51. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 19. Februar 2014
1 Optionspflicht schnell und vollständig abschaffen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5025
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5092
2 Unterrichtsqualität fördern heißt Unterrichtsausfall erfassen!
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5043
3 Sanierungsstau in der Verkehrsinfrastruktur auflösen – Ergebnisse der Bodewig-Kommission umsetzen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5032
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5028
5 Keine Kappungsgrenze auf tönernen Füßen – Dialog mit Betroffenen suchen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5034
Daniela Schneckenburger (GRÜNE)
6 Landesregierung muss Hilfen für von Armutszuwanderung betroffene Städte leichter zugänglich machen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5042
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5095
7 Archivgesetz NRW jetzt evaluieren und ein geordnetes Gesetzgebungs-verfahren gewährleisten
Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5026
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU)
der
Abgeordneten
Yvonne Gebauer (FDP)
des
Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)
Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
des
Abgeordneten
Karlheinz Busen (FDP)
Beantwortung
in der nächsten Fragestunde
9 Gesetz zur Änderung des Dritten Ausführungsgesetzes des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3440
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5056 – Neudruck
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5036
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5098
11 Gesetz zur Änderung des Hinterlegungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (HintG NRW)
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4823
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/5057
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5044
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN)
13 Kindertagespflege weiter professionalisieren und qualitativ absichern
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5024
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5091
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5037
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5041
Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5059
Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/5022
18 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht 16
gem. § 82 Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/5058
Entschuldigt waren:
Minister Garrelt Duin
Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren
Inge Howe (SPD)
Eva Steininger-Bludau (SPD)
Ibrahim
Yetim (SPD)
(ab 14 Uhr)
Dr. Wilhelm Droste (CDU)
Horst Becker (GRÜNE)
(ab 12 Uhr)
Mehrdad
Mostofizadeh (GRÜNE)
(ab 18 Uhr)
Kai Abruszat (FDP)
(10 bis 15 Uhr)
Frank Herrmann (PIRATEN)
Stefan Fricke (PIRATEN)
Dr. Joachim Paul (PIRATEN)
Beginn: 10:04 Uhr
Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 51. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir, wie immer, in das Protokoll aufnehmen.
Bevor wir in die Abarbeitung der Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie gerne darüber informieren, dass die Landesregierung mit Schreiben vom 18. Februar 2014 für morgen, Donnerstag, den 20. Februar, eine Unterrichtung durch die Ministerin für Schule und Weiterbildung als Tagesordnungspunkt 1 angemeldet hat. Das Thema dieser Unterrichtung lautet: „Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden über einen Ausgleich möglicher finanzieller Auswirkungen einer zunehmenden schulischen Inklusion im Zuge der Umsetzung des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes“.
Der Chef der Staatskanzlei gibt hierzu die Anregung, die Unterrichtung mit der bisher am Donnerstag als Tagesordnungspunkt 1 vorgesehenen Aktuellen Stunde zu verbinden. Wir sind darüber mit den Fraktionen im Gespräch, und wir werden entsprechende Verständigungen herbeiführen, insbesondere über die Redezeiten und die Redereihenfolge. Sie können dann den neuen Ablaufplan der aktuellen Tagesordnung entnehmen. – So weit das, was ich Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung gerne mitteilen möchte.
Damit treten wir in die Beratung der Tagesordnung ein.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt
1 Optionspflicht schnell und vollständig abschaffen!
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5025
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5092
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der SPD Herrn Kollegen Ibrahim Yetim das Wort.
Ibrahim Yetim (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren jetzt ein Thema, das wir eigentlich nicht auf der Tagesordnung hätten haben müssen,
(Vereinzelt Beifall von der FDP)
wenn wir in der Vergangenheit einige richtige Entscheidungen auf der Bundesebene getroffen hätten.
(Beifall von der SPD und den PIRATEN)
Ich erinnere daran: 1998 gewinnt Rot-Grün die Bundestagswahl. Eine unserer Kernforderungen war, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Im Zuge dessen haben damals Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber diese unsägliche Kampagne „Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“ eingeführt.
Diese Kampagne wurde durch Roland Koch zur Landtagswahl 1999 fortgesetzt. Sie werden sich erinnern: Die Menschen kamen zu den Infoständen der CDU, um gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, um gegen Ausländer zu unterschreiben.
(Armin Laschet [CDU]: Stimmt doch gar nicht! – Weitere Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der SPD)
– Herr Laschet, das war damals der Fall. Vielleicht haben Sie sich nicht an den Infoständen bewegt; aber das war so, auch hier in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das war der Auftakt zu einer Kampagne, die dann dazu geführt hat, dass die Landtagswahl in Hessen für Rot-Grün verloren gegangen
(Armin Laschet [CDU]: Das ist wahr!)
und Roland Koch Ministerpräsident geworden ist,
(Armin Laschet [CDU]: Das ist auch wahr!)
wohl wissend, dass er mit dieser Kampagne tiefe Gräben aufmacht. Sie haben diese Kampagne auch hier in Nordrhein-Westfalen durchgeführt.
Damit kippte die Bundesratsmehrheit, und wir mussten als rot-grüne Bundesregierung Zugeständnisse machen, die uns nicht passten. Aber gut, es war einfach so – die Bundesratsmehrheit war gekippt, und es wurden Kompromisse geschlossen.
Die Optionspflicht wurde als Kompromiss eingeführt, und auf die doppelte Staatsbürgerschaft haben wir dann verzichtet. Die Optionspflicht besagt, dass Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren werden, die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten und sich dann zwischen 18 und 23 Jahren entscheiden müssen: Welche Staatsbürgerschaft nehme ich an – die meiner Familie oder die des Landes, in dem ich geboren bin, in dem ich zur Schule gegangen bin, in dem ich möglicherweise eine Ausbildung gemacht habe, in dem ich eine Arbeit habe, in dem ich vielleicht sogar schon gewählt habe?
Dieser innere Zwiespalt, dieser Stress, den man da als junger Mensch hat, den kann sich, glaube ich, keiner von uns vorstellen, der nicht in dieser Situation steckt.
2007 wurde die Mehrstaatigkeit bei EU-Ausländern akzeptiert. Im Klartext: Für einen Briten, einen Dänen oder einen Portugiesen ist die Mehrstaatigkeit kein Problem. Für andere gilt das nicht. Allein in diesem Jahr werden in Nordrhein-Westfalen fast 1.000 junge Menschen vor die Frage gestellt: Was tue ich? – Bundesweit werden ab 2018 jedes Jahr 40.000 junge Menschen, die Teil unserer Gesellschaft sind, vor die Wahl gestellt: Behalte ich die Staatsbürgerschaft meiner Eltern, oder nehme ich die deutsche an? Wähle ich die deutsche, um weiterhin Teil dieser Gesellschaft zu sein, kappe ich damit familiäre Verbundenheiten.
Wir müssen uns klarmachen, was es für einen jungen Menschen bedeutet, seinen Eltern zu sagen: Ich verzichte auf eure Staatsbürgerschaft. – Das ist schwierig, obwohl man vielleicht gar nicht mehr so viel damit zu tun hat. Trotzdem gibt es eine Verbundenheit, die wir akzeptieren müssen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Wir müssen die Bundesregierung auffordern, schnell zu handeln, damit wir den Menschen, die in Deutschland geboren sind, mitteilen können: Sie müssen nicht beweisen, dass sie Teil dieser Gesellschaft sind; sie sind es schon seit Langem.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich will ganz deutlich machen, Sie müssen sich entscheiden. Ihr Europaspitzenkandidat hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Wieso darf jemand, der gerade 43 Jahre alt ist, die doppelte Staatsbürgerschaft haben, während das für sehr viele Migrantinnen und Migranten – auch die älteren, die schon seit über 50 Jahren hier in Deutschland leben – nicht möglich ist? Wieso wollen Sie diese Menschen vor eine Wahl stellen,
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
die unangemessen ist und die Menschen nur bedrückt?
Ich will mit einem Zitat, das Sie vielleicht kennen, schließen: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ – Helmut Kohl! – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yetim. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon wieder – oder besser: immer noch – gibt es keine Mehrstaatigkeit für Menschen außerhalb der CDU – der EU.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Heiterkeit)
Obwohl längst überfällig, hat sie ihren Weg in den Vertrag der GroKo nicht gefunden. Gescheitert ist sie wie in den vergangenen Legislaturperioden an der CDU.
Übrig geblieben ist ein Kompromiss: die Abschaffung der Optionspflicht. Hier geborene junge Menschen, die sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie die deutsche oder die Staatsangehörigkeit ihrer Elternhäuser behalten wollen, werden gezwungen, eine Entscheidung gegen einen Teil ihrer Identität zu treffen.
Es ist richtig, diese Zumutung so schnell wie möglich abzuschaffen. Auch das Einfordern von Integrationsnachweisen bei Menschen, die hier aufgewachsen sind, lehnen wir ab. Als rot-grüne Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen wollen wir mit diesem Antrag ein Zeichen setzen. Die Bundesregierung muss schnell handeln. Denn mit jedem Jahr sind mehr junge Menschen betroffen.
Dass die CDU sich nach wie vor einem modernen Staatsbürgerschaftsrecht verweigert, hat sich auch hier im Landtag gezeigt, als sie Ihre Bundesratsinitiative zur Mehrstaatigkeit bei zwei Enthaltungen abgelehnt hat. Herr Laschet, ausgerechnet Sie als ehemaliger Integrationsminister stehen mit leeren Händen da – wieder einmal –, als Verhinderer der Mehrstaatigkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Sie und Ihre CDU stellen die Lebensleistung der Menschen mit Migrationsgeschichte infrage.
(Armin Laschet [CDU]: So ein Schwachsinn!)
Die dürfen zwar arbeiten, Steuern zahlen, investieren, ihre Kinder erziehen und hier wohnen, aber wählen dürfen sie zum Beispiel nicht, weil sie die staatsbürgerschaftlichen Rechte dazu nicht haben- und das in einem Einwanderungsland wie Deutschland. Im Vergleich mit EU-Bürgerinnen und –Bür-gern oder Aussiedlerinnen und Aussiedlern sind sie so gesehen Einwanderinnen und Einwanderer zweiter Klasse, auch wenn sie ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben.
Hätte sich die CDU bewegt, gäbe es schon seit Jahren die Mehrstaatigkeit. SPD, Grüne, Linke und auch die FDP sind dafür. Wahrscheinlich könnte ein solcher Beschluss im Bundestag einstimmig gefasst werden – als Zeichen an die vielen, die zwar Deutsche sein, aber ihre Wurzeln – für den Fall, dass sie hier geboren sind – und die Lebensleistung ihrer Eltern und Großeltern nicht verleugnen wollen.
Was im Koalitionsvertrag herausgekommen ist, ist ein löchriger und schaler Kompromiss, nicht der große Wurf, wie es uns manche glauben machen wollen. Die umstrittene Optionspflicht soll abgeschafft werden. Für die junge Generation ist das ein Gewinn, denn für die junge Generation wird Doppelstaatigkeit erlaubt, ermöglicht. Sie sind dann womöglich die ersten Doppelstaatler in ihrer Familie. Das ist schade, weil die Eltern ausgeschlossen bleiben.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Man könnte ja meinen, es ist selbstverständlich, dass Menschen, die hier geboren sind, hier auch ihre staatsbürgerschaftlichen Reche erhalten können. Aber schon hört man aus den Reihen von CDU und CSU die ersten Stimmen, die Bedingungen definieren wollen, die von „Voraussetzungen“, von „Integrationsleistung“ wie zum Beispiel guten Schulnoten sprechen.
Sehr geehrte Damen und Herren, das sind unsinnige Bedingungen, wie wir sie schon seit vielen Jahren von der Einbürgerung her kennen. Beispielsweise reicht bei einem deutschen Schulabschluss an einer deutschen Schule eine Fünf in Deutsch aus, um die Einbürgerung verweigert zu bekommen.
Solchen Bestrebungen erteilen wir eine klare Absage. Menschen, die hier geboren sind und gelebt haben und dennoch die türkische Sprache und Kultur pflegen wollen, sollen auch langfristig über ihren Ausweis dokumentieren können, dass sie unsere Kinder sind. Sie sollen ihre Rechte erhalten.
Einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich noch aufgreifen: Was ist mit den Menschen, die ihren deutschen Pass schon abgeben mussten? Meistens wird denjenigen, die keinen Beibehaltungsantrag gestellt haben, mit dem 23. Lebensjahr der deutsche Pass automatisch entzogen, ohne dass sie sich bewusst für die eine oder andere Staatsbürgerschaft entschieden haben. Die müssen im Rahmen der Gleichbehandlung schnell und unbürokratisch auch die Möglichkeit erhalten, die denjenigen zukommen wird, die – wenn das Gesetz hoffentlich schnell, bald und vorbehaltslos verabschiedet wird – etwas machen können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In diesem Sinne fordern wir die Bundesregierung auf, sehr schnell und sehr gut zu handeln und vor allem die Menschen, um die es geht, nicht weiter zu diskreditieren. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Güler.
Serap Güler (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Yetim, Sie haben in Ihrer Rede von „tiefen Gräben“ gesprochen. Wenn wir das ganze integrationspolitisch betrachten, so war es kein CDU-Mann, der uns die tiefsten integrationspolitischen Gräben hinterlassen hat, sondern ein Sozialdemokrat namens Sarrazin.
(Beifall von der CDU – Dietmar Bell [SPD]: Herr Koch!)
Sie haben davon gesprochen, dass 2007 auf Bundesebene für alle EU-Bürger die Mehrstaatigkeit akzeptiert wurde. Das stimmt.
Aber ich frage Sie: Wer hat denn 2007 in Berlin mitregiert? Waren Sie das nicht auch? Hätten Sie sich damals nicht für diejenigen einsetzen können, für die Sie sich jetzt einsetzen? Sie haben das damals komplett verschlafen und versuchen jetzt, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
(Beifall von der CDU)
Sie haben von der Vergangenheit gesprochen und Ihre Rede mit einem Zitat beendet. Ich möchte gerne mit einem Zitat anfangen und auf die jüngere Vergangenheit eingehen.
Ich zitiere – mit Erlaubnis der Präsidentin –:
„Ohne doppelte Staatsbürgerschaft unterschreiben wir keinen Koalitionsvertrag!“
Sie alle wissen, wer das gesagt hat: Sigmar Gabriel, SPD-Parteichef und Vizekanzler, der dies den Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Leipzig am 14. November letzten Jahres zurief.
(Beifall von der CDU – Lebhafter Widerspruch von der SPD)
Am 27. November wurde der Koalitionsvertrag von Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel vorläufig unterzeichnet, „vorläufig“, weil das Zustandekommen der Koalition letztendlich vom Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums abhing.
(Zurufe von der SPD)
Am selben Tag meldete sich die nordrhein-westfäli-sche Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu Wort, sie sei mit dem Koalitionsvertrag von Union und SPD vollauf zufrieden. Zitat weiter: Wir haben viel erreicht, auch mehr, als ich gehofft habe! – Und weil das von der SPD so erfolgreich verhandelt worden sei, könne sie, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, aus tiefster Überzeugung die Annahme der Vereinbarung mit CDU und CSU empfehlen.
(Unruhe bei der SPD)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Güler.
Serap Güler (CDU): Ich glaube, dass die Ministerpräsidentin damals die Wahrheit gesagt hat, auch „aus tiefster Überzeugung“. Genauso glaube ich, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Empfehlung Ihrer Ministerpräsidentin und Parteichefin gefolgt sind.
(Lebhafter Widerspruch von Dietmar Bell [SPD])
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Güler, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Altenkamp.
Serap Güler (CDU): Gleich gerne, am Ende meiner Rede. Ansonsten kann sie sich auch gerne für eine Kurzintervention entscheiden.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Danke für die Belehrung!)
Rund 76 % der SPD-Mitglieder, die an dem Mitgliederentscheid teilgenommen haben, sprachen sich für den Koalitionsvertrag aus, inklusive des Passus, über den wir heute diskutieren, nämlich der Abschaffung der Optionspflicht.
Diese Chronologie zeigt eindeutig: Die SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen kündigt mit diesem Antrag den Koalitionsvertrag auf, für den sie sich noch wenige Wochen zuvor voller Inbrunst eingesetzt hat.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)
Ich frage Sie: Glauben Sie ernsthaft, Sie kommen damit durch, dass Sie den Antrag damit verteidigen, eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts sei am Willen der CDU und CSU gescheitert?
Noch einmal: Sigmar Gabriel, Ministerpräsidentin Kraft, Minister Jäger und 76 % der SPD-Mitglieder haben sich für diesen Koalitionsvertrag ausgesprochen, den Sie jetzt verteidigen müssten, statt aufzukündigen.
(Zurufe von der SPD)
Herr Minister Jäger, ich bin sehr gespannt auf Ihre Rede, ob Sie das, was Sie in Berlin mitverhandelt haben, hier mittragen oder ob Sie diesen Antrag unterstützen.
Was ist eigentlich mit Minister Schneider, der gerade nicht da ist? – Minister Schneider hat im Rahmen der Koalitionsverhandlungen als einziger aus dieser Runde an der Arbeitsgruppe Integration teilgenommen. Er hat diesen Kompromiss mitverhandelt, er ist sozusagen ein Teil dieses Kompromisses. So stellt man sich jetzt die Frage: Hat er schlecht verhandelt, oder fehlt ihm einfach die Unterstützung der eigenen Leute?
(Beifall von der CDU – Widerspruch von der SPD)
Gewiss, die SPD hat, wie zu jeder Wahl, auch zu dieser Wahl das Thema „Doppelpass“ zu einem zentralen Wahlkampfversprechen gemacht. Natürlich sind Ihre Wähler mit Zuwanderungsgeschichte jetzt enttäuscht. Natürlich versuchen Sie, dieses verloren gegangene Vertrauen wiederzugewinnen. Aber ich sage Ihnen: Sie erreichen das nicht mit einem solchen Showantrag!
Das Einzige, was Sie hier erreichen, ist, dass Sie den Koalitionsfrieden in Berlin, der eh schon angeknackst ist, weiter gefährden.
Wenn ich die Worte von Herrn Gabriel und Herrn Oppermann, der sich gestern noch als ein Stabilitätsanker der Koalition bezeichnete – richtig verstehe, dann tun diese im Moment alles, um zu beweisen, dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner ist und dass man vertrauensvoll mit ihr zusammenarbeiten kann.
(Beifall von der CDU)
Deshalb frage ich Sie: Was ist die Grundbotschaft dieses Antrags, der keine weitere Bundesratsinitiative anstoßen soll und auch nicht an die Landes-, sondern an die Bundesregierung gerichtet ist? Was wollen Sie uns mit diesem Antrag sagen? Dass die SPD doch nicht verlässlich ist? Oder will die Ministerpräsidentin etwa mit diesem Antrag lieber Herrn Gabriel ärgern? Ist das eigentlich eine Attacke gegen Herrn Gabriel, gilt der Antrag gar nicht uns?
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit, Frau Kollegin.
Serap Güler (CDU): Ich bin sofort fertig. – Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie mit diesem Antrag bei Ihren Berliner Kollegen Unterstützung bekommen. Die Berliner Opposition mag das sehr wohl unterstützen; aber ich glaube an die Verlässlichkeit der SPD.
Ich muss Ihnen sagen: Natürlich gibt es im Koalitionsvertrag auch den einen oder anderen Punkt, mit dem wir nicht leben können. Die Rente mit 63 – damit tun sich gerade die jüngeren Kollegen sehr schwer – ist hierfür nur ein Beispiel.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Serap Güler (CDU): Ich sage Ihnen aber auch: Keine Sorge, wir stellen das hier nicht zur Disposition. Wir halten uns an Verträge. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Bleiben Sie bitte stehen, Frau Güler.
Erstens war es fast unerträglich laut.
(Serap Güler [CDU]: Ich musste gegen den Ansturm reden!)
– Sie meine ich ja gar nicht. Ich meine die Kolleginnen und Kollegen.
Es ist als Sitzungsleitung immer schwierig, einzugreifen, weil man damit eine emotionale Debatte sehr schnell unterbrechen kann. Ich bitte herzlich darum, die Zwischenrufe ein bisschen zu dämpfen.
Zweitens gibt es, Frau Güler, zwei Kurzinterventionen. Die erste kommt von Frau Altenkamp, die zweite von Frau Maaßen. – Bitte schön, Frau Altenkamp.
Britta Altenkamp (SPD): Herzlichen Dank, Frau Güler. – Ich darf hier feststellen, dass Sie unter dem Beifall des stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU die SPD aufgefordert haben, aus der Bundeskoalition auszusteigen. Das ist ein sehr interessanter Vorgang heute. Das ist das Eine.
(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)
Das Zweite, Frau Güler, ist: Bei all den Reden, die Sie über die angebliche Unzuverlässigkeit der nordrhein-westfälischen SPD-Fraktion hier gerade geführt haben, würde mich doch schon interessieren, was denn Ihre Position zum Thema „Optionspflicht“ und zu dem jetzt im Augenblick in Rede stehenden Referentenentwurf zum genannten Thema ist, von dem Sie sicherlich auch wissen, dass er zurzeit noch in der Verhandlung ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Verstehen Sie deshalb den heutigen Antrag als eine Positionsbestimmung von SPD und Bündnis 90/Grüne hier in Nordrhein-Westfalen, wie man zum Thema „Optionspflicht“ steht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Frau Güler, bitte.
Serap Güler (CDU): Liebe Frau Altenkamp, mein Vorwurf gilt hier gar nicht den Grünen, die – im Gegensatz zu Ihnen; Sie sind in Berlin doch umgeknickt – immer dafür waren. Sie haben mich komplett missverstanden. Ich fordere Sie keineswegs auf, auszusteigen, ich fordere Sie nur auf, sich an den Vertrag, den Sie mitbeschlossen haben, zu halten. Das ist der einzige Punkt.
(Beifall von der CDU)
Sie wissen genauso wie ich, dass einer der zentralen Punkte bei den Koalitionsverhandlungen die doppelte Staatsbürgerschaft war. Das war einer der Punkte, über den man am längsten diskutiert hat. Sie glauben doch jetzt nicht wirklich ernsthaft, dass Sie mit diesem Antrag bei Ihren eigenen Berliner Kolleginnen und Kollegen durchkommen. Dieses ist von CDU/CSU und SPD gemeinsam so beschlossen worden. Punkt.
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Was wollen Sie denn? Die CDU ist ohne Position in der Debatte!)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Frau Maaßen hat jetzt das Wort.
(Unruhe)
– Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Mikro ist für Frau Maaßen freigeschaltet, die jetzt die Kurzintervention durchführen kann. Frau Maaßen, bitte.
Martina Maaßen (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Güler, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Mich hat Ihr Redebeitrag völlig entsetzt.
(Zurufe von der CDU: Ah!)
– Sie brauchen gar nicht so aufzuheulen, weil ich es nämlich auch begründen werde. – Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, einen ganzen Redebeitrag darauf zu lenken, eine Partei zu beschimpfen und überhaupt nicht die Menschen in den Blick zu nehmen, um die es hier geht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben kein einziges Wort über die Lebenssituation der Menschen verloren, die sich bemühen, hier Fuß zu fassen bzw. das längst schon gemacht haben, und jetzt auch die doppelte Staatsangehörigkeit wünschen. Deshalb fordere ich Sie auf, doch noch die Frage von Frau Altenkamp zu beantworten: Wie steht die CDU zur doppelten Staatsbürgerschaft und zur Optionspflicht?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Serap Güler (CDU): Die CDU steht zu dem Koalitionsvertrag.
(Zurufe von der SPD)
– Wenn Sie meine Antwort nicht interessiert, dann brauchen Sie mir auch nicht die Frage zu stellen.
(Beifall von der CDU)
Die CDU steht zum Koalitionsvertrag.
Frau Altenkamp hat mich nach meiner persönlichen Meinung gefragt. Sie werden sich erinnern: Wir hatten vor der Bundestagswahl hier einen Antrag der Piraten dazu, zu dem Herr Minister Jäger sagte: Lasst uns das nicht zum Wahlkampfthema machen.
Ein paar Wochen später haben wir den gleichen Antrag mit rot-grüner Unterschrift hier vorgesetzt bekommen und darüber abgestimmt. Ich habe mich bei dieser Abstimmung – das wissen Sie alle – enthalten, aber ich habe auch die Begründung zu Protokoll gegeben. In dieser Begründung werden Sie nachlesen können, dass ich nie Ihre Meinung in dem Sinne vertreten habe, dass die doppelte Staatsbürgerschaft über Generationen hinweg ewig gelten soll. Ich war für den Generationenschnitt. Deshalb denke ich, dass der ausgehandelte Kompromiss ein guter ist. Das ist meine Position. Ich hoffe, die Frage ist damit beantwortet.
Was die Menschen betrifft, Frau Maaßen: Sie instrumentalisieren diese Menschen, indem Sie immer wieder darauf eingehen, dass diese die doppelte Staatsbürgerschaft wollen. Schimpfen Sie doch ebenfalls auf Ihren Koalitionspartner statt mit uns, der, als er die Verantwortung dafür hatte, diese in Ihrem Sinne nicht mitgetragen hat. Das ist doch der Punkt. – Danke.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Güler. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Plenartag beginnt ja sehr munter und wirft ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Großen Koalition – offensichtlich nicht nur in Fragen von Vertrauen und Verfahren, sondern auch inhaltlich.
(Beifall von der FDP)
Ich glaube, da war die Zusammenarbeit der Koalition der letzten vier Jahre doch viel konstruktiver
(Lachen von der SPD)
als die, die Sie jetzt hier abliefern.
Ich sage Ihnen auch, und zwar an die Adresse von SPD und Grünen …
(Sigrid Beer [GRÜNE] umarmt an ihrem Platz zur Begrüßung Hans Christian Markert [GRÜNE])
– Frau Beer, schmusen später, jetzt bitte kurz zuhören!
(Allgemeine Heiterkeit – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
– Verzeihung! – Ich möchte darauf hinweisen, dass Sie uns in den letzten Plenarwochen jedes Mal kritisiert haben, wenn wir ein Thema vorgebracht haben, das nicht nur im Land, sondern auch im Bund relevant gewesen ist. Sie haben uns dann in teilweise arger Polemik vorgeworfen, wir wollten hier Ersatzbundespolitik machen. Und jetzt kommen Sie selber mit einem solchen Showantrag zur Bundespolitik! Das finde ich nicht in Ordnung.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Gucken wir uns die Genese des Themas insgesamt an! Wir hatten hier einen Antrag der Piraten, der ungefähr das widerspiegelte, was Sie jetzt vorgelegt haben. Der ist von der SPD abgelehnt worden. Dazu hat Herr von Grünberg gesprochen. Und dazu hat der Innenminister gesagt: Bitte nicht im Wahlkampf, wir machen das gemeinsam, und wir wollen es auch gemeinsam mit der CDU machen, und das nach der Bundestagswahl. – Frau Güler hat das eben auch angesprochen.
Dann kam urplötzlich der Antrag von SPD und Grünen. Dieses Vorgehen scheint mittlerweile bei Ihnen Prinzip zu sein; wir finden das in dieser Plenarwoche an anderer Stelle ja auch. Dann kam also der Antrag von Ihnen, nun sollte es die doppelte Staatsbürgerschaft sein, und danach war das Ihr Wahlkampfthema.
(Zuruf von den GRÜNEN: Mein Gott!)
– Sagen Sie nicht: „Mein Gott!“ Das ist so.
Dem folgte die Bundesratsinitiative, die unbedingt noch vor der Bundestagswahl gestartet werden sollte. Danach dann die Bundestagswahl selber. Und dann hat sich Ihr Parteivorsitzender breitbeinig hingestellt und erklärt: Ohne doppelte Staatsbürgerschaft gibt es keine Große Koalition!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Wir können doch alle lesen, und wir können auch alle hören. Das haben Sie nicht durchgesetzt.
Letztendlich sind wir wieder da angekommen, wo wir hier im Parlament bereits vor weit über einem Jahr waren.
Das ist aus meiner Sicht keine seriöse Politik für die Gruppen, für die Bürgerinnen und Bürger – Sie haben es gerade selber erwähnt –, für die Menschen, um die es hier geht.
Wir als FDP haben uns überlegt, dass wir Mehrstaatigkeit zulassen wollen, vor allem aus zwei Gründen:
Wir sind auf der einen Seite als im Wettbewerb stehendes Land um die weltweit besten Kräfte darauf angewiesen, eine Willkommenskultur zu schaffen und den Menschen eine Perspektive zu geben, unsere Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne dass sie sich zwingend für immer entscheiden müssen, für immer hier zu sein, gerade wenn man an die vielen, um die wir werben, denken. Da brauchen wir kein kleinliches Staatsbürgerschaftsrecht; an der Stelle wollen wir großzügiger sein.
Es geht zum Zweiten um die Deutschtürken, die schon lange in diesem Land leben und die, wie ich es aus vielen persönlichen Gesprächen weiß, sagen, dass sie im Grunde genommen zwei Identitäten haben: dass sie sich zu Deutschland bekennen, dass sie aber nicht, auch nicht symbolisch, ihre Wurzeln kappen wollen. Ihre Identifikation mit Deutschland wollen wir weiter stärken. Das ist auch ein Grund, warum wir für die Mehrstaatlichkeit offen sind.
Wir hätten das gerne gemeinsam mit Ihnen gemacht. Sie haben immer erzählt, Sie seien die Koalition der Einladung. Mittlerweile kann ich zu dieser Bezeichnung nur sagen: 3 € ins Phrasenschwein! – Sie haben „kleines Karo“ bevorzugt.
Darum können wir diesem Antrag nicht zustimmen, auch wenn die Abschaffung der Optionspflicht als solche in die richtige Richtung geht. Wir werden uns daher der Stimme enthalten.
Lassen Sie mich noch einen letzten Satz an die Adresse des Vorsitzenden der CDU richten. – Lieber Herr Laschet, auf der einen Seite die doppelte Staatsbürgerschaft auf Symposien wie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf zu fordern und auf der anderen Seite diesen Entschließungsantrag mitzuzeichnen, das passt nicht so richtig zusammen. Volkspartei heißt nach meiner Interpretation nicht, jedem das zu erzählen, was er gerade hören möchte.
(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)
Herzlichen Dank!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Brand.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Dr. Stamp hat den zeitlichen Ablauf geschildert. Ich werde das aus unserer Sicht aber noch einmal tun, denn ich schätze ihn etwas positiver ein.
Zur Abschaffung der Optionspflicht gehe ich jetzt nicht bis 1998 zurück, frage aber, wie es hier damit anfing. Unser erster Antrag dazu wurde im Oktober 2012 eingebracht. Damit haben wir die Debatte angestoßen. Ich bin mir sehr sicher, dass es sehr viel länger als bis Mai 2013 gedauert hätte, wenn wir da nicht die treibende Kraft gewesen wären.
(Beifall von den PIRATEN)
So gab es bereits im Frühjahr letzten Jahres den gemeinsamen Antrag mit SPD und Grünen zu einer Bundesratsinitiative. Das Thema war also rechtzeitig vor der Bundestagswahl platziert.
Nach der Wahl im September kamen die Koalitionsverhandlungen. Nicht zuletzt aufgrund der vorliegenden Initiative war die Optionspflicht dabei ein großes Thema. Die mediale Berichterstattung vermittelte teilweise den Eindruck, dass es sich in der Politik nur noch um Maut, Mindestlohn und eben um die Optionspflicht dreht. Der Doppelpass wurde darüber hinaus von führenden SPD-Politikern wie Herrn Pistorius zur Bedingung für das Zustandekommen einer Großen Koalition erklärt.
Was ist der aktuelle Stand? –Ich kann mich nur sehr wundern, was bei den Koalitionsverhandlungen von der Abschaffung der Optionspflicht übrig geblieben ist. Bedingung für die Große Koalition war der Doppelpass. Nun gibt es die Große Koalition, aber den umfassenden Doppelpass gibt es immer noch nicht.
Herr Minister Jäger, ich möchte nicht von Betrug sprechen, wie das im Ausschuss äußerst unglücklich Frau Güler in Richtung Minister Schneider getan hat. Aber vielleicht sollte Ihr werter Kollege Pistorius sein Verhältnis zu den Begriffen „Bedingung“ und „Zustandekommen“ klären.
(Beifall von den PIRATEN)
Oder hält man es in Berlin mit dem oft zitierten Halbsatz von Konrad Adenauer: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?
(Beifall von den PIRATEN)
Wir finden es unerträglich, dass den jungen Menschen zugemutet wird, den Nachweis zu erbringen, dass sie in Deutschland rechtssicher aufgewachsen sind. Das ist keine Wertschätzung, die den jungen Leuten entgegengebracht wird, sondern ein generelles Misstrauen.
Solch ein Misstrauen sollte man eher gegenüber blumigen Wahlversprechen der etablierten Parteien haben. Sagte nicht Peer Steinbrück, es sei unfair, Parteien an ihren Wahlversprechen zu messen?
(Christian Lindner [FDP]: Das war Franz Müntefering!)
Wir haben verstanden. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte verfolgt, stellt man fest, dass hinter dem Bekenntnis zu Mehrstaatigkeit dem Grunde nach eine deutliche Mehrheit dieses Hauses steht.
(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])
Ich finde, das ist eine gute, eine moderne Voraussetzung für eine Diskussion. Denn diese Haltung orientiert sich an der Lebenswirklichkeit der hier lebenden Menschen. Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört auch die Tatsache: Für viele junge Menschen mit ausländischem und deutschem Pass ist die Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit nicht leicht.
Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört auch, dass jedem bewusst ist – das sollten wir uns vergegenwärtigen –, dass sich 1.000 junge Menschen allein in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr entscheiden müssen, ob sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben oder nicht. Neben allen sachlich-rhetorischen Argumenten, die vorgetragen worden sind, muss man sehen: Das ist für die betroffenen Menschen eine hochemotionale Entscheidung. Wir müssen ihnen hierfür eine Lösung bieten.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Emotionalität der betroffenen Menschen macht diese Diskussion nicht unnütz oder gar unsachlich, sondern wir müssen uns diesen 1.000 Menschen, die in Nordrhein-Westfalen betroffen sind, nähern. Wir als Politik müssen die klare Botschaft formulieren: Wir suchen für euch eine vernünftige Lösung. – Meine Damen und Herren, das sollte unser gemeinsames Ziel in dieser heutigen Debatte sein.
Wenn Sie mich persönlich fragen: Es gibt sehr viele und sehr gute Argumente für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Die Debatte heute hat gezeigt: Es gibt wenige, eigentlich gar keine sachlichen Argumente gegen die Hinnahme der Mehrstaatigkeit.
(Beifall von der SPD und Arif Ünal [GRÜNE])
Den Wegfall der Optionspflicht an Integrationsnachweise wie Mindestaufenthalt, Schulbesuch oder gar Schulabschluss zu koppeln, ist selbst dem sehr antiquierten deutschen Staatsbürgerrecht völlig systemfremd.
(Lebhafter Beifall von der SPD – Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Unser Ziel ist es, in dieser Debatte – die sich längst vom Koalitionsvertrag abgehoben hat; wir reden auf Basis eines Referentenentwurfs des Bundesinnenministeriums – mit guten Argumenten zu überzeugen.
Frau Güler, ich akzeptiere eine gewisse Lautstärke in der Diskussion,
(Zuruf von der CDU: Das müssen Sie gerade sagen!)
die eher von Argumentationsnot geprägt ist.
(Heiterkeit und Beifall von Jochen Ott [SPD])
Aber, Frau Güler, dass Sie mit ausländischen Wurzeln faktisch für den vorliegenden Referentenentwurf eintreten,
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
der eine Verschärfung der Optionspflicht vorsieht, das ist mir völlig unverständlich.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Der jetzige Rechtsstatus ist, dass hier geborene Kinder von ausländischen Eltern, von denen ein Elternteil länger als acht Jahre rechtmäßig hier lebt, sowohl die deutsche als auch die ausländische Staatsbürgerschaft erhalten, um sich im Alter von 23 Jahren für eine davon zu entscheiden. Dass da jetzt noch obendrauf gepackt werden soll, dass nur dann entschieden werden darf, wenn hier beispielsweise ein Schulabschluss erlangt wurde, das ist eine Verschärfung der Optionspflicht.
Das ist übrigens auch nicht Gegenstand des Koalitionsvertrags und der vorherigen Diskussion gewesen,
(Armin Laschet [CDU]: Darum geht es doch gar nicht!)
sondern das ist ein Aufruf für eine Verschärfung, die ich – das muss ich Ihnen sagen, Frau Güler – auch aus Ihrer Sicht nicht mittragen kann.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Jäger, von Herrn Dr. Stamp gibt es die Bitte um eine Zwischenfrage.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, gerne.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Minister, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Finden Sie es angemessen, die Kollegin Güler in dieser Diskussion auf ihre Herkunft zu reduzieren?
(Beifall von der FDP und der CDU)
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Stamp, ich würde einen Menschen niemals auf seine Herkunft reduzieren. Ich habe in dieser Diskussion deutlich gemacht, dass Frau Güler eigentlich Kenntnis von der Emotionalität der Betroffenen haben müsste
(Armin Laschet [CDU]: Ja!)
und dass man, wenn man selbst diese Emotionalität begreifen kann, einem solchen Vorschlag niemals zustimmen kann, Herr Dr. Stamp.
(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Positionierung des Landtags von Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Ich verstehe es als Auftrag an diese Landesregierung, im Zuge der Umsetzung dieses Gesetzes und des Umgangs mit dem Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums eine klare Haltung einzunehmen. Die klare Haltung ist in diesem Antrag niedergeschrieben. Und dafür herzlichen Dank!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen mir nicht vor. Damit kann ich die Debatte zu Tagesordnungspunkt 1 schließen.
Wir kommen erstens zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/5025. Die beiden antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Ich bitte diejenigen, die sich positiv zum Inhalt des Antrags verhalten möchten, um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die sind die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer möchte sich enthalten? – Das ist die FDP-Fraktion. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist damit der Antrag Drucksache 16/5052 angenommen.
Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/5092. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der CDU und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen, SPD, die Piraten und die FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag Drucksache 16/5092 abgelehnt.
Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, möchte ich Sie gerne noch einmal daran erinnern, dass ich viel Verständnis dafür habe, dass man manchmal etwas übersieht oder vergisst oder nicht ganz im Blick behält.
Aber ich habe allen Kolleginnen und Kollegen mit Datum vom 14. Februar noch einmal die Regelungen, die wir zur Benutzung von mobilen Computern hier im Plenarsaal getroffen haben, mitgeteilt. Solange es keine andere Verständigung zwischen den Fraktionen im Ältestenrat gibt, gilt diese Regelung. Daher bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die andere Geräte als Tablets benutzen, sich entsprechend der verabredeten und geltenden Regelung zu verhalten. – Vielen Dank.
(Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)
Ich rufe dann den nächsten Tagesordnungspunkt auf:
2 Unterrichtsqualität fördern heißt Unterrichtsausfall erfassen!
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5043
Ich eröffne die Aussprache. Wenn es im Raum wieder etwas ruhiger wird, hat für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Vogt das Wort.
Petra Vogt (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit geraumer Zeit mehren sich in unserem Land die Klagen von Eltern, Schülern, aber auch von Lehrern über einen stetig ansteigenden Ausfall von Unterrichtsstunden. Die Gründe mögen vielfältiger Natur sein: Hier fehlt ein Fachlehrer, dort gibt es keinen Vertretungsunterricht, die bislang eingesetzten Referendare stehen nach ihren Prüfungen nicht mehr zur Verfügung. – Diese Liste ist ermüdend, deprimierend und ließe sich mit Leichtigkeit weiter fortsetzen.
Natürlich wird es in fast jedem Einzelfall eine plausible Erklärung für den Ausfall der Unterrichtsstunden geben. Aber das hilft den betroffenen Schülerinnen und Schülern wenig.
So möchte ich an dieser Stelle noch einmal an die Grundschule in Dortmund erinnern, an der im vergangenen Jahr so viel Unterricht ausfiel, dass der kompletten Klasse sogar das Sitzenbleiben drohte.
Wo war das Frühwarnsystem? Wo, Frau Ministerin Löhrmann, waren hier die Verantwortlichen, die einen Überblick über den fehlenden Lernstoff hatten? – Fehlanzeige!
(Beifall von der CDU)
Dann verwundert es auch nicht weiter, sondern passt hervorragend ins Bild, dass wir in Nordrhein-Westfalen gar nicht wissen, wo und wie viel Unterricht eigentlich ausfällt. Ich gewinne hier den Eindruck, dass Sie, Frau Ministerin Löhrmann, das eigentlich auch gar nicht wissen möchten. Das erkennt man auch daran, dass Sie nicht zuhören.
(Beifall von der CDU – Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Es geht durchaus beides!)
– Das ist gut. Da bin ich froh. – Es könnten ja sehr unerfreuliche Zahlen werden, die zum Handeln zwingen, was man wohl vermeiden möchte. „Augen zu und durch“ ist hier das Motto. Irgendwie wird es doch schon gehen.
Dass es so nicht geht, zeigen die fatalen Bildungsdefizite der nordrhein-westfälischen Schülerinnen und Schüler bei der letzten Ländervergleichsstudie.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Was ist also zu tun? – Die schwarz-gelbe Landesregierung hat von 2005 an jährlich den Unterrichtsausfall ermittelt. Die letzte Erhebung wurde für das Schuljahr 2009/2010 durchgeführt und im Juni 2011 veröffentlicht.
(Zuruf: 2009!)
Seit Ihrem Amtsantritt im Jahre 2010, Frau Ministerin Löhrmann, ist der Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen nicht mehr erfasst worden. Obwohl sich der Landesrechnungshof im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenstellung mehrfach mit dem Thema „Unterrichtsausfall“ beschäftigt hat und empfiehlt – ich zitiere aus dem Bericht vom 11. Juli 2011 mit Genehmigung der Präsidentin –, „an jeder Schule eine Unterrichtsausfallstatistik einzuführen, die aus Gründen der Gesamtschau für Ministerium und Schulaufsicht schuljahresweise zusammengeführt wird“, ist bisher rein gar nichts geschehen.
Sie handeln fakten- und konzeptionslos. Dieser Blindflug, sehr geehrte Damen und Herren, geht zulasten unserer Schülerinnen und Schüler!
(Beifall von der CDU)
Nur derjenige, der genau weiß, wie viel Unterricht tatsächlich ausfällt, kann auch etwas dagegen tun. „Man muss seinen Gegner kennen, um ihn wirksam zu bekämpfen“ wusste schon Clausewitz. Für Sie scheint es jedoch nicht so wichtig zu sein, ob Unterricht nun ausfällt oder nicht.
Anders ist es auch nicht zu erklären, dass die Vertretungspauschale im letzten Frühjahr direkt nach den Haushaltsberatungen von Ihnen ohne Vorankündigung um die Hälfte von 50 Millionen auf 25 Millionen gekürzt wurde. Auf welcher Basis haben Sie diese schwerwiegende Entscheidung eigentlich getroffen? Wie konnten Sie diese drastische Maßnahme verantworten, wo Sie doch kein Kind zurücklassen wollten?
Neben den schlechten Ergebnissen bei den Ländervergleichsstudien müssten Ihnen doch auch die Klagen aus Industrie, Handwerk und Gesellschaft über gravierende Defizite selbst in den Schlüsselqualifikationen Rechnen, Lesen und Schreiben zu Ohren gekommen sein. Wo und wann soll der fehlende Unterrichtsstoff denn überhaupt nachgeholt werden?
Zahlreiche Beschwerden über zunehmenden Unterrichtsausfall haben dann wohl vor den Sommerferien des vergangenen Jahres dazu geführt, dass Sie, Frau Ministerin Löhrmann, die flexiblen Mittel für den Vertretungsunterricht wieder auf zumindest 34 Millionen aufgestockt haben. Zahlen und Fakten als Grundlage dieser Entscheidung? – Fehlanzeige! Es bleibt bei Ihrem Stochern im Nebel.
Man stellt sich die Frage, ob ein Unternehmen, das auf eine solch katastrophale Weise geführt würde, überhaupt eine Überlebenschance hätte.
(Beifall von der CDU)
Die Bedeutung einer Statistik zur Erfassung des Unterrichtsausfalls in Nordrhein-Westfalen hat jedenfalls der Haushaltskontrollausschuss dieses Landes erkannt und am 15. Januar 2013 einstimmig beschlossen, dass er – ich zitiere wieder mit Erlaubnis – „zur zukünftigen Ermittlung benötigter Planungs- und Steuerungsdaten für Politik und Bildungsadministration eine belastbare Erhebung von Unterrichtsausfällen unter der Berücksichtigung einer realistischen Abbildung des Unterrichtsgeschehens für erforderlich“ hält.
Anstatt nun endlich ein Konzept vorzulegen, wie Unterrichtsausfall erhoben werden kann, und dieses zügig umzusetzen, wurde bisher lediglich ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu einigen recht überraschenden Einsichten kommt: Das Ermitteln von Unterrichtsausfall sei zu aufwendig; von sogar 700 neuen Lehrerstellen eigens für diese Aufgabe ist die Rede; schließlich und endlich sei Unterrichtsausfall auch gar nicht so entscheidend für Lernerfolg.
Na prima, sehr geehrte Damen und Herren! Dann bleiben vielleicht besser alle gleich zu Hause. Preiswerter wird es dann ohnehin.
(Beifall von der CDU)
Frau Löhrmann, dann nehmen Sie dieses Gutachten auch noch völlig unkritisch zum Anlass, dem Haushaltskontrollausschuss mitzuteilen, dass es nicht möglich sei, den Unterrichtsausfall in gewünschter Form zu ermitteln – und das vor dem Hintergrund, dass andere Länder selbstverständlich über eine derartige Statistik verfügen und unsere eigenen Schulpraktiker vor Ort bereits Vorschläge gemacht haben, wie eine derartige Erhebung aussehen könnte. Das alles können Sie doch nicht einfach ignorieren.
(Beifall von der CDU)
Es ist Ihre Aufgabe, als Landesregierung endlich ein tragfähiges Konzept vorzulegen. Aber Fehlanzeige!
Wie man Unterrichtsausfall erfolgreich bekämpfen kann, hat die CDU-geführte Landesregierung von 2005 bis 2010 gezeigt.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Wir haben damals den Unterrichtsausfall halbiert, sehr geehrte Damen und Herren!
(Beifall von der CDU)
Frau Ministerin Löhrmann, wenn Sie Ihre Arbeit nun nicht machen wollen oder können, dann sagen Sie das nicht nur dem Parlament, sondern sagen Sie es auch deutlich unseren Schulen, unseren Eltern, unseren Kindern und unseren Bürgerinnen im Land!
(Beifall von der CDU)
Wir fordern Sie auf, unverzüglich ein Konzept zur Messung von Unterrichtsausfall vorzulegen: damit wir wissen, wo und vor allen Dingen auch in welchen Fächern Defizite behoben werden müssen, damit unsere Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen auf Lernerfolg haben wie die Schülerinnen und Schüler in Bayern oder Sachsen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Hendricks das Wort.
Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Vogt, als Resümee Ihrer Rede kann ich nur feststellen: Das war ein Bauchplatscher, und zwar deshalb – darauf werde ich gleich noch näher eingehen –, weil die Geschichte der Unterrichtsausfallstatistik der CDU nun wahrlich kein Ruhmesblatt ist.
(Vereinzelt Beifall von der SPD – Armin Laschet [CDU]: Wie bitte?)
Meine Damen und Herren von der CDU, zurzeit wollen Sie aber auch gar nicht gemeinsam mit uns sachliche Überlegungen zum Wohle der Schüler und Schülerinnen anstellen. Vielmehr geht es Ihnen um Theaterdonner. Wenn das Thema „Unterrichtsausfall“ im Jahr 2005 so erfolgreich für einen gewesen ist, kann man es ja für die Kommunalwahl noch einmal aufwärmen.
(Armin Laschet [CDU]: Ja!)
Genau das wollen Sie gerade tun.
Frau Vogt, Sie haben eben gesagt, man müsse seinen Gegner kennen. Nach dieser Rede wissen wir, wo unser Gegner sitzt.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Mit dieser Rede weichen Sie aber auch von dem ab, was wir als Parlamentarier gemeinsam verabredet haben; denn am 22. Januar 2014 haben wir uns im Schulausschuss mit allen Fraktionen darauf verständigt, zunächst das Gutachten mit den Gutachtern zu diskutieren und erst danach zu einer Schlussfolgerung zu kommen. Wie wenig Ihnen an der Sachdiskussion gelegen ist, ist daran zu erkennen, dass Sie heute direkt über Ihren Antrag abstimmen lassen wollen, statt in eine sachliche Diskussion mit uns einzusteigen.
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
Nunmehr formuliert die CDU in ihrem Antrag, dass das Ministerium die Frage der Entwicklung eines Untersuchungsdesigns zur Erfassung von Unterrichtsausfall dem Parlament zuschieben wolle. Das ist ein merkwürdiger Vorwurf, meine Damen und Herren. Ich habe nicht den Eindruck, dass das MSW uns hier etwas zuschiebt, sondern denke, dass wir uns mit gutem Grund auf das beschriebene Prozedere einlassen.
Die Debatten der letzten Jahrzehnte in diesem Parlament haben gezeigt: Das Thema „Unterrichtsausfall“ ist nicht einfach. Es ist vor allen Dingen sehr hartnäckig. Ich werde gleich noch darauf eingehen.
Richtig ist in jedem Fall, dass die Ergebnisse des Gutachtens für uns alle überraschend waren. Umso wichtiger ist es, dass die Landesregierung sich diese Ergebnisse nicht automatisch zu eigen macht, sondern sie mit dem Parlament und mit den Fachausschüssen diskutiert.
Die Gutachter plädieren dafür, Lehrerressourcen nicht in die Erfassung, sondern in die Vermeidung von Unterrichtsausfall zu stecken. Dieser Idee liegen Vorstellungen von Controlling und von politischer Verantwortung zugrunde, die ich nicht unbedingt teile. Sowohl als Haushaltsgesetzgeber als auch als politisch Verantwortliche benötigen wir Kontroll- und Planungsdaten, auf die wir nicht verzichten können.
Wir können auch nicht, wie die GEW gerade heute fordert, mehr Lehrer für Unterrichtsreserve und Vertretungsunterricht zur Verfügung stellen, wenn wir gar nicht wissen, auf welcher Grundlage sie eigentlich zugeteilt werden sollen.
Dies hat auch der Haushaltsausschuss mit seinem Beschluss vom Januar 2013 sehr deutlich gemacht, in dem er formuliert hat, dass er „zur zukünftigen Ermittlung benötigter Planungs- und Steuerungsdaten für Politik und Bildungsadministration eine belastbare Erhebung von Unterrichtsaufall unter Berücksichtigung einer realistischen Abbildung des Unterrichtsgeschehens für erforderlich hält.“
Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, dass definiert wird, was Unterrichtsausfall eigentlich ist.
Diese Definition haben Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU, in Ihrer Regierungszeit zur Absurdität geführt: Schulen wurden gedrängt, Klassenfahrten ausfallen zu lassen; Elternsprechtage wurden auf den Samstag verlegt; Fortbildungsmöglichkeiten wurden gestrichen; oder aber die Schule bekam den Pädagogischen Tag nicht mehr.
Zunächst hatten Sie 2005 das Versprechen abgegeben, mit einer schulscharfen Statistik den Unterrichtsausfall in jeder einzelnen Schule zu erheben. Ich darf Herrn Ministerpräsident Rüttgers aus seiner Regierungserklärung zitieren:
„Damit das in Zukunft auch jedem klar ist und damit Sie sehen, dass diese Koalition keine Angst vor Transparenz in diesem Bereich hat, werden wir eine Statistik über den Unterrichtsausfall erstellen und veröffentlichen, sodass in Zukunft jeder weiß, wie viel Unterricht ausfällt.“
Meine Damen und Herren, das war der Auftakt.
(Beifall von der SPD)
Die Geschichte geht dann ein bisschen anders weiter. In der Plenarsitzung am 31. Mai 2006 erneuerte Schulministerin Sommer das Versprechen des Ministerpräsidenten mit folgenden Worten:
„2008/2009 werden wir die erheblichen technischen und organisatorischen Vorbereitungen getroffen haben, um eine flächendeckende Erhebung des Unterrichtsausfalls zu ermöglichen. Wir sind dabei, ein unbürokratisches Verfahren zu entwickeln, um verlässliche Daten aus den Schulen zu erhalten. Der Einsatz modernster computergestützter Erhebungsverfahren garantiert, dass der Aufwand in den Schulen so gering wie möglich gehalten wird.“
So Frau Sommer.
2008 war dieses Versprechen nichts mehr wert, denn die Ministerin kassierte dieses Versprechen sang- und klanglos ein und erklärte stattdessen, nunmehr an einem Stichprobenverfahren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie vorher so heftig kritisiert haben, festzuhalten und diese Stichproben auf die fünf Bezirksregierungen auszuweiten. Die letzte landesweite Stichprobe betraf das Schuljahr 2009/2010 und wurde 2011 veröffentlicht.
Nach dieser Stichprobe betrug der Unterrichtsausfall nach der Statistik des MSW 2,4 %. An diesen Prozentzahlen haben wir alle gezweifelt, einschließlich die Öffentlichkeit und die Eltern. Der Landesrechnungshof kam dann in seiner Erhebung auch zu einem deutlich anderen Ergebnis. Er ermittelte an den erhobenen Schulen einen Unterrichtsausfall von 5,8 %.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Genau diese Diskrepanz zwischen MSW-Statistik und Erhebung des Landesrechnungshofes führte zu dem Beschluss im Haushaltskontrollausschuss, den wir bereits mehrfach heute Morgen zitiert haben. Wie Sie sehen: Zu diesem Thema ist eine Menge zu diskutieren. Es ist dringend notwendig, die Fachdebatte dazu zu führen, und zwar dort, wo sie hingehört, in den Fachausschüssen.
(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)
– Das ist nichts Neues. Dies haben wir beschlossen. Dies werden wir auch tun. Und den Antrag von der CDU lehnen wir wegen Unsachlichkeit heute ab. – Ich bedanke mich.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Abgeordnete Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Her Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich dem heutigen Antrag gerne in zwei Teilen widmen.
Zu dem einen Teil will ich die Vorgeschichte erzählen, weil ich mich sehr gewundert habe, dass wir diesen Antrag heute auf dem Tisch haben. Vor allen Dingen geht es nicht um eine Sachdebatte. Wenn man das wollte, dann müsste man im Ausschuss die Beratung fortführen, statt den Antrag hier zur direkten Abstimmung zu stellen.
Ich möchte Ihnen gerne vorlesen, was ich einen Tag vor der letzten Schulausschusssitzung an die Kolleginnen und Kollegen bezüglich der Diskussion um das von der Ministerin vorgelegte Gutachten geschickt habe:
Liebe Frau Gebauer und Frau Vogt! Liebe Monika Pieper! Morgen steht in der Einladung unter TOP 5 das Thema Erhebung zum Unterrichtsausfall mit dem Gutachten auf der Tagesordnung. Gemeinsam mit Frau Hendricks möchte ich anregen, dass wir die Gutachter zu einem Gespräch einladen und gegebenenfalls auch die Kollegen des Haushaltskontrollausschusses dazu bitten.
Diese Mail habe ich um 9:47 Uhr abgeschickt, und schon um 10:18 Uhr hat mir Frau Vogt geantwortet:
Sehr geehrte Damen und Herren! Von meiner Seite spricht nichts dagegen.
Wir haben dann einvernehmlich am Tag darauf beschlossen, den Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, um die Gutachterin und den Gutachter einzuladen, weil es Gesprächsbedarf über dieses Gutachten gibt und weil wir uns damit auseinandersetzen wollten. Dann kommt gleichzeitig die Pressemitteilung der Kollegin heraus, mit der sie der Ministerin unterstellt, sie wollte sich vor dem Thema drücken.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Das ist unredlich. Das ist ein scheinheiliges Vorgehen vonseiten der Kollegin,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
weil wir gemeinsam im Ausschuss beschlossen haben: Wir machen keine Diskussion aus dem Bauch heraus. Wir machen eine Diskussion, die sich mit dem Gutachten auseinandersetzt.
(Zurufe von Armin Laschet [CDU] und von Petra Vogt [CDU])
Sie haben einen sachkundigen Nachbarn, Frau Vogt, den Kollegen Kaiser. Der wird Ihnen sagen können, dass Frau Bellenberg nicht irgendeine Feld-, Wald- und Wiesenbildungsforscherin ist, sondern CDU-Expertin in der Enquete „Chancen für Kinder und Jugendliche“, damals benannt von der CDU, und dass Sie sich bei der Art und Weise, wie Sie der Wissenschaftlerin und diesem Gutachten entgegentreten, vielleicht etwas zurücknehmen und das Gespräch mit ihnen suchen sollten, statt Debatten zu führen, wie sie hier als Mätzchen- und Kasperle-Theater vorgeführt werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt würde ich gerne zu der Sachfrage kommen. Da ist es völlig richtig, dass jeglicher Unterrichtsausfall ärgerlich ist – nicht nur ärgerlich, sondern wir müssen sehen, dass wir ihn minimieren und vermeiden.
(Armin Laschet [CDU]: Sie müssen ihn messen!)
– Lieber Kollege Laschet, jetzt müssen wir ihn messen. Sie waren ja Mitglied einer Landesregierung. Da will ich Ihnen doch einmal die Antwort dieser Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD vorlegen, nämlich vom 03.02.2010. Ich glaube, da waren Sie gerade noch so dabei. Dort steht nämlich Folgendes:
Die von der Opposition, der SPD, eingeforderte Einführung einer zentralen flächendeckenden ganzjährigen Dokumentation von Unterrichtserteilung und Unterrichtsausfall würde bei einem vorsichtig kalkulierten durchschnittlichen wöchentlichen Zeitaufwand von mindestens einer Stunde je Schule Ressourcen im Umfang von rund 220 Stellen beanspruchen. Handlungsleitend für die Landesregierung ist jedoch, dass weniger Stellen in Bürokratie und mehr Stellen in die Unterrichtserteilung fließen sollen. – Das haben Sie mit unterschrieben, Herr Laschet. So ist die ganze Geschichte gewesen.
(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE] – Armin Laschet [CDU]: Warum kann es jedes Bundesland, warum nur wir nicht?)
– Wunderbar, jetzt kommen wir nämlich in die Sachdebatte. Sie haben genauso wie Kollegin Vogt das Gutachten nicht gelesen. In der Übersicht steht nämlich: Es gibt Bundesländer, die machen diese Übersichten, genauso wie hier Stichproben durchgeführt worden sind. Und in jedem Bundesland ist es genau so, wie wir es hier haben: Der Landesrechnungshof legt andere Zahlen vor und erklärt, die Statistik stimme nicht.
Also müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Wie bekommen wir das bessere Verfahren hin? Das ist genau die Sachdebatte, die wir in der Auseinandersetzung mit diesem Gutachten führen müssen.
Dann nützt es mir auch nichts, wenn in „Westpol“ der Kollege aus dem Ministerium aus Rheinland-Pfalz auftaucht, der das genau nicht sagt. Die machen die Erhebung, aber sie ist jedes Jahr genauso umstritten.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
Da nutzt es mir auch nichts, wenn ein Schulleiter –Herr Laschet, gehen wir einmal zusammen dahin und gucken wir uns das an sagt: Ich muss nur aufs Knöpfchen drücken. Dann wird zwar eine Stundentafel übermittelt. Aber damit wird nicht festgestellt, wie die Schule ihren Unterricht organisiert hat, ob sie aus 100 Schülern fünf Kurse mit 20 Schülern oder vier Kurse mit 25 Schülern gebildet hat und ob der Lehrereinsatz überhaupt noch stimmt, den man sinnvollerweise verantworten kann. Das kann man in einer solchen einfachen Statistik so nicht abbilden. Deswegen müssen wir uns mit diesem Gutachten auseinandersetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Da helfen die Mätzchen und diese Theaternummer von Frau Vogt den Schulen überhaupt nichts. Sie helfen den Eltern nicht, und sie minimieren auch den Unterrichtsausfall nicht. Deswegen bitte ich, was das Profil der Schulpolitik der CDU angeht, zur Sachdebatte zurückzukommen und diese Mätzchen zu unterlassen.
Deswegen werden wir diesen Antrag natürlich heute ablehnen. Aber wir gehen offensiv in die Debatte mit den Experten Herrn Prof. Reintjes und Frau Prof. Bellenberg, um ihnen diese Frage zu stellen. Das ist doch das Interessante: Es gibt Schulen in Nordrhein-Westfalen, die kriegen das hin. Ich will wissen: Wie ist das übertragbar? Wie können wir das steuern? Die Kolleginnen und Kollegen des Haushaltskontrollausschusses sollen direkt dazukommen, weil wir ein solches Instrument brauchen und nicht diese billigen Klamauk-Debatten, die so flach sind, dass man sie eigentlich gar nicht mehr erwähnen sollte.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sowohl das Gutachten, das hier schon oft herhalten musste, als auch das bisherige Vorgehen von Rot-Grün bei dem wichtigen Thema „Unterrichtsausfall“ sind Eltern, aber auch Lehrern gegenüber – das muss ich an dieser Stelle leider sagen – ein Affront; denn Unterrichtsausfall ist keine Verschlusssache, die es geheim zu halten gilt. Unterrichtsausfall ist auch kein Kavaliersdelikt und keine Bagatelle. Unterrichtsausfall kann zu massivem Qualitätsverlust im Rahmen der Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen führen. Gerade deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit Ihrem Anspruch, kein Kind in Nordrhein-Westfalen zurücklassen zu wollen, auch den Unterrichtsausfall permanent im Fokus Ihrer Arbeit haben.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Beteiligte und Betroffene haben ein Recht darauf, zu erfahren, was an den Schulen passiert und ob, aber auch wie Unterricht tatsächlich erteilt wird; Stichwort „fachfremd“. Eltern und Lehrer, aber auch wir, das Parlament, haben ein Recht auf Transparenz.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, seit Sie hier die Regierung übernommen haben, haben Sie die Hände in den Schoß gelegt und eine Erfassung des Unterrichtsausfalls nicht mehr durchgeführt. Dieser jahrelange Stillstand lässt kaum einen anderen Schluss zu als den, dass es eine gezielte Strategie war.
Es ist richtig, dass der Landesrechnungshof in seiner Überprüfung im Jahr 2011 letztendlich einen höheren Anteil als zuvor ermittelt angegeben hat. Genauso richtig ist es aber auch, dass der vom Landesrechnungshof stichprobenartig ermittelte Unterrichtsausfall in Höhe von 5,8 % für das Schuljahr 2008/2009 nur halb so hoch war wie zuvor unter Rot-Grün. Im Jahr 2000 hatte der Landesrechnungshof nämlich sage und schreibe 10,6 % Unterrichtsausfall konstatiert. Frau Ministerin Löhrmann, Sie trugen damals bereits Mitverantwortung. Das heißt, der Unterrichtsausfall war laut Landesrechnungshof doppelt so hoch wie in Regierungszeiten von FDP und CDU,
(Beifall von der FDP und der CDU)
und das, Frau Hendricks, muss man der Vollständigkeit halber auch erwähnen.
Nach jahrelangem Nichtstun beauftragte oder – besser gesagt – zwang das Parlament die Ministerin vergangenes Jahr, ein Gutachten zur Erfassung des Unterrichtsausfalls in Auftrag zu geben. Mit einiger Verwunderung stellt man dann fest – der Name ist schon gefallen –, wer damit beauftragt wurde, nämlich eine Professorin, die hier im Landtag bereits eine Studie zum integrierten Lernen vorgestellt hat.
Und jetzt bringe ich einmal die Journalisten ins Spiel. Diese haben nämlich nach langem Bohren von dieser Professorin erfahren, dass die Ergebnisse streng genommen nicht repräsentativ seien. Es handelt sich um eine Professorin, deren Veröffentlichungen von Fachverbänden bereits des Öfteren als unzureichend und auch tendenziös kritisiert worden sind.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Unglaublich! Das ist unglaublich!)
Ich finde, Frau Ministerin Löhrmann, es ist angebracht, dass Sie dem Parlament Ihre Wahl für diese Professorin hier ein wenig erläutern.
(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist ja unglaublich!)
In der Tat stellt sich bei diesem Gutachten die Frage der wissenschaftlichen Qualität. Ich nenne Ihnen gerne zwei Beispiele hierzu.
Das Gutachten erklärt explizit – ich darf zitieren –,
„dass sich die Ergebnisse – vor allem jene aus der internationalen Forschung – nicht ohne Weiteres auf die Situation in Deutschland allgemein und im Bundesland Nordrhein-Westfalen im Besonderen übertragen lassen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Und das ist unwissenschaftlich, oder was?)
Die Studien kommen zu unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Befunden.“
Zitat Ende. Und trotzdem kommt das Gutachten auf eben dieser Basis zu dem Schluss, dass sich Unterrichtsausfall im Grunde nicht sonderlich auswirkt und überschätzt wird.
Als zweites Beispiel werden Zahlen ermittelt, wie viele Stunden, also letztlich Lehrerstellen, für unterschiedliche Formen der Erfassung von Unterrichtsausfall benötigt würden.
Jetzt erwartet man, dass in diesem Gutachten entsprechend klar dargelegt wird, auf welcher Basis diese Zahlen empirisch ermittelt wurden. Aber weit gefehlt!
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Fragen Sie sie selbst! Sie können es doch widerlegen! Das können Sie mit ihr diskutieren!)
Denn im Gutachten heißt es:
„Die hier zu Grunde gelegten Zahlen sind nicht empirisch geprüft, sondern Annahmen …“ Zitat Ende.
Und auf dieser Basis, nämlich einer Annahme, wird dann eine Zahl von 700 Lehrerstellen für eine landesweite schulscharfe Erfassung ermittelt, die durch die Presse ging. Ja, Frau Beer, es gilt, das zu ermitteln, aber es gibt einen großen Unterschied, den Sie auch schon genannt haben. Denn im Rahmen dieser Großen Anfrage der SPD aus dem Jahr 2010 haben die Fachabteilungen des Ministeriums erklärt, dass für die Einführung einer zentralen, flächendeckenden und ganzjährigen Dokumentation des Unterrichtsausfalls 220 Stellen benötigt werden.
Jetzt frage ich Sie, Frau Beer, aber auch Sie, Frau Löhrmann: Wenn das stimmt – und ich gehe davon aus, dass wir damals nicht angelogen worden sind –, dann ist doch dieser Unterschied
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es geht doch darum, was man erfasst!)
zwischen den 220 und den 700 Stellen aus dem Gutachten ein gewaltiger und mit klarem Menschenverstand nicht zu belegender Unterschied. Und empirisch ist es erst recht nicht belegt, was im Gutachten auch gesagt wird.
(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Wenn man fragt, was man erfasst, Frau Gebauer!)
Frau Ministerin Löhrmann, es ist Ihre Aufgabe, für qualitativen Unterricht an unseren Schulen zu sorgen. Aber Sie haben natürlich auch die Aufgabe, dass dieser Unterricht entsprechend erteilt wird. Und daher gehört es im Umkehrschluss selbstverständlich auch zu Ihren Aufgaben, nachzuforschen bzw. sich in regelmäßigen Abständen von den Schulen berichten zu lassen – und das mit vergleichbaren Daten –, an welchen Schulen warum und wie viel Unterricht ausfällt. Nur wenn uns diese Daten vorliegen, können wir entsprechend arbeiten.
Sie haben die Aufgabe, dass wir für Eltern und Schulen Transparenz in Sachen Unterrichtsausfall bringen, und deshalb ist es zwingend notwendig, dass wir eine repräsentative Unterrichtsausfallstatik in Nordrhein-Westfalen einführen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie noch einen Moment am Rednerpult stehen bleiben? Frau Kollegin Beer hat den Wunsch zu einer Kurzintervention geäußert.
Yvonne Gebauer (FDP): Ja.
Sigrid Beer (GRÜNE): Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben ausgeführt, dass die 220 Stellen in der Großen Anfrage genannt worden sind. Frau Bellenberg hat mit dem Kollegen Reintjes noch etwas anderes aufgeschrieben. Das Problem besteht gerade darin – ich habe es eben schon benannt –, dass die bisherigen Stichproben überhaupt nicht hinreichend sind, weil sie nicht alle Parameter erfassen.
Sie geben mir doch recht, dass gerade die innere Schulorganisation Probleme aufweist. Wir bekommen oft Anfragen, in denen sich die Schulen darüber beklagen, dass ihnen beispielsweise ein bestimmter Fachlehrer fehlt. Dann gehen wir den Vorgängen nach, und dann stelle ich in den Schulen fest, dass es dort manchmal – ich nenne es einmal so – eine suboptimale innere Schulorganisation – das betrifft auch die Kursbildung – gibt. Insofern muss man dort ansetzen und eine Menge tun.
Wenn man so etwas erfassen will, muss man die bisherige Erfassung mit noch größerem Aufwand betrachten. Daher sollten wir mit Frau Prof. Bellenberg insbesondere darüber reden, ob sie solche qualitativen Instrumente mit im Blick hatte, als es um die Stellenkalkulation ging.
Frau Kollegin Gebauer, Sie haben mir umgehend geantwortet, dass Sie es in Ordnung fänden, wenn wir mit der Gutachterin und dem Gutachter sprechen würden. Warum führen wir dann eine so vordergründige Debatte mit Spekulationen und Beschimpfungen von Wissenschaftlerinnen, obwohl wir noch nicht einmal persönlich mit ihnen gesprochen haben?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Frau Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Liebe Frau Beer, eine Frage konnte ich Ihrerseits jetzt nicht erkennen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das war eine Kurzintervention!)
– Genau, aber ich will trotzdem darauf eingehen
Natürlich müssen wir genau schauen, wie viel Aufwand vor Ort notwendig sein wird. Aber diese 700 Stellen, Frau Beer, sind ein Totschlagargument gegen die Einführung einer Unterrichtsausfallstatistik,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Fragen Sie doch selbst einmal nach!)
und darum ist dieses ganze Gutachten so fragwürdig.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Da dies noch nicht einmal empirisch hinterlegt worden ist, kann ich doch wohl zu Recht Zweifel äußern. Und was die 220 Stellen anbelangt, kann man nicht erkennen, dass wir in Nordrhein-Westfalen unter enormen Schülerzuwächsen leiden, die sich in dieser Zahl widerspiegeln. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Abgeordnete Pieper.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber Sie räumen selbst ein: Wenn die Stellen so viel ausmachen, dann ist es ein Totschlagargument! Dann geht das so nicht, Frau Gebauer! Dann wollen wir der Fährte mal folgen!)
Frau Pieper, Sie haben das Wort.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer, unter denen sich sicherlich einige Betroffene befinden! Der vorliegende Antrag gibt uns die Gelegenheit, über Unterrichtsausfall und die Erhebung von Unterrichtsausfall zu sprechen. Das ist ein wichtiges Thema, und das begrüßen wir.
Schaut man dann aber auf den Titel dieses Antrags, relativiert sich das Ganze: „Unterrichtsqualität fördern heißt Unterrichtsausfall erfassen!“ Eine Verbesserung der Unterrichtsqualität, liebe Kollegen der CDU, steht erst einmal in keinerlei Zusammenhang mit der Erfassung von Unterrichtsausfall und deren Daten.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Die Menge an Unterricht und Unterrichtsausfall sagt über die Qualität zunächst gar nichts aus.
Der Zeitpunkt der Debatte ist völlig unpassend - wir haben das gerade schon von anderen gehört -, denn es gibt die Verabredung, mit dem Landesrechnungshof und mit der Gutachterin zu reden. Das jedoch, was Sie jetzt veranstalten, läuft ein bisschen unter dem Deckmäntelchen: Die nehmen uns jetzt das Thema, die klauen uns unser Schippchen.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Wir haben mehrfach erlebt, dass zwar im Ausschuss Verabredungen getroffen wurden, Sie dann aber irgendwie vorpreschen, um ein paar Punkte zu sammeln. Das hat mit Sachpolitik reichlich wenig zu tun.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben sich in dem Antrag zunächst einmal selbst recht nett auf die Schulter geklopft, da der Landesrechnungshof Sie angeblich für Ihr Engagement während Ihrer Regierungszeit gelobt habe. Diese Interpretation halte ich zumindest für fragwürdig.
(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Der Wert der Erhebung des Landesrechnungshofs war damals nämlich genau wie jetzt auch doppelt so hoch wie das, was die Landesregierung damals erhoben hat. Es gab also keinen Unterschied.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: In allen Bundesländern ist das so!)
Auch wir wollen, dass der Unterrichtsausfall erhoben wird. Wir freuen uns auf die Gelegenheit, im Ausschuss mit den Gutachtern zu diskutieren. Wir haben dazu eine Reihe von Fragen. Der hohe Aufwand, den das Gutachten für die Erhebung des Unterrichtsfalls ausweist, erscheint uns fragwürdig; denn die Informationen liegen bei den Schulen vor.
Im Gutachten wird vorgeschlagen, dass die Schulleitungen die Schulkonferenz informieren sollen. Da fragen wir uns, ob die Daten, die hierfür zugrunde liegen, nicht mit weniger Aufwand zusammengeführt werden könnten.
Es ist auch zu prüfen, ob eine verbesserte Schulverwaltungssoftware eine Hilfe sein könnte. Dabei darf man den Datenschutz nicht außer Acht lassen; das ist von vielen angemahnt worden. Das gilt ganz besonders, wenn man dazu übergeht, Bildungsbiografien zu recherchieren und diesbezüglich Daten zu erheben. Insbesondere in diesem Fall muss darauf geachtet werden, dass datenschutzrechtliche Aspekte sehr genau bedacht und erörtert werden. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiges Thema.
Die Erhebungen, die zuletzt für das Schuljahr 2009/2010 durchgeführt wurden, waren unzureichend. Deshalb ist es richtig, Methoden für eine aussagekräftige Erhebung zu prüfen. Die Stichproben, mit denen bisher gearbeitet wurde, bilden hierfür nicht die geeignete Basis. Außerdem wurde der strukturelle Unterrichtsausfall eigentlich gar nicht berücksichtigt, obwohl dieser doch der Punkt ist, den man im Auge behalten sollte. Wenn Schulen gar nicht in der Lage sind, den Unterricht anzubieten, den die Bildungsgänge vorsehen, wenn zum Beispiel ein Jahrgang ein ganzes Jahr lang keine einzige Stunde Musikunterricht erhält oder wenn viel weniger Sport angeboten wird als vorgesehen, dann müssen wir uns mit diesen Punkten dringend beschäftigen.
(Beifall von den PIRATEN)
Außerdem – auch das wurde gerade schon gesagt – brauchen wir für eine aussagekräftige Erhebung erst einmal eine klare Definition von Unterrichtsausfall. Was ist eigentlich Unterrichtsausfall? – Bisher gibt es diese Definition nicht, und in den verschiedenen Bundesländern werden verschiedene Methoden angewandt und verschiedene Kriterien benannt, was Unterrichtsausfall ist.
Frau Vogt, wenn Sie sagen, in NRW falle mehr Unterricht aus als in den anderen Bundesländern, dann muss ich Ihnen erwidern, dass Sie das Gutachten offensichtlich nicht richtig gelesen haben.
(Beifall von den PIRATEN)
Darin steht doch ganz deutlich, dass die einzelnen Länder Unterrichtsausfall völlig unterschiedlich definieren und auch unterschiedliche Methoden anwenden, um diesen zu erheben. Dass es also keine Vergleichbarkeit geben kann, ist eigentlich klar.
Daher halte ich es für unheimlich wichtig, langfristig über ein Instrument zu verfügen, das alle Bundesländer nutzen können. Auch wenn wir jetzt in NRW etwas machen, sollte sich die Kultusministerkonferenz auf Dauer auf ein Verfahren einigen. Denn erst dann schaffen wir eine Vergleichbarkeit.
(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Aber das muss man verstehen!)
Uns ist die Erhebung von Unterrichtsausfall auch deshalb wichtig, weil das ein Indikator für die Versorgung unserer Schulen mit Lehrern ist. Es wäre gut, wenn wir prüfen könnten, in welchem Ausmaß vorgesehener Unterricht nicht stattfinden kann. Ohne diese Erhebung haben wir nur die „Kienbaum-Lücke“ und die Lehrerbedarfsdeckungsquote, um zu beurteilen, ob genug Lehrer an den Schulen sind. Beides wird von der Landesregierung mit dem Haushalt ausgewiesen.
Aktuell liegt die Lehrerbedarfsdeckungsquote für die verschiedenen Schulformen zwischen 101,3 % bei den Berufskollegs und 105,4 % bei den Grundschulen. Das klingt erst mal besser, als es ist; denn von einer guten Ausstattung der Schulen spricht man ab einer Quote von 105 %. Diese wird leider in keiner der weiterführenden Schulformen erreicht. Das heißt, hier ist der Puffer viel zu klein.
Klar ist: Wenn zu wenige Lehrer da sind, wird auch das beste Vertretungskonzept der Welt Unterrichtsausfall nicht verhindern. Wenn es keine ausreichenden Vertretungsreserven an den Schulen gibt, werden den Kollegien zusätzliche Belastungen auferlegt. Denn es gibt kein einziges Vertretungskonzept, das nicht zur Mehrbelastung der anderen Kollegen führt. Das bedeutet immer in irgendeiner Form Mehrarbeit.
Beliebtes Instrument ist dabei die angewiesene Mehrarbeit – das kenne ich selber auch sehr gut –, die meistens ohne Bezahlung erfolgt. Man kommt zweimal in der Woche schon um acht, obwohl der Unterricht erst um zehn beginnt. Wenn ein Kollege krank ist, macht man die Stunden eben auch noch, und dafür gibt es nichts.
Wir müssen uns über die Möglichkeiten der Erhebung von Unterrichtsausfall weiter Gedanken machen. Vor allem aber müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen, die Versorgung unserer Schulen mit Lehrern zu verbessern, um die Kolleginnen und Kollegen zu entlasten. Dann können wir auch mit Recht sagen, wir täten etwas für die Verbesserung der Unterrichtsqualität.
Der Anspruch, die Zahl der Unterrichtsausfälle zu erheben, ist richtig. Insoweit stimmt der Antrag. Aber, liebe CDU – uns geht es auch manchmal so ?, Ihr Antrag kommt zum falschen Zeitpunkt, ist zu kurz gesprungen und schlecht gemacht. Deshalb können wir uns nur enthalten.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Vogt, mehrfach rühren Sie hier verschiedene Dinge durcheinander. Die Qualität Ihres Beitrags und des Unterfangens lässt sich auch daran ablesen, dass Sie die Schulvergleichsstudien, die letzten Daten, die wir hatten, heranziehen, um zu belegen, dass das Auswirkungen der Mittelkürzungen in 2013 seien. Noch mal zu Ihrer Information: Die Datenerhebungen haben 2012 stattgefunden. Das kann also nichts mit den bedauerlichen Entscheidungen zur Kürzung der Flexmittel zu tun gehabt haben. Das zeugt von der Qualität Ihrer Betrachtungsweise.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat seit 2001 über Stichprobenuntersuchungen – anfangs im zeitlichen Abstand von zwei Schuljahren, seit 2005 jährlich – den Unterrichtsausfall an den allgemeinbildenden Schulen erhoben.
Die letzte Erhebung betraf das Schuljahr 2009/10 und wurde im Juni 2011 veröffentlicht. Gemäß dieser Untersuchung betrug der Unterrichtsausfall in zwei Wochen während der Unterrichtszeit 2,4 %. Die damalige Landesregierung hat sich dafür gefeiert. Die Wahrnehmung von Eltern, Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern vor Ort wich jedoch vielfach davon ab.
Zu einer deutlich anderen Einschätzung – ich sage es ausdrücklich noch einmal – kam der Landesrechnungshof. Er hat nämlich hochgerechnet, bestätigt und eine Zahl erhoben, die bei 4,8 % liegt, also doppelt so hoch. Der Jahresbericht 2011 des Landesrechnungshofs ist daher keineswegs, wie die CDU behauptet – Frau Pieper hat es schon gesagt –, als Anerkennung der Bemühungen der damaligen schwarz-gelben Landesregierung zu verstehen. Im Gegenteil!
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie betreiben hier Geschichtsklitterung. Sie unterstellen politische Motive. Der einzige Grund, warum wir das ausgesetzt haben, ist ein qualitativer. Wir wollen uns nicht mit quantitativen Erhebungen, die unglaubwürdig und umstritten sind, zufriedengeben, sondern wir wollen den Versuch unternehmen, zu einer qualitativen Herangehensweise zu kommen. Ich bin dankbar, dass Frau Pieper die Regierungskoalition zumindest bei diesem Unterfangen unterstützt.
Es geht ja noch weiter. Herr Kaiser hat in einer Ausschusssitzung erklärt: Wir wollen konstruktiv daran mitwirken. – Eine Woche später fällt ihm seine Nachfolgerin in den Rücken und macht diese populistische Shownummer.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Herr Kaiser, es ist doch auffällig: Wann immer Frau Vogt spricht, ziehen Sie den Kopf ein. Manchmal gehen Sie ganz raus. Bei den Beiträgen müssten Sie eigentlich rot werden. Es ist doch offensichtlich, was im Schulausschuss stattfindet.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich will Ihrem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen. Die Empfehlung des Landesrechnungshofs, an jeder Schule eine Unterrichtsausfallstatistik einzuführen, wurde so bereits 1999 ausgesprochen. Mit ihrer Antwort auf die Große Anfrage 40 vom 3. Februar 2010 hat, wie der Landesrechnungshof in seinem oben genannten Jahresbericht ausführt, die damalige schwarz-gelbe Landesregierung eine schulscharfe Vollerhebung des Unterrichtsausfalls mit der Begründung abgelehnt – ich zitiere –, „dass weniger Stellen in Bürokratie und mehr Stellen in die Unterrichtserteilung fließen sollen.“
Diese vernünftige Auffassung wird von der CDU-Fraktion heute offensichtlich nicht mehr vertreten, Herr Kaiser. Das sollte Ihnen doch zu denken geben. Sie sind unglaubwürdig. Das zeigt die Motivlage Ihres Antrags. Es geht Ihnen nicht um die Sache, sondern es geht Ihnen um vermeintliche Vorführeffekte. Sie haben sich offenbar sehr in der Krawallopposition eingerichtet, statt sachbezogen an den Lösungen der differenzierten Fragen zu arbeiten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich müssen angesichts der gravierenden Abweichungen die Ergebnisse der Stichprobenuntersuchung des MSW hinsichtlich des methodischen Ansatzes, des Untersuchungsziels und der konkreten Durchführungspraxis neu bewertet werden. Künftige Studien müssen nach Ansicht der Landesregierung ein realistisches Bild des Unterrichtsgeschehens liefern, mit vertretbarem Aufwand für Schule und Schulaufsicht durchführbar sein und sich schließlich daran messen lassen, ob sie der Politik und der Bildungsadministration echtes Planungs- und Steuerungswissen zur Verfügung stellen.
Dieses Wissen muss geeignet sein, die im Schulbereich vorhandenen Ressourcen effizient und zielgerichtet einzusetzen, damit die Vermeidung von Unterrichtsausfall als eines unter mehreren bildungspolitischen Zielen möglichst umfassend erreicht wird.
Meine Damen und Herren, ein zwischenzeitlich erstelltes und vorgelegtes Gutachten ist zu dem Ergebnis gekommen, dass keine der möglichen Varianten zur Erhebung des Unterrichtsausfalls den Kriterien genügt, die der Ausschuss für Haushaltskontrolle vorgegeben hat – im Übrigen ein einstimmiger Beschluss. Frau Vogt, Sie werden auch da wieder unglaubwürdig, wenn Sie nur den Teil zitieren, der Ihnen in den Kram passt, und den anderen Teil nicht, der genau die Kriterien, die ich eben beschrieben habe, deutlich macht. Das ist unseriöse Politik, die Sie hier betreiben.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Nur die bis 2009 durchgeführten Stichprobenerhebungen seien trotz der bekannten Mängel mit einem vertretbaren Aufwand für Schule und Schulaufsicht durchführbar. Das ist auch ein Hinweis dieses Gutachtens. Außerdem plädieren die Gutachter, ganz im Sinne der früheren schwarz-gelben Landesregierung, dafür – Zitat – „Ressourcen nicht in die Erfassung, sondern die Vermeidung von Unterrichtsausfall zu investieren.“
Diese Hinweise – ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich mir das Gutachten nicht zu eigen mache, es aber wert finde zu diskutieren –, auf die Qualität und nicht auf die Statistik allein zu schauen, sollten wir alle ernst nehmen, statt populistisch zu agieren.
Mein Bestreben war und ist, mit Ihnen gemeinsam zu prüfen, welchen Weg wir in Nordrhein-Westfalen künftig beschreiten wollen, um mit dem Thema „Unterrichtsausfall“ verantwortungsvoll umzugehen und qualitative Maßnahmen zu seiner Vermeidung zu entwickeln. Deshalb wurde das Gutachten den Ausschüssen zugeleitet. Deswegen hat der Schulausschuss – es wurde schon gesagt – mit Zustimmung der CDU entschieden, mit den Gutachtern die weiterreichenden Vorschläge zu diskutieren, und ich würde mich freuen, wenn alle Fraktionen, auch die CDU, an diesen Gesprächen konstruktiv teilnehmen würden. Ich bin gespannt auf die Diskussionen im Ausschuss.
Ich sage Ihnen heute Folgendes: Wenn wir nicht im Ausschuss zeitnah einvernehmlich zu einer Verständigung kommen, wie wir es zukünftig anders machen wollen, dann mache ich es mir ganz leicht, lieber Herr Kaiser, liebe Frau Vogt. Dann erheben wir zeitnah nach dem gleichen Muster, wie Sie es gemacht haben, die Daten, damit Sie nicht dann noch hergehen und unterstellen, wir hätten an dem Design irgendetwas geändert, um zu tricksen; das ist ja Ihre permanente Unterstellung. Dann machen wir das genauso wie früher. Dann können Sie uns das nicht vorwerfen. Dann hat die liebe Seele Ruh‘. Dann haben Sie Zahlen auf dem Tisch, an denen Sie sich abarbeiten können.
Wir wollen jedoch daran weiterarbeiten, qualitativ nach vorn zu kommen, statt uns hier mit einem reinen Zahlenwerk zufriedenzugeben.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Es ist die Haltung dieser Landesregierung, systematisch an der Qualität zu arbeiten. Ich bin gespannt, ob die CDU zur Sacharbeit zurückkehrt oder bei Ihrem populistischen Vorgehen bleibt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Die Kinder und Jugendlichen haben Anspruch auf eine seriöse Schulpolitik – die betreiben wir –, haben Anspruch auf qualitativen Unterricht, doch Sie wollen hier nur eine merkwürdige Debatte führen. Herr Kaiser, ich bin gespannt auf Ihren Beitrag und Ihr Erinnerungsvermögen und darauf, ob Ihr Nachdenken auf einmal aufgehört hat. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kaiser.
Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, Sie haben offensichtlich heute noch einmal Zeugnisse an die CDU-Fraktion austeilen wollen. Das heißt, Sie haben heute keine Ziffernoten verteilt, sondern vor allem Verhaltensnoten, die Sie abgeschafft haben, aber offensichtlich waren die doch nicht so ganz falsch.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Frau Löhrmann, zur Sache selbst. Wir müssen uns darüber klar werden; das ist das, was sachlich bleibt. Denn an Ihrer Tonlage und der der geschätzten Kollegin Beer konnte man sehen, dass Sie wirklich an der Wand standen.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Wer hier so aggressiv redet, hat offensichtlich etwas zu verbergen.
(Zuruf von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Deshalb habe ich Ihrem Redebeitrag sehr genau zugehört, insbesondere bei den Punkten, in denen ich erwähnt wurde.
Zunächst einmal müssen wir uns sachlich über einiges Klarheit verschaffen:
Wir müssen erstens Klarheit darüber haben, ob wir messen wollen oder nicht. Das ist das, was wir immer gesagt haben und was auch in meinem Beitrag im Schulausschuss zum Ausdruck kam. Wir sind an Messinstrumenten interessiert, die uns ein realistisches Bild vermitteln. Aber wir wollen messen – daran gibt es keinen Zweifel.
(Beifall von der CDU)
Zweiter Punkt, der wichtig ist, weil Sie fragen, wie es mit der Geschichte ist: Der Landesrechnungshof hat sich in zwei Untersuchungen mit Unterrichtsausfall befasst und festgestellt, dass sich dieser unter Schwarz-Gelb halbiert hat.
(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Was?)
Die Statistik des MSW kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass er halbiert worden ist. – Worüber man streiten kann, ist, dass der Landesrechnungshof von einer anderen Basis spricht, als sie der Stichprobe des Ministeriums zugrunde lag. Deshalb macht es Sinn, darin vertieft einzusteigen und darüber sachlich nachzudenken. Da sind wir zusammen.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Ein dritter Punkt: Sie neigen schon mal dazu, vermeintliche Unterschiede zwischen Frau Vogt und mir herauszustellen. Das können Sie sich sparen. Denn a) verstehen wir uns persönlich sehr gut und b) inhaltlich auch. Von daher sind alle Versuche, Gegensätze zu konstruieren, zum Scheitern verurteilt.
(Vereinzelt Beifall von der CDU)
Vierte Bemerkung: Sie haben seit vier Jahren die Verantwortung für das Ministerium für Schule und Weiterbildung. Wann wollen Sie endlich aufhören, Negatives auf alte Zeiten in den fünf Jahren Schwarz-Gelb zurückzuführen? Seit vier Jahren können Sie handeln; im Bereich „Unterrichtsausfall“ ist von Ihnen nichts getan worden. Das ist festzustellen.
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Quatsch!)
Um Ihnen einmal zu belegen, was Sie in dem Bereich machen, zitiere ich mit Genehmigung des Präsidenten heute aus einer Meldung aus Köln:
„Um wenigstens für den Kölner Raum einmal einen genauen Überblick über die ausgefallenen Unterrichtsstunden im vergangenen Jahr zu bekommen, hatte die Stadtschulpflegschaft Köln Ende 2013 einen Fragebogen an alle Kölner Haupt- und Realschulen verschickt – insgesamt knapp 45 Stück. Gerade mal einer sei zurückgekommen, sagt Elternvertreterin Beate Weyergans. ‚Der Leiter einer Hauptschule informierte uns dann, dass die Bezirksregierung Köln den Schulen untersagt habe, an der Aktion teilzunehmen.‘“
(Zuruf von der CDU: Aha!)
– Aha! – Das, was wir sagen, ist eben nicht nur laute Oppositionsrhetorik, sondern das ist offensichtlich gelebte Praxis. Das Thema „Unterrichtsausfall“ ist Ihnen unangenehm, weil Sie genau wissen, dass es da erhebliche Defizite gibt.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Zu dem Gutachten. – Das Problem ist doch: Die Diskussion über die Gutachten führt uns nicht weiter, wenn Sie keine Vorschläge machen.
(Beifall von der CDU)
Die Situation wurde von Frau Beer bereits angesprochen. Ich schätze Frau Bellenberg als Wissenschaftlerin uneingeschränkt. Deshalb habe ich das Gutachten auch komplett gelesen. Ich stimme aber nicht in allen Punkten damit überein, insbesondere nicht mit den Schlussfolgerungen.
Aber von der Analyse her gibt Frau Bellenberg viel mit. Sie sagt nämlich: Unterrichtsausfall erfassen macht nur dann Sinn, wenn es Steuerungsinformationen gibt. – Genau das ist ja der Punkt. Diese Steuerungsinformationen müssen wir haben. Sonst könnte es passieren, dass Sie im Bereich der Vertretungsreserve fehlsteuern. Sonst werden Sie keine verlässlichen Informationen erhalten, wie die Versorgung im Hinblick auf Unterricht zu werten ist; wie viel Prozent an Besetzung eine Schule braucht etc. Das heißt, diese Informationen müssen wir daraus generieren, und genau das wird angesprochen.
Ein Weiteres ist wichtig: Das Gutachten geht davon aus, dass Unterrichtsausfall traditionell erfasst wird, mit Strichlisten und mit Klassenbüchern, wie es sie seit hundert Jahren in den Schulen gibt. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen zu einem Modernitätsschritt gelangen, hin zu elektronischen Klassenbüchern. Dann ist das Problem, den Unterrichtsausfall zu erfassen, keine Frage von 700 Planstellen, sondern ein Vernetzungsproblem für die EDV und wie man das Ganze zusammenbringen kann. Das ist ein rein technisches Problem, das nur einmal zu lösen ist.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, …
Klaus Kaiser (CDU): Ich komme gleich zum Schluss. – Da sind wir konstruktiv mit Ihnen unterwegs. Da kann man Stichproben machen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Es gibt eine Zwischenfrage, Herr Kollege.
Klaus Kaiser (CDU): Weiterhin hat Frau Bellenberg gesagt, dass diejenigen, die den Unterricht am meisten benötigen und die am meisten unter dem Unterrichtsausfall leiden, die sind, die es am schwersten haben. Wenn Sie also hingehen, Frau Kraft, und davon sprechen, kein Kind zurückzulassen, dann ist jede Stunde, die ausfällt, ein Schlag ins Gesicht all dieser Kinder.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage.
Klaus Kaiser (CDU): Der Unterrichtsausfall benachteiligt diese Kinder.
(Zurufe von der SPD)
Sie lassen die Kinder zurück; und das ist das Schlimmste an dieser Situation. – Schönen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, wenn Sie noch einen Moment hierbleiben würden. – Es ist nicht ganz erkennbar: Ist es eine Kurzintervention oder ist es eine Zwischenfrage?
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Wenn er die Zwischenfrage zulässt, ist es eine Zwischenfrage!)
Einer Zwischenfrage hat er ja grundsätzlich schon zugestimmt.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Die war auch schon angemeldet!)
Bitte schön.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ich hatte beides angemeldet. – Danke schön, Herr Kollege Kaiser. Sie haben ja gesagt, dass wir Steuerungswissen brauchen. Da bin ich sehr bei Ihnen, und deswegen begrüße ich auch die Sachdebatte, die wir gemeinsam führen wollen.
Aber Sie kennen doch auch – und das ist meine Frage – die Praxis mancher Schulleitungen und wissen, dass die Frage der inneren Schulorganisation und Optimierung noch nicht an allen Stellen völlig ausgereizt ist.
(Beifall von der SPD)
Ist es dann nicht auch gut, dass Schulleitungen nicht auf diesem Stand Daten nach außen geben, die dann für die einzelne Schule zu unzureichenden Ergebnissen führen können? Deswegen habe ich Verständnis für den Hinweis,
(Zurufe von der FDP)
dass entsprechende Befragungen genau normiert sein müssen. Stimmen Sie dem zu?
Klaus Kaiser (CDU): Frau Beer, da ich leider auf mein Skript nur unzureichend zugreifen konnte, war das ein Punkt, den ich ausgelassen habe. Natürlich, wenn man sich dem Punkt sachlich nähert, wird man zunächst mit einer Stichprobe anfangen müssen. Wenn man das Ganze irgendwann elektronisch abwickeln möchte, kann man nicht sofort zu einer Kompletterhebung kommen.
Wir müssen auch Konsens darüber erzielen, was Unterrichtsausfall überhaupt ist. Ist ein Wandertag Unterrichtsausfall – ja oder nein? Auch hierüber können wir politisch diskutieren; die Landesregierung muss aber erst einmal eine Vorlage machen. Dies ist sie bisher jedoch schuldig geblieben.
Deshalb bin ich der Meinung: Wenn wir Schulen selbstständiger machen wollen – obwohl der Inklusionsprozess bei Rot-Grün ja eine Rückkehr zu Top-down ist –, dann ist es umso wichtiger, dass wir als Entscheidende valide Steuerungsinformationen erhalten. Wir wissen auch, dass das noch nicht überall gleich gut geschieht. Hier müssen wir gemeinsam einen Weg finden. Darüber können wir, glaube ich, konstruktiv diskutieren.
(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
Insoweit – wie Sie wissen, liebe Frau Löhrmann – gebe ich mir immer Mühe, einen Sachbeitrag zu leisten. Das habe ich in diesem Falle auch getan.
(Beifall von der CDU – Monika Pieper [PIRATEN] meldet sich.)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Frau Kollegin Pieper, ich bitte um Verständnis, aber die Redezeit war schon lange abgelaufen. Eine Kurzintervention wäre möglich gewesen, aber im Rahmen der Redezeit des Herrn Abgeordneten Kaiser. Ich bitte um Verständnis. Ich bitte auch die Kollegen, sich eher zu melden – im Rahmen der noch zur Verfügung stehenden Redezeit.
(Zuruf von den PIRATEN: Aber wir haben noch Redezeit!)
– Das ist selbstverständlich möglich; diese Redezeit ist noch vorhanden. Frau Kollegin Pieper, Sie haben das Wort.
Monika Pieper (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Kaiser! Jetzt haben Sie gerade hier vorne ausgeführt, was wir alles im Konsens machen wollen: Wir müssen über die Definition von Stundenausfall sprechen; wir müssen prüfen, welche Stichproben wir nehmen wollen usw. – Das zeigt doch eigentlich, dass dieser Antrag totale Show ist,
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
wenn Sie sagen, dass wir jetzt direkt abstimmen sollen. Und nachher einigen wir uns dann darauf, worüber wir eigentlich reden?
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Also, damit haben Sie jetzt gerade selber bewiesen, was für ein Unsinn das ist. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5043. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/5043 abgelehnt mit Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten gegen die Stimmen der CDU, der FDP und des fraktionslosen Abgeordneten Stein.
Damit sind wir am Ende des Tagesordnungspunktes 2.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
3 Sanierungsstau in der Verkehrsinfrastruktur auflösen – Ergebnisse der Bodewig-Kommis-sion umsetzen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5032
Ich eröffne die Aussprache, bitte um Ihre Aufmerksamkeit für den Tagesordnungspunkt 3 und erteile das Wort dem Abgeordneten Rasche von der FDP-Fraktion.
Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Nachträglich alles Gute zu den Feierlichkeiten, die stattgefunden haben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat 2.800 Unternehmen nach dem Zustand der Infrastruktur in Deutschland befragt und am vergangenen Montag bekannt gegeben, dass 64 % dieser Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit durch die Mängel im Straßenverkehrsnetz beeinträchtigt sehen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Einen Moment, Herr Kollege Rasche. – Ich bitte um Verständnis, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein neuer Tagesordnungspunkt. Viele verlassen den Plenarsaal. Ich bitte, das möglichst geräuschlos zu tun, und bitte auch die Regierungsbank, die Gespräche so zu führen, dass sie nicht stören. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rasche das Wort.
Christof Rasche (FDP): Ja, Herr Präsident, vielen Dank. So kann auch der Minister viel besser zuhören. Denn vieles von dem, was ich noch sagen werde, geht insbesondere ihn an.
Meine Damen und Herren, für die Verkehrsexperten ist diese Erkenntnis nicht neu. Es gibt einen breiten Konsens auch in diesem Hohen Hause: Eine hochwertige und bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur ist zentraler Standortfaktor mit enormer Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung in Nordrhein-Westfalen. Gerade Nordrhein-Westfalen als zentrale Logistikdrehscheibe in Deutschland und Europa muss ein großes Interesse daran haben, dass die Verkehrsinfrastruktur in einem funktionsfähigen Zustand erhalten bleibt und bedarfsgerecht ausgebaut wird.
Unsere Verkehrsinfrastruktur befindet sich jedoch in weiten Teilen in einem sehr maroden Zustand. Der Nachholbedarf aufgrund unterlassener Erhaltungsmaßnahmen – der Begriff „unterlassene Unterhaltungsmaßnahmen“ ist sehr wichtig – beträgt bundesweit 40 Milliarden €. Jeden Tag verliert unser gesamtes Verkehrsnetz 13 Millionen € an Wert. Tag für Tag verlieren wir in Deutschland 13 Millionen €. Das Bewusstsein dafür, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, ist natürlich in der Politik – auch in diesem Hohen Hause – vorhanden. Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein klares Umsetzungsproblem.
Zur Lösung der drängenden Finanzprobleme der Verkehrspolitik ist ein möglichst großer Konsens über alle Partei- und Ländergrenzen hinweg unbedingt notwendig. Deshalb hat die Verkehrsministerkonferenz die Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ unter dem Vorsitz des früheren Bundesverkehrsministers Kurt Bodewig eingesetzt. Insgesamt sieben Landesverkehrsminister aus vier verschiedenen Parteien haben dort eine gemeinsame Position erarbeitet. Auch der Bund war mit Staatssekretär Rainer Bomba dabei. Das Ziel war, unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl und rechtzeitig vor Beginn der Koalitionsverhandlungen einen breit getragenen Vorschlag für eine verlässliche, auskömmliche und zukunftsfähige Finanzierung für alle Verkehrsträger und alle staatlichen Ebenen zu erarbeiten.
Zehn Tage nach der Bundestagswahl hat sich die Verkehrsministerkonferenz erneut getroffen und mit einem beachtlichen 16:0-Ergebnis Vorschläge unterbreitet, die den Koalitionsverhandlungen zugetragen wurden. Das Herzstück der Kommissionsvorschläge ist die Einrichtung eines Sondervermögens „nachholende Sanierung“, in dem zusätzliche Bundesmittel zweckgebunden und überjährig zur Verfügung gestellt werden. Dadurch wird zum einen die dringend benötigte Planungs- und Finanzierungssicherheit geschaffen – das versuchen wir seit Jahren zu erreichen –, und zum anderen können durch dieses neue Finanzinstrument erhebliche Einsparungen erzielt werden.
Nun zu Minister Mike Groschek, der im Land bekannt ist für Lautstärke und für große Sprüche wie etwa „Kein ÖPNV auf lau“ – ich könnte noch viele aufzählen – und auch in diese Arbeit eingebunden war: Zu dem 16:0-Beschluss der Verkehrsministerkonferenz – er war dabei – sagte er:
„Damit nehmen die Länder die künftige Bundesregierung in die Pflicht, die Vorschläge umzusetzen.“
Obwohl Mike Groschek die Koalitionsverhandlungen selbst mit geführt hat – davon hat er oft berichtet –, ist ihm genau dieses, die künftige Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen, definitiv nicht gelungen. Mike Groschek spielt in Nordrhein-West-falen und auch hier im Landtag oft die große, laute Lokomotive, und in Berlin sitzt er, wie wir gesehen haben, im Schlafwagen.
(Beifall von der FDP)
Lieber Herr Minister, so erreicht man für Nordrhein-Westfalen leider nichts.
(Lachen von Minister Michael Groschek)
– Ja, Sie lachen. – Diese Schlafwagenpolitik kann man auf Nordrhein-Westfalen übertragen, meine Damen und Herren. Ein Landesminister, der im letzten Jahr 42 Millionen € an Bundesfernstraßenmitteln nicht verbauen konnte, hat natürlich im Bund bei der Forderung nach mehr finanziellen Mitteln ein Glaubwürdigkeitsproblem, lieber Herr Minister.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD bleibt weit hinter den Vorschlägen der Bodewig-Kommission zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zurück. Deshalb dürfen die einstimmig von den Ländern und Verkehrsministern parteiübergreifend getragenen Vorschläge der Bodewig-Kommission nicht zu den Akten gelegt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil wir in den Koalitionsverhandlungen zur Großen Koalition mit unseren gemeinsamen Zielen gescheitert sind, müssen wir diese Ziele jetzt umso mehr verfolgen, um am Ende etwas zu erreichen. Gefragt sind hier natürlich die nordrhein-west-fälischen Abgeordneten von CDU und SPD, um ihren Einfluss auf die Große Koalition geltend zu machen.
Wenn Sie, Herr Minister, am Ende sagen können, weil Sie etwas erreicht haben: „Ich habe den Schlafwagen verlassen und sitze jetzt wieder in der lauten Lokomotive“, dann würde ich Sie beglückwünschen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Fraktion der SPD spricht Kollege Breuer.
Reiner Breuer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Rasche, ich habe den Medien vor Kurzem entnommen, dass ein Meinungsforschungsinstitut ermittelt hat, ein Viertel der Bürgerinnen bedauere, dass Sie nicht mehr im Bundestag sitzen. Das heißt umgekehrt: Drei Viertel bedauern es nicht.
(Widerspruch von Christof Rasche [FDP])
Man muss aber wirklich sagen: Liest man die Anträge, die Sie in das Plenum des Landtags einbringen, wünscht man Sie manches Mal doch in den Bundestag zurück. Dann könnten Sie sich dort austoben und müssten Ihre Entzugserscheinungen nicht mit Anträgen auf dem landespolitischen Parkett auskurieren.
(Zuruf von Christof Rasche [FDP])
Dennoch stellen wir uns natürlich sehr gerne der Diskussion. In der Tat ist die Zukunft der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur ein zentrales verkehrspolitisches, aber auch wirtschaftspolitisches Thema. Bisher haben wir dort in vielen Teilen immer einen breiten Konsens erzielt.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Breuer, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rasche zulassen?
Reiner Breuer (SPD): Aber gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, bitte schön.
Christof Rasche (FDP): Herr Kollege Breuer, vielen Dank. – Sie haben uns gerade vorgeworfen, wir würden Bundespolitik in den Landtag hineintragen. Wie können Sie uns diesen Vorwurf vor dem Hintergrund machen, dass Sie, die SPD-Landtags-fraktion, es waren, die Kurt Bodewig in den Verkehrsausschuss des nordrhein-westfäli-schen Landtags extra eingeladen hat, damit wir uns Stunden Zeit nehmen, um uns genau mit diesem Thema zu beschäftigen? Das ist ein völliger Widerspruch. Oder Sie haben die Auffassung: Die SPD darf so etwas machen, die FDP aber nicht.
(Beifall von der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Reiner Breuer (SPD): Herr Kollege Rasche, Ihre Frage kann ich Ihnen einfach beantworten: Ihr Versuch, einen Keil in die Koalition von SPD und Grünen oder in das Verhältnis zum Minister treiben zu wollen, ist zu durchsichtig. Ich kann Ihnen sehr deutlich sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, einen Keil hineinzutreiben.
Klar ist: Die Koalition und jeder einzelne Abgeordnete hat die Interessen des Landes Nordrhein-West-falen und nicht einer wie auch immer gearteten Koalition auf Bundesebene zu vertreten. Das möchte ich ganz deutlich sagen.
(Zuruf von Christof Rasche [FDP])
– Herr Rasche, auch wenn zurzeit olympische Winterspiele stattfinden, werden Sie uns nicht aufs Glatteis führen. Wir werden für Sie keine verkehrspolitischen Pirouetten drehen, bei denen Ihnen oder uns schwindelig wird. Nein, wir fahren in der Verkehrspolitik eine weiterhin sehr klare Linie. Dabei wird es auch in Zukunft darum gehen, was gut für unser Land ist.
Deswegen sagen wir in aller Deutlichkeit und Klarheit: Das, was als Ergebnis bei den Koalitionsverhandlungen im Bereich der Verkehrspolitik herausgekommen ist, bleibt hinter den Erwartungen der SPD hier im Landtag zurück. Wir hätten uns gewünscht, dass deutlich mehr Geld zur Verfügung gestellt worden wäre. Aber an diesem Punkt der Koalitionsverhandlungen haben sich CSU/CSU und die Finanzer wohl durchgesetzt. Wir werden abwarten, ob das auf Dauer so bleiben wird.
Immerhin sind 5 Milliarden € zusätzlich bereitgestellt worden. Das ist mehr, als Sie in den letzten vier Jahren auch nur ansatzweise zum Thema gemacht, geschweige denn erreicht haben. Auf der Agenda bleibt eine grundlegende Reform für eine dauerhafte, verlässliche und effiziente Grundlage der Finanzierung. Das steht auch so im Koalitionsvertrag.
Es kommt jetzt darauf an, welche konkreten Schritte auch in der Verkehrsministerkonferenz weiter vorangetrieben werden. Aus unserer Sicht ist es erforderlich, beim Bund schnellstmöglich die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Sondervermögen „Nachholende Sanierung“ eingerichtet wird, das eine überjährige und verkehrsträgerübergreifende Finanzierung ermöglicht.
Das hätten Sie mit Ihrem Partner CDU auf Bundesebene auch schon erreichen können, Herr Rasche, haben Sie aber nicht. Dann hätten wir in diesem Jahr nicht nur 952 Millionen € verbauen können, sondern auch noch die 52 Millionen €, die Sie jetzt beklagen. Aber das haben Sie ebenfalls nicht auf die Reihe gekriegt.
Wir jedenfalls setzen uns dafür ein, dass die Zielsetzungen der Verkehrsministerkonferenz und der Bodewig-Kommission umgesetzt werden, haben aber Zweifel, ob Sie wirklich das wollen, was Bodewig und andere Experten auf Bundesebene festgehalten haben.
Sagen Sie uns doch einmal, wo Sie die 40 Milliarden €, die Sie für Ihr Sofortprogramm für die nachholende Sanierung erneut eingefordert haben, herbekommen? Sie werden wahrscheinlich wieder vorschlagen, die verkehrsbezogenen Steuereinnahmen ein bisschen umzuschichten. – Dann müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern aber auch sagen, wofür die 40 Milliarden € in den nächsten 15 Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen.
(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])
Das tun Sie eben nicht, und deshalb sind Sie mit dem, was Sie sagen, auch nicht glaubwürdig.
Nein, meine Damen und Herren, Sie müssen sich auch Gedanken über die Nutzerfinanzierung machen und dieses Thema ansprechen. Sie wissen, dass die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen kommen wird. Das wird stattfinden; es ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben und wird auch umgesetzt. Sie wissen auch, dass die Bodewig-Kommission aufgefordert hat zu prüfen, die Lkw-Maut auf alle Straßen auszuweiten, und zwar für Lkws ab 7,5 t. Der Koalitionsvertrag schließt eine solche Prüfung jedenfalls nicht aus.
Also, meine Damen und Herren, wir wollen an den Forderungen und Finanzierungsmodellen der Bodewig-Kommission festhalten und werden uns weiter dafür einsetzen, das zugestandenermaßen vorhandene Finanzierungsdelta tatsächlich schließen zu können und die Finanzierung stärker verursachergerecht zu gestalten.
Wir wollen uns eben nicht wie die Regionalpartei CSU für eine Vignette für ausländische Pkws einsetzen. Soweit ich weiß, will das auch die CDU nicht. Wir werden abwarten, wann der Minister mit einem konkreten Vorschlag um die Ecke kommt und wie er letzten Endes aussieht.
Abschließend, meine Damen und Herren, Herr Präsident, möchte ich an Sie alle appellieren, wirklich die Interessen von NRW voranzustellen. Dazu gehört es, dass wir stärker die Mittel für Nordrhein-Westfalen akquirieren. Dafür brauchen wir eine Transparenz der Bundesmittel, auch darüber, wie sie eingefahren werden. Damit spreche ich Toll Collect und die Mauterhebung an. Bis heute wissen wir nicht genau, wie hoch diese Einnahmen sind. Das Konsortium Toll Collect war Ihr Betriebsgeheimnis. Noch nicht einmal Bundestagsabgeordnete haben nach jetzigem Stand die Möglichkeit, zu erfahren, welche Gelder in Nordrhein-Westfalen eingefahren werden.
Das ist ein Skandal, den man sehr schnell beseitigen muss. Deswegen führt aus unserer Sicht eigentlich kein Weg daran vorbei, dass die demokratisch legitimierten Einrichtungen und Organe des Bundes endlich Zugriff auf diese Zahlen erhalten. Das können sie eigentlich nur in Eigenregie erreichen, die wir voranbringen wollen. Das, meine Damen und Herren von der FDP, ist aber wieder so ein Punkt, bei dem Sie propagieren: „Privat vor Staat! Da dürfen wir nicht ran!“ Das aber ist der grundlegend verkehrte Ansatz.
Insofern haben wir noch über viele Dinge zu diskutieren. Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist zu Ende, obwohl ich gerade auf Betriebstemperatur war. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir stimmen der Überweisung zu und werden in der Sache weiter diskutieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. – Für die CDU-Fraktion spricht der Herr Abgeordnete Voussem.
Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht alles, was der frühere Kanzler Otto von Bismarck gesagt und getan hat, war richtig. Das nur fürs Protokoll.
Bismarck hat aber einmal etwas sehr Kluges gesagt: „Politik ist die Kunst des Möglichen.“ Das heißt im Klartext: Nicht alles, was sinnvoll und richtig ist, kann gleich bzw. sofort umgesetzt werden. Auch die Forderungen der Bodewig-Kommission können nicht und werden nicht eins zu eins umgesetzt werden, auch wenn wir Verkehrspolitiker es für sinnvoll und richtig halten.
Kurt Bodewig hat der Verkehrskommission seinen Namen gegeben. Er hat innerhalb und an der Spitze dieser Kommission eine gute Arbeit geleistet. An dieser Stelle sage ich noch einmal unseren ausdrücklichen Dank dafür. Auch Kurt Bodewig aber weiß: Die guten Vorschläge der Kommission können nicht von heute auf morgen realisiert werden. Herr Bodewig weiß es auch deswegen, weil er selbst einmal Bundesverkehrsminister war. Damals sind auch nicht von heute auf morgen Milliarden Euro zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland vom Himmel gefallen.
Auch die FDP weiß, dass die Vorschläge der Bodewig-Kommission nicht eins zu eins umzusetzen sind. Ich frage mich daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum Sie diesen Antrag heute so gestellt haben; denn die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in der vergangenen Wahlperiode eine hervorragende Verkehrspolitik gemacht. Ich betone hierbei ausdrücklich das Gelb in der damaligen Bundesregierung. Nur noch einmal zur Erinnerung: Sie waren dabei.
In der vergangenen Legislaturperiode ist es Schwarz-Gelb im Bund gelungen, für die Verkehrsinfrastruktur weitere Investitionsmittel bereitzustellen, und zwar trotz notwendiger Haushaltskonsolidierung. Unrealistische Anträge der FDP-Bundes-tagsfraktion hat es damals nicht gegeben.
Den guten Kurs in der Verkehrspolitik wird auch die von der CDU geführte Bundesregierung in der neuen Koalition fortsetzen. Daher wurde im Koalitionsvertrag Folgendes festgeschrieben:
In den kommenden vier Jahren wird es zusätzlich 5 Milliarden € Bundesmittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geben. Das sind rund 1,25 Milliarden € im Jahr. Damit erbringt der Bund einen ersten Beitrag zur Sicherung der Verkehrsinfrastruktur. Das wird auch entsprechend umgesetzt werden. Die Eckpfeiler für eine erfolgreiche Verkehrspolitik der neuen Bundesregierung wurden also richtig gesetzt.
Inwieweit ein weiterer Aufwuchs der Investitionsmittel im Bund möglich sein wird, werden wir sehen. Die Bundesregierung jedenfalls hat ihre Hausaufgaben in Sachen Verkehrsinfrastruktur gemacht.
Daher bitte ich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion: Verlangen Sie bitte – nur weil Sie nicht mehr dabei sind – nicht von jetzt an bis 2017 nur noch Unmögliches von der Bundesregierung. Ich hätte auch lieber Schwarz-Gelb gehabt, lieber Kollege Rasche, aber es ist nun einmal so, wie es ist. Verlangen Sie also bitte nichts Unmögliches von dieser Bundesregierung.
Meine Damen und Herren, Politik ist die Kunst des Möglichen. Die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen fordert daher auch von der rot-grünen Landesregierung nicht mehr als das, was von 2005 bis 2010 möglich gemacht worden ist, zum Beispiel der konsequente Ausbau des Bundesfernstraßen- sowie des Landesstraßennetzes. Es gab im Jahre 2009 Rekordzahlen beim Bundesfernstraßenbau und beim Landesstraßenbau.
Wir werfen Rot-Grün vor, 2013 insgesamt 42 Millionen € für den Bundesfernstraßenbau nicht abgerufen zu haben. Das können wir guten Gewissens tun, denn wir haben zuvor das Gegenteil bewiesen.
Die CDU/FDP-Vorgängerregierung konnte unverbautes Geld aus anderen Bundesländern nach Nordrhein-Westfalen holen. Insgesamt waren es 143 Millionen € zusätzlich für den Bundesfernstraßenbau.
Wir werfen der NRW-Landesregierung auch vor, dass im Jahr 2013 nur 502 Millionen € für die Förderung sozialen Wohnraums abgerufen worden sind. Das können wir ebenfalls guten Gewissens tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, denn die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat 1 Milliarde € in diesem Bereich möglich gemacht.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, fordern Sie bitte nur das, was realistisch und möglich ist, und richten Sie bitte Ihre Kritik an die richtige Adresse. Verantwortlich für Versäumnisse bei der NRW-Verkehrsinfrastruktur ist die rot-grüne Landesregierung und nicht der Bund.
(Lachen von Reiner Breuer [SPD])
– Herr Kollege Breuer, Sie haben es erkannt. – Der Überweisung an den Ausschuss stimmen wir selbstverständlich zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege Voussem. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Voussem, für die Versäumnisse in der Verkehrsinfrastruktur sind immer viele verantwortlich. Wir wissen, dass es in den letzten Jahren eine Reihe von Regierungswechseln gegeben hat. Davon kann ich, glaube ich, von dieser Verantwortung auch grüne Regierungsbeteiligung nicht ganz ausnehmen. Das gilt aber auch für die Zeit, also Sie fünf Jahre lang an der Regierung waren.
Grundsätzlich geht der FDP-Antrag aus unserer Sicht in die richtige Richtung, auch wenn man dazu natürlich auch die Frage stellen kann, was in den Jahren 2009 bis 2013 passiert ist; denn, lieber Christof Rasche, die Ergebnisse der Bodewig-Kommission sind fast identisch mit den Ergebnissen der Daehre-Kommission. Diese hat schon im Herbst 2012 ihre Ergebnisse vorgestellt. Man hätte also schauen können, was in diesem Bereich schon passiert ist.
Grundsätzlich klar und richtig an dem FDP-Antrag ist aus meiner Sicht, dass der Koalitionsvertrag, den SPD und CDU/CSU in Berlin beschlossen haben, deutlich hinter das zurückgeht, was in der Daehre-Kommission mit 16 gegen null Stimmen beschlossen worden ist.
(Beifall von Christof Rasche [FDP])
Ganz klar ist festgestellt worden: Es gibt ein Defizit von 7,2 Milliarden € im Jahr. Wenn man jetzt, wie Sie, Herr Kollege Voussem, es getan haben, sagt, dass 5 Milliarden € auf vier Jahre festgeschrieben worden sind, dann ist das eine einfache Rechnung. Jedenfalls fehlen laut aller Analysen 30 Milliarden € auf vier Jahre gerechnet. Im Koalitionsvertrag sind 5 Milliarden € eingestellt worden. Das heißt, wir haben ein Defizit nur beim Erhalt von 25 Milliarden € in den nächsten vier Jahren. Es geht ja nur um den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur in Bezug auf Straße, Schiene und Wasserwege.
Es ist auch richtig, was in die Begründung des Antrages geschrieben wurde: Das stellt eine Gefährdung unseres Wirtschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen dar. Alle Betriebe – die kleinen, die Mittelständler und die Großbetriebe – werden es zu spüren bekommen, wenn hier weiter Straßen- und Schienenwege – wie das jetzt der Fall ist – verfallen.
Deswegen müssen wir hinbekommen, was wir auch im Ausschuss intensiv debattiert haben, nämlich eine gemeinsame, fraktionsübergreifende Initiative. Ich glaube gar nicht so sehr, dass es ein Parteienstreit ist, sondern es ist faktisch ein Streit zwischen Bund und Ländern, bei dem die Länder gemeinsam in Berlin ganz klar auftreten und fordern müssen: Wenn wir die Verkehrsinfrastruktur in den nächsten Jahren erhalten wollen, dann muss es eindeutig mehr Finanzmittel aus Berlin geben.
(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])
Das ist völlig unstrittig. Da muss man leider in Richtung Berlin bzw. CDU – denn das ist ja im Wahlkampf so gefahren worden – sagen: Man kann keine Strategie betreiben nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Man kann nicht von einem deutlichen Finanzierungsdefizit sprechen, dann aber Nein zu Steuererhöhungen und zu einer Ausweitung der Lkw-Maut sagen, während es diese seltsame Geschichte mit der Ausländer-Pkw-Maut gibt, die, wenn überhaupt, wahrscheinlich 300 Millionen € einbringt.
Wir haben ein Finanzierungsdefizit, aber es wird nicht beantwortet, woher das Geld kommen soll.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich gebe die klare Prognose ab: Es wird nicht mehr Geld geben. Wir werden in vier Jahren noch schlechter dastehen als heute, wenn diese Strategie fortgeführt wird.
Ich begrüße sehr den Brief, den der NRW-Verkehrsminister zusammen mit unserem grünen Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, Winfried Herrmann, geschrieben hat, weil darin noch einmal ganz klar formuliert worden ist, dass es um die Umsetzung der Ergebnisse der Bodewig-Kommission geht und darum, einen überjährigen Fonds zu schaffen, damit Gelder am Jahresende nicht verfallen. Es geht auch darum, mehr Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Mir ist klar, dass das ein Spagat für die SPD ist, die auf der einen Seite Regierungspartei in Berlin ist und auf der anderen Seite die Defizite hier in NRW anerkennt.
Aus meiner Sicht muss die Initiative aus den Ländern kommen. Und von dort muss viel Lobbyarbeit betrieben werden. Bei Herrn Dobrindt weiß man noch gar nicht, in welche Richtung es geht. Ich habe jedenfalls von ihm noch keine inhaltlichen Aussagen dazu wahrgenommen. Der Mann ist ja nun auch schon vier Monate im Amt; andere Minister aus der Regierung sind inzwischen ja schon zurückgetreten.
(Zustimmung von Hans Christian Markert [GRÜNE])
Ich bin sehr gespannt, was sein erster politischer Aufschlag in dieser Richtung sein wird. Was sagt er zu dem Prüfauftrag „Ausweitung der Lkw-Maut“?
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir sind uns doch einig: Wir brauchen eine klare Nutzerfinanzierung. 98 % der Straßenschäden werden durch Lkw verursacht. Deswegen muss diese Bundesregierung mitteilen, woher das Geld kommen soll. Wir aus NRW sind bereit, dazu einen fraktionsübergreifenden Aufschlag zu machen.
Deswegen stimmen wir der Überweisung des FDP-Antrages zu. Wir sollten im Ausschuss beraten, wie man aus diesem Antrag einen gemeinsamen Antrag machen kann, um damit als Landesparlament gemeinsam an die Bundesregierung ein Signal auszusenden.
Wir sind das größte Bundesland. Wir sind der größte Wirtschaftsstandort. Wir haben hier marode Verkehrswege. Jeder, der tagtäglich unterwegs ist, sieht das – auch im Vergleich zu den ostdeutschen Bundesländern. Wir müssen das gemeinsam auf die Reihe bekommen und dürfen nicht gegeneinander arbeiten. Das ist für uns alle eine wichtige Aufgabe. Deswegen sollten wir den FDP-Antrag in dieser Richtung weiterdiskutieren. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Bayer.
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen heute hier und in Zukunft! Wir können uns hier über die Politiker ärgern, die damals viel Infrastruktur bauen ließen, Geld für den Neubau bereitstellten, ohne aber Geld für die Instandhaltung dieser Infrastruktur einzuplanen, oder später die Instandhaltung auf noch später verschoben haben oder nicht ahnten, wie sich Mobilität in den Jahrzehnten danach entwickeln würde, weil sie vom Status Quo ausgingen.
Nun, was sollen die Menschen und Politiker in 30 Jahren über uns denken? Wie sehen sie es, dass wir das Problem des Instandhaltungsrückstands deutlich erkannt, prominent analysiert und für unglaublich wichtig befunden und dann dennoch vertagt haben? Was die dann denken, das darf ich hier am Rednerpult gar nicht sagen und noch nicht einmal twittern. Einen Moment!
(Oliver Bayer [PIRATEN] tippt etwas in sein Smartphone ein! – Vereinzelt Heiterkeit von den PIRATEN)
Aber schon jetzt werden ÖPNV-Systeme zurückgebaut; Langsamfahrstellen bringen den Fahrplan durcheinander, Schleusen bleiben wegen baulicher Mängel weit hinter ihrer eigentlichen Kapazität zurück, und wir haben Autobahnen, bei denen weit vor der geplanten Zeit die Brücken wegbröckeln.
Das wollen wir ändern!
Doch wenn wir einfach so weitermachen wie bisher und jetzt – mit Lippenbekenntnissen, dem Erheben des Zeigefingers in Richtung Bund und dem guten Glauben an den CSU-Bundesverkehrsminister, ohne Wende und ohne Umdenken –, dann haben wir auch in der Zukunft weiterhin die Verkehrsinfrastruktur von gestern, nur mit dem Unterschied, dass sie dann in einem so schlechten Zustand ist, dass wir sie nicht mehr so wie heute nutzen können.
Wir wissen alle: Diesen Rückstand und diese Fehlentwicklung noch viel später aufzuholen und Korrekturen nachzuholen, ist nahezu unmöglich. Wir benötigen dann eine solch hohe Summe und Ressourcen, die dann wirklich niemand mehr aufbringen kann. Das hat dann etwa die Dimension von Bankenrettung.
Ja, wir sollten zunächst diesem Antrag der FDP folgen. Ja, der Bund ignoriert die Erfordernisse sehenden Auges und muss in die Pflicht genommen werden.
Und in Richtung Herrn Breuers: 1,25 Milliarden € pro Jahr sind nur ein Bruchteil und nur dann wirksam, wenn man im regulären Haushalt den Verkehrsbereich nicht zunehmend kürzt. Und Herrn Voussem sage ich: Ja, das hätte nicht vom Himmel fallen müssen; denn Instandhaltungsrücklagen sollten eigentlich selbstverständlich sein.
Ein vermeintlicher Konsens im Antrag stört mich allerdings. Der Antrag spricht von „verkehrsträgerbezogenen Infrastrukturfonds“. Ich möchte eigentlich lieber „verkehrsträgerübergreifende Infrastruktur-fonds“ bzw. ein System, welches die aktuelle Relation der Verkehrsträger nicht zementiert.
Sie zitieren im Übrigen Herrn Groschek, wie er nur einen überjährigen Fonds fordert. Ich weiß nicht, ob ich das richtig verstanden habe.
In dem Antrag wird Minister Groschek aufgefordert, seinen Einsatz in der Verkehrsministerkonferenz fortzusetzen. Diese Unterstützung des Landtags möchte ich dem Minister auch gerne mitgeben.
Aber das reicht nicht! Denn dadurch passiert erst einmal gar nichts. Wir müssen auch hier im Land handeln. Wir müssen Prioritäten setzen, auch eigene Mittel einsetzen und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen alle Register ziehen, Mittel vorziehen, Informationen beschaffen, Transparenz einfordern und Verantwortung übernehmen. Wir brauchen auch einen Plan B, wenn der Bund weiterhin NRW benachteiligt. Und lange weinen bzw. trotzig sein, bis der Bund nachgibt, ist nicht Plan A.
(Beifall von den PIRATEN)
Plan A heißt Vorbild sein und im Interesse des Landes und mit Blick auf zukünftige Legislaturperioden handeln. Dazu gehört selbstverständlich, auf mögliche Mobilitätsszenarien der Zukunft zu achten, statt die Vergangenheit fortzuschreiben.
Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, aber Mobilität ändert sich. Und ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Öffentlicher Personennahverkehr, vor allem der ÖPNV, kommt in den Überlegungen des FDP-Antrages zu kurz – nämlich gar nicht vor. Dabei ist der ÖPNV das zentrale Element fast aller zukünftigen Mobilitätsszenarien und das zentrale Element der Mobilität, um das sich der Staat, also die Politik, also wir, kümmern müssen.
Ähnliches habe ich schon einmal gesagt, nämlich im Dezember beim Antrag der Piraten zu Infrastrukturkosten, zur Nichtumsetzung der Kommissionsempfehlungen im Bundeskoalitionsvertrag und zum Instandhaltungsrückstand im ÖPNV.
Daher: Fordern! Handeln! Den richtigen Schwerpunkt setzen! – Vielen Dank.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bayer. – Nun hat für die Landesregierung Minister Groschek das Wort.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der FDP-Antrag ist eine gute Diskussionsgrundlage, um weiter in Sachen Verkehrspolitik gemeinsam am Ball bleiben zu können.
Ja, Daehre-Kommission und Bodewig-Kommission haben den objektivierten Bedarf zutreffend beschrieben. Nein, der Koalitionsvertrag bildet diesen Bedarf nicht 1:1 in seiner Investitionsplanung ab. Das ist nicht besonders verwunderlich. Man kann darüber streiten, ob die Differenz zwischen Bedarf und Investitionsbereitstellung angemessen ist oder nicht. Das ist ein politischer Verteilungskampf.
Ich möchte einige Anmerkungen machen.
Erstens. Zu dieser Diskussion gehört – Herr Bayer hat zuletzt noch darauf hingewiesen –, dass wir nicht einem „Weiter so!“ frönen. Wir müssen diese Diskussion vielmehr mit einem verkehrsträgerübergreifenden Ansatz verknüpfen. Wir müssen auf Mobilität und nicht auf spartengebundene Verkehrspolitik der Vergangenheit abheben. Deshalb lautet die Finanzierungsperspektive der Zukunft: Überjährigkeit, verkehrsträgerübergreifend.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)
Zweitens. Der Bedarf ist ungleich der Kassenlage. Wir brauchen mehr Steuergeld für die Finanzierung. Wir brauchen mehr Bahngewinn für die Finanzierung. Wir brauchen mehr Mauteinnahmen. Wir müssen beim etablierten Bauen über Standardisierung mehr sparen. Wir brauchen kein „Mehr Privat“, denn das hat sich als Sackgasse erwiesen. Deshalb brauchen wir einen verlässlichen Staat und eine verlässliche staatliche Finanzierung.
Bei der Maut bleibe ich natürlich bei meiner Position, dass das politische Ziel sein muss, alle Verkehrswege für Lkw mautpflichtig zu machen. Der Internethandel schließt die Lücke zu den Kommunen in der logischen Argumentation. Deshalb ist das Projekt des Bundesstraßeneinstiegs aus Berlin nur ein erster Schritt und darf auf keinen Fall schon als Zielerreichung charakterisiert werden.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schemmer?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ja, selbstverständlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett. – Bitte schön, Herr Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie haben gerade vorgetragen, in welcher Form Sie wünschen, erwarten und hoffen, dass es mehr Geld des Bundes in den Verkehrssystemen gibt. Ich teile den einen oder anderen Wunsch. Wünsche darf man haben.
Meine Frage lautet: Wie verknüpfen Sie die angesprochene Vorgehensweise mit dem Nichtausgeben der Bundesmittel im letzten Jahr und insbesondere mit der eigenen Landeshaushaltssituation? Sie hatten zwar in den letzten vier Jahren eine Steigerung des Haushaltsvolumens um 20 %,
(Reiner Breuer [SPD]: Schöne Steigerung!)
aber haben 15 % weniger für Landesstraßen ausgegeben.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Das verknüpfe ich selbstverständlich durch konsequentes Handeln.
(Zustimmung von Reiner Breuer [SPD] – Lachen von Holger Ellerbrock [FDP])
Erstens haben wir den sehr fahrlässigen Beschluss korrigiert, dem Landesbestrieb Straßen 20 % mehr Personalabbau aufzuzwingen als allen anderen Ressorts. Diese Unvernunft gibt es mit der Verkehrspolitik dieser Landesregierung nicht mehr.
(Beifall von der SPD)
Zweitens haben wir den Stellenabbau durch einen Stellenaufwuchs an ganz prominenter Stelle korrigiert, nämlich beim konstruktiven Brückenbau, wo 20 zusätzliche Ingenieurinnen und Ingenieure eingestellt werden. Auch das ist ein guter Hinweis.
Drittens haben wir uns mit Blick auf die Zukunft der Planungsreserve der DEGES versichert. Das ist gemessen an der schwarz-gelben Praxis ein großer Fortschritt. Das bringt mich zu dem Hinweis, Herr Voussem: Von Bismarck stammt auch der Satz: Nicht jedes Gelb ist das Gelbe vom Ei!
(Beifall und Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister, für die sehr schöne Antwort. – Jetzt gibt es eine zweite Zwischenfrage. Würden Sie die noch zulassen?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Ja.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett. – Herr Schmalenbach, bitte.
Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möchte eine Frage wiederholen, die der Kollege Bayer in der letzten Ausschusssitzung gestellt hat. Darauf haben wir leider keine Antwort bekommen. Sie haben gerade erwähnt, dass Sie die Bundesstraßen mautpflichtig für Lkw machen wollen. Wollen Sie dafür die Gefahr eines Fiaskos wie bei Toll Collect bei den Autobahnen eingehen, oder wie soll das technisch realisiert werden?
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Nein, alle Lkw-Verkehre über die handwerkerrelevanten Tonnagen hinaus müssen mautpflichtig auf allen deutschen Straßen werden – sowohl in- als auch ausländische Lkw. Denn die Lkw sind die Hauptverursacher der großen Reparaturbedarfe. Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist den Pkw-Fahrerinnen und ?Fah-rern eine zusätzliche Maut nicht zumutbar, wenn man die Lkw-Verkehre als Verursacher des Dramas ungeschoren davonkommen lässt.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist eine rein volkswirtschaftliche Betrachtung.
Das bekommt man erstens hin, indem man endlich Toll Collect nationalisiert, bundespolitische Verantwortung für Toll Collect übernimmt und die Call-Option beansprucht. Das heißt: Nicht Telekom und Daimler dürfen weiterhin die betriebswirtschaftliche Verantwortung für dieses Unternehmen haben, sondern die Bundesrepublik Deutschland und wir alle müssen an dieser Stelle Verantwortung tragen.
Es darf kein modernes Raubrittertum von privatisierten Zolleinnahmen geben, die auf Verkehre erhoben werden, sondern nur wir haben nach meiner Überzeugung das Recht auf die Erhebung der entsprechenden Mauteinnahmen. Daher habe ich dem Bundesverkehrsminister im persönlichen Gespräch den folgenden dringlichen Rat gegeben: Herr Dobrindt, handeln Sie in unser aller Interesse und übernehmen Sie Toll Collect durch die Ausübung der Call-Option.
(Beifall von Reiner Breuer [SPD] und Arndt Klocke [GRÜNE])
Inwieweit das technisch möglich ist, darüber kann man gesondert sprechen. Ob Toll Collect bei der technischen Kompetenz genauso weit ist wie die Truppe aus Langenberg vor den Toren des Landtags, die technisch darum ringt, der neue Betreiber zu werden, weiß ich nicht. Aber für mich ist das vorrangig kein technisches, sondern ein politisches Problem. Die politische Lösung liegt nach meinem Verständnis auf der Hand.
Zurück zu meiner Rede: Ich glaube, dass die 5 Milliarden € ein Teilerfolg sind. Herr Voussem hat zu Recht beschrieben, wie um einen nicht größer gewordenen Kuchen hart gerungen wird. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass diese 5 Milliarden wirklich netto im Verkehr landen. Das dürfen keine Gelder zur Fremdfinanzierung des Digitalnetzes von Herrn Dobrindt werden.
(Beifall von der SPD)
Er nennt sich jetzt zwar Minister für Mobilität und Modernität, aber diese übergreifende, sich gegenseitig deckende Finanzierung muss verhindert werden. Ich kann nur davor warnen, die Augen davor zu verschließen, was aus diesen 5 Milliarden finanziert wird.
Meine Forderung ist glasklar: Das durch den Koalitionsvertrag nicht garantierte Geld zum Ausbau des Digitalnetzes darf nicht politisch missverständlich aus dem anderen Topf genommen werden. Das ist ein großer offener Punkt, an dem gemeinsam gearbeitet werden muss.
Insgesamt lade ich alle im Landtag vertretenen Fraktionen ein: Machen Sie mit beim Team-Building für Nordrhein-Westfalen! Ich leiste meinen Teil daran. Ich habe mit den entsprechenden Bundestagsabgeordneten der Parteien gesprochen, die auch im nordrhein-westfälischen Landtag vertreten sind und einen Vertreter im Verkehrsausschuss haben. Wir haben uns auf gewisse Vorgehensweisen verständigt. Bei den Koalitionsverhandlungen hat das Miteinander von Herrn Jarzombek und mir – meine ich jedenfalls – vernünftig geklappt, sodass ich glaube: Diejenigen haben recht, die potenziell eher einen Bund-Länder-Konflikt sehen als einen Streit der Parteien auf einer parlamentarischen Ebene.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir viel Gutes an Reparatur und bedarfsorientiertem Aus- und Neubau auf die Schiene, auf die Straße, auf die Kanäle setzen können. Dann können Sie gerne sagen: Ich sitze da in der Lok und da im Schlafwagen. – Das ist mir schnurzpiepegal, weil ich ja der Verkehrsminister bin, der eine Projektgruppe „Lärmbekämpfung“ eingesetzt hat. Also seien Sie gewiss: Auch da wird es ruhiger.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Groschek. – Wir sind am Ende unserer Aussprache und kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5032 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zu
Antrag
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/5028
Ich eröffne die Aussprache und erteile der antragstellenden Fraktion und damit Frau Pieper das Wort.
Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler, Eltern und Kollegen! Worum geht es uns in diesem Antrag? – Es geht, wie im Titel steht, um die Chancengleichheit an unseren Schulen und um gelingende Bildungsbiografien vieler Kinder und Jugendlicher. Denn wie wir wissen, Frau Löhrmann, wollen wir ja kein Kind zurücklassen.
Es geht um Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsschwächen, also um Kinder und Jugendliche, die ansonsten ganz normal begabt sind, aber Leistungsdefizite in begrenzten Teilbereichen haben. Am bekanntesten ist die Lese-Rechtschreib-Schwä-che. Es kann aber beispielsweise auch das Rechnen oder das Sprechen betreffen.
Neben möglichst früher spezieller Förderung brauchen die Betroffenen auch Nachteilsausgleiche. Hierzu sind die Leistungsanforderungen, die Unterricht und Prüfung stellen, so anzupassen, dass sie von den Betroffenen auch bewältigt werden können. Dazu können zum Beispiel Bearbeitungszeiten verlängert und angepasste Aufgaben gestellt werden. Ich kenne es auch von Klausuren, dass man Aufgaben nacheinander gibt und nicht nur einen Aufgabenzettel, der bei Schülern, die Prüfungsängste haben, dazu führt, dass sie gar nicht erst anfangen, eine Aufgabe zu lösen.
Von Teilleistungsschwächen ist eine relativ große Gruppe von Kindern betroffen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 13. Februar in einem Artikel über Dyskalkulie, also Rechenschwäche, bei Schülerinnen und Schülern. Dort wird der Anteil der betroffenen Kinder in den Grundschulen auf ca. 5 % geschätzt. Dort wird auch Christine Sczygiel vom Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie wie folgt zitiert:
„Es müsste aber endlich verbindlich festgelegt werden, welche Formen von Nachteilsausgleich es für Schüler mit Dyskalkulie gibt, …“
Das gilt aber längst nicht nur für Kinder mit Rechenschwäche, sondern auch für andere Teilleistungsschwächen. Es gibt zahlreiche Problemlagen, die bei Kindern und Jugendlichen mit unverminderter kognitiver Leistungsfähigkeit zu Lernproblemen führen. Das können zum Beispiel Nebenwirkungen von wichtigen Medikamenten sein, die Folgen einer epileptischen Erkrankung, aber auch andere Beeinträchtigungen, die zu Erschwernissen und Nachteilen im Lernprozess führen.
Wie wird im Moment in NRW ein Nachteilsausgleich gewährt? – Aktuell gibt es nur für Lese-Recht-schreib-Schwäche und Legasthenie einen Erlass. Für andere Teilleistungsschwächen gibt es keine eigene Regelung, auf die sich die Betroffenen berufen können, nur die allgemeine Formel – ich zitiere –:
„Soweit es die Behinderung oder der sonderpädagogische Förderbedarf einer Schülerin oder eines Schülers erfordert, kann die Schulleiterin oder der Schulleiter Vorbereitungszeiten und Prüfungszeiten angemessen verlängern und sonstige Ausnahmen von Prüfungsverfahren zulassen.“
Aber nicht alle Teilleistungsschwächen resultieren aus einer Behinderung oder begründen einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Hier sind neben der Rechenschwäche auch ADHS oder Beeinträchtigungen durch Nebenwirkungen von Medikamenten zu nennen.
Es geht längst nicht nur um Prüfungssituationen und Prüfungsverfahren. Ein Nachteilsausgleich muss auch für andere Lernsituationen auf den Prüfstand.
Diese Problematik wird sich mittelfristig verschärfen, wenn das AO-SF, die offizielle Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs, zunehmend an Bedeutung verliert. Im Moment ist festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf mit der Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs verbunden. Wenn dieses Instrument immer weniger eingesetzt wird, entwickelt sich eine Schülergruppe, für die es hier Rechtssicherheit geben muss.
In der Praxis kommt es bei der Gewährung von Nachteilsausgleichen häufig zu Konflikten. Eltern fühlen sich nicht verstanden und sind orientierungslos. Aber auch Lehrer sind oft nicht in der Situation, gezielt Hilfe zu leisten, weil ihnen häufig die Kenntnis fehlt. Betroffene berichten uns, dass an Schulen nicht immer ausreichende Kenntnis zu Teilleistungsschwächen und den Möglichkeiten der Ausgleichsgewährung besteht. Dann müssen Eltern gegenüber Lehrern und Schulleitungen um Anerkennung der Teilleistungsschwäche ihrer Kinder werben, in Einzelfällen dann sogar betteln.
Wir wollen, dass sich der Landtag und die Landesregierung mit der Problematik auseinandersetzen. Wir möchten Betroffene und Fachleute dazu anhören und Maßnahmen finden, die die Situation der Betroffenen verbessern.
Wir brauchen eine Regelung für die Gewährung von Nachteilsausgleich, die den Betroffenen mehr Rechtssicherheit gibt. Wir brauchen neben den Bemühungen um individuelle Förderung auch wirksame Nachteilsausgleiche, um Kinder und Jugendliche mit besonderen Problemen mit Blick auf ihren schulischen Erfolg zu unterstützen.
Wir möchten gerne mit allen Fraktionen gemeinsam darüber diskutieren und zusammen eine Lösung finden. Wir hoffen auf eine konstruktive Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Pieper. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Spanier-Oppermann.
Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Kein Kind zurücklassen und einem jeden die besten Bildungschancen ermöglichen – das ist ein Grundsatz unserer Politik in Nordrhein-Westfalen.
In der vergangenen Woche war ich zu Gast bei einer Familie in meinem Betreuungswahlkreis, die diesen Grundsatz zum Anlass nahm, mit mir über ihre neunjährige Tochter zu sprechen, bei der sowohl ADS als auch Dyskalkulie diagnostiziert wurden. Vor Ort konnte ich mir einen Einblick verschaffen und auch von Betroffenen erklären lassen, welche verschiedenen Formen von Teilleistungsschwä-chen und deren Folgen es gibt.
ADS oder ADHS, LRS sowie Dyskalkulie sind keine Nischenerscheinungen, sondern mittlerweile in fast allen Schulen Thema. Das liegt jedoch nicht daran, dass plötzlich immer mehr Menschen an diesen Symptomen erkranken, sondern ist auch darauf zurückzuführen, dass sich in den letzten Jahren die Diagnosemöglichkeiten deutlich verbessert haben. Die typischen Anzeichen werden nicht mehr wie früher als einfaches Zappelphilipp-Syndrom abgetan, sondern professionell als Erkrankungsbild erkannt und behandelt.
Viele Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, vor allem die Kinder sind aber nach wie vor mit den Auswirkungen überfordert und konnten und können die Erkrankung oft weder einordnen noch damit umgehen. Mit zunehmender förderpädagogischer Kompetenz an allen Schulen des Landes dürften sich die Fördermöglichkeiten für Kinder jedoch zukünftig noch verbessern.
Die Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, wie unterschiedlich die Formen der Erkrankungen auf die Kinder wirken. Das ist mir auch bei meinem Besuch der betroffenen Familie deutlich geworden. Die Geschichte ihrer kleinen Tochter zeigte mir, wie sehr die ganze Familie unter den Folgeerscheinungen leidet und dabei versucht, ihrem Kind das Beste zu ermöglichen.
Die psychischen Folgen, die oftmals entstehen, weil die Kinder den Leistungsanforderungen nicht gerecht werden können, belasten die Entwicklung der Betroffenen schwer. Ob einzeln oder in Kombination auftretend, sind ADS, ADHS, LRS oder Dyskalkulie sehr verschieden in ihrer Auswirkung auf das Verhalten und die Lernfähigkeit der Kinder.
Leider wird der Begriff der Teilleistungsstörung in Ihrem Antrag etwas unscharf gefasst, liebe Kollegen von den Piraten. Für Sie zählen dazu sowohl die eben genannten Erkrankungen als auch die chronischen Krankheiten plus solche, die aufgrund von Nebenwirkungen durch die Einnahme von Medikamenten entstehen. Allerdings macht gerade diese undifferenzierte Betrachtung besonders deutlich, dass jeder Fall einzigartig ist und auch so behandelt werden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Möglichkeit von Nachteilsausgleichen für Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsschwächen ist ein wichtiger Bestandteil einer individuell fördernden Schule, um gleiche Bildungschancen zu gewähren und eben kein Kind zurückzulassen.
Anders als in Ihrem Antrag formuliert, fehlt es in Nordrhein-Westfalen meines Erachtens nicht an Rechtsklarheit. In den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der Schulformen, in denen Abschlüsse vergeben werden, sind Regelungen zum Nachteils-ausgleich beschrieben. Diese gelten schulform- und schulstufenübergreifend für die gesamte Bildungslaufbahn.
So entscheidet während der Schullaufbahn die jeweilige Schule über die Gewährung und Form eines Nachteilsausgleichs, und zwar in enger Abstimmung mit den Eltern. Dieses Vorgehen ist auch unerlässlich, da nur über einen intensiven Austausch zwischen Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schülern eine optimale individuelle Förderung stattfinden kann.
Das Lehrerausbildungsgesetz und die Lehramtszugangsverordnung von 2009 sehen für alle Lehramtsstudiengänge entsprechende Lernmodule vor. Ebenfalls werden die Lehramtsanwärterinnen und ?anwärter in ihrem Vorbereitungsdienst seit 2011 auf der Grundlage eines neuen Kerncurriculums vorbereitet.
Daher ist das hier bemängelte Fehlen solcher Inhalte in der Ausbildung des Lehrpersonals nicht nachvollziehbar. Das Fachpersonal in den Schulen und den zuständigen Behörden kann aufgrund der vorhandenen Rechtslage, Ausbildung und Information eine individuelle Förderung der Kinder herstellen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Pieper?
Ina Spanier-Oppermann (SPD): Ja, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Bitte schön, Frau Pieper.
Monika Pieper (PIRATEN): Danke schön, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sagen, es sei alles prima, und die Schulen gewährten ausreichend Nachteilsausgleiche. Wie erklären Sie sich dann, dass Eltern zum Teil vor Gericht gehen müssen, um das an der Schule durchsetzen zu können? Fakt ist doch, dass die Schulen das unterschiedlich handhaben. Es gibt Schulen, die da sehr großzügig sind, und Schulen, die das überhaupt nicht gewähren. Da kann man ja nicht von Chancengleichheit sprechen.
Ina Spanier-Oppermann (SPD): Frau Pieper, ich habe das gerade versucht deutlich zu machen. In dem konkreten Fall, den ich angesprochen habe, habe ich selber festgestellt, dass es tatsächlich unterschiedlich gehandhabt wird. Schulleitungen sind über manche Dinge oftmals auch nicht so informiert, wie wir beide uns das wünschen.
Leider haben Sie Ihre Zwischenfrage vor meinem letzten Satz gestellt. Der lautet nämlich, dass wir uns im Ausschuss weiter darüber unterhalten sollten, gerade was die Bereitstellung von Informationen über alle diese Dinge angeht. Schließlich haben wir das alles vorliegen. Die Schulen können das alles machen. Insofern sollten wir noch einmal zusammenkommen und gegebenenfalls auch über Änderungen bei der Informationsbereitstellung spre-chen.
Das wäre also ohnehin mein letzter Satz gewesen. Ich freue mich also auf die Diskussionen im Ausschuss, die sicher sehr wichtig sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Spanier-Oppermann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Birkhahn.
Astrid Birkhahn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste auf der Zuschauertribüne! Wenn wir uns darüber unterhalten würden, was die Aufgaben von Schule sind, würden Sie mir eine Fülle von Möglichkeiten nennen: Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten, Sprachkompetenz, Fremdsprachenkenntnisse, kulturelle Bildung, Sozialkompetenz, Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten usw.
Ich möchte fast wetten, eine Aufgabe ist uns gar nicht so vertraut: Schule hat in einer demokratischen Leistungsgesellschaft die Aufgabe, Berechtigungen zu vergeben – Berechtigungen für weitere Wege, Ausbildungswege, Zulassungen zu Hochschulen usw. Das ist eine Aufgabe, die der Schule im gesellschaftlichen Auftrag auch gestellt wird.
Diese Berechtigungen müssen mit einem Höchstmaß an Gerechtigkeit auf den Weg gebracht werden. Deswegen gibt es ganz klar umrissene Aufgabenprofile. Deswegen gibt es Notendefinitionen. Deswegen gibt es Durchführungsbestimmungen und Verordnungen. Man versucht, durch einen Rechtsrahmen eine gerechte Aufgabenbewältigung zu ermöglichen.
Gerechtigkeit durch Klarheit: Das haben wir im Schulalltag so weit durchaus im Griff.
Aber bei der Chancengerechtigkeit sind wir noch nicht so weit. Da fehlt uns in manchem noch die Klarheit, um wirklich eine Chancengerechtigkeit herbeizuführen.
Wir haben im Bereich der Legasthenie über Jahre diagnostische Verfahren sowie Möglichkeiten der Förderung und der Erleichterung entwickelt, aber auch fest umrissene Möglichkeiten, diesem Nachteilsausgleich in Prüfungsverfahren gerecht zu werden. In diesem Bereich hat man also über Jahre einen Rahmen geschaffen. Es wurde versucht, bis hin zur Prüfungssituation Klarheit durch feste Vorgaben zu erreichen.
Aber es gibt noch weitere Teilleistungsschwächen, es gibt noch weitere Schwächen, die ausgeglichen werden müssen. Und da sind wir noch nicht so weit. Schauen Sie nur mal auf die Prüfungen, auf den Ausgleich während des Unterrichts bei Dyskalkulie, auf die Konzentrationsmöglichkeiten beim ADH-Syndrom. Da gibt es ganz unterschiedliche Definitionen, Testverfahren. Man muss wirklich überlegen: Muss es der sonderpädagogische Förderbedarf sein? Gibt es auch dazwischen Möglichkeiten? Oft ist die Entscheidung für den Nachteilsausgleich auch davon abhängig, inwieweit sich Eltern letztlich durchsetzen können, wie entgegenkommend Schulleitungen sind. Wir gehen davon aus, dass eine verlässliche Rechtssicherheit noch nicht überall gegeben ist.
Der große Vorzug des Antrags ist, dass er den Fokus auf diesen Problembereich legt. Wir haben durch die Diskussion im Ausschuss wirklich die Chance, eine Bestandsaufnahme zu machen, um deutlich zu sehen: Wie können die einzelnen Bereiche abgegrenzt werden, definiert werden? Wie können während des Unterrichts Nachteilsausgleiche verlässlich herbeigeführt werden? Welche Möglichkeiten haben wir für den Prüfungszusammenhang?
Ich glaube, die Auseinandersetzung ist außerordentlich lohnend. Denn wir werden hier auch Chancengerechtigkeit in erhöhtem Maße herstellen können. Deswegen freue ich mich auf die fachliche Auseinandersetzung im Ausschuss, denn da gibt es die Möglichkeit, über politisches Geplänkel hinaus etwas für Menschen zu bewirken. Und das ist etwas, was die Arbeit wieder erfreulich macht. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Birkhahn. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Birkhahn, genau da will ich anschließen. Ich erachte den Antrag in der Tat für wichtig, gerade auch im Hinblick auf den Prozess der Inklusion, in dem wir uns befinden. Denn das müssen wir jetzt miteinander verweben. Das ist genau die Ausgangslage.
Ich habe viele Petitionen dazu begleitet: dass die Einzelfälle betrachtet werden, dass die Eltern mit den Schulleitungen, der Schulaufsicht gemeinsam darüber diskutieren und darum ringen, ob ein Nachteilsausgleich gewährt werden muss oder nicht oder in welcher Form.
Diese Einzelfälle müssen wir zurückführen, damit das Ganze für alle Beteiligten verlässlich wird, damit für die Schulen Sicherheit da ist, aber natürlich auch für die Eltern, die das dann nicht mehr in jedem Einzelfall für ihre Kinder erkämpfen müssen.
Ich habe das noch einmal sehr eindrucksvoll bei einem Besuch in Zülpich in der letzten Woche erlebt. Dort wurde mir in der Förderschule, dem Kompetenzzentrum vor Ort, gezeigt, wie eine gemeinsame Bildungskette erschlossen worden ist – in der Arbeit, die dort erbracht worden wird, in der Vernetzung mit allen Institutionen.
Es geht bei der Kita los, in die Grundschule hinein, in die Sekundarstufe, im Austausch sonderpädagogischer Unterstützung mit der Hauptschule, mit der Realschule, mit dem Gymnasium, mit der benachbarten Gesamtschule und an der Schnittstelle hinein ins Berufsleben. Kinder und Jugendliche werden begleitet. Im Vertrauen und unter Einbeziehung der Eltern werden die Informationen weitergegeben, um eine Dokumentationskette zu haben, bei der der Datenschutz gewährt ist, bei der aber auch immer ein Blick auf die Stärken des Kindes und die Unterstützungsbedarfe gegeben ist. Es geht darum, ein solches Klima des Vertrauens herzustellen und dann darauf zu gucken: Was braucht das einzelne Kind und der einzelne Jugendliche? Das ist auch in der Frage der Nachteilsausgleiche ganz wichtig.
Es darf nicht so sein, wie das bei unserem geschätzten Nachbarn der Fall gewesen ist. Zum Beispiel ist bei LRS, Lese- und Rechtsschreibförderung, nicht immer ein AO-SF-Bedarf gegeben. Der Vater Rechtsanwalt, Juraprofessor, hat die schriftlichen Arbeiten einfach von der Sekretärin abtippen lassen, und der Sohn hat gesagt: Ich bin so hochgradig eingeschränkt mit LRS, dass ich, wenn ich diese Unterstützung nicht gehabt hätte, mein Abitur und mein Jurastudium nicht hätte machen bzw. absolvieren können.
Da müssen wir für Chancengleichheit sorgen und die Unterstützung in der Schule anlegen, sodass niemand zu solchen Hilfsmitteln greifen muss, sondern dass das in der Schule von Anfang an gewinnend und unterstützend unterlegt wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mir ist sehr wichtig, dass im System alle sensibilisiert sind.
Auch in der Frage der Dyskalkulie – die Kollegin Birkhahn hat es angesprochen – sind wir im Diskussionsprozess, und zwar mit dem Bundesverband auf der einen Seite und mit der KMK auf der anderen Seite. Bei der Zuordnung der Kategorisierung gibt es ebenfalls immer noch Unklarheiten. Die Frage ist: Wie ist das eigentlich zu betrachten? Wir haben in jedem Feld eine enorme Spannbreite. Deshalb ist das nicht so einfach zu sagen.
Wir müssen einen präventiven Ansatz verfolgen. Und dann geht es nicht mehr um die AO-SF und die Frage, ob dadurch etwas ausgeschlossen wird, sondern es geht vielmehr darum, eine frühe Diagnose anzusetzen und den gemeinsamen Blick auf das Kind zu richten, um anschließend die Informationen zusammenzuführen und dem Kind die Unterstützung zukommen zu lassen. Das ist die Herausforderung, der wir uns jetzt im Inklusionsprozess stellen müssen.
Deswegen ist es gut, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren und vielleicht die Problemlagen, die Aufgaben und die Chancen, die für alle darin stecken, zusammenführen und vor allen Dingen darauf schauen, wo das schon gelingt.
In diesem Zusammenhang gucke ich nach Zülpich, nach Wesel und nach Herford, wo man Lernausgangslagen anders miteinander angeht. In Zülpich ist übrigens das DEIF-Verfahren mitentwickelt und praktiziert worden, das viel weniger aufwendig und zielführender als die AO-SF ist.
All diese Dinge können wir noch einmal miteinander diskutieren. Dabei setze ich in der Tat auf den Sachzusammenhang und die Sachdiskussion. Ich freue mich, wenn wir für Kinder und Jugendliche gemeinsam etwas bewegen können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion ergreift nun Frau Gebauer das Wort.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie machen es mir jetzt nicht einfach, als Fünfte zu diesem Thema zu sprechen. Letztendlich glaube ich, dass wir uns, ebenso wie bei dem Thema „Analphabetismus“, auch in diesem Bereich mehr oder weniger auf einer Linie befinden.
Wenn man sich ein wenig mit dem Thema beschäftigt, dann erkennt man, dass sich auch der Landtag in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Der KMK-Beschluss diente oftmals als Grundlage.
Frau Birkhahn hat bereits einiges zu diesem Thema gesagt, nämlich dass zum Beispiel nicht der Eindruck entstehen darf, dass Nachteilsausgleiche ein Allheilmittel sind und – auch darüber muss man sprechen –, dass man sie nicht inflationär zur Anwendung bringen darf, sondern dass sie gezielt eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus gilt es, Grundsätze gleicher Leistungsbewertung – diese stellen schließlich ein hohes Gut dar – zu gewähren.
Letztendlich geht es aber auch um die Pädagogen, die Diagnostik und im Anschluss an die Diagnostik um die individuelle Förderung. Dieses Schlagwort behandeln wir nicht nur im Rahmen der Inklusion, sondern generell in allen Bereichen.
Ich kann es kurz machen: Ich freue mich auf eine spannende bzw. inhaltsreiche Diskussion im Ausschuss. Ich freue mich, dass die Piraten das Thema aufgegriffen haben. Das Thema ist es wert, sich damit zu befassen, und ich hoffe, dass wir zu einer guten Lösung für die Beteiligten und Betroffenen kommen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebauer. – Nun spricht für die Landesregierung Ministerin Löhrmann.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine konstruktive Diskussion nicht erst im Ausschuss, sondern schon jetzt – auch das geht beim Thema „Schule“, und das ist immer wieder erfreulich.
Auch ich habe durchaus Sympathien für Aspekte des Antrags. Denn das Herstellen von Chancengleichheit ist ein zentrales Ziel unserer Bildungspolitik. Wichtig ist, dass alle Schülerinnen und Schüler, die einen Anspruch auf Nachteilsausgleich haben, diesen auch bekommen.
Ein Nachteilsausgleich – so auch die Definition der Kultusministerkonferenz; hier gibt es eine einheitliche Meinungsbildung – soll den durch eine Beeinträchtigung entstandenen Nachteil kompensieren. Mittlerweile gibt es auch Gerichtsurteile, die sich dieser Definition anschließen.
Ein Nachteilsausgleich ist kein Privileg, aber auch keine Vorteilsnahme, um sich vor schlechten Leistungen zu schützen. Darauf müssen wir achten.
Im Antrag der Fraktion der Piraten werden Eltern als Bittsteller bezeichnet, wenn ihr Wunsch auf Nachteilsausgleich für ihr Kind abgelehnt wird. Dass er abgelehnt wird, heißt jedoch nicht, dass es keine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt, sondern dass manchmal bestimmte Kriterien nicht erfüllt werden.
Das Thema ist sehr vielschichtig. Man muss sich vor Automatismen und auch vor Schematismus hüten.
Das vorrangige Ziel der Schule muss es sein, von einer defizitorientierten Sichtweise wegzukommen und die individuelle Förderung stärker in den Blick zu nehmen. Dies ist Leitmotiv des Schulgesetzes.
Meine Damen und Herren, wie bereits von Frau Spanier-Oppermann angedeutet: Den erforderlichen rechtlichen Regelungsrahmen gibt es. Ich will ihn noch einmal kurz skizzieren.
Bei Behinderung – darunter fallen auch attestierte Erkrankungen – und/oder sonderpädagogischem Förderbedarf gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten der Gestaltung von Nachteilsausgleichen, über die die Schule eine Entscheidung trifft, und zwar in einer guten, konstruktiven Erziehungspartnerschaft von Eltern und Schule. Die Regelungen finden sich in Nordrhein-Westfalen in den einzelnen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen.
Nachteilsausgleiche können während der gesamten Bildungslaufbahn ermöglicht werden: von der Primarstufe bis zu den Abschlüssen Sekundarstufe I oder II. Sie beziehen sich auf zielgleiche, normbezogene Abschlüsse und müssen die Leistungsanforderungen beibehalten, sonst wäre der angestrebte Abschluss nicht mehr zielgleich. Das hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun.
Dies gilt gleichfalls für den Wunsch, einen Notenschutz zu erhalten. Ein Notenschutz kann nur unter sehr besonderen Umständen und nicht mehr in Abschlusszeugnissen gewährt werden.
Auch nach der Lehrerausbildung und -fortbildung wurde gefragt. Diagnose und individuelle Förderung sind Bestandteile der universitären und schulpraktischen Lehrerausbildung, die zuletzt im April 2011 überarbeitet wurde. Individuelle Förderung, pädagogische Hilfe und Prävention sind explizite Bestandteile des erstellten Kerncurriculums und auch der Fortbildung.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Einen rechtlichen Rahmen gibt es. Dennoch nehme ich den Eindruck der Antragsteller ernst, dass Schulen, Lehrkräfte und Betroffene verstärkt Informationen über Verfahrensform und Gewährung von Nachteilsausgleichen erhalten sollen. Offenbar haben wir hier ein Vollzugsproblem. Ich setze hier gerne an, um Informationen zum Thema noch breiter zu streuen.
Ende letzten Jahres wurde eine Arbeitshilfe für Schulleitungen zu Nachteilsausgleich und ZP10 erstellt. Diese wollen wir im Bildungsportal veröffentlichen, um sie der breiteren Öffentlichkeit, Eltern und Lehrkräften zur Verfügung zu stellen. Das Thema kann auch erneut in Schulleiterdienstbesprechungen behandelt werden.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Eigenverantwortung jeder Schule stärken, damit Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern ermutigt werden, die entsprechenden Gestaltungsspielräume zu nutzen und berechtigte Nachteilsausgleiche zu gewähren.
Dass das stärker ins Bewusstsein rückt, dazu trägt die Debatte heute bei. Dazu trägt eine vertiefte Diskussion im Schulausschuss bei. Außerdem finde ich, dass es das Thema allemal wert ist, ausführlich und konstruktiv im Schulausschuss besprochen zu werden. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Damit sind wir am Ende der Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat hat empfohlen, den Antrag Drucksache 16/5028 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu überweisen. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so entschieden und der Antrag überwiesen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
5 Keine Kappungsgrenze auf tönernen Füßen – Dialog mit Betroffenen suchen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5034
Ich eröffne die Aussprache damit, dass ich Herrn Kollegen Ellerbrock das Redepult freigebe. Bitte schön.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Keine Kappungsgrenze auf tönernen Füßen.“ Mit dem Mietrechtsänderungsgesetz des Bundes wurde 2013 den Kommunen die Möglichkeit eröffnet, in besonders problematischen Gebieten mit engen Wohnungsmärkten Mieterhöhungen von 20 auf 15 % zu reduzieren. Das war 2013, Schwarz-Gelb.
Für Gebiete mit besonderem Wohnungsmangel können – ich betone: können – die Kommunen also entsprechende Festsetzungen treffen. Maßgabe dafür ist, dass eine ausreichende Versorgung nicht gegeben ist und die Bevölkerung zu angemessenen Bedingungen versorgt werden soll. Das sind Begriffe, die man interpretieren muss. Dafür haben Sie, Herr Minister, eine Handreichung aus Ihrer Sicht gegeben.
Aber eines steht fest: Flächendeckend soll es nicht sein. Es soll differenziert sein. Flächendeckend kann es gar nicht gemeint sein.
Deswegen, Herr Minister, überrascht Ihr Entwurf. Denn Sie nehmen eine Gebietskulisse, in der es enge Wohnungsmärkte gibt. Ich nenne Euskirchen, Rheine, Raesfeld, Bottrop. Wir haben uns im Ausschuss darüber unterhalten: Ist Bottrop ein enger Wohnungsmarkt, der eine Kappungsgrenze braucht?
Ich freue mich übrigens, Herr Minister, dass wir im Sommer die angebotene Motorradtour um Kirchhellen herum machen und uns den engen Wohnungsmarkt in Bottrop angucken. Wir müssen schauen, wie wir das mit dem Helm regeln, aber das bekommen wir auch noch hin. Wir beide machen die Motorradtour. Ich freue mich darauf.
(Beifall von der FDP)
Wenn Sie aber schon selbst sagen, Herr Minister, das Gutachten liefere obskure Ergebnisse, dann muss man doch fragen: Ist das Gutachten richtig? Welche systematischen Fehler sind in dem Gutachten? Dass es richtig gerechnet worden ist, erkenne ich sofort an. Aber welche Indikatoren hat man genommen? Dann sieht man, dass bestimmte statistische Daten nicht zur Verfügung stehen, dass man auf ungeprüfte Hypothesen zurückgreifen muss und pauschale Festlegungen trifft. Dabei kommen solche Ergebnisse heraus.
Das bedeutet doch, dass man das vor Ort hätte überprüfen müssen. Und da reicht es nicht, Herr Minister, wenn man sagt, dass das auf der unteren Ebene vom Wohnungsamt geregelt werden soll.
Mich hätte interessiert, was zum Beispiel die Bezirksregierung aufgrund ihrer besseren Ortskenntnisse und als alleinige Vertreterin der Landesregierung vor Ort dazu sagt. Mich hätte auch interessiert, was die Wohnungswirtschaft dazu sagt; schließlich hat auch diese Erkenntnisse. Die Fragen von der Wohnungswirtschaft an das F&B-Gutachten, das Sie vergeben haben, waren so gravierend, dass diese ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben hat, und dieses macht die Schwachstellen sofort deutlich.
Meine Damen und Herren, darüber werden wir im Ausschuss sicherlich reden.
Eines müssen wir aber festhalten: Weder Kappungsgrenze noch Wohnungspolizei noch Mietpreisbremse werden dafür sorgen, dass wir vor Ort einen „angemessenen“ Wohnungsmarkt herstellen und mehr Wohnungen bauen können. Das ist es doch, was uns verbindet, Herr Minister: Wir wollen auch in angespannten Wohnungsmärkten vernünftige Wohnungen zu bezahlbaren Bedingungen haben. Wir müssen privates Kapital für öffentliche Aufgaben bereitstellen. Und da ist die Linie, die Sie hier vielleicht vertreten müssen – aber Sie vertreten Sie ja –, kontraproduktiv. Mietpreisbremse, Wohnungspolizei, hohe Grunderwerbsteuern, hohe Grundbesitzsteuern und auch die Flächenpolitik im Rahmen des LEP als Vorgabe für die Kommunen sind doch genau das Gegenteil.
(Beifall von Bernhard Schemmer [CDU])
Damit wird keine einzige Wohnung mehr gebaut. Privates Engagement wird abgeschreckt, statt dass wir es zu mobilisieren versuchen.
(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Alles Quatsch!)
Das verstehe ich nicht. Wir haben ein gemeinsames Ziel,
(Jochen Ott [SPD]: Alles Quatsch!)
und Sie bringen Produkte wie die Mietpreisbremse ein. Sie bringen die Kappungsgrenze ein, die genau das Gegenteil bewirkt. Das ist einfach schade.
Ich hätte mich gefreut, wenn Sie, Herr Minister, in Berlin den Vorschlag der FDP aufgegriffen hätten. Degressive AfA – das mobilisiert. Das bringt den Wohnungsmarkt in Schwung. Das ist eine vernünftige Sache. Wollen wir nicht gemeinsam dafür kämpfen, Herr Minister, dass wir das einführen?
(Jochen Ott [SPD]: Entfesselungskünstler!)
Dann haben wir wenigstens gemeinsam sinnvolle Erfolge.
(Jochen Ott [SPD]: Jahrelang den Wohnungsmarkt entfesselt!)
Wir wollen gucken, dass wir das weiter im Ausschuss bearbeiten. – Schönen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ellerbrock. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegen Philipp.
Sarah Philipp (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Ellerbrock, wir haben uns heute sehr viel über Datensätze, über Statistiken, über Indikatoren unterhalten. Das muss in diesem Zusammenhang auch sein. Ich würde aber gerne zu Beginn noch einmal auf unser politisches Anliegen, auf die Inhalte, auf den Anlass zurückkommen, warum wir heute überhaupt über diese Kappungsgrenze sprechen müssen.
(Holger Ellerbrock [FDP]: Weil wir den Antrag eingebracht haben!)
– Das auch, Sie haben einen Antrag eingebracht. Aber ich würde trotzdem gerne noch einmal auf den Anlass zurückkommen.
Laut einer Umfrage des VdW Bayern fürchten 90 % der Bundesbürger, dass es in den Großstädten in Zukunft zu wenige bezahlbare Wohnungen geben wird. 89 % fordern sogar, dass der Staat mehr tun sollte, um diesem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenzutreten.
So angespannt wie heute war der Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen – aber eben nicht nur da – seit 20 Jahren nicht mehr.
Zwei Faktoren dramatisieren die Situation noch zusätzlich.
Zum einen machen die Wohngesamtkosten heute bis zu 50 % des Haushaltseinkommens aus. Zum anderen hat sich die Kluft zwischen jenen Mietern mit einer guten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und denen, deren Einkommen stagniert, bedenklich vergrößert. Grund genug für uns, sich dieser Aufgabe anzunehmen und den Wohnungsmarkt für alle zugänglich zu halten. Grund genug, sich dafür einzusetzen, dass keine Verdrängung einzelner Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Stadtteilen stattfindet.
(Beifall von der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist nun Status quo im laufenden Verfahren? Worüber sprechen wir heute eigentlich? – Das Parlament hat die Landesregierung im vergangenen Jahr dazu aufgefordert, diejenigen Gebiete zu bestimmen, in denen eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen besonders gefährdet ist. Die Verordnung liegt nun vor. Jetzt sind die 59 Kommunen bekannt, für die ein Absenken der Kappungsgrenze sinnvoll erscheint. Das ist kein Zufall, das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist das Ergebnis einer notwendigen unabhängigen wissenschaftlichen Expertise.
(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Man kann sich natürlich immer darüber streiten, wo die Grenze genau gesetzt wird. Warum ist Kommune A noch drin? Warum ist Kommune B gerade herausgefallen? Darüber kann man diskutieren, gar keine Frage. Aber die Rechtsgrundlage lässt nichts anderes als diese Gebietskulissen zu.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Uns wäre auch eine flächendeckende Lösung lieber gewesen. Das ist aber eine Entscheidung der Bundesregierung gewesen.
(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: So ist es auch!)
In Berlin konnte man sich nicht zu mehr durchringen. Wir setzen jetzt diese aus unserer Sicht unzureichende Rechtsgrundlage bestmöglich um.
(Beifall von der SPD)
Fakt ist – zurück zum Anlass –: Unsere sogenannten Boomtowns in NRW – Köln, Düsseldorf, Münster – sind alle enthalten. Das ist ein erster wichtiger Schritt, den wir auch umsetzen wollten.
Jetzt hat sich die Opposition bereits daran gestoßen und gesagt, dass insgesamt zu viele Kommunen aufgenommen wurden. Dass Ihnen soziale Wohnungspolitik in dem Zusammenhang fremd ist, überrascht uns nicht. Wir wollen den Weg trotzdem weitergehen und müssen nicht so tun, als sei diese Verordnung der Untergang des Abendlandes.
Deswegen zurück zur sozialen Realität: Nehmen wir einmal an – ein kleines Beispiel –, die Kaltmiete einer Wohnung beträgt heute 500 €. Selbst bei einer gesenkten Kappungsgrenze kann der Vermieter die Miete in den kommenden drei Jahren immer noch um 75 € steigern, sofern die ortsübliche Vergleichs-miete höher liegt. 75 € Mietsteigerung innerhalb von drei Jahren ist für die meisten Mieterinnen und Mieter eine enorme Belastung.
In dem Zusammenhang noch etwas zum Stichwort „Vergleichsmiete“: Die Errechnung der sogenannten ortsüblichen Vergleichsmiete kann für die Wohnungswirtschaft durchaus als günstig angesehen werden, weil nur die neuen Vertragsabschlüsse der letzten vier Jahre herangezogen werden. Das ist kein realistisches Spiegelbild der tatsächlichen Durchschnittsmiete in dem jeweiligen Gebiet.
Welche Kriterien sind für diese Verordnung herangezogen worden, liebe Kolleginnen und Kollegen? – Kollege Ellerbrock hat es gerade schon angesprochen: Es ist einmal eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen, es ist zum Zweiten die angemessene Bedingung der Versorgung mit Mitwohnungen, und es ist drittens die besondere Gefährdung der beiden erstgenannten Kriterien.
Wenn man sich das Gutachten anschaut, dann stellt man fest, dass mit sehr objektiven und absolut transparenten Datensätzen gearbeitet worden ist. In dem Zusammenhang muss noch mal erwähnt werden – das ist wichtig –, dass nicht irgendwo am Schreibtisch Datensätze zusammengebaut und sortiert worden sind, sondern die Kommunen sind hinzugezogen worden und konnten sogar ein entsprechendes Votum abgeben.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Ellerbrock?
Sarah Philipp (SPD): Nein, ich bin gleich fertig.
Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage.
Sarah Philipp (SPD): Also: Es ist keine von oben verordnete Verordnung, sondern Ergebnis einer einwandfreien methodischen Herangehensweise. Die Befragung der Kommunen wurde berücksichtigt. Wir wissen ganz genau: Auch das Wissen vor Ort muss hinzugezogen werden.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Also lassen Sie uns heute nicht darauf herumreiten, warum Kommune A drin ist und Kommune B eventuell nicht. Es ist eine gute Verordnung für die Mieterinnen und Mieter in NRW. Wir halten den FDP-Antrag für wenig hilfreich, freuen uns aber auf die Diskussion im Ausschuss und stimmen der Überweisung natürlich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schemmer das Wort.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die im FDP-Antrag geäußerte Kritik an der Kappungsgrenzen-Verordnung teilen wir, wie es die meisten Fachleute im Wohnungsbereich tun. Herr Groschek – Frau Philipp, das gilt auch für Sie –: gut gemeint, schlecht gemacht. Oder anders herum: Der schlimmste Feind des Guten ist das gut Gemeinte. – Das sollte man vielleicht doch unterlassen.
Zur Historie: Zum 1. März 2013 ist das Mietrechtsänderungsgesetz der CDU/FDP-Regierung des Bundes in Kraft getreten. Darin wurden die Rechte der Vermieter bei Zwangsräumung von zahlungsunwilligen Mietern oder Mietnomaden gestärkt, und es wurden die Rechte, die berechtigten Interessen der Mieter gestärkt, so eben auch die Möglichkeit eröffnet, die Kappungsgrenze bei der Anpassung von bestehenden Mietverträgen an die ortsübliche Vergleichsmiete auf 15 % zu begrenzen. Vorher waren es 20 %.
Das Ganze findet aber unter bestimmten Voraussetzungen statt: Es muss Wohnungsmangel gegeben sein. Es muss an einer ausreichenden Versorgung fehlen. Es müssen angemessene Bedingungen gegeben sein, und insbesondere die Versorgung in dem Ort muss gefährdet sein. Dann sind die Landesregierungen gefragt, darauf zu reagieren.
Gucken wir uns einmal an, was die Bayern gemacht haben: Die haben die bundesgesetzliche Regelung, anders als in Nordrhein-Westfalen, sofort umgesetzt. Sie haben nicht erst Riesengutachten in Auftrag gegeben oder was auch immer, sondern sie haben sofort gehandelt. Sofort zu handeln und nicht zu schlafen, kann eine gute Lösung sein. Dort hat man die Kappungsgrenzenverordnung sofort in Kraft gesetzt, hier, wie gesagt, umständlich über ein Gutachten. Das Ergebnis: 15 % der Kommunen in Nordrhein-Westfalen sollen betroffen sein, mit sogar 30 % der Einwohner.
Jetzt sehe ich mir einmal an, was mit den Gutachten ist, die der Bauminister in Auftrag gegeben hat. Ich erinnere an die Themen, über die wir gestern gesprochen haben, an angebliche Bedarfsniveaus für Mietwohnungsbaumaßnahmen.
Der gleiche Gutachter ist unter den gleichen falschen Voraussetzungen ist zu dem Ergebnis gekommen – Herr Ellerbrock, das ist für Sie ganz wichtig –, dass es in Duisburg einen zusätzlichen Bedarf sowohl bei Miet- als auch bei Eigentumsmaßnahmen gibt, währenddessen zum Beispiel in Havixbeck vor den Toren Münsters – Havixbeck ist nicht weiter entfernt als andere Stadtteile zur Stadtmitte – festgestellt wird, dass es sowohl beim Miet- als auch beim Eigentumsbereich nur einen unterdurchschnittlichen Bedarf gibt. Also: Falsche Vorgaben für die Gutachten führen auch zu falschen Ergebnissen. So ist es auch hier bei der Kappungsgrenzenverordnung.
In angeblich 59 Kommunen soll es einen außergewöhnlichen Wohnungsbedarf geben. In angespannten Wohnungsmärkten, in denen die Funktionsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, könnte dies durchaus sinnvoll sein. Das sind aber weniger.
Schauen wir uns doch einmal den Markt an. Wir haben die Zensusergebnisse. Leerstandsquoten über 3 % sagen uns, dass es dort keinen außergewöhnlichen Bedarf gibt. Schauen wir uns die Ergebnisse des Gutachtens an. Dort finden wir Emmerich, Kamp-Lintfort, Euskirchen, Rheine; Bottrop will ich nicht noch einmal vertiefen. Kurzum: Dort haben wir niedrige Kaltmieten – das ist auch gut so –, dort gibt es keinen außergewöhnlichen Bedarf. Mindestens bei den zwölf Kommunen, die oberhalb 3 % Leerstandsquote liegen, kann das so nicht richtig sein.
Nun sprach Frau Philipp davon, man müsste sich auch einmal vor Ort informieren. Ich habe unmittelbar, nachdem das Ganze in der Welt war, mit dem Bürgermeister von Raesfeld telefoniert, der mir sagte: Wohnbauflächen haben wir ausgewiesen; dort wird gebaut. Sollte sich in einer Gemeinde wie bei uns jemand trauen, die Mieten um 15 % zu erhöhen, beispielsweise von 5 € auf 5,75 €, wird es nicht lange dauern, bis die Wohnung leer ist, weil dann der Mieter dorthin zieht, wo ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht.
Kurzum: Bei der Kappungsgrenze machen Sie nichts anderes als bei der Wohnraumförderung. Während wir 2009/2010 noch über eine Milliarde € hatten,
(Jochen Ott [SPD]: Wofür? Lächerlich!)
haben Sie es 2012 gerade noch auf 550 Millionen € und im letzten Jahr gerade noch auf 500 Millionen € gebracht.
Ich sage Ihnen eines: Wer falsche Vorgaben macht, sich falsch orientiert und falsche Parameter setzt, der erreicht auch falsche Ergebnisse. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Schemmer, ich bin nicht dazu gekommen, möchte es jetzt gern nachholen, Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Grünberg zulassen möchten.
Bernhard Schemmer (CDU): Immer.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Da Ihre Redezeit ansonsten zu Ende gewesen wäre, kann ich nachvollziehen, dass Sie das gern tun. – Herr Kollege von Grünberg, bitte.
Bernhard von Grünberg (SPD): Herr Schemmer, ist Ihnen klar, dass es bei dieser Kappungsgrenze um Mietverhältnisse geht, die mit ihrer Miete erheblich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, weil die oberste Grenze immer die ortsübliche Vergleichsmiete ist?
Das heißt, in Gemeinden mit ausgeglichenem Wohnungsmarkt wird es dazu kommen, dass es auf einmal Sprünge gibt, die meistens darin begründet sind, dass Vermieter über Jahre nicht die Miete angehoben haben und deren Erben sagen, dass sie jetzt eine erhebliche Mietanhebung möchten, oder wo es vorher öffentlich geförderte Wohnungen gegeben hat, die dann frei finanziert wurden, dies aber alles unter der ortsüblichen Vergleichsmiete.
Das passiert in allen Gemeinden. Deswegen ist es ärgerlich, dass durch Ihre Bundesregierung, die Sie damals mit geführt haben, diese Regelungen nur in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf gelten. Die beschriebenen Situationen kommen überall vor. Deswegen ist es ärgerlich, dass in den Gemeinden, die jetzt nicht aufgenommen sind, diese Mieterhöhungen stattfinden. Dies ist misslich für die Menschen, deren Miete jedoch immer noch unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Am Anfang der Ausführungen des Kollegen von Grünberg war die Frage, die Sie jetzt beantworten, Herr Kollege Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Ich habe jetzt wirklich einige Orientierungsprobleme, wie nun die Frage sein soll.
(Beifall von der CDU)
Ich will Ihnen noch einmal sagen: Die ortsübliche Vergleichsmiete ist ein Parameter für eine Marktsituation.
Im Gegensatz dazu steht die Herangehensweise, die in etwa besagt, wir bräuchten staatlich verordnete Mieten. Jetzt haben Sie gestern auch noch über viele sonstige Rahmenbedingungen im Mietwohnungsbereich bis hin zur Zweckentfremdungsverordnung oder was auch immer gesprochen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es eine rein staatliche Aufgabe ist, dann muss der Staat die Wohnungen bauen und erhalten und das Ganze vor sich hertreiben.
(Zuruf von Jochen Ott [SPD])
Das haben wir noch relativ frisch bis vor 20 Jahren 200 km weiter östlich gesehen. Das Ergebnis war ein Desaster.
(Jochen Ott [SPD]: Freiwillige Miete! Schwachsinn!)
Deswegen kann ich nur sagen: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen – eine dieser Rahmenbedingungen ist die ortsübliche Vergleichsmiete –, insbesondere dafür – das tun wir gerade nicht –, dass gebaut wird und wir nicht neue Restriktionen ins Feld führen. – Schönen Dank.
(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Sie haben die Frage von Herrn von Grünberg gar nicht verstanden!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. So weit Frage und Antwort. – Jetzt hat Frau Kollegin Schneckenburger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren zunächst einmal nicht die Theorien des Kollegen Schemmer zur Wohnungsmarktentwicklung
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
– das können wir noch machen –, sondern eigentlich diskutieren wir einen FDP-Antrag, der übrigens in der Überschrift suggeriert, die FDP wolle mit Betroffenen sprechen, was sie dann jedoch im Antrag nicht einlöst. Dazu sage ich gleich noch etwas.
(Christof Rasche [FDP]: Wir erfahren das gerade mit Ihnen, Frau Schneckenburger!)
Wer hat das „Mietpreisbremschen“ gemacht? – Gemacht haben es die Kollegen der FDP mit den Kollegen der CDU
(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)
in der alten Bundesregierung.
(Jochen Ott [SPD]: So, so!)
Wie haben Sie es gemacht?
(Jochen Ott [SPD]: Schlecht haben sie es gemacht!)
Sie haben es als „Mietpreisbremschen“ gemacht. Sie haben es gemacht mit der Aufforderung an die Länder, regional ein Gebiet auszuweisen, in dem die Mietpreisbremse gilt. Sie haben noch dazu in ihr Gesetz hineingeschrieben, dass man das auf der Basis eines Gutachtens rechtlich sicher machen muss.
(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie. Es drängt den Kollegen Ellerbrock, Ihnen eine Frage stellen zu dürfen. Lassen Sie die zu?
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Ich lasse die Frage des Kollegen Ellerbrock zu.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Kollegin, auch Vorwürfe müssen einer Überprüfung standhalten. Stimmen Sie mir zu, dass Lesen durchaus bildet? – Wenn Sie gelesen hätten, hätten Sie lesen können, dass dort steht: Wir wollen unbedingt, dass dieses Problem in Zusammenarbeit mit den Betroffenen im Konsens gelöst wird.
(Daniela Schneckenburger [GRÜNE]: Ja!)
Deswegen geht Ihr Vorwurf fehl.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Der geht deswegen nicht fehl, Herr Ellerbrock … Wird mir das jetzt auf meine Redezeit angerechnet, Herr Präsident?
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Nein, nein. Sie beantworten jetzt die Zwischenfrage, und diese Zeit wird Ihnen nicht auf die Redezeit angerechnet.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Nein, ich meine es im positiven Sinne. – Mein Vorwurf geht nicht fehl, Herr Ellerbrock. Lassen Sie mich den Punkt „Betroffene“ aufnehmen. Sie schreiben in Ihrer Überschrift: „Dialog mit Betroffenen suchen“. Aber dann schauen Sie bitte einmal Ihre Beschlusspunkte im Hinblick darauf an, wer da bei den Betroffenen genannt wird.
Wo, Herr Ellerbrock, bleiben da aus der Perspektive der FDP die Mieter und Mieterinnen dieses Landes, die unter steigenden Mieten leiden?
(Beifall von der SPD)
Das ist meine Frage an die FDP. Dass Sie mit „Haus & Grund“ sprechen, das habe ich selbstverständlich vorausgesetzt. Darauf beziehen Sie sich ja auch.
Wenn Sie jedoch einmal schauen, wer bei Ihnen im Betroffenenkatalog genannt ist, dann stellen Sie fest: Es fehlt beispielsweise der Mieterschutzbund, es fehlen die Mietervereine, es fehlen die Interessensorganisationen der Mieter und Mieterinnen. Das aber sind die Menschen, für die wir in Nordrhein-Westfalen handeln wollen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frage also noch mal: Wer hat es gemacht? – Sie haben es gemacht. Wer versucht jetzt, sich in die Büsche zu schlagen? – Sie versuchen, sich in die Büsche zu schlagen.
(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])
Warum versuchen Sie, sich in die Büsche zu schlagen? – Weil Sie als FDP damals offensichtlich Zugeständnisse an Ihren Koalitionspartner machen wollten, der die große Mietpreisbremse dann übrigens in sein Wahlprogramm geschrieben hat, Herr Schemmer.
(Jochen Ott [SPD]: Oh!)
Die große Mietpreisbremse hat Ihre Bundeskanzlerin noch kurz vor knapp ins Wahlprogramm hineingedrückt, in der Hoffnung, damit bei der Bundestagswahl noch einmal Punkte machen zu können.
Übrigens: Der große Populist in der Bundesrepublik, der Herr Seehofer, hat dann auch mit Blick auf die Landtagswahl schnell in Bayern die kleine Mietpreisbremse – nämlich für die Bestandsverträge – durchgedrückt. Ganz ohne Gutachten im Übrigen, sondern alleine mit einer bayerischen Festlegung. München und Nürnberg, das sind die Orte mit steigenden Mietpreisen. Für die wird jetzt schnell die Mietpreisbremse auf die Beine gestellt.
(Jochen Ott [SPD]: Wenn man nur zwei Städte hat, geht das ja auch!)
Wir wollten in Nordrhein-Westfalen rechtssauber handeln. Das heißt: Wir wollten ein Gutachten erstellen lassen. Da kann es sein, dass einem die Ergebnisse des Gutachtens nicht gefallen. Aber wenn die Indikatoren klar und darstellbar sind, dann muss man auch sagen: So ist das Gutachten eben; das ist die ausgewiesene Gebietskulisse, und hierfür machen wir jetzt genau diese kleine Mietpreisbremse, die Sie in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen haben.
Worum geht es eigentlich? Es geht doch darum, dass in Nordrhein-Westfalen bestimmte Bevölkerungsgruppen Schwierigkeiten haben, sich am Markt mit preiswertem Wohnraum zu versorgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
40 % Belastung eines durchschnittlichen verfügbaren Haushaltseinkommens mit der Miete bedeuten eine Obergrenze, die man nicht mehr überschreiten kann, ohne dass es für die Menschen schmerzhaft spürbar wird.
Das ist der Grund, warum wir sagen: Es wird nicht helfen, allein darauf zu setzen, dass neue Investitionen in den Markt gelangen. Ja, das ist richtig; da sind wir bei Ihnen oder Sie bei uns; denn wir ermöglichen das ja mit dem geförderten Wohnungsbau. Das allein wird jedoch nicht reichen, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass kurzfristig andere Maßnahmen greifen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, ich muss Sie leider noch einmal unterbrechen, so schwer mir das fällt, weil Herr Abgeordneter Schemmer – auf dem Platz von Herrn Biesenbach – Ihnen auch noch eine Frage stellen möchte. Lassen Sie die zu?
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Aber bitte.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Schemmer, Sie haben das Wort.
Bernhard Schemmer (CDU): Frau Schneckenburger, Sie sprachen gerade von einem Gutachten. Daraus zitieren Sie, und die Ergebnisse halten Sie ja für richtig. Meine Frage: Wenn denn viele Kommunen Leerstandsquoten oberhalb von 3 % haben, können Sie mir einmal diesen außergewöhnlichen Bedarf und den Druck auf dem Mietwohnungsmarkt für Kommunen wie Emmerich, Kamp-Lintfort, Euskirchen, Bottrop und Rheine erklären?
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Herr Schem-mer, ich habe im Gespräch mit der Wohnungswirtschaft gelernt, dass eine Leerstandsquote von 3 % eigentlich die übliche Fluktuation in großen Wohnungsbeständen abbildet. Ein Leerstand entsteht allein dadurch, dass es Mietwechsel gibt. 3 % Leerstandsquote heißt noch lange nicht, dass es sich um ein Gebiet handelt, in dem Wohnungen in großem Stil leer stehen. Da kennen wir in NRW leider andere Situationen.
Das Gutachten – Sie haben es ja gelesen – legt aber neben dem Leerstand noch andere Indikatoren zugrunde. Da geht es um die Frage, welche Gruppen bei der Versorgung mit Mietwohnungen besonders gefährdet sind: also Bedarfsgemeinschaften SGB II – in Bottrop in hohem Umfang vorhanden –, Leistungsempfänger SGB XII, Wohngeldempfänger, Studenten und Studentinnen.
Das ist auch einer der Indikatoren. Diese Gruppe muss sozusagen auf ein bestimmtes Marktsegment zugreifen können. Die Frage ist: Ist dieses Marktsegment in diesen Städten vorhanden und muss man es schützen? Das ist die Perspektive des Gutachtens. Wir haben dieses Gutachten nicht erstellt, sondern ein Institut.
Die Ergebnisse habe ich an der einen oder anderen Stelle durchaus mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Wenn man das Gutachten liest, wird das Ganze nachvollziehbar. Man kann es aber sicherlich in den einzelnen Punkten diskutieren.
Was man allerdings tunlicherweise nicht machen sollte – da wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen der FDP, vielmehr in diesem Fall nur die Kollegen der FDP –: …
(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])
– Herr Ellerbrock, Sie meinte ich jetzt. Ich finde es eigentlich nicht lauter, nicht offen zu sagen, was man meint. –
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
… Die FDP will jetzt wieder von ihrem eigenen Vorhaben weg, weil sie das damals mit einer CDU verabredet hat, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe im Blick hatte.
(Jochen Ott [SPD]: Sagt doch einfach, ihr wollt es nicht! Das ist doch die Wahrheit!)
Jetzt will sie wieder davon wegrudern und erklärt, sie wolle das eigentlich gar nicht. – So etwas kann man machen. Ich finde, dann sollte man es aber auch laut sagen und nicht das Ganze als Kritik am Gutachten verbrämen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin.
(Holger Ellerbrock [FDP] meldet sich zu einer Kurzintervention.)
Eine Kurzintervention? – Frau Kollegin Schneckenburger ist so freundlich, dass sie sicherlich nichts dagegen hat, wenn wir diese Kurzintervention noch als rechtzeitig kennzeichnen. – Wunderbar. Das heißt, jetzt hat Herr Kollege Ellerbrock für 90 Sekunden das Wort.
Holger Ellerbrock (FDP): Frau Kollegin Schneckenburger, ich hatte versucht, in meinem Redebeitrag Folgendes deutlich zu machen: Uns eint ein Oberziel, nämlich möglichst überall angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Unser Weg dahin besteht darin, für den Bau von Wohnungen zu sorgen und nicht für die Einführung zusätzlicher Reglementierungen, die keine einzige Wohnung auf den Mark bringen werden.
(Beifall von Bernhard Schemmer [CDU] und Klaus Voussem [CDU])
Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Wenn Sie das bei den zukünftigen Beiträgen mit berücksichtigen würden, wäre ich Ihnen außerordentlich zu Dank verpflichtet. Denn dann können unsere Positionen zukünftig in der Diskussion verkürzt dargestellt werden.
Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Ich habe das zur Kenntnis genommen. Herr Ellerbrock, das ist auch nicht neu an der FDP-Politik, dass Sie nicht bereit sind, zu regulierenden Maßnahmen zu greifen,
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
um für alle Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer zu erreichen, sich in angemessener Weise am Markt versorgen zu können.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
So weit ist mir die FDP-Politik bekannt; ich habe das zur Kenntnis genommen. Ich habe auch umgekehrt zur Kenntnis genommen, dass Sie der Auffassung sind, dass die Bezirksregierungen besser Bescheid wüssten als die Kommunen, die für dieses Gutachten befragt worden sind.
(Jochen Ott [SPD]: Genau, das haben wir auch gehört!)
Sie haben vorhin auf die Bezirksregierungen verwiesen.
Ich denke, dass die Kommunen, die im Rahmen des Gutachtens befragt worden sind, sehr wohl in der Lage sind, ihre eigene Situation zu beurteilen.
Wie gesagt, man kann alles noch mal auswerten. Mir scheinen die Parameter des Gutachtens zunächst richtig gesetzt zu sein, und insofern muss man die Ergebnisse auch entgegennehmen. Wir sind jedenfalls für eine Kombination von Maßnahmen: sowohl Investitionen in den geförderten Wohnungsbau möglich zu machen – das tun wir mit unserem Wohnbauförderprogramm – als auch gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass sich Menschen kurzfristig zu angemessenen Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt versorgen können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. So weit die Kurzintervention und die Antwort darauf. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Bayer für die Piratenfraktion.
Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer – leider ist gerade ein Drittel gegangen –, auch am Stream und an den Videoplattformen! Vor allem Letztere werden sich fragen: Worum geht es hier eigentlich? Es geht um die Spezifizierung der Mietpreisbremse, komplizierter ausgedrückt: Durch die Kappungsgrenzenverordnung kann in einigen lokalen Wohnungsmärkten bei bestehenden Mietverhältnissen die maximal zulässige Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren von 20 % auf 15 % abgesenkt werden.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat für 59 von insgesamt 396 Gemeinden objektive Bedingungen gutachterlich feststellen lassen, sodass diese Kappungsgrenze dort greifen kann.
In der Tat ist nicht völlig klar, was manche dieser so identifizierten Gemeinden von anderen Gemeinden im Land unterscheidet. Hier teilen wir die Kritik der FDP.
Aber wir kritisieren das Gutachten von anderer Seite. Wir schlussfolgern nicht, dass die 59 identifizierten Gemeinden als Suchräume dienen sollen, um aus ihnen eine kleinere Teilmenge herauszulösen. Wir sind eher erstaunt darüber, dass weite Teile des Landes mit diesem Gutachten aus der weiteren Betrachtung herausgenommen werden.
Ja, Frau Philipp und Frau Schneckenburger haben auf den Bund verwiesen. Fakt ist, im allergrößten Teil des Ruhrgebiets zum Beispiel kann die Miete nach wie vor in größeren Schritten erhöht werden, und dies, obwohl gerade hier die Anteile einkommensschwacher Haushalte besonders hoch sind und in den nächsten Jahren größere Bestände aus der Mietpreisbindung fallen, sodass dort mit größeren Mietsprüngen zu rechnen ist. Wie gesagt, eine Mietpreisbindung gibt es im öffentlich geförderten Wohnungsbau.
Jeder, der argumentiert, dass die lokalen und regionalen Märkte gar nicht mehr hergeben, verkennt die stark segmentierten Strukturen innerhalb der Regionen und liefert gleichzeitig ein Argument für die Kappungsgrenze. Geben die Märkte nämlich keine überdurchschnittliche Mietsteigerung her, regelt sich die Sache von alleine. Geben sie aber solch hohe Mietsteigerungen her, wirkt die Kappungsgrenze beruhigend.
Wir kritisieren also am Gutachten, dass der Indikator „Auslaufende Mietpreisbindung in Abhängigkeit von Mietpreisdifferenz“ zu niedrig gewichtet ist, und plädieren für eine angemessene Gewichtung.
Wir kritisieren auch, dass das Votum der Kommunen als Wert an sich gilt, ohne zu hinterfragen, ob das Votum begründet ist. Auf diese Weise wird die Kappungsgrenze zu einer Größe für eine womöglich ganz andere Interessenslage in der Kommunalpolitik.
Beim Thema „Steigende Mietbelastung“ geraten regelmäßig nur Städte wie Bonn, Köln, Düsseldorf, Münster in den Blick. Wir wissen, dass auch dort die Hälfte der Bevölkerung das Recht auf eine öffentlich geförderte Wohnung hätte. Die Werte im Ruhrgebiet sind ähnlich. Auch in Dortmund erfüllt etwa die Hälfte der Haushalte die Einkommensgrenze für eine öffentlich geförderte Wohnung.
Hinter dem Antrag steht anscheinend auch der Glaube, dass angesichts einer allgemeinen Geldentwertungsrate von vielleicht höchstens 1,5 % und einem allgemeinen Zinsniveau in derselben Höhe eine kumulierte Mietpreissteigerung von 15 % über drei Jahre die Märkte kaputt mache, weil die Rentierlichkeit nicht mehr gegeben sei. – Ich sehe allerdings, unser religionspolitischer Sprecher ist gerade nicht da.
Das ist halt eine ideologische Politik im Interesse des Eigentums, welche Eingriffe in Eigentum jedweder Art, auch wenn es zur Miete verliehen ist, nicht mag. Das wurde eben schon gesagt. Deshalb werden in der Debatte Einzelfälle benannt, Ausnahmetatbestände aufgrund von partiellem Marktversagen oder unerwünschten Markteffekten zur Regel erhoben, und es wird ein entsprechendes Wording verwendet.
Im Antrag ist vom Wohnungspolizeigesetz die Rede. Gemeint ist der Entwurf zum Wohnungsaufsichtsgesetz - was aber leider eher ein Plüschtiger als irgendein Polizeigesetz ist.
Und es ist von Zweckentfremdung des Wohnungsbauvermögens für sozialpolitische Zwecke die Rede, obwohl die schwarz-gelbe Landesregierung das Vermögen zweckentfremdete, als es in den Haushalt der NRW-Bank überführt und damit praktisch abgeschafft wurde.
(Beifall von den PIRATEN und Jochen Ott [SPD])
Es wird von überbordenden Standards gesprochen, ohne an einer Stelle auch nur anzudeuten, was damit gemeint sein könnte. Und die Einschränkungen der Siedlungsstruktur durch restriktive Vorgaben bei der Neuaufstellung des Landesentwicklungsplans, also LEP und Flächen, tauchen sowieso überall auf, wenn die FDP etwas schreibt.
Da ist es nur konsequent, dass eine halbherzige Regelung des Mieterhöhungsspielraums in ausgewählten Gebieten scheinbar in die Vorhölle der sozialistischen Wohnungsbewirtschaftung unter Mangelbedingungen führt.
Ich komme zum Schluss. Heißt das, kein privates Kapital wird mitmachen? Heißt das, kein Haus wird mehr modernisiert? Ich wette dagegen – auch im Ausschuss. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.
Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Gleich vorweg: Ja, ich bin davon überzeugt: Die absolut große Mehrzahl unserer Vermieterinnen und Vermieter ist seriös, wirtschaftlich engagiert und sozial verantwortungsbewusst.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Holger Ellerbrock [FDP])
Deshalb reden wir nicht darüber, dass wir die soziale Verantwortung qua Gesetz über die breite Masse festlegen müssen, sondern wir reden darüber, dass die sozial unverantwortlich Handelnden, die „miethaihaft im Becken schwimmenden Unternehmen und Unternehmer“, trockengelegt werden müssen. Das ist unsere Pflicht.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Wir müssen diejenigen schützen, die des Schutzes bedürfen. Das soll mit diesem Gesetz im Rahmen des uns Möglichen sozialverträglich für beide Seiten geschehen.
Ich glaube, der Gesetzesvorschlag ist sehr abgewogen. In Nordrhein-Westfalen ist die Monarchie abgeschafft. Deshalb haben wir auch nicht qua Edikt, sondern qua externem Gutachten eine Gebietskulisse vorgeschlagen.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Wir haben jeweils mit den einzelnen Kommunen Rücksprache gehalten, wie sie es sehen, ob sie zugeordnet werden sollten oder nicht. Euskirchen hat Nein gesagt, dafür Punkte gutgeschrieben bekommen, fällt aber trotzdem unter die wissenschaftlichen Kriterien. Bottrop hat Ja gesagt. Raesfeld hat nicht Nein gesagt. Emmerich hat Ja gesagt. Alle aus der kommunalen Gemeinschaft, die wollten, sind allemal drin. Diejenigen, die nicht wollten, sind zum Teil drin, weil das vom Punktesystem her gutachterlich sehr gut begründet so auskam.
Zur Beteiligungskultur in Nordrhein-Westfalen: Wir legen sehr viel Wert darauf, dass auch im Verhältnis nach außen diese Landesregierung im Geiste der Koalition der Einladung agiert, bevor sie regiert. Deshalb waren beteiligt: die kommunalen Spitzenverbände, die Verbände der Wohnungswirtschaft und die Mietervereinigungen. – Ich glaube, der Sach- und Fachverstand konnte sich kompetent einbringen.
Wir beraten damit ein Gesetzesvorhaben weiter, das auf sehr solidem Fundament steht und die Mieterinnen und Mieter in Nordrhein-Westfalen letztendlich weiter schützt und die soliden Vermieter nicht bedroht, sondern dadurch fördert, dass die schwarzen Schafe nicht aus der Reihe tanzen können.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5034 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
6 Landesregierung muss Hilfen für von Armutszuwanderung betroffene Städte leichter zugänglich machen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5042
Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5095
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende CDU-Fraktion als erster Rednerin Frau Kollegin Güler das Wort. Bitte sehr.
Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz nach dem Motto „Alle Jahre wieder“ hatten wir auch dieses Jahr, direkt zu Beginn, eine Debatte rund um das Thema „Zuwanderung und Integration“. Es war keine schöne Debatte. Es war vor allem aber auch keine ehrliche Debatte. Der Satz „Wer betrügt, der fliegt!“ war keiner, den sich hier auch nur ein Integrationspolitiker zu eigen machen würde.
Herr Minister Schneider hat hierzu im Ausschuss einen Vergleich gefunden, den ich an dieser Stelle wenig passend finde. Er sagte: Wenn es so wäre, dass jeder fliegt, der betrügt, sei die Frage nach den gefälschten Dissertationen zu stellen. – Viel treffender ist der Vergleich: Was ist denn mit all denen, die die Menschen aus Südosteuropa ausbeuten, Arbeitgeber, die diese Menschen für einen Hungerlohn arbeiten lassen? Was ist mit Vermietern, die für eine Matratze als Schlafstelle bis zu 300 € verlangen?
(Beifall von Ministerin Barbara Steffens)
Das sind die eigentlichen Betrüger, denen Kommunen, Land und Bund viel energischer auf die Finger schlagen müssten, als das bisher vielerorts geschieht.
Liebe Kollegen, unser Antrag geht auf diese Fälle nicht ein. Das ist mir klar. Das sind Dinge, die wir ordnungspolitisch, aber nicht integrationspolitisch regeln können. Als Integrationspolitiker blenden wir solche Fragen zwar nicht aus; wir müssen uns aber im Rahmen unserer Gestaltungsmöglichkeiten vor allem für die Integration dieser Menschen einsetzen.
(Zuruf von Stephan Gatter [SPD])
Der Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe zu diesem Thema ist eine gute Grundlage. Das haben wir auch in unserem Antrag gewürdigt. Auch die 7,5 Millionen €, die zum größten Teil Mittel der EU sind, sind richtig und wichtig.
Dabei alleine kann es aber nicht bleiben. Ich glaube, wir sind uns einig, wenn wir sagen: Die Bewältigung der Armutszuwanderung ist in einigen unserer Kommunen die aktuell größte integrationspolitische Herausforderung. – Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Kommunen wie auch die Zugewanderten selbst effektiver zu unterstützen, allen voran mit der Prüfung, ob uns zu dem Zweck weitere ESF-Mittel zur Verfügung gestellt werden können, ob aus den Fördertöpfen der EU nicht noch mehr herauszuholen ist, zum Beispiel mit Blick auf den „Fonds gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ der EU. Vor allem aber kann die Landesregierung ganz konkret helfen und es den Kommunen erleichtern, Anträge zu stellen und Fördermittel schnell zu erhalten.
Minister Schneider teilte in der letzten Ausschusssitzung mit, dass das Land Nordrhein-Westfalen jeden Cent der hierfür zur Verfügung stehenden ESF-Mittel in Anspruch genommen habe. Vielleicht wiederholt er das ja. Wenn dem so ist, steht auf jeden Fall fest: Diese Mittel reichen nicht aus. Es muss geprüft werden, ob weitere Mittel akquiriert werden können.
Mit dem Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe haben wir eine facettenreiche Darstellung. Was aber fehlt, sind klare Prioritäten und konkrete Perspektiven. Die Landesregierung muss einen konkreten und verbindlichen Maßnahmenkatalog vorlegen und dessen Umsetzung wirksam kontrollieren.
Nach unserer Vorstellung sollte – ähnlich wie auf Bundesebene – dieser Maßnahmenkatalog von einer Staatssekretärsrunde erarbeitet werden, die unter Leitung des Chefs der Staatskanzlei zusammenkommt. Wir wollen dies ganz bewusst hoch aufhängen, weil a) die Zuwanderung aus Südosteuropa – soweit sie insbesondere die Roma betrifft – eine der zentralen landespolitischen Herausforderungen ist, weil es b) nicht alleine um Integrationspolitik, sondern Schule, Bildung, Arbeitsmarktpolitik, Ordnungsrecht und viele andere Aspekte geht und weil es c) um übergreifende Fragen geht:
Wie können wir den betroffenen Kommunen am besten helfen? Wie können wir sie unterstützen? Wie können wir die uns zur Verfügung gestellten Mittel am effektivsten einsetzen? Wo müssen wir wie handeln? – Das sind Fragen, die unserer Ansicht nach am besten im Rahmen einer Staatssekretärsrunde und übrigens auch mit Beteiligung der betroffenen Zuwanderer geklärt werden können.
Ich glaube, wir alle haben hier dasselbe Anliegen. Ich komme gerne noch auf die Aussage des Kollegen Yetim – er sitzt leider jetzt nicht hier; ich sehe ihn nicht – zurück, der während der letzten Ausschusssitzung noch betonte, er würde sich wünschen, dass es eine gemeinsame Initiative aller Fraktionen geben würde, vor allem was den Einsatz und die Mittelabrufung der ESF-Mittel betrifft. Dafür haben wir einen Antrag vorgelegt. Damit haben wir hier einen Anfang gemacht. Natürlich wünsche ich mir, dass wir alle diesen Antrag mittragen können.
Wir sind bereit, diesen Antrag weiterzuentwickeln bzw. umzugestalten. Natürlich können wir auch über die Begrifflichkeiten hier oder im Ausschuss weiter diskutieren, zum Beispiel ob wir das Ganze „Armutszuwanderung“ nennen. Ich glaube, diese Diskussion hatten wir im Ausschuss zur Genüge. Wir können das auch gerne „Armutsmigration“ nennen, Frau Velte, wie es die Grünen in Berlin tun; das ist auf deren Homepage nachzulesen. Ich glaube aber, an Begriffen sollte das Ganze nicht scheitern. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen von Grünberg das Wort.
Bernhard von Grünberg (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Güler, zunächst einmal bedanke ich mich für Ihre Rede, jedenfalls für Teile Ihrer Rede. Sie sollten darüber einmal mit dem Kollegen Schemmer kommunizieren, weil es auch um die Fragen geht: Wie gehen wir eigentlich gegen Vermieter vor, die Menschen ausbeuten? Wie gehen wir gegen Arbeitgeber vor, die Menschen ausbeuten? Das sind wichtige Fragen in dem Zusammenhang. Ich hoffe, dass in Ihrer Fraktion in Bezug auf diese Fragen noch viel gelernt wird.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegen zwei Anträge vor; zusätzlich gibt es noch einen Entschließungsantrag der FDP. Mir ist es wichtig, ganz am Anfang meiner Ausführungen zu sagen, wie wichtig und wie erfolgreich Zuwanderung für die Bundesrepublik Deutschland ist; denn sie schafft es, dass wir unsere Arbeitsplatzprobleme, die wir in verschiedenen Branchen haben, bewältigen können. Vor allen Dingen schafft sie es, dass die Generationenprobleme, die wir haben – Sie kennen das alles; das betrifft die Rente und viele andere Fragen –, auch tatsächlich gelöst werden können. Das ist ein großer Vorteil. Zuwanderung hilft insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, also auch uns in Nordrhein-Westfalen.
Was die CDU angeht, wundert mich, dass sie so tut, als ob die Diskussion in den letzten Wochen an ihr vorbeigegangen ist.
Frau Güler, wir haben als einziges Land bisher einen aktiven Plan gemacht, nämlich 7,5 Millionen € zur Verfügung zu stellen. Kein anderes Bundesland hat das getan, geschweige denn der Bund. Wir haben als erstes Bundesland 7,5 Millionen € zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich ist das auch durch eine Staatssekretärsrunde ausgearbeitet worden, die intensiv darüber verhandelt hat. Selbstverständlich ist es so, dass diese Staatssekretärsrunde weiterhin besteht. Die Mittel stehen doch für die verschiedenen Bereiche zur Verfügung. Sie werden auch ausgegeben. Deswegen verstehe ich das alles nicht. Selbstverständlich gibt es all das, was Sie fordern.
Sie sprechen dann davon, wie toll der Bund sei; bisher habe es die Aufstockung der Mittel der Städtebauförderung gegeben. Zwar ist sicherlich begrüßenswert, dass die Städtebauförderungsmittel ausgeweitet worden sind. Sie können hier auch helfen.
Es gibt aber noch ganz viele Fragen, zum Beispiel die: Wie sollen die Kommunen, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, ihre Eigenmittel aufbringen? Das heißt, es muss noch sehr viel über die Frage diskutiert werden: Wo und wie kommt das Geld real an? Das ist nicht so ganz einfach – erst recht nicht für die Kommunen, die sich, wie gesagt, in schwierigen finanziellen Situationen befinden.
Selbstverständlich nehme ich zur Kenntnis, dass wir ein gemeinsames Ziel haben: dass nämlich die europäischen Sozialfondsmittel, die in anderen Ländern nicht ausgegeben worden sind und nach Deutschland zurückfließen, auch tatsächlich für diese Städte zur Verfügung gestellt werden, damit die Probleme hier bewältigt werden können.
Was den Bund anbelangt, haben wir zum Beispiel auch die Integrationsmittel. Die Sprachfördermittel brauchen wir dringend. Wenn die Leute hierherkommen und arbeiten sollen – wir sind auf sie angewiesen –, brauchen wir auch die Fördermittel für die Integrationskurse. Das ist immer noch nicht geklärt. Selbstverständlich brauchen diese Menschen auch die Integrations- und die Sprachkurse. Das ist bisher ein völlig ungelöstes Problem, das wir angehen müssen.
Selbstverständlich brauchen wir auch Aktivitäten auf Bundesebene, die dafür sorgen, dass zum Beispiel in Ländern wie Bulgarien und Rumänien die Sozialfondsmittel auch tatsächlich beantragt und die entsprechenden Maßnahmen durchgeführt werden können. Wir haben dafür zum Beispiel die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die das in allen möglichen Ländern macht. Sie stellt Anträge, beobachtet die Durchführung oder führt möglicherweise selbst durch. – Das wäre sehr sinnvoll. Auch da hoffen wir auf die Initiative der Bundesrepublik Deutschland, die zum Beispiel sagt: Ich beauftrage meine GIZ, um solche Maßnahmen durchzuführen.
Jetzt aber noch zu den Anträgen der FDP. Sie sagen, erst einmal solle die Politik festlegen, welche Ansprüche es da gibt. Grundsätzlich haben Sie recht. Wenn ich sehe, was die Bundesagentur für Arbeit für Hinweise an die Behörden gibt – sie sagt „Jetzt müsst ihr damit umgehen“, und keiner weiß genau, ob die Leute einen Anspruch haben oder nicht –, dann ist das sicherlich eine ganz schwierige Situation. Der Europäische Gerichtshof wird darüber entscheiden. Sicherlich wird man in der Politik auch hierüber noch einmal intensiv diskutieren müssen, welche Dinge wir denn wirklich brauchen oder nicht.
Wir haben doch die Situation, dass ganze Familien kommen, die hier auch dauerhaft leben wollen. Denen kann nicht gesagt werden: Ihr bekommt keine Sozialansprüche, obwohl ihr hier lebt; geht mal wieder nach Hause! – Wenn die Menschen tatsächlich nach Hause gehen, kommen sie voraussichtlich wieder zurück, weil die Verhältnisse in ihren Heimatländern noch schlechter sind, als hier in Deutschland bzw. in Nordrhein-Westfalen ohne Sozialhilfe zu leben.
Das heißt, die Menschen sind hier, und wenn wir ihnen nicht helfen, werden sie leicht kriminell werden, um ihre Familien durchzufüttern. Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir mit dieser Situation um? So einfach ist das in Europa mit offenen Grenzen nicht. Die Leute können hin- und herfahren. Wenn sie hier dauerhaft wohnen wollen, werden sie auch dauerhaft hier leben können und natürlich arbeiten sollen. Wir sollten ihnen alle Hilfen geben, damit sie auch hier bleiben können. Das bedeutet für mich eben auch, die Grundsicherung bzw. die Sozialhilfe nicht außen vor zu lassen. – Vielen Dank.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege von Grünberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.
Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Güler, ich bin froh über Ihre Rede; denn ich glaube, dass darin eine ganze Menge Hoffnung steckt. Auch könnte die Verabredung darin stecken, die wir schon im Ausschuss getroffen haben, dass wir versuchen wollen, das Thema der europäischen Binnenwanderung hier in Nordrhein-Westfalen gemeinsam zu besprechen, und dass wir darüber reden, dass den Menschen, die kommen, und den Kommunen geholfen werden muss. Ich bin froh, dass Sie das gesagt haben.
Ich bin auch der FDP für ihren sehr differenzierten Antrag dankbar, den sie zu dem Thema eingebracht hat. Ich könnte mir vorstellen, dass das gemeinsam mit dem Antrag, den wir im letzten Plenum beschlossen haben, eine gute Basis ist, dieses Thema gemeinsam zu behandeln.
Wäre Ihre Rede nicht gewesen, Frau Güler, dann hätte ich mich doch sehr gewundert, dass Sie nach fast zwei Jahren Diskussion über dieses Thema, in denen die Interministerielle Arbeitsgruppe getagt hat und zu Handlungskonzepten gelangt ist, die sie uns im Januar vorgestellt hat, ein Jahr nach der Einwendung, dem Hilfeschrei des Städtetages, über den viel diskutiert worden ist, nach der Bund-Länder-Kommission und einer langen Diskussion, die um die Jahreswende sehr ins Negative geschwappt ist, dass Sie nach dieser langen Zeit nun einen Antrag einbringen. Wenn dieser Antrag aber so zu verstehen ist, dass man die Diskussion miteinander aufnehmen und mehr Gemeinsamkeit bei diesem Thema hinbekommen soll, dann finde ich das gut und richtig.
Ich würde dann auch etwas hineindefinieren, was im FDP-Antrag steht, nämlich ein klares Bekenntnis zur europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit. An der Stelle geht es nämlich um Freiheit in Europa. Es geht auch darum, dass man dort arbeiten und sein Glück suchen kann, wo man sich aufhält. Es geht ebenso darum, dass die Menschen, die kommen, entsprechend angenommen werden. Dafür müssen wir eine ausreichende Kultur entwickeln, um die Menschen dort zu unterstützen, wo sie Unterstützung brauchen, zum Beispiel durch Integrationskurse. Es kann nämlich nicht sein, dass jemand hierherkommt und keine Möglichkeit hat, sich in die deutsche Gesellschaft über solche Kurse zu integrieren und zu lernen, wie das Leben hier läuft.
Zum Thema „Staatssekretärinnenrunde“: Ich weiß nicht, Frau Güler, was das eigentlich soll. Wenn wir darauf gewartet hätten, dass dieser Vorschlag kommt, dann hätten wir immer noch nichts. Wir haben ja schon die Interministerielle Arbeitsgruppe, die auch schon getagt hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam darangehen könnten, die Arbeit weiterzuführen. Wir haben im letzten Plenum beschlossen, dass die Arbeit, Herr Dr. Stamp, 2015 weitergeführt wird.
Wenn wir das im Ausschuss alle gemeinsam tun, dann freue ich mich über die Überweisung, mache hier kein großes Fass auf, freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und hoffe, dass wir dort zu guten Lösungen für Nordrhein-Westfalen und vor allem für die vielen Menschen kommen, die sich hier niederlassen wollen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig: Freizügigkeit ist eine der größten Errungenschaften in Europa, und wir alle wollen sie verteidigen. Deutschland und gerade Nordrhein-Westfalen profitieren von Zuwanderung. Auch die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien bringt große Vorteile für uns. Darum heißen wir die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen auch willkommen.
(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, die Akzeptanz für Freizügigkeit und Zuwanderung erhalten wollen, dann müssen wir auch offen über die problematischen Begleiterscheinungen sprechen. Dazu gehört auch der Zuzug von Armutsmigranten in einige Großstädte in Deutschland und insbesondere nach Nordrhein-Westfalen.
Herr von Grünberg, Sie haben gerade die Vorreiterrolle von Nordrhein-Westfalen, was die Finanzen angeht, angesprochen. Nordrhein-Westfalen ist natürlich auch das Bundesland, das am stärksten mit dem Thema konfrontiert ist. Wir haben viele Bundesländer, die diese Debatte in der Form gar nicht haben.
Auch wenn der Anteil der Armutsmigranten insgesamt eher ein Randphänomen ist, stellt er für die betroffenen Kommunen und auch für die betroffenen Menschen Herausforderungen dar, die sie alleine nicht mehr bewältigen können. Die Nachbarschaften in diesen neuen sozialen Brennpunkten haben ein Recht darauf, dass ihnen schnell geholfen wird und dass sie vor einem unzumutbaren Wohnumfeld wirkungsvoll und auch dauerhaft geschützt werden.
(Beifall von der FDP)
Dazu finde ich, ehrlich gesagt, im CDU-Antrag keinen eigenen Lösungsvorschlag. Ich finde, angesichts der Bedeutung des Themas ist es zu wenig, nur die Fortschreibung des Berichts der Landesregierung zu fordern. Da hätte ich mir mehr gewünscht.
Wir haben uns sehr viel Mühe gemacht und auch einen sehr umfassenden Katalog von Forderungen mit unserem Entschließungsantrag vorgelegt. Ich will auf wenige Punkte eingehen.
Die umfassenden Herausforderungen, die der Städtetag bereits vor einem Jahr aufgelistet hat – Gesundheitsversorgung, Beschulung, Integrationsmaßnahmen etc. –, überfordern die Kommunen finanziell. Sie brauchen jetzt Hilfe, sie brauchen Soforthilfe. Es ist zwar positiv, dass die Bundesbauministerin ihre Hilfe zugesagt hat, aber das alleine wird nicht ausreichen.
Deswegen haben wir als FDP den Vorschlag gemacht: Wenn Deutschland insgesamt von Zuwanderung, von der Freizügigkeit in Europa profitiert, dann sollten doch bitte die Mittel, beispielsweise die ESF-Mittel, die in der Europäischen Union von Ländern wie Bulgarien und Rumänien vor Ort nicht ausgegeben werden und die mittelbar wieder in den Bundeshaushalt zurückfließen – man kann das spitz abrechnen –, sofort in einen Fonds für die betroffenen Kommunen fließen, damit Dortmund und Duisburg sofort geholfen werden kann und nicht erst dann, wenn ein neues Gremium, dieser Staatssekretärsausschuss, bis Juni eine Konzeption erarbeitet. Das geht uns nicht schnell genug.
(Beifall von der FDP)
Aber auch das Land ist gefragt, meine Damen und Herren. Wir erkennen an, Herr Minister Schneider und Herr Minister Jäger, dass Sie in Ihrem Bericht einige Maßnahmen auflisten und dass Sie diese finanziell unterfüttert haben. Wir glauben aber, dass das nicht ausreicht. Wir glauben auch, dass das Engagement in Sachen Ordnungspartnerschaften noch nicht ausreicht. Wir wünschen uns, dass die Kommunen in der Lage sind, das Ordnungsrecht vor Ort konsequent durchzusetzen und gegen die steigende Kleinkriminalität vor Ort vorzugehen.
Wir brauchen in zweierlei Hinsicht Unterstützung der europäischen Ebene. Wir brauchen einerseits – diese Diskussion gab es heute wieder; ich denke beispielsweise an die Berichterstattung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über das Bundessozialgericht – eine Präzisierung im europäischen Recht, damit klargestellt wird, dass Freizügigkeit keine automatische Alimentierung bedeutet. Herr von Grünberg, wer das fordert, überfordert die Solidargemeinschaft. Es wäre schade, wenn da-durch die Akzeptanz für Freizügigkeit insgesamt leidet.
Wir brauchen aber andererseits von der europäischen Ebene – das wurde von Frau Velte vorhin schon angedeutet – konkrete und ernsthafte Hilfe für die Minderheiten in Südosteuropa. Für mich als Liberaler ist nicht hinnehmbar, dass im 21. Jahrhundert Tausende von Menschen mitten in Europa quasi auf der Müllhalde leben. Hier muss die Kommission handeln und nicht nur auf die Fördertöpfe verweisen. Wenn das Abrufen der Fördertöpfe nicht funktioniert, muss man eben selbst aktiv werden und diese Förderung verändern.
Für uns ist der gesamte Themenkomplex von großer Wichtigkeit. Daher freuen wir uns auf eine sachliche, unaufgeregte und fachlich fundierte Beratung im Ausschuss. Wir haben dazu unseren Forderungskatalog vorgelegt. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Brand.
Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Wenn mich ein neuer Antrag einer anderen Fraktion erreicht, überfliege ich zunächst die Ausgangslage oder andere einführende Worte und lese den Beschlussteil. So habe ich es auch mit diesem Antrag gemacht.
Der Beschlussteil kommt zunächst harmlos, aber auch ein wenig kurios daher. Da soll zunächst der Landtag beschließen, „den Bericht der IMAG ‚Zuwanderung nach Südosteuropa‘„ zu begrüßen. Diesen Bericht kenne ich leider nicht. Mir stellt sich auch die Frage, warum wir uns hier im Landtag NRW mit den Zuwanderern nach Südosteuropa beschäftigen sollen.
Sollten Sie allerdings den Bericht „Zuwanderung aus Südosteuropa“ gemeint haben, kann man gern beschließen, ihn zu begrüßen. Das kann man aber auch sein lassen.
(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Der nächste Punkt erschließt sich dem geneigten Leser auch nicht ganz, zumindest wenn man Kenntnisse vom Bericht und den Inhalten der letzten Ausschusssitzungen hat. Ein Handlungskonzept liegt vor. Priorisierungen sind nicht erforderlich, da vieles parallel läuft. Das ist ja auch gut so. Dass die Staatskanzlei wieder hineingezogen werden soll, um die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs zu überwachen, ist für mich ein erneutes Misstrauensvotum gegen unseren Integrationsminister. Bei der Häufigkeit dieser Übung wird das langsam schäbig.
(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Im Weiteren gibt es nichts sensationell Neues. Alles, was gefordert wird, ist bereits in der Umsetzung, ist angekündigt, gewollt oder auf dem Weg. Beim letzten Punkt zum detaillierten Umsetzungsbericht würde es helfen, den Ausschusssitzungen aufmerksam zu folgen. Fast in jeder Sitzung haben wir das Thema auf der Tagesordnung. Ich bin äußerst zuversichtlich, dass wir auch weiterhin regelmäßig und umfassend informiert werden.
Betrachtet man den Antrag in Gänze, stellt man mit Erschrecken fest, wes Geistes Kind er ist. Gleich in der Überschrift findet sich das Wort „Armutszuwanderung“ an prominenter Stelle. Der Gebrauch dieses Wortes ist durch unermüdliche Infiltration von der CSU und Leuten rechts von der CSU leider fester Bestandteil in unserem Sprachgebrauch geworden.
Wir haben uns aber im Integrationsausschuss darüber verständigt, dieses Wort nicht mehr zu benutzen. Wer, wenn nicht wir, sollte als Vorbild dienen und nicht noch tiefer in die Kerbe hauen?
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Weiter geht es mit: „Der Landtag stellt fest: …“ – Schauen wir einmal, was der Landtag feststellen soll. Zunächst einmal werden wir mit Zahlen versorgt. Da dies direkt unter der Überschrift mit dem Wort „Armutszuwanderung“ erfolgt, hilft es wenig, wenn im Absatz danach von der Mehrzahl gut qualifizierter Eingewanderter gesprochen wird. Die große Zahl 75.000 und der Anstieg um 25 % sind erst einmal taktisch gut platziert.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Frau Abgeordnete.
Simone Brand (PIRATEN): Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie wollen keine Zwischenfrage zulassen. Okay.
Simone Brand (PIRATEN): Im dritten Abschnitt kommt dann allerdings eine Ungeheuerlichkeit, die der Rhetorik eines Herrn Lucke in nichts nachsteht. Sie schreiben – ich zitiere –:
„Vor allem nordrhein-westfälische Großstädte wie Duisburg, Düsseldorf, Dortmund, Gelsenkirchen, Hamm und Köln stellt dieser Zuzug insbesondere von Roma vor gewaltige Herausforderungen.“
Und jetzt kommt es:
„Dass diese Form der Zuwanderung keine Folge der geltenden Freizügigkeitsregelungen innerhalb der EU ist, wird dabei häufig übersehen.“
Sie sagen damit doch nichts anderes, als dass diese Zuwanderer nicht arbeiten wollen. Damit bedienen Sie wieder die Mär vom Einzug in die Sozialsysteme.
(Lachen von Serap Güler [CDU])
Ganze Gruppen von Menschen unter besonderer Betonung der Roma werden von Ihnen stigmatisiert.
(Serap Güler [CDU]: Unfassbar! – Gegenruf von Torsten Sommer [PIRATEN]: Das ist unfassbar, Frau Güler!)
Und die FDP zieht dem Antrag mit der gleichen Wortwahl hinterher.
Meine Damen und Herren, rechtspopulistisches Gedankengut hat weder in diesem noch in einem anderen Landtag etwas verloren. Wir beschwören die Willkommenskultur und spülen dann solche Anträge heraus? Pfui!
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Ich rate Ihnen, liebe CDU-Fraktion, dringend, Ihre Rhetorik zu überdenken.
(Lachen von der CDU)
Aufgrund dieser Rhetorik kann ich der Überweisung in den Ausschuss nur mit Bauchschmerzen zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und Arif Ünal [GRÜNE])
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Brand. – Bitte bleiben Sie noch einen Moment am Rednerpult, denn Herr Kollege Dr. Stamp hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet und erhält jetzt für 90 Sekunden das Wort. Bitte schön.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Kollegin Brand, ich möchte in aller Entschiedenheit zurückweisen, was Sie uns hier unterstellen. Ich glaube, dass es die Aufgabe von demokratischen Parteien ist, auf Dinge hinzuweisen, die vor Ort schwierig sind, bei denen Menschen Sorgen haben, weil sie mit Schwierigkeiten konfrontiert sind und in ihren Nachbarschaften Dinge erleben, die sie vorher nicht kannten. Reden Sie mit den Sozialarbeitern in den entsprechenden Kommunen; dann muss ich das hier nicht näher ausführen.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: Sie haben mit ihnen nie gesprochen! Kein Stück!)
Es geht gerade darum, hier nicht populistische Politik zu machen.
(Zuruf von den PIRATEN: Das tun Sie aber!)
In diesem Saal hat das niemand getan.
(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Das tun Sie aber! Das ist Ihre Wortwahl!)
Das ist eine Unterstellung. Das ist eine absolute Unverschämtheit.
Sie können ja mal in den Ausschuss kommen. Wir haben im Ausschuss sehr vernünftig und sehr sachlich diskutiert. Da haben wir auch klipp und klar – ich habe das auch für uns gesagt – festgestellt, dass es natürlich notwendig ist, auch von einer Armutsmigration zu sprechen, wenn es eine Armutsmigration ist. Es ist doch Unsinn, wenn man die ganze Zeit glaubt, man würde damit Leute nicht stigmatisieren, wenn man ihre Probleme nicht anspricht.
Ich möchte, dass denen geholfen wird. Ich sage Ihnen auch: Jedes einzelne Kind dieser Armutsmigranten hat die gleichen Rechte wie meine beiden Töchter. Deswegen kämpfe ich dafür, dass wir die Probleme in den Griff kriegen und dass den Menschen geholfen wird. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Simone Brand (PIRATEN): Danke.
(Die Abgeordnete verlässt das Redepult.)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Brand, wohin wollen Sie? Sie haben die Kurzintervention gehört. Sie wollen darauf nicht antworten?
Simone Brand (PIRATEN): Nein. Ich habe mich bedankt.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das ist eine neue Interpretation der parlamentarischen Debatte. Aber es ist Ihr gutes Recht, Ihren Debattenbeitrag zu verweigern.
Damit sind wir wieder im regulären Verfahren. Ich erteile für die Landesregierung Herrn Minister Schneider das Wort.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich trotz der eben erkennbaren Aufgeregtheiten für die Debatte bedanken. Ich denke, wir haben für die Diskussionen und für die Beratungen im Ausschuss gute Grundlagen. Diese sind nicht gänzlich neu. Aus meiner Sicht ist manches überzogen. Aber ich glaube, wir können die eigentlich ja konsensuale Integrationspolitik, die in diesem Hause in den letzten Jahren vorhanden war, auch unter Einbeziehung des Entschließungsentwurfs der FDP fortsetzen.
Zur Sache selbst: Die Zuwanderung aus Südosteuropa – das ist ja kein Geheimnis – ist für einige Städte in Nordrhein-Westfalen eine große sozial- und integrationspolitische Herausforderung. Nicht die absolute Zahl der Zuwanderer und Zuwanderinnen aus Rumänien und Bulgarien ist das Problem, sondern die Zuwanderung in bestimmte Städte, ja Stadtteile, ja Häuser.
Ich möchte Frau Kollegin Güler massiv unterstützen, wenn sie darauf hinweist, dass für bestimmte Verwerfungen natürlich nicht die Zuwanderer verantwortlich sind, sondern zum Beispiel kriminelle Wohnraumvermieter,
(Vereinzelt Beifall von der SPD)
die den schnellen Euro machen wollen, zum Beispiel diejenigen, die sich ohne Moral auf dem Arbeitsstrich bedienen und Menschen für 2 oder 3 € pro Stunde anwerben, die bisher, da es keine Freizügigkeit gab, keine andere Möglichkeit des Broterwerbs für sich sahen. Es geht also darum, auch Sicherheit zu schaffen, indem den Gruppen, die von der Zuwanderung hier profitieren, das Handwerk gelegt wird.
Wir haben sehr frühzeitig, ohne Schnellschüsse vornehmen zu wollen, über eine Interministerielle Arbeitsgruppe ein Handlungskonzept erarbeitet. Ich bedanke mich an dieser Stelle nicht nur beim Innenministerium, sondern auch bei den anderen Häusern für die außerordentlich konstruktive Zusammenarbeit, zum Beispiel bei Frau Löhrmann, die für den Bereich Bildung hier vieles, auch materiell Wichtiges, auf den Weg gebracht hat.
Ich meine, wir brauchen keine neuen Gremien. Deshalb kann ich mit der Forderung nach einer Staatssekretärsrunde auch nichts anfangen. Die Interministerielle Arbeitsgruppe wird weiter arbeiten. Gremien sind nicht notwendig, aber konkrete Hilfen für die Betroffenen und keine neuen Bürokratien.
Im Übrigen brauchen wir hier keine Belehrungen, was die Bundesebene anbelangt. Die Bundesebene war hier sehr zurückhaltend. Der Staatssekretärsausschuss auf Bundesebene wurde ja erst für den 18. Januar 2014 einberufen. Da war unser Konzept schon längst fertig. Das hat sicherlich etwas zu tun mit dem Problemdruck, aber eben nicht nur.
Wenn auf der Ebene der EU die Probleme lange ausgeblendet waren, hat dies auch damit zu tun, dass die alte Bundesregierung nicht korrekt nach Brüssel gemeldet und informiert hat. Deshalb kam der Sozialkommissar Andor, der ja am 7. Februar in Duisburg weilte, zunächst zu der Ansicht, es gäbe dieses Problem nicht. Mittlerweile sieht er die Dinge mit anderen Augen. Hier hat auch die Landesregierung im positiven Sinne Aufklärung geleistet.
Frau Güler, ich kann Ihnen sagen: Wir werden auch weiterhin im Rahmen des Möglichen die uns zur Verfügung stehenden ESF-Mittel einsetzen, um insbesondere Integrationsmaßnahmen über diesen Weg zu finanzieren.
Das wird aber nicht ausreichen. Unser 7,5-Millionen-Programm ist sicherlich mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber es ist bei Weitem nicht ausreichend.
Deshalb werden wir die Bundesregierung hier nicht aus der Verantwortung lassen. Erste Schritte im Bereich Städtebau sind ja getan. Diese müssen auch finanzielle Konsequenzen haben.
Wir werden die Europäische Union auch nicht aus der Verantwortung lassen. Wenn da von einem Fonds zur Bekämpfung der Armut in Europa gesprochen wird, so unterstützen wir eine solche Gründung. Aber bisher gibt es diesen Fonds nicht.
(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)
Wir werden also sehr genau darauf achten müssen – hier hat das Parlament auch eine wichtige Aufgabe –, …
Vizepräsident Daniel Düngel: Die Redezeit, Herr Minister Schneider.
Guntram Schneider, Minister für Arbeit, Integration und Soziales: … dass es nicht nur bei Ankündigungen bleibt, sondern die politischen Realitäten im Interesse der Integration, der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und des friedlichen Zusammenlebens auch unterschiedlicher Kulturen verändert und verbessert werden.
Ich kann Ihnen auch sagen, dass wir nicht nur alle zwölf Monate an dieser Stelle berichten werden. Die Berichtszeiträume werden enger gefasst. Meines Erachtens hat das Parlament nämlich einen Anspruch darauf, über die Aktivitäten, die entwickelt werden, kontinuierlich unterrichtet zu werden.
Ich appelliere nochmals an alle Fraktionen, eine kritische, aber konstruktive Diskussion in den Ausschüssen zu führen, damit wir – das ist meine Hoffnung – zu guten Ergebnissen kommen, die uns und das Land in diesem sehr wichtigen Politikfeld gemeinsam weiterbringen. – Danke schön.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Schneider. – Ich darf das Hohe Haus darüber informieren, dass die Landesregierung die Redezeit um insgesamt 1:45 Minuten überzogen hat. Dadurch würden sich noch Redezeitenkontingente für die Fraktionen ergeben. Ich sehe allerdings keine weiteren Wortmeldungen. – Das bleibt auch so. Damit sind wir am Schluss der Aussprache.
Wir stimmen ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5042 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 16/5095 an den Integrationsausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Europa und Eine Welt. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung Folge leisten? – Ist jemand gegen die Überweisungsempfehlung oder enthält sich? – Damit ist einstimmig so überwiesen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
7 Archivgesetz NRW jetzt evaluieren und ein geordnetes Gesetzgebungsverfahren gewährleisten
Antrag
der Fraktion der
PIRATEN
Drucksache 16/5026
Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht der Kollege Lamla.
Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier und zu Hause! Schön, dass Sie da sind! Es geht heute um das Archivgesetz NRW. Das Archivgesetz NRW in der jetzt gültigen Fassung ist erst vor vier Jahren hier im Landtag beschlossen worden. Es wurde damals ungewöhnlich kurz befristet. Das Gesetz trat am 1. Mai 2010 in Kraft und verliert bereits zum 30. September 2014 seine Gültigkeit.
Diese kurze Befristung des Gesetzes hat einen Sinn. Damals hat man nämlich beim Archivgesetz in einigen Bereichen recht grundlegende Neuerungen eingebracht. Zum Beispiel hat man damals konkreter geregelt, wie elektronische Unterlagen in die Archive gelangen können. Man hat also Anpassungen an die aktuellen Gegebenheiten in den öffentlichen Verwaltungen vorgenommen, in denen mittlerweile fast ausschließlich elektronisch gearbeitet wird.
Ich möchte Sie auch an die Debatte um die Übernahme der sogenannten unrechtmäßig gespeicherten Daten durch die Archive erinnern sowie an die unterschiedlichen Diskussionen über fachliche Standards, die zwar – und das ist das Problem – für das Landesarchiv NRW gelten, aber nicht für die Kommunalarchive, weil man damals anscheinend am Widerstand der kommunalen Spitzenverbände gescheitert ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen von Ihnen, die 2010 bei den Beratungen dabei waren – es dürften einige sein –, erinnern sich: Damals war von Anfang an klar, dass man die Neuerungen des Archivgesetz NRW nach nicht allzu langer Zeit überprüfen sollte und gegebenenfalls nachbessern müsste.
Wir sind jetzt in der Situation, dass dieses Archivgesetz in einigen Monaten ausläuft, wenn es nicht verlängert wird. Ich habe einmal nachgerechnet. Die letzte Möglichkeit, das Gesetz hier im Landtag neu zu verabschieden, zu verlängern oder was auch immer wir damit machen wollen, wird das Plenum im September 2014 sein, also kurz nach der Sommerpause. Wenn wir also im Ausschuss in Ruhe und mit viel Zeit über dieses Archivgesetz sprechen wollen, wenn wir vielleicht sogar eine Anhörung mit Fachleuten veranstalten wollen oder ein Expertengespräch durchführen wollen, dann sollten wir damit anfangen, und zwar am besten jetzt. Wir haben im Ausschuss noch andere Punkte auf der Tagesordnung. Eventuell könnte dann die Zeit dazu fehlen.
Ich habe tatsächlich die Befürchtung – übrigens bin ich nicht der Einzige, der diese Befürchtung mit sich trägt –, dass wir das hier einfach verschlafen und in ein paar Monaten ein wichtiges Gesetz zur Erhaltung des nordrhein-westfälischen Kulturgutes außer Kraft tritt. Wie es auch schon in der Vergangenheit passiert ist, fällt uns das erst dann auf, wenn es eigentlich zu spät ist. Dann passiert das, was in der Vergangenheit auch schon mal passiert ist: Die Landesregierung legt einfach kurzerhand ein Entfristungsgesetz vor, und der Drops ist gelutscht.
In diesem Fall bleibt uns nichts anderes übrig, als zähneknirschend diesem Entfristungsgesetz zuzustimmen, damit die Archive eine rechtliche Arbeitsgrundlage haben. Das wäre der Sache nicht angemessen.
Deshalb fordern wir die Landesregierung hier konkret auf, sofort mit der Evaluierung des Archivgesetzes zu beginnen, und zwar gemeinsam mit den kommunalen Partnern, damit es nicht wieder zu solchen Problemen kommt; denn nur wenn wir wissen, wo in den Kommunen der Schuh drückt, können wir im Spätsommer vernünftig entscheiden.
Ich habe heute während der Sitzung erfahren, dass anscheinend im zuständigen Ministerium bereits Arbeiten an diesem Gesetz aufgenommen worden sind. Frau Ministerin, falls das so ist, würde ich mich natürlich sehr darüber freuen, wenn Sie uns hier einen kleinen Einblick geben und den aktuellen Zwischenstand darstellen könnten.
Im Übrigen bitte ich Sie wirklich: Stellen Sie sicher, dass hier ein ganz geordnetes Gesetzgebungsverfahren eingehalten wird, und legen Sie dar, welchen Fahrplan die Landesregierung in Sachen Archivgesetz aufgestellt hat.
Meine Damen und Herren, das Archivgesetz NRW ist ein wichtiger Baustein der Gesetzgebung zum Schutz unseres kulturellen Erbes in NRW. Wir wollen nicht riskieren, dass die Archive in NRW ab 1. Oktober 2014 ohne rechtliche Arbeitsgrundlage dastehen. Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Es tut nicht weh.
Bevor Sie mir gleich vorwerfen, wir hätten das Ganze auch im Ausschuss behandeln können, muss ich Ihnen sagen: Dieses Thema ist so wichtig, dass es tatsächlich die Aufmerksamkeit des Plenums verdient hat. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bialas.
Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es außerordentlich, dass dieses Thema auf der Tagesordnung des Plenums ist; denn jeder Tag ist ein guter Tag, um über Kulturpolitik zu sprechen. Auch wenn das Archivgesetz mit Sicherheit nicht das von der breiten Masse mit Spannung erwartete kulturpolitische Thema ist, ist es aber nicht minder wichtig.
Ich darf meinen geschätzten Kollegen Prof. Dr. Dr. Sternberg zitieren. Er sagte anlässlich der 39. Kulturausschusssitzung der 14. Wahlperiode am 11. November – schließen Sie aus dem Datum dieser Sitzung, dem Beginn des Karnevals, nicht, dass das nicht ernst zu nehmen wäre –:
„Es gehe nicht nur um Aufbewahrungsstätten von Restbeständen, sondern um das Bergen von Potenzialen zur Korrektur eingefahrener Sichtweisen auf Geschichte.“
„Potenzialen zur Korrektur eingefahrener Sichtweisen“ – wir wissen, wie bedeutsam und wichtig das ist. Diese Geisteshaltung betrachte man bei Einzelpersonen, Institutionen, mitunter manchmal auch Parteien.
Bereits in der damals geführten Debatte wurde darauf verwiesen, wie man mit dem damals neu geänderten Gesetz umzugehen hat, nämlich verabschieden, zeitlich befristen, Betrachtung der Anwendungspraxis, Führen von Gesprächen mit den verantwortlich Handelnden.
Interessant sind hier natürlich die Fragen: Passen denn die Austauschformate zwischen den verschiedenen Stellen? Läuft es an diesen Schnittstellen reibungslos? Klappt die sichere Verwahrung auch des digitalen Archivgutes? Wie geschieht der Umgang mit personenbezogenen Daten? Und haben sich hier die Auflagen bewährt? Haben sich die Schutzfristen bewährt? Gibt es weitere Harmonisierungsnotwendigkeiten zwischen dem Informationsfreiheitsgesetz und dem Archivgesetz als Lex specialis und, und, und. Einige Fragen sind damals angesprochen worden. Diese gilt es heute ebenfalls neu zu beantworten.
Wir stehen nun zeitlich wieder kurz vor der Einbringung einer Änderung des Archivgesetzes. Allein nur die Verlängerung ist hier bereits als Änderung zu sehen, da es ja sonst zum 30. September 2014 außer Kraft tritt. Es bietet sich daher immer an, dass vor der Verlängerung auch das Gesetz in seiner beobachtbaren Realität einem Blick auf Praxistauglichkeit unterzogen wird.
Das von den Piraten in ihrem Antrag in der Beschlussfassung unter II.1 Geforderte ist völlig schlüssig, völlig richtig, braucht aber nicht mehr beschlossen zu werden, weil die Forderung durch das Handeln des Ministeriums zeitlich längst überflüssig wurde.
Auch gehen wir selbstverständlich davon aus – die Erfahrung belegt diese gute Annahme –, dass unsere Landesregierung stets geordnete Gesetzgebungsverfahren ermöglicht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
– Ich wusste, dass an dieser Stelle zumindest einige klatschen werden.
Zur Evaluation wird die Landesregierung sicherlich gleich noch Ausführungen machen, ebenfalls zu dem Zeitplan. Es braucht also schlicht nicht beschlossen zu werden. Das Verfahren läuft. Daher werden wir den Antrag ablehnen – wohlweislich nicht das inhaltlich gute Ansinnen, nämlich sich weiterhin intensiv mit dem Archivgesetz zu beschäftigen.
Da können Sie gewiss sein: Das wird uns dieses Jahr bis September schwerpunktmäßig begleiten. Ich würde mich aber dennoch freuen, wenn Sie derartige Anträge hier ins Plenum bringen, aber nicht hier unmittelbar abstimmen lassen. Wir können hier darüber reden, danach an den Ausschuss verweisen. Dann können wir da auch noch einmal intensiver darüber beraten.
(Lukas Lamla [PIRATEN]: Dafür fehlt doch die Zeit!)
Selbstverständlich – das nehmen wir ebenfalls mit – werden wir das Thema auf die Tagesordnung einer der nächsten Ausschusssitzungen setzen, um hierüber zu berichten, aber auch darüber zu diskutieren.
Auch bei der Einbringung des Änderungsantrages sind wir in dem Gesetzgebungsverfahren. Allein wenn wir die Frist verlängern, haben Sie ebenfalls Möglichkeiten, sich entsprechend einzubringen, beispielsweise mit einer Anhörung. Ich erinnere mich gerne an das Pflichtexemplargesetz. Diese Anhörung war mit Sicherheit eine Bereicherung, nicht nur für das Gesetzgebungsverfahren, sondern ebenfalls inhaltlich und intellektuell.
Wie gesagt, es wird einzuplanen sein, dass das Gesetz zeitgerecht in Kraft tritt. Ich wünsche uns für diese Debatte viel Spaß.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion spricht als Nächster der Kollege Prof. Dr. Dr. Sternberg.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich fange mal anders an. Am 28. November letzten Jahres, also vor einem Vierteljahr, brachte die „Neue Züricher Zeitung“ einen Artikel über das neue Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – nicht zu den Skandalen des BLB, die zu einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geführt haben, sondern er lobte das außergewöhnliche Gebäude. Und zwar heißt es da:
„Duisburgs Innenhafen galt in den 1990er Jahren noch als Bronx der Industriestadt. Seither ist es ein neues Quartier geworden. Sein Leuchtturm ist ein zum Landesarchiv umgebautes und erweitertes altes Speichergebäude.“
Auf der Vorzeigemeile sei ein ebenso stimmiges wie monumentales Ensemble entstanden.
So die „Neue Züricher Zeitung“.
Meine Damen und Herren, ich will die Probleme der Bauabwicklung des Archivs gar nicht schönreden. Aber es war und bleibt richtig, dass das Landesarchiv nicht irgendeinen banalen Ort bekommt, sondern als große wichtige Landesaufgabe auch in dieser Wichtigkeit ein repräsentatives Gebäude.
Warum sage ich das hier? – Themen über das Archivwesen sind nicht nebensächlich. Ministerpräsident Rüttgers war der erste Ministerpräsident, der in diesem Haus in einer Regierungserklärung überhaupt auf das Archivwesen eingegangen ist.
(Beifall von der CDU)
Es hat damals viele überrascht. Nach 2005 war das Thema „Archiv“ eine wichtige landespolitische Aufgabe, es war sogar Chefsache. In der Folge gab es Sonderprogramme für Restauration, für Papierentsäuerung und vieles mehr.
Meine Damen und Herren, die Archive arbeiten normalerweise still und effizient.
Besonders zum Thema „digitales Archivgut“, „Digitalisierung“, womit wir uns morgen noch einmal beschäftigen sollen, ist sehr viel in den Archiven passiert. Wie leistungsstark sie sind, das hat sich nicht zuletzt darin gezeigt, wie sie mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs umgegangen sind, wo heute noch Dokumente gefriergetrocknet, zwischengelagert, archiviert, aufgearbeitet werden.
Auch das zwischen 2008 und 2010 entwickelte Archivgesetz gehört zu diesen wichtigen Aktivitäten der Regierungszeit Rüttgers. Am 16. März 2010 haben wir das hier beschlossen. Der letzte Paragraf, § 13, lautet:
„Dieses Gesetz tritt am 1. Mai 2010 in Kraft. Dieses Gesetz tritt mit Ablauf des 30. September 2014 außer Kraft.“
Im Entwurf war von fünf Jahren die Rede, vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2014. Das wären die normalen fünf Jahre gewesen. Dann heißt es aber in dem Änderungsblatt:
„Das neue Datum der Inkraftsetzung ist Folge der Verzögerung im gesetzgeberischen Verfahren. Das neue Befristungsdatum verkürzt den üblichen Befristungszeitraum von fünf Jahren, um den Verlauf der parlamentarischen Beratungen nicht durch das Ende der Legislaturperiode zu behindern.“
Das waren damals die Vorstellungen.
Meine Damen und Herren, wir sind grundsätzlich für die Evaluation von Gesetzen im Gegensatz offensichtlich zur Regierung, die im Moment reihenweise Befristungen aufhebt, um ihrer Berichtspflicht an das Parlament nicht nachkommen zu müssen, oder die einfach gar keinen Bericht vorlegt, zum Beispiel im Fall des Hochschulfreiheitsgesetzes, wo wir bis heute auf einen Bericht warten.
Meine Damen und Herren, es heißt hier im Kommentar – Zitat –:
„Das neue Gesetz tritt außer Kraft, wenn seine Gültigkeit nicht verlängert wird.“
Das heißt, der Antrag der Piraten erinnert nur an eine Aufgabe, die wir sowieso in diesem Jahr zu leisten haben. Wir müssen in jedem Fall verlängern oder etwas Neues machen.
Nun ist das Archivgesetz ein gutes Gesetz, das sich in der Praxis bewährt hat. Ich erinnere mich an außerordentlich intensive und schwierige Debatten zum Datenschutzproblem, dessen Lösung keineswegs einfach ist. Die Übernahme von Krankenakten in die Archive zum Beispiel ist ein ganz großes und schwerwiegendes Problem. Und ich glaube, wir haben das in einer Weise gelöst, mit der alle Beteiligten gut leben können. Wir haben zumindest damals Zustimmung von vielen Seiten bekommen. Ich glaube, wir haben dieses Gesetz damals fast konsensual beschlossen.
Es gab allerdings auch zwei, drei offene Streitpunkte. Ob die jedoch zu einer völlig neuen Debatte führen, müsste man zumindest als Frage stellen.
Einer dieser Streitpunkte ist die Zulassung des Verkaufs von Archivgut in kommunalen Archiven. Ich habe noch einmal in den Unterlagen der damaligen Anhörung nachgelesen. Herr Menzel vom Städte- und Gemeindebund vertrat damals vehement die Auffassung, dass die Kommunen in Fällen von Archivgut, das nicht aus Verwaltungshandeln stammt, ihre Regelung selber treffen können müssten. Er meinte damals, hier stünden letztlich die Fachinteressen der Archivare gegen die Gestaltungsfreiheit der Kommunen. Damals hat er außerdem darauf hingewiesen, dass das deutlich anders sei als bei Kunstwerken, die nun wirklich nicht aus städtischem Kunstbesitz verkauft werden sollen. Er meinte, das müsse auf einem Vertragswege mit denjenigen gelöst werden, die zum Beispiel einen Nachlass oder eine Schenkung an ein kommunales Archiv machen.
Meine Damen und Herren, es handelt sich also nicht um eine Parallele zu Kunstwerken im öffentlichen Besitz und dem Übereinkommen, solche nur mit anderen Museen zu tauschen, aber eben nicht zu verkaufen.
Vor dem Hintergrund dieses Prinzips möchte ich den Finanzminister einmal auf etwas hinweisen, und zwar mit Blick auf die Kunstbestände und Kunstschätze der alten WestLB. Ich bin der Meinung, dass diese nicht in die Finanzmasse gehören.
Vizepräsident Daniel Düngel: Ihre Zeit, Herr Sternberg.
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ihrem Antrag werden wir zustimmen können. Der Gesetzgeber muss sich sowieso damit befassen, auch wenn das Ergebnis sein sollte, dass die Regierung dem Parlament die Weitergeltung des bestehenden Gesetzes empfiehlt, was angesichts eines guten Gesetzes auch nicht das Schlechteste wäre. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt Herr Kollege Keymis.
Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will es ganz kurz machen. Wir haben schon gehört, dass die Regierung bereits die Arbeit leistet, zu der der Antrag auffordert. Der Antrag ist auch nicht als Diskussionsanstoß gedacht, sondern zur direkten Abstimmung gestellt. Mich hat in dem Antrag ehrlich gesagt nicht das inhaltliche Ansinnen gestört, sondern die Formulierungen.
Hier im Hohen Hause wird nichts durchgepeitscht. Hier werden dauernd Anhörungen durchgeführt, hier wird miteinander diskutiert, hier wird lange beraten. Manchen außerhalb des Parlaments dauert das übrigens zu lange. Das stimmt also nicht. Außerdem droht hier auch nichts wegzubrechen.
Deshalb können wir es kurz machen. Ich sage dem Antrag einfach voraus, dass er ganz piratengerecht mit Mehrheit versenkt wird. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schmitz.
Ingola Schmitz*) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den hier zu beratenden Antrag der Piratenfraktion danke ich den Antragstellern.
Das Archivgesetz Nordrhein-Westfalen ist eine wichtige kulturpolitische Norm. Im Kern geht es dabei um die Sicherung von öffentlichem Archivgut sowie von Archivgut, an dem ein öffentliches Interesse besteht. Die damalige Landesregierung aus CDU und FDP hatte mit der seinerzeitigen Novellierung des Archivgesetzes wichtige Weichenstellungen dafür vorgenommen. Sie hat damit nicht nur die effektive und verlässliche Aufbewahrung von für die Öffentlichkeit relevantem Material optimiert, sondern auch zur Bewahrung von Kulturgut für die nachfolgenden Generationen beigetragen.
Die damaligen Oppositionsfraktionen hatten sich ebenfalls konstruktiv in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Am Ende des Verfahrens hatte die SPD gemeinsam mit CDU und FDP der Novellierung zugestimmt. So wurde diese wichtige Norm von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen. Das war seinerzeit allerdings auch deshalb möglich, weil zuvor eine eingehende öffentliche und parlamentarische Debatte stattfinden konnte. Solch eine Debatte benötigen wir auch jetzt wieder.
Die FDP-Fraktion wird sich daran ebenfalls konstruktiv beteiligen. Das bedingt allerdings, dass die Landesregierung ein entsprechendes Verfahren rasch einleitet. Denn Bestandteil der damaligen Novellierungen – wir haben es bereits gehört – war eine erneute Befristung des Archivgesetzes.
Wie bei vielen anderen Gesetzen war und ist die Befristung aus grundsätzlichen Erwägungen richtig. Sie erfordert jedoch auch, dass frühzeitig über die Weiterentwicklung der Norm gesprochen wird.
Das Archivgesetz ist zu wichtig, als dass wir es im September unter Torschlusspanik durch den Landtag jagen. Im ersten Schritt sollte die Landesregierung daher in der Tat eine Evaluierung einleiten. Denn bereits bei der eben genannten Novellierung im Jahr 2010 ergaben sich diverse Punkte, die beobachtet und möglicherweise in Zukunft angepasst werden sollten. Einige davon bezogen sich auf das Verhältnis des Landesarchivs zu den kommunalen Archiven sowie auf Unterschiede bei deren Rechten und Pflichten.
Nicht zuletzt deshalb ist die Anregung der Piraten richtig, die kommunalen Spitzenverbände bzw. die Vertreter der kommunalen Archive müssen frühzeitig in einen Evaluierungsprozess eingebunden werden
Darüber hinaus wurde beim kritischen Punkt des Umgangs mit personenbezogenen Daten auf die Evaluierung bzw. Änderung des Landesdatenschutzgesetzes abgestellt. Eine entsprechende Analyse und ein Bericht der Landesregierung an den Ausschuss für Kultur und Medien sind daher sehr wohl angebracht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vermutlich wäre die Aufnahme eines entsprechenden Punktes in die Tagesordnung des Kulturausschusses für das unterstützenswerte Anliegen der Piratenfraktion ausreichend gewesen. Allerdings ist eine öffentliche parlamentarische Debatte durchaus ein guter Startpunkt für eine Befassung des Landtages mit dem Archivgesetz.
Sollte dieser Antrag eine Mehrheit finden, geht die FDP-Fraktion davon aus, dass in der nächsten Ausschusssitzung im März ein erster entsprechender Bericht der Landesregierung erfolgt. Die Zeit bis dahin steht der Landesregierung bereits für die Einleitung der heute diskutierten Evaluierung zur Verfügung.
Unabhängig davon wird sich der Kulturausschuss in seiner nächsten Sitzung mit dem Zeitplan zur Überprüfung des Archivgesetzes auseinandersetzen müssen. Der hier und heute diskutierte Antrag ist daher berechtigt und begrüßenswert. Die FDP-Fraktion stimmt ihm zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht eines vorab zum Archivgesetz Nordrhein-Westfalen: Das ist in der Tat modern und vorbildhaft – da kann ich die Aussagen von Herrn Prof. Sternberg nur unterstreichen –; denn es wird inzwischen auch bei der Novellierung von Archivgesetzen anderer Bundesländer herangezogen.
Ich kann an dieser Stelle auch sagen, dass wir bis September ausreichend Zeit haben werden, ein ordentliches Beratungsverfahren durchzuführen. Hier besteht in der Tat keine Notwendigkeit – das hat der Kollege Keymis gesagt –, irgendetwas durch den Landtag zu peitschen, wie der Antrag der Piraten uns das vielleicht glauben machen möchte. Also: Es hat alles seine Ordnung, es hat alles seine Zeit.
Die Landesregierung ist in der Tat auch schon längst tätig geworden. Zwar nehmen wir keine Evaluierung vor – ich will dieses Wort eigentlich gar nicht benutzen; schließlich ist in dem Gesetzentwurf überhaupt keine Evaluierung vorgesehen –, allerdings überprüfen wir das, was seinerzeit bei Inkrafttreten des Gesetzes an Diskussionspunkten verabredet worden ist. Wir sind dabei, mit den Landschaftsverbänden, mit den Kommunen und mit dem Landesarchiv Fragen abzuklären und zu überlegen, an welchen Stellen man bei diesem wirklich guten Gesetz etwas verändern sollte.
Insofern gebe ich Entwarnung. Hier muss nichts durchgepeitscht werden. Alles geht seinen geregelten Weg. Und es besteht auch keine Aufregung bei diesem Thema, weil es ein wirklich gutes Gesetz ist.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Einen Punkt möchte ich allerdings noch ansprechen; Herr Prof. Sternberg hat hier auf das Landesarchiv abgehoben. In der Tat, Herr Prof. Sternberg, sind die Archive die Gedächtnisse unseres Landes und bewahren unser historisches Erbe. Sie sind Institutionen der Rechtssicherung und des Rechtsschutzes. Sie schaffen Transparenz und übernehmen damit eine wichtige demokratische Kontrollfunktion. Sie stiften Geschichtsbewusstsein, Identifikation und Orientierung.
Natürlich wollen wir, dass Archive vernünftig untergebracht sind. Aber, Herr Prof. Sternberg, das Landesarchiv in Duisburg, das von der schwarz-gelben Landesregierung beschlossen wurde, das ursprünglich 30 Millionen € kosten sollte, ist im Endausbau auf ein Kostenvolumen von 190 Millionen € angestiegen. Ich würde erwarten, dass man mit dem Geld der Steuerzahler etwas sorgfältiger umgeht und nicht ein solches Kostenvolumen produziert.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Natürlich freuen wir uns über repräsentative Bauten in Nordrhein-Westfalen. Aber, Herr Prof. Sternberg, ein Archiv, das eine gewisse Standfestigkeit und bestimmte Lagerungsbedingungen braucht, baut man nicht in einen Hafen, in dem es eher feucht ist. Das kann Ihnen eigentlich jeder von vornherein sagen. Insofern wäre ich da ein bisschen vorsichtig. Allerdings möchte ich die Leistung der Architekten, die dieses Archiv gebaut haben, nicht
(Minister Ralf Jäger: Schmälern!)
herabwürdigen.
Daher gehe ich davon aus – das noch einmal an die Adresse der Piraten –, dass wir Mitte März mit dem Beratungsverfahren anfangen können, sodass für alle Anhörungen entsprechend Zeit ist, jeder mitberaten kann und wir noch einmal deutlich machen können, was für ein gutes Archivgesetz wir in Nordrhein-Westfalen haben – das vielleicht an dem einen oder anderen Punkt noch nachgebessert werden muss. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Debatte.
Wir stimmen ab. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen somit direkt über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/5026 ab. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Die Piratenfraktion, die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Ich sehe niemanden. Der fraktionslose Abgeordnete Stein hat zugestimmt? – Okay. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5026 mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Ich rufe zunächst die
der Frau Abgeordneten Gebauer von der Fraktion der FDP aus der letzten Fragestunde auf:
Am 20.12.2013 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen einen Beschluss zur Frage der Finanzierung von Integrationshelfern gefasst (L 9 SO 429/13 B ER). Das Gericht hat einen Kreis als Träger der Sozialhilfe im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig für einen verhaltensauffälligen Jungen die entstehenden Kosten für die Bereitstellung eines Integrationshelfers für den Schulbesuch im wöchentlichen Umfang von 28 Stunden in der Höhe von monatlich 700 Euro zu übernehmen.
Das Landessozialgericht argumentierte, dass die Bereitstellung eines Integrationshelfers „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer zuzuordnen sei. Auch erklärte das Gericht, dass entgegen der Argumentation des Kreises der Kernbereich der pädagogischen Arbeit bundeseinheitlich durch Auslegung der sozialhilferechtlichen Vorschriften und nicht anhand der schulrechtlichen Bestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen zu bestimmen sei.
Gleichzeitig äußerte sich das Landesozialgericht in dem Beschluss auch zu den Problemen der Schulträger und ungewöhnlich deutlich und scharf zum Vorgehen der rot-grünen Landesregierung bei der Umsetzung der schulischen Inklusion.
So führte das Gericht aus: „Der Senat verkennt nicht, dass bei Anwendung der genannten und hier auch für zutreffend erachteten rechtlichen Grundsätze die Gefahr besteht, dass organisatorische Mängel und eine unzureichende Personalausstattung der mit Inklusion und Gemeinsamem Unterricht betrauten und belasteten Schulen aufgrund der bestehenden Leistungsgesetze und der herrschenden Rechtsprechung zu einer größeren finanziellen Belastung der Kreise und Gemeinden als Sozialhilfeträger und Träger der Jugendhilfe führen. Ebenso wenig verkennt der Senat die Gefahr, dass ein primär auf positive politische Außendarstellung bedachtes, seiner Gewährleistungsverantwortung für einen funktionierenden inklusiven Schulbetrieb aber nicht gerecht werdendes Land die Kosten der Inklusion quasi durch die Hintertür über das Jugendhilfe- oder das Sozialhilferecht den Kreisen und Gemeinden aufbürdet.“
Mit diesen kritischen Ausführungen gibt das Landessozialgericht eine deutliche, für Rot-Grün verheerende Stellungnahme zum schulpolitischen Vorgehen der Landespolitik bei der Gestaltung der schulischen Inklusion ab. In seiner Pressemitteilung begründete das Landessozialgericht auch explizit, dass diese „in erster Linie politische Problematik“ jedoch im Rahmen eines Eilverfahrens nicht zu Lasten der behinderten Kinder und Jugendlichen gehen könne.
Die Schulministerin muss daher zum dem Gerichtsbeschluss und den Ausführungen des Gerichts zur rot-grünen Inklusionspolitik Stellung beziehen. Wie bewertet die Schulministerin die massive Kritik des Landessozialgerichts an der rot-grünen Inklusionspolitik?
Zur Beantwortung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie Dank für Ihre Mündliche Anfrage, Frau Gebauer, die es mir erlaubt, die Ausführungen des Landessozialgerichts in zwei Schritten in den Kontext des gegenwärtigen Standes des Inklusionsprozesses in Nordrhein-Westfalen zu stellen.
Erstens. Bezogen auf den sozialrechtlichen Teil bestätigt das Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2013, dass Integrationshelferinnen und Integrationshelfer auch pädagogisch tätig sind. Ihre zu erbringenden Unterstützungsleistungen während des Unterrichts betreffen aber nicht – und das ist eine ganze zentrale Aussage – den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer. Diese Unterscheidung, die sehr wichtig ist, findet sich in verschiedenen Rechtsprechungen.
Die durch den Einsatz von Integrationshelferinnen und -helfern entstehenden Kosten zählen damit zu den Leistungen der Eingliederungshilfe – bekanntlich eine bundessozialgesetzgeberische Leistung. Diese Klarstellung ist nach Auffassung der Landesregierung außerordentlich hilfreich.
Zweiter Aspekt: Bezogen auf die weiteren Ausführungen des Gerichts darf die gesetzlich seit Jahrzehnten verankerte gemeinsame Finanzierungsverantwortung des Landes und der Kommunen für das Schulwesen, aktuell in § 92 Schulgesetz geregelt, nicht übersehen werden. Diese stellt sich als Teil der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung dar, die wiederum zwingend mit einer eigenen Finanzierungsverantwortung der kommunalen Schulträger verknüpft ist.
Im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung hat das Land bereits erhebliche Beiträge für einen funktionierenden inklusiven Schulbetrieb geleistet. – Frau Gebauer, ich nutze gern die Gelegenheit, diese Leistungen des Landes, die allesamt gegen die Stimmen der FDP zur Stärkung des inklusiven Schulsystems beschlossen worden sind, noch einmal in Erinnerung zu rufen.
Parallel zum Gesetzgebungsverfahren zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz wurde im Schulhaushalt 2013 der Ausbau des gemeinsamen Unterrichts weiter vorangetrieben. Insgesamt wurden 1.680 Stellen als Mehr- oder Ausgleichsbedarf bereitgestellt. Gegenüber dem Haushaltsjahr 2012 waren das zusätzlich 465 Stellen.
Mit diesem Ausbau des gemeinsamen Unterrichts und der erheblichen Erhöhung der Stellenzahl hat das Land die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das gemeinsame Lernen in Nordrhein-Westfalen weiter ausgebaut werden kann.
Ich verweise darauf, dass im beschlossenen Gesetz bis 2018 mit einer Erhöhung der Inklusionsquote von jetzt 25 % auf dann möglicherweise 50 % kalkuliert wird, und zwar auf der Grundlage der Berechnung unserer Gutachter, nicht als Zwangsquote. Für diesen Aufwuchs haben wir 3.200 Stellen kalkuliert und verankert. Das sind zusätzliche beachtliche Investitionen im Bereich der Lehrerstellen, dem originären Zuständigkeitsbereich des Landes.
Darüber hinaus ist im Haushalt 2013 eine Erhöhung der Sachmittel im Inklusionsfonds um 1,25 Millionen € beschlossen worden. Diese Mittel sollen primär in Fortbildungsmaßnahmen fließen, damit Lehrerinnen und Lehrer gut auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Auch im letzten Schulausschuss haben wir über diese Fortbildungsmaßnahmen berichtet.
Das ist der gegenwärtige Stand, vor dem wir die Entscheidung sehen müssen.
Zu diesem Stand des Prozesses gehören auch – darauf möchte ich an dieser Stelle nochmals hinweisen – die wissenschaftlichen Gutachten, die untersuchen, warum die Zahl der in Anspruch genommenen schulbegleitenden Maßnahmen an Förderschulen in den vergangenen elf Jahren von 75 auf 2.277 angestiegen ist. Ich will es noch einmal sagen: ein Anstieg der Zahl der Integrationshelfer im Bereich der Förderschulen innerhalb von elf Jahren von 75 auf 2.277. Die Wissenschaftler, Prof. Kißgen und andere, kommen zu der Einschätzung, dass der Anstieg des Bedarfs an Integrationshelfern grundsätzlich gerade kein mit der Inklusion begründbares Phänomen ist. – Insofern, Frau Gebauer, bin ich froh, dass die politische Realität des Inklusionsprozesses weiter ist, als Sie es wahrhaben wollen.
Die Landesregierung sieht daher in den Ausführungen im Beschluss des Landessozialgerichts einen Debattenbeitrag zu sozialrechtlichen und jugendhilferechtlichen Aspekten inklusiver Bildungspolitik, aber kein Urteil über die Schulpolitik des Landes. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Entscheidung ausschließlich auf der Grundlage bundesrechtlicher Vorschriften ergangen ist, nämlich des Sozialgesetzbuchs. Schulrechtliche Vorschriften, insbesondere die Regelungen des noch nicht einmal in Kraft getretenen 9. Schulrechtsänderungsgesetzes, waren nicht einmal entscheidungserheblich. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Frau Gebauer, ich gehe davon aus, dass Sie eine Nachfrage haben. Bitte schön, Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Danke schön, Herr Präsident. Sie gehen richtig in der Annahme, dass ich eine Nachfrage habe.
Liebe Frau Ministerin Löhrmann, zu dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit gehören nach Ansicht des Landessozialgerichts auch alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen. Meine Frage ist: Welche einzelnen Aspekte zählen aus Ihrer Sicht, also aus Sicht des Ministeriums, zu diesem Kernbereich von Schule?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Gebauer, das ist ein sehr sinnvoller Aspekt, der sich auch in anderer Rechtsprechung findet. Der Kernbereich der pädagogischen Arbeit ist all das, was dem Erreichen von Wissenszielen, von Lehr- und Lernzielen, die in den Plänen der jeweiligen Länder niedergelegt sind, dient. Alles, was dazu beiträgt, dass die Kinder an den Lernprozessen teilhaben können, was also eine Art „Hinführungsleistung“ ist, zählt nicht zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit.
Ich kann das gerne noch ausführen – ich habe mir natürlich die Rechtsprechung insgesamt angeguckt, weil die auch sehr interessant ist –: Seit Ende der 90er-Jahre haben sich Verwaltungsgerichte, aber auch Bundesgerichte mit der Frage der Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers nach dem Bundessozialhilfegesetz beschäftigt. Die beiden ersten obergerichtlichen Entscheidungen zu diesem Thema datieren vom 15. Juni 2000 und bestätigen erstmals die Verpflichtung der Träger der Sozialhilfe zur Kostenübernahme. Die Rechtsprechung ist vom Oberverwaltungsgericht in einer Entscheidung vom 12. Juni 2002 bestätigt worden und kann spätestens seit dieser Zeit als gefestigt angesehen werden. Zu dem damaligen Zeitpunkt spielten Fragen der Inklusion wirklich noch keine Rolle.
Im Jahr 2012 haben sich sowohl das Bundessozialgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht mit dem Thema „Integrationshelfer“ auseinandergesetzt, und zwar auch jenseits des Themas „Inklusion“. Insofern kann man spätestens seit 2012 von einer gefestigten Rechtsprechung ausgehen, dass die Kosten der Integrationshilfe vom Träger der Jugend- und Sozialhilfe zu tragen sind.
Das Bundessozialgericht hat auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung mit einem Urteil vom 22. März 2012 darauf hingewiesen, dass der Eingliederungshilfe – unter anderem auch Integrationshelfer nach Sozialgesetzbuch VII – ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde liegt und eine Überschneidung der Maßnahmen nach ihrer Art – etwa nach pädagogischer oder nichtpädagogischer bzw. begleitender – rechtlich nicht geboten ist, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern. Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der inneren Schulangelegenheiten gehören.
Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen – jetzt kommt wieder die Formel –, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind. Das ist damit eingegrenzt.
Ein wesentlicher Unterschied besteht auch zwischen der individualisierten Leistung nach BSHG und der systemischen Leistung etwa eines Lehrers, einer Lehrerin oder auch eines Sozialarbeiters.
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Zu einer weiteren Nachfrage hat sich der Kollege Witzel gemeldet. Herr Kollege Witzel, bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer Nachfrage geben.
Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben gerade in Ihrer einleitenden Darstellung das Thema vergleichsweise entspannt dargestellt. Ich glaube, bei nüchterner Betrachtung gibt das vorliegende Urteil des Landessozialgerichts dazu aber wenig Anlass. Das Sozialgericht hat letztlich erklärt, dass Ihr Vorgehen in der Inklusion sich nicht an den Erfordernissen der Kinder, Lehrer und Schulen orientiert, sondern dass es Ihnen primär um eine positive politische Außendarstellung geht.
Deshalb frage ich Sie, Frau Ministerin: Können Sie sich an Gerichtsurteile erinnern, mit denen ein hohes Gericht in solch drastischer Form einer Regierung bescheinigt hat, dass es ihr um die Außendarstellung und nicht um die inhaltliche Qualität geht?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Witzel, Entspanntheit und Nüchternheit schließen sich nicht aus. Das will ich zu meinem Zustand grundsätzlich feststellen.
Ich finde es interessant, dass die FDP bei dieser Fragestellung eine Sorge, die ein Gericht in wenigen Sätzen in einem Urteil mit Begründungen von 13 Seiten äußert – ich kann sie gerne im Zusammenhang vorlesen; Herr Kollege Walter-Borjans würde sich darüber freuen, Herr Witzel wahrscheinlich nicht so sehr, weil er die nächste Frage stellen möchte –, in eine Tatsachenbehauptung ummünzt. Das ist ein Unterschied im Vorgehen.
Wir nehmen alle Sorgen, die im Zusammenhang mit der Inklusion vorgetragen werden, ernst, gehen damit um, agieren mit Unterstützungsmaßnahmen dagegen.
Es bleibt aber dabei, dass dieses Urteil und die geäußerten Aussagen sich überhaupt nicht auf das beschlossene Inklusionsgesetz – das erste Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonven-tion in Nordrhein-Westfalen – beziehen können, weil dieses Gesetz erst zum 1. August 2014 in Kraft tritt, das Urteil, das Sie zitieren und das Sie in Bezug auf die Bewertung der Arbeit der Landesregierung als wer weiß wie skandalös betrachten, das aber schon im Dezember letzten Jahres gefasst worden ist. Ich bezeichne das als unseriöse Interpretation dessen, was das Gericht formuliert hat.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Die nächste Frage kommt vom Kollegen Stamp. Bitte schön.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, das Gericht spricht in seinem Beschluss von organisatorischen Mängeln. Zu diesen vom Gericht angesprochenen Aspekten dürften zum Beispiel unzulängliche Räumlichkeiten zählen.
Laut Presse hat Sie der Bürgermeister der Stadt Spenge angeschrieben. Die Kommune mit Haushaltssicherungskonzept sieht für 2020 einen Haushaltsausgleich vor. In der dortigen Regenbogen-Gesamtschule sagt man, dass man für die gewünschte Aufnahme weiterer Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zwingend einen zusätzlichen Differenzierungsraum je Jahrgang brauche. Kosten für den Anbau: 1 Million €. Das sind offensichtlich Mängel, die das Gericht wohl auch meint.
Wie antworten Sie bei solchen offensichtlichen Problemen den Kommunen?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Lieber Herr Kollege Stamp, die Frage von Frau Gebauer an mich lautet, wie ich die massive Kritik des Landessozialgerichts an der rot-grünen Inklusionspolitik bewerte. Die Frage lautet nicht, wie ich die Zuschrift eines Bürgermeisters an Sie bewerte.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank. – Die nächste Frage
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das ist eine Zusatzfrage!)
kommt vom Kollegen Witzel. Das ist dann seine zweite und damit letzte Frage. Bitte schön.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Löhrmann, ich will noch einmal auf dieses Urteil zurückkommen. Das Gericht spricht ja juristisch verklausuliert, aber letztlich doch deutlich an, dass das Land unter rot-grüner Verantwortung seiner Gewährleistungsverantwortung für einen funktionierenden inklusiven Schulbetrieb nicht gerecht werde – wenn ich das so zitieren darf.
Deshalb die Frage an Sie: Müsste Ihnen als verantwortlicher Schulministerin diese Bewertung nicht zu denken geben, wenn Sie nach außen gerne das Ziel postulieren, das Schulsystem sozialer gestalten zu wollen, und Ihnen ausgerechnet das Landessozialgericht eine solche doch vernichtende Einschätzung ins Stammbuch schreibt?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Witzel! Meine Damen und Herren! Das Gericht bezieht sich auf eine Leistung, die eine Kommune als Sozialhilfeträger zu erbringen hat, und nicht auf eine Leistung, die im Zusammenhang mit dem Schulrecht besteht. Deswegen gehen Ihre Interpretation und ihr Versuch, es umzudeuten, dass es um die Schulgesetzgebung gehe, fehl.
Wir als rot-grüne Landesregierung arbeiten daran, das Schulsystem Schritt für Schritt gerechter zu machen, etwa indem wir massiv in die Grundschulen investieren, indem wir massiv in den Ausbau des längeren gemeinsamen Lernens investieren – was Sie bekämpfen, was vor Ort aber breit nachgefragt wird –, indem wir den Ganztag ausbauen, indem wir die Sprachförderung neu ausrichten. – Ich kann Ihnen gern noch weitere ergriffene Maßnahmen dieser Landesregierung zur Verbesserung der Bildung in Nordrhein-Westfalen aufzählen, wenn Sie weiterhin solch schöne Fragen stellen.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Eine weitere Rückfrage gibt es von Frau Kollegin Gebauer.
Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Löhrmann, vorab eine Bemerkung: Wir bekämpfen den Inklusionsprozess vor Ort nicht, sondern wir helfen dabei …
(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das längere gemeinsame Lernen, das haben Sie bekämpft! Sie haben der Gesetzgebung nicht zugestimmt. – Zuruf von der FDP: Zu Recht! – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])
– Das lassen wir jetzt mal so stehen. – Ich komme zurück zu dem Urteil, aber auch zu dem, was momentan hier passiert. Das Gerichtsurteil spricht von der unzureichenden Personalausstattung. Ich bin gespannt auf Ihre Antwort; vermutlich geht sie in Richtung der Antwort auf die Frage von Herrn Witzel.
Das Ganze bezieht sich auf eine Pressemitteilung aus Krefeld, in der auch von mangelnden personellen Ressourcen an unterschiedlichen Schulen mit inklusivem Unterricht die Rede ist. Der Sprecher der Krefelder Gesamtschulen hat gesagt – ich darf zitieren –: Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz bringt eine Verschlechterung.
Meine Frage an Sie ist: Wie bewerten Sie es denn, wenn ausgerechnet die Schulform – an der nun schon seit Jahrzehnten integrativer Unterricht angeboten wird und deren Schulen als Vorreiterschulen hier in Nordrhein-Westfalen gelten – eine solch deutliche Kritik äußert, dass nämlich die Inklusionspolitik, wie sie hier in Nordrhein-Westfalen gefahren wird, eine qualitative Verschlechterung der Inklusion bedeutet?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrte Frau Gebauer, auch dies ist eine Frage, die meines Erachtens durch die Fragestellung nicht gedeckt ist. Dass ausgerechnet die Partei, die die Gesamtschulen in den letzten Jahren so massiv benachteiligt hat wie Sie, sich überhaupt traut, diese Frage zu stellen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Sie haben den Gesamtschulen den Ganztag verboten. Sie haben den Gesamtschulen im Hinblick auf die Schulleitung massiv Mittel entzogen.
(Zuruf von der FDP)
Wir gestalten den Inklusionsprozess schrittweise mit der Unterstützung zusätzlicher Lehrerinnen- und Lehrerstellen. Was die Sorgen der Schulen angeht, die schon lange verdienstvoll Inklusion gestalten: Diese Verdienste wissen wir zu schätzen.
Im Entschließungsantrag haben wir festgehalten: Wir wollen dafür sorgen, dass bei den schwierigen Umstellungsprozessen von der alten Steuerung auf die neue Steuerung der Inklusionsprozess in den Schulen keine Brüche erfahren soll. Darauf werden wir ein Augenmerk haben, sowohl bei der Ausgestaltung des Stellenbudgets als auch bei der Mittelzuweisung an die Schulen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Inklusion ist gemeinsames Lernen!)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Eine weitere Rückfrage gibt es vom Kollegen Stamp. Das ist seine zweite und damit letzte Frage.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Frau Ministerin Löhrmann, wenn Sie mir die kurze Bemerkung erlauben: Wir machen keine Politik gegen Gesamtschulen, sondern für die Gleichberechtigung von Schulformen.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
– Das ändert sich auch nicht, Frau Beer, wenn Sie das hier mehrfach anders intonieren.
Jetzt geht es um die Gesamtschule Bonn-Beuel. Mit dieser Schule habe ich Gespräche geführt. Auch der WDR hat unlängst gemeldet, dass die Gesamtschule Bonn-Beuel – die ja auch preisgekrönt ist – nun die Aufnahmezahl von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf deutlich senken will.
Der Schulleiter hat dies damit begründet, dass zwar die Zahl der Sonderpädagogen stabil bleibe, letztlich aber durch Ihre Politik die Mehrbedarfsmittel für Schülerinnen und Schüler mit sozialen und emotionalen Störungen massiv gekürzt, die Stunden verringert und die Zahl der Doppelbesetzung deutlich unter 50 % sinken würden. Vertreter der Schule haben mir im Gespräch auch glaubhaft dargestellt, dass dies zu einem massiven Qualitätsverlust führen werde.
Wie bewerten Sie es, dass eine der preisgekrönten Schulen mit langjähriger praktischer Erfahrung in der Inklusion Ihre Inklusionspolitik so massiv kritisiert?
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Noch einmal, Herr Kollege Stamp: Ich hatte eigentlich gedacht, dass Sie die Spielregeln kennen. Wir haben eine Frage vorliegen, die sich darauf bezieht, wie ich eine Kritik des Landessozialgerichts an der Inklusionspolitik bewerte. Die Frage lautet nicht, wie ich Kritik von Zuschriften bewerte, die Ihnen zugegangen sind.
Ich kann mich nur noch einmal wiederholen: Wir haben eine Umstellung des Finanzierungskonzepts im Gesetz angelegt. Wir haben im Entschließungsantrag begleitend zum Gesetzgebungsprozess festgehalten, dass wir Brüche bei den Zuweisungen vermeiden wollen. Dies wird die Schulaufsicht bei der Zuweisung der Mittel berücksichtigen. Insofern nehmen wir sämtliche Zuschriften ernst. Wir stehen auch in engem Austausch mit den Lehrerverbänden und mit den Elternverbänden.
Zu Ihrer Eingangsbemerkung möchte ich sagen: Sie haben in Ihrer Regierungszeit massiv – und zwar systematisch – die Gesamtschulen benachteiligt, indem Sie ihnen zum Beispiel überhaupt keinen Ganztag mehr gewährt haben.
(Zurufe von der FDP – Gegenrufe von den GRÜNEN)
Sie haben ihnen systematisch keinen Ganztag mehr gewährt, obwohl Gesamtschulen den Ganztag schon seit langer Zeit als zu ihrem pädagogischen Auftrag gehörend betrachtet haben, als Teil ihres pädagogischen Profils.
Insofern fällt diese Kritik auf Sie zurück. Nachgewiesenermaßen ist es so, dass die Schulen, die den Ganztag wollten, ihn nicht genehmigt bekommen haben. Wir hingegen haben auf der Grundlage des Haushalts bislang alle Anträge auf Ganztagsschulen – egal ob Realschulen oder Gymnasien – bewilligt. Wir haben – anders als Sie das gemacht haben – den Ganztag in der Sekundarstufe I in allen Schulformen gleichberechtigt ausgebaut.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Ich rufe nun die
des Herrn Abgeordneten Ralf Witzel von der Fraktion der FDP auf.
In sogenannten Corporate Governance Codices werden Anforderungen an die Besetzung von Überwachungsorganen formuliert, die beispielsweise dort regeln, wie viele kontrollierende Mandate eine Einzelperson insgesamt wahrnehmen darf. Auch werden sinnvolle Qualifikationsvoraussetzungen oder zeitliche Verfügbarkeiten seitens der Aufsichtsräte sowie die Unabhängigkeit der jeweiligen Personen definiert.
Es ist auch von der Opposition im Landtag verschiedentlich der Umstand ausdrücklich begrüßt worden, dass sich das Land Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr auf den Weg zu mehr Anforderungsgerechtigkeit, Transparenz sowie unabhängiger Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion aufgemacht und einen PCGK vorgelegt hat, der bereits vor einigen Monaten von der Landesregierung im Landtag vorgestellt worden ist.
Die Philosophie des PCGK sieht wesentliche Spielregeln vor, die der Qualität der Ausübung von Leitungs- und Aufsichtsfunktionen dienen: Jedes Mitglied des Überwachungsorgans soll darauf achten, dass ihm für die Wahrnehmung seiner Mandate genügend Zeit zur Verfügung steht. Falls ein Mitglied eines Überwachungsorgans in einem Geschäftsjahr an weniger als der Hälfte der Sitzungen eines Überwachungsorgans in vollem Umfang teilgenommen hat, soll dies im Bericht des Überwachungsorgans an die Anteilseignerversammlung vermerkt werden. Auch sollen die auf Veranlassung des Landes gewählten oder entsandten Mitglieder des Überwachungsorgans regulär nicht mehr als fünf Mandate in Überwachungsorganen gleichzeitig wahrnehmen, und sie sollten in nicht mehr als zwei Überwachungsorganen parallel den Vorsitz innehaben.
Der Finanzminister legt im Zusammenhang mit dem neuen PCGK des Landes Wert auf die Feststellung, dass die nordrhein-westfälischen Regelungen teilweise auch Anforderungen vorsehen, die über den Standard der Bundesvorgaben hinausgehen. So wird beispielsweise eine strengere Handhabung für den Abschluss von Beraterverträgen vorgesehen oder eine höhere Anforderung an die Aus- und Fortbildung von Organmitgliedern angestrebt. Seitens der Landesregierung wird dieses Vorgehen insbesondere mit dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit begründet, der besondere Berücksichtigung finden soll (LT-DS 16/3220).
In Zeiten eines wachsenden Partizipationsbedürfnisses auf Seiten der Bürgerschaft bei den Entscheidungen von Politik und öffentlicher Hand ist es zeitgemäß und dringend geboten, dass endlich verbindliche Rahmenvorgaben bei der Leitung, Steuerung und Überwachung von Unternehmen mit Landesbeteiligung festgelegt worden sind, auch um so das Vertrauen in Institutionen zurückzugewinnen und für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer zu gestalten – liegen doch bei öffentlichen Unternehmen im weitesten Sinne die Eigentümerrechte sogar eigentlich direkt beim Steuerzahler und Bürger, der für etwaige Fehlentwicklungen finanziell aufzukommen hat.
Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass dem Landesparlament trotz entsprechender Nachfragen bis heute nicht die vollständige Liste der Landesbeteiligungen vorliegt, für die nach den bereits erfolgten Feststellungen durch die Ressorts der Landesregierung der PCKG nun Anwendung findet. Dies sollte jetzt nachgeholt werden. Entsprechende Informationen müssten ausweislich der früheren Antwort der Landesregierung in LT-DS 16/3220 spätestens seit dem Stichtag 31. Dezember 2013 vorliegen.
Auch in einer ganz aktuellen Stellungnahme von Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans vom 10. Februar 2014 (LT-DS 16/4949) wird nur der Teil der Landesbeteiligungen genannt, der den PCGK zum Stichtag 31.12.2013 implementiert hat. Die erbetene Angabe, welche Beteiligungen insgesamt unter den PCGK fallen (diesen aber noch nicht eingeführt haben), fehlt weiterhin.
Für das Parlament ist es daher nach Verabschiedung des PCGK im Kabinett von hohem Interesse, auch die Gründe für die nur schleppende Umsetzung zu erfahren. So ist es objektiv nicht verständlich, warum die NRW.Bank beispielsweise den PCGK schon umsetzen konnte, die zu 100 % im Eigentum des Landes befindliche Portigon AG dies aber noch nicht gemacht hat. Es ist kaum nachvollziehbar, warum eine Überprüfung der Einhaltung des PCGK seit der Verabschiedung im Kabinett am 19. März 2013 nach aktuellster Darlegung bis Mitte 2015, also über zwei Jahre, dauern soll.
Der Finanzminister sollte daher dem Landtag darlegen, welche konkreten Hürden es für eine frühere Beseitigung der aus den Grundsätzen des PCGK nun resultierenden personellen Inkompatibilitäten gibt und mit welchen Maßnahmen die Landesregierung ihrerseits für eine schnellstmögliche PCGK-Umsetzung sorgen will.
Aus jeweils welchen genauen Sachgründen haben die weiterhin ungenannten Landesbeteiligungen die einschlägigen Vorschriften des PCGK bislang noch nicht implementiert?
Ich darf Herrn Minister Dr. Walter-Borjans um Beantwortung der Frage bitten. – Bitte schön.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel, der Public Corporate Governance Kodex des Landes ist für die Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Gute Unternehmensführung und Überwachung, Steigerung der Transparenz und der Kontrolle sind für öffentliche Unternehmen genauso wichtig wie für private. Dies gilt erst recht, wenn öffentliche Mittel im Spiel sind: Dann trägt die öffentliche Hand das Unternehmensrisiko, und dann kommt auch dem Informationsanspruch der Allgemeinheit ein besonderer Stellenwert zu.
Die Landesregierung hat deshalb am 19. März 2013 den Landeskodex beschlossen. Sie stellt auch sicher, dass der Landeskodex durch die in dessen Anwendungsbereich fallenden öffentlichen Unternehmen beachtet wird.
Der Landeskodex zählt die Unternehmen nicht enumerativ auf. Ein Unternehmen muss dem Anwendungsbereich des Landeskodex unterfallen.
Die in den Anwendungsbereich des Landeskodex fallenden Unternehmen werden in Textziffer 1.2 des Landeskodex durch die Vorgabe von Kriterien festgelegt.
Unter anderem muss bei Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform die Beteiligung des Landes mindestens 25 % betragen. Wenn dieser Grad nicht erreicht ist, ist der Landeskodex für dieses Unternehmen nicht anzuwenden.
Darüber hinaus enthält der Landeskodex Ausnahmeregelungen, die von der Anwendung befreien. Die Portigon AG zum Beispiel erfüllt den Befreiungstatbestand nach Textziffer 1.2.4. Das bedeutet, sie hat sich an den Deutschen Corporate Governance Kodex gehalten oder sich ihm unterworfen. In Textziffer 1.2.4 steht, dass der Landeskodex nur insoweit gilt, als er über den Bundeskodex, den Deutschen Corporate Governance Kodex, hinausgehende Aussagen zur Beteiligung und Förderung von Frauen enthält. Das ist in diesem Fall auch berücksichtigt.
(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)
Gilt der grundsätzliche Anwendungsbereich des Landeskodex, dann bedarf es im Folgeschritt der Implementierung. Das beruht darauf, dass der Kodex weder Gesetz noch untergesetzliche Norm ist. Ein Unternehmen ist erst dann von den Regelungen des Kodex erfasst, wenn er auch durch eine Implementierung eine Wirkung entfalten kann.
Diese Implementierung wirkt aufgrund der dezentralen Beteiligungsverwaltung des Landes jeweils in Form bzw. durch die Institution des zuständigen Ressorts. Mit dem Erlass des Finanzministeriums vom 18.04.2013 hat die Beteiligungsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen die Implementierung in Gang gesetzt. Dieser Prozess dauert aber noch an und wird von der Beteiligungsverwaltung überwacht.
Wie schon bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage 1855 aufgezählt, haben bis zum Stichtag am 31.12.2013 eine Reihe von öffentlichen Unternehmen, Beteiligungen, und Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen den Kodex implementiert, sodass die Neuregelungen bei ihnen bereits Anwendung finden.
Das sind die Beteiligungsverwaltungsgesellschaft des Landes, d-NRW Besitz-GmbH, d-NRW Besitz-GmbH Verwaltungsgesellschaft, Expo Fortschrittsmotor Klimaschutz GmbH, Gollwitzer Meier-Klinik, ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung –, Internationales Konversionszentrum Bonn, Klinik Am Rosengarten im Staatsbad Oeynhausen, Krankenhausbetriebsgesellschaft Bad Oeynhausen, Nordwest-Lotto in Nordrhein-West-falen, Westdeutsche Lotterie GmbH, NRW.BANK – indirekt, weil die NRW.BANK sich einen Public Corporate Governance Kodex nach dem Vorbild des Landeskodex gegeben hat, ergänzt um Vorgaben zur integren Amtsführung des Vorstands –, NRW ProjektArbeit GmbH, NRW Urban GmbH, NRW Urban GmbH & Co. KG, NRW Urban GmbH, Public Konsortium d-NRW GbR.
Es gibt weitere öffentliche Unternehmen, Beteiligungen und Institutionen in Nordrhein-Westfalen, die in diesen Anwendungsbereich fallen, bei denen aber die Implementierung noch aussteht. Da wirkt die Beteiligungsverwaltung weiter darauf hin, dass sie zeitnah erfolgt. Seit dem Stichtag 31.12.2013 hat beispielsweise auch die G.I.B., Gesellschaft für innovative Beschäftigung, den Landeskodex schon implementiert.
Dass bei einigen Unternehmen, an denen das Land beteiligt ist, die Implementierung nicht erfolgt ist, kann unterschiedliche Sachgründe haben. In einigen Fällen steht einfach der erforderliche Rechtsakt noch aus. Bei einigen Unternehmen kann es aber auch so sein, dass es auf Dauer noch keine Implementation gibt.
Das Letztere beruht vor allem auf Umständen, die im Landeskodex selbst geregelt sind, wenn etwa eine Durchsetzung der Geltung des Landeskodes aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Beteiligung nicht möglich ist. Das kann bei einer Beteiligungsquote zwischen 25 und 50 % der Fall sein. Es gibt im Kodex Hinweise, die begründen, warum das so geregelt ist.
Angesichts der Bedeutung des Kodex für die Landesregierung unternehmen wir alle Anstrengungen, den Auftrag der Hinwirkung zu erfüllen. Dass Hinwirkungspflicht Erfolg haben kann, haben in den letzten Monaten die Sparkassen deutlich gezeigt, die sich auf Transparenzregeln verständigt und Transparenzregeln angenommen haben.
Ich sage mit Blick sowohl auf Sparkassen als auch auf Landesbetriebe immer wieder: Ich werde dem mit Nachdruck nachgehen, weil ich es nicht nachzuvollziehen vermag, auf der einen Seite vollmundig Transparenz in allen Bereichen des Lebens zu fordern, sie aber dann, wenn man selbst betroffen ist, an bestimmten Stellen doch nicht umzusetzen.
Sollten Anteilseigner oder Beteiligte bereits entsprechende oder ähnliche Regelungen wie den Landeskodex anzuwenden haben, kann in derartigen Konfliktfällen auch eine möglichst weitgehende, zumindest sinngemäße Anwendung des Kodex anzustreben sein, also nicht völlig umgeswitcht, sondern ergänzt und überprüft werden muss.
Zu einer verzögerten Verankerung des Landeskodex kann es auch dadurch kommen, dass der dazu erforderliche Rechtsakt noch aussteht, etwa weil Gesellschafterverträge, Satzungen erst im Laufe des Jahres 2014 neu gefasst und notariell beurkundet werden müssen. Das gilt insbesondere dann, wenn Bestimmungen des Regelungswerks und die Empfehlungen des Landeskodex inhaltlich im Widerspruch zueinander stehen. Dann ist es sinnvoll, das Regelungswerk dahingehend zu überprüfen, ob Abweichungen vom Landeskodex im jeweiligen Fall gewollt sind oder eine Anpassung des Regelungswerks erfolgen soll oder muss. Die Landesregierung wird auch hier auf eine zeitnahe Erledigung hinwirken.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe eine Reihe von Nachfragen, die erste bei Herrn Witzel.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer Nachfrage geben. Herr Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans, wir haben hier sicherlich keinen großen Konflikt in der Zielsetzung zwischen Regierung und Opposition. Sie wissen: Wir haben auch in der Vergangenheit verschiedentlich ausdrücklich viele Ansätze gelobt, die Sie im Bereich des Public Corporate Governance Kodex verfolgen.
Gerade deshalb stellt sich uns eine Frage: Nach dem Kodex gemäß Landtagsvorlage 16/788, auf die Sie gerade zu Recht verwiesen haben, sind nicht alle erfassten Institutionen namentlich genannt. Wir würden von Ihnen gerne genau die Übersicht derer bekommen, die eigentlich unter die Tatbestandsmerkmale fallen, aber eben auch ausweislich Ihrer Aufzählung von vorhin noch nicht implementiert haben.
Deshalb meine Frage an Sie: Seit dem Kabinettsbeschluss sind zehn Monate vergangen. Sie haben die Institutionen genannt, die mitmachen und von den Kriterien erfasst werden, aber nicht die, die noch nicht mitmachen.
Welche fehlen noch? Es geht um wichtige Namen wie die EAA und weitere, die nicht auftauchen. Welche müssten eigentlich auch dabei sein? Auf welche warten Sie noch? Können Sie die bitte namentlich benennen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nach dem gegenwärtigen Stand zumindest schon einmal für den Bereich des Finanzministeriums etwas sagen. Ich habe eben bereits verdeutlicht, dass jedes Ressort im Rahmen seiner fachlichen Zuständigkeit dafür Verantwortung trägt, dass in den jeweiligen Landesbetrieben beziehungsweise Landesbeteiligungen der Kodex eingeführt wird.
Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat den Kodex noch nicht eingeführt. Die Geschäftsführung ist dort zunächst um eine Stellungnahme gebeten worden, die mittlerweile vorliegt. Wir gehen davon aus, dass im April 2014 der BLB den PCGK einführen wird.
Die Erste Abwicklungsanstalt ist keine landesunmittelbare Anstalt, sondern organisatorisch und wirtschaftlich selbstständig sowie teilrechtsfähig, eine Anstalt des öffentlichen Rechts innerhalb der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung. Deshalb werden wir darauf hinwirken, dass sich die Erste Abwicklungsanstalt einen eigenen Kodex in Anlehnung an den Landeskodex gibt, wie das etwa auch bei der NRW.Bank der Fall ist.
Bei der Finanzierungsgesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen zur Kapitalerhöhung bei der WestLB zum Beispiel handelt es sich um eine inaktive Gesellschaft. Dort treffen die Voraussetzungen für die Anwendung des Landeskodex nicht zu.
Die Landesregierung ist zu einem kleinen Anteil auch Gesellschafter beziehungsweise Miteigentümer der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Dort liegt die Prozentzahl wiederum unterhalb der Grenze, ab der der Landeskodex anzuwenden wäre.
Gemeinsame Klassenlotterie! Die Gemeinsame Klassenlotterie ist keine landesunmittelbare Anstalt. Deshalb gilt der Landeskodex dort nicht.
Die NRW.Bank – ich habe es bereits angesprochen – hat einen eigenen Kodex.
Der Landesanteil an der ÖPP Deutschland AG (Partnerschaften Deutschland) beträgt 0,6 %. Der Landeskodex gilt nicht.
Portigon habe ich beschrieben. Dort geht der Landeskodex nur in puncto Frauenförderung über den Deutschen Corporate Governance Kodex hinaus und gilt dann eben auch für die Portigon.
Bei ZESAR, der Zentralen Stelle zur Abrechnung von Arzneimittelrabatten, beträgt der Anteil des Landes 10 %. Der Kodex ist dort nicht anzuwenden.
Das sind die Beispiele, die ich in dem Zusammenhang nennen kann. Bei der Beteiligungsverwaltungsgesellschaft gibt es noch Zuständigkeiten aufgrund von Beteiligungen an anderen Unternehmen, etwa beim Flughafen Köln/Bonn, dem Duisburger Hafen, der Aufbaugemeinschaft Espelkamp, der Koelnmesse und der Messe Düsseldorf, wo jeweils die Aufgabenstellungen bei den Ministerien – zum einen dem Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und zum anderen beim MWEIMH – liegen. Wir achten natürlich darauf, dass über die beiden Ministerien der notwendige Nachdruck entwickelt wird, sodass auch in diesen Bereichen die Implementierung vorgenommen wird. Im Moment stehen sie noch aus.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage gibt es bei Herrn Kollegen Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Minister, in der aktuellen Landtagsdrucksache 16/4949 weist die Landesregierung darauf hin, bestimmte Angaben – beispielsweise zur Ansammlung von zu vielen Mandaten bei einer Person oder einer zu geringen Sitzungsteilnahme in Gremien – könnten nicht publiziert werden. Noch vor einem halben Jahr hatte die Landesregierung in Landtagsdrucksache 16/3220 betont, mit dem neuen Public Corporate Governance Kodex solle insbesondere der Informationsanspruch der Öffentlichkeit im Land besondere Berücksichtigung finden.
Welche genauen rechtlichen Gründe sprechen nun aus Sicht des FM dagegen, für die vom Land in wichtige Gremien entsandten Personen die Anzahl von Funktionen oder Fehlsitzungen zu publizieren?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Im Augenblick kann ich Ihnen noch kein Ergebnis der Prüfung vorlegen. Es geht an der Stelle wirklich nur darum, die Frage zu beantworten, ob Informationen darüber zulässig sind oder nicht.
Ich habe mich rückvergewissert, dass wir damals zugesagt haben, dass das ein prüfungsbedürftiger Fall ist. Ich kann Ihnen dazu heute aber noch keine weiteren Aussagen machen.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Minister. – Herr Kollege Wolf, die nächste Frage!
Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank. – Auch wenn ich die von Ihnen als kritisch benannten Fälle der Minderheitsbeteiligung außen vor lasse, ist das Bild äußert disparat und nach der langen Zeit die Umsetzung nicht gerade schleunig.
Opposition und Landesregierung sind sich darin einig, dass die Grundsätze des neuen Kodex wichtig sind und mit aller Ernsthaftigkeit umgesetzt werden sollen. Wenn uns dieses Ziel verbindet, stellt sich natürlich die Frage, warum die Umsetzung dieser wichtigen Standards nur indirekt und mittelbar in den öffentlichen Unternehmen erfolgen soll.
Meine Frage daher: Warum hat die Landesregierung keine rechtlich verbindlichere Form der Ausgestaltung für den neuen Kodex gewählt, damit dieser für Landesbeteiligungen unmittelbare Wirkungen entfaltet?
Dr. Norbert Walter-Borjans,*) Finanzminister: Wir haben uns beim Landeskodex damals ein Stück weit an den Regelungen orientiert, die zum Beispiel auf Bundesebene vorlagen. Es gab nach unserer Auffassung Gründe dafür, das nicht völlig anders aufzubauen, als das in anderen Bereichen auch der Fall ist, also ein Stück enger zu fassen – wie ich das zum Beispiel in Bezug auf die Portigon beschrieben habe.
Darüber hinaus ist in einigen Fällen die Regelungskompetenz des Landes gar nicht gegeben. Der Auffassung, dass das nicht beschleunigt vonstatten geht, will ich mich so nicht anschließen. Sie wissen selbst, welche Akte zu folgen haben, wenn man einen Kodex einführt, wie dann in den einzelnen Unternehmen die Vorbereitungen zu treffen sind, Satzungen geändert und beurkundet werden müssen.
Ich sagte eben bereits: Man stellt in diesen genauso wie in anderen Bereichen – zum Beispiel bei den Sparkassen – zunächst nicht gerade fest, dass sich alle freudig darauf stürzen, das als Erstes in die Hand zu nehmen.
Da bedarf es immer wieder der einen oder anderen Erinnerung. Ich finde das manchmal bedauerlich; aber insgesamt finde ich, dass das in diesem Bereich in einer Weise abgelaufen ist, die in einem angemessenen Zeitraum nach der Verabschiedung dazu führt, dass der Kodex beachtet wird.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Herr Kollege Ellerbrock.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, der Kollege Wolf hatte gerade schon deutlich gemacht, dass dieser Verhaltenskodex im Hause breit getragen und von uns allen als wichtig erachtet wird. Er hat jetzt noch einmal nachgefragt, warum das eigentlich so langsam in den Bereichen geht, wo wir eine starke Position haben. Sie selbst haben in Ihren Ausführungen darauf hingewiesen, dass es viele Bereiche gibt, wo das Land eine Minderheitsbeteiligung hat und das nicht sofort durchsetzbar ist.
Es gibt aber direkte und indirekte Möglichkeiten, diesen Verhaltenskodex auch bei Minderheitsbeteiligungen durchzusetzen. Welche Möglichkeiten nutzen Sie da aus, damit dieser Kodex auch dort angewendet wird, wo es momentan vielleicht beim Mehrheitseigner eine gewisse Zurückhaltung gibt? Wie machen Sie das da? Denn es gibt ja, wie gesagt, direkte und indirekte Möglichkeiten. Könnten Sie die vielleicht noch einmal ein bisschen darlegen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Zum einen gibt es die Bereiche, wo andere Kodizes gelten. Da finde ich es ausreichend, wenn man sich anschaut, wo Abweichungen vorhanden sind und die zum Thema macht. Es gibt Bereiche, wo der Anteil des Landes so klein ist – ich habe eben davon gesprochen, dass es bis 0,6 % geht –, dass es – das würde ich jetzt fast sagen – kaum einen Unterschied zu Gesellschaften gibt, bei denen wir gar nicht beteiligt sind. Dass wir natürlich möchten, dass bei allen Gesellschaften insgesamt ein Kodex berücksichtigt wird, steht auch außer Frage.
Da aber, wo wir Sitz und Stimme haben – auch wenn es in einem kleinen Ausmaß ist –, halte ich es für richtig und wichtig, dass zumindest auf diese Regelung und auf das Interesse des Landes hingewiesen wird. Das wäre aber eben dann nicht durchsetzbar, wenn sich dem alle verweigern würden. Dass dieser Kodex aber auch zur Geltung kommt und dass wir gemeinsam – das stelle ich auch so fest – in diesem Haus der Auffassung sind, dass er anzuwenden ist, ist diesen Unternehmen nicht nur über die Berichterstattung über unsere Debatten, sondern auch auf direktem Wege durchaus bekannt.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Freimuth stellt Ihnen die nächste Frage.
Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Minister, die Neuregelungen sollen zu Verbesserungen und Verhaltensänderungen beispielsweise in Bezug auf eine größere Unabhängigkeit der Gesellschaft von ausscheidenden Leitungsmitgliedern führen oder einen höheren Qualitätsstand bewirken. Für die Landesbeteiligungen, die den neuen Kodex bereits anwenden, stellt sich die Frage, welche konkret feststellbaren öffentlich erkennbaren Verhaltensänderungen hat es nach Beobachtung der Landesregierung bei Mitgliedern von Geschäftsleitungen oder Kontrollgremien bislang schon gegeben.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dazu kann ich Ihnen bislang noch keine Ergebnisse benennen. Ich habe eben gesagt, dass wir im März 2013 – also vor noch nicht einmal einem Jahr – den Kodex eingeführt haben. Es hat dann im April erste Schritte vonseiten des Finanzministeriums gegeben. Dann hat es die Verfahren gegeben, ihn zu implementieren. Ich glaube, dass es zu diesem Zeitpunkt einfach noch verfrüht ist, dass man sich aber noch im Laufe des Jahres 2014 oder zum Ende des Jahres 2014 zumindest einen Überblick darüber verschaffen muss, ob es überhaupt eine Wirkung aufgrund eines solchen Kodexes gibt. Im Augenblick wäre es zu früh, dazu Erhebungen zu unternehmen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Die nächste Frage, Herr Minister, stellt Ihnen Herr Kollege Bombis.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Sie haben soeben berichtet, dass – wenn ich richtig mitgezählt habe – in 17 Gesellschaften mit Landesbeteiligung der Kodex bereits implementiert ist. In anderen Gesellschaften ist das noch nicht geschehen. Mir stellt sich jetzt die Frage, ob Sie zumindest schon Erkenntnisse darüber haben, ob sich bereits Verbesserungsbedarf beim bisherigen Vollzug des Kodexes gezeigt hat, sodass dann gegebenenfalls bei bestimmten Regeln noch mit Überarbeitungen oder neuen Fassungen von Vorschriften zu rechnen ist.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Noch einmal: Wir haben vor noch nicht einmal einem Jahr den Kodex verabschiedet. Seit April haben wir noch einmal zusätzlich die notwendigen Schritte, die auch das Finanzministerium zu unternehmen hatte, unternommen. Wenn dann im Laufe des Jahres Implementierungen erfolgten, ist das nicht selten Richtung Ende des Jahres 2013 geschehen. Das heißt, wir reden jetzt hier von einigen Monaten.
Ich kann beispielsweise für einen Aufsichtsrat, in dem ich selbst tätig bin – bei Portigon – sagen, dass wir etwa dieses Thema, das über den Bundeskodex hinausgeht, ernst nehmen. Es gibt von Landesseite aus fünf Mitglieder des Aufsichtsrates. Diese Gruppe der Aufsichtsratsmitglieder besteht zu 60 % aus Männern und zu 40 % aus Frauen.
Das hat zum Beispiel bei der Besetzung eindeutig eine Rolle gespielt. Bei Portigon konnten wir es uns als aktive Mitglieder – das gilt zum Beispiel für mich als Finanzminister – natürlich leisten, auch im Vorfeld bzw. unmittelbar nach Gültigwerden des Kodex – sofort mit darauf zu achten. Wie das jetzt bei den anderen, die das im Laufe des Jahres implementiert haben, gehandhabt wurde, können wir jetzt noch nicht sagen. Das muss – das ist überhaupt keine Frage – erhoben werden. Ich bin natürlich daran interessiert, zu wissen, ob wir einfach nur einen Kodex verabschiedet haben oder ob er auch eine Auswirkung hat. Das kann man realistischerweise ernsthaft und sinnvoll aber nur machen, wenn man ein Jahr vergehen lässt, in dem entsprechende Schritte unternommen werden konnten.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Ihnen Herr Kollege Wedel. Das ist seine zweite Frage. Damit sind die Fragemöglichkeiten ausgeschöpft.
Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, der Kodex sieht vor, dass Geschäftsleitung und Überwachungsorgan jährlich transparent in einem für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglichen Bericht über die Umsetzung der Corporate-Governance-Vorschriften berichten sollen. Näheres hierzu geht aus Regelungspunkt 5.2 hervor. Für welche Landesbeteiligungen gibt es bereits derlei Transparenzberichte bzw. wann spätestens werden die für alle Gesellschaften vorliegen?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nur noch einmal auf die Kürze der Frist, über die wir hier überhaupt reden, hinweisen. Das bedeutet, dass diejenigen, die vom Kodex betroffen und erfasst sind, jetzt ihre Jahresabschlussarbeiten auf dieser Grundlage erfüllen müssen. Ich erwarte, dass man diese Regelungen und Auflagen auch mit einbezieht. Die liegen aber im Moment noch nicht vor. Wir haben zurzeit Mitte Februar 2014.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Herr Kollege Dr. Stamp stellt Ihnen die nächste Frage, Herr Minister.
Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, im Sommer 2013 hat die Landesregierung mit der Landtagsdrucksache 16/3220 ihre Absicht unterstrichen, bis Mitte 2014 die aus den Neuregelungen des Kodex resultierenden Veränderungsbedarfe bei Positionsbesetzungen identifizieren zu wollen. Nach der ganz aktuellen Stellungnahme von Ihnen, Herr Finanzminister, in der Landtagsdrucksache 16/4949 soll diese Überprüfung nun noch einmal um ein weiteres Jahr bis Mitte 2015 verzögert werden.
Aus welchen sachlichen Gründen ist es der Landesregierung offenbar nicht möglich, 15 Monate nach Verabschiedung des PCGK im Kabinett die wesentlichen Änderungen bei Landesgesellschaften zu identifizieren, die aus einer Anwendung der neuen Vorschriften resultieren?
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dem müsste ich noch einmal nachgehen. Ich bin aber der Auffassung, dass diese Frist nicht um ein Jahr verschoben werden sollte.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Das werden wir noch einmal überprüfen. Ich sage noch einmal dazu: Mitte dieses Jahres halte ich für sehr früh, weil die Unternehmen nur wenige Möglichkeiten haben, bis zu ihren Gremiensitzungen überhaupt zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Das deshalb um ein Jahr zu verschieben, halte ich für einen langen Zeitraum. Ich gehe dem gerne noch einmal nach, weil sich offenkundig zwischen unserer und Ihrer Informationslage eine Diskrepanz ergibt. Die müssen wir ausräumen.
Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Die nächste Frage kommt von Herrn Ellerbrock; es ist seine zweite.
Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, es gibt ja Unvereinbarkeiten bei den von Ihnen in Aufsichtsräten entsandten Personen. Die Landesregierung hat gesagt, in laufende Aufsichtsratsmandate wolle man nicht eingreifen. Wenn man den Kodex ernst nimmt, müsste man ja auch überlegen, inwieweit man zwischenzeitlich deutlich macht, dass man den Kodex selbst ernst nimmt und schon Mitglieder, bei denen die Unvereinbarkeiten bestehen, austauscht.
Wie gehen Sie da vor? Warum wird das nicht gemacht, dass man also zwischenzeitlich diesen Austausch vornimmt? Dadurch würde deutlich: Wir, die Landesregierung, gehen in Vorbildfunktion an den Problemkreis heran, nehmen das ernst und tauschen dann unsere eigenen Leute aus. – Nein, Sie lassen vielmehr sagen: Sie sollen ihre Mandatszeit erst beenden.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann Ihnen nur immer wieder sagen, dass Sie diese Fragestunde sehr frühzeitig angesetzt haben. Wenn man im Frühjahr eines Jahres einen Kodex verabschiedet, der im Prinzip von der Lage der einzelnen Gremiensitzungen her erst ernsthaft im folgenden Halbjahr implementiert werden kann, dann hat man, wenn man Mitte Februar darüber diskutiert, kaum eine Möglichkeit, dass etwas, was da beschlossen worden ist, auch nachvollzogen und überprüft wird.
Sie können sich darauf verlassen, dass ich den Kodex nicht nur ernst nehme, weil er einfach da ist, sondern dass ich auch sehr ernst genommen habe, dass wir ihn bekommen haben und dass ich auch mit dem Nachdruck sowohl gegenüber den in meinem Zuständigkeitsbereich als auch gegenüber den im Bereich anderer Kolleginnen und Kollegen des Kabinetts befindlichen Beteiligungen und Unternehmen darauf hinwirken werde, so wie ich das in Richtung auf die Sparkassen getan habe.
Ich darf vielleicht noch eine Anmerkung zu der vorherigen Frage machen, weil offenbar ein Missverständnis darüber bestanden hat, was denn die Mitte des nächsten Jahres sei. So liegt mir hier zumindest der Hinweis vor, dass diese Frage, auf die Sie sich beziehen und in der gesagt worden ist, es gehe erst Mitte des nächsten Jahres, aus dem Juni 2013 war und sich deshalb auf 2014 bezog.
Ich sage an dieser Stelle noch mal: Ich halte Mitte 2014 für einen sehr ambitionierten Termin, von dem ich glaube, dass es besser wäre, diesen ein Stück nach hinten zu verschieben. Wenn es Mitte 2015 wäre, dauerte mir das persönlich zu lang. Wir werden dem aber noch einmal nachgehen und diesen Zweifelsfall ausräumen.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Freimuth stellt die nächste Frage. Auch damit sind dann Ihre Fragemöglichkeiten erschöpft.
Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, der neue Kodex sieht ja vor, dass bei Anwendung der Bundesvorschriften im DCGK die Verpflichtung zur Anwendung der Landesregelung im dortigen entfällt. Die Landesregierung weist immer wieder, wenn ich das richtig verstanden habe, darauf hin, dass die Landesregelungen weitreichender seien, beispielsweise bei der Qualifikation und Unabhängigkeit der Führungskräfte in Leitungs- und Kontrollgremien. Warum verzichtet die Landesregierung auf die Anwendung der umfassenderen Corporate-Governance-Regelungen, wenn ein Unternehmen den anforderungsärmeren Deutschen Corporate Governance Kodex anwendet.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir haben in dem anderen Bereich, den ich eben auch zitiert habe, gesagt: Es gibt einige Unternehmen, die Regelungen haben, bei denen man sich ansehen muss, warum diese Regelungen so sind, wie sie sind, und warum und in welcher Weise sie von den Regeln, die wir beschrieben haben, abweichen. Bei den Unternehmen, die dem Deutschen Corporate Governance Kodex unterliegen, sind das Dinge, die die Frauenförderung angeht, bei denen wir Wert darauf legen, dass die weiterreichenden Regelungen des Landeskodex Anwendung finden. Es gibt aber in einigen Bereichen Punkte, die, wenn der Landeskodex Anwendung finden würde, wiederum eine Erschwerung für Unternehmen bedeuten, die im internationalen Bereich tätig sind. Es hat insofern gute Gründe gegeben, den deutschen Kodex so zu formulieren, wie es geschehen ist. Deswegen halten wir es für richtig, dass man an dieser Stelle die Flexibilität beibehält.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt Ihnen Kollege Bombis. Auch das ist seine zweite.
Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, auch vor dem Hintergrund der soeben gestellten Frage des Kollegen Ellerbrock, warum die Landesregierung bei den von ihr entsandten Mitgliedern keine schnellere Umsetzung vornimmt – ich konnte mit Ihrer Antwort, ehrlich gesagt, nicht richtig viel anfangen –, frage ich Sie zur Vorgehensweise des Landes, in laufenden Amtszeiten von Gremienmitgliedern offenbar keine Änderung der Zusammensetzung vornehmen zu wollen: Bis zu welchem Datum werden dann spätestens die Gremienentsendungen, die das Land vornimmt, den neuen Regelungen des Kodex in allen Beteiligungsgesellschaften vollständig entsprechen?
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erst einmal gibt es ständig Gremienveränderungen, bei denen wir natürlich die Aussagen des Kodex zugrunde legen. Ich sage aber nochmals an dieser Stelle: Nach wenigen Monaten Ergebnisse für alle Bereiche sehen zu wollen und, wenn sie nicht eingehalten sind, davon zu reden, das sei eine inakzeptable Verzögerung, halte ich für nicht realistisch.
Ich glaube, es ist richtig, dass wir diesen Kodex haben und in jedem Schritt, der vollzogen wird, darauf achten, dass nach diesem Kodex gehandelt wird. Wir sollten einen ausreichenden Zeitraum lassen, bis zu dem uns berichtet wird, wie dieser Kodex bislang in den davon betroffenen Unternehmen umgesetzt wird.
Ich sage noch einmal: Nach meiner Auffassung muss man sich das Jahr 2014 anschauen und die Möglichkeiten in diesem Jahr wirken lassen. Aber – damit haben Sie völlig recht – man muss auch vom ersten Tag an deutlich machen, dass es uns ernst mit diesem Kodex ist und dass in diesem Jahr keine Entscheidungen getroffen werden sollten, über die man am Ende des Jahres sagt: Uns war noch nicht klar, dass es einen neuen Kodex aus dem Jahr 2013 gab.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Herr Kollege Witzel stellt die nächste Frage.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Finanzminister, wir haben uns vonseiten der FDP-Landtagsfraktion auf Ihre aktuelle Stellungnahme Drucksache 16/4949 bezogen. Darin führen Sie aus, Sie bräuchten noch ein Jahr länger, bis Mitte 2015. Wenn Sie das heute vor dem Parlament revidiert und klargestellt haben, dass es beim alten Fahrplan bleibe, ist das sicherlich ein Fortschritt.
Meine Frage betrifft dieselbe Landtagsdrucksache, denn darin problematisieren Sie die Veröffentlichungsmöglichkeiten in den Public-Corporate-Governance-Berichten, die jede Gesellschaft herausgeben soll. Das betrifft einen ähnlichen Sachverhalt wie im Sparkassenbereich, nämlich die Umsetzung der Transparenz. Spätestens wenn es zur Neuentsendung von Mitgliedern kommt, haben Sie doch die Möglichkeit, die Einwilligung, dass die Informationen veröffentlicht werden dürfen, zum Gegenstand der Entsendung zu machen – auch der Bestellung von Leitungsmitgliedern. Daher frage ich Sie: Möchten Sie dieses Instrument nutzen, damit Sie Rechtsklarheit haben, dass das, was eigentlich in den Bericht hinein soll, hinterher dort auch geregelt ist?
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister, bitte schön.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich habe es eben schon gesagt: Wenn jetzt Entscheidungen getroffen werden, dann haben die Vertreter des Landes darauf hinzuwirken.
Ich muss noch einmal sagen: Auch bei den Sparkassen haben wir eine Regel verabschiedet und uns angeschaut, wie diejenigen, von denen man annehmen darf und annehmen muss, dass ihnen Regeln bekannt sind – es ist nicht so, dass in diesen Unternehmen noch nicht bekannt wäre, dass es einen Kodex gibt –, diese Regeln anwenden. Wenn diese Regeln offenkundig nicht angewendet werden, ist mit dem entsprechenden Tonfall deutlich zu machen, dass dieser Erwartung nachzukommen ist.
Ich habe im Augenblick bei den Unternehmen, über die wir jetzt reden, nicht den Eindruck, dass sie sich verweigern. Ich habe den Eindruck, dass sie in unterschiedlicher Taktfolge ihre Gremiensitzungen abzuhalten und ihre Entscheidungen zu treffen haben, dass Rechtsakte und Beurkundungen notwendig sind und nach und nach die tatsächlichen Fälle eintreten.
Dem gehen wir nach. Das beobachten wir. Deswegen sage ich noch einmal: Wir werden berichten, wie die Regeln eingehalten werden. Sollten sich dann Abweichungen zeigen, werden wir deutlich machen, dass wir damit nicht einverstanden sind.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt bekommt Herr Witzel noch einmal die Gelegenheit zur Nachfrage. Er hat als Fragesteller ja drei Möglichkeiten dazu.
Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank noch einmal, Frau Präsidentin. – Ich habe eine letzte Frage, Herr Finanzminister, zum Anwendungsbereich des Public Corporate Governance Kodex für die Anstalten öffentlichen Rechts, bei denen das Land die Aufsichtsfunktion innehat: Halten Sie es für richtig und finden die Vorschriften auch Anwendung auf Sparkassen, Provinzial oder andere Gesellschaften im Finanzsektor?
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister.
Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Wir reden bei diesem Corporate Governance Kodex über Landesbeteiligungen und nicht über andere Konstruktionen. Dass Corporate Governance insgesamt richtig und wichtig ist, ist unstreitig. Wir haben jetzt ein Regelwerk, in denen diejenigen, die nicht diesen Kriterien unterfallen, zunächst einmal nicht angesprochen sind.
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fragestunde hat exakt 60 Minuten und 11 Sekunden gedauert. Gemäß unserer Geschäftsordnung soll die Fragestunde 60 Minuten nicht überschreiten. Daher lasse ich keine weitere Frage mehr zu.
Wir haben allerdings noch die
des Abgeordneten Karlheinz Busen von der FDP-Fraktion. Herr Kollege, möchten Sie die Anfrage schriftlich beantwortet haben, oder sollen wir sie auf die nächste Sitzung verlagern?
(Karlheinz Busen [FDP]: Ich möchte sie lieber auf die nächste Sitzung verlagern!)
– Dann tun wir das. Die Antwort ist auf die nächste Sitzung verlagert. – Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe auf:
9 Gesetz zur Änderung des Dritten Ausführungsgesetzes des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
Gesetzentwurf
der Fraktion der
CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3440
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Ausschusses
für Familie, Kinder und Jugend
Drucksache 16/5056 – Neudruck
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Altenkamp das Wort.
Britta Altenkamp (SPD): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ja schon ein bisschen länger hier im Haus, nämlich seit 2000. Deshalb glaube ich, anfangen zu können mit meinem Beitrag, indem ich sage, dass ich mich freue, dass wir hier nach doch einigermaßen längerer Zeit endlich mal wieder dazu kommen, über Jugendpolitik zu diskutieren.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Das ist nämlich in den letzten Jahren ein bisschen zu kurz gekommen. Daran kann man sehen, dass man das Gute zwar wollen kann, aber am Ende auch dazu beitragen kann, dass es thematisch etwas in den Hintergrund rückt.
Ich glaube, dass wir mit dem Kinder- und Jugendförderplan in Nordrhein-Westfalen ein sehr, sehr gutes und auch bundesweit hochgeachtetes Instrument haben, die Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen zu fördern, und es mit dem begleitenden Gesetz, dem Kinder- und Jugendfördergesetz, in Nordrhein-Westfalen mit damals großer inhaltlicher Einigkeit auch geschafft haben, die Kinder- und Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen in sehr, sehr sichere Leitplanken zu bringen.
Aber leider hat diese sehr sichere Struktur dann dazu geführt, dass es immer seltener etwas gab, worüber wir diskutieren konnten. So ist die Jugendpolitik häufig im Plenum etwas in den Hintergrund gerückt, obschon sie natürlich ein wichtiges Politikfeld für dieses Haus und für die jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen ist.
Insgesamt, muss ich sagen, ist der Prozess, der zu dem heute vorliegenden Änderungsgesetz geführt hat, ein sehr guter gewesen. Sie wissen es. Ich habe beim ersten Aufschlag des Antrags noch sehr kritisch gefragt, was das wohl soll und ob es den Antragstellern darum ginge, dass sie in Zukunft wieder Schleifchen durchschneiden können.
Aber ich muss sagen: Die weitere Diskussion, die ich dann erlebt habe, die zu dem heute wahrscheinlich mit großer Mehrheit getragenen Änderungsgesetz geführt hat, hat mich eines Besseren belehrt. Ich stehe hier und kann das auch ganz offen sagen. Ich fand, das war eine sehr gute und sehr wichtige Diskussion, die am Ende – das ist ja das Entscheidende – auch gute Ergebnisse erzielt hat. Denn nicht nur die Lebenslagen des Jahres 2013/2014 haben Eingang gefunden in den Kinder- und Jugendförderplan, sondern wir sind auch dazu gekommen, dass die Summe im Gesetz festgeschrieben worden ist. Da hatten wir ja immer noch die alte Summe. Das ist ein gutes Signal in Richtung der Verbände. Insgesamt, glaube ich, ist die Jugendpolitik hier in Nordrhein-Westfalen aus diesem Diskussionsprozess am Ende auch gestärkt hervorgegangen.
Uneinigkeit herrscht lediglich – aber das will ich den Kollegen jetzt nicht vorwegnehmen – über die Frage, wie unser Ausschuss beteiligt werden soll. Ich meine, das, was wir da diskutiert haben, ist für alle Beteiligten ein akzeptables Vorgehen. Denn am Ende muss uns doch der Beteiligungsprozess der betroffenen Kinder und Jugendlichen und der Verbände so viel wert sein, dass wir sagen: Es gibt einen Zeitpunkt, zu dem sich der Ausschuss mit dem Kinder- und Jugendförderplan und den Planungen und Projekten beschäftigt. Aber der Zeitpunkt, zu dem das Benehmen herzustellen ist, ist, glaube ich, in akzeptabler Art und Weise im Gesetz geregelt. Natürlich bleibt es dem Haushaltsgesetzgeber auch völlig unbenommen, im Rahmen der Haushaltsberatungen immer wieder darüber zu diskutieren, was, warum, wie mit welchen Schwerpunkten gefördert werden soll.
Meine Damen und Herren, ich kann also sagen, wir haben einen wirklich guten Prozess hinter uns. Die Tatsache, dass die Kollegen der CDU im Ausschuss angekündigt haben, dass sie den Prozess insofern auch mit uns abschließen wollen, als sie nicht dagegen stimmen, sondern sich enthalten werden, ist auch ein Ausweis dafür, dass wir nach langen Jahren auch weiterhin den breiten Konsens in der Kinder- und Jugendpolitik, insbesondere der Jugendpolitik, hier in diesem Haus haben aufrechterhalten können. Dafür herzlichen Dank! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Kamieth.
Jens Kamieth (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Altenkamp hat das Versöhnliche schon vorangestellt. Das ist grundsätzlich auch richtig.
Trotzdem, meine Damen und Herren: In unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Ausführungsgesetzes des Kinder- und Jugendhilfegesetzes forderten wir gemeinsam mit der FDP-Fraktion und der Fraktion der Piraten eine Beteiligungsregelung, die genauer definiert, in welcher Form und inwieweit der Landtag bzw. die Mitglieder des zuständigen Ausschusses bei der Erstellung des Planes zu beteiligen sind. Diesen Entwurf wollen wir als CDU-Fraktion aufrechterhalten.
Den Änderungsantrag der anderen Fraktionen können wir nicht unterstützen, da er weit hinter unserer Kernforderung zurückbleibt. Wir wollen, dass der zuständige Ausschuss bei den Planungen eingebunden und bei der Aufstellung beteiligt wird.
(Beifall von der CDU)
Sie haben recht, Frau Altenkamp: Der Änderungsantrag tut uns nicht weh, da er andere Aspekte anspricht. Aber er verwässert unser ursprüngliches Ziel. Deswegen werden wir uns in der Tat bei der Abstimmung enthalten.
Der Änderungsantrag ist überfrachtet mit anderen Themen, denen wir durchaus offen gegenüberstehen, denen wir auch teilweise zustimmen könnten. Das ursprüngliche Thema aber war: Wie kann sich der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend stärker bei der Erstellung und Entwicklung des Kinder- und Jugendförderplans einbringen, und wie wird er angemessen beteiligt? Dieses Anliegen haben wir in dem Ursprungsentwurf eindeutig artikuliert.
Der Änderungsantrag geht nun etwas zurück. Darin gibt es keine Beteiligung und auch keine ausreichende Einbindung des zuständigen Ausschusses. Damit ist unsere Perspektive, unsere Zielsetzung sowohl in Abs. 1 als auch in Abs. 2 der Regelung, ein Benehmen mit dem Ausschuss herzustellen, nicht erfüllt. Deswegen werden wir uns an diesem Punkt enthalten, weil unser ursprüngliches Ziel nicht erreicht ist.
(Beifall von der CDU)
Soweit die Frage der Festschreibung der 1 Million € für die Kinder- und Jugendhilfe aufgegriffen wird, hätten wir auch gerne das Problem angesprochen, das die Träger natürlich im Hinblick auf die Kostensteigerungen haben.
Weiterhin hätten wir im zuständigen Ausschuss gerne erörtert, ob man eine Lösung finden kann, damit man den Trägern eine sicherere Planung gewährleisten kann.
Nichts gegen die Festschreibung! Das war auch unsere Ursprungsforderung. Deswegen werden wir an dieser Stelle natürlich nicht Nein sagen. Aber wir hätten uns da eine sorgfältige Trennung der Themengebiete gewünscht.
Zur Klarstellung: Wir sind grundsätzlich nicht weit auseinander. Das ist ganz klar. Allerdings haben wir nur 60 % unserer Forderungen erfüllt gesehen. 40 % gehen den Bach herunter. Deswegen werden wir dieser an sich guten Sache nicht unsere Zustimmung geben, aber wir werden auch nicht dagegen stimmen. Weil wir gerne die klare Beteiligung unseres Ausschusses gehabt hätten, werden wir uns enthalten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um den Kinder- und Jugendförderplan und dessen gesetzliche Grundlage, das Dritte Ausführungsgesetz des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, geht, könnten wir an dieser Stelle einfach betonen, dass es gut ist, dass die Kinder- und Jugendarbeit hier breite Unterstützung durch den Landtag erfährt.
Wir könnten darauf hinweisen, dass es lediglich um ein Nachvollziehen der Änderungen im Kinder- und Jugendförderplan durch den Gesetzgeber nun auch im Kinder- und Jugendförderungsgesetz geht.
Wir könnten die Stärkung der Beteiligung des zuständigen Fachausschusses unterstreichen. Diese sehen wir durchaus. Wir fanden sie auch schon im alten Gesetzentwurf ausreichend berücksichtigt. Jetzt ist sie noch einmal verstärkt worden.
Wir könnten an dieser Stelle betonen, dass die Aufnahme der Inklusion und der Vielfalt sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identitäten uns Grünen besonders wichtig ist.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen ganz ehrlich sagen: Das würde mir hier nicht reichen. Diesem Tag fiebere ich seit 2003 entgegen. Für den Beschluss dieses Gesetzentwurfs habe ich meiner Partei 2009 gesagt: Ich kandidiere. – Um das, was wir gleich beschließen werden, zu erreichen, hat es zwei erfolgreiche Volksinitiativen in Nordrhein-Westfalen gegeben.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
– Die Älteren erinnern sich.
(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD – Britta Altenkamp [SPD]: Danke!)
– Die Jüngeren auch. – Ich darf noch einmal daran erinnern: 2003 gab es die erste erfolgreiche Volksinitiative in NRW, nämlich „Jugend braucht Zukunft“, gegen die Kürzungen von 18 Millionen € im Kinder- und Jugendplan, wie er damals noch hieß. Innerhalb von acht Wochen sind 174.858 Unterschriften zusammengekommen. 2004 wurde dann das Kinder- und Jugendförderungsgesetz beschlossen – mit der Wiederaufstockung auf 96 Millionen €.
Das wurde dann im Mai 2005 nicht eingehalten. Daraufhin gab es im Mai 2006 die zweite Volksinitiative, und zwar „Jugend braucht Vertrauen“, mit 326.593 Unterschriften. Breit durch alle Gesellschaftsschichten und Orte hat also mehr als eine Viertelmillion Menschen gesagt: Wir wollen, dass die verbandliche Jugendarbeit, die offene Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit gestärkt werden. – Es gab auch mehr als 40 Resolutionen von Jugendhilfeausschüssen und Räten. Das sollte uns Verpflichtung sein, dies auch endlich umzusetzen.
Es ist ein Festtag für die Jugend in Nordrhein-Westfalen, dass wir das jetzt hier in so einem breiten Bündnis erreicht haben. Die Enthaltung der CDU finde ich konstruiert. Die Sportjugend würde sagen: Flach spielen, hoch gewinnen. – Das hat die Jugend an dieser Stelle erreicht.
Ich möchte Ihnen herzlich dafür danken, dass sich alle nach den schwierigen Diskussionen im Ausschuss nun zusammengefunden haben, um der Jugend den Rücken zu stärken. Mit diesen 100 Millionen € können jetzt viele Initiativen umgesetzt werden. Herr Kollege Kamieth, 40 % für Projekte sind selbstverständlich nicht in den Sand gesetzt, sondern wertvoll investiert und uns ein besonderes Anliegen. – Ich danke Ihnen ganz herzlich.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Altenkamp, vielen Dank für Ihren Wortbeitrag. Damit haben Sie gut in die Thematik eingeführt. Es ist auch wichtig, hier die Gemeinsamkeiten herauszustellen.
Ich möchte deswegen zu Beginn festhalten, wie sehr es mich freut, dass die Debatte, die wir damals in der Minderheitsregierung begonnen haben und bis heute fortgeführt haben, nun in diesem Prozess endet.
(Matthi Bolte [GRÜNE]: Wir waren die Minderheitsregierung!)
Die damalige Opposition hat nämlich die Diskussion über die Frage angestoßen: Inwieweit kann ein Ausschuss am Kinder- und Jugendförderplan beteiligt werden?
Deswegen finde ich den Gesetzentwurf gut. Wir haben uns als FDP-Fraktion auch entschieden, diese Änderung mitzutragen, weil es uns wichtig ist, dass der Haushaltsgesetzgeber nicht nur beteiligt wird, sondern dass der Kinder- und Jugendförderplan tatsächlich auch im Benehmen mit dem Haushaltsgesetzgeber aufgestellt und verabschiedet wird. Dieser Verantwortung muss sich ein Parlament auch stellen.
Frau Hanses, Sie haben weitere Punkte angesprochen, zum Beispiel die Festlegung auf 100 Millionen €. Ja, das ist richtig. Es ist auch gut, dass man diese Klarstellung noch einmal hineinschreibt. Es hat mich allerdings gewundert, dass Sie wieder die Debatte von damals aufmachen. Sie hätten vielleicht in einem Satz anmerken sollen, dass Sie seinerzeit in Regierungsverantwortung waren und das Problem nicht gelöst haben. Wir haben es zugegebenermaßen auch nicht gelöst. Das ist jetzt eine reine Klarstellung. Es verbessert faktisch bei den Kindern und Jugendlichen, den Betroffenen und den Verbänden erst einmal nichts.
Um Klarstellungen handelt es sich auch bei den Ausführungen zur Inklusion, zu den jungen Menschen mit Migrationshintergrund und unterschiedlichen Lebensentwürfen. Deswegen ist es in Ordnung, dass man das mit in das Gesetz hineinschreibt. Es ist auch richtig und wichtig, noch einmal klarzustellen, dass das Aufgabe des Kinder- und Jugendförderplans ist.
Präsidentin Carina Gödecke: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, Herr Kollege Hafke. Frau Kollegin Hanses würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Marcel Hafke (FDP): Ja, gerne.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Kollege Hafke, vielen Dank, dass Sie das zulassen. Ich möchte Sie kurz fragen, ob Sie mit mir der Auffassung sind, dass es ganz besonders wichtig ist, dass wir diese Schuldzuschreibungen nicht mehr machen.
Ich habe eben die Chronologie aufgeführt, um deutlich zu machen, dass es verschiedene Landesregierungen waren, die den Forderungen der Erhöhung und der Wiederaufstockung nicht entsprochen haben. Deshalb freue ich mich über den jetzt breiten Konsens. Ich habe auch bewusst nicht an die Haushaltsanträge der CDU oder der FDP der vergangenen Jahre erinnert. Das können die Zuschauerinnen und Zuschauer sicher selber tun.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die Frage!)
– Ob er mit mir der Auffassung ist!
(Heiterkeit)
Marcel Hafke (FDP): Ich habe die Frage herausgehört, möchte aber sagen, dass damals SPD und Grüne in der Verantwortung waren und unter anderem die FDP maßgeblich mit Unterschriften für den Volksentscheid geworben hat und dazu beigetragen hat, dass diese Debatte ins Rollen gekommen ist.
Es ist gut, dass Sie noch einmal klargestellt haben, dass sich damals im Kern vielleicht alle politischen Parteien hätten anders verhalten sollen. Deswegen ist es umso besser, wenn man heute klarstellt, dass die 100 Millionen € für den Kinder- und Jugendförderplan richtig sind und dass die Gelder an den richtigen Stellen ankommen.
Wenn dann der Haushaltsgesetzgeber, so wie wir es verabschieden, tatsächlich mitsprechen kann, dann ist das ein guter Schritt im Sinne der Kinder und Jugendlichen. Deswegen freue ich mich, dass wir diesen Gesetzentwurf in dieser Art und Weise auf den Weg bringen. Die Debatte über den gesamten Themenkomplex hat jetzt dreieinhalb Jahre gedauert. Deswegen bin ich froh, dass wir im Kern diese Punkte für die nächste Legislatur vereinbart haben.
Ich freue mich, dass wir das so verabschieden. Im Sinne der Kinder und Jugendlichen ist das ein guter Punkt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben schon einiges gehört. Ich werde mich auch relativ kurz fassen, gar nicht mehr ganz so viel zu dem Gesetzentwurf bzw. zu der Debatte sagen.
Was ich aber hervorheben möchte, ist Folgendes: Der Ablauf, den Frau Altenkamp zu Beginn noch einmal dargestellt hat, entspricht in etwa dem, was wir uns hier vorstellen. Es wird ein Gesetzentwurf eingereicht. Wir haben teilweise harte, schwierige Diskussionen. Aber am Ende steht ein vernünftiger Kompromiss, der von vier Fraktionen hier im Landtag getragen wird. Es ist schade dabei, dass sich die CDU dem am Ende nicht anschließen kann.
Ich glaube, Frau Kollegin Hanses hat es gerade gesagt: Der Grund erscheint mir auch konstruiert und nicht ganz so greifbar. Wie dem auch sei: Wir haben immerhin vier Fraktionen überzeugen können. Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode, als wir über den Kinder- Jugendförderplan im Ausschuss gesprochen haben, diese Initiative als Piratenfraktion noch einmal angestoßen. CDU und FDP sind direkt mitgegangen, wofür ich außerordentlich dankbar bin. Ich finde es tatsächlich schön, dass wir in der weiteren Debatte auch Rot-Grün überzeugen konnten, dass hier etwas zu tun ist.
Frau Kollegin Hanses, persönlich natürlich Gratulation, dass dieses Ziel jetzt auch erreicht wurde, von dem Sie gerade hier noch einmal gesprochen haben. Die Verbesserungen, die wir jetzt noch eingeführt haben, durch den Änderungsantrag, der auf Ihren Wunsch hin aufgenommen wurde, sind auch genau richtig. Sie sind auch gut. Da bin ich außerordentlich dankbar, dass wir in diesen konstruktiven Prozess eintreten und tatsächlich noch entscheidende Verbesserungen herbeiführen konnten, nämlich die Erwähnung der Inklusion, die wir mit drin haben, die Thematik gleichgeschlechtlicher Sexualbeziehungen und zu guter Letzt die Festsetzung des Kinder- und Jugendförderplans.
Auf den Punkt will ich allerdings ganz kurz noch eingehen. Die 100 Millionen €, die wir jetzt als Betrag festgeschrieben haben, sind selbstverständlich besser als das, was wir vorher drin hatten. Selbstverständlich ist es gut, dass wir das gesetzlich festgelegt haben. Nichtsdestotrotz freue ich mich immer wieder auf die Diskussion, die wir haben werden.
Sie wissen und kennen unsere Einstellung dazu, dass der Kinder- und Jugendförderplan in der Größenordnung nach wie vor nicht ausreicht, dass wir auch bei den nächsten Haushaltsberatungen sicher wieder darauf eingehen und deutlich machen werden, dass ein Stillstand dieses Betrages nicht das gewünschte Ziel für die Kinder und Jugendlichen im Land sein kann. Auch da werden wir uns weiterhin konstruktiv in die Debatte einbringen.
Ich möchte mich noch einmal herzlich für den Beratungsverlauf bedanken. Wir werden gleich bei Tagesordnungspunkt 13 sehen, dass es auch anders sein kann, wenn ein Beratungsverlauf nicht so gut funktioniert. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank. Ich freue mich, dass wir gleich ein gutes Gesetz verabschieden werden. – In dem Sinne danke schön.
(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit den im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen werden, was die Landesregierung sehr begrüßt, drei zentrale Ziele verfolgt. Es gibt einmal die inhaltliche und fachliche Anpassung des Kinder- und Jugendfördergesetzes des Landes an die aktuellen Entwicklungen und Notwendigkeiten.
Auch ich möchte das Thema Inklusion noch einmal benennen. Mit der vorgesehenen Änderung werden die Anregungen aus der UN-Behindertenrechtskon-vention aufgegriffen. Damit wird das Recht junger Menschen mit Behinderungen auf gleiche Teilhabe bei allen Maßnahmen und Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes betont.
Darüber hinaus nimmt der Gesetzentwurf die bereits geübte Praxis auf, dass der zuständige Fachausschuss sich frühzeitig mit dem Entwurf eines Kinder- und Jugendförderplanes befassen kann. Und – das ist von den Vorrednerinnen und Vorrednern auch schon betont worden – es werden die 100 Millionen € für den Kinder- und Jugendförderplan im Gesetz festgeschrieben.
Mit diesem Gesetzentwurf wird den Akteuren in der Kinder- und Jugendarbeit nunmehr die Planungssicherheit bis 2017 bestätigt. Und diese Planungssicherheit ist sicherlich auch nötig, um eine nachhaltige Arbeit für Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen aktiv gestalten zu können. Ich bin den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten sehr dankbar, dass sie sich hier zusammengefunden haben und die Jugendarbeit eine solche Anerkennung bei allen Fraktionen findet.
Es wäre auch schön gewesen – das möchte ich nicht verhehlen –, wenn sich auch die CDU aktiv in diese Initiative eingebracht hätte. Das wäre ein ganz starkes, überparteiliches Signal für Nordrhein-Westfalen gewesen.
Auf einen Punkt möchte ich noch eingehen. Sie haben seitens der CDU gesagt, dass Ihnen der Gesetzentwurf in der vorgesehenen Beteiligung des Ausschusses nicht weit genug gehe. Mit diesem Gesetzentwurf wurden aber die Anregungen des Ausschusses auf eine intensivere Beteiligung aufgegriffen.
Sie wollen jetzt, dass der Ausschuss bereits vor der Vorlage eines ersten Entwurfes der Landesregierung an den Planungen beteiligt wird, und das – das möchte ich noch einmal betonen – halte ich aus sachlichen Erwägungen nicht für fachgerecht. Die Landesregierung muss in einem eigenständigen Beratungsprozess mit den öffentlichen und freien Trägern und der Fachwissenschaft die Möglichkeit haben, Aspekte der Planung zu erörtern. Frau Altenkamp hat es neulich treffend auf den Punkt gebracht; denn sie hat gesagt: Wir machen Betroffene zu Beteiligten. – Dabei wollen wir als Landesregierung auch bleiben.
(Beifall von der SPD)
Herr Kamieth, ich möchte keine Schärfe hineinbringen, aber Sie sprechen davon, dass Ihnen die Planungssicherheit nicht ausreicht. Ich darf daran erinnern, dass Sie bei dem Haushaltsplanentwurf für 2013 selbst noch gefordert haben, dass man alle Förderprogramme bis 2017 um 20 % kürzen solle. Das hat jedoch ganz wenig mit Planungssicherheit zu tun. Das kann ich mir jetzt auch nicht verkneifen.
Wir legen heute einen Kurs für eine starke, zukunftsfähige Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen fest. Frau Hanses sagt, es ist ein Festtag. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 9, und wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend empfiehlt in der Drucksache 16/5056 – Neudruck –, den Gesetzentwurf Drucksache 16/3440 mit den vom Ausschuss beschlossenen Änderungen anzunehmen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP. Wer möchte dagegen stimmen? – Keiner. Gibt es Enthaltungen? – Die CDU enthält sich. Der fraktionslose Abgeordnete Stein scheint nicht im Raum zu sein. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Gesetzentwurf Drucksache mit Mehrheit angenommen worden.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe auf:
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5036
Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5098
Der Kollege Dr. Wolf von der FDP-Fraktion hat das Wort.
Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf europäischer Ebene beschäftigt sich gegenwärtig eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Arbeitsgruppen formeller und informeller Art mit allen möglichen Aufgabenstellungen. Eine davon ist die Gruppe ENLETS. Das steht für European Network of Law Enforcement Technology Services.
(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)
Diese 2008 gegründete Arbeitsgruppe hat jüngst ein Arbeitsprogramm für die Jahre 2014 bis 2020 vorgelegt. Daran beteiligt waren Mitarbeiter der Polizei und polizeiliche Forschungseinrichtungen, und dort sind uns einige aus unserer Sicht grundrechtlich hoch problematische Vorschläge bekannt geworden. Ich denke, es ist wichtig, dass man gerade bei europäischen Vorhaben rechtzeitig eingreift und seine Stimme erhebt.
Nun könnte man fragen: Welche Relevanz besitzt ein Vorschlag solch einer Arbeitsgruppe? – Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Arbeitsgruppe zum einen EU-finanziert ist und dass zum anderen die Kommission dem Ständigen Ausschuss des Rates für die innere Sicherheit jüngst das Arbeitsprogramm mit dem Zusatz zugeleitet hat, dieser möge es unterstützen. Das heißt also, eine praktische Relevanz ist nicht zu leugnen, und es droht ein großes Stück bürgerliche Freiheit verlorenzugehen. Deswegen verbinden wir mit unserem heutigen Antrag unseren Appell, sich in dieser Hinsicht einzubringen.
Das Netz der Freiheitsbeschränkungen zieht sich immer enger zusammen, und wir wissen aus den letzten Jahren, dass das sowohl auf staatlicher Ebene Platz greift – ich nenne nur die Stichworte „NSA“, „PRISM“, „Tempora“ und „Vorratsdatenspeicherung“ – als auch bei privaten Unternehmen – Stichwort: „RFID-Chips“ –. Die Anzahl der Datensammlungen bereitet uns große Sorgen.
Wenn jetzt noch weiteres Ungemach hinzukommt, nämlich die anlasslose automatisierte Kennzeichenerfassung und -speicherung und das Anhalten von Kfz per Fernbedienung, dann ist das etwas, was uns nicht ruhig bleiben lässt.
(Beifall von der FDP)
Die anlasslose automatisierte Kennzeichenspeicherung ist vom Bundesverfassungsgericht im Übrigen für verfassungswidrig erklärt worden. Insofern ist höchste Gefahr im Anmarsch, wenn in Europa so etwas geplant ist.
Aber auch der zweite Punkt hat Sprengkraft, nämlich das Thema des flächendeckenden Einbaus von technischen Möglichkeiten zur Anhaltung und Fernabschaltung von Fahrzeugen aller Art. Die technische Umsetzung ist zwar noch nicht genau spezifiziert, aber das Ziel ist letztendlich, das Risiko von Verfolgungsjagden zu vermeiden. Das hört sich gut an, aber wir sehen unter dem Deckmantel der staatlichen Fürsorge eine in der Tat große grundrechtliche Relevanz.
(Beifall von der FDP)
Man kann sich fragen, inwieweit die zahlenmäßige Relevanz solcher Verfolgungsjagden ausschlaggebend ist. Wer viele Kinofilme oder auch „Alarm für Cobra 11“ schaut, der weiß, dass es das gibt.
(Heiterkeit)
Aber ich habe das Gefühl, dass die Dinge doch nicht allenthalben, jeden Tag und dauerhaft passieren. In Deutschland gibt es keine genaue Erfassung der Zahlen, und ich glaube, dass die Gefahr des Missbrauchs deutlich größer ist als der Nutzen. Denn eines ist völlig klar: Zum einen wird der Fall der Risikojagd nach Verbrechern hochgespielt, zum anderen ist die Ausweitung auf andere Fälle mit Sorge zu betrachten. Werden hinterher auch solche Fernabschaltungen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, Rotlichtverstößen oder Ähnlichem vorgenommen? Hier gilt es, rechtzeitig Einhalt zu gebieten.
Die Gefahr von Staus und Unfällen durch Abschaltung sind hier zu erwähnen, aber auch nicht weniger, meine Damen und Herren, das Problem, dass Dritte Zugriff auf dieses System bekommen können. Kriminelle könnten beliebige Opfer an beliebiger Stelle überfallen, ausrauben oder entführen, indem sie sich in dieses System einhacken. Daher halten wir auch dieses System für höchst kritisch.
(Beifall von der FDP)
Im Übrigen, meine Damen und Herren: Das Unterbinden von Verfolgungsjagden ist dem Bereich der Prävention zuzuordnen. Darüber herrscht in der polizeirechtlichen Literatur weitgehend Einigkeit. In diesem Bereich hat die EU normalerweise auch keine Zuständigkeit. Es fehlt somit an einer ausdrücklichen Befugnis hierfür.
Deswegen ist unser Appell ganz eindeutig: Nicht alles, was technisch möglich ist, darf auch gemacht werden. – Wir brauchen uns sonst über Grund- und Freiheitsrechte nicht mehr zu unterhalten.
Es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit, meine Damen und Herren. Im Gegenteil: Das Grundgesetz sieht die Gewährleistung der Freiheit als vornehmste Aufgabe, und das ist für uns Liberale eine Selbstverständlichkeit.
Ich biete Ihnen aber auch gerne Zeugen außerhalb der liberalen Familie. Da ist zum einen der Expräsident des Bundesverfassungsgerichts Papier zu nennen. Zum anderen haben die Ausführungen des Bundespräsidenten Gauck in den letzten Wochen und Monaten deutlich gemacht, dass die Freiheit im Vordergrund steht.
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
Also, schließen Sie sich uns gegen die unsinnigen und freiheitsfeindlichen Vorschläge der Arbeitsgruppe an, und lassen Sie den Landtag ein Zeichen setzen, dass Technik ihre Grenze findet, und zwar im Rechtsstaat. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall von der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wolf. – Für die Fraktion der SPD spricht der Kollege Geyer.
Jens Geyer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Wolf, dieses Drohszenario, das Sie jetzt gerade dargestellt haben und das Ihrer Ansicht nach auf uns zukommt, ist übertrieben und hätte ganz gut als kabarettistische Einlage in die fünfte Jahreszeit gepasst.
(Zurufe von der FDP und den PIRATEN: Oh!)
– Ja, das muss auch einmal so sagen, auch wenn es schwerfällt.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Nein, das muss man nicht sagen!)
Es ist ja erfreulich, dass die FDP das Thema „Datenschutz“ für sich zu finden scheint. Sie waren mit dem Antrag auch schneller als die Kollegen der Piratenfraktion. Den Piraten muss man allerdings zugute halten, dass ihr Entschließungsantrag, den sie heute eingereicht haben, mehr Substanz hat und differenzierter ist. Aber letztlich ist er auch nicht viel besser als der Antrag der FDP-Fraktion.
Schauen wir uns doch erst einmal gemeinsam den Sachverhalt an. ENLETS ist eine Arbeitsgruppe, besetzt mit Experten aus Wissenschaft und Polizei. Sie verfügt über keinerlei gesetzgeberische Kompetenzen und erarbeitet lediglich Vorschläge. Die Expertengruppe soll einen Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene ermöglichen und sich schwerpunktmäßig mit der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien befassen.
Der Antrag bezieht sich dabei explizit auf das Arbeitsprogramm für den Zeitraum 2014 bis 2020. Was heißt das für den Antrag? – Sie möchten einen Beschluss über etwas herbeiführen, was im Rahmen der Arbeitsgruppe noch erarbeitet werden soll und obwohl wir noch gar nicht wissen, ob die Kommission diesen annimmt oder auch nicht. Die Beratungen fangen gerade erst an. Im jetzigen Stadium macht Ihr Antrag daher wenig Sinn. Er kommt damit einem Denkverbot gleich.
Lassen Sie mich nun zu dem Thema an sich kommen. In der Bevölkerung herrscht eine hohe Sensibilität für das Thema „Datenschutz und Datensicherheit“ vor, und das ist auch gut so. Das bedeutet für uns als ihre Vertreter: Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns in den verschiedenen und vielfältigen politischen Arbeitsfeldern um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern kümmern – ohne Ausnahmen.
Dies gilt insbesondere für moderne Technologien und ihre Anwendungen, so auch im Falle des automatisierten Kennzeichenscans und des Anhaltens von Fahrzeugen per Fernbedienung. In der Sache müssen wir über diese Themen diskutieren und den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte mit möglichen Vorteilen in der Kriminalitätsbekämpfung abwägen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Das Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Daten gewichtet schwer und darf nur in besonderen Fällen eingeschränkt werden. Hierüber müssen wir diskutieren.
Lassen Sie mich zum Abschluss kommen. „Datenschutz und Datensicherheit“ ist ein wichtiges Thema. Das werden wir bei unseren Entscheidungen noch stärker in den Fokus rücken müssen. Es darf aber nicht dazu führen, dass wir uns komplett vor neuen Technologien verschließen. Gerade neue Errungenschaften wie das automatische Absenden von Notrufen im Anschluss an einen Unfall kann Leben retten. Daher muss bei allen Entscheidungen immer wieder abgewogen werden.
Bei diesem Antrag gibt es aber auch rein gar nichts, das abzuwägen wäre, da es sich nicht lohnt, gegen ungelegte Eier zu handeln. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Landtags, sich mit Spekulationen über mögliche zukünftige Rechtsetzungsverfahren in der EU zu beschäftigen. – Herzlichen Dank.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Geyer. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Abgeordneter Sieveke.
Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass mich der Ductus des vorliegenden FDP-Antrages an der einen oder anderen Stelle wirklich sehr irritiert hat. Das gilt bereits für die Überschrift, in der von – Zitat – „Auswüchsen einer um sich greifenden technischen Überwachungsdoktrin“ die Rede ist, die es zu verhindern gelte. Auf Seite 2 wird dann der bloße Erfahrungsaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten, die zum Zwecke der Kriminalprävention eine automatisierte Kfz-Kennzei-chenerfassung betreiben, als Maßnahme beschrieben, die – Zitat – „in bürger- und menschenrechtlicher Hinsicht unbedingt abzulehnen“ sei.
Ich freue mich ja darüber, dass die FDP offenbar ihr liberales Profil ein wenig schärfen möchte und die Europawahl als Ziel erkannt hat. Aber geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner?
(Beifall von der CDU)
Auch die in dem FDP-Antrag enthaltene Feststellung, dass eine automatisierte Kennzeichenerfassung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – eben ist es ja erwähnt worden – unzulässig sei, hat mich überrascht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat das Instrument der automatisierten Kfz-Kennzeichenerfassung in dieser Entscheidung gerade nicht pauschal für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich die konkrete Ausgestaltung im damaligen hessischen und schleswig-holsteinischen Landesrecht beanstandet. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an eine verfassungsgemäße Form der automatisierten Kennzeichenerfassung in seiner Entscheidung präzisiert. Ich erlaube mir, diesbezüglich aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zu zitieren, in der es heißt:
„Den Landesgesetzgebern stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine im Rahmen ihrer Zuständigkeit verbleibende und sowohl hinreichend bestimmte als auch angemessene Eingriffsermächtigung zu schaffen. Für eine die Verhältnismäßigkeit wahrende Regelung der Voraussetzungen der automatisierten Kennzeichenerfassung scheidet ein weit gefasster Verwendungszweck beispielsweise dann nicht aus, wenn er mit engen Begrenzungen der Eingriffsvoraussetzungen kombiniert ist, wie es die derzeitige brandenburgische Regelung vorsieht. Möglich sind ferner Kombinationen von enger gefassten Zweckbestimmungen, die die Kennzeichenerfassung auf nicht eingriffsintensive Verwendungszwecke begrenzen, mit entsprechend geringeren Voraussetzungen für die Aufnahme in den Fahndungsbestand und die Voraussetzungen für den Erhebungsanlass.“
Eine automatisierte Erfassung von Kfz-Kennzeichen ist und bleibt in Deutschland damit weiterhin zulässig. Mehrere Bundesländer setzen deshalb entsprechende Kennzeichenerfassungssysteme ein, die diesen Vorgaben genügen. Das Verwaltungsgericht München und zuletzt auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof haben den Betrieb der Anlagen in Bayern übrigens für zulässig erklärt.
Die CDU-Fraktion ist davon überzeugt, dass die Polizei für die Abwehr schwerwiegender Gefahren, beispielsweise im Bereich organisierter Kriminalität, moderne Fahndungsmittel wie die automatisierte Kennzeichenerfassung benötigt. Dass auf europäischer Ebene eine Arbeitsgruppe eingerichtet wurde, in der die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2020 ihre Erfahrungen mit diesen und weiteren Instrumenten austauschen, begrüßen wir daher. Die Ergebnisse werden dann zu bewerten sein, wenn sie vorliegen.
Eine Handlungsnotwendigkeit im Sinne des FDP-Antrags können wir derzeit allerdings nicht erkennen, stehen einer vertieften Diskussion in den Fachausschüssen jedoch offen gegenüber. Der Überweisungsempfehlung stimmen wir daher selbstverständlich zu. – Vielen Dank.
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sieveke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Herr Kollege Bolte.
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir gerade, ehrlich gesagt, nicht ganz leicht, anhand dieses Beispiels eine grundsätzliche Debatte über Freiheit und über Bürgerrechte in Europa zu führen, während wir parallel zu unseren Beratungen mitten in Europa eine massive Auseinandersetzung über die Öffnung eines Landes zur europäischen Wertegemeinschaft erleben. Viele mutige Menschen in Kiew, in der Ukraine versuchen, ihr Land für die europäische Wertegemeinschaft, für Demokratie, für bürgerliche Freiheitsrechte zu öffnen. Ich denke, viele von Ihnen sind in Gedanken mit mir bei diesen Menschen und auch bei den Familien derer, die in dem Kampf in den vergangenen Tagen und Nächten bereits ihr Leben verloren haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Vorbemerkung war mir ein Anliegen, weil sie zeigt, dass Freiheitsrechte auch daraus erwachsen, dass mutige Menschen für Bürgerrechte einstehen. Freiheitsrechte müssen immer wieder verteidigt und erkämpft werden. Insofern wird mit dem Antrag natürlich ein relevantes und wichtiges Thema aufgegriffen. Ich kann direkt am Anfang sagen, dass die Beratungen im Ausschuss sicherlich interessant sein werden.
Ich bin sicher, viele Menschen haben durch die Berichterstattung in den vergangenen Wochen erstmalig von der Arbeitseinheit ENLETS gehört. Der eigentliche Auftrag der Arbeitsgruppe ist auch nicht grundsätzlich falsch. ENLETS soll eine gesamteuropäische Entwicklung von Sicherheitstechnologien ermöglichen. Best Practice soll ausgetauscht und gesamteuropäische Polizeiarbeit koordiniert werden. Aus meiner Sicht spricht eigentlich nichts dagegen, dass sich die europäische Polizei austauscht – in dem Punkt fand ich die Entschließung der Piratenfraktion sehr differenziert und vernünftig –, gerade weil es neue Kriminalitätsphänomene gibt, auf die reagiert werden muss. Dass die Sicherheitsbehörden dabei auch darüber reden, wie sie mit dem technologischen Wandel umgehen, wie sie Technologien nutzen können, dagegen ist im Rahmen dessen, was bürgerrechtlich, grundrechtlich verhältnismäßig ist, sicherlich nichts einzuwenden.
In ihrem vorliegenden Antrag stellt die FDP nur einen Teilbereich der öffentlich verlautbarten Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe dar, der für viele allerdings ein Stück weit nach einer Science-Fiction-Dystopie klingt. Viele Bürgerinnen und Bürger durchdringt das Gefühl, dass Freiheit und Sicherheit aus der Balance zu geraten drohen. Insofern ist es nicht verkehrt, sich darüber auszutauschen.
Es ist vor allem notwendig, meine Damen und Herren, Klarheit darüber zu schaffen, was es mit den Vorschlägen genau auf sich hat, ob das tatsächlich konkret weiterverfolgt werden soll oder ob man da einfach die polizeilichen Daniel Düsentriebs hingesetzt hat,
(Heiterkeit von Minister Ralf Jäger)
die sich Gedanken darüber gemacht haben, was gehen könnte. Ich finde, darüber brauchen wir zuvorderst Transparenz.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir brauchen konkrete Informationen darüber, welche Probleme gelöst werden sollen, und vor allem, wie die Fragen verhältnismäßig und im Einklang mit den Grundrechten, mit den bürgerlichen Freiheitsrechten gelöst werden können. Ich gebe ehrlich zu, dass ich gewisse Zweifel daran habe, ob es das drängendste Problem der europäischen Innenpolitik ist, wie man nicht kooperationsbereite Autofahrer stoppt. Solche Fragen lassen sich sicherlich in der Ausschussberatung klären, wenn wir die notwendigen Hintergrundinformationen bekommen.
Meine Damen und Herren, rein vom Verfahrensstand – das ist schon von meinen Vorrednern gesagt worden – ist eines klar: Wir sprechen zurzeit noch über ungelegte Eier. Wenn es akut wird, dann ist es doch selbstverständlich, dass wir keine verfassungswidrigen Initiativen zulassen werden. Ich bin mir sicher, die Landesregierung wird sich, sofern es überhaupt zu einem Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union mit diesen Vorzeichen kommen sollte, für die Beachtung hoher Standards zum Grundrechtsschutz einsetzen. Dafür gibt es ja das Verfahren im Bundesrat. Dafür gibt es die verschiedenen Möglichkeiten, sich damit zu befassen, wenn es konkret wird. Damit können genau solche Fragen angegangen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, dass wir eine interessante Debatte im Ausschuss haben werden. Im Europaausschuss haben wir ja in der letzten Zeit mehrfach versucht, uns zu verständigen, wenn es um Themen ging, bei denen wir in eine ähnliche Richtung gedacht haben. Möglicherweise sieht es am Ende der Beratung zu diesem Punkt genauso aus. Insofern freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss. – Ganz herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Zunächst einmal möchte ich den Rednern von CDU und SPD entgegentreten, die versuchen, die ganze Problematik etwas zu bagatellisieren, und von ungelegten Eiern sprechen. Da bin ich eher auf der Linie der FDP und von meinem Vorredner Dr. Wolf. Es ist ein sehr ernstes Thema, wobei ich mich insofern von Herrn Dr. Wolf unterscheide, als er sich nicht auf „Cobra 11“ kaprizieren, sondern den Zuschauern eher den Film „Staatsfeind Nr. 1“ ans Herz legen sollte. Dort wird dargestellt, was die ausufernde Überwachung und Kontrolle einer ganzen Gesellschaft bedeuten kann, auch für den einzelnen Normalbürger, der kein Terrorist ist.
(Beifall von den PIRATEN)
Wieso diskutieren wir jetzt hier? – Vor einigen Wochen wurde das geheime Arbeitsdokument einer Arbeitsgruppe des EU-Ministerrats, also das EU-Organ der Mitgliedstaaten, geleakt. Es war eine britische Nichtregierungsorganisation – ich wiederhole: Nichtregierungsorganisation –, die die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe mit dem Namen European Network of Law Enforcement Technology Services – kurz: ENLETS – veröffentlicht und zumindest in einigen EU-Ländern eine rege Debatte ausgelöst hat. Das Papier von ENLETS enthält einigen Sprengstoff, denn es fordert unter anderem den europaweiten Einsatz der automatisierten Kennzeichenerkennung sowie die Fernabschaltung von Autos durch die Polizei.
Wir Piraten lehnen diese Vorschläge strikt ab. Sie schränken die Grund- und Menschenrechte massiv ein und stellen die Menschen unter Generalverdacht.
Wer angesichts solcher, durch einige sicherheitsbesessene Mitgliedstaaten forcierten Maßnahmen immer noch nicht die Tendenz zum Auf- und Ausbau der Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur in der EU erkennen kann, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.
(Beifall von den PIRATEN)
Für die Ausarbeitung dieser grundrechts- und menschenrechtswidrigen Vorschläge schießt die Kommission jedes Jahr auch noch über eine halbe Million Euro Steuergelder zu. Und dann wundert man sich, wenn die Menschen den Glauben an die Sinnhaftigkeit des europäischen Projekts gänzlich verlieren.
(Beifall von den PIRATEN)
Doch das Problem ist noch viel tiefgreifender. Was wir hier sehen, sind die Auswüchse eines intransparenten, vom Bürger abgekapselten Politiksystems, in dem im Grunde ohne echte Rückkopplung mit den Menschen die wichtigsten Entscheidungen in den quasi geheimen Arbeitsgruppen des Ministerrats ausgeklüngelt werden. Hier krankt das Politiksystem, und zwar gewaltig.
(Beifall von den PIRATEN)
Das Perfide dabei ist, dass insbesondere im sensiblen Bereich Justiz und Inneres, zum Beispiel bei der Kriminalprävention, auf Ministerratsebene die Weichen für schwerste Grundrechtseingriffe gestellt werden. Aber genau hier, in diesem Politikbereich, bedarf es der öffentlichen Debatte, gerade weil die vollumfängliche Wahrnehmung der Grundrechte aller Menschen in der EU betroffen ist. Doch eine Debatte findet nicht statt, im Gegenteil, sie wird so gut es geht verhindert.
Genau hier ist auch die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer betroffen. Sie sollten also ein eigenes Interesse an solchen vorausgehenden Debatten haben. Genau diese strukturellen Probleme wollen wir mit unserem Entschließungsantrag adressieren. Denn auch die Landesregierung ist hier in der Pflicht, zur Schaffung transparenter Arbeits- und Entscheidungsstrukturen auf EU-Ebene beizutragen. Ihre Landeskompetenz ist ja berührt. Zum Beispiel könnte sie sagen, welche Positionen den deutschen Beamten in den Arbeitsgruppen des Rates im Rahmen der Innenminister- und Justizministerkonferenz mit auf den Weg gegeben werden. Das wäre doch einmal ein Anfang.
Wir Piraten bleiben dabei: Wir bekämpfen den konstanten Ausbau der europäischen Überwachungs- und Kontrollinfrastruktur mit allen politischen Mitteln, und die politischen Strukturen, die die Grundrechte aushöhlen, bekämpfen wir gleich mit.
(Beifall von den PIRATEN)
Wir freuen uns allerdings auf eine konstruktive Debatte im Ausschuss. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag erweckt einen völlig falschen Eindruck. Er liest sich nämlich so, als habe die Kommission den Vorschlägen in einem Strategiepapier der sogenannten ENLETS-Arbeitsgruppe bereits zugestimmt. Das ist definitiv falsch.
Richtig ist, die ENLETS ist eine Arbeitsgruppe, in der sich Polizeibeamte und Wissenschaftler mit der Frage befassen: Was ist nach dem aktuellen Stand der Technik möglich, um die Sicherheitsbehörde Europa operativ zu stärken? Was diese Arbeitsgruppe ENLETS nicht vornimmt, ist eine Einschätzung der Frage: Sind diese Maßnahmen zulässig, und sind diese Maßnahmen verhältnismäßig?
Das heißt, wir befinden uns auf europäischer Ebene in einem viel früheren Stadium, als der FDP-Antrag hier skizziert. Die Kommission muss sich nämlich erst noch die Frage stellen: Wollen wir diese Vorschläge überhaupt in irgendeiner Form aufgreifen, und lässt das Gemeinschaftsrecht dies zu, und – falls ja – wollen wir das sogenannte Rechtsetzungsverfahren einleiten? Selbst wenn es dazu kommen sollte, würden die nationalen Parlamente und auch die Parlamente der Länder ohnehin beteiligt.
Wir befinden uns also noch lange nicht an einem Punkt, an dem irgendjemand qualifiziert festgestellt hätte, Herr Kern: Die Polizei in Europa geschweige denn in Deutschland oder in Nordrhein-Westfalen will oder braucht diese oder jene Maßnahme.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es angebracht, dass man frühzeitig über bestimmte Dinge diskutiert und sie aufgreift. Fest steht jedoch eines: Jede ...
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kern zulassen?
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Gerne.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Minister.
Ich habe es in der Rede quasi schon thematisiert. Sie sagten, es steht noch nichts fest, aber die Gespräche laufen ja unter Beteiligung der Länder. Können Sie uns die Positionen der Landesregierung darlegen, mit denen Sie Ihre Beamten an diesen Arbeitsgesprächen teilnehmen lassen?
(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Nach meinem Kenntnisstand arbeitet die Arbeitsgruppe eben nicht mit Vertretern der Länder, sondern der Mitgliedstaaten. Wenn Sie einen Moment gewartet hätten, Herr Kern, hätten Sie die inhaltliche Auffassung zu diesem Thema vonseiten der Landesregierung auch ohne Zwischenfrage kennenlernen können.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Ich würde gern fortfahren. Fest steht jedoch eines: Jede Maßnahme, die unsere Polizei in Deutschland oder unsere Polizei in Nordrhein-Westfalen durchführen könnte, muss mit dem Grundgesetz vereinbar sein und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit übereingehen. Ein anlassloser flächendeckender Eingriff, wie es der Antrag suggeriert, würde dieser Prüfung – ich glaube, da sind wir uns alle einig – kaum standhalten. Herr Kern, ich hoffe, das war die Antwort auf Ihre Frage. Sollten auf europäischer Ebene Maßnahmen angestoßen werden, die mit unseren Grundrechten nicht vereinbar sind, dann werden wir unsere Bedenken auch kundtun.
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Vor einigen Jahren gab es in einer großen deutschen Tageszeitung eine Schlagzeile: Christmette nur für Kirchensteuerzahler! – Hintergrund war die öffentliche Forderung von zwei Kollegen aus CDU und FDP:
Erstens. An Heiligabend haben nur Kirchensteuerzahler das Recht auf Einlass in die Heilige Messe.
Zweitens. Gemeindemitglieder sollten über Platzkarten vorrangige Plätze reservieren können.
Ich weiß nicht, ob sich jemand in diesem Hause noch daran erinnert. Falls Sie es vergessen haben sollten, spricht das keineswegs gegen Sie. Was man mit diesem Beispiel sehr gut ausdrücken kann: Kuriose und nicht zu Ende gedachte Ideen verschwinden ziemlich schnell aus unserem Gedächtnis. In den allermeisten Fällen sind sie auch nicht mehrheitsfähig. So ist das auch bei diesem Thema. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5036 einschließlich des Entschließungsantrages Drucksache 16/5098 an den Ausschuss für Europa und Eine Welt – federführend – sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
11 Gesetz zur Änderung des Hinterlegungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (HintG NRW)
Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4823
Beschlussempfehlung
und Bericht
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/5057
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Wolf das Wort.
(Der Abgeordnete Sven Wolf [SPD] ist nicht im Plenarsaal anwesend. – Die Abgeordnete Nadja Lüders [SPD] tritt ans Redepult.)
– Frau Kollegin, bitte schön. Gute Vertretung!
Nadja Lüders (SPD): Wir können es angesichts der fortgeschrittenen Zeit kurz machen, Herr Präsident: Die SPD-Fraktion wird dem Gesetzentwurf mit den im Rechtsausschuss beschlossenen Änderungen zustimmen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Kamieth das Wort.
Jens Kamieth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin in der glücklichen Position, dass ich hier jetzt vielleicht sogar für alle reden dürfte. Wir erleben nämlich heute einen Beweis dafür, wie leistungsfähig dieses Parlament sein kann.
In zweiter Lesung behandeln wir einen Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, der die Abschaffung der Verzinsungspflicht für hinterlegte Gelder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorsieht. Sehr erfreut haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Rechtsausschuss den Gesetzentwurf in der letzten Woche einstimmig angenommen hat. Dabei weise ich gerne darauf hin, dass wir ihn erst im letzten Plenum eingebracht haben.
Wir kommen hier also sehr schnell zu einer einvernehmlichen und auch sehr guten Lösung. Denn durch unseren Gesetzentwurf ergibt sich ein langfristiger, struktureller Einspareffekt für den Landeshaushalt. Allein im vergangenen Jahr haben diese Zinszahlungen den Haushalt mit einer über 1 Million € belastet. Das sind Kosten, die sich andere Bundesländer längst sparen.
Die CDU-Landtagsfraktion hat damit einen weiteren sinnvollen Vorschlag zur Sanierung des Landeshaushaltes gemacht. Ich freue mich, dass diesmal auch SPD und Grüne im Rechtsausschuss über ihren Schatten gesprungen sind und unseren Vorschlag unterstützt haben.
In diesem Sinne bitte ich heute das Plenum um Zustimmung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kamieth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.
Dagmar Hanses (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kamieth, da mussten wir gar nicht über unseren Schatten springen. Das war für uns ganz einfach und selbstverständlich. Wir haben hier schon bei Ihrer Einbringung am 30. Januar 2014 gesagt, dass wir für konstruktive Vorschläge sehr dankbar sind. Es wurde in den Beratungen ja auch darauf hingewiesen, dass das Ministerium bereits ähnlich unterwegs war.
Das ist in der Tat ein Beispiel für zügige Gesetzgebung: Am 30. Januar wurde der Gesetzentwurf hier eingebracht, am 12. Februar wurde er im Fachausschuss konstruktiv beraten und das Inkrafttreten noch einmal einstimmig verändert. Heute schreiben wir den 19. Februar – schneller geht es nicht.
Ansonsten können wir für die grüne Fraktion noch ergänzen, dass jeder Tag, an dem wir weniger Geld ausgeben, für Nordrhein-Westfalen ein guter Tag ist. Auch wir bedanken uns für die konstruktiven Gespräche. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.
Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitglieder des Rechtsausschusses waren sich in dessen letzter Sitzung schnell einig, dass NRW in Zukunft auf eine Verzinsung hinterlegter Gelder verzichten soll. Dadurch sparen wir jährlich nicht nur über 1 Million € im Landeshaushalt ein, sondern wir verringern zusätzlich den damit verbundenen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand bei den Gerichten. Weshalb dies angebracht ist und wir dem Beispiel der Mehrzahl der Bundesländer folgen sollten, wurde in der ersten Lesung bereits ausführlich dargelegt.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass – wie bei der Verabschiedung des Hinterlegungsgesetzes vor viereinhalb Jahren – erneut eine so große Einmütigkeit in diesem Hohen Hause herrscht. Auch die Rechtspolitiker von SPD und Grünen werden nun die schöne Erfahrung machen, dass es keine Schmerzen bereitet, wenn sie für eine Initiative der Opposition den Arm heben und eine gute Idee mittragen.
Es stellt sich an dieser Stelle nur die Frage, weshalb die Regierung nicht von selbst auf dieses Einsparpotenzial gestoßen ist.
(Nadja Lüders [SPD]: Noch weiter so, dann stimmen wir dagegen!)
Dabei hat Finanzminister Dr. Walter-Borjans noch in der Plenardebatte vom 19. Dezember 2013 zum Effizienzteam ausgeführt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
„Es hat die Aufgabe, den Haushalt Kapitel für Kapitel, teilweise sogar Titel für Titel, auf Einsparpotenziale zu durchforsten.“
Bis zum Einzelplan 04 ist man dabei offensichtlich noch nicht vorgedrungen. Da das Effizienzteam bekanntlich demnächst seine Arbeit einstellen wird, wird daraus ja wohl auch nichts mehr werden.
Wir werden dem Gesetzentwurf heute selbstverständlich gerne zustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Abgeordnete Schulz.
Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und zu Hause! Auch ich mache es kurz. Bürokratieabbau durch Abschaffung der Verzinsung: Daumen hoch!
Entlastung des Landeshaushaltes – sogar strukturell –: Auch dafür Daumen hoch, wenngleich die Entlastung, was den aktuellen Haushalt angeht, nur 660.000 € ausmacht! Das ist eine ganze Menge Geld. Weg damit!
Wir haben im Ausschuss alle dafür gestimmt, und das werden wir hoffentlich auch hier im Plenum tun. Wir – die Piratenfraktion – werden diesem Gesetzentwurf jedenfalls zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.
Thomas Kutschaty, Justizminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte heute nicht darüber reden, dass die Landesregierung schon an der Änderung des Hinterlegungsgesetzes gearbeitet hat, bevor die CDU diesen Antrag gestellt hat.
(Zurufe von der CDU: Och!)
Ich möchte auch nicht darüber reden, dass Sie, lieber Herr Kamieth, es der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Wedel von der FDP zu verdanken haben, dass Sie davon Kenntnis erlangt haben.
(Beifall von der FDP – Zurufe von der CDU: Och!)
Ich möchte auch nicht darüber sprechen, dass erst die Änderungsvorschläge der Fraktionen von SPD und Grünen im Rechtsausschuss die Sache so richtig rund gemacht haben.
Ich möchte einfach nur sagen: Bitte stimmen Sie doch heute zu! – Danke.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/5057, den Gesetzentwurf Drucksache 16/4823 mit den vom Ausschuss beschlossenen Änderungen anzunehmen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Empfehlung angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/4823 in zweiter Lesung verabschiedet.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5044
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Deppe das Wort.
Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Minister ist nicht anwesend; das ist schon ein starkes Stück.
(Beifall von der CDU)
Er ist der Minister für den ländlichen Raum und damit auch der für die Jagd zuständige Minister. Und genau vor einer Woche betitelt er hier im Haus den Präsidenten des Landesjagdverbandes mit den Worten: schäbig und unehrenhaft.
(Zurufe von der CDU)
Als ich ihn aufgefordert habe, diese Worte zurückzunehmen, hat er sie bestätigt. Ich sage Ihnen: So geht das nicht!
(Beifall von der CDU)
So kann die Landesregierung nicht mit den 80.000 Jägerinnen und Jägern in Nordrhein-Westfalen umgehen.
(Beifall von der CDU – Zuruf von Minister Ralf Jäger)
Um Ihnen mal die Größenordnung vor Augen zu führen: Das sind sechsmal mehr Menschen, als die Grünen überhaupt Mitglieder haben.
(Lebhafter Beifall und Zurufe von der CDU)
Es stehen hier Behauptungen im Raum, die der Minister geraderücken sollte – wenn er denn mal hier wäre. Die Betroffenen wollen wissen, was Herr Remmel und nicht irgendein Beamter des Hauses im Jagdrecht wirklich im Schilde führt.
Seit 2010 lässt die Landesregierung die Menschen im Unklaren.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)
Bis zur Wahl 2012 blieb es bei Andeutungen. 2013 war Bundestagswahl. Da wollten Sie nichts sagen. Jetzt, 2014, sind Kommunalwahlen. Da wird wieder bis zum Wahltag geschwiegen – und das böse Erwachen gibt es nach der Wahl.
(Beifall von der CDU)
Das ist bei der Inklusion so, das ist beim LEP so, und das ist beim Jagdgesetz so.
(Zuruf von der CDU: Genauso!)
Am 25. Mai sind wichtige Wahlen. Da gehört es sich, vorher zu sagen, was man macht, und nicht hinterher.
(Beifall von der CDU)
Sie denken, es geht nur um die Jäger. Da täuschen Sie sich. Betroffen sind alle Menschen im ländlichen Raum. Die Landwirte haben Angst vor der Schweinepest. Die Waldbauern befürchten Wildschäden. Angler beklagen sich, dass Sie tatenlos der Ausrottung von Rote-Liste-Arten durch den Kormoran zusehen. Bodenbrüter gibt es immer weniger. Hundehalter haben Furcht vor der Fuchsräude. Gartenbesitzer sind fassungslos, wenn Wildschweine in einer Nacht ihren Garten umpflügen. – Und Sie reden ständig von Dialog.
(Horst Becker [GRÜNE]: Schon wieder „Närrischer Landtag“!)
– Regen Sie sich nicht so auf! Die Wahrheit muss ja mal auf den Tisch. – Ihr Handeln, Herr Remmel, ist genau das Gegenteil.
(Lachen von der SPD)
Das Weihnachtsbaumgesetz ziehen Sie durch, noch während Sie mit den Waldbauern über eine Zertifizierung sprechen.
(Beifall von der CDU)
Die Fischer führen mit Ihnen jetzt im dritten Winter Endlosdiskussionen über den Schutz der Fischbestände vor dem Kormoran.
(Horst Becker [GRÜNE]: Unglaublich!)
Seit 2010 werden die Jäger im sogenannten Arbeitskreis Jagd und Natur beschäftigt. Ergebnisse gibt es nicht.
Sie sprechen von Dialog, doch in Wahrheit entscheidet am Ende immer der grüne Minister. So war es bisher, und so wird es bleiben.
(Beifall von der CDU und Dagmar Hanses [GRÜNE])
Die Menschen im ländlichen Raum wollen jetzt Klarheit. Halten Sie nicht weiter mit Ihren wahren Absichten hinter dem Berg! Sagen Sie hier und heute endlich, was Sie vorhaben,
(Horst Becker [GRÜNE]: Unglaublich!)
also vor der Wahl und nicht erst danach!
(Beifall von der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. Es lag noch eine Frage an ihn vor. Aber er hat das Rednerpult verlassen. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.
Norbert Meesters (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Herr Deppe, Sie haben kaum zu Ihrem eigenen Antrag gesprochen.
(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)
Das war mehr ein Rundumschlag, der sehr gut in die fünfte Jahreszeit passt, aber kaum etwas mit dem zu tun hat, über das wir heute reden wollen.
Mir ist es auch ehrlich gesagt unerklärlich, warum die CDU-Fraktion diesen Antrag nach dem klärenden Bericht im Ausschuss nicht zurückgezogen hat, sondern hier noch einmal so richtig vom Leder gezogen hat, als hätte die Klarstellung des Ministers in der Ausschusssitzung überhaupt nicht stattgefunden.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Unruhe)
– Geht das von meiner Redezeit ab, wenn die hier stören? Herr Hovenjürgen, kommen Sie runter! – Ihr Verhalten bestätigt doch deutlich – auch Ihres, Herr Hovenjürgen –, dass es Ihnen nicht in erster Linie darum geht, Sachaufklärung im Sinne der Landesjägerschaft zu betreiben, geschweige denn sich positiv in den politischen Prozess zur Novelle des Landesjagdgesetzes einzubringen.
Aber so funktioniert Ihre CDU-Oppositionspolitik nun einmal: Sie brauchen den Skandal, instrumentalisieren den Vorgang und gießen genussvoll Öl ins Feuer, um sich an den auflodernden Flammen der eigenen Empörung politisch zu wärmen!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Leider verhelfen diese Flammen der Empörung nicht zur dringend notwendigen Erleuchtung. Vom Licht der Erkenntnis sind Sie, Herr Deppe, weit entfernt!
(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich verweise deshalb noch mal auf die Vorlage zur letzten Sitzung des Umweltausschusses. Darin wird aus der Erklärung von Herrn Dr. Woike, auf die Sie in Ihrem Antrag eingehen, zitiert. Es heißt dort:
„Hiermit erkläre ich, dass anlässlich des Bezugsgesprächs am 16.01.2014 über das Thema ‚Jagd‘ weder eingehend noch vernichtend gesprochen worden ist.“
Weiter heißt es:
„Mein tägliches Handeln im Rahmen von Gesprächen mit dem Landesjagdverband, Vertretern der politischen Parteien, dem Arbeitskreis ‚Jagd und Naturschutz‘ … zeigt vielmehr, dass ich mich stets um einen Kompromiss zwischen den Vorstellungen der Jagd und von Natur- und Tierschutz bemühe.“
Ich denke, dass wir diese Aussagen alle zur Kenntnis nehmen müssen. Niemand von uns war dabei. Deshalb müssen wir uns auf die Aussagen Dritter verlassen. Wie schnell werden Dinge missverstanden oder falsch zugeordnet! Für mich als Abgeordneten muss eine solche dienstliche Erklärung des betroffenen Abteilungsleiters reichen. Der Inhalt ist entscheidend dafür, ob es möglich ist, den Prozess zur Erarbeitung dieser Novelle fortzuführen. Und ich denke, das ist so möglich.
Für die SPD will ich hier erklären, dass wir ein großes Interesse daran haben, diesen Dialogprozess gemeinsam mit den Jägerinnen und Jägern in NRW zu einem guten und konsensualen Ende zu bringen.
Ein weiteres Zitat aus der Vorlage hilft dabei weiter:
„Unabhängig von den Anschuldigungen und Umständen besteht seitens der Landesregierung weiterhin das Angebot und das Interesse an der Fortführung eines konstruktiven Dialogs mit dem Landesjagdverband auf sachlicher Basis.“
Das ist für mich der entscheidende Punkt, denn es geht darum, eine vertrauensvolle und dialogorientierte Zusammenarbeit fortzuführen.
Lassen Sie mich mit einem letzten Zitat zum Ende kommen:
„Soziales Engagement und ökologische Verantwortung gehören für fast alle Menschen zum Kern sozialdemokratischer Werte. Aber auch ein klares Bekenntnis zu einer naturnahen und nachhaltigen Jagd gehört zu diesen Werten. Das erkennen viele erst auf den zweiten Blick. Dabei unternimmt kaum eine Bevölkerungsgruppe in unserem Bundesland mehr für den Umwelt-, Biotop- und Artenschutz als die nordrhein-westfälischen Jägerinnen und Jäger.“
(Lebhafter Widerspruch von der CDU)
So heißt es auf der Homepage unserer Waidgenossen in der SPD unter der Überschrift: „Gut, dass es Jägerinnen und Jäger gibt“.
Den Wettbewerb, wer nun wirklich mehr für die Umwelt in NRW unternimmt, will ich hier jetzt nicht eröffnen. Unbestritten ist jedoch, dass die Jägerschaft aus unserer Sicht höchst wichtige Aufgaben im Biotop- und Artenschutz und bei der fachkundigen Regulierung der Wildbestände leistet, und dies ehrenamtlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nordrhein-westfälische SPD bekennt sich zur Tradition der Jagd. Diese wollen wir mit der Novelle des Landesjagdgesetzes weiterentwickeln, um neue Erkenntnisse in Natur-, Tier- und Artenschutz in die alltägliche Jagdpraxis einfließen lassen. Dazu wollen wir Betroffene zu Beteiligten machen – nicht umgekehrt: Beteiligte zu Betroffenen.
Mein Appell geht deshalb an alle Beteiligten, den Prozess konstruktiv und kritisch fortzusetzen. Auf die fachliche Kompetenz des Landesjagdverbandes können und wollen wir dabei nicht verzichten.
Der CDU-Antrag – Ihr Vortrag hat das wieder sehr deutlich und plastisch gezeigt, Herr Deppe – will nur provozieren, geht an der Sache vorbei und will den konstruktiven Prozess behindern. Wir lehnen den Antrag deshalb ab.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding.
Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE): Helau statt Horrido, Herr Deppe! „Närrischer Landtag“ war allerdings gestern!
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat also ein Gespräch gegeben, und im Nachgang zu diesem Gespräch hat eine Teilnehmerin einem Ministerialmitarbeiter Äußerungen in den Mund gelegt. Nach allem, was wir hierzu bislang lesen und hören konnten, erscheint dieser Vorgang zumindest sehr fragwürdig. Der Betroffene bestreitet, derartige Äußerungen gemacht zu haben – was im Übrigen von weiteren Zeugen bestätigt wird.
Die Teilnehmerin, die mit ihren Unterstellungen und Äußerungen für sehr viel Furore gesorgt und in Teilen der Jägerschaft eine gewisse Empörung ausgelöst hat, hat – das finde ich sehr merkwürdig – in dem Gespräch selbst – wenn das Gespräch überhaupt stattgefunden hat – denjenigen gar nicht angesprochen. Das hätte sie ja tun können.
Nein, im Nachgang, über viele Umwege haben diese Unterstellungen den Präsidenten des Landesjagdverbandes, Herrn Müller-Schallenberg, erreicht. Aber der hat nicht – wie es der Anstand eigentlich gebietet – das Gespräch mit den Betroffenen gesucht, sondern gleich einen Vorgang, den es offenbar gar nicht gibt, skandalisiert.
Mir scheint: Da wird mal wieder eine Sau durchs Dorf getrieben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Mit irgendeiner Nachricht viel Aufregung erzeugen und etwas lautstark zum Thema machen, um vom Wesentlichen abzulenken! Auf dieses Wesentliche möchte ich ganz gerne mal unser aller Augenmerk lenken.
Es geht um die Verhandlungen und Gespräche zur Novellierung des Landesjagdgesetzes. Vielleicht sollte ich es genauer sagen: Es geht um die Atmosphäre und das Klima während dieser Gespräche. Seit Monaten wird hierzu im Arbeitskreis Jagd und Naturschutz verhandelt. Die wechselseitigen Bekundungen aller Akteure und Beteiligten – übrigens auch die des Präsidenten des Landesjagdverbandes – haben bislang ein konstruktives und an der Sache orientiertes Gesprächsklima bestätigt. Bei aller Unterschiedlichkeit der Sichtweisen wird an konsensualen Lösungen zu den verschiedensten Fragestellungen gearbeitet.
Aber genau das scheint einigen ein Dorn im Auge zu sein. Mithilfe eines konstruierten Skandals soll die Atmosphäre vergiftet werden, um zur alten populistischen Tonlage, wie Herr Borchert sie bevorzugte, zurückzukehren. – Herr Deppe, Sie haben mit Bravour vorgemacht, wie das sein wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das kann er!)
Damit aber – das sage ich Ihnen als Jägerin – erweisen Sie der Jagd und dem Anliegen der gesamten Jägerschaft einen Bärendienst.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich kenne viele Jägerinnen und Jäger, die nicht in die kommunikative Eiszeit zurückgeschleudert werden möchten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vielmehr begrüßen sie den ursprünglichen Stil des Herrn Müller-Schallenberg. Sie erwarten von dem Präsidenten, dass er in den Kommunikationskreis zurückkehrt.
Der bisherige Weg, nämlich über Gespräche einen Konsens bei der Novellierung des Landesjagdgesetzes zu finden, ist richtig und muss weiterverfolgt werden.
Der Antrag der CDU, Herr Deppe, stellt die bislang vertrauensvolle Zusammenarbeit von Landesregierung und Jägerinnen und Jägern infrage. Er ist kontraproduktiv. Wir werden ihn deshalb ablehnen. Waidmannsheil!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Busen.
Karlheinz Busen*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hätten wir uns echt ersparen können, Herr Minister,
(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)
wenn Sie sich vollkommen unabhängig von den Vorwürfen von vor drei Wochen klar und deutlich distanziert hätten.
(Beifall von der FDP)
Erklären Sie doch einfach, dass dies nicht die Politik Ihres Hauses ist. Es ist schade, dass wir heute erneut über die Novellierung des Landesjagdgesetzes sprechen müssen – schade, weil immer noch nicht klar ist, was für Novellierungen das Jagdgesetz enthalten soll.
Die Diskussionen und Auseinandersetzungen der letzten Wochen haben gezeigt, dass nach rund drei Jahren Zitterpartie auf allen Seiten die Nerven blank liegen. Die Jägerinnen und Jäger, die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer, die Försterinnen und Förster und natürlich auch die Tierschützerinnen und Tierschützer warten seit dem Koalitionsvertrag der Minderheitsregierung 2010 auf einen belastbaren Entwurf aus Ihrem Hause, Herr Minister.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Eine solche Hängepartie wird der Bedeutung der Jagd in der Gesellschaft – gerade im ländlichen Raum – sowie der wirtschaftlichen Bedeutung der Jagd für die Grundeigentümer und Waldbesitzer nicht gerecht. Ein erster Schritt, um die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, wäre, zeitnah, noch vor der Kommunalwahl, einen Entwurf für das neue angeblich ökologische Jagdgesetz vorzulegen.
Es ist doch sonst immer eine grüne Maxime, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Herr Remmel, die Betroffenen warten. Erst dann, wenn Sie alle Karten auf den Tisch gelegt haben, kann sich die benötigte sachliche Diskussion um das Für und Wider der Jagdrechtsreform entwickeln, obwohl nach meiner Meinung eine Verlängerung des bewährten Jagdgesetzes auch eine gute Option wäre.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Die Jagd in ihrer heutigen Form findet in der Bevölkerung Zuspruch. Daher scheuen wir keine sachliche Diskussion über die Jagd, wenn diese denn irgendwann mal kommen sollte. Voraussetzung dabei ist natürlich, dass die Jägerinnen und Jäger trotz aller Irritationen der letzten Wochen ein offenes Ohr im Ministerium finden.
Die unentgeltlichen Arbeiten für den Tier- und Naturschutz, die die Jägerinnen und Jäger seit Jahren leisten, dürfen nicht ignoriert werden. Naturnutzer wie Jäger waren in Deutschland auch die ersten Naturschützer. Wer über eine so tiefe Kenntnis der Zusammenhänge des Lebens in unserem Ökosystem verfügt, spürt die Auswirkungen kleiner Änderungen als Erster. Wildbrücken, Biotop- und Artenschutz wurden vor allem von Jägern vorangetrieben und bis heute betreut und durchgeführt.
Sehr geehrter Herr Minister, beenden Sie das unwürdige Versteckspiel! Sagen Sie den Menschen, was Sie vorhaben!
(Beifall von der FDP und der CDU)
Nehmen Sie die Ängste engagierter Jägerinnen und Jäger sowie der Grundbesitzerinnen und Grundbesitzer in Nordrhein-Westfalen endlich ernst! Machen Sie kein Gesetz gegen die Jäger, sondern ein Gesetz mit den Jägern, nicht gegen die Naturnutzer, sondern mit den Naturnutzern! Nur dann kann es – ich sagte es schon –, wenn überhaupt nötig, zu einem fortschrittlichen und zukunftsfähigen Gesetz kommen. – Vielen Dank.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Rohwedder.
Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und auch draußen im Stream! Der vorliegende Antrag der CDU ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie man Lobbyarbeit im Vorfeld von Kommunal- und Europawahlen im Landtag besser nicht betreibt.
(Beifall von den PIRATEN)
Das ist ein reiner Showantrag, der Wesentliches unberücksichtigt lässt. Auf billige Weise wird Stimmung gemacht gegen ein geplantes Jagdgesetz – mit dem Anspruch einer ökologischen Ausrichtung. Die Erfüllung dieses Anspruches kann man aber noch nicht beurteilen, weil konkrete Entwürfe noch nicht vorliegen.
Das aktuell gültige Landesjagdgesetz ist bis Ende 2014 befristet. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, ein neues zu verabschieden.
Zur Novellierung des jetzt gültigen Landesjagdgesetzes möchte ich etwas sagen, was relevant ist und in Ihrem Antrag nicht vorkommt.
Der Verlust der Natur schreitet, allgemein bekannt, ungebremst voran. Mit einer durchschnittlichen Gefährdungsrate von 45 % aller Tier- und Pflanzenarten – laut der Roten Liste – steht Nordrhein-Westfalen noch deutlich schlechter da als ganz Deutschland, das im europäischen Vergleich schon Spitzenwerte erreicht.
Deshalb ist nicht nur der Erhalt der Biodiversität, sondern auch eine besondere Förderung und eine entsprechend Biodiversitätsstrategie für Nordrhein-Westfalen zwingend notwendig. Jagd ist dabei ein wichtiger Faktor; denn es geht nicht nur um Bejagung und Abschuss, es geht den Jägern auch um Hege und Pflege, die sie tatsächlich durchführen. Wenn auch nicht ganz zweckfrei! Das ist kein zweckfreier Naturschutz, es geht dabei schon um ihre Jagdbelange. Das ist aber auch völlig in Ordnung.
Die Rote Liste beweist die anhaltende Gefährdung der heimischen Arten und zeigt, dass Nordrhein-Westfalen das Ziel, den Artenschwund zu stoppen, noch nicht erreicht hat. Dafür spricht beispielsweise auch ein von der EU eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit den massiven Verschlechterungen beim Vogelschutz in der Hellwegbörde.
Eine verbindliche Biodiversitätsstrategie und damit verbunden eine konsequente Umsetzung von Artenschutzmaßnahmen in der Breite sind daher längst überfällig.
Nordrhein-Westfalen hat zwar Ende 2007 mit seinem offiziellen Beitritt zum „Countdown 2010“-Prozess bezeugt, das Artensterben bis Ende 2010 stoppen zu wollen, doch dieses Ziel ist bis heute, 2014 – also vier Jahre später – noch nicht erreicht. Für sichtbare Erfolge muss Nordrhein-Westfalen noch deutlich mehr Anstrengungen unternehmen. Die Bedrohung der Biodiversität hält also nach wie vor ungebrochen an. Das betrifft nicht nur Arten, das betrifft auch Habitate. In Nordrhein-Westfalen gelten 56 % der Lebensräume von Tieren und Pflanzen als gefährdet.
Die biologische Vielfalt lässt sich in Nordrhein-Westfalen nur bewahren, wenn sie nicht wie bisher in die Nische der Naturschutzgebiete abgedrängt wird, sondern endlich zum festen Bestandteil der Land- und Forstwirtschaft und der Verkehrs- und Siedlungspolitik gemacht wird und natürlich auch der Jagdpolitik. Zum Beispiel muss die Vernetzungs- und Korridorstrategie weiter ausgebaut werden. Der Schutz und die nötigen Verbesserungen müssen Prioritäten bekommen. Das sind die wichtigen Aspekte im neuen Landesjagdgesetz, von denen wir Piraten hoffen und erwarten, dass die oben genannten Belange eben für die Novellierung des Landesjagdgesetzes oberste Priorität haben werden.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Nichts davon findet sich in Ihrem Möchte-gern-populistischen-Antrag: Zerstückelung von Jagdrevieren, Billigung von Flickenteppichen, heißt es da polemisch. Dazu gibt es eine höchstrichterliche Rechtsprechung. Wollen Sie die genauso ignorieren, wie Sie es auch bei Überwachungs- und Polizeistaatsgesetzen tun?
Unterste Sohle sind dann diese Behauptungen über einen unbescholtenen Abteilungsleiter der Umweltbehörde. Das wurde übrigens schon in der letzten Sitzung des Umweltausschusses zurechtgerückt. Vor einer Woche haben wir uns da getroffen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Warum belästigen Sie uns heute noch mit diesem Unfug?
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Warum belästigen Sie das Hohe Haus mit diesen Aussagen, bei denen sich längst gezeigt hat, dass sie unwahr sind. Das sollten Sie hier einmal erklären. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihre Glaubwürdigkeit aber in allen Ehren! – Weitere Zurufe von der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Kollege Rohwedder. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Remmel.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich Ihren Antrag, Herr Deppe und liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, gelesen habe, bin ich einigermaßen enttäuscht gewesen.
(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)
Zu diesem Zeitpunkt sind die Behauptungen, die der Präsident des Landesjagdverbandes nicht etwa mit den Betroffenen oder mit dem Ministerium besprochen hat, sondern die öffentlich lanciert worden sind, bereits widergelegt gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben also der Versuchung nicht widerstanden; das werfe ich Ihnen vor. Insofern sage ich Ihnen, dass es nicht nur schäbig, sondern schäbiger ist, was Sie hier heute machen,
(Zuruf von der CDU: Oh, oh! – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
nämlich das plenar zu diskutieren. Sie betreiben hier im Parlament politisch die Fortsetzung der Geschichte auf Kosten und auf dem Rücken eines Mitarbeiters der Landesverwaltung, anstatt einen politischen Diskurs zu führen. Das halte ich in der Tat für schäbig und auch für ehrenrührig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben der Versuchung nicht widerstanden, Ihre politische Suppe zu kochen. Dabei, meine ich, haben auch Sie als Oppositionsfraktion eine Fürsorgepflicht.
Abteilungsleiter sind keine politischen Beamten, sondern sie sind die Spitzenbeamten des Landes
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir haben den Staatssekretär schon erlebt! Hören Sie auf!)
und für alle Bürgerinnen und Bürger zuständig.
Wenn eine solche Behauptung aufgestellt wird und die betreffende Person, der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin, eine dienstliche Erklärung abgibt und diese Behauptungen als falsch zurückweist, hätte ich auch von Ihnen erwartet, dass Sie sich vor den Landesbediensteten stellen und ihn entsprechend verteidigen.
Das haben Sie nicht getan, sondern Sie wiederholen diese Behauptungen. Das muss ich Ihnen vorwerfen: Sie müssen die Behauptungen dann auch beweisen. – Und sie können nicht bewiesen werden, weil sie schlichtweg falsch sind.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schemmer?
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Ja, gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Schemmer.
Bernhard Schemmer (CDU): Herr Minister, Sie sprachen gerade davon, was angeblich denn „schäbig“ sei. Meine Frage: Wenn Jäger und Grundbesitzer auf die Regeln eines neuen Jagdrechtes warten, ist es dann nicht schäbig, ihnen inzwischen schon eine sehr lange Zeit die Rahmenbedingungen eines neuen geplanten Jagdgesetzes vorzuenthalten?
(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Das ist hervorragend; denn auf diese Frage habe ich gewartet, weil das noch einmal die Schizophrenie Ihrer Argumentation und im Übrigen auch die des Landesjagdverbandes offenlegt.
Es wird von Ihrer Seite und auch vonseiten des Landesjagdverbandes immer behauptet, ein besseres Jagdgesetz, wie es derzeit existiere, gäbe es nicht. Warum Sie dann allerdings nach einem neuen Jagdgesetz betteln, müssen Sie einmal jemandem draußen im Lande erklären.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wie sind Sie denn drauf! – Weitere Zurufe von der CDU)
Wir brauchen uns doch nicht gegenseitig da katholisch zu reden! Die Ankündigung, dass es ein ökologisches Jagdgesetz geben soll,
(Fortgesetzt Zurufe von der CDU)
steht im Koalitionsvertrag. Das ist kein Geheimnis.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Wir haben darüber in vielen Runden gesprochen. Ich war bei zwei Landesjägertagen anwesend und habe immer wieder gesagt: Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit, Herr Hovenjürgen. Dazu stehe ich nach wie vor. Wir wollen eine gründliche Diskussion, und die Diskussion ist noch nicht abgeschlossen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie sind ein Täuscher!)
Deshalb wird das stattfinden, was wir im Übrigen auch mit dem Landesjagdverband verabredet haben, nämlich eine wissenschaftliche Diskussion. Dazu wird für den 17. März eingeladen. Dann werden die noch offenen Fragen diskutiert. Oder können Sie heute schon abschließend eine Antwort darauf geben, wie wir mit dem Katzenabschuss umgehen? Über 11.000 Katzen werden in Nordrhein-Westfalen abgeschossen. Dazu werden wir zukünftig eine Regelung finden müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Haben Sie darauf eine Antwort, Herr Hovenjürgen?
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ich würde auch gerne wissen, wie wir mit der Frage tierschutzgerechter Jagdhundausbildung umgehen. Wollen wir die Baujagd fortsetzen, wollen wir die Schliefanlagen weiter behalten, oder wie gehen wir mit den flugunfähig gemachten Enten um? Auch dafür wollen wir einen wissenschaftlichen Diskurs, und den werden wir gemeinsam durchführen. Es geht also darum, die Fachfragen zu klären. Das ist verabredet, und das werden wir auch genau so tun.
Im Übrigen: Wenn danach gefragt wird, wie wir es denn mit der Jagd halten, sage ich: Im Koalitionsvertrag steht: Wald vor Wild. – Das heißt, wir haben zurzeit zu viel Wild im Wald, weil der Wald nämlich nicht wachsen kann. Der Wald ist oft die gedeckt Platte für das Wild.
(Karlheinz Busen [FDP]: Quatsch! – Widerspruch von der CDU)
Deshalb müssen wir mehr Jagd haben und mehr jagen. Die Jägerinnen und Jäger müssen dann auch ihren Pflichten nachkommen und die entsprechenden Abschüsse gewährleisten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Es geht nicht um die Frage Jagd ja oder nein, sondern es geht um Regulierung, und nichts anderes wollen wir mit unserem ökologischen Jagdgesetz voranbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe gemerkt, die Diskussion ist ausgesprochen emotional. Wir wollen sie versachlichen.
(Lachen von der CDU und FDP)
Deswegen werden wir einen sachlichen Diskurs führen, und dann freue ich mich auf eine Gesetzgebung, die im Parlament noch in diesem Jahr anlaufen wird. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat für die CDU-Fraktion noch einmal Herr Kollege Deppe das Wort.
Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Meesters, Sie haben nichts zum Inhalt gesagt und zu keiner einzigen Frage Stellung genommen.
(Zuruf von den GRÜNEN: Er kann auch leise!)
Frau Grochowiak-Schmieding hat nichts gesagt, und Herr Remmel hat auch nichts gesagt.
(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Hier wird verheimlicht, worum es geht.
(Zuruf von den GRÜNEN: Sie sollten mal zuhören!)
Ich will die zentrale Frage aufrufen, die wir Ihnen immer wieder gestellt haben – auch im Ausschuss haben Sie sie nicht beantwortet –: Behalten wir eine flächendeckende Jagd und Tierseuchenbekämpfung, oder bekommen wir einen Flickenteppich?
Am 25. August 2012 haben Sie, Herr Remmel, auf dem Landesjägertag den Eindruck erweckt, Sie stünden zur flächendeckenden Jagd. Im Redemanuskript steht – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – genau das Gegenteil: Das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Juni verkündete Urteil zur Frage der zwangsweisen Bejagung von Grundflächen unterstreicht die Notwendigkeit, dass wir eine Lösung für solche Grundeigentümer brauchen, die die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Zeit! – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])
Im Bundestag beschließen alle Fraktionen außer den Grünen die Ergänzung des Bundesjagdgesetzes, um den befürchteten Flickenteppich zu verhindern. Anfang 2014 – um diesen Vorgang geht es als Auslöser – werden Überlegungen aus Ihrem Hause publik, mit welchen Umgehungen man trotzdem diesen Flickenteppich schaffen könnte.
(Zuruf von den GRÜNEN: Aufhören!)
Gleichzeitig wird bekannt: Die Landesregierung – hören Sie bitte zu – registriert seit Juli 2013 in ganz Nordrhein-Westfalen jeden einzelnen Antrag zum Flickenteppich. Herr Minister, warum machen Sie das? Stellen Sie hier und heute klar, was Sie wollen. Über diese Frage reden wir hier. Darauf geben Sie keine Antwort.
(Beifall von der CDU und Ulrich Alda [FDP])
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Deppe. – Für die FDP-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Busen, bitte schön.
Karlheinz Busen*) (FDP): Weil das Thema so interessant ist.
(Lachen von Stefan Zimkeit [SPD])
Ich möchte zwei Dinge klarstellen, Herr Minister. Wenn Sie sagen, dass der Wald nicht mehr wachsen könne, weil es dort zu viele Tiere gebe, sage ich Ihnen: Seit ein paar Hundert Jahren lebt unser Wald. Da waren immer Tiere – wahrscheinlich noch mehr als heute. Das ist kein Argument, um noch mehr Schalenwild aus dem Wald zu verbannen.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Wo haben Sie den denn hergeholt?)
Zum Zweiten kann ich Ihnen zu den 11.000 Katzen sagen, die Sie gerade angeführt haben: Wenn unverantwortliche Katzenbesitzer ihre Tiere aussetzen und diese Tiere dann unsere Bodenbrüter und unsere Singvögel reduzieren und um Millionen dezimieren, können Sie froh sein, dass sich die Jägerschaft dieser Sache annimmt und die Katzen leider erschießen muss. Sonst hätten wir keine Singvögel und keine Bodenbrüter mehr. Wir hätten dann gar kein Wild mehr in unseren Revieren.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Die gesamte Fauna und Flora ist dann weg. Wenn Sie den letzten Rehbock aus dem Wald schießen wollen, machen Sie es doch! Dann haben Sie gar kein Wild mehr in unseren Revieren.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Remmel hat sich noch einmal gemeldet – selbstverständlich, Herr Minister. Die Landesregierung hat noch eine Minute und 16 Sekunden Redezeit. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Busen, es tut mir leid: Sie haben schlicht und einfach keine Ahnung.
(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von CDU und FDP)
Sie kommen aus einer Gegend mit wenig Wald. Ich nehme Sie mal mit in meinen Kreis. Dann schauen wir uns mal den Wald an. Wir nehmen die Waldbesitzer mit, die mit Tränen in den Augen neben ihren Bäumen stehen, weil an jedem zweiten Baum jemand geschält hat. Wer war denn das? Wer hat denn an den Bäumen geschält?
(Zurufe: Die Katzen! – Heiterkeit – Weitere Zurufe)
– Das waren keine Katzen. – Da werden, Herr Busen, jedes Jahr immense Werte vernichtet. Sprechen Sie mit den Vertretern der Waldbäuerinnen und Waldbauern. Da gibt es einen Konflikt, den wir lösen müssen. Das geht nur durch mehr Jagd, indem die Jägerinnen und Jäger ihrer Pflicht nachkommen, für Bestandspflege zu sorgen. Um diesen Punkt geht es an dieser Stelle.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Deppe, zur flächendeckenden Jagd würde mich interessieren, woher Sie das Manuskript haben. Ich habe das nämlich nicht vorgetragen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber Sie haben es sich aufschreiben lassen!)
Auf dem Landesjägertag habe ich etwas völlig anderes gesagt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist es ja!)
– Weil es meine Meinung ist, Herr Hovenjürgen, dass wir eine flächendeckende Jagd brauchen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat sich im Bundesrat entsprechend verhalten. Das können Sie den Protokollen entnehmen. Insofern gibt es daran überhaupt keinen Zweifel.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Ich habe es auch schon im Ausschuss vorgetragen: Mit Einverständnis und mit entsprechendem Wohlwollen des Landesjagdverbandes haben wir diese rechtlich zweifelhafte Lösung zurzeit in der Praxis. Wir werden eine entsprechende Evaluierung vornehmen und Ihnen das Ergebnis präsentieren. Auch das werden wir gemeinsam in aller Ruhe und Sachlichkeit gut beraten. Wir sehen uns mit dem Referentenentwurf spätestens vor der Sommerpause wieder.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nach der Kommunalwahl! Alles klar!)
Vielen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Wir kommen nun zur Abstimmung.
Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/5044 beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – Die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und Herr Kollege Stein, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – Die SPD-Fraktion, die grüne Fraktion und die Piratenfraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Antrag Drucksache 16/5044 mit großer Mehrheit abgelehnt.
(Unruhe)
Wir kommen zu:
13 Kindertagespflege weiter professionalisieren und qualitativ absichern
Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/5024
Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/5091
Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Benninghaus für die SPD-Fraktion das Wort.
(Fortgesetzt Unruhe – Glocke)
Walburga Benninghaus*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kindertagespflege ist heute eine feste Säule der Betreuung für Kinder neben der Betreuung in Kindertagesstätten. Die Bedeutung der Kindertagespflege hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies zeigen auch die regen Debatten in unserem Hause. Ich freue mich sehr, dass die Wichtigkeit des Themas inzwischen anerkannt und übergreifend diskutiert wird.
Wir können die Bedeutung der Kindertagespflege auch gut an Zahlen festmachen. In Nordrhein-Westfalen gibt es über 38.000 Plätze in der Tagespflege für Kinder unter drei Jahren und einen im Vergleich zum Vorjahr großen Anstieg über 17 %.
Das Thema der Kindertagespflege ist vielschichtig. Es geht um Kinder und um Eltern und die damit verbundenen Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Betreuung.
(Unruhe)
Entschuldigung. Ich empfinde es als sehr laut im Saal.
Vizepräsident Oliver Keymis: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe ja gut, dass um 17:16 Uhr manche Gespräche erforderlich sind. Aber Frau Benninghaus hat das Wort. Ich darf darum bitten, dass wir gemeinsam zuhören, soweit wir im Saal sind. Wenn man aus dem Saal herausgeht, kann man sich auch gut unterhalten, aber bitte nicht im Plenarsaal. Bitte schön, Frau Benninghaus.
Walburga Benninghaus*) (SPD): Danke schön.
Es geht auch um viele Tausend Existenzen, um die vielen Betreuerinnen und Betreuer, die Kindertagespflege anbieten und damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Guter Lohn für gute Arbeit, Arbeitsbedingungen, Existenzsicherheit und nicht zuletzt auch Anerkennung und Würdigung des wichtigen Beitrages sind hier Themen, die diskutiert und angegangen werden müssen. Denn hier liegt noch viel im Argen. Hier gibt es Probleme, die erkannt, benannt und behoben werden müssen.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an vielen Orten von einer leistungsorientierten und vor allem leistungsgerechten Vergütung noch weit entfernt. Wir sind von einer einheitlichen Vergütung auch entfernt. Die Bandbreite der Vergütung in Nordrhein-Westfalen ist sehr groß.
Gleichzeitig müssen wir auch die berechtigten Interessen und Bedürfnisse der Eltern im Blick haben. Die hohen Zuzahlungen, die auf viele Eltern zukommen, sind oft nicht tragbar und auch nicht finanzierbar.
Für uns ist klar: Die Kindertagespflege ist eine kommunale Aufgabe. Die Verantwortung für die Finanzierung und für die Ausgestaltung der Kindertagespflege liegt bei den Kommunen. Für die dort entstehenden Kosten bei den unter Dreijährigen bekommen die Kommunen auch entsprechende finanzielle Mittel vonseiten des Landes.
Dennoch gilt es auch für uns, Rahmenbedingungen festzulegen. Dazu gehört, dass wir mit der Revision des KiBiz insbesondere das Problem der privaten Zuzahlung angehen und auch darüber diskutieren werden.
Darüber hinaus gibt es noch viel zu tun. Die fachlich-organisatorische Einbindung der Kindertagespflege, eine Verbesserung der Beratungsinfrastruktur und eine verbesserte pädagogische Begleitung sind unerlässlich. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, sie für die Kindertagespflege neu überdenken, gerade auch was die Großtagespflege betrifft. Wir müssen die Kooperation der Tagespflege mit anderen Kindertagesstätten stärken.
Die Umsetzung all dieser Punkte wird viele Anstrengungen nötig machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende aber erfolgreich sein werden und damit das Betreuungsangebot in Nordrhein-Westfalen weiter verstärken. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Benninghaus. – Nun spricht für die Grüne-Fraktion Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die Kindertagespflege hat einen ganz eigenen Stellenwert innerhalb der Kindertagesbetreuung. Sie hat eine wichtige Bedeutung neben und in Ergänzung der institutionellen Betreuung in der Kita.
Rot-Grün hat das bereits in der damaligen Bundesregierung 2004 so anerkannt. Wir haben nämlich in dem sogenannten Tagesbetreuungsausbaugesetz die Kindertagespflege gleichgestellt mit der institutionellen Betreuung in der Kita. Das war gut so.
Denn gerade Eltern mit sehr kleinen Kindern wünschen sich oftmals eine familienähnliche Betreuungsform im privaten Rahmen und mit hoher Flexibilität. Das ist es genau, was die Tagespflege auszeichnet.
Daher ist der Ausbau der Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen sehr erfreulich. Wir kennen die aktuellen Zahlen. Die Anzahl der Plätze ist im Jahr 2013/2014 um 17 % angewachsen. Damit leistet die Kindertagespflege natürlich auch einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Rechtsanspruchs für U3-Kinder.
Diese erfreulichen Zahlen sind auch darauf zurückzuführen, dass wir als Land die Kommunen bei dieser Aufgabe sehr kräftig finanziell unterstützen. Denn Rot-Grün hat mit dem Belastungsausgleichsgesetz 1,4 Milliarden € in die Hand genommen und damit auch – das wird oftmals übersehen – die Kindertagespflege finanziert, nämlich mit einem Satz von 3.400 € jährlich.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern – auch das muss gesagt werden –, dass die Opposition diesen Belastungsausgleich und diese Entlastung der Kommunen nicht mitgetragen hat, sondern gegen dieses Belastungsausgleichsgesetz gestimmt hat.
Leider bleiben in vielen Kommunen – in Köln zum Beispiel ist das der Fall – immer noch Tagesplätze leer und ungenutzt. Deshalb ist es wichtig, dass wir mehr für die Akzeptanz tun und die Tagespflege weiter qualifizieren und weiter professionalisieren.
Wir haben das bereits angepackt, Rot-Grün hier in Nordrhein-Westfalen mit dem ersten KiBiz-Änderungsgesetz. Wir haben bei der Qualifizierung der Kindertagespflege einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht und haben die Ausbildungskapazität auf 160 Stunden erhöht. Wir werden in der nächsten Stufe der KiBiz-Reform weitere Schritte unternehmen, um die Tagespflege besser aufzustellen und weiter zu qualifizieren.
Wir werden sehr klarstellen, dass die Tagespflege einen eigenen Bildungsauftrag hat und dass sie deswegen auch auf der Grundlage einer pädagogischen Konzeption arbeiten soll. Wir werden eine völlig neue Qualität einführen und festlegen, dass sich die Kindertagespflege wie die Kita im Sozialraum vernetzt und eng zusammenarbeitet mit anderen Diensten, mit anderen Unterstützungsangeboten für Familien.
Darüber hinaus werden wir – das ist bei der Umsetzung der Inklusion ganz wichtig – die Inklusion in der Kindertagespflege besser ausstatten, indem wir sie mit einem erhöhten Stundensatz unterstützen und finanzieren.
Wir werden im Interesse der Kindertagespflegepersonen auch dafür sorgen – das ist ebenfalls wichtig –, dass der in den Kommunen bestehende Wildwuchs – wir haben unterschiedliche Regelungen vor Ort, vor allen Dingen unterschiedliche Stundensätze – vereinheitlicht wird. Wir wollen zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden daran arbeiten, dass man zu einheitlichen Regelungen und Empfehlungen innerhalb von Nordrhein-Westfalen kommt. Gerade dieser letzte Punkt ist wichtig, um den Tagespflegemüttern und -vätern eine gute finanzielle Grundlage und eine Absicherung für ihre wichtige Arbeit zu geben.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Für Rot-Grün sind die Aufwertung der Tagespflege, die Qualifizierung und die Professionalisierung nicht nur ein Lippenbekenntnis. Wir setzen das vielmehr in ganz konkretes Handeln um. – Ich danke Ihnen.
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Asch. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Tenhumberg.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag zum Thema „Tagesmütter, Tagesväter“ – Drucksache 16/1272 – ist am 30. Oktober 2012 von der FDP gestellt worden. Er wurde in der Plenarsitzung am 28. November 2012 fachlich gut debattiert – auch von Ihnen, Frau Kollegin Benninghaus. 2012 haben Sie den FDP-Antrag ja noch ausdrücklich gelobt und gesagt: „Ich kann Sie da nur unterstützen.“
Jetzt haben wir uns 14 Monate damit beschäftigt, zu einer Einigung zu gelangen. Das, was die FDP geschrieben hatte, ist in wenigen Passagen noch durch CDU und durch die Piraten ergänzt und damit noch einmal verbessert worden. Alle waren der Meinung, dass wir einen so guten Antrag in diesem Haus dann auch gemeinsam verabschieden würden – auch als Signal an Kinder und Jugendliche.
Wir haben eine Sachverständigenanhörung durchgeführt, bei der wir fachliche Hinweise bekommen haben. Diese haben wir eingearbeitet und den Antrag dadurch noch weiter verbessert.
Wir haben mit Ihnen von den Regierungsfraktionen gesprochen. Sie haben signalisiert: Ja, wir sind im Grunde genommen auch dafür.
Am 12. Februar dieses Jahres wollten wir dann nach 14 Monaten abstimmen. Da passiert plötzlich Folgendes: Einen Tag vorher legen Sie einen eigenen Antrag vor. Sie lehnen unseren Antrag ab, nachdem Sie ihn in wesentlichen Teilen kopiert und mit der Überschrift „Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen“ versehen haben.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag der Regierungsfraktionen ist ein aktueller Beweis der Arroganz.
(Beifall von der CDU und der FDP)
14 Monate ignorieren Sie den vorzüglichen Antrag der FDP. Anschließend lehnen Sie ihn ab. In wesentlichen Teilen kopieren Sie ihn. Inhaltlich widersprechen Sie ihm nicht. Sie setzen Ihren Briefkopf darauf. Da kann man nur mit den Worten von Herbert Grönemeyer fragen: Was soll das? – Danke.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Tenhumberg. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Hafke.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass ich hier im falschen Film bin.
(Beifall von der CDU)
Seit anderthalb Jahren diskutieren wir über diesen Antrag. Die regierungstragenden Fraktionen lehnen den guten Antrag von CDU, FDP und Piraten in der letzten Ausschusssitzung ab und bringen einen zu fast 50 % wortgleichen Antrag heute hier wieder ein.
(Bernhard Tenhumberg [CDU]: 60 %!)
Wissen Sie, wie ich das nenne? Parteitaktik! Das sind parteitaktische Spielchen. Ihnen geht es überhaupt nicht um die Sache.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Jetzt stellen Sie sich hierhin und wollen inhaltliche Debatten führen. Wir haben anderthalb Jahre lang Debatten geführt. Wir waren uns im Ausschuss einig.
Das einzige Argument, das Sie genannt haben, warum Sie den Antrag ablehnen, war: Er kommt von der falschen Partei. – Ich möchte hier und heute von Ihnen erfahren, was Sie inhaltlich an dem Antrag der FDP, der CDU und der Piraten auszusetzen haben. Davon habe ich letzte Woche nichts gehört.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Das will ich heute an dieser Stelle von Ihnen hören. Deswegen bitte ich darum, dass gleich die Ministerin etwas dazu sagt oder jemand von den regierungstragenden Fraktionen noch einmal in die Bütt geht, um dem interessierten Publikum diese Argumente einmal darzulegen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: An das Rednerpult tritt als Nächster der Redner Wegner für die Piratenfraktion.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Auch ich werde mich relativ kurz fassen – wie meine zwei Vorredner, die zum sachlichen Ablauf im Ausschuss und zum Werdegang des Antrags schon alles gesagt haben.
Trotzdem möchte ich noch kurz beschreiben, warum wir nach meiner Einschätzung überhaupt in diese irrsinnig paradoxe Situation gekommen sind, dass wir jetzt zwei Anträge haben, die praktisch identisch sind und trotzdem von verschiedenen Fraktionen hier vorliegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend, ich habe Sie alle – da möchte ich bewusst alle Fraktionen mit einschließen – immer wieder als leidenschaftliche Kämpfer für die Sache erlebt. Gerade dann, wenn es um Kinder- und Familienpolitik ging, war es immer sehr hart, aber immer an der Sache orientiert.
Das ist auch gut so; denn meiner Meinung nach gibt es nichts Wichtigeres als Kinder- und Jugendpolitik. Sie ist schließlich das Fundament dafür, wie sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird.
Allerdings haben wir im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend wahrscheinlich folgendes Problem: Wenn dieses Thema zur Debatte kommt, sind wir uns alle inhaltlich oft zumindest sehr einig, wenn unsere Meinungen nicht sogar fast deckungsgleich sind. Das Problem dabei ist, dass wir keine Möglichkeiten mehr haben, uns von dem anderen abzugrenzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen, ich habe eine Bitte an Sie. Können Sie uns Ihre Gegenargumente nennen? Zumindest im Ausschuss haben Sie keine angeführt. Wenn Sie gleich sagen, was an dem Antrag von CDU, FDP und Piraten nicht stimmig ist oder was Ihnen daran nicht gefällt, ist das okay. Wenn Sie wirklich solche Punkte hätten, würde ich verstehen, dass Sie den Antrag ablehnen.
Ansonsten würde ich Ihnen raten, einmal in sich zu gehen und zu überlegen, ob Sie sich bei dem Antrag nicht zumindest enthalten können. Es gibt auch nichts, was gegen diesen Antrag spricht, genauso wenig wie etwas gegen Ihren Antrag spricht. Aus diesem Grund werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten, weil es nichts gibt, was dagegen spricht.
Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die regierungstagenden Fraktionen zumindest gleich verhalten würden. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN und der CDU)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Wegner. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Schäfer.
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße es auch, dass alle Fraktionen in den vergangenen Jahren kontinuierlich die gestiegene Bedeutung der Kindertagespflege würdigen. Das ist in den Beiträgen von allen zum Ausdruck gekommen.
Tatsächlich haben wir für das Kindergartenjahr 2013/2014 38.000 Plätze für unter dreijährige Kinder in öffentlich finanzierter Kindertagespflege zur Verfügung. Das heißt, wir hatten einen Anstieg von immerhin 17 % im Vergleich zum Vorjahr. Aber wir haben nicht nur mehr Plätze in der Kindertagespflege, auch in der Qualität konnten deutliche Fortschritte gemacht werden, vor allem auch durch die Konkretisierung der Mindeststandards für die Qualifizierung im 1. KiBiz-Änderungsgesetz. Darauf hat auch der eine oder andere Vorredner/Vorrednerin hingewiesen.
Wir wollen weitermachen bei der Qualität. Ich will einige Punkte benennen, die sehr wichtig sind. Wir wollen an den Grenzen für die sogenannte Großtagespflege festhalten, diese verdeutlichen und nicht eine „Kita light“ ohne entsprechende Struktur und Qualität daraus machen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Tagespflegepersonen sollen künftig spätestens ab der Betreuung eines zweiten Kindes mit einer Qualifizierung von 160 Stunden begonnen haben. Verlässlichkeit in der Kindertagespflege muss auch bei Krankheit und anderen Notfällen sichergestellt werden. Deshalb brauchen wir transparente Vertretungsregelungen.
Wenn Kinder mit Behinderung in die Kindertagespflege kommen, soll das Land auch künftig einen höheren Zuschuss an die Jugendämter zahlen. Auch das ist vorgesehen.
Außerdem, meine Damen und Herren, sieht der Gesetzentwurf ein gesetzliches Verbot privater Zuzahlungen der Eltern vor. Hier, meine Damen und Herren von CDU, FDP und Piraten, kann ich Ihnen nur sagen, dass Ihr Antrag nach meinem Dafürhalten an der Stelle in eine andere Richtung ging, denn Sie haben gesagt, die Ad-hoc-Zuzahlung in der neuen KiBiz-Revisionsstufe lehnen Sie ab.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist ein substantieller Unterschied zu dem, was SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf den Tisch gelegt haben.
Die Gleichrangigkeit der Betreuungsformen erfordert es aber, dass Eltern, deren Kind in einer Kindertagespflege betreut wird, an den Kosten der Betreuung genau wie bei den Kitas nur über Elternbeiträge beteiligt werden. Und die Eltern, die ihre Kinder in die Kindertagespflege geben, dürfen nicht schlechter gestellt werden. Der Rechtsanspruch muss zu den gleichen Konditionen in der Kindertagespflege für die Eltern in Nordrhein-Westfalen erfüllt werden.
Wir wünschen uns, dass diese Regelung von Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände begleitet wird, die für die Geldleistung an die Tagesmütter und Tagesväter eine landeseinheitliche, leistungsgerechte Vergütung vereinbaren.
Hier, meine Damen und Herren, ist auch mit dem Entschließungsantrag eine andere Nuance in die Debatte gekommen. Sie möchten, dass wir das mit den kommunalen Spitzenverbänden erarbeiten. Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen: Wenn eine Landesregierung etwas mit kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet, kommen wir sofort in die Nähe der Konnexitätsgefahr.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist Ihre Einstellung!)
– Ja, natürlich. Entschuldigung, aber wenn die kommunalen Spitzenverbände in ihrer Selbstverwaltung sehr viel Wert darauf legen, diese Dinge zu regeln, dann möchte ich ihnen das nicht nehmen. Ich darf doch wohl auch dafür Sorge tragen, dass dieses Land nicht in eine unnötige Konnexitätsdebatte hineingezogen wird.
Deswegen sagen wir: Wir wollen darauf hinwirken, aber wir können es nicht erarbeiten. Da gibt es Gerichtsurteile, die sollten Sie sich einmal anschauen. Da muss man sehr vorsichtig in der Wortwahl sein. Deswegen hat auch Ihr Entschließungsantrag hier eine andere Nuance.
Wir können zum Beispiel auch nicht – ich sage es noch einmal an die Adresse der CDU, wenn Sie bitte zuhören würden! – Standards für die Großtagespflege entwickeln, sondern wir haben nur eine Regelungsbefugnis für die Abgrenzung zu einer Kindertageseinrichtung. Da muss man sehr genau hinschauen, damit man an der Stelle juristisch sauber bleibt und sich nicht in unnötige Debatten der Konnexität hineinbegibt.
Das, meine Damen und Herren, muss doch wohl noch möglich sein. Ich denke mal, das ist in dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen deutlich so gewürdigt worden. Deswegen kann man mit Fug und Recht sagen, dass dieser Antrag der Weiterentwicklung der Kindertagespflege am ehesten gerecht wird.
Ich denke, dass es uns mit der nächsten Stufe des KiBiz-Änderungsgesetzes gelingen wird, hier klare Positionen zu beziehen und zu verdeutlichen, wie wichtig uns diese Kindertagespflege ist und welche qualitativen Verbesserungen wir mit dem Bereich auch erreichen können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Bleiben Sie bitte am Pult, Frau Ministerin. Wir haben die Anmeldung von zwei Kurzinterventionen. Die erste Kurzintervention hat die FDP-Fraktion angemeldet. Kollege Hafke hat nun 90 Sekunden lang das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident! Frau Ministerin, ich habe Ihren Wortbeiträgen sehr interessiert gelauscht.
(Ministerin Ute Schäfer: Freut mich!)
– Das ist schon einmal gut. Ich habe festgestellt: Inhaltlich haben wir eigentlich gar keinen Dissens. Mich wundert dennoch, zu welchem Antrag Sie jetzt hier gerade argumentiert haben. Der Antrag, der den Fraktionen von CDU, Piraten und der FDP von den regierungstragenden Fraktionen am 12.12.2013 zugegangen ist, führt das Verbot von landesgesetzlicher privater Zuzahlung auf – so weit und so richtig auch zu Ihrer Argumentation.
In dem Antrag, der heute beschlossen werden soll, steht nicht ein einziger Punkt mehr dazu. Auch im Beschlussteil steht dieser Satz nicht mehr drin. Der Satz ist dort nicht mehr vorfindbar. Deswegen haben wir letzte Woche im Ausschuss, wo Sie auch dabei waren, genau über diesen Punkt diskutiert und gesagt, dass dieser Antrag, der jetzt vorliegt, der von Ihren Fraktionen eingebracht wurde, wortgleich mit dem Antrag von FDP, CDU und Piraten ist.
Mich interessiert, welchen Punkt in diesem Antrag, den wir eingebracht haben, Sie jetzt kritisieren. Ich habe schon den Eindruck, dass es ausschließlich Parteitaktik ist, die gefahren wird, weil der Punkt, den Sie ansprechen, nicht mehr in dem heutigen Antrag steht, der hier zur Diskussion steht.
(Beifall von der FDP und der CDU)
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Hafke, ich bin danke, dass Sie das noch einmal ansprechen. Offensichtlich hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt.
In der Tat hatte ich noch einmal deutlich machen wollen, warum in der Ausschusssitzung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen der CDU/FDP/Piraten-Antrag abgelehnt worden war, nämlich weil dort das Verbot der Zuzahlungen anders gesehen wurde. Das ist ein substantieller Unterschied.
Ich habe eben zwei Punkte angesprochen, die in Ihrem Entschließungsantrag eine besondere Relevanz hätten, wenn man sie beschließen würde.
Der erste Punkt ist, dass Sie in Ihrem Entschließungsantrag fordern, dass man Empfehlungen oder Richtlinien für die Tagespflege „erarbeiten“ solle, was die Zuzahlung und alle Standards angeht. Wenn man dieses Wort „erarbeitet“ so benutzt, Herr Hafke, dann bedeutet das, dass man sich tatsächlich in eine Konnexitätsfrage hineinbegibt. Und an der Stelle kann ich Sie nur warnen: Das sollten wir als Land Nordrhein-Westfalen nicht ohne Not tun.
Der zweite Punkt ist, dass Sie sagen, das Land solle Standards in der Großtagespflege entwickeln. Das können wir nicht. Deswegen habe ich deutlich gemacht, dass wir nur eine Regelungsbefugnis für die Abgrenzung zu Kindertageseinrichtungen, aber keine Regelungsbefugnis für Standards in der Kindertagespflege haben. Das sage ich, um Ihnen noch einmal die unterschiedlichen Nuancen klarzumachen. Der Teufel steckt manchmal im Detail. Vielleicht wollten Sie das auch gar nicht so deutlich sagen. Aber so wie Sie es formuliert haben, würde es bei dieser Beschlusslage implizieren, dass wir als Land in eine schwierige Situation kämen.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin. – Die zweite Kurzintervention hat die CDU-Fraktion für Herrn Tenhumberg beantragt. – Bitte schön, Herr Tenhumberg, 90 Sekunden.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Ministerin, man sucht natürlich krampfhaft – und Sie unterstützen anscheinend die regierungstragenden Parteien – nach einem Argument, weshalb man den Antrag ablehnen kann. Ich gehe davon aus, dass in Ihrem Hause natürlich zig Empfehlungen und Visionen für eine KiBiz-Reform und viele andere Themen „erarbeitet“ werden. Selbstverständlich „erarbeiten“ Sie irgendwelche Szenarien zu irgendwelchen innovativen Projekten. Das ist auch vernünftig. Das macht jedes Ministerium. Das ist Ihre Aufgabe, und das erwarte ich auch von Ihnen.
Dieser Antrag unterscheidet sich inhaltlich allerdings – ich könnte Ihnen jede Passage vorlesen – kaum von unserem Antrag. Die beiden Anträge unterscheiden sich lediglich in drei Punkten.
Der erste Punkt betrifft die Standards. Es geht darum, im Sinne einer Vereinheitlichung Empfehlungen für die Standards in der Großtagespflege zu entwickeln, und zwar nicht Sie alleine, sondern – so heißt es im Antrag – vielmehr in einem Kooperationsprozess mit den Beteiligten.
Der zweite Punkt ist die Forderung, eine Vertretungsregelung in der Kindertagespflege zu entwickeln. Wie ist die Vertretung im Krankheitsfall, im Urlaub usw. geregelt? Das lehnt Ihre Partei im Übrigen ab.
Der dritte Punkt beinhaltet, Unterstützungsbedarfe für die Betreuung von Kindern mit Behinderungen anzuerkennen.
Das sind die drei Punkte, in denen unsere Anträge voneinander abweichen. Und jetzt frage ich Sie, Frau Ministerin: Lehnen auch Sie persönlich diese drei berechtigten Forderungen ab? Und was halten Sie von der Vorgehensweise der Regierungsfraktionen?
(Beifall von der CDU und der FDP)
Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Tenhumberg, Sie hatten am Anfang gefragt: Wer unterstützt wen? – Also, ich freue mich immer über jedwede Unterstützung von der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, und ich freue mich auch über Ihre Unterstützung in der Kinder- und Jugendpolitik. Insofern können Sie sich auch sicher sein, dass ich Sie, wo immer ich kann, auch weiterhin in dem Bemühen um eine gute Kinder- und Jugendpolitik unterstützen werde. In dieser Hinsicht sind wir überhaupt nicht auseinander.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Aber in der juristischen Betrachtungslage sind solche kleinen Wörter wie „hinwirken“ oder „erarbeiten“ durchaus substanziell unterschiedlich zu bewerten. Über diese kleinen Nuancen muss man sich Gedanken machen, und das tut ein Ministerium, wenn es einen Entschließungsantrag liest. Dann bekommt die Ministerin einen entscheidenden Hinweis, falls sie selbst keine Juristin ist. Insofern bin ich dankbar für diese Unterstützung, und ich hoffe, ich habe das noch einmal klargemacht.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Nun hat sich für die Piratenfraktion noch einmal Herr Kollege Wegner zu Wort gemeldet.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Unruhe – Glocke)
Frau Schäfer, ich muss schon sagen, dass ich sehr verwundert bin. Sie haben hier vorne gestanden und meiner Meinung nach sehr nach Argumenten gerungen. Was Sie gerade in Bezug auf die kleinen Nuancen gesagt haben, sei dahingestellt; darüber kann man vielleicht noch diskutieren. Mich wundert allerdings, dass diese Diskussion nicht im Ausschuss von den regierungstragenden Fraktionen vorgebracht wurde. Dann hätte man dort wahrscheinlich darüber reden können.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Was mich noch viel mehr verwundert hat, ist, dass Sie das Argument von Herrn Hafke anscheinend gar nicht richtig wahrgenommen haben oder nicht richtig hingehört haben. Herr Hafke hatte gesagt, dass von den regierungstragenden Fraktionen – genauer gesagt von den Grünen – ein Vorschlag für diesen Antrag eingebracht wurde, und zwar der, die Zuzahlungen für Kindertagesmütter zu unterbinden. Das hatte Herr Hafke hinterfragt, und er hatte auch vorgebracht, dass das im jetzigen Antrag von SPD und Grünen nicht mehr enthalten sei. Sie gingen in Ihrer Antwort auf die Frage von Herrn Hafke allerdings darauf ein, dass das im jetzigen Antrag von CDU, FDP und Piraten nicht enthalten sei. Natürlich steht es dort nicht drin, weil wir es auch abgelehnt haben. Wir wollten ja diesen Satz, den die Grünen in den Antrag hineinbringen wollten, nicht drin haben.
Worüber wir uns jetzt sehr wundern, ist, dass dieser Satz auch nicht mehr im Antrag der Regierungsfraktionen steht. Ansonsten wäre zumindest das ein Punkt, bei dem man klar sagen könnte, dass man da getrennter Meinung ist. Aber ich finde ihn bis jetzt immer noch nicht. Und ich muss Ihnen sagen: Ich habe von Ihnen auch wirklich kein valides Argument dafür gehört, was an dem Antrag schlecht sein soll.
(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Wegner. – Nun spricht für die FDP-Fraktion noch einmal Herr Kollege Hafke.
Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, das ist schon hoch interessant. Wir diskutieren hier über kleine Nuancen bei Rahmenbedingungen und Standards. Das ist der Grund, aus dem Sie unserem Antrag nicht zustimmen können.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Offensichtlich waren die regierungstragenden Fraktionen im Ausschuss überhaupt nicht in der Lage, diesen Unterschied zu erkennen. Denn dazu haben sie überhaupt kein Argument vorgebracht, sondern nur gesagt, das Verfahren habe ihnen nicht gepasst.
Jetzt frage ich die beiden regierungstragenden Fraktionen: Glauben Sie im Ernst, dass wir in anderthalb Jahren nicht über Rahmenbedingungen und Standards zueinander gekommen wären? Das ist ein ganz anderer Punkt. Wir hätten es ganz einfach schaffen können, aber der Wille war bei Ihnen nicht vorhanden, mit uns übereinzukommen.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Sie können nicht akzeptieren, dass auch aus der Opposition einmal gute Vorschläge kommen, und über Ihren eigenen Schatten springen und sagen: Ja, da war etwas Gutes dabei; wir schließen uns zusammen und gehen diesen Weg. Was für einen Zacken hätte Ihnen das aus der Krone gebrochen?
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Sie haben einmal gesagt, Sie seien die Koalition der Einladung. Wo ist die Einladung? Wir haben sie Ihnen hingelegt, aber Sie nehmen diese Einladung nicht an!
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Bei den inhaltlichen Argumenten sind wir beisammen. Deshalb letztmalig die Aufforderung: Es ist kein inhaltliches Argument gegen den Antrag von CDU, Piraten und FDP genannt worden. Stimmen Sie diesem Antrag zu! Den Ruck konnten Sie sich im Ausschuss nicht geben. Es wäre ein Zeichen von Größe, wenn Sie das heute hier machen würden, und ein gutes Signal für die Kindertagespflege.
(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Hafke. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Kollege Tenhumberg zu Wort gemeldet.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Rede, die die Kollegin Benninghaus hier im Parlament in 2012 gehalten hat, war eine gute Rede. Das möchte ich ausdrücklich anerkennen.
(Walburga Benninghaus [SPD]: Danke!)
Sie hat zu den Themen „Kindertagespflege“, „Tagesmütter“ und „Tagesväter“ gesprochen und gesagt, das, was die FDP im Ursprungsantrag geschrieben habe, sei vernünftig, und in der Sache seien wir uns einig. Das waren die Worte der SPD-Vertreterin, die sich fachlich gut informiert hatte. Ich war stolz, dass dieses Parlament fraktionsübergreifend an einem Strick zieht.
Wir diskutieren seit 14 Monaten. In dieser Zeit haben wir den Antrag wesentlich verbessert, weil uns die Sachverständigen wertvolle Hinweise gegeben haben. Auch die Betroffenen sind zu uns gekommen und haben uns gesagt, an welchen Stellen wir nachbessern müssten. Jetzt aber sagen Sie von den Regierungsparteien: Das passt uns nicht mehr. Über dem Antrag stehen die falschen Fraktionen; wir lehnen ihn ab.
Sie haben den Antrag inhaltlich kopiert. Sie haben unsere Forderungen eins zu eins übernommen.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Es geht um drei Forderungen – diese habe ich auch gerade in der Intervention gegenüber der Ministerin gestellt –, worüber wir uns im Grunde genommen einig sind und wozu Sie im Lande verkünden, dass Sie diese auch erfüllen wollen. Jetzt sagen Sie aber: Nein, dem Antrag stimmen wir nicht zu. Denn über dem Antrag müssen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stehen.
Ich verstehe die Sozialdemokraten nicht mehr. Ich habe viele Jahre sehr gut mit den Sozialdemokraten in der Kinderpolitik zusammengearbeitet, und ich finde, wir haben viele gemeinsame Ansatzpunkte. Aber was heute hier passiert, ist nicht vernünftig und nicht mehr nachvollziehbar. Hören Sie nicht so viel auf die Grünen! Machen Sie Ihr eigenes Ding! – Danke.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Tenhumberg. Bleiben Sie bitte am Pult. Sie haben durch Ihren Beitrag eine Kurzintervention ausgelöst, und da pro Beitrag bis zu zwei Kurzinterventionen zugelassen werden, lassen wir auch diese zu. Die grüne Fraktion hat Frau Asch gemeldet. – Bitte schön, Frau Kollegin Asch.
Andrea Asch (GRÜNE): Ich stelle zum einen fest, dass Ihnen als CDU und FDP nicht daran gelegen ist, inhaltlich über die Kindertagespflege zu diskutieren und zu beraten,
(Lachen und Widerspruch von der CDU und der FDP)
sondern dass Sie hier einen Popanz aufbauen. Ich erinnere an den Prozess. – Hören Sie kurz zu, ich habe Ihnen auch die ganze Zeit ruhig zugehört.
(Ralf Witzel [FDP]: Märchenstunde!)
Wir waren in einem Prozess, der das Ziel hatte, zu einer gemeinsamen Antragstellung zu kommen. Natürlich haben sowohl die SPD-Fraktion als auch die grüne Fraktion Formulierungsvorschläge gemacht, die sich in dem Antrag wiederfinden, über den wir in der letzten Ausschusssitzung abgestimmt haben. Daraus den Vorwurf des Plagiats zu erheben, ist im höchsten Maße unkollegial und unfair. Natürlich stehen auch Formulierungen von uns darin.
Zum anderen haben wir Ihnen vor 14 Tagen einen abschließenden Formulierungsvorschlag unterbreitet, welchen Sie abgelehnt haben. Sie haben ihn nicht mitgetragen. Es waren die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion.
Diese Formulierung findet sich aber im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wieder, in dem es heißt: „Der Landtag begrüßt, dass im Zuge der aktuellen Revision zum Kinderbildungsgesetz beabsichtig ist“, dass die Landesregierung in der und der Weise agiert. Das wollten Sie nicht mittragen. Das ist der Punkt. Sie hatten nämlich nicht die Größe, etwas zu begrüßen, was die Landesregierung in Angriff nimmt. Jetzt hier in einer solchen Art und Weise eine Geschichtsklitterung zu betreiben, ist unerträglich.
(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von der CDU und der FDP – Marcel Hafke [FDP]: Kein Beifall von der SPD!)
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Tenhumberg.
Bernhard Tenhumberg (CDU): Liebe Kollegin, ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Sie in dieser Situation erhebliche Probleme mit Ihren Argumenten haben
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
und sich gegenüber dem Koalitionspartner rechtfertigen müssen. Aber dass Sie das auf Kosten der fachlichen und sachorientierten Anträge machen, zeugt nicht gerade von Qualität.
Und wenn Sie, Frau Asch, sagen, das sei eine falsche Darstellung gewesen, dann lesen Sie sich bitte endlich Ihre E-Mails gründlich durch! Wir haben Ihnen ein Angebot gemacht.
Sie sagen, Sie hätten ein Angebot unterbreitet. Sie haben ein Angebot unterbreitet, das ein Zuzahlungsverbot enthielt. Daraufhin haben wir gesagt: Wenn Sie das durchsetzen, bekommen die Großtagespflege-Einrichtungen erhebliche Probleme. Das müssen wir anders regeln. Das können Sie nicht mit einem Verbot machen.
Also, wir haben diese Forderung Ihrerseits zurückgewiesen, und die SPD war so vernünftig und hat dieses Zuzahlungsverbot Gott sei Dank nicht mehr aufgenommen. Da sitzen noch ein paar, die davon Ahnung haben.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Ich bleibe dabei: Frau Asch, Sie sind in den letzten Monaten mehrmals aufgefordert worden, darzulegen, wie wir unseren Antrag zu einem gemeinsamen Antrag weiterentwickeln könnten. Das haben wir in einer Sachverständigenanhörung und in mehreren Ausschusssitzungen debattiert. An keinem einzigen Punkt haben Sie dargelegt, was Sie gegen unseren Antrag im Einzelnen haben.
(Andrea Asch [GRÜNE]: Ich habe es Ihnen doch vorgelesen!)
Sie haben ihn fotokopiert, in kleinen Passagen umformuliert, die Forderungen übernommen, eine Forderung als Überschrift gewählt und „Bündnis 90/Die Grünen“ draufgeschrieben. Das war Ihr Tun. Sonst kam gar nichts.
(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tenhumberg. Sie haben die Zeit genau genutzt. Damit sind wir am Ende der Debatte.
Nun kommen wir zur Abstimmung. Erstens stimmen wir über den Antrag Drucksache 16/5024 ab. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt diesem Antrag so zu? – Die SPD-Fraktion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich bei diesem Antrag? – Es enthalten sich die Piratenfraktion, die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen.
Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag Drucksache 16/5091. Wer stimmt dem so zu? – CDU-Fraktion, FDP-Fraktion, die Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt gegen den Entschließungsantrag? – SPD-Fraktion und grüne Fraktion. Enthält sich jemand im Hohen Hause? – Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.
Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 14 kommen, muss ich eine Rüge aussprechen – er guckt schon ganz schuldbewusst –; sie betrifft den Kollegen Hovenjürgen,
(Zurufe: Oh!)
der sich in der jagdpolitisch hochbrisanten Auseinandersetzung unparlamentarisch geäußert hat. Dafür muss ich die Rüge aussprechen. Ich werde selbstverständlich, um Nachahmer/-innen zu vermeiden, nicht wiederholen, Herr Hovenjürgen, was Ihnen da aus dem Mund gerutscht ist. Oder sollte ich besser sagen: „was Ihnen da herausgeschossen ist“? Das wäre bei Tagesordnungspunkt 12, glaube ich, passender.
(Heiterkeit)
Wir kommen zu:
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/5037
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion der FDP Frau Kollegin Schneider das Wort.
Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
(Unruhe – Glocke)
In einer Schulklasse wird eine Arbeit geschrieben. Der Lehrer geht durch den Raum, schaut einem Schüler über die Schulter und fordert ihn auf, Traubenzucker zu essen. Was war passiert? – Der Pädagoge war entsprechend geschult, sah die zittrige Schrift des Schülers, erkannte, dass dieser schwitzte. Das Kind war unterzuckert, es ist Diabetiker. Rund 30.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden an Diabetes Typ 1, einer Volkskrankheit, Tendenz steigend.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, die FDP-Landtagsfraktion möchte mit dem eingebrachten Antrag nicht über die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes reden. Diese ist in Nordrhein-Westfalen ordentlich ausgebaut, wie Zahlen zu Diabeteskliniken, Diabetologen oder Hausärzten mit entsprechendem Zusatzhintergrund deutlich belegen. Der FDP-Landtagsfraktion geht es heute vielmehr darum, über stärkere und bessere Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Prävention die Situation der Kinder und Jugendlichen mit dieser chronischen Erkrankung in Schulen zu verbessern.
Kindern, die an Diabetes Typ 1 erkrankt sind, sind oft schon sehr früh gezwungen, eine große Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Von der mehrmals täglichen Kontrolle des Blutzuckers über die Insulininjektionen bis hin zur ausgewogenen Ernährung ist einiges zu beachten, das die Kinder und Jugendlichen selbst bewerkstelligen müssen. Diese Spezialaufgabe kann ihnen auch niemand abnehmen.
Der in anderen Zusammenhängen häufig diskutierte Inklusionsgedanke verlangt es aber, dass an Diabetes erkrankte Kinder und Jugendliche eine entsprechende Aufmerksamkeit erfahren.
(Beifall von Ulrich Alda [FDP])
Betroffene Eltern berichten darüber, wie ihre Kinder in der Schule aufgrund ihrer Erkrankung Gefahr liefen, ausgegrenzt zu werden. Beispielsweise: „Warum darf der während des Unterrichts essen, ich aber nicht?“ Oder, erst kürzlich geschehen: „Kannst du mit deiner Blutzuckerkontrolle nicht warten, bis die Stunde zu Ende ist?“ – Leider mehren sich auch die Fälle, in denen Schüler aufgrund ihrer Diabeteserkrankung nicht an Ausflügen, Klassenfahrten oder am Sportunterricht teilnehmen dürfen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, dies alles ist auf keinen Fall böse Absicht von Mitschülern oder Lehrern. Häufig steckt hinter einem solchen Verhalten lediglich Unwissenheit oder Angst – Angst, bei einem Kind mit Diabetes falsch zu reagieren und eventuell noch persönlich haftbar gemacht zu werden.
Die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie hat eine Broschüre herausgegeben, die auch an Einrichtungen in NRW verteilt wird. Auch auf der Seite des Schulministeriums finden sich Hinweise zum Umgang mit Diabetikern an Schulen. Die FDP-Landtagsfraktion sieht jedoch mit Sorge, dass diese Maßnahmen keine durchschlagende Wirkung entfalten und weiterhin Handlungsbedarf besteht.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, für eine gelungene Integration ist es geboten, das Umfeld besser über die Erkrankung aufzuklären, nicht nur über das Krankheitsbild Diabetes, sondern auch über Verantwortlichkeiten, Rechte und Pflichten der Pädagogen. Solche Schulungen werden von Diabetesambulanzen, Diabetologen und weiteren Fachkräften angeboten, die dann in die Schulen fahren und Lehrer und Schüler informieren. Meistens sind nur wenige Unterrichtsstunden erforderlich.
Die Kosten dafür belaufen sich auf rund 70 € pro Schulungstag. Diesen Betrag bezahlen jetzt meistens die Fördervereine der Schulen. Nach Meinung der FDP-Landtagsfraktion sollten dies jedoch die Krankenkassen im Rahmen ihres Präventionsauftrags übernehmen. Die Kosten für eine solche Schulung sind vergleichsweise niedrig. Zum Vergleich: Wenn ein Schüler aufgrund einer Hypoglykämie bewusstlos wird, erfolgt ein Anruf beim Notarzt, dessen Anfahrt die Kassen dann mit rund 1.000 € belastet.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, auch bei Diabetes Typ 2 wird es nach Ansicht von Experten bei Kindern und Jugendlichen in der Zukunft zu einer weiteren Zunahme kommen. Da die Entstehung dieses Diabetes neben einer genetischen Disposition auch durch falsche Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel begünstigt wird, sind Präventionsangebote auf jeden Fall sinnvoll. Wir halten es für notwendig, diesen Präventionsbedarf in der Landesgesundheitskonferenz aufzugreifen und mit Experten und Praktikern im Sinne des Patienten zu diskutieren. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Kollege Yüksel.
Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Diabetes mellitus gehört zweifelsohne zu den großen Volkskrankheiten. Liebe Frau Schneider, das können wir so festhalten. Die Zahl der Personen mit diagnostiziertem Diabetes hat sich in den letzten Jahren sowohl in Deutschland als auch weltweit massiv erhöht. So sind aktuell weltweit rund 285 Millionen Menschen von der Krankheit betroffen.
Diabetes Typ 1, bei dem das Immunsystem außer Kontrolle gerät und körpereigene Immunzellen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstören, entwickelt sich in der Regel bis zum jungen Erwachsenenalter. Etwa 5 bis 10 % aller Menschen, die in Deutschland an Diabetes erkrankt sind, haben Diabetes Typ 1. Untersuchungen zeigen, dass der Gipfel an neu diagnostizierten Diabetes-Typ-1-Erkrankungen im Alter von zehn bis 15 Jahren erreicht wird. Insgesamt sind zurzeit – Frau Schneider, Sie haben es gerade erwähnt – 30.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland vom Typ 1 betroffen.
In den letzten Jahren hat die Häufigkeit der Neuerkrankungen im Kinder- und Jugendalter in Deutschland zugenommen. Die genauen Ursachen für diesen Anstieg bei Typ-1-Erkrankungen sind zurzeit noch nicht abschließend geklärt. Unter Verdacht stehen Umweltfaktoren, aber auch Infektionskrankheiten.
In Deutschland leidet der überwiegende Teil der Personen mit Diabetes – das sind rund 90 % der Erkrankten – allerdings an Diabetes Typ 2, schätzungsweise immerhin 6 Millionen Menschen.
Bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes spielt vor allem eine verminderte Insulinempfindlichkeit eine Rolle, wobei es mit zunehmender Krankheitsdauer zu einem Insulinmangel kommt. Bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes spielen die genetischen Faktoren, vor allen Dingen die Lebensumstände, eine besondere Rolle. So können Übergewicht und Bewegungsmangel zu einer eingeschränkten Insulinwirkung führen. Einige von uns haben vielleicht Angehörige mit Diabetes oder ist selbst von der Krankheit betroffen.
Diabetes – das müssen wir konstatieren – ist eine der teuersten chronischen Erkrankungen in Deutschland, und Typ-1-Diabetes ist bei uns mittlerweile die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern und Jugendlichen.
All dies zeigt, dass die Bekämpfung dieser Krankheit eine zentrale Herausforderung darstellt und auch der Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die an dieser Krankheit leiden, ein wichtiges Thema ist.
Ich möchte aber auch hervorheben, dass Schülerinnen und Schüler mit Diabetes grundsätzlich an allen schulischen Veranstaltungen, auch an mehrtägigen Fahrten oder sportlichen Betätigungen, teilnehmen können. Ausgrenzungen, liebe Frau Schneider, dürfen wir nicht hinnehmen. Es ist natürlich nicht vereinbar, dass jemand, der eine Diabetes-Erkrankung hat, von Schulveranstaltungen ausgeschlossen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Kinder und Jugendlichen nicht in eine Außenseiterrolle gedrängt werden, bemühen sich die Schulen in Nordrhein-Westfalen gerade um einen möglichst normalen Umgang mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern.
In diesem Zusammenhang sind der richtige Umgang mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern und die Vermittlung dieses Wissens wichtig. In dieser Hinsicht weist der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion auf wichtige und richtige Aspekte hin. Ebenso sind bereits im Kindesalter Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen über Diabetes unverzichtbar, um insbesondere einen an Diabetes-Typ-2-Erkrankten im weiteren Lebensverlauf zu vermeiden.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Bereits heute können sich Lehrerinnen und Lehrer unter anderem – Sie haben es erwähnt, Frau Schneider – im Bildungsportal des Ministeriums für Schule und Weiterbildung über das Krankheitsbild informieren und Hinweise über den Umgang mit Schülerinnen und Schülern erlangen.
Dennoch sollten wir gemeinsam im Ausschuss beraten, wie der weitere Informations- und Aufklärungsbedarf genau zu beschreiben ist – der Antrag weist hierauf in einigen Punkten hin – und inwiefern hier das Land zu einer Verbesserung beitragen kann, indem die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern sowie die Lehrerinnen und Lehrer unterstützt werden können.
Vor diesem Hintergrund stimmen wir natürlich der Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu, in dem wir Gelegenheit haben werden, den Antrag genauestens zu diskutieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Burkert das Wort.
Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diabetes mellitus Typ-1 ist die in Deutschland am häufigsten auftretende chronische Stoffwechselerkrankung. Studien zeigen, dass die Rate an Neuerkrankungen immer weiter ansteigt, vor allem bei Kindern unter fünf Jahren. Aktuell sind ca. 30.000 Kinder und Jugendliche – das ist schon mehrmals erwähnt worden – an Typ-1-Diabetes erkrankt.
Dieser frühkindliche Diabetes kann zahlreiche schwerwiegende Belastungen mit sich bringen. Dazu gehören vielfältige körperliche und psychosoziale Probleme sowie ein besonders hohes Risiko, diabetische Folgeerkrankungen zu entwickeln und zu erleiden.
Das Deutsche Diabetes-Zentrum in Düsseldorf hat kürzlich die Lebenssituation von Heranwachsenden untersucht, bei denen bereits im Vorschulalter ein Typ-1-Diabetes festgestellt wurde. Im Rahmen der Untersuchungen konnten die Betroffenen auch ihre Lebensqualität einschätzen. Die in der Zeitschrift „Pädiatrik/Diabetes“ veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass für die Patientinnen und Patienten eine gute Stoffwechseleinstellung und die Zufriedenheit mit der Therapie die auffälligsten Voraussetzungen sind, um die eigene Lebensqualität zu erhöhen. Nicht veränderbare Faktoren wie Alter, Geschlecht und familiäres Umfeld waren hingegen von untergeordneter Bedeutung für die selbst berichtete Lebensqualität.
Aus diesem Grunde muss in erster Linie auf eine ganz genaue Aufklärung und Schulung der jungen Patientinnen und Patienten sowie gerade bei ganz jungen Kindern natürlich der Eltern geachtet werden. Denn wenn das Zusammenspiel zwischen Ernährung und Insulintherapie dauerhaft gelingt, ist ein weitgehendes normales Leben möglich.
Die Kinder und Jugendlichen sind in der Schule genauso leistungsfähig wie ihre gesunden Klassenkameraden und im Umgang mit ihrer Krankheit gut geschult. Selbstverständlich bedürfen sie einer besonderen dauerhaften gesundheitlichen Kontrolle. Die behandelnden Ärzte geben hier auch Hilfestellungen und den Eltern Leitlinien an die Hand, welche Personen inwieweit informiert werden müssen.
Damit stellt sich die Frage, ob auch das gesamte schulische Umfeld einschlägiger Aufklärung und Information bedarf. Hier muss meines Erachtens der schmale Grat zwischen notwendiger Information der Betreuungspersonen und dem Bemühen, möglichst viel Normalität für das Kind zu schaffen, gefunden werden.
Es ist fraglich, ob wirklich jede Lehrerin oder jeder Lehrer generell im Umgang mit an Diabetes erkrankten Kindern geschult werden muss. Ist es nicht ausreichend, wenn gut informierte Eltern die schulischen Kontaktpersonen ihrer Kinder über den Umgang mit dem Kind und der Erkrankung aufklären und einweisen? Können nicht im Einzelfall die Handlungsoptionen des Lehrpersonals mit den Eltern abgestimmt werden?
Viele Kinder und Jugendliche benötigen stark fortgeschrittene Therapiemöglichkeiten während der Schulzeit, zum Beispiel vollautomatische Insulinpumpen. Dafür benötigen Sie gar keine intensive Betreuung oder Unterstützung, auch nicht mehr im Umgang mit ihrer Krankheit.
Andererseits ist es sicherlich hilfreich, wenn angebotene Erste-Hilfe-Kurse auch das Thema „Diabetes mellitus“ behandeln, insbesondere das Verhalten im Notfall.
Es gilt also, ganz genau hinzuschauen und abzuwägen, welches der beste Weg ist, einerseits Sicherheit für die jungen Patientinnen und Patienten zu schaffen und andererseits Einschränkungen, Diskriminierung und sogar Ausschlüsse von Kindern mit Typ-1-Diabetes zu vermeiden.
Ich bitte daher um eine genaue Analyse und Diskussion im zuständigen Fachausschuss. Die CDU stimmt der Überweisung zu. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Ünal das Wort.
Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes oder auch mit anderen chronischen Erkrankungen und in diesem Zusammenhang insbesondere die Medikamentengabe in Kindertagesstätten und in den Schulen ist ein wichtiges Thema, das wir im Ausschuss ausführlich diskutieren müssen.
Denn sofern die Schülerinnen und Schüler noch minderjährig sind und ein Medikament in der Schulzeit oder in den Pausen nehmen, aber selbst nicht in der Lage sind, diese Medikamente zu geben, ist sicherlich auch die Unterstützung seitens der Schule, der Lehrerinnen und Lehrer und der pädagogischen Fachkräfte geboten.
In der Beantwortung der Kleinen Anfrage zu diesem Thema vom Juni letzten Jahres hat die Landesregierung bereits ausführlich Stellung bezogen. Dabei ist schon deutlich geworden, dass im alltäglichen Praxisbereich jetzt häufig individuelle Lösungen bei der Begleitung und Betreuung der Kinder mit Diabetes von pädagogischen Fachkräften im Einvernehmen mit den Eltern und mit den behandelnden Ärzten gefunden werden.
In Ihrem Antrag schreiben Sie – ich zitiere –:
„Das Versorgungsproblem wird daher bei den Eltern abgeladen, die dann auf sich alleine gestellt sind.“
Die Maßnahmen des Schulministeriums, die in dieser Antwort detailliert dargestellt sind, und auch die Maßnahmen der beiden Landschaftsverbände und der unteren Gesundheitsbehörden widerlegen diese Aussage.
In diesem Zusammenhang muss man auch einmal einen Dank aussprechen an die Lehrerinnen und Lehrer sowie die pädagogischen Fachkräfte, die diese Aufgabe tatsächlich übernehmen, obwohl sie arbeitsrechtlich dazu nicht verpflichtet sind. Die Lehrkräfte an den Schulen und die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas bemühen sich in der Regel, soweit sie von der Erkrankung erfahren, um einen möglichen normalen Umgang mit den Kindern mit Diabetes.
Kinder und Jugendliche mit Diabetes sind grundsätzlich in jeder Hinsicht körperlich, geistig, emotional und sozial voll leistungsfähig. Deshalb ist es besonders wichtig, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes genauso an allen Veranstaltungen und auch Fahrten teilnehmen können wie alle anderen auch. Die Schaffung und Förderung von Akzeptanz und Inklusion in Schul- und Kita-Alltag ist hier ein wichtiges Ziel.
Hier ist sicher auch eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Kindern und deren Eltern sowie den behandelnden Ärzten und Ärztinnen, den Lehrkräften und den pädagogischen Fachkräften besonders wichtig.
Die beiden Landschaftsverbände haben ihrerseits zum Thema „Medikamentengabe“ und zur Betreuung von chronisch-kranken Kindern – dabei sind nicht nur Diabetes, auch andere chronische Erkrankungen mit erfasst – für die Tageseinrichtungen eine umfassende Orientierungshilfe für die Praxis herausgegeben.
Laut Ausführungen der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung ist das zivilrechtliche Haftungsrisiko bei der Verabreichung von Medikamenten durch das Lehrpersonal weitestgehend minimiert worden. Hier ist auch deutlich niedergelegt, wie eine Medikamentenvergabe in der Schule und im Kindergarten geregelt ist. Die Beteiligten haben danach nicht nur eine Rechtssicherheit, sondern insbesondere auch eine Unfallschutzversicherung.
In diesem Zusammenhang ist mit der Forderung nach einer Aufklärung unter anderem auch auf den gesetzlichen Auftrag der öffentlichen Gesundheitsdienste hinzuweisen. Diese Gesundheitsdienste nehmen für die Tageseinrichtungen für Kinder und für die Schulen betriebsmedizinische Aufgaben wahr. Tageseinrichtungen und Schulen können sowohl auf die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste sowie die Ansprechpartner bei den Diabeteszentren zurückgreifen als auch die Beratungsmöglichkeiten der Schulaufsichtsbehörden in Anspruch nehmen.
Trotzdem werden wir natürlich der Überweisung des Antrags in den Fachausschuss zustimmen, um hier die Situation zu analysieren und entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Wegner.
Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Die Landesregierung NRW setzt sich für die Inklusion von behinderten Kindern ein und fordert, dass der Weg dahin mit geeigneten Maßnahmen und der notwendigen Fortbildung begleitet werden muss.
Das sollte auch für Kinder mit Diabetes gelten. Tatsächlich aber sind wir von der Verwirklichung der Forderung nach sozialer Inklusion selbst bei Diabetikern meilenweit entfernt. Mobbing und Ausgrenzung durch Mitschüler, Benachteiligung und Unverständnis bei Erziehern und Lehrern führen zur Verunsicherung der betroffenen Kinder und belasten die Eltern.
In der Regel erhalten Familien keinerlei Unterstützung dabei, die Kinder im Kindergarten oder in der Schule mit ihrer Diabetes ausreichend gut zu versorgen. Eltern bahnen sich meist selbst einen Weg durch die Ämter, kämpfen um finanzielle Unterstützung, auch für Schulungen von Erziehern und Lehrern, und stoßen dabei oft auf Skepsis und Ablehnung.
Das war übrigens ein Zitat; das haben nicht wir uns ausgedacht, sondern dieser Text liegt uns in Form einer Petition vor, die von Betroffenen, Kinderärzten und Psychologen eingereicht wurde.
Vor diesem Hintergrund ist es erstens notwendig, hier darüber zu sprechen und im Rahmen der Inklusionsbemühungen auch einen besonderen Fokus darauf zu legen. Zweitens ist es vor diesem Hintergrund unerklärlich – um nicht zu sagen: ignorant –, dass die Landesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage kein Problembewusstsein gezeigt hat.
Meine Damen und Herren, das Thema gehört hierher in den Landtag. Wir sind der FDP sehr dankbar, dass wir uns über das Thema austauschen und versuchen, die Landesregierung davon zu überzeugen, dass es doch ganz große Probleme gibt.
Wir Piraten reden gern direkt mit den Betroffenen, anstatt über sie zu reden. Daher würden wir es außerordentlich begrüßen, wenn wir zu der weiteren Befassung im Ausschuss vor allem Betroffene einladen würden.
Uns liegen zum Beispiel Informationen vor, wonach an einer Wuppertaler Schule Kinder mit Diabetes juvenilis nicht am Schwimmunterricht teilnehmen, selbst nachdem sich Selbsthilfegruppen eingeschaltet und mit den Lehrkräften das Gespräch gesucht hatten. Ein solcher Zustand ist nicht tragbar. Kinder sind mit der lebenslangen Krankheit genug gestraft. Sie müssen sich angenommen fühlen und nicht als beängstigende Zusatzaufgabe verstanden werden.
Darum ist es umso wichtiger, die grundsätzliche Frage zu stellen, wie wir uns den inklusiven Unterricht in Zukunft vorstellen. Wir Piraten sind der Meinung, dass wir die Probleme nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte, Erzieher oder Eltern abladen können. Gleichwohl hätte die Landesorganisation für professionelle Aufklärung dafür zu sorgen, bevor die Selbstverantwortung der Betroffenen reklamiert wird.
Billiglösungen im Gesundheitsbereich sind ethisch nicht korrekt. Wir Piraten sind der Meinung, dass es an Schulen eine neue Struktur geben muss, die sich professionell auch mit Fragen der Inklusion beschäftigen muss. Daher setzen wir uns – ein erster Schritt in die richtige Richtung – für den Einsatz von Schulkrankenschwestern nach skandinavischem Vorbild ein. – Vielen Dank.
(Beifall von den PIRATEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Steffens das Wort.
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle bisherigen Redebeiträge haben gezeigt: Wir haben wieder eines der klassischen Themen, das an der Schnittstelle unterschiedlicher Bereiche liegt. Das heißt, ich würde mir nicht nur Diskussionen im AGS, also im zuständigen Gesundheitsausschuss, wünschen, sondern auch verschränkte Diskussionen zwischen zwei oder vielleicht sogar drei Ausschüssen, nämlich dem Schul- sowie dem Kinder- und Jugendressort, und schließlich im Parlament. Diesen Prozess haben wir innerhalb der Landesregierung vor einiger Zeit gemeinsam begonnen.
Vorab ist es wichtig, als Erstes nicht nur darüber zu reden, wie die Kinder, die wir mit Diabetes mellitus im Gesundheitssystem und im Schul- und Bildungssystem erleben, versorgt werden, sondern wir müssen uns auch über die massive Zunahme der Krankheit im Klaren sein – das ist eben von dem einen oder anderen gesagt worden – und uns im Gesundheitsausschuss mit den Ursachen beschäftigen.
Es gibt unterschiedliche Studien, die Faktoren nennen, die zu Diabetes führen: zu kurze oder verkürzte Stillzeiten, frühes Zufüttern eiweißhaltiger Babynahrung, Risiko Kaiserschnittentbindung. Wenn wir gemeinsam die Ursachen kennen, müssen wir uns mit den Themen beschäftigen, um die Zunahme dieser schweren Erkrankung der Kinder perspektivisch zu vermeiden oder zumindest mit Prävention zu minimieren. Wir wissen, dass auch eine verbesserte Diagnostik die Zahl der Fälle erhöht hat.
Der Antrag der FDP zeigt – das ist auch eben von Herrn Wegner gesagt worden –, dass es in bestimmen Bereichen Probleme gibt. Das hat das Parlament im Rahmen einer Petition vor einiger Zeit gemeinsam mit den zuständigen Mitgliedern im Petitionsausschuss diskutiert. Frau Schneider hat am Anfang ein Beispiel angeführt, wo es in der Schule perfekt funktioniert hat. Im Schulsystem gibt es also Lehrer und Lehrerinnen, die die notwendigen Weiterbildungsbausteine auf der Seite des Schulministeriums – sie werden aber auch von anderen angeboten -nutzen und gemeinsam mit den Eltern einen Weg gefunden haben, die Kinder zu versorgen.
Klar ist, das Problem tritt überwiegend im Primarbereich oder in der fünften oder sechsten Klasse auf. Ältere Schüler und Schülerinnen haben meist gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben, und können in der Regel als Expertinnen und Experten sehr gut mit ihr umgehen.
Für diejenigen, die im Schulsystem mithilfe der Lehrer und Lehrerinnen mit ihrer Krankheit umgehen, ist es notwendig, dass ein ärztliches Attest und die Einwilligung der Eltern vorliegen.
In den Redebeiträgen ist schon deutlich geworden, dass in der Schule zwei Bausteine wichtig sind:
In Haftungsfragen sind das Schulministerium und die Unfallkasse mittlerweile weiter.
Dieses Haftungsrecht ist dann mit das A und O, das bei der Weiterbildung einbezogen sein muss. Bei Weiterbildungen sind demnach die Haftungsfragen für die Lehrer und Lehrerinnen weiter zu klären.
Also: Es gibt eine Reihe von Punkten, die nicht unbedingt im Gesundheitsbereich eine Rolle spielen, sondern im Schulbereich für die Lehrer und Lehrerinnen bei ihren Weiterbildungsmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.
Das Schulministerium gemeinsam mit dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und dem Gesundheitsministerium haben hierzu einen gemeinsamen Prozess begonnen. Wir haben das Thema gemeinsam auf die Tagesordnung gesetzt. Das Schulministerium führt Gespräche mit Ärzten in beiden Landesteilen, hat im Mai schon einen Termin mit kinderdiabetologischen Teams. Wir sind also auf dem Weg.
Aber ich finde es gut, diese Problemlagen auch im Parlament gemeinsam zu erörtern und Lösungswege aufzuzeigen. Ich glaube, dass wir mit vielen Maßnahmen, die in den letzten Monaten auf den Weg gebracht worden sind, auf einem guten Weg sind. Trotzdem: Inklusion muss vor Ort in der Realität gelebt werden. Es wird noch eine Weile dauern, bis sie überall gelebt wird. Aber ich bin sehr zuversichtlich, das Thema auch mit den konstruktiven Diskussionen hier noch weiter voranzubringen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung:
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5037 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung; die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5041
Eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist heute nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/5041 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Aussprache und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Damit ist auch diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Wahlvorschlag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/5059
Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen.
Wir kommen somit direkt zur Abstimmung über den Wahlvorschlag in Drucksache 16/5059. Wer möchte dem zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/5059 einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
VerfGH
3/14
Vorlage 16/1617
Beschlussempfehlung
des
Rechtsausschusses
Drucksache 16/5022
Ich teile Ihnen mit, dass eine Aussprache heute nicht vorgesehen ist und wir deshalb unmittelbar zur Abstimmung kommen.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in Drucksache 16/5022, in dem Verfahren nicht Stellung zu nehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es jemanden, der dagegen votieren möchte oder sich enthält? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/5022 angenommen.
Ich rufe auf:
18 In den Ausschüssen erledigte Anträge
Übersicht
16
gem. § 82
Abs. 2 GeschO
(§ 79 Abs. 2 GeschO a. F.)
Drucksache 16/5058
Die Übersicht 16 enthält vier Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 Buchstabe c bzw. – für die Spezialisten – nach § 79 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung in der alten Fassung an die Ausschüsse zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie einen Entschließungsantrag und zwei Änderungsanträge. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.
Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Ausschüssen entsprechend der erwähnten Übersicht 16. Wer das Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen bestätigen möchte, den darf ich um das
Handzeichen bitten. – Möchte jemand dagegen votieren oder sich enthalten? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/5058 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig vom Landtag Nordrhein-Westfalen bestätigt.
Ich rufe auf:
Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen. Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist nicht ersichtlich. Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die in Übersicht 16/18 vorliegenden Beschlüsse des Petitionsausschusses bestätigt sind.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung angelangt.
Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 20. Februar 2014, um 10 Uhr.
Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss: 18:27 Uhr
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*) Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)
Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.