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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/60

16. Wahlperiode

04.06.2014

60. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 4. Juni 2014

Mitteilungen der Präsidentin. 5993

Änderung der Tagesordnung. 5993

Sigrid Beer (GRÜNE) 5993

Nichtförmliche Rügen. 5993

1   Neuwahl und Vereidigung eines stellvertretenden Wahlmitglieds des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
von 199 Mitgliedern
des Landtags Nordrhein-Westfalen
Drucksache 16/5980. 5993

Dr. Joachim Paul (PIRATEN)
(Erklärung gem. § 47 GeschO) 5994

Ergebnis. 5995

2   Aktionsplan der Landesregierung: „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6035. 5996

Minister Guntram Schneider 5996

Ursula Doppmeier (CDU) 5999

Josef Neumann (SPD) 6002

Ulrich Alda (FDP) 6004

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 6007

Stefan Fricke (PIRATEN) 6009

Minister Guntram Schneider 6011

Ursula Doppmeier (CDU) 6013

Michael Scheffler (SPD) 6013

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE) 6014

Stefan Fricke (PIRATEN) 6014

Ulrich Alda (FDP) 6015

Ergebnis. 6015

3   Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5293

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6026

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5973

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5956

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5999

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Ohne Fahrplan und ohne Ziel: Die Weiterentwicklung des KiBiz darf nicht verschleppt werden!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4577

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5974. 6015

Wolfgang Jörg (SPD) 6015

Bernhard Tenhumberg (CDU) 6017

Andrea Asch (GRÜNE) 6020

Marcel Hafke (FDP) 6021

Olaf Wegner (PIRATEN) 6025

Ministerin Ute Schäfer 6026

Britta Altenkamp (SPD) 6030

Bernhard Tenhumberg (CDU) 6031

Andrea Asch (GRÜNE) 6032

Olaf Wegner (PIRATEN) 6033

Ministerin Ute Schäfer 6033

Ergebnis. 6034

4   Klarheit schaffen über mögliche Szenarien der Finanzierung des Rückbaus von Atomanlagen und die damit verbundenen Folgen für Kommunen in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5960. 6034

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6035

Thomas Kufen (CDU) 6035

Hans Christian Markert (GRÜNE) 6036

Dietmar Brockes (FDP) 6037

Guido van den Berg (SPD) 6038

Minister Thomas Kutschaty. 6039

Dietmar Schulz (PIRATEN) 6040

Ergebnis. 6041

5   Dialogverfahren zum Abbau bürokratischer Vorgaben in Nordrhein-Westfalen starten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5963. 6042

Ina Scharrenbach (CDU) 6042

Stefan Kämmerling (SPD) 6043

Mario Krüger (GRÜNE) 6043

Kai Abruszat (FDP) 6045

Torsten Sommer (PIRATEN) 6046

Minister Thomas Kutschaty. 6047

Ergebnis. 6048

6   Ehrenamtliche Jugendhilfe macht nicht an Ländergrenzen halt – Möglichkeiten des länderübergreifenden Verdienstausfalls schaffen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5757

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6034. 6048

Marcel Hafke (FDP) 6048

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 6049

Walter Kern (CDU) 6050

Dagmar Hanses (GRÜNE) 6051

Olaf Wegner (PIRATEN) 6051

Ministerin Ute Schäfer 6052

Ergebnis. 6053

7   Grundwasser in Nordrhein-Westfalen schützen – Gespräche mit den Niederlanden beginnen

Eilantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6023 – Neudruck. 6053

Rainer Schmeltzer (SPD) 6053

Josef Hovenjürgen (CDU) 6054

Wibke Brems (GRÜNE) 6055

Ralph Bombis (FDP) 6056

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 6058

Minister Johannes Remmel 6059

Rainer Schmeltzer (SPD) 6060

Ergebnis. 6061

8   Lehrerausbildungsgesetz – Erfahrungen produktiv für eine weitere Entwicklung nutzen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5965

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6038. 6061

Iris Preuß-Buchholz (SPD) 6061

Ali Bas (GRÜNE) 6062

Astrid Birkhahn (CDU) 6064

Yvonne Gebauer (FDP) 6065

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 6066

Ministerin Svenja Schulze. 6067

Ergebnis. 6069

9   Perspektiven für den kommunalen Wirtschaftswegebau schaffen!

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
des Abg. Robert Stein (fraktionslos)
Drucksache 16/5964 – Neudruck. 6069

André Kuper (CDU) 6070

Kai Abruszat (FDP) 6070

Robert Stein (fraktionslos) 6071

Frank Sundermann (SPD) 6072

Norwich Rüße (GRÜNE) 6073

Oliver Bayer (PIRATEN) 6074

Minister Johannes Remmel 6075

Ergebnis. 6076

10 Bürgermeisterabwahl vereinfachen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5499. 6076

Torsten Sommer (PIRATEN) 6076

Lisa Steinmann (SPD) 6077

Peter Biesenbach (CDU) 6078

Mario Krüger (GRÜNE) 6078

Kai Abruszat (FDP) 6078

Minister Ralf Jäger 6078

Ergebnis. 6079

11 Die Zukunft der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen sichern und neue Perspektiven eröffnen!

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5966 – Neudruck. 6079

Norbert Meesters (SPD) 6079

Christina Schulze Föcking (CDU) 6080

Norwich Rüße (GRÜNE) 6080

Karlheinz Busen (FDP) 6081

Simone Brand (PIRATEN) 6082

Minister Johannes Remmel 6082

Ergebnis. 6083

12 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Immobilien- und Standortgemeinschaften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4232

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/5976 – Neudruck

zweite Lesung. 6083

Sarah Philipp (SPD) 6083

Wilhelm Hausmann (CDU) 6084

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 6085

Holger Ellerbrock (FDP) 6086

Oliver Bayer (PIRATEN) 6087

Minister Michael Groschek. 6088

Wilhelm Hausmann (CDU) 6088

Ergebnis. 6088

13 Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5788

erste Lesung. 6089

Minister Guntram Schneider
zu Protokoll
(siehe Anlage)

Ergebnis. 6089

14 Organstreitverfahren von 12 Abgeordneten des Landtags Nordrhein-Westfalen gegen die Landesregierung Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung von Informations- und Fragerechten

VerfGH 12/14
Vorlage 16/1907

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/5977. 6089

Ergebnis. 6089

15 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 20
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/5978. 6089

Ergebnis. 6089

16 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/22. 6089

Ergebnis. 6089

Anlage  6091

Zu TOP 13 – Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Guntram Schneider 6091

Entschuldigt waren:

Minister Garrelt Duin

Minister Ralf Jäger       
(bis 16:30 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(ab 15 Uhr)

Ministerin Svenja Schulze         
(ab 18:30 Uhr)

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Ministerin Barbara Steffens

Martin Börschel (SPD
(ab 15 Uhr)

Inge Howe (SPD)

Andreas Kossiski (SPD)          
(bis 17 Uhr)

Wilhelm Hausmann (CDU)        
(bis 14 Uhr)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 15 Uhr)

Thorsten Schick (CDU)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)           
(ab 17 Uhr)

Stefan Engstfeld (GRÜNE)      
(ab 18 Uhr)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 18 Uhr)

Henning Höne (FDP)    
(bis 14 Uhr)

Daniel Düngel (PIRATEN)

 


Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, der 60. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, dürfen wir auch heute einem Kollegen zu seinem Geburtstag gratulieren, nämlich Herrn Kollegen Christof Rasche von der Fraktion der FDP. Er wird heute 52 Jahre alt. Ganz herzlichen Glückwunsch, alles Gute und uns allen zusammen einen angenehmen und störungsfreien Plenartag, damit Sie, Herr Rasche, noch ein bisschen feiern können!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Abarbeitung unserer Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen einige Mitteilungen zu machen.

Im Hinblick auf die Tagesordnung des heutigen Tages haben sich die Fraktionen inzwischen darauf verständigt, die Aussprache über den bisherigen Tagesordnungspunkt 4 „Einrichtung einer Enquete-Kommission zu Finanzierungsoptionen des Öffentlichen Personenverkehrs in Nordrhein-Westfalen im Kontext des gesellschaftlichen und technischen Wandels (FINÖPV)“, Antrag der Fraktion der Piraten, auf die Plenarsitzung im Juli zu verschieben.

Außerdem sollen der bisherige Tagesordnungspunkt 11 „Die Zukunft der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen sichern und neue Perspektiven eröffnen!“, Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Fassung des Neudrucks, als neuer Tagesordnungspunkt 4 und der bisherige Tagesordnungspunkt 13 „Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Immobilien- und Standortgemeinschaften“, zweite Lesung, als neuer Tagesordnungspunkt 10 beraten werden.

(Sigrid Beer [GRÜNE] meldet sich zu Wort.)

– Das ist bei uns so angekommen. Frau Beer erhebt aber Widerspruch.

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin, wir haben miteinander vereinbart, dass die Anträge der Piraten vorgezogen werden: der bisherige Tagesordnungspunkt 10 als neuer Tagesordnungspunkt 4 und der bisherige Tagesordnungspunkt 12 als neuer Tagesordnungspunkt 10. Der Kollege Kern hatte leider nicht die aktuelle Nummerierung. Deswegen ist da wohl ein Versehen entstanden. Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Thema „Schafhaltung“ soll dort bleiben, wo er ist.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kern, war das die Verabredung?

(Nicolaus Kern [PIRATEN] nickt.)

– Okay. Herr Kollege Herter, Herr Kollege Lienenkämper, Herr Kollege Rasche nicken auch. Erhebt sich gegen diese Änderung aus dem Plenum heraus Widerspruch? – Nein. Dann haben wir so beschlossen. Damit sind die beiden Piratenanträge vorgezogen. Wir werden das in der Live-Tagesordnung entsprechend vermerken.

Des Weiteren muss ich eine nichtförmliche Rüge aussprechen. Diese betrifft Herrn Minister Ralf Jäger. Herr Minister Jäger hat sich in der 59. Plenarsitzung am 15. Mai 2014 im Rahmen der Aussprache zum damaligen Tagesordnungspunkt 3 „Einbruchskriminalität in Nordrhein-Westfalen auf Rekordniveau – Anteil der Kriminalpolizei am Personalbestand der Polizei muss endlich erhöht werden!“ bei der Beantwortung einer Zwischenfrage des Abgeordneten Theo Kruse von der CDU unparlamentarisch geäußert. Die in der Sitzung verwendete Formulierung werde und darf ich hier nicht wiederholen. Ich ermahne aber Herrn Kollegen Ralf Jäger ausdrücklich und bitte ihn, den geäußerten Vorwurf künftig zu unterlassen. Andernfalls muss Herr Kollege Jäger mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Damit sind wir aber noch nicht am Ende der Vorbemerkungen, denn ich muss eine weitere nichtförmliche Rüge aussprechen.

Sie betrifft Herrn Abgeordnetenkollegen Frank Herrmann von der Fraktion der Piraten. Herr Kollege Herrmann hat in der 59. Plenarsitzung am 15. Mai 2014 während seiner Rede im Rahmen der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6 „Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes beachten und anlasslose Vorratsdatenspeicherung verhindern“ das Verhalten von Herrn Minister Jäger mit einem unparlamentarischen Vergleich kritisiert. Die in der Sitzung verwendete Formulierung werde ich hier ebenfalls nicht wiederholen. Ich ermahne Sie aber, Herr Kollege Herrmann, und bitte Sie gleichzeitig, derartige Vergleiche zukünftig zu unterlassen. Andernfalls müssen auch Sie mit einer förmlichen Rüge rechnen.

Nach der Änderung der Tagesordnung und der Aussprache der beiden nichtförmlichen Rügen rufe ich jetzt auf den Tagesordnungspunkt

1   Neuwahl und Vereidigung eines stellvertretenden Wahlmitglieds des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
von 199 Mitgliedern
des Landtags Nordrhein-Westfalen
Drucksache 16/5980

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Hannelore Kraft, hat mir mitgeteilt, dass das ordentliche Wahlmitglied des Verfassungsgerichtshofs, Prof. Dr. Wolfgang Löwer, mit Ablauf des Monats Juni 2014 aus dem Amt eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs ausscheidet und für ihn kraft Gesetz sein bisheriger Stellvertreter, Dr. Andreas Heusch, in das Amt eines ordentlichen Wahlmitglieds nachrückt.

Herrn Dr. Heusch begrüße ich ebenso herzlich wie die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Frau Dr. Brandts. Neben mir haben außerdem Frau Paulsen sowie Herr Dr. Nedden-Boeger Platz genommen, um der Wahl und der Vereidigung beizuwohnen. Seien Sie uns ganz herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das ausscheidende Mitglied, Herr Prof. Dr. Löwer, hat sich entschuldigt, dass er heute leider nicht anwesend sein kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die mit Ablauf des Juni 2014 vakante Stelle eines stellvertretenden Wahlmitglieds ist eine Nachwahl durch den Landtag durchzuführen. Mit Drucksache 16/5980 liegt Ihnen ein Wahlvorschlag, den 199 Mitglieder des Landtags Nordrhein-Westfalen unterzeichnet haben, vor.

Auch stellvertretende Wahlmitglieder werden ohne Aussprache in geheimer Wahl gewählt. Da mehr als zwei Drittel der Mitglieder des Landtags den Wahlvorschlag unterschrieben haben, ist es nach § 4 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen möglich, nur einen Wahlgang durchzuführen.

Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen müssen die Wahlmitglieder das 35. Lebensjahr vollendet haben, zum Landtag wählbar sein und sich schriftlich bereit erklärt haben, Mitglied des Verfassungsgerichtshofs zu werden. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich des im Wahlvorschlag genannten stellvertretenden Wahlmitglieds vor. Herr Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, den ich ebenfalls herzlich begrüße, hat seine Bereitschaft schriftlich mitgeteilt.

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Position an den Tischen zur Ausgabe der Wahlunterlagen und an den Wahlkabinen sowie an den Wahlurnen einzunehmen, damit wir mit der geheimen Wahl beginnen können.

Herr Kollege Dr. Paul, der Vorsitzende der Piratenfraktion, hat um das Wort gebeten, weil er, bevor wir in den Wahlgang einsteigen, eine Erklärung nach § 47 unserer Geschäftsordnung abgeben möchte. – Herr Kollege Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ein weiteres Mal muss die Piratenfraktion ein Wahlverfahren kritisieren: jetzt das parlamentarische Prozedere zur Neuwahl eines stellvertretenden Wahlmitglieds des Verfassungsgerichtshofs.

Der Kandidat hat sich nicht persönlich der Fraktion vorgestellt, aber wir können ohne Ansehen der Person natürlich keine rationale Wahlentscheidung fällen. Wir weisen allerdings ausdrücklich darauf hin, dass sich unsere Entscheidung nicht gegen die Person des Kandidaten richtet, sondern ausschließlich das Vorschlagsprozedere kritisiert. Wir bitten daher, das Wahlergebnis weder persönlich noch anderweitig als Affront zu verstehen, und laden den Kandidaten herzlich ein, sich in Kürze unserer Fraktion vorzustellen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Herzlichen Dank für die Erklärung. - Während die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze einnehmen, möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, erneut Hinweise zum Wahlverfahren zu geben.

Die Ausgabe der Wahlunterlagen erfolgt an den dafür vorgesehenen Tischen. Nach Aufruf Ihres Namens erhalten Sie dort einen Stimmzettel, auf dem Sie mit Ja, Nein, oder Enthaltung stimmen können. Für die Stimmabgabe benutzen Sie bitte die hinten links und rechts aufgestellten Wahlkabinen, die so platziert worden sind, dass die Durchführung einer geheimen Wahl sichergestellt ist. Den Wahlzettel werfen Sie bitte danach in die im Aufgang stehenden weißen Wahlurnen. Diese Anordnung ist gewählt, um den Wahlvorgang korrekt und zugleich zügig abzuwickeln.

Beim Ausfüllen der Stimmzettel bitte ich Sie, nur die in den Wahlkabinen ausliegenden Dokumentstifte zu benutzen. Eine anderweitige Kennzeichnung mit Tinte, Kugelschreiber oder Farbstift gewährleistet die Geheimhaltung der Wahl nicht, da in einem solchen Fall die Stimmabgabe dem Wahlberechtigten zugeordnet werden könnte. Derartig gekennzeichnete Stimmzettel müssen deshalb als ungültig gewertet werden. Ebenso als ungültig gewertet werden Stimmzettel, die nicht im Briefumschlag in die Wahlurne geworden worden sind, sowie leere, doppelt oder anderweitig gekennzeichnete Stimmzettel.

Gibt es zum Wahlverfahren noch Fragen oder Anmerkungen? – Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Wahlhandlung und bitte Frau Güler, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf erfolgt.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Namensaufruf ist abgeschlossen. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Stimmen abzugeben.

(Die Schriftführerinnen und Schriftführer geben ihre Stimme ab.)

Nachdem nun auch die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimmzettel abgegeben haben, frage ich noch einmal, ob alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben haben oder jemand nachgekommen ist, der noch wählen möchte. – Das ist offenbar nicht der Fall.

Dann schließe ich die Wahlhandlung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen, die aus organisatorischen Gründen im Empfangsraum der Präsidentin des Landtags stattfindet.

Bevor ich die Sitzung für kurze Zeit bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unterbreche, möchte ich – da ich selbst für Irritationen gesorgt habe, indem ich Ihnen natürlich sehr sorgfältig den vorbereiteten Sprechzettel vorgetragen habe und von Umschlägen die Sprache war, in die die Wahlzettel gesteckt werden – klarstellen, dass wir heute Morgen andere Wahlurnen geliefert bekommen haben. Sie erinnern sich vielleicht, dass wir sonst gläserne Wahlurnen haben und dann Stimmzettel­umschläge benötigen. Das ist bei geschlossenen Wahlurnen nicht der Fall.

Damit es überhaupt keine Irritationen und keine Anfechtungsgründe gibt, erkläre ich ausdrücklich, dass diese Passage nicht aus dem Sprechzettel herausgenommen wurde, mir auch beim Vorlesen nicht aufgefallen ist, dass ich etwas Widersprüchliches vortrage, und natürlich alle abgegebenen Stimmzettel ohne Briefumschlag ihre Gültigkeit haben. Ich glaube, damit ist das dann weitestgehend repariert; ich gucke in die Richtung derjenigen, die darüber im Zweifelsfalle entscheiden müssten.

Ich unterbreche die Sitzung für kurze Zeit bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Da die Auszählung nicht lange dauern wird, bitte ich Sie, während der Unterbrechung im Plenarsaal zu bleiben bzw. sich nicht ganz so weit weg vom Plenarsaal aufzuhalten, damit Sie gleich bei der Bekanntgabe des Ergebnisses wieder anwesend sein können.

(Es erfolgt die Auszählung der Stimmen. – Unterbrechung von 10:31 Uhr bis 10:35 Uhr)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Auszählung ist – wie erwartet – sehr zügig vonstatten gegangen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die sich jetzt vielleicht noch in der Wandelhalle aufhalten, den Plenarsaal wieder zu betreten, damit ich die unterbrochene Sitzung wiedereröffnen kann. Das tue ich hiermit und gebe Ihnen gerne das Ergebnis der Wahl des stellvertretenden Wahlmitglieds des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-West-falen bekannt:

Dem Landtag gehören – wie wir alle wissen – 237 Abgeordnete an. Vorhin habe ich bereits mitgeteilt, dass sich drei Abgeordnete für die heutige Sitzung offiziell entschuldigt haben. An der Wahl haben sich 221 Abgeordnete beteiligt. Es hat 220 gültige Stimmen und eine ungültige Stimme geben. Von den gültigen Stimmen entfielen auf Ja 199 Stimmen, auf Nein 5 Stimmen, und es gab 16 Enthaltungen.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist der gemeinsame Wahlvorschlag Drucksache 16/5980 angenommen und das vorgeschlagene stellvertretende Wahlmitglied gewählt. Ich gratuliere Herrn Prof. Dr. Gärditz recht herzlich zu seiner Wahl.

(Erneut allgemeiner Beifall)

Nach § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen leisten sämtliche Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs und ihre Vertreter vor dem Landtag den in dieser Vorschrift formulierten Eid, bevor sie ihr Amt antreten. Wir kommen deshalb nun unmittelbar zur Vereidigung des gewählten stellvertretenden Wahlmitglieds Prof. Dr. Klaus Gärditz.

Ich bitte Herrn Prof. Gärditz zu mir und die Anwesenden – soweit es Ihnen möglich ist –, sich von ihren Plätzen von erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Bitte, heben Sie die Schwurhand, und sprechen Sie mir die folgende Eidesformel nach:

„Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können verwalten, Verfassung und Gesetze befolgen und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde.“

Prof. Dr. Klaus Gärditz: Ich schwöre, dass ich das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können verwalten, Verfassung und Gesetze befolgen und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, damit sind Sie vereidigt und in Ihr Amt eingeführt. Das Hohe Haus gratuliert Ihnen.

(Allgemeiner Beifall)

Bei einer solchen Vereidigung ist es immer relativ schwierig zu sagen, dass wir uns eine gemeinsame gute Zusammenarbeit wünschen. Denn eigentlich wünschen wir, dass wir Sie nicht so häufig benötigen und anrufen müssen. Trotzdem alles Gute und viel Glück in Ihrem neuen Amt.

(Allgemeiner Beifall – Prof. Dr. Gärditz: Vielen Dank, ich danke für das Vertrauen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kann ich jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen:

2   Aktionsplan der Landesregierung: „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6035

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 21. Mai 2014 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zum Thema dieses Tagesordnungspunktes eine Unterrichtung vorzunehmen. Diese Unterrichtung erfolgt durch Herrn Minister Schneider, dem ich hiermit das Wort erteile.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit März 2009 ist die UN-Behinderten-rechtskonvention geltendes Recht in Deutschland. Das Ziel ist die Gewährleistung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen und Lebensphasen, und dafür müssen wir die Bedingungen schaffen. Dies ist nur in einer inklusiven Gesellschaft möglich. Die inklusive Gesellschaft ist eine Gesellschaft für alle Menschen, ob alt oder jung, ob mit Migrationshintergrund oder ohne, auch für Menschen mit und ohne Behinderung.

Die Zahl der Menschen mit Behinderungen ist nicht klein. In NRW gibt es inzwischen rund 2,6 Millionen Menschen mit Behinderungen, davon etwa 1,7 Millionen mit schweren Behinderungen.

Die Landesregierung hat deshalb unter Federführung des Sozialministeriums im Juli 2012 den Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ im Kabinett verabschiedet. Der Aktionsplan soll uns dabei helfen, schrittweise unser gemeinsames Ziel einer inklusiven Gesellschaft zu erreichen. Diese tiefgreifenden Veränderungen wirken sich auf alle Lebensbereiche aus. Deshalb ist es nur verständlich, dass alle Ressorts der Landesregierung an der Umsetzung des Aktionsplans mitarbeiten. Dabei ist uns klar, dass eine solche Veränderung nicht von heute auf morgen geschehen kann. Die Planung ist daher bis zum Jahr 2020 angelegt. Nach den ersten Erfahrungen bei der Umsetzung unseres Aktionsplans muss ich allerdings darauf hinweisen, dass es auch etwas länger dauern kann.

Mit dem aktuellen Sachstandsbericht, der Ihnen bereits zugegangen ist, will ich Sie über den Umsetzungsstand unserer über 200 Maßnahmen im Aktionsplan des Landes informieren. Da wir in den letzten Wochen aus guten Gründen viel über den wichtigen Bereich der inklusiven Bildung in der Schule diskutiert haben, werde ich diesen Bereich heute bewusst aussparen. Unsere Bilanz nach anderthalb Jahren ist positiv. Dies kann bereits gesagt werden. Einige Maßnahmen sind bereits abgeschlossen. An über 170 Maßnahmen wird derzeit gearbeitet. Mit circa 20 Maßnahmen wurde noch nicht begonnen; sie sind in der Planung. Dabei sind nicht alle Maßnahmen und Projekte eins zu eins wie im Aktionsplan beschrieben.

Wer die Menschen, um die es geht, wirklich beteiligen will, muss auch auf ihre Änderungswünsche eingehen. Wir nehmen den Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ sehr ernst. Deshalb haben wir bereits im Dezember 2012 den Landesinklusionsbeirat gegründet. Dieser und die sechs Fachbeiräte begleiten die Umsetzung des Aktionsplans und entwickeln ihn an einigen Stellen nach Bedarf weiter. Die Fachbeiräte gliedern sich in folgende Themenfelder: Barrierefreiheit, Zugänglichkeit und Wohnen, Arbeit und Qualifizierung, Partizipation, inklusive schulische Bildung, Gesundheit sowie Kinder und Jugendliche mit Behinderung.

Mit einer breiten Beteiligung der Betroffenen dauert die Umsetzung manchmal länger, aber dafür ist das Ergebnis dann im Allgemeinen besser.

Ein gutes Beispiel für ein Gesetz, welches so nicht im Aktionsplan enthalten ist, aber den Geist der UN-Konvention widerspiegelt, ist das Erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der sozialen Inklusion, das wir in wenigen Wochen einbringen werden. In einem Artikelgesetz wollen wir allgemeine und grundsätzliche Anforderungen der UN-Behindertenrechts-konvention in Landesrecht übertragen.

Das betrifft zum Beispiel auch die Verpflichtung aller Träger öffentlicher Belange auf die Grundsätze der Behindertenrechtskonvention und den Abbau von Sonderregelungen und Einrichtungen. Wir verankern damit gesetzlich, dass Menschen mit Behinderungen beteiligt werden müssen.

Die auch im Aktionsplan angekündigte Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes werden wir ebenfalls im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der sozialen Inklusion vollziehen. Die Begriffe Benachteiligung und Diskriminierung müssen wir dringend an die Anforderungen der UN-Behinderten-rechtskonvention anpassen.

Aber auch der Begriff der Barrierefreiheit wird so umgestaltet, dass er besser auf die verschiedenen Arten von Barrieren abstellt. So soll das Behindertengleichstellungsgesetz etwas stärker als bisher auf die Kommunikationsbedarfe von Menschen abzielen, die Lernschwierigkeiten haben. Barrieren sollen auch dadurch abgebaut werden, dass wir die Regelungen zu Kommunikationshilfen und zu barrierefreien Dokumenten für Menschen mit Behinderungen weiter verbessern.

Barrierefreiheit beginnt bekanntlich im Kopf. Es ist sehr wichtig, dass wir diese Barrieren in vielen Köpfen einreißen. Aber auch andere, bauliche Barrieren sollten natürlich zukünftig nicht außer Acht gelassen werden. Ganz wichtig sind hier auch Änderungen des Ausführungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch XII. Damit wollen wir eine dauerhafte Lösung für die Förderung des Prinzips „ambulant vor stationär“ herbeiführen. Daher entfristen wir die Regelung der Zuständigkeit für beide Wohnformen bei den Landschaftsverbänden und bauen Schnittstellenprobleme, die bislang bestehen, im Zuge dieser Neuregelung ab.

Wir haben mit der Zuständigkeit für beide Wohnformen in einer Hand gute Erfolge erzielen können. Die Zahlen beim stationären Wohnen stagnieren bei ca. 43.300 Plätzen seit 2004. Beim ambulanten Wohnen dagegen ist es uns gelungen, den Umbau der Wohnangebote von stationär zu ambulant erfolgreich zu vollziehen, von ca. 9.000 im Jahre 2004 auf etwa 51.800 im Jahre 2013.

Natürlich werden wir auch zukünftig stationäres Wohnen für Menschen mit Behinderungen benötigen. Aber die Tendenz hin zu ambulanten Wohnformen ist außerordentlich erfreulich. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den freien Trägern bedanken, die diese Politik an entscheidender Stelle mitgetragen haben.

Meine Damen und Herren, eine ganz wesentliche Stellschraube für das Gelingen von Inklusion ist die Reform der Eingliederungshilfe. Daher setzt sich das Land für die Schaffung eines Bundes-Teil-habegesetzes ein, das einerseits die Kommunen finanziell entlastet und andererseits die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen stärkt. Beides ist notwendig und erforderlich.

Das Bundesteilhabegesetz muss den Ansprüchen der Behindertenrechtskonvention genügen. Die Beteiligungsrechte der Menschen mit Behinderungen müssen gestärkt werden. Vor allem müssen die Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen, soweit es irgend möglich ist, endlich aus dem System der Sozialhilfe herausgelöst werden. Für die Landesregierung ist dies ein ganz großer Schritt zur Stärkung der Teilhabe und damit ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion.

Aber es ist auch ohne diese wichtige Reform bereits jetzt möglich, die Beteiligungsrechte zu stärken. Im Auftrag des Sozialministeriums, des Innenministeriums und des Landesbehindertenbeauftragen werden gegenwärtig von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe die realen Formen der politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen in den Kommunen überprüft. Ziel ist es, nicht nur die vielen vorhandenen Partizipationswege zu erheben, sondern daraus Handlungsempfehlungen zur Verbesserung eben der politischen Partizipation zu entwickeln.

Wir haben darüber hinaus mit unserer im März veröffentlichten Handreichung „Inklusive Gemeinwesen Planen.“ Kommunen Wege aufgezeigt, wie Inklusion vor Ort umgesetzt werden kann, natürlich immer unter Beteiligung der Betroffenen.

Meine Damen und Herren, ein weiterer für mich sehr bedeutsamer Bereich ist die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Arbeit ist mehr als reiner Broterwerb. Die Beteiligung an Arbeit, vor allem auch an Erwerbsarbeit, ist der Schlüssel zur Teilhabe an Gesellschaft schlechthin.

Unsere Bilanz in diesem Feld kann sich sehen lassen. Das neue Übergangssystem „Kein Abschluss ohne Anschluss“ wirkt inklusiv. Es ist eben für alle Schülerinnen und Schüler gedacht.

Daher überprüfen wir und überführen wir das Programm „STAR: Schule trifft Arbeitswelt“ auch in das neue Übergangssystem.

Wir machen noch mehr. Über die Aktion „100 zusätzliche Ausbildungsplätze“ haben seit 2007 schon 890 junge Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung begonnen.

Besonders das Programm „Integration unternehmen!“ ist mir wichtig, da sich diese Integrationsunternehmen am Markt behaupten müssen und auch behaupten. Sie müssen profitabel wirtschaften und dies ist auch gut so. In unseren inzwischen 250 Integrationsunternehmen arbeiten zwischenzeitlich 5.600 Beschäftigte, davon fast 3.000 mit Behinderungen.

Einen Übergang von der Werkstatt in reguläre Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt gestalten wir seit Anfang 2013 mit dem Programm „1.000 Außenarbeitsplätze“. Seit Beginn, also 2013, haben wir schon 430 Außenarbeitsplätze geschaffen. Diese Menschen bleiben formal bei den Werkstätten, aber arbeiten eben in Außenarbeitsplätzen und werden über diesen Weg auch mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekannt.

Sie sehen also: Es ist auch hier Bewegung. – Trotzdem müssen wir weiter gemeinsam daran arbeiten, dass Ängste vor der Beschäftigung von behinderten Menschen abgebaut werden.

Deshalb an dieser Stelle mein Appell an alle Beteiligten, vor allem an die Arbeitgeber: Stellen Sie Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zurück! Stellen Sie diese Menschen ein! Angesichts einer drohenden Fachkräftelücke können wir auch nicht auf dieses Reservoir verzichten.

Gerade gestern hat Ernst & Young eine Untersuchung publiziert, wonach dem deutschen Mittelstand 31 Milliarden € Umsatz pro Jahr verloren gehen, weil es nicht genügend Fachpersonal in bestimmten Bereichen gibt. Diese Zahlen sprechen für sich.

Meine Damen und Herren, eine möglichst selbstständige Lebensführung soll auch über den Aktionsplan zur Vermeidung unnötiger Betreuungen, der federführend im Justizministerium erarbeitet wird, gefördert werden. Auch dieser Aktionsplan wird ressortübergreifend erarbeitet. Ziel dieser gemeinsamen Kraftanstrengung ist es, dass Menschen möglichst lange ohne gesetzliche Betreuung selbstständig ihr Leben in die Hand nehmen können.

Dies ist auch eine sozialpolitische Herausforderung. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hinter mancher Betreuung auch das Interesse des Gelderwerbs steht. Ich will mich hier besonders zurückhaltend ausdrücken. Viele Menschen meinen, hier sei ein Markt vorhanden, den man schnell bedienen muss, um den schnellen Euro zu machen.

Daher ist es uns möglich, die Beratungs- und Anlaufstellen für Menschen mit Behinderungen, die wir durch zum Beispiel unsere Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben in Dortmund und Köln geschaffen haben, auch auszuweiten. Wir werden mit dem Beginn des Jahres 2015 dieses umfassende Angebot in allen Regierungsbezirken etablieren. Wir können dies, weil wir in der nächsten Förderperiode auch Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds einsetzen, um hier zu einer Stärkung im Interesse der Menschen mit Behinderungen zu kommen.

Ein Beratungszentrum, ein Kompetenzzentrum wird sich besonders für die Belange der Hörgeschädigten und Taubblinden einsetzen und hier beratend tätig werden.

Meine Damen und Herren, neben der eigentlichen Beratung werden wir über die Kompetenzzentren in allen Regierungsbezirken auch Lotsenstellen für behinderte Menschen einrichten und die Lotsen ausbilden. Diese Lotsen sollen insbesondere lebendige Wegweiser durch manche Behördenstruktur sein.

Dabei haben wir ein gemeindenahes Unterstützungsangebot geschaffen, das den Menschen, die behindert sind, auch sehr praktisch hilft und deshalb auch dem Ziel der Inklusion nahekommt.

Meine Damen und Herren, alle Ressorts haben an der Umsetzung unseres Aktionsplans mitgewirkt. Ich will hier nur einige nennen. Das MGEPA hat durch die Vorlage des Gesetzentwurfes „GEPA NRW“, der sich insbesondere mit der Quartiersorientierung beschäftigt und dort pflegebedürftige Menschen ebenso anspricht wie Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen, einen wichtigen Beitrag geleistet.

Die Verabschiedung einer umfassenden Entschließung der Landesgesundheitskonferenz mit dem Titel „Von der Integration zur Inklusion: Gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen verbessern“ ist eine Selbstverpflichtung aller Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen und wird nun Schritt für Schritt umgesetzt.

Wir werden auch im Hochschulzukunftsgesetz besonders auf Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen eingehen.

Schließlich haben wir mit dem Bauministerium gemeinsam sehr viel daran gearbeitet, dass zukünftig – Zielmarke ist hier das Jahr 2022 – Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr vorhanden sein wird. Das ist auch ein ehrgeiziges Ziel.

Meine Damen und Herren, Inklusion ist nicht nur eine behindertenpolitische Aufgabenstellung, Inklusion ist vielmehr ein gesellschaftspolitisches Konzept.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit der Umsetzung von Inklusion kommen wir einer Gesellschaft der Freien und Gleichen näher. Dies ist auch unser Ziel. Ich warne davor zu meinen, hier gebe es einen Endpunkt. Inklusion ist eine immerwährende gesellschaftliche Aufgabe. Inklusion muss tagtäglich gelebt werden. Deshalb ist der Plan, über den ich gesprochen habe, das eine, die Umsetzung das andere. Die Verankerung des Inklusionsgedankens in den Köpfen der Menschen ist aus meiner Sicht das Entscheidende.

Ich kann mit einigem Stolz sagen: Auch beim Thema „Inklusion“ ist die Landesregierung im Konzert der Bundesländer mit führend. Alle Fachleute stellen fest, dass wir das erste Bundesland mit einem solchen umfassenden Inklusionsplan sind. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.

Ich danke allen, die mitgewirkt haben, dass wir den heutigen Umsetzungsstand erreicht haben. Ich bedanke mich im Übrigen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich weiß, in diesem Hause ist niemand, der das Thema „Inklusion“ in eine Ecke drängen will, dieses Thema nicht ernst nimmt. Das Gegenteil ist der Fall. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – So weit die Unterrichtung durch die Landesregierung. Der guten Ordnung halber darf ich vermerken, dass Herr Minister Schneider die vereinbarte Redezeit um 1:46 Minuten überzogen hat. Diese Zeit kommt, falls gewünscht, natürlich auch den Fraktionen zugute.

Bevor wir in die Aussprache eintreten, darf ich darauf hinweisen, dass die CDU-Fraktion einen Entschließungsantrag zu dieser Unterrichtung vorgelegt hat. Sobald dieser Antrag ausgefertigt ist, wird er Ihnen, meine Damen und Herren, selbstverständlich zur Lektüre gereicht.

Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Doppmeier das Wort. Bitte schön.

Ursula Doppmeier (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inklusion ist noch heute für viele Menschen ein richtig sperriges Wort. Was ist eigentlich mit „Inklusion“ gemeint, werde ich oft gefragt. Inklusion aus dem Lateinischen inclusio, Einschließung, beinhaltet die Überwindung der sozialen Ungleichheit, der Aussonderung, in dem alle Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit, mit ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten und auch mit ihren ganz individuellen Dispositionen wahrgenommen, wertgeschätzt und anerkannt werden

Ich denke, Sie merken bereits an dieser Definition, dass eine Antwort auf eine immer wichtiger werdende Frage für unsere Gesellschaft viele Facetten umfasst und nicht so einfach zu geben ist. Inklusion ist nämlich nicht nur in eine Definition zu fassen, es bedarf mehr als einer Definition, es bedarf eines neuen Denkens in den Köpfen der Menschen in unserer Gesellschaft.

(Beifall von der CDU)

Einen wichtigen Schritt hierhin stellt die UN-Behindertenrechtskonvention dar, wie Minister Schneider auch schon sagte. Sie fordert nämlich, mit Behinderung nicht mehr Eigenschaften eines Menschen zu beschreiben. Nein, es sollen vielmehr die einschränkenden und ausgrenzenden Erfahrungen mit diesem Wort beschrieben werden, die ein Mensch nur erlebt, weil seine Umwelt so aufgebaut ist, dass er in seinen Teilhabemöglichkeiten behindert ist.

Deshalb geht es einmal um Barrierefreiheit im weitesten Sinn, aber es geht natürlich auch darum, diese zwei nebeneinander bestehenden Lebenswelten zu einer gemeinsamen Lebenswelt zusammenzuführen. Es gibt bisher noch sehr viele kleine Welten, die geschaffen worden sind, um diesen besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung gerecht zu werden. Wir haben Sonderkindergärten, wir haben Förderschulen, Werkstätten, Wohnheime, Behindertensportvereine, Freizeitangebote für Behinderte. Ich denke, diese Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.

Das Ergebnis aber kennen wir alle. Wir wissen nichts mehr voneinander. Menschen mit und ohne Behinderungen leben häufig so isoliert, dass sie keinen Umgang mehr miteinander haben. In ihren getrennten Lebenswelten treffen sie einfach nicht aufeinander.

Behinderungen wurden leider lange Zeit als Problem des Einzelnen betrachtet. Erst die UN-Behindertenrechtskonvention etablierte hier einen veränderten Blick auf die Behinderung. Nicht die Menschen mit Beeinträchtigungen sind behindert, sondern sie werden durch die Barrieren in der Umwelt behindert.

Lassen Sie mich das kurz beispielhaft darstellen. Ein blinder Mensch braucht eine Blindenampel; dann kann er über die Straße gehen. Oder er braucht einen Wahlzettel in Blindenschrift; dann kann er natürlich auch allein wählen. Wenn eine Rampe fehlt, behindert dieses den Menschen, der im Rollstuhl ist. Der Staat und wir, die Gesellschaft, müssen jetzt diese Hindernisse und Barrieren abbauen, damit Menschen mit Einschränkungen trotzdem überall teilnehmen können.

Das heißt, wir brauchen sowohl einen weitreichenden Bewusstseinswandel als auch eine gesellschaftliche Diskussion hierüber. Es gilt, in Zukunft in unserer Gesellschaft die vorhandenen Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und auch zu nutzen.

Nun der Aktionsplan der Landesregierung. Er muss sich doch jetzt daran messen lassen, ob er diese Vorgaben konsequent verfolgt. 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten, seit 2010 regiert Rot-Grün, jetzt haben wir Mitte 2014. Was hat sich in dieser Zeit konkret für die betroffenen Menschen zum Positiven verändert? Was hat der Aktionsplan den betroffenen Menschen bisher gebracht? Wie geht es zum Beispiel den gehörlosen Eltern hörender Kinder, die einen Gebärdendolmetscher für das Elterngespräch in der Schule ihrer hörenden Kinder brauchen? Gibt es da bisher eine Verbesserung?

Wie geht es den Kindern mit Behinderung, die gerne mit ihren Freunden ohne Behinderung gemeinsam im Verein Fußball oder Basketball spielen möchten?

Leider fallen die Antworten auf diese Fragen recht enttäuschend aus. Da hilft auch nicht Ihr Zwischenbericht. Er ist leider genauso wie der Aktionsplan vielfach schöne Prosa.

(Beifall von der CDU)

Ich verstehe einen Aktionsplan als Ablaufplan konkreter Schritte, die zeitlich definiert sein sollten, die fiskalisch unterlegt werden müssen und dessen Ziele – bis wann, wo und wie – überprüfbar festgeschrieben werden.

(Beifall von der CDU)

Dies lässt der Aktionsplan allerdings außer Acht. Darum ist das für mich kein Aktionsplan. Aktion kommt von „action“, also Tatkraft. Die Tatkraft fehlt aber in dem Plan. Ihr Aktionsplan enthält überwiegend Absichtsbekundungen und Wünsche, aber nur wenige konkrete Schritte.

Beim Lesen ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass das Wort „mittelfristig“ offensichtlich das Lieblingswort der Landesregierung im Aktionsplan ist.

(Beifall von der CDU)

Ganze 19 Mal wird dieses Wort im Zusammenhang mit möglichen Umsetzungen im Plan erwähnt. Unkonkreter geht es doch wohl nicht.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Das Schlimmste: Vorbereitende Analysen und Gespräche, die eigentlich längst vollzogen sein müssten, kann ich nicht als konkrete Maßnahmen anerkennen. Vor allen Dingen: Die Tatsache, dass die meisten Zeitangaben überschritten sind, ist auch nicht akzeptabel.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Die Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die dringendst auf Reformen warten, werden doch immer drängender – bei Ihnen sicherlich auch. Die steigende Zahl von Briefen und Petitionen von Menschen mit Behinderung, die uns erreichen, wird zum deutlichen Zeichen der bisherigen Untätigkeit. Das heißt: Ihr Aktionsplan ist reine Schaufensterpolitik.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich noch einige Beispiele nennen.

Die Landesbauordnung ist mit ihrer Unterstützung für barrierefreies Wohnen die Grundlage für fast alle inklusiven Maßnahmen. Hier hat die Landesregierung bisher komplett versagt. Auf Seite 65 Ihres Aktionsplans steht, dass Sie dem Landtag umfassende Änderungen vorschlagen werden. Ich bin enttäuscht darüber, dass nun im Zwischenbericht, den wir am Freitag erhalten haben, zu lesen ist, dass Sie voraussichtlich noch im Jahr 2014 mit den Verbänden über dieses Thema sprechen werden. Darüber, wann wir dann einen Gesetzentwurf erwarten dürfen, sagen Sie überhaupt nichts.

Das Heilberufsgesetz ist für Menschen mit Behinderung ebenfalls ein wichtiges Thema. Auf Seite 67 des Aktionsplans versprechen Sie umfassende Änderungen. Bei der Angabe des Zeitplans heißt es: „Beginn voraussichtlich 2013“. Jetzt lese ich im Zwischenbericht, die geplanten Maßnahmen sollten voraussichtlich im Rahmen der nächsten umfassenden Novellierung des Gesetzes umgesetzt werden; mit deren Beginn sei nicht vor 2017 zu rechnen. Mein Gott! Was ist das für eine Aktion, solche Zeiträume vergehen zu lassen?

(Beifall von der CDU)

Ich könnte hier noch eine Weile fortführen.

Viele Dinge Ihres Plans wurden außerdem bereits zu Zeiten unserer Landesregierung zwischen 2005 und 2010 gestartet, zum Beispiel das Förderprogramm „Übergang plus“ und das Arbeitsmarktprogramm „aktion5“. Selbst die investive Förderung von Werkstattarbeitsplätzen erscheint jetzt im Aktionsplan als Maßnahme zur Umsetzung der Inklusion. Das ist wirklich nichts Neues und nichts Innovatives.

Wir, die CDU-Landtagsfraktion, haben bereits 2011 ein Positionspapier herausgegeben, in dem wir notwendige Veränderungen und ganz konkrete Schritte benannt haben.

Ein zentrales Kriterium zur Beurteilung Ihres Aktionsplans ist zudem auch die Frage, wie die Landesregierung die Betroffenen selbst am Inklusionsplan beteiligt. Bei der Erstellung eines solchen Plans muss doch gerade die Expertise der Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen. Ihre Erfahrungen müssen für uns die Leitlinien für notwendige Veränderungen sein.

Die Landesregierung dagegen meint – und das enttäuscht mich –, den Betroffenen etwas beibringen zu müssen. Schon bei der Erstellung des Aktionsplans kam die Landesregierung nur ihrer Verpflichtung zur Konsultation nach, indem sie sogenannte Dialogkonferenzen einberief – allerdings nicht, um die Expertise der Teilnehmer zu nutzen, sondern um durch Experten, beispielsweise Vertreter des LVR, die fachliche Kompetenz der Teilnehmenden zu stärken.

Das Gleiche gilt für den Inklusionsbeirat NRW und seine Untergremien. Leider bilden Menschen mit Behinderung bei der Zusammensetzung neben all den Vertretern von kommunalen Spitzenverbänden, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Kirchen nur eine Minderheit der Mitglieder, obwohl es in der Umsetzung des Plans doch um die Verwirklichung ihrer Rechte geht. Das heißt: Diese Dialogveranstaltungen dienen leider lediglich als Feigenblatt.

Lassen Sie mich aber noch einmal einen Blick auf einzelne Bereiche werfen. Ich möchte hier den Bereich Familie, Kinder und Jugend herausnehmen; denn hier haben wir die drängenden Probleme der Familien. Bei Freizeitangeboten für Kinder lässt der Aktionsplan meines Erachtens eine ungeheure Realitätsferne erkennen. Alle Angebote der Kinder- und Jugendarbeit werden im Aktionsplan als „bereits jetzt grundsätzlich offen“ beschrieben, und es heißt, „das Verständnis von Inklusion“ sei „bei den Trägern weit verankert“.

Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? -Eltern, die versuchen, ihre behinderten Kinder zu Freizeitangeboten bei Vereinen oder zu Ferienreisen anzumelden, berichten mir von großen Schwierigkeiten. Es fehlen offene Menschen mit der Bereitschaft, das Kind teilnehmen zu lassen. Notwendige Unterstützung müssen diese Eltern selbst organisieren. Akzeptiert werden meist nur Kinder, die Anpassungsleistungen vollbringen können. Da es außerdem die Regelungen zur Eingliederungshilfe notwendig machen, bei Freizeitaktivitäten das eigene Einkommen für die Begleitung einzusetzen, können sich nur wenige Eltern solche inklusiven Freizeitangebote für ihre Kinder leisten. Bei den Ferienfreizeiten kommen dann noch Reise- und Unterbringungskosten für die Betreuungspersonen hinzu. Häuser sind oft nicht barrierefrei. Das Programm lässt häufig keinen Platz für die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung.

Die Beschreibung der Situation von Familien im Aktionsplan entspricht meiner Ansicht nach eher der Außensicht als dem, was Familien mit behinderten Kindern selbst belastend erleben.

Sprechen Sie einmal mit den Familien. Nicht das Leben mit dem Kind wird als belastend empfunden, sondern die Barrieren, die sich für Familien auftun, wenn sie eigentlich Selbstverständliches für ihr behindertes Kind fordern. Diese Barrieren müssen wir abbauen.

(Beifall von der CDU)

Hier geht es zum Beispiel um Beratungsstellen. Sie sagten es eben. Es geht um den Kampf mit den Institutionen und die Wege durch den Dschungel der Beratungsstellen. Elternverbände fordern doch seit Jahren eine Beratungsstelle, die für alle Belange ihres behinderten Kindes zuständig ist. Warum verweigern Sie das? Warum schicken Sie nur schöne Hochglanzbroschüren an die Kommunen, statt diese Zeit in Gesetzentwürfe zu investieren und hier ein Stück weiter in der Inklusion zu kommen?

Zum Thema „Inklusion und Sport“: Welche Unterstützung erhalten denn die betroffenen Menschen vom Land Nordrhein-Westfalen, um sich in den Sportvereinen zu engagieren und damit am gemeinsamen Leben teilzunehmen?

Ziel des Aktionsplans ist laut Landesregierung die Schaffung gemeinsamer Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderung. Im Bereich Sport erscheint das allerdings nicht so drängend. Ganz erstaunt war ich, als ich las, der Maßnahmenkatalog der Landesregierung beginnt mit einem Preis für den besten Behindertensportverein, nicht für eine inklusive Sportgruppe. Sie scheinen das Wort „Inklusion“ noch nicht richtig verstanden zu haben.

(Beifall von der CDU)

Das wäre genauso als wenn ich den besten Preis für schulische Inklusion der ersten Förderschule geben würde. Wir müssen umdenken lernen. Das ist leider in vielen Dingen noch nicht im Aktionsplan verankert.

Jugendliche wollen keine Reha-Sportangebote. Sie wollen Angebote, durch die sie gemeinsam mit ihren Freunden im Fußball- und Basketballverein spielen können. Darum geht es. In Sportverbänden muss eine Anpassung von Regeln ausgearbeitet werden, um auch Kindern mit sogenannter geistiger Behinderung den Zugang zu öffnen.

In ländlichen Gebieten gibt es oft keinerlei Sportangebote beispielsweise für junge Rollstuhlfahrer oder für Menschen mit geistiger Behinderung. Auch hierzu gibt es noch keine Hilfe durch den Aktionsplan.

Lassen Sie mich abschließend noch kurz zum Thema „Ohne Moos nichts los“ kommen. Es geht um Finanzen. Ein allgemeiner Grundsatz zieht sich durch den Aktionsplan. Sobald es eigenes Geld kosten könnte, will die Landesregierung keine Barrieren wegräumen, sondern sie macht behinderte Menschen zu Hürdenläufern.

Sie fordern Maßnahmen, die Geld kosten, immer nur von anderen, am liebsten vom Bund. Alles, was in den Kommunen umgesetzt werden muss, wird nicht durch gesetzliche Bestimmungen festgelegt. Sonst würde das Konnexitätsprinzip greifen. Das Land selbst will aber nicht zahlen. Das wird noch häufig auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen: Sie haben keine gesetzliche Grundlage, auf die sie sich zurückziehen können, sondern müssen in jeder Kommune Zielvereinbarungen zur Barrierefreiheit abschließen, statt sich auf ihr legales Recht berufen zu können.

Mein Fazit: Der Aktionsplan und Ihr Zwischenbericht enthalten nicht die Maßnahmen, die die Menschen wirklich brauchen und erwarten. Sie haben viele Dinge genannt, die leicht umgesetzt werden können. Sie haben die Fortführung von Maßnahmen dargestellt und offenkundig gesagt, wie toll diese sind. Was aber fehlt, sind Zeitangaben. Die meisten sind unverbindlich oder – wenn sie einmal konkret genannt waren – schon längst überschritten. Sie haben die genannten Ziele noch gar nicht erreicht.

(Beifall von der CDU)

Lassen Sie mich darum zusammenfassen: Es fehlt ein konkreter zeitlicher Umsetzungsplan. Es fehlen belastbare Aussagen zur Kostenerstattung; denn NRW darf kein Sparmodell werden. Es fehlt die Unterstützung der Fachleute vor Ort, um die Menschen mit Behinderung in diesen Prozess einzubeziehen.

Mir stellt sich die Frage, warum heute die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgte. Die Antwort ist ganz einfach. Sie haben gemerkt, die Menschen werden ungeduldig und wollen endlich Taten sehen. Von Ihnen bekommen sie jetzt leider nur schöne Prosa. Mit dieser Veranstaltung wollen Sie den Menschen heute Sand in die Augen streuen und Untätigkeit überspielen. Das geht so aber nicht.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir wünschen uns alle eine Gesellschaft, in der Inklusion eine Selbstverständlichkeit ist und keiner Definition und Erklärung mehr bedarf, weil jeder weiß, was damit gemeint ist und wie Inklusion gelebt wird. Menschen mit Behinderung haben zu Recht die Erwartung, dass fünf Jahre nach der UN-Konvention konkrete Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen erfolgt sein sollten, die den Bedürfnissen der Behinderten Rechnung tragen. Ihr Aktionsplan hilft da leider wenig. Statt Aktion demonstriert er Abwarten und Aussitzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Doppmeier. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Neumann das Wort.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schneider, ich danke Ihnen und der Landesregierung für diese umfassende Unterrichtung zum aktuellen Stand der Umsetzung des Aktionsplans „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“.

Ihr Bericht belegt die vielfältigen Aktivitäten und das Engagement, das es in unserem Lande im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention bereits gibt. Ich danke allen Beteiligten, die sich unaufgefordert einbringen, dieses Thema als Herzensangelegenheit voranbringen und damit belegen, wie sehr Inklusion bereits vor Ort angekommen ist. Es ist eben mehr als die Auseinandersetzung um die Schulrechtsänderung, die dieses Thema teilweise vollständig überlagert hat.

Frau Kollegin Doppmeier, der diesem rot-grünen Aktionsplan zugrunde liegende Antrag wurde im Ausschuss bei Enthaltung der CDU und FDP einstimmig beschlossen und stellt eine Grundlage dar.

Dazu muss ich Ihnen sagen: Es gibt durchaus Punkte in Ihrer Rede, mit denen ich durchaus leben kann. Was ich in den letzten zwei, drei Jahren erwartet hätte, ist, dass von Ihnen daraus parlamentarisch etwas erfolgt wäre. Ich habe in keinem Ausschuss und nirgendwo anders eine Initiative gesehen, bei der Sie sagen: Zu diesem Inklusionsplan „NRW inklusiv“ haben wir eine Idee; wir wollen ihn mit Geld untermauern; wir wollen als Opposition auf die Regierung zugehen, um gemeinsam zu schauen, was geschehen kann.

Mit dem jetzt auf dem Tisch liegenden Entschließungsantrag verlassen Sie einen gemeinsamen Weg, den wir bis jetzt beschritten haben, nämlich in der Frage der Menschen mit Behinderung in diesem Lande gemeinsam vorzugehen, um deren Interessen nach vorne zu bringen.

Ja, auch Menschenrechte haben eine Heimat. Diese Heimat lässt sich ganz präzise benennen. Sie ist nämlich genau da vor Ort, und dieser NRW-Aktionsplan und seine Bausteine sind ein wichtiger Aspekt zur Umsetzung der Menschenrechte in der Heimat, wo die Menschen leben.

Das Thema, mit dem wir uns heute ausführlich befassen, stellt sich indes als sehr schwierig dar. Zunächst gibt es eine Vielzahl von einzelnen Maßnahmen der Querschnittsaufgabe „inklusive Gesellschaft“. Nebenbei gesagt: Diese Querschnittsaufgabe ist bei der Umsetzung dieses Themas relativ neu in der Bundesrepublik Deutschland. Sie können Gleiches in anderen Bundesländern suchen – das gibt es nicht, dass sich alle Ministerien über alle Ebenen mit diesem Thema beschäftigen und versuchen, alle Menschen mit Behinderung gleichberechtigt ins Boot zu holen und ihnen wie den Menschen ohne Behinderung Teilhabe zukommen zu lassen.

Ja, und weil Menschenrechte eine Heimat haben, dort wo die Menschen leben, wohnen, arbeiten, Familien gründen, altern, im Quartier, in den Kommunen und in den konkreten Nachbarschaften vor Ort, dort ist die Heimat dieser Rechte, und dort ist die Heimat der Umsetzung dieser Konvention.

Wenn Sie eben gesagt haben, das gehe Ihnen jetzt alles viel zu langsam und müsse viel schneller gehen, erinnere ich an die Debatte der letzten Monate: Da ging Ihnen alles viel zu schnell; es war Ihnen nicht gut genug unterlegt, und Sie haben gesagt: Bloß nicht aufs Tempo drücken, drückt auf die Bremse! – Heute höre ich, dass das alles so nicht funktionieren kann.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich denke, der Begriff „Heimat“ bedeutet eine neue Form von Sozialplanung und sozialer Orientierung vor Ort da, wo Menschen leben. Der hoch erfolgreiche Bürgerdialog der Landesregierung trägt deshalb den Titel „Heimat im Quartier“. Intelligente Strategien gegen soziale Ausgrenzung und Armut setzen vor Ort an, dort, wo diese Menschen leben. Die Heimat oder die Heimatlosigkeit dieser Menschenrechte entscheidet sich dort, wo Menschen als gleichwertig akzeptiert werden oder eben nicht.

Die Inklusion, von der wir sprechen, ist eine soziale Inklusion. Diese, Kollegin Doppmeier, wird nicht passieren, indem wir den Lichtschalter umdrehen und meinen, morgen werde es funktionieren.

Noch stärker als das soziale Oben und Unten ist das gesellschaftliche Drinnen und Draußen zur Leitdifferenz geworden. Umfassende barrierefreie Quartiere – ich erinnere hier an den Masterplan „Altengerechte Quartiere“ der Landesregierung – sind zugleich auch altengerecht, demografiefest, familienfreundlich, somit kurzum menschenfreundlich.

Inklusives Denken verträgt keine Einbahnstraßenlogik. Nicht Menschen sind behindert, Umstände behindern Menschen. Derjenige, der anders ist, womöglich gegenüber einer angenommenen Norm physische, geistige, sensuelle Beeinträchtigungen hat, wird gesellschaftlich zum Menschen mit Behinderung gemacht, und zwar im Zusammenspiel mit Barrieren unterschiedlichster Art.

Das Quartier, in dem die Menschen leben, macht dieses wiederum überaus sinnfällig. Denken wir an Behinderungen hinsichtlich Mobilität, Arbeit, Wohnen, Kommunikation, Bildung, politischer Beteiligung vor Ort. Dazu hat Minister Schneider ja einiges ausgeführt. Im unmittelbaren Sozialraum werden so im negativen Fall Menschen mit Behinderungen zu Betroffenen abgestempelt. Wir wollen sie aber zu Beteiligten machen und als solche ernst nehmen.

Ja, die Ebenbürtigkeit und die Idee des Empowerments, die Menschen als Experten in eigener Sache mitzunehmen in diesem Prozess – auch dies ist nicht einfach. Wir wissen, mit welchen Menschen wir es teilweise zu tun haben. Deshalb müssen wir uns darauf verlassen, dass die Organisationen und die Verbände, die für diese Menschen eine Stimme haben, auch als solche akzeptiert werden, dass sie auch dieses Empowerment der Experten in eigener Sache vor Ort durchsetzen und diese Vielfalt auch haben.

Das, Frau Doppmeier, ist der rote Faden dieses Aktionsplanes, genau diese Beteiligung, um die es dabei geht. Nicht nur das Ziel, nein, auch der Weg zur Inklusiven Gesellschaft ist inklusiven Prinzipien verpflichtet.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Prozessbeteiligung von Anfang an ist unverzichtbar. Da gibt es kein Gegeneinander nach der Methode: Ist das ein Mensch mit Behinderung, oder ist das ein Verband, dem er angehört und der seine Interessen vertritt? – Ich habe hier beim Thema „Schulrechtsänderung“ viele Verbände erlebt, die viele Interessen vertreten haben, aber sehr wenige, die die Interessen der Behinderten im Auge hatten.

(Beifall von der SPD)

Nordrhein-Westfalen – lassen Sie mich auch das sagen – ist in dieser Frage das deutsche Gleichstellungs- und Inklusionsland; das kann man zu Recht sagen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Schauen Sie sich doch alle anderen Bundesländer zu dieser Frage an! Schauen Sie sich an, wie Menschen mit Behinderung dort beteiligt werden, geschweige denn, ob Aktionspläne existieren, die überhaupt einen Weg aufzeigen.

Herzstück der Vielzahl von innovativen Regelungen und Initiativen dieses Aktionsplans „NRW inklusiv“ ist es, praxisorientiert unten anzufangen. Es nützt mir nichts, zu sagen: Du, Sportverein, musst es machen! – Nein, ich muss den Sportverein mitnehmen. Ich muss Leiterinnen und Leiter haben, die sagen: Ich will mich in diesen Prozess einbeziehen. – Das wird ein Prozess sein, der viele Jahre dauern wird. Das wissen Sie auch sehr genau; das haben Sie mehrfach vorgetragen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess unter Beteiligung der Betroffenen zu organisieren und ihn letztendlich bis zum Jahre 2020 fortschreibungsfähig nach vorne zu bringen.

Ja, es ist ein Prozess, der sich in Ausführung befindet. Dieser Prozess wird nicht dadurch enden, dass wir das Thema beschlossen haben. Wir haben in diesem Land 18 Millionen Menschen mitzunehmen und sie nach vorn zu bringen.

Deshalb ist auch dieser Inklusionsbeirat mit seinen Fachbeiräten – wie es Guntram Schneider gesagt hat – wichtig in diesem Prozess, denn da findet eine konkrete Beteiligung statt. Da geht es nicht um die Frage, wer dort persönlich vertritt und persönlich sitzt, sondern da geht es um die Frage: Welche Interessen werden in die Waagschale geworfen? – Glauben Sie mir, in dieser Bundesrepublik Deutschland ist so ein Vorgehen einer Landesregierung einmalig. Das gibt es nirgendwo anders.

(Beifall von der SPD)

Es geht nicht um den technokratischen Akt zu sagen: Da schaltet jemand etwas um; und von oben nach unten ordnet er jetzt an, dass in der Freizeit dies stattfindet. – Wir sind Praktiker genug, zu wissen, dass das nicht funktioniert. Wir wissen, dass es keine Reiseangebote für Menschen mit Behinderung gibt. Wir wissen, dass es schwierig ist, mit einem großen Rollstuhl in einen Flieger zu steigen. Wir wissen, dass es Schwierigkeiten mit den Kostenträgern gibt.

Das aber ist das, was dieser Aktionsplan sehr deutlich aufdeckt. Er zeigt es auf. Er zeigt auf die Notwendigkeit, um die es dabei geht, nämlich genau diese Themenfelder zu besetzen und zu bearbeiten. Auch da rate ich dazu, hier mit Sachlichkeit heranzugehen. Wir wissen genau, dieses Ziel wird nicht dadurch erreicht, dass wir sagen: Im Mai muss es erledigt sein.

Wichtig ist, dass wir „Best-Practice-Projekte“ machen und an das Gelingen dieses inklusiven Projektes auf allen Ebenen glauben und als Inklusionsmotor dieses auch dokumentieren.

Bei der Frage, wie wir das Landesrecht zukünftig gestalten und das Inklusionsstärkungsgesetz voranbringen, muss insbesondere betrachtet werden, dass es mit dem SGB IX – ich betone hier dieses Gesetz, weil es 2001 von einer rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde – eines der modernsten Teilhabegesetze für Menschen mit Behinderung zur Grundlage hat, die es in dieser Republik überhaupt gibt. Dieses Gesetz auf einen neuesten Stand zu bringen, bedeutet, in einem Inklusionsstärkungsgesetz aufbauend, zu schauen: Wie bekommen wir es heute hin, die Komplexität so aufzubauen, dass die Menschen in den vielen Bereichen, in denen sie arbeiten, Bildung genießen, Gesundheit und Pflege haben, damit vorankommen.

Dass das passiert und gelingt, können Sie an der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW sehen, die als Parlamentsstiftung – unsere Stiftung! – beschlossen hat, mit der Initiative „Pflege inklusiv“ fundierte Entscheidungsgrundlagen für Akteure der Pflege zu schaffen und dafür in den nächsten fünf Jahren 10 Millionen € zur Verfügung zu stellen, weil man dort an das Gelingen glaubt, an das Nach-Vorwärts-Schauen, und nicht die Frage stellt: Was wird wo nicht gelingen?

Auf dem Feld der Gesundheitsversorgung hat die Landesgesundheitskonferenz einen ganz wichtigen Beschluss gefasst -und alle Akteure beteiligt –, nämlich von der Integration zur Inklusion zu gelangen. Die gesundheitliche Vorsorge für Menschen mit Behinderung zu verbessern, diesen Prozess zu initiieren und ihn jetzt in der medizinischen Praxis umzusetzen, auch das wird ein längerer Prozess sein. Aber dieser Prozess lohnt sich. Es zeigt, wie viele Akteure an unterschiedlichen Stellen dabei sind, um einzelne Mosaiksteine zusammenzuführen.

Neben den zahlreichen unterschiedlichen Punkten, die wir haben – ich glaube, zum Schluss werden wir uns einig sein, dass wir gemeinsam diesen Prozess voranbringen wollen; ich appelliere hier daran, darauf zu achten, dass wir beisammenbleiben und uns nicht auseinanderdividieren –, wird es darauf ankommen, den Weg der Inklusion in den nächsten zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen erfolgreich zu vollenden.

Wer Inklusion will, sucht Wege. Wer sie nicht will, sucht Begründungen. Den nur allzu wahren Satz – ein weiser Satz – des damaligen Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe, der in verschiedenen Variationen wiederholt wurde, kann man nicht oft genug zitieren. Er bekennt sich darin entschieden zu einer offensiv-optimistischen Herangehensweise an die inklusive Transformation der Gesellschaft und warnt vor der Problemfixierung und dem Nichtgelingen, das immer wieder vorgetragen wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Inklusion bedeutet Verantwortungsgemeinschaft. Diese Verantwortungsgemeinschaft beinhaltet alle Teile der Gesellschaft und alle Teile des Staates. Es erfordert das Selbstverständnis aller dieser Beteiligten, an diesen Prinzipien zu arbeiten und seriös damit umzugehen. Sehen wir wachen Auges, was funktioniert und für andere ein gutes Beispiel ist, statt uns auszumalen, was warum garantiert niemals funktionieren könnte.

Das größte Problem sind die Menschen ohne Behinderung, die „Schwerstmehrfachnormalen“, die nicht gelernt haben, mit Behinderungen umzugehen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Lernen wir also, wenn wir schon nicht ganz ohne Probleme auskommen, zur Abwechslung einmal die „Schwerstmehrfachnormalität“ als ein solches wahrzunehmen. Seien wir in das Gelingen der inklusiven Gesellschaft verliebt. Es sollte sich für uns alle lohnen.

Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“ hat viele positive Aspekte nach vorn gebracht. Es gilt, gemeinsam daran zu arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Alda das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Besucher! Zunächst ein kurzes Wort zum Entstehungshintergrund: Die UN-Behindertenrechtskon-vention ist im Prinzip eine Konkretisierung der Menschenrechte. Es ist kein Sonderrecht, sondern soll ganz einfach die Menschenrechte auch aus dem Blickwinkel der Behinderten betrachten.

Unter dem Aspekt gehen wir die ganze Sache auch an. Sie ist aber noch nicht in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Da möchte ich Frau Doppmeier zustimmen. Das sehe ich ganz genauso. Wenn man draußen mit den Bürgern redet, wird häufig diese Frage gestellt. In dem Sinne, Herr Minister, sehe ich Ihren Bericht „Aktionsplan“ erst einmal als Belletristik für Insider an. Draußen ist es tatsächlich noch nicht angekommen.

Herr Kollege Neumann, gehen Sie davon aus, dass auch wir von der FDP-Fraktion das mit ganzem Herzen sehen werden. Das unterstelle ich der Kollegin Doppmeier genauso.

Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzung der Inklusion ist eine der bedeutsamsten Aufgaben der Sozialpolitik in der Gegenwart. Sie ist aber auch aufgrund ihrer Komplexität eine der anspruchsvollsten. Dies verlangt neben dem notwendigen Einfühlungsvermögen viel Engagement, Beharrlichkeit, zugleich aber auch Geduld, selbst wenn hier mal die Ungeduld eingefordert wurde, und auch die Fähigkeit, bisherige Erkenntnisse und Standards kritisch zu hinterfragen.

Wenn Inklusion nicht nur ein Ideal bleiben, sondern in der Bevölkerung ankommen soll, dann muss man bereit sein, die Lebensbedingungen in allen gesellschaftlichen Bereichen permanent und konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Es soll erreicht werden, dass Unterschiedlichkeit zu einer Selbstverständlichkeit wird und Menschen mit einer Behinderung gleiche Chancen bekommen, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, wie Menschen ohne Behinderung.

Obwohl die Förderung einer selbstbestimmten Lebensweise einen immer höheren Stellenwert erhält, gibt es immer noch zu viele Bereiche, in denen der Fürsorgegedanke dominiert.

Im Gegensatz hierzu bildet die UN-Behinderten-rechtskonvention die Grundlage eines neuen Verständnisses von Behinderung. Unter einer Behinderung versteht man nicht mehr die Beeinträchtigung einer Person, sondern vorhandene Zugangs- und Teilhabebarrieren, die beseitigt oder bei der Planung von vornherein einkalkuliert werden müssen.

Meine Damen und Herren, ein solcher Ansatz wurde bereits von der früheren schwarz-gelben Landesregierung mit ihrem ressortübergreifenden Landesprogramm „Teilhabe für alle“ verfolgt. Die entsprechende Überprüfung landesrechtlicher Vorgaben mit Blick auf das Ziel der Inklusion gehörte ebenso dazu wie eine Vielzahl ressortübergreifender Projekte, die dazu dienten, neue Ansätze zu erproben und die Grenzen zwischen dem Leben von behinderten und nichtbehinderten Bürgern zu verringern.

Uns allen hier im Hause – und nicht nur hier im Hause, sondern auch den Bürgern draußen – sollte klar sein, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht von heute auf morgen erfolgen kann. Denn es ist nicht damit getan, Gesetze zu ändern und spezielle Programme aufzulegen. Die Barrieren, mit denen Betroffene zu kämpfen haben, finden sich nicht nur in Gebäuden oder im Wohnumfeld, beim Gebrauch von Alltagsgegenständen oder beim Versuch, an einer kulturellen Veranstaltung teilzunehmen. Sie existieren – ich habe bereits darauf hingewiesen – nach wie vor in den Köpfen vieler, meist aus Unwissenheit und aus daraus folgender Unsicherheit, obwohl sich tatsächlich in den letzten Jahren schon eine Menge getan hat.

Menschen mit Behinderung benötigen auf der einen Seite eine gezielte und an ihrem speziellen Bedarf ausgerichtete Unterstützung, aber die sollte immer als eine Hilfe zur Selbsthilfe gesehen werden. Das heißt, sie hat einen assistierenden Charakter. Auf der anderen Seite gilt es, die Normalität der Lebenssituation von behinderten Menschen im Sinne eines neuen Werte- und Solidaritätsverständnisses anzuerkennen und diese Gesellschaft, in der wir leben, so zu gestalten, dass sich die Lebensqualität letztlich für alle verbessert.

Der Verzicht auf Barrieren, etwa bei der Planung von Gebäuden, vereinfacht das Leben für behinderte wie für nichtbehinderte Menschen gleichermaßen. Es ist diese umfassende Sichtweise, die der Inklusion gerade auch aus unserer liberalen Sicht ihre herausragende Bedeutung verleiht. Wir alle kennen den Begriff der „lernenden Organisation“. Im Falle der Inklusion empfiehlt es sich, von der „lernenden Gesellschaft“ zu sprechen. Das fällt umso leichter, je mehr wir darüber wissen, welche Form der Unterstützung die Betroffenen tatsächlich brauchen und vor allen Dingen wünschen, um ihre Potenziale und Fähigkeiten einbringen zu können.

Zu einem wachsenden Verständnis bei uns allen trägt sicherlich auch die Tatsache bei, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema in einer älter werdenden Gesellschaft, die sich nicht mehr leugnen lässt, immer mehr zur Normalität werden wird, denn die meisten Behinderungen werden erst im Laufe des Lebens erworben. Viele reden über Inklusion in der Schule, aber es kommen durchschnittlich noch 60 Jahre danach.

Natürlich ist es wünschenswert, dass gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen mittels gezielter Gesundheitsförderung und Prävention vermieden werden. Aber das wird nicht in jedem Fall zum Erfolg führen. Da sollte man nicht zu optimistisch sein. Nicht zu vergessen ist, dass viele Behinderungen auch durch Unfälle verursacht werden. Jeder von uns kann jederzeit von einer dauerhaften Beeinträchtigung und somit von einer Behinderung betroffen sein.

Umso wichtiger ist es, dass das Gesundheitssystem, das, was wir in diesem Land schon genießen dürfen, auf eine größer werdende Gruppe der Menschen mit Behinderung vorbereitet wird. Das betrifft den barrierefreien Zugang zu Arztpraxen ebenso wie die Notwendigkeit, alle Mitarbeiter im Gesundheitssystem durch entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen mit den Zielen der Inklusion vertraut zu machen und sie zu entsprechendem Handeln zu befähigen. – Das meinte ich, Herr Minister, mit der „Belletristik für Insider“. Wir müssen es auch nach außen geben und mit den Akteuren draußen sprechen.

Zu berücksichtigen ist, dass es sehr unterschiedliche Formen der Behinderungen gibt. Die mit einem Anteil von rund 60 % größte Gruppe im Bereich der Schwerbehinderungen sind zwar Menschen mit körperlichen Einschränkungen, doch darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Beeinträchtigungen im Bereich der Sinnesorgane. Auffallend ist der wachsende Anteil von Menschen, die an einer chronischen psychischen Erkrankung leiden.

Eine besondere Beachtung verdient die aktive Rolle der Betroffenen bei der Umsetzung der Inklusion, und zwar auf allen Ebenen. Die Politik sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Partizipation darf keine Alibiveranstaltung werden. Die unbestrittene fachliche Kompetenz der Sozialexperten muss intensiver als je zuvor mit dem Expertenwissen der Betroffenen zur Schnittstelle vermengt werden, denn die wissen am besten, wie es geht.

(Beifall von der FDP)

Abzuwarten bleibt, welchen Beitrag hierzu die Arbeit des eigens gegründeten Inklusionsbeirats leisten wird. Hier habe ich gleich einen Wunsch an Sie, Herr Minister, nämlich ob wir nicht einmal den Vorsitzenden des Inklusionsbeirates im Ausschuss kennenlernen dürfen und mit ihm diskutieren können. Ich weiß nicht, ob das in der Vergangenheit mal geschehen ist.

(Minister Guntram Schneider zeigt auf den hinter ihm sitzenden Staatssekretär.)

– Da sitzt er ja; dann kennen wir ihn ja. Trotzdem sollten wir uns über dieses Thema einmal unterhalten, Herr Staatssekretär, dann eben nicht in der Rolle als Staatssekretär, sondern als Vorsitzender des Inklusionsbeirates.

Die Landesregierung steht in der Pflicht, sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass die Einbindung der Menschen mit Behinderung effektiv und unbürokratisch erfolgt. Die Kommunen sind nicht nur als Träger der Eingliederungshilfe in besonderer Weise von der Inklusion betroffen, sie haben auch den unmittelbarsten Bezug zu den Lebensverhältnissen der Bürger. Bei der Entwicklung von praxisorientierten Lösungen ist das ein klarer Vorteil. Das bedeutet aber nicht, die Kommunen mit dieser Aufgabe alleine zu lassen, wie man es bei vielen anderen Sachen macht.

(Beifall von der FDP)

Im Gegenteil! Ein Beispiel dafür findet sich im Bereich des Wohnens. Die Umsteuerung in der Behindertenhilfe begann vor gut elf Jahren mit dem Projekt „Selbständiges Wohnen behinderter Menschen – Individuelle Hilfen aus einer Hand“. Zuvor wurde dafür gesorgt, dass die beiden Landschaftsverbände als die überörtlichen Träger der Sozialhilfe seit 2003 befristet auch für die wohnbezogene Eingliederungshilfe und somit für die fachliche und finanzielle Gesamtsteuerung im Bereich der ambulanten wie auch stationären Hilfen zuständig sind.

Seither hat sich die Zahl der Menschen mit Behinderung, die in ihrer eigenen Wohnung leben und dort bedarfsgerecht unterstützt werden, mehr als verfünffacht. Das ist ein Erfolg.

(Minister Guntram Schneider: Sehr gut!)

Ende des Jahres 2012 waren es nach unseren Erkenntnissen rund 50.000. Das ist ein sehr erfreuliches Signal für die Inklusion.

Die Befristung der Zuständigkeit der Landschaftsverbände abzuschaffen, wäre ein vielversprechender Schritt gewesen. Dass er der Landesregierung leider bis heute nicht gelungen ist, kritisieren wir. Die Regelung wurde erneut verlängert, und zwar bis Mitte 2015. Vielleicht sollten wir uns einmal über die unbefristete Zuständigkeit unterhalten.

(Beifall von der FDP)

Wichtig ist die Erkenntnis, dass größere persönliche Freiräume bei vielen dazu führen, dass sie selbstständiger und unabhängiger werden, weil Fähigkeiten wiedererlangt oder neu gelernt werden. Davon zeugen viele Erfahrungsberichte aus der Praxis.

Dennoch, meine Damen und Herren, gibt es keinen Zwang zum ambulanten Wohnen. Obwohl Sondereinrichtungen nicht dem Ideal einer inklusiven Gesellschaft entsprechen, ist gerade für viele ältere Bewohnerinnen und Bewohner das Wohnheim zu ihrem Zuhause geworden. Ich gehe wieder zu dem Thema „Expertenwissen“ zurück: Warum soll jemand nicht dort wohnen, wenn er das möchte?

Das ist jedoch keineswegs ein Grund, in den Einrichtungen der Behindertenhilfe alles beim Alten zu lassen und nichts weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund haben CDU und FDP während ihrer Regierungszeit mit dem Wohn- und Teilhabegesetz den Teilhabegedanken und das größere Selbstbestimmungsrecht der Bewohnerinnen und Bewohner auch in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen deutlich gestärkt.

Dieser Ansatz wird im Rahmen der Gesetzesnovelle des GEPA nach unserer Ansicht nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere Wohngemeinschaften sehen sich durch die Regelung in ihrem Bestand gefährdet und kritisieren auch die höheren Anforderungen für die Dokumentation und für Begehungen durch Aufsichtsbehörden und Organisationen der ambulanten Pflege. – Manchmal weiß man nicht, was man mehr machen soll: Dokumentation, Zertifikation oder sonst etwas oder doch eher mehr Pflege.

Deutlich erschwert ist die Kommunikation bei gehörlosen Menschen. Die Landesregierung hatte daher bei der Universität Köln ein Gutachten in Auftrag gegeben – wir haben im Ausschuss darüber gesprochen –, um mehr über die Lage von gehörlosen und schwerhörigen Menschen in Erfahrung zu bringen. Dieses Gutachten liegt nun vor. Seine Empfehlungen sollten nun zügig umgesetzt werden.

Dies betrifft insbesondere das Problem der Kostenerstattung für Gebärdendolmetscher für gehörlose Eltern hörender Kinder bei Gesprächen mit Kitas und Schulen. Diese Klärung liegt nicht nur der CDU am Herzen, sondern auch uns. Ich erinnere daran, dass Frau Maaßen und ich das Thema damals in den Ausschuss eingebracht haben, weil sich die Petitionen zu diesem Thema häuften.

Einen hohen Stellenwert besitzt die Frage, inwiefern es künftig gelingen kann, einer größeren Zahl von Menschen trotz einer wie auch immer gearteten Beeinträchtigung eine Ausbildung und einen Zugang zum Arbeitsplatz zu ermöglichen. Auch die Landesregierung setzt sich hierfür in besonderer Weise ein, wie man dem Vortrag entnehmen konnte.

Hinweisen möchte ich auf das Bundesprogramm „Initiative Inklusion“, das die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit einer Schwerstbehinderung erleichtern soll und im Zuge des „Nationalen Aktionsplans Inklusion“ aufgelegt wird.

Im Aktionsplan wird ausdrücklich betont, dass es nur im engen Schulterschluss aller Beteiligten und Akteure gelingen kann, dieser großen Aufgabe gerecht zu werden. Dazu zählt traditionell auch eine besondere Konsensorientierung der Fraktionen in diesem Parlament zu diesem Thema – egal, wer die Regierung stellt. Es gibt erfreulicherweise viele inhaltliche Gemeinsamkeiten.

Dieser Konsens bedeutet natürlich nicht, dass neue oder andere Ideen oder auch unterschiedliche Bewertungen grundsätzlich unter den Tisch fallen sollen, um die Harmonie nicht zu gefährden. Denn der Inklusionsgedanke beruht gerade darauf, der Vielfalt in einer Gesellschaft mit Wertschätzung zu begegnen. Allerdings ist es angesichts der Sensibilität des Politikfeldes empfehlenswert, auf fachpolitische Eitelkeiten zu verzichten – selbst dann, wenn man glaubt, den Stein der Weisen gefunden zu haben.

In diesem Sinne hoffe ich weiterhin auf eine faire Zusammenarbeit und bedanke mich fürs Zuhören.

(Beifall von der FDP, der CDU und Minister Guntram Schneider)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht als nächste Rednerin Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist normal, verschieden zu sein. In der Tat, es ist normal, verschieden zu sein, ob dick, ob dünn, lange Haare, kurze Haare, der eine ist ein Mathegenie, der andere sprachbegabt, der nächste verfügt über eher handwerkliches Geschick. All das ist überhaupt kein Thema in unserer Gesellschaft.

Dazu gehört natürlich auch, die Wahl für unsere Kinder zu treffen, in welche Kita sie gehen. Wir suchen die bestmögliche Schule aus. Wir schauen ganz genau hin: Wo wollen wir wohnen? Wo werden wir arbeiten? Was möchten wir arbeiten? Auch wie wir unsere Freizeit gestalten, ist selbstredend ganz individuell auf uns persönlich zugeschnitten.

Diese verschiedenen Talente, Veranlagungen und Wünsche werden insgesamt toleriert und akzeptiert. All das ist selbstverständlich – allerdings nicht immer.

Die Bereitschaft, dies zu akzeptieren und zu tolerieren, lässt insgesamt nach, wenn Menschen von tradierten, mitunter reichlich konservativen Normen abweichen. Dann sprechen wir von sozialer Armut, von kulturellem oder religiösem Hintergrund, und wir sprechen auch von Behinderung. Das sind Gründe, dass Menschen in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt sind.

Menschen mit Behinderung, das ist heute unser großes Thema. Einst versteckt, verhöhnt, in Irrenanstalten weggesperrt, bei den Nationalsozialisten zwangssterilisiert oder ermordet, hat man sich seit den 1950er-Jahren darauf besonnen, Menschlichkeit ins Spiel zu bringen, und damit begonnen, die Betroffenen nach dem Fürsorgeprinzip zu versorgen.

Wir haben das Kapitel „Schutzraum“ – so will ich es mal nennen – aufgeschlagen. Besondere Räume zur Förderung von Menschen mit Behinderung wurden geschaffen – von der Wiege bis zur Bahre. Man könnte auch sagen: Leben unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Kinder mit einem speziellen Förder- oder einem anderen Unterstützungsbedarf wurden in der frühkindlichen Förderung in heilpädagogischen Kitas untergebracht. Die schulische Bildung hat in besonderen, in Deutschland ganz speziell nach einzelner Behinderungsart ausgerichteten Förderschulen stattgefunden. Anschließend ging es zur Arbeit in die WfbM, in die Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

Menschen, die nicht in ihrer Familie bleiben konnten, wohnten in stationären Einrichtungen. Diejenigen, die innerhalb der Familie leben konnten, mussten tagtäglich lange und weite Anfahrtswege zu den Fördereinrichtungen in Kauf nehmen.

Es gab keine Wahlfreiheit bei eigentlich alltäglichen Dingen. Ich erinnere noch einmal daran: Was für uns alle so selbstverständlich ist – dass wir tagtäglich für uns selbst entscheiden können –, das ist diesen Menschen im Grunde genommen vorenthalten worden.

Natürlich hat sich dann auch Widerstand bei den Betroffenen geregt. Bereits 1977 wurde in Bremen die erste Krüppelgruppe von Horst Frehe und Franz Christoph gegründet. Diese Protestbewegung hatte zum Ziel, auch Menschen mit Unterstützungsbedarf ein selbstbestimmtes und selbstverantwortetes Leben zu ermöglichen.

1981 – im Internationalen Jahr der Behinderten, das von großen Protesten begleitet wurde – erreichte diese Protestbewegung ihren Höhepunkt. Die politische Position war übrigens nicht die Forderung nach Integration; vielmehr sollte die nichtbehinderte Öffentlichkeit mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert werden.

Entmündigung, Isolation und die Verhinderung von Integration in die Gesellschaft durch immer neue Gettobildung wurden angeprangert. Das muss man sich einmal reinziehen: So haben es viele Betroffene empfunden, was ihnen da zugemutet wurde.

Im Grunde hat man auch auf die Unfähigkeit der Gesellschaft hingewiesen, auf den sozialen Umgang miteinander, der natürlich – das hat Frau Doppmeier allerdings richtig ausgeführt – auch dadurch begründet ist, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gar nicht mehr zusammenkommen. Wir sind ja getrennt worden.

Ich möchte noch Folgendes ergänzen: Die 80er-Jahre waren die Zeit, als erste alternative Wohneinrichtungen mit Assistenz zu Hause gegründet wurden sowie Beratungseinrichtungen und Vernetzungen der Betroffenen, wie zum Beispiel MOBILE in Dortmund, das heute als Kompetenzzentrum für selbstbestimmtes Leben vom Land gefördert wird.

In dieser Zeit ist also sehr viel durch Selbsthilfe und aus Eigenbetroffenheit heraus entstanden. Wahrscheinlich hat auch das mitgeholfen, dass 1994 unser Grundgesetz in Art. 3 dahin gehend ergänzt wurde: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

2003 wurde dann hier im Land das Behindertengleichstellungsgesetz formuliert, das zunächst den Charakter einer Zielvereinbarung und weniger einen fordernden Charakter hatte. 2009 wurde mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Deutschland das Recht auf Inklusion, das Recht auf uneingeschränkte Teilhabe an allem, was die Gesellschaft zu bieten hat, festgeschrieben und auch in Deutschland als Recht angenommen.

2010 wurde die Umsetzung der Forderungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen im rot-grünen Koalitionsvertrag festgehalten. 2011 folgte der Antrag hier im Parlament mit der Aufforderung an die Landesregierung, entsprechende Schritte einzuleiten. Als Folge daraus kennen wir nun den Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“, dessen Umsetzungsstand uns Herr Minister Schneider gerade vorgestellt hat.

Bewusstsein schaffen und Sensibilisierung für den Inklusionsgedanken – das ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Es ist richtig: Wir müssen dieses Bewusstsein und den Inklusionsgedanken allgemein in die Bevölkerung, in Verwaltungen, in Planungsbüros, in alle Institutionen, die unser Gemeinwesen in irgendeiner Form gestalten, um- und aufbauen, hineintragen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Insofern ist es auch richtig, hier entsprechende Werbekampagnen vonseiten des Landes zu fahren. Wir müssen die Betroffenen beteiligen, und das tun wir auch. Ein Zeichen dafür ist, dass das Beratungsangebot aus den beiden Kompetenzzentren für selbstbestimmtes Leben landesweit ausgebaut werden soll.

Genau an der Stelle sind die Betroffenen im Boot, denn hier beraten Betroffene Betroffene und können den Menschen dort helfen, wo mitunter die Stellen, die eine Leistung erbringen sollen, versagen.

Die Gesetze müssen im Sinne der UN-BRK angepasst werden. Mit Ihrem Entschließungsantrag haben Sie von der CDU gefordert – salopp gesagt –, mal ein bisschen auf die Tube zu drücken. Der Antrag hätte zur Folge, dass eine Zeitschiene eingehalten werden müsste, offenbar unabhängig von qualitativer Reife im laufenden Prozess. Das werden wir natürlich ablehnen; das ist uns zu billig, das ist uns zu wenig. Uns kommt es da mehr auf Qualität an.

Die Beschreibung von Aktionsfeldern und Maßnahmen ist ein umfassendes Feld dieses Aktionsplans. In der Tat: Wir haben nicht bei null angefangen; das können wir mit Fug und Recht behaupten. Die Integration und Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung ist ein Prozess, der bereits seit 30 Jahren im Gange ist.

Uns sind heute schon mehrfach Beispiele genannt worden. Ich möchte auch noch auf eines eingehen: die ambulanten Wohnangebote. Ich hatte es eingangs bereits gesagt: Ursprünglich sind Menschen, die nicht zu Hause leben konnten, in stationäre Einrichtungen gekommen. Wir haben jetzt seit etwa zehn Jahren den entsprechenden Prozess beschleunigt, sodass ambulante Wohnangebote oder kleine Wohngruppen gegründet und gefördert werden konnten und können. Wir haben mit den Landschaftsverbänden NRW ganz wichtige Partner im Boot, die bei der Umsetzung sehr gute Arbeit leisten.

Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man den Menschen solche Dinge nicht mit der Brechstange von oben befehlen kann, nach dem Motto: Jetzt macht mal. – Vielmehr muss man Anreize setzen, damit auf allen Seiten der Wunsch und der Wille gegeben sind, bestimmte Maßnahmen tatsächlich anzugehen.

Die Integrationsfirmen sind ein ebenso gutes Beispiel. Während in den 50er-, 60er-, 70er- und oft auch noch in den 80er-Jahren das Arbeitsgebiet für Menschen mit Beeinträchtigung hauptsächlich in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung – in der WfbM – lag, gibt es jetzt immer mehr Integrationsfirmen, wo diese Menschen Beschäftigung finden. Auch im ersten Arbeitsmarkt bieten sich ihnen immer mehr Möglichkeiten, ein Arbeits- und Erwerbsleben aufzunehmen und so auch für die eigene Alterssicherung vorzusorgen.

Thema „Schule“: Wir haben das Schulrechtsänderungsgesetz. Auch hierzu haben wir einen langen Beratungsprozess und Werdegang hinter uns. Auch hier ist es nicht so, dass wir – wie es manchmal von der Opposition hier dargestellt wird – von heute auf morgen mit der Brechstange ein System umstellen wollen. Das hat zum Beispiel in Italien vor 30 Jahren stattgefunden. Da hat man von heute auf morgen Förderschulen geschlossen und Betroffene in Regelschulen unterrichtet. Inzwischen hat man dort einen 30-jährigen Prozess hinter sich, und auch da hat es – wir haben das im Ausschuss im letzten Jahr erleben dürfen – insgesamt betrachtet eine überaus positive Entwicklung gegeben.

In Deutschland gehen wir einen anderen Weg. Wir hatten 25 Jahre Vorlaufzeit. Auf Druck von Elterninitiativen und Eigeninitiativen sind Möglichkeiten geschaffen worden, Kinder mit Beeinträchtigung auch in der Regelschule zu unterrichten; mit dem Schulrechtsänderungsgesetz haben sie jetzt ein Recht darauf. Und damit haben sie eine begründete, rechtlich festgelegte Wahlmöglichkeit; vorher war eine Wahlmöglichkeit in dieser Form nicht gegeben.

Wir müssen uns natürlich auch überlegen, wo es noch hingehen soll. Jenseits der berechtigten und richtigen Forderung nach einem Bundesleistungsgesetz, das einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Eingliederungshilfe in unserem Land geben soll und schnellstmöglich formuliert und umgesetzt werden muss, müssen wir natürlich überlegen: Wie soll es hier in unserem Lande weitergehen?

Inklusion bedeutet uneingeschränkte Teilhabe. Wir müssen vermeiden, dass Barrieren überhaupt erst entstehen. Es reicht nicht, einfach nur an vielen möglichen oder unmöglichen Stellen Fördertöpfe aufzustellen, mit denen ein bisschen Geld für eine kleine Maßnahme zur Verfügung gestellt wird. Ich denke, wir sollten da andere Visionen entwickeln.

Wir müssen uns überlegen: Warum sollen die Normen, die es jetzt schon für barrierefreie Bauten gibt, nicht selbstverständlich und grundsätzlich angewendet werden? Warum werden nicht gleich von vornherein überall – nicht nur in öffentlichen Bauten, sondern generell – breitere Türen gebaut? Warum werden Bäder – oder mindestens eine sanitäre Anlage in den Häusern – nicht generell rollstuhlgerecht gebaut? Das sind Dinge, die wir überlegen und voranbringen müssen, um so später teure Umbauten oder Nachrüstungen zu vermeiden.

Die Betroffenen sollten auch nicht mehr per Einzelantragsverfahren ihr Recht einfordern müssen. Eigentlich sollten sie nur ihren Bedarf anmelden, und die Einrichtungen, in die gehen, sollten die Unterstützungs- und Hilfsmittel selbstverständlich zur Verfügung stellen.

Kommunikationshilfen – sie sind heute schon mehrfach angesprochen worden – sind sicher richtig. Ich glaube aber, dass wir da generalistischer denken müssen. Es reicht nicht, ein paar Tausend Euro zur Verfügung zu stellen und immer nur auf Antrag für einzelne Sitzungen Hilfe zu leisten. Wir müssen sehen, dass wir Menschen im System heranziehen, die zum Beispiel die Gebärdensprache können. Was hindert uns daran, in der Kita, in der Schule und an der Hochschule deutsche Gebärdensprache, die als offizielle Sprache in Deutschland anerkannt ist, zu lehren?

Also: Wir müssen die Situation vom Kopf auf die Füße stellen. Die Betroffenen haben ein Recht auf Teilhabe, auf selbstbestimmtes Leben. Die Institutionen, die Gesellschaft müssen sich entsprechend einrichten.

Ich möchte mit einem kleinen Zitat des Diplom-Betriebswirts und Analytikers Rainer Stawski enden: „Visionen sind die Leitbilder der Gegenwart“, und in der Zukunft werden sie umgesetzt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Fricke.

Stefan Fricke (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz besonders liebe Bürgerinnen und Bürger – egal ob mit oder ohne Behinderung! Heute geht es um den vor knapp zwei Jahren beschlossenen Inklusionsplan der Landesregierung. Sie fragen sich nun vielleicht, warum ausgerechnet ich mich mit diesem Thema beschäftige und nicht ein im Fachbereich Soziales aktiver Kollege. Sollte das zutreffen, frage ich zurück: Wer, glauben Sie, könnte besser für dieses Thema geeignet sein als ein Mensch, der nicht nur selbst betroffen, sondern auch in den legislativen Prozess miteingebunden ist? Tatsächlich war es mir ein großes Anliegen, mich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen und aus dieser Doppelrolle heraus dazu Stellung zu nehmen. Sonst werden die Betroffenen ja eher selten gefragt.

Die Landesregierung hat es nun nach „nur“ 23 Monaten tatsächlich geschafft, den neuen, im Juli 2012 beschlossenen Inklusionsplan vorzustellen. Ich vermute mal, dass sie sich einfach schämt und deshalb mit der Vorstellung dieses Werks so zögerlich war.

(Beifall von den PIRATEN)

Natürlich war vor über einem Jahr, als der erste Termin überraschend abgesagt wurde, die Holzaffäre von enormer Bedeutung. Es mussten schließlich die besten Bretter herausgesucht werden. Fragen Sie mich aber um Himmels willen nicht nach deren Verwendungszweck. Das war ein willkommener Anlass, die Inklusion ins Tagesgeschäft zu inkludieren.

Dumm nur, dass in der vorletzten Plenarrunde ursprünglich die sogenannten Kompetenzzentren wie Kaninchen aus dem Zylinder auf die Tagesordnung hüpften; denn so hatte ich Gelegenheit, die regierende Koalition an ihr Versäumnis zu erinnern. Leise und verstohlen wurde die Vorstellung dieses Werkes dann wieder auf die Tagesordnung gesetzt und der Termin sogar auf den ersten Plenartag gelegt. „Honi soit qui mal y pense“: Es wäre wirklich nicht schön gewesen, wenn die Parlamentarier genügend Zeit gehabt hätten, sich mit diesem vergessenen Text auseinanderzusetzen.

23 Monate! In all dieser vergangenen Zeit wäre eine Förderung der Inklusion – vielleicht sogar in Kompetenzzentren – nicht nur möglich, sondern sogar sehr wünschenswert gewesen. Aber da ist dieser wunderschöne Inklusionsplan. Korrekt müsste man sagen: Dieses wunderschöne Inklusionsmärchen ist leider über seine eigenen Füße oder – besser gesagt – Lücken gestolpert. Dabei kann man noch nicht einmal von „Lücken“ reden, denn dazu müsste ja zunächst einmal Substanz vorhanden sein. Der Plan folgt spurgetreu seinen eigenen Vorgaben. Das ist ein Paradoxon, denn ein Plan sollte doch etwas vorgeben. Dieser Plan ist aber quasi eine verfilmte Tragödie seines eigenen Skripts. Er gibt nichts vor, sondern er beinhaltet nur eine schlichte Zusammenfassung von Bestehendem mit neuem Etikett.

(Beifall von den PIRATEN)

„Etikettenschwindel“ nennt man so etwas wohl im Verbraucherschutz oder – wenn man es schönfärben will – „Umetikettierung“!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich habe lange überlegt, womit ich anfangen soll: mit einer Aufzählung dessen, was in knapp zwei Jahren seit der Erstellung dieses Märchenbuchs alles hätte getan werden können, aber nicht getan worden ist? Oder damit, woran sich unsere Landesregierung tatsächlich versucht hat? – Ja, ja, meine Damen und Herren, so etwas gibt es tatsächlich. Aber leider hat die Landesregierung dermaßen danebengelangt, dass es ihr widerstrebt, diesen Plan vorzustellen – was ich gut verstehen kann.

Vielleicht sollte man tatsächlich mal am Anfang beginnen: den Bedürfnissen der Betroffenen. Hat denn irgendjemand mal diese Menschen gefragt, was sie für eine funktionierende Inklusion brauchen, was sie von einer funktionierenden Inklusion erwarten? Ich spreche hier von Menschen, nicht von Strukturen, meine Damen und Herren. Es sind Menschen, die mit ihrer Behinderung leben und zurechtkommen müssen.

Nehmen wir als Beispiel mal unser Hohes Haus. Das ist – nicht nur nach Vorgaben und Konstruktion – wirklich schon sehr weit – so weit, dass man es durchaus als behindertenfreundlich bezeichnen kann; behinderten­gerecht ist es jedoch noch lange nicht. Wie soll sich zum Beispiel ein blinder Mensch in diesem Bau zurechtfinden? Würden Blinde jemals ohne Hilfspersonal hierher eingeladen, ohne fremde Hilfe, nur mit ihrem Taststock oder Spürhund, auf eine Reise durch dieses Gebäude geschickt?

Es gibt hier im Haus in der Telefonzentrale – einem schon seit Jahrzehnten klassischen Arbeitsplatz für Blinde – eine blinde Mitarbeiterin, die auch ihren Führhund mitbringen darf. Aber auch das ist kein Musterbeispiel für Inklusion. Wurde sie jemals um ihre Meinung zu eventuellen Verbesserungen gefragt?

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass der Antrag unserer Fraktion an den Ältestenrat des Hauses, als einen ersten Schritt in Richtung Behindertengerechtigkeit die Büros in Braille zu kennzeichnen, abgelehnt wurde. Ist es das, was die Landesregierung unter „gelebter Inklusion“ versteht?

Wie gesagt, unser Haus ist aus Behindertensicht durchaus als fortschrittlich zu betrachten. Wie mag es also erst anderswo aussehen?

Inklusion ist mehr als nur der Bau von Rampen in öffentlichen Gebäuden oder das Errichten oder Aufblähen von Strukturen. Inklusion heißt und sollte es auch sein: das Miteinander, das gemeinsame Leben von Menschen mit und ohne Behinderung aller Art. Behinderte Menschen, das sind Rollstuhlfahrer, Gehörlose, Blinde, sensoral, mental und psychisch – teilweise multipel – beeinträchtigte Menschen, die mit den „Normalen“ „normalen“ Umgang haben sollten.

„Normaler“ Umgang fängt im Kindesalter an. Theoretisch! Praktisch sieht es aber so aus, dass bei unserer Landesregierung und in deren Strukturen behinderte Menschen im Kindesalter nicht existieren. Denn der famose Inklusionsplan sieht sie erst gar nicht vor. Pech für sie!

Weiter geht es mit der schulischen Inklusion. Diesem Aspekt widme ich nachher noch detailliertere Ausführungen. Fangen wir mit den einfachen Dingen an.

Inklusion in NRW in den Bereichen Bauen und Verkehr: Diese Inklusion findet nicht statt. Das ist eine Nullnummer, egal ob es sich um den Punkt 4.1.1.2 – Landesbauordnung – handelt oder den Punkt IV.1.1.8 – Wohn- und Teilhabegesetz NRW – oder den Punkt IV.4.6 – Barrierefreier Wohnraum. Sie alle sind im Inklusionsplan aufgeführt. Teilweise wird schon seit Jahrzehnten darüber geredet. Das ist es dann aber auch schon. Zu manchen Themenbereichen muss man wirklich nicht mehr viele Worte verlieren. Das immerhin ist erfreulich.

Zur Inklusion im Bereich des gemeinsamen Lebens gehört auch der Sport. „Im Westen nichts Neues“ – das ist fast so alt wie der Roman von Erich Maria Remarque. Viele schöne Absichtserklärungen, aber noch nicht einmal eine Zeile, die man auch nur ansatzweise als Ergebnis interpretieren könnte.

Ach, nein – beinahe hätte ich etwas vergessen: Am 24. Oktober 2012 fand laut Inklusionsplan ein Fachkongress statt, an dessen Erkenntnissen auch ich durchaus interessiert gewesen wäre, wozu ich aber leider auch nichts gefunden habe. Hat der Behindertensport in NRW in den letzten Jahren in irgendeiner Form eine zusätzliche, nicht durch den Inklusionsplan initiierte Förderung erfahren? – Mir ist nichts dazu bekannt.

Kommen wir nun zur schulischen Inklusion. Hier und nur hier sind tatsächlich Aktivitäten unserer Landesregierung feststellbar:

Im Oktober vergangenen Jahres wurde das Inklusionsgesetz beschlossen. Meine Kollegin Monika Pieper hat sich zu diesem Bereich ebenso kritisch wie konstruktiv geäußert – leider jedoch ohne Erfolg. Das Ergebnis ist ein komplettes Fail mit verheerenden Auswirkungen für die Betroffenen.

(Beifall von den PIRATEN, Ursula Doppmeier [CDU] und Walter Kern [CDU])

Aber lassen Sie uns auch hier bei den Bedürfnissen der Betroffenen beginnen. Wurden die Eltern behinderter Kinder jemals gefragt, ob sie ihren Nachwuchs überhaupt in Regelschulen schicken wollen? – Nicht dass ich wüsste. Teilweise wollen sie das sicher. Dieser Tage ging ein Fall aus Baden-Württemberg durch die Presse, in dem die Eltern ihr behindertes Kind auf dem Rechtsweg in eine Regelschule einklagen wollen. Ob das immer der richtige Weg ist, bleibt dahingestellt.

Sozialdemokraten wie Grüne frönen hier in NRW ungeniert ihrer altmissionarischen Nanny-Tradition: Wir wissen, was für dich, Bürger, gut ist! – Da es nicht so direkt sicht- und spürbar ist wie ein Veggie-Day, gibt es hier auch keinen Aufschrei.

Wie viele Eltern gibt es denn, die entsetzt darüber sind, dass Förderschulen, die ihrem Namen Ehre machen und den behinderten Nachwuchs bestmöglich auf das Leben vorbereiten, geschlossen werden, da ja alles inkludiert wird?

Und werden behinderte Kinder heute weniger gehänselt als in X Jahrzehnten? – Nicht dass ich wüsste. Aber das soziale Klima wird insgesamt rauer, und daher ist eine gesunde Abhärtung in jungen Jahren sicherlich sinnvoll.

Entschuldigen Sie bitte meinen unechten Zynismus und die – allerdings nur leicht – überzeichnete Darstellung, aber diese Form sozialer Kälte unter einer Landesregierung, die „sozial“ in ihrem Namen trägt, ist für mich unerträglich.

(Beifall von den PIRATEN)

Nach dem neuen Gesetzeswerk, welches spätestens im kommenden Schuljahr Anwendung finden soll, ist die Regelschule auch für diejenigen Kinder, die eine sonderpädagogische Betreuung brauchen, der Regelförderort. Dort sollen sie an eigene Bildungsabschlüsse herangeführt werden, wenn sie die Lernziele der regulären Unterrichtspläne nicht erreichen. Neu ist an dieser Regelung nur, dass das nunmehr in der Regelschule geschieht. Die Regelschulen sind jedoch in keiner Weise, und zwar weder personell noch finanziell, auf diese Aufgabe vorbereitet.

Dies zeigt plakativ ein aktueller Fall des Verwaltungsgerichts Düsseldorf mit dem Aktenzeichen 19 K 469/14, der es bis in den „Spiegel“ geschafft hat. Ob dies ein Einzelfall bleibt, wird sich noch zeigen. Für die betroffenen Eltern ist es sicherlich kein Trost, dass die Landesregierung für eine verkorkste Gesetzgebung in Amtshaftung genommen werden kann; ich zumindest bezweifle das.

Verstehen wir uns richtig: Inklusion ist dringend nötig; viel zu lange wurden Menschen wie ich ausgegrenzt. Inklusion ist aber kein Spielplatz für Experimente auf Kosten der Betroffenen. Die haben nämlich schon genug zu kämpfen.

Ich möchte nun noch auf die Strukturen zu sprechen kommen. Wofür sollen Strukturen denn gut sein, wenn sie den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht werden? Das, was die Regierung bisher vorgelegt hat, ist lediglich eine riesige Montgolfiere, eine Aufblähung von bürokratischen Strukturen ohne jeglichen effektiven und praktischen Nutzen. Wollte man behinderte Menschen tatsächlich in das Alltagsleben einbinden und inkludieren, ginge das ganz einfach: Dazu müssten alle Entscheidungsträger lediglich einmal vier Wochen mit einem der Betroffenen zusammenleben. Das könnte man wunderbar in den anstehenden Parlamentssommerferien arrangieren. Dann würden Sie begriffen haben, wo die tatsächlichen Probleme stecken. Das würde sicherlich auch im Bereich der Inklusion sehr schnell einiges bewegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger, ich bin am Ende meiner Ausführungen angekommen und sage vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Schneider.

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fricke, da Sie eben anmerkten bzw. feststellten, dass die Landesregierung keine erkennbaren konstruktiven Ergebnisse vorzulegen hat, möchte ich Ihnen diesen Band empfehlen.

(Der Redner hält eine Broschüre hoch.)

Dazu möchte Ihnen Folgendes sagen: Kaum ein Programm der Landesregierung enthält derart detaillierte Programmpunkte sowie nachprüfbare Ausführungen zu deren Umsetzung. Mehr will ich zu Ihrem Beitrag an dieser Stelle gar nicht anmerken.

Frau Doppheide, Sie haben mich etwas enttäuscht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Doppmeier! Aber macht nichts!)

– Doppmeier! Entschuldigung! Und das muss ausgerechnet mir passieren, obwohl wir doch aus einer Stadt kommen. Aber das ist, glaube ich, auch schon fast das Ende unserer Gemeinsamkeiten; das gilt gerade für diesen Punkt.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Sie erinnern mich an eine Parole aus der Studentenbewegung, die da lautete: „Wir wollen alles, und zwar sofort!“ – Nehmen Sie doch zur Kenntnis – darauf hat Herr Alda ja hingewiesen –, dass wir, wenn es um Inklusion geht, eine völlige Umkehrung der bisherigen Kultur vornehmen müssen. Insofern ist Inklusion so etwas wie eine kleine Kulturrevolution, und zwar im Denken und später auch im Handeln aller Beteiligten.

Wenn Sie jetzt einfordern, dass wir unsere Maßnahmen konkretisieren sollen, indem wir ein jeweils Datum für die Umsetzung einer Maßnahme festschreiben, dann ist das im Grunde genommen das Gegenteil von Inklusion. Das erinnert mich an manchen Fünfjahresplan: Darin war wirklich viel heiße Luft; es waren zwar Daten enthalten, die aber mit wenig Substanz versehen waren.

Wir haben – wie kein anderes Bundesland – einen Inklusionsbeirat, der die Aktivitäten mitbestimmt. Wir ordnen darin nichts par ordre du mufti an und sagen: „Bis 12/2017 hat das und das zu geschehen“, sondern im Rahmen unserer Planung gibt es ergebnisoffene Prozesse. Deshalb ist die Umsetzung dieses Programms in der Tat mit dem Prinzip „Auch der Weg ist das Ziel“ verbunden. Und das unterscheidet uns eben von anderen.

Im Übrigen weise ich nochmals auf Folgendes hin: Gehen Sie nach Bayern, gehen Sie nach Sachsen, gehen Sie nach Brandenburg – überall werden Ihnen insbesondere die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen mitteilen, dass Nordrhein-Westfalen in dieser Hinsicht nicht nur programmatisch, sondern auch in der Praxis ganz vorne steht.

Bei allen Mängellisten, die Sie hinsichtlich der Situation des Landes immer versuchen vorzulegen, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass wir in diesem Zusammenhang wirklich vieles vollbracht haben und dass dies auch in der Szene der Menschen mit Behinderungen und deren Verbänden akzeptiert wird.

Ich verstehe auch nicht, dass man darauf besteht, dass im Beirat ausschließlich Menschen mit Behinderungen tätig sein sollen. Auch das ist das Gegenteil von Inklusion.

Ich nehme jedem Mitglied eines behindertenpolitischen Verbandes ab, dass er sich mit der Materie beschäftigt hat. Aber: Wir wissen auch relativ genau über den Dreißigjährigen Krieg Bescheid, obwohl kaum jemand von uns dabei war. Dieses Gerede, hier müssten unmittelbar Betroffene tätig sein und ihre Stimme erheben, ist das Gegenteil von Inklusion.

(Beifall von der SPD)

Im Übrigen sind in unserem Inklusionsbeirat natürlich auch Menschen mit Behinderungen vertreten. Selbstverständlich! Sie werden aber über ihre Verbände delegiert. Machen Sie sich auch dort sachkundig!

Ich bin Herrn Alda für den Hinweis dankbar, dass wir im zuständigen Ausschuss mal mit Vertretern des Inklusionsbeirates zusammenkommen sollten. Der Ausschussvorsitzende wird diese Anregung sicherlich konstruktiv aufgreifen. Ich finde sie sehr, sehr wichtig.

(Beifall von der SPD)

Zum Sport! Allein das MAIS fördert den Sport von Menschen mit Behinderungen – wenn ich das richtig im Kopf habe – mit etwa 500.000 € im Jahr. Natürlich streben wir auch hier Inklusion an. Wir sind aber auch in einem sehr engen Kontakt mit den Spitzen der Behindertensportverbände. Und die sagen uns: Behindertensport wird durch Inklusion nicht gänzlich überflüssig. – Auch da weise ich darauf hin: Das ist doch kein Mechanismus. Auch hier werden wir auf eingefahrene Strukturen in einem gewissen Zeitraum, den wir uns selbst setzen, nicht verzichten können. Natürlich ist gemeinsamer Sport ein sehr wichtiges Thema, aber eben nicht insofern, als dass Behindertensportvereine zukünftig keine Aufgaben mehr haben.

Meine Damen und Herren, noch einmal: Ich glaube, wir können mit dem, was wir bisher geschaffen haben, wirklich in die Zukunft gehen. Die Tatsache, dass wir dieses Thema bisher im Plenum nicht behandelt haben, hängt mit einer sehr engen Zeitplanung zusammen. Ursprünglich sollte der Plan hier nach der Verabschiedung vorgestellt werden. Darauf haben wir verzichtet. Wir ziehen jetzt eine Zwischenbilanz.

Dass wir weiter vorankommen, wird auch daran deutlich, dass wir zukünftig in allen Regierungsbezirken ein Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben haben werden. Warum jetzt noch nicht? – Das kostet Geld. Wir werden Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds in die Hand nehmen, um hier flächendeckend ein wirklich gutes Kompetenzzentren-Netzwerk zu installieren, das auch ganz praktische Hilfen gibt, wenn es um Kontakte mit Behörden und andere Dinge geht. Das können Sie wunderbar in Köln oder in Dortmund, wo jetzt schon Kompetenzzentren tätig sind, nachvollziehen und sich erklären lassen.

Inklusion ist auch deshalb relativ kompliziert, weil wir es hier mit unterschiedlichsten Ebenen zu tun haben: mit der Ebene der Kommunen, der der kommunalen Spitzenverbände, der des Landes und der des Bundes. Da gibt es einen Bedarf an Abstimmungen, die Zeit in Anspruch nehmen. Und auch hier gilt: Lieber ein Gespräch mehr als ein Gespräch weniger. Die Ergebnisse, die über diesen Weg erzielt werden, sind dann vielleicht etwas besser, als wenn wir über Mehrheitsentscheidungen versuchen würden voranzukommen.

Ich kann Sie nur noch mal bitten, weiter mitzumachen. Ich verstehe, dass Opposition immer drängen muss. Das liegt in der Rolle der Opposition.

Im Übrigen, das mit der Belletristik für Insider – besser: Fachliteratur für Insider; Belletristik soll ja bekanntlich nicht nur den Menschen, die sich unmittelbar mit dieser Literatur beschäftigen, offenstehen, sondern da kann man auch mal etwas lesen, obwohl man nicht so drin ist. – Sie haben recht: Hier gibt es Vermittlungsprobleme. Deshalb haben wir unseren Plan ja auch in einfacher Sprache herausgegeben: damit Betroffene nachvollziehen können, was die Landesregierung hier will.

Also Ich nehme einige interessante Anmerkungen mit, verstehe natürlich das politische Spiel und hoffe, dass wir dennoch beieinander bleiben, um Inklusion voranzubringen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Doppmeier.

Ursula Doppmeier (CDU): Herr Minister Schneider, lassen Sie mich einen Konsens herausstellen – ich glaube, da spreche ich im Namen aller Abgeordneten hier –: Ich denke, unser aller Ziel ist es, Nordrhein-Westfalen zu einer inklusiven Gesellschaft zu entwickeln.

(Beifall von der CDU)

Da müssen wir sicherlich alle in der gleichen Richtung gehen. Nur die Frage ist: Gehen wir Trippelschritte oder nehmen wir die Meilenstiefel? Und genau das ist unsere Anregung. Wir sagen: Steigen Sie um vom Bummelzug in den ICE! Lassen Sie es mal ein bisschen fixer vorangehen!

(Beifall von der CDU – Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

– Das ist eine Tatsache. Aber man kommt schnell voran.

Lassen Sie mich ganz kurz – ich habe nicht mehr viel Redezeit – zu dem Thema „barrierefreies Wohnen“ sprechen. Wir hatten hier gestern ein Werkstattgespräch, in dem Menschen mit Behinderungen – an die 80 Menschen waren hier – uns gefragt haben: Warum passiert da nichts? Warum wird die Landesbauordnung nicht endlich so geändert, dass wir die Möglichkeit haben, schneller barrierefreie Wohnungen zu bekommen? Warum gibt es nicht bei den Kommunen ein Verzeichnis über Wohnungen, die barrierefrei sind?

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Das könnte ja vom Land festgelegt werden. Da wurde uns das Beispiel genannt, dass dann, wenn ein Behinderter, der die Wohnung für seine Bedürfnisse hat umbauen lassen, auszieht, ein Rückbau dieser Wohnung stattfinden muss. Auch das dürfte heutzutage nicht mehr sein.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Ein letztes Beispiel: Den energetischen Umbau von Wohnungen unterstützen wir überall landesweit und bundesweit. Warum können wir da nicht sagen, ein energetischer Umbau von Wohnungen muss immer mit einem barrierefreien Umbau von Wohnungen kombiniert sein? Dann wären wir schon ein großes Stück weiter.

Sie sehen: Es gibt ganz viele kleine konkrete Schritte. Wenn wir die wirklich gehen, dann, glaube ich, werden wir auch die Betroffenen viel mehr mitnehmen können und nach und nach eine größere Zufriedenheit erreichen, als wir sie bisher haben. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Doppmeier. – Nun habe ich auf der Rednerliste für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Scheffler.

Michael Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um gleich darauf einzugehen, was die Frau Kollegin Doppmeier gesagt hat: Für uns gilt auch bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ich warne da vor Schnellschüssen.

Die Koalitionsfraktionen wollen alle Menschen mitnehmen. Wir wollen vor allen Dingen auch die Menschen mit Behinderung mitnehmen. Dann reden wir lieber einmal mehr. Dann veranstalten wir lieber einen Termin mehr und machen eine Sitzung mehr und die Beteiligungsstrukturen stimmen, und alle sind hinterher mit im Boot, genauso wie wir im Landtag eigentlich wollen, dass alle Fraktionen mit im Boot sind.

Deswegen tut es mir leid, dass Sie heute hier einen Entschließungsantrag vorgelegt haben, der den Fraktionen bisher nicht bekannt war. Ich glaube, wir haben bisher als Koalitionsfraktionen noch kein Gespräch über das Thema „Inklusion und Rechte für Menschen mit Behinderung“ abgelehnt. Deswegen tut es mir leid, dass Sie diesen Schnellschuss hier in dieser Frage gemacht haben und nicht dafür gesorgt haben, dass wir ganz eng beieinander bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es mit der UN-Behindertenrechtskonvention doch darum geht, dass wir eine veränderte Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung bei allen Beteiligten hervorrufen und dass wir auch dafür sorgen, dass die alltägliche Gedankenlosigkeit, die leider Gottes immer wieder festzustellen ist, beseitigt wird. Wer glaubt, dass dies im Schnellzug, im ICE-Verfahren, möglich ist, der irrt, glaube ich.

Wir waren uns, als dieser Aktionsplan mit seinen 200 Projekten auf den Weg gebracht worden ist, von vornherein im Klaren, dass dies ein langer Prozess ist, dass der Zeit braucht und dass man hier auch dicke Bretter zu bohren hat und dass es nicht darum gehen kann, meine Damen und Herren, den Schalter umzulegen und zu sagen: Jetzt haben wir Inklusion. – Ich meine, das wäre genau der verkehrte Weg, wenn wir so tun würden, als wäre das alles möglich – ich sage das noch einmal –, ohne die Menschen mitzunehmen.

Wir haben natürlich in verschiedenen Fragen Probleme. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat auch schon vor vielen Monaten reagiert und darauf hingewiesen, dass wir natürlich Schnittstellenproblematiken haben, dass wir Veränderungen und eine stärkere Zusammenführung des SGB VIII, des SGB IX, des SGB XII und des SGB V brauchen. Das ist uns bewusst. Das können wir als Land Nordrhein-Westfalen aber nicht alleine lösen. Da ist es notwendig, dass der Bund auch mit im Boot ist.

Meine Damen und Herren, ich bin dem Kollegen Uli Alda sehr dankbar dafür, dass er in seiner Rede darauf hingewiesen hat, dass wir die Konsensorientierung hier im Landtag bei diesen Themen, die wir heute beraten haben, behalten sollten. Ich hoffe, dass uns dies auch in Zukunft gelingen wird. Ich kann nur sagen: Wir als SPD-Fraktion sind da guten Willens und werden auch künftig kein Gespräch absagen, das die anderen Fraktionen von uns einfordern.

Ich will zum Schluss den Schriftsteller William Faulkner zitieren, der sagte: Ein Mensch, der Berge versetzt, beginnt damit, indem er kleine Steine abträgt. – Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam kleine Steine abtragen, meine Damen und Herren, damit wir das große Ziel der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfa-len und auch darüber hinaus erreichen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Scheffler. – Für die grüne Fraktion hat noch einmal Frau Grochowiak-Schmieding das Wort.

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Doppmeier, mit Ihrer Forderung haben Sie mich doch gereizt, noch einmal ans Pult zu treten. Statt den Milchkannenexpress den ICE zu nehmen – das sagen Sie doch einmal vor Ort zum Beispiel den Trägern von Komplexeinrichtungen,

(Beifall von den GRÜNEN)

die seit Jahren damit kämpfen, wie sie sich umbauen, wie sie langsam, aber sicher mehr auf ambulante Wohnstrukturen, Wohnformen oder auch Arbeitsformen umschalten. Sagen Sie den Menschen, die dort leben und dort beschäftigt sind, mal, sie sollten jetzt in den ICE einsteigen. Ich glaube, da werden Sie ganz, ganz große Probleme bekommen. Auch hier müssen wir Sorgfalt vor Schnelligkeit walten lassen.

Wir müssen den Einrichtungen und den Menschen, die dort leben, also beiden, den Partnern in diesem Geschäft, die Möglichkeit geben, sich an den neuen Zeitgeist anzupassen, und das qualitativ gut und mit großer Sorgfalt, sodass die Menschen da nicht hinten herüberkippen, sondern wirklich an Lebensqualität dazu gewinnen. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nun spricht für die Piratenfraktion noch einmal Herr Kollege Fricke.

Stefan Fricke (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf ein Neues! Lieber Herr Schneider, welches Band meinen Sie? Ich würde mich freuen, mal etwas wirklich Konkretes aus Ihrer Hand zu bekommen. Wenn Sie sagen, der Weg ist das Ziel, dann sollte der Weg, da er ja für Menschen mit Behinderung geeignet sein sollte, zumindest schon mal trassiert worden sein, damit man ihn auch findet, vom Entfernen des Dornengestrüpps gar nicht zu reden. Da fahre ich dann einfach mal drüber hinweg.

Nun noch etwas, was ich vorhin ausgelassen habe: die Informationsplattform über die Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden. Unter dem Namen Signet „Barrierefrei NRW“ wurde eine Website geschaffen, die Menschen mit Behinderung eine Online-Überprüfung auf Barrierefreiheit ermöglichen soll.

Einmal ganz abgesehen davon, dass die Site selbst von Haus aus nicht barrierefrei ist – es werden zum Beispiel keine unterschiedlichen Schriftgrößen für Sehbehinderte angeboten, und das ausgerechnet unter einem Bild eines Taststocks –, gibt es dort auf einer Seite eine PDF-Datei zum Thema „Barrierefreies Bauen“ – den Link hierzu übersende ich Ihnen gern per Mail –, eine Broschüre zur Gestaltung von barrierefreien Gebäuden in NRW, zum Download, die selbst auch nicht barrierefrei ist. Ein Treppenwitz.

(Beifall von den PIRATEN)

Kann man den Unfug besser darstellen als in dieser Art? Ich denke, nicht.

Noch ein Joke am Rande: Genau aus dieser Broschüre geht auch hervor, dass nach den dort beschriebenen Richtlinien unser Haus – wie von mir vorhin schon erwähnt – nicht behindertengerecht ist, da es über kein wie in der Bauordnung vorgesehenes Blindenleitsystem verfügt.

Wir haben 50 eng beschriebene A4-Seiten mit Rechercheergebnissen, meine Damen und Herren, und das Ergebnis ist eine große, dicke und fette Null.

Jetzt komme ich zum Schluss. Es wurden hier sowohl von Minister Schneider, der Kollegin Doppmeier und vor allem von Manuela Grochowiak-Schmieding, die netterweise zugegeben hat, dass wir selbst im Vergleich mit Italien im Bereich der Inklusion der Entwicklung um 25 Jahre hinterherhinken, viele große und schöne Worte zu diesem Thema gemacht. Das bedeutendste Wort ist allerdings: „Inklusion fängt im Kopf an“. Das ist richtig. Wenn sie aber dort bleibt, existiert sie auch nur dort. Genau das sehen wir hier. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Fricke. – Für die FDP-Fraktion hat nun noch einmal Herr Kollege Alda das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich noch einmal kurz an den Minister wenden. Wir haben im Ausschuss häufiger zwiespältig über die Rolle der Opposition diskutiert. Wir sollten Ihnen vertrauen. Ich habe eben mehrmals deutlich gesagt: Wir sind als Opposition auch für die Kontrolle der Regierung da. Ich hoffe, Sie haben jetzt wahrgenommen, dass wir aus der Kontrolle heraus, indem wir Ihren Bericht gelesen haben, Vorschläge gemacht haben. Ich hoffe, es kommt einmal rüber, dass die von der Opposition auch aufgegriffen werden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich sprach vorhin auch über das Bewusstsein in der Bevölkerung. Ich möchte hierzu einen besonderen Punkt ansprechen und eine Anregung dazu geben. 60 % aller Behinderungen kommen erst nach der Schule. In diesem Hause und auch sonst beim Thema „Inklusion“ ist meistens die Schule im Fokus. Ich appelliere noch einmal an Sie: Nach der Schule kommen rein statistisch noch 60 Lebensjahre. Darum müssen wir uns kümmern. Wir müssen an die Arbeitgeberverbände herantreten, wir müssen schauen, wie es danach weitergeht. Denn wir können nicht sagen: Inklusion bedeutet Exklusion nach der Schule. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Alda. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Wir kommen damit zur Abstimmung des Entschließungsantrags der Fraktion der CDU Drucksache 16/6035. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? – Die SPD-Fraktion und die grüne Fraktion. Wer enthält sich? – Es enthält sich die Fraktion der Piraten. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/6035 mit großer Mehrheit abgelehnt, und ich schließe den Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

3   Gesetz zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5293

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6026

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5973

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5956

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5999

zweite Lesung

In Verbindung mit:

Ohne Fahrplan und ohne Ziel: Die Weiterentwicklung des KiBiz darf nicht verschleppt werden!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4577

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5974

Ich weise darauf hin, der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4577 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Ziffer b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und eine Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend liegen als Drucksache 16/5974 vor.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Jörg das Wort.

Wolfgang Jörg (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben als SPD-Fraktion in den letzten Monaten rund 80 Veranstaltungen mit 30 bis 40 Teilnehmerinnen im ganzen Land durchgeführt. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen, die an diesen Veranstaltungen teilgenommen haben, noch einmal recht herzlich bedanken bei den Erzieherinnen, bei den Eltern, bei den Trägervertretern, die ihre Freizeit geopfert haben, um mit uns zusammen eine gute Lösung für den zweiten Revisionsschritt zu finden.

Das waren sehr intensive Diskussionen. Es gab sehr viele Förderhinweise, und einige Förderhinweise haben wir aufgenommen – Sie finden diese in unseren Änderungsanträgen –, weil wir natürlich nicht argumentationsresistent sind, sondern es sehr dialogisch mit den Betroffenen gemacht haben. Es ist ein sehr guter Stil, den wir zum Thema „KiBiz“ – ich glaube, das kann ich auch für die Landesregierung sagen, liebe Ute Schäfer – sehr dialogisch weiterführen werden, weil wir mit diesem Schritt natürlich noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen sind.

Wir werden die Förderung jetzt nach den sozialen Umständen der Kitas ausrichten. Allein diese Umstellung kommt bei allen im Land schon sehr gut an. Wir werden „Delfin 4“ abschaffen und die Sprachförderung auf neue Füße stellen. Wir werden eine Planungsgarantie über zwei Jahre vergeben, und wir werden eine Personalpauschale von 2.000 € pro Jahr pro Gruppe geben.

In allen inhaltlichen Punkten gibt es in der Szene in ganz Nordrhein-Westfalen große Übereinstimmung, dass dieser neue Weg, dieser sozial ausgerichtete Weg der richtige Weg ist. Das ist zweifelsfrei als Ergebnis aus den Veranstaltungen mitzunehmen.

Die inhaltliche Kurskorrektur wird also sehr breit begrüßt – wenngleich ich hier nicht verheimlichen möchte, dass natürlich in den Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen auch immer der Wunsch geäußert wird, dass noch mehr kommen müsste. Aber das wissen wir auch.

Wir haben also die inhaltliche Kurskorrektur in Richtung mehr Chancengleichheit ausgerichtet. Das ist gut für Nordrhein-Westfalen. Das ist gut für die Kinder. Das ist ein weiterer Schritt, damit unsere Gesellschaft gerechter wird und damit auch die Kinder, die aus sozial benachteiligten Elternhäusern kommen, ein Stück mehr Chancen haben, ein selbstbestimmtes Leben mit einer guten Ausbildung zu führen. Darauf ist diese zweite Revisionsstufe ausgerichtet. Sie wird mehr Personal in die Einrichtungen bringen und mehr Qualität sicherstellen. Gerade dort, wo die sozialen Lasten am höchsten sind, wird es besonders viel mehr geben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Landesregierung hatte einen Vorschlag gemacht. Wir haben ihn breit und sehr detailreich diskutiert. Bei dieser Diskussion haben wir einige Förderhinweise bekommen, die wir auch umgesetzt haben, weil wir Argumentationen nachvollziehen konnten und gesehen haben: Ja, das war im ersten Schritt nicht ganz 100%ig. – Deshalb haben wir dort nachkorrigiert.

Beispielsweise konnte uns der Landeselternbeirat glaubhaft versichern, dass er mit dem Etat, den wir bislang zur Verfügung gestellt haben, nicht auskommt. Wir werden diesen Ansatz um 50 % erhöhen, weil wir die Elternmitwirkung und die Elternverantwortung in den Einrichtungen stärken wollen. Das haben wir in unseren Änderungsantrag aufgenommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist für die Eltern ganz wichtig. Ich finde es großartig, dass sich im ganzen Land die Elternbeiräte bilden. Dies war im ersten Revisionsprozess schon ein großer Schritt. Das trägt wirklich Früchte. Es ist wirklich schön, zu sehen, dass Eltern mit anpacken und versuchen, ihre Kita nach vorne zu bringen. Wunderbar! Dafür geben wir noch einmal 50 % mehr.

Wir wollen – das war nicht ganz deutlich; deshalb verdeutlichen wir es jetzt noch einmal – die Kinderrechte und den Kinderschutz besonders hervorheben. Das können Sie unseren Änderungsanträgen entnehmen. Darauf werden wir als Rot-Grün einen besonderen Schwerpunkt setzen. Deshalb haben wir das noch einmal herausgearbeitet.

Wir nehmen den Begriff „interkulturelle Kompetenz“ noch einmal auf, weil wir wissen, dass in den Einrichtungen natürlich der Grundstein für Respekt und Akzeptanz der verschiedenen Kulturen und den Umgang damit gelegt wird. Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass der Begriff „interkulturelle Kompetenz“ gefüllt wird. Das beginnt im Kindergarten. Es beginnt mit der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen. Ich glaube, dass es aller Ehren wert ist, das auch ausführlich in einem Gesetz zu beschreiben. Das tun wir auch im Sinne des Änderungsantrags.

Wir werden die Personalausstattung in Wald-Kitas besser absichern. Auch das ist wichtig. In der Diskussion haben wir gesehen, dass sie strukturell mit dem zweiten Revisionsschritt benachteiligt wären. Das hat man uns gut und glaubhaft erklären können. Wir können es nachvollziehen. Daher werden sie jetzt noch einmal personell gestärkt. Ich glaube, dass das auch ein guter Weg ist.

Wir haben geklärt, dass die Zuschüsse für Personal, die wir jetzt gewähren, auch ausschließlich für Personal eingesetzt werden dürfen und nicht der Rücklage zugeführt werden dürfen, was einige findige Träger offenbar schon beabsichtigt hatten. Wir garantieren den Kolleginnen und Kollegen vor Ort also, dass das gesamte Geld, das wir jetzt in die Hand nehmen, auch tatsächlich in den Einrichtungen ankommt, und zwar für mehr Personal und damit verbunden hoffentlich auch für mehr Qualität und Entlastung der Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben die zuerst geplante Nivellierung der zusätzlichen U3-Pauschale wieder gestrichen. Wir werden wieder zu der alten Fassung zurückkehren, sodass für Betreuungszeiten von 25, 35 und 45 Stunden auch unterschiedliche Beiträge zur Förderung bereitstehen, weil wir gemerkt haben, dass die Einrichtungen, die besonders viele 45-Stunden-Anteile haben, dadurch strukturell benachteiligt wären. Das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen, dass gerade die Einrichtungen, die diese Angebote haben, nach wie vor finanziell so ausgestattet sind, dass sie ihre Aufgaben auch bewältigen können. Daher glaube ich, dass diese Korrektur auch im Sinne der Einrichtungen und im Sinne der Träger ist.

Wir haben lange über ein Thema diskutiert, das wir schon beim letzten Tagesordnungspunkt behandelt haben, nämlich die Inklusion, und zwar hier bezogen auf behinderte Kinder in der Tagespflege. Wie sieht es da aus? Wie sind sie verankert? Wie sind die Zuschüsse?

Wir sind nach längeren Diskussionen mit den Betroffenen zu dem Entschluss gekommen, dass wir bei der Tagespflege die gleichen Zuschüsse zahlen müssen wie bei den Kitas. Wir werden jetzt die 3,5?fache Pauschale für Kinder mit Behinderungen auch in der Kindertagespflege durchsetzen. Es ist ein wichtiges Zeichen und ein wichtiger Schritt, dass wir das im Dialog verstanden haben und dass wir das auch umsetzen, damit die Kinder mit Behinderungen in der Kindertagespflege genauso behandelt werden wie in den Kindertageseinrichtungen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben sehr viele Hinweise aufgenommen. Ich kann heute auf jeden Fall für die gesamte SPD-Fraktion, aber sicherlich auch für Rot-Grün insgesamt sagen, dass der zweite Schritt eine Kurskorrektur in eine inhaltlich richtige Richtung ist. Die wollen wir gemeinsam. Wir wollen Ungleiches ungleich fördern. Das haben wir hinbekommen. Wir haben es sehr dialogisch in der Reflexion mit den Betroffenen gemacht und haben viele Hinweise in die Gesetzgebung eingebaut.

Nun kommen wir zum zweiten Schritt mit noch einmal 100 Millionen € für die Kitas. Das wird eine Menge an Entlastung für die Einrichtungen bedeuten – gerade für diejenigen, die unter sehr schwierigen sozialen Bedingungen arbeiten müssen. Meine Damen und Herren, das ist aller Ehren wert, glaube ich. Das ist ein weiterer großer Schritt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aber nicht aufhören, sondern werden perspektivisch weiter die Situation in den Einrichtungen verbessern. Wir brauchen jetzt noch einmal Luft.

Ich will durchaus darauf hinweisen – denn das ist an dieser Stelle doch erwähnenswert –, dass seit 2010 die Landesregierung die einzige Institution ist, die überhaupt noch Geld in dieses System steckt – bzw. der Landtag Nordrhein-Westfalen mit Rot-Grün. Die Landesebene investiert seit 2010 alleine. Die Träger ziehen sich mit dem Argument zurück: Wir haben kein Geld mehr; wir können nicht investieren. – Die Kommunen haben sich mit dem Argument zurückgezogen: Wir haben kein Geld mehr; wir können nicht investieren. – Mit dem gleichen Recht könnte auch das Land argumentieren: Wir haben kein Geld mehr; wir können nicht investieren.

Wir haben aber gesagt: Das geht nicht. Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen jetzt die Chancen der Kinder in unserem Land bewahren. Denn jeder Euro, den wir in diesem Bereich investieren, ist gut angelegtes Geld. Er wird sich drei- bis vierfach für unser Land rentieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von daher rufe ich die Kommunen auch von dieser Stelle aus auf, sich auf ihre Verantwortung zu besinnen, sich wieder mit uns an den Tisch zu setzen und noch einmal grundsätzlich über die Struktur des sogenannten Kinderbildungsgesetzes nachzudenken. Das ist von ganz entscheidender Bedeutung. Kein Akteur – weder die Träger, weder die Kommunen noch das Land – wird die Situation allein grundständig verbessern können. Das können wir nur zusammen.

Von daher ist es auch ein Appell an die CDU: Wirken Sie auf Ihre Kommunalpolitiker ein! Üben Sie Druck aus! – Sie müssen sich mit uns wieder an einen Tisch setzen. Wir wollen das gerne auch mit der Bundesregierung machen, weil auch die mit an diesen Tisch gehört. Wenn alle Akteure bereit sind, einen Beitrag zu leisten, dann werden wir im nächsten Schritt eine grundständige Revision des Kinderbildungsgesetzes hinbekommen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich, dass wir heute einen so großen Schritt für die Kinder in unserem Land machen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Jörg. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Tenhumberg.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wolfgang Jörg, ich bin schon etwas verwundert, dass Sie sich mit so wenig Erkenntnisgewinn hier ans Podium stellen, wenn Sie so viele Veranstaltungen im Lande Nordrhein-Westfalen besucht haben. Dann sagen Sie auch noch, Sie hätten die Hinweise aufgenommen. Das haut einen um.

(Beifall von der CDU)

Aufgrund der vielen von Ihnen geführten Gespräche beziffern Sie den Änderungsbedarf auf 5.000 €. Das definieren Sie mit 50 % mehr für den Landeselternrat und mit einigen anderen kleineren Korrekturen. Das soll der große Wurf sein? Das ist bitter wenig. Sie sollten die beteiligten Personen in den Veranstaltungen etwas ernster nehmen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Da schließe ich auch die Experten ein, die hier im Landtag mit Ihnen und uns diskutiert haben.

(Zuruf von der SPD: Wie viele Änderungsvorschläge haben Sie denn gemacht?)

Sie haben gerade gesagt, Sie wollen nicht in Ihrem Bestreben aufhören, die Situation zu verbessern. Ich weiß aus gemeinsamen Sitzungen – insbesondere aus der Erfahrung in der Enquetekommission ?, dass wir mit diesem Gesetzentwurf keinen großen Schritt nach vorne machen, wie wir ihn eigentlich erreichen wollen. Es ist ein Minimalschritt – und das auch noch mit der falschen Prioritätensetzung. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.

(Ingrid Hack [SPD]: Dann wissen wir ja jetzt, was für die CDU minimal ist!)

Herr Jörg, es ist anmaßend, wenn Sie sich hinstellen und sagen, das Land Nordrhein-Westfalen sei seit 2010 das Einzige, das noch investiv und konsumtiv im Kitabereich etwas täte.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Frau Beer, das ist eine Verkennung der Realität. Entschuldigen Sie bitte, aber die Grünen sind in dieser Hinsicht ganz weit von den Realitäten weg. Sie führen auch nicht die Gespräche; das macht anscheinend nur Herr Wolfgang Jörg.

(Beifall von der CDU)

Lieber Kollege Wolfgang Jörg, bei uns funktioniert das nicht mit Druck. Das will ich Ihnen sagen. Wir brauchen keinen Druck auf unsere Kommunalpolitiker auszuüben. Wir machen das mit unserer Überzeugungskraft.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, im Gegensatz zu Ihnen brauchen wir diesen Druck nicht, weil wir überzeugende Argumente dafür haben, damit die kommunale Gemeinschaft ebenso wie die Träger – insbesondere die großen Kirchen – erhebliche Anstrengungen im Kitabereich übernimmt. Sehen Sie sich die freiwilligen Leistungen von Trägern und Kommunen doch einmal in der Realität an! Hätten sie den Bund nicht, würden sie gar nichts zustande bekommen.

Ich möchte eines vorweg nehmen. Nach Aussagen der Experten in der Anhörung ist der vorgelegte Gesetzentwurf nicht geeignet, die Situation der Träger von Kindertageseinrichtungen zu verbessern, nicht geeignet, die Zukunftschancen von Kindern zu verbessern und nicht geeignet, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Im Gegenteil! Sie schaffen den Anspruch auf individuelle Bildung im Kitabereich ab. Vor diesem Hintergrund ist der Spruch der Ministerpräsidentin „Kein Kind zurücklassen“ nur eine PR-Aktion ohne Inhalt und Substanz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Art und Weise, in der Sie dieses Gesetz wieder einmal durchgepeitscht haben, entspricht auch nicht dem, was man zugesagt und versprochen hatte.

(Zuruf von der SPD)

Ich erinnere: Ein Referentenentwurf wurde für Sommer 2013 versprochen, aber nicht eingehalten. Dann wurde er für Herbst 2013 versprochen und nicht eingehalten. Zur Verbändeanhörung wurde der Referentenentwurf am 17. Dezember übersandt – natürlich schön vor den Weihnachtsferien. Die Abgabefrist für eine Stellungnahme lief über Weihnachten und Neujahr am 24. Januar aus usw. Vorgelegt wurde der Entwurf dem Parlament mit Zeitverzögerung, dies allerdings mit Zustimmung, weil Sie es sonst gar nicht auf die Reihe bekommen hätten. Wir hatten kaum Zeit, den Gesetzentwurf durchzulesen.

(Zuruf von Ingrid Hack [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

Das nenne ich keinen kollegialen Umgang mit Blick auf Gesetzentwürfe. Eine sachorientierte und fachliche Diskussion war somit überhaupt nicht gewährleistet.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nur weil Sie überfordert sind! – Zuruf von der SPD: Das ist doch lächerlich!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das einzig Gute an diesem Verfahren war, dass der Stenografische Dienst dieses Landtags innerhalb von 24 Stunden das Protokoll der Anhörung zur Verfügung stellte. Ein Kompliment geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stenografischen Dienstes dieses Hauses!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Würde der rot-grüne Gesetzentwurf eine Klassenarbeit darstellen, müsste man ihn nach Auswertung der Anhörung mit einer Sechs bewerten.

Nun weiß ich, dass die Fraktion der Grünen solche Anhörungen immer wieder völlig anders interpretiert. Das mag daran liegen, dass die Grünen viele Sachen einfach nicht lesen. Oder es mag an der ideologischen Brille liegen, die die Grünen beim Thema „Frühe Bildung und Kita“ aufhaben. Dies geschieht leider zum Schaden einer ganzen Kitageneration, wie wir auch heute feststellen werden. Sie gehen nach dem Motto vor „Das mag alles wohl stimmen, aber wir sehen es anders.“ Es ist keine saubere Politik, die Lebenswirklichkeit auszublenden, meine Damen und Herren von den Grünen.

Was steht nun eigentlich im Gesetz? Der größte Teil der 100 Millionen €, nämlich 55 Millionen €, geht in die Verfügungspauschale, die vorrangig für zusätzliche Hauswirtschaftskräfte gezahlt werden soll. Umgerechnet sind das pro Arbeitstag 7,69 €.

Damit soll Qualität finanziert und bezahlt werden? Das ist deutlich unter Mindestlohn-Niveau. Herr Minister Schneider, was sagen Sie eigentlich als Gewerkschafter dazu? Was sagen wir beide dazu? Wir können das doch nicht mittragen. 7,69 € im Kitabereich, um damit Qualität zu finanzieren? – Ich finde, Herr Minister, auch darüber sollten Sie mit Ihrer Kollegin einmal sprechen, wie das beim Anspruch einer vernünftigen Qualität eigentlich umgesetzt werden kann.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Rechnen kann er auch nicht!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Beer?

Bernhard Tenhumberg (CDU): Bitte schön.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr freundlich von Ihnen. Bitte, Frau Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Lieber Kollege Tenhumberg, das finde ich ganz prima. Ich höre Ihnen mit großer Aufmerksamkeit zu. Deswegen würde ich jetzt gerne im Hinblick auf die kritische Würdigung der Anhörung, die Sie hier bereits ausgeführt haben, fragen: Wie beurteilen Sie eigentlich die Grundanlagen und die Defizite von KiBiz, die ja durch Herrn Laschet in der Zeit von Schwarz-Gelb hier angelegt worden sind? Und was präsentieren Sie uns denn heute als Haushaltsantrag der CDU? Was möchten Sie in das KiBiz zusätzlich investieren?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bernhard Tenhumberg (CDU): Liebe Frau Kollegin, ich möchte bei Ihnen persönlich nicht unterstellen, dass Sie unsere Anträge nicht gelesen haben. Aber ich verweise auf drei Anträge: den vom Dezember, den vor der Beratung und den heute eingereichten Antrag.

(Zurufe von Sigrid Beer [GRÜNE] und Andrea Asch [GRÜNE])

Wenn Sie insbesondere den letzten Satz deutlich lesen, wissen Sie genau die Konzeption. Im Übrigen: Die Interpretationen von Ihnen aus den Anhörungen kann ich nicht nachvollziehen. Nennen Sie mir doch aus dieser Anhörung einmal irgendjemanden – auch aus dem Protokoll; Sie können es gerne nachlesen –, der gesagt hat: Wir wollen dieses KiBiz nicht.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Keiner hat es gesagt, keiner will zurück zum GTK. Es geht um die Weiterentwicklung des Kinderbildungsgesetzes.

(Beifall von der CDU)

Es muss mit Inhalt gefüllt werden, und es muss Qualität, Qualität, Qualität festgeschrieben werden. Das machen Sie nicht; das ist unser Vorwurf.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, gleichzeitig wollen Sie mit dem Rechtsanspruch auf ein Mittagessen für etwa 90 % der Kitakinder das Angebot ausweiten, aber nur 7,69 € pro Tag bezahlen, und das alles vor dem Ergebnis der Studie der Bertelsmann Stiftung, dass in vielen Einrichtungen überhaupt keine geeigneten Küchen und keine Speiseräume vorhanden sind.

(Walter Kern [CDU]: Ja, das ist die Wahrheit!)

Meine Damen und Herren, mit dem neuen Förderinstrument „plusKITA“ wollen Sie benachteiligte Sozialräume wie bei den Familienzentren fördern. Von den über 9.000 Kitaeinrichtungen erhalten nur 1.800 Einrichtungen diese Mittel. Mehr als 80 % der Einrichtungen, vorrangig im ländlichen Raum, bekommen gar nichts. Sie gehen leer aus,

(Jochen Ott [SPD]: Die Mittel gehen dahin, wo die sozialen Probleme sind!)

obwohl auch hier zusätzlicher Bedarf besteht. 20 % bekommen etwas, 80 % werden allein gelassen.

(Zuruf von der SPD: Ungleiches wird ungleich behandelt!)

Das nenne ich ungerecht und unfair gegenüber Eltern, Kindern und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Tageseinrichtungen.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, für die Sprachförderung soll in Zukunft etwas weniger Geld zur Verfügung gestellt werden. Das hört sich erst einmal nicht sehr dramatisch an.

(Zurufe von Sigrid Beer [GRÜNE] und Andrea Asch [GRÜNE])

Aber Sie hebeln mit Ihrem Gesetz den individuellen Anspruch auf Sonderförderung aus. – Frau Asch, Ihre Zwischenrufe veranlassen mich, wieder darauf hinzuweisen: Lesen Sie doch endlich einmal den Haushaltsplan! Im Haushaltsplan stehen 27,6 Millionen €.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Sie reden jetzt hier über 25 Millionen €. Und wenn ich heute sage „etwas weniger Mittel“ dann sind diese über 2 Millionen € „etwas weniger Mittel“. Nehmen Sie das bitte einmal zur Kenntnis!

(Weiterer Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

– Aber okay, Sie wollen das nicht zur Kenntnis nehmen. Die Wirklichkeit auszublenden, ist auch kein Mittel, um die Situation zu verbessern.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich war bei der Sprachförderung. Für die Sprachförderung sollen also etwas weniger Mittel zur Verfügung gestellt werden. Sie hebeln damit den Grundsatz des individuellen Anspruchs auf Sprachförderung aus. 50 % der Einrichtungen gehen leer aus, obwohl auch hier viele Kinder sind, die einen anerkannten Förderbedarf haben. Das nenne ich ebenfalls ungerecht. Es dient nicht der Chancengleichheit und widerspricht dem Anspruch „Kein Kind zurücklassen!“

Was steht nun nicht im Gesetz? – Das Problem der Nichtauskömmlichkeit des heutigen Finanzierungssystems wird nicht gelöst. Sie verweigern sich einer angemessenen Neuregelung zum Beispiel über einen Lohnkostenindex. Die übermäßige Belastung der Erzieherinnen und Erzieher wird durch weitere Arbeitsverdichtung zusätzlich verschärft und wird zu noch höheren Krankheitsständen führen. Durch neue Verwendungsnachweise und Dokumentationspflichten erhöhen Sie massiv den Verwaltungsaufwand, was gleichzeitig zu einer Reduzierung der pädagogischen Arbeit am Kind und der Elternarbeit führt.

Das Katholische Büro drückt es in seiner Stellungnahme wie folgt aus:

„Zentraler Punkt eines Gesetzes zur Regelung von Fragen im Zusammenhang mit Kindertageseinrichtungen muss das Wohl des Kindes sein. Wie dem mit einem im Regierungsentwurf angelegten deutlich steigenden Trägerrisiko und erheblichem Mehraufwand durch weitere … Verwendungsnachweise Rechnung getragen werden soll, erscheint nicht nachvollziehbar.“

Meine Damen und Herren, das ist ein vernichtendes Urteil. An dieser Stelle müssten Sie eigentlich den Gesetzentwurf zurückziehen. Tun Sie es!

(Beifall von der CDU)

Sie tun uns allen damit einen Gefallen, den Kindern und den Eltern dieses Landes besonders. – Danke.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Asch das Wort.

Andrea Asch (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Liebe Besucherinnen! Herr Tenhumberg, Ihr Vortrag hat mich an eine Situation erinnert, die wir vor ungefähr drei Wochen in Dortmund hatten. Dort gab es eine Diskussion anlässlich des Kitaleitungskongresses. Es waren mehrere Hundert Kitaleiterinnen und -leiter im Saal. Dort haben Sie ähnlich vorgetragen. Herr Tenhumberg, Sie erinnern sich gut, was Sie geerntet haben: Sie haben höhnisches Gelächter bei den Kitaleitungen geerntet.

(Beifall von der SPD)

Wir wissen natürlich, dass Sie sich in einer schwierigen Situation befinden. Sie tragen die Verantwortung für das grundlegende Gesetz, und gleichzeitig bemühen Sie sich jetzt krampfhaft, uns bei unseren notwendigen Reformschritten irgendwie am Zeug zu flicken. Heraus kommt eine völlig übertriebene, aufgeplusterte Fundamentalkritik, die wir eben gehört haben. Das ist einfach nicht ernst zu nehmen; das ist keine seriöse Oppositionsarbeit, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nicht ernst zu nehmen sind auch Ihre Anträge, die Sie hier vorgelegt haben. Wir waren ja alle gespannt. Ich kann mich erinnern: Bei der Einbringung habe ich – und das haben auch Kolleginnen und Kollegen wie Britta Altenkamp und Herr Jörg getan – meine Rede mit der Spannung darauf beendet, wie Sie denn, wenn Sie das so kritisch sehen, was wir hier an Reformschritten unternehmen, Ihre Kritik in Veränderungsanträge einmünden lassen.

Und was finden wir vor? Was mussten wir im Ausschuss entgegennehmen? Diese Anträge haben den Charakter von „Wünsch dir was“-Politik: Wir wollen die Kitas schöner und besser haben. – Sie haben keine konkrete Maßnahme vorgeschlagen geschweige denn, dass Sie in irgendeiner Form beziffert hätten, wie Sie denn das, was Sie alles schöner und besser machen wollen, bezahlen wollen. Das ist nicht nur unseriöse Oppositionspolitik, das ist zutiefst unseriöse Haushaltspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Sie haben weder eine Kostenkalkulation für das, was Sie blumig beschreiben, noch haben Sie Deckungsvorschläge. In den Haushaltsdiskussionen, die Sie unter den Finanzpolitikern führen, wird klar die Intention der CDU-Fraktion deutlich. Die Intention ist nicht, mehr Geld in die Kitas zu geben. Die Intention ist, den Haushalt bei der Bildung zu begrenzen und auch noch bei der Bildung zu sparen. Man muss sich nur einmal Ihre Haushaltsanträge durchlesen. Der Antrag von 2011 ist der klarste. Darin wollten Sie 250 Millionen € von dem wegstreichen, was wir als rot-grüne Koalition an Verbesserung in den Kitas eingeführt hatten. Das ist die Realität. Das ist die konkrete Politik der CDU-Fraktion.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, wir von Rot-Grün gehen anders vor. Mit diesem Gesetzentwurf legen wir die zweite Revisionsstufe des Kindergartengesetzes in Nordrhein-Westfalen vor und bringen sie auf den Weg. Ich kann wiederholen, was Kollege Jörg gerade gesagt hat. Wir haben das in einem sehr breiten Beteiligungsprozess getan. Wir – sowohl Rot als auch Grün – haben unzählige Gespräche geführt mit Erzieherinnen und Erziehern, mit allen Akteuren, die in diesem Feld beteiligt sind. Wir haben gut zugehört. Wir haben übrigens auch bei der Sachverständigenanhörung sehr gut zugehört.

Eines ist klar und einhellige Rückmeldung, die wir erhalten haben sowohl in unseren Gesprächen als auch von den Sachverständigen: Rot-Grün ist mit dieser Gesetzesreform auf dem richtigen Weg. Die vorgenommenen Veränderungen sind notwendig und richtig. Das ist die einhellige Rückmeldung. Das können Sie nachlesen in den Stellungnahmen der Sachverständigen. Es wurde von allen so formuliert.

Ich möchte es kurz nennen. Die vielen Verbesserungspunkte kann man hier gar nicht im Einzelnen aufführen. Dafür reicht meine Zeit leider nicht. Die Verfügungspauschale, für die wir 55 Millionen € mehr in die Hand nehmen, kann auch für Hauswirtschaftskräfte eingesetzt werden. Es ist uns nach der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Ergebnisse der Bertelsmann-Studie am Montag besonders wichtig, dass ein gesundes, frisch gekochtes Mittagessen in den Einrichtungen vorgehalten oder angeboten werden kann. Auch dazu sind diese 55 Millionen € jetzt einzusetzen. Das ist eine Qualitätsverbesserung, die den Kindern direkt zugutekommt.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Zur Bildungsgerechtigkeit: Mit der „plusKITA“ schaffen wir mehr Gerechtigkeit gerade für die benachteiligten Kinder. Wir schaffen mehr Fördermöglichkeiten. Wir wissen, dass wir damit einen Schritt gehen, um die Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen abzubauen.

Zur Sprachförderung: Auch Herr Tenhumberg weiß, dass überall gejubelt wird, dass wir endlich diesen Schritt gehen, dieses unsinnige Verfahren „Delfin 4“ abzuschaffen, bei dem die Stressresistenz oder die Tagesform der Kinder getestet wird, wir aber keine validen Aussagen über den Sprachstand der Kinder haben.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)

Das machen wir jetzt im Alltag. Wir geben es in die Hände der Erzieherinnen und Erzieher, da, wo es hingehört. Alle Sachverständigen haben das ausdrücklich begrüßt.

Wir haben die Anhörung genutzt, um uns weitere Anregungen geben zu lassen. Wir haben einige Punkte in unseren Änderungsantrag aufgenommen. Das ist die Stärkung der Waldkindergärten. Das ist vor allen Dingen die Inklusion in der Kindertagespflege. Das kam überhaupt nicht vor. Im KiBiz hat es überhaupt keinen Niederschlag gefunden. Das werden wir jetzt mit dem 3,5-fachen Satz angehen. Wir werden die Elternmitwirkung nochmals stärken.

Alles das sind Punkte, von denen wir gesagt haben: Wir lernen. Wir nehmen das auf, was uns die Sachverständigen mitgegeben haben. Es sind noch einige mehr. Wir müssten eigentlich Applaus von den Piraten bekommen. Herr Wegner, Sie haben in der ersten Debatte bei der Einbringung des Antrags angeregt, die Kinderrechte explizit aufzunehmen und sie nicht nur zu beschreiben. Auch das haben wir getan.

Das ist uns besonders wichtig, weil wir darauf stolz sind. Wir sind stolz darauf, dass wir in Nordrhein-Westfalen die Kinderrechte in der Landesverfassung verankert haben. Wir würden uns wünschen, dass das im Bund im Grundgesetz auch so nachvollzogen wird. Aber leider scheitert das wieder einmal an der CDU-Fraktion.

Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesetz, das wir hier auf den Weg bringen. Wir wissen, es ist ein weiterer Schritt. Wir sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Wir brauchen, um weitere Schritte gehen zu können – auch das ist allen klar, die sich seriös an dieser Debatte beteiligen –, die Unterstützung vor allem des Bundes und auch der Kommunen, damit wir weiter gemeinsam daran arbeiten können, dass die frühkindliche Bildung tatsächlich den Stellenwert erhält, den sie in unserer Gesellschaft verdient, und vor allem im Interesse unserer Kinder. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Hafke das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist heute kein glücklicher Tag für die Kinder und Familien in Nordrhein-Westfalen. Es geht heute um das zentrale Vorhaben dieser Landesregierung in dieser Legislaturperiode, nämlich darum, kein Kind zurückzulassen.

Wir müssen nach vier Jahren rot-grüner Regierungszeit feststellen, dass Sie damit gescheitert sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben vier Jahre Zeit gehabt, das Kinderbildungsgesetz zu evaluieren und sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. Das haben Sie nicht gemacht. Sie machen die zweite Reform aus dem Bauch heraus. Wenn man etwas aus dem Bauch heraus macht, geht es meistens schief. Leider werden Sie heute diese schiefe Politik auch beschließen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Dieses Gesetz peitschen Sie in zwei Monaten durch das Parlament. Sie nehmen die Beratungen, die in den letzten Wochen und Monaten stattgefunden haben, nicht ernst. Das, was die Experten in der Anhörung auf den Tisch gelegt haben, findet kaum Berücksichtigung in den Änderungsanträgen. Ich glaube, dass das heute ein Schritt in die falsche Richtung ist.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Jörg und Frau Asch haben es eben wieder angesprochen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Sie reden immer noch vom schwarz-gelben Kinderbildungsgesetz. Ich frage mich, wann Sie verstehen, dass Sie seit vier Jahren regieren und dass das nun ein rot-grünes Kinderbildungsgesetz ist, über das wir reden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben das schwarz-gelbe Kinderbildungsgesetz nicht verbessert, sondern in vielen Bereichen verschlechtert.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Das ist leider der Fakt, über den wir hier reden. Nehmen Sie einmal das ernst, was Sie von den Erzieherinnen und Erziehern, von den Kitaleitungen, von den Trägern in diesem Land hören. Lesen Sie die Anträge von CDU und FDP. Dort sind die Probleme vor Ort ernsthaft beschrieben. Man kann das tatsächlich umsetzen.

(Zuruf von der SPD)

Frau Beer, Sie müssen Ihre eigenen Ansprüche an der Kritik messen lassen, die Sie in den ganzen Jahren geübt haben, als wir regiert haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)

Sie, Frau Beer, sind im Ergebnis an jedem Punkt gescheitert. Ich möchte das auf den Punkt bringen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hafke, bevor Sie es auf den Punkt bringen, frage ich Sie, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jörg zulassen.

Marcel Hafke (FDP): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Wolfgang Jörg (SPD): Herzlichen Dank, lieber Marcel Hafke, dass Sie mir die Möglichkeit einräumen, eine Zwischenfrage zu stellen. Wenn ich richtig informiert bin, kommen Sie aus der Stadt Wuppertal. Wuppertal ist ja eine Stadt, die mit vielen sozialen Problemen belastet ist. Die Stadt Wuppertal bekommt jetzt durch den zweiten KiBiz-Revisions-schritt rund 1,4 Millionen € mehr. Empfinden Sie das als große Belastung?

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Marcel Hafke (FDP): Herr Jörg, das große Problem ist, dass während der Regierungszeit der SPD in den 80er- und 90er-Jahren

(Zuruf von der SPD)

die kommunale Landschaft finanziell ausgeblutet wurde, sodass eine Stadt wie Wuppertal im Moment in so einer Haushaltsschieflage ist, dass sie keine Investitionen im U3-Bereich vornehmen kann. Das ist die derzeitige Lage.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben in Ihrer Verantwortung für Nordrhein-Westfalen den großen Fehler gemacht.

Da Sie die finanzielle Situation angesprochen haben, möchte ich es auf den Punkt bringen:

Der erste Anspruch, Herr Jörg, den gerade Sie immer wieder nennen, ist die finanzielle Entlastung vor Ort. Sie nehmen jetzt eine Verfügungspauschale von 55 Millionen € und 45 Millionen € für die plusKITAs. Das hört sich wunderbar an. Ganz toll! Aber was heißt das denn konkret, wenn Sie 55 Millionen € mit der Gießkanne ausschütten? Wir haben 9.300 Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Was ist Ihr Vorschlag, Herr Hafke?)

Das bedeutet durchschnittlich 500 € monatlich pro Kita. Davon kann eine Kita noch nicht einmal eine 450-€-Kraft einstellen. Was ist das denn für eine Entlastung? Das kompensiert noch nicht einmal die gestiegenen Personalkosten der letzten Jahre. Das heißt, mit diesem Anspruch sind Sie schon einmal gescheitert.

(Beifall von der FDP)

Zweitens. Sie haben gesagt, Sie wollten die Erzieherinnen entlasten. Sie geben – das gestehe ich ein – etwas mehr Geld in die Kitas. Auf der anderen Seite packen Sie aber den Erzieherinnen in den Kitas neue Aufgaben auf den Schoß, nämlich die Dokumentationspflichten. Ich habe es bereits bei der Einbringung gesagt: Demnächst haben wir eine Dokumentation wie im Altenheim.

(Britta Altenkamp [SPD]: Schwachsinn! Sie wissen nicht, worüber Sie reden!)

Neue Aufgaben, mehr Bürokratie und zusätzliche Aufgaben wie die Sprachförderung werden den Erzieherinnen auferlegt.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das wird im Ergebnis zu einem Praxisschock führen. Das haben Ihnen, Frau Altenkamp, die Erzieherinnen in der Anhörung auch mit auf den Weg gegeben. Auch in diesem Punkt sind Sie also gescheitert.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, wieder gibt es den Wunsch, Sie befragen zu dürfen, diesmal vonseiten der Frau Kollegin Asch. Lassen Sie die Frage zu?

Marcel Hafke (FDP): Gerne, Frau Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Hafke, für die Möglichkeit, Sie zu fragen.

Erstens. Ist Ihnen bekannt, dass die Bildungsdokumentation von Ihnen selbst, nämlich der FDP- und der CDU-Fraktion, im KiBiz verankert wurde und dass sich der damalige Landesminister Armin Laschet immer damit gerühmt hat, dass jetzt zum ersten Mal diese Dokumentation vorgenommen werden muss?

Zweitens. Wenn Ihnen das alles zu wenig ist, was wir machen, dann frage ich Sie: Was ist Ihr konkreter Vorschlag? Was schlagen Sie vor, außer das zu kritisieren und herumzumäkeln? Wie viel Geld wollen Sie als FDP-Fraktion denn in die Hand nehmen, um die Kitas besser aufzustellen?

Marcel Hafke (FDP): Frau Asch, es ist schon hochinteressant, dass Sie aus einer Frage immer zwei machen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Bei der Einführung des Kinderbildungsgesetzes, bei dem Systemwechsel, war doch nicht alles richtig. Das hat doch niemand hier gesagt.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN. Ah!)

– Frau Asch, hören Sie eigentlich auch einmal zu? Das sage ich jetzt seit vier Jahren.

(Beifall von der FDP)

Und seit vier Jahren sage ich Ihnen auch, dass die Bürokratie in den Kitas abgebaut werden muss. Sie jedoch machen genau das Gegenteil, indem Sie neue Aufgaben und neue Bürokratien in die Kitas bringen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jede zusätzliche Pauschale ist mit Bürokratie belegt. Statt einfach die Kindpauschalen zu erhöhen – das war unser Vorschlag – und mit einem Lohnindex zu versehen, damit es tatsächlich eine Verbesserung gibt, führen Sie zusätzliche Pauschalen ein, und die Erzieherinnen müssen das zusätzlich mit abarbeiten, und das für 500 € mehr im Monat. Das ist doch ein Witz!

(Beifall von der FDP)

Frau Asch, Sie reden und reden und reden seit Jahren. Seit vier Jahren haben Sie die Chance, das zu verändern. Ich fände es richtig, wenn Sie das, was Sie hier sagen, auch einmal ernst nähmen und das in den Gesetzgebungsprozess mit einfließen lassen würden.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Das nächste Thema ist die alltagsintegrierte Sprachförderung. Das hört sich auch wunderbar an. Aber was soll das heißen? In Zukunft werden die Erzieherinnen das nebenbei und zusätzlich machen müssen, also auch noch obendrauf.

(Britta Altenkamp [SPD]: Mensch, Herr Hafke!)

So sieht die Realität leider aus. Sie rühmen sich damit, Frau Altenkamp, dass Delfin-4-Verfahren abzuschaffen. Aber behaupten Sie nichts Falsches! Sie schaffen das Delfin-4-Verfahren nicht für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen ab. Für 10 % der Kinder bleibt das Delfin-4-Verfahren bestehen. Wenn das Delfin-4-Verfahren doch so schlimm ist, dann frage ich Sie: Sind Ihnen diese 10 % der Kinder in diesem Land eigentlich nichts wert? Machen Sie für diese Kinder in Nordrhein-Westfalen keine Politik?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist eine Frechheit!)

Das ist die Realität: Sie greifen sich einige heraus, und die anderen lassen Sie im Regen stehen. Das hat nichts mit der Politik „Kein Kind zurückzulassen“ zu tun, sondern das ist genau das Gegenteil.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Frau Altenkamp, ich führe das gerne weiter aus. Sie unterscheiden nicht nur zwischen Kitakindern und Nicht-Kitakindern, sondern Sie unterscheiden auch noch zwischen Kindern, die im städtischen Raum leben, und Kindern, die im ländlichen Raum leben, und zwar bezüglich der Mittelverteilung für die Sprachförderung. Der Kollege Tenhumberg hat dies bereits angesprochen. Sie kürzen die Mittel für die Sprachförderung von 27,5 Millionen € auf 25 Millionen €. Aufgrund dieser Verteilung, die Sie jetzt auf den Weg bringen, werden von 186 Jugendämtern – hören Sie gut zu – 112 Jugendämter schlechter gestellt. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Jugendämter im ländlichen Raum.

Da die Frau Ministerin und auch Sie das nie wahrhaben wollen – auch in der Ausschusssitzung in der vergangenen Woche haben Sie das nicht wahrhaben wollen –, haben wir uns einmal die Mühe gemacht und das aufgelistet. Ich möchte Ihnen einmal die Beispiele nur zum Thema „Sprachförderung“ mit auf den Weg geben: der Kreis Soest minus 90.000 €, Kreis Warendorf minus 59.000 € – das sind 64 % weniger –, der Kreis Kleve 35.000 € weniger – das sind 70 % weniger –, Kreis Herford 41.000 € weniger, Märkischer Kreis 36.000 € weniger, die Stadt Remscheid 34.000 € weniger – das sind 68 % weniger –.

Sie verteilen das Geld nicht nach Bedarf, sondern nach Statistiken. Das ist der Fehler. Ihre Grundhaltung, Ungleiches ungleich zu fördern, führt dazu, dass manche Kinder auf der Strecke bleiben. Sind Ihnen diese Kinder eigentlich nichts wert? Ist es nicht vernünftiger, nach Bedarf zu fördern? Das wäre doch der richtige Ansatz.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich finde es ein ungeheuerliches System, das Sie hier auf den Weg bringen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ungeheuerlich sind Ihre falschen Behauptungen!)

Sie lassen damit die Kinder, die einen Sprachförderbedarf haben, im Regen stehen. Das hat nichts mit einer vernünftigen Politik für Kinder und Jugendliche und schon gar nichts mit einer vernünftigen Sozialpolitik zu tun. Auch an diesem Anspruch sind Sie gescheitert.

Ein vierter Punkt, den ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte, ist Folgender: Auch bezüglich der Tagespflege finden wir im Gesetz keine relevanten Verbesserungen. Ganz im Gegenteil! Wir werden demnächst die Situation haben, dass die Tagespflege in manchen Bereichen zum Aussterben verdammt ist, weil Sie das Zuzahlungsverbot einführen, ohne den Kommunen dafür das Geld mit auf den Weg zu geben.

Das kommt fast einem Berufsverbot für Tagesmütter gleich.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hafke, es wird Sie kaum überraschen, es gibt schon wieder den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Marcel Hafke (FDP): Interessant, wir hatten das Thema letzte Woche schon einmal im Ausschuss behandelt. – Aber gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Offenbar gibt es Gesprächsbedarf. –

(Zuruf von der SPD: Sie haben echt nicht zugehört; sonst würden Sie nicht so einen Quatsch erzählen!)

– Vielleicht können wir es abarbeiten, Frau Kollegin. – Herr Kollege Zimkeit hat sich gemeldet. Würden Sie die Frage zulassen? Ich vermute ja.

Marcel Hafke (FDP): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie haben das Wort.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Schönen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben eine lange Reihe von Behauptungen aufgestellt, was an diesem Gesetz falsch ist. Ich möchte Sie fragen, warum Sie, wenn alles so falsch und so schlimm ist, nicht einen einzigen Änderungsantrag zum Gesetz in das Plenum eingebracht haben, um es konkret zu verändern.

(Beifall von den GRÜNEN)

Marcel Hafke (FDP): Das sage ich Ihnen gerne. Ich habe erstens keine Behauptungen aufgestellt, sondern meine Ausführungen spiegeln das wider, was uns die Praktiker vor Ort, die Erzieherinnen und die Eltern, erzählt haben.

Warum bringen wir zweitens keinen Änderungsantrag ein? Ein schlechtes Gesetz braucht man nicht zu verändern. Das lehnt man einfach ab,

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)

um im Ergebnis eine vernünftige Haltung auf den Weg zu bringen. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag klargemacht. Ich hoffe, Sie haben ihn gelesen. Darin steht, was uns die Erzieherinnen und die Eltern gesagt haben.

(Beifall von der FDP und Walter Kern [CDU])

Sie schütteln mit dem Kopf. Das ist die Arroganz der Macht, wenn man nicht einmal die Entschließungsanträge der Opposition liest. Das ist Ihr Problem. Lesen Sie die Entschließungsanträge, dann können Sie auch mitreden!

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Da Sie glauben, Sie hätten alles wunderbar gemacht, und wir lebten in einer rosaroten Welt, möchte ich noch mal auf den Punkt bringen, zu welchen Themen Sie überhaupt keine Anstrengungen unternommen haben; sie stehen gar nicht im Gesetz.

Im Gesetz steht nichts von bedarfsgerechten Angeboten.

Das Thema „Flexible Öffnungszeiten“ ist schwammig formuliert: ohne konkrete Lösung.

Im Gesetz steht kein Satz zum tatsächlichen Wahlrecht bei den Buchungszeiten zwischen 25, 35 und 45 Stunden und erst recht kein Wort zu den fehlenden Plätzen für über Dreijährige.

Sie haben sich also noch nicht einmal die Mühe gemacht, irgendwelche Ansprüche zu formulieren.

Deswegen fordern wir Sie auf, das Kinderbildungsgesetz richtig zu evaluieren, insbesondere das Finanzierungssystem, um Lösungen erarbeiten zu können, die den Betroffenen tatsächlich helfen.

Wie fordern Sie auch auf, die Entlastung der Erzieherinnen beim Thema „Bürokratie“ ernst zu nehmen, auf den Weg zu bringen und nicht zu einer Verschlechterung beizutragen.

Wir fordern Sie auf, den Bereich Betreuungszeiten zu verbessern.

Wir fordern Sie auch auf, die Tagespflege ernst zu nehmen und die Situation der Tagesmütter nicht zu verschlechtern, sondern zu verbessern.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Wir fordern Sie auf, das Thema „Sprachförderung“ ernst zu nehmen und jedem Kind, das eine Unterstützung braucht, diese auch zukommen zu lassen.

(Beifall von Walter Kern [CDU] – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Und wir fordern Sie auf, Betriebskindergärten und privatgewerbliche Anbieter ernst zu nehmen – dazu haben Sie nichts geschrieben – und die Engpässe bei der Kinderbetreuung für über Dreijährige zu beseitigen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: „Privat vor Staat“ gibt es auch in der Kita!)

Abschließend: Nehmen Sie die Evaluation ernst! Bringen Sie vernünftige Gesetze ein! Dann haben Sie die FDP an Ihrer Seite. Wir sind dabei, wenn es um Qualität geht

(Zurufe von der SPD)

und nicht um eine Verschlechterung, wie Sie sie hier auf den Weg bringen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Wegner das Wort.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Kurz vorweg, Frau Asch, auf die Kinderrechte werde ich gleich in meiner zweiten Rede eingehen. Deswegen werden sie im ersten Teil nicht vorkommen.

Die zweite Revision des Kinderbildungsgesetzes ist ein Versprechen an die Eltern und Kinder in Nordrhein-Westfalen; ein Versprechen, das die frühkindliche Bildung in den Kitas besser werden wird; ein Versprechen, und das ist jedem Menschen klar, der ein wenig rechnen kann und die finanzielle Situation der Kitas vor Ort kennt; ein Versprechen, das die Kitas vor Ort nicht werden einhalten können, weil ihnen das dazu nötige Geld fehlen wird.

Liebe Landesregierung, Sie können die Bildungsgrundsätze und Bestimmungen so viel verbessern, wie Sie wollen – das haben Sie ohne Zweifel getan –, aber solange Sie die allgemeine Finanzierung, also die Kindpauschalen, nicht angemessen erhöhen, werden diese Verbesserungen bei den meisten Kindern nicht ankommen. Denn die Kitas sind schon heute zumindest an den Grenzen ihrer personellen Möglichkeiten angekommen.

Die individuelleren Lernprozesse und die Dokumentation all dessen wird die Erzieherinnen und Erzieher vor Ort Zeit kosten, Zeit, die Sie schon heute nicht ausreichend haben.

Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich Herrn Prof. Dr. Rainer Strätz von der Fachhochschule Köln von der Fakultät für Sozialwissenschaften, zitieren, der in der Anhörung zu den Bestimmungen des Bildungsbegriffes Folgendes gesagt hat:

„Ich frage mich bei manchen Bestimmungen nur: Was heißt das denn in Euro? Wenn formuliert wird, dass Lernprozesse sehr individualisiert stattfinden müssen und Bildungsarbeit dementsprechend auch individualisiert stattfinden muss, dann bedeutet das, dass sich die Aufgabe der Erzieherinnen grundlegend verändert: weg von einer nur als Gruppenpädagogik oder Kleingruppenpädagogik aufgefassten Vorgehensweise hin zu einer sehr individualisierten Planung, Durchführung und Reflexion der pädagogischen Arbeit.

Es gab in Baden-Württemberg einen Modellversuch unter dem Stichwort ‚Individuelles Curriculum‘, in dem das erprobt worden ist. Das Ergebnis war, dass die heutigen Rahmenbedingungen bei Weitem nicht ausreichen, um dem Anspruch gerecht zu werden.“

Es bleibt festzuhalten, aufgrund der nicht ausreichenden jährlichen Anpassung der Kindpauschale sinken die finanziellen Möglichkeiten der Kitas von Jahr zu Jahr. Aufgrund dieser sinkenden finanziellen Möglichkeiten sind viele Kitas schon heute am Rande ihrer personellen Möglichkeiten angelangt oder haben diesen Rand bereits überschritten. Die neuen Bildungsgrundsätze und Bestimmungen benötigen Zeit – Zeit der Erzieherinnen und Erzieher vor Ort, Zeit, von der sie schon heute zu wenig haben.

Das kann nicht funktionieren, liebe Landesregierung, das widerspricht allem logischen Denken. Liebe Landesregierung, solange Sie die jährliche Anpassung der Kindpauschale nicht angemessen erhöhen – wir Piraten forderten in unserem Änderungsantrag im Ausschuss eine Erhöhung auf 3 % –, wird die Qualität in den Kitas zwangsläufig immer weiter abnehmen müssen, egal wie gut Ihre Bildungsbildungsätze und Bestimmungen auch immer sein mögen.

Mit der zweiten Revision des Kinderbildungsgesetzes machen Sie auf der einen Seite im Bildungsteil ein Versprechen, das Sie auf der anderen Seite, im Finanzierungsteil, selber nicht einhalten.

Wir Piraten sagen: Keine Bildung ist viel zu teuer.

(Beifall von den PIRATEN)

Das bedeutet, dass in Bildung investiert werden muss. Bildung kostet nun einmal Geld, und je höhere Qualitätsansprüche man an die Bildung stellt, umso mehr Geld muss man investieren. Es ist aber immer gut investiertes Geld – gut investiert in die Zukunft der Menschen, die in den letzten Jahren geboren wurden, die ihr Leben noch vor sich haben und die Zukunft gestalten müssen.

Diese Menschen, ihr Leben und ihre Zukunft sollte es Ihnen und uns allen im wahrsten Sinne des Wortes wert sein, mehr zu investieren; denn nicht nur keine, sondern auch billige Bildung ist viel zu teuer. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Ich kann nur sagen, Herr Tenhumberg und Herr Hafke: Wenn Sie etwas weniger vehement und etwas weniger laut hier auftreten würden, wären Sie weitaus glaubwürdiger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ihr Auftritt hier war für mich so unglaubwürdig,

(Zurufe von der FDP)

dass Sie sich lächerlich machen mit Ihren Argumenten. Man kann zwischen Ihnen beiden solche Differenzen erkennen, dass es einem den Atem verschlägt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wer muss sich das denn anhören?)

Vielleicht stimmen Sie sich erst einmal untereinander ab, und dann treten Sie hier gemeinsam auf. Als Opposition sind Sie so nicht zu gebrauchen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, entschuldigen Sie. Es gibt schon den Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu dürfen, und zwar von Herrn Professor Sternberg. Würden Sie die zulassen?

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ja, bitte.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Frau Ministerin, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich stelle vermehrt fest, dass die Minister – die Regierung – die hier im Parlament Gäste sind, Redebeiträge von Abgeordneten beurteilen. Halten Sie das für angemessen?

(Beifall von der CDU und der FDP – Andrea Asch [GRÜNE]: Was hat das denn damit zu tun?)

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich glaube, Sie erinnern sich noch gut an Ihren Herrn Minister Wittke in diesem Plenarsaal. Da würde ich an Ihrer Stelle doch einmal etwas vorsichtig sein mit solchen Aussagen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben die frühe Bildung zu einem Schwerpunkt in der Landespolitik gemacht. Wir haben uns 2010 das Ziel gesetzt, das Kinderbildungsgesetz schrittweise zu reformieren und die gesetzlichen Grundlagen frühkindlicher Bildung zu erneuern.

Wir können mit Fug und Recht sagen: Dabei sind wir einen Riesenschritt vorangekommen. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir auch mit den Menschen, die betroffen sind, gesprochen; denn bevor wir diese Schritte unternommen haben, haben wir in allen Teilen des Landes Regionalkonferenzen durchgeführt.

(Zuruf von der FDP: Haben Sie da auch zugehört?)

Wir haben es sehr ernst genommen, was uns die Menschen, die in den Kitas arbeiten, mit auf den Weg gegeben haben, und wir haben es Zug um Zug umgesetzt. Vor allem eines ist wichtig: Es gibt wieder Vertrauen in die Verlässlichkeit der Kitapolitik des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Auf dieser Basis von Vertrauen und umfassender Beteiligung konnten wir gemeinsam mit den Kommunen, mit den Trägern, den Beschäftigten und den Eltern die frühe Bildung in Nordrhein-Westfalen an vielen wichtigen Stellen stärken. Die frühe Bildung in Nordrhein-Westfalen hat heute den Stellenwert, der ihr gebührt: als gesellschaftspolitischer Schlüsselbereich, der wichtige Perspektiven für die Kinder und für die Familien bei uns im Land ermöglicht. Das ist ein politischer Paradigmenwechsel, den wir hier in Nordrhein-Westfalen geschafft haben.

Herr Tenhumberg, Sie haben eben die Enquetekommission zitiert, in der Ihr Kollege Herr Kern, der neben Ihnen sitzt, mitgewirkt hat. Sie haben gesagt, die Enquetekommission habe uns vieles mit auf den Weg gegeben, was wir berücksichtigen sollten. Nur: Während die Enquetekommission gearbeitet und Ergebnisse produziert hat, haben Sie das erste Kinderbildungsgesetz auf den Weg gebracht und offensichtlich nichts von dem berücksichtigt, was in dieser Enquetekommission diskutiert worden ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Unter anderem möchte ich darauf hinweisen, dass wir seit 2010 die Landesmittel für die frühe Bildung nahezu verdoppelt haben, auf mehr als 2 Milliarden €. Als wir die Regierung übernommen hatten, haben wir keinerlei Vorsorge für einen einzigen Euro investiver Landesmittel vorgefunden – im Gegenteil: Sie haben zu Ihrer Zeit die Kasse mit 8 Millionen € geräubert, mit der Reinvestitionen in Kitas vorgenommen werden sollten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Entgegen aller politischen Unkenrufe stehen wir auch gut da beim U3-Ausbau. An diese Diskussion kann ich mich auch noch gut erinnern. Wir haben ein wichtiges Etappenziel erreicht und die Trendwende in Nordrhein-Westfalen geschafft. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der U3-Ausbau in Nordrhein-Westfalen dauerhaft und verlässlich weiter unterstützt wird.

Außerdem investieren wir in die Qualität der frühen Bildung. Wenn sich Nordrhein-Westfalen bei der Personal-Kind-Relation jetzt im oberen Drittel im Ländervergleich bewegt, dann hat das nicht zuletzt etwas mit den Maßnahmen zu tun, die wir in diesen vier Jahren für die Kindertageseinrichtungen ergriffen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich frage Sie: Wer war das denn noch mal, der die Kinderpflegerinnen aus den Kitas verbannen wollte? Waren das nicht die Abgeordneten von CDU und FDP? Und haben sie es nicht auch getan?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Andrea Asch [GRÜNE]: Ganz genau!)

Ausbau und Qualitätssicherung gehen für uns Hand in Hand. Das werden wir mit der nächsten Stufe der Revision des Kinderbildungsgesetzes konsequent fortführen. Wir haben ganz klare Ziele: Das sind vor allem die gesetzliche Stärkung des Bildungsauftrages und die gemeinsame Verständigung über unsere Bildungsziele im Elementarbereich.

Dieser Punkt ist in der Anhörung ausdrücklich gewürdigt worden. Ich glaube, jetzt kann man sagen, dass das Kinderbildungsgesetz seinen Namen wirklich verdient.

(Vereinzelt Lachen von der FDP)

Jetzt ist auch Bildung drin.

Wir setzen uns ein für mehr Bildungsgerechtigkeit und bessere Bildungschancen für alle Kinder. Wir wollen die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Personal, und wir wollen mehr Planungssicherheit für die Träger, aber eben auch für die Beschäftigten. Wir wollen auch eine Verbesserung der Bedarfsgerechtigkeit des Angebotes mit dem Verfahren zur Bedarfsanzeige, mit der Möglichkeit des Ausgleichs bei der Betreuung von Kindern aus anderen Kommunen sowie mit dem Verbot der Extrazahlungen von Eltern, die ihre Jüngsten in der Kindertagespflege betreuen lassen.

In diesem Zusammenhang noch einmal Folgendes an die Adresse der FDP, Herr Hafke: Für die Kindertagespflege gibt es eine Gebührenordnung, genauso wie für die Kitas. Im SGB findet sich die Verankerung, dass man keine Zuzahlung machen darf – ich weiß nicht, ob Ihnen das nicht klar ist –, sodass wir jetzt qua Gesetz noch einmal festgestellt haben, dass die Sache mit den Zuzahlungen eigentlich rechtswidrig ist. Wir haben also einen Zustand geheilt, der so nicht in Ordnung war.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Dabei muss man allerdings bedenken, wie sich die Kommunen verhalten. Jede Kommune zahlt für jeden Kindertagespflegeplatz, und die Kommunen zahlen sehr unterschiedlich. Die eine Kommune zahlt 2,50 €, die andere Kommune zahlt 5,50 €. Bei einer Zahlung von 5,50 € – das wissen Sie – wird das Ganze erst auskömmlich.

Daher lautet meine Bitte an die Kommunen, dafür Sorge zu tragen, dass sie auch ihren Anteil bei der Kindertagespflege mit in die Finanzierung hineinnehmen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hafke zulassen?

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ja, natürlich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Frau Ministerin. – Sie haben eingangs ausgeführt, dass Sie mit den Betroffenen ganz viel diskutiert haben, um dort Lösungen zu erarbeiten.

War es denn in Bezug auf die betroffenen Tagesmütter tatsächlich das Ziel zu sagen, dass die Zuzahlung gestrichen werden soll, weil es ihnen dann besser gehen würde? Oder ist es nicht vielleicht genau umgekehrt, dass die betroffenen Tagesmütter, wenn das Zuzahlungsverbot kommt, die ganz große Sorge haben, dass sie ihrem Beruf eben nicht mehr nachgehen können, weil die Kommunen – die meisten von ihnen in Nordrhein-Westfalen sind hochverschuldet – finanziell nicht in der Lage dazu sind? Wenn sie ihren Beruf aber nicht mehr ausüben könnten, blieben damit auch die Qualität und der Ausbau auf der Strecke.

(Beifall von der FDP)

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Hafke, ich weiß nicht, ob Sie bei der Anhörung im Ausschuss, als es um die Kindertagespflege ging, dabei waren. Ich erinnere mich sehr gut an diese Anhörung im Ausschuss. Da ist doch tatsächlich von einer der zur Anhörung Eingeladenen gesagt worden: Wenn die Zuzahlungen wegfallen, ist es für mich nicht mehr auskömmlich, diese Aufgabe zu machen. Wissen Sie, diese Dame kam aus der Stadt Paderborn. Die Stadt Paderborn zahlte zu der Zeit 2,50 €. Man kann jetzt nicht sagen, dass diese Kommune in der Haushaltssicherung ist, sondern das ist eine, die sehr wohl einen Anteil von 5 € bezahlen könnte. Das ist die reale Situation!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

– Sie waren – das weiß ich nicht – vielleicht nicht dabei. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Anhörung.

Ich komme noch zu einem weiteren Punkt, Herr Hafke, den Sie im Ausschuss und hier heute auch noch einmal betont haben. Sie lehnen den Grundsatz, Ungleiches ungleich zu behandeln, ab. Offensichtlich stehen Sie für die Gießkanne, obwohl Sie ganz genau wissen – die Fachleute bestätigen uns das auch –, dass die, die es schwerer haben, mehr Unterstützung brauchen als andere. Hier haben wir offensichtlich in der Tat eine grundlegende Meinungsverschiedenheit. Ich finde nicht, dass, wenn jeder an sich selber denkt – wie Sie das offensichtlich tun –, an alle gedacht ist.

Wir gestalten unsere Politik mit dem Ziel, mehr Teilhabe für alle Kinder zu erreichen. Deswegen erhalten – jetzt hören Sie genau zu! – 185 Jugendämter mehr Geld für mehr Bildungsgerechtigkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich sage noch einmal: Das Kreisjugendamt Warendorf erhält plus 145.000 € in toto.

(Marcel Hafke [FDP]: Aber nicht für Sprachförderung!)

Das Kreisjugendamt Soest erhält plus 135.000 € in toto für Bildungsgerechtigkeit, Herr Hafke! Die kriegen mehr Geld als vorher!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Jugendämter bekommen die Aufgabe, zu überlegen, wie sie dieses Geld sinnstiftend einsetzen können.

Ihre Art, die Dinge falsch darzustellen, finde ich schon sehr bemerkenswert. Uns jedenfalls als Landesregierung ist eine passgenaue, individuelle und gleichberechtigte Förderung von Kindern sehr wichtig.

Kinder mit Behinderungen gehören für uns selbstverständlich mit dazu. Deswegen haben wir bereits mit dem 1. Änderungsgesetz die Voraussetzungen für Inklusion in den Kindertageseinrichtungen verbessert. Dass hier jetzt noch einmal auf Antrag bei der Kindertagespflege gleichgezogen wird, finde ich sehr begrüßenswert und sehr richtig.

Ich begrüße auch ausdrücklich die von den Regierungsfraktionen eingebrachte Änderung des Zuschusses für die Kinder mit Behinderung in Kindertagespflege. Im Vergleich zum Regierungsentwurf wurde er noch einmal angehoben. Inklusion stellt eben erhöhte Anforderungen an die Förderung der Kinder. Dies gilt eben auch für die Kindertagespflege.

Wir haben viele Botschaften aus dem Land mitgenommen. Ich denke, unsere Verbesserungen zielen in die richtige Richtung. Das finanzielle Engagement des Landes wird ausdrücklich anerkannt; denn die zusätzlichen Landeszuschüsse führen dazu, dass in den Kommunen, ohne dass damit zusätzliche Aufgaben verbunden sind, deutlich mehr Mittel als bisher für die Kindertageseinrichtungen vorhanden sind.

Die 100 Millionen € in diesem Revisionsschritt gehen 1:1 in die Qualitätsverbesserung der frühen Bildung in Nordrhein-Westfalen. Im Ergebnis beider Revisionsschritte haben wir ab dem Kindergartenjahr 2014/2015 jedes Jahr 390 Millionen € mehr für den Bereich der frühkindlichen Bildung zur Verfügung gestellt.

Im Gegensatz zu dem bisherigen Finanzierungssystem – das hat Wolfgang Jörg auch noch einmal gesagt –, bei dem Kommunen und Träger immer beteiligt waren und immer mitgemacht haben, erfolgen alle Verbesserungen seit 2011 – die erreichten und die jetzt geplanten – ausschließlich aus Landesmitteln und deshalb durch zusätzliche Pauschalen. Das wissen Sie auch ganz genau. Wir können das gar nicht anders als auf diesem Wege machen, wenn wir zusätzliches Geld zur Verfügung stellen wollen.

Ich will deutlich sagen: Eine umfassende Neugestaltung des Finanzierungssystems können wir als Land nicht allein stemmen. Das klappt bei der Haushaltssituation nicht. Dazu brauchen wir die Kommunen. Wir sind natürlich mit den Kommunen im Gespräch über weitere Möglichkeiten, die wir dann aber gemeinsam entwickeln müssen. Das gilt zum Beispiel auch für die Anhebung der jährlichen Anpassung, über die Sie gesprochen haben. Wir als Land können das nicht mal eben auch noch alleine schultern beziehungsweise obendrauf packen. Da erwarte ich, dass wir das gemeinsam mit den Kommunen entwickeln. So wird also zukünftig zu klären sein, wie im Zusammenwirken aller Beteiligten die Finanzierung der Kindertageseinrichtungen weiter verbessert werden kann.

Ich möchte aber meine Rede nicht beenden, ohne all denen noch einmal zu danken, die uns unterstützt haben, sodass wir in diesen vier Jahren wirklich viel für die frühe Bildung, die Kinder und die Familien in Nordrhein-Westfalen erreichen konnten.

Sie wissen, mir liegt daran, dass wir das immer gemeinsam und auch ohne gegenseitige Schuldzuweisungen machen. Das hat geklappt. Es ist durch gemeinsame Anstrengungen möglich geworden. Diesen Prozess, diese Arbeit und diesen Dialog werden wir fortsetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. Bitte, seien Sie so nett und kommen noch einmal zum Rednerpult zurück, denn Herr Kollege Hafke hat sich für seine Fraktion zu einer Kurzintervention gemeldet. Er drückt jetzt den Knopf und erhält sofort für 90 Sekunden das Wort. Bitte schön.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen. Der eine betrifft das Thema „Ungleiches ungleich behandeln“. Ich glaube, so wie es die schwarz-gelbe Landesregierung damals angelegt hat, war es richtig, nämlich nach Bedarfen zu schauen und die Kinder nach Bedarf zu unterstützen.

Sie unterstützen – im umgekehrten Schluss – einige Kinder besonders und andere überhaupt nicht mehr. Wenn Sie die anderen Kinder nicht einfach im Regen stehen lassen würden, wäre ich ganz bei Ihnen. Ihre Politik führt aber dazu, dass einige Kinder in Zukunft gar keine Unterstützung bekommen werden.

Nehmen wir als Beispiel den Kreis Warendorf. Sie werfen in Ihrer Argumentation immer alles in einen Topf, und dann kommt natürlich mehr heraus. Die KITAplus-Mittel für Verfügungspauschale und Sprachförderung sind aber zweckgebunden. Sie können Äpfel nur mit Äpfeln vergleichen, also Sprachförderung mit Sprachförderung. Dafür bekommt der Kreis Warendort 60.000 € weniger.

Ich möchte es noch an einem anderen Beispiel festmachen, an dem der Stadt Sprockhövel. Die Stadt Sprockhövel bekommt in Zukunft 10.000 € Sprachfördermittel. Je Kindergarten dürfen sie 5.000 € ausgeben. Das heißt, zwei Kindergärten von zwölf bekommen in Zukunft Mittel für Sprachförderung. Die anderen zehn bekommen keine Mittel für die Sprachförderung.

Sie aber sprechen davon, Ungleiches ungleich zu behandeln, lassen aber zehn Kindergärten mit Kindern, die ebenfalls einen Sprachförderbedarf haben, einfach im Regen stehen. Das hat nichts mit einer Politik nach dem Motto „Kein Kind zurücklassen!“ zu tun. Das ist auch sozial nicht gerecht.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, Sie haben 90 Sekunden Zeit für Ihre Antwort. Bitte schön.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Gut, Herr Hafke, dass Sie eine Kurzintervention gemacht haben. Ich hatte nämlich noch etwas vergessen, das genau hier hineinpasst:

Wir schaffen Delfin 4 ab, weil es in den Kitas nicht gewünscht war. Sie haben die falsche Behauptung aufgestellt, wir würden 10 % der Kinder noch nach Delfin 4 testen. Das stimmt gar nicht. Wir testen nur die, die nicht in den Kitas sind, weil wir auch die erreichen wollen. Sie haben ein völlig falsches Bild konstruiert. Das wollte ich als Erstes sagen.

(Beifall von der SPD)

Wir betreiben jetzt alltagsintegrierte Sprachförderung, nicht extra, sondern alltagsintegriert. Wir setzen dafür die Sprachfördermittel ein, die Sie vorher auch eingesetzt haben, die anhand der sogenannten Tests ermittelt worden sind. Außerdem machen wir noch mehr: Wir starten eine Qualifizierungsoffensive für weitere 5 Millionen €, um die Teams in den Kitas zu stärken und auf diesem Weg zu begleiten, nicht aber nach dem Gießkannenprinzip, sondern wirklich nach Bedürftigkeit.

(Beifall von der SPD)

Wir krempeln das System auf Wunsch der Kindertageseinrichtungen und aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse völlig um. Das ist richtig, und das ist gut so. Wir werden das evaluieren lassen, um sicher sein zu können, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Denn Ihr System mit Delfin 4 war ein Gießkannenprinzip und hat nichts genützt. Das wissen Sie besser als ich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Soweit Kurzintervention und Entgegnungen darauf.

Wir schreiten fort. Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Altenkamp das Wort.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der letzten Ausschusssitzung hatte ich noch eine gewisse Zeit lang das Gefühl, dass die Lernkurve – insbesondere beim Kollegen Hafke – langsam aber sicher steil nach oben geht. Mitnichten! Sie haben in Ihrem heutigen Wortbeitrag exakt die gleichen – lassen Sie es mich so ausdrücken – „problematischen Erkenntnisse“, die Sie gewonnen haben, erneut präsentiert, ohne auch nur im Geringsten die Argumente, die Ihnen – auch schon mehrfach – entgegengehalten worden sind, aufzunehmen und zu bewerten. Herr Hafke, das ist ein Mittel der Rhetorik und der Politik. Das kann man zwar so machen, aber die Dinge werden nicht dadurch richtiger, dass man sie ständig wiederholt. Das muss man einfach feststellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mir gefällt sehr das Argument des Kollegen Tenhumberg, der sagt: Ihr von den regierungstragenden Faktionen habt im Grunde genommen in der Anhörung – das zeigt Ihr mit eurem Änderungsantrag – die Hinweise überhaupt nicht ernst genommen. – Aber das Gegenteil ist der Fall. Das wissen Sie auch. In einigen Beratungen haben Sie das schon eingeräumt.

Ein Blick in die Vergangenheit hilft an der einen oder anderen Stelle doch: Zur Einbringung des sogenannten Kinderbildungsgesetzes hat der damalige Minister zum Beispiel der Kollegin Asch, als sie bestimmte Argumente genannt hat, entgegengehalten:

„Sie haben nichts anderes gemacht als das, was sich ver.di zum Ziel gesetzt hat. In der Tat habe ich mit ver.di nicht verhandelt. Wer nur emotional eskalieren will, wer auf dem Rücken der Kinder der Landesregierung Probleme bereiten will, ist für uns kein Gesprächspartner.“

Sehen Sie, das haben wir komplett anders gemacht, weil wir im Vorfeld zu diesem Revisionsschritt schon sehr viele Gespräche geführt haben, und zwar auch mit Leuten, von denen wir gewusst haben, dass sie nicht alles von Anfang an ganz toll finden werden. Deshalb ist es uns auch mit einer gewissen Schnelligkeit möglich gewesen, dieses Gesetz einzubringen.

Ich bleibe dennoch bei dem Argument, dass es nicht zu viel verlangt ist, dass sich dieses Hohe Haus einmal zügig in Beratungen begibt, damit die Menschen, die in den Kitas arbeiten, die Familien, deren Kinder die Kitas besuchen, zu Beginn des nächsten Kindergartenjahres schnell von dem Geld, das wir mehr in die Kitas geben, profitieren können, dass das Geld ankommt. Das hat mit „Durchpeitschen“ beileibe nichts zu tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bei der Gelegenheit ist mir wieder ein Argument des Kollegen Lindner eingefallen, der damals der Sprecher der FDP-Fraktion war und gesagt hat:

Die Kritik, die gestern von den Verbänden vorgetragen worden ist, die Kommunalisierung der Elternbeiträge, die Kopfpauschale, die angeblich eingeführt werden soll, die ominöse Quote beim Bedarf, sind – jeder, der sich im Detail mit dem Vorhaben befasst, weiß das – vorgeschobene Argumente.

Kollege Tenhumberg, Kollege Hafke, eines müssen Sie doch wohl mit uns gemeinsam konstatieren: In der Art und Weise, wie die Kollegen, die damals obwaltet haben, tätig geworden sind, haben wir uns mit Sicherheit nicht mit den Argumenten auseinandergesetzt. Das will ich einmal so deutlich sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will noch etwas zur Auskömmlichkeit der Pauschalen hinzufügen, weil das in der Zwischenzeit offensichtlich das Hauptargument ist, das der Opposition am Ende noch geblieben ist:

Bei der Einbringung des sogenannten Kinderbildungsgesetzes hat sich die Kollegin Kastner damals für die CDU-Fraktion sehr weit dazu ausgelassen, wie es überhaupt zu der Pauschalisierung gekommen ist und warum und wieso das ein sinnvolles Instrument ist.

Ihre Bemerkungen – ich zitiere – gipfelten damals darin:

„Die Kindpauschalen, die im Übrigen nicht wir errechnet haben, sondern die gemeinsam mit den Konsenspartnern ermittelt worden sind, sichern Fachkräfte ab und halten nicht nur das bisherige hohe Niveau, sondern verbessern es zum Teil.“

Das, Kollege Tenhumberg, ist die Wahrheit. Ich finde es mehr als bemerkenswert, dass Sie heute anerkennen, dass die Annahme der Kollegin Kastner, die für Ihre Fraktion gesprochen hat, damals falsch gewesen ist und heute umso falscher ist.

Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir sagen, dass das ein Revisionsschritt ist. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Wir werden gemeinsam – dafür brauchen wir die Kommunen – das Problem, das die Pauschalen zu niedrig sind und in Nordrhein-Westfalen wie in der gesamten Bundesrepublik die frühe Bildung unterfinanziert ist, nur dann lösen können, wenn wir das Problem gemeinsam angehen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.

Dass Sie das in der Zwischenzeit auch anerkennen, dafür, Kollege Tenhumberg, Hochachtung!

Einen Moment noch zur Lernkurve des Kollegen Hafke. Und zwar geht es um die Frage nach der Bildungsdokumentation. Dazu hat er sich ja gerade noch einmal verbreitet und gemeint, dass die Bildungsdokumentation ein ungehöriger Mehraufwand sei.

Zur Einbringung des Kinderbildungsgesetzes hat die jetzt noch anwesende Kollegin Doppmeier damals gesagt: „Und mehr Qualität!“ – „Auch das haben wir. Denn wir haben die Bildungsdokumentation endlich einmal gesetzlich verankert. Das war vorher nur eine freiwillige Leistung.“

Herr Hafke, vielleicht sollten Sie sich einmal mit Ihrem damaligen Koalitionspartner darüber unterhalten, ob wir die Bildungsdokumentation jetzt neu einführen oder ob Sie das damals waren.

(Beifall von der SPD – Marcel Hafke [FDP]: Haben Sie überhaupt zugehört? Arrogant!)

Denn damals gipfelte das Ganze darin, dass der Kollege Jarzombek von der CDU gesagt hat, mit diesem Kinderbildungsgesetz komme endlich Bildung in die Kita. Denn die Erzieherinnen hätten nie-mals Bildung gemacht.

Deshalb sind Ihre Vorhaltungen einfach falsch, Herr Kollege Hafke. Und deshalb können Sie auch nicht erwarten, dass irgendjemand von uns das dringende Bedürfnis hat, Sie an unserer Seite zu wissen. Das müssen Sie einfach nachvollziehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die CDU-Fraktion hat noch einmal Herr Kollege Tenhumberg das Wort.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Asch, Sie treten hier als Moralapostelin auf und deuten die Vergangenheit eigenwillig, so wie es Ihnen gerade passt. Mit seriöser Politik und Diskussion hat das nichts mehr zu tun.

Und wenn Sie von unseriöser Haushaltspolitik sprechen, bleibt mir fast die Spucke weg. Sie sind dreimal vom nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshof wegen unseriöser Haushaltspolitik verurteilt worden, nicht wir! Und Sie sprechen von unseriöser Haushaltspolitik?!

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Frau Ministerin, ich möchte noch einmal darauf eingehen, dass Sie sagen – ich halte es für etwas unangebracht, aber vielleicht haben wir Sie auch ein bisschen zu viel geärgert –: „Als Opposition sind Sie nicht zu gebrauchen“. – Gott sei Dank, Frau Ministerin, beurteilen das Verhalten sowie die Wertschätzung und den Erfolg einer Opposition in Nordrhein-Westfalen noch immer die Wählerinnen und Wähler und nicht Sie, die Frau Ministerin.

(Beifall von der CDU)

In der Hektik der Diskussion kann so etwas durchaus passieren. Aber ich möchte das noch einmal zurechtrücken. In einem demokratischen Staat wollen wir den Wählerinnen und Wählern und nicht der Ministerin die Chance geben, über unsere Arbeit zu entscheiden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie vor zwei Jahren gemacht!)

Frau Ministerin, ich möchte Ihnen noch etwas auf den Weg geben: Auf die gleiche Weise, wie Frau Asch es manchmal tut, stellen auch Sie eine Vergangenheitsbetrachtung an, in der Sie Ihre eigene 40-jährige Zeit ausblenden. Sie sind es gewesen, die uns eine U3-Ausbauquote – die übrigens auf dem letzten Platz in ganz Deutschland lag – mit 11.800 Plätzen hinterlassen hat. Das haben Sie anscheinend vergessen.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Aber ich will gar nicht in die Vergangenheit zurückgehen.

Ich möchte des Weiteren auf die sehr geschätzte Kollegin Frau Altenkamp eingehen. Sie sagten, Sie hätten auf ver.di gehört. Liebe Frau Kollegin Altenkamp, Sie hätten besser noch mehr auf die Gewerkschaften gehört. Dann hätten Sie diesen Gesetzentwurf nämlich noch weiter geändert. Denn ver.di und die anderen Gewerkschaften haben Ihnen doch deutlich erklärt, wie es um die Krankheitsgefährdungen und die Krankheitsstände steht und dass die zusätzlichen Belastungen nicht mehr hinnehmbar sind. Warum hören Sie denn nicht auf ver.di und die sonstigen Gewerkschaften? Dann hätten Sie auch ein besseres Gesetz gemacht.

Ich stimme Ihnen aber in einem Punkt ausdrücklich zu: Auch ich glaube, dass wir in der Kinder- und Jugendpolitik auf mehr Gemeinsamkeit setzen sollten. In dieser Hinsicht bin ich bei Ihnen. Aber, Frau Kollegin, das setzt eine gewisse Sachorientiertheit voraus. Und dabei muss die Ideologie außen vor bleiben. Sie von den Sozialdemokraten haben aber ein kleines Problem mit Ihrem kleinen Partner. Das müssen Sie zuerst regeln. Anschließend können Sie zu uns kommen, und dann können wir gerne im Sinne der Kinder und Jugendlichen zusammenarbeiten.

Frau Asch hat gesagt, die Verbändeanhörung hätte etwas anderes ergeben. Ich möchte für die Zuschauerinnen und Zuschauern gerne einmal aus zwei Stellungnahmen zitieren, damit hier das richtige Ergebnis dokumentiert wird. Denn Frau Asch hat diesbezüglich versucht, ein völlig gegenteiliges Bild zu entwerfen. Die Evangelische Kirche sagt in ihrer Stellungnahme – ich zitiere –:

„Im vorliegenden Gesetzentwurf wurde das unseres Erachtens nach dringlichste Anliegen an eine Revision des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern […] nicht berücksichtigt.“

Die Katholische Kirche kommt in ihrer Stellungnahme zu dem Fazit:

(Andrea Asch [GRÜNE]: Lesen Sie mal weiter vor!)

„Insgesamt scheinen die Änderungen durch den Entwurf nicht den erhofften Erwartungen Rechnung zu tragen.“

Weiter heißt es:

„Die Verwendung der zusätzlich ins System gesteckten Gelder für eine Erhöhung der Kindpauschalen wäre wohl wesentlich effektiver und sinnvoller zu bewerten gewesen.“

Meine Damen und Herren, das sind die schriftlichen Stellungnahmen, die zusätzlich mündlich unterlegt worden sind.

Abschließend möchte ich Ihnen, Frau Asch, aus dem evangelischen Pressedienst zitieren, was die Praxis, sprich diejenigen, die unten an der Basis arbeiten, sagen. Denn Sie bekommen das alles gar nicht mehr mit. Ich zitiere aus dem evangelischen Pressedienst die Äußerung einer Kindergartenleiterin. Diese hat gesagt:

„Zum ersten Mal habe ich die Nase voll.“ – Das kann ich verstehen.

Des Weiteren wird die Leiterin des Familienzentrums „Vogelnest“ in Essen zitiert:

„Die geplanten zusätzlichen Mittel änderten an der Unterfinanzierung der alltäglichen Arbeit nichts, sondern flössen nur in immer neue Modelle und Projekte […]“.

Weiter heißt es:

„Ich will keine finanziellen Pflaster mehr.“

So das Familienzentrum.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Weiter heißt es in einem Zitat von der Diakonie-Rheinland-Westfalen-Lippe:

„Die aktuelle KiBiz-Revision beseitige nicht die ‚Unauskömmlichkeit‘ der Kitafinanzierung: ‚Das ist ein löchriges Netz.‘„

Warum sagen die das denn? Das sind doch die Praktiker. Warum hören Sie nicht darauf?

Abschließend möchte ich noch ein Zitat, und zwar der Freien Wohlfahrtspflege, vorlesen:

„Auf die Erzieherinnen hat der wachsende Druck Auswirkungen […] Langzeiterkrankungen haben zugenommen“.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, schützen Sie unsere Kinder, schützen Sie unsere Erzieherinnen und Erzieher, und schützen Sie unsere Träger, damit wir eine vernünftige Kinderpolitik machen können. Tun Sie etwas, aber verabschieden Sie sich von diesem Minigesetz, das in die falsche Richtung geht.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat noch einmal Frau Kollegin Asch um das Wort gebeten. Frau Kollegin, bitte achten Sie auf die Redezeit von einer knappen Minute.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Mäkeleien der FDP-Fraktion: Herr Hafke, wir haben schon immer geahnt, dass die FDP mit Gerechtigkeit nicht viel am Hut hat. Das haben Sie hier auch wieder gezeigt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es geht darum, Ungleiches ungleich zu behandeln. Das haben Sie nicht verstanden. So richten Sie Ihre Politik nicht aus, aber wir tun das. Und wenn es zum Beispiel im Kreis Höxter und in Herford weniger Kinder mit Migrationshintergrund gibt als in Gelsenkirchen oder in Bochum, dann bekommen Gelsenkirchen und Bochum natürlich mehr Sprachfördermittel. So ist das eben. Und das ist gerecht. Das ist das Prinzip, nach dem wir handeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Leider müssen wir immer wieder ein bisschen Nachhilfeunterricht geben.

(Zuruf von Bernhard Tenhumberg [CDU])

Es geht um die Sachverständigenanhörung. Herr Tenhumberg, Sie erwähnen immer wieder die Erhöhungspauschale von 1,5 %. Wer hat diese 1,5 % denn in das Gesetz geschrieben? Wer hat das denn gemacht? Das waren Sie, gemeinsam mit der FDP-Fraktion!

(Bernhard Tenhumberg [CDU]: Wer hat das unterschrieben?)

Und jetzt nehmen Sie diejenigen als Kronzeugen, die das kritisieren. Das ist doch hanebüchen. Das ist doch nicht mehr ernst zu nehmen.

Sie wissen genau – Frau Göppert vom Städtetag hat das in der Anhörung deutlich gesagt –: Wenn Sie diese 1,5 % erhöhen, dann werden wir vors Landesverfassungsgericht gehen, weil die Kommunen das mittragen müssen. – Diese Grundlage hat die CDU gelegt. Wir können das jetzt nicht mehr reparieren. Wir sind mit 400 Millionen € in Vorleistung getreten. Das wollen Sie nicht mit nachvollziehen. Das zeigt nur: Sie sind nicht bereit, tatsächlich mehr für die Kinder zu tun.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin.

Andrea Asch (GRÜNE): Ihnen geht es nicht um die Kitas und die Kinder, Ihnen geht es um Ihre eigene Profilierung. Und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Wegner das Wort.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Im Entwurf des Zweiten KiBiz-Änderungsgesetzes sind ohne Zweifel viele Bildungsgrundsätze und Bestimmungen verbessert worden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass neben dem Grundproblem der Unterfinanzierung eine weitere und entscheidende Grundlage in dem Gesetzentwurf zur Änderung des Kinderbildungsgesetzes fehlt, und zwar der wirkliche Wille zur konkreten Umsetzung und Anwendung der Kinderrechte.

Auch die kurze, indirekte, ja fast schon lapidare Erwähnung der Kinderrechte in Ihrem Änderungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, ist bei Weitem nicht ausreichend. Damit wären die Kinderrechte wieder einmal nur eine Randnotiz, die kein Kind wahrnimmt. Aber vielleicht ist Ihnen ja auch nur eines nicht klar: Kinderrechte sind keine Randnotiz.

Wir Piraten setzen uns dafür ein, dass die Kinderrechte in der Lebenswirklichkeit eines jeden Kindes ankommen, und zwar real ankommen. Dafür müssen diese Rechte den Kindern im Alltag vermittelt und vor allem gelebt werden.

Wir wollen, dass die Kinderrechte im Kinderbildungsgesetz nicht nur als indirekter Verweis aufgenommen werden – nein, wir wollen, dass die Kinderrechte zum Bildungsinhalt werden und zur alltäglichen, für die Kinder erfahrbaren Anwendung kommen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Kinderrechte werden heute immer noch – so traurig es ist – zu wenig beachtet, gelebt und umgesetzt. Dabei sind sie doch der Kern einer bildungs- und demokratieorientierten pädagogischen Arbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Piraten setzen uns dafür ein, dass jedes Kind seine Rechte täglich lebt und es täglich erfährt, dass sie beachtet werden. Davon kann unsere Gesellschaft nur profitieren. Denn wer seine Rechte kennen- und leben lernt, der lernt ebenfalls, die Rechte anderer zu achten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Hört, hört!)

Doch dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen die Kinder ihre Rechte überhaupt erst einmal kennen- und leben lernen. Wir fordern in unserem Änderungsantrag, dass die Kinderrechte grundlegend und genau in die Konzeptionen und Leitbilder der Kitas einzubinden sind. Die UN-Kinderrechts-konvention sollte die maßgebende Grundlage in den Kitas und der Kindertagespflege sein. Partizipation ist nicht nur der beste Kinderschutz; mit dem täglichen Umgang der gelebten Kinderrechte würde auch ein weiterer wichtiger Beitrag zur praktischen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention geleistet werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Kinderrechte stärken unsere Kinder. Starke Kinder stärken unsere Demokratie. In diesem Sinne bitte ich Sie, für unseren Änderungsantrag zu stimmen: damit die Kinderrechte nicht nur erwähnt, sondern wirklich gelebt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Jetzt meldet sich die Landesregierung noch ein weiteres Mal und erhält in Person von Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Aufgrund der Einlassung von Herrn Wegner habe ich mich doch noch mal zu Wort gemeldet; denn ich finde, es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Kinderrechte hier nicht gewürdigt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen möchte ich dem Hohen Hause noch mal zur Kenntnis geben, dass die UN-Kinderrechts-konvention unmittelbar geltendes Recht ist, immer, auch ohne Aufnahme in das Kinderbildungsgesetz. Sie gilt schlicht und einfach.

Zum Kinderbildungsgesetz, zur Mitwirkung und zur Teilhabe von Kindern, zur der Frage, wie man Kindern beibringen kann, sich altersgemäß mit den Rechten und den eigenen Wünschen zu beschäftigen, möchte ich jetzt einen Paragrafen vorlesen, der das deutlich macht. Das ist § 13 Abs. 6 im jetzigen Entwurf. Ich zitiere:

„Die Bildungs- und Erziehungsarbeit wirkt darauf hin, Kinder zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen. Daher sollen Kinder ihrem Alter, ihrem Entwicklungsstand und ihren Bedürfnissen entsprechend bei der Gestaltung des Alltags in der Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege mitwirken. Sie sind vom pädagogischen Personal bei allen sie betreffenden Angelegenheiten alters- und entwicklungsgerecht zu beteiligen. Zum Wohl der Kinder und zur Sicherung ihrer Rechte sind in Tageseinrichtungen geeignete Verfahren der Beteiligung und die Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten vorzusehen und zu praktizieren.“

So viel zum Thema „Kinderrechte“ aus unserer Sicht.

Dann würde ich gerne noch einen Punkt aufgreifen, den Herr Tenhumberg eben angesprochen hat, und zwar die Stellungnahme der Landschaftsverbände. Ich möchte aus der Anhörung die Stellungnahme von Frau Dr. Schneider zitieren, die zu diesem Revisionsschritt geäußert hat:

„Ich finde die Grundausrichtung des Gesetzes mit seinen zusätzlichen Geldern, Verfügungspauschalen und plusKITA sowie der Umwidmung der Sprachfördermittel hin zu sozial bedürftigen Familien und damit zu denjenigen, die Sprachförderbedarf haben, richtig.“

Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Änderungsantrag der Piratenfraktion Drucksache 16/6026. Wer möchte für diesen Änderungsantrag stimmen? – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt gegen den Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/6026 abgelehnt.

Wir stimmen – zweitens – ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5293. Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in Drucksache 16/5973, den Gesetzentwurf Drucksache 16/5293 mit den von ihm beschlossenen Änderungen anzunehmen.

Wir kommen zur Abstimmung über diese Beschlussempfehlung. Wer für diese Beschlussempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP, Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnetenkollege Stein. Ich stelle fest, dass somit die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5973 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/5293 in zweiter Lesung verabschiedet ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir stimmen – drittens – ab, meine Kolleginnen und Kollegen, über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/5956. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind die CDU-Fraktion und der fraktionslose Kollege Stein. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sind die Fraktionen von FDP und Piraten. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/5956 abgelehnt.

Ich lasse – viertens – abstimmen über den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/5999. Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Fraktionen der CDU und der Piraten und der fraktionslose Abgeordnetenkollege Stein. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 16/5999 abgelehnt.

Wir stimmen – fünftens – ab über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/4577. Ich darf darauf hinweisen, dass der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend in Drucksache 16/5974 empfiehlt, den Antrag Drucksache 16/4577 abzulehnen. Wir stimmen deshalb nicht über die Beschlussempfehlung ab, sondern über den Antrag als solchen in Drucksache 16/4577. Wer diesem Antrag der CDU-Fraktion zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt gegen den CDU-Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/4577 mit der festgestellten Mehrheit abgelehnt.

Ich schließe die Beratung zum Tagesordnungspunkt 3.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

4   Klarheit schaffen über mögliche Szenarien der Finanzierung des Rückbaus von Atomanlagen und die damit verbundenen Folgen für Kommunen in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5960

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Schulz das Wort.

Ich hoffe, dass sich der Geräuschpegel gleich wieder deutlich senkt, wenn all diejenigen Kollegen, die den Raum verlassen müssen, das auch getan haben. Ansonsten darf ich darum bitten, nötige Gespräche nach draußen zu verlagern, meine Damen und Herren, damit wir dem Redner die erforderliche Aufmerksamkeit schenken.

Herr Kollege Schulz, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause! Wir beraten hier und heute über einen Antrag, der im Prinzip eine Folge mehrerer anderer Anträge ist, die wir in letzter Zeit gestellt haben, im April, aber insbesondere auch auf Basis der Debatte, die wir im Rahmen der Aktuellen Stunde am 15. Mai geführt haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Wie diese Aktuelle Stunde in der vergangenen Plenarsitzung gezeigt hat, bestreitet hier im Hause mittlerweile niemand mehr, dass durch die notwendige Entsorgung der Atomanlagen erhebliche finanzielle Probleme auf die Kommunen bzw. das Land Nordrhein-Westfalen zukommen können, insbesondere dann, wenn die Energiekonzerne in Schieflagen geraten bzw. nicht in der Lage sein werden, ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Insbesondere die Grünen haben sowohl durch ihren Umweltminister Remmel als auch durch ihren Abgeordneten Hans Christian Markert deutlich unserer Auffassung im Wesentlichen beigepflichtet, dass der Zeitpunkt gekommen ist, sich zeitnah intensiv mit den Anforderungen auseinanderzusetzen, die auch mit den Bestrebungen der Energie­konzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall im Zusammenhang stehen, über eine Art Bad Bank die Verpflichtungen aus dem Atomausstieg und der Bereitstellung der gewinnbringenden Atomenergie zu sozialisieren. Stiftungslösung heißt das. Die Konzerne zeigen gerade einen Weg auf, an dessen Ende stehen könnte, dass sie sich durch geschicktes Taktieren aus ihrer primären finanziellen Verantwortung stehlen.

Unser Antrag fordert dementsprechend, dass die Landesregierung ein Gutachten in Auftrag gibt, das mögliche Szenarien und Handlungsmöglichkeiten für das Land und die Kommunen untersuchen soll. Ziel ist es, eine an der Sache orientierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Von daher hoffen wir, sämtliche Fraktionen des Hohen Hauses bei diesem Antrag an unserer Seite zu haben. – Zunächst vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg. – Der Kollege ist derzeit nicht im Saal. Dann gehen wir, wenn es keinen anderen Redner seitens der SPD gibt, weiter in der geplanten Reihenfolge vor. Es spricht dann Herr Kollege Kufen von der CDU-Fraktion.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Der Minister ist ja auch nicht da!)

Thomas Kufen (CDU): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, dass der Wortbeitrag von Herrn van den Berg noch kommen wird. Die Vorfreude ist wahrscheinlich umso größer. Seien Sie ganz entspannt.

Wer hätte das gedacht? Recycling ist schwer in Mode, offensichtlich auch bei Themen, die die Piraten hier einbringen. Denn in der Tat haben wir hier am 15. Mai aufgrund eines „Spiegel“-Artikels schon zum gleichen Thema gesprochen. Neu ist bei Ihnen diesmal die Überschrift. Im Prinzip hat sich aber wenig in der Thematik verändert. Auch das haben wir in der Debatte vor drei Wochen bereits deutlich gemacht.

Leider fühlen wir uns in dem bestätigt, was damals gesagt wurde. Handlungsbedarf besteht – da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht –, weil die Energieversorgungsunternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Lage sind. Die gesetzlich verpflichtenden Rückstellungen sind bei den großen Energieversorgern ganz unterschiedlich gesichert, aber vorhanden.

Daher geht es nun darum, wie wir damit auf dem weiteren Weg umgehen.

Bisher sind alle Energieversorgungsunternehmen ihren Verpflichtungen im Sinne des Verursacherprinzips vollumfänglich nachgekommen. Beträchtliche Summen sind bereits in den Rückbau und in Stilllegungsprojekte geflossen. Wir gehen davon aus, dass die Energieversorgungsunternehmen, was den Atomausstieg und auch die Fragen der Altlasten angeht, in der bewährten Weise zuverlässig sein werden. Allerdings wird es weitere Gespräche geben müssen.

Das Problem aus Sicht der Energieversorgungsunternehmen besteht darin, dass sie keine Planungssicherheiten für Investitionen mehr haben, übrigens nicht nur für Atomkraftwerke mit Blick auf den Atomausstieg, sondern auch für Gaskraftwerke, die wir brauchen, was wir auch alle unterstreichen.

Also ist es richtig, dass wir zu der Frage, wie wir mit den atomaren Lasten umgehen, weiter ins Gespräch kommen müssen. Das hat übrigens schon Niederschlag im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gefunden:

„Für den Rückbau, die Entsorgung und sichere Aufbewahrung von Materialien aus kerntechnischen Anlagen … werden Gespräche zwischen dem Bund und den Ländern geführt.“

Dann heißt es sehr präzise und klar:

„Wir erwarten, dass die Kosten für den Atommüll und den Rückbau der kerntechnischen Anlagen von den Verursachern getragen werden.“

Das ist auch der Konsens, den wir in diesem Haus, glaube ich, nach wie vor haben.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Gleiches gilt für die Notwendigkeit, in diese Gespräche einzusteigen. Deshalb ist es wichtig, dass die Frau Bundeskanzlerin, als es die entsprechende Berichterstattung im „Spiegel“ gab, sehr wohl klargemacht hat: „Wir werden über das Thema der Kernkraftwerke und ihrer Altlasten sicher noch viele Gespräche führen.“ Aber – da zitiere ich die Frau Bundeskanzlerin wörtlich –: „Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab.“

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich finde, das hat etwas mit richtungsweisender Direktive der Frau Bundeskanzlerin zu tun.

Wir wollen verhindern, dass die eingebrachten Rückstellungen von rund 30 Milliarden € irgendwie diffundieren. Sie müssen effektiv zur Verfügung stehen. Wir befinden uns eben genau in dem Spannungsfeld, über das wir schon vor drei Wochen an dieser Stelle diskutiert haben. Dieses werden wir auflösen.

Ich fasse zusammen. Nach Auskunft der Bundesregierung gibt es gegenwärtig keine Verhandlungen und auch keine Beschlüsse zu diesem Thema, die über das hinausgehen, was im Koalitionsvertrag steht. Ähnliches hat Staatssekretär Baake bereits bestätigt. Der Bund wird mit den Ländern Gespräche über Rückbau und Entsorgung führen. Dabei wird auch über die Kosten zu sprechen sein. Wir erwarten, dass die Landesregierung das Parlament hierüber rechtzeitig umfassend informiert und entsprechend beteiligt und dass gleichwohl an dem Verursacherprinzip nicht gerüttelt wird. Die Kosten werden dort getragen, wo sie entstanden sind.

Insofern kann ich mit Ihrer Spiegelfechterei, ein Thema zum zweiten Mal einzubringen, nicht viel anfangen. Bis auf Pressemeldungen haben wir in der Sache nichts vorliegen.

Aber ich will Ihnen ausdrücklich recht geben, dass ein Bundesenergie­minister mehr tun muss, als nur eine Reform des EEG voranzutreiben. Wir werden in dieser Legislaturperiode sicherlich noch eine zweite Änderung am EEG vornehmen müssen, vielleicht auch noch eine dritte. Und wir werden auch über andere Themen im Energiebereich reden müssen, nicht nur über Leitungen, nicht nur über Kapazitätsmärkte, sondern auch über die Kernkraftaltlasten.

Auf diese Debatte bin ich gespannt. Da werden wir uns einbringen. Wir erwarten, dass die Landesregierung uns entsprechend unterstützt, informiert, auf den Weg bringt, hilft und wir als Parlament das entsprechend bewerten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Markert.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir hier vor einigen Tagen schon einmal zu dieser Thematik im Rahmen einer Aktuellen Stunde miteinander diskutiert haben, habe ich zu der Idee der Energieunternehmen mit Atomsparte gesagt, das wäre mal ein Testballon, der dort medienwirksam gezündet würde. Da habe ich bei einigen Kollegen Kopfschütteln oder Stirnrunzeln gesehen. Zwei oder drei Tage später aber war breit in der Presse nachzulesen, dass es in der Tat sehr konkrete zumindest Hinterzimmergespräche mit den Unternehmen gibt und gegeben hat. Offensichtlich ist also doch etwas daran, dass in diesen Fragen miteinander gesprochen wird.

Insofern, Dietmar Schulz: Es ist angesichts der Summen und der Risiken, um die es geht, sicherlich nicht falsch, diese Thematik hier aufzurufen. Doch es wird natürlich nicht richtiger, wenn man das alle paar Tage wiederholt.

Ich glaube, in der Sache sind wir uns – das hat der Beitrag des Kollegen Kufen eben deutlich gemacht – einig. Die großen Gewinne, die mit der Atomtechnologie erzielt worden sind, zu privatisieren, sich das Geld in die Tasche zu stecken und anschließend die enormen Risiken zu sozialisieren, das geht nicht. Das geht natürlich auch aus grüner Sicht nicht;

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

ich will das hier noch mal deutlich sagen. Aber offensichtlich sind wir uns da ja alle einig.

Wer sich die beträchtlichen Risiken, von denen ich eben gesprochen habe, einmal anguckt, der stellt fest, dass die Rückstellungen in Höhe von 30 bis 35 Milliarden €, die die Unternehmen für den Rückbau und die Entsorgung damals gesetzlich anlegen mussten und die sie offensichtlich jetzt ihr Eigen nennen können, bei Weitem nicht ausreichen werden.

Wir kennen Studien, die besagen: Allein die Kosten im Zusammenhang mit Unfällen, die es weltweit in Atomanlagen im Betrieb gegeben hat, gehen in die Hunderte von Milliarden Dollar. – Da wird meistens noch in Dollar gerechnet.

Auf Deutschland bezogen heißt das, dass allein der Versuch des Rückbaus der Asse und des Uranabbaus in Wismar, also die Sanierungsnotwendigkeiten, die da gegeben sind, rund 150 Milliarden Dollar ausmachen. Das sind internationale Zahlen, die jeder einsehen kann.

Wenn man weiß, welch hohe Risiken mit der Atomkraft verbunden sind, dann kann man sich vorstellen, dass es nicht unberechtigt ist, sich Gedanken darüber zu machen, was passiert, wenn die Unternehmen irgendwann möglicherweise nicht mehr existent sind und man dann auch noch dafür geradestehen muss, diese Risiken abzusichern.

Deswegen habe ich hier vor einigen Wochen gesagt: Ja, es ist richtig, sich darüber Gedanken zu machen.

Dietmar Schulz, ich habe mich übrigens nicht der Stiftungslösung angeschlossen – das möchte ich noch mal betonen –, sondern von der treuhänderischen Lösung für diese 35 Milliarden € gesprochen. Ich gehe allerdings davon aus, dass diese 35 Milliarden € bei Weitem nicht ausreichen werden.

Deswegen sind die Unternehmen auch in der Pflicht, ihre Rückstellungen weiter aufwachsen zu lassen, solange sie noch produzieren. Möglicherweise setzen sie ihre Produktion ja bis 2023 fort. Auch am Uranstandort in Gronau produziert man weiter und macht Gewinne. Dann sollte man die Rückstellungen auch noch weiter aufwachsen lassen. Meines Erachtens wäre es aller Ehren wert, mit den Unternehmen darüber ins Gespräch zu kommen.

Dann sollte man eine treuhänderische Lösung vorsehen und sich Gedanken darüber machen, wie man das auf lange Zeit sichern kann – ob da ein Staatsvertrag das Richtige ist oder ob das in der Verfassung geregelt werden muss. Schließlich reden wir bei den Ewigkeitskosten im Zusammenhang mit der Atomtechnologie über Hunderte von Jahren.

Es macht also Sinn, zu reden; es macht Sinn, die Gelder zu sichern; und es macht Sinn, ein Rechtsinstrument zu finden, um das abzusichern. Deswegen werden wir vermutlich demnächst hier auch noch mal miteinander ins Gespräch kommen.

Teile Ihres Antrags finde ich – mit Verlaub; ich will Ihnen da nicht zu nahe treten – für die jetzige Abstimmung als streitige Abstimmung relativ ungeeignet, weil sie ein bisschen ins Spekulative gehen. Beispielsweise sind die Zahlen für den Rückbau in Hamm – darüber haben wir uns vor einigen Monaten ja unterhalten – nach meiner Auffassung vertraglich zunächst einmal geregelt. Wenn Sie meinen, das sei nicht so, fände ich es besser, wenn Sie das substanziell anfüttern würden. Dafür wären Ausschussberatungen möglicherweise ein geeignetes Instrument. Gelegentlich kann man mit einer Kleinen Anfrage Zweifel, die man hat, aufhellen. Ich weiß, wovon ich hier spreche.

Insofern: Lassen Sie uns weiter im Gespräch bleiben. Ihrem Antrag werden wir aus den zuletzt genannten Gründen hier jetzt nicht zustimmen können. Ich sage aber noch mal: Es ist aller Ehren wert und dem Thema angemessen, darüber zu diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Markert. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Brockes. Danach bekommt Herr Kollege van den Berg das Wort – wie es gewünscht ist.

Dietmar Brockes (FDP): Ich hätte natürlich gerne dem jetzt anwesenden Kollegen van den Berg zuerst das Rednerpult überlassen. – Meine Damen und Herren! Hier geht es um ein sehr interessantes, spannendes Thema. Bereits im Januar dieses Jahres schrieb die „Welt“ – ich zitiere –:

„Energiewende vernichtet drei Milliarden bei RWE

Die Energiewende ruiniert dem Stromkonzern RWE die Bilanz. 3,3 Milliarden Euro muss das Unternehmen abschreiben, das meiste in der Kraftwerksparte.“

Die Lage ist brisant. Wegen der EEG-Subventionen verdrängen die erneuerbaren Energien immer öfter die konventionellen Kraftwerke – übrigens nicht nur bei RWE, sondern im Energieerzeugungsmarkt insgesamt. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Kommunen – entweder, weil deren eigene Stadtwerke Verluste in Millionenhöhe einfahren, oder aber – und das ist der Anlass dieses Antrags –, weil Kommunen leider immer noch Anteile an RWE halten.

Würden für diese kommunalen Beteiligungen die gleichen Regeln gelten wie für RWE-Bilanzierungen, müsste auch hier eine entsprechende Wertberichtigung vorgenommen werden. Dem ist aber nicht so. Das liegt an der Gemeindehaushaltsverordnung. Generell kann sich danach eine Pflicht zur Anpassung des Wertansatzes von Aktien nur in den Fällen ergeben, in denen von der Kommune angenommen wird, dass voraussichtlich eine dauernde Wertminderung der Aktien eintritt.

Meine Damen und Herren, zum Antrag der Piraten möchte ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es freut uns, dass Sie seitens der Piraten nach der Kommunalwahl jetzt auch erkannt haben, dass es Aufgabe des Landes ist, die Kommunen zu unterstützen und Vorkehrungen gegen die Risiken der bilanziellen Überschuldung zu treffen. Hierfür, und zwar gerade für eine schlagkräftige Kommunalaufsicht, hat sich die FDP schon seit Längerem eingesetzt.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Im vorliegenden Antrag werden Problemkreise wie „Welche Kommune hält Anteile an RWE?“, „Was ist der Landesregierung bekannt?“ und „Wie verhält es sich mit der Notwendigkeit der bilanziellen Berichtigung?“ aufgezeigt. Alle diese Themen wurden bereits von FDP und CDU aufgegriffen und von der Landesregierung beantwortet. Man kann über die Überzeugungskraft dieser Antworten sicher trefflich streiten – und auch darüber, ob der maßgebliche § 35 Gemeindehaushaltsverordnung auch dann den aktuellen Entwicklungen angepasst und praxisgerecht neu gestaltet werden sollte, wenn die Landesregierung dies ablehnt. Meine Damen und Herren, darüber sollten die Haushälter sich noch einmal unterhalten und entscheiden.

Letzten Endes möchte ich aber auch Folgendes anmerken: Hätten sich alle Kommunen, die heute auf RWE-Papieren sitzen und jammern, an unseren Rat und die Vorgabe der Liberalen gehalten und sich dieser Aktien zu Zeiten, als sie noch deutlich höhere Werte hatten, entledigt, um ihre Haushalte zu sanieren, wären diese Probleme heute nicht vorhanden.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, aus energiepolitischer Sicht muss die Politik dafür Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen auf dem Energiemarkt neu gestaltet werden, sodass diejenigen, die entscheidend zur Versorgungssicherheit beitragen, nämlich die fossilen Kraftwerke, in Zukunft auch wieder rentabel wirtschaften können. Die Möglichkeit zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit muss stärker gewichtet werden. Das muss jetzt Vorrang haben. Darüber hinaus würde dann bei den kommunalen RWE-Anteilen keine dauernde Wertminderung im Sinne der Gemeindehaushaltsverordnung eintreten.

Meine Damen und Herren, ich würde jetzt gerne noch auf einige Entwicklungen im Energiebereich eingehen, insbesondere auf das interessante Interview des Energieministers dieses Landes, in dem Herr Duin mehr oder weniger eine komplette Verstaatlichung des Energiesektors vorgeschlagen hat. Leider muss ich aber feststellen, dass heute weder der Minister, der die Energie in seinem Titel trägt, noch der Minister, der sonst immer zur Energiepolitik hier redet, anwesend ist. Da dies auch ein Thema der Kommunalaufsicht ist, wundert es mich umso mehr, dass auch der Innenminister bei diesem Themenblock nicht anwesend ist.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, insofern bin ich sehr gespannt, ob die Landesregierung es vielleicht doch in Betracht ziehen wird, sich hier gleich auch noch zu diesem Antrag zu äußern, und in welcher Form sie das gegebenenfalls tun wird.

Auch wenn wir dem Antrag der Piraten nicht zustimmen, finde ich das nicht angebracht. Es missfällt mir, wie seitens der Landesregierung mit dem Antrag umgegangen wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss ich mich entschuldigen. Ich bin ein Opfer der Umstellung der Tagesordnung geworden. Herr Kollege Brockes, ich habe dem Sitzungsdienst gesagt, ich stelle mich natürlich hinten an. Wer zu spät kommt, soll sich ordentlich einreihen. – Ich entschuldige mich an dieser Stelle.

Das Thema haben wir in diesem Hause schon einige Male und aus verschiedenem Anlass behandelt. Wir haben uns den Rückbau spezifischer Reaktoren im Lande Nordrhein-Westfalen, wir haben uns die Atomanlagen im Lande angeschaut und darüber in den Ausschüssen diskutiert. Jetzt hat uns die Diskussion auf Bundesebene ereilt.

Der aktuell vorliegende Piraten-Antrag fordert die Erstellung eines Gutachtens beziehungsweise einer Ausarbeitung. Ich halte das für ein sehr schwieriges Unterfangen. Letztendlich würde sich ein solches Gutachten auf rein spekulative Annahmen gründen. Wir haben keine Eckpunkte und keine gesicherten Erkenntnisse darüber, in welche Richtung Gespräche in Berlin gehen könnten. Das wissen wir nicht.

In Ihrem Antrag schreiben Sie selbst, dass auch „ausstehende Gerichtsurteile sowie Entwicklungen der Geschäftstätigkeit der Konzerne“ mit in den Blick genommen werden sollen. Herr Schulz, Sie stimmen sicherlich mit mir darin überein, dass es „schwierige Annahmen“ sind – so steht es in Ihrem Antrag –, treffsicher etwas dazu zu sagen. Wir hätten uns also mit einer hohen Bandbreite zu beschäftigen.

Nicht klar prognostizierbare geschäftliche Entwicklungen und die wirtschaftliche Betätigung an sich bergen stets Chancen und Risiken. Von daher ist die Frage zu stellen, welchen Mehrwert ein solches Gutachten bringen würde. Wäre es nicht vielmehr ein eher unerbetener Ratschlag gerade für die Kommunen, denen Sie sich hilfegebend an die Seite stellen wollen?

Die Kommunen haben sehr wohl in ihrer eigenen Verantwortung und in ihrer kommunalen Selbstverwaltung die Aufgabe, ihre wirtschaftliche Betätigung zu beurteilen. Wertberichtigungen sind ein ständiges Geschäft gerade in der Kommunalpolitik. Sie müssen bewerten, wie sich die Risiken darstellen, und schauen, ob sie sich im Rahmen der haushaltsrechtlichen Vorgaben bewegen. Wir als Land nehmen das nur in Form von Anzeigeverfahren über die Kommunalaufsicht zur Kenntnis. Es ist auch der Respekt gegenüber kommunalen Beurteilungsspielräumen, die Subsidiarität der Kommunalpolitik ernst zu nehmen, solange eine umfassende und sorgfältige Ausführung gesichert ist.

Es spricht ein zweiter Punkt ganz wesentlich gegen Ihren Antrag, Herr Schulz. Es wäre nämlich eine absolute Momentaufnahme. Beteiligungsstrukturen sind einem ständigen Wandel unterworfen. Ich weiß nicht, ob Sie selbst kommunalpolitisch aktiv sind. Dann werden Sie aus Ihren kommunalen Beteiligungsberichten wissen, dass es sich jedes Jahr hineinzuschauen lohnt. Ständig verändert sich etwas.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Nicht bei RWE! Das sind strategische Ziele seit Jahrzehnten!)

– Ich habe selbst einem Kreistag angehört. Wir haben unsere RWE-Aktien veräußert.

(Zuruf: Klug gehandelt! – Zuruf von den PIRATEN)

– Nein, wir haben das zu einem Zeitpunkt gemacht, als die Aktien sehr viel wert waren. Seien Sie dessen gewiss.

(Zuruf von den PIRATEN: Sage ich ja!)

– Seien Sie an dieser Stelle ganz unbesorgt. – Die Frage ist nur, was an dieser Stelle ein Gutachten nutzt.

Man muss mit dem Thema sehr sorgfältig umgehen. Man muss bewerten, wie man die Kommunen unterstützt oder ob man sie nicht unterstützt. Es muss bewertet werden, wie man mit dem Thema insgesamt verantwortlich umgeht.

Es ist vorhin von allen Rednern gesagt worden, und für die SPD-Fraktion will ich es noch einmal betonen: Für uns kommt eine Situation, in der Gewinne privatisiert, aber Verluste sozialisiert werden, nicht in Frage. – Das ist der einhellige Tenor aller Fraktionen und der Landesregierung hier im Hause. Das Entscheidende ist aber auch, dass man sich umgekehrt nicht politisch vom Acker machen kann. Die Atomenergie wurde über viele lange Jahre politisch über viele Parteigrenzen hinweg gefördert und zum Teil auch staatlich unterstützt. So zu tun, als ob man damit gar nichts mehr zu tun hätte, wäre ebenso verantwortungslos.

Am Schluss darf ich eine Frage formulieren. In der letzten Plenarrunde hat es ein Redner der Piraten auf den Punkt gebracht. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sagte er: Das Risiko für Rückbau sowie Zwischen- und Endlagerung muss bei den Konzernen bleiben. – So weit ist das Zitat völlig in Ordnung. Dann rief er hinterher: Wenn das die Konzerne in die Insolvenz treibt: Die übergangsweise nötigen Kraftwerke könnten auch mit neuen Eigentümern weiterlaufen. – Zitatende.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit!

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident, zum Abschluss meiner Rede stelle ich noch die Frage: Wer sind diese neuen Eigentümer? Wer würde das übernehmen? Wer springt da ein? Wird nicht ein an dieser Stelle unwürdiges Spiel betrieben? Auf der einen Seite wird gesagt, wir müssen dringend die Feuerwehr haben, auf der anderen Seite ist man in der Debatte zum Teil als Brandstifter unterwegs. – Das geht auch nicht, Herr Schulz. An dieser Stelle müssen wir aufpassen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung für Herrn Minister Jäger Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich äußert sich auch die Landesregierung sehr gerne zu diesem Tagesordnungspunkt.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Sie sind der Einzige, der da ist! – Zurufe von der SPD)

Wenn ich den Antrag richtig verstanden habe, geht es den Piraten in diesem Zusammenhang in erster Linie um die Auswirkungen des Atomausstiegs auf die kommunalen Beteiligungen hier in Nordrhein-Westfalen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Kutschaty gegen den Rest der Welt!)

– Lieber Herr Kollege Schulz, Sie wissen, ich schätze Sie ausdrücklich als besonnenen Rechtspolitiker. In dieser Funktion treffen wir uns häufiger. Ich nehme Ihnen ab, dass Sie Ihren Antrag als einen wertvollen Beitrag zum sozialverträglichen Atomausstieg verstehen. Aber ich befürchte, dass wir mit diesem Antrag nicht mehr machen können als Kaffeesatzleserei.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Er bringt uns rein gar nichts bei der Beantwortung der Frage, wie wir es insgesamt in Deutschland schaffen – mit „wir“ meine ich die Gesamtgesellschaft –, den Atomausstieg zu bewältigen.

Lassen Sie uns noch einmal in Erinnerung rufen: Im Jahre 2000 war es die rot-grüne Bundesregierung, die den Ausstieg aus der Atomenergie auf den Weg brachte. 2010 hat die damalige Bundesregierung von CDU und FDP die Laufzeiten verlängert. Ein Jahr später unter den Eindrücken der Katastrophe von Fukushima hat dieselbe Bundesregierung beschlossen, bis zum Jahr 2022 aus der Atomenergie auszusteigen. Dieser Beschluss wurde damals mit großer Mehrheit im Bundestag gefasst. Im letzten Jahr haben dann CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag geschlossen. Darin gibt es zwei ganz entscheidende Punkte.

Der erste: Die Bundesregierung wird Gespräche mit den Energieversorgern führen. – Und der zweite entscheidende Punkt: Die Kosten für den Atommüll und den Rückbau werden von den Verursachern getragen.

Dieser zweite Punkt ist die eigentliche Grundlage für die heutige Debatte hier. In der Aktuellen Stunde, die schon mehrfach zitiert wurde, von Mitte Mai dieses Jahres haben meine Ministerkollegen Duin und Remmel deutlich unterstrichen: Hier gilt ganz klar das Verursacherprinzip. Wir akzeptieren keine Lösung, die die im Raum stehenden Kosten auf den Staat oder die Bürgerinnen und Bürger abwälzt. – An diesem Standpunkt hat sich bis heute nichts geändert.

Es hat sich auch nichts geändert an der Perspektive und im aktuellen Stand auf Bundesebene. Wir können spekulieren, wie wir wollen – solange die Rahmenbedingungen nicht klar feststehen, erübrigt sich die Frage, welche Auswirkungen sich für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber auch für unsere Kommunen ergeben. Das gilt natürlich auch für die kommunalen Beteiligungen an RWE; denn auch die künftige geschäftliche Entwicklung von RWE und damit eventuelle künftige negative finanzielle Auswirkungen auf die kommunalen RWE-Aktionäre lassen sich nicht sicher prognostizieren.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kern von den Piraten zulassen?

Thomas Kutschaty, Justizminister: Ja, bitte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Zunächst einmal habe ich zur Kenntnis genommen und begrüße es, dass Sie sich jetzt in diesem Zusammenhang ausdrücklich zum Verursacherprinzip bekennen.

Nur: Können Sie nachvollziehen, dass Bedenken daran bestehen, dass das auch tatsächlich in der Praxis so erfolgt? Wenn man sich anschaut, dass bei dem anderen energiepolitisch brisanten Thema, dem Ausstieg aus der Steinkohle, wo es um die Ewigkeitskosten geht, die durch diesen Energieträger verursacht wurden und in Zukunft verursacht werden, das gewählte Modell eben auch eine Stiftung war, die RAG-Stiftung, bei der es jetzt schon absehbar ist, dass das zur Verfügung gestellte Vermögen eben nicht ausreichen wird, um in Zukunft diese Kosten zu decken, sondern sich bereits jetzt eine Lücke von 6 Milliarden € auftut, die zulasten des Steuerzahlers geht, dann bestehen von unserer Seite aus eben Bedenken, dass hier vonseiten der Landesregierung konsequent gehandelt wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, bitte schön.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sie mögen eventuell Bedenken haben, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben. Aber die Situation ist nicht mit dem Ausstieg aus der Steinkohle vergleichbar, weil wir ganz eindeutig die Positionierung aller Beteiligten in Verantwortung haben, dass schon jetzt klar festgelegt ist, dass das Verursacherprinzip hier zur Geltung kommen wird.

Lassen Sie mich aber zu den kommunalen Beteiligungen zurückkommen. Darum geht es Ihnen ja, glaube ich, in Ihrem Antrag; das ist ja das Entscheidende. Es geht um die künftigen geschäftlichen Entwicklungen, die wir hier prognostizieren sollen, was meines Erachtens schwer bis nahezu unmöglich ist. Denn auch die Geschäftspolitik der Energiekonzerne wird nicht vom Land Nordrhein-Westfalen betrieben, sondern letztlich von den Aktionären und den Gesellschaftsorganen der entsprechenden Unternehmen. Wirtschaftliche Betätigungen sind stets mit Chancen, aber auch mit Risiken verbunden. Die Kommunen wissen um ihre Betroffenheit.

Insofern macht Ihr Antrag, hier und jetzt eine Auflistung der kommunalen Beteiligungen vorzunehmen oder gar ein Gutachten in Auftrag zu geben über etwas, was wir zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht klar abschätzen können, überhaupt keinen Sinn. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der Piraten hat sich noch einmal der Kollege Schulz gemeldet.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht gerade so, dass ich nicht schon in der Vorüberlegung antizipiert hätte, was hier heute gesagt wird. Deswegen möchte ich noch einmal kurz darauf eingehen.

Herr Minister Kutschaty und auch andere Redner hatten es geben angedeutet: Ja, vieles ist Spekulation. Aber es ist gerade auch Gegenstand von Gutachten, die Szenarien aufzeigen, dass dort ein Stück weit Spekulation enthalten ist. Wir haben bestimmte wirtschaftliche Rahmendaten und Eckdaten, und wir haben die Beteiligungen. Wer beispielsweise an RWE beteiligt ist, ist bekannt. Die Liste liegt vor.

Jetzt geht es noch darum, dass die Kommunen einmal sagen müssten, wie hoch die jeweiligen Beteiligungen sind. Vereinzelt wurde das in den letzten Wochen und Monaten schon ausgeführt im Zusammenhang mit Wertabschreibungen bezüglich der RWE-Beteiligungen.

Worüber wir aber keinen Zweifel mehr haben sollten – und, Herr Kufen, da muss ich Ihnen einmal entgegenspringen, und zwar etwas lauter –: Sich hier immer noch auf den „Spiegel“-Artikel zu berufen und zu sagen, das sei halt nur ein „Spiegel“-Artikel gewesen, halte ich angesichts der Tatsache weiterer Berichterstattungen in verschiedenen Medien – „FAZ“, „Süddeutsche“ usw., nicht zuletzt „Rheinische Post“ vom 29. Mai – insofern für außergewöhnlich, als dort ausgeführt wird, dass der Vizechef von RWE, nämlich Rolf Martin Schmitz, bereits vor der Bundestagswahl bei der damaligen Bundesregierung mit den Konzepten aufgeschlagen ist. Mindestens seitdem ist also auf Bundesebene

(Zuruf von der SPD)

– Herr Laschet ist ja nun einmal auch Bundesvorsitzender – diese Angelegenheit bekannt, und dementsprechend wird, wie es heute hieß, wahrscheinlich schon im Hinterzimmer verhandelt. Aktuell ist Werner Müller, der Vorsitzende der RAG-Stiftung, derjenige, der hier nun mit der Atomstiftung reüssieren soll. Jetzt davon zu reden, das sei nur spekulativ, damit kommen wir also nicht weiter.

Fakt ist jedenfalls – und das ist ein ganz entscheidender Punkt –: Sowohl den nicht anwesenden Minister Duin wie auch den nicht anwesenden Minister Remmel würde ich gerne einmal in den Saal hereinholen, und zwar mit jeweils einem Zitat. Minister Duin sagte am 15. Mai:

„Trotzdem ist unstreitig, dass uns das Thema ‚Folgen des Atomausstiegs und damit verbundene Zukunftslasten‘ in der Zukunft immens beschäftigen wird. Das sollten wir dann aber auf der Basis eines gesicherten Konzeptes und gesicherter inhaltlicher Daten diskutieren.“

Herr Minister Remmel sagte – ebenfalls 15.05. –:

„Insofern finde ich es schon sinnvoll, darüber zu diskutieren. Ich finde es schon sinnvoll, dass dieses Thema auf der Tagesordnung steht, weil endlich der Fokus dahin gelegt wird, wo er hingehört. … Wie können wir die öffentlichen Interessen sichern, wenn es um die Rückstellungen geht? Das ist das zentrale Moment.“

Nun sage ich: Gegenstand unseres Antrages ist es, die Grundlage zu schaffen, dass die Landesregierung in die Lage versetzt wird, auf Augenhöhe im Bund zu diskutieren – auch mit den Unternehmen und Konzernen. Dafür bedarf es der Grundlagenermittlung. Das beste Element für eine Grundlagenermittlung ist nun einmal ein Gutachten, insbesondere im Rahmen der kommunalen Familie, die Informationen beizuziehen, die Grundlagen für dieses Gutachten werden.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Anderenfalls müssen wir davon ausgehen, dass die Landesregierung gerade im Bereich des Atomausstiegs und der Folgelasten weiterhin ohne Kompass und ohne Landkarte unterwegs ist. Das gilt es zu vermeiden. Dem dient unser Antrag.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege!

Dietmar Schulz (PIRATEN): Wenn Sie Bedenken haben, was die Kommunen angeht – ich komme zum Ende, Herr Präsident –, so kommen wir Ihnen dadurch entgegen, dass wir über den Antrag zu Ziffer 1 und 2 differenziert abstimmen lassen, sodass Sie beispielsweise die Kommunen verschonen können, was die Beteiligungsoffenlegung angeht. Wir allerdings von den Piraten sind dafür, dass auch die Kommunen die Beteiligung endlich offenlegen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen damit zur Abstimmung.

Die Fraktion der Piraten hat als Antragstellerin gemäß § 42 Abs. 2 Geschäftsordnung zu diesem Antrag Einzelabstimmung beantragt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffer II des Forderungskataloges des Antrages der Fraktion der Piraten. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? - Damit ist Punkt 1 dieses Forderungskataloges abgestimmt: Zustimmung der Piraten und Ablehnung aller anderen Fraktionen sowie des fraktionslosen Abgeordneten Stein.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über Ziffer II des Forderungskataloges.

(Christof Rasche [FDP]: Wir haben gerade über Ziffer 2 abgestimmt!)

– Nein, wir haben gerade abgestimmt über Ziffer II. Ich hole einmal den Antrag heraus. Das ist hier so formuliert. Ich werde jetzt den Antrag zitieren. Dann ist das ein Druckfehler. Das war die Ziffer II. Es gibt auch nur zwei Punkte, die in dem Antrag enthalten sind …

(Zuruf von der Verwaltung)

Wir kommen damit zur Abstimmung über Nummer 2. Nummer 1 war die „transparente und vollständige Aufstellung“. Darüber haben wir gerade abgestimmt.

Wir kommen jetzt zu dem Forderungskatalog der Piraten, Ziffer II Nummer 2 des Forderungskataloges. Herr Kollege, ich habe eben gesagt: Ziffer II 1. des Forderungskataloges. Dies ist jetzt Ziffer II Nummer 2 des Forderungskataloges. Ich glaube, dann ist es klar. Wenn man den Antrag vor sich liegen hat, ist es noch klarer.

Darüber lasse ich jetzt abstimmen. Ich wiederhole: Ziffer II Nummer 2 des Forderungskataloges. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist auch Ziffer II Nummer 2 des Forderungskataloges abgestimmt bei Zustimmung der Piraten und Gegenstimmen von SPD, CDU, Grüne, FDP sowie des fraktionslosen Abgeordneten Stein.

Wir kommen nun zur Gesamtabstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/5960. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Die Piraten stimmen zu. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist auch bei der Gesamtabstimmung der Antrag Drucksache 16/5960 abgelehnt mit den Stimmen der SPD, der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der FDP und des fraktionslosen Abgeordneten Stein gegen die Stimmen der Piraten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt

5   Dialogverfahren zum Abbau bürokratischer Vorgaben in Nordrhein-Westfalen starten

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5963

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion der Kollegin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte um Vorgaben, Regelungen und Standards für die kommunale Ebene wird seit ewigen Zeiten geführt. Zahlreiche Oberbürgermeister, Landräte, Bürgermeister, Stadträte und Kreistage fordern immer wieder eine Entlastung von teuren Vorgaben, Regelungen und Standards. Oft hört man dabei: Man sollte, man könnte, man müsste. An dieser Stelle kann man fragen: Was würden wir eigentlich im Deutschen machen, wenn es den Konjunktiv nicht gäbe?

Nun wollen wir als CDU-Fraktion, dass diesen wortreichen Debatten, die über die letzten Jahre und Jahrzehnte geführt worden sind, endlich Taten folgen. Wir wollen, dass wie in Hessen ein permanentes Dialogverfahren durch uns als Landtag initiiert wird, Vorgaben und Regelungen kritisch hinterfragt werden und man dort, wo es erforderlich ist, dazu beiträgt, dass diese Vorgaben, Regelungen und Standards wieder abgebaut werden können.

Gerade die hochverschuldete kommunale Ebene ächzt unter den immer neuen Vorgaben, Regelungen und Standards, die auch hier aus dem Düsseldorfer Landtag kommen. Dieser Antrag ist daher ein Beitrag zu der Frage, wie die Haushalte unserer Kommunen dauerhaft finanziell entlastet werden können. Die Sanierung kommunaler Haushalte ist eine Daueraufgabe, die sich auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen stellt.

Hierzu gehört es aber auch, genauer auf die Seite der Kostenentstehung zu schauen. Diese Aufgabe – sind wir der festen Überzeugung als CDU-Fraktion – kann nur im Dialog mit denen angegangen werden, die tagtäglich mit der Umsetzung und mit dem Leben dieser Vorgaben zu tun haben. Das sind die Hauptverwaltungsbeamten. Das sind die kommunalen Spitzenverbände und die lokale Politik.

Es ist das vorrangige Ziel der CDU-Landtags-fraktion, dass in einem konstruktiven Dialogprozess Vorgaben und Regelungen kritisch auf ihre Notwendigkeit hinterfragt werden und wir insgesamt zu konstruktiven Lösungen kommen. Dabei gehören alle Ideen auf den Tisch und alle Ideen gehören auch diskutiert. Deshalb haben wir übrigens in unserem Antrag keine konkrete Vorgabe zur Abschaffung vorgeschlagen – nicht, weil wir das nicht könnten, sondern weil wir offen in diesen Dialogprozess hineingehen wollen.

Wir sind uns bewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ein solches Dialogverfahren ein mühsamer Prozess für alle Beteiligten wird. Dieses Dialogverfahren wird in Nordrhein-Westfalen genauso wie in Hessen dazu beitragen, dass es im Rahmen von Diskussionen über Vorgaben, Regelungen und Standards, die wir hier im Landtag diskutieren, zu einer höheren Sensibilität für die kommunale Ebene kommt.

Kommunale Haushaltskonsolidierung bedeutet nicht nur, die Einnahmeseite zu erhöhen, sondern kommunale Haushaltskonsolidierung bedeutet auch, die Ausgabenseite auf den Prüfstand zu stellen.

Deshalb gehört es dazu, dass wir als staatliche Ebene, als Landtag, uns an die Seite unserer Kommunen stellen und wir gemeinsam dazu beitragen, die kommunale Ebene von kostenträchtigen Vorgaben und Regelungen zu befreien. Dies geht eben nur in einem Dialogverfahren, so wie wir es heute mit diesem Antrag, der ja im Kommunalausschuss beraten werden wird, vorschlagen.

Abschließend: Wir freuen uns auf die Beratungen. Wir hoffen, dass aus diesem Antrag, ein Dialogverfahren in Nordrhein-Westfalen zu etablieren, auch ein Dialog mit den regierungstragenden Fraktionen wird, sodass es am Ende eingerichtet werden kann, denn wir wollen, dass aus dem „man müsste“, „man sollte“, „man könnte“ ein „wir machen“ wird. Dazu laden wir Sie gerne ein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Kämmerling.

Stefan Kämmerling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der hier zu beratende Antrag der CDU widmet sich gleich zu Beginn der Beschreibung der angespannten Finanzsituation der nordrhein-westfäli-schen Kommunen. Recht haben Sie: Die Finanzlage in der kommunalen Familie ist schwierig.

Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, fordern ein Gesamtkonzept zur Konsolidierung. Als Ansatzpunkt hierfür sehen Sie eine Entlastung der Kommunen von kostenträchtigen Standards. Das hört sich isoliert betrachtet nicht schlecht an, man muss aber immer genau hinsehen, wer da gerade was fordert. Wenn die Kämmerer in unseren Städten nämlich hören, dass sich die CDU in unserem Land mit kommunalen Finanzen und Mitsprachemöglichkeiten beschäftigt, dann erfasst diese Kämmerer in aller Regel das kalte Grausen. Viel zu frisch sind noch die Erinnerungen an die kommunalen Raubzüge von CDU und FDP in den Jahren 2005 bis 2010.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Die Bereicherungen an den kommunalen Kassen von 3 Milliarden €, die Befrachtung zugunsten des damaligen Landeshaushaltes und das von Ihnen sträflich vernachlässigte Gemeindefinanzierungsgesetz sind hier als Kernpunkte Ihrer damaligen „Kommunalfreundlichkeit“ zu erwähnen.

Heute treten Sie der finanziellen Lage unserer Kommunen mit einem neuen Ansatz nahe. Mit drei Punkten im Beschlussteil Ihres Antrages wollen Sie Standards abbauen, den Dialog fördern und unnötige neue Standards verhindern. Grundsätzlich kann man nicht dagegen sein, das hört sich soweit vernünftig an, jedoch sollte man sich auch anschauen, ob man nicht etwas beschließt, was längst funktioniert.

Frau Scharrenbach, Sie sagten: „man sollte“, „man könnte“, „man müsste“. Ich will Ihnen in drei Punkten einmal sagen, wo wir in Nordrhein-Westfalen stehen, denn vieles, was man sollte, könnte und müsste, wird bereits erfolgreich gemacht.

Erstens. In Nordrhein-Westfalen erfolgt – und das erfolgreich – die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände bereits seit Jahrzehnten. Diese Beteiligung, Frau Kollegin Scharrenbach – Sie werden nicht bestreiten, dass es sie gibt –, zu institutionalisieren, hieße nichts anders, als sie um ein zusätzliches Element zu befrachten.

Zweitens. Allen Kolleginnen und Kollegen im Raum dürfte die GGO, also die Gemeinsame Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen, ein Begriff sein. In dieser ist heute schon glasklar geregelt, dass die Kommunen, dass die kommunalen Spitzenverbände bereits im Vorfeld von Gesetzen beteiligt werden, sofern denn kommunale Anliegen tangiert werden.

Schon seit 2004 – das ist Punkt drei – kennen wir den Konnexitätsgrundsatz. Egal was der Gesetzgeber macht: Richtigerweise werden immer die finanziellen Folgen für untergeordnete Einheiten betrachtet. Diese Regelung hat sogar Verfassungsrang.

Das waren drei Punkte zum Status aktueller Beteiligungsmöglichkeiten. Aber damit ist die Aufzählung noch nicht einmal komplett. Und weil das so ist, müssen wir auch nicht den Punkt 1 des Beschlussteils Ihres Antrages beschließen, denn der beschriebene Sachverhalt ist selbstverständlich und längst Praxis.

Punkt 3 Ihres Antrages überzeugt aus meiner Sicht auch nicht. Auch hier gilt, dass das bereits Praxis ist.

Ein Dialogverfahren nach dem Vorbild Hessen, also Punkt 2 Ihres Antrags, haben wir in Nordrhein-Westfalen in der Tat nicht. Ohne es im Detail zu kennen, wollen wir es heute aber auch nicht totreden. Das sollten wir uns im Ausschuss gerne einmal genauer anschauen, wenngleich ich schon die Befürchtung habe, dass ein zusätzliches Dialogverfahren zusätzlichen Aufwand und damit zusätzliche Kosten verursacht, was dann auch nicht im Sinne Ihres Anliegens sein dürfte. Aber schauen wir uns das einmal gemeinsam an.

Ich ziehe ein Fazit, meine Damen und Herren: Wir haben gute und funktionierende Regelungen zur partnerschaftlichen Beteiligung unserer Kommunen, für welche sich das Land Nordrhein-Westfalen verantwortlich zeichnet. Diese Landesregierung lebt in vorbildlicher Weise den Dialog mit kommunalen Spitzenverbänden und Kommunen. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir auch nicht institutionalisieren, was längst funktioniert.

Was die Kolleginnen und Kollegen in Hessen beschlossen haben, wollen wir uns gerne einmal im Ausschuss anschauen. Der Überweisung stimmen wir selbstverständlich gerne zu. Wir freuen uns auf die Beratungen im Ausschuss für Kommunalpolitik. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kämmerling. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Frau Scharrenbach, es gibt Anträge, auf die man gerne eingeht, und es gibt Anträge, die werden eher lustlos kommentiert. Dieser ist eher in der zweiten Kategorie anzusiedeln.

Warum sage ich das? – Wenn man sich ansieht, inwieweit durch überfrachtende Standards Kosten ausgelöst werden, wenn man sich ansieht, wie dies in diesem Hause von den regierungstragenden Fraktionen, von der Landesregierung gehandhabt wird, dann stellt man fest: Es gibt regelmäßige Gespräche auf der Arbeitsebene zwischen den Ministerien zum einen und den kommunalen Spitzenverbänden zum anderen, und zwar im Vorfeld von Gesetzen und Verordnungen.

Seit 2004 – das hat der Kollege Kämmerling bereits ausgeführt – ist das Konnexitätsprinzip in der Landesverfassung verankert. Wer sich die intensiven Diskussionen beispielsweise zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz zu Gemüte führt, der stellt fest, dass vonseiten der Kommunen genau darauf geachtet wird, inwieweit damit kommunale Folgen, respektive Kosten einhergehen. Dies tragen sie auch entsprechend vor.

Wir machen regelmäßig Evaluierungen bezogen auf die Frage, inwieweit die entsprechenden Vorhaben auch ihr Ziel erreichen. Darüber hinaus sind die Gesetze in der Regel – nicht alle – zeitlich befristet. Wenn Sie sich alleine die üblichen vorgezogenen Beteiligungsverfahren anhören, denke ich schon, dass in diesem Zusammenhang, bezogen etwa auf die Frage „Inwieweit sind Standards notwendig?“ ein Instrumentarium vorhanden ist, das sich durchaus im Vergleich zu anderen Bundesländern sehen lassen kann. Das zum einen.

Zum Zweiten mache ich den Bürokratieabbau an einzelnen Beispielen fest:

Bestattungsgesetz: Wegfall bodennutzungsrechtlicher Voraussetzungen bei der Ascheverstreuung; KiBiz: nur noch Führung landesweit vereinfachter Verwendungsnachweise; Tariftreue- und Vergabegesetz: bezogen auf die Frage „Welche Bescheinigungen sind vorzulegen?“ eine einmalige Abgabe ist für die Dauer von einem Jahr möglich; Änderung der Landesbauordnung im Zusammenhang mit der Genehmigungsfreiheit für den Bau von Fotovoltaikanlagen.

Es gibt, wie gesagt, eine Reihe von Themen, die in diesem Zusammenhang angepackt worden sind. Insofern – da stimme ich Herrn Kämmerling ausdrücklich zu – sind Punkt 1 und Punkt 3 Ihres Antrags gängige Praxis, und insofern sehen wir keinen Handlungsbedarf.

Zu Punkt 2 Ihres Antrags „Dialogverfahren, kommunale Standards hinterfragen usw.“ habe ich mir einen Erfahrungsbericht aus Oktober 2011 aus dem Netz geholt, herausgegeben vom hessischen Finanzministerium, dem zu entnehmen ist, wie das Ganze bewertet wird.

Das Dialogverfahren in Hessen besteht seit 2009. Im ersten Anlauf wurden zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und entsprechenden Arbeitsgruppen auf der Ebene der Landesregierung 300 Vorschläge erarbeitet. Das Resümee nach zwei Jahren: In mehreren kleineren Bereichen wurden Fortschritte erzielt.

Hinsichtlich einer Entlastung des Haushaltsvolumens heißt es vonseiten des hessischen Finanzministeriums – soweit ich weiß, ist das damals CDU-geführt gewesen –: Das war überschaubar.

Zu der Frage, was an Handlungsempfehlungen an den Bundesgesetzgeber weitergeleitet worden ist: Im Wesentlichen waren es zehn Vorschläge. Einer ist sofort aufgegriffen worden, fünf sind sofort verworfen worden, vier weitere wurden geprüft. Vonseiten des hessischen Finanzministeriums wird angemerkt: Erstaunlich ist das Beharrungsvermögen der einzelnen Fachbehörden auf der Bundesebene.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Das Resümee heißt: Die bisherige Erfahrung stimmt zwar nicht euphorisch, aber verhalten optimistisch. Oder anders formuliert: Das Ziel, das man sich mit diesem Verfahren gesetzt hat, ist bei Weitem nicht erreicht worden. Insofern macht es Sinn, sich mit dem Thema noch einmal zu beschäftigen. Möglicherweise ist der Erfahrungshorizont 2014 ein anderer als der zum damaligen Zeitpunkt vorhandene Sachstand.

Wir können zumindest feststellen, dass die kommunalen Spitzenverbände bzw. Teile der kommunalen Familie uns nicht die Tür einlaufen und nach einem solchen Instrumentarium verlangen. Mich würde es sehr interessieren, wie die kommunalen Spitzenverbände Ihren Vorschlag sehen.

Wenn man das Thema „Bürokratieabbau“ betrachtet, wie es seinerzeit von der Vorvorgängerlandesregierung vorgenommen worden ist – Herr Kämmerling hat das eine oder andere dazu gesagt –, ergibt sich: Allein die Übertragung der Landesbehörden im Bereich der Versorgungsverwaltung und der Umweltverwaltung hat zu entsprechenden Mehrbelastungen seitens der Kommunen geführt. Das ist allen noch in guter Erinnerung.

(Zuruf von der CDU: Finanzausgleich!)

– Ja, ich weiß auch, …

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Mario Krüger (GRÜNE): … wie letztendlich von den Gerichten entschieden worden ist, inwieweit dieser Finanzausgleich auskömmlich war.

Zum Zweiten habe ich als Dortmunder noch recht gut die Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Personalabbau, der im Bereich der Umweltbehörden bei der Bezirksregierung, Stichwort: Envio, vorgenommen worden ist, in Erinnerung.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit, Herr Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Dadurch haben wir erhebliche Nachteile für die Bevölkerung hinnehmen müssen. Gott seit Dank ist in diesem Zusammenhang erheblich personell nachgerüstet worden. Denn es macht durchaus Sinn, an bestimmten Punkten mit dem entsprechenden Tableau zu arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte ist mir etwas zu lustlos und emotionslos, Herr Kämmerling, Herr Kollege Krüger. Wenn man Sie so reden hört, scheint in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen alles in rosaroten Farben gemalt zu sein. Dann brauchen wir uns mit Bürokratieabbau in den Kommunen gar nicht beschäftigen und können die 60 Milliarden € Schulden, die die Kommunen aktuell aufgehäuft haben, wie wir amtlich wissen, auch ignorieren. Ich rate Ihnen dringend, sich auch emotional mit dem Thema ein bisschen mehr auseinanderzusetzen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Der Volksmund beschreibt es treffend: Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare.

Selbstverständlich kennen wir alle auch den Liedermacher Reinhard Mey, der einst einen Behördengänger auf der verzweifelten Suche nach einem Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars besungen hat.

Insofern gehört es für mich zu den immer wiederkehrenden Phänomenen im kommunalen Bereich, dass man über Bürokratie vor Ort stöhnt und ächzt, weniger Bürokratie fordert, aber wenn es dann konkret wird, schlägt die Stunde der Bedenkenträger. Das ist beim Brandschutz so, bei der Energieeinsparverordnung, beim Arbeitsschutz, bei der Inklusion. Wann immer es um die Eröffnung einer Debatte geht, Bürokratie abzubauen und Standards einfach mal zu hinterfragen, treten interessierte Kreise auf den Plan und blockieren jedwede Diskussion schon im Ansatz.

Ich kann mich gut an die reflexartige Reaktion der Landesregierung auf das kürzlich von der IHK NRW vorgestellte FiFo-Gutachten zu den kommunalen Kostentreibern erinnern. Dazu mag man stehen, wie man will, aber die Dinge zu negieren, ist nicht die Lösung. Man muss sich schon ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen.

(Beifall von der FDP)

Auch die Standarddebatte, die wir im Rahmen der letzten Gemeindefinanzreformkommission auf Ebene des Bundes hatten, hat keinen Durchbruch gebracht: viele Diskussionen, Arbeitsgruppen, einzelne Standards, die mal angepackt wurden, aber keinen Durchbruch.

Ich sage Ihnen voraus: Wir werden das auch am Beispiel des Bundesteilhabegeldes im Rahmen der Eingliederungshilfe erleben. Das wird eher zur gesetzlichen Verankerung von noch mehr neuen Vorgaben, noch höheren Standards und damit noch höheren Kosten führen, die dann den Kommunen aufgedrückt werden.

Wir müssen jetzt diese Spirale durchbrechen. Das übliche „Weiter so!“ und „Mehr“ darf es nicht geben. Bauminister Michael Groschek sagt immer gerne, wenn er über Wohnraumförderung spricht: weniger und anders. – Ich finde, für die kommunale Ebene sollte man sagen: weniger, flexibler, praktikabler. Das sollte das Motto sein, wenn wir in Nordrhein-Westfalen einen echten Dialogprozess zum Abbau bürokratischer Vorgaben im kommunalen Bereich starten.

Der Antrag der Kolleginnen und Kollegen der CDU, Frau Kollegin Scharrenbach, ist aus unserer Sicht grundsätzlich zu begrüßen. Sie flankieren mit diesem Antrag das, was wir mit unseren eigenen Initiativen zum Thema „Bürokratieabbau“ bereits auf den Weg bringen wollen. Dabei wollen wir die Diskussion auch anderer Stelle noch etwas vertiefen, nicht nur auf die kommunale Ebene bezogen. Frau Kollegin Scharrenbach, da wäre sicherlich die Überlegung sinnvoll, diese Dinge zusammenzuführen.

Auch über das hessische Modell können wir grundsätzlich gerne sprechen, denn auch das kann eine Plattform sein, um entsprechende Forderungen zu formulieren.

Herr Kollege Krüger, Sie haben vorhin Ihre Brille hier am Rednerpult vergessen, was hoffentlich nicht dem Durchblick schadet. Ich gebe sie Ihnen kollegialerweise gleich gerne zurück.

(Mario Krüger [GRÜNE]: Wir sehen Sie noch!)

Eines ist aber auch klar: Die Landesregierung hat seit sie im Amt ist eine Menge an Bürokratie aufgebaut.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Herr Kollege Krüger, das Tariftreue- und Vergabegesetz hier sozusagen als „bürokratiefrei“ abzufeiern, ist wirklich ein starkes Stück!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Oder die Themen Klimaschutzplan, Hygieneampel etc. – überall gibt es einen zusätzlichen Bürokratie- und Behördenaufwand. Ich glaube, wir wären schon gut beraten, wenn wir in Zukunft unsere eigene Gesetzgebungsarbeit hier im Landtag – und da sind Sie in der Landesregierung federführend – …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): … daran messen lassen, den Kommunen und anderen Stellen nicht immer nur zusätzliche Lasten aufzubürden.

Wir freuen uns auf die Debatte im zuständigen Fachausschuss. Für den Durchblick gebe ich Ihnen jetzt gerne noch Ihre Brille. – Vielen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abruszat, der Herr Kollege Krüger wollte nicht nur seine Brille entgegennehmen, sondern hätte Ihnen auch gerne eine Zwischenfrage gestellt. Jetzt sind Sie am Ende Ihrer Rede. Gleichwohl – weil ich Sie nicht so richtig unterbrechen konnte – möchte ich Sie fragen, ob Sie diese jetzt noch zulassen möchten.

Kai Abruszat (FDP): Aber natürlich.

Präsidentin Carina Gödecke: Dann machen wir das doch.

Mario Krüger (GRÜNE): Ist auch ganz kurz. – Herr Abruszat, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es mit Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bei behördlichen Bescheiden – Sie entsinnen sich; das war eine schwarz-gelbe Großtat – alleine in Dortmund eine Vervierfachung von Klageverfahren bei Verwaltungsgerichtsverfahren – bezogen auf Bescheide der Stadt Dortmund – gegeben hat?

Kai Abruszat (FDP): Ich kann sagen, dass die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens eine richtige Entscheidung war, weil nämlich Widerspruchsverfahren – da haben Sie die seinerzeitige Debatte sicherlich verfolgt – dazu geführt haben, dass die Widerspruchsbescheide in der Regel die gleiche Qualität hatten wie die Ausgangsbescheide.

Nur in den wenigsten Fällen hatten Widerspruchsverfahren Aussicht auf Erfolg. Dies jetzt als Beispiel im Zusammenhang mit dem CDU-Antrag anzuführen, ist meiner Meinung nach nicht geeignet. Aber wir können gerne im zuständigen Fachausschuss darüber sprechen, und das machen wir wie immer in kollegialer Weise. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen auf der Tribüne und natürlich auch im Livestream! Im vorliegenden Antrag sprechen Sie, Frau Kollegin Scharrenbach, von kostenträchtigen Standards und fordern für die Kommunen größere Flexibilität im Bereich der Erfüllung dieser Standards. Das kann man sich durchaus anschauen.

Auch mit der Idee, Standards zusammen mit der kommunalen Familie auf Betreiben der Kommunen auf den Prüfstand zu stellen, können wir gut leben. Hier gibt es sicherlich ein gewisses Einsparpotenzial. Wie groß es sein wird, wird man dann noch sehen. Ich bezweifle, dass es so groß sein wird.

Man muss jedoch ein wenig unterscheiden. Es gibt ja nicht nur Standards, die vom Land gesetzt sind, sondern auch solche auf Bundes- und EU-Ebene. Da dürfen wir keine falschen Hoffnungen wecken, dass wir dort allzu viel erreichen könnten. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Apropos Geld und Kosten: Es gibt durchaus Standards, die viel Geld kosten, die aber auch sehr sinnvoll sind. Da werden wir den Kommunen wahrscheinlich keine Erleichterung verschaffen können, was aber vermutlich richtig sein dürfte.

Wo ich allerdings ein sehr großes Einsparpotenzial sehe, ist die Effizienz im IT-Bereich. Hier hat die staatliche Ebene noch richtig viel Nachholbedarf. Beispielhaft möchte ich hier auf eine Keynote hinweisen, die ich den Interessierten antragen kann. Sie stammt vom April 2014 und wurde auf dem Kongress „Effizienter Staat“ gehalten.

Herr Professor Dr. Markus Nüttgens von der Universität Hamburg hielt dort einen Vortrag mit dem Titel „Produktivität 4.0 – IT-basierte Strategien für die Verwaltung im globalen Wettbewerb der Standorte“. Dabei gab er zu verstehen, dass man – zumindest bezogen auf den IT-Bereich – von der Bundes- bis zur Kommunalebene Einsparungen im mehrstelligen Millionenbereich vornehmen könnte, wenn man denn in der Verwaltung gemeinsame Software nutzen würde, auch gemeinsame freie Software, die es durchaus gibt. Dies könnte man sich in einem Dialogverfahren durchaus einmal zusammen anschauen.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Einsparpotenzial sehen wir übrigens auch hier auf Landesebene. Da liegt noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns, die wir durchaus angehen sollten.

Ich darf Herrn Professor Dr. Nüttgens zitieren:

„Wenn Staat und Kommunen … den nächsten Schritt in die Zukunft gehen, können sie dies nur digital, effizient und gemeinsam. Optimierung vorhandener Verfahren und Prozesse als Ganzes zu begreifen ist notwendig. Neues gilt es ebenso ganzheitlich, für alle Verwaltungsebenen gemeinsam, zu initialisieren. Digitale Schnittstellen stehen im Vordergrund dieses Prozesses. Der Bürger muss Bestandteil der digitalen Modernisierung sein, seine Bedürfnisse wie Kompetenzen müssen Planungsgrundlage und Maxime sein.“

Das ist ein Potenzial, das gehoben werden muss. Wenn wir das in dem Dialogverfahren ebenfalls unterbringen, haben Sie uns im Prinzip jetzt schon auf Ihrer Seite.

Wenn wir uns also über Standards und Einsparpotenziale unterhalten, sollten wir die Digitalisierung nicht außen vor lassen.

Nordrhein-Westfalen bietet dafür einen enorm großen Markt und damit auch eine sehr gute Basis, um schnelle und nachhaltige Erfolge zu produzieren. Die Lage in den nordrhein-westfälischen Kommunen zeigt, welch große Aufgaben weiterhin auf unsere Kommunalpolitiker zukommen. Wenn wir dort helfen können, dann müssen wir das tun. Dementsprechend stimmen wir selbstverständlich der Ausschussüberweisung zu und freuen uns auf die Gespräche im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty in Vertretung von Herrn Minister Jäger.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was den Abbau und die Vermeidung kostenintensiver Standards angeht, sind wir uns – das hat die bisherige Debatte hier und heute gezeigt – im Grunde in der Zielrichtung einig. Niemand fordert die Schaffung unnötiger Standards, wenngleich die Auffassungen, was nötig oder unnötig ist, in Einzelfällen natürlich sehr unterschiedlich ausfallen werden.

Für diese Landesregierung jedenfalls gilt: Wir befinden uns in einem ständigen Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden. Damit folgen wir einer gewissen Tradition in Nordrhein-Westfalen, die mehrere Jahrzehnte zurückreicht und auch in der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien so festgeschrieben ist. Dieser Dialog erzeugt Vertrauen auf beiden Seiten, und er funktioniert nach meinem Eindruck auch sehr gut. Ich kann Ihnen – soweit darf man, glaube ich, gehen – sagen: Es gibt kaum eine Beratung in der Landesregierung, wo nicht die Frage gestellt wird: Was sagen denn die kommunalen Spitzenverbände dazu? Ich weiß nicht, ob Sie vor Ihrer Antragstellung mit den kommunalen Spitzenverbänden gesprochen haben, was die zu Ihrem Antrag sagen. Wir fragen uns das jedenfalls immer bei allen wichtigen Entscheidungen. Dieser Dialog erzeugt ein Vertrauen auf beiden Seiten, und er funktioniert gut.

Dieser permanente Austausch stellt auch sicher, dass wir einen vernünftigen Ausgleich auf der einen Seite zwischen dem Wünschenswerten – sie nennen das etwas polemisch „überzogene Standardvorgaben“ – und dem Machbaren auf der anderen Seite herstellen. Dies ist – ich gebe das durchaus zu – natürlich nicht immer einfach. Unsere bisherigen Erfahrungen aber – beispielsweise bei der Konsolidierung der kommunalen Haushalte – zeigen deutlich: Die Kommunen sind sich dieser Problematik sehr bewusst. Dennoch befinden sie sich auf einem guten Weg, und wir als Landesregierung tun alles, was wir können, um sie dabei zu unterstützen. Wir sind gut beraten, an unsere bisherigen guten Erfahrungen anzuknüpfen.

Meine Damen und Herren, ein, wie es im Antrag heißt, „institutionalisiertes Verfahren“ – also ein zusätzliches Parallelverfahren – bringt allerdings – das bitte ich zu bedenken – eine ganze Menge Risiken mit sich. Ein solches Nebengleis kann nicht zum Abbau, sondern vielleicht sogar zum Aufbau von mehr Bürokratie beitragen.

Ich habe mir das Beispiel Hessen – weil Sie es in Ihrem Antrag ausdrücklich genannt haben – einmal genauer angeschaut. Dieses Beispiel belegt das eigentlich sehr eindrucksvoll. So hatte die Einführung dieses Dialogverfahrens in Hessen die Schaffung eines geradezu mustergültigen bürokratischen Apparats zur Folge. Zur Bewältigung der Aufgaben in Hessen wurden drei Arbeitsgruppen sowie eine Unterarbeitsgruppe eingerichtet. Die Vorschläge der Arbeitsgruppen werden einer Steuerungsgruppe zur Entscheidung vorgelegt, wobei ein zusätzliches Steuerungskomitee die Beschlussvorschläge vorbereitet und strukturiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen frage ich: Ist der Aufbau eines solchen Apparates wirklich ein effektiver Beitrag zum Bürokratieabbau, oder schafft er möglicherweise mehr Bürokratie? Ich finde, es sollte gelten, was wir in unserem Koalitionsvertrag festgelegt haben. Lassen Sie mich das zum Abschluss zitieren:

„Wir begrüßen es, wenn Kommunen sich aktiv in die Landespolitik einbringen. Sie leisten damit einen wertvollen Beitrag, NRW gemeinsam weiterzuentwickeln. Daher werden wir alle wesentlichen Reformen, die Städte und Gemeinden in NRW betreffen, in enger Abstimmung mit den Verantwortlichen aus den Kommunen und den sie vertretenden kommunalen Spitzenverbänden entwickeln und umsetzen.“

Vor diesem Hintergrund wünsche ich engagierte Debatten in den Ausschüssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages der CDU Drucksache 16/5963 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Möchte sich jemand enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf

6   Ehrenamtliche Jugendhilfe macht nicht an Ländergrenzen halt – Möglichkeiten des länderübergreifenden Verdienstausfalls schaffen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5757

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/6034

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Hafke hat für die FDP-Fraktion das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die ehrenamtliche Arbeit in der Jugendhilfe – beispielsweise als Jugendleiter in einer Ferienfreizeit – wird in den Bundesländern unterschiedlich organisiert und gefördert. In beinahe allen Bundesländern haben die Beschäftigen in der Privatwirtschaft jedoch einen Anspruch auf unbezahlte Sonderurlaubstage, wenn sie für einen anerkannten Maßnahmenträger der Jugendhilfe tätig sein wollen. In Nordrhein-Westfalen sind das acht Tage. Darüber hinaus gewährt das Land den ehrenamtlichen Jugendleitern zudem noch einen zumindest teilweisen Ausgleich für den Verdienstausfall.

Die Idee dahinter ist: Wer sich ehrenamtlich für Kinder und Jugendliche einsetzt, sollte dadurch keine allzu hohen wirtschaftlichen Nachteile erleiden. Das Sonderurlaubsgesetz in NRW gilt selbstverständlich nur hier in diesem Bundesland, da der NRW-Gesetzgeber es Unternehmen in anderen Bundesländern nicht vorschreiben kann, wann diese Sonderurlaub zu gewähren haben.

Folglich muss für die Gewährung von Sonderurlaub und dem damit einhergehenden Ausgleich des Verdienstausfalls sowohl das Unternehmen, bei dem der ehrenamtliche Jugendleiter beschäftigt ist, aber auch der Maßnahmenträger für die Jugendhilfe jeweils seinen Sitz in Nordrhein-Westfalen haben.

Arbeitnehmer, für die eine der beiden Bedingungen nicht zutrifft, können weder Sonderurlaub noch Verdienstausfall beantragen. Das trifft vor allem jene ehrenamtlichen Jugendleiter, die aus den Grenzregionen in andere Bundesländer zur Arbeit pendeln. Diese werden erheblich benachteiligt, da sie in ihrer Heimat keinerlei Ansprüche nach dem Sonderurlaubsgesetz haben.

Umgekehrt gilt jedoch auch: In Nordrhein-Westfalen tätige Arbeitnehmer, die in anderen Bundesländern als Jugendleiter tätig sein wollen, haben keinen rechtlichen Anspruch auf die Gewährung von Sonderurlaub.

Wir Liberale wollen keine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer. Wir sehen daher zwei Maßnahmen als notwendig an, um der Situation entgegenzuwirken:

Derzeit erhalten selbst jene Jugendleiter in Nordrhein-Westfalen keinen Ausgleich für ihren Verdienstausfall, wenn ihr Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Bundesland freiwillig Sonderurlaub gewährt. An der Stelle sehen wir die Möglichkeit, kurzfristig auf diese Situation zu reagieren, indem diesen ehrenamtlichen Jugendleitern der Ausgleich für ihren Verdienstausfall gewährt wird. Bisher wurden die dafür zur Verfügung stehenden Mittel übrigens noch nicht ausgeschöpft. Diese zusätzlichen Mittel sind also im Haushalt grundsätzlich vorhanden.

Mittelfristig wollen wir jedoch eine bessere Koordinierung der Bundesländer. Aus unserer Sicht wäre bereits viel gewonnen, wenn Maßnahmenträger, die in anderen Ländern anerkannt wurden, auch in Nordrhein-Westfalen anerkannt werden. So wäre nämlich jeder Arbeitnehmer in Deutschland berechtigt, in dem Bundesland, in dem sein Arbeitgeber seinen Sitz hat, nach dem dort geltenden Recht Sonderurlaub zu beantragen.

Wir wollen daher die Landesregierung beauftragen, Verfahren zu entwickeln, um diese Koordination zu ermöglichen. Für Ende des Jahres 2014 erwarten wir erste Resultate. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Debatte gemeinschaftlich und zielgerichtet führen. Die Piraten haben dazu heute schon einen Entschließungsantrag eingereicht, der – wie ich finde – in vielen Bereichen in die richtige Richtung geht.

Ich würde mich ebenfalls freuen, wenn man mit den anderen Fraktionen ein zielgerichtetes Verfahren hinbekommt, um dieses Problem tatsächlich zu lösen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Maelzer.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist dazu geeignet, einmal etwas grundsätzlicher in das Thema einzusteigen. Unser Gemeinwesen ist darauf angewiesen, dass sich Menschen freiwillig auch neben ihrem Beruf für ihre Mitmenschen engagieren. Nordrhein-Westfalen ist ein solidarisches Land. Das zeigt eine Ehrenamtsstudie der Technischen Universität Dortmund im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales aus dem Jahre 2011.

Diese Studie belegt: Die ehrenamtliche Tätigkeit von abhängig Beschäftigten hat im Vergleich zum Jahre 1999 stark zugenommen. 27,6% der abhängig Beschäftigten und damit mehr als jeder Vierte engagieren sich neben ihrem Beruf in mindestens einem Ehrenamt.

Auch und gerade in der ehrenamtlichen Jugendhilfe sind die Tätigkeitsfelder vielfältig: Freiwillige helfen in Jugendferienlagern, leiten Jugendreisen und Jugendfreizeiten, unterstützen bei Jugendsportveranstaltungen oder engagieren sich bei internationalen Begegnungen. Für diesen Einsatz sind wir sehr dankbar. Wir wissen: Nicht immer reicht für das Ehrenamt die Zeit nach dem Feierabend oder am Wochenende aus.

Deshalb gilt in Nordrhein-Westfalen bereits seit 1975 das Sonderurlaubsgesetz. Wer sich ehrenamtlich in der Jugendhilfe engagiert, kann seitdem bei seinem Arbeitgeber bis zu acht Tage Sonderurlaub im Jahr beantragen.

Der SPD ist die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen wichtig. Deshalb haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner dafür gesorgt, dass der Kinder- und Jugendförderplan des Landes auf mehr als 100 Millionen € deutlich aufgestockt wurde. Das sind übrigens mehr als 20 Millionen € mehr als in Ihrer Regierungszeit.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Junge Menschen benötigen Angebote der Kinder- und Jugendarbeit für ein gelingendes Aufwachsen. Der Kinder- und Jugendförderplan will deshalb sicherstellen, dass junge Menschen weiterhin vor Ort Angebote der Jugendarbeit vorfinden. Damit wir das dichte Netz an Angeboten aufrechterhalten können, braucht es neben den Hauptamtlichen in der Jugendarbeit eben auch die Freiwilligen, die neben ihrem Beruf Zeit für die ehrenamtliche Jugendhilfe aufbringen.

Damit diese Menschen keine finanziellen Nachteile erleiden, wenn sie bei ihrem Arbeitgeber Sonderurlaub beantragen, stellt das Land Nordrhein-Westfalen im Kinder- und Jugendförderplan knapp 2 Millionen € zur Verfügung. Ehrenamtlich Tätige in der Jugendarbeit können damit eine komplette oder anteilige Entschädigung für ihren Verdienstausfall erhalten.

Wie in dem vorliegenden Antrag zutreffend beschrieben, handelt es sich bei dem Sonderurlaubsgesetz um ein Landesgesetz. Aus diesem Grund ist es auch nur möglich, Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen zur Gewährung von Sonderurlaub zu verpflichten. Nur auf der Grundlage des Sonderurlaubsgesetzes kann eine Entschädigung für den Verdienstausfall gewährt werden. Das führt zu der eben beschriebenen Problemlage.

Welche Möglichkeiten es gibt, zu Veränderungen zu kommen, ist ein Thema, über das wir uns im Ausschuss in Ruhe austauschen sollten. Dort haben wir auch die Gelegenheit, uns mit den noch weitergehenden Forderungen des Entschließungsantrages der Piraten zu befassen.

Im Ausschuss sollte es aber auch um die Dimensionen des Problems gehen. Das sollten wir miteinander besprechen: Geht es um Tausende, Hunderte oder Dutzende Betroffene in Nordrhein-Westfalen? Oder sind bislang doch eher Einzelfälle bekannt?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Jedes ehrenamtliche Engagement – gerade in der Kinder- und Jugendarbeit – hat unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient.

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Auch wenn nur wenige betroffen sein sollten, müssen wir versuchen, für diese Personen eine Lösung zu finden. Aber der Weg ist entscheidend: Wir haben eben noch im Plenum über das Thema „Bürokratieabbau“ diskutiert. Aus Sicht der SPD sollte eine Lösung gefunden werden, die möglichst unbürokratisch wirkt. Eine untergesetzliche Lösung ist anzustreben, die keine bundesweiten Konsultationen der Länderministerien und Gesetzgebungsverfahren erfordert.

Aus unserer Sicht sollte deshalb geprüft werden, ob beispielsweise auf dem Erlassweg oder durch eine Konkretisierung der Richtlinien zum Kinder- und Jugendförderplan Möglichkeiten geschaffen werden können, den Lohnausfall für ehrenamtlich Tätige auszugleichen, die ihren Arbeitsplatz hinter den nordrhein-westfälischen Landesgrenzen haben.

Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der Landesregierung durchaus rasch zu konkreten Lösungsansätzen im Sinne der engagierten Ehrenamtlichen kommen werden. Damit wäre allen geholfen. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke.

(Beifall von Iris Preuß-Buchholz [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Maelzer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kern.

Walter Kern (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Um was es heute geht, ist von den beiden Antragstellern, die bereits gesprochen haben, schon gesagt worden: Es geht um die Stärkung ehrenamtlicher Jugendhilfe durch konsequentes Handeln und die Verbesserung der Möglichkeiten des Sonderurlaubsgesetzes für Jugendleiter, die ihren Arbeitgeber in anderen Bundesländern haben.

Es geht um Anerkennungskultur, nicht nur auf dem Papier und durch persönliche Erklärungen, sondern durch konkretes, auch finanzielles Handeln. Ziel ist es, den Lohnausfall für diese Arbeitnehmer auszugleichen. Es geht also um eine Verbesserung und Stärkung der Jugendhilfearbeit und ihrer Chancen. Es geht um eine positive Weiterentwicklung vorhandener Strukturen in der Jugendhilfearbeit durch Unterstützung der Jugendleiter.

Es geht um die sehr wichtige, nonformale Bildung, die in der Bildungspolitik genauso bedeutungsvoll ist wie die formale Bildung in Schule, Beruf und Hochschule und die ein Drittel der Lebensbildung ausmacht.

Bildung ist der wettbewerbsentscheidende Rohstoff, um unseren Wohlstand zu sichern. Dazu trägt insbesondere auch die persönlichkeitsstärkende, nonformale Bildung bei. Sie ist gerade durch die gute Jugendarbeit erreichbar.

Deshalb geht es um die Stärkung der Motivation der Jugendleiter sowie der Fortbildungsbereitschaft der Jugendleiter und um deren Unterstützung. Und es geht darum, auch in Zukunft mehr kompetentes und ausreichend ehrenamtliches Personal für durchzuführende Freizeitveranstaltungen, die tägliche Arbeit im Sportverein und Seminare zu haben. Es geht um die Stärkung von Verantwortungsübernahme und um Qualitätssicherung in der Jugendhilfe. Es geht um gleiche Chancen für alle Regionen Nordrhein-Westfalens, und zwar nicht nur in Ballungszentren, sondern insbesondere in grenznahen Regionen unseres Bundeslandes, zum Beispiel von Lippe bis nach Niedersachsen.

Alle jungen Einwohner müssen einen Zugang zur Bildung haben. Das gilt im Netz genauso wie in der Jugendhilfearbeit.

Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, wir können uns keine Fehlzeiten von Jugendleitern durch fehlenden Sonderurlaub und entsprechenden Verdienstausfall erlauben. Im Zeitalter eines grenzenlosen Europa geht es auch darum, administrative Behinderung innerhalb Deutschlands abzubauen und somit der Staatsverdrossenheit vorzubeugen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Gerade diejenigen, die sich heute noch einsetzen, müssen konsequent unterstützt werden. Diejenigen Mitbürger, die sich in der Jugendarbeit und Jugendhilfe einbringen, haben unsere ausdrückliche Unterstützung verdient. Heute geht es also darum, dass von Nordrhein-Westfalen ein Impuls ausgeht.

Deshalb ist eine Bundesratsinitiative sehr sinnvoll. Damit stärken wir den Föderalismus. Denn Föderalismus bedeutet nicht nur Dezentralität bis zur Selbstaufgabe. Die Länder sollten hierbei zusammenarbeiten. Deswegen, glaube ich, Dennis Maelzer, sollten wir im Ausschuss noch einmal darüber sprechen.

Es geht darum, zu verstehen, dass der gesellschaftliche Nutzen gegenüber dem Erfordernis, den Lohnausfall bei Sonderurlaub für die infrage kommende Zielgruppe der Jugendleiter unabhängig vom Wohnsitz des Arbeitgebers zu übernehmen, weitaus größer ist als die zu investierende Summe. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine rentierliche Investition.

Hierin liegt eine Chance nachhaltiger gesellschaftlicher Wertschöpfung. Es geht darum, die unterschiedlichen Sozialräume unseres Landes ihrem jeweiligen Anforderungsprofil entsprechend passend zu entwickeln und dabei die Subsidiarität zu stärken. Gerade deshalb muss die ehrenamtliche Jugendleitertätigkeit gestärkt werden. Sie ist gelebte Subsidiarität.

Neben grenznahen Regionen sind auch Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und aus Familien mit Zuwanderungsgeschichte zu stärken. Auch hierbei benötigen wir jeden Tag ehrenamtliche Unterstützung. Wir brauchen jede ehrenamtliche Jugendleiterin und jeden ehrenamtlichen Jugendleiter. Gerade bei der Durchführung von Ferienfreizeiten – das wurde eben bereits angesprochen – müssen wir auf das Jugendleiterpotenzial aus anderen Bundesländern zurückgreifen können.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Arbeitsleben stellt hohe Ansprüche an beide Seiten – die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Und deshalb brauchen wir eine standortfreie Regelung, die es ermöglicht, dass potenzielle Jugendleiter ihrer wichtigen und gesellschaftlich wertvollen Berufung und Überzeugung nachkommen können und dass sie einen vollen und teilweisen Ausgleich erhalten.

Meine Damen und Herren, dieser Antrag wirkt auf den ersten Blick klein. Er ist in seinen Wirkungen jedoch weit mehr. Er ist finanziell verkraftbar und hat große Auswirkungen. Dieser Antrag ist zwar klein, aber fein. Und ich bin der FDP dankbar für diesen Antrag.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Pablo Picasso hat einmal gesagt: „Ich suche keine Lösung – ich finde sie!“ – Die Lösung sowie der Lösungsweg sind beschrieben. Die CDU wird diesen Antrag konstruktiv begleiten, und wir hoffen auf die Unterstützung des gesamten Parlaments. So können wir die außerschulische, nonformale Bildung, die gesellschaftlich völlig unterschätzt wird, sicherstellen. Deshalb freuen wir uns auf eine gute und konstruktive Diskussion im Ausschuss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.

Dagmar Hanses (GRÜNE): Frau Präsidentin! Es ist mir immer fast ein wenig unheimlich, wenn beim Thema „Jugendpolitik“ ein solch breiter Konsens herrscht. Ich denke immer, liebe CDU: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: An den Früchtchen! – Zurufe: Oh!)

Deshalb wollen wir einmal gucken, wo bei den Oppositionsfraktionen die Substanz der Jugendpolitik tatsächlich liegt.

Ich danke Ihnen trotzdem für die bisherigen Beiträge, weil Sie alle die Bedeutung der nonformalen Bildung, die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements, die Bedeutung von Jugendlichen, die sich in Verbänden, Ferienfreizeiten, Ferienlagern, Ferienprogrammen, Einrichtungen, Institutionen und Verbänden engagieren, hervorgehoben haben. Das können wir nicht laut und nicht oft genug sagen. All das hat unsere Unterstützung, unseren Respekt und unsere Dankbarkeit verdient. Vielen Dank dafür.

(Beifall von der SPD und Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber die Frage ist – ich erkläre es gerne –, wie die FDP jetzt darauf kommt, die Arbeitnehmerinnenrechte zu entdecken. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne darauf hinweisen, dass die jugendpolitischen…

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das interessiert uns auch schon viel länger als die Grünen!)

– Das überrascht mich. Das ist mir bisher nicht zugetragen worden. Deshalb möchte ich allen, die nicht jugendpolitische Sprecherinnen ihrer Fraktionen sind, darauf aufmerksam machen, dass die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher ein Schreiben vom Landesjugendring erhalten haben, in dem auf diese Nische, auf die Sie zu Recht hinweisen, verwiesen wurde.

Herr Kollege Kern hat den ostwestfälischen Raum angesprochen. Im südwestfälischen Raum grenzen wir an Rheinland-Pfalz. Dort sind mir auch Einzelfälle bekannt geworden, in denen dieses Problem aufkommt, wenn Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in Verbänden und Vereinen engagieren, einen Arbeitgeber außerhalb von Nordrhein-Westfalen haben.

Wenn die FDP immer so schnell und konsequent auf ein Schreiben des Landesjugendrings reagieren und sich die Haltung des Landesjugendrings zu eigen machen würde, würde ich mir keine Sorgen um das Wahlalter 16 in der Landesverfassung machen.

(Marcel Hafke [FDP]: Überall da, wo Sie nicht sind!)

Bitte schließen Sie sich auch an anderer Stelle den Forderungen des Landesjugendrings an,…

(Marcel Hafke [FDP]: Was hat das jetzt mit den Arbeitnehmerrechten zu tun?)

…damit wir die jungen Menschen in NRW stärken können.

In der Tat sollten wir untergesetzlich schnell und pragmatisch denjenigen helfen und Unterstützung gewähren, die sie brauchen. Wir brauchen dafür aus unserer Sicht keine gesetzliche Änderung, sondern wir brauchen eine rasche untergesetzliche Regelung.

Das, was mir im Entschließungsantrag der Piraten aufgefallen ist – deshalb freue ich mich auch auf die Diskussion im Ausschuss –, ist die Differenzierung beim Alter. Ich möchte Sie noch einmal darauf hinwiesen, dass Jugendliche und Erwachsene, die die Juleica, die für das ehrenamtliche Engagement in Jugendverbänden qualifiziert, erwerben, schon 16 sein müssen.

Sie haben recht, auch unter 16-Jährige engagieren sich. Aber eine qualifizierte Ausbildung, die bundesweit geregelt ist, ist im Rahmen der Juleica erst ab 16 möglich. Darauf wollte ich Sie noch einmal hinweisen.

Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss und sind uns sicher, dass die Landesregierung für dieses Nischenproblem eine Lösung finden wird, dessen wir uns selbstverständlich gemeinsam gerne annehmen sollten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Gerade die Jugendverbandsarbeit lebt vom ehrenamtlichen Engagement vieler Jugendlicher und Erwachsener. Viele Veranstaltungen wie Bildungsseminare, Gruppenarbeit, Ferienfreizeit und internationale Austauschmaßnahmen könnten ohne das Engagement von Ehrenamtlichen gar nicht stattfinden.

Gleichzeitig bietet das ehrenamtliche Engagement vielfältige Gelegenheiten zum informellen Lernen und ist ein wichtiger Pfeiler in unserer Gesellschaft.

Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, weist also durchaus in die richtige Richtung. Dennoch geht er uns nicht weit genug. Denn es wird für Ehrenamtliche in der Jugendhilfe immer schwerer, Sonderurlaub für ehrenamtliche Tätigkeiten zu beantragen. Und die Bereitschaft, in Wirtschaft und Verwaltung diesen Sonderurlaub auch zu gewähren, ist spürbar gesunken.

Auch sind Ehrenamtliche nach dem Sonderurlaubsgesetz zu Fortbildungsmaßnahmen angehalten. Weil in vielen Fällen die Qualifizierungsmaßnahmen für Ehrenamtliche jedoch unter der Woche stattfinden, befürchten gerade junge Menschen oft Nachteile in ihrer beruflichen Entwicklung.

Vor diesem Hintergrund fordern wir – dort unterstützen wir auch den Antrag der FDP –, endlich Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement in der Jugendhilfe zu entwickeln.

Wir gehen jedoch weiter und fordern in unserem Entschließungsantrag, dass der Anspruch der Ehrenamtlichen auf insgesamt 15 Arbeitstage nach dem Sonderurlaubsgesetz auszuweiten ist, damit sie nicht ihre Urlaubstage für ihr ehrenamtliches Engagement einsetzen müssen. Außerdem muss die Antragstellung auf Sonderurlaub für alle Arbeitnehmer ermöglicht werden – unabhängig von Bundes- oder Landesgrenzen. Auch Arbeitnehmern, die im europäischen Ausland arbeiten, aber in Nordrhein-Westfalen ehrenamtlich tätig werden möchten, muss dies ermöglicht werden.

Deshalb ist es dringend notwendig, das Sonderurlaubsgesetz dahin gehend zu ändern, dass explizit der volle oder zumindest teilweise Ausgleich des Verdienstausfalls an die Arbeitgeber aus dem gesamten EU-Gebiet erlaubt wird. Denn gerade den Arbeitgebern in Wirtschaft und Verwaltung muss die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements in der Jugendhilfe sowohl für die berufliche Tätigkeit als auch für unser Gemeinwesen stärker bewusst gemacht werden.

Des Weiteren fordern wir Piraten, dass die Altersgrenze zur Gewährung von Sonderurlaub auf das Alter von 15 Jahren abzusenken ist. Denn nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz ist ein Ausbildungsverhältnis ab dem Alter von 15 Jahren möglich.

Gerade den jungen Menschen, die sich ehrenamtlich für unsere Gesellschaft einsetzen, muss die Anerkennung des Ehrenamtes aus Wirtschaft und Verwaltung, aber gerade auch aus der Politik entgegengebracht werden. Mit unseren Vorschlägen zur Verbesserung des Sonderurlaubsgesetzes ist dies möglich.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, haben hier den ersten guten, richtigen Schritt gemacht. Wir Piraten möchten dies vor dem Hintergrund des europäischen Gedankens erweitern. Somit freuen wir uns auf einen interessanten Austausch dazu im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser NRW-Sonderurlaubsgesetz will die Arbeit der Träger und der Ehrenamtlichen in der Freien Jugendhilfe unterstützen, und es räumt denjenigen, die sich ehrenamtlich zum Beispiel in Ferienfreizeiten engagieren, einen Anspruch auf Sonderurlaub gegenüber dem Arbeitgeber ein.

Im Kinder- und Jugendförderplan des Landes werden den Trägern zum Ausgleich des Verdienstausfalls ihrer ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer jährlich 1,96 Millionen € zur Verfügung gestellt.

In den vergangenen Jahren sind vonseiten der Jugendverbände, von Kirchengemeinden und von Abgeordneten des Landtages Einzelfälle vorgetragen worden, bei denen der Verdienstausfall nicht ausgeglichen werden konnte. Dabei hatte jeweils der Arbeitgeber einer ehrenamtlich tätigen Person seinen Sitz außerhalb von Nordrhein-Westfalen, und der Träger, der die Maßnahme durchführte, eben seinen Sitz in Nordrhein-Westfalen.

Diese Einzelfälle – ich kann sagen, es ist eine Handvoll – sind im Grenzbereich zu Niedersachsen und zu Hessen vorgekommen. Fälle im Zusammenhang mit dem benachbarten Ausland, also Belgien und Niederlande, sind uns nicht bekannt.

Als Landesgesetz kann das Sonderurlaubsgesetz wie die Sonderurlaubsgesetze der anderen Länder auch nur die Arbeitgeber mit Sitz oder selbstständiger Niederlassung im Land für die Gewährung von Sonderurlaub in die Pflicht nehmen.

Die Problembeschreibung im FDP-Antrag ist also richtig, aber sie gilt wirklich für wenige Einzelfälle, und sie ist auch nicht ganz neu. Ich sage an dieser Stelle, dass wir uns gerade bemühen – das ist eben schon eingefordert worden, wir sind dabei –, eine Regelung für Härtefälle anzustreben. Aber wir möchten es ausdrücklich untergesetzlich machen, um damit auch tatsächlich den Bürokratieaufwand möglichst gering zu halten.

Ich hoffe, Herr Hafke, dass wir das bis Ende des Jahres auch hinbekommen werden, sodass wir für die wenigen Fälle, die es gibt, auch eine gute Lösung finden können.

(Beifall von der SPD)

Allerdings muss ich sagen: Die Forderung des FDP-Antrags, dann eine Synchronisierung aller Sonderurlaubsgesetze der Bundesländer herbeizuführen, halte ich für wenig praktikabel. Da stünde der Aufwand in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Problemfällen. Das muss man ja auch in Relation setzen.

Das heißt, untergesetzlich ist der einfachste Weg. Den wollen wir in Nordrhein-Westfalen beschreiten.

Den Antrag der Piraten, den Sonderurlaub auf 15 Tage auszudehnen, halte ich nicht für sachgerecht. Denn Sie müssen sich vorstellen, dass wir diese Verdopplung des Anspruchs auch gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen. Ich kann Sie ja mal dazu ermuntern, diese Gespräche zu führen! Versuchen Sie, beim Arbeitgeber 15 Tage unbezahlten Urlaub zu bekommen! Das wird nicht ganz leicht sein. Das halte ich für lebensfremd.

Gleiches gilt für den Vorschlag der Piraten, das Lebensalter für Sonderurlaubsberechtigte von 16 auf 15 Jahre zu ändern. Bis auf wenige Einzelfälle dürften Jugendliche in dem Alter noch schulpflichtig sein oder sich in der Ausbildung befinden. Das ist nicht ganz praktikabel.

Abschließend möchte ich noch einen Hinweis geben. Es kommt bei der Sonderurlaubsregelung nicht auf den Wohnsitz der Ehrenamtlichen an, so wie Sie es geschrieben haben, verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen von der FDP. Wer für einen Träger in NRW tätig ist und als Arbeitnehmer in einem nordrhein-westfälischen Unternehmen tätig ist, kann diese Regelung des Sonderurlaubsgesetzes auch in Anspruch nehmen, auch wenn er hinter der Landesgrenze wohnt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt auch hier die Überweisung des Antrages Drucksache 16/5757 einschließlich des Entschließungsantrages Drucksache 16/6034 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Dort soll dann die abschließende Abstimmung in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

7   Grundwasser in Nordrhein-Westfalen schützen – Gespräche mit den Niederlanden beginnen

Eilantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/6023 – Neudruck

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 2. Juni 2014 fristgerecht einen Eilantrag eingebracht. Die Fraktionen von CDU und FDP sind dann diesem Antrag beigetreten.

Ich eröffne die Beratung und erteile Herrn Kollegen Schmeltzer von der SPD das Wort.

Rainer Schmeltzer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal gilt mein Dank den Kollegen von CDU und FDP, die sehr schnell ohne Wenn und Aber unserem Antrag beigetreten sind. Das ist doch auch ein Zeichen dafür, dass wir in dieser Angelegenheit schon sehr oft debattiert haben und von der Sache her wirklich einer Meinung sind. Meinen herzlichen Dank dafür!

Das zeigt auch, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine einheitliche Ablehnung nämlich im Sinne des Schutzes des Trinkwassers vertreten. Trinkwasser ist und bleibt unser Lebensmittel Nummer eins. Das bleibt weiter schützenswert.

Die niederländische Regierung erwägt – so wie wir es auch den Medien entnehmen konnten – Fracking, und zwar Fracking nach den uns derzeit bekannten Möglichkeiten, eventuell auch im deutschen Grenzgebiet. Im deutschen Grenzgebiet bedeutet im Grenzgebiet auch zu Nordrhein-Westfalen.

Es ist ganz klar – das haben wir an vielen anderen Stellen schon erwähnt –: Vergiftetes Grundwasser – das könnte bei den derzeitigen Fracking-Methoden ohne Weiteres die Folge sein – macht an Ländergrenzen definitiv nicht halt.

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen, aber auch auf Bundesebene Gutachten, die deutlich machen, dass die bekannte Fracking-Technologie nicht verantwortbar ist. Deswegen gibt es hier auch keine Genehmigungen.

Der Bundesrat hat dies in seinem Beschluss vom 1. Februar 2013 ebenso festgestellt. Wir haben also eine breite Ländermehrheit für unsere Position.

Bei der bekannten Brisanz dieses Themas „Fracking“ in Deutschland ist es umso unverständlicher, dass unser Nachbar, die Niederlande, bei seinem Verfahren zu möglichen Stellungnahmen uns „wohl versehentlich“ nicht beteiligt hat.

Die Landesregierung hat dies nach Bekanntgeben sofort aufgegriffen und die niederländische Regierung freundlich, aber bestimmt gebeten, die Beteiligungsunterlagen auch uns zur Beteiligung zur Verfügung zu stellen.

Es kann und darf nicht sein, dass wir als direkter Nachbar der Niederlande, die wir uns bereits lange und intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben, nicht beteiligt werden sollen.

Folgerichtig und konsequent ist unsere gemeinsame Forderung in diesem Antrag, der uns heute vorliegt, dass der direkte Austausch mit der niederländischen Regierung zum Schutze unseres Grund- und Trinkwassers gesucht wird. Die Niederlande müssen uns gegenüber ihre Pläne offenlegen.

Ebenso folgerichtig ist auf der Grundlage unserer Erkenntnisse, unserer Gutachten, unserer Beschlüsse sowohl im Landtag als auch im Bundesrat als auch in den vielen Ausschüssen des Bundesrates, dass die Landesregierung eine entsprechende Stellungnahme für das Land Nordrhein-Westfalen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger abgibt.

Richtig ist es auch, dass sich Bundesumweltministerin Hendricks geäußert hat, die das Vorhaben der Niederlande als inakzeptabel beurteilt.

Es wäre meines Erachtens grob fahrlässig, wenn wir nicht jede erdenkliche Möglichkeit nutzen würden, die Vorhaben zum Fracking seitens der Nachbarn aus den Niederlanden zu verhindern.

Sicher ist, dass unsere Erkenntnisse Einfluss nehmen sollen. Neben der notwendigen niederländischen Umweltverträglichkeitsprüfung ist dies unerlässlich. Wir sind sicherlich gerne bereit, all unsere Erkenntnisse, gutachterliche wie auch sonstige, den Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden zur Verfügung zu stellen.

Unser höchstes Gut, das Trinkwasser, gilt es auf allen Ebenen zu schützen. Das gilt auch für die Niederlande, insbesondere wenn Nordrhein-Westfalen und seine Bürgerinnen und Bürger negativ gesundheitsgefährdend betroffen sein können.

Deswegen unsere klare Aufforderung in diesem Antrag. Ich glaube, wir werden eine sehr breite Mehrheit in diesem Hause haben, um das auch der niederländischen Regierung gegenüber zu dokumentieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es kommt selten vor, dass ich dem Kollegen Schmeltzer zustimme. Heute ist einer dieser seltenen Tag. Ich stimme ihm zu.

Wir haben ein gemeinsames Interesse hier in Nordrhein-Westfalen, dass das, was in den Niederlanden geplant wird, kritisch hinterfragt und noch einmal ernsthaft durchdacht und natürlich auch Rücksicht auf die Nachbarschaft, auf Nordrhein-Westfalen, auf die angrenzenden Kreise, auf die betroffenen Regionen genommen wird. Wir haben Sorge, und wir haben Erkenntnisse, dass diese Sorge berechtigt ist. Umso mehr müssen wir uns gemeinsam einsetzen, dass wir hier zu einer Lösung kommen, die dieser Sorge Rechnung trägt und die Gefährdungen ausschließt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Das war gemeinsame Haltung bis hierher. Ich bin allen, die sich in der Region engagieren, die auf die Einspruchsmöglichkeiten gegenüber den Niederlanden hinweisen, dankbar. Auch da sind Internetmöglichkeiten gegeben. Online-Petitionen bzw. Einspruchsmöglichkeiten sind gegeben. Ich appelliere auch an die Bewohnerinnen und Bewohner der Grenzregion, hier die Möglichkeiten zu nutzen und sich in diesen Prozess der Diskussion einzubringen, sich kritisch mit diesem Vorhaben auseinanderzusetzen.

Es gehört jedoch auch zur Wahrheit, dass es über die uns vorliegenden Erkenntnisse hinaus immer noch neue Dinge gibt, die auch uns deutlich machen, dass die Annahmen an Sicherheit durch die Realität widerrufen werden können. Die Situation in Gronau, der Ölaustritt bei der Kaverne, zeigt uns, dass das, was bisher für unabweisbar sicher gehalten wurde, trotzdem problembelastet sein kann. Wir haben in Haltern am See die Gelsenwasser AG als großen Trinkwasserversorger, die mit einem großen Problem von Sprengstoffrückständen der ehemaligen WASAG-Chemie zu kämpfen hat.

Das alles führt uns vor Augen, dass Chemie im Boden nichts zu suchen hat und diese Chemie auch wassergefährdend sein kann. Es macht deutlich, wie schwierig der Faktor Fracking ist.

Es macht aber auch deutlich, dass wir gemeinsam – Herr Schmeltzer, da ist auch die Sozialdemokratie gefordert – nach Berlin schauen müssen. Heute geht es über die Ticker, dass Sigmar Gabriel, Ihr Wirtschafts- und Energieminister der Großen Koalition, an einem neuen Bereich für die Lösung in Sachen Fracking und Erprobungen arbeitet.

Bitte, gehen Sie mit der gleichen Intensität in Berlin im Interesse Nordrhein-Westfalens vor, so, wie die nordrhein-westfälische CDU dies in der vergangenen Legislaturperiode des Bundestages getan hat. Karl-Josef Laumann selbst ist vor Ort in Berlin gewesen und hat deutlich gemacht, was nordrhein-westfälische Interessen sind. Ich erwarte, dass Sie das auch gegenüber Sigmar Gabriel tun.

(Beifall von der CDU)

Da haben Sie uns – wie Sie wissen – an Ihrer Seite. Auch der Umweltminister, mit dem wir bei Weitem nicht immer übereinstimmen, weiß, dass er sich hier auf uns verlassen kann, weil wir den Trinkwasserschutz an Priorität Nummer eins gesetzt haben. Das ist richtig.

In Ihrem Antrag haben Sie formuliert: „Grundwasser macht jedoch vor Landesgrenzen nicht halt.“ – Auch diese Erkenntnis ist richtig, meine Damen und Herren. Hierüber brauchen wir im Hause nicht zu streiten.

Ich erinnere noch einmal an einen anderen Faktor, den wir hier lange diskutiert haben, nämlich an die Dichtheitsprüfung. Dort haben Sie zum Beispiel Trinkwasserschutzzonen in die Dichtheitsprüfung genommen. Außerhalb haben Sie dies nicht als notwendig angesehen. Wenn Ihre Annahmen richtig wären, dass es durch Fracking Grundwassergefährdung gäbe, müsste Ihre Feststellung, dass Grundwasserschutz bzw. Grundwasser an Landesgrenzen nicht halt macht, auch diesbezüglich Berücksichtigung finden. Dies müsste Ihnen die Möglichkeit geben, noch einmal nachzudenken.

Alles in allem: Ja, heute eine große Einheit hier im Hause. Ja, wir wollen unser Trinkwasser schützen. Ja, wir haben Sorge beim Fracking, berechtigte Sorge. Es gibt aktuelle Beispiele, die diese Sorge als gerechtfertigt ausweisen. Gronau bzw. die ehemalige WARGA-Chemie in Haltern am See habe ich erwähnt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam ein starkes Signal in die Niederlande senden, um dem Nachbar deutlich zu machen: Die Sorgen gibt es; nehmt Sie ernst und nehmt Rücksicht auf das, was wir an Erkenntnissen gewonnen haben.

Es macht aber auch deutlich, dass wir uns nicht nur Richtung Niederlande, sondern auch Richtung Berlin kümmern und Sigmar Gabriel sagen müssen: Gegen nordrhein-westfälische Interessen dürfen in Berlin keine Entscheidungen gefällt werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gehöre zu den jüngeren Mitgliedern dieses Hauses, doch auch ich kann mich aus Kindertagen gut an Zeiten erinnern, zu denen es Kontrollen an den Grenzen zu unseren Nachbarstaaten gab. So auch an der Grenze zu den Niederlanden.

Wasser jedoch, ob es nun an der Oberfläche oder als Grundwasser im Boden strömt, schert sich nicht um Landesgrenzen und macht dort nicht halt. Genau deshalb sind die Überlegungen der niederländischen Regierung, die für das Wasser hochriskante Fracking-Technik anzuwenden, so beunruhigend.

Das Thema „Fracking“ beschäftigt uns hier im Landtag schon mehr als drei Jahre. Die vielfältigen Risiken und Gefahren haben wir hier schon mehrfach miteinander diskutiert. Unser Trink- und Grundwasser ist dabei besonders gefährdet. Wir müssen es um jeden Preis schützen.

Ich selbst komme aus einer Region mit den meisten Trinkwasserbrunnen Deutschlands. Niemand kann sagen, welche Wege das Wasser unterirdisch wirklich zurücklegt. Das sind Gründe, weswegen es nicht reicht, beispielsweise ein Verbot nur in Wasserschutzgebieten auszusprechen, wie es die heute bekannt gewordenen Pläne der Bundesregierung vorsehen. Die Bundesregierung muss gesetzlich festschreiben, dass Fracking nicht verantwortbar ist, also das, was wir heute hier beschließen. Wenn wir nicht handeln, werden wir viel mehr als Plastikpartikel in unseren Organismus bringen, wie im Moment in Wasser und Bier zu beobachten ist.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist erfreulich, dass es anscheinend in diesem Haus bei der Sorge um die Beschaffenheit unseres Lebensmittels Nummer eins eine solch breite Zustimmung gibt. Ich freue mich, dass sich neben der CDU auch die Kolleginnen und Kollegen von der FDP unserem Eilantrag angeschlossen haben. Ich muss gestehen, ich war ein bisschen überrascht. Anfang Mai war in der „FAZ“ noch zu lesen, dass sich Ihr Fraktionsvorsitzender Christian Lindner – jetzt gerade nicht anwesend – für frackingfreundlichere Gesetze in Deutschland ausspricht, dass er sich beim Thema „Schiefergas“ Optionen offenhalten und experimentieren möchte.

Schön, dass die FDP hier inzwischen eine etwas kritischere Haltung einnimmt. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Position in der FDP verfestigt und nicht etwa nach der Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Brüggen, nur wenige Kilometer von der holländischen Grenze entfernt gelegen,

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

zu der Herrn Lindners Kollege Brockes antreten wird, wieder auflöst.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Nein, mit der Zustimmung zu unserem Eilantrag bringt man keine technikfeindliche Gesinnung zum Ausdruck, wie sie Herr Lindner unterstellt. Technikfeindlichkeit zeigt sich dann, wenn man am Tropf der fossilen Energieträger hängenbleibt, wenn man sich Ersatzdrogen mit starken Nebenwirkungen sucht, statt die erneuerbaren Energien nach vorn zu bringen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir die Landesregierung auffordern, sich mit unseren holländischen Freunden auszutauschen und unsere Besorgnis darzulegen, wenn Nordrhein-Westfalen eine Stellungnahme bei der Strategischen Umweltprüfung der Strukturvision Schiefergas abgibt und wenn wir uns gegen den Einsatz von Fracking wenden, ob vor Ort oder bei unseren Nachbarn, dann sind wir nicht technikfeindlich. Wir zeigen damit Verantwortung für das Wasser, für unser wichtigstes Lebensmittel.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wollen die Auswirkungen und Risiken einer Technologie kennen, bevor sie eingesetzt wird. Wir wollen vermeiden, hinterher die Fehler der Vergangenheit mit Milliarden öffentlicher Gelder ausbügeln zu müssen. Es sollte für uns alle das Vorsorgeprinzip gelten. Wir sollten nicht erst dann aktiv werden, wenn die Chemie bereits in den Brunnen gefallen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir sollten Lehren aus den Erfahrungen mit unüberlegtem Einsatz anderer Hochrisikotechnologien ziehen.

Es gibt ja Energiepolitiker, die sich vom Fracking Unabhängigkeit vom Ausland versprechen und die Ukraine-Krise als Anlass benutzen, Fracking auch bei uns salonfähig zu machen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Ich sage Herrn Oettinger hier klipp und klar: Fracking in Deutschland macht uns nicht unabhängig von russischem Erdgas. Fracking verlängert die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Das Einzige, was uns dauerhaft die Unabhängigkeit sichert, sind Energieeinsparung, Energieeffizienz und der vollständige Umstieg auf erneuerbare Energien.

(Beifall von den GRÜNEN und Kai Schmalenbach [PIRATEN])

Ein Experimentieren mit der Hochrisikotechnologie Fracking, ob nun in den Niederlanden oder in Deutschland, wollen wir mit allen parlamentarischen Mitteln verhindern. Das bringt unser Eilantrag deutlich zum Ausdruck.

Sehr geehrte Damen und Herren, offene Grenzen sind großartig.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hovenjürgen zulassen?

Wibke Brems (GRÜNE): Ja, gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Hovenjürgen.

Josef Hovenjürgen (CDU): Sehr geehrte Frau Brems, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir es aufgrund der Risiken, die wir kennen, auch so sehen könnten, dass es kein Verbrechen an der nächsten Generation ist, dieser auch noch Rohstoffe übrig zu lassen, weil sie sie vielleicht unter technisch sichereren Verhältnissen fördern können?

(Minister Johannes Remmel: Stützpfeiler!)

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Hovenjürgen, ich bin der Meinung, dass wir diese Rohstoffe gut unter der Erde lassen können, weil ich davon überzeugt bin, dass wir den Umstieg auf 100 % erneuerbare Energien bei Strom und Wärme und im Verkehr hinbekommen werden. Daher werden wir diesen Energieträger nicht mehr brauchen. Wir haben genug Energie, und zwar erneuerbare Energien. Deswegen können wir gut und gerne auf diesen Energieträger verzichten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, offene Grenzen sind großartig, wenn sie dem Austausch der Menschen dienen, wenn sie den Fluss der Waren und Dienstleistungen unserer europäischen Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft begünstigen. Grenzen, ob sie für uns offen sind oder nicht, halten aber das Wasser nicht auf. Ich plädiere dafür, dass wir lieber den Austausch von Genever aus den Niederlanden pflegen als den unterirdischen Fluss eines giftigen Chemikaliencocktails.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb bitte ich heute um ein eindeutiges Zeichen gegen Fracking bei uns und unseren Nachbarn. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Frau Brems, die FDP-Fraktion ist auch bei diesem Thema sehr eindeutig aufgestellt. Das gilt für die gesamte FDP, für den Vorsitzenden und auch für meine Person.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Jetzt nicht rot werden!)

Wir sind nicht bereit – unter gar keinen Umständen –, ein Risiko für unser Trinkwasser durch giftige Chemikalien einzugehen. Deswegen ist es auch kein Problem für uns gewesen, diesem Antrag beizutreten. Wir halten das, was heute von diesem Hause und von NRW ausgeht, für ein richtiges und wichtiges Signal.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es geht nämlich um Verantwortung. Es geht um Verantwortung für die Menschen in unserem Land. Es geht um Verantwortung für die Natur und hier ganz aktuell natürlich besonders für unser Trinkwasser.

Frau Brems, es ist wenig sinnvoll – auch wenn mich das jetzt nicht allzu sehr überrascht hat –, hier irgendwelche künstlichen Differenzen zu schüren. Wir werden sicherlich noch Trennendes finden. Es ist aber ganz klar – ich wiederhole es noch mal –: Unsere Fraktion steht eindeutig für den Schutz des Trinkwassers in diesem Land im Sinne der Menschen.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Für die Privatisierung vor allen Dingen!)

Bei allem gebotenen Respekt vor unseren Nachbarn in den Niederlanden sage ich ganz klar, dass eine bessere Kommunikation im Vorfeld hier sicherlich geholfen hätte. Es ist gewiss auch so, dass wir als nordrhein-westfälischer Landtag unsere Position gegenüber den Niederlanden deutlich machen sollten.

Ich habe allerdings – das trennt mich dann vielleicht ein ganz klein wenig von Ihnen, Herr Kollege Schmeltzer – große Zuversicht, was diese Gespräche angeht; denn das Vorgehen der Niederlande kann man, wenn man sich dort die Veröffentlichungen zu den Beteiligungsverfahren anschaut, durchaus als ein Vorgehen mit Augenmaß bezeichnen. Da ich weiß, wie zum Beispiel die Kriterien für die Umweltverträglichkeitsprüfung in den Niederlanden angelegt sind, habe ich wenig Bedenken, dass die Berücksichtigung der Belange der Umwelt dort in ausreichender Weise stattfinden wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Bombis, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Hanses zulassen?

Ralph Bombis (FDP): Bitte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Entschuldigung, Herr Präsident. Mein Name ist Klocke. Ich sitze nur auf dem Platz von Frau Hanses. Das konnten Sie jetzt aber nicht wissen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Klocke, da bitte ich um Verständnis. Diese Übersicht haben wir nicht immer. Wenn Sie sich auf einem Platz eindrücken, rufen wir Sie auch mit dem entsprechenden Namen auf.

Arndt Klocke (GRÜNE): Das verstehe ich. – Ich hoffe, dass der Kollege die Zwischenfrage jetzt trotzdem zulässt. – Gut.

Am 5. Mai dieses Jahres hat sich Ihr Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender Lindner in einem großen, halbseitigen Interview in der „FAZ“ im Zusammenhang mit der Frage der Energieversorgung und der Suche nach neuen Energiequellen bewusst für das Offenhalten der Möglichkeit des Frackings ausgesprochen. Dazu gab es vonseiten der „FAZ“ zwei Fragen, die er so beantwortet hat.

Jetzt, einen Monat später, haben Sie sich hier in eine andere Richtung bewegt. Das finde ich als Grüner zwar inhaltlich erfreulich. Mich würde aber durchaus interessieren – das ist auch meine Frage –, was die Gründe für diesen Wechsel oder diese Wende innerhalb der NRW-FDP sind.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege. Es hat hier keine Wende gegeben. Es ist eindeutig so, dass wir …

(Zurufe von den GRÜNEN – Gegenruf von Kai Abruszat [FDP]: Lassen Sie ihn doch einmal ausreden! Sie haben doch gefragt!)

Es ist eindeutig so, dass wir bereits zum Zeitpunkt dieses Interviews in der FDP in Nordrhein-West-falen und nach meinem Kenntnisstand auch darüber hinaus die Haltung hatten, dass wir auf gar keinen Fall bereit sind, eine Gefährdung der Gesundheit oder des Trinkwassers durch die Einbringung giftiger Chemikalien in Rahmen des Fracking-Verfahrens zu tolerieren oder zu akzeptieren. Das hat auch Christian Lindner niemals anders vertont.

(Beifall von der FDP)

Dass es darüber hinaus in verantwortbarem Umfang möglich sein muss – das hat Frau Kollegin Brems eben auch gesagt –, technologiefreundlich und offen zu forschen, hat doch nicht Kollege Lindner in diesem „FAZ“-Interview erfunden. Nach meinem Kenntnisstand ist das die Position, die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung im September 2012 formuliert worden ist. Und das, lieber Kollege, ist doch eine Regierung, die unter Ihrer Beteiligung geführt wird.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, im Rückblick auf Ihre Wortmeldung und Ihre Zwischenfrage ist mir eines wichtig: Wir sollten uns tunlichst davor hüten, hier irgendwelche parteipolitischen Spielchen zu spielen, um Verunsicherung und Angst bei den Leuten in NRW zu schüren.

(Beifall von der FDP)

Gerade den Menschen im Münsterland und am Niederrhein, die von diesen Plänen potenziell betroffen sind, sollten wir das klare und eindeutige Signal senden, dass von diesem Hause keinerlei Tolerierung von Gesundheitsgefährdung ausgehen wird. Es geht darum, diesen Menschen Verunsicherung und potenzielle Ängste zu nehmen.

Das kann aber doch nur erfolgen – insofern hat Christian Lindner vollkommen recht mit seiner Einlassung –, wenn für diese Menschen eine umfassende Aufklärung in Bezug auf diese Technologie stattfindet. Und für diese umfassende Aufklärung – das sage ich Ihnen deutlich – steht auch diese Landesregierung in der Verantwortung. Wir warten seit September 2012 darauf – damals war das in dem entsprechenden Handout für die Presse angekündigt –, dass Schritte eingeleitet werden, eine solch umfassende Aufklärung herbeizuführen.

Ich sage noch mal ganz eindeutig: Ohne eine entsprechende Datenbasis – wie das damals formuliert worden ist – sieht auch die FDP-Fraktion keine Grundlage, um eine solche Technologie weiter zu verfolgen. Wenn diese Datenbasis dann vorliegt, werden wir sie zu bewerten haben. Wir können nicht heute schon Ja oder Nein sagen. Zuerst mal geht es darum, die Datenbasis zu schaffen; das hat die Landesregierung selber so formuliert. Dieser Haltung treten wir als FDP-Fraktion selbstverständlich bei.

Im Sinne der Menschen, der Verantwortung für die Menschen und für die Umwelt in diesem Land können wir eine solche Technologie derzeit nicht befürworten. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie die Datenbasis schafft. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie Gespräche mit den Niederlanden führt. Wir erwarten von der Landesregierung aber auch, dass sie für die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten und darüber hinaus transparent und offen berichtet. Dann werden wir vielleicht wirklich die Voraussetzung haben, um sachlich und ohne Ängste über dieses Thema zu debattieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen hier im Saal und draußen im Stream! Wir verhandeln heute einen völlig unzureichenden und fast schon heuchlerischen gemeinsamen Eilantrag der vier anderen Landtagsfraktionen. Wir wurden gefragt, ob wir uns anschließen wollen. Aber wir geben uns für ein solches Daumenkino nicht her.

(Beifall von den PIRATEN)

Allein die Tatsache, dass sich die Pro-Fracking-Partei FDP anschließen konnte, muss doch alle Alarmglocken schrillen lassen.

In der Einleitung zum Antrag steht:

„Deshalb halten wir die Aufsuchung und Gewinnung von unkonventionellem Erdgas mit giftigen Chemikalien auch an der Grenze zu Deutschland für nicht verantwortbar.“

„Mit giftigen Chemikalien“! Was ist aber, wenn wir mit Himbeersirup fracken? Der ist doch nicht giftig. Hiermit wollen Sie das allseits beliebte Green Fracking durch die Hintertür hereinbringen – das ist mein Verdacht.

Fracking bringt eine Menge Probleme mit sich, die durch den Einsatz angeblich wasserunkritischer Frack-Fluide nicht gelöst werden können; wir hatten das hier schon bei anderen Gelegenheiten angeführt. Was ist mit dem Lagerstättenwasser und den darin enthaltenen Schwermetallsalzen, radioaktiven Stoffen, organischen, cyklischen Kohlenwasserstoffverbindungen? Was ist mit den 17 % Methanverlust, der elenden Kohlendioxidbilanz, dem immensen Wasser- und Flächenverbrauch, Verkehr und Lärm? Je nach Entfernung zur Landesgrenze können diese Probleme auch zu uns herüberschwappen. Warum spielen diese Dinge im Antrag keine Rolle?

Man hätte die Holländer auch dezent darauf hinweisen können, dass sie ihre Gaskraftwerke abschalten mussten, weil sie von dem subventionierten, dreckigen Braunkohlestrom aus Nordrhein-Westfalen aus dem Markt geschlagen wurden. „Da braucht ihr doch gar nicht zu fracken, liebe Holländer!“ – das hätte gut hineingepasst.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von der FDP: Niederländer!)

Und warum richtet man sich nur an die Niederlande? Es gibt doch auch das rot-grün regierte Nachbarbundesland Niedersachsen, in dem munter drauflos gefrackt wird. Gibt es dort keinen Grundwasseraustausch? Gibt es keine Probleme?

Was ist mit den Plänen, das Tight-Gas-Fracking zu konventioneller Gasförderung umzudefinieren und damit aus der Diskussion herauszubringen?

In Nordrhein-Westfalen werden jetzt die damals von der CDU-FDP-Landesregierung insgeheim ausgegebenen Aufsuchungserlaubnisse trotz Moratorium stiekum verlängert.

Und Sie wollen den Niederländern mit Vorschlägen zum Fracking kommen?

(Beifall von den PIRATEN)

An die Große Koalition und Sigmar Gabriel mit seinem aktuellen Gesetzesvorschlag zur Fracking-Ermöglichung könnte man sich auch wenden. Er soll noch vor der Sommerpause – nach Europa- und Kommunalwahlen – durchgepeitscht werden.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Aha!)

Wird es politische Kollateralschäden wegen unterschiedlicher Koalitionen in Nordrhein-Westfalen und im Bund geben? Wer wird da wohl gefrackt werden? Da sind wir mal gespannt.

(Beifall von den PIRATEN)

Wieso unterstellt man, dass es in den Niederlanden keinen Besorgnisgrundsatz im Wasserrecht oder etwas Vergleichbares gibt? Dieser beruht auf der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die auch in den Niederlanden gilt. Dort steht in Art. 2 – Begriffsbestimmungen – Nr. 29:

„‚gefährliche Stoffe‘: Stoffe oder Gruppen von Stoffen, die toxisch, persistent und bioakkumulierbar sind, und sonstige Stoffe oder Gruppen von Stoffen, die in ähnlichem Maße Anlass zu Besorgnis geben.“

In den Niederlanden ist die Trinkwassergewinnung aus Grundwasser übrigens ein zwingender Grund überwiegenden öffentlichen Interesses. Na dann viel Spaß, wenn man – wie im Antrag gefordert – in den Austausch mit der niederländischen Regierung zu diesem Thema tritt! Die wird Ihnen einiges erzählen können, was Sie offensichtlich noch nicht wissen.

(Beifall von den PIRATEN)

Immerhin soll es eine Stellungnahme zur Strategischen Umweltprüfung der Niederlande geben. Wir empfehlen der Landesregierung daher die Vorlage des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, die auf dessen Homepage sowie auf www.gegen-gasbohren.de eingestellt ist, ebenso die Korbacher Resolution der Bürgerinitiativen gegen Fracking.

Ich rufe hier auch jedermann ausdrücklich dazu auf, Stellungnahmen zur Strategischen Umweltprüfung der Niederlande abzugeben und sich dabei nicht an diesem unzulänglichen Eilantrag, sondern an der eben erwähnten Vorlage des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz und der Korbacher Resolution zu orientieren.

Wir werden diesem Antrag hier jetzt trotz seiner Unzulänglichkeiten zustimmen. Aber ich appelliere an Sie: Machen Sie es das nächste Mal besser und am besten gleich ganz richtig! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rohwedder, ich möchte Ihnen gleich antworten. Ich hätte es besser gefunden, Sie wären über Ihren Schatten gesprungen. Das, was Sie als Trennendes gerade in den Raum geworfen haben, ist Fiktion. Da trennt uns nichts. Die Argumente sind in unserer Argumentation vorhanden.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Schreiben Sie es doch herein!)

Deshalb wäre dies ein gutes Signal gewesen: Alle Fraktionen des Landtags stimmen bei dieser Position überein.

(Beifall von der SPD)

Nun sei’s drum. Trotzdem ist es ein starkes Signal, dass ein Antrag von vier Fraktionen die Landesregierung unterstützt und auffordert, in der Stellungnahme aktuell und in Gesprächen die Position des Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck zu bringen.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Showantrag! – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Ein solcher Showantrag, dass Sie zustimmen!)

– Lassen Sie uns mal ganz genau hingucken. Dann wird, glaube ich, klar, dass wir hier keine großen Differenzen haben, eigentlich gar keine. Wenn man sie künstlich aufbauen will, wie Sie das gerade tun, dann offensichtlich deswegen, weil man das Bedürfnis hat, sich auf Kosten der Menschen in Nordrhein-Westfalen zu profilieren, anstatt hier Einigkeit zu demonstrieren, die auch notwendig wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also – erstens –: Wasser ist das Lebensmittel Nummer eins, ist das Mittel Nummer eins zum Leben. Das haben, glaube ich, alle Rednerinnen und Redner unterstrichen. Es ist auch gut so, dass wir das in den Vordergrund stellen.

Zweitens. Wasser und Böden – das ist jedenfalls die Erfahrung von uns Menschen, vor allem von denjenigen, die sich mit Umwelt beschäftigen – haben ein langes Gedächtnis. Das heißt, wenn wir da einmal Verschmutzungen zulassen, werden zukünftige Generationen den Schaden haben.

Deshalb ist es so wichtig – Satz Nummer drei –, Verantwortung bei den wichtigen Naturschätzen auch für zukünftige Generationen zu übernehmen und alles zu tun, damit Verunreinigungen eben nicht stattfinden.

Wenn wir uns die Situation geographisch mal genau anschauen, dann stellen wir fest, dass wir wirklich einen Wasserschatz am Niederrhein haben. Schon kurz unter der Bodendecke ist dort ein riesiger Grundwasservorrat, ein Reservoir, wie es in Europa keinen vergleichbaren Grundwasserschatz gibt.

Wir haben einen großen Auftrag, diesen Schatz zu schützen, und sollten deshalb alle Kraft darauf verwenden, hier gemeinsam vorzugehen, und auch den niederländischen Freunden deutlich machen, dass es hier keine Kompromisse geben darf. Wir müssen eindeutig sagen: Wir müssen für die Zukunft Vorsorge treffen und können deshalb ein Hantieren mit Chemikalien, bei dem wir nicht wissen, welche Auswirkungen zu befürchten sind, einfach nicht zulassen.

Dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere Hausaufgaben schon sehr frühzeitig gemacht haben, können wir dokumentieren. Schon 2011 beim Aufkommen der Diskussion haben wir ein umfassendes Gutachten in Auftrag gegeben, mit den entsprechenden Konsequenzen, nämlich zu sagen: Es sind noch so viele Fragen offen, und deshalb macht es Sinn, erst diese Fragen zu klären.

Genau an dieser Baustelle arbeiten wir: sowohl an wissenschaftlichen wie auch an ganz praktischen Fragen, beispielsweise wie man mit Flowback umgeht, wenn man sich denn überhaupt dem Gedanken nähert, diese Rohstoffe ohne Chemikalien zu heben.

All das ist ungeklärt. Es macht keinen Sinn, in praktische Planungsverfahren einzutreten, wenn man diese Fragen nicht vorher geklärt hat. Auch das werden wir in der Stellungnahme gegenüber den niederländischen Behörden im Verfahren deutlich machen.

Ich kann auch nur alle auffordern, Gleiches zu tun, und die Kommunen einladen – das ist das, was jetzt auf der Tagesordnung steht –, unsere Position einzubringen, und das auch in der ganzen Breite.

Wir haben daraufhin auch unsere Position auf der Bundesebene verankert. Es gibt eindeutige Beschlüsse der Umweltministerkonferenz. Es gibt aktuelle Beschlüsse des Bundesrates. Die letzte Bundesregierung hätte nur eines tun müssen, nämlich unsere Beschlüsse umzusetzen – dann wären wir heute ein Stück weiter.

Grundsatz ist: Es muss zuerst eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben. Grundsatz ist: Es müssen erst die Fragen geklärt sein. Und Grundsatz ist: Es kann keinen Eingriff in unseren Untergrund mit giftigen Chemikalien geben, ohne zu wissen, was dann passiert.

Auch das muss eindeutig geklärt sein, und zwar nicht nur in Wasserschutzgebieten, sondern generell. Denn in der Tat, Herr Hovenjürgen, haben wir ja die Erfahrung gemacht: Dort, wo uns in der Vergangenheit versprochen worden ist, dass Jahrtausende nichts passiert, hatten wir schon nach 20 Jahren Veränderungen von Gesteinsschichten. Wir haben auch neue Erfahrungen zur Kenntnis nehmen müssen, wie unterschiedliche Gesteinsschichten miteinander in Verbindung stehen. Und weil wir diese Erkenntnisse eben nicht ganz praktisch haben, sondern eben nur in Form von Wahrnehmungen und Vermutungen, ist es so wichtig, erst Erkenntnisse zu gewinnen, bevor wir handeln.

Ich sage allerdings auch: Die Debatte wird mit der heutigen Beschlussfassung nicht zu Ende sein. Wir werden uns damit noch die nächsten Jahre beschäftigen. Das, was jetzt in den Niederlanden auf den Weg gebracht worden ist, ist eine Vorprüfung einer Umwelt­verträglichkeitsprüfung. Danach werden möglicherweise konkrete Verfahren anstehen. Das heißt, es ist ein dauernder Prozess, in den wir uns begeben, und wir sollten uns entsprechend wappnen.

Ich mache weiter darauf aufmerksam, dass auf der Bundesebene noch keine Umsetzung dessen erfolgt ist, was die Bundesländer eigentlich gemeinsam wollen, nämlich eine klare Ansage: eine Umweltverträglichkeitsprüfung und das Verbot einer Methode, bei der jedenfalls nicht erkennbar ist, mit welchen Auswirkungen sie verbunden ist. Das ist im Berggesetz einfach umzusetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, dieses jetzt auch tatsächlich umzusetzen, so wie die Bundesumweltministerin das angekündigt hat.

Ich mache auf eine dritte, auch längerfristige Gefährdung aufmerksam. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt ein massives ökonomisches Interesse von verschiedenen Unternehmen, den Fuß in Europa durch die Tür zu bekommen. Deshalb werden wir uns damit noch länger zu beschäftigen haben. Und deshalb werden wir auch Fragen zu klären haben, die im Definitorischen liegen. Es kann beispielsweise nicht sein, Treibgasfracking anders zu behandeln als das Fracking von Schiefergas. Fracking ist Fracking. Deshalb sollten wir uns auch hier den Definitionsfragen widmen und Klarheit herstellen, so wie die nordrhein-westfälische Landesregierung das getan hat.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Unterstützung, sage aber voraus: Wir haben noch viel gemeinsame Arbeit. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Schmeltzer gemeldet.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist von vier Fraktionen – bis auf die üblichen kleinen politischen Scharmützel – alles Richtige zu der Sache, zu der Gemeinsamkeit dieser Technologie und dieses Vorhabens in aller Deutlichkeit gesagt worden, auch von Minister Remmel, was getan wurde und was noch getan werden muss.

Ich will auf die Wortbeiträge der Kollegen der Piraten eingehen. Sich hierhin zu stellen, fünf Minuten lang gegen einen Antrag zu sprechen, den Antrag als heuchlerisch zu bezeichnen, einen Zwischenruf des Parlamentarischen Geschäftsführers mit dem Hinweis eines Showantrages entgegenzunehmen, nur gegen die Sache zu sprechen, über andere energiepolitische Themen zu sprechen, die überhaupt nicht Antragsgegenstand sind, ist eine absolute Frechheit, Herr Kollege Hoven…, nein: Herr Kollege Rohwedder. Entschuldigung! Ich hab’s heute mit den Versprechern.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜ-NEN und der FDP)

Es geht in dieser Sache um einen einzigen Vorgang, nämlich um die Interessen der Niederlande, die wir so nicht teilen: dass sie an unseren Landesgrenzen gegebenenfalls fracken wollen und dass sie versehentlich vergessen haben, uns zu beteiligen. Die Landesregierung hat darauf reagiert. Und wir fordern die Landesregierung auf, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, im Sinne der Gesundheit der Menschen im Lande Nordrhein-Westfalen tätig zu werden. Ihre Wortbeiträge waren nicht heuchlerisch, aber sie waren der Sache nicht dienlich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn Sie so weitermachen, werden Anträge von Ihnen demnächst nur noch als Showanträge tituliert, denn das sind sie dann wirklich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Ich muss darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um gut eine Minute überschritten hat. Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Wir sind damit am Schluss der Beratung angelangt.

Über den Eilantrag ist direkt abzustimmen. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/6023 – Neudruck. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Antrag Drucksache 16/6023 mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedet worden.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

8   Lehrerausbildungsgesetz – Erfahrungen produktiv für eine weitere Entwicklung nutzen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5965

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/6038

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Preuß-Buchholz das Wort.

Iris Preuß-Buchholz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, der Kollegin zuzuhören und eventuell notwendige Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen.

Iris Preuß-Buchholz (SPD): Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist ein Arbeitsparlament, bei dem die Sacharbeit und weniger der öffentlich zur Schau gestellte Streit im Mittelpunkt steht. – Mit diesem Satz beginne ich oft Gespräche mit Besuchergruppen, die wissen möchten, wie der nordrhein-westfälische Landtag arbeitet. Ich finde, das Lehrerausbildungs­gesetz, welches wir heute beraten, ist für die eingangs von mir skizzierte Arbeitsweise ein sehr gutes Beispiel.

Das nordrhein-westfälische Schulsystem befindet sich im Wandel. Die großen Herausforderungen heißen: die Umsetzung der VN-Behindertenrechts-konvention in unserem Bildungssystem, der Umgang mit großen Schülergruppen mit Migrationshintergrund sowie die Veränderungen in unserem Bildungssystem durch das von Politik, Lehrern und Eltern stärker nachgefragte längere gemeinsame Lernen.

Diese drei Entwicklungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf den Lehrerberuf. Das Bild des Lehrers, der halbtags in der Schule und nachmittags im heimischen Korrekturzimmer arbeitet, stimmt schon lange nicht mehr, wenn es denn jemals der Realität entsprochen hat. Anstelle des Einzelkämpfers sind heute Teamspieler notwendig. Das ergibt sich sowohl aus der Kooperation von Schul- und Jugendhilfe als auch aus der Integration der sonderpädagogischen Förderung in das Regelschulsystem im Zuge der Inklusion.

Mit dem neuen Lehrerausbildungsgesetz verfolgen wir unter anderem folgende Ziele:

1.  eine bessere Verzahnung der universitären Ausbildungsphase und der Ausbildungsphase an den Schulen;

2.  ein frühzeitigeres Herausfinden, ob der Lehrerberuf für den Einzelnen die richtige Berufswahl ist; das soll durch mehr Praktika vor und während der einzelnen Studienphasen im Bachelor und im Master erreicht werden;

3.  ein Abbau von Hürden für den Einzelnen zur Aufnahme eines Lehramtsstudiums durch eine Konzentration der Lehrerausbildung auf Kerncurricula und die Überprüfung der zur Aufnahme eines Studiums erforderlichen Sprachkenntnisse. Ziel ist, dass kein potenziell guter künftiger Lehrer durch nicht mehr zeitgemäße Hürden von einem Lehramtsstudium abgehalten wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben mit dem 2009 begonnenen Prozess der Weiterentwicklung der Lehrerausbildung eine gute Grundlage für eine praxisorientierte, professionelle und zukunftsorientierte Lehrerausbildung gelegt. Diesen Weg sollten wir gemeinsam weitergehen.

Positiv möchte ich hervorheben, dass die Umstellung der Lehrerausbildung auf Bachelor und Master in der Zwischenzeit an allen lehrerausbildenden Hochschulen erfolgreich bewältigt wurde.

Ebenso begrüße ich, dass für alle Lehramtsstudiengänge die Angebote „Diagnose und Förderung“ sowie „Deutsch als Fremdsprache“ verbindlich eingeführt wurden. Diese beiden Module geben den künftigen Lehrerinnen und Lehrern das notwendige Wissen für das Unterrichten in heterogenen Lerngruppen – eine Herausforderung, die sich gerade in unseren Städten stellt.

Mit dem heute vorliegenden Antrag fordern wir die Landesregierung unter anderem auf, in der Lehrerausbildung besonderen Wert auf die erziehungswissenschaftliche Ausbildung der künftigen Lehrkräfte zu legen, welche sich am Leitbild einer individuellen Ausbildung der Lernenden orientiert.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Berger zulassen?

Iris Preuß-Buchholz (SPD): Ich würde gerne erst meine Rede beenden. Danach dann.

Weiter fordern wir eine verstärkte Kooperation zwischen den beiden Phasen der Lehrerausbildung, zeitgemäße Anforderungen an den Nachweis altsprachlicher Kenntnisse sowie einen einfachen Zugang zum Lehramt für das Berufskolleg für die Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen.

Am Ende meiner Rede möchte kurz auf die Kritik eingehen, das Land habe durch die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf 18 Monate Geld gespart.

Erstens hat das Land im Rahmen der Umstellung der Lehramts­studiengänge auf Bachelor und Master mehr Geld zur Verfügung gestellt, damit die Hochschulen diesen Prozess erfolgreich meistern können. Das Land hat dadurch mehr Geld für die Lehrerausbildung ausgegeben.

Zweitens wurde neben der Konzentration des Vorbereitungsdienstes auf ein Kerncurriculum ein personenorientiertes, benotungsfreies Coaching für die angehenden Lehrerinnen und Lehrer eingeführt, um diese in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen.

Ich begrüße diese Maßnahmen ausdrücklich.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Prozess der Weiterentwicklung der Lehrerausbildung war bereits bei der Verabschiedung im Jahre 2009 angelegt. Die Debatte um die Evaluation des Lehrerausbildungsgesetzes wurde an der Sache orientiert geführt. Ich möchte mich am Ende meiner Rede für die konstruktive Diskussion bedanken.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nun hat der Kollege Berger zu einer Frage das Wort.

Dr. Stefan Berger (CDU): Danke schön, Herr Präsident. – Frau Kollegin, Sie haben gesagt, dass der Abbau von Hürden – darauf zielt ja Ihr Antrag – zeitgemäß ist. Diese Hürden – um es klar zu machen: die Pflicht des Latinums – sind in der Historie von vielen Lehrern übersprungen worden. Weshalb sollen diese Hürden zukünftig nicht mehr übersprungen werden? Sind die kommenden Lehrer dümmer als die alten? Worin liegt der wirkliche Sinn im Verzicht auf eine Leistungsprüfung?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Kollegin.

Iris Preuß-Buchholz (SPD): Sehr geehrter Herr Dr. Berger, genau deshalb habe ich von einer zeitgemäßen Weiterentwicklung gesprochen. Es gibt mittlerweile viele Schülerinnen und Schüler, die als Zweitsprache Französisch, Spanisch oder Italienisch wählen. Die sind dann erst einmal von einem Lehramtsstudium ausgeschlossen und müssten das Latinum nachholen. Aus diesem Grunde entscheiden sie sich häufig gegen ein Lehramtsstudium.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man wirklich für jede Fächerkombination das Latinum braucht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Preuß-Buchholz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Ali Bas.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Berufsbild der Lehrerinnen und Lehrer hat sich in den letzten Jahrzehnten – das haben wir gerade gehört – grundlegend gewandelt. War die Arbeit der Lehrkraft in den 50er- und 60er-Jahren noch durch klassischen Frontalunterricht und scheinbar einfache Kriterien der Leistungsbewertung gekennzeichnet, welches durch eine starke Selektion des dreigliedrigen Schulsystems unterstützt wurde, so hat die Lehrkraft von heute einen nicht unwesentlichen Anteil an der Erziehung von Kindern und Jugendlichen.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Schule haben sich geändert. Heute wollen wir, dass Kinder möglichst lange gemeinsam lernen, dass sie möglichst alle Chancen bekommen, den bestmöglichen Abschluss zu erlangen, und dass sie auf dem Weg dahin optimal und möglichst individuell gefördert werden. Darüber hinaus sollen junge Menschen zu sozialen und demokratisch mündigen Bürgern heranwachsen, bei denen die unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer eine wichtige Funktion innehaben.

Von Lehrerinnen und Lehrern wird deshalb neben dem Fachwissen eine didaktische Methodenvielfalt verlangt, die Fähigkeit, individuelle Förderung zu gewährleisten und möglichst flexibel auf Heterogenität im Klassenzimmer und im Ganztag zu reagieren. So muss eine Mathematiklehrkraft nicht nur über die binomischen Formeln bestens Bescheid wissen, sondern sich auch Gedanken darüber machen, wie sie dieses mathematische Prinzip den Kindern auch sprachlich vermitteln kann. Auch der Mathe-Unterricht ist Sprachunterricht. Ich verweise hier auf die einschlägigen Studien hierzu, die wir im Landtag bereits mehrfach debattiert haben.

Mit dem Weg der Inklusion in unseren Schulen verändern sich die Aufgaben und Fähigkeiten der Lehrkräfte nochmals.

Auf diese und eine Reihe weiterer Veränderungen muss der Gesetzgeber natürlich reagieren. Dabei kommt der Lehrerausbildung eine zentrale Rolle zu. So war es richtig, 2009 das Lehrerausbildungsgesetz im Zuge des Bologna-Prozesses an den Hochschulen auf die neuen Bachelor- und Masterabschlüsse umzustellen und verbunden damit auch die weitere Verknüpfung zwischen dem ersten Ausbildungsabschnitt und dem zweiten, dem sogenannten Referendariat, durch die Einrichtung der universitären Lehrerausbildungszentren und der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung mit dem Praxissemester und gestrafften Vorbereitungsdienst vorzunehmen.

Die Erfahrungen aus dieser Umstellung sind für uns der Anlass, an dieser Stelle weiterzugehen und die Lehrerausbildung den gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfordernissen weiter anzupassen und zukunftsfähig zu machen.

Wie eingangs mit dem Mathematikbeispiel erwähnt, müssen Lehrerinnen und Lehrer neben der qualifizierten Fachausbildung auch pädagogisch fit genug sein für die Herausforderungen der Heterogenität und individuellen Förderung. Hierbei kann ein stärkerer lehramtsübergreifender pädagogischer Ausbildungsschwerpunkt ein Weg sein, den es zu prüfen gilt. Auch das wichtige Feld der Alphabetisierung gehört stärker in die Ausbildung hinein.

Die Zusammenarbeit zwischen erster und zweiter Lehrerausbildungsphase muss weiter ausgebaut werden, gerade im Hinblick auf abgestimmte Ausbildungsinhalte und kontinuierliche Begleitung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer.

Ebenfalls überprüft gehört der Nachweis der altsprachlichen Sprachkenntnisse für fremdsprachliche Fächer sowie für die Fächer Geschichte und Philosophie, die den tatsächlichen fachlichen Notwendigkeiten angepasst gehören.

Für uns essenziell ist auch der attraktive Zugang zu den Lehrämtern des Berufskollegs gerade vor dem Hintergrund des drohenden Mangels an Lehrkräften im gewerblich-technischen Bereich. Hier müssen Absolventen der Fachhochschulen einen unproblematischen Einstieg in das Berufskolleg bekommen, wobei auch die Kooperation zwischen Fachhochschule und Universität verstärkt gehört.

Für Hochschulen sollte, wie mehrfach von diesen gefordert, vom Ministerium geprüft werden, ob bei der Akkreditierung von neuen Studiengängen künftig die Systemakkreditierung ermöglicht werden kann. Hierbei sollte es auch um die Frage gehen, wie dabei die Interessen des Landes mit denen der Hochschulen in Einklang gebracht werden können.

Zur Sicherung der qualitativen und quantitativen Ziele der Lehrerausbildung sollte das Land mit den Hochschulen Ziel- und Leistungsvereinbarungen treffen.

Für das große Feld der Inklusion gehören förderpädagogische Kompetenzen gesichert und die Erprobung innovativer Formen der förderpädagogischen Qualifizierung gewährleistet. Nicht vergessen werden darf dabei die Prüfung der künftigen Entwicklung des förderpädagogischen Lehramtes.

Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, ist die Ausbildung unserer Lehrerinnen und Lehrer in NRW ein hochkomplexer Prozess, den wir laufend weiterentwickeln müssen. Um den Herausforderungen der inklusiven Gesellschaft gerecht zu werden, müssen wir unseren Lehrkräften in NRW die beste Ausbildung bieten.

Unser Antrag knüpft an die erfolgreiche Weiterentwicklung der Lehrerausbildung der letzten Jahre an und berücksichtigt die aktuell nötigen pädagogischen Erfordernisse zur Verwirklichung der vielen Herausforderungen im Bildungssystem. Darum kann ich Ihnen an dieser Stelle nur empfehlen, diesem Antrag zuzustimmen.

Zum Entschließungsantrag der CDU zum Thema „Beibehaltung der Lateinpflicht für die genannten Fächer und für die Fächer Geschichte und Philosophie“ nur so viel: Diesen Antrag werden wir natürlich ablehnen. Über mögliche Reformen in diesem Bereich werden wir aber selbstverständlich diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bas. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Birkhahn.

Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Verehrte Gäste! Ein großes Thema, das Lehrerausbildungsgesetz. Wenn wir überlegen, dass die Zukunft unseres Landes auf Bildung gebaut werden muss, dass die Zukunft unseres Landes von Kindern gebildet wird, denen wir die Möglichkeit geben müssen, sich zu entwickeln, ist es ein Thema, von dem man denkt: Jetzt kommt wirklich eine intensive Auseinandersetzung.

Die Überschrift „Erfahrungen produktiv für eine weitere Entwicklung nutzen“ ist eine große Absichtserklärung. Ich habe mich gefreut, als ich diese Überschrift gelesen habe und war völlig irritiert, als ich feststellen musste, dass es eine Block-I-Debatte ist – fünf Minuten für jede Rednerin und jeden Redner – und eine Abstimmung im Plenum erfolgt, also keine Auseinandersetzung im Fachausschuss, keine direkte Konfrontation unterschiedlicher Positionen, wie wir das in einer Anhörung machen könnten. Ich frage mich: Ist es vielleicht die Angst vor der eigenen Courage,

(Beifall von der CDU und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

dass man an bestimmten Stellen nicht nachhaken möchte?

Aus Zeitmangel bleibt mir nur, schlaglichtartig auf einige Ihrer Forderungen abzuheben

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und Substanz und Schlüssigkeit zu hinterfragen. Denn wir haben als Grundlage der Auseinandersetzung erst einmal dieses Papier. Ich bin froh, dass ich Frau Preuß-Buchholz und Herrn Bas hören konnte, die deutlich gemacht haben, was sich hinter diesen Formulierungen verbirgt. Aber wenn ich die Schriftform nehme, möchte ich doch mit Ihnen noch mal genau hinterfragen, was eigentlich tragende Argumentation ist.

Nehmen wir die erste Forderung „Die Lehrerausbildung ist auf der Grundlage der Reform von 2009 weiterzuentwickeln“! – Das ist eine Formulierung, die ich sinnvoll finde. War die Reform 2009 der Anfang der Dinge? Nein, das war die zweite Reform, die aufgrund der Arbeit der Baumert-Kommission stattgefunden hat. 2005 wurde ein Lehrerausbildungsgesetz auf den Weg gebracht, das durch die weitere Arbeit der Baumert-Kommission reformiert wurde. Ich kann nur unterstreichen, was Herr Baumert 2010 sagte: Nordrhein-Westfalen ist vorbildlich in der Lehrerausbildung. Das sollten wir als Konsens in der Runde zur Kenntnis nehmen.

Das bestärkt mich auch in der Erkenntnis, dass die Menschen lebenslang lernen. Denn auch Sie als antragstellende Fraktionen haben deutlich gemacht, dass Sie im Laufe der Zeit eine andere Einstellung zu dem Lehrerausbildungsgesetz gewonnen haben.

(Beifall von der CDU)

Sie hatten es nämlich bei Einführung noch abgelehnt. Jetzt sagen Sie: Es ist als Basis durchaus geeignet, dass wir es weiterentwickeln. Das als Lob vorweg.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Zur zweiten Formulierung: In der Lehrerausbildung ist für alle Lehrämter neben der hohen fachwissenschaftlichen Ausbildung auch ein besonderer Stellenwert auf die erziehungswissenschaftliche Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer zu legen, um hier die angehenden Lehrpersonen auf die inhaltlichen Anforderungen der Lehrämter und das Leitbild einer individuellen Förderung der Lernenden auszubilden.

Welche Fundierung steckt eigentlich dahinter? Ist es nicht eine besondere Verkürzung zu sagen: „Es geht nur um individuelle Förderung“? Geht es nicht auch um individuelle Forderung. Ist es nicht auch ein Teil eines Leitbilds, die ganze Bandbreite mit in den Blick zu nehmen?

Ich möchte Klafki anführen, der sagt: Wenn im Lernprozess von Kindern keine Anstrengung verlangt wird, betrügt man sie um den Erfolg ihrer Anstrengungen.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Ich denke, das sollten wir mitnehmen, dass in der Ausbildung Förderung und Forderung gemeinsam deutlich gemacht werden müssen.

Noch eine zweite Verkürzung möchte ich skizzieren. Schule hat den Auftrag zu Bildung und Erziehung. Aebli sagt: Bildung und Erziehung geschehen bei der Begegnung von Menschen über einer sachlichen Aufgabe – Menschen mit einer Vielfalt von Talenten, einer Vielfalt von Fähigkeiten und unterschiedlichen Ansprüchen. – Von daher ist der Umgang mit Heterogenität, mit unterschiedlichen Forderungen, mit Formen der Differenzierung für uns wirklich die zentrale Frage, weil wir diverse Problemlösungsstrategien und ?ansätze diskutieren müssen.

Meine Damen und Herren von der antragstellenden Fraktion, ich frage Sie: Wo bleibt hier die Sachdiskussion? Wo bleiben der Einfluss, die Wertschätzung und die Berücksichtigung der Fachkompetenz? Sie haben am Ende Ihrer zweiten Forderung einen Prüfantrag gestellt, der merkwürdig formuliert ist – ich will Ihnen das deutlich machen –: „In diesem Zusammenhang möge die Landesregierung prüfen, eine lehramtsübergreifende … entwickelt werden kann.“

Entscheidend ist, ob oder wie entwickelt werden kann. Sie haben den Schwerpunkt Ihrer Prüfanfrage überhaupt nicht beleuchtet, sondern weggelassen. Ich frage Sie: Welche Abwägung wollen Sie vornehmen? Von daher ist es wirklich bedauerlich, dass wir heute die direkte Abstimmung haben und uns nicht fachlich auseinandersetzen können, wohin die Reise geht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist beendet.

Astrid Birkhahn (CDU): Das ist schade.

(Heiterkeit)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Sehr schade.

Astrid Birkhahn (CDU): Noch einen Satz, dann komme ich zum Schluss, Herr Präsident. – Die vielen Worte des Antrags können den Mangel an Substanz nicht überdecken. Ich finde es bedauerlich, dass wir uns fachlich nicht damit auseinandersetzen können. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Birkhahn. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebauer.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen von Frau Birkhahn nur anschließen, was die Art und Weise des Umgangs mit diesem Antrag anbelangt. Vom Inhaltlichen her hätten auch wir – meine Fraktion und ich – uns ein anderes Verfahren gewünscht. Gleichwohl freut es mich, dass SPD und Grüne anerkennen, wie richtungweisend die Reform der Lehrerausbildung unter Schwarz-Gelb im Jahre 2009 gewesen ist. Dass auch diese Reform auf neue Herausforderungen hin geprüft werden muss, steht für alle Beteiligten außer Frage.

Zunächst möchte ich einige positive Aspekte des Antrags aufgreifen. Die FDP teilt die Einschätzung, Pädagogen verstärkt im Bereich basaler Kenntnisse im Rahmen der Inklusion, der Aspekte der Integration, der Alphabetisierung – Herr Bas hat es schon angesprochen – oder der Diagnostik vorzubereiten.

Veränderte Anforderungsprofile von Schulen müssen sich zwingend auch in der Lehrerausbildung entsprechend wiederfinden.

Aber damit hören die positiven Aspekte zu diesem Antrag auch schon auf. Denn Sie setzen bei der Umsetzung leider nicht auf Qualität, sondern Sie planen offenbar eine Nivellierung der fachwissenschaftlichen und didaktischen Kenntnisse unserer Pädagogen.

Ich möchte dies gerne anhand von einigen Beispielen darlegen. Da wird vom Wandel der Schullandschaft zum längeren gemeinsamen Lernen gesprochen. Daran müsse die gesamte Lehrerausbildung angepasst werden. Meine Fraktion und ich können nur davor warnen, dass hier durch die Hintertür versucht wird, in Nordrhein-Westfalen den Einheitslehrer einzuführen.

(Zuruf von der SPD: Was ist denn das?)

Auch viele Verbände wehren sich dagegen, durch das Absenken der Fachlichkeit und das Abschleifen schulspezifischer Anforderungsprofile der Lehrämter einen Lehrer zu schaffen, der fachwissenschaftlich leider nur noch rudimentär bewandert ist.

Ein solches Vorgehen jedoch wurde bereits im Bericht zur Lehrerausbildung angedeutet und findet sich in diesem Antrag wieder.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Yvonne Gebauer (FDP): Nein, ich würde gerne zu Ende reden, danach kann gerne die Frage gestellt werden.

In diesem besagten Bericht des Ministeriums wurde auf die fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studienanteile für das Lehramt an Gymnasien, an Gesamtschulen und an den Berufskollegs verwiesen. Diese lägen – das ist ja nun nicht unerfreulich – über den Vorgaben der KMK, und somit könnte man hier ein Stück abknapsen.

Meine Frage an Sie lautet: Was genau wollen Sie denn tun? Einerseits verweisen Sie selber auf das wichtige fachliche Wissen – und zwar zu Recht für alle Lehrkräfte –, andererseits kündigen Sie an, dort etwas einzudampfen. Die Leistungsstudien jedoch verdeutlichen immer wieder die hohe Relevanz der Fachlichkeit der Pädagogen. Offenbar wollen Sie die Bildungsqualität zugunsten der Bildungsgerechtigkeit opfern. Aber diese beiden Aspekte gehören untrennbar zusammen.

Ein weiteres Beispiel, bei dem mir persönlich angst und bange um die Qualität der Lehrerausbildung wird, findet sich im Bereich der Sonderpädagogik. Hier kündigen Sie an, innovative Formen der förderpädagogischen Qualifizierung zu erproben. Gleichzeitig soll das Lehramt für sonderpädagogische Förderung langfristig auf den Prüfstand.

Sie haben im Rahmen der Inklusionsdebatte schon ein Stück weit den „Sonderpädagogen light“ eingeführt. In der zweitägigen Anhörung mit rund 80 Experten zum Inklusionsgesetz haben diese dringend vor einem solchen Vorgehen gewarnt. Andere Bundesländer haben bereits von diesem Verfahren der – in Anführungsstrichen – preiswerten Sonderpädagogik Abstand genommen.

Auch wenn es – wie ich es anfangs erwähnt habe – in diesem Antrag positive Ansätze gibt, können wir ihm in dieser Form nicht zustimmen. Zum CDU-Antrag werden wir uns enthalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, wollen Sie jetzt noch die Zwischenfrage der Abgeordneten Beer zulassen?

Yvonne Gebauer (FDP): Ja.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Kollegin, herzlichen Dank. – Es geht um die Heterogenität, mit der Lehrerinnen und Lehrer umgehen müssen. Sie haben ja gerade versucht, das Gespenst des Einheitslehrers zu beschwören. Sind Sie wirklich der Meinung, dass sich Kolleginnen und Kollegen an allen Schulformen – auch am Gymnasium, gerade bei Übertrittquoten von mehr als 50 % –, nicht an der Heterogenität ihrer Schülerinnen und Schüler ausrichten müssen? Denn es gilt immer noch die Regel, dass Kinder unterrichtet werden, und nicht Fächer.

Yvonne Gebauer (FDP): Ich habe jetzt nicht ganz verstanden, worauf Sie mit der Frage hinaus wollen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wie sie mit der Heterogenität umgehen müssen!)

– Wir haben zunehmend Heterogenität an unseren Schulen, das ist richtig. Und dass wir beim Lehramtsstudium bzw. der Qualität der Lehrerausbildung insbesondere auf die Heterogenität an den Schulen eingehen müssen, das ist auch richtig. Aber Sie verfolgen ja nun ein anderes Ziel, da kann ich mich an dieser Stelle nur noch einmal wiederholen; wir haben es beim letzten Mal schon gesagt. Die Grünen haben in ihrem Parteiprogramm stehen: Wir verlieren eine Schule für alle nicht aus dem Blick.

Dementsprechend wollen Sie auch den Lehrer für „eine Schule für alle“. Da sagt die FDP: Das wollen wir nicht. Wir wollen nach wie vor den Fachlehrer, der in seiner Fachrichtung der Fachmann bzw. die Fachfrau ist, um das Wissen an die Kinder und Jugendlichen – die im Mittelpunkt stehen müssen, da gebe ich Ihnen recht – weitergeben zu können.

Wir wollen eben nicht, dass am Ende die eierlegende Wollmilchsau vorne steht und von allem ein bisschen Ahnung hat, dass aber kein Fachlehrer mehr existent ist und nicht mehr das Fach als solches unterrichtet wird. Das aber brauchen wir für unsere Kinder und Jugendlichen, damit sie entsprechend gefordert und gefördert werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist aber kein Gegensatz!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Lehrkräfte in den Schulen müssen heutzutage Lehrende, Begleiter, Erzieher und Bezugspersonen sein können, schlimmstenfalls alles auf einmal. Dafür brauchen die Lehrkräfte eine hervorragende Ausbildung, ganz auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, der Schulträger und der Kolleginnen und Kollegen zugeschnitten.

Allerdings – und da ist die Bilanz nicht so erfreulich wie hier in Ihrem Antrag beschrieben – müssen auch die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Da haben wir bei der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen berechtigte Zweifel.

Sie fordern in Ihrem Antrag, dass die Lehrerausbildung in ihrer Fortentwicklung besonders die Herausforderungen der Inklusion beachten soll. Damit sind wir völlig einverstanden. Aber die Umwandlung der didaktischen Mittel, um endlich in der Wissens- und Informationsgesellschaft anzukommen, ist eine genauso große Herausforderung.

Ihr Antrag sagt dazu nichts, im Gegenteil. Wir finden, beides sollte miteinander kombiniert werden, denn nur so wird ein nachhaltiges tragfähiges und damit wirksames Konzept daraus.

(Beifall von den PIRATEN)

Das aber fehlt bei Ihnen gänzlich.

Hier zeigen Sie vielmehr, dass Sie eine nachhaltige Bildungspolitik gar nicht anstreben, sondern lieber Flickschusterei betreiben.

Eine Bemerkung zu Ihrem Antrag aus technischer Sicht: Wie haben wir denn zu verstehen, dass die Hochschulen Ziel- und Leistungsvereinbarungen abschließen sollen? Das geht ja davon aus – insbesondere bei der Fokussierung auf das Thema „Inklusion“ –, dass dort so etwas wie Messbarkeit möglich ist. Dieser Punkt fällt in Ihrem Antrag weit hinter den Entwurf zu Ihrem eigenen Hochschulzugangsgesetz zurück. Sie wollen doch durch Hochschulverträge in die Hochschulsteuerung eingreifen. Ich denke, da muss noch nachgebessert werden.

Frau Gebauer – wir Piraten sind da ganz bei Ihnen – hat es gerade angesprochen. In Punkt 8 Ihres Beschlussteils – da gehen wirklich alle Warnlampen an – heißt es, dass die Landesregierung gebeten wird, im Zuge des weiteren Inklusionsprozesses in der Schule die benötigte förderpädagogische Kompetenz für die Schulen zu sichern, innovative Formen der förderpädagogischen Qualifizierung zu erproben und langfristig Fragen der strukturellen und curricularen Erfordernisse des förderpädagogischen Lehramtes neu zu prüfen. – Das kann wie ein Hinweis interpretiert werden, dass die Förderpädagogen, die wir jetzt kennen, nach und nach verschwinden werden oder dass Ausbildungsgänge aufgeweicht werden. Das halten wir für ausgesprochen fatal, da wir auch diese Lehrkräfte weiterhin dringend brauchen.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist – die Vorrednerinnen haben es schon gesagt – schade, dass Sie diesen Antrag direkt abstimmen lassen wollen. Wir würden uns auf eine Debatte im Ausschuss freuen, und ich kann Ihnen versprechen: Diese wird mit Sicherheit noch einmal aufkommen.

Ich empfehle aufgrund der fehlenden Nachhaltigkeit Ihres Vorschlags unserer Fraktion, sich an dieser Stelle zu enthalten.

Erlauben Sie noch ein Wort zum Entschließungsantrag der Union. Herr Berger ist wieder da. Er hat vorhin einen Zwischenruf gemacht, was die Hürden beim Latinum angeht. Herr Bas und auch die Vorrednerin haben es gesagt: Unter den heute gegebenen Voraussetzungen ist es dasselbe, von einer Lehrerin oder einem Lehrer, der Französisch oder Spanisch unterrichten will, zu verlangen, ein Latinum zu haben, als würden Sie von einem Englisch unterrichten wollendem Lehrer verlangen, Altgermanisch zu können. Das halten wir nicht für zeitgemäß. Was die Wissenschaftlichkeit angeht – Philosophie, Grundlagen –, ist es klar. Dafür wird man diese Dinge brauchen.

Wir werden Ihren Entschließungsantrag daher als nicht zeitgemäß ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Lehrerinnen und Lehrer kommt es an. Es gibt keine gute Schule und keinen guten Unterricht ohne kompetente Lehrkräfte. Deshalb ist die Reform der Lehrerausbildung eine der wichtigsten Aufgaben auf unserem Weg zu einem leistungsfähigeren und sozial gerechteren Schulsystem. Darin bin ich mit meiner Kollegin Sylvia Löhrmann einig.

Wir begrüßen es sehr, dass die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen jetzt den Antrag zur Standortbestimmung der nordrhein-westfälischen Lehrerausbildung vorgelegt haben. Er unterstreicht die guten Ansätze des Lehrerausbildungsgesetzes und setzt wichtige Impulse zur Weiterentwicklung.

Der vorliegende Antrag knüpft an die wesentlichen Erkenntnisse des Berichtes zum Entwicklungsstand und zu den Perspektiven der Lehrerausbildung an, den die Landesregierung im Dezember verabschiedet und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zugeleitet hat. Er setzt aber auch einige neue Akzente, deren Intentionen von der Landesregierung geteilt werden.

Über die Richtung und die Grundlinien der neuen Lehrerausbildung besteht nach den Rückmeldungen der Hochschulen, der Verantwortlichen für den Vorbereitungsdienst und der Lehrerverbände sowie nach den ersten Diskussionen in den zuständigen Ausschüssen eine relativ große Einigkeit.

Mit der Reform wurde eine gute Grundlage für eine praxisorientierte, professionelle, zukunftsorientierte und innovative Lehrerausbildung gelegt. Durch die erfolgreiche Umstellung auf die neuen Bachelor-Master-Formate an allen Hochschulen sind solide, fachwissenschaftliche, fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Curricula für alle zukünftigen Lehrkräfte geschaffen worden. Auch die Akkreditierungsprozesse der Studiengänge selbst haben zur Qualitätssteigerung beigetragen. Gründe dafür waren die damit zusammenhängenden Diskussionsprozesse zwischen den Hochschulen und den Schulen, aber natürlich auch die zusätzlichen Mittel, die die Landesregierung für den Ausbau der Fachdidaktik und die Verlängerung der Studienzeiten bereitgestellt hat.

NRW hat zudem durch die neuen Lehramtsstudienelemente „Diagnose und Förderung“ und „Deutsch als Zweitsprache“ sowie eine frühe Praxisorientierung für alle zukünftigen Lehrkräfte die Weichen für deren Vorbereitung auf die zunehmend heterogenen Lerngruppen gestellt. Durch die Entscheidung für ein eigenständiges Grundschullehramt mit einer obligatorischen Ausbildung in den Kernfächern Mathematik und Deutsch kann zukünftig in der Grundschule ein solides fachliches Fundament für die gesamte weitere Laufbahn der Schülerinnen und Schüler gelegt werden.

Der Vorbereitungsdienst wurde auf 18 Monate konzentriert und zudem durch ein neues Kerncurriculum und ein personenorientiertes benotungsfreies Coaching umfassend modernisiert. Allein bis jetzt wurden etwa 800 Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder auf dieses neue Beratungsformat hin umfassen geschult. Frau Prof. Kunter von der Goethe-Universität Frankfurt bestätigt in ihrer externen Evaluation des neuen Vorbereitungsdienstes, dass dieses anspruchsvolle Reformelement solide und ohne Qualitätseinbußen umgesetzt wurde und dass es hier für die weitere Entwicklung noch Potenziale gibt. Dass es durchaus auch Kritik gibt, will ich nicht verhehlen. Ich interpretiere dies aber als Um- und Eingewöhnungsschwierigkeiten, die sich beheben lassen.

Meine Damen und Herren, die Reform der Lehrerausbildung muss ein entwicklungsoffener Prozess sein. Die Schulentwicklung ist in den letzten Jahren mit großen Schritten vorangekommen. Deshalb ist es nur zu unterstützen, dass der vorliegende Antrag sehr deutlich auf den rasanten Wandel des Lehrerberufs und die Notwendigkeiten eines neuen Selbstverständnisses hinweist. Die Erfordernisse eines inklusiven Schulsystems, der Schulkonsens und die sich daraus ergebenden Aufgaben für die Schulentwicklung, die wachsende Vielfalt der Schülerschaft in allen Schulformen, der Ganztag und die Digitalisierung der Kommunikation …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Berger zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Gleich gerne. Ich möchte den Satz nur noch kurz abschließen.

… sind nur einige Herausforderungen, die nach Antworten auch und gerade in der Lehrerausbildung verlangen. Deshalb ist es richtig, wenn im vorliegenden Antrag auch eine curriculare Weiterentwicklung der Lehrämter und ein neues bildungswissenschaftliches Gesamtkonzept des Lehrerberufes eingefordert werden.

Jetzt kann ich gerne auf Herrn Berger eingehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich frage Sie nur: Sind Sie als Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen der Auffassung, dass eine Französischlehrerin oder ein Französischlehrer kein Latinum mehr benötigt?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Berger, das ist eine sehr interessante Frage.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: So steht es im Antrag!)

– Sie fragen im Kern, warum wir der Auffassung sind, dass Latein verzichtbar ist. Sie haben sicherlich unseren Bericht zur Evaluation wahrgenommen, in dem wir das ausführlich dargestellt haben. Entscheidend bei einem Fremdsprachenstudium – zum Beispiel von Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch – ist die Fähigkeit der Sprachreflexion über Sprachstrukturen. Das kann man mithilfe von Latein erreichen. Es ist nach Auffassung der Fachleute in Schulen aber auch qualifiziert über den Vergleich mit einer weiteren Fremdsprache möglich.

Das heißt: Entscheidend ist die Kenntnis von zwei weiteren Fremdsprachen. Jeder, der hier Abitur macht, hat diese Kenntnisse. Nehmen Sie andere Bundesländer: Auch Bayern hat die Latinumsanforderungen deutlich gelockert. Wir befinden uns also in guter Gesellschaft.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, ich wusste nicht, ob Sie am Ende Ihrer Rede waren. Es liegt nämlich der Wunsch nach einer Kurzintervention vor.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Ich würde aber gerne noch das abschließen, was ich noch sagen wollte: Der Ausbau des inklusiven Schulsystems muss in der Lehrerausbildung natürlich Berücksichtigung finden. Alle angehenden Lehrkräfte müssen in die Lage versetzt werden, in multiprofessionellen Teams – beispielsweise mit Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen – zu arbeiten. Der darauf bezogene Kompetenzerwerb, der die Bildungswissenschaften und die Praxisphasen betrifft, ist in allen Lehrämtern verstärkt anzulegen.

Auf die Kritik der FDP hin, wir würden zu wenig tun, will ich noch einmal daran erinnern, dass wir 2.300 neue Studienplätze für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen geschaffen haben. Alleine das ist schon ein Beweis dafür, wie wichtig wir dieses Thema nehmen.

Der Antrag zieht richtige Schlussfolgerungen, die hier schon erörtert worden sind. Die Landesregierung freut sich in diesem Sinne über die Impulse des vorliegenden Antrags und wird diese in die Überarbeitung der jetzigen Regelungen der Lehrerausbildung einbeziehen.

Die Landesregierung ist darüber hinaus an einem weiteren konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten in Schulen und Hochschulen, in Politik und bei den Verbänden sowie in der Verwaltung sehr interessiert, damit die Reform der Lehrerausbildung wirklich gelingt. – Herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Nun gibt es die Kurzintervention der Frau Abgeordneten Birkhahn. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Astrid Birkhahn (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Schulze, ich danke Ihnen, dass Sie meine Kurzintervention zulassen, wobei ich der Meinung war, dass man darauf auch ein Recht hat.

Im Punkt 7 des Antrags wird gefordert, dass Ziel- und Leistungsvereinbarungen bei den Hochschulen abzuschließen sind, um qualitative und quantitative Ziele zu sichern.

Wie verträgt sich diese Absicht mit den Äußerungen Ihres Hauses, aus denen deutlich wird, dass man eine Höchstquote für Studienabbrecher einführen und sicherstellen möchte, dass eine Mindestanzahl an Absolventen erfolgreich abschließt. Sichert das die Qualität? Ist das etwas, wodurch Leistung in den Mittelpunkt gestellt wird? Ich habe die große Sorge, ob die Absicht, die in Punkt 7 benannt wird, durch diese Maßnahmen Ihres Hauses sichergestellt werden kann.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Ministerin!

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Frau Birkhahn, diese Diskussion, die wir auch im Wissenschaftsausschuss sehr intensiv führen, ist sehr interessant. Wir legen keine Quoten für Abbrecherinnen und Abbrecher fest, sondern wir sagen, dass es nicht angehen kann, dass in bestimmten Fächern 50 % derjenigen, die anfangen, ihr Studium nicht erfolgreich beenden. 50 %!

(Beifall von der SPD)

Wir unternehmen alle möglichen Anstrengungen, um junge Menschen in technische Fächer hineinzubringen, um unseren Standort Nordrhein-Westfalen als Industriestandort zu halten und den eigenen Fachkräftebedarf auszubilden. Und dann brechen 50 % der Studierenden gerade in technischen Fächern ihr Studium offensichtlich ab? – Wir müssen deshalb an die Lehre herangehen und die Frage der Diversität der Studierenden deutlicher in den Mittelpunkt stellen. Nicht jeder, der phantastisch in Mathe ist, ist gleich gut in Englisch und kommt mit einem englischsprachigen Studiengang klar. Nicht jeder, der ein Genie im Bauingenieurwesen ist, ist auch sprachlich immer so gewandt, dass er den Anforderungen eines Studiums von vornherein genügt.

Wir sind aber als Gesellschaft auf diese jungen Talente angewiesen und müssen etwas dafür tun, dass die Leute, die das Talent und die Fähigkeiten haben, ihr Studium wirklich erfolgreich beenden können. Darum geht es in der Diskussion mit den Hochschulen. Das soll aktuell in den Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen festgelegt werden. Mit den Fachhochschulen ist das übrigens schon vereinbart worden. Der Prozess ist dort auf einen guten Weg gebracht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache und kommen zur Abstimmung:

Erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/5965. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt dieses Antrags.

Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/5965 wie folgt angenommen: mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU und der FDP-Fraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Stein bei Enthaltung der Fraktion der Piraten.

Wir kommen – zweitens – zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6038. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6038 abgelehnt, und zwar mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten und bei Zustimmung des fraktionslosen Abgeordneten Stein.

(Zurufe von den PIRATEN: Wir waren dagegen! – Zuruf: Wir haben uns nicht enthalten!)

– Entschuldigung! Wer enthält sich? Gab es Enthaltungen? Ich hatte es so gesehen, dass sich im Grunde alle an der Abstimmung beteiligt haben.

(Vereinzelt Beifall – Unruhe)

Gibt es eine Enthaltung? – Dass sich die FDP der Stimme enthalten hat, habe ich aufgezählt.

Wir kommen zu

9   Perspektiven für den kommunalen Wirtschaftswegebau schaffen!

Antrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
des Abg. Robert Stein (fraktionslos)
Drucksache 16/5964 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Kuper das Wort.

André Kuper (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Das Wirtschaftswegenetz im ländlichen Raum dient der inneren Verkehrserschließung für unsere Land- und Forstwirtschaft, aber auch für die Naherholung und die Gewerbebetriebe. Unsere Wirtschaftswege dienen oft auch als Ortsverbindungswege und haben eine sehr wichtige Bedeutung für den Tourismus.

Diese Wirtschaftswege haben beispielsweise in meinem eher ländlich geprägten Heimatwahlkreis Gütersloh einen Anteil von rund 70 % am kommunalen Straßen- und Wegenetz.

Meine Damen und Herren, es wird Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein: Unsere kommunalen Wirtschaftswege sind fast überall in einem schlechten Zustand.

In den Städten und Gemeinden in NRW fehlt das Geld an allen Ecken und Kanten. Einige Beispiele, die ich Ihnen hier vortragen möchte, belegen das. Ich zitiere aus dem „derwesten.de“ vom Februar 2014 zur Situation in Warstein: „Zahlreiche Wirtschaftswege im Stadtgebiet Warstein weisen massive Schäden auf.“ An anderer Stelle heißt es, ein Weg „sei absolut desolat mit vielen Schlaglöchern.“

Ein anderes Beispiel stammt aus Telgte: „Ebenso wurde deutlich, dass die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nur für ein Minimum an Reparaturen ausreichen.“ Schermbeck muss feststellen, „dass die finanziellen Mittel aufgrund der Haushaltslage nicht zur Verfügung gestanden hätten bzw. stünden, dass der Investitionsstau mittlerweile so hoch sei, dass sie Kredite aufnehmen müssten, um dem angemessen zu begegnen. Das dürfen sie aber nicht, weil sie in der Haushaltssicherung sind. Und das heißt: Alles schönen Fensterreden nach dem Motto ‚Man müsste mal  ‘ sind unredlich.“

Von diesen Beispielen könnte man noch Hunderte aus diesem Land vortragen. Aber warum ist die Situation so? – Zumeist ist unser Wirtschaftswegenetz vor 30 bis 50 Jahren ausgebaut und damals für eine Achslast von 3 t und Fahrzeugbreiten bis 2,20 m bemessen worden. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft führt aber dazu, dass die Maschinen heute viel größer und schwerer sind und nun statt 3 t bis zu 10 t Achslasten drücken, Schleppergeschwindigkeiten von bis zu 60 km/h und darüber hinaus Fahrzeugbreiten bis 3 m betragen.

Diesen Anforderungen sind unsere Wirtschaftswege schlichtweg nicht gewachsen. Und das bedeutet, die Lebensdauer der Wirtschaftswege wird radikal reduziert, was wiederum zu Problemen in der kaufmännischen Buchführung bei den Abschreibungen in Form von Sonderabschreibungen bei den Kommunen und auch zu einem deutlichen Verlust an Verkehrssicherheit führt.

Eine weitere Ursache ist, dass die Verkehrsbelastung zugenommen hat. Wenn man sich die Entwicklung der Anzahl der Pkw oder die der Ackerschlepper oder Lkw anschaut, dann wird man auch dabei feststellen können, dass sich diese in den letzten 50 Jahren verdoppelt hat.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Deshalb muss man sich die Frage stellen: Wie viel Geld wird gebraucht? In dieser Frage kann man auf Hilfe zurückgreifen, und zwar auf Prof. Axel Lorig, den Vorsitzenden der Bund-Länder-Arbeitsgemein-schaft zur nachhaltigen Landentwicklung aus Mainz in Rheinland-Pfalz. Er beziffert den Investitionsstau in unseren Kommunen im Wirtschaftswegenetz auf über 50 Milliarden €.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Wir können die Kommunen somit nicht mehr im Regen stehen lassen, wir müssen helfen. Und mit unseren Antragspunkten befinden wir uns im Einklang mit dem eben schon zitierten Prof. Lorig, der zu dieser Idee nämlich ausführte: „Es wäre ein Hoffnungsschimmer für die ländlichen Wegenetze und führte in die Zukunft.“

Deswegen sollten Sie, meine Damen und Herren, dem kommunalen Wirtschaftswegebau mit einer Umsetzung dieses wirklich konstruktiven Antrages eine Perspektive geben. Und kommen Sie gleich nicht wieder mit irgendwelchen rhetorischen Worthülsen oder Erzählungen aus der Mottenkiste. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kuper. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wirtschaftswege vor Ort müssen im wahrsten Sinne des Wortes tragfähig sein. Denn nur dann haben wir eine wettbewerbsfähige Land- und auch Forstwirtschaft in Nordrhein-Westfalen.

Landwirtschaftlich genutzte Flächen und Wirtschaftswälder zur Bewirtschaftung, zur Ernte und zur Bearbeitung können vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Maschinen und Geräte heutiger Generationen insgesamt nur dann wettbewerbsfähig bleiben, wenn die Wirtschaftswege intakt sind. Das ist ein entscheidender Punkt. Der tiefgreifende Strukturwandel in der Landwirtschaft ist bereits von meinem Vorredner angesprochen worden. Die durchschnittlichen Betriebsgrößen steigen an, und es gibt eine massive Konzentration auf größere Einheiten. Mit dieser Entwicklung nimmt auch die Belastung im Wirtschaftswegenetz zu.

Ich darf daran erinnern, dass es hierbei nicht nur um die Landwirtschaft geht. Es geht insgesamt um die Infrastruktur im Außenbereich. Es geht aber auch insgesamt um wirtschaftliche Nutzungen anderer Art – Stichwort Kiesabgrabungen, Windenergieanlagen oder auch der verstärkt in Betrieb genommene Bau von Biogasanlagen. Das alles führt zu einer großen Beanspruchung.

Deswegen hat dieser gemeinsame Antrag ein wichtiges Ziel im Blick. Es geht um die Frage: Wie können sich die Kommunen diesen Entwicklungen stellen? Wie können wir der Herausforderung gerecht werden, die Wegeinfrastruktur im Außenbereich diesen neuen Anforderungen besser anzupassen? Und natürlich geht es am Ende auch um die schwierige Frage, wer die Erschließung und Bewirtschaftung dieser Wegenetze zu bezahlen hat.

Ich darf an dieser Stelle an die vergangenen Flurbereinigungsverfahren erinnern. Landwirtschaftliche Betriebe haben sich in der Vergangenheit im Rahmen dieser Verfahren intensiv eingebracht. Sie haben Flächen, die im eigenen Eigentum standen, abgegeben und zur Verfügung gestellt, um ein solches Wegenetz überhaupt realisieren zu können.

Bislang kennen wir in Nordrhein-Westfalen das Bodenordnungsverfahren. Darüber hinaus kennen wir bestimmte Förderbedingungen. Die bewährten Förderinstrumente müssen bei der Entwicklung des ländlichen Raums natürlich fortgesetzt werden. Das betrifft den investiven Bereich. Insgesamt gesehen benötigt das kommunale Umfeld aber eine Förderkulisse für die Erarbeitung von Konzepten zugunsten des zukunftsorientierten Wegebaus im ländlichen Raum.

Meine Damen und Herren, ich darf an Folgendes erinnern: Uns allen ist die kommunale Finanzsituation hinlänglich bekannt. Die Kommunen in NRW haben aktuell Schulden in Höhe von 60 Milliarden € aufgetürmt. Damit kommen sie an die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit. Deswegen gehen viele Kommunen bereits den Weg, kritisch zu prüfen, welche Netze sie in welcher Form überhaupt noch benötigen und wo Entwidmungen möglich und nötig sind.

Es ist richtig, dass es entsprechende Systeme gibt und sich Kommunen bei ihrer Bewirtschaftung auf die wirklich notwendigen Wege konzentrieren. Und genau dabei brauchen die Kommunen unsere Unterstützung. Das Land ist an der Stelle gefordert, ich betone, zeitnah Finanzmittel bereitzustellen.

Wir kennen die europäischen Fonds als Förderkulisse. Es gibt leider bisher noch keine exakt definierte Förderkulisse. Die Landesregierung hat bislang noch nicht abschließend vermocht, entscheidungserhebliche Fragen beispielsweise auch im Rahmen beihilferechtlicher Problemstellungen abschließend zu klären. Das ist bedauerlich, denn die Förderkulisse sieht einen Zeitraum vor, der jetzt 2014 beginnt und bis 2020 angelegt ist.

Insofern ist dieser gemeinsame Antrag eine gute Gelegenheit, auch gemeinsame Perspektiven für den kommunalen Wirtschaftswegebau zu schaffen. Dass uns die Entwicklung des ländlichen Raums sehr am Herzen liegt, brauche ich, denke ich, nicht zu erwähnen. Ich darf daran erinnern, dass wir das hier im Plenum auch auf unsere Initiative hin im Rahmen unserer Großen Anfrage vor einigen Wochen und Monaten diskutiert haben.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung muss jetzt planen. Planung ist ein gutes Stichwort, Herr Minister Remmel. Planung ist bekanntlich nichts anderes als die gedankliche Vorwegnahme zukünftigen Handelns. Herr Kollege Körfges nickt, dann kann es auch nicht falsch sein. Insofern sollte die Landesregierung jetzt bei der Planung und Konzeption der Förderung des Wegenetzes zu Potte kommen. Unser Antrag leistet einen guten Beitrag zu dieser wichtigen Themenstellung. Wir freuen uns sehr auf die Debatte. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abruszat. – Nun spricht Herr Kollege Stein, fraktionslos.

Robert Stein (fraktionslos): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Den meisten Kommunen geht es schlecht. Der Haushaltsstatus der NRW-Kommunen zum 31.12.2012 belegt dies deutlich. Zu diesem Stichtag hatten lediglich 26 Kommunen einen strukturell ausgeglichenen Haushalt.

Der „WDR“ titelte online jüngst: „Schulden der Kommunen auf Rekordhoch. Zusammen haben die NRW-Kommunen demnach fast 60 Milliarden € Schulden ...“ Finanzieller Spielraum ist also kommunal kaum vorhanden.

Auf der anderen Seite ist es für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft gerade wichtig im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswegebau, dass dort die Infrastruktur verbessert wird, denn sie ist eindeutig im sanierungsbedürftigen Zustand. Es besteht also Handlungsbedarf, gerade im Sinne der Wirtschaftlichkeit dieser Räume, und damit besteht auch Finanzierungsbedarf. Insofern ist es ein guter und richtiger Ansatz, die Verwendung von ELER-Mitteln für den Wirtschaftswegebau zu thematisieren.

Das Land jedenfalls hat angesichts der immensen Verschuldung – so deute ich dies – kein zusätzliches Geld zur Verfügung. Es geht angesichts der knappen Finanzmittel hier auch um gute Konzepte.

Die jetzigen Wirtschaftswege sind in der Regel auf eine Achslast von 5 t ausgelegt. Viele landwirtschaftliche Fahrzeuge ziehen aber deutlich höhere Achslasten als 5 t und beschädigen die Wirtschaftswege dementsprechend auch. Hier könnte man neben dem Rückgriff auf ELER-Mittel – das möchte ich als Denkanstoß einbringen – eventuell Fahrzeuge mit Anhängern, die eine Achslast von 5 t deutlich übersteigen, mit einem partiellen Deckungsbeitrag belegen. Das möchte ich in die Diskussion mit einwerfen. Das ist zum Beispiel bei einem Transport von Güllefässern der Fall. Dort gibt es ganz andere Gewichte, die getragen werden.

Außerdem wäre ein Ausbau der Wirtschaftswege vielleicht auf eine größere Breite sinnvoll. In der Regel sind sie 2,90 m bis 3 m breit. Das führt gerade in den Situationen, in denen sich Fahrzeuge auf diesen engen Wegen begegnen, dazu, dass teilweise von der Fahrbahn abgewichen werden muss und dort die Ränder oder auch die Felder beschädigt werden.

Der Kreis Höxter, um ein Beispiel zu nennen, hat hier gute Konzepte entwickelt. Flurbereinigung macht viele Wirtschaftswege überflüssig. Das spart strukturell Unterhaltskosten. Dafür werden auch bestehende Wege weiter ausgebaut. Dort können sich Fahrzeuge begegnen, ohne dass die anliegenden Felder beschädigt werden.

Die Ausschüsse werden diesen guten Antrag sicherlich ausführlich diskutieren. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stein. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabenstellung für mich ist nicht ganz einfach, ich muss jetzt auch Herrn Körfges dazu bringen, dass er als unser Kommunaler zu dem, was ich sage, nicke. Das hat Herr Abruszat geschafft. Mal gucken, ob ich das auch hinbekomme.

(Zurufe von der SPD)

– Vielleicht nickt der Minister ja auch.

Meine Damen und Herren, es wurde hier schon öfter gesagt: Wirtschaftswege sind ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Faktor, vor allen Dingen auch ein sehr wichtiger landwirtschaftlicher Faktor. An dieser Stelle möchte ich eine Zahl in Erinnerung rufen, die ich hier schon an anderer Stelle gebracht habe. Das ist nämlich die Direktförderung, die in die Landwirtschaft jedes Jahr geht.

Jedes Jahr gehen 500 Millionen € direkt in die Landwirtschaft nach Nordrhein-Westfalen. Man könnte im Prinzip sagen: Die Hauptnutzer, auch die Hauptabnutzer der Wirtschaftswege erhalten schon genug öffentliche Mittel. Man könnte darauf aufsetzen. Wenn man so argumentieren möchte, könnte man sagen – okay, ein Bürgermeister hat mir das auch schon als Idee vorgeschlagen –: Erhöht doch einfach die Grundsteuer A, darüber finanziert ihr den Wegebau. Das geht natürlich nicht. Die Steuersystematik habe ich ihm so weit erklärt.

Es gab auch schon mal Überlegungen, die Finanzierung über das KAG zu machen. Ist mir im Prinzip so noch nicht untergekommen. Der Städte- und Gemeindebund hat das 2010 einmal vorgeschlagen. Ich habe in meinen Recherchen an dieser Stelle nichts gefunden.

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle auch noch etwas zu dem Wegenetz sagen. Es ist von allen schon gesagt worden: Die Planungen sind aus den 50er- bis 70er-Jahren. Die Anforderungen haben sich im Zuge des Strukturwandels in der Landwirtschaft total geändert. Das ist einfach so. Das muss man deutlich sagen. Die Fahrzeuggewichte sind erhöht worden: Die Zugmaschinen, Mähdrescher, Gülle- und Gärresttransporte, auch die Viehtransporte müssen immer ausgelastet sein, auch aus ökonomischen Gründen. Und die arbeitsteilige Wirtschaft in der Landwirtschaft wird mittlerweile durch Lohnunternehmer mit den großen Gerätschaften verrichtet. Das hat auch den Anspruch an die Wirtschaftswege geändert.

An dieser Stelle möchte ich Ihre Argumente hinterfragen. Sie argumentieren immer mit touristischer Nutzung. Ich habe einmal ausgerechnet, dass man ein Gespann aus Schlepper und Güllefass mit ungefähr 404 Fahrrädern vergleichen kann. Wenn Sie in Richtung Tourismus argumentieren, da müssen schon relativ viele Fahrräder fahren, oder die entsprechenden Fahrer müssen die entsprechenden Gewichte mitbringen.

Meine Damen und Herren, ich hatte schon eingangs gesagt: Die Nutzung bzw. die Abnutzung ist der landwirtschaftlichen Nutzung zuzuschreiben. Dann muss man an dieser Stelle über eine verursacherbezogene Finanzierung nachdenken.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich habe das eben schon ausgeführt. Man kann an dieser Stelle auch über die steuerliche Privilegierung der Landwirtschaft an dieser Stelle nachdenken, sie hinterfragen. Das betrifft auch die steuerliche Privilegierung von Lohnunternehmern. Man könnte hier durchaus durch das Abschaffen dieser Privilegierung entsprechende Ressourcen freischaufeln.

Meine Damen und Herren, das Land hat hier nur bescheidene Mittel, obwohl – das sage ich an dieser Stelle auch gerne – wir mittlerweile mehr Geld in den ELER-Topf hineinverhandelt haben.

Wir unterstützen – das ist auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage deutlich geworden – weiterhin die Ansicht der Landesregierung, dass man die Maßnahmen im Bereich der Flurbereinigung weiter unterstützen soll. Der forstliche Wegebau soll auch weiter unterstützt werden aus ELER-Mitteln. Das unterstützen wir auch.

Besonders gut finden wir – da sind wir ja auch durchaus konsensual mit Herrn Abruszat und auch Herr Stein hat das ausgeführt –, dass – das ist auch deutlich gemacht worden in der Antwort auf die Kleine Anfrage – für die Erarbeitung ländlicher Wegenetzkonzepte mehr Geld ausgegeben werden soll. Das halten für einen sehr guten Ansatz, um da zu prüfen: Brauchen wir die Wege wirklich noch? Denn wenn wir 40 % der Wege einsparen könnten, so wie es in Höxter herausgekommen ist, verschaffte uns das einige neue Möglichkeiten.

In Ihrem Antrag sprechen Sie auch eine direkte Förderung aus dem ELER konkret an. Wir halten das aktuell für nicht angezeigt, sind aber gespannt, was da im Ausschuss noch kommt, auch zu den Ideen, die wir hier eingepflegt haben. Wir freuen uns auf die Diskussion im Ausschuss. – Vielen Dank! Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Sundermann. – Für die grüne Fraktion hat nun Herr Kollege Rüße das Wort.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr Antrag zu den Wirtschaftswegen im ländlichen Raum greift in der Tat ein Problem auf, das in allen ländlichen Kommunen intensiv diskutiert wird. Von daher finde ich es erst einmal gut, dass wir hier darüber debattieren.

Gemein ist allen ländlichen Kommunen, dass in der Diskussion der Zustand der Wirtschaftswege als erschreckend, als sehr schlecht bezeichnet wird.

Wichtig ist aus unserer Sicht, dass man dabei zwei Problemkreise klar voneinander trennt, auf der einen Seite die fehlenden Mittel für die Unterhaltung und auf der anderen Seite die deutlich veränderte Belastung der Wege, die auch zu neuen Ansprüchen führt.

Wir stellen seit Jahren eine klare Unterfinanzierung in der Unterhaltung fest. Ich möchte ein Beispiel dafür anführen. Das ist Telgte im Münsterland. Telgte hat 220 km Wirtschaftswege. Die Stadt gibt an, dass sie etwa eine halbe Million jährlich einsetzen müsste, um diese Wege zu unterhalten. Es werden aber nur 100.000 € dafür angesetzt.

Um auch noch einmal auf die Grundsteuer A zu sprechen zu kommen: Die Möglichkeiten, hier wirklich noch erhebliche Mittel dafür vielleicht zu rekrutieren, sind begrenzt. Denn in Telgte wären es nur 100.000 € im Jahr, die gerade dafür zur Verfügung stehen. Das entspricht dem, was man im Moment einsetzt, was aber viel zu wenig ist.

Das zeigt ganz eindeutig, es reicht nicht aus. Die Mittel sind zu gering. Aber das ist ja nur der Bereich fehlende Unterhaltungsmittel für das, was da ist. Das viel größere Problem, das wir haben, ist, dass es einen Ausbau geben muss, dass es Veränderungen im Wirtschaftswegenetz geben muss.

Wir hören immer wieder die Klagen – das haben wir eben auch von den verschiedenen Rednern gehört –, dass die Wirtschaftswege veränderten Ansprüchen genügen müssen, dass die Maschinen größer geworden sind, dass sie vor allem schneller und schwerer geworden sind. In der Tat: Gebaut worden sind die Wege für 5-Tonnen-Fahrzeuge. Befahren werden sie heute von 40-t -Fahrzeugen.

Wir hören auch oft, das sei ja nicht so schlimm. Denn die Reifen seien ja Niederdruckreifen. Die Belastung wäre dadurch gar nicht so viel höher geworden. Wenn man aber mal hinter so einem Fahrzeug fährt, hinter einem Güllefass, und mal guckt, wo denn die Räder laufen, dann muss man aber feststellen: Die laufen eben nicht mehr auf dem Weg, sondern sie laufen zur Hälfte auf dem Weg und zur Hälfte auf den Banketten. Die Straßen brechen ab. Das ist ein ernstes Problem.

Ganz wichtig – darauf will ich noch mal deutlich hinweisen – ist aus meiner Sicht die veränderte Art, wie Landwirtschaft heute betrieben wird. Wir haben eine erhebliche Zunahme an Lkw-Verkehr auf den Wirtschaftswegen. Landwirtschaft sei ein Transportgewerbe wider Willen. Das hat man Anfang des 20. Jahrhunderts mal gesagt. Das hat ein Agrarwissenschaftler damals so festgestellt. 100 Jahre später können wir sagen: So ist es. Heute werden unglaubliche Massen an Futtermitteln, an Tieren, an Gülle, an Düngemitteln hin- und hertransportiert.

Ich will eine Zahl nennen. 56.000 t Mischfutter werden jeden Tag in Deutschland von Hühnern, Schweinen, Bullen und Kühen gefressen. Wenn man das in Lastkraftwagen umrechnet, heißt das, dass 2.500 Lkw jeden Tag in Deutschland einen Bauernhof anfahren müssen, um diese Versorgung mit Mischfutter bereitzustellen.

Das Entscheidende ist: Diese Lkw wiegen 40 t. Wenn sie aus den Niederlanden kommen, wiegen sie noch 10 t mehr. – Ganz entscheidend ist: Der Reifendruck bei Lkw-Reifen beträgt bis zu 10 bar. Dort wirken ganz andere Kräfte. Dieser Problematik muss man sich annehmen.

Es gibt noch ein ganz großes Problem, das uns auch betrifft. Wir haben natürlich eine starke regionale Belastung. Dort, wo wir intensive Landwirtschaft haben, wo wir viel Viehhaltung haben, wo auch viele Biogasanlagen sind, gibt es mehr Transporte als in anderen Regionen. Deshalb hören wir auch besonders starke Klagen aus diesen Räumen.

Die Frage ist am Ende: Wie geht es weiter? – Wir glauben, dass der vorgeschlagene Weg, dass das Land massiv mit Mitteln eingreifen soll, unterstützend tätig sein soll, nicht sinnvoll ist. Konzepte zu unterstützen, Wegkonzepte zu erstellen, das halten wir für richtig. Das ist bereits dargestellt worden.

Aber noch mal: Mit ELER-Mitteln hier hineinzugehen, halten wir für nicht sinnvoll. Die Straßen sind in den 60er- und 70er-Jahren bereits einmal mit öffentlichen Mitteln stark gefördert worden. Am Ende muss hier stärker das Verursacherprinzip greifen. Ich glaube, es ist genauso wie bei Autobahnen und anderen Straßen dringend notwendig, dass sich in den Transportkosten unserer Güter ein ehrlicher Kostenanteil für die Straßenerhaltung wiederfindet. Das gilt für alle Straßen.

Darüber würde ich gerne, wenn wir dann im Ausschuss diskutieren, mit Ihnen gemeinsam eine ehrliche Debatte führen. Wie muss man die Kosten verteilen? Wer muss sie am Ende tragen? Ich glaube, dass wir da im Moment ein bisschen unterschiedlicher Meinung sind, aber vielleicht nähern wir uns da ja an. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Für die Piratenfraktion wird nun Herr Bayer das Wort ergreifen.

Oliver Bayer (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der fast leeren Tribüne. Die Fußball-WM steht kurz bevor

(Ali Bas [GRÜNE]: Echt?)

– ja, auch das kann man hier sagen –, und viele kritisieren die FIFA für ihre Gigantomanie und den Größenwahn, sagen: Fußball findet nicht nur alle vier Jahre bei Großereignissen, sondern vielmehr nach Feierabend im Ligaalltag statt. Fußball heißt für viele Flutlicht, Regen, kein Stadiondach, und die eigene Mannschaft verliert 1:0.

In der Verkehrspolitik sind wir, was die Großprojekte angeht, vielleicht schon einen Schritt weiter. Wir verzichten zunehmend auf Großbauvorhaben und betrachten verstärkt den Betriebsalltag. Nicht Stuttgart 21 steht für einen Verkehrspolitiker auf der Tagesordnung, sondern alltägliche grundhafte Erneuerung.

Nicht das eine Highlight, sondern Bauvorhaben wie Burloer Weg von Grabenstraße bis Buchenallee in Bocholt, vor allem aber viele Reparaturen und Kleinverbesserungen, gerade auf der letzten Meile. In diesen vergleichsweise kleinen Projekten entscheidet sich, ob wir in der Liga bleiben oder absteigen. Aber mit den vorhandenen Mitteln haben wir bestenfalls Außenseiterchancen auf den Klassenerhalt.

Wir begrüßen den Antrag von CDU und FDP; denn die Mobilität im ländlichen Raum muss sichergestellt bleiben. Die Gemeindestraßen haben nach Daehre den größten Nachholbedarf im Vergleich zu Bundes-, Landes- oder Kreisstraßen. Die Wirtschaftswege, die weitgehende Funktionen haben, sollten auch in unser Blickfeld kommen. Ich denke, Sie meinen nicht die Wege in Privatbesitz, sondern die öffentlichen Wege. Im Ausschuss sollten wir uns daher natürlich um die landwirtschaftlichen Wege im Gemeingebrauch kümmern, auch deshalb, weil die heutige Landtechnik andere Anforderungen an die Wirtschaftswege stellt als in der Vergangenheit. Wir sehen tatsächliche Möglichkeiten, die ELER-Förderung entsprechend anzupassen.

Zu Punkt I Ihres Antrags, der nicht nur reine Wirtschaftswege betrifft: Ja, grundsätzlich müssen wir uns stärker an der bereits vorhandenen Infrastruktur in den Kommunen ausrichten.

Wir hatten gestern eine Anhörung zu unserem Antrag zur ÖPNV-Finanzierung, und auch da vor allem vor dem Hintergrund kommunaler Finanzierung und der überkommunalen Bedeutung dieser Verkehre. Genau wie in Ihrem Antrag haben wir die Perspektive der kommunalen Verkehrsinfrastruktur in den Mittelpunkt gerückt, und zwar, weil die Landesregierung genau das versäumt.

Sie heben in Ihrem Antrag hervor, dass Wirtschaftswege auch Zubringerfunktionen erfüllen und das Netz erweitern. Lassen Sie mich das Netz noch ein bisschen enger knüpfen.

Bereits die Daehre-Kommission stellte fest, dass Gemeindestraßen in einem engen „Leistungs- und Substitutionsverhältnis“ mit dem ÖPNV sowie dem Radfahrer- und Fußgängerverkehr steht. Wenn wir zudem eine Flexibilisierung der Verkehrsträger untereinander erreichen können, wäre schon viel gewonnen. Doch unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel ist zu allererst die Voraussetzung für zukünftige Schritte ein guter Verkehrsträgerzustand. Dazu zählt natürlich auch die kleinste Straße.

Jeder Radweg, auch wenn er ursprünglich und weiterhin ein Weg für Traktoren ist, zählt dazu. Ein öffentlicher Wirtschaftsweg in gutem Zustand – das mag die CDU vielleicht überraschen – fördert auch den Radverkehr, und das sogar für Pendler. Wir werden Sie daher unterstützen, vor allem dort, wo an alle Verkehre gedacht wird. Ihnen geht es ja um die Verkehrserschließung des ländlichen Raums; auch die wird sich wandeln. Fahrrad, ÖPNV, neue Mobilitätskonzepte – all das gehört in ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept. Bedenken Sie das auch bei neuen Wegkonzepten, was die Wirtschaftswege betrifft. Wenn es um eine Erneuerung dieser Wege geht, dann gilt an der Stelle nicht mehr das Verursacherprinzip.

Jetzt müssen nur noch die ELER-Mittel dafür nutzbar sein. Das werden wir bei der weiteren Beratung sehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bayer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben. Aber ich fand die Rede von Herrn Stein und den anhaltenden Applaus von CDU und FDP bemerkenswert. Es ist auch irgendwie durchgegangen, aber Herr Stein hat unter Applaus und Zustimmung von CDU und FDP eine Maut für Güllefässer gefordert.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das finde ich eine bemerkenswerte Idee. Vielleicht verhandeln Sie es zuerst mit dem Bundesverkehrsminister. Dann können wir an dieser Stelle weitersehen. Ich würde mich auch dafür interessieren, was die landwirtschaftlichen Verbände dazu sagen. Aber es ist insgesamt natürlich eine diskutierenswerte Idee. Wenn CDU und FDP das so massiv unterstützen, müssen wir uns dieser Frage dann doch nähern. Ich hatte das bisher nicht auf dem Portfolio.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Ihre Feststellung hat eine Frage provoziert. Herr Abgeordneter Stein möchte Sie etwas fragen. Sind Sie damit einverstanden?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr gern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Abgeordneter Stein.

Robert Stein (fraktionslos): Vielen Dank, Herr Remmel. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich eine solche Maut – wie Sie es nennen – auf keinen Fall gefordert habe. Ich habe lediglich gesagt, dass man die Überlegung tätigen und darüber diskutieren kann.

Ich finde, es ist ein großer Unterschied, ob Sie mir unterstellen, dass ich etwas fordere, oder ob man sagt, dass man hier im Kreis der Fraktionen und in den Ausschüssen einmal die Pros und Kontras darüber thematisiert und dann zu einem Entschluss kommt. Das ist meiner Meinung nach ein ganz großer Unterschied. Dass Sie es so hinstellen, als ob ich das konkret forderte, finde ich nicht okay. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen und so anzunehmen. – Danke.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ich nehme zur Kenntnis, dass, sobald man etwas in die Diskussion gibt, es im politischen Raum automatisch mit einer Forderung verbunden wird. So sind nun einmal die Regeln.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Ich glaube, es ist aus meiner Sicht richtig interpretiert. Wenn ich etwas in einen Diskussionsraum werfe, dann heißt es, dass ich mich mit dieser Idee in irgendeiner Weise identifiziere. Sonst würde ich möglicherweise – um es schlicht zu sagen – den Mund halten. Doch das ist eben nicht passiert.

(Lachen von Christian Lindner [FDP])

Es ist ein wichtiges Thema – gar keine Frage –, aber bevor wir, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, uns dem Thema widmen, hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie zumindest zu drei Fragen Stellung nehmen, die Sie wohl wissentlich verschwiegen haben.

Erstens würde mich noch interessieren, warum denn in der vergangenen Förderperiode, in der Förderperiode, in der es einen Gestaltungsauftrag an Ihre damalige Landesregierung gegeben hat, der Wirtschaftswegebau eine – ich will mal sagen – sehr untergeordnete Rolle gespielt hat, warum das Thema heute auf der Tagesordnung ist, ohne dass Sie dazu Stellung nehmen, warum Sie in der Vergangenheit diesem Thema keine so hohe Bedeutung beigemessen haben. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaftswege erst in den letzten fünf Jahren so schlecht geworden sind.

Zweitens würde mich schon interessieren, welche Priorität die Wirtschaftswege denn nach Ihrer Ansicht im Vergleich zu anderen zu finanzierenden Projekten im ländlichen Raum haben – beispielsweise zu der auch in Ihren Reihen immer wieder erhobenen Forderung, den Breitbandausbau nach vorne zu bringen, beispielsweise zu der massiven Forderung, sich mit Mitteln aus den entsprechenden Programmen in Sachen Hochwasserschutz zu engagieren, beispielsweise zu der Forderung, mehr für artgerechte Tierhaltung und entsprechende Stallbauten zu tun. Wenn man Geld ausgeben will, was Sie offensichtlich wollen, muss man auch sagen, an welcher anderen Stelle dafür weniger Geld ausgegeben wird. Das haben Sie vermieden.

Insofern ist es nicht konsistent, heute am späten Nachmittag das Ausgeben von Geld zu fordern und morgen früh bei der Aktuellen Stunde die große Schuldendebatte zu führen. Deshalb erwarte ich von Ihnen auch eine Aussage, in welcher Prioritätensetzung Sie den Wegebau denn finanzieren wollen.

Drittens. Konkrete Zahlen haben Sie nicht angegeben. Ich will Ihnen Zahlen nennen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen ungefähr 140.000 km Wirtschaftswege. Gut 60.000 km davon stehen in kommunalem Eigentum. Wenn wir nur einmal annehmen – und es gibt keine Tatsache, die dem widerspricht –, dass gut 50 % dieser Wege sanierungsbedürftig sind, sprechen wir hier über einen Sanierungsbedarf in der Größenordnung von 1,5 Milliarden €.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da müssen wir schon klarstellen, wer für was verantwortlich ist. Das ist eine kommunale Aufgabe. Dort soll und muss sie auch bleiben – was allerdings nicht ausschließt, dass wir uns diesem Problem nähern wollen.

In der nächsten Förderperiode – es ist schon angesprochen worden – soll es deshalb natürlich Unterstützung geben, und zwar immer dann, wenn kommunal ein Konzept auf den Weg gebracht wird, um den Ausbau der 50er- und 60er-Jahre der aktuellen Zeit anzupassen. Hier gibt es Potenzial. Das zeigen Pilotprojekte und Modellvorhaben. Beispielsweise hat im Kreis Höxter eine solche Untersuchung stattgefunden. Das Ergebnis lautet: Gut 40 % des jetzigen Wegenetzes sind im Prinzip überflüssig. Sie können der Natur und der Fläche wieder zur Verfügung gestellt werden.

Deshalb ist die erste Priorität, solche Konzepte flächendeckend zu unterstützen, damit wir neue Flächen gewinnen und die Kommunen bei der Unterhaltung entlasten. Das ist das Erste, was wir tun wollen. Das steht auch ganz oben auf dem Programm.

Das Zweite ist, zu sagen – damit bin ich einverstanden –: Wenn Flurbereinigung ansteht, kann man in der Tat die neuen Anforderungen an Wirtschaftswege mit entsprechender Unterstützung des Landes finanzieren. Auch das wollen wir tun.

Ich will einen dritten Bereich nennen. Überall dort, wo beispielsweise im Zusammenhang mit LEADER-Regionen kommunale Konzepte auf den Weg gebracht werden, um Wirtschaftswege multifunktional zu nutzen – für den Tourismus, für die Landwirtschaft –, kann ich mir vorstellen, dass das Land in diesem Umfang unterstützend tätig wird.

Es muss aber klar sein, dass die Unterhaltung der Wirtschaftswege letztlich Aufgabe derjenigen ist, die sie besitzen, nämlich in vielen Bereichen der privaten Eigner und der Kommunen. Wir würden uns übernehmen – auch angesichts der sonstigen Aufgaben, die wir im ländlichen Raum zu erfüllen haben –, wenn wir hier in eine großflächige Förderung einsteigen würden.

In diesem Sinne wünsche ich uns gute gemeinsame Beschlüsse. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Remmel. – Damit sind wir am Ende der Beratung zu TOP 9.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5964Neudruck – an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend –, an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Schöner geht es nicht. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag, wie zu erwarten war, einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

10       Bürgermeisterabwahl vereinfachen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5499

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Piratenfraktion in Person von Herrn Sommer, der sie jetzt vertritt, das Wort. Bitte schön.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Die Tribüne ist leider nicht mehr ganz so üppig besucht. Vielleicht haben wir dafür mehr Zuschauer im Stream. Hallo, liebe Streamschauer! Die Bürger Nordrhein-West-falens können ihre Bürgermeister und Landräte nicht nur wählen, sondern auch abwählen. Ein Abwahl-Bürgerentscheid kann per Abwahlbegehren durch die Bürger selbst herbeigeführt werden. Möglich ist die Einleitung eines Abwahlverfahrens außerdem auf Antrag von zwei Dritteln des Rates oder Kreistages.

Derzeit kann ein Bürgermeister nach den Vorgaben der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen von den Bürgern allerdings nur abgewählt werden, wenn je nach Gemeindegröße mindestens 15 bis 20 % der wahlberechtigten Bürger einer Gemeinde dies beantragen. Dagegen ist bei einem Bürgerbegehren schon ein Quorum – wiederum nach Gemeindegröße gestaffelt – von 3 bis 10 % ausreichend.

Hier lässt sich also feststellen, dass zwischen einer Personalfrage und einer Sachfrage sehr unterschiedliche Hürden aufgestellt werden, was die Möglichkeit für den Bürger angeht, darüber überhaupt in einer Abwahl oder einer Abstimmung befinden zu dürfen. Man hält den Bürger wohl in Sachfragen für etwas mündiger als in Personalfragen.

Diese Unterschiedlichkeit der Stufen wird damit begründet, dass es sich bei den Sachthemen um Einzelthemen handele, während die Abwahl eines Bürgermeisters eine ungleich höhere Maßnahme für die Verwaltung im Ganzen der jeweiligen Kommune darstelle. Deshalb sei es auch gerechtfertigt, eine wesentlich breitere Zustimmung und somit Unterschriftenmenge zu fordern. Zudem könne durch eine zu niedrige Höhe ein ständiger Abwahlrhythmus entstehen.

Eine solche Argumentation ist meiner Meinung nach falsch und auch nicht zielführend; denn dadurch wird dem Bürger von vornherein abgesprochen, dass er selbstverantwortlich handeln kann. Der Bürger wird entmündigt. Ihm wird unterstellt, er sei nur an der Destruktion der Verwaltung interessiert und nicht an einer fortschrittlichen Sacharbeit.

Zudem kann und muss noch zwischen einem Antrag und der Durchführung der Abwahl unterschieden werden; denn mit der erfolgreichen Stellung des Bürgerantrags wäre der Bürgermeister noch lange nicht abgewählt. Er kann sich zu diesem Zeitpunkt auch einer Wiederwahl stellen.

Insofern wäre die Gleichstellung oder zumindest die Verringerung bzw. Neujustierung der Schwellenwerte bezüglich der Gemeindegröße ein Fortschritt.

(Beifall von den PIRATEN)

Es geht lediglich darum, den Souverän erneut zu befragen. Um Jürgen Schnake zu zitieren: „Es ist Ihre Stadt. Es ist Ihr Bürgermeister. Sie bestimmen!“

Ich halte eine Gleichstellung der Unterschriftenhürden in Bezug auf Bürgerbegehren und Bürgermeisterabwahl für absolut sinnvoll. Hier sind die Quoren auf das absolut niedrigste mögliche Niveau anzupassen.

Wir möchten daher mit allen Fraktionen im Landtag an einer Änderung der Gemeindeordnung arbeiten. Bis zur Änderung werden wir im Ausschuss sicher noch das eine oder andere interessante und weiterführende Argument erhalten, dies gerade vor dem Hintergrund der in der letzten Legislaturperiode vorgenommenen Änderungen. Hier können wir auch erste größere Auswertungen dieser Änderungen vornehmen, insbesondere in Bezug auf Duisburg.

Insofern freue ich mich nicht nur darauf, Ihre Argumente hier im Plenum zu hören, sondern auch auf die Argumentation im Ausschuss. Ich kündige jetzt schon an, dass ich gerne eine Anhörung durchführen möchte. Ich freue mich sehr darauf. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sommer. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Steinmann das Wort.

Lisa Steinmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ob im Stream oder hier im Saal! Wir haben soeben Herrn Sommer gehört, der uns unter dem Deckmantel von „mehr Demokratie“ die Forderung der Piraten vorstellte, das demokratische Gefüge zu stärken, und zwar durch die Gleichstellung der Quoren bei Bürgermeisterabwahl und Bürgerbegehren auf niedrigstem Niveau. Mit Verlaub: Das hat mich schon amüsiert.

Der Landtag hat es erst im Jahr 2011 mit dem Gesetz zur Einleitung von Abwahlverfahren überhaupt ermöglicht, dass Bürgermeister und Landräte, also Hauptverwaltungsbeamte, abgewählt werden können, wenn sie nicht mehr das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger genießen und 15 bis 20 % der Wahlberechtigten die Abwahl wünschen. Und das gilt unangefochten von jeweiligen Ratsmehrheiten.

Sie fordern heute die Gleichstellung von Sachfragen und Personalfragen. Bei Sachfragen begegnen wir dem Bürger. Der Bürger hat die Möglichkeit, an einem Bürgerbegehren teilzunehmen. Er wird mit vorbereiteten Fakten zur Mitbestimmung aufgefordert und eingeladen. Das ist ein wichtiges Element und ein kommunalpolitisch wichtiges Element.

Für Personalfragen – bei Abwahlanträgen – ist das Quorum höher. Und das ist auch gut so.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP – Zuruf von den PIRATEN: Super Begründung!)

Die demokratische Legitimation von Bürgermeistern steht nämlich sehr bewusst sehr viel höher als die sachorientierte kalkulatorische Gegenüberstellung von Entscheidungen.

Sehr geehrter Herr Sommer, nehmen Sie es mir nicht übel, aber den Anwurf, der Bürger würde entmündigt, halte ich persönlich für eine Frechheit, um nicht zu sagen, für eine Missachtung politisch-demokratischer Grundwerte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind hier nicht bei Bibi Blocksberg. Wir sind auch nicht in Social Media, wo es darum geht, per „gefällt mir“ oder „dislike“ demokratisch legitimierte Bürgermeister wie bei Bibi Blocksberg eben so vom Sockel zu schießen.

Wir entscheiden heute lediglich über die Überweisung dieses Antrags an den Kopo. Dem werden wir zustimmen. Das können wir gerne machen. Im kommunalpolitischen Ausschuss werden wir zu einer Entscheidung kommen. Wenn Sie dann mit uns eine Debatte über Grundwerte führen möchten und diese wagen, wenn Sie mit uns über die wirkliche Bedeutung von mehr Demokratie und darüber sprechen möchten, ob das lediglich der Name eines Vereins ist oder wir darunter ein ernst zu nehmendes politisches Bestreben verstehen, freue mich sehr. – Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Steinmann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Biesenbach.

Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Steinmann, Sie haben diesem Antrag ausgesprochen viel Ehre angetan. Ich werde das nicht tun. Wir haben wirklich nichts anderes als Spielerei nach dem Motto gehört: Wir machen mal ein bisschen etwas, das ist toll, dann ist Action.

Ungleiche Dinge sind ungleich zu behandeln. Frau Kollegin Steinmann hat dazu wirklich mehr als ausführlich vorgetragen. Sie haben mit diesem Antrag keine Chance bei uns. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Biesenbach. – Für die grüne Fraktion hat nun Herr Kollege Krüger das Wort.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich habe meinen Stichwortzettel mit Absicht liegen lassen; denn nach den Ausführungen von Frau Steinmann ist dem Ganzen nichts mehr hinzuzufügen. Von unserer Seite aus ist nur noch zu sagen: Wir werden der Ausschussüberweisung dieses Antrags zustimmen. Wir werden Ihrem Begehren dann auch entsprechend Rechnung tragen, indem wir deutlich machen, dass zu differenzieren ist.

Von Ihrer Seite wird eine Herangehensweise an den Tag gelegt, die an der Sache völlig vorbeigeht. Sie sollten in diesem Zusammenhang zwischen im Rat getroffenen Sachentscheidungen, die in den entsprechenden Kommunalwahlprogrammen teilweise nicht enthalten sind, und Personenentscheidungen, die aufgrund von entsprechenden Wahlen zustande kommen, unterscheiden. Insofern ist eine Differenzierung sinnvoll. Mehr ist dazu nicht auszuführen. Ansonsten erinnere ich an die Ausführungen meiner Vorrednerin. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krüger. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Steinmann hat mir aus dem Herzen gesprochen.

(Zuruf: Ui!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, bei aller Wertschätzung von plebiszitären Elementen in der Demokratie dürfen wir eines nicht vergessen:

Wir brauchen einen verlässlichen Rahmen für das Führungspersonal, für das kommunalverfassungsrechtlich besonders hervorgehobene Amt von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten.

Ihr Vorstoß wird diesem Ziel nicht gerecht. Es ist aus meiner Sicht ein nicht vertretbares Instrument, welches dazu führt, die wichtigen Hauptverwaltungsbeamten in unseren Kommunen in ihren sowieso schon sehr schwierigen politischen Umfeldern zu schwächen.

Deshalb tun wir meines Erachtens gut daran, diesen Antrag nicht weiter zu verfolgen. Gleichwohl stimmen wir natürlich der Überweisung gerne zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Nun spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bereits sehr viel gesagt worden. Es gibt einen entscheidenden Satz in dem Antrag der Piraten, der überzeugend ist. Ich zitiere: „Die Mehrheit entscheidet.“ Würden wir Ihrem Vorschlag folgen, würde allerdings genau dieser Satz in Ihrem eigenen Antrag konterkariert. Es würde nämlich eine Minderheit statt einer Mehrheit über die Einleitung einer Abwahl entscheiden, in großen Städten nur 3 %.

Von daher bin ich der Auffassung, dass meine Vorredner durchaus recht haben, wobei eine grundsätzliche Diskussion natürlich im Ausschuss stattzufinden hat. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Minister Jäger. Damit sind wir am Ende der Aussprache zur Einbringung dieses Antrages.

Wir kommen zur Abstimmung. Vom Ältestenrat wird empfohlen, den Antrag Drucksache 16/5499 an den Ausschuss für Kommunalpolitik zu überweisen. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Tagesordnungspunkt:

11       Die Zukunft der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen sichern und neue Perspektiven eröffnen!

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5966 – Neudruck

Ich erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Meesters das Wort.

Norbert Meesters (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schäferinnen und Schäfer auf der Tribüne! Die Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen ist nicht auf eine Region beschränkt. Erlauben Sie mir aber, zu Beginn meiner Ausführungen Bezug auf die Region zu nehmen, aus der ich stamme.

Wenn man wie ich vom Niederrhein kommt, kennt man seit frühester Kindheit das Bild von Schafherden, die die Kulturlandschaft mit prägen und formen. So sorgt die Schafbeweidung zum Beispiel traditionell für die Sicherheit der Deiche. Für die Deichpflege sind nämlich Schafe zuständig, und Schafbeweidung trägt somit auch zum Hochwasserschutz bei.

Ein Exkurs sei mir an dieser Stelle erlaubt: Seit Hanns Dieter Hüsch hat das „Schwarze Schaf vom Niederrhein“ eine ganz besondere Bedeutung. Nicht ohne Hintersinn hat der Niederrhein-Poet Hüsch das „Schwarze Schaf“ als Symbol von Querdenkertum und Eigensinnigkeit gewählt. Ohne die reale Schafhaltung am Niederrhein wäre dieses literarische Bild nicht möglich gewesen, hätte nicht funktioniert.

Doch die poetische Idylle und die Realität klaffen weit auseinander. Die Anzahl der Schafe hat im vergangenen Jahrzehnt dramatisch abgenommen. Auch hier in Nordrhein-Westfalen hat sich seit 2005 ihre Anzahl fast halbiert. Viele Schäfer, die ihren Beruf mit Leib und Seele ausüben, sehen sich kaum mehr in der Lage, ein ausreichendes Familieneinkommen zu erzielen.

Deshalb ist es höchste Zeit, dem Beruf des Schäfers eine auskömmliche Zukunft zu sichern und die Tradition der Schafhaltung auf eine den heutigen Bedingungen angemessene wirtschaftliche Grundlage zu stellen.

Die deutschen Schäfer haben in diesem Jahr die Reißleine gezogen und unter dem Motto „Schafe und Hirten geben ihr letztes Hemd für Artenvielfalt, Landschaftsschutz und sichere Deiche“ in mehreren Bundesländern mit ihren Schafen vor den Landtagen, auch hier in Düsseldorf, demonstriert. Ich finde, mit diesem Motto ist die Problemlage im Guten wie im Schlechten treffend auf den Punkt gebracht.

Aus Gesprächen mit den Schafhaltern haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner den heute vorliegenden Antrag zur Förderung der Schafhaltung in NRW entwickelt.

Inhaltlich möchte ich einen besonderen Einschnitt für die Schafhaltung hervorheben, nämlich die europäische Agrarreform 2003. Die damit verbundene Umlegung sämtlicher an die Tierhaltung gekoppelter Flächen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche hatte zur Folge, dass Schafhalter oft überhaupt keine Prämien mehr erhalten, weil sie über keine oder zu geringe Flächen verfügen.

Schafweiden entsprechend zudem wegen ihres Bewuchses oft nicht der Definition von förderfähigem Dauergrünland. Die zunehmende Flächenknappheit und der daraus resultierende Wettbewerb um Land gehen ebenfalls zulasten der schafhaltenden Betriebe.

Die eingangs beschriebene Deichbeweidung am Niederrhein geht immer mehr zurück. Ebenso wie der Zwischenfruchtanbau werden diese Futterquellen zunehmend der Biomassennutzung zugeführt. Im Wettbewerb mit dieser Nutzungsform verliert die traditionelle Form der Beweidung in der Regel, weil die Schafhalter bei den steigenden Pachtpreisen nicht mehr konkurrenzfähig sind.

Dem gegenüber steht der hohe ökologische Nutzen der Beweidung von Grünlandflächen, die Bedeutung für den artenreichen Erhalt unserer Kulturlandschaft, die positiven Effekte. Die Offenhaltung der Landschaft, die Produktion von Wolle und hochwertigem Fleisch sind Leistungen der Schafhaltung, die es wert sind, sie zu erhalten und zu fördern.

Deshalb wollen wir, dass die Schafhaltung im Rahmen der Agrarförderung wieder eine stärkere Berücksichtigung findet. Die Landesregierung muss auf Bundesebene darauf hinwirken, dass durch Beweidung landwirtschaftlich genutzte extensive Grünland- und Naturschutzflächen ebenfalls prämienberechtigt sind.

In NRW wollen wir, dass die Pflege der Deiche vorrangig durch Schafbeweidung geleistet wird. Ihre finanzielle Förderung durch Mittel des ökologischen Hochwasserschutzes soll geprüft werden. Die Zahlungen im Vertragsnaturschutz wollen wir dem tatsächlichen Aufwand anpassen. Regionale Strukturen müssen hinsichtlich der Vermarktung von Schaffleisch, Schafmilch und Wolle verbessert werden, um den Produkten der Schafhaltung einen größeren Kundenkreis zu erschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag ist sachlich notwendig und fachlich gut. Das beweist – ich begrüße das sehr und freue mich darüber –, dass die Piraten, die FDP und selbst, um im Bild zu bleiben, die schwarzen Schafe unserer Landtagsherde, die Kollegen der CDU, unserem Antrag beigetreten sind. Darüber freue ich mich sehr; das ist gut so. Ich bitte um Ihre Zustimmung, und ich gehe davon aus, dass wir das mit großer Einstimmigkeit hier beschließen werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Schulze Föcking.

Christina Schulze Föcking (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Schäferinnen und Schäfer! Schafe gehören einfach in den ländlichen Raum. Daher ist es gut, sehr gut sogar, dass wir uns auf einen gemeinsamen Antrag zur Schafhaltung einigen konnten. Wir alle hier im Parlament sehen den Rückgang der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen gleichermaßen mit großer Sorge.

Der Schafbestand in Deutschland hat sich von 2,8 Millionen Tieren im Jahr 1999 auf derzeit rund 2 Millionen Tiere reduziert. Verantwortlich dafür sind vor allem der Wegfall der Prämie sowie der Kostenanstieg bei den Futtermitteln und der Energie. Aber auch die gestiegenen Pachten fallen ganz erheblich ins Gewicht.

Insofern ist es vernünftig, wenn wir gemeinsam nach Lösungen suchen. Es freut mich, dass uns dieser Auftakt hier heute auch gelingt.

Herr Meesters sagte es bereits: Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass der Schafbestand in Nordrhein-Westfalen innerhalb von zehn Jahren um über 40 % zurückgegangen ist. Bei jeder anderen Nutztierart hätten wir schon längst Ursachenforschung betrieben, gefragt, warum das so ist. Die Gruppe der Schafhalter ist jedoch klein, viel kleiner als beispielsweise die Gruppe der Schweine- oder Kuhhalter. Genau deshalb: Hinschauen und hinhören lohnt, lohnt sogar sehr.

Wir hatten unlängst im Arbeitskreis ein Gespräch mit Schafhaltern, die uns aus erster Hand über die Entwicklung der letzten Jahre informiert haben. Man berichtete uns von den Schwierigkeiten, Weidefläche zu finden, und von der Konkurrenz bei den Deichflächen, auf denen die Schafe grasen können. Wir hörten von extremem Bürokratieaufbau und zurückgehenden Einnahmen. Die Stimmung der Schafhalter ist verständlicherweise schlecht.

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Schaffleisch liegt bei nur rund 1 kg pro Jahr. Immer weniger heimische Wolle wird nachgefragt. Die Kosten steigen, und der Ertrag sinkt. Immer weniger bleibt zum Leben übrig. Das kann natürlich nicht funktionieren.

Die Nöte der Schäferinnen und Schäfer sind in den letzten Jahren bedrohlich geworden. Zahlreiche Schäfer haben leider schon aufgegeben, und viele stehen kurz davor. Sie sehen: Es geht tatsächlich um die Existenz der Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen, in unserem Land.

Schafe sind aber unverzichtbar. Sie gehören zu unserem Landschaftsbild und unserer Kulturlandschaft. Sie gehören, wie anfangs gesagt, einfach in den ländlichen Raum. Schafe leisten hervorragende Arbeit im Natur- und Umweltschutz, also für uns alle. Insofern beinhaltet dieser Antrag auch ein Stück Anerkennung – Anerkennung für die Arbeit der Schäferinnen und Schäfer.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Diese Arbeit geschieht im Verborgenen und soll daher an dieser Stelle einmal umso deutlicher hervorgehoben werden. Ich freue mich daher, dass wir hier und heute ein Signal der Geschlossenheit an die Schäferinnen und Schäfer im Land richten können: Wir kümmern uns um euch. – Wir als CDU sind jedenfalls gerne an ihrer Seite, stehen hinter ihnen und möchten ihnen Dank sagen für ihre wichtige Arbeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schulze Föcking. – Nun stellt der Redner Norwich Rüße die Meinung der grünen Fraktion zum Antrag dar. Bitte schön.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Schäferinnen und Schäfer! Schafe sind ziemlich spannende und vielseitige Nutztiere. Sie liefern Milch, Wolle, Fett, Fleisch und Leder – also eigentlich fast alles, was man so braucht, um zu überleben. Man kann aus Schafsdärmen sogar Saiten für Tennisschläger machen und Musikinstrumente damit bespannen.

Ihre allerwichtigste Aufgabe ist mittlerweile aber sicherlich, dass sie als „lebende Rasenmäher“ unsere Kulturlandschaft erhalten und vor allem – das hat Norbert Meesters erwähnt – unsere Deiche sichern, festigen und pflegen.

Leider ist Schafhaltung in finanzieller Hinsicht seit Jahren nicht mehr besonders attraktiv. Wären nicht jede Menge Begeisterung, Hartnäckigkeit und starkes Engagement vorhanden, ich glaube, dann hätten wir hier in Nordrhein-Westfalen noch sehr viel weniger Schafe, als wir jetzt schon haben.

Dass viele Schäferinnen und Schäfer in den letzten Jahren die Lust an der Schafhaltung leider verloren haben, zeigt ein Blick auf die nackten Zahlen – es wurde eben schon erwähnt –: Der Schafbestand hat sich im letzten Jahrzehnt deutschlandweit und auch hier in NRW fast halbiert.

Vor diesem Hintergrund war es richtig, dass sich die Schafhalter in den letzten Jahren verstärkt an die Öffentlichkeit gewandt und auch uns als Politik über ihre Lage informiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Diesen Dialogprozess führen wir ja schon ein bisschen länger. Wir führen ihn zum Beispiel auch entlang der Jagd. In dem Bereich gibt es ja auch manchmal gewisse Konflikte. Wir haben oft zusammengesessen. Ich habe zahlreiche Mails zur Schafhaltung erhalten. Ich war vor Ort bei Schafhaltern.

Wir hatten an einem Abend eine gute Veranstaltung mit der Interessengemeinschaft Oberbergischer Schafhalter, bei der ich eine Menge von deren Problemen erfahren habe. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle – Sie sitzen derzeit oben auf der Tribüne – für Ihr ehrenamtliches Engagement, das Sie für alle Schäferinnen und Schäfer leisten. Alle profitieren davon. Die Arbeit, das Ganze in der Öffentlichkeit darzustellen, liegt aber oft nur auf wenigen Schultern.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und den PIRATEN)

Wenn Sie nicht so auf uns zugegangen wären, uns Ihre Lage nicht erklärt hätten, dann, glaube ich, würden wir hier heute nicht über diesen Antrag reden können, dann gäbe es ihn vielleicht gar nicht.

Dass der Antrag mittlerweile anscheinend so gut geworden ist, dass er von allen Fraktionen, die hier im Haus vertreten sind, mitgetragen wird, freut mich besonders. Denn dadurch geben wir zwei starke Signale in die Landschaft nach draußen: ein Signal der Wertschätzung an die Schäferinnen und Schäfer, aber auch – und das ist viel wichtiger – ein Signal der Geschlossenheit an die agrarpolitischen Entscheider, dass wir in Nordrhein-Westfalen wollen, dass die Schafhaltung in der Agrarpolitik wieder stärker berücksichtigt und stärker gefördert wird.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Haltung von Schafen hat einen hohen Wert, weil sie regional ist, weil sie den Tieren in einem hohen Maße gerecht wird und weil sie für den Naturschutz und für die Artenvielfalt eine große Rolle spielt.

Weil das so ist und weil wir aus diesen Gründen heraus die Schafhaltung erhalten wollen, muss aber auch dafür gesorgt werden, dass Schafhalter mit ihren Produkten Geld verdienen können. Denn ohne Geld zu verdienen, macht das Ganze keinen Spaß. So ehrlich muss man sein.

Deshalb ist mir ein Punkt in dem Antrag besonders wichtig, nämlich der, dafür zu sorgen, dass die Vermarktung der Produkte aus der Schafhaltung deutlich verbessert wird. Da gibt es ja auch eine Chance; denn bei Umfragen betonen die Menschen immer, wie wichtig ihnen regionale Produkte sind. Aber echte Regionalität kann natürlich nur dort entstehen, wo es auch regionale Verarbeitungsstrukturen gibt. Schafhaltung kann die Produkte dafür liefern. Schafhaltung wäre aus meiner Sicht sogar absolut ideal – das passiert ja auch oft – für eine regionale Vermarktung. Wenn ich aber Gesprächen entnehme, dass die Schafe teilweise 100 km weit gefahren werden müssen, weil es vor Ort keinen Schlachter mehr gibt, der die Vermarktung übernehmen könnte, dann zeigt mir das, dass wir da aktiv werden müssen.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen, dass der Antrag, den wir hier gemeinsam beschließen, nur der erste Schritt sein kann. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber entscheidend ist natürlich das, was danach folgen muss, nämlich die konkrete Umsetzung der geforderten Maßnahmen. Ich glaube aber, dass wir, weil wir diesen Antrag gemeinsam beschließen, eine gute Grundlage für die entsprechende Umsetzung haben.

Zum Schluss – wir haben in der Agrarpolitik ja sonst gelegentlich schon mal Differenzen – will ich mich an dieser Stelle ausdrücklich dafür bedanken, dass wir heute diesen Antrag gemeinsam beschließen und ihn nicht mehr in den Ausschuss überweisen, was ja ursprünglich mal vorgesehen war.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich freue mich darüber, dass wir uns einig sind, dass die Schafhaltung hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland eine deutlich stärkere Unterstützung verdient als bisher. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Busen das Wort.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich freue mich darüber, dass wir einen breiten Konsens gefunden haben in einer Sache, die nicht immer im Fokus der Öffentlichkeit steht, aber dennoch einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft darstellt.

Auf die ökologische und wirtschaftliche Funktion der Schafhaltung, den Erhalt von Deichanlagen will ich nicht noch einmal eingehen. Dazu ist bereits alles gesagt worden.

Allerdings ist als Folge der Agrarreform aus dem Jahre 2003 und der strukturellen Entwicklung der Landwirtschaft die Schafhaltung hier in Nordrhein-Westfalen seit Langem rückläufig. Die Halbierung des Schafbestandes in den letzten zehn Jahren ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass an dieser Stelle Abhilfe geschaffen werden muss.

Aus Sicht der FDP gibt es natürlich einige Kritikpunkte an den EU-Agrarsubventionen. Aber grundsätzliche Kritik soll der Sache in diesem Falle nicht im Wege stehen. Es liegt auch in unserem Interesse, dass bei den Schäfern die Wirtschaftlichkeit gegeben sein muss. Aber die Schäfer müssen natürlich auch selbst für bessere Vermarktungsmöglichkeiten und -strategien sorgen. Politik kann hier nur begleiten. – Herr Rüße, ich bin gespannt, ob Sie die Pläne umsetzen, die Sie hier gerade versprochen haben, ob die Förderung tatsächlich bei den Schäfern ankommt. Das wollen wir abwarten.

(Beifall von Werner Jostmeier [CDU])

Mit dem vorliegenden Antrag kann dieses Ziel mit ausgewogenen und maßvollen Mitteln erreicht werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Piratenfraktion erteile ich Frau Kollegin Brand das Wort. Bitte schön.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Vor allem: Liebe Schäferinnen und Schäfer! Das Schöne daran, wenn ich als Letzte zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen rede, ist, dass alles schon gesagt worden ist, nur noch nicht von mir.

Ich kann mich meinen Vorrednern sowohl bezüglich der Wertschätzung der Personen als auch bezüglich der Bedeutung der Schafhaltung in vollem Umfang anschließen. Spätestens jetzt sollte auf die schlechteren Bedingungen seit der Agrarreform im Jahre 2003 reagiert werden. Dementsprechend ist der Antrag gut und richtig. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat ist es bemerkenswert, wenn ein roter Sozialdemokrat mit einem grünen Schlips das Hohelied auf die schwarzen Schafe in diesem Hause singt. Das bedeutet, es gibt eine große Einigkeit in der Sache. Und da will die Landesregierung natürlich nicht abseits stehen.

Auch wir teilen alles, was gesagt worden ist. Die Situationsanalyse ist vollständig richtig. Auch in den letzten vier Jahren hat es einen intensiven Austausch mit den Schäferinnen und Schäfern, mit den Berufsverbänden gegeben; das ist bekannt. In der Abfolge ist es nicht besser geworden. Es gibt eine dramatische Situation zu beklagen.

Einerseits sind die Schäferinnen und Schäfer, die Schafe die besten Freunde der Natur, sind sozusagen Artenvielfaltsweltmeister. Ohne die Schäferinnen und Schäfer könnten wir unsere Artenschutzziele gar nicht erreichen, könnte vieles in der Umwelt, in der Kulturlandschaft nicht erhalten werden. Insofern ist der gesellschaftliche Anspruch an die Umwelt bei den Schäferinnen und Schäfern, bei den Schafen gut aufgehoben.

Im Gegensatz dazu die wirtschaftliche Situation: In der Tat ist die Wolle kaum noch etwas wert. Die Marktbedingungen für Fleisch sind ebenfalls schwierig. Um dies festzustellen, brauchen wir nur in die Supermärkte zu gehen. Das billige Fleisch aus Neuseeland ist die große Konkurrenz. Auch bei der Flächenpflege können Schäferinnen und Schäfer nicht auf kostendeckende Einnahmen hoffen.

Die wirtschaftliche Situation ist also sehr schlecht. Viele Existenzen sind bedroht. Deshalb ist es in der Tat bewundernswert, mit welcher Leidenschaft für den Beruf und für die Aufgabe die Schäferinnen und Schäfer oft noch unter schwierigen Rahmenbedingungen ihre Arbeit leisten. Von daher ist dieser Berufszweig auf unsere Unterstützung angewiesen. Wir müssen hier gemeinsam etwas tun.

Die Situation ist also allen klar. Nichtsdestotrotz muss man an dieser Stelle eingestehen, dass die Änderung der Systematik, die seinerzeit alle begrüßt haben, nämlich weg von der produktionsbezogenen Prämie hin zu einer Flächenprämie, nicht dazu beigetragen hat, gerade diese Form der Landwirtschaft, die es am meisten bräuchte, zu unterstützen.

Wir sagen zu Recht: öffentliches Geld für öffentliche Güter. Obwohl das hier wie die Faust aufs Auge passte, haben wir es bisher – das muss man offen eingestehen – nicht geschafft, es europäisch und national zu verankern. In den bisherigen Beschlusslagen zur Umsetzung der europäischen Agrarreform ist unser Antrag gescheitert. Wir haben keine Mehrheit gefunden. Bei dem Kompromiss in München und der jetzigen Umsetzung durch die Bundesregierung ist die sogenannte Raufutterprämie, wie sie vorgesehen war, nicht mehrheitsfähig gewesen. Das muss man der Ehrlichkeit halber sagen.

Insofern arbeiten wir an Überbrückungen, an Möglichkeiten, doch noch Lösungen zu finden – und da freue ich mich auf die breite Unterstützung des Landtags –:

Erstens. Wir sehen, dass wir im Bereich der Grünlandbewirtschaftung in der ersten Säule durch eine Begriffserweiterung und der damit verbundenen erhöhten Prämienberechtigung neue Möglichkeiten schaffen können.

Zweitens. Wir wollen die Optionen der zweiten Säule durch deutliche Prämienerhöhungen gerade im Bereich des Vertragsnaturschutzes insbesondere für die Schäferinnen und Schäfer erweitern.

(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE])

Im Rahmen unserer Möglichkeiten wollen wir für Arten, die vom Aussterben bedroht sind – das ist bei seltenen Schafrassen, die wir in Nordrhein-Westfalen noch haben, der Fall –, eine besondere Förderung anbieten.

Aber auch das löst das Problem nicht flächendeckend. Deshalb sind weitere Initiativen auf Bundesebene, aber auch in Nordrhein-Westfalen nötig, beispielsweise durch Vereinbarungen mit den Deichverbänden zur Deichpflege und durch Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen bei unseren eigenen Grünflächen.

Unter dem Strich: Das ist eine gemeinsame Aktion, aber wir haben noch viel gemeinsame Arbeit vor uns. Ich würde mich freuen, wenn Sie jeweils in Ihren Parteien auf der Ebene des Bundes und auch in den anderen Bundesländern für eine stärkere Gemeinschaft mit den Schäferinnen und Schäfern werben würden. Es gibt einige Bundesländer, die die Notwendigkeit dafür nicht sehen. Deshalb ist die naheliegende Möglichkeit, bei der notwendigen Ausstattung auf die erste Säule zurückzugreifen, nicht wirklich als Perspektive erkennbar. Aber, wie gesagt, wir kämpfen an der Stelle weiter gemeinsam. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.

Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, den Antrag Drucksache 16/5966 – Neudruck – direkt abzustimmen. Somit kommen wir zu der Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/5966Neudruck – vom Landtag Nordrhein-Westfalen einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

12       Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Immobilien- und Standortgemeinschaften

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/4232

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/5976 – Neudruck

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Kollegin Philipp für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2008 hat das Land NRW sein erstes Gesetz zur Einrichtung von Immobilien- und Standortgemeinschaften verabschiedet. Ziel war es damals, lokale Initiativen in der Stadtentwicklung zu stärken. Einzelhandels- und Dienstleistungsangebote vor Ort sollten dabei gemeinschaftlich attraktiver gemacht und abgestimmt aufgewertet werden. Einbezogen waren dabei ursprünglich und bisher auch ausschließlich innerstädtische Kernbereiche.

Warum ist es notwendig, solche Initiativen zu unterstützen und auf den Weg zu bringen? Die klassischen Einkaufsstraßen der gewachsenen europäischen Städte geraten zunehmend unter Druck. Das hat unter anderem etwas damit zu tun, dass sich Shoppingcenter nicht mehr nur ausschließlich auf der grünen Wiese ansiedeln, sondern mittlerweile auch innerorts. Die Eintönigkeit der Stadtzentren nimmt zu, die Kundenfrequenz auf den Straßen sinkt, und die Laufwege der Kunden verändern sich.

Wir mussten also feststellen, dass bestimmte Trends im Einzelhandel es notwendig machen, sich vor Ort zusammenzuschließen, Kräfte zu bündeln und sich gemeinschaftlich mit seinen Stärken nach außen zu präsentieren. Das kann das Engagement eines Straßenhausmeisters sein, wie es in einigen Projekten der Fall war, die Organisation eines Nachtshoppings oder einer einheitlichen Weihnachtsbeleuchtung. Derartige Initiativen sollten durch das ISG-Gesetz 2008 unterstützt werden.

Im Jahr 2011 wurde das Gesetz erstmalig evaluiert. Die beteiligten Verbände haben sich dabei mehrheitlich für eine Fortführung der gesetzlichen Regelungen ausgesprochen. Außerdem haben sie eine Erweiterung des Anwendungsbereichs im Gesetz vorgeschlagen. Heute beschäftigen wir uns daher in zweiter Lesung mit einer Ausweitung dieses Gesetzes.

Wir möchten, dass in Zukunft auch Initiativen in Wohnquartieren und Gewerbegebieten durch dieses Gesetz unterstützt werden können. Insbesondere der Wohnungswirtschaft sollen Immobilien- und Standortgemeinschaften nützen, um städtebaulich sinnvolle Umfeldverbesserungen auch für Wohnquartiere, Gewerbegebiete und für touristische Zwecke möglich zu machen. Das ist ein weiterer guter Ansatz der Landesregierung zur integrierten Quartiersentwicklung.

(Beifall von der SPD)

Wir sehen darin auch eine große Chance für vernachlässigte Wohngebiete.

In Nordrhein-Westfalen gibt es inzwischen etwa 50 Immobilien- und Standortgemeinschaften auf gesetzlicher, aber vor allem auf freiwilliger Basis. Deswegen sind wir guter Dinge, dass wir das Prinzip der Immobilien- und Standortgemeinschaften bald erfolgreich auf in die Jahre gekommene Wohnviertel und Gewerbegebiete ausweiten können.

Wie das funktionieren kann, lässt sich an Beispielen aus der Praxis gut ablesen. Im Bereich der wohnungsbezogenen Immobilien- und Standortgemeinschaften wurden in NRW drei Modellprojekte durchgeführt: in Köln, in Dortmund und in Wuppertal. Ziel war es dabei, private Eigentümer für Aufwertungsmaßnahmen in den jeweiligen Wohnquartieren zu gewinnen.

Weiterhin gibt es mittlerweile in Nordrhein-Westfalen erste private und kommunale Initiativen zu Immobilien- und Standortgemeinschaften in Gewerbegebieten und entsprechende Überlegungen in touristischen Bereichen.

Das zeigt uns: Der Bedarf ist gegeben. Und wir wollen mit dieser Ausweitung des Gesetzes helfen.

Natürlich wollen wir nicht, dass sich die öffentliche Hand aus den notwendigen Maßnahmen vor Ort gänzlich herauszieht.

Die Maßnahmen im Rahmen einer ISG erfolgen selbstverständlich in enger Abstimmung mit der Kommune und in Ergänzung zu den Maßnahmen im Rahmen der Aufgaben der öffentlichen Hand. Das ist also kein Entweder-oder, sondern ein verantwortungsvolles gemeinschaftliches Handeln vor Ort.

Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf der Landesregierung ausdrücklich und freuen uns, dass wir heute endlich darüber abstimmen können.

Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung zum Verhinderungsquorum machen. Die Fraktionen von Rot und Grün haben sich auf einen gemeinsamen Änderungsantrag verständigt, der sich mit dem Verhinderungsquorum beschäftigt.

Unserer Ansicht nach befördert die Erhöhung des Verhinderungsquorums von einem Viertel auf ein Drittel die Bildung von sogenannten ISGs. Sie folgt konkreten Anregungen aus der Praxis. Die weit überwiegende Zahl der geladenen Experten hat im Rahmen der Landtagsanhörung am 10. März 2014 eine solche Erhöhung auch positiv bewertet. In der Anhörung wurde an einer Stelle auch sehr schön darauf hingewiesen, dass es kein Ordnungsrecht, sondern ein Ermöglichungsgesetz sei, von dem wir uns vor Ort eine Mobilisierung von unten nach oben erhoffen.

Darüber hinaus ist in den Bundesländern Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und auch im Saarland – also dort, wo es eine positive Entwicklung bei den Immobilien- und Standortgemeinschaften gibt – ebenfalls ein Quorum von einem Drittel festgelegt worden.

Deswegen sind wir uns ganz sicher: Die Erhöhung des Quorums macht den Gesetzentwurf am Ende erst richtig rund. Von daher werden wir dem Gesetzentwurf in dieser Form selbstverständlich zustimmen. Wir würden uns freuen, wenn die anderen Fraktionen es uns gleichtun würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Philipp. – Für die CDU-Fraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Hausmann das Wort.

Wilhelm Hausmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Goethe hat einmal gesagt: „Wer besitzt, der muss gerüstet sein.“ Das gilt auch heute noch, 200 Jahre später. Das gilt gerade jetzt in Nordrhein-Westfalen.

Wer in Nordrhein-Westfalen Eigentum und insbesondere Immobilien besitzt, der musste und muss auch künftig auf einiges vorbereitet sein. Damit meine ich eigentümerfeindliche Entscheidungen der rot-grünen Landesregierung in der Vergangenheit.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was? Wer macht das denn? Niemals!)

Ich zähle hier vier Beispiele auf: die Wiedereinführung der Kündigungssperrfrist in bestimmten Kommunen in NRW auf bis zu acht Jahre, die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbotes, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 3,5 % auf 5 % und das Wohnungsaufsichtsgesetz.

Auch heute soll wieder mal etwas Eigentümerfeindliches beschlossen werden. Dabei wird – wie bereits bei den genannten Punkten – im Zusammenwirken all dieser Punkte der Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes überbeansprucht; denn die Sozialverpflichtung des Eigentums ist eben kein Selbstbedienungsladen.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, im rot-grünen Änderungsantrag – darüber diskutieren wir heute ja hauptsächlich, und darauf beziehe ich mich auch – wird gefordert, die Sperrminorität von 25 % auf 33 % zu erhöhen. Solch eine Erhöhung des Verhinderungsquorums ist sehr problematisch; denn eine ISG ist immer mit Eingriffen in die Rechte der Grundstücks­eigentümer verbunden.

Bereits ein Viertel der Anlieger sollten aus unserer Sicht daher das Recht haben, sich gegen eine ISG und damit gegen die Pflicht der Kostentragung auszusprechen. Wir wollen eine ISG aus Überzeugung und Glauben an den Standort, und nicht aus Zwang.

Nur wegen der Erhöhung der Sperrminorität können wir dem ansonsten guten Gesetzentwurf, der unseren Gesetzentwurf von damals fortführt, heute nicht zustimmen.

Ich sage Ihnen auch, warum wir diesen Gesetzentwurf im Grundsatz gut finden: Er sieht nämlich die Erweiterung der standortbezogenen Maßnahmen durch Hinzufügung weiterer Anwendungsbereiche vor. Dies sind zum Beispiel Wohnquartiere, Gewerbezentren und sonstige für die städtebauliche Entwicklung bedeutsame Bereiche.

Die Landesregierung verspricht sich hiervon eine Aufwertung von Wohnvierteln und Gewerbegebieten, und das zu Recht, wie wir meinen. Es spricht grundsätzlich nichts gegen eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des ISGG NRW. Wir sind ja alle auf der Suche nach neuen Instrumenten der Städtebauförderung, denn die finanziellen Spielräume werden zunehmend enger.

(Zuruf von der SPD: Wir haben sie gefunden!)

Daher kann auch privates Engagement dazu beitragen – vielleicht auch innerhalb enger Grenzen –, öffentliche Investitionen sinnvoll zu ergänzen. Die Notwendigkeit einer gezielten und angemessen ausgestatteten Städtebauförderung bleibt jedoch nach wie vor bestehen.

Positive Folge kann aber auch sein, dass das Spektrum für mögliche Maßnahmen der Umfeldverbesserung vielfältiger wird. Möglicherweise gehen hiervon Impulse für das generationsübergreifende Zusammenleben aus. Auch mit Blick auf das übergeordnete Ziel durchmischter Quartiere können hier neue Impulse gesetzt werden. Insgesamt können daraus ein bewussterer Umgang und eine gesteigerte Problemwahrnehmung im eigenen Umfeld resultieren. Dies kann das Erscheinungsbild in unseren städtischen Quartieren sehr positiv beeinflussen.

Unser Fazit: Dem Gesetzentwurf in seiner ursprünglichen Form, der all diese Punkte nach vorne gebracht hat, könnten wir eigentlich vollumfänglich zustimmen. Aber leider ist der Gesetzentwurf durch Ihren Änderungsantrag nachträglich – ich sage mal – verbösert worden und wird in Sachen Eigentum geradezu ins Gegenteil einer positiven Entwicklung verkehrt. Dem können wir auf keinen Fall zustimmen – leider.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Schneckenburger das Wort.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, zu welcher Hochform jedenfalls Teile der CDU-Fraktion am relativ späten Nachmittag noch auflaufen. Der Herr Hausmann vermittelt ja den Eindruck, als ob in Nordrhein-Westfalen der Klassenkampf ausgebrochen sei. Das, was Sie da aufgezählt haben, Herr Hausmann, war schon eine beachtliche Leistung. Wenn man eine solche Weltsicht hat, dann gerät das ISGG tatsächlich zum Instrument des Klassenkampfs. Herr Hausmann, das nimmt Ihnen wirklich keiner ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

Ich kann mich weitgehend Frau Philipp anschließen. Wir haben mit dem ISGG ein Instrument, das es ermöglicht, einen Rahmen für Investitionen Privater zu schaffen, Herr Hausmann. Und daran haben übrigens all diejenigen Privaten ein Interesse, die wissen, dass Investitionen in ihr Eigentum Investitionen in ihr Quartier sind und dass der eine Private dem anderen in die Tasche fasst, wenn er nichts tut.

Darum ist es richtig und gut, dafür zu sorgen, dass es für mehr Quartiere in Nordrhein-Westfalen – also auch für Wohnquartiere – möglich ist, auf der Basis eines Zusammenschlusses Privater Investitionen zu stemmen und einen verlässlichen Rahmen zu schaffen.

Darum wiederum ist es richtig, das Verhinderungsquorum zu erhöhen bzw. es nicht in der alten Höhe zu belassen. Herr Hausmann, das war – ich glaube, es müsste sich auch bei Ihnen herumgesprochen haben – ein wesentlicher Wunsch vonseiten der Kommunen. Die haben gesagt: Helft uns, erhöht das Verhinderungsquorum, damit wir die Chance haben, gerade auch in Wohnquartieren eine ISG hinzubekommen, die einen verlässlichen Rahmen für private Investitionen schafft. Das ist, was die Geschichte angeht, sozusagen die ganze Wahrheit:

Es geht um ein Instrument, das Investitionen ermöglicht und insofern der Reparatur von Stadtquartieren dient. Was Sie hier eingangs im Rahmen einer – Entschuldigung – Klassenkampfrhetorik vorgetragen haben – das betrifft auch den Katalog, den Sie hier aufgezählt haben –, das ist jenseits all dessen, was kritisch diskutiert worden ist.

Worum geht es? Ich will noch einmal darauf aufmerksam machen, dass wir es in Nordrhein-Westfalen mit Problemquartieren zu tun haben, die auch deswegen entstehen, weil Finanzinvestoren nicht in ihre Immobilien investieren. Wir brauchen nicht nur Instrumente, um öffentliches Geld einsetzen zu können, sondern wir brauchen auch privates Geld. Gemeinsam müssen wir für verlässliche Rahmenbedingungen für private Investitionen werben. Die sind in diesen Quartieren nicht vorhanden.

In Nordrhein-Westfalen können wir nicht alles durch die öffentliche Hand stemmen. So viele Städtebaufördermittel wird uns der Bund nicht zur Verfügung stellen. So viel können die Kommunen auch gar nicht kofinanzieren. Übrigens sollten Sie, Herr Hausmann, Ihre Bitte, mehr Städtebaufördermittel zu bekommen, einmal in einem Schreiben an die eigene Bundesregierung richten. Da ist sie dann auch richtig platziert. Wir haben jedenfalls das Problem, dass wir nicht alles öffentlich finanzieren können.

In der Stadtentwicklungspolitik brauchen wir das Engagement Privater, und für dieses Engagement brauchen wir wiederum einen verlässlichen Rahmen. Deswegen ist es gut, dass wir die Novelle und die Ausweitung des ISGG haben. Auch ist es deswegen gut, dass wir ein Quorum haben, mit dem dafür Sorge getragen wird, dass in Nordrhein-Westfalen mehr ISGs an den Start kommen und mehr Quartiere von diesem Instrument ISG profitieren können. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Ellerbrock das Wort.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Kollegin Philipp zur Genese des Gesetzes gesagt hat, kann ich nur unterstützen. Jawohl, das war so. Bei der Bewertung haben wir allerdings Meinungsunterschiede.

Herr Groschek, Sie gehen oft in den Ausschuss hinein und sagen: Lasst es uns einmal gemeinsam versuchen. Wenn wir es alle zusammen machen, dann wird es besser werden. – Es gibt folgenden Satz, den ich leider noch nicht so oft – vielleicht gar nicht – verwirklicht gesehen habe: Ein Gesetz geht in der Regel aus dem Parlament nicht so hinaus, wie es hineingegangen ist. – Wenn das stimmt und wenn Ihre Worte keine Worthülsen sind – Sie sagen: Wir sind eine Koalition der Einladung, und man sollte etwas gemeinsam machen –, sehe ich heute richtig Chancen, etwas gemeinsam auf die Beine zu bekommen.

Das Gesetz, welches wir unter Schwarz-Gelb gemacht haben, haben Sie übernommen. Es ist dann noch einmal geändert worden. Wir haben evaluiert; auch das ist vernünftig geworden. Wir haben – das war von der Architektenkammer, den Bauingenieuren und Haus & Grund initiiert, vom Bauministerium getragen – die Idee eines Projektes gehabt, mit dem Eigentümerentwicklungen gefördert und Beratungen vorgenommen werden sollten. Das hat eine gute Wirkung gehabt, es war positiv.

Lasst uns doch den nächsten Schritt gehen und überlegen: Wie sieht es eigentlich mit den Wohneigentümern aus? – Dazu sage ich: Quartiersentwicklungen in dem Sinne tragen wir durchaus mit. Das kann eine gute Sache sein. Wir haben auch eine Menge Erfahrungen gesammelt. Frau Philipp sprach von Wohnquartieren in Köln, Dortmund und Wuppertal.

Mit dem ISG – alt – haben wir in Bezug auf die Bereiche Erfahrungen sammeln können. Vonseiten dieser Bereiche wurde gesagt: Es bedarf eigentlich nicht eines institutionellen Rahmens, sondern Beratung und Aufklärung sind eigentlich das Entscheidende, um etwas zu bewirken. Wenn das allerdings so ist, fragt man sich doch als Gesetzgeber: Ist das geeignet, um eine Quartiersentwicklung positiv zu begleiten? Ja, das ist geeignet. Ist es als Gesetz erforderlich? Dazu kann man unterschiedliche Meinungen haben; denn Beratung und Aufklärung auf freiwilliger Basis haben Wirkung gezeigt. Ist es angemessen? Das ist etwas ganz anderes. Da haben wir völlig unterschiedliche Auffassungen, auch was die Meinung von Frau Schneckenburger angeht.

Es ist nicht angemessen, das Quorum hochzusetzen. Ich erinnere an die alten Diskussionen, Kollege Schemmer, die zu Oliver Wittkes Zeiten geführt worden sind. Da hat man auch mit dem Bauministerium diskutiert: Ist das Widerspruchsquorum 25 % richtig? Nehmen wir 20 % oder mehr? Es ist ein Eingriff ins Eigentum, zu sagen: Wenn mehr als ein Drittel der Leute widersprechen, wird etwas nicht gemacht. Das ist nicht angemessen.

Das Quorum von 25 % hat sich, glaube ich, bewährt. Für mich persönlich ist das – daraus mache ich überhaupt keinen Hehl – ausgesprochen grenzwertig; aber es ist bewährt. Ich halte es nicht für vernünftig, das auf ein Drittel anzuheben – mit solchen Folgen für die einzelnen Eigentümer auch im Finanzbereich.

Herr Groschek, wenn wir etwas gemeinsam machen wollen, stellen wir unsere Bedenken in Bezug auf 25 % und so weiter zurück. Dann stimmen wir Ihnen zu und sagen: 25 % machen wir. Das setzt aber auch ein bisschen Bewegung von Ihnen voraus. Wenn Sie das zurückziehen und das Bewährte – 25 % – machen wollen, kann ich für die FDP-Fraktion sagen: Wir stimmen dem zu. Wenn Sie mit dem Kopf durch die Wand wollen, hoffe ich, dass er gut armiert bzw. viel Stahl darin ist. Das wird aber auch zu gewissen Folgeschäden führen. Leider werden wir diese Folgeschäden erst später feststellen. Wir werden die Akzeptanz für die Baupolitik und die Quartiersentwicklung verlieren. Das ist etwas, was wir als FDP ausgesprochen bedauern würden.

Ich kann Ihnen sagen: Kollege Schemmer und ich würden in dem Fall ausgesprochen bedauern, einen Kranz zu Grabe zu tragen, wo „Groschek“ draufsteht.

(Minister Michael Groschek lacht.)

Wir wollen das nicht. Wir wollen eine konstruktive Sache machen! – Schönen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Bayer das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer vor allem am Stream heute! Eine gesetzliche Regelung zur Beteiligung von Immobilieneigentümern und Gewerbetreibenden an Quartiersentwicklungsmaßnahmen kann sinnvoll sein. Auch die Beteiligung weiterer Akteure bietet sich an, um die Basis von geplanten Maßnahmen möglichst breit zu machen.

Ob wir nun eine solche gesetzliche Regelung Housing Improvement District oder Business Improvment District oder eben Immobilien- und Standortgemeinschaft nennen, ist uns nicht so wichtig.

Die unter schwarz-gelber Regentschaft eingebrachte Regelung verdient Respekt, weil damit der Versuch unternommen wurde, die Akteure vor Ort mit Rechten und Pflichten an lokalen Aufgaben und Entwicklungen zu beteiligen. Ob man für einen solchen Prozess wirklich ein Gesetz braucht, ist allerdings noch nicht ganz klar. Offensichtlich entscheiden sich die Akteure draußen im Land regelmäßig gegen eine buchstabengetreue Umsetzung des Gesetzes, treffen und verabreden sich auf formeller Grundlage. Frau Philipp hatte es eben bereits erwähnt.

Die Zahl der auf der Basis dieses Gesetzes bestehenden ISGs ist doch sehr überschaubar. Nun diskutieren wir sogar ein Änderungsgesetz, obwohl es praktisch nur keine oder nur sehr eingeschränkte Erfahrungen mit dem Gesetz selber gibt. Gut, das schadet auch nicht!

Wir wissen aber mangels empirischer Grundlage allerdings nicht, ob das Gesetz an der Praxis vielleicht vorbeigeht. CDU und FDP bemängeln offiziell vor allem, dass das Verhinderungsquorum auf Antrag der Regierungsfraktionen im Änderungsantrag von einem Viertel auf ein Drittel heraufgesetzt worden ist. Ja, auch wir befürchteten an der Stelle demokratische Defizite. Doch das eindeutige Ergebnis aus der Anhörung war: An den Initiativen vor Ort beteiligen sich so oder so nur wenige Akteure. Die Aktiven sind die, die unterstützt werden müssen.

Offenbar stoßen Gesetz und Änderungsgesetz bei den Akteuren und Verbänden ganz überwiegend auf Zustimmung. Alleine „Haus & Grund“ lehnt beides ab.

Wir lehnen es nicht ab, machen aber vorsorglich darauf aufmerksam, dass die Kosten einer ISG nicht auf die Mieter umgelegt werden dürfen und das Gesetz an der Stelle einer weiteren Konkretisierung bedarf. Dieser Hinweis wurde in der dazu durchgeführten Anhörung gegeben, verhallte allerdings offensichtlich ungehört.

Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen steht einer Ausweitung – auch das eine Erkenntnis aus der Anhörung – zwar grundsätzlich positiv gegenüber, bezweifelt aber die Sinnhaftigkeit von wohnungsbezogenen ISGs. Das heißt letztlich, dass eine Ausweitung nur auf den ISGs im Gewerbegebiet und in touristischen Bereichen befürwortet wird. Gerade in Bezug auf die ganzheitliche Entwicklung von Wohnquartieren sieht sie einerseits zwar den Sinn einer ISG, weist aber vor allem auf deren Grenzen hin, und zwar insbesondere hinsichtlich der Initiierung privaten Engagements.

Das heißt für uns: Frau Schneckenburger, in Problemquartieren und schwierigen Quartieren hilft Reden nicht, sondern es muss auch noch mit öffentlicher Unterstützung Geld in die Hand genommen werden. Dafür braucht es ein solches Instrument eher nicht, sondern hinreichend ausgestattete und verfügbare Budgets. Vor allem das, Frau Philipp und Frau Schneckenburger.

Unterm Strich bleibt: Eigentlich brauchen wir das Gesetz nicht. Wesentliche Aspekte bleiben unberücksichtigt. Quartiersentwicklung auf private Akteure zu konzentrieren und dabei die Menschen vor Ort im Grunde genommen nicht zu beteiligen, kann nicht als gelungenes Projekt beteiligungsorientierter Politik bezeichnet werden. Das Gesetz hat wohl auch gar nicht den Anspruch, alle Probleme in den Städten und Quartieren zu lösen. Einigen Änderungen wie zum Beispiel der Ausweitung der Gebietskulisse beim Änderungsgesetz sind sogar zu befürworten. Letztlich aber interessiert beides die Praxis draußen zunächst wenig.

Ich empfehle an dieser Stelle Enthaltung. – Vielen Dank!

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Enthaltung ist nicht die Empfehlung der Landesregierung, sondern Zustimmung ist die Empfehlung der Landesregierung. Ich glaube, wir haben durchaus eine Chance, in guter Tradition ein vernünftiges, gutes, solides Original aus dem Jahre 2008 gemeinsam fortzuschreiben.

Die guten Argumente für das Gesetz brauche ich nicht zu wiederholen. Sie sind im Grunde mit breitester Mehrheit hier schon dargestellt worden. Der Streit um des Kaisers Bart ist nun wahrhaftig kein Streit um Enteignung. Ich glaube, an der Stelle sollten wir nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch alle Tassen im Schrank. Wer allen Ernstes glaubt, dass in einer Demokratie eine Zweidrittelmehrheit einer Enteignung gleichkäme, der hat ein Demokratieverständnis, das sich – um es einmal so zu formulieren – von meinem zumindest graduell unterscheidet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube, dass eine Sperrminorität von einem Drittel schon eine große Vetominderheit ist. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, was im Ländervergleich festzustellen ist, so kann man im Grunde bilanzieren: Dort, wo die Drittelregelung gilt, gibt es mehr Standortgemeinschaften. Dort, wo das 25-%-Quorum gilt, gibt es weniger. Das einzige Argument, das aus meiner Sicht für die 25 % spräche, ist die Erfahrung, dass überstimmte Minderheiten – wenn sie sich übergangen fühlen – klagefreudiger werden. Vielleicht könnten wir die eine oder andere Klage präventiv abweisen. Aber ich glaube, dass der Mehrwert durch die größere Gründungsbereitschaft das allemal aufwiegt.

Es wird niemand gesetzlich gezwungen, eine solche Standortgemeinschaft zu etablieren. Aber viele sollten sich eingeladen fühlen, über dieses Instrument nachzudenken. Patentrezepte gibt es nicht. Deshalb ist dies ein Werkzeug in einem großen Werkzeugkasten. Ich finde, wir sollten es so beschließen, wie es funktionstüchtig durch die Anhörung bestätigt wurde.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. – Ich habe doch noch eine Wortmeldung. Vielen Dank für den Hinweis.

Es gibt eine Wortmeldung des Kollegen Hausmann, der noch eine Minute und 18 Sekunden Redezeit hat. Bitte schön.

Wilhelm Hausmann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister hat am Ende seiner Rede noch einmal einen interessanten Aspekt aufgeworfen: Was ist denn, wenn die Klagefreudigkeit richtig in Betracht kommt? – Dann werden aus den wenigen ISGs am Ende noch weniger. Das heißt: Die Erfolgsmöglichkeit des Gesetzes ist schon in sich selber eigentlich beschränkt.

Was bedeutet eigentlich das Verhinderungsprogramm? Wenn Eigentümerstrukturen da sind, die es ermöglichen, dass nahezu 50 % durch Einzeleigentümer und Eigentümergruppen einen solchen Standort dominieren, nützen auch die 33 % Widerspruch nicht. Was ist mit den 16 %, die letzten Endes übrigbleiben? – Das haben Sie einfach nicht sauber durchgerechnet. Warum hat die Regierung nicht selber von Anfang an die 33-%-Regelung vorgeschlagen, sondern wartet ab, dass die eigene Fraktion das hier vorträgt? Die ganze Genese dieses Gesetzes wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet.

Frau Schneckenburger, Klassenkampf ist nicht meine Vokabel. Klassenkampf ist das, was Sie hier vorführen. Wenn Sie in all den Gesetzen, die Sie hier vorlegen, immer zuungunsten des Eigentums entscheiden, dann haben Sie ein Problem mit den Artikeln des Grundgesetzes. Sie führen die Vokabel „Klassenkampf“ hier ein und nicht wir.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt liegen mir endgültig keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Deshalb schließe ich die Aussprache und rufe zur Abstimmung auf.

Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in Drucksache 16/5976 – Neudruck –, den Gesetzentwurf Drucksache 16/4232 in der Fassung der Beschlüsse anzunehmen. Wer dieser Empfehlung folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und der fraktionslose Kollege Stein. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die Piratenfraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5976 - Neudruck - angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/4232 in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

13       Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/5788

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs hätte ich jetzt Herrn Minister Schneider das Wort erteilt, wenn er seine Rede nicht zu Protokoll gegeben hätte. (siehe Anlage) Ich nehme an, dass das auch auf beifällige Zustimmung des Hohen Hauses trifft. Eine weitere Aussprache, meine Damen und Herren, ist heute nicht vorgesehen. Wir kommen somit direkt zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/5788 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

14       Organstreitverfahren von 12 Abgeordneten des Landtags Nordrhein-Westfalen gegen die Landesregierung Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung von Informations- und Fragerechten

VerfGH 12/14
Vorlage 16/1907

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/5977

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb unmittelbar zur Abstimmung.

Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/5977, dem Verfahren nicht beizutreten. Wer dieser Beschlussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt gegen diese Empfehlung? – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP, Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist diese Empfehlung angenommen.

Ich rufe auf:

15       In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 20
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/5978

Die Übersicht enthält fünf Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur abschließenden Erledigung an den Ausschuss überwiesen wurden, sowie drei Entschließungsanträge und einen Änderungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der Übersicht abstimmen. Wer dieses Abstimmungsverhalten bestätigen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/5978 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig vom Landtag Nordrhein-Westfalen bestätigt.

Ich rufe auf:

16       Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/22

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist augenscheinlich nicht der Fall. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass diese Beschlüsse des Petitionsausschusses bestätigt sind.

Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2014, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend. Die Sitzung des Landtags ist geschlossen. – Herzlichen Dank.

Schluss: 18:49 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

 


Anlage

Zu TOP 13 – Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz – zu Protokoll gegebene Rede

Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales:

Die Gesetzesnovellierung soll dazu dienen, die Befristung des Ausführungsgesetzes zum Sprengstoffgesetz aufzuheben.

Dieses Ausführungsgesetz war 2009 zusammen mit anderen Gesetzen erlassen worden, da zur Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie in nationales Recht auch verschiedene landesrechtliche Anpassungen vorgenommen werden mussten.

Inhaltlich geht es in dem Gesetz darum, optional zu ermöglichen, dass eine Erlaubnis zum Umgang mit Sprengstoffen entsprechend der Dienstleistungsrichtlinie durch eine sogenannte Einheitliche Stelle abgewickelt werden kann.

Entsprechend der damaligen generellen Vorgabe für den Erlass von Gesetzen und Verordnungen war auch dieses Ausführungsgesetz mit einer pauschalen Befristung von fünf Jahren versehen worden.

Demnach würde das Gesetz Ende dieses Jahres automatisch außer Kraft treten.

Da sich die EG-Dienstleistungsrichtlinie und die damit verbundenen rechtlichen Rahmenbedingungen bisher nicht geändert haben, muss die im Ausführungsgesetz getroffene materielle Regelung weiterhin Bestand haben. Ansonsten würden wir gegen EU-Recht verstoßen.

Daher soll nun die in § 2 des Ausführungsgesetzes festgelegte Befristung gestrichen werden.

Dies entspricht auch einem generellen Beschluss des Kabinetts vom 20. Dezember 2011, nach dem bewährte Stammgesetze unbefristet gelten sollten.