nicht so ganz das, was zutreffend ist.

Ich nehme das Ausschussprotokoll der HFA-Sitzung vom 27. Mai 2009 zur Hand. Sie haben auf meine Frage vorhin, ob die Kollegin Freimuth und der Kollege Orth nicht schon damals nachgefragt hätten, gesagt: Das konnten die damals noch nicht wissen; denn so umfassend, wie der Landesrechnungshof es jetzt dargestellt hat, war das damals nicht bekannt. Deswegen waren die Fragen damals nicht möglich. Deswegen konnte das mit der Abschreibung auch noch nicht erkannt werden.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie zitieren das völlig falsch! Schauen Sie in das Wortprotokoll!)

– Das machen wir. Sie haben jetzt lange genug geredet, Herr Witzel! Lassen Sie mich die acht Minuten sprechen, danach können Sie die Luft wieder rauslassen!

Ich lese jetzt mal vor, was die damalige Landesregierung aus CDU und FDP 2009 zur Struktur des BLB ausgeführt hat. Minister Dr. Helmut Linssen sagte:

„Denn der BLB ist damals, unter Ihrer Regierung, in dem Bewusstsein installiert worden, dass man den Sachverstand bündeln wollte und dass man gerade die Selbstständigkeit und die wirtschaftliche Arbeitsweise des BLB für diese Grundstücksgeschäfte braucht. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich habe das damals unterstützt und unterstütze das auch heute.“

Ein klares Bekenntnis der schwarz-gelben Landesregierung zu den Strukturen des BLB und zur Arbeitsweise des BLB, liebe Kolleginnen und Kollegen, und kein Absetzen vom BLB, wie Sie es hier heute billig machen, Herr Kollege Witzel.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nun zu der Frage, ob man das hätte wissen können. Auf der gleichen Seite des Protokolls vom 27. Mai 2009, Seite 14, führt Herr Krommen für das Innovationsministerium aus:

„Es hat mit dem Innovationsministerium vorab keine Gespräche über die Ankäufe des Grundstücks gegeben.“

Es wurde in öffentlicher Sitzung ausgeführt, dass ein Vorratskauf stattgefunden hat und dass die Abschreibung von 36 Millionen € absehbar war. Die FDP hat nicht widersprochen. Ihr Wissenschaftsminister hat sehenden Auges das akzeptiert, was in Köln passiert ist, Herr Kollege Witzel.

Ich möchte noch auf ein weiteres Dokument hinweisen. Es gibt die Antwort auf eine Kleine Anfrage des damaligen und heutigen Abgeordneten Horst Becker. Auf die Frage, warum man den BLB zwischengeschaltet hat, um diese Grundstücke zu kaufen – das war gestern ja auch Thema der Fragestunde –, hat Herr Dr. Linssen geantwortet:

„Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass der BLB NRW die für den Grundstücksankauf notwendigen weiteren Maßnahmen nicht selbst vornehmen muss und nicht selbstständig am Markt als Ankäufer großer Flächen in der Kölner Südstadt aufgetreten ist“

– jetzt kommt es –,

„was nach Einschätzung des BLB NRW zu stark steigenden Preisen geführt hätte.“

Da schlag ich mir vor Lachen ja fast auf den Bauch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auf das zurückkommen, was Herr Schmitz dankenswerter­weise zum Ende seiner Rede gesagt hat, weil er sich nicht ganz so billig vom Acker macht, wie es die FDP heute wieder versucht.

Erstens. Ich stelle fest: Im Wesentlichen haben CDU und FDP das, was heute beim BLB schiefläuft, zu verantworten.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Was ist denn schiefgelaufen? Sagen Sie das doch mal!)

Zweitens. Wir haben Vorschläge gemacht, wie die Struktur besser werden kann. Wenn ich Ihren Antrag lese, Herr Kollege, dann frage ich mich: Was ändert sich denn da, außer dass Sie die Kolleginnen und Kollegen, die beim BLB beschäftigt sind, massiv beschimpfen, ihnen unterstellen, dass sie nicht sachgerecht arbeiten und ansonsten von der Struktur nichts zu erkennen ist?

Herr Kollege Schmitz, um auch in der Sache noch mal auf Sie zurückzukommen: Nein, wir sind nicht der Auffassung, dass die Rechtsform Anstalt des öffentlichen Rechts die Probleme löst, nicht weil ich etwas gegen eine Anstalt des öffentlichen Rechts hätte. Das ist nicht mein Problem; darüber können wir in Ruhe diskutieren. Wenn aber das Finanzministerium, damals in Gestalt von Dr. Linssen, nicht die Aufsicht führt und nicht einschreitet, wenn es solche Grundstücksgeschäfte gibt, oder – das wäre die Alternative; darauf will ich mich gar nicht festlegen – wenn in dem Betrieb Leute an führender Stelle aktiv waren, die die Dienstanweisung sozusagen unterlaufen haben, dann ist es völlig egal, ob es eine AG, eine Anstalt des öffentlichen Rechts oder eine GmbH ist; denn das löst die Probleme nicht.

Des Pudels Kern – und das haben wir auch gemeinschaftlich festgestellt – liegt bei der konkreten und effektiven Aufsicht.

Wir sind der festen Überzeugung, dass es nicht sachgerecht ist, die Ministerien in diesen Verwaltungsrat einzubinden und schon gar nicht politische Vertreterinnen und Vertreter. Deswegen, Herr Kollege Möbius – nur einmal, ich werde es auch nicht wieder tun –, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, warum Sie seit Jahren in diesem Verwaltungsrat sitzen und nie auf die Idee gekommen sind, diesen Verwaltungsrat und dessen Funktion infrage zu stellen.

Ich für meinen Teil kann nur sagen: Ich habe an zwei Sitzungen teilgenommen, und für mich war völlig klar, dass es eine unschöne Situation, ein Zwiespalt in der Gewaltenteilung ist, wenn man einerseits mitbekommt, wie das operative Geschäft läuft, und andererseits im HFA der Kontrolleur dieses Geschäfts sein soll. Das funktioniert einfach nicht. Wir sind nicht in der Kommune. Wir haben hier im Landtag die Gewaltenteilung. Wir müssen im HFA die Regierung stellen, wenn es da etwas zu kritisieren oder aufzuarbeiten gibt. Wir haben uns nicht in solch einen halbgaren Bereich einzubringen.

Ein parlamentarischer Beirat wäre sicherlich eine Möglichkeit, ähnlich wie das bei der NRW.BANK der Fall ist. Aber des Pudels Kern ist letztlich eine klare Aufsichtsstruktur.

Eines muss auch klar sein – das wird möglicherweise auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine Rolle spielen bzw. schon gespielt haben –: Wenn es, wie Herr Kollege Zimkeit richtigerweise dargestellt hat, Auflagen der Landesregierung gibt, die nicht erfüllbar sind, dann muss sich der BLB dagegen wehren und Nein schreien. Wenn diese Entscheidungen aber getroffen worden sind, dann muss sich die jeweilige Landesregierung diese auch zurechnen lassen. Wenn Herr Pinkwart entschieden hat: „Obwohl ich weiß, es kostet 207 Millionen €, baue ich es für 150 Millionen €“, dann ist er schuld, dass die Kosten so explodiert sind, und nicht die Kolleginnen und Kollegen vom BLB.

Herr Kollege Witzel, deswegen finde ich es geradezu peinlich, wie Sie sich hier darstellen. Ich bin sehr an einer Sachdebatte interessiert. Wir werden uns sachlich mit dem Antrag der CDU auseinandersetzen. Ich habe die Differenzen schon deutlich gemacht. Wir werden uns selbstverständlich auch mit den Vorschlägen, die die Landesregierung für die Zeit nach der Sommerpause angekündigt hat, auseinandersetzen.

Ich für meinen Teil kann nur sagen: Wir stehen zum BLB. Wir stehen auch in schlechten Zeiten zum BLB. Wir müssen die Fehler besprechen, wir müssen die Zukunftspositionen besprechen. Wir beteiligen uns nicht an dem Bashing, wie das die FDP macht. Wir müssen mit dieser Landesregierung, mit diesem Parlament das in Ordnung bringen, was vielleicht falsch läuft. Aber wir stehlen uns nicht aus der Verantwortung. Und wir machen auch nicht solch ein billiges Spiel wie die FDP. Da unterscheiden wir uns fundamental. Ich hoffe, das hat auch bei Ihnen bald ein Ende.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und am Stream! Es geht bei diesem Antrag der FDP-Fraktion um die Frage der Beseitigung von Korruptionsanfälligkeit und Misswirtschaft beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen.

Nun wurde in der bisherigen Debatte – zur Überweisung eines Antrages an einen Ausschuss – schon wieder heftig mit Sand und Schmutz von allen Seiten in alle Richtungen geworfen. Ich als Mitglied der Piratenfraktion, die wir seit 2012 hier im Landtag sind, kann sagen: Wir jedenfalls waren an all dem Schmutz nicht beteiligt. Alle anderen haben sich im Verlauf der Geschichte des BLB von 2001 bis heute – also sicherlich auch während einer rot-grünen Regierungszeit – nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das möchte ich einmal festhalten. So viel zu dem Schmutz, der hier geworfen wird!

Also: Es macht überhaupt keinen Sinn, dass hier die eine Fraktion der anderen Fraktion vorwirft, was sie gut bzw. schlecht gemacht hat, wo die Skandale aufgeploppt sind.

Fakt ist – und das müssen die Menschen wissen, das kriegen sie ja auch tagtäglich über Zeitungen und Fernsehen mit –: Es geht um Skandale des Bau- und Liegenschaftsbetriebs, es geht um Aufsichtsdefizite, es geht um Kontrollverluste bzw. Strukturen innerhalb des BLB, die eine ausreichende, ordnungsgemäße Kontrolle über Finanzen, über 1.300 Grundstücke und 4.250 Immobilien, über zahlreiche Bauvorhaben mit einem Volumen von roundabout 1 Milliarde € pro Jahr nicht gewährleisten. Es geht vor allen Dingen darum, wie man die ganze Sache auf bessere Füße stellen kann.

Dem soll der Antrag der FDP zumindest dienen. Deswegen kann ich der FDP hier beim besten Willen nicht vorwerfen, dass sie sich hier in irgendeiner Form herausstehlen will.

Denn selbst wenn sie in den Jahren 2005 bis 2010 an einer Regierung beteiligt war, unter der – wohlgemerkt – im Rahmen des BLB Bauprojekte oder Ankäufe von Grundstücken und Immobilien stattgefunden haben, wo die betreffenden Umstände sich hinterher als skandalös herausgestellt haben,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Völlig unerwartet!)

heißt das nicht, dass es schlecht ist, wenn die FDP sich heute in der Opposition befindet und solche Forderungen stellt.

Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Mostofizadeh: Richtig ist auch, dass – wenn Sie schon die Jahre 2005 fortfolgende nehmen – zumindest seit 2010 Strukturdefizite, Kontrolldefizite bekannt sind, die bis heute nicht beseitigt sind.

Und so warten wir alle heute immer noch

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das wissen Sie doch besser! Sie wissen das doch!)

auf das Eckpunktepapier bezüglich der Neuaufstellung bzw. Erstellung von Kontrollmechanismen innerhalb des BLB, die beispielsweise verhindern helfen sollen, dass Projekte – wie zum Beispiel in Bielefeld – aus dem Ruder laufen und es nicht zu Rügen hinsichtlich des Leerstandsmanagements seitens des Landesrechnungshofs kommt. Alles Weitere muss man dann mal sehen.

Wir warten, wie gesagt, auf die vom Finanzministerium seit, ich möchte mal sagen, Jahren angekündigten Eckpunkte – die, wie wir immer wieder hören, in der Ressortabstimmung sind: für eine bessere Kontrolle innerhalb des BLB und für eine bessere Kontrolle seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde, und das ist nun mal das Finanzministerium.

Wenn Sie mich fragen, warten wir schon zu lange darauf; denn jeder verschwendete Euro, den der Landesrechnungshof feststellt, ist definitiv ein Euro zu viel. Jeder Euro, der verschwendet wird, jeder Euro, der in dunkle Kanäle verschwindet, ist ein Euro, der zulasten derjenigen Menschen geht, die die Steuern erwirtschaften; das sind zum Beispiel auch die Zuschauerinnen und Zuschauer hier im Saal, das sind wir alle, das ist die Gesellschaft. Deswegen ist es die Aufgabe des gesamten Landtags Nordrhein-Westfalen, hier für Abhilfe zu sorgen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Insbesondere hat der gemeinsame Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bezüglich des BLB und verschiedener damit zusammenhängender Skandale gezeigt, dass zumindest dahin gehend Konsens besteht. Also sollten wir doch bitte außerhalb der Untersuchungsgegenstände zukünftig dafür Sorge tragen, dass ebendieser konsensuale Wille hier zum Ausdruck kommt, dass die Sache vorangeht.

Kommen wir kurz zum Antrag der FDP, den wir noch ausgiebig im Ausschuss beraten werden. Lieber Herr Kollege Witzel, keine Frage: Die Ansätze sind definitiv bekannt. Eine Neuaufstellung oder Neukonzeption des Bau- und Liegenschaftsbetriebes wird allenthalben diskutiert – innerhalb der Fraktionen, fraktionsübergreifend, im Land, in der Wirtschaft, überall. Eine solche Erneuerung werden wir brauchen. Ob der Weg, wie Sie ihn hier beschreiben, der richtige ist, darüber werden wir sicherlich noch beraten.

Stichwort „Sofortmaßnahmen“: Möglicherweise brauchen wir auch diese. Wir haben jüngst gehört, dass der BLB nur noch einen Geschäftsführer hat. Es waren einmal zwei, ursprünglich vorgesehen waren sogar drei. Der zweite Geschäftsführer ist seit dem 1. Juli 2014 weg, er steht jetzt wieder in Diensten des Finanzministeriums, ist dorthin zurückgekehrt als Leiter der Abteilung IV.

Als Sofortmaßnahme brauchen wir also definitiv – wenn es noch nicht geschehen ist – die Ausschreibung dieser Geschäftsführerposition. Wir brauchen ganz dringend die Besetzung dieser Geschäftsführerposition, alleine schon, um das Vier-Augen-Prinzip zu gewährleisten. Und wir brauchen möglicherweise auch eine Besetzung der dritten Geschäftsführerposition im Hinblick darauf, dass – ob ich das nun Corporate Government Codex nenne oder ob ich das Eckpunktepapier nenne, wie auch immer – Regelwerke hermüssen beim BLB, die die hinreichende Ausübung der Kontrolle ermöglichen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Es bedarf einer Person innerhalb der Geschäftsführung des BLB, die wirklich für nichts anderes zuständig ist, als Steuerungsmechanismen im Auge zu haben und ein Compliance Management zu betreiben. Dieses Compliance Management wird derzeit wohl in irgendeiner Abteilung des BLB durchgeführt, so habe ich es gehört. Sei‘s drum! Aber es scheint eben nicht zu reichen. Es braucht auch eine Steuerung vonseiten der Geschäftsleitung.

Kommen wir zu den Mitarbeitern des BLB, von denen hier schon die Rede war. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Kollege Zimkeit, ich sehe hier kein Mitarbeiter-Bashing, überhaupt nicht.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Reden Sie mal mit denen, wie die das empfinden!)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BLB machen ihren Job, und zwar so, wie die Führung des Unternehmens diesen Job vorgibt. Ich sage Ihnen nochmals, wie schon so oft an dieser Stelle und auch anderswo: Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Und solange der Fisch stinkt, läuft ein Unternehmen nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden hier ein Stück weit alleine gelassen.

Es bedarf ausreichend qualifizierter Führungspersönlichkeiten innerhalb eines Unternehmens – wie auch immer es als Sondervermögen des Landes Nordrhein-Westfalen geführt wird –, auch in der Unternehmensleitung des BLB. Hierüber werden wir noch diskutieren, sicherlich nicht letztmalig im Rahmen der Antragsberatungen im Ausschuss.

Auf diese Beratungen und auch auf solche an anderer Stelle freue ich mich. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie oft wir dieses Thema noch hin und her wenden sollen. Wir haben das gestern im Rahmen einer langen Fragestunde gemacht, wir haben das in einer Sondersitzung des Haushalts- und Finanzausschusses gemacht. Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, erkennt man: Dahinter stecken eigentlich zwei Ursachen.

Erstens kommen Sie offenbar mit dem, was Sie unbedingt kommunizieren wollen, nicht durch und sind der Meinung, dass es besser wird, wenn Sie das Ganze zwanzigmal wiederholen.

Zweitens ist es wirklich scheinheilig, ständig zu wiederholen, die Beschäftigten des BLB machten einen guten Job, um den BLB dann aber gleich wieder in den Dreck zu ziehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie verbreiten immer wieder neue Klischees. Bei der FDP heißt es: Es handelt sich um ein Staatsunternehmen, das kann ja nicht funktionieren. – Herr Schulz sagt jetzt: Der Fisch stinkt vom Kopf her. – Ich kann Ihnen nur sagen: Das heißt im Endergebnis immer, dass Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BLB doch unterstellen, einen schlechten Job zu machen.

Und dagegen verwahre ich mich ganz eindeutig. Diese 1.800 bis 1.900 Menschen, die beim BLB tätig sind, arbeiten intensiv und engagiert, sie machen einen guten Job. Viel zu selten wird auch das kommuniziert. Der allergrößte Teil der von ihnen verantworteten Bauprojekte hält die Grenzen von Kostenvorgaben ein, setzt die Vorhaben gut organisiert um, erreicht eine hohe Bauqualität.

Bei Ihnen wird das alles vergessen, Sie konzentrieren sich auf ein paar Punkte.

Und dann, Herr Schmitz, wird das Uniklinikum Aachen bemüht.

(Zuruf von Hendrik Schmitz [CDU])

Das Problem ist nur: Damals gab es noch gar keinen BLB.

(Zurufe von Hendrik Schmitz [CDU] und Dr. Marcus Optendrenk [CDU])

Das kann man dem BLB also zumindest schon mal nicht vorwerfen. Das können Sie gerne der früheren Landtagsmehrheit vorwerfen. Wenn wir aber über den BLB reden, dann sollten Sie nicht irgendwelche Umwege suchen, sondern bei der Sache bleiben.

Es ist also offenbar so, dass der BLB nicht der Auslöser ist. Es muss möglicherweise Dinge gegeben haben, die nicht funktioniert haben.

Wir sollen über die Zukunft reden. Ja, das tun wir. Das versuchen wir die ganze Zeit. Aber Sie werden auch über die Gegenwart reden müssen. In der Gegenwart gibt es einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Der hat nun einmal mehr mit der Vergangenheit als mit der Zukunft zu tun. Da muss man sagen und es wiederholen: Alle großen Skandalthemen, die in diesem Ausschuss jetzt behandelt werden, haben nicht nur ihren zeitlichen Ursprung in der Zeit der schwarz-gelben Koalition, sie haben auch ihren politischen Ursprung in dieser Zeit.

Ich zitiere aus der „Welt am Sonntag“ vom 24. August 2007, in der es heißt – es geht um das Landesarchiv Duisburg –:

„‚Die Entwurfsqualität sollte zunächst losgelöst von der Kostenrelevanz diskutiert werden.‘ Grosse-Brockhoff“

– der damalige Kulturstaatssekretär –

„schwärmte immer wieder davon, ein ‚städtebauliches und architektonisches Zeichen zu setzen‘.“

Das war es doch. Es ging um Selbstbeweihräucherung. Es sollte ein Monument gebaut werden. Die Kosten sollten außen vor bleiben. Man wollte etwas Deutliches hinstellen, um anschließend zu sagen: Von mir ist es nicht; ich habe damit nichts zu tun.

Sie haben, das muss man einmal ganz klar sagen, in der Zeit Ihrer Regierung nicht nur mangelhafte Strukturen nicht erkannt, Sie haben sie nicht nur nicht verändert, Sie haben sie genutzt. Das ist die Ursache dafür gewesen, dass es zu diesen Skandalen kommen konnte.

Wir haben ab 2010, ab der Übernahme der Regierung, eben nicht bis heute gewartet und sind noch nicht mit etwas rübergekommen. Das möchten Sie gern immer so darstellen. Wir haben sofort gehandelt, und wir haben so gehandelt, dass die Punkte, über die wir im Augenblick immer wieder reden, in den Strukturen, die wir schon seit 2010/2011 haben, überhaupt nicht möglich gewesen wären. Das ist der Punkt, um den es geht.

Das, was die FDP mit ihrem Antrag treibt, kann man immer wieder sehen. Am Ende soll es doch wieder in den Satz münden: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. – Das hat noch nie jemand behauptet. Das, was ich schon behaupte, ist: Nicht unbedingt sind die Privaten die besseren Unternehmer. – Wer sich ansieht, wie Immobilienverwaltung und Immobilienmanagement in manchen Großunternehmen laufen, sollte nicht glauben, dass seine Probleme automatisch gelöst sind, wenn man aus dem BLB alles herausbricht, was in öffentlicher Regie ist, damit es an Private übergeben wird.

Sie selbst lassen die Maske fallen, wenn Sie sagen: 28 % Eigenleistung sei zu hoch. Da müssten wir jetzt rangehen. Sie lassen sie auch fallen, wenn Sie in Ihrem Antrag unter 4. schreiben:

„Das operative Geschäft wird also extern organisiert und durchgeführt.“

Das, was Sie wollen, ist, ein Geschäft an eine ganz bestimmte Branche zu vermitteln, von der Sie glauben, dass Sie mit der die 5%-Hürde gewuppt kriegen.

(Zuruf von der FDP: Oh, oh!)

Daran orientiert sich das, was Sie für das Land für richtig halten.

Wir sind anders vorgegangen. Wir haben 2010 gesagt, nachdem klar war, dass sich hier Skandale abbilden: Wir gucken uns an, woran das liegt. Wir haben festgestellt: Das liegt nicht an der Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern das liegt an der Struktur. Diese Struktur hat Missbrauch möglich gemacht. Ob es Missbrauch auch von direkt Handelnden beim BLB war, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Alle Unterstützung dafür bekommt sie. Aber dass es auch eine Form von politischem Missbrauch gab, der sich in dem manifestiert, was in Zitaten und Vermerken vorliegt, ist belegt. Hier sollten schöne Projekte gebaut werden, und hier sollte es nicht auf die Kosten ankommen.

Zu dem, was hier heute schon zu den Hochschulbauten gesagt wurde: Ja, es gibt eine große Kostensteigerung. Es gibt sie auch deswegen, weil sie mit viel zu niedrig angesetzten Kosten auf Kiel gelegt worden sind, damit man das Ding wenigstens schon mal in Gang hatte. Zum Teil liegen die Kosten heute in einer Kostenregion – das lässt sich nachweisen –, die relativ im Durchschnitt dessen liegt, was Hochschulbauten in dieser Qualität kosten. Das Problem ist nur: Sie sind vorher viel zu niedrig veranschlagt worden, um sie in Gang zu bekommen.

Sie werden wahrscheinlich sagen, Sie seien missverstanden worden; denn so wird das aus Ihrem Antrag gar nicht deutlich: Ich meine die in der Öffentlichkeit kommunizierte Zerschlagung des BLB, die Auflösung des BLB. Um diese Schlagzeile ging es doch vorige Woche, als Sie diesen Antrag gestellt haben. Wenn man sich das anschaut, stellt man fest: Wir reden über einen Betrieb, der nicht nur ein Bauvolumen von über 600 Millionen bis zu einer Milliarde im Jahr hat, sondern der 10,5 Millionen m² Flächen vermietet, und zwar nicht irgendwelche Flächen, die man an jeden vermieten kann. Hier geht es um Universitäten, hier geht es um Gerichte, hier geht es um Polizeipräsidien und hier geht es um Justizvollzugsanstalten. Es geht nicht um Gebäude, zu denen man sagen kann: Das machen wir nicht mehr in staatlicher Regie; das lassen wir jemanden anderen machen; der kann das alles bestimmt viel besser.

Der BLB hat aufgrund dessen, was er für das Land baut – das habe ich, weil wir alles hier mehrfach gesagt haben, auch schon mehrfach gesagt –, eine Sonderstellung. Er hat die Sonderstellung, dass er dem Land gehört und das Land der einzige Kunde ist. Das bringt eine Menge von Dingen mit sich, die in der Tat, auch was die Kontrollmechanismen anbelangt, verbessert werden müssen. Daran arbeiten wir. Daran haben wir schon gearbeitet.

Wir haben 2011 eine Reihe von Punkten direkt umgesetzt: dass etwa die Genehmigung von Grundstücksgeschäften nur noch im Vier-Augen-Prinzip erfolgen darf. Man würde sagen: Das müsste selbstverständlich sein. Das war es aber nicht. Grundstücksgeschäfte sind getätigt worden, ohne vorher eine Wertermittlung vorzunehmen. Man sollte annehmen, das ist selbstverständlich. Das war es aber nicht. Man sollte annehmen, dass keine Vorratskäufe getätigt werden, nicht nur bei den Domgärten, auch beim Vodafone-Hochhaus, wenn das zum Regelwerk gehört. Das war es aber nicht. Die Dinge haben wir alle schon in der ersten Phase geändert.

Deswegen noch einmal: Jetzt könnten diese Dinge gar nicht mehr stattfinden. Trotzdem sind wir noch nicht am Ende mit der Verbesserung,

(Zuruf von der FDP)

und zwar aus mehreren Gründen, weil es eine sehr schwierige, langwierige, manchmal auch kontroverse Debatte darüber gibt, was der BLB alles erfüllen muss. Das könnte man auch nicht einem Privaten übergeben, ohne dass er sich vertraglich verpflichten müsste, kostensteigernd bestimmte Ziele zu erreichen. Denn der BLB baut in vielen Städten und Kommunen dieses Landes. Er hat sich an der Städtebauentwicklung und Stadtplanung in diesen Gemeinden zu beteiligen. Er hat baupolitische Ziele der Landesregierung umzusetzen.

Wir können nicht als Landesregierung Baupolitik vorgeben, Umweltstandards fordern und sagen: Wenn aber das Land Immobilien nutzt, brauchen es die Vorgaben nicht einzuhalten. Wir können nicht als Land Immobilien anmieten wollen, die mit Billigarbeitskräften aus anderen Ländern gebaut worden sind, sondern wir müssen Standards voraussetzen. Wenn wir das tun, ist es ziemlich egal, ob das beim BLB gemacht wird oder anderswo – bei anderen können wir es nur nicht kontrollieren und uns dahinter verstecken und sagen, das ging nicht anders –, dann wird das in den Kosten seinen Niederschlag finden.

Das sind Sachverhalte, die diskutiert werden müssen. Da muss abgewogen werden zwischen einem sorgfältigen Umgang mit Steuergeldern – mit öffentlichen Mitteln – und Qualitätszielen und Zielen, die genauso im öffentlichen Interesse und im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler liegen. Daran arbeiten wir. Wir haben viele Konsequenzen gezogen. Wir sind dabei – das habe ich im Haushalts- und Finanzausschuss zugesagt –, nach der Sommerpause, in der zweiten Jahreshälfte, diese Eckpunkte zur Diskussion zu stellen und zu verabschieden.

Ich denke, es ist viel Arbeit zu leisten, aber wir sollten aufhören, immer wieder den BLB so zu diskreditieren, dass die Menschen, die da arbeiten, zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen werden. Das haben sie nicht verdient. Sie machen einen guten Job. Wir haben unseren Job zu machen, das auf dieser Grundlage weiterzuentwickeln. Das tun wir. Darüber lassen Sie uns nach der Sommerpause reden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Bleiben Sie gleich am Rednerpult. Herr Kollege Schulz hat den Wunsch zu einer Kurzintervention geäußert, die ihm gewährt ist. Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrter Herr Finanzminister, nachdem Sie Ihre Rede abgeschlossen haben, gehe ich auf die Mitte oder den Anfang Ihrer Rede zurück, wo Sie sagten, dass ich einmal gesagt hätte: Der Fisch stinkt vom Kopf. – Ja, Sie gehen recht in der Annahme, dass es auch darum geht, den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BLB sicherzustellen. Wie Sie dann den Salto hinbekommen, wenn ich sage, dass der Fisch vom Kopf stinkt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen werden hinsichtlich der Entscheidungen, die von der Führung des Unternehmens ausgehen, finde ich bemerkenswert.

Entscheidend ist doch Folgendes: Sie haben vor nicht allzu langer Zeit, vor wenigen Tagen, den zweiten Geschäftsführer abberufen aus der Geschäftsführung des BLB und hier auch gestern noch zur Begründung angegeben, dass Sie dies aus der Fürsorgeverpflichtung gegenüber dem Geschäftsführer heraus getan haben, um ihn aus der Schusslinie der Öffentlichkeit zu nehmen. Sie können natürlich nur schlecht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Finanzministerium berufen, um sie wegen der Managementfehler der vergangenen Jahre und wegen der Skandalträchtigkeit aus der Schusslinie zu nehmen, die daraus resultiert, dass nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern die Führungsebene des BLB und möglicherweise auch die Aufsicht innerhalb des Finanzministeriums Mist gebaut haben. Wie wollen Sie das, indem Sie sich vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BLB stellen, denen erklären?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe Ihnen erklärt, dass die Fürsorge für den Geschäftsführer nicht der einzige Grund war, sondern dass auch das, was sich im BLB tut und wie wir den BLB für die Zukunft aufstellen, damit zusammenhängt.

Jetzt geht es genau darum, dass ich es auch nicht zulasse, dass diejenigen, die die Verantwortung in der Spitze getragen haben – die beiden Geschäftsführer, die zuletzt da waren –, diskreditiert werden, weil es dafür überhaupt keinen Anhaltspunkt gibt. Es gibt ein funktionierendes Management. Fragen Sie einmal die Menschen im BLB. Die werden sich nicht hinstellen und sagen: Hätten wir nicht eine solch furchtbare Führung, dann wäre alles wunderbar!, sondern die werden Ihnen sagen: Innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen hat auch das Management einen wichtigen und guten Job geleistet. Deswegen sage ich noch einmal: Ich lasse nicht zu, dass Menschen beschädigt werden – auch nicht, wenn sie aus der Funktion abberufen habe –, indem neue Spekulationen und Verdachtsmomente produziert werden. Dann müssen Sie dafür auch Belege beibringen.

Es ist so, dass der BLB weiterzuentwickeln ist. Das ist keine Frage. Sie haben ja nicht nur gesagt, der Fisch stinkt vom Kopf her, sondern Sie haben gesagt, die Mitarbeiter arbeiten nur so gut wie ihre Führung. Wenn Sie die Führung für schlecht halten, dann sagen Sie damit auch, dass die Mitarbeiter schlecht arbeiten. Das ist aber keine richtige Einschätzung der gesamten Arbeit des BLB. Sie suchen sich fünf Projekte heraus, die ihren Ursprung in einer bestimmten Zeit hatten, und übertragen das auf die gesamte Zeit, in der es eine andere Regierung und ein anderes Reglement gibt, um das zu kontrollieren.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Redner hat Herr Dr. Optendrenk für die CDU-Fraktion das Wort.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich will direkt Ihre Frage beantworten, wie häufig wir dieses Thema hin und her wenden wollen. Die Antwort ist ganz einfach: Wenn Sie nach über zweieinhalb Jahren vielleicht nach der Sommerpause als gesamte Landesregierung zu der Erkenntnis gekommen sind, was Sie denn wollen, und wenn Sie das Konzept hier vorlegen, dann werden wir das beraten. Solange Sie aber kein Konzept vorlegen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Menschen nicht nur im Lande, sondern auch die Abgeordneten wissen wollen, wohin es geht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie müssen sich damit abfinden, dass die Fragen offen sind, wenn Sie diese nicht beantworten. Sie sprechen zwar in vielen Minuten viele Sätze, aber Sie sagen nichts zur Zukunft des BLB. Das ist das Kernproblem bei dieser Geschichte.

Herr Minister, nicht alles, was geklittert wird, ist Geschichte, auch wenn Sie das eben wieder versucht haben. Sie haben zunächst einmal das Zitat des Kollegen Schmitz aus dem Zusammenhang gerissen. Der hat nämlich nicht davon gesprochen, dass der BLB Verursacher der Kosten bei der Uniklinik Aachen gewesen sei, sondern er hat dem Kollegen Zimkeit widersprochen, der gesagt hat, das Landesarchiv sei das größte Bauskandalprojekt in der Geschichte des Landes. Nein, das ist evident falsch. Sehen Sie sich die Summen an, die in Aachen Gegenstand der Erörterungen gewesen sind. Es gab Untersuchungsausschüsse; Sie kennen das aus Ihrer früheren Tätigkeit auch noch. Sie können das aufarbeiten. Es ging nicht um den BLB, sondern es ging um die Dimension des größten Bauskandals in der Geschichte des Landes. Da hat Herr Schmitz recht, nicht Herr Zimkeit und auch nicht Sie!

(Beifall von der CDU)

Dann haben Sie die Fehlbehauptung aufgestellt, der Untersuchungsausschuss zum BLB befasse sich ausschließlich mit Projekten, die in der Zeit von Schwarz-Gelb begonnen oder durchgeführt worden seien. Auch dies ist falsch. Ich nenne Ihnen ein einziges Beispiel – ich könnte mehrere nennen –, nämlich das Landesbehördenhaus in Bonn. Ich kann mich daran aus anderer Tätigkeit erinnern: Es gab Präsentationen des von Ihnen jetzt zurückgerufenen Geschäftsführers, als er noch Abteilungsleiter im Finanzministerium war, im Unterausschuss „Landesbetriebe und Sondervermögen“. Da gab es nach meiner Erinnerung auch eine Präsentation über dieses Landesbehördenhaus. Das war ein Projekt, das hatte nichts mit Schwarz-Gelb zu tun. Es ist aber Gegenstand des Untersuchungsausschusses, und zwar nachweislich aus guten Gründen. Der Landesrechnungshof und Ihre Mitarbeiter können Ihnen dazu vieles berichten.

Dann möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie auch an der Stelle der Kostenfrage bezogen auf die Politik versucht haben, das ein wenig schräg darzustellen. Sie haben da etwas aus dem Kontext gerissen: Um Geld sollte es bei diesen politischen Entscheidungen der alten Landesregierung vor 2010 nicht gehen. Das stammt jedoch aus einem Architektenwettbewerb für 2007. Da sollte es darum gehen, dass das Thema der architektonischen Qualität, und zwar bevor irgendjemand damit politisch oder in der Regierung befasst war, zunächst nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Kosten beraten werden sollte. Auch das ist im Grunde genommen schräg.

Dann geht es um das Vieraugenprinzip, Herr Minister. Das Vieraugenprinzip ist bereits 2008 realisiert und nur in Ihrer Dienstanweisung erst 2011 umgesetzt worden. 2009 und 2010 war es jeweils schon ein Verstoß gegen die inneren Regeln des BLB, das Vieraugenprinzip nicht umzusetzen. Deshalb ist Ihr Handeln, das Vieraugenprinzip in eine Dienstanweisung zu schreiben, wenn es im Betrieb selbst schon Praxis und Vorschrift war, natürlich richtig, aber keine Problemlösung. Wenn etwas im Betrieb schon galt, können Sie es sich nicht auf die Fahne schreiben, das 2011 so toll geregelt zu haben. Die Wahrheit ist: Sie haben nichts geregelt.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP] – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Sie haben die Grundstrukturen nicht verändert. Sie haben offensichtlich weder die Kraft noch die Energie – vielleicht haben Sie eine Frau Kraft, aber die hat dafür offensichtlich auch keine Kraft –, das entsprechend zu lösen.

Wenn Sie dann mit den Terminplänen ankommen, Herr Minister, wann Sie das Konzept endlich vorlegen wollen, hoffe ich, dass Sie energischer vorgehen als bei dem, was Sie in den letzten zweieinhalb Jahren gemacht haben. Da haben Sie nämlich nichts vorgelegt. Sie und die Mitarbeiter Ihres Hauses haben immer berichtet: Ja, die Ressortabstimmung läuft noch. Wir haben uns bisher nicht einigen können. Es gibt noch Ressortwiderstände. – Vielleicht gibt es irgendwann einmal eine politische Entscheidung dieser Landesregierung. Das wäre ganz schön.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Zur beratenden Funktion des Verwaltungsrates sind wir uns mit den Grünen einig und auch mit der FDP, wenn es nicht zu einer Privatisierung kommt: Dieser Verwaltungsrat ist jedenfalls kein geeignetes Kontrollinstrument. Es war es auch nie und ist auch nicht so konzipiert worden. Der Verwaltungsrat hat eine beratende Funktion, und deshalb sind die Verwaltungsratsmitglieder – alle – nicht in der Lage, effektiv zu kontrollieren. Es wäre besser, diesen erweiterten Kunden- und Parlamentsbeirat in der Form aufzulösen und etwas anderes an seine Stelle zu setzen. Das ist übrigens der Gegenstand unseres Antrags gewesen, den wir hier schon vor einigen Wochen diskutiert haben.

Abschließend: Wenn Sie wirklich der Meinung sind, dass jetzt etwas passieren sollte, überlegen Sie mal, ob nicht ein breiterer politischer Konsens bei der Aufstellung dieses Betriebs sinnvoll wäre. Bei der Gründung des Betriebs gab es diesen breiten Konsens. Sie haben bisher nichts unternommen, um dieses Hohe Haus einzubinden. Sie sollten spätestens in der Sommerpause überlegen, wie Sie es machen. Es wäre für die Zukunft des Betriebes mit Sicherheit die beste Lösung, wenn es auch hier im Hohen Hause einen Konsens über die Grundstrukturen gäbe. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. Bitte bleiben Sie gleich am Rednerpult stehen. Herr Kollege Witzel hat um eine Kurzintervention gebeten. Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Dr. Optendrenk, weil Sie uns direkt angesprochen haben, möchte ich ausdrücklich bestätigen, dass wir bei den Fragen: „Was muss an Reformen bei der Aufsicht passieren?“ und „Wo liegen die Defizite beim Verwaltungsrat?“ sicherlich nicht weit auseinander sind.

Ich wollte noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mich gerade in der Darstellung des Ministers etwas überrascht hat. Es geht um das Vieraugenprinzip. Wir halten es für eine schlichte Selbstverständlichkeit, dass das aus Compliance-Gründen gegeben sein sollte, wenn große Millionenbeträge über den Tisch gehen.

Zugleich zeigen die Domgärten: Das Vieraugenprinzip stellt trotzdem nicht sicher, dass es nicht zu all diesen hochproblematischen Handlungen kommt. Denn bei den wesentlichen Entscheidungen, die in Köln bei den Domgärten so teuer geworden sind, haben immer – das kann man auch im Bericht des Landesrechnungshofs nachlesen – ausdrücklich beide Geschäftsführer gezeichnet, paraphiert, genehmigt, freigegeben – trotz all der Warnhinweise in den Fachabteilungen. Deshalb bin ich etwas erstaunt, dass der Minister die Rolle des Vieraugenprinzips pauschal so unkritisch sieht, auch was den gerade ins Ministerium versetzten Geschäftsführer angeht.

Ich wollte Sie, Herr Dr. Optendrenk, fragen, wie Sie das Vieraugenprinzip sehen. Ist es ausreichend, oder braucht man nicht noch sehr viel weiter reichende Maßnahmen?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege Witzel, Sie haben sich die Antwort im Grunde selbst gegeben.

(Lachen von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Gut!)

Wir haben in unserem Antrag, den wir im Mai beraten haben, dargestellt, was wir für erforderlich halten. Man muss die gesamte Struktur des BLB – die Aufsicht intern sowie die Strukturen und Verantwortlichkeiten im Verhältnis zum Land – auf neue Füße stellen. Das ist nichts Revolutionäres, aber etwas Notwendiges. Das Vieraugenprinzip ist sicher ein Beitrag dazu, um Missbrauch und Fehlentscheidungen Einzelner zu verhindern und ein Stück mehr Kontrolle in den Strukturen zu bekommen. Aber es ist in der Tat so, wie Sie es schildern. Es ist sicherlich nur ein kleiner Baustein.

Wir haben unsere Vorstellungen auf den Tisch gelegt. Ich denke, es wäre tatsächlich an der Zeit, dass die Landesregierung überkommt. Ich glaube auch nicht, dass es wichtig ist, ob das Finanzministerium oder irgendein anderes Ministerium schuld ist. Die Landesregierung ist als Ganzes gefordert. Ich bin mir sicher, dass die verbleibenden Sitzungen des Kabinetts bis zur Sommerpause dafür fruchtbar genutzt werden, damit wir nach der Sommerpause hier eine entsprechende Regelung diskutieren können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und Ralf Witzel [FDP])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Wedel das Wort.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mostofizadeh, Sie haben ausgeführt, dass aus Ihrer Sicht letztlich die Aufsicht das Problem, des Pudels Kern, bleibt. Auch der Minister hat dargelegt, das Problem bei der Aufsicht sei, dass diejenigen, die die Aufsicht ausübten, gleichzeitig die Kunden des BLB seien.

Sie haben immer Vorgänge aus der Zeit vor 2010 angeführt, um die politische Verantwortlichkeit von CDU und FDP zu konstatieren. Aber Sie müssen sich ja schon fragen, weshalb Sie diese Probleme mit der Aufsicht vier Jahre nach Regierungsübernahme immer noch nicht gelöst haben.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das schreibt Ihnen der Landesrechnungshof auch permanent ins Stammbuch: einzelfallübergreifende Empfehlungen des Landesrechnungshofs aus dem Jahre 2013 – nicht umgesetzt.

Der Landesrechnungshof hat Ihnen auch im jüngsten Sonderbericht noch einmal zur Kenntnis gegeben, dass die Aufsicht in ihrer jetzigen Form – durch das Finanzministerium – nicht ausreichend ist.

Wenn Sie die letzte Sitzung des Unterausschusses „Landesbetriebe und Sondervermögen“ nehmen, werden Sie feststellen, dass der Landesrechnungshof beispielsweise insofern einer anderen Auffassung ist als der Minister, als dass der Minister meint, so ein Fall wie bei den Domgärten könnte nicht mehr stattfinden.

Der Landesrechnungshof hat das ganz anders gesehen.

Ich möchte angesichts der verrinnenden Zeit noch auf einen Gesichtspunkt zu sprechen kommen, nämlich dazu, dass in der Grundkonstruktion des BLB Interessenskonflikte angelegt sind, die nicht so einfach auflösbar sind.

Nach dem Vermieter-Mieter-Modell sind die Interessen der Ressorts und des BLB nun einmal nicht deckungsgleich. Worauf sich beide einigen, muss wiederum mit dem Interesse des Gesamthaushalts nicht zwingend kompatibel sein. Da braucht man sich erstens nicht zu wundern, dass die Aufsicht über den BLB nicht funktioniert; man braucht sich ebenso wenig zu wundern, dass sich die angekündigten Eckpunkte für die Neustrukturierung immer noch in der Ressortabstimmung befinden. Natürlich haben die Ressorts kein Interesse daran, sie im Endeffekt begünstigende Regelungen aufzugeben.

Und, meine Damen und Herren, auch das müsste Ihnen zu denken geben: Gestern war im „Soester Anzeiger“ …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dirk Wedel (FDP): … von dem Fall des Amtsgerichts Werl die Rede, wo das Justizministerium dem Oberlandesgericht Hamm nunmehr die Möglichkeit gegeben hat, auf dem freien Markt eine Lösung zu finden, weil man schließlich verpflichtet sei, die wirtschaftlichste Lösung zu finden, die der BLB nicht bereitstellen könne.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Dieses aktuelle Beispiel kann aus unserer Sicht Schule machen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Dirk Wedel (FDP): Ich komme zum Ende.

Was die FDP fordert, kann also durchaus Realität in NRW werden. Man muss es nur wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, sodass ich die Debatte zum Tagesordnungspunkt 4 schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6126 an den Haushalts- und Finanzausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand dagegen? – Nein. Enthaltungen? – Ebenfalls nicht. Dann haben wir so verfahren.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

5   Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5751

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/6150

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6231

zweite Lesung

Die Fraktionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, diesen Tagesordnungspunkt nicht nach Block II, sondern nach Block I zu debattieren.

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Herter.

Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute das Begleitgesetz über die Förderung der kommunalen Aufwendungen im Hinblick auf die schulische Inklusion. Trotz aller Unkenrufe: Das Gesetz wird pünktlich vor Inkrafttreten des Neunten Schul-rechtsänderungsgesetzes hier heute im Landtag beschlossen. Trotz aller Unkenrufe: Das Gesetz wird einvernehmlich mit den kommunalen Spitzenverbänden gesehen – eine Sache, die uns wichtig war, insbesondere im Hinblick darauf, dass wir in einer Verantwortungsgemeinschaft für die Umsetzung der schulischen Inklusion stehen. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetz ist vorbildlich auch im Vergleich zu anderen Bundesländern.

175 Millionen € auf fünf Jahre für Schulbau und eine Inklusionspauschale, die das nicht lehrende Personal unterstützt, sowie zwei weit reichende Evaluationsvereinbarungen: Das ist der Beitrag, den jetzt hier das Land Nordrhein-Westfalen für das Gelingen des kommunalen Teils der schulischen Inklusion leistet.

Ich will zitieren aus der Stellungnahme einer Dame, die unverdächtig ist. Die Dame hat nämlich ein Gutachten vorher übermittelt, das unter den Namen Schwarz/Weishaupt bekanntgeworden ist und im Auftrag der kommunalen Spitzenverbände das Ganze im Vorhinein evaluiert hat und – man darf das, glaube ich, sagen – sehr kritisch gesehen hat.

Sie attestiert diesem Gesetz in der entsprechenden Anhörung: „… ein weiterer wichtiger und vor allem konsequenter Schritt bei der Umsetzung der Inklusion im Schulbereich in Nordrhein-Westfalen“, der zu einer qualitätsvollen Inklusion führen könne. – Sie endet dann: Nordrhein-Westfalen nehme damit eine Vorbildfunktion ein. Insoweit „wird der Gesetzentwurf bundesweit hoffentlich richtungsweisend sein.“

(Beifall von der SPD)

Ich finde, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist schon aller Ehren wert.

Ihr Entschließungsantrag, meine sehr verehrten Damen und Herren der CDU, ist allerdings ein weiterer Beleg dafür, wie einsam es in einem Sattel sein kann, wenn das Pferd untendrunter tot ist. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mit einem Dank beginnen, und zwar an alle Kolleginnen und Kollegen, die es ermöglicht haben, dass wir in einem so zügigen Verfahren die Anhörung durchgeführt haben, an die Landtagsverwaltung, die das dadurch unterstützt hat, dass wir das Protokoll schnell bekommen haben.

Gestern Morgen hatten wir die zusätzliche Ausschusssitzung, in der wir miteinander die Diskussion führen konnten und gemeinsam das Gesetz beschlossen haben, das gestern im Ausschuss einstimmig beschlossen worden ist, weil sich die Kolleginnen und Kollegen der Opposition enthalten haben und somit mittelbar diese Anstrengung des Landes auch würdigen und mittragen.

Ich will es an dieser Stelle sagen: Die Verlässlichkeit ist hergestellt. Die 175 Millionen €, die den Kommunen jetzt zur Unterstützung des Inklusionsprozesses zusätzlich gegeben werden, sind eine weitere Kraftanstrengung des Landes, gerade auf der Folie der Debatte gestern. Und es ist auch noch einmal wichtig für die Eltern, für die Kinder, für die Kolleginnen und Kollegen, dass bei der Haushaltssperre der Bereich der Personalbesetzung im Schulbereich ausgenommen ist – gerade für den Inklusionsprozess ein sehr wichtiges Signal.

Der Kollege Herter und ich haben uns nicht abgesprochen. Aber ich will auch noch einmal auf die Ausführungen von Frau Dr. Schwarz rekurrieren, die es in ihrer Stellungnahme zur Anhörung sehr eindeutig formuliert hat. Sie ist in der Tat unverdächtig, auch wenn wir in den Ausführungen ihres Gutachtens einige Punkte hatten, zu denen wir kritische Anmerkungen hatten, zum Beispiel, weil sie in den Annahmen gar nicht berücksichtigt hat, dass wir den Kommunen auch Möglichkeiten gegeben haben, sehr sorgsam und schrittweise in den Inklusionsprozess hineinzugehen, Schwerpunktschulen zu bilden, was aus unserer Sicht auch wichtig ist, damit die wertvolle Ressource der Sonderpädagogik nicht in homöopathischen Dosen über das Land verteilt wird.

Wir wollen die Fachlichkeit. Und wir wollen die Einbindung der Kollegen und Kolleginnen in die Gremien und Kollegien, sodass sie dort zuhause sind und mit den Kollegen und Kolleginnen, die in den allgemeinbildenden Schulen arbeiten, gemeinsam Verantwortung übernehmen können.

Frau Dr. Schwarz führt in der Tat aus:

„Aus unserer Sicht ist dieser Gesetzentwurf ein weiterer wichtiger und konsequenter Schritt für eine qualitätsvolle Umsetzung und einen flächendeckend gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger inklusiver Schulbildung in Nordrhein-Westfalen.“

Der Gesetzentwurf eröffnet die Möglichkeit, eine in Deutschland bislang einmalige Entscheidungsgrundlage für weitere politische Prozesse im Zuge der Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonven-tion zu schaffen. Das genau ist der Punkt, der – das dokumentiert der Antrag der CDU – offensichtlich nicht verstanden worden ist. Inklusion ist kein Zustand, Inklusion ist ein Prozess.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In diesen Prozess begeben wir uns hinein. Das machen wir in der Schrittigkeit. Deswegen ist in dem Gesetz die entsprechende Evaluationsklausel ganz klar definiert; denn im Augenblick stehen wir auf dem Boden von Annahmen. Diese Annahmen stammen einmal aus einem Gutachten, das von Frau Dr. Schwarz mitverantwortet wurde, andererseits aus einem Gutachten, das Prof. Klemm als gemeinsamer Gutachter der kommunalen Spitzenverbände und der Landesseite erstellt hat. Das sind die Grundlagen dafür, dass wir diesen Betrag – im Übrigen mit einer Zusatzsumme, die in die 175 Millionen € eingerechnet worden ist – ausgebracht haben. Wir haben eben nicht den niedrigeren Betrag angesetzt, den Herr Prof. Klemm in seinem Gutachten dargestellt hat.

In der Tat hätten wir etwas früher fertig sein können.

(Zuruf von André Kuper [CDU])

– Ja, vor einem Jahr, Herr Kuper. – Ich habe es hier schon einmal in einem Redebeitrag gesagt, sage es aber noch einmal: Wir hätten schon Weihnachten 2012 fertig sein können. Da war das Angebot der Landesseite genauso: Setzen wir uns gemeinsam hin und beschreiben wir miteinander einen solchen Prozess. Damit wären wir in einen Arbeitsprozess hineingekommen. Das hätte man haben können.

Das Wichtige aber ist: Es ist gelungen, es gibt die entsprechende Vereinbarung, die im Übrigen schon wirkt; denn die Arbeitsgruppe tagt bereits. Von daher ist heute ein guter Tag für die Entwicklung der Inklusion in Nordrhein-Westfalen. Ich bedanke mich bei allen, die daran – auch in den sehr konstruktiven und effektiven Gesprächen, die wir miteinander geführt haben – mitgewirkt haben. Wir können in diesem Prozess weitermachen. Ich sage es noch einmal: Inklusion ist kein Zustand, Inklusion ist ein Prozess; und den begleiten wir von der Landesseite aus verantwortungsvoll.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kuper.

André Kuper (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, lieber Kollege Herter: Sie waren auf einem Weg, auf dem Sie sich sehr vergaloppiert hatten. In der letzten Sekunde haben Sie gerade noch einmal die Kurve bekommen.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kollegin Beer, Sie haben sicherlich zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie vor einem Jahr hätten fertig sein können und dass Sie ein Angebot unterbreitet hatten. Wenn man aber sieht, welche Inhalte dieses Angebot im letzten Jahr hatte und was jetzt als Vereinbarung zustande gekommen ist, erkennt man himmelweite Unterschiede.

Mit dem heutigen Tag findet ein aus unserer Sicht wahrhaft unwürdiges Verfahren bezüglich einer der größten Herausforderungen und Chancen des Bildungssystems – dabei geht es um den gemeinsamen Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten – seinen vorläufigen parlamentarischen Abschluss.

Seit mehr als zwei Jahren streiten Sie mit den Kommunen darüber, wer die Kosten der Umsetzung dieses Mammutprozesses bezahlen muss.

Klar ist, dass eine ausreichende Finanzierung eine der wesentlichsten Gelingensbedingungen für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern sein wird.

Über diesen wichtigen Streit aber sind leider viele andere Dinge auf der Strecke geblieben, was der guten Sache des gemeinsamen Unterrichts geschadet hat. So hat es auch der Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung, Herr Norbert Killewald, in der Sachverständigenanhörung formuliert: „Was vor dieser Vereinbarung gelaufen ist, hat der Inklusion in NRW geschadet.“ – So das Zitat.

Meine Damen und Herren, Inklusion ist ohne Mehrkosten und ohne Kostenerstattung für die Kommunen nicht zu machen. Gut, dass Sie, meine Damen und Herren der regierungstragenden Fraktionen, es jetzt mit diesem Gesetzentwurf endlich verstanden haben. Sie müssen sich dabei aber nicht der Kommunalfreundlichkeit rühmen. Nein, die Kostenerstattung oder Konnexität ist einerseits ein Recht der Kommunen, andererseits die Pflicht des Landes.

Mit Ihrem unwürdigen Verfahren riskieren Sie durch die Aufspaltung zwischen der konnexitätsrelevanten Grundentscheidung über das Schulrechtsänderungsgesetz und der heute erfolgten Regelung über die Kostendeckung im Inklusionsfinanzierungsgesetz – ich nenne es einmal so – die Verfassungswidrigkeit. – Das haben Ihnen übrigens die kommunalen Spitzenverbände – und speziell Frau Prof. Dr. Faber – in der Anhörung auch noch einmal aufgezeigt. Sie haben es auch dokumentiert.

Mit diesem Finanzierungsgesetz erstatten Sie den Kommunen die eben schon zitierten Beträge. Allerdings muss man auch deutlich sagen: Für dieses Jahr bedeutet das Inklusion nach Kassenlage der Kommunen; denn es gibt dieses Geld erstmals im Jahre 2015. Von daher ist das nur für die Zukunft eine planbare Größe.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kuper, entschuldigen Sie.

André Kuper (CDU): Es geht um die Auszahlung, nicht um die Wirkung.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kuper, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Beer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

André Kuper (CDU): Machen wir es hinterher, aber jetzt nicht jetzt. Ich möchte erst vortragen. – Sowohl Korb I als auch Korb II sind zu prüfen bzw. zu evaluieren. Wir werden uns ansehen, wie Sie in diesem Verfahren mit den kommunalen Spitzenverbänden weiter umgehen. Die Frage wird sein, wie schnellstmöglich ein gerechtes und fundiertes Evaluierungssystem gefunden und praktiziert werden kann.

Meine Damen und Herren der regierungstragenden Fraktionen, Sie haben mit dem Änderungsantrag, den Sie in den Schul- und Kommunalausschuss eingebracht haben, einige Vorschläge der kommunalen Spitzenverbände zur Änderung aufgenommen, andere nicht. Über die nicht eingebauten müsste man hier noch einmal reden.

Sie beschränken zum Beispiel die Konnexität- und Erstattungsrelevanz rein auf die Sachkosten, obwohl Sie in der Vereinbarung eine andere Regelung getroffen hatten. Da hatten Sie nämlich vereinbart, die Kosten der Schulträger zu übernehmen. Das sind nicht nur Sachkosten, sondern Personal- und Sachkosten nach § 92 des Schulgesetzes. Mit dieser Abweichung weigern Sie sich, den Wortlaut der Vereinbarung zwischen Land und kommunalen Spitzenverbänden eins zu eins umzusetzen. Für mich bzw. für uns ist das wieder ein Wortbruch.

Bei der Inklusionspauschale beziehen Sie die Sekundarstufe II jetzt mit ein, allerdings eben nur bei der Inklusionspauschale und nicht im Bereich des Belastungsausgleichs, der konnexitätsrelevant ist.

Ich hoffe also sehr, dass im Sinne der Lehrerinnen und Lehrer, der Eltern, der Kinder mit und ohne Behinderung zukünftig Fragen der Qualitätsverbesserung und der Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für unsere Kinder an allen Schulen in diesem Land in den Vordergrund rücken können. Das liegt in Ihren Händen, Frau Ministerin Löhrmann. Wir werden Ihnen dabei weiter auf die Finger schauen.

Wir empfehlen Ihnen die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag und werden uns bei Ihrem Gesetzentwurf enthalten. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Wollten Sie jetzt noch eine Frage stellen, Frau Kollegin Beer?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das hat sich jetzt erledigt!)

– Danke schön. Ich wäre heute mal großzügig gewesen. Dann machen wir es aber so. Dann bleiben wir auch in der normalen Geschäftsordnung. – Die nächste Rede kommt von der FDP von der Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Herter, Sie haben das Thema „Pünktlichkeit“ angesprochen. Das Gesetz ist sicherlich jetzt pünktlich zum 1. August 2014. Aber die Planungssicherheit, die den Schulen fehlt, das Geld, das den Schulen fehlt, sollte man in diesem Zusammenhang auch ehrlicherweise erwähnen.

Frau Beer, ja, das Angebot des Landes zu verhandeln gab es. Aber Frau Löhrmann hat auch immer wieder gesagt: Ich verhandle gerne mit den kommunalen Spitzenverbänden, aber an meiner Meinung zu dem Thema „Anerkennung der Konnexität“ wird sich nichts ändern.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Sie sagen die Unwahrheit!)

– Nein, wir waren zusammen auf mehreren Veranstaltungen. Ganz klar war das die Ansage: Ich trete in Verhandlungen, aber die Konnexitätsfrage brauchen wir hier nicht zu diskutieren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das war bei jeder Verhandlung mit den kommunalen Spitzenverbänden der Fall. Dass diese dann irgendwann erklärt haben, dann bräuchten sie auch nicht in Verhandlungen einzutreten, kann man ihnen nicht verübeln.

Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz setzt Rot-Grün nun – Herr Kuper hat es schon ausgeführt – teilweise die mit den kommunalen Spitzenverbänden getroffene Vereinbarung zur Inklusion um.

Ich möchte noch mal ein paar Bemerkungen zum rot-grünen Vorgehen in diesem Zusammenhang machen. Herr Kuper hat schon etwas vorgetragen zum Umgang mit den kommunalen Spitzenverbänden.

Zu diesem Gesetz gab es in der vergangenen Woche eine Anhörung, von der wir alle im Nachhinein gesagt haben, dass es richtig gewesen ist, dass diese Anhörung stattgefunden hat.

In dieser Anhörung, Frau Beer, haben Sie gegenüber den kommunalen Spitzenverbänden Verlässlichkeit angekündigt. Das waren Ihre Worte. Sie haben gesagt, die Fraktionen hätten sich untereinander parlamentarisch verständigt, dass eine Auswertung der Anhörung am gestrigen Mittwoch vor dem Plenum durchgeführt werde. Die Verlässlichkeit sei – an dieser Stelle darf ich gerne mal zitieren – „gegeben, so wie man das miteinander besprochen habe“. – Frau Hendricks deutete für die SPD ferner an, dass es noch Überlegungen/Gedanken in Bezug auf Änderungen am Entwurf gäbe.

Meine Damen und Herren, wir sind davon ausgegangen, dass das der Fall sein würde.

Just einen Tag später erzwingen Sie dann im Haushaltsausschuss eine Abstimmung über diesen ursprünglichen Gesetzentwurf, ohne dass wir vorher miteinander gesprochen hätten.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Da sage ich Ihnen, Frau Beer: Das ist ein Verhalten, das nicht in Ordnung ist. Das ist kein guter Stil, wenn man ankündigt, dass wir die Auswertung dieser Anhörung abwarten, Sie dann aber eine Abstimmung erzwingen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Das können Sie ja anders sehen. Aber ich kann von Verlässlichkeit hier nicht mehr sprechen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie wussten doch, wann die entscheidende Sitzung ist!)

– Wir haben da einen Dissens. Aber das mag ja vorkommen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Damit kann man umgehen!)

– Genau, damit können wir umgehen. Man muss ja nicht immer der gleichen Meinung sein.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wenn das so wäre, dann kämen wir ja auch keinen Schritt weiter. Von daher dient das sicherlich häufig auch der Sache.

Aber – ich wiederhole – es war ja nicht immer so, dass man den Kommunen finanzielle Hilfe zukommen lassen wollte, Stichwort „Konnexität“. Das hat natürlich den Inklusionsprozess auch ein Stück weit beschädigt.

Sogar der Behindertenbeauftragte, Herr Killewald – ein früherer SPD-Abgeordneter –, hat in der Anhörung in der vergangenen Woche erklärt, dass die Streitereien diesem Inklusionsprozess tatsächlich geschadet haben.

(Zuruf von der SPD: Man streitet sich nie allein!)

Herr Kuper hat es schon angeführt: Die kommunalen Spitzenverbände haben nochmals unterstrichen, dass dieses Neunte Schulrechtsänderungsgesetz die Verfassungswidrigkeit nicht heilen kann.

Auch die finanzielle Umsetzung – so nenne ich das jetzt mal – ändert nichts daran, dass wir ein schlechtes Inklusionsgesetz ohne jegliche Qualitätsstandards haben, dass wir keine ausreichende Vorbereitung durch Fortbildungen für unsere Lehrerinnen und Lehrer haben und dass wir die Wahlmöglichkeiten für die Eltern zwischen Regelschule und Förderschule aushöhlen, indem wir in Nordrhein-Westfalen jetzt doch eine Schließungswelle von Förderschulen herbeiführen.

Wir sehen mit großer Sorge diesem Vorgehen entgegen – nicht nur für das kommende Schuljahr, sondern auch für die Schuljahre danach.

Aber zu guter Letzt ende ich mit dem Guten. Zumindest ist mit diesem Gesetz ein Baustein bereitgestellt worden, um …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Yvonne Gebauer (FDP): …wenigstens den Schulträgern die dringend benötigte Unterstützung zukommen zu lassen und im Ansatz auch die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Deshalb werden wir uns – genau wie die CDU-Fraktion – bei diesem Gesetzentwurf enthalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, man kann sagen: Schwein gehabt!

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es ist Veggieday!)

Morgen ist der letzte Schultag. Es ist wirklich auf den letzten Drücker gelungen. Gratulation! Es hat noch mal gerade so eben geklappt.

Das hätte aber gar nicht sein müssen, wenn wir von vorneherein gemeinsam anerkannt hätten, dass dieses Gesetz konnexitätsrelevant ist.

Da muss man einfach sagen: Die Ursache für diesen ganzen Stress in den letzten Wochen liegt bei der Landesregierung, die nämlich nicht rechtzeitig ihre Hausaufgaben gemacht hat, keine Kostenfolgeabschätzung vorgenommen und die Konnexitätsrelevanz nicht anerkannt hat.

Erst nachdem die Kommunen mit einer Verfassungsklage gedroht hatten, war die Landesregierung bereit, mit den Kommunen in Verhandlungen zu treten. Diese Verhandlungen haben wir schon im letzten Haushaltsverfahren gefordert. Damals haben wir schon gerechnet und gesagt: Bitte setzt euch zusammen. – Daraufhin haben SPD und Grüne gelächelt und erklärt: Das ist gar nicht nötig. Wir brauchen das nicht zu tun. Es gibt keine Konnexität. – Man hätte heute viel weiter sein können. Eigentlich könnte das Geld schon fließen.

Wir schauen jetzt aber einmal nach vorne: Nun haben wir es. Wir finden es gut, dass jetzt endlich etwas passiert und die Schulen Geld bekommen, mit dem sie arbeiten können. Das erkenne ich ausdrücklich an. Ich denke auch, dass in den Schulen einigermaßen Erleichterung darüber herrscht.

Diese Sicherheit, die die Kommunen jetzt haben, halte ich aber für sehr fragil; denn im Grunde ist nicht klar, was nach der Evaluation nächstes Frühjahr passiert. Stehen wir dann wieder hier und debattieren? Das hoffe ich wirklich nicht. Vielmehr hoffe ich, dass dann tatsächlich klar ist, dass die Kommunen mit den notwendigen Geldern ausgestattet werden.

Zum neuen Schuljahr greifen die neuen Regelungen für das gemeinsame Lernen.

Was die Rahmenbedingungen angeht, sind wir heute weiter, als wir es bei der Verabschiedung des Neunten Schulrechtsänderungsgesetzes waren. Meines Erachtens sind wir aber immer noch nicht weit genug, was die Qualität und die Rahmenbedingungen angeht. Das ist hier auch schon ausführlich erklärt worden.

Den Schülerinnen und Schülern sowie den Kolleginnen und Kollegen wünsche ich für das Schuljahr 2014/2015 einen guten Start. Mein Dank gilt allen, die sich angesichts der gegebenen Bedingungen mit viel persönlichem Engagement und Herzblut dem Ausbau des gemeinsamen Lernens widmen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nach der Debatte den Eindruck, dass ich doch noch einiges klarstellen muss.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion schafft das Land Rechtssicherheit für die Kommunen und löst ein Versprechen ein, das Anfang dieses Jahres gegeben wurde. Sowohl für die Kommunen als auch für das Land ist eine rechtliche Grundlage für die beabsichtigten finanziellen Unterstützungsleistungen unverzichtbar. Das Land macht damit sehr deutlich, dass es trotz der schwierigen Haushaltslage zu seinem Wort steht.

Hier sind von der Opposition wirklich einige Sachen – ob aus Unwissenheit oder absichtlich, lasse ich jetzt einmal dahingestellt – falsch dargestellt worden.

Lieber Herr Kuper, auf den Verhandlungsprozess, den ich schon im vorletzten Jahr wollte, haben sich die Kommunen nicht eingelassen. Bei diesem Prozess stand am Anfang auch keine Summe, sondern das Ziel, zu Näherungsgrößen betreffend gegebenenfalls entstehender Kosten zu kommen.

Liebe Frau Gebauer, deshalb habe ich immer gesagt – so steht es auch im Gesetzentwurf –, dass wir die Kosten derzeit nicht beziffern können. Aufgrund der derzeitigen Kenntnislage hat es sich für uns – nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen – nicht so dargestellt, dass es konnexitätsrelevant wäre. Die Regierung wollte nämlich den Kommunen keinen Blankoscheck ausstellen. Dazu stehe ich auch. In Verantwortung für den Landeshaushalt können wir den Kommunen keinen Blankoscheck ausstellen.

Erst durch einen mühseligen Prozess – niemand hat das mehr bedauert und hätte gerne schneller ein Ergebnis gehabt als wir; er war aber nun einmal sehr mühselig – haben wir Annäherungsgrößen bekommen.

Die Gutachterin, die am Anfang 300 Millionen € pro Jahr genannt hat, bezeichnet die von uns jetzt vorgesehene Zahl als vernünftig. Dann ist es doch sinnvoll, das aus Landessicht auch so zu gestalten, meine Damen und Herren. Das möchte ich hier noch einmal sehr deutlich festhalten.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin Löhrmann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuper zulassen?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Aber gerne. Dann bekomme ich ein bisschen mehr Zeit und kann mich „stärken“.

(Ministerin Sylvia Löhrmann trinkt einen Schluck Wasser.)

André Kuper (CDU): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wollten Sie mit Ihren Worten gerade zum Ausdruck bringen, dass Sie das Konnexitätsverfahren in diesem Prozess jederzeit berücksichtigt und von A bis Z rechtlich korrekt durchgeführt haben? Widersprechen Sie also der auch in der Anhörung gefallenen Äußerung der kommunalen Spitzenverbände, dass das Verfahren nicht entsprechend dem Konnexitätsausführungsgesetz gelaufen sei und damit verfassungswidrig sei?

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Lieber Herr Kuper, ich habe eben dargestellt, dass die Landesregierung ihren Entwurf des Neunten Schulrechtsänderungsgesetzes nach dem Kenntnisstand, den sie zum damaligen Zeitpunkt hatte, verfasst hat. Damit hat sich die Landesregierung auch auf die Rechtsauffassung des Gutachters Prof. Kyrill Schwarz, den Sie ja in anderen Fragen immer für sehr kompetent halten, gestützt. Das will ich auch noch einmal in Erinnerung rufen. Wir haben also nicht etwa mal eben ins Blaue hinein gehandelt.

Das Verfahren haben wir mit einem Zwischenstopp versehen wollen, um zunächst auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände in eine Arbeitsgruppe zu gehen. Dort sollten die Kosten einvernehmlich annähernd beziffert werden, um dann entsprechend zu reagieren. Die Kommunen haben diesen Prozess zum Teil erst gewollt und hinterher einen Rückzieher gemacht.

Frau Gebauer, dieser Prozess war ergebnisoffen. Das ist auch schriftlich festgehalten. Die Kommunen wollten aber, dass wir vorher schon einseitig die Konnexität anerkennen, und zwar ohne genauere Ausdifferenzierung. Das wäre als Land unverantwortlich gewesen. Darauf will ich noch einmal ausdrücklich hinweisen, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie haben offenbar immer noch nicht den Unterschied zwischen Korb I und Korb II verstanden. Der Korb I bezieht sich auf die Sachkosten. Dafür wird die Konnexität anerkannt. Der Korb 2 bezieht sich auf eine freiwillige Leistung des Landes, die nicht konnexitätsrelevant ist. Das ist auch richtig, weil es nicht um Aufgaben der Kommunen als Schulträger geht, sondern um Aufgaben der Kommunen als Sozialhilfeträger. Da sind wir nicht ausgleichspflichtig. Die Kosten, die die Kommunen in diesem Zusammenhang beklagen, gehen auf Sozialhilferecht des Bundes und nicht auf Schulrecht des Landes zurück. Es wäre unverantwortlich, hier den Kommunen die Konnexität zuzugestehen. Das haben diese letztlich auch akzeptiert. Es ist ganz wichtig, das hier noch einmal festzuhalten.

(Unruhe – Glocke)

Herr Kuper, eines möchte ich in Richtung der CDU auch noch sagen. Wenn Sie das Gesetz für verfassungswidrig halten und sich trotzdem heute bei der Abstimmung enthalten – was wir ansonsten begrüßen –, möchte ich Ihnen Ihren Amtseid, der gestern dem Fraktionsvorsitzenden so wichtig war, in Erinnerung rufen. Vor diesem Hintergrund dürften Sie das nämlich gar nicht tun; denn dann müssten Sie eigentlich das Verfassungsgericht anrufen. – Ich finde nicht nur das interessant, sondern ich finde es auch interessant, das hier festzuhalten.

Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem Gesetz Klarheit geschaffen: Wir wollen, dass die Kommunen fair unterstützt werden. Wir haben eine faire Evaluation zugesagt. Das geschieht alles einvernehmlich. Deswegen freue ich mich, dass wir heute dieses Ergebnis erzielen.

Ich habe großes Vertrauen in die Kommunen, dass sie sich ihrerseits gegenüber dem Land als faire Partner erweisen. Wir gehen davon aus, dass sie die zur Verfügung gestellten Mittel für die Inklusion nutzen, auch wenn kein Verwendungsnachweis zu erbringen ist.

Mit dem heutigen Beschluss wird für die Eltern, die Kinder, die Lehrerinnen und Lehrer klar wird, dass wir als Land einen zusätzlichen Baustein in Höhe von 175 Millionen € für die Begleichung kommunaler Kosten sowie für die Unterstützung der Inklusion zur Verfügung stellen, damit das gemeinsame Lernen von Kindern und Jugendlichen, von dem wir überzeugt sind, dass es gut ist, gelingt.

Ich will auch noch einmal daran erinnern, dass wir weitere Investitionen tätigen: 750 Millionen € für Personal sowie weitere 100 Millionen € für Aus-, Fort- und Weiterbildung. An der Stelle verhält sich das Land im Sinne der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorbildlich. Das ist mir bei dieser Debatte leider viel zu oft viel zu kurz gekommen. – Herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich schaue Richtung CDU, die noch eine Sekunde Redezeit und eine gemeldete Rednerin hätte. Ich gehe aber wohl recht in der Annahme, dass Sie die Sekunde nicht nutzen wollen? – Vielen Dank!

Damit sind wir am Ende der Debatte zu Tagesordnungspunkt 5. Ich schließe die Debatte, und wir kommen zur Abstimmung:

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5751. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Drucksache 16/6150, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Da es in der Schulausschusssitzung Änderungen gegeben hat, stimmen wir – entgegen unserer üblichen Gepflogenheiten – an dieser Stelle wirklich über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/6150 ab, damit die Änderungen bei der Verabschiedung des Gesetzes einfließen können.

Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer möchte sich enthalten? – Die Piraten, die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion. Damit sind mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis die Beschlussempfehlung Drucksache 16/6150 angenommen und zugleich der Gesetzentwurf Drucksache 16/5751 in zweiter Lesung entsprechend der Beschlussempfehlung verabschiedet.

Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6231. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6231 der Fraktion der CDU abgelehnt worden, und wir sind am Ende des Tagesordnungspunktes 5 angelangt.

Ich rufe auf:

6   10. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und zur Regelung der Rechtsverhältnisse des Versorgungswerks der Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen und des Landtags Brandenburg

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6123

erste Lesung

In Verbindung mit:

11. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6124

erste Lesung

Und:

12. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6125

erste Lesung

Damit die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht durcheinanderkommen und für diejenigen, die es später nachlesen wollen: Es handelt sich in der Tat um unterschiedliche Regelungsinhalte. Deshalb auch die unterschiedlichen Gesetzentwürfe und Drucksachennummern.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Herter das Wort.

Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor sechs Wochen habe ich hier im Hohen Hause gesagt, dass ich hinsichtlich dieser Fragestellung des Abgeordnetengesetzes…

(Die Mitglieder der Piratenfraktion legen ihre Jacketts ab. Zu sehen sind transparente Plastikwesten mit eingelassenen Geldscheinen.)

– Ach, wie schön! Das regnet nicht durch, meine Damen und Herren. Bei der Witterung ist das aber vielleicht angemessen. – … unverwüstlich optimistisch, dass wir eine klare Regelung …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Herter, lassen Sie mich Sie bitte kurz unterbrechen.

(Marc Herter [SPD]: Aber selbstverständlich! Ich wartete schon darauf!)

Ich muss einen Moment überlegen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, Sie kennen unsere Geschäftsordnung und unsere Verabredungen. Sie wissen, dass diese transparenten Westen, die – wenn ich es von hier aus richtig sehe – zum Teil Aufkleber enthalten,

(Marc Olejak [PIRATEN]: Geldscheine!)

nicht den Gepflogenheiten des Hauses entsprechen. Sie wollen damit entgegen der üblichen Übung hier im Haus, dass Wort und Widerwort die parlamentarische Debatte bestimmen, Instrumente und Möglichkeiten, die wir eher bei Demonstrationen und Kundgebungen verwenden, benutzen. Das ist hier nicht gestattet. Ich bitte Sie sehr herzlich, diese Westen auszuziehen, weil sie eben – wie gesagt – ein Demonstrations-, aber kein Redeobjekt sind.

(Zurufe von den PIRATEN: Nein! – Marc Olejak [PIRATEN]: Das sind einfach nur Westen!)

– Ich stelle fest, dass Sie provozieren wollen, und bitte Sie ein zweites Mal, dieses Verhalten zu unterlassen.

(Die Mitglieder der Piratenfraktion legen die Westen nicht ab.)

– Herr Kollege Herter braucht sich um seine Redezeit keine Gedanken zu machen. Die setzen wir gleich wieder auf fünf Minuten hoch.

Ich bitte und fordere Sie nachdrücklich auf, dieses Verhalten zu unterlassen. Ich lasse keine Wortmeldungen zu. Ich würde gerne diese Sitzung für einen kurzen Moment unterbrechen, um mich mit meinem sitzungsleitenden Präsidium zu beraten. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, im Saal zu bleiben. Die Unterbrechung dauert nicht lange.

(Sitzungsunterbrechung von 15:59 Uhr bis 16:01 Uhr)

Die Unterbrechung der Sitzung ist aufgehoben. Wir haben gerade eine Beratung durchgeführt. Die Möglichkeiten, die uns nach der Geschäftsordnung zur Verfügung stehen, sind an dieser Stelle relativ begrenzt.

Wir müssen und ich als Präsidentin muss davon ausgehen, dass, wenn eine solche Aktion vorbereitet ist, sich die Fraktion auch mit den möglichen Konsequenzen auseinandergesetzt hat und dass man beabsichtigt, auch Möglichkeiten, die man hat, wenn ich bestimmte Maßnahmen ergreifen würde, auszunutzen. Diesen Gefallen tue ich dieser Fraktion nicht. Den Eklat vor den Sommerferien werde ich nicht weiter unterstützen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Sehr vernünftig!)

Ich werde aber die Möglichkeiten, die mit den beiden Schriftführern abgestimmt sind, nutzen. Ich rüge einmal komplett die Piratenfraktion, und ich rüge jeden einzelnen Kollegen bzw. jede einzelne Kollegin der Piratenfraktion bis auf Herrn Kollegen Bayer, der zurzeit keine Weste trägt, weil er sich im Sitzungsdienst befindet.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Da fehlen noch zwei Kollegen! – Weiterer Zuruf von den PIRATEN: Auch die nicht anwesenden Kollegen?)

Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer sowie die Fraktionsvorsitzenden, sich gegebenenfalls bereitzuhalten. Denn wenn ich die Sitzungsleitung abgegeben habe, werde ich noch einen Moment überlegen, ob ich zu einer Sondersitzung des Ältestenrates einlade oder eine Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden oder Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern durchführe.

Jetzt bitte ich Herrn Kollegen Herter wieder zu mir.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU] – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich gebe das Mikrofon frei, und selbstverständlich haben Sie jetzt wieder fünf Minuten Redezeit.

Marc Herter (SPD): Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Das ist eine ungewohnte Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank, liebe Piraten!

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Wichtiges Thema!)

Ich will für meine Seite und für die Sozialdemokratie sagen: Uniformierung im Parlament ist nun wirklich eine Situation, die sehr zu denken gibt.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

– Ich bedanke mich, dass das nicht nur die Meinung meiner Fraktion zu sein scheint.

Vor sechs Wochen habe ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gesagt, ich sei unverwüstlich optimistisch, dass es einen gemeinsamen Vorlageentwurf für die Frage der Transparenz von Nebentätigkeiten geben könne und übrigens auch für die Frage, inwieweit die Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags aus den ihnen zustehenden Mitarbeiterpauschalen Menschen, die mit ihnen verwandt sind, finanzieren dürfen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Um es beim zweiten Teil gleich kurz zu machen, sage ich: Wir haben uns entschieden, den dritten Verwandtschaftsgrad einzubeziehen, um an dieser Stelle auch nicht einen Hauch aufkommen zu lassen, dass damit letztlich das Familieneinkommen aufgebessert würde.

Bezüglich der Transparenz bin ich schon etwas stolz darauf, dass ein Gesetzentwurf vorliegt, den nicht nur die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen tragen, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU. Es handelt sich um eine konsequente Regelung zur Stärkung der Unabhängigkeit von Abgeordneten. Es ist nämlich der Hintergrund und muss der Hintergrund einer jeden Transparenzregelung sein, mögliche Interessenkonflikte offenzulegen und für die Bürger sichtbar und bewertbar zu machen.

Wir haben uns entschieden, die außerordentlichen und die unregelmäßigen Einkünfte sowie die Einkünfte aus Tätigkeiten in Aufsichtsgremien, in der Beratung oder als Referent zukünftig monatlich auf Euro und Cent offenzulegen.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unabhängigkeit von Abgeordneten kann auch dadurch gefördert werden, dass eine Rückkehrmöglichkeit in den ursprünglich ausgeübten Beruf besteht.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Diese Rückkehrmöglichkeit in den ursprünglich ausgeübten Beruf ist in vielen Fällen damit verbunden, dass der ursprünglich ausgeübte Beruf in vermindertem Umfang auch während der Tätigkeit in diesem Parlament fortgeführt wird.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Deshalb haben wir uns entschieden, für die laufenden Einkünfte ein Stufenmodell vorzuschlagen, das in relativ moderaten Stufen eine Offenlegung möglich macht, ohne Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu verletzten und ohne bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei Selbstständigen und bei Freiberuflern Rückschlüsse darauf zuzulassen, wie die entsprechenden Geschäftstätigkeiten im Einzelnen aussehen.

Meiner Fraktion war wichtig, dass das letztlich für alle Einkünfte der Fall ist und dass diejenigen unter uns, die relativ hohe Beträge verdienen, nicht nur eine Fehlanzeige machen müssen, dass sie oberhalb der gewählten Skala liegen. Deshalb bin ich froh, dass wir uns darauf verständigen konnten, die Skala nach oben in 30.000-€-Schritten fortzusetzen.

Wenn ich mir diese Regelung ansehe, glaube ich, dass sie gleichermaßen den Interessen der Öffentlichkeit und derjenigen, die für die Öffentlichkeit über uns berichten, ebenso entgegenkommt wie der Zusammenarbeit in diesem Hause. Eine solche Transparenzregelung wird entgegen mancher Unkenrufe nämlich nicht erlassen, damit das voyeuristische Interesse Einzelner befriedigt wird, sondern um die Unabhängigkeit von uns Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag und unserer Entscheidungen zu wahren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herter. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Lienenkämper.

Lutz Lienenkämper (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir verschiedenste Änderungen des Abgeordnetengesetzes. Ich will mich in den fünf Minuten auf die Verhaltensregeln konzentrieren und sage, dass die Diskussionen im Spannungsfeld verschiedenster berechtigter Interessen stattfinden, die alle irgendwie Berücksichtigung finden müssen, und dass deswegen die Aufgabe für das Parlament so schwierig ist.

Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung vorwegschicken. Wir wollen, dass der Landtag eine echte Volksvertretung ist, und wir wollen, dass dem Landtag alle Berufsgruppen, Angestellte und Selbstständige, angehören können.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für uns steht das freie Mandat der Abgeordneten im Vordergrund, und es steht völlig außer Frage, dass ein Abgeordneter neben dem eigentlichen Mandat auch andere Tätigkeiten ausüben darf. Ich bin sogar der Auffassung, dass Nebentätigkeiten positive Wirkungen haben. Sie erleichtern den späteren Wiedereinstieg in den Beruf,

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Resozialisierung!)

und in Wahrheit reduzieren sie auch die Abhängigkeit von der eigenen Partei.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich frage Sie einmal ganz ernst: Wer ist eigentlich politisch am Ende des Tages abhängig: derjenige, der keine andere Möglichkeit hat, außerhalb des Parlaments ohne Probleme einen Job anzunehmen, oder derjenige, der eine Nebentätigkeit ausübt, erfolgreich in dieser Nebentätigkeit ist und auch wieder in diese Nebentätigkeit zurückkehren kann? – Ich meine, Letzterer ist unabhängiger von der Partei und von Weisungen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber alle anderen sollen dem bunten Parlament – bezogen auf die Berufsgruppen – genauso angehören können. Herr Prof. Gärditz hat das in seiner Stellungnahme für die Expertenanhörung des Hauptausschusses völlig zu Recht erklärt. Ich zitiere ihn:

„Ein Abgeordneter, der auf sein Mandat nicht angewiesen ist, weil er bei Mandatsverlust jederzeit wieder in seinem früheren bzw. erlernten Beruf ein Auskommen findet, ist der Idealtypus des unabhängigen Abgeordneten.“

Wir haben das klare Ziel gehabt, dass wir eine Regelung finden, die die Berufstätigkeit weder direkt noch indirekt unmöglich macht oder unverhältnismäßig erschwert.

Ich habe schon gesagt, dass auch viele andere Interessen Berücksichtigung finden müssen. Einerseits müssen die Wählerinnen und Wähler erkennen können, ob es bei Abgeordneten vor allem in Angelegenheiten, über die hier in diesem Parlament entschieden wird, Abhängigkeiten gibt, die für das freie Mandat schädlich und geeignet sind, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in freie, unabhängige Entscheidungen ihrer Abgeordneten zu beeinträchtigen. Andererseits kann das freie Mandat des Abgeordneten gerade über Nebentätigkeiten gestärkt oder gewährleistet werden.

Schließlich sind die Neuregelungen so zu gestalten, dass die Transparenzvorschriften nicht die Interessen Dritter verletzen, wie beispielsweise die der Ehepartner der Abgeordneten – denn diese sind nicht in ein Parlament gewählt – oder die der Geschäftspartner oder Kunden von Abgeordneten.

Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass die Einkünfte realistisch abgebildet werden müssen. Manche Kostenquoten bei Selbstständigen liegen deutlich über 50 %, und deswegen würde die bloße Angabe der Einnahmen den Maßstab verzerren und die Kosten, die ein Selbstständiger aufwenden muss, um diese Einnahmen zu erzielen, völlig ausblenden.

(Beifall von der FDP und Robert Stein [fraktionslos])

Deswegen sieht der hier zu beratende Gesetzentwurf unterschiedliche Nebentätigkeiten, unterschiedliche Anzeige- und unterschiedliche Veröffentlichungspflichten vor.

Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung in dem eben genannten Spannungsverhältnis, und er gibt auch die Notwendigkeiten, die für ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen gelten, vernünftig wieder. Er ist letztlich maßgeschneidert für unser Bundesland.

Das Ergebnis ist auch klar: Es geht zum Teil über die Regelungen, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, hinaus, und es bleibt in anderen Bereichen hinter den Regelungen des Deutschen Bundestages zurück. Es ist insgesamt ein vernünftiger und tragfähiger Kompromiss. Deswegen haben wir uns der gemeinsamen Einbringung der Gesetzentwürfe angeschlossen.

Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Unabhängigkeit der Abgeordneten ebenso wie die des Parlaments stärken. Aber nur ein Parlament, das allen Berufsgruppen gleichermaßen offensteht, ist auch ein Parlament für alle Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lienenkämper. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es mir erlaubt, am Anfang etwas zu den Plastikleibchen zu sagen, die sich die Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion übergezogen haben.

(Stephan Gatter [SPD]: Jute statt Plastik!)

Ich habe das Gefühl, dass dadurch die Transpirationsquote hier im Saal erhöht, aber nicht der Erkenntnisgewinn gefördert wird.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Daher denke ich, dass das kein zielführender Beitrag zur Debatte über die Transparenz von Nebentätigkeiten ist. Wir haben andere Methoden, um uns miteinander auszutauschen. Das scheint eine relativ hilflose Reaktion darauf zu sein, dass wir hier gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt haben.

Ja, es hat uns ein bisschen Geduld abverlangt, bis dieses Papier vorlag und der Gesetzentwurf eingebracht werden konnte. Allerdings hat sich dieser Prozess aus Sicht der grünen Fraktion gelohnt. Denn wir sind hier anders verfahren als im Deutschen Bundestag. Dort haben sich die regierungstragenden Fraktionen etwas überlegt, und das bekam die Opposition dann übergestülpt.

So sind wir hier nicht verfahren. Vielmehr haben wir uns diesem intensiven Prozess, der sehr viele Detailfragen beinhaltet, gemeinsam gestellt, und das macht die Qualität dieses Gesetzentwurfs jetzt auch aus. Denn die meisten Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses erachten es als ihre Pflicht, sich so zu verhalten. Das ist das Votum der Kolleginnen und Kollegen, und das ist meiner Meinung nach ein wichtiges Signal für die Bürgerinnen und Bürger, wie viel uns an Transparenz liegt, wie differenziert wir dieses Thema behandelt haben und dass wir diesen Auftrag verstanden haben, das Thema „Nebentätigkeiten“ offenzulegen.

Dabei haben wir auch die Besonderheiten des Landtags Nordrhein-Westfalen beachtet. Denn unser Parlament – auch das ist in der Anhörung sehr deutlich geworden – ist anders konstituiert. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Regel zehn Jahre Mandatsträger und Mandatsträgerinnen sind. Das heißt, es gibt ein Leben vor dem Parlament, und es gibt ein Leben nach dem Parlament. Insofern muss es möglich sein, eine Berufstätigkeit wieder aufzunehmen, und für einige Berufe ist es sogar notwendig, diese während der Abgeordnetentätigkeit zu praktizieren.

Auch der von den Piraten eingeladene Sachverständige Hans Herbert von Arnim hat noch einmal betont, dass es verfassungsmäßig geboten sei, auch Nebentätigkeiten zuzulassen, und dass es unverfassungsmäßig wäre, sie komplett zu untersagen.

Dabei ist ganz klar, dass das Mandat im Zentrum der Tätigkeiten steht und dass für alle Bürgerinnen und Bürger abzulesen sein muss, dass vor allen Dingen keine interessengeleiteten Aktivitäten über Nebentätigkeiten verbunden werden können. Deswegen haben wir zwei Säulen eingezogen.

Wir von der grünen Fraktion machen das schon seit zehn Jahren, seit dem wir das neue Abgeordnetengesetz in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht haben, und veröffentlichen jedes Jahr in Euro und Cent unsere Jahreseinkommen und wo Nebentätigkeiten sind und wie diese ausgewiesen werden.

Wir haben hier ein Stufenmodell gewählt, das sehr große Transparenz schafft und sich für alle Bürgerinnen und Bürger einordnen lässt. Denn wir haben alleine sieben Stufen bis zur Summe von 30.000 €, die den Jahresbetrag oder Monatsbetrag deutlich machen. Darüber hinaus geht es in 30.000er-Stufen immer weiter.

Das ist der große Unterschied zu der Bundestagsregelung. Da gibt es irgendwo die Grenze bei 250.000 € Einnahmen an Nebenverdiensten, und dann ist das nach oben offen, und keiner weiß mehr, welcher Betrag es denn ist: 250.000 plus 1 €, oder kommen da noch einmal 250.000 € hinzu. Nein, wir veröffentlichen konsequent immer in 30.000er-Schritten.

Bei den besonders interessanten Dingen – da, wo Gutachten angefertigt werden, da wo es um Vorträge geht, das, was Aufsehen erregt hat; wir erinnern uns im Vorfeld der Bundestagswahl an solche Vortragstätigkeiten – sind alle Abgeordneten in Zukunft verpflichtet und nehmen es selbst als ihre Pflicht wahr, auf Euro und Cent zu veröffentlichen. Das ist eine gute Variante, die wir hier miteinander gefunden haben. Es ist wichtig, dass das von allen so getragen wird.

Wir gehen gemeinsam in eine Anhörung hinein. Dabei wird man noch einmal sehr deutlich machen, dass diese Regelung kein zahnloser Tiger ist, weil, wenn Abgeordnete dieser Pflicht nachkommen und die Pflichtverletzung nachgewiesen wird, die Präsidentin die Möglichkeit hat, ein Ordnungsgeld in Höhe bis zu einer halben Jahresdiät zu verhängen. Das wird natürlich im Einzelfall sehr intensiv geprüft.

Ich entnehme der heutigen Debatte und dem, was hier im „Kasperle Theater“ vorgeführt wird, dass wir uns in der Anhörung auch über Verhaltensregeln für Abgeordnete in diesem Haus unterhalten sollten, damit wir uns dann über die Würde des Hauses, das Umgehen miteinander und gezielte Provokationen unterhalten. Das nehme ich als Aufgabe mit in die Anhörung.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU – Zuruf von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Beer, auf der einen Seite muss man natürlich sagen, dass diese transparenten Westen nur nach außen hin eine gewisse Transparenz andeuten, tatsächlich aber – ich füge hinzu: nach meinem persönlichen Geschmack auch Gott sei Dank – wesentliche Dinge dann doch eben nicht transparent sind. Aber das nur als Vorbemerkung an der Stelle!

(Heiterkeit und Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Das wäre definitiv mit der Würde des Hauses auch bei großzügigster Auslegung sicherlich nicht mehr vereinbar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich möchte auf die eher technischen Regelungen zum Versorgungswerk und zur Mitarbeiterpauschale nicht weiter eingehen, sondern erlaube mir lediglich einige Anmerkungen zu den Regelungen zu Nebentätigkeiten der Landtagsabgeordneten.

Das Leitbild der parlamentarischen Tätigkeit, auch im Landtag Nordrhein-Westfalen, ist das eines Vollzeitparlamentariers, der seine Arbeitskraft der parlamentarischen Tätigkeit widmet. Die Abgeordnetenentschädigung – landläufig auch „Diät“ genannt – legt den Grund für eine unabhängige Mandatsausübung.

Die parlamentarische Tätigkeit ist, wie wir alle sicherlich bestätigen können, eine interessante und spannende. Ziel von uns Demokraten muss es sein, Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft immer wieder auch für eine aktive Tätigkeit, für die Wahrnehmung eines Mandates zu gewinnen, und das zu jeder Wahl neu. Diese Wahlen finden bei uns in der Tat alle fünf Jahre statt. Gemessen an einem gesamten Berufsleben sind fünf Jahre ein sehr kurzer Zeitraum, und eine Wiederwahl ist weder ein Automatismus noch von irgendjemandem zu garantieren.

Damit stellt sich zwangsläufig – mehr oder weniger auch eingestanden – für jeden Abgeordneten immer wieder die Frage: Was wäre denn, wenn ich nicht wiedergewählt werde? Wie gelingt mir die Rückkehr in meinen Beruf oder der Einstieg in einen anderen im Falle des Falles?

Die Berufswelt entwickelt sich weiter, Globalisierung und Innovation geben neue Impulse, weshalb der Wieder- oder Einstieg in einen außerparlamentarischen Beruf nach einer Mandatstätigkeit auch eine Herausforderung darstellt. Viele scheuen im Übrigen genau deshalb auch die Bewerbung um ein Parlamentsmandat. Wieder andere sind möglicherweise aus Sorge, dass ihnen der Wiedereinstieg in den zivilen Beruf, in die zivile Existenz nicht gelingt, in ihrer Mandatsausübung nicht wirklich frei, weil der Mandatserhalt für sie auch die ökonomische Existenzsicherung darstellt.

Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten wollen aber Menschen aus allen Berufsgruppen und Qualifikationen – Freiberufler, Selbstständige, Arbeitnehmer – auch den Zugang zum Parlament ermöglichen und wollen auch, dass Abgeordnete ihr Mandat unabhängig und nur ihrem Gewissen und dem Volk verpflichtet wahrnehmen können. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass es auch Abgeordneten notwendigerweise erlaubt sein muss – so keine Aufhebung der Gewaltenteilung einhergeht –, ihre berufliche Existenz aufrechtzuerhalten und damit eine Rückkehr nach dem Ende des Mandats zu ermöglichen.

Auch ist für uns die Nutzung der im Mandat erworbenen weiteren Qualifikation für eine nebenberufliche oder gegebenenfalls spätere Anschlusstätigkeit legitim.

Nebentätigkeitsregelungen für Abgeordnete müssen deshalb so ausgestaltet sein, dass sie einerseits den Anforderungen eines Vollzeitparlaments entsprechen, andererseits aber auch berufliche Existenzen außerhalb des Parlaments nicht zerstören. Gleichwohl gibt es in diesem Spannungsfeld gegebenenfalls Interessenkonflikte, wenn beruflich verfolgte Partikularinteressen mit dem Gemeinwohlinteresse, dem der Abgeordnete verpflichtet ist, in Konflikt stehen.

Dem soll mit einer höheren Anforderung an Transparenz oder einer höheren Anforderung zur Transparenz dann auch Rechnung getragen werden. Wir haben deshalb seit vielen Jahren hier im nordrhein-westfälischen Landtag bereits Regelungen zur Transparenz von Nebentätigkeiten, die jetzt mit den vorliegenden Gesetzentwürfen erweitert werden sollen.

Wir werden sicherlich die eine oder andere Detailfrage in einer Sachverständigenanhörung dazu noch prüfen. Ich bin zuversichtlich, dass wir den gemeinsam gefundenen Weg der Modernisierung und Weiterentwicklung auch weiterhin erfolgreich gemeinsam gehen. Ich freue mich auf die Beratungen und darf mich auch für den Weg dahin bei allen Teilnehmern in den Fraktionen, die daran mitgewirkt haben, herzlich bedanken. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Piratenfraktion spricht der Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren hier und zuhause! Danke, dass wir heute noch einmal über unseren Gesetzentwurf reden dürfen. Transparenz ist ein wichtiges Thema. Es ist super, dass wir hier so häufig darüber reden. Ach nein, das ist ja gar nicht unser Gesetzentwurf, sondern nur die billige Kopie.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Beer, die Westen – so sagten Sie gerade – seien ein hilfloses Signal. Das mag sogar so sein. Der vorliegende Gesetzentwurf wurde von allen hier im Hause vertretenen Parteien eingebracht, nur nicht von uns. Es wird immer wieder gesagt, wir wären nicht kompromissbereit. Tatsache ist doch, dass mit uns überhaupt nicht über diesen Entwurf geredet wurde und darüber, ob wir Ihnen in diesem Bereich entgegenkommen könnten trotz aller Signale, die wir vorher in diese Richtung gesendet haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, die Fraktionen von SPD, Grünen, CDU und FDP haben sich im Hinterzimmer dieses Landtags abgesprochen und präsentieren uns jetzt hier Gesetzentwürfe zum Thema „Vetternwirtschaft“ – darüber haben wir schon geredet – und zum Thema „Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten“. Damit schreiben Sie sich Transparenz auf Ihre Fahne, streifen sich eine weiße Weste über

(Marc Herter [SPD]: Die Westen haben Sie an!)

und verkaufen das dem Bürger als Erfolg.

Aber was steht denn tatsächlich in den Gesetzentwürfen? – Sie bauen da ein schwammiges Stufenmodell für Nebeneinkünfte. Stufenmodelle, meine Damen und Herren, sind nicht transparent, sondern sind der Inbegriff von getrübter Wahrheit. Obwohl Stufenmodelle als Lösung bereits seit Peer Steinbrück und seiner Kanzlerkandidatur immer wieder durchgefallen sind, verkaufen Sie das hier als vermeintlichen Fortschritt.

Sie können das auch in unserem Gesetzentwurf nachlesen, aber ich erzähle es Ihnen gerne noch einmal: Ihr Gesetzentwurf geht einfach nicht weit genug. In dem Gesetzentwurf ist zum Beispiel – ich wiederhole mich da – keine Spur zur Angabe des Zeitaufwands der ausgeübten Nebentätigkeit zu finden.

Ein fiktives Beispiel: In Ihrem Gesetzentwurf fehlen uns die Angaben, wie viele Stunden ein Abgeordneter beispielsweise als Anwalt für ein Unternehmen in der Fracking-Branche arbeiten könnte.

Es fehlt die Angabe, dass ein Abgeordneter den größten Teil seiner Zeit lieber in Versicherungen macht, als sich um die Belange der Bürger zu kümmern. Es fehlen Angaben über ehrenamtliche Tätigkeiten, obwohl auch diese einen Interessenskonflikt auslösen können.

Interessenskonflikte wird es in der Politik immer geben; das ist auch überhaupt nicht schlimm. Aber gerade deshalb müssen wir sie dem Bürger transparent machen. Der Bürger muss die Grundlage der Entscheidung seines Volksvertreters kennen, um ihm vertrauen zu können. Das alles spielt in Ihren Entwürfen keine Rolle. Ihre Entwürfe sind kein Fortschritt in der Debatte, sie sind Stillstand und zementieren diesen. Das ist keine Transparenz!

(Beifall von den PIRATEN)

Durchsichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist höchstens die politische Taktik dahinter. Denn seit dem Jahr 2012 fordern wir Piraten hier immer wieder die Offenlegung der Nebentätigkeiten im Landtag.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Marsching, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulz von den Piraten zulassen?

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr gerne.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Michele Marsching, dass du die Zwischenfrage zulässt. Gibt es möglicherweise eine Erklärung dafür, dass, wie Frau Kollegin Beer eben erklärte, die Grünen schon seit Jahr und Tag die Nebeneinkünfte auf den Cent genau vom ersten Cent an veröffentlichen – wir im Übrigen auch –, dieser Gesetzentwurf, an dem die Grünen mitwirken, das aber im Gegenteil nicht gewährleistet?

Michele Marsching (PIRATEN): Die Grünen – das ist die einzige Erklärung, die ich habe – kennen das Modell der parlamentarischen Zwänge. Das hier scheint ein solcher Zwang zu sein, einen faulen Kompromiss eingehen zu müssen, obwohl man immer wieder und bis vor Kurzen gesagt hat: Unter dieser Forderung geht nichts. – Aber okay…

Wie gesagt, durchsichtig ist höchstens Ihre politische Taktik. Seit 2012 haben wir die Offenlegung der Nebentätigkeiten gefordert. Im letzten Jahr haben wir auch über das Verbot der Beschäftigung von Verwandten, und zwar bis zum vierten Grad, hier im Landtag geredet. Die zweite Lesung unseres Gesetzentwurf und dessen Ablehnung waren am 10. Juli 2013.

Bei der Offenlegung von Nebentätigkeiten haben wir auch lange mitgespielt. Das wird heute ein wenig verschwiegen. Beim letzten Plenum haben wir mit unserem Gesetzentwurf klargestellt, dass wir nicht mehr warten wollen und können. Jetzt legen Sie einen entschärften Entwurf vor und feiern sich selbst für diese gute Tat. – Na herzlichen Glückwunsch!

Wir machen heute hier deutlich, was mit echter Transparenz gemeint ist. Während Sie sich hier in Ihren weißen Westen auf die Schultern klopfen, haben wir die transparenten Westen an und zeigen, was in unseren Taschen enthalten ist. Das sind keine Aufkleber, Frau Präsidentin, das sind unsere Nebeneinkünfte, und zwar auf den Cent genau.

Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen, CDU und FDP, würde eine solche Transparenz gut stehen, obwohl ich das mit der Transpiration durchaus zugebe. Vertrauen ist gut, aber Transparenz ist einfach noch besser! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Es geht heute um eine Überweisung dieser Gesetzentwürfe. Ich gehe von Ihrem Einverständnis aus, dass wir über die Überweisung dieser drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der drei Gesetzentwürfe, also der Drucksachen 16/6123, 16/6124 und 16/6125, an den Hauptausschuss. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Keine Enthaltung, keine Gegenstimme. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

7   Halbjahresbericht des Petitionsausschusses

Das ist ein sehr wichtiger Tagesordnungspunkt, darum bitte ich um Ihre besondere Aufmerksamkeit. Gemäß § 94 unserer Geschäftsordnung soll der Petitionsausschuss mindestens jährlich dem Landtag mündlich berichten. Entsprechend der bisher geübten Praxis erteile ich nun der Frau Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Frau Klöpper, zum Halbjahresbericht das Wort. – Frau Kollegin Klöpper, Sie haben das Wort.

Rita Klöpper (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne!

Am vergangenen Wochenende konnten wir alle in Bielefeld einen wunderschönen NRW-Tag feiern. Viele Mitarbeiter und Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen haben vor Ort mitgeholfen, den Bürgern und Gästen einen informativen Einblick in unsere Arbeit für dieses Land zu bescheren.

Alle beschilderten Zelte wurden gestürmt, nur bei dem Schild „Petitionsausschuss“ sah man oft verhaltenes Annähern, und auf Nachfrage konnte man erkennen, dass viel Unkenntnis über diesen Begriff herrscht.

Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Jeder in unserem Land müsste doch wissen, dass es sich hier um sein ganz persönliches Grundrecht handelt – ein Grundrecht, das in Art. 17 unseres Grundgesetzes in der Fassung von 1949 verankert wurde. Dort steht:

„Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“

Das heißt im Klartext: Wenn Sie sich durch Entscheidungen von Behörden oder anderen öffentlichen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen benachteiligt fühlen, dann wenden Sie sich doch bitte zur Überprüfung an den Petitionsausschuss des Landes. Das ist Ihr gutes Recht und für Sie vollkommen kostenfrei.

Die Eingaben sind an keine besonderen Vorschriften gebunden:

Sie kommen bei uns an als E-Mails, Faxe und Briefe, mit dem Computer geschrieben, mit der Schreibmaschine oder auch per Hand, manche verwenden sogar noch die Sütterlinschrift.

Es gibt sehr teures Papier mit Familienwappen, einen normalen, linierten Briefblock oder auch nur einen kleinen Notizzettel mit zwei oder drei Zeilen.

Es gibt mehrseitige Briefe, denen man ansieht, dass sie eilig heruntergeschrieben wurden, und andere, bei denen die Entscheidung offensichtlich über Tage gewachsen ist und sorgfältig formuliert wurde.

Manche tragen eine einzelne Unterschrift, manche die Unterschriften aller Bewohner einer Straße oder einer ganzen Schulklasse. Andere enthalten Unterschriftenlisten aus der Fußgängerzone. Wieder andere – und das zunehmend – erreichen uns in Aktenordnern gefüllt mit im Internet gesammelten Unterstützerbekundungen.

Vor diesem Hintergrund entsteht natürlich die Frage: Was muss ich tun, damit meine kleine Petition wichtig genommen wird? Soll ich um das Empfehlungsschreiben eines Abgeordneten bitten oder eine lange Liste von Unterstützern herbeiholen? – Nein, meine Damen und Herren, nichts dergleichen! Alle Zuschriften an das Parlament, an den Petitionsausschuss wiegen gleich.

Wer sollte denn auch die Entscheidung treffen über die Bedeutsamkeit der Zuschrift eines Einzelnen wegen einer vielleicht falsch berechneten Rente? Wer sollte entscheiden über den fehlenden Platz in der Kindertagesstätte oder umfangreiche Proteste gegen Gesetzesvorhaben mit mehreren Zehntausenden von Unterschriften?

Jedes Thema wird behandelt. Alle ernst gemeinten Anliegen sind uns wichtig. Wir prüfen, lassen uns berichten, beraten miteinander und entscheiden. Und nun hören Sie bitte genau hin: Wir entscheiden einstimmig! Der Petitionsausschuss mit seinen 25 Abgeordneten aller Parteien bleibt dieser Tradition der Einstimmigkeit verpflichtet. Vertrauensvoll, natürlich vor dem Hintergrund des geltenden Rechtes alle Möglichkeiten der Hilfe für den Petenten ausschöpfend – das ist die große Stärke unseres Ausschusses.

Mit dem Ihnen vorliegenden Überblick möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nun auf die Arbeit des „etwas anderen Ausschusses“, nämlich des Petitionsausschusses, lenken.

Zunächst eine kurze Rückschau in Zahlen. Ich beschränke mich dabei auf das Notwendigste; denn die genauen Zahlen liegen Ihnen nachher ohnehin vor.

Im zweiten Halbjahr 2013 haben den Ausschuss 1.654 Eingaben erreicht. Erledigt wurden in dieser Zeit 1.700 Petitionen. Davon hat der Ausschuss 239 Eingaben im Verfahren nach Art. 41 a der Landesverfassung, das heißt durch auswärtige Erörterungstermine, behandelt.

Der Ausgang der Petitionen war folgender: Rund 22 % endeten positiv; alle abgeschlossenen Fälle endeten positiv. In 54 % der Fälle konnten wir nichts für die Petentinnen und Petenten tun. 23 % endeten auf sonstige Weise, das heißt zum Beispiel mit Rücknahme oder mit dem Hinweis auf alternative Verfahren.

In dem Verfahren nach Artikel 41 a der Landesverfassung, das heißt mit dem Zusammenführen aller Beteiligten an einen Tisch, war die Erfolgsbilanz des Ausschusses wie gewohnt höher. Dort gab es in 46,9 % aller Fälle einen positiven Ausgang.

Der Trend der thematischen Schwerpunkte der Eingaben hat sich fortgesetzt. Die meisten Petitionen erreichten uns in diesem Berichtszeitraum aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes. Dies ist immer noch auf die Anpassung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge zurückzuführen.

Ähnlich hoch war die Anzahl der Eingaben aus dem Bereich Schulen/Hochschulen, darunter zahlreiche Petitionen zu schulischen Themen wie G8/G9, Schließung von Schulstandorten, schulische Sozialarbeit und das große Feld Inklusion.

Auch aus dem Bereich Sozialrecht stammt seit Jahren eine hohe Anzahl von Eingaben. Darunter werden auch zahlreiche Fälle zur Versorgung mit Betreuungsplätzen in Kindertagesstätten gezählt.

Weitere Eingaben betrafen die Bereiche Bauen/Verkehr, Rechtspflege, Rundfunk und Fernsehen, Ausländerrecht und Strafvollzug.

Die genauen Angaben finden Sie in der Anlage zu unserem Bericht.

Für den Ausschuss ist die Öffentlichkeitsarbeit ein wesentlicher Bestandteil seiner Aufgaben. Daher gehört es zu den regelmäßigen Angeboten des Petitionsausschusses, in Düsseldorf – am Sitz des Landtags – und in ganz NRW Sprechstunden anzubieten. Die werden auch gut angenommen.

Dies haben wir auch im zweiten Halbjahr 2013 fortgesetzt. Der Ausschuss ist natürlich immer präsent mit Informationsständen auf Bürgerfesten, am Tag der Offenen Tür im Landtag und – in der letzten Woche – auf dem NRW-Tag in Bielefeld. Dort gelingt es uns immer – und das ist unser Anliegen –, mit vielen Menschen in Kontakt zu kommen und über das Petitionsrecht zu informieren.

Wie effektiv ist das Verfahren unseres Petitionsausschusses? – Diese Frage war der Leitgedanke einer Informationsreise einer Delegation des Ausschusses nach Schweden im letzten Jahr. Dort konnten wir uns intensiv mit den Arbeitsweisen der Ombudsleute auseinandersetzen.

Schweden gilt als das Geburtsland des Ombudswesens. Es ist ein soziales Land. Die Einrichtung des Ombudsmannes hat dort eine sehr lange Tradition und gilt als besonders bürgernah.

Die Delegation hat zahlreiche Gespräche mit den schwedischen Ombudsleuten auf kommunaler wie auch auf Regierungsebene geführt, hat mit Vertretern des Parlamentes, der Justiz und mit Verbraucherschützern gesprochen und konnte so wirklich vertiefte Erkenntnisse über die dortigen Verfahren gewinnen.

Nach dieser Informationsreise blicken wir natürlich mit aller Wertschätzung auf die Arbeit aller Ombudsleute. Aber wir blicken auch mit Stolz auf unsere Arbeit in Nordrhein-Westfalen und sind davon weiterhin sehr überzeugt.

Wir halten das Verfahren, Bürgereingaben unmittelbar an den Petitionsausschuss zu geben, das heißt, durch die Parlamentarier zu bearbeiten, weiterhin für die richtige Entscheidung. Hier, beim Gesetzgeber, sind die Nöte und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger gut aufgehoben. Unsere Erfolgszahlen und unsere vergleichsweise zügige Bearbeitung der Eingaben bestätigen das.

Als weiterer Pluspunkt ist zu nennen, dass der Petitionsausschuss den Fachausschüssen häufig Rückmeldungen geben kann, wenn er grundsätzliche Hinweise zu Gesetzesvorhaben oder zu bereits geltendem Recht bekommen hat. Fluten von Unterschriften sind ein deutliches Zeichen, nochmals genau auf das vielleicht gerade eingebrachte Gesetz zu schauen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige Schwerpunkte unserer Arbeit herausgreifen.

Das Sozialrecht steht immer im Zentrum des Petitionsausschusses. Hier erfahren wir aus den Eingaben viele private Einzelheiten aus dem Leben der einzelnen Petenten. Es sind Geschehnisse, von denen man eigentlich annimmt, dass die Menschen sie lieber nicht nach außen getragen hätten, beispielsweise wenn nicht genug Geld für Miete oder Strom übrig bleibt.

Eigentlich – das sagen alle – funktioniert das soziale Netz in unserem Land ja gut. Aber was ist, wenn sich in diesem sozialen Netz ein kleines, unbemerktes Loch ausweitet? Auch in Behörden kann man technische und menschliche Fehler nicht ausschließen. Manchmal treffen sie auch zusammen und ergeben, dass sich jemand aus Verzweiflung an uns wendet.

Dieses Unglück widerfuhr dem Ehepaar M. – ich sage das so, weil es nicht öffentlich ist –, das sich beim Petitionsausschuss darüber beschwerte, dass ihnen für zwei Monate SGB-II-Leistungen nicht rechtzeitig überwiesen worden waren. Sie wurden immer wieder abgewiesen. Sie befürchteten nun, mit ihrer Miete in Rückstand zu kommen und damit natürlich eine ganze Lawine auszulösen. Die Überprüfung hat ergeben, dass die Zahlung des Arbeitslosengeldes aufgrund eines mehrtägigen bundesweiten Ausfalls eines Computerprogramms verspätet erfolgte. Durch die Petition etwas mehr angetrieben, bekamen Herr und Frau M. sofort eine Barzahlung, die ihnen ermöglichte, ihre Miete zu leisten und auch ihren anderen Verpflichtungen nachzukommen.

Ein konkretes Thema, das für viele Menschen an mehreren Orten in NRW ein Umtreiben ergeben hat, ist die Suche nach neuen Standorten für Forensische Kliniken. Hierzu haben den Ausschuss einzelne und auch viele Sammelpetitionen mit Tausenden von Unterschriften erreicht. Die Bedenken und die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger kann wohl jeder hier nachvollziehen. Daher ist es dem Ausschuss wichtig, dass neben den fachlichen Entscheidungskriterien auch die Bedenken der Menschen eine Rolle spielen und mit großer Sorgfalt aufgegriffen werden.

Der Petitionsausschuss hat sich davon überzeugt, indem er sich in einer Sitzung von der Landesregierung umfassend über mögliche Standorte und über die Maßnahmen zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Verfahren berichten ließ. Dabei hat der Ausschuss begrüßt, dass man um ein großes Maß an Transparenz bemüht war. Es ist zu hoffen, dass es dadurch gelingt, viele Konflikte aus dem Weg zu räumen.

Im zurückliegenden Berichtszeitraum war eine Vielzahl von Eingaben aus dem Schulbereich zu verzeichnen.

Inhaltlich betrafen die Eingaben häufig Fragen im Rahmen der Schaffung und Besetzung von Lehrer- oder Schuldirektorenstellen.

Aber auch das Thema „G8/G9“ beschäftigt weiterhin viele Petentinnen und Petenten – sei es, dass es um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung geht, sei es hinsichtlich konkreter Probleme, die die Umstellung auf G8 im schulischen Alltag mit sich bringt.

Dies war zum Beispiel bei einer Petition der Fall, bei der es darum ging, Schülerinnen und Schülern trotz der durch die Einführung von G8 verdichteten Lehrpläne konkret ausreichende Pausenzeiten zu belassen. Dieses Thema beschäftigt die Menschen und wird daher voraussichtlich auch den Petitionsausschuss in der nahen Zukunft beschäftigen.

Der Petitionsausschuss hat das Recht und die Pflicht, seine Erkenntnisse an die Fachausschüsse weiterzugeben – das hatte ich schon gesagt –, und dadurch am Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. Daher ist der Petitionsausschuss auch der richtige Adressat, wenn es um Gesetzesanregungen, um Legislativpetitionen, geht. An die Landesregierung kann er Empfehlungen aussprechen, wichtige Themen zu verfolgen und sich bestimmten Fragen zu widmen.

So geschehen im folgenden Fall: Der Petent forderte eine Klärung einer rechtlichen Einordnung aufgefundener Tiere. Er führte hierzu unter anderem Folgendes aus:

„Um das Verwaltungshandeln in Nordrhein-Westfalen zu vereinfachen, langwierige Einzelfallprüfungen zu vermeiden, unnötigen Rechtsstreitigkeiten … aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig aber den Fortbestand der gemeinnützig anerkannten Tierschutzeinrichtungen zu sichern, bedarf es einer eindeutigen und abschließenden gesetzlichen Regelung hinsichtlich der Versorgung von verlorenen … und anderweitig aufgegriffenen Tieren.“

Das Anliegen, die behördliche Behandlung von Fundtieren tierschutzmäßig zu gestalten, war für den Ausschuss sofort nachvollziehbar. Nach dem eingeholten Bericht der Landesregierung stellte sich heraus, dass es in NRW tatsächlich keine speziellen Vorgaben zum Umgang mit aufgefundenen Tieren gibt. Andere Bundesländer hatten ihre Regelungen hierzu bereits angepasst.

Die Landesregierung sah nach den Hinweisen aus dem Petitionsausschuss ebenfalls Handlungsbedarf. Dabei galt es, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu finden. Um dies zu erreichen, wird es nun einen runden Tisch zu dieser Problematik geben. Schön ist, dass auch der Petent die Möglichkeit hat, an diesem runden Tisch mitzuwirken. Wie gesagt: Ein schöner Erfolg; denn mithilfe dieser Petition wird die Gesetzeslage nun geändert.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie alle wissen, dass die Arbeit des Petitionsausschusses hinter verschlossenen Türen stattfindet. Unsere Sitzungen und Erörterungstermine sind nicht öffentlich. Die uns anvertrauten Unterlagen behandeln wir sorgsam. Viele Fälle enthalten sensible Einzelheiten aus dem Leben der Menschen und sind nicht geeignet, in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden. Trotz alledem möchte ich Ihnen einige Fälle – anonymisiert – vortragen, um ein wenig von unserer Arbeit zu berichten.

In Zeiten, in denen immer mehr Daten für eine immer größere Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, ist es wichtig, Sensibilität zu wecken und das Bewusstsein zu stärken, seine eigenen Daten zu schützen. Mangelndes Problembewusstsein einer Schule beim Umgang mit dem Recht einzelner Schüler musste den Petitionsausschuss in einem Fall auf den Plan rufen.

An einem Gymnasium wurden Fotos der Schülerinnen und Schüler öffentlich auf einer Tafel im Flur aufgehängt. Dies geschah ohne ihre Einwilligung bzw. ohne Einwilligung der Eltern. Ein minderjähriger Schüler verlangte von der Schulleitung die Entfernung seines Fotos. Als diese nicht reagierte, wandte sich der junge Mann an den Petitionsausschuss. Der Ausschuss überprüfte das und fand seine Petition teilweise begründet, denn die Schulleitung war seiner Bitte zu Unrecht nicht nachgekommen. Das veröffentlichte Foto wurde zunächst lediglich überklebt, aber im weiteren Verlauf entfernt. Dies konnte im Rahmen des Petitionsverfahrens erreicht werden.

Aus Sicht des Ausschusses hat dieser Fall insofern besondere Bedeutung, als gerade im digitalen Zeitalter ein verantwortlicher Umgang mit modernen Medien und Personendaten in der Schule nicht nur im Unterricht vermittelt, sondern auch vorgelebt werden sollte.

Europa rückt immer näher. In einem Fall ging es um das deutsche und das italienische Namensrecht. Eine italienische Staatsangehörige, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, war davon ausgegangen, dass sie seit ihrer Heirat im Jahr 1975 in Italien den Namen ihres Ehemannes führt, und dies wohl auch deshalb, weil sie von der Stadt, in der sie lebt, im Melderegister – fälschlicherweise – mit diesem Nachnamen eingetragen wurde. In ihrem Alltag hatte sie sich immer mit dem Namen ihres Mannes angemeldet, obwohl sie weder Pass noch Ausweis mit diesem Namen besaß. Nach einem Wohnortwechsel erfuhr sie dann bei der Ummeldung, dass tatsächlich immer noch ihr Mädchenname ihr Familienname sei. Sie hatte also über 40 Jahre mit einem falschen Namen gelebt.

Im Rahmen des Petitionsverfahrens wurde das sehr unterschiedliche deutsche und italienische Namensrecht überprüft. Eheleute führen in Italien keinen gemeinsamen Familiennamen, sondern jeder behält den Nachnamen, den er bei der Heirat hatte. Mit diesem Namen hatte die Petentin auch ihren italienischen Pass unterschrieben, auch wenn sie später immer den Nachnamen ihres Mannes benutzt hat. Sie wurde durch das Standesamt darauf hingewiesen. Man konnte ihr helfen, indem man eine neue Meldebestätigung für sie ausgefüllt hat, in der nun steht, dass sie verheiratet ist, aber einen anderen Familiennahmen hat als vorher angegeben.

Bachelor und Master: Auch die neuen Hochschulabschlüsse sorgen immer wieder für Eingaben an den Ausschuss.

Ein Beispiel: Mehrere Absolventinnen eines Modell-Bachelorstudiengangs im Bereich Gesundheitswesen einer nordrhein-westfälischen Hochschule beklagten, dass sie mit ihrem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt nur sehr eingeschränkt Verwendung finden könnten. Es sei ihnen jedoch vor Aufnahme des Studiums vermittelt worden, mit dem Abschluss in dem betreffenden Arbeitsbereich universell einsetzbar zu sein. Nun stellte sich also heraus, dass der Abschluss eigentlich keine Bedeutung hatte. Sie haben sich dann mit einer Petition an den Petitionsausschuss gewandt. Durch das Petitionsverfahren konnte erreicht werden, dass den jungen Damen ermöglicht wird, zwei im Wintersemester angebotene Kompaktveranstaltungen der Hochschule zu besuchen, um ihre Qualifikation zu erweitern.

Über einen längeren Zeitraum hat der Petitionsausschuss die Eingabe verschiedener Anwohner einer Justizvollzugsanstalt begleitet, die im Zuge der Schaffung weiterer Haftplätze einen umfangreichen Neubau erhalten hatte. Sie können sich das nicht vorstellen: Die Gebäude ragten deutlich über die Gefängnismauer hinaus, die Insassen hatten einen direkten Einblick in die Nachbargärten. Die Anwohner klagten über häufige, gravierende nächtliche Lärmbeeinträchtigungen. Jeder hat davon gewusst, als er da gebaut hat, und es wäre auch kein Thema gewesen, wenn das Gebäude nicht so immens hoch gewesen wäre. Nun aber fühlten sich die Anwohner in ihrer Sicherheit bedroht, da ihre Grundstücke für die Gefangenen rundherum einsehbar waren und diese zusätzlich die Möglichkeit hatten, mit anderen außerhalb des Gefängnisses zu kommunizieren.

Der Petitionsausschuss informierte sich vor Ort über die Gegebenheiten und ließ verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der Situation prüfen. Nach einem längeren Entscheidungsprozess gelang es schließlich, die Lage für die Nachbarn deutlich zu entspannen, indem neben einem Sichtschutz aus immergrünen Pflanzen und einem Austausch der Fensterverriegelungen noch andere Dinge unternommen wurden. So wurden zum Beispiel jüngere Menschen in einen anderen Trakt verlegt, und es wurde deutlich ruhiger.

Ebenfalls als Mediator arbeitete der Ausschuss bei einer Eingabe im Siebengebirge. Das war eine Petition mit hoher medialer Aufmerksamkeit. Hier hatte sich ein Felsen gelöst – Sie wissen das vielleicht –, bedrohte die Spaziergänger und Weinbauern und machte eine Nutzung der Wege und Weinbergflächen unmöglich. Eine Befestigung der Felswand kostete eine hohe Summe Geld, die von keinem der beteiligten Akteure alleine bezahlt werden konnte. Unter anderem durch Gespräche des Petitions­ausschusses in mehreren Terminen vor Ort wurde endlich eine Lösung gefunden – alle sind aufeinander zugegangen –, mit der alle leben können. Sie eröffnet den Freunden dieses wunderschönen Stückes NRW in Zukunft wieder die Möglichkeit, auf den Wanderwegen des Rheinsteigs zu spazieren. Auch den Weinbauern wird die Existenz ermöglicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Schluss meines Berichtes steht der Dank. Die heute vorgetragenen Fälle zeigen, dass einzelfallgerechte, pragmatische Lösungen oftmals möglich sind, wenn auf allen Ebenen Bereitschaft zum Dialog steht. Diese Bereitschaft zu wecken und als Vermittler oder Helfer zu agieren ist eine arbeitsintensive, aber bereichernde und lohnenswerte Aufgabe, der sich die 25 Abgeordneten des Ausschusses mit viel Engagement und Herzblut widmen. – Jetzt dürfen Sie ruhig mal klatschen.

(Allgemeiner Beifall)

Was jedoch wäre dieses Engagement ohne die zielführende, immer verbindliche, fachlich kompetente Begleitung durch die Damen und Herren des Petitionsreferats? – Auch an dieser Stelle müssen Sie klatschen; denn ohne die wären wir gar nichts.

(Allgemeiner Beifall)

Danke schön.

Ich möchte mir erlauben, hier im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen einen ganz besonderen Dank weiterzugeben: an Sie alle, die uns immer in unserem Tun unterstützt haben. Ich habe es noch nicht erlebt, dass irgendein Abgeordneter gesagt hat: Da helfe ich nicht weiter. – Es gab immer eine positive Auseinandersetzung, positive Gespräche. Schönen Dank dafür!

Bevor ich schließe – jetzt ist es auf der Tribüne leider etwas ruhiger geworden –, möchte ich eine Bitte an die Damen und Herren auf der Tribüne richten. Auf den Stellagen am Eingang befinden sich Informationen über das Petitionswesen. Nehmen Sie sich diese reichlich mit, lesen Sie sie durch, wenn Sie die Zeit dafür finden, und geben Sie sie vor allen Dingen weiter! Das Wissen könnte dem einen oder anderen wirklich einmal guttun; es könnte ihm sehr viel Geld wert sein.

Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Klöpper. – Auch ich möchte mich sehr herzlich bedanken: bei der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, den Mitgliedern des Petitionsausschusses, also den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, aber auch den Mitarbeitern des Landtagsreferats für die engagierte Arbeit, die im Petitionsreferat zum Wohle und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger geleistet wird. Noch mal herzlichen Dank für den Bericht, Frau Kollegin Klöpper, aber insbesondere auch für die Arbeit, die im Laufe des Jahres im Petitionsausschuss und im Petitionsreferat geleistet wird. Vielen Dank im Namen des Landtags Nordrhein-Westfalen!

(Allgemeiner Beifall)

Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt

8   Einspruch! Die Änderungen des Antiterrordateigesetzes setzen die Vorgaben aus dem Urteil des BVerfG vom 24. April 2013 (1 BVR 1215/07) nicht um

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6117

Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten dem Kollegen Herrmann das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Nachdem wir gestern eindrucksvoll erfahren durften, dass die ehemalige Bürgerrechtspartei FDP – ein paar sind auch noch da – hier Angst und Schrecken verbreitet, um mehr Befugnisse und weniger Kontrolle für unsere Sicherheitsbehörden rauszuschlagen, kommen wir nun zu einem Antrag, der genau das Gegenteil will.

Damit wollen wir aber nicht unsere Sicherheitsbehörden unfähig machen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Aber: Sicher macht uns vor allem eine starke Zivilgesellschaft, die in Freiheit auf Basis gleichberechtigter Teilhabe zusammenlebt, und keine Überwachungsgesellschaft.

(Beifall von den PIRATEN)

Mit unserem Antrag versuchen wir heute, unseren Beitrag zu leisten, um die von der Bundesregierung angestrebte totale Vernetzung zwischen Polizei und Geheimdiensten zu verhindern. Ja, es ist ein Bundesgesetz, und ja, es wird nach aktuellem Stand der Beratungen erst im September verabschiedet.

Der Bundesrat hat bereits eine Stellungnahme abgegeben, die wir zähneknirschend als Minimalkonsens auch unterstützen würden. Allerdings hat die Bundesregierung alle dort vorgesehenen Änderungsvorschläge ignoriert. Denn der Bundesregierung schwebt mit ihren Änderungen des Antiterrordateigesetzes vor, den Sicherheitsbehörden eine projektbezogene erweiterte Datennutzung zu ermöglichen. Damit würde allerdings die letzte Grenze zwischen einer offen arbeitenden Polizei und verdeckt arbeitenden Geheimdiensten aufgehoben.

Die informationelle Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, meine Damen und Herren, hat Verfassungsrang. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil im April 2013 eindeutig festgestellt. Das Gericht leitet aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung das Trennungsgebot ab. Das wird aber ad absurdum geführt, wenn sämtliche Inhalte der Antiterrordatei allen Sicherheitsbehörden uneingeschränkt zugänglich gemacht werden. Deshalb fordern wir mit unserem Antrag, das Vorhaben der Bundesregierung zu stoppen.

Mit dieser Forderung befinden wir uns übrigens in guter Gesellschaft. Neben dem höchsten deutschen Gericht fordern auch die Humanistische Union und das Deutsche Institut für Menschenrechte grundlegende Änderungen an der Antiterrordatei und deren gesetzlichen Ermächtigung.

Wir Piraten waren sogar vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts enttäuscht, denn wir fordern weiter gehende Änderungen bis hin zur Abschaffung solcher Dateien, weil sie eben ein riesiges Missbrauchspotenzial bergen. Es gab in den letzten Jahren so viele Skandale rund um die Geheimdienste, dass man diese gar nicht alle in einer Fünf-Minuten-Rede unterbringen kann.

Sie, Kollegen von der SPD – ich sehe leider kaum welche –, haben im letzten Plenum ihre Hand dafür ins Feuer gelegt, dass es keine Fehlspeicherungen beim NRW-Verfassungsschutz gibt. Wir hoffen, dass Sie sich an diese Aussage nicht irgendwann einmal die Finger verbrennen.

Mit unserem Antrag wollen wir eine geheime Staatspolizei, die mittels Data-Mining Fahndungsprofile erstellt und somit Zigtausende Menschen unter Generalverdacht stellt und nach x-beliebigen Merkmalen rastert, verhindern. Wir wollen keine totale digitale Rasterfahndung.

(Beifall von den PIRATEN)

Heute wurde in Berlin im NSA-Untersuchungsaus-schuss über die seit Jahren bestehende Vernetzung von BND und NSA gesprochen. Mit den ersten Aufdeckungen von Edward Snowden vor einem Jahr hieß es noch, dass es die gar nicht gibt. Dieser Eindruck sollte entstehen. Ganz genau hieß es nur, dass man dort PRISM nicht kennt. Auch das wird sich wahrscheinlich bald relativieren.

Gerade durch die jetzt belegte Verbindung von Verfassungsschutz, BND und NSA muss das Gesamtkonstrukt der Verbunddateien auf den Prüfstand. Denn zwei Drittel der Daten in der Antiterrordatei stammen vom Bundesverfassungsschutz und vom BND.

Sie als Landesregierung haben im Bundesrat Einflussmöglichkeiten auf den Gesetzentwurf und sollten mit Nachdruck weiter dafür Sorge tragen, dass Ihre Minimaländerungswünsche aus der Stellungnahme des Bundesrates Berücksichtigung finden. Sorgen Sie dafür, dass die im letzten Frühjahr durchgeführte Teilevaluierung nochmals richtig durchgeführt wird! Sorgen Sie dafür, dass es nicht zur Streichung aller Evaluierungen und Befristungen kommt, auch nicht beim Rechtsextremismus-Dateigesetz, wie es aktuell im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist! Und sorgen Sie vor allem dafür, dass die vorgesehene erweiterte Datennutzung nicht möglich wird!

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zumindest im Bund haben Sie sich eindeutig gegen den Gesetzentwurf positioniert. Werden wir im Rechtsausschuss wieder eine Ihrer Umfallaktionen erleben? Ich bin sehr gespannt. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank für diese wunderbare Rede. – Als nächster Redner ist Herr Thomas Marquardt an der Reihe. Herr Kollege Marquardt hat das Wort.

Thomas Marquardt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorabbemerkung. Dieser Antrag der Piraten gehört nicht in den Landtag von Nordrhein-Westfalen, sondern nach meiner Überzeugung in den Deutschen Bundestag. Herr Herrmann, Sie hatten es eingangs selbst erwähnt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, absolute Sicherheit kann und wird es in einem freien und demokratischen Rechtsstaat nicht geben. Die Freiheitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger sind ein überragendes Verfassungsgut. Gleichzeitig sind wir Politikerinnen und Politiker gefordert, die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land bestmöglich vor Gewalt und vor Terror zu schützen. Auch dies ist ein Verfassungsgebot.

Der internationale Terrorismus ist laut dem aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes die größte Bedrohung für unsere innere Sicherheit. Der Bericht verzeichnet ein islamistisches Gefährdungspotenzial von mehr als 40.000 Personen und stellt damit eine wachsende Personengruppe dar. Daneben gibt es auch eine Reihe von Einzelindikatoren, die auf ein wachsendes Gefahrenpotenzial hindeuten.

So verzeichnen unsere Sicherheitsbehörden steigende Ausreisezahlen von Kämpfern in das Bürgerkriegsland Syrien und Kämpfern, die teilweise von dorther in unser Land zurückkehren. Unabhängig davon, ob man diese Zahlen für zutreffend oder überzogen hält, denke ich, dass wir uns darin einig sind, dass Deutschland nach wie vor ein potenzielles Ziel des internationalen Terrorismus darstellt und wir die Bürgerinnen und Bürger vor diesen Gefahren schützen müssen.

Zum Schutz vor einschlägigen Gefahren wurde 2006 durch die damalige Koalition von CDU und SPD im Deutschen Bundestag die Einführung der sogenannten Antiterrordatei beschlossen. Hierdurch sollen Polizisten, Staatsanwaltschaften und Nachrichtendienste Zugang zu den gleichen ermittlungsrelevanten Daten für die Terrorabwehr erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen entschieden, dass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen im Grundsatz mit der Verfassung vereinbar sind. Gleichwohl hat es aber Nachbesserungen gefordert.

Die SPD-Landtagsfraktion vertritt die Auffassung, dass die Verfolgung des internationalen Terrorismus rechtsstaatlichen Grundsätzen folgen muss und die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts vollumfänglich zu erfüllen sind. Das informationelle Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten muss und wird gewahrt bleiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Innenausschuss des Bundestages wird es erst im September dieses Jahres eine öffentliche Anhörung zu den geplanten Änderungen an der Antiterrordatei geben. Ihr Antrag, liebe Piratenfraktion, kommt folglich viel zu früh. Wir können heute noch gar nicht sagen, in welcher Fassung der Gesetzentwurf den Bundesrat erreichen wird. Aus unserer Sicht besteht deshalb auch kein Anlass, den nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden die Nutzung von Informationen aus der Antiterrordatei sowie die Speicherung von Informationen in der Antiterrordatei unter den genannten Voraussetzungen zu untersagen. Die Informationen können geeignet sein, Schaden für Leib und Leben unserer Bürgerinnen und Bürger abzuwenden.

Ich freue mich auf die Beratungen im Rechtsausschuss. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Marquardt. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Sieveke.

Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Piraten befasst sich mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Antiterrordatei sowie zur Rechtsextremismusdatei. Bei diesen Dateien handelt es sich um Datenerfassungen, die es Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ermöglichen, auf wesentliche Informationen über gewaltbereite Extremisten zuzugreifen, diese zu analysieren und auszuwerten.

Zu diesen Dateien und den dazugehörigen Gesetzen – also dem Antiterrordateigesetz und dem Rechtsextremismusdateigesetz – hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass sie in Teilen verfassungsrechtlich beanstandet werden müssen. Daraus folgend hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, um – das ist eben schon erwähnt worden – verfassungsrechtliche Mängel der Regelungen zu diesen Dateien zu beseitigen.

Der jetzt laufende Diskussionsprozess sowie das jetzt auf der Bundesebene laufende Gesetzgebungsverfahren vollziehen sich vor dem Hintergrund einer Zeit, in der wir immer noch Neues über den Terror und die Verbrechen der NSU erfahren, einer Zeit zunehmender salafistischer Aktivitäten, einer Zeit des tagtäglichen Terrors und Kriegs in Syrien, im Irak und anderswo.

Die Details der Kritik des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich vor allem darauf, ob zum Beispiel jemand als Terrorist oder Extremist in einer Datei erfasst werden darf, der den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung von Weltanschauungen gutheißt, aber nicht eindeutig selbst Gewalt anwenden will oder dazu aufruft. Ich sage Ihnen dazu – und ich bitte die Kolleginnen und Kollegen im Rechtsausschuss sowie die Juristinnen und Juristen in diesem Hohen Hause dafür um Nachsicht – ganz klar: Mit solchen juristischen Feinheiten sollen sich gerne Rechtspolitiker und Gerichte befassen.

Als Innenpolitiker aber, dem die innere Sicherheit in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen wirklich am Herzen liegt, sage ich: Wir können doch Nazi-Propagandisten und Salafistenprediger hier vor unserer Haustür nicht unbeobachtet und unerfasst ihr Unwesen mit Worten treiben lassen, damit diese den Nährboden schaffen können, auf dem dann andere zum Mittel der Gewalt greifen und Menschen töten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn jemand Gewalttaten gutheißt – sei es in Reden auf Marktplätzen, in YouTube-Videos oder in Gesprächen im kleinen Kreis –, wird er zum Mittäter. Solche Propaganda ebnet dem zunehmenden weltweiten Terrorismus den Weg.

Der Vorwurf der Piraten, mit diesen Dateien seien auch in Zukunft Polizeibehörden und Geheimdienste zu sehr vernetzt, kann als Argument einfach nicht akzeptiert werden. Sie sprachen eben von Totalvernetzung und geheimer Staatspolizei. Natürlich wissen wir alle hier im Hohen Haus um die Vergangenheit, um die deutsche Geschichte. Wir wissen aber doch auch, dass im Fall der NSU ganz eindeutig fehlende oder mangelnde Vernetzung eine frühzeitige Aufklärung oder Entdeckung von Terroristen verhindert hat.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann?

Daniel Sieveke*) (CDU): Ja, sehr gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. Bitte schön, Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich glaube, Sie haben eben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Das sei aber hintangestellt. – Ich möchte jetzt nur die Frage stellen: Ist Ihnen bekannt, dass in dem Gesetz eben nicht nur die Kritikpunkte des Bundesverfassungsgerichts teilweise umgesetzt werden, sondern dass es auch völlig neue Befugnisse für den Umgang mit der Antiterrordatei enthält – vor allen Dingen auch mit der Rechtsextremismusdatei, die überhaupt nicht Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gewesen ist?

Daniel Sieveke (CDU): Das ist mir bewusst; aber ich verstehe die Frage nicht. Letztendlich ist das der Gesetzgeber, der in diesem Gesetz neuere Erkenntnisse mit regelt. Auf die Diskussion bzw. auf das Gesetz bin ich sehr gespannt.

Sie haben aber gerade mit der Frage suggeriert, ich hätte das Bundesverfassungsgericht kritisiert. Nein, das tue ich nicht. Das ist der Rechtsstaat. Wir haben heute an anderer Stelle schon einmal über diese Diskussion gesprochen.

Ich habe eben bei den Grünen gesehen oder es so wahrgenommen: Sie sagen jetzt etwas, was Sie heute Morgen eigentlich bei der Diskussion über Dortmund hier angesprochen haben. Dabei geht es um die Frage, warum derjenige, der etwas mehr erzählt, auch den Nährboden für andere Extremisten bereitet.

Letztendlich geht es hier darum: Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht umzusetzen und einzuhalten. Wir haben das im Gesetzgebungsverfahren dann auch aufzunehmen.

Viele Aspekte zur Neuregelung der Antiterrordatei sind doch Konsens. Die eingesetzten Techniken müssen sicher sein. Personenbezogene Daten müssen weitgehend geschützt bleiben. Fehlerhafte Erfassungen müssen schnell entdeckt und dann wieder gelöscht werden können. Die Antiterrordatei speichert ja im Übrigen auch nicht Daten, die extra dafür neu gesammelt würden. Nein, sie fasst als sogenannte Verbunddatei Datensätze der beteiligten Sicherheitsbehörden zusammen und lässt dadurch terroristische Netzwerkstrukturen erkennbar werden.

In dem dazu gehörenden Gesetz sind eben auch Schranken eingebaut, die einen Missbrauch oder eine Datensammelwut oder Sonstiges unterbinden. So gibt es die Unterteilung nach den Grunddaten sowie nach den sogenannten erweiterten Grunddaten, die dann zum Beispiel auch Telefonnummern, Bankverbindungen oder Fahrerlaubnisklassen enthalten können.

Der Zugriff von Sicherheitsbehörden auf diese Dateien ist dabei klar geregelt. Das wird mit der neuen Gesetzesvorlage der Bundesregierung sogar noch verschärft.

Ich komme zu folgendem Schluss:

Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat nur Teile und Details des Antiterrordateigesetzes beanstandet. Die Bundesregierung kommt diesen Teilaspekten mit ihrem neuen Gesetzentwurf in meinen Augen nach.

Zweitens. Der Überweisung an den Rechtsausschuss stimmen wir zu. Es kann sein, dass es unseren Rechtspolitikern fachliche Freude bereiten wird, die präzise Arbeit des Bundesverfassungsgerichts und der Bundesregierung noch einmal im Detail nachzuvollziehen.

Drittens. Der Tenor Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion, entbehrt leider jeglichen Bewusstseins für verantwortliche Innen- und Sicherheitspolitik in dieser Zeit, in der wir nun mal leben, und er dokumentiert ein völliges Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden in unserem Land. Das können wir nicht teilen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sieveke. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sieveke, zu Beginn meiner Rede gleich zu Ihrer Feststellung am Schluss: Ihre Feststellung, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vollumfänglich Rechnung getragen hat, ist, finde ich, eine gewagte These. Denn genau das haben nicht nur die Grünen und andere, sondern auch der Bundesrat ganz anders gesehen. Dieser Aussage schließen wir uns ausdrücklich nicht an.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich finde auch diese Parallelveranstaltungen im Landtag immer problematisch, wenn der Bundesrat die Sachen gerade wieder an den Bundestag abgegeben hat

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Es ist nur ein Einspruchsgesetz, kein Zustimmungsgesetz!)

und im Bundestag gerade das Verfahren läuft. Den Zeitpunkt finde ich nicht unbedingt hilfreich. Aber das nur am Rande.

Zum Verfahrensstand: Der Gesetzentwurf zum Antiterrordateigesetz betrifft die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Bis zum Ende des Jahres müssen die Vorgaben umgesetzt sein.

Herr Sieveke, Sie sollten das auch noch einmal nachlesen. Das Bundesverfassungsgericht hat hier schon eine ganze Menge zu dem derzeitigen Gesetz gesagt und hat es ziemlich verrissen. Es hat gesagt, dass unbestimmte Regelungen und unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung enthalten sind. Das waren keine Kleinigkeiten.

Der Gesetzentwurf ist am 23. Mai im ersten Durchgang im Bundesrat gewesen. Dort gab es auch Kritikpunkte. Zwei davon will ich herausgreifen. Der erste betrifft § 6a, die erweiterte Datennutzung, der – das hat der Bundesrat klar festgestellt – den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht wird. Zum Zweiten wurde im Bundesrat moniert, dass eine Entfristung des Gesetzes ohne eine vorherige, auch grundrechtsorientierte Evaluierung nicht geht.

Ich will nur diese beiden Kritikpunkte herausnehmen und noch einmal klarstellen: Nordrhein-Westfalen hat diese Änderungsanträge im Bundesrat unterstützt. Ich weiß gar nicht, warum wir heute darüber reden. Insofern ist das Land aus unserer Sicht genau richtig aufgestellt. Dafür, hier von „Umfallen“ zu reden, gibt es überhaupt keine Grundlage.

Darüber hinaus sehen wir Grüne allerdings auch weiteren Regelungsbedarf, der nicht bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein muss, der aber den ganz sensiblen Bereich des Trennungsgebotes betrifft, nämlich was die Übermittlungsvorschriften zwischen Verfassungsschutz und Polizei angeht. Hier gibt es ausdrücklich auch unterschiedliche Auffassungen zwischen dem BMI und den Ländern, insbesondere was den § 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes angeht. Dazu erarbeitet eine Bund-Länder-AG derzeit auch Vorschläge.

Ich will das hier noch einmal klarstellen. Dieses Trennungsgebot ist deswegen doch, Herr Sieveke, so sensibel – Sie sprechen da auch zu Recht unsere Geschichte an –, weil es nicht sein kann, dass grundsätzlich Daten oder Informationen, die weit im Vorfeld mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben werden, also vor der Gefahrenabwehr, bevor etwas passiert ist, bevor Gefahr droht, einfach zur Polizei rübergeschoben werden können und diese weiter damit arbeiten kann. Das kann es in einem Rechtsstaat nicht geben. Deswegen haben wir aus guten Gründen dieses Trennungsgebot.

Jetzt komme ich zum Aber, und da widersprechen wir auch den Piraten. Aber daraus zu schließen – wie Sie es im Antrag machen –, dass jegliche Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten hier überhaupt nicht stattfinden darf, halten wir genauso für falsch.

Denn – das ist richtig – die Konsequenzen aus den NSU-Morden heißen auch: Hier müssen wir schauen, wo wir in einem rechtsstaatlich vertretbaren Maße tatsächlich Informationen gegenseitig nutzen, aber eben nicht in der Form, wie es derzeit im Bundesverfassungsschutzgesetz steht. Da sehen wir in der Tat Änderungsbedarf, der sich dann nachher ja auch in unserem Landesverfassungsschutzgesetz niederschlagen wird. So, wie da der BMI vorgeht, finden wir, geht es nicht.

Der Ball liegt im Feld des Bundestages. Das wird irgendwann wieder im Bundesrat ankommen.

Ich sehe derzeit hier keinerlei Veranlassung, im Landtag noch einmal zu bekräftigen, dass das, was die Landesregierung im Bundesrat gemacht hat, genau richtig ist, nämlich Änderungsanträge einzubringen, damit wir ein rechtsstaatliches Gesetz bekommen. Ich denke, das wird in der zweiten Runde – je nachdem, was für ein Gesetz auf den Tisch kommt – auch der Fall sein. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bekämpfung von Terrorismus ist, wie auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Antiterrordatei ausdrücklich festgestellt hat, für einen demokratischen Rechtsstaat von großer Bedeutung. Daran haben uns nicht zuletzt die furchtbaren Taten des NSU wieder erinnert.

Mit dem vorliegenden Antrag greifen die Piraten das aktuelle Verfahren zur Änderung des Antiterrordateigesetzes auf, mit dem das Gesetz an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden soll. Das Gericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Antiterrordatei in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar ist, dass jedoch einzelne Regelungen mangels hinreichender Bestimmtheit und mangels Vereinbarkeit mit dem Übermaßverbot das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen.

Bei der Antiterrordatei handelt es sich um eine Verbunddatei verschiedener Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die im Kern auf die Informationsanbahnung beschränkt ist und eine Nutzung der Daten zur operativen Aufgabenwahrnehmung nur in dringenden Ausnahmefällen vorsieht – und das aus gutem Grund. Polizei und Geheimdienste haben deutlich unterschiedliche Aufgaben. Dementsprechend unterliegen sie hinsichtlich der Offenheit ihrer Aufgabenwahrnehmung sowie bezüglich der Datenerhebung grundsätzlich verschiedenen Anforderungen.

Den Nachrichtendiensten kommt die Aufgabe zu, Aufklärung bereits im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben. Ziel ist nicht die operative Gefahrenabwehr, sondern die politische Information.

Die Aufgaben der Polizei- und Sicherheitsbehörden sind dagegen geprägt von einer operativen Verantwortung und insbesondere der Befugnis, gegenüber Einzelnen Maßnahmen erforderlichenfalls mit Zwang durchzusetzen. Daher sind ihnen grundsätzlich Befugnisse gegenüber Einzelnen nur aus konkretem Anlass verliehen. Voraussetzung ist in der Regel, dass Anhaltspunkte für einen Tatverdacht oder eine Gefahr vorliegen.

Aufgrund dieser Unterschiede hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch das informationelle Trennungsprinzip folgt. Demnach dürfen Daten zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden grundsätzlich nicht ausgetauscht werden.

Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze scheint die Große Koalition in Berlin aber nicht wirklich verinnerlicht zu haben. Wenn der Parlamentarische Staatssekretär beim BMI, Dr. Günter Krings, in der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Meinung ist, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Antiterrordatei wirke geradezu anachronistisch, da es erstmals ein verfassungsrechtliches informationelles Trennungsprinzip festschreibe, scheint er die grundrechtliche Dimension des Themas nicht verstanden zu haben.

Da verwundert es nicht, dass der Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils, auch wenn die einzelnen verfassungsgerichtlichen Vorgaben überwiegend beachtet wurden, gewichtigen Bedenken ausgesetzt ist.

Der Bundesrat – wie ich der Antwort auf meine Kleine Anfrage zum Abstimmungsverhalten in der betreffenden Sitzung des Bundesrates entnehmen durfte, ist auch die nordrhein-westfälische Landesregierung den Empfehlungen des Bundesrats-Rechtsausschusses gefolgt – hat wichtige Änderungen im Gesetzentwurf angemahnt.

In der Tat sollte die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene einschränkende Auslegung des Begriffs der rechtswidrigen Gewalt in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen werden.

Auch muss im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geprüft werden, ob die Eilfallregelung, der ein besonders schweres Eingriffsgewicht zukommt, nicht mangels praktischer Relevanz aufgehoben werden kann, wenn im einzigen Anwendungsfall nicht einmal nachvollzogen werden kann, dass die Voraussetzungen überhaupt gegeben waren.

Dass Staatssekretär Dr. Krings dies als Beleg anführt, wie zurückhaltend und verantwortungsvoll die Behörden mit dieser Befugnis umgehen, kann nicht überzeugen.

Ebenso verbietet sich eine Entfristung der Regelung zur erweiterten Datennutzung im Rechtsextremismus-Datei-Gesetz, bevor sie nicht evaluiert ist, und erst recht eine Übertragung dieser Regeln in das Antiterrordateigesetz, die nicht nur nicht der Umsetzung des Urteils dient, sondern auch große Zweifel an der Verfassungskonformität mit sich bringt; denn die Nutzung der Daten zur operativen Aufgabenwahrnehmung würde damit nicht mehr auf Eilfälle beschränkt und sich vom Prinzip der Einzelfallabfrage lösen. Beide Elemente waren aber maßgeblich für die Bewertung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Antiterrordatei in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar ist.

Mit Ihrer Aufforderung, die polizeilichen Landesbehörden und den NRW-Verfassungsschutz anzuweisen, vorerst keine Speicherungen mehr in der Antiterrordatei vorzunehmen, dürften Sie im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Umsetzungsfrist bis Ende dieses Jahres allerdings über das Ziel hinausschießen, meine Damen und Herren von den Piraten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung im Rechtsausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meines Erachtens müssen wir in dieser Debatte einen Aspekt noch einmal deutlich herausheben. Die Antiterrordatei verfolgt nicht das Ziel, Herr Herrmann, unendliche Datenmengen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger zu sammeln. Sie verfolgt den Zweck, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Dieses Ziel – nur dieses Ziel – ist ihre Daseinsberechtigung.

Das Bundesverfassungsgericht hat an diesem Zweck auch nichts auszusetzen. Es hat sogar ausdrücklich erklärt, dass die Antiterrordatei als Verbunddatei mit den Grundstrukturen unserer Verfassung vereinbar ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat – das haben einige Redner schon gesagt – allerdings auch Nachbesserungsbedarf festgestellt. Deshalb ist der Gesetzgeber im Bund gefordert, ein Gesetz vorzulegen, das genau diesen Anforderungen entspricht.

Die Piraten unterstellen in ihrem Antrag, dies sei dem Gesetzgeber nicht gelungen. Sie machen sich aber nicht die Mühe, näher zu begründen, welche konkreten Anforderungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ihrer Meinung nach nicht erfüllt sein sollen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das machen wir dann im Rechtsausschuss!)

Meine Damen und Herren, wir sind nicht mit allen Regelungen im Gesetzentwurf des Bundes zufrieden. Das sage ich ganz offen. An dieser Stelle möchte ich nämlich gerne differenzieren.

Was die Entfristung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes angeht, sind wir weitestgehend auf einer Linie mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte.

(Beifall von Frank Herrmann [PIRATEN])

Das haben wir im Bundesrat auch deutlich gemacht. Das Gleiche gilt für eine erweiterte projektbezogene Nutzung der Datei. Auch daran haben wir deutlich Kritik geäußert. Die Mehrheit der Länder hat diese Kritik allerdings nicht mitgetragen. Deshalb hat der Gesetzentwurf das Bundesratsverfahren bereits durchlaufen.

Was die übrigen Teile des Gesetzentwurfs betrifft, sind wir als Landesregierung allerdings der Meinung, dass sie mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sind. Wie Sie sicherlich selbst erkannt haben, hat das Gericht festgestellt, dass die Antiterrordatei nicht das Trennungsgebot verletzt und dass die Datei in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar ist.

Deshalb besteht für mich auch kein Anlass – Herr Herrmann, das mag Sie enttäuschen –, eine Speicherung in der Antiterrordatei zu untersagen. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. Damit sind wir am Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung:

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/6117 an den Rechtsausschuss; abschließende Abstimmung dort in öffentlicher Sitzung. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist die Empfehlung einstimmig so angenommen.

Wir kommen zu

9   Freie Berufe in Nordrhein-Westfalen stärken: Europäisches Semester kritisch begleiten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6134

Es spricht für die antragstellende Fraktion der CDU Herr Kollege Wüst.

Hendrik Wüst (CDU): Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Binnenmarkt gehört zu den weltweit größten Wirtschaftsräumen. Nordrhein-Westfalen profitiert davon wie kaum eine andere europäische Region. Alleine im Jahre 2013 wurden Waren im Wert von 112 Milliarden € in die Europäische Union exportiert, wenn man überhaupt noch von „Export“ sprechen kann. 60 % der Gesamtexporte gehen in den Europäischen Binnenmarkt. 2012 exportierten nordrhein-westfälische Firmen in die Niederlande mehr als in die Vereinigten Staaten von Amerika und China zusammen. Nach den Niederlanden kommen dann erst Frankreich, Belgien und Großbritannien.

Deshalb ist eins völlig klar und ziemlich unstreitig: Ein funktionierender EU-Binnenmarkt ist im Interesse der Wirtschaft unseres Landes und im Interesse des Landes selber. Schaut man aber genauer hin, sieht man, dass speziell das produzierende Gewerbe in besonderem Maße vom EU-Binnenmarkt profitiert, während das bei den Dienstleistungen noch lange nicht in dem Maße der Fall ist. Erst 10 % der Dienstleistungen werden in der Europäischen Union grenzüberschreitend erbracht.

Deshalb ist es auch richtig, dass sich die Europäische Union bemüht, in diesem Bereich mehr Möglichkeiten zu schaffen, grenzüberschreitende Dienstleistungen zu vereinfachen.

Auch die Landesregierung sieht das so. Auf der Internetseite des Wirtschaftsministeriums steht der richtige Satz, dass es Ziel sei, Unternehmen und Dienstleistern die Teilnahme am Wirtschaftsleben eines oder mehrerer Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erleichtern.

Auch die CDU-Fraktion unterstützt dieses Ziel grundsätzlich.

Allerdings gilt es auch, Kollateralschäden zu vermeiden. Deutschland wird in der EU für seine Wirtschaftskraft bewundert, teilweise auch kritisiert. Wir kennen das alle. Deshalb muss man bei aller Bescheidenheit auch sagen dürfen, dass man von einander lernen muss. Wir können von anderen lernen, und andere können eben auch von uns etwas lernen, auch von speziellen deutschen Strukturen. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn in den länderspezifischen Empfehlungen für das europäische Semester beschrieben wird, dass man in der Europäischen Union viele Eigenheiten der freien Berufe in Deutschland als Marktzugangshemmnis sieht und insofern versucht zu schleifen.

Die freien Berufe stehen für 10 % aller Erwerbstätigen in Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der Selbstständigen hat sich in den letzten 40 Jahren vervierfacht, und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter in den freien Berufen hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt.

Insofern sind diese freien Berufe eine Erfolgsstory, die es zu verteidigen gilt. Nehmen wir als Beispiel einmal Kosten- und Honorarordnungen, die ja auch dafür stehen, dass man hochqualitative Leistungen bei Freiberuflern zu transparenten Preisen bekommt, die auch nur deshalb einen geschützten Beruf ausüben können, weil sie eine nachgewiesenerweise dafür ausreichende Qualifikation mitbringen:

Von Ärzten erwarten wir, dass sie Patienten unabhängig vom Geldbeutel ordentlich und hochqualitativ behandeln. Von Notaren erwarten wir, dass sie neutrale Sachwalter sind und nicht parteiisch. Wer ein Haus baut, erwartet, nicht nur ein schönes Haus geplant zu bekommen, sondern dass es dabei auch nach Recht und Gesetz zugeht. Rechtsanwälte werden ja auch als Organe der Rechtspflege bezeichnet.

Deshalb hängen Qualifikation, Qualität und eben auch die standardisierte Vergütung miteinander zusammen.

Mein zweites Thema ist das Fremdkapitalverbot. Der Freiberufler ist ein Freiberufler und soll unabhängig von externen Kapitalgebern sein, weil er schon zwei Interessen zu berücksichtigen hat, nämlich die seines Auftraggebers, Kunden, Patienten oder Mandanten auf der einen Seite und eben auch öffentliche Interessen. Auch dieses Thema ist in der EU etwas schwierig.

Drittes Thema: „Selbstverwaltung“. Wir kennen es alle von kritischen IHK-Mitgliedern. Die Pflichtmitgliedschaft in Kammern ist auch in Deutschland umstritten, hat aber eine Funktion. Selbstverwaltung entlastet Bürokratie. Selbstverwaltung entlastet Steuerzahler. Auch dieses System der Selbstverwaltung ist in der EU erklärungsbedürftig.

Wir haben – im vergangenen Herbst beginnend – einen Antrag zum Thema „Meisterbrief“ gemeinsam erarbeitet. Auch dabei ging es darum, eine ziemlich typisch deutsche Sache gemeinsam gegenüber der EU zu vertreten. Ich würde mich sehr freuen, wenn es gelingen würde, das auch mit Blick auf die freien Berufe zu tun.

Deswegen will ich ganz ausdrücklich sagen: Wir haben einen CDU-Antrag eingebracht. Ich bestehe nicht darauf, dass dort am Ende nur „CDU“ draufsteht. Ich bestehe überhaupt nicht darauf, dass nicht jede Fraktion hier im Plenum gute Vorschläge einbringen kann, um diesen Antrag zu verbessern. Ich lade deshalb ganz herzlich dazu ein, die Debatte im Ausschuss dazu zu nutzen, diesen guten Antrag vielleicht sogar noch besser zu machen, und bin dafür offen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und Ralph Bombis [FDP])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Eiskirch.

Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den letzten Sätzen hat der Kollege Wüst meine vorher beim Lesen des Antrags ein bisschen aufgekommene Befürchtung entkräftet, es solle mit dem Antrag deutlich gemacht werden, dass es in Fragen der freien Berufe im Gegensatz zur Frage des Meisterbriefs im Handwerk bei den regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung geschlossene Türen gäbe.

Das ist nämlich definitiv nicht der Fall. Sowohl die regierungstragenden Fraktionen als auch die Landesregierung haben bereits in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass wir glauben, dass – durchaus ähnlich wie beim Meisterbrief – die deutschen Spezifika, die den Wettbewerb durch Qualität an der einen oder anderen Stelle gerade im Bereich der freien Berufe in den Vordergrund stellen, einer besonderen Betrachtung bedürfen.

Insofern noch einmal ganz klar: Das, was der Mittelstandsbeirat bereits veröffentlicht hat und der Verband der freien Berufe erklärt, zeigt, dass es bei diesen schon lange angekommen ist, dass Rot, Grün und die Landesregierung bereit sind, entsprechend mitzutun.

Deswegen nutze ich meine Redezeit nur sehr wenig aus und sage Ihnen: Betreffend die Meisterbriefe waren wir alle bereit, etwas ganz Neues und Gemeinsames zu entwickeln, was dann auch von uns gemeinsam seinen Titel bekommen hat. Das kann durchaus eine Möglichkeit sein, damit umzugehen. Es kann aber auch sein, dass wir etwas andere Akzente setzen wollen.

Aber wir sollten auf jeden Fall heute schon vereinbaren, dass wir ähnlich wie beim letzten Mal nicht nur im Ausschuss miteinander diskutieren, sondern uns in einer anderen Gesprächsatmosphäre zusammenzusetzen, um konstruktiv zu schauen, wie man zu möglichst breiter Übereinstimmung bei einer solchen Fragen kommen kann. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank für die Rede. – Als nächste Rednerin spricht Frau Schneckenburger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nicht immer einfach, das richtige Maß zu finden. Wir begrüßen einerseits das Bestreben der EU-Kommission, unverhältnismäßige Hürden beim Berufszugang in den Mitgliedstaaten zu beseitigen. Andererseits ist es aber auch zum Erhalt bestimmter Berufsbilder notwendig, bestimmte Regulierungen in den Mitgliedstaaten zu erhalten. Wir haben das bei der Debatte um den Meisterbrief – das ist eben erwähnt worden – gemeinsam so gesehen und gemeinsam so betont.

Gleichzeitig – darüber sind wir uns alle einig – gibt es sinnvolle Beschränkungen, die speziell der Qualitätssicherung dienen, zum Beispiel zum Verbraucherschutz oder zum Ausbildungsniveau – Stichwort, wie gesagt: Meisterbrief –, die ihre positive Wirkung entfalten.

Politik muss klassischerweise abwägen, wie man mit konkurrierenden Zielen umgeht, wenn es einerseits darum geht, Barrieren abzubauen, und andererseits darum, Gutes zu schützen.

Für uns sind die freien Berufe eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft. Ihre Erfolgsgeschichte wollen wir respektieren und vor allen Dingen für die Zukunft der Wirtschaftsstruktur in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland insgesamt bewahren.

Gleichzeitig muss man aber auch die Grundfreiheiten in der EU anerkennen. Beispielsweise darf die Dienstleistungsfreiheit nicht einseitig zulasten von Gemeinwohlinteressen ausgelegt werden. Die Kommission hat an verschiedenen Stellen, zum Beispiel im Rahmen der Revision der Richtlinie für gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen, allerdings einseitig auf die Öffnung des Sektors gesetzt.

Das Parlament hat dagegen erfolgreich Qualitäts- und Sicherheitsstandards verteidigt.

Gleichzeitig muss man feststellen, dass auch der demografische Wandel und die hohen Arbeitslosenzahlen Europa in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen stellen. Wir haben eine bedrückend hohe Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas.

Vielerorts in Deutschland fehlen Fachkräfte. Auch darum ist es sinnvoll, gegenseitig Berufsabschlüsse anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass junge Menschen, die zurzeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt in ihren südeuropäischen Ländern finden, jedenfalls vorübergehend Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Das darf wiederum nicht zulasten von Ausbildungsstandards gehen.

Das heißt, dass wir uns mit Blick auf die gute Diskussionskultur beim Meisterbrief, zu dem wir einen gemeinsamen Antrag formuliert haben, vorstellen können, zu einem gemeinsamen Diskussionsprozess zum Thema „freie Berufe“ zu kommen.

Der Mittelstandsbeirat hat im Februar dieses Jahres gerade mit Bezug auf den Meisterbrief betont, wie wichtig es ist, nicht nur den Meisterbrief im Handwerk zu schützen, sondern auch die Berufszugangsregelung für die freien Berufe. Auch dabei ist das Thema aufgerufen worden. Daher ist es ein Stück auf der nordrhein-westfälischen Tagesordnung.

Die Kommission selbst – das als letzte Bemerkung – ist etwas zurückgerudert. Sie hat selbst gesagt, sie wolle den Meisterbrief in Deutschland weder schleifen noch infrage stellen. Die Verantwortung bleibt bei den Mitgliedstaaten.

Es gibt einen Korridor der Annäherung, den ich auch für meine Fraktion bei diesem Antrag zur Sicherstellung und zur Bedeutung der freien Berufe in Nordrhein-Westfalen und Deutschland sehe. Daher möchte ich auch von unserer Seite das Signal geben, dass es sinnvoll ist, in einen gemeinsamen Diskussionsprozess nicht nur im Ausschuss, sondern gegebenenfalls auch auf anderen Wegen für eine gemeinsame Positionierung einzutreten. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneckenburger. – Für die FDP-Fraktion ergreift nun Herr Kollege Bombis das Wort.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Zur Bedeutung der freien Berufe für die Beschäftigung und für die Ausbildung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen ist schon viel gesagt worden. Ich möchte das nicht alles wiederholen.

Auch aus Sicht meiner Fraktion stehen die freien Berufe für hervorragende Qualifizierung, für Verbraucherschutz, für Vertrauen der Menschen in die betreffenden Berufsgruppen sowie für in der Regel qualitativ hochwertige und wichtige Dienstleistungen.

Die Anforderungen an die Freiberufler und die Voraussetzungen, die diese erfüllen müssen – das ist richtig – sind in Deutschland traditionell sehr hoch. Ich füge hinzu: Sie sind es auch zu Recht.

Niemand möchte im Krankheitsfall bei einem schlecht ausgebildeten Arzt landen. Niemand möchte in einem Haus leben oder arbeiten, dessen Architekt nichts von Statik verstanden hat. Andere Beispiele sind möglich. Auch insofern besteht in diesem Hause wohl ein deutlicher Konsens.

Deswegen verfolgt die CDU-Fraktion aus unserer Sicht ein richtiges Ansinnen, wenn sie Wege finden will, mit denen die freien Berufe gestärkt werden, und wenn sie fragt, wie das qualitativ hochwertige Niveau erhalten werden kann.

Auch richtig ist – das sage ich ebenfalls aus Sicht meiner Fraktion –, dass natürlich das europäische Semester, das im Antrag angesprochen wird, ein im Grundsatz unterstützenswertes Projekt ist. Eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik auch und gerade auf europäischer Ebene ist notwendig, um eine Voraussetzung zu schaffen, zukünftige Krisen nach Möglichkeit zu vermeiden und sie so unwahrscheinlich wie möglich zu machen.

Bei den konkret vorgeschlagenen Reformen dieses europäischen Semesters müssen wir uns aber klar darüber sein, dass wir keine Maßnahmen ergreifen sollten, die am Ende kontraproduktiv wirken. Klar ist: Eine Absenkung der Qualitäts- und Ausbildungsstandards wäre eine solche kontraproduktive Maßnahme.

Aus Sicht insbesondere eines Liberalen sage ich sehr deutlich: Maßnahmen unter dem Deckmantel der Deregulierung, die am Ende zu schlechteren Ausbildungsstandards, zu weniger Arbeitsplätzen, zu einer schlechteren Dienstleistungsqualität und damit auch zu schlechterem Verbraucherschutz führen, nutzen am Ende weder den Bürgerinnen und Bürgern noch der deutschen oder der europäischen Wirtschaft.

Insofern sagen auch wir, dass es eine Analogie zum Meisterbrief gibt, und ich freue mich, dass sich ein unaufgeregter Konsens über die wesentlichen Punkte abzeichnet.

Hohe Ausbildungsanforderungen sind in der Tat Eintrittsbarrieren in den Markt. Allerdings beinhaltet der europäische Geist nicht, dass ein Portugiese, der in seiner Heimat Rechtswissenschaften studiert hat, auch in Deutschland ohne Weiteres als Rechtsanwalt tätig sein kann – oder umgekehrt. Der europäische Geist beinhaltet vielmehr, dass es jedem europäischen Bürger möglich sein muss, in Deutschland einen Beruf nach den entsprechenden Voraussetzungen zu ergreifen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt. Das ist unserer Ansicht nach schon heute so, und daher unterstützen wir als FDP-Fraktion den Antrag der CDU in diesem Sinne ausdrücklich.

Sollte sich hier eine fraktionsübergreifende Möglichkeit ergeben, sich zu verständigen, so halten wir auch dies als Signal aus diesem Hause im Sinne dieser freien Berufe für sinnvoll.

Ich möchte mir aus Sicht meiner Fraktion dann aber doch noch einen kurzen Hinweis erlauben. Die freien Berufe befinden sich in der Situation, dass nicht nur das, was sich auf europäischer Ebene abzeichnet, für sie potenziell problematisch wird. Auch wir diskutieren hier in Deutschland immer wieder Dinge – sei es in steuerlicher Hinsicht, sei es mit Blick auf die Sozialversicherungssysteme –, die gut funktionierende Einrichtungen bei den freien Berufen infrage stellen. Ich meine, wir täten gut daran, auch dies unaufgeregt, sachlich, aber in aller Klarheit zu formulieren. Denn dann täten wir eindeutig etwas für die freien Berufe.

Insofern freue ich mich auf die Befassung mit dem Antrag im Ausschuss. Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir als Fraktion selbstverständlich zu.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bombis. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Es ist noch gar nicht so furchtbar lange her, da haben wir hier an dieser Stelle über einen ganz ähnlichen Fall debattiert. Die EU-Kommission wollte in einer Transparenzinitiative überprüfen lassen, ob im deutschen Handwerk der Meisterzwang auch heute noch seine Berechtigung hat – oder anders gewendet – oder ob die Qualität und der Erhalt von Ausbildungsplätzen vielleicht auch mit etwas weniger strikten Vorgaben zu erreichen sind.

Alleine die Intention – Ergebnisse lagen zu dem Zeitpunkt schließlich noch nicht vor – wurde geradezu als Ketzerei an der Zunft und ihrer 1953 eingeführten Handwerksordnung empfunden. Diese versuchte Häresie veranlasste die anderen Fraktionen, sich ohne Wenn und Aber in einem Antrag schützend vor das Handwerk zu stellen. „Veränderungen abwehren, Status quo bewahren“ – diese Absicht gefiel dem Nordrhein-westfälischen Handwerkskammertag so gut, dass die beteiligten Fraktionen mit der Floriansplakette geehrt wurden.

Heute beraten wir eine ähnliche Fragestellung. Diesmal hat die EU-Kommission in ihren länderspezifischen Empfehlungen geraten, die Hemmnisse und Hürden von freiberuflichen Dienstleistungen zu überprüfen. Wir reden also über Rechtsanwälte, Ärzte und Architekten, die eben nicht der normalen Gewerbeordnung zugeordnet sind. Vielmehr unterliegen sie in der Ausübung ihres freien Berufs einer speziellen Regulierung.

Die freien Berufe sind nicht irgendwelche x-belie-bigen Wirtschaftsbranchen, sondern gehören durch ihre Organisation in berufsständischen Körperschaften zur sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung. Damit einher geht eine Zwangsmitgliedschaft in Kammern. Festgelegte Kosten- und Honorarordnungen und weitere Besonderheiten treten hinzu.

Ich bin der Meinung, wir sollten uns dieser Debatte stellen. Es tut nicht gleich weh, wenn wir gefragt werden, ob die derzeitige Ausgestaltung des Kammerwesens noch zeitgemäß ist oder vielleicht modernisiert werden muss. Denn es geht der Europäischen Kommission eben nicht um eine komplette Abschaffung des bestehenden Systems oder eine Absenkung von Standards. Es geht ihr um seine graduelle Verbesserung. Dazu schreibt sie:

„Die verschiedenen Regelungen für freiberufliche Dienstleistungen auf Länderebene weisen darauf hin, dass Spielraum dafür besteht, die mit dem geringsten Aufwand verbundenen regulatorischen Ansätze zu ermitteln und deren Anwendung bundesweit auszudehnen.“

Ist das so schlimm? Lassen Sie uns inhaltlich über die besten Gestaltungsmöglichkeiten debattieren und nicht voreilig in Konservativismus verfallen, der sich nur auf das krampfhafte Bewahren der etablierten Ordnung versteht. Wenn man die Punkte 1 bis 7 Ihres Antrags durchgeht, wird man nämlich Zeuge genau einer solchen Geisteshaltung.

Nur eine Frage bleibt noch offen: Von welcher Kammer erhalten Sie dieses Mal eine Medaille, sehr geehrter Herr Kollege Wüst? Gleich, ob es die Architekten- oder die Ärztekammer ist: Ich bin sicher, es wird sich schon jemand finden, der sich für diesen Antrag zu bedanken weiß.

Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung an den Ausschuss zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schwerd. – Die Landesregierung wird nun durch Herrn Minister Duin vertreten.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon von den Rednern unterschiedlicher Fraktionen betont worden, dass in diesem Antrag sehr viel Richtiges steht; Herr Wüst hat es auch begründet. Leider – und das ist keine Kritik an dem Antragsteller – enthält er wenig Neues.

Die Ursache dafür ist aber in der Tat die, dass es sich um eine gepflegte Wiedervorlage seitens der EU-Kommission handelt, die immer wieder mit solchen Themen auf uns zukommt. Mit schöner Regelmäßigkeit stellt die Kommission immer wieder die in Deutschland geltenden Regeln für den Zugang zu bestimmten Berufen infrage. Das betrifft, wie schon erwähnt, den Meisterbrief genauso wie die freien Berufe.

Und wie schon im Vorjahr hat die Kommission auch in diesem Jahr wieder ihre Stellungname zum Nationalen Reformprogramm der Bundesregierung mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Damit wird die Bundesregierung aufgefordert, ehrgeizigere Maßnahmen zur Belebung des Wettbewerbs im Dienstleistungsbereich zu entwickeln, heißt es. Zwischendurch, im Oktober des letzten Jahres, hat die Brüsseler Verwaltung sogar noch einen Arbeitsplan zur Evaluierung der Berufszugangsregeln in den Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht.

Meine Damen und Herren, ich bin trotzdem immer wieder erstaunt, mit welcher Halsstarrigkeit die Verfasser dieser Vorstöße die für diesen Bereich geltenden Spielregeln missachten. Denn die Kompetenz zum Erlass von Regeln über den Berufszugang liegt ausschließlich bei den Mitgliedstaaten. Das hat der nordrhein-westfälische Landtag zuletzt im Dezember 2013 auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in Sachen Meisterbrief festgestellt.

Wenige Tage zuvor hatte auch der Deutsche Bundesrat auf Initiative von NRW, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Bayern die nationale Zuständigkeit für Berufszugangsregeln bekräftigt. In diesem Beschluss heißt es unter anderem zu der erwähnten Evaluation, dass sie nicht zum Basar für Qualifikationen und Berufsbildungssysteme werden dürfe. Im Übrigen hat sich der Bundesrat klar zur berufsständischen Selbstverwaltung der freien Berufe bekannt. Auch das ist gerade schon erwähnt worden.

Ich habe mich sehr gefreut, dass auch der Mittelstandsbeirat der Landesregierung am 10. Februar 2014 die Beschlüsse des Landtages und des Bundestages ausdrücklich begrüßt. Damit ist, glaube ich, eine große Mehrheit auch hier im Hause dafür vorhanden, dieses noch einmal zu unterstreichen. Angesichts der Hartnäckigkeit, mit der die Kommission uns diese Debatte immer wieder aufzwingt, ist es wohl auch noch einmal erforderlich, ein starkes deutliches und wahrnehmbares Signal zu setzen.

Da das Thema „Meisterbrief“ in den Debatten schon häufiger als eine Blaupause beschrieben worden ist: Ich kann Ihnen aus den vielfältigen Besuchen nur berichten, dass es eine enorm positive Resonanz auf das damalige Abstimmen hier im Landtag gegeben hat. Das hat das Vertrauen auch in das Selbstverständnis dieses Parlaments und in die wirtschaftspolitische Vernunft dieses Parlaments auch mit seinen Äußerungen gegenüber der EU-Kom-mission deutlich gestärkt. Das war ein wirklich starkes Signal, was nicht nur durch die entsprechende Anerkennung beim Handwerk zum Ausdruck gekommen ist, sondern das ist wirklich ein nachhaltiges Signal für die Qualität auch der Diskussionskultur in diesen Fällen.

Deswegen würde ich mich und würde sich die Landesregierung sehr freuen, wenn ein ähnlich starkes Signal zumindest von vielen Fraktionen hier im Hause in dieser Frage betreffend die freien Berufe erneut ausgehen könnte. Die Diskussion hat gezeigt, dass wir dort auf einem guten Weg sind. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Damit wir sind wir am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/6134 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, an den Ausschuss für Europa und Eine Welt sowie an den Rechtsausschuss; die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung so angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

10       Spione unerwünscht: Wissen über sichere E-Mail-Kommunikation verbreiten!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6115

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6203

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Piratenfraktion Herrn Schwerd das Wort.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und vor den Bildschirmen!

E-Mails stellen heutzutage den Dreh- und Angelpunkt elektronischer Kommunikation dar. Wir versenden auf diese Weise Bewerbungen, Angebote, Verträge, wir senden Grüße, Liebesbriefe, berichten aus unserem Privatleben. Alle diese Nachrichten sind alleine für die Augen des Empfängers bestimmt.

Leider ist die E-Mail von Hause aus keine sichere Kommunikationsform. Sie reist in der Regel offen lesbar durch die Datennetze und wird unverschlüsselt auf den für den Transport zuständigen Servern abgelegt.

Die „E-Mail made in Germany“ ist keine Lösung, denn hier wird nur eine Transportverschlüsselung eingesetzt, die auf einem einzelnen Zertifikat beruht. Einmal geknackt sind alle Transporte unsicher. Zudem gilt das zugrundeliegende Verfahren als kompromittiert. Diese Art der Transportverschlüsselung existiert schon seit vielen Jahren. Das als neue Form der Sicherheit zu bewerben ist eine fiese kleine Masche der Marketingabteilung – nichts weiter.

Auch die De-Mail ist nicht sicher, denn auch hier ist ein nur ein einzelnes Transportzertifikat im Einsatz. Das ist so katastrophal schlecht, dass man ein Bundesgesetz verabschieden musste, um die De-Mail überhaupt als sicher zu definieren. Jeder Sicherheitsexperte lacht sich kaputt. Der Autor und IT-Sicherheitsexperte Linus Neumann nannte De-Mail „Bullshit made in Germany“.

Und in beiden Fällen liegen die E-Mails auf den zum Transport verwendeten Servern unverschlüsselt vor.

Dass solche Daten Hackern in die Hände fallen, beweisen die fast täglichen Nachrichten über sogenannte Datendiebstähle. Und diese bekannt gewordenen Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs.

Über die Spionage westlicher Geheimdienste haben wir in den vergangenen Wochen hier viel geredet. Fest steht, dass der amerikanische und der britische Geheimdienst massenhaft E-Mail-Kommunikation auch deutscher Unternehmen, Behörden und Bürger abfängt, speichert und auswertet.

Aber auch deutsche Geheimdienste sind nicht untätig. Wie das sogenannte „BND-Dossier“ aus den Unterlagen Edward Snowdens belegt, sind deutsche Geheimdienste an der Überwachung beteiligt.

Der Bundesnachrichtendienst hat demnach massenhaft Daten Deutscher an andere Geheimdienste weitergegeben.

Am deutschen Internetknoten DE-CIX überwacht der sogenannte Auslandsgeheimdienst BND einen großen Teil der Internetkommunikation. Obwohl ihm die Überwachung von Bürgern unseres Landes nur nach richterlicher Anweisung erlaubt ist, wertet er hier Millionen von E-Mails von deutschen Bürgern aus, wenn diese zufälligerweise eine E-Mail-Adresse haben, die nicht auf „.de“ endet. Denken Sie nur an die Millionen Deutsche mit Googlemail.com- oder Gmx.net-Adressen, oder an die Unternehmen, die aufgrund der Internationalisierung „.com“-Domains nutzen.

Dieses Vorgehen des Auslandsnachrichtendienstes BND ist meines Erachtens illegal und klar verfassungswidrig.

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei gibt es heute schon eine Lösung, wie man sich wirksam gegen Datenklau und Bespitzelung wehren kann. Die Verschlüsselung darin ist stark und reicht vom Sender lückenlos bis zum Empfänger. Das Verfahren ist erprobt und schon jahrelang im Einsatz. Auf PGP bzw. GnuPG setzen viele Menschen sowie Institutionen weltweit. Und: Das Ganze ist kostenlos möglich.

Leider ist das Wissen über diese Technik noch nicht weit verbreitet, und sie ist noch nicht ausreichend intuitiv bedienbar. Und sie funktioniert nur, wenn Sender und Empfänger es gleichermaßen verwenden.

Wir fordern im vorliegenden Antrag die Landesregierung und ihre Ministerien und Behörden auf, Vorreiter und Vorbild zu sein, und freuen uns, dass unsere Initiative von der Landesregierung und den sie tragenden Parteien in einem gemeinsamen Antrag aufgenommen worden ist. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich allen Beteiligten meinen Dank aussprechen.

(Beifall von den PIRATEN)

Erklärende Angebote zur E-Mail-Verschlüsselung werden prominent platziert, und auf den verschiedenen Internetkanälen verbreitet. Und selbstverständlich werden alle öffentlichen Stellen, die mit Bürgern oder Unternehmen kommunizieren, diese sicheren Möglichkeiten prüfen.

Das alles kostet das Land nicht viel, setzt aber ein Zeichen, dass wir Datensicherheit und Privatsphäre in unserem Bundesland ernst nehmen. Und im Gegensatz zu vielen anderen Maßnahmen ist das keine Symbolpolitik, sondern eine ganz handfeste Maßnahme, die den Unternehmen und Bürgern unseres Landes einen unmittelbaren Gewinn an Sicherheit gibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Schwerd. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Geyer.

Jens Geyer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der digitalen Welt wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung immer mehr zu einem wesentlichen Bestandteil der Persönlichkeitsrechte. Auch wenn es keine explizite Nennung im Grundgesetz erfährt, ist das Recht, über die Verwendung der eigenen Daten selbst zu entscheiden, nicht weniger wichtig, ganz im Gegenteil.

Mit der Digitalisierung des privaten und öffentlichen Lebens ist der Staat, der Gesetzgeber, sind wir gefordert zu handeln und die Bürgerinnen und Bürger in NRW zu schützen. Aus diesem Grund freue ich mich, dass wir heute nicht nur über den Schutz der persönlichen Daten reden, sondern auch die Möglichkeit haben, etwas für die Datensicherheit zu tun. Denn die Sicherheit von persönlichen Informationen ist ein wichtiger Beitrag zur Wahrung bzw. zur Stärkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Eine wesentliche Grundlage für die Sicherheit der eigenen Daten ist die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger zum einen über die Gefahren von Missbrauch, Kriminalität und Spionage im Internet und zum anderen über die Möglichkeiten des eigenen Schutzes im world wide web.

Die Internetseiten der Landesregierung und ihrer nachrangigen Behörden sollen zu diesem Zweck an geeigneten, aber vor allem an gut sichtbaren Stellen Informationen zur verschlüsselten Kommunikation aufweisen und Internetnutzer für die Problematik sensibilisieren. Gleiches gilt für die Social-Media-Kanäle.

Die Information über Internetauftritte und Social-Media-Kanäle kann aber nur ein Schritt von mehreren sein. Deshalb ist es ebenfalls notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger NRWs die Möglichkeit erhalten, verschlüsselt mit den Landesbehörden zu kommunizieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Aus diesem Grund unterstützen wir die Intention der Piraten, Möglichkeiten zu prüfen und Maßnahmen vorzubereiten, die gewährleisten, dass die Menschen via Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mit der Landesregierung, ihren Ministerien und Behörden kommunizieren können. Denn wir müssen es Unbefugten so schwer wie möglich machen, an meine, an Ihre, an unserer Daten zu gelangen. Deshalb müssen wir die digitale Kommunikation so sicher wie möglich machen. Das kann nur mit einer echten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gewährleistet werden.

Wichtig ist dabei auch, dass die Verschlüsselung für die Bürgerinnen und Bürger mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden ist. Die sichere Kommunikation mit den Behörden darf nämlich nicht abhängig von der Größe des Geldbeutels sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Hegemann das Wort.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu dem Antrag der Piraten und zu dem Änderungsantrag von SPD, Grünen und Piraten ein paar Sätze sage, erlauben Sie mir den Hinweis, dass heute ein schlechter Tag für all diejenigen ist, die Sicherheit im Netz haben wollen. Das Rechercheteam der „Süddeutschen Zeitung“, von WDR und NDR hat festgestellt, dass von der NSA all diejenigen – ich sage das mal so – angegriffen werden, die ihre E-Mails verschlüsseln wollen. Sobald einer an die Verschlüsselung geht, macht er sich verdächtig und wird erst recht abgeschöpft. Man könnte fast zynisch sagen: Wer sichere Mails verschicken will, sollte sie besser nicht verschlüsseln, denn dann macht er niemanden darauf aufmerksam. Das ist schon ein Skandal.

In dem analytischen Teil, Herr Schwerd, stimme ich mit Ihnen völlig überein, genauso was die Betroffenheit angeht, dass es so etwas gibt.

Der Beitrag allerdings, den der Antrag dazu leistet, dieses Problem zu lösen, ist doch eher etwas bescheiden. Wer seine E-Mails verschlüsseln will – da da wette ich mit Ihnen –, der klickt nicht „GuntramSchneider.de“ oder „SvenjaSchulze.de“ an, der holt sich nicht seine Nachricht von der Landesregierung. Wenn Sie das Suchwort „E-Mail Verschlüsseln“ eingeben, bekommen Sie im Netz drei Millionen Hinweise. Jeder, der mit dem Instrument E-Mail umgehen kann, kann auch eine Suchmaschine bedienen. Dann bekommen Sie Hinweise – ich habe einen vorliegen – von „verbraucher-sicher-online.de“ Da bekommen Sie Anleitungen, auch für Volltrottel wie mich, wie man E-Mails verschlüsseln kann.

Ich bin bei Ihnen, wenn Sie der Landesregierung mangelnde Aktivität in vielen Bereichen vorwerfen, aber hier zu sagen, da hast du, Landesregierung, noch ein großes Defizit, kann ich nicht nachvollziehen. Das kann nicht auf Aufgabe der Landesregierung sein.

Es wird jetzt weiße Salbe verteilt. Mit dem Änderungsantrag tun Sie so, als ob Sie etwas ändern wollen. Wie sieht die Realität aus? – Da, wo Sie etwas ändern können, nämlich die Kommunikation des Bürgers mit der Landesregierung, eine sichere Ende-zu-Ende-Verbindung, schreiben Sie in Ihrem Antrag, für Bürgerinnen und Bürger sind die Möglichkeiten zu prüfen, ob so etwas geht. Sie sagen nicht, das ist in angemessener Zeit herzustellen. Sie schreiben lediglich: die Möglichkeit zu prüfen. – Das ist das billigste, was Sie haben können. Damit sind Sie zufrieden

(Beifall von der CDU)

und machen einen gemeinsamen Antrag mit der Landesregierung, damit Sie einmal den Erfolg haben, dass Sie irgendwo erklären können, die Landesregierung ist auf unsere Vorschläge eingegangen. Das ist doch wirklich eine billige Geschichte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Herr Kollege Schwerd von der Piratenfraktion möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich vermute, Sie lassen diese zu.

Lothar Hegemann*) (CDU): Richtig, Herr Präsident.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Dann schließe ich daraus, dass ich die Frage stellen darf. Herzlichen Dank.

Ist Ihnen durch den Vergleich unseres Ursprungsantrags mit dem Änderungsantrag, den wir gemeinsam gestellt haben, aufgefallen, dass wir Piraten ursprünglich gefordert haben, dass das einzurichten ist, und dass uns die regierungstragenden Fraktionen gebeten haben, daraus einen Prüfauftrag zu machen?

Lothar Hegemann*) (CDU): Das habe ich gemerkt. Deshalb sage ich ja: „Wie billig Sie zu haben sind.“

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Sie fordern das mit großer Verve. Das ist das einzig Konkrete in Ihrem Antrag.

Das ist ja geschickt, à la bonheur, von den Regierungsfraktionen. Die sagen, die fangen wir jetzt ein, nehmen das als Prüfauftrag mit und sagen, dass sie auf deren Internetseiten und facebook dafür werben und schon sind sie zufrieden. Also gut, wenn Sie das zufriedenstellt, dann soll es so sein.

Damit ist aber kein Stück Sicherheit für die Bürger in Nordrhein-Westfalen gegeben. Ich lobe die Landesregierung jetzt schon zum zweiten Mal; das mir ist schon fast peinlich.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD – Zurufe von Hans-Willi Körfges [SPD])

– Ich sage es doch: wenn Sie auch noch darauf hingewiesen hätten, wie man Wirtschaftsspionage begeht. Ich weiß, dass der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen Wirtschaftsunternehmen berät, und zwar gut berät. Es geht darum – denn das ist ein mindestens ebenso großes Problem –, Bürger zu beraten, dass sie bei Kontoüberweisungen nicht abgephisht werden.

Jeder hat in seinem Bekanntenkreis irgendjemanden, der schon mal eine Zahlung nach Kenia oder in die Mongolei geleistet hat.

(Marc Olejak [PIRATEN]: Weil die alle nicht verschlüsseln!)

– Genau, es ist nicht verschlüsselt. Und da müssen wir was tun. Ich sage nicht, dass es unnütz ist, was Sie fordern – ganz im Gegenteil. Ich wünsche mir eine sichere Verbindung. Die ist aber schwer zu bekommen, machen wir uns da nichts vor.

Deshalb: Der Analyseteil Ihres Antrags ist okay, da sind wir uns einig. Aber ich glaube nicht, dass wir über kurz oder lang und erst recht nicht mit Ihrem Antrag ein Stück mehr Sicherheit leisten.

Deshalb sage ich nochmals: Wenn ich das vorher gewusst hätte, wie leicht Sie zu haben sind, hätte ich vielleicht auch noch den einen oder anderen Versuch unternommen, dass Sie einen gemeinsamen Antrag mit uns machen. Aber es muss auch nicht sein.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Wenn es einen gibt, der das macht, dann Sie!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege. Bevor Herr Eiskirch jetzt das Wort bekommt, möchte ich Sie fragen, ob Sie noch eine Frage von Herrn Kollegen Herrmann zulassen.

Lothar Hegemann*) (CDU): Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Hegemann, dass Sie die Frage zulassen. Wir haben uns entschlossen, in kleinen Schritten weiterzugehen. Erinnern Sie sich, dass wir vor nicht allzu langer Zeit den Antrag „YES, WE SCAN. Bürger in NRW vor PRISM und anderen Überwachungsprogrammen schützen!“ im Innenausschuss beraten haben? Sie haben ihn, glaube ich, abgelehnt. Ist Ihnen noch bekannt, dass wir den Antrag beraten haben, und wie ist Ihre Position dazu?

Lothar Hegemann*) (CDU): Ich bin zwar relativ alt, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass Sie diesen Antrag gestellt haben. Aber da ging es nicht nur um die Beratung von Wirtschaftsunternehmen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Es ging um Bürger!)

Da haben Sie andere abstruse Forderungen gestellt.

Ich darf nur noch einmal in Richtung Regierungsfraktionen sagen: Gehen wir mal davon aus, dass es stimmt, was Herr Snowden sagt – und Sie lieben den ja so heiß und innig und wollen ihn unbedingt nach Deutschland vorladen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Ziehen Sie es nicht ins Lächerliche!)

Herr Snowden hat erklärt, dass es zwischen Bundesnachrichtendienst und NSA eine Vereinbarung gibt, Nachrichten weiterzuleiten, und das seit dem Jahre 2002. Damals hieß der Innenminister Schily und der Außenminister Joschka Fischer. Und wenn Sie heute glaubhaft machen können, die hätten davon nichts gewusst, dann setze ich mich jetzt mit einem Flickflack auf meinen Platz.

(Beifall von der CDU – Heiterkeit)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. Über dieses freundliche Angebot am Ende Ihrer Rede müssen wir, glaube ich, alle noch vertieft nachdenken. – Während wir das tun, hören wir Herrn Kollegen Bolte zu, der für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als Nächster das Wort hat.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Artistik, Herr Kollege Hegemann, die Sie uns am Ende Ihrer Rede versprochen haben, war schon Bestandteil Ihrer Rede. In fünf Minuten drei unterschiedliche Positionen zu diesem Thema einzunehmen, das, muss ich sagen, ist schon aller Ehren wert.

Erst ist es Quatsch, dann geht es nicht weit genug, dann machen wir zu viel. Jetzt müssen Sie sich schon irgendwie entscheiden.

(Zuruf von der SPD: Doch ein Flickflack!)

Sie haben oft genug gesagt, dass das mit der Verschlüsselung alles nicht funktioniere und dass das alles irgendwie überflüssig sei. Denken Sie einfach noch mal darüber nach, was jetzt eigentlich Ihre Position ist. Sie haben ja noch einen Moment Zeit, bis wir zur Abstimmung kommen.

Wir wissen nicht erst seit den Enthüllungen Edward Snowdens, wie wichtig sichere Kommunikation ist, aber es gibt nach wie vor sehr viele Menschen, die sagen: „Das ist alles kompliziert“, „Ich habe ja nichts zu verbergen“ oder „Die Informationen, die ich habe, sind unwichtig“.

Denen kann man nur sagen: Liebe Leute, nein, im demokratischen Rechtsstaat kommt es gerade darauf an, Privatsphäre wirksam zu schützen. Denn jede und jeder von uns hat etwas zu verbergen, hat kleine oder auch größere Geheimnisse, hat Gedanken, die er nur mit sich selbst oder einem ganz engen Kreis von Vertrauten teilen möchte. Und das verdient Schutz.

Genauso verdient es Schutz, in Kontakt mit öffentlichen Stellen zu treten. Das erreichen wir mit dem Antrag, den wir hier vorlegen. Ja, es ist tatsächlich nur ein Prüfauftrag, aber für das Ende eines Prüfauftrags vermuten wir zunächst einen positiven Ausgang dieses Prüfverfahrens. Wir sind grundsätzlich sehr optimistisch.

Deswegen gehen wir davon aus, dass wir mit dem heutigen Prüfauftrag einen großen Schritt machen. Wenn man einen Blick zurückwirft, wie wir vor anderthalb oder zwei Jahren im Vergleich zu heute diskutiert haben, dann stellen wir fest, dass wir schon einen Schritt vorangekommen sind. Wir beraten hier sehr lösungsorientiert.

Wir haben uns an der einen oder anderen Stelle in den Positionen auch bei der Frage angenähert – was sinnvoll ist –, inwieweit das Ganze realisierbar ist. Da machen wir uns heute auf einen sehr guten Weg. Ich finde es wichtig, dass eine moderne Verwaltung sich auch mit solchen Fragen beschäftigt, dass sie hier vorangeht und bereit ist, eine Vorbildfunktion einzunehmen; denn nur dadurch wird das Wissen über sichere Kommunikation breit gestreut und vorangebracht.

Dieses Wissen stärken wir auch durch zahlreiche Maßnahmen der Medien- und Datenschutzkompetenz. Dieser Aspekt war schon Bestandteil des ursprünglichen Antrags, und er wird von uns im gemeinsamen Änderungsantrag jetzt noch ein bisschen gestärkt.

Vielleicht erinnern sich die Kolleginnen und Kollegen, die die Debatte seit 2010 oder noch länger verfolgen, dass die rot-grüne Mehrheit den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit gestärkt hat, auch personell und in seiner Ausstattung. Der LDI hat inzwischen seine Angebote zur Förderung der Datenschutzkompetenz ausbauen können, auch im Zusammenspiel mit anderen zuständigen Stellen. Das finde ich sehr begrüßenswert.

Insgesamt werden jedes Jahr viele Tausend Menschen von den Angeboten der Landesanstalt für Medien, aber auch vieler freier Träger zur Förderung von Medien- und Datenschutzkompetenz erreicht. Das sind, glaube ich, sehr gute und sehr wichtige Schritte, die wir da gehen. Wenn man das Ganze um solche Aspekte wie Sicherheit in der Kommunikation und Verschlüsselung ausweitet, dann macht das durchaus Sinn.

Abschließend ein herzlicher Dank. Tatsächlich ist es nicht immer einfach, sich innerhalb einer Woche auf eine gemeinsame Textfassung zu einigen. Das ist uns an dieser Stelle gelungen. Insofern herzlichen Dank an die Piratenfraktion, aber auch herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, Kollegen Geyer und Stotko, mit denen wir wirklich gut zusammengearbeitet haben – gern auch mehr davon. Denn dieses Thema ist sicherlich zu wichtig, um es allein nach kleinen parteitaktischen Karos zu beurteilen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Orth.

Dr. Robert Orth (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „E-Mail-Kommunikation“ ist sehr wichtig. Wir alle haben heute Morgen die Pressemeldungen dazu gelesen und die Berichte über die Debatte im Bundestag und in dessen Ausschüssen sowie das, was alles ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NSA so sagen, gehört.

Insofern kann ich für die Liberalen sagen: Auch für uns ist es wichtig, sich dieses Themas anzunehmen. Wir begrüßen es sehr, dass wir hier über solche Dinge sprechen.

Gleichwohl stellt man fest, wenn man den Antrag liest: Im Kern bleibt nicht viel an Inhalt übrig. Insofern wundert es mich schon, dass sich die Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion mit den Sozialdemokraten und den Grünen mehr oder weniger darauf verständigt haben, die Landesregierung für ihre Arbeit zu loben. Das entleert Ihren Antrag schon ein wenig.

Ich bin der Ansicht, dass wir überall, nicht nur bei der E-Mail-Kommunikation, sondern in vielen Bereichen, weiterdenken müssen, was die Herausforderungen in Zeiten des Datentransfers sind. Es gibt keine Königswege. Insofern nehmen wir heute diesen Antrag zur Kenntnis und enthalten uns. Wir glauben, dass man damit noch nicht definitiv zur Sicherheit in den Netzen und bei der E-Mail-Kommunikation beigetragen hat. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Orth. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – ein wichtiges Mittel, um den E-Mail-Verkehr in der Tat sicherer zu machen. Dass das noch nicht in dem Maße genutzt wird, wie wir uns das vielleicht vorstellen, hat nichts mit dem mangelnden Sicherheitsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu tun. Da sollten wir sie nicht unterschätzen.

Dass es so wenig genutzt wird, hat sehr viel damit zu tun, dass das ganze Verfahren nach wie vor viel zu kompliziert ist, dass es wenig nutzerfreundlich ist und dass es für den normalen User wie Herr Hegemann, der sich selbst gerade als eine bestimmte Art von User im Internet geoutet hat, nicht vernünftig zu nutzen ist.

In diese Richtung geht übrigens auch Herr Dr. Gaycken, immerhin anerkannter Forscher der Freien Universität Berlin. Er sagt und das übrigens als Sachverständiger im NSA-Untersuchungsaus-schuss, bislang sei die Ende-zu-Ende-Verschlüs-selung noch furchtbar kompliziert und nutzerfeindlich. Die Technik müsse dringend laientauglicher werden. – So ist es.

Wir müssen einen Gesichtspunkt unbedingt im Auge behalten. Es darf nicht dazu führen, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu weniger und nicht zu mehr Sicherheit führt. Weniger Sicherheit droht, wenn an der IT-Architektur, die wir im Lande Nordrhein-Westfalen haben – wonach es die Firewalls, die Sicherheitstechnik an einer Stelle gibt –, vorbei nicht verschlüsselte E-Mails geleitet werden, nachdem Schadsoftware draufgepackt wurde. Das müssen wir im Auge behalten, wenn wir beurteilen wollen, ob man diese Form der Verschlüsselung bei den Mails ausbauen will oder nicht. Das ist eine zwingende Voraussetzung. Am Ende darf nicht weniger Sicherheit da sein, sondern es muss als zwingende Voraussetzung mehr Sicherheit da sein.

Beim Thema „Verschlüsselung“ fangen wir in der Landesverwaltung nicht bei null an. In vielen Bereichen haben wir das auch schon mit Erfolg umgesetzt, beispielsweise im Bereich der elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfächer. Eine verschlüsselte Kommunikation mit einer Behörde – also nicht unmittelbar von Mitarbeitern zu Mitarbeitern – ist ein sicherlich guter Zugewinn an Sicherheit.

An einer Stelle bin ich mit Ihnen trotz dieses gemeinsamen Antrages auseinander. De-Mail als „Bullshit Deutschlands“ zu bezeichnen, ist, glaube ich, falsch. Das sehen andere ganz anders, Herr Schwerd.

(Zuruf von Daniel Schwerd [PIRATEN])

Deshalb ist es gut, dass wir versuchen, auch diesen Bereich einer Mailstruktur so auszubauen, dass es zu einer etwas sichereren Kommunikation mit unseren Bürgerinnen und Bürger kommen kann.

(Unruhe)

Außerdem prüft der CIO zurzeit, ob eine Überganslösung für das Verschlüsselungsverfahren PGP für unsere Behörden und Einrichtungen angeboten werden kann. – Manchmal hat man das Gefühl, man redet hier, und es hört gar keiner zu.

(Zuruf von den PIRATEN: Oh, oh! – Weitere Zurufe)

Aber nein, ich möchte mich darüber nicht beschweren. Das war keine Kritik am Parlament.

(Zuruf von den PIRATEN: Jetzt sehen Sie einmal, wie das ist!)

Das ist eine Prüfung, eine Alternative. Wir versuchen, dieses PGP-System weiter auszubauen. Wir werden selbstverständlich den Landtag unterrichten, welche Erfolge wir damit erzielt haben und ob ein weiterer Ausbau erforderlich erscheint und möglich ist. Unabhängig davon werden wir als Landesregierung parallel dazu die Medienkompetenz von Usern von Internet weiter stützen, die auf die Seite des Landes NWR gehen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt erteile ich noch einmal für die Piratenfraktion Herrn Kollegen Schwerd das Wort, der fest zugesagt hat, sich an die 19 Sekunden Redezeit zu halten.

(Zuruf von den PIRATEN: Sicher!)

Daniel Schwerd (PIRATEN): Das mache ich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die Uhr läuft, Herr Kollege. Bitte.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Hegemann, seien Sie gewiss, wir werden die Prüfungen durch die Landesregierung genau begleiten und auch mit entsprechenden Anträgen reagieren.

Im Übrigen, Herr Hegemann und Herr Dr. Orth, ich glaube, wir sind mit dieser Art der Politik in diesem Parlament allemal erfolgreicher, als Sie das sind.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Übrigen freue ich mich sehr auf den Flickflack. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. In der Tat, das waren genau 19 Sekunden. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Schluss der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung.

Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen wir nun.

Wir stimmen erstens über den Änderungsantrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten Drucksache 16/6203 ab. Wer ist für diesen Änderungsantrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer stimmt gegen den Änderungsantrag? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Keine Stimmenthaltung. Dann stelle ich fest, dass der Änderungsantrag Drucksache 16/6203

(Unruhe)

Ich darf noch einmal nachfragen: Hat sich die FDP-Fraktion enthalten? – Kann ich nicht feststellen. Also der Änderungsantrag Drucksache 16/6203 ist ohne Votum der FDP-Fraktion damit angenommen.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/6115, und zwar über den Inhalt des soeben geänderten Antrages. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – Die CDU-Fraktion. Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/6115 in der geänderten Fassung angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

11       Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6089

erste Lesung

Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, nur die Einbringung des Gesetzentwurfs durchzuführen.

(Starke Unruhe)

– Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit, weil wir jetzt noch verschiedene Gesetzentwürfe behandeln müssen.

Eine Debatte findet heute nicht statt. Herr Minister Jäger hat sich bereit erklärt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 2) Herzlichen Dank.

Wir kommen damit direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 16/6089 an den Innenausschuss federführend, an den Rechtsausschuss, an den Ausschuss für Kommunalpolitik sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

12       Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6090

erste Lesung

Auch hier haben sich die Fraktionen darauf verständigt, nur die Einbringung des Gesetzentwurfes durchzuführen. Eine Debatte findet heute nicht statt. Herr Minister Jäger hat sich auch hier bereit erklärt, die Einbringungsrede zu Protokoll zu geben. (Siehe Anlage 3)

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/6090 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer ist dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

13       Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6091

erste Lesung

Die Fraktionen haben sich hierzu ebenfalls darauf verständigt, nur die Einbringung des Gesetzentwurfes durchzuführen. Deshalb findet eine Debatte heute nicht statt. Herr Minister Jäger hat auch hier die Einbringungsrede zu Protokoll gegeben. (Siehe Anlage 4)

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/6091 wiederum an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

14       Gesetz zur finanziellen Beteiligung an den Schulkosten für die Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern und über die Berufsausübung der Gesundheitsfachberufe

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/6092

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erhält als erste Rednerin die Frau Ministerin das Wort. Bitte sehr, Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde ganz gern den Gesamtzusammenhang kurz darstellen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen, um die Altenpflegefachkraftzahl zu erhöhen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die Altenpflegeumlagefinanzierung eingeführt. Wir haben nicht nur vor den Verwaltungsgerichten Düsseldorf und Köln, sondern ganz aktuell jetzt auch vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Umlage in zwei Musterverfahren am 27. Juni 2014 bestätigt bekommen. Die Klagen sind vollumfänglich zurückgewiesen worden. Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Damit ist also klar, dass diese Umlage als zentraler Baustein einer Gesamtstrategie in Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels Bestand hat und auch in Zukunft so umgesetzt wird.

Die Umlage hat bis Ende 2014 ein Gesamtvolumen von rund 530 Millionen €. Daran sieht man, welche Dimension diese Fachkraftausbildung hat. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit kann man sagen, dass diese Umlage und damit die Steigerung der Fachkraftausbildung Erfolg hat und in dieser Weise einmalig ist. Die Zahl der Altenpflegeschülerinnen stieg um rund 45 % von 10.000 auf 14.500 in den Jahren von 2011 bis 2013 an. Es ist also in sehr kurzer Zeit ein massiver Anstieg der Fachkraftausbildung erreicht worden.

Es ist klar, dass das nicht einfach mal eben so geht, sondern dass das nur mit einem enormen finanziellen Kraftakt vonseiten der Landesregierung umsetzbar war. Jeder Altenpflegeausbildungsschulplatz, der dazu notwendig ist, wird nämlich von der Landesregierung mit 280 € gefördert. Im Jahre 2010 gab es im Landeshaushalt 32 Millionen €, was dann im Jahre 2011 auf 34,7 Millionen € und im Jahre 2013 auf 54,8 Millionen € erhöht worden ist. Im Jahre 2014 liegt diese Zahl bei 58,3 Millionen €. Das ist eine Steigerung von 82 %. Es handelt sich also um eine freiwillige Leistung, die in einem massiven Maße erhöht worden ist.

In einem nächsten Schritt wollen wir, damit das Versprechen, jede Schülerin und jeder Schüler mit einem Ausbildungsvertrag in der Altenpflege erhält einen Schulplatz an einem Fachseminar, Wirklichkeit wird, den Anspruch gesetzlich festschreiben.

Auf diese Weise wollen wir die Finanzierung auf freiwilliger Basis, die im Moment auf wackligen Füßen steht, für die Zukunft festschreiben, damit es hier keine Kürzungen geben kann.

Bei den Diskussionen über dieses Gesetz gibt es meines Erachtens viele Fehlinformationen, die noch klargestellt werden müssen.

Wir hatten bis 2005 eine Fachseminarförderung für jeden neu beginnenden Kurs in Höhe von 317 €, die mein Vorgänger Karl-Josef Laumann dann auf zunächst 300 € und zum 1. Januar 2007 auf 280 € pro Platz abgesenkt hat.

Gleichzeitig mit dieser Absenkung der Pro-Platz-Finanzierung wurde aber die Finanzierung pro Kurs auf dem gleichen Niveau gehalten. Herr Laumann hat gesagt: Damit die Summe pro Kurs erhalten bleibt, dürfen die Schülerzahlen erhöht werden. – Also: In toto pro Kurs zwar mehr Schüler, aber eine gleichbleibende Finanzierung.

An dieser Finanzierung hat sich nichts geändert. Wenn es also heißt, wir würden eine Kürzung bei den einzelnen Plätzen vornehmen, ist das falsch. Die Kostenbeteiligung des Landes an der Fachkraftausbildung wird pro Platz, pro Schule in der Höhe unverändert sein. Auch mit dem Gesetz ändert sich das nicht. Wir werden dabei bleiben.

Der Wunsch, der im Raum steht, diese Zahlen zu erhöhen, wäre mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Die genannte Förderung von 360 € pro Platz würde bei 15.000 Schülerinnen zusätzlich 14,4 Millionen € pro Jahr bedeuten. Klar ist allen, die die Haushaltssituation kennen, dass dies in der momentanen Haushaltslage keine realistische Forderung ist.

Gleichzeitig werden mit dem Gesetz eine Reihe kleiner anderer Punkte verändert und weiterentwickelt. Die will ich jetzt aber nicht im Detail benennen. Wir werden darüber ja in der Ausschussberatung noch gemeinsam diskutieren.

In diesem Sinne hoffe ich auch perspektivisch auf eine Unterstützung, damit die Altenpflegeausbildung in Nordrhein-Westfalen mit Rechtsanspruch umsetzbar ist. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank für die Einbringung des Gesetzentwurfs, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Yüksel das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache es kurz: Die SPD-Fraktion begrüßt den neuen Vorstoß der Landesregierung zur gesetzlichen Beteiligung an den Schulkosten ausdrücklich. Das macht uns allen deutlich, wie wichtig die Ausbildungsförderung bei Berufen im Gesundheits- und Pflegebereich ist.

Ich freue mich auf eine spannende Diskussion im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich über diesen Gesetzentwurf, damit die Pflege Sicherheit bekommt. Und ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das wird offenbar eine richtig heitere Ausschusssitzung.

(Günter Garbrecht [SPD]: Bei mir gibt es keine heiteren Ausschusssitzungen!)

– Der Ausschussvorsitzende trägt nach, dass es bei ihm keine heiteren Ausschusssitzungen gibt.

Nun aber hat Herr Kollege Ünal für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich auch, dass der Gesetzentwurf jetzt vorgelegt worden ist.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich will nur zwei Punkte nennen – die Ministerin hat das Gesetz ja vorgestellt –, die mir sehr wichtig sind: Erstens. Wir begrüßen die gesetzliche Verpflichtung. Zweitens. Das Schulgeld bleibt unverändert. Allerdings sind wir der Meinung, dass sich andere Kostenträger, zum Beispiel die Pflegekassen, am Schulgeld beteiligen müssen.

Ich freue mich auf die Diskussion im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Schneider das Wort.

Susanne Schneider*) (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „Altenpflegeausbildung“ ist uns allen sehr wichtig. Wir müssen sie auf ein solides finanzielles Fundament stellen. Das müssen wir im Ausschuss gründlich beraten, damit wir in Deutschland und auch in Nordrhein-Westfalen weiterhin eine gute, qualifizierte Altenpflege haben, die wir künftig ja noch mehr brauchen werden.

Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Und vor allem: Liebe Altenpflegerinnen und Altenpfleger! Liebe Landesregierung, liebe Frau Steffens, ich kann ja viele Ihrer Sachzwänge verstehen, nur finde ich Ihre Überlegungen manchmal doch etwas zu einfach. Ich habe das Gefühl, Sie sind gar nicht auf die wirklich bestehenden Probleme eingegangen.

Ja, die 280 € sind nicht von Ihnen, sondern die sind damals von der CDU eingeführt worden. Sie tragen die aber seit vier Jahren mit. Also sind Sie für mich die Hauptverantwortliche und nicht die CDU. Ich rege mich nämlich nicht über Sachen auf, die so lange zurückliegen.

Aber unter Umständen könnte es auch daran liegen, dass Sie gar nicht wissen, worum es hier eigentlich geht. Altenpflege, wie sie von Altenpflegefachkräften ambulant und stationär geleistet wird, ist intensive Krankenpflege und kein Halmaspielen, wie die meisten Menschen annehmen. Die meisten Menschen sind in den letzten zwei Jahren ihres Lebens abhängig von intensiver medizinischer Versorgung. Bei Luftnot, zunehmender Schwäche und drohendem Organversagen ist die Pflege nur von solchen Menschen zu leisten, die eine gute medizinische Ausbildung genossen haben.

In den letzten Jahren wurde sehr viel diskutiert über freiheitsentziehende Maßnahmen, Gewalt in der Pflege, die tägliche Überforderung der Mitarbeiter sowohl in der stationären Pflege als auch im häuslichen Umfeld.

Die Auszubildenden in der Krankenpflege müssen eine Examensarbeit abgeben, die mit der Prüfung zum Erreichen eines Abschlusses bei der Handwerkskammer vergleichbar ist. Vergleichbare strukturelle Voraussetzungen für die Prüfung von Altenpflegern waren zwar mal geplant, sind aber zurückgenommen worden, weil die Finanzierung im Jahre 2008 verringert worden ist. – Frau Steffens, ich weiß, das war die CDU, das waren nicht Sie; aber Sie haben es die ganzen Jahre danach mitgetragen.

Somit ist es verdammt schwer, zu erklären, wieso Krankenpfleger in der Ausbildung mit 500 € monatlich gefördert werden, während Altenpflegeseminare je Platz mit 280 € auskommen müssen. Ob freiwillig oder gesetzlich verbrieft ist dabei egal, 280 € sind zu wenig. Viel besser wäre es, die Summe hochzusetzen und auf die Verbriefung zu verzichten.

Ich empfinde es als Hohn, zu sagen, sie respektierten die Arbeit der Altenpfleger. Die hätten viel mehr Respekt verdient, und zwar mit einer höheren Summe, ohne das in das Gesetz aufzunehmen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie schreiben jetzt 280 € ins Gesetz. Was sagen Sie dazu?

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

– Ja, die Pflege liegt am Boden, das wissen Sie auch.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

– Es geht um die Qualität der Ausbildung. Natürlich! Die kann bei dieser Förderung aber nur halb so gut sein.

Sie haben vorhin gesagt, dass die Klassen vergrößert worden sind. Das erweitert natürlich unheimlich die Qualität: Je größer die Klasse, desto größer die Qualität. Kann ich völlig nachvollziehen.

Ich frage mich an der Stelle wirklich – das frage ich alle hier im Raum, vor allem alle Leute, die älter sind als 50, 60 –: Wollen Sie in den letzten Lebensjahren nur halb so gut gepflegt werden wie zurzeit im Krankenhaus? Das wird Ihre längste Zeit sein, die Sie mit Pflege verbringen müssen! Und die wollen Sie nur halb so gut haben?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Experten der Fachseminare der Diakonie und vor allem der Caritas melden schon lange zurück, dass seit den Kürzungen im Jahr 2008 der Unterricht nicht mehr durch pädagogisch geschulte Dozenten sichergestellt werden kann. Eine tolle Qualität, die dort erbracht wird!

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Howe zulassen?

Olaf Wegner (PIRATEN): Ja, bitte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön, Frau Kollegin Howe.

Inge Howe (SPD): Vielen Dank, Herr Wegner. Ich habe folgende Frage an Sie: Können Sie mir erklären, woher Sie die Information haben, dass in der Krankenpflege 500 € vom Land zugezahlt werden? Ich kann das nicht vollziehen.

Olaf Wegner (PIRATEN): Ich habe nicht gesagt, dass diese 500 € vom Land kommen, sondern: Das Land muss, wenn es die Altenpflege auch als etwas Gutes ansieht, den Qualitätsunterschied bezogen auf die 500 €, die vom Bund kommen, erklären.

(Ministerin Barbara Steffens: Die kommen nicht vom Bund! – Inge Howe [SPD]: Die werden über den Pflegesatz abgerechnet! Das ist eine ganz andere Finanzierung! – Weitere Zurufe)

– Okay. Die Frage, die sich an der Stelle stellt, ist weniger die, woher das Geld kommt, sondern mehr die, dass mit diesem Geld eine bestimmte Qualität erreicht werden soll.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe)

– Entschuldigung! Lassen Sie mich bitte ausreden! – Das heißt, bei der Krankenpflege wird eine bestimmte Qualität gesehen. Die finde ich auch gut, die finde ich auch richtig. Sie wird ungefähr 500 € betragen. Genau sind es 495,75 € pro Monat.

(Ministerin Barbara Steffens: Das stimmt nicht!)

Wenn ich diesen Betrag für in Ordnung halte, dann können die 280 € für Altenpfleger nicht gut sein – egal, aus welchem Topf das Geld kommt; das Geld reicht nicht aus. Das ist der Fakt, den ich hier gerade dargestellt habe.

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei muss man sich auch mal vor Augen führen, dass die Krankenhäuser seit der Einführung der Fallpauschalen bei älteren Menschen, die in Altenheimen leben, nach medizinischen Eingriffen keine Pflege mehr leisten, sondern die Leute so schnell wie möglich ins Altenheim zurückgeben, weil dort die Pflege gemacht wird. Die intensive Pflege mit Ernährungssonden und Beatmungsgeräten sowie die Grundversorgung werden dort von den Altenpflegefachkräften geleistet. Das ist teilweise eine höher qualifizierte Arbeit als die Arbeit, die im Krankenhaus geleistet werden muss;

(Zuruf von Inge Howe [SPD])

denn diese Fachkräfte haben nicht die Möglichkeit, mal eben zum Telefon zu greifen und einen Arzt herbeizurufen. Bis der Notarzt kommt, müssen sie die Entscheidungen treffen und den Patienten stabilisieren. Sie können nicht auf einen Arzt zurückgreifen.

(Inge Howe [SPD]: Ich würde Ihnen empfehlen: Machen Sie mal ein Praktikum!)

Für diese Herausforderungen müssen die Menschen ausgebildet und ausgerüstet werden. Deshalb ist dieser Gesetzentwurf zur finanziellen Beteiligung von Altenpflegefachkräften bestenfalls ahnungslos, schlimmstenfalls ist er zynisch und fast schon sarkastisch.

Mit 280 € ist eine qualifizierte Ausbildung in der Altenpflege nicht zu realisieren. Ehrlich gesagt: Es lohnt es sich überhaupt nicht, über diesen Gesetzentwurf zu reden, solange Sie nicht bereit sind, die Beteiligung an der Ausbildung der Altenpflegefachkräfte deutlich zu erhöhen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Wegner. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/6092 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

15       NRW unterstützt Europäisches Jahr der Entwicklung 2015

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5481

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Europa und Eine Welt
Drucksache 16/6151

Ich darf darauf hinweisen, dass der Antrag der Fraktion von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/5481 gemäß § 62 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Europa und Eine Welt überwiesen wurde mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Europa und Eine Welt liegen als Drucksache 16/6151 vor.

Alle fünf Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben.

(Marc Olejak [PIRATEN]: Nein!)

– Das ist die Information, die uns hier vorliegt, meine Kolleginnen und Kollegen. So ist die Verabredung der Fraktionen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Das war eine Falschmeldung!)

– Ich höre gerade per Zuruf, diese Information sei falsch. Ich sehe mich aber, nachdem es offenbar diese Meldung Ihrer Fraktion an das Präsidium gegeben hat, nicht in der Lage, meine Kolleginnen und Kollegen von den Piraten – und bitte auch um Verständnis dafür –, die Debatte jetzt auf Zuruf wieder zu eröffnen.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie solche Informationen demnächst vielleicht mit der entsprechenden Klarheit weiterleiten. Das klappt in aller Regel ja sehr gut. Jetzt müssen wir bitte bei dem Verfahren bleiben, dem auch die Piratenfraktion ausdrücklich zugestimmt hat, nämlich dass die Reden zu Protokoll gegeben werden. (Siehe Anlage 5)

(Beifall von der CDU)

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Ausschuss für Europa und Eine Welt empfiehlt in Drucksache 16/6151, den Antrag Drucksache 16/5481 unverändert anzunehmen. Wir stimmen deshalb nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Antrag Drucksache 16/5481 ab. Wer für diesen Antrag stimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die Piratenfraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5481 angenommen.

Ich rufe auf:

16       Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes – 14. Rundfunkänderungsgesetz –

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4950

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kultur und Medien
Drucksache 16/6137

dritte Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Vogt das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Alexander Vogt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Gesetzentwurf gestern ausführlich und sehr intensiv diskutiert. Beim Landesmediengesetz geht es um drei Punkte: die Medienvielfalt zu fördern, Partizipation zu ermöglichen und Transparenz zu stärken. Viele der Sachverständigen haben eine Annahme des Gesetzes empfohlen, haben das Gesetz positiv bewertet. Wir werben um Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Prof. Sternberg.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern mit der Klage aufgehört, dass wir 28 Seiten mit Änderungen als Tischvorlage bekommen hatten. Kollege Keymis meinte, man könne doch wohl schnell lesen. Ich gestehe, dass ich das nicht kann, zumal der größte Teil des Änderungsantragstextes eine einfache Wiederholung des Gesetzestextes ist. Zum Beispiel hat sich eine Aufzählungsnummer verändert, was die ganze Seite 6 betrifft. Vielleicht wäre es lesefreundlicher gewesen, die Änderungen auf irgendeine Weise hervorzuheben oder eine synoptische Darstellung zu machen. Aber so sind die Dinge eben versteckt.

Die etwas plumpe Methode, mit einer nur sehr schwer begründbaren Qualifikationsvoraussetzung einen offenbar von der Landesregierung nicht geliebten Direktor der LfM loszuwerden, hat die Presse heute schon kommentiert. Das ist in Nr. 22 versteckt.

Es finden sich aber noch weitere Erstaunlichkeiten; das ist fast schon heimtückisch.

Da ist zum Beispiel die Einfügung in § 33 Abs. 3: eine weitere Öffnung der Beteiligung von bundesweit agierenden Rundfunkveranstaltern über die 15-%-Anteile hinaus – mit der Begründung, es handele sich um eine graduell geringere Suggestivkraft des Hörfunks gegenüber dem Fernsehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das das Ergebnis einer Fraktionsdiskussion? Oder hat der Staatssekretär das in letzter Minute hineingeschrieben, um welcher Gesellschaft oder Anstalt einen Gefallen zu tun?

(Beifall von der CDU)

Mit Nr. 9 soll die Wahrnehmbarkeit der Bürgermedien im lokalen Rundfunk verbessert werden. Es handelt sich um die Vorverlegung auf 20 Uhr. Dort steht aber kein Wort über die Entwicklung wirklich zeitgemäßer Bürgermedienformen über die Frage starrer Sendezeiten hinaus. Das ist etwas, was den heutigen Informationsbedürfnissen sehr viel mehr entspricht; denn die Menschen interessiert kaum mehr, wann etwas gesendet wird, weil sie sich Informationen zu jeder Zeit auf Plattformen abrufen. Man kann mit der Zeitangabe vielleicht leben, aber ohne Frage wird die Rentabilität des lokalen Rundfunks damit nicht gestärkt.

In Nr. 10 ist Folgendes versteckt: Auf Bitten des Verbandes der Betriebsgesellschaften im Lokalfunk wurde im Regierungsentwurf die Möglichkeit der Beteiligung von Zeitungsverlagen an Betriebs­gesellschaften von derzeit 75 % auf 100 % hochgesetzt. Das hatte folgenden Hintergrund: Kommunale Gesellschafter sind in der Regel mit 25 % an Betriebsgesellschaften beteiligt. Sie sind heute aber aufgrund der schwierigen Haushaltssituation oft nicht in der Lage, Verluste von lokalen Sendern – zum Beispiel im Ruhrgebiet – mitzutragen. Das führt dazu, dass die Verlustanteile von den Verlagen mit übernommen werden müssen, obwohl ihre Kapitalanteile gesetzlich gedeckelt sind. Die ungleichen Kapitalverhältnisse ergeben dann komplizierte Konstruktionen, die den Einfluss der Kommunen faktisch verwässern.

Die Änderung in § 59 sollte es – übrigens ausweislich der Gesetzesbegründung – den Kommunen ermöglichen, ihren Anteil ganz oder teilweise an lokale Verlage zu veräußern. Das war eine vernünftige, transparente und ordentliche Lösung. Jetzt wird in Nr. 10 des Änderungsantrages diese sachgerechte Lösung rückabgewickelt. Damit bleibt es bei der unbefriedigenden Lösung insbesondere für die Kommunen. Eine solche durchaus wichtige Regelung in einem solchen Änderungsantrag nahezu zu verstecken und ohne transparente Diskussion und Abwägung durchzuziehen, ist bedauerlich. Das lässt nämlich keinen Raum mehr, um Argumente wirklich auszutauschen.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

In Nr. 11 findet sich übrigens ein Hammer. Wollen Sie wirklich die Ausländer aus den Veranstaltergemeinschaften rauswerfen?

(Zuruf von der CDU: Unglaublich!)

Angeblich geht es bei Nr. 11 um Menschen mit Behinderungen, die jetzt auch in Veranstaltergemeinschaften vertreten sein sollen. Das ist völlig richtig. Dann heißt es aber – ganz harmlos –: „In Absatz 3 werden die Wörter ‚ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger‘ durch die Wörter ‚Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund‘ …ersetzt.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht automatisch Ausländer. Das sind zwei verschiedene Gruppen.

(Beifall von der CDU)

Das heißt, nach Ihrem neuen Gesetzestext hätten Ausländer und ihre Vertretungen kein Recht mehr auf einen Sitz in der Veranstalter­gemeinschaft. Wollen Sie das wirklich?

Sie merken: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

(Beifall von der CDU)

Nr. 13 greift die Netzneutralität auf. Das ist eine alte Forderung aus allen Fraktionen. Das ist richtig so. In Nr. 13 steht aber auch der Text zu der problematischen Journalismusstiftung aus Rundfunkgebühren. Über die verfassungsrechtlichen Bedenken dazu haben wir gestern schon gesprochen. Ich rechne mit Klagen gegen die Gebührenbescheide zunächst vor den Verwaltungsgerichten, aber auch Verfahren vor dem Landes- und Bundesverfassungsgericht sind nicht ausgeschlossen.

Schön ist der Flüchtigkeitsfehler auf der letzten Seite. In Nr. 26 heißt es, die Amtszeit der Medienkommission werde bis zum 1. März 2015 verlängert. Drei Zeilen weiter steht: „Die Neukonstituierung der neuen Medienkommission erfolgt nach der Sommerpause 2014 ...“ Aber so genau sollen wir Parlamentarier solch wichtige Gesetzestexte ja offenbar nicht nehmen.

Sie haben dem Rücküberweisungsantrag gestern nicht zugestimmt. Demokratie ist das nicht. – Vielen Dank und einen schönen Abend.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Sternberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Prof. Sternberg, es wurden 25 und nicht 28 Seiten vorgelegt. Sie standen Ihnen ab Dienstag, 13 Uhr zur Verfügung. Die Klagen, die Sie da vorbringen, sind aus meiner Sicht nicht berechtigt. Sie sprechen ja nicht als jemand, der sozusagen nicht Bescheid weiß, sondern als jemand, der sich mit den Dingen fachlich intensiv befasst. Insofern: Sie hatten Gelegenheit, das ausreichend zu studieren. Sie haben das jetzt ja auch nachgeholt und ein paar Punkte herausgegriffen.

Aus meiner Sicht greifen die aber alle nicht das auf, was dieses Gesetz insgesamt leistet. Ich glaube, dass wir uns gut darauf verlassen können, dass das, was wir hier gemeinsam auf den Weg bringen wollen – dankenswerterweise mit Unterstützung der Fraktion der Piraten –, jetzt nach der dritten Lesung auch das Licht der Welt erblickt.

Ich will noch einmal auf Folgendes hinweisen: Sie sprechen immer von den vielen Klagen zum Rundfunkbeitrag. Ich nenne Ihnen die Zahlen noch mal. Rund 400 Klagen sind gerichtlich anhängig, und rund 40 Millionen Leute zahlen Rundfunkbeiträge. Das möchte Ihnen beweisen, dass das nicht das Feld ist, auf dem jedenfalls im Moment ein Kampf zu gewinnen wäre. Das entspricht in etwa auch der Einschätzung, die ich insgesamt der Kritik gegenüber habe, die Sie hier äußern.

Wir haben uns für dieses Gesetz entschieden. Sie haben eine dritte Lesung beantragt. Die Kritikpunkte haben Sie noch mal wiederholt. Es ist nichts Neues dazugekommen. Ehrlicherweise muss man sagen: Es gibt auch keinen konstruktiven Vorschlag, wie man Dinge aus Ihrer Sicht hätte völlig anders gestalten können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Dazu haben wir die ganzen Monate über nichts gehört. Das macht für uns die Debatte an der Stelle – leider! – im Grunde wieder so einfach.

Ich bitte um Zustimmung und freue mich auf neue Gesetzesvorhaben im Medienbereich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Keymis, jetzt tun Sie nicht so, als hätten Sie Vorschläge, wenn Sie von der Union gemacht worden wären, noch eingearbeitet. Wir haben Vorschläge gemacht. Sie haben sie ignoriert – ebenso wie die vielfältige Kritik, die gestern zu dem Gesetz geäußert wurde. Sie haben die einfach ignoriert. Das ist an Kaltschnäuzigkeit im Grunde gar nicht zu überbieten.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

– Ja, natürlich. Man merkt das auch an Ihnen, Herr Bolte. Ich will Ihnen jetzt nicht Ihre mangelnden beruflichen Erfahrungen vorwerfen. Aber bei dem, was Sie hier vorlegen, schimmert schon der Drang durch,

(Stefan Zimkeit [SPD]: So können nur Leute reden, die keine inhaltlichen Argumente haben!)

dass Sie einfach nur Kontrollmöglichkeiten haben wollen, weil Sie gar keine Visionen für die Medienlandschaft entwickeln können.

(Beifall von der FDP)

Es wird zwar immer von Transparenz und Partizipation geredet, aber ich glaube, dass einzige, was Sie damit meinen, ist die eigene Partizipation. Das Ergebnis sind Regulierungswut im Detail, Gängelung, staatliches Obrigkeitsdenken und auch noch Oberflächlichkeit. Die Punkte hat Prof. Sternberg ja gerade schon genannt.

(Zuruf Stefan Zimkeit [SPD])

Das ist auch der Grund, warum Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erhebliche Änderungen hinter verschlossenen Türen ausgekungelt haben. Und wir sollen jetzt über ein Gesetz abstimmen, das durch ebendiese einschneidenden Änderungen einen völlig anderen Charakter angenommen hat und über das in dieser Form gar nicht gesprochen werden konnte. Insofern kann man Ihnen die Fehler, die Sie da jetzt eingearbeitet haben, fast schon gönnen.

Sie wollten keine Diskussion. Sie wollten im Ausschuss nicht reden. Sie hätten noch in den letzten Stunden die Chance gehabt, zu einer Diskussion zu kommen. Die Piraten immerhin hätten sich dem ja nicht verschlossen. Sie hätten eine Chance gehabt für eine breite Diskussion. Aber Sie wollen ein Hau-Ruck-Verfahren. Das ist systematisch geplant, um Strippenzieher von SPD und Grünen im Hintergrund installieren zu können.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] und Ralf Witzel [FDP])

Die Onlinekonsultation, für die Sie sich ja immer so loben, haben Sie ja gar nicht erfunden. Da haben Sie sich ja auch nur das herausgepickt, was Ihnen in den Kram passt. Es gab beispielsweise viel Kritik am Lokalfunk: Langweilig, unmodern. – Das Gesetz gibt leider keine Antworten auf die massiven Probleme im Lokalfunk. Sie verharren da in Angststarre und in völliger Ideenlosigkeit. So schnarchen Sie vor sich hin. Höchstwahrscheinlich wachen Sie irgendwann auf und die Menschen sind längst zu innovativen, modernen Angeboten im Internet weitergezogen. Im Sublokalen ist da ja eine Menge in Bewegung, auch wenn Sie es nicht kennen und nicht beobachten. Deswegen ist ja auch der Bürgerfunk von Ihnen so betrachtet worden, mit Modellen von gestern, antiquiert, und wird dem digitalen Zeitalter überhaupt nicht gerecht.

Zu der Stiftung muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Ich denke auch, es werden uns noch Klagen zu dem Thema beschäftigen.

Zur Staatsferne, die ja gestern auch noch mal Thema war: Ich glaube, viele Blogger zweifeln in den letzten Stunden schon an den Organisationen, die Sie da entsenden wollen, die teilweise von Steuergeldern abhängen und damit auch von Entscheidungen der Politik. Die Organisationen sind eindeutig einem Parteiumfeld zuzurechnen. Die Reihenfolge bei den Bürgerfunkorganisationen ist dafür nur ein Beispiel. Das zeigt den Charakter Ihres Gesetzes.

Glauben Sie nicht, meine enttäuschenden Piraten, dass Sie oder Unorganisierte die Netzgemeinde vertreten werden. Die SPD sorgt auch da schon mit Vorfeldorganisationen vor. Nico Lumma lässt grüßen. Ich hoffe nicht, dass Sie da sozusagen Beute von politik- und verbändedominierten Kungelrunden werden. Diese Runden haben ja nicht mal Interesse an kritischer Berichterstattung. Der medienpolitische Sprecher der SPD freut sich ja öffentlich darüber, wenn keine Inhalte in der Presse stehen.

Mit Genehmigung des Präsidenten und vor allem – was ja wichtiger ist – mit Genehmigung des Autors der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ darf ich aus einem Artikel vom 21. Juni wiedergeben, dass Herr Vogt es als ersten Erfolg einer politischen Kooperation ansieht, dass keine Inhalte in der Presse auftauchen: keine Inhalte, keine kritische journalistische Bewertung. Das ist der Gradmesser für Ihren politischen Erfolg.

Wir lehnen das Gesetz ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Schwerd das Wort.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Ich bin gestern schon auf die aus unserer Sicht wesentlichen inhaltlichen Punkte eingegangen. Und seit gestern wird sich ja wohl kaum Wesentliches verändert haben.

Ich habe in der zweiten Lesung schon gesagt, dass die Vorlage des von SPD und Grünen eingereichten Änderungsantrags tatsächlich reichlich spät kam. Auch wir hätten uns gewünscht, dass der früher eingebracht worden wäre. Aber ich verrate hier sicherlich keine großen Geheimnisse, wenn ich Ihnen sage, dass an einigen Stellen tatsächlich bis kurz vor Toresschluss geprüft und verhandelt worden ist. Insofern wäre es wohl wirklich besser gewesen, man hätte im Ausschuss noch einmal über diesen Änderungsantrag sprechen können,

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

wie es die Kollegen der FDP gestern während der laufenden Debatte beantragt hatten.

Sie erinnern sich: Wir hatten für diese Rücküberweisung gestimmt, obwohl wir bekanntlich Mitantragsteller des Änderungsantrags sind. Dort hätten wir dann noch einmal über die nun geänderten Punkte reden können. Aber das hat Rot-Grün gestern leider abgelehnt.

Offen gesagt, lieber Herr Prof. Sternberg: Die Rücküberweisung macht zwar Sinn, aber eine erneute Befassung in Form einer dritten Lesung heute nur deswegen, weil man das machen kann, finde ich dann doch halbwegs sinnlos.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE] – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Wir haben es geschafft, den Änderungsantrag vorgestern Nachmittag noch zu lesen und zu prüfen. Das haben im Grunde auch die anderen Fraktionen geschafft.

Insofern bleibe ich bei dem, was ich gestern bereits gesagt habe. Das durch den Änderungsantrag nun geänderte Landesmediengesetz Nordrhein-Westfa-len erfüllt unsere zentralen Anliegen. Die Staatsferne der LfM-Medienkommission wird gestärkt. Vertreter von Netzbürgern können sich in der Medienkommission bewerben. Die Netzneutralität wird als Aufgabe der LfM verankert.

Herr Nückel, wir werden CCC, Digitalcourage und ähnlichen Gruppen sicherlich zu Bewerbungen raten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, der von Ihnen gerade angesprochene Herr Kollege Nückel würde Ihnen gerne eine Frage stellen.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Ja. Nur zu!

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank, dass ich die Frage stellen darf. – Ich habe vor 25 Minuten Ihre Pressemitteilung gelesen. Darin haben Sie aber nicht angegeben, dass Sie den Änderungsantrag gelesen haben, sondern geschrieben, dass er aus Ihrer Feder stammt – oder so ähnlich. Das heißt: Entweder kannten Sie das Ergebnis schon weit vorher, oder Sie entwerten sich jetzt durch Andienen last minute und sagen, dass die Änderungen von SPD und Grünen Ihre eigenen seien.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Daniel Schwerd (PIRATEN): Der Änderungsantrag selber – das wissen Sie sehr gut – kommt von SPD und Grünen. Es sind aber eben Punkte, die wir vorher gemeinsam besprochen haben. Sie wissen auch, welche Punkte das sind. Schließlich haben wir im Ausschuss schon darüber geredet. Genau diese Punkte sind von SPD und Grünen in diesem Antrag übernommen worden. Deshalb haben wir beschossen, diesen Antrag mit zu stellen.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Nein, wir haben ihn nicht früher gehabt.

Dann fahre ich fort. Mit der jetzt festgeschriebenen Ausrichtung der – in Anführungszeichen – „Stiftung“ Vielfalt und Partizipation können wir leben. Wir werden aber sehr genau beobachten, was da tatsächlich inhaltlich passiert – vor allem in Bezug auf die Unterstützung des Onlinejournalismus.

Den Gesetzentwurf unterstützen wir. – Vielen Dank und allen einen schönen Abend!

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass wir heute an einem Endpunkt der Beratungen über das Landesmediengesetz angekommen sind. Es handelt sich hier wirklich um eine Modernisierung des Gesetzes, damit es der veränderten Medienlandschaft gerecht wird. Wir haben diesen Prozess nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vorangetrieben, sondern in einem Verfahren außerparlamentarischer und parlamentarischer Beratung, das über ein Jahr gedauert hat.

Meine Damen und Herren, das neue Landesmediengesetz bringt viele Verbesserungen. Es bringt mehr Transparenz und mehr Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen. Wir haben eine Anreizregulierung festgelegt. Im Gegensatz zu der Behauptung von Herrn Nückel bringt es außerdem mehr Staatsferne. Zumindest alle, die etwas vom Bürgerfunk verstehen und wissen, was der Bürgerfunk für die demokratische Beteiligung bedeutet, werden sich auch darüber freuen, dass wir qualitative und quantitative Verbesserungen für den Bürgerfunk in diesem Gesetz verankert haben.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, wenn wir gleich eine Mehrheit für dieses gute Gesetz bekommen. – Herzlichen Dank und einen schönen Abend!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Daniel Schwerd [PIRATEN])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Eine Rücküberweisung des Gesetzentwurfs und eine Beratung im Fachausschuss haben bekanntlich nicht stattgefunden. Wir stimmen somit über den Gesetzentwurf Drucksache 16/4950 in der Fassung nach der zweiten Lesung ab. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/4950 in der Fassung nach der zweiten Lesung in dritter Lesung verabschiedet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.

Ich berufe das Plenum wieder ein für den morgigen Freitag, den 4. Juli 2014, 10 Uhr.

Die heutige Sitzung des Landtags ist geschlossen.

Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend. Wir sehen uns morgen früh um 10 Uhr wieder. – Herzlichen Dank.

Schluss: 19:05 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/6120TOP 2 (Betreibt das Ministerium des Inneren NRW gezielt Desinformation um Demokraten zu verunglimpfen?)

 

 


Lfd.
Nr.


Name des Abgeordneten


Fraktion

Abstimmung


ja


nein

Stimm-
ent-
haltung

1

 Herr Abel

GRÜNE

 

X

 

2

 Herr Abruszat

FDP

 

X

 

3

 Herr Dr. Adelmann

SPD

 

X

 

4

 Herr Alda

FDP

 

X

 

5

 Frau Altenkamp

SPD

 

X

 

6

 Frau Andres

SPD

 

X

 

7

 Frau Asch

GRÜNE

abwesend

8

 Herr Bas

GRÜNE

 

X

 

9

 Herr Bayer

PIRATEN

X

 

 

10

 Herr Becker, Andreas

SPD

 

X

 

11

 Herr Becker, Horst

GRÜNE

 

X

 

12

 Frau Beer

GRÜNE

 

X

 

13

 Frau Dr. Beisheim

GRÜNE

 

X

 

14

 Herr Bell

SPD

 

X

 

15

 Frau Benninghaus

SPD

 

X

 

16

 Herr van den Berg

SPD

 

X

 

17

 Herr Dr. Berger

CDU

 

X

 

18

 Herr Berghahn

SPD

 

X

 

19

 Herr Dr. Bergmann

CDU

 

X

 

20

 Herr Beu

GRÜNE

 

X

 

21

 Herr Bialas

SPD

 

X

 

22

 Herr Biesenbach

CDU

 

X

 

23

 Frau Birkhahn

CDU

 

X

 

24

 Herr Bischoff

SPD

 

X

 

25

 Frau Blask

SPD

 

X

 

26

 Herr Börner

SPD

 

X

 

27

 Herr Börschel

SPD

 

X

 

28

 Freifrau von Boeselager

CDU

 

X

 

29

 Herr Bolte

GRÜNE

 

X

 

30

 Herr Bombis

FDP

 

X

 

31

 Herr Prof. Dr. Bovermann

SPD

 

X

 

32

 Frau Brand

PIRATEN

X

 

 

33

 Frau Brems

GRÜNE

 

X

 

34

 Herr Breuer

SPD

 

X

 

35

 Herr Brockes

FDP

 

X

 

36

 Frau Dr. Bunse

CDU

 

X

 

37

 Herr Burkert

CDU

 

X

 

38

 Herr Busen

FDP

 

X

 

39

 Herr Dahm

SPD

 

X

 

40

 Herr Deppe

CDU

 

X

 

41

 Frau van Dinther

CDU

 

X

 

42

 Frau Dmoch-Schweren

SPD

 

X

 

43

 Frau Doppmeier

CDU

 

X

 

44

 Herr Dr. Droste

CDU

 

X

 

45

 Herr Dudas

SPD

 

X

 

46

 Frau Düker

GRÜNE

 

X

 

47

 Herr Düngel

PIRATEN

X

 

 

48

 Herr Eiskirch

SPD

 

X

 

49

 Herr Ellerbrock

FDP

 

X

 

50

 Herr Engstfeld

GRÜNE

 

X

 

51

 Frau Fasse

CDU

 

X

 

52

 Herr Fehring

CDU

 

X

 

53

 Herr Feuß

SPD

 

X

 

54

 Herr Fortmeier

SPD

 

X

 

55

 Frau Freimuth

FDP

 

X

 

56

 Herr Fricke

PIRATEN

X

 

 

57

 Herr Ganzke

SPD

 

X

 

58

 Herr Garbrecht

SPD

 

X

 

59

 Herr Gatter

SPD

 

X

 

60

 Frau Gebauer

FDP

 

X

 

61

 Frau Gebhard

SPD

 

X

 

62

 Herr Geyer

SPD

 

X

 

63

 Frau Gödecke

SPD

abwesend

64

 Herr Goldmann

GRÜNE

 

X

 

65

 Herr Golland

CDU

 

X

 

66

 Frau Grochowiak-Schmieding

GRÜNE

 

X

 

67

 Herr Große Brömer

SPD

 

X

 

68

 Herr von Grünberg

SPD

 

X

 

69

 Herr Grunendahl

CDU

 

X

 

70

 Frau Güler

CDU

 

X

 

71

 Herr Haardt

CDU

abwesend

72

 Herr Dr. Hachen

CDU

 

X

 

73

 Frau Hack

SPD

 

X

 

74

 Herr Hafke

FDP

 

X

 

75

 Herr Hahnen

SPD

 

X

 

76

 Frau Hammelrath, Gabriele

SPD

 

X

 

77

 Frau Hammelrath, Helene

SPD

 

X

 

78

 Frau Hanses

GRÜNE

abwesend

79

 Herr Hausmann

CDU

 

X

 

80

 Herr Hegemann

CDU

 

X

 

81

 Herr Heinrichs

SPD

 

X

 

82

 Frau Hendricks

SPD

abwesend

83

 Herr Hendriks

CDU

 

X

 

84

 Herr Herrmann

PIRATEN

X

 

 

85

 Herr Herter

SPD

 

X

 

86

 Herr Hilser

SPD

 

X

 

87

 Herr Höne

FDP

 

X

 

88

 Herr Hovenjürgen

CDU

 

X

 

89

 Frau Howe

SPD

 

X

 

90

 Herr Hübner

SPD

 

X

 

91

 Herr Jäger

SPD

 

X

 

92

 Herr Jahl

SPD

 

X

 

93

 Frau Jansen

SPD

 

X

 

94

 Herr Jörg

SPD

 

X

 

95

 Herr Jostmeier

CDU

entschuldigt

96

 Herr Jung

CDU

entschuldigt

97

 Herr Kämmerling

SPD

 

X

 

98

 Herr Kaiser

CDU

 

X

 

99

 Herr Kamieth

CDU

entschuldigt

100

 Herr Kerkhoff

CDU

 

X

 

101

 Herr Kern, Nicolaus

PIRATEN

X

 

 

102

 Herr Kern, Walter

CDU

 

X

 

103

 Herr Keymis

GRÜNE

 

X

 

104

 Frau Kieninger

SPD

 

X

 

105

 Herr Klocke

GRÜNE

 

X

 

106

 Frau Klöpper

CDU

 

X

 

107

 Herr Körfges

SPD

 

X

 

108

 Frau Kopp-Herr

SPD

 

X

 

109

 Frau Korte

CDU

 

X

 

110

 Herr Kossiski

SPD

 

X

 

111

 Frau Kraft

SPD

 

X

 

112

 Herr Kramer

SPD

 

X

 

113

 Herr Krick

SPD

 

X

 

114

 Herr Krückel

CDU

entschuldigt

115

 Herr Krüger

GRÜNE

abwesend

116

 Herr Kruse

CDU

 

X

 

117

 Herr Kufen

CDU

 

X

 

118

 Herr Kuper

CDU

 

X

 

119

 Herr Kutschaty

SPD

 

X

 

120

 Herr Lamla

PIRATEN

X

 

 

121

 Herr Laschet

CDU

 

X

 

122

 Herr Lienenkämper

CDU

 

X

 

123

 Herr Lindner

FDP

entschuldigt

124

 Herr Löcker

SPD

 

X

 

125

 Herr Lohn

CDU

 

X

 

126

 Frau Lück

SPD

 

X

 

127

 Frau Lüders

SPD

 

X

 

128

 Herr Lürbke

FDP

 

X

 

129

 Frau Lux

SPD

 

X

 

130

 Frau Maaßen

GRÜNE

 

X

 

131

 Herr Dr. Maelzer

SPD

 

X

 

132

 Herr Markert

GRÜNE

 

X

 

133

 Herr Marquardt

SPD

 

X

 

134

 Herr Marsching

PIRATEN

X

 

 

135

 Herr Meesters

SPD

 

X

 

136

 Frau Middendorf

CDU

 

X

 

137

 Frau Milz

CDU

 

X

 

138

 Herr Möbius

CDU

 

X

 

139

 Herr Moritz

CDU

 

X

 

140

 Herr Mostofizadeh

GRÜNE

 

X

 

141

 Herr Müller, Hans-Peter

SPD

 

X

 

142

 Herr Müller, Holger

CDU

 

X

 

143

 Frau Müller-Witt

SPD

 

X

 

144

 Herr Münchow

SPD

 

X

 

145

 Herr Münstermann

SPD

 

X

 

146

 Herr Nettekoven

CDU

 

X

 

147

 Herr Nettelstroth

CDU

 

X

 

148

 Herr Neumann

SPD

 

X

 

149

 Herr Nückel

FDP

 

X

 

150

 Herr Olejak

PIRATEN

X

 

 

151

 Herr Dr. Optendrenk

CDU

 

X

 

152

 Herr Ortgies

CDU

 

X

 

153

 Herr Dr. Orth

FDP

 

X

 

154

 Herr Ott

SPD

 

X

 

155

 Herr Dr. Papke

FDP

 

X

 

156

 Herr Dr. Paul, Joachim

PIRATEN

X

 

 

157

 Frau Paul, Josefine

GRÜNE

 

X

 

158

 Frau Philipp

SPD

 

X

 

159

 Frau Pieper

PIRATEN

X

 

 

160

 Herr Post

CDU

 

X

 

161

 Herr Preuß

CDU

 

X

 

162

 Frau Preuß-Buchholz

SPD

 

X

 

163

 Herr Priggen

GRÜNE

 

X

 

164

 Herr Rahe

SPD

 

X

 

165

 Herr Rasche

FDP

 

X

 

166

 Herr Rehbaum

CDU

 

X

 

167

 Herr Römer

SPD

 

X

 

168

 Herr Rohwedder

PIRATEN

X

 

 

169

 Herr Rüße

GRÜNE

 

X

 

170

 Frau Ruhkemper

SPD

 

X

 

171

 Frau Rydlewski

PIRATEN

X

 

 

172

 Frau Schäfer, Ute

SPD

 

X

 

173

 Frau Schäffer, Verena

GRÜNE

 

X

 

174

 Frau Scharrenbach

CDU

 

X

 

175

 Herr Schatz

PIRATEN

X

 

 

176

 Herr Scheffler

SPD

 

X

 

177

 Herr Schemmer

CDU

abwesend

178

 Herr Schick

CDU

 

X

 

179

 Herr Schittges

CDU

 

X

 

180

 Herr Schlömer

SPD

 

X

 

181

 Herr Schmalenbach

PIRATEN

X

 

 

182

 Herr Schmeltzer

SPD

 

X

 

183

 Herr Schmitz, Hendrik

CDU

 

X

 

184

 Frau Schmitz, Ingola Stefanie

FDP

 

X

 

185

 Frau Schneckenburger

GRÜNE

 

X

 

186

 Herr Schneider, Guntram

SPD

 

X

 

187

 Herr Schneider, René

SPD

 

X

 

188

 Frau Schneider, Susanne

FDP

 

X

 

189

 Herr Schultheis

SPD

entschuldigt

190

 Herr Schulz

PIRATEN

X

 

 

191

 Frau Schulze

SPD

 

X

 

192

 Frau Schulze Föcking

CDU

 

X

 

193

 Herr Schwerd

PIRATEN

X

 

 

194

 Herr Seel

CDU

 

X

 

195

 Frau Dr. Seidl

GRÜNE

 

X

 

196

 Herr Sieveke

CDU

 

X

 

197

 Herr Sommer

PIRATEN

X

 

 

198

 Frau Spanier-Oppermann

SPD

 

X

 

199

 Herr Spiecker

CDU

 

X

 

200

 Herr Dr. Stamp

FDP

 

X

 

201

 Herr Stein

fraktionslos

 

X

 

202

 Frau Steininger-Bludau

SPD

 

X

 

203

 Frau Steinmann

SPD

 

X

 

204

 Herr Prof. Dr.Dr. Sternberg

CDU

 

X

 

205

 Herr Stotko

SPD

 

X

 

206

 Frau Stotz

SPD

 

X

 

207

 Herr Sundermann

SPD

 

X

 

208

 Herr Tenhumberg

CDU

 

X

 

209

 Herr Thiel

SPD

 

X

 

210

 Herr Töns

SPD

 

X

 

211

 Herr Tüttenberg

SPD

 

X

 

212

 Herr Ünal

GRÜNE

 

X

 

213

 Herr Uhlenberg

CDU

 

X

 

214

 Frau Velte

GRÜNE

 

X

 

215

 Herr Vogt, Alexander

SPD

 

X

 

216

 Frau Vogt, Petra

CDU

 

X

 

217

 Frau Voigt-Küppers

SPD

 

X

 

218

 Frau Voßeler

CDU

 

X

 

219

 Herr Voussem

CDU

 

X

 

220

 Frau Wagener

SPD

 

X

 

221

 Frau Warden

SPD

 

X

 

222

 Frau Watermann-Krass

SPD

 

X

 

223

 Herr Weckmann

SPD

 

X

 

224

 Herr Wedel

FDP

 

X

 

225

 Herr Wegner

PIRATEN

X

 

 

226

 Herr Weiß

SPD

 

X

 

227

 Herr Weske

SPD

 

X

 

228

 Herr Wirtz, Axel

CDU

 

X

 

229

 Herr Wirtz, Josef

CDU

 

X

 

230

 Herr Witzel

FDP

 

X

 

231

 Herr Dr. Wolf, Ingo

FDP

 

X

 

232

 Herr Wolf, Sven

SPD

 

X

 

233

 Herr Wüst

CDU

 

X

 

234

 Herr Yetim

SPD

 

X

 

235

 Herr Yüksel

SPD

abwesend

236

 Frau Zentis

GRÜNE

 

X

 

237

 Herr Zimkeit

SPD

 

X

 

 

Ergebnis

 

19

204

 


Anlage 2

Zu TOP 11 – „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Die meisten von uns kennen die jüngere Geschichte des Widerspruchs- oder auch Vorverfahrens, das die schwarz-gelbe Regierung 2007 weitgehend abgeschafft hat. Das hat in bestimmten Bereichen zu unmittelbaren Nachteilen für unsere Bürgerinnen und Bürger geführt, und diese Nachteile wollen wir mit diesem Gesetzentwurf beseitigen.

Bevor ich auf die Einzelheiten zu sprechen komme, will ich kurz etwas zur Entstehung dieses Gesetzentwurfes sagen.

Wir haben im Vorfeld die Interessenverbände und Behörden umfassend beteiligt: Von den kommunalen Spitzenverbänden über den Bund der Richter und Staatsanwälte und den Verband alleinerziehender Mütter und Väter bis hin zu den Gewerkschaften – insgesamt haben wir rund 30 Verbände und Behörden vorab um ihre Meinung gebeten.

Hierbei hat sich gezeigt, dass das Widerspruchsverfahren – gelinde gesagt – polarisiert.

Auf der Grundlage der zahlreichen Stellungnahmen hätten wir in viele Richtungen gehen können: von der flächendeckenden Wiedereinführung bis hin zum Beibehalten der aktuellen Regelungen.

Wir als Landesregierung haben uns für einen anderen Weg entschieden, den wir für richtig halten, nämlich für eine partielle Wiedereinführung in den Bereichen, in denen es für unsere Bürgerinnen und Bürger besonders wichtig ist.

Ich meine, ein sachlicheres Argument als die Interessen derjenigen, die durch ihre Stimmen diesem Parlament seine Legitimation verliehen haben, kann es eigentlich nicht geben.

Zu den Bereichen zählen insbesondere Verwaltungsbereiche mit verfahrensrechtlichen Besonderheiten und solche mit sozialer Prägung.

Dort bietet das Widerspruchsverfahren eine effektive und kostengünstige Möglichkeit, Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen.

Der Gesetzentwurf sieht die Wiedereinführung auch bei den Kommunalabgaben und Realsteuern vor. Denn dort handelt es sich regelmäßig um fehleranfällige Massenverfahren. Ein Widerspruchsverfahren stellt in diesem Bereich bürgernahen Rechtsschutz sicher und entlastet die Verwaltungsgerichte.

Die Gleichung „Widerspruchsverfahren gleich mehr Bürokratie“ ist mir in dieser Endgültigkeit zu einfach und viel zu undifferenziert.

Ja, ich erkenne an: Eins solches Verfahren, eine zusätzliche Instanz, bedeutet für die Behörde, die über den Widerspruch entscheiden muss, Aufwand. Dieser Aufwand ist aber dann gerechtfertigt, wenn es für unsere Bürgerinnen und Bürger Vorteile bringt. Wir müssen nämlich auch anerkennen: Der direkte Weg zum Gericht hält viele Menschen schon allein wegen des Kostenrisikos davon ab, Entscheidungen anzufechten, die sie für ungerechtfertigt halten.

Ein spezieller Bereich sind die Kommunalabgaben und Realsteuern; ich habe ihn eben bereits angesprochen. Auch hier setzen wir auf mehr Selbstkontrolle der Verwaltung durch die Wiedereinführung des Widerspruchsverfahrens.

Aber natürlich erkennen wir auch die Positionen der kommunalen Spitzenverbände an, die alles andere als einheitlich ausfallen: Die meisten Kommunen lehnen eine Wiedereinführung des behördlichen Vorverfahrens in diesen Bereichen ab. Allerdings hat der Städtetag in seiner Stellungnahme auch deutlich gemacht, dass ein Teil seiner Mitglieder die Wiedereinführung hier ausdrücklich befürwortet. Alle kommunalen Spitzenverbände haben auf die voraussichtlich entstehenden Mehraufwendungen hingewiesen.

Ich bin sicher: Der Landtag wird diesen Gesetzentwurf, auch im Rahmen der Ausschussberatungen, intensiv und auch kontrovers diskutieren. Dabei wird insbesondere das Für und Wider im Bereich der Kommunalabgaben und Realsteuern in den Blick zu nehmen sein. Ich persönlich bin darauf sehr gespannt.

Die sehr große Bandbreite an unterschiedlichen Meinungen ist eine gute Grundlage, um direkt in die Diskussion einzusteigen.

Ob wir am Ende einen fraktionsübergreifenden Konsens erreichen, weiß ich nicht. Ich vertraue aber darauf, dass das Parlament am Ende eine gute Entscheidung treffen wird, die vor allem von der gebotenen Sachlichkeit getragen wird.


Anlage 3

Zu TOP 12 – „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Wir haben uns erst vor wenigen Monaten hier im Plenum über kommunale Kooperationen unterhalten. In erster Linie ging es um das RVR-Gesetz, aber natürlich haben wir auch über das GkG gesprochen.

Mir sind zwei Bemerkungen besonders im Gedächtnis geblieben: „Die Kommunen warten auf die Instrumentarien.“ Und: „Der Landesgesetzgeber ist gefragt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Kommunen ihre Kooperationen praktisch umsetzen können.“

Diese Erwartungen erfüllt unser Gesetzentwurf. Mit ihm geben wir unseren Kommunen die Instrumente in die Hand, damit sie besser, effizienter und flexibler miteinander kooperieren können. Das Wort „können“ ist in diesem Zusammenhang wichtig. Ich will darauf ausdrücklich hinweisen: Dieser Gesetzentwurf gibt unseren Kommunen Möglichkeiten, die sie nutzen können, aber nicht müssen.

Das ist Ausdruck des gebotenen Respekts vor der kommunalen Selbstverwaltung. Ich denke, unsere Kommunen können und sollen selbst entscheiden, welche Formen der Kooperation vor Ort Sinn machen.

Wichtig war uns auch die Experimentierklausel, denn mit ihr ergibt sich für unsere Kommunen die Chance, flexibel auf neue, vor allem technische Entwicklungen zu reagieren.

Der Gesetzentwurf ist die logische Weiterentwicklung einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition interkommunaler Zusammenarbeit hier in NRW.

Es geht aber nicht nur um Zukunftsfähigkeit, um Effizienz und Flexibilität, denn letztlich spielt natürlich auch ein Aspekt eine wichtige Rolle: Diese Effekte sollen unseren Kommunen vor allem ermöglichen, Aufgaben wirtschaftlicher und damit auch kostengünstiger zu erledigen.

Dieser Gesetzentwurf wird auch von den kommunalen Spitzenverbänden grundsätzlich mitgetragen – es gibt also wenig Argumente, ihm nicht zuzustimmen.

Ich bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss.


Anlage 4

Zu TOP 13 – „Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen“ – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Wir haben Ende 2010 mit dem „Revitalisierungsgesetz“ nicht nur die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen erleichtert. Wir haben mit einem neuen § 108a GO auch die Möglichkeit geschaffen, dass in kommunal beherrschten Gesellschaften mit fakultativen Aufsichtsräten – also da, wo die bundesgesetzliche Arbeitnehmermitbestimmung wegen einer Beschäftigtenzahl von unter 500 nicht greift – eine Arbeitnehmermitbestimmung eingerichtet werden kann.

Jetzt liegen die ersten praktischen Erfahrungen in den kommunalen Gesellschaften vor. Danach wollen wir die Grundlagen in einigen Punkten verändern.

Erstens: Einbindung externen Sachverstandes! Die Beschäftigten sollen auch solche Personen für ihre Vertretung vorschlagen können, die nicht in der kommunalen Gesellschaft beschäftigt sind. Nach derzeitiger Rechtslage können sie ausschließlich Beschäftigte der Gesellschaft vorschlagen. Die Einbeziehung externen Sachverstandes kann für die Tätigkeit des Aufsichtsrates nützlich sein.

Zweites: Urwahl der Vorschlagsliste! Künftig wählen die Beschäftigten ihre Vorschlagsliste für die Arbeitnehmervertretung im fakultativen Aufsichtsrat in einer Urwahl. Derzeit müssen die Beschäftigten eine Betriebsversammlung organisieren. Das stößt auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten, gerade in Gesellschaften mit Schichtbetrieb und/oder mehreren Standorten.

Drittens: befristete Option zur Vollparität! Für einen befristeten Zeitraum wollen wir es möglich machen, dass bei kommunal beherrschten Gesellschaften eine vollparitätische Arbeitnehmermitbestimmung eingerichtet wird, wenn die beteiligten Kommunen dies wollen. Die derzeitige Regelung sieht ausschließlich eine drittelparitätische Besetzung vor.

Diese Regelung ist im Gesetzentwurf befristet, weil wir zunächst Erfahrungen in der kommunalen Praxis sammeln wollen. Daher soll diese Option nur bei den Aufsichtsräten greifen, die in der jetzt beginnenden Amtsperiode der kommunalen Vertretungen bestellt werden.

Das Thema Arbeitnehmermitbestimmung wird stets – das weiß ich als auch für das Landespersonalvertretungsgesetz zuständiger Minister – von unterschiedlichen und zum Teil gegenläufigen Interessen begleitet. Daher bin ich froh darüber, dass in der Verbändeanhörung sowohl die kommunalen Spitzenverbände als auch die Gewerkschaften die Einführung der Urwahl der Beschäftigten übereinstimmend begrüßt haben.

Bei den beiden anderen Punkten – externe Personen für die Arbeitnehmervertretung und befristete Option zur Vollparität – waren sich die beteiligten Verbände naturgemäß nicht so einig. Gleichwohl meine ich, dass der Gesetzentwurf den unterschiedlichen Belangen Rechnung trägt: Die Beschäftigten haben die Möglichkeit, externe Vertreterinnen und Vertreter vorzuschlagen. Letztlich entscheidet der Rat darüber, ob diese ein Aufsichtsratsmandat erhalten.

Die neue Regelung zur Vollparität eröffnet befristet die Möglichkeit, die fakultativen Aufsichtsräte bei den kommunalen Gesellschaften paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten einerseits und der Kommune andererseits zu besetzen – eine Option, von der die Kommune Gebrauch machen kann, aber nicht muss.

Angesichts der unterschiedlichen Interessen, die es unter einen Hut zu bringen gilt, freue ich mich auf ein spannendes Beratungsverfahren.


Anlage 5

Zu TOP 15 – „NRW unterstützt Europäisches Jahr der Entwicklung 2015“ – zu Protokoll gegebene Reden

Renate Hendricks (SPD):

„Unser Ziel ist ein menschenwürdiges Leben für alle und die Beseitigung der Armut und die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für die Welt. Dies ist die wichtigste Botschaft für das Europäische Jahr der Entwicklung“.

Vor nunmehr 14 Jahren haben die Staats- und Regierungschefs die Millennium-Ziele beschlossen. Diese ehrgeizigen Ziele verfolgten die Halbierung des Anteils der Menschen, die hungern und in Armut leben, die Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel, aber auch eine verstärkte ökologische Nachhaltigkeit.

In einigen Bereichen, wie etwa der Reduzierung der extremen Armut, konnten durchaus Erfolge erzielt werden, andere Bereiche, wie die Senkung der Kindersterblichkeit, sind weniger erfolgreich. Konsens zwischen den Beteiligten ist, dass es mit dem Erreichen der anvisierten Zielmarke 2015 inhaltlich und politisch weitergehen muss.

Deswegen ist der Post-MDG-Prozess so wichtig. Er signalisiert: Wir hören nicht auf, wir machen weiter!

Ich freue mich, dass das Europäische Parlament und die Europäische Kommission hier als Vorreiter agieren und die Entwicklungszusammenarbeit noch stärker auf der europäischen Ebene konzentrieren wollen.

Gemeinsame europäische Strategien gerade im Bereich der Nachhaltigkeit konnten wir zuletzt beim EU-Afrika-Gipfel im letzten Monat beobachten. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser gemeinsame europäische Weg der richtige ist.

Mit ihrer „Agenda für den Wandel“ hat sich die Europäische Kommission klar für eine nachhaltige Entwicklungsarbeit ausgesprochen und Kriterien definiert. Ihr Vorschlag, für das Jahr 2015, also dem Jahr, in dem die Millenniumsziele gewissermaßen „auslaufen“, ein „Europäisches Jahr der Entwicklung“ auszurufen, findet unsere entschiedene Unterstützung.

Damit wird signalisiert, dass Entwicklungszusammenarbeit weiter Aufgabe der europäischen Staaten ist!

Die Europäische Kommission hat hierfür in ihrer „Agenda für den Wandel“ bereits Leitlinien entwickelt, die auch in den Bereich der guten Regierungsführung und den Ausbau der Menschenrechte reichen.

Es muss sich auch mit den Themen „ Flucht“ und „Waffenhandel“ im Rahmen des Europäischen Entwicklungsjahres beschäftigt werden.

Ziel muss es dabei sein, unsere Partner im Süden aus Abhängigkeiten zu befreien und zur Selbstständigkeit zu führen!

Neben der so wichtigen Zusammenfassung entwicklungspolitischer Ziele und Maßnahmen auf der europäischen Ebene ist ein zweiter Aspekt wichtig: Im Rahmen des Projektjahres sollen gerade die Regionen gestärkt werden. In Deutschland also die Bundesländer. Ihnen kommt in dem Prozess eine besondere Rolle zu.

Die Europaministerkonferenz, die Anfang Juni in Berlin getagt hat, sieht in dem Jahr der Europäischen Entwicklung eine besondere Chance. Auf nationaler Ebene sollen die zuständigen Gremien einbezogen werden und in Abstimmung mit den Ländern in dezentralen Bürgerforen stattfinden.

Diese Abstimmungen müssen nun im Vorfeld zwischen Land und Bund stattfinden.

Nordrhein-Westfalen kann sich in diesem ganzen Komplex mit eigener Expertise einbringen. NRW hat zum einen direkte Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den Ländern des Südens.

Zum anderen gibt es in Nordrhein-Westfalen eine rege Community von Nichtregierungsorganisationen sowie Kommunen, die sich für diese Themen engagieren.

Zudem bündeln sich in der Bundesstadt Bonn zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Initiativen und Organisationen, auf deren Kompetenz das Land zurückgreifen kann!

Mit der demnächst – im Zweijahresrhythmus stattfindenden – Entwicklungskonferenz, zu der in der letzten Woche das Land NRW eine Vereinbarung mit der Stadt Bonn und der GIZ unterschrieben hat, soll richtigerweise u. a. der Fokus auch auf unsere eigenen Lebensweisen gelegt werden.

Diese sind nämlich ursächlich für relevante Entwicklungen in den Ländern des Südens.

Dies zeigt: Bei der konzeptionellen Entwicklung und Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit mit einer stärkeren Gewichtung von Nachhaltigkeit können gerade wir in Nordrhein-Westfalen wichtige Impulse setzen!

Andrea Asch (GRÜNE):

2015 wird ein entscheidendes Jahr für die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit sein.

Die Millennium Development Goals laufen im Jahre 2015 aus, und die Weltgemeinschaft debattiert und verhandelt zurzeit darüber, wie eine Post-Agenda-2015 ausgestaltet werden soll.

Vor diesem Hintergrund begrüßen und unterstützen wir mit diesem Antrag ausdrücklich, dass das Europäische Parlament am 23. Oktober 2012 beschlossen hat, das Jahr 2015 zum Europäische Jahr der Entwicklung auszurufen.

Durch dieses Programm soll die Ausarbeitung der Post-2015-Agenda öffentlich wirksam begleitet werden.

Die Millennium Development Goals (MDGs), die im Jahre 2000 verabschiedet wurden, bezeichnet der Wissenschaftler Franz Nuschler zu Recht als „Novum in der Geschichte der Entwicklungspolitik“.

Zum ersten Mal einigte sich die Weltgemeinschaft auf acht konkrete Ziele, die bis zum Jahre 2015 erreicht werden sollten.

Das Handeln der Staaten war dadurch messbar geworden.

Durch die MDGs konnte einiges erreicht werden. Als Beispiel sei der Fortschritt bei der Armutsreduzierung, der Gleichstellung der Geschlechter, der Grundbildung und die Senkung der Kindersterblichkeit zu nennen.

Klar ist auch, dass noch vieles erreicht werden muss, um die Armut auf dieser Welt grundlegend zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung voranzubringen.

Eine Kritik an die MDGs ist, dass die Ziele für die Armutsbekämpfung zu eng formuliert wurden. Der Zielkatalog muss um die Nachhaltigkeitsziele erweitert werden.

Nachhaltige Entwicklung wird damit als ein Dreisäulenmodell verstanden, in dem Ökonomie, Ökologie und Sozialpolitik zusammen betrachtet werden.

Im Rahmen dieser Debatte begrüßen wir ausdrücklich den Beschluss des Bundesrats, im Jahr der Europäischen Entwicklung nicht nur die europäische Entwicklungspolitik in den Blick zu nehmen, sondern die Gesamtheit der europäischen Politik kritisch zu betrachten.

Denn der neue Aspekt der nachhaltigen Entwicklungsziele muss sein, dass als Adressaten nicht nur die Schwellen- und Entwicklungsländer betrachtet, sondern auch die Industrienationen mit in die Pflicht genommen werden müssen.

Wenn man die Industriestaaten als Adressaten versteht, müssen wir alle europäischen Politikbereiche kritisch daraufhin überprüfen, ob sie sich an einer nachhaltigen Entwicklung orientieren.

Aus NRW können hierfür sehr gute Impulse eingebracht werden. Wir haben eine kohärente, an nachhaltiger Entwicklung orientierte Landespolitik. Denn wir verstehen eine nachhaltige Politik als Querschnittsthema.

Hier in NRW wurde u. a. das erste deutsche Klimaschutzgesetz verabschiedet.

In NRW haben wir eine Vielzahl von aktiven, kompetenten Organisationen, die durch entwicklungspolitische Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag leisten können, das Bewusstsein darüber zu schärfen, welche Zusammenhänge zwischen unseren Konsum- und Lebensgewohnheiten und der Armut des globalen Südens bestehen.

Mit dem „Europäischen Jahr der Entwicklung“ werden wir gemeinsam mit den in NRW aktiven Organisationen das Bewusstsein für diese globalen Zusammenhänge stärken und schärfen.

Ilka von Boeselager (CDU):

Zu Wochenbeginn hat der Bundespräsident deutliche Worte zu der EU-Flüchtlingspolitik gefunden – ich zitiere –: „Wir, das heißt Deutschland und auch Europa, tun viel – aber nicht so viel, wie es uns selbst manchmal scheint“. Joachim Gauck hat an die gemeinsame Verantwortung der Europäer appelliert, wie mit Menschen umgegangen wird, die aus schlimmen und schlimmsten Verhältnissen kommen und unsere Hilfe brauchen.

Die erschütternden Flüchtlingsbilder gehören zu dem dringenden Hintergrund, vor dem das Europäische Jahr der Entwicklung angebahnt wird. Ebenso gehört dazu, dass zentrale Weichen der Entwicklungspolitik neu gestellt werden müssen: die Post-2015-Agenda, die nachhaltigen Entwicklungsziele, das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll.

In unserem Bundesland kann das Europäische Jahr helfen, dass die Eine-Welt-Politik endlich wieder Fahrt aufnimmt. Und ebenso die Europapolitik. Denn es geht um die europäische Dimension der Entwicklungszusammenarbeit und um die Verdeutlichung, dass uns das alle angeht: „Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft.“

Der heutige Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird diesen Herausforderungen leider nicht gerecht. Der Punkt ist, dass die Bundesländer im Deutsche Bundesrat schon im September letzten Jahres den Beschluss gefasst haben – ich zitiere –, „an der Durchführung eines umfassenden Europäischen Jahres mitzuwirken und mit eigenen Überlegungen und Initiativen zu dem von der Kommission vorgeschlagenen nationalen Arbeitsprogramm beizutragen“.

Im Bundesrat handelt auch unsere Landesregierung, liebe Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren. Tatsache ist, dass wir seit dem Beschluss noch nicht einmal im Ausschuss irgendetwas Substanzielles von Ihnen gehört haben. Wo ist die Prozessbeteiligung der Landesregierung, auf die sich der Antrag bezieht? Wo sind die Initiativen, die Sie im Bundesrat zugesagt haben?

Dann richtet der Antrag den Fokus auf die Generalrevision aller EU-Politiken. Das geht ganz genauso am Kern vorbei. Seit mehr als 50 Jahren sind die Länder Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Mit unterschiedlichem Engagement. Herausragend ist und bleibt sicherlich Rheinland-Pfalz, das unter Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel 1982 begonnen hat, eine enge Partnerschaft mit Ruanda zu entwickeln, die bis heute höchst lebendig ist.

Vor allem aber tragen die zivilgesellschaftlichen Akteure Entwicklungszusammenarbeit. Man muss nur noch Bonn fahren, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie vielfältig und vital die Riege der Institutionen ist, die sich um die Entwicklung insbesondere des afrikanischen Kontinents, um Friedensarbeit, um Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit bemühen.

Auch von zahlreichen anderen Städten in Nordrhein-Westfalen geht dieses großartige Engagement aus: zum Beispiel Aachen (Miseroer, Sternsinger), Essen (Adveniat), Köln (medica mondi-ale – Gewalt gegen Frauen e.V.) oder Krefeld (action medeor).

Dabei erreicht die Zivilgesellschaft oft, was staatlichen Stellen verwehrt ist. Subsidiarität erweist sich hier einmal mehr als besserer Weg. Darauf legt die CDU-Fraktion großen Wert.

In welchem Zustand ist die Entwicklungszusammenarbeit der Landesregierung Nordrhein-West-falen?

Heute, Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren, hatten Sie das Netzwerktreffen europapolitischer Multiplikatorinnen und Multiplikatoren anberaumt. Das sagt fast alles. Heute an einem Plenumstag, wenn es die Möglichkeit zu dem wichtigen Austausch für uns faktisch gar nicht gibt. Das ist ärgerlich. Wenn man das so macht, werden die Europapolitik und die Eine-Welt-Politik immer weiter degradiert.

Wie sieht es mit unseren Partnerschaften mit Ghana und Mpumalanga aus?

Die CDU-Fraktion hat zu der Zusammenarbeit mit Mpumalanga im Ausschuss einen Bericht erbeten. Der Inhalt lässt sich so zusammenfassen: Die Zusammenarbeit der Regierungen existiert derzeit faktisch nicht. Die Erfindung von SPD und Grünen aus dem Jahr 1994 ist im Wesentlichen gescheitert.

Umso hoffnungsvoller stimmt mich, dass es ein aktives Mpumalanga-Forum gibt und zahlreiche lebendige Kontakte von Akteuren der Zivilgesellschaft. Es zeigt einmal mehr: Der Schlüssel des Erfolgs ist in den Strukturen der Zivilgesellschaft zu suchen, bei den Kirchen, Verbänden, Schulen, Initiativen – und nicht in der Staatskanzlei, so wie sie derzeit geführt wird.

Zu dem Engagement der Zivilgesellschaft müssen im Europäischen Jahr der Entwicklung neue Brücken gebaut werden. Der farblose Antrag tut das mit den abstrakten Forderungen und dem Nachbeten des Bundesratsbeschlusses nicht. Er führt am Ziel vorbei. Und er verdeckt das notwendige Engagement der Landespolitik, das die Landesregierung an allen Ecken schuldig bleibt.

Dr. Ingo Wolf (FDP):

Die heutige Debatte ist durch zwei Pole gekennzeichnet:

Zum einen ist dort die – aus unserer Sicht sehr sinnvolle – Entschließung des Europaparlaments vom 23. Oktober 2012, mit der sich das Parlament für die Durchführung eines „Europäischen Jahres der Entwicklungszusammenarbeit“ für 2015 ausgesprochen hat.

Und zum anderen ist dort der vorliegende rot-grüne Antrag. Jener erweist sich leider ganz und gar nicht als sinnvoll. Der Antrag enthält nämlich den Hinweis auf eine Stellungnahme des Bundesrates aus dem Spätsommer 2013, in der dieser eine Ausweitung der Ziele des Europäischen Jahres auf die Gesamtheit der europäischen Politiken und nicht nur auf die Entwicklungspolitik fordert.

Als Beispiele für diese Bereiche nennt der Bundesrat Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Sicherheitspolitik, Asyl, Migration, Integration sowie Öffentlichkeitsarbeit, Information und Bildung. Das geht uns entscheidend zu weit, auf diese Art und Weise geht der Fokus auf die Entwicklungspolitik verloren.

Entscheidend ist aber folgende Überlegung: Die Stellungnahme des Bundesrates datiert vom 20. September 2013 – das ist ein Dreivierteljahr her. Ihr Antrag datiert vom 1. April 2014 – auch zu dieser Zeit war der Beschluss des Bundesrates bereits mehr als ein halbes Jahr alt. Meine Fraktion kann nicht erkennen, worin der Mehrwert einer Befassung des Landtags mit dieser Sache liegen soll, wenn der Bundesrat schon lange einen Beschluss gefasst hat und dieser sich in der Umsetzung befindet. Es läge dann vielmehr an der Landesregierung, für eine geeignete Umsetzung auch und gerade in NRW zu sorgen.

Zur haushalterischen Seite auf Landesebene haben Sie sich im Übrigen in Ihrem Antrag auch nicht verhalten. Diesen Punkt hatte ich ja bereits bei der Einbringung des Antrags hier im Plenum betont; ich hatte gehofft, dass im Ausschuss hierzu Erhellendes zu vernehmen sein würde. Das war nicht der Fall. Die Durchführung des Entwicklungsjahres generiert auch in NRW Kosten. Werden diese dann aus vorhandenen Haushaltsmitteln bestritten, oder ist im Landeshaushalt 2015 ein Aufwuchs der einschlägigen Kapitel und Titel zu erwarten? Wir haben die Posten für Entwicklungshilfekoordinatoren und kommunale Entwicklungszusammenarbeit immer kritisiert. Wir werden das in den Haushaltsberatungen noch erörtern, aber im Lichte der angespannten Haushaltslage des Landes möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von Rot und Grün, doch schon jetzt zu einer kostenneutralen Umsetzung des Entwicklungsjahres raten.

Die Stichworte „Aktivierung der Zivilgesellschaft“ und „ehrenamtliches Engagement“ sind mit Blick auf die Entwicklungszusammenarbeit richtig und wichtig, aber das leisten wir nicht, indem wir immer weitere neue Schulden machen. Meine Fraktion würde es ja schon begrüßen, wenn die Wirksamkeit der ausgereichten Mittel zu den vorgesehenen Zwecken von Ihrer Seite einmal evaluiert würde – aber da kommt nichts. Stattdessen folgt ein symbolischer Antrag dem nächsten, und die einzige Konsequenz könnte ein weiterer Aufwuchs im Einzelplan 02 Kapitel 040 sein.

Nehmen wir uns doch die Vorhaben der EU zum Vorbild:

Aktivierende Maßnahmen vor Ort in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit sind gefragt. Dazu gehört die Etablierung von Standards auf der Ebene von Demokratie und Menschenrechten ebenso wie infrastrukturelle und der örtlichen Versorgungssicherheit dienende Maßnahmen. Und diese Ziele erreichen Sie am ehesten, indem Sie vor Ort in den Partnerländern aktiven Erfahrungsaustausch betreiben, indem Sie dortigen Kleinunternehmen und ?unterneh-mern den hiesigen Markt öffnen und umgekehrt und indem Sie das Interesse der Menschen in Europa an Entwicklungszusammenarbeit steigern. Das ist eine Frage des Wollens. Und auf jener Ebene sehe ich, meine Damen und Herren von Rot und Grün, jenseits hübscher Lippenbekenntnisse von Ihnen wenig.

Deshalb wird meine Fraktion dem Antrag heute – wie auch schon im Fachausschuss – die Zustimmung verweigern.

Nicolaus Kern (PIRATEN):

Im Jahr 2000 verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft zur Erreichung der ehrgeizigen „Millennium Entwicklungsziele“ bis 2015.

Gleichzeitig wurde der Prozess zur Erarbeitung einer Post-2015-Entwicklungsagenda eingeleitet – quasi ein Update der bisherigen Ziele, bisher allerdings ohne Ergebnis!

Ich will an dieser Stelle gar nicht die Sinnhaftigkeit neuer Ziele bewerten, wenn die alten nicht ansatzweise erreicht wurden. Das ist eine andere Debatte!

Fakt ist: Die EU will den Prozess der Entwicklung neuer Zielvorgaben mit dem „Europäischen Jahr der Entwicklung 2015“ aktiv begleiten.

Und das ist natürlich zu begrüßen!

Rot-Grün legt hier einen Antrag vor, der sich für die Unterstützung der EU-Initiative ausspricht.

Um es vorwegzunehmen: Auch wir Piraten sind der Ansicht, dass sich NRW als bedeutender europäischer Akteur für die Initiative starkmachen muss.

Doch die Antragsteller von Rot-Grün machen es sich hier zu einfach!

Der Antrag verweist auf die entsprechende Bundesratsstellungnahme. Diese fordert sinnvollerweise eine Ausweitung der Ziele des „Europäischen Jahres der Entwicklung“, um der Tragweite der Post-2015-Agenda gerecht zu werden.

Der Bundesrat hat folgende wohlklingenden Worte verabschiedet. Ich zitiere: „Ziel des Jahres muss es sein […], eine breite, öffentliche und […] auch kritische Diskussion über die Ziele und Inhalte der Europäischen Entwicklungspolitik zu ermöglichen […]“.

Dem stimmen wir zu!

Doch will man diesen Ansprüchen genügen, steht auch die nordrhein-westfälische Landesregierung in der Pflicht, eine solche öffentliche Debatte zu befördern!

Vor lauter Selbstbeweihräucherung hat man im vorliegenden Antrag wohl vergessen, konkrete Handlungsaufforderungen an die Landesregierung mit aufzunehmen!

Ganz offensichtlich sieht Rot-Grün hier überhaupt keinen Bedarf – denn unsere Änderungsvorschläge wurden ohne Diskussion abgelehnt.

Aber das passt natürlich ins Bild: Immerhin sieht die rot-grüne Landesregierung beim kontroversen TTIP-Abkommen ja auch keinen Bedarf, die Bevölkerung aktiv mit einzubinden!

Ich komme zum Schluss: Der vorliegende Antrag ohne echte Forderungen an die Landesregierung wird diesem wichtigen Anliegen nicht gerecht.

Deshalb werden wir uns wie im Ausschuss enthalten!

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien:

Im Jahr 2015 werden entscheidende Weichen für unsere Zukunft gestellt. Wir erreichen das Zieljahr der Millennium-Entwicklungsziele. Und auch wenn es große Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten gibt, dürfen wir in unseren Anstrengungen für eine gerechtere Welt nicht nachlassen.

Die Weltgemeinschaft wird daher im nächsten Jahr eine neue globale Entwicklungsagenda verabschieden. Diese wird aber deutlich über die Ziele der Millenniumsagenda hinausgehen und auch globale Nachhaltigkeitsziele enthalten, wie sie im Rio-Folgeprozess diskutiert werden. Aus den MDGs, den Millennium Development Goals, werden dann SDGs – Sustainable Development Goals oder nachhaltige Entwicklungsziele. Zugleich soll auf der Klimakonferenz in Paris Ende 2015 ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll entstehen.

Deutschland wird in diesen Verhandlungen übrigens eine besondere Verantwortung zukommen, da wir die Präsidentschaft der G7 – von einer G8-Gruppe kann ja derzeit nicht länger gesprochen werden – innehaben werden.

2015 wird für die Entwicklungspolitik ein Schlüsseljahr. Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen und sogar fast unausweichlich, dass sich auch die Europäischen Union unter dem Titel „Europäisches Jahr der Entwicklung“ intensiv mit ihrer Entwicklungspolitik auseinandersetzen wird. Die europäische Entwicklungspolitik soll zum zentralen europäischen Kommunikationsthema im kommenden Jahr werden. Ich begrüße das sehr.

Für Nordrhein-Westfalen hat die Diskussion über die europäische Entwicklungspolitik eine besondere Bedeutung. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Organisationen und Institutionen der Eine-Welt-Arbeit. Nirgendwo in Deutschland engagieren sich so viele Menschen ehrenamtlich für eine gerechtere Zukunft. Zudem sind in der Bundesstadt Bonn 18 Einrichtungen der Vereinten Nationen und rund 150 Nichtregierungsorganisationen ansässig, von denen sich die meisten mit Fragen der Entwicklungs- oder der Nachhaltigkeitspolitik auseinandersetzen.

Ich sehe daher das „Europäische Jahr der Entwicklung“ als Chance, gemeinsam mit den Akteuren der Eine-Welt-Politik die Themen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und zugleich aktiv an den Weichenstellungen für die Zukunft mitzuwirken. Eine möglichst intensive Mitwirkung unserer aktiven und lebendigen Zivilgesellschaft am „Europäischen Jahr der Entwicklung“ und die Bereitschaft aller, auch der europäischen Organe, sich auch auf schwierige Debatten einzulassen, sind für mich dabei wichtige Gradmesser für die Glaubwürdigkeit des europaweiten Diskussionsprozesses.

Die entsprechenden Forderungen des Bundesratsbeschlusses vom September 2013 unterstütze ich daher ausdrücklich. Ich erlaube mir überdies gern den Hinweis, dass dieser Beschluss im Wesentlichen von Nordrhein-Westfalen formuliert worden ist.

Als Landesregierung werden wir uns an der Diskussion über die Post-2015-Agenda intensiv beteiligen. Unser zentraler Beitrag wird dabei die gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit veranstaltete Bonner Konferenz sein, die im Mai 2015 unter dem neuen Titel „Bonn Conference for Global Transformation“ durchgeführt werden soll. Hier wollen wir einen Beitrag leisten zur Diskussion um eine globale große Transformation und damit auch zur Post-2015-Agenda.

Doch über die Entwicklungspolitik sollte nicht nur auf der großen Bühne diskutiert werden, sondern möglichst breit und an allen Orten. Mir ist es daher ein Anliegen, dass das Thema – natürlich gerade auch im „Europäischen Jahr der Entwicklung“ – in die Breite der Gesellschaft getragen wird, in die Schulen, in die Kommunen, in die Vereine und Verbände. Hier sehe ich uns alle gemeinsam in der Verantwortung, wenn es darum geht, möglichst viele Akteure für ein Mitmachen zu gewinnen.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen für die Landesregierung und freue mich, dass er bereits im zuständigen Fachausschuss für Europa und Eine Welt angenommen worden ist. Ich hoffe auf eine breite Unterstützung des Antrags.