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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/45

16. Wahlperiode

29.11.2013

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45. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 29. November 2013

Mitteilungen der Präsidentin. 4331

1   US-Militärforschung an NRW-Hochschulen aufklären

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4482. 4331

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 4331

Karl Schultheis (SPD) 4332

Dr. Stefan Berger (CDU) 4333

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 4334

Angela Freimuth (FDP) 4336

Ministerin Svenja Schulze. 4337

Christian Haardt (CDU) 4338

Dietmar Bell (SPD) 4340

Marcel Hafke (FDP) 4340

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 4341

Oliver Bayer (PIRATEN) 4342

Ministerin Svenja Schulze. 4343

Dr. Stefan Berger (CDU) 4343

2   Energiewende darf Arbeitsplätze nicht gefährden – Landtag Nordrhein-Westfalen wehrt sich gegen die pauschale Streichung von Ökostrom-Rabatten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4441

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4517

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4519. 4344

Dietmar Brockes (FDP) 4344

Thomas Eiskirch (SPD) 4345

Thomas Kufen (CDU) 4347

Wibke Brems (GRÜNE) 4348

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 4349

Minister Garrelt Duin. 4350

Ergebnis. 4352

3   Land muss umfassende Aufsicht über wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in schwieriger Finanzlage garantieren

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4434. 4352

Ralf Nettelstroth (CDU) 4352

Michael Hübner (SPD) 4353

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 4353

Kai Abruszat (FDP) 4354

Frank Herrmann (PIRATEN) 4356

Robert Stein (fraktionslos) 4357

Minister Ralf Jäger 4357

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 4358

Ralf Nettelstroth (CDU) 4359

Michael Hübner (SPD) 4359

Robert Stein (fraktionslos) 4359

Ergebnis. 4360

4   Begrenzung bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge aufheben

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4388. 4360

Simone Brand (PIRATEN) 4360

Thomas Marquardt (SPD) 4361

Theo Kruse (CDU) 4362

Monika Düker (GRÜNE) 4363

Dr. Joachim Stamp (FDP) 4365

Minister Ralf Jäger 4366

Ergebnis. 4368

5   Gesetz zur Aufhebung des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4443

erste Lesung. 4369

Ralph Bombis (FDP) 4369

Rainer Schmeltzer (SPD) 4370

Rainer Spiecker (CDU) 4371

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 4373

Nicolaus Kern (PIRATEN) 4375

Minister Garrelt Duin. 4376

Ergebnis. 4377

6   Offene Zugänge zum Internet schaffen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4427. 4377

René Schneider (SPD) 4377

Matthi Bolte (GRÜNE) 4378

Daniel Schwerd (PIRATEN) 4379

Lothar Hegemann (CDU) 4380

Ralph Bombis (FDP) 4382

Minister Garrelt Duin. 4383

Ergebnis. 4384

7   Schulleitermangel an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen: Landesregierung muss endlich handeln!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4432. 4384

Kirstin Korte (CDU) 4384

Hans Feuß (SPD) 4385

Ali Bas (GRÜNE) 4386

Yvonne Gebauer (FDP) 4387

Monika Pieper (PIRATEN) 4387

Ministerin Sylvia Löhrmann. 4388

Ergebnis. 4389

8   Forderung nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur internationalen Initiative Open Government Partnership

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4437. 4389

Michele Marsching (PIRATEN) 4389

Guido van den Berg (SPD) 4390

Kirstin Korte (CDU) 4391

Matthi Bolte (GRÜNE) 4391

Dirk Wedel (FDP) 4392

Minister Ralf Jäger 4394

Ergebnis. 4394

9   Landesregierung darf Lehrerinnen und Lehrern keinen Maulkorb erteilen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4433

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4520. 4394

Petra Vogt (CDU) 4394

Renate Hendricks (SPD) 4395

Sigrid Beer (GRÜNE) 4396

Yvonne Gebauer (FDP) 4398

Monika Pieper (PIRATEN) 4399

Ministerin Sylvia Löhrmann. 4400

Ergebnis. 4401

Nächste Sitzung. 4401

Entschuldigt waren:

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(bis 11:45 Uhr)

Minister Johannes Remmel

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren

Dr. Roland Adelmann (SPD)

Andreas Kossiski (SPD)

Carsten Löcker (SPD)

Markus Töns (SPD)

Peter Weckmann (SPD)

Peter Biesenbach (CDU)

Regina van Dinther (CDU)

Wilfried Grunendahl (CDU)

Wilhelm Hausmann (CDU)        
(ab 11:30 Uhr)

Josef Hovenjürgen (CDU)        
(ab 13 Uhr)

Wibke Brems (GRÜNE)
(ab 11:30 Uhr)

Mario Krüger (GRÜNE)

Angela Freimuth (FDP
(ab 11 Uhr)

Christian Lindner (FDP)

Susanne Schneider (FDP)        
(ab 11 Uhr)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn wir noch auf Kolleginnen und Kollegen warten, die den Weg in den Plenarsaal noch finden müssen, möchte ich Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 45. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen heißen. Mein Gruß gilt den bereits anwesenden Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Heute dürfen wir mit zwei Kollegen Geburtstag feiern. Beide werden 53 Jahre alt, nämlich die Kollegen Falk Heinrichs und Rüdiger Weiß von der SPD-Fraktion. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen des gesamten Parlaments!

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1   US-Militärforschung an NRW-Hochschulen aufklären

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4482

Die Fraktion der Piraten hat mit Schreiben vom 25. November dieses Jahres gemäß § 95 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zur genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion der Piraten Herrn Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Guten Morgen, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und daheim! Erst einmal zum Sachstand: Nach Recherchen des „Norddeutschen Rundfunks“ und der „Süddeutschen Zeitung“ hat das US-Verteidi-gungsministerium seit dem Jahr 2000 mit mehr als 10 Millionen Dollar Projekte an 22 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt. Darunter sind auch Universitäten, die sich ausschließlich der friedlichen Forschung verpflichtet haben. In Nordrhein-Westfalen haben die Universitäten in Aachen, Bochum und Wuppertal Geld vom Pentagon erhalten.

Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium bewertete die Forschung zu militärischen Zwecken an Universitäten grundsätzlich kritisch. „Wir fördern und fordern diese Art von Forschung nicht“, sagte ein Ministeriumssprecher, wie in „ZEIT ONLINE“ vom 25. November 2013 zu lesen war. Das ist schön.

Überhaupt nicht schön ist jedoch, dass unser Ministerium weiter erklärt, es habe keine Kenntnis über eine mögliche Zusammenarbeit von Hochschulen mit dem US-Verteidigungsministerium. Die Hochschulen müssten solche Kooperationen nicht anmelden. Diese Militärforschung ist rein zufällig über ausländische Quellen ans Tageslicht gekommen. Allein das ist schon skandalös.

(Angela Freimuth [FDP]: Das steht doch seit 2010 in der „Süddeutschen Zeitung“!)

Universitäten sind die geistigen Werkbänke der Gesellschaft. Da grundfinanzieren die Steuerzahler, also wir alle, Personal und Werkbänke an den Hochschulen und erfahren noch nicht einmal, was dort geforscht wird. Für eine moderne Demokratie des 21. Jahrhunderts ist das ein untragbarer Zustand.

(Beifall von den PIRATEN)

Dual Use hin oder her: Wir Piraten fordern das ein. Wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren, was an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geforscht wird und wer die Auftraggeber bei Drittmittelforschungen sind – ohne Wenn und Aber.

(Beifall von den PIRATEN)

Bochum ging hier mit sehr gutem Beispiel voran. Dabei geht es unter anderem um hitzebeständige Materialien.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN] hält ein Dokument hoch.)

– Das kann man im Netz finden. Ich muss dazu sagen: Mit Open Access ging das noch ein bisschen besser. Wir finden auch, dass neben der US-Airforce die europäische Aerospace mit an der Förderung dieser Projekte beteiligt ist.

Wenn aber die Forschungen im Verborgenen betrieben werden wie im Fall der RWTH Aachen, schürt das Misstrauen, wo vielleicht gar keines nötig wäre. So äußerte sich der Rektor der RWTH Aachen, Prof. Schmachtenberg, in den „Aachener Nachrichten“ vom 26.11.2013 sinngemäß, dass grundsätzlich keine Informationen zur Auftragsforschung herausgegeben werden und die Veröffentlichungen der Forschung den Richtlinien des Auftraggebers obliege. Des Weiteren würde es eine Schwächung der Position am Markt der Auftragsforschung bedeuten und Hunderte Arbeitsplätze in Aachen sehr gefährden, wenn freimütig über Auftraggeber und Inhalte der Forschungen gesprochen würde.

Es werden also noch nicht einmal Informationen an den zuständigen Ausschuss des Parlaments erwogen. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, rufe ich als Anwalt Herrn Edsger W. Dijkstra, einen niederländisch-amerikanischen Informatiker, auf, der in bahnbrechenden Arbeiten dafür gesorgt hat, dass unsere Betriebssysteme nicht in Verwirrung geraten. Sie können ihn auch gerne „Mr. Multitasking“ nennen. Ich zitiere aus seinem Vortrag „The strengths of the academic enterprise“ vom 7. Februar 1994 vor dem Industrieforum in Austin, Texas:

Eine Universität, die betrügt oder verheimlicht, kann ihre Türen schließen. Die essenzielle Rolle der Offenheit ist etwas, an das wir uns erinnern sollten, wenn wir über akademisch-industrielle Kooperationen beraten. Wir sollten uns auch daran erinnern, wenn eine Regierung Gründe der nationalen Sicherheit oder des Wohlstands erfindet, um eine freie Publikation akademischer Forschung zu unterbinden. Universitäten sind nicht Teil des nationalen Sicherheitssystems. Sie sind noch nicht einmal nationale Forschungslabore. Sie sind nationale Universitäten. – Soweit das Zitat.

Bemerkenswert daran ist, dass das nicht ein Soziologe ist, sondern ein Informatiker und Ingenieur, der sehr genau weiß, unter welchen Randbedingungen Innovationen am besten entstehen können.

Klar sind wir Freunde von internationalen Forschungskooperationen. Wissenschaft ist schließlich Begegnung, und Begegnung ist Bildung. Bildung ist Dünger und Nährboden für Innovationen. Aber umso mehr gelten Dijkstras Worte, wenn es sich bei dem Partner um das Militär eines befreundeten Landes handelt. Nicht der Krieg, sondern der Friede ist der Ernstfall.

Wissenschaft und Hochschulen sowie die an ihnen Tätigen haben sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung zu stellen. Wir sollten die Hochschulen finanziell so ausstatten, dass sie dem Lockruf des Geldes der Rüstungsindustrie widerstehen können. Gerade wir Deutsche sollten auf zivile Stärke statt auf militärische Scheinstärke setzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Kriege sind schließlich keine Naturereignisse. Jeder Krieg ist erst ein wirtschaftlicher, politischer und sozialer Krieg, bevor er militärisch wird. Das heißt, er ist Ausdruck dafür, dass die Gesellschaften versagt haben, Probleme zivil zu meistern: Ausdruck eines pathologischen Zivilversagens.

Darüber hinaus haben wir Menschen das grundlegende Problem – man denke dabei zum Beispiel an die Kernenergie oder die Gentechnik –, dass wir ganz offensichtlich weiter werfen als gucken können. Wir haben also ganz andere Herausforderungen zu bewältigen, für die Wissenschaft und Hochschulen tätig werden sollten und eben nicht für die Rüstungsforschung für ein anderes Land. Der jetzige Widerstand gegen die Militarisierung unserer Bildungseinrichtungen ist ein wichtiger Beitrag einer glaubwürdigen Friedenspolitik.

Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine generelle Bemerkung zu den USA, denen gerade wir Deutsche so viel zu verdanken haben. Deutsches Duckmäusertum gegenüber den USA, wie jüngst auch bei den Snowden-Enthüllungen, haben unsere amerikanischen Freunde wahrlich nicht verdient. Wirkliche Freundschaft geht anders. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Schultheis das Wort.

Karl Schultheis (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Anlass dieser Aktuellen Stunde ist in der Tat die Berichterstattung in den Medien zu Rüstungs- oder Militärforschungsprojekten in den Hochschulen Nordrhein-Westfalens.

Man muss nur die Relationen deutlich klarstellen. Das hätte beim Wortbeitrag von Dr. Paul etwas in die Schieflage geraten können. Mit den Dimensionen, um die es hier geht, kann man nicht den Beweis dafür antreten, dass die NRW-Hochschulen sozusagen Kaderschmieden der Rüstungsindustrie sind. Das, was hier an Forschungsprojekten auf den Weg gebracht worden ist, bewegt sich in einem viel kleinteiligeren Spektrum.

Kurzum, es geht um die Zulässigkeit und Verantwortlichkeit militärischer Forschung an unseren Hochschulen oder von Forschung, die militärischen Zwecken dient, dienen kann oder dienen könnte. Ich bitte, in der Debatte darauf zu achten und das auch festzuhalten, dass man hier nicht nach einem Schwarz-Weiß-Schema vorgehen kann und dass diese Fragen so auch nicht beantwortet werden können. Es gilt die grundsätzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre, und es gilt, dabei die Interessen unseres Landes, auch im Hinblick auf die Entwicklung von Sicherheitstechnologien, zu beachten.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das lange umstrittene Projekt Galileo. Dieses Projekt ist gerade auf den Weg gebracht worden, um Europa bei den Navigationssystemen von US?amerikani-scher Technologie unabhängig zu machen. Jeder von uns weiß, dass man die Navigationssysteme sowohl zu militärischen als auch zu zivilen Zwecken – was wir in der Zwischenzeit alle tun – nutzen kann. Aber wir wissen natürlich auch, dass GPS zunächst einmal unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt worden ist.

Die SPD-Fraktion legt Wert darauf, dass wir über Technologien verfügen, auch im Bereich der Informationstechnologien, für die wir selbst die grundlegenden Voraussetzungen geschaffen haben. Damit stellen wir auch die Verfügbarkeit sicher.

Damit sind wir bei dem Thema „Dual Use“, also der doppelten Anwendungsmöglichkeit solcher Forschungsergebnisse sowohl für den militärischen als auch für den zivilen Bereich, also sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke. Damit sind wir auch direkt bei dem Thema, mit welcher ethischen Verantwortung unsere Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer diese Themen angehen und mit welcher Transparenz dieses eigene Handeln in unseren Hochschulen dargestellt wird.

Ich darf darauf hinweisen, dass wir, wenn es um die Transparenz im Umgang mit Drittmitteln geht, also insbesondere der Auftragsforschung nicht nur von öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Drittmittelforschung, mit dem neuen Hochschulzukunftsgesetz, mit dem Referentenentwurf, auch die Debatte hierüber eröffnen. Die Ministerin hat einen Referentenentwurf vorgelegt, in dem gerade in § 71 a eine Regelung getroffen wird für die Transparenz im Umgang mit Auftragsforschung. Es gibt auch einen Hinweis auf die zivile Ausrichtung unserer Hochschulen, wiewohl – ich habe das eingangs gesagt – das ein gewisser Spagat ist, bei dem man bestimmte Rahmenbedingungen beachten muss.

Ich kann Sie nur alle auffordern, dass wir im Rahmen der Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf gerade auch diese Aspekte, die hier eine Rolle spielen, mit besonderer Beachtung diskutieren. Ich glaube, dass wir dann auch zu guten Ergebnissen kommen.

Wie gesagt, Herr Dr. Paul, wir sollten die Ereignisse, die jetzt beschrieben worden sind, in ihrer Bedeutung richtig einordnen.

Man muss zusätzlich auch noch beachten, dass die Forschungsförderung in den Vereinigten Staaten durch diejenigen, die Geld bereitstellen, einer anderen Struktur folgt als in der Bundesrepublik Deutschland. Das Verteidigungsministerium in den Vereinigten Staaten – das kann man jetzt gut finden oder nicht – ist sehr stark in der Forschungsförderung unterwegs, wie auch das NIH, das den gesamten Gesundheitsbereich und die Biotechnologie und alles, was damit zusammenhängt, fördert. Das ist in unseren Strukturen so nicht möglich. Insofern ist das Departement of Defense in den USA auch sehr stark im Bereich der Grundlagenforschung unterwegs. Da waren ja solche Projekte, wie wir jetzt hier feststellen konnten, an unseren Hochschulen auch mit beteiligt.

Also: Eine Bewertung, die objektiven Maßstäben folgt, wäre sehr, sehr hilfreich. Nochmals: Wir laden Sie ein, mit uns über die Transparenzregeln für die Drittmittelforschung im Rahmen der neuen Gesetzgebung zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ und des Norddeutschen Rundfunks haben 22 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitute seit Beginn des Jahrtausends mehr als 10 Millionen $ erhalten. Das scheint so zu sein. 90.000 $ sind nach Aachen gegangen, 108.000 nach Bochum, 7.000 nach Wuppertal für einen Mathematikworkshop.

Darüber hinaus berichten die Medien auch, dass in Marburg an Drohnen geforscht wird und dass in München an Sprengstoff geforscht wird.

Zu Beginn möchte ich sagen: Drittmittelforschung, die mit militärischer Nutzung verbunden ist, führt naturgemäß immer zu heftigen emotionalen Debatten über Moral und Grundsätze der Gesellschaft. Aber zunächst einmal ist festzustellen, wenn man sich mit Drittmittelforschung befasst, dass in der deutschen Forschungslandschaft immer mehr Hochschulen ihre Budgets mit Drittmitteln aufstocken. Schon 38 % aller wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an deutschen Hochschulen sind drittmittelfinanziert.

Als Allererstes, Frau Ministerin Schulze – wir haben ja gestern hier in diesem Haus eine Haushaltsdebatte geführt –, stellen wir fest – und das ist unabhängig von dieser Debatte –, dass die Grundfinanzierung, für die Sie jetzt auch seit über drei Jahren zuständig sind, an unseren Hochschulen nicht ausreichend ist. Sie sind aufgefordert, für mehr Mittel an Grundfinanzierung an den nordrhein-westfäli-schen Hochschulen zu sorgen.

Bisher ist diese Debatte hier ja noch nicht aufgekommen. Aber wer immer Drittmittelforschung kritisiert, an der anderen Stelle aber mehr Forschung haben möchte, der muss auch sagen, woher das Geld ansonsten kommen soll.

Das zeigt dieser Vorgang besonders drastisch. Wir haben Ihnen in der Haushaltsdebatte viele Wege aufgezeigt, wie es möglich ist, mehr Geld für den Wissenschaftssektor zu generieren, und fordern Sie auf: Gehen Sie mit uns den Weg, mehr Geld an Grundfinanzierung für die Universitäten zu organisieren!

Dann sei aber die Frage gestellt – dann kommen wir zurück zu dem Anliegen der Piraten –: Was wäre mit dieser Aktuellen Stunde und was wäre mit den Piraten als Partei, wenn es das Internet nicht gäbe? Wer hat das Internet erfunden? Das Internet ging aus dem im Jahr 1969 entstandenen Arpanet hervor,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das zivile Forscher gemacht haben!)

einem Projekt auch des US-Verteidigungs-ministeriums. Insofern ist auch die Existenz der Piraten letztlich ein Ergebnis von militärisch motivierter Forschung.

(Beifall von der CDU)

– Das ist so.

Zur GPS-Navigation haben wir eben schon etwas gehört.

(Zuruf: Auweia!)

Die nächste Frage stellt sich bei anderen Anwendungen: Ist die Entwicklung insektenresistenter Kleidung tabu, weil sie auch ein Soldat tragen kann? Oder sind wir nicht alle froh, dass es Kleidung auf dem Markt gibt, die auch einen Zivilisten vor Mücken schützt? Dürfen Hochschulen keine Satellitenforschung mehr betreiben, weil die Ergebnisse militärisch nutzbar sind? Wenn die Bundeswehrdrohne eingesetzt würde, um Menschen aus bedrohlichen Situationen zu retten, zum Minen räumen usw., ist dann eine rote Linie überschritten? Alles das sind Fragen, mit denen man sich schon kritisch auseinandersetzen muss.

Wir befinden uns hier also in einer Debatte, die leicht dazu führen kann, dass die Fragestellung nach möglicher Nutzung der wissenschaftlichen Ergebnisse dazu benutzt wird, um wissenschaftliche Freiheit einzuschränken.

In Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes steht:

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Unsere Verfassungsväter waren weise genug, um einerseits Eingriffen in die Hochschulfreiheit von politischer Seite einen Riegel vorzuschieben und gleichzeitig von den Forschern die Treue zur Verfassung einzufordern.

Die schwarz-gelbe Koalition mit Wissenschaftsminister Pinkwart hat diesen Ansprüchen exakt Rechnung getragen. Im Hochschulfreiheitsgesetz ist klar festgelegt, dass Hochschulen selbstständig und autonom darüber entscheiden können, welche Drittmittelforschung sie durchführen wollen. Wir sagen klar: Solange sich Hochschulen an national und international gültige Gesetze halten, sollen sie das auch tun dürfen.

Tragischerweise für Nordrhein-Westfalen – das gehört an dieser Stelle auch ausdrücklich in die Debatte – beschreitet Rot-Grün einen für die Wissenschaftslandschaft bedenklichen Weg.

Zunächst – darüber haben wir vorgestern schon diskutiert – sollen in Nordrhein-Westfalen politisch verbindliche Hochschulentwicklungspläne gelten, die den Universitäten vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben und worüber geforscht werden soll. Es geht noch weiter: In dem Gesetz sollen unter dem Deckmantel von Zivilklauseln ideologische Tabuzonen errichtet werden.

Deswegen stellt sich die Kernfrage in der aktuellen Diskussion anders. Es geht darum – auch Ihnen geht es darum –, wer festlegt, welche Forschung akzeptabel ist, und wer festlegt, welche Forschung tabuisiert werden soll. Das ist hier in Nordrhein-Westfalen ganz einfach, Frau Ministerin: Sie wollen festlegen, was Ihrer Meinung nach wertvoll bzw. nicht wertvoll ist, und deshalb haben Sie den Referentenentwurf auch in dieser Form konzipiert. Würde man Ihrer Logik Ihres geplanten – so nenne ich es jetzt einmal – „Hochschulentmündigungsgesetzes“ folgen und es historisch anwenden, so wäre das Internet, da es anfangs aus militärischer Motivation heraus entwickelt wurde, wahrscheinlich gar nicht entstanden, und damit wäre auch die Piratenpartei als politische Gruppierung wahrscheinlich gar nicht existent.

Also, betrachtet man die Ergebnisses der Hochschulfreiheitsgesetzes, so lässt sich für Nordrhein-Westfalen beobachten – und das darf man schon sagen –, dass sich unsere Forschungslandschaft ausgeweitet und verbessert hat und auch international wettbewerbsfähiger geworden ist. All das ist ein Ergebnis von autonomen Entscheidungen.

Die Kernbotschaft der Debatte, die heute in dieser Aktuellen Stunde vom Parlament ausgehen sollte, müsste unserer Ansicht nach doch folgende sein: Wissenschaft muss frei bleiben. Wissenschaft muss in den Hochschulen bleiben. Und die Politik weiß es nicht besser.

Frau Schulze, Sie haben sich mit Ihrem neuen Gesetz verführen lassen. Rot-Grün steht mit diesem Gesetzentwurf für die Anmaßung des Wissens oder – besser gesagt – des Besserwissens. Aber die ganze Debatte zeigt auch bei allen Schwierigkeiten der Diskussion letztendlich, dass Freiheit ein absolutes Gut ist und nicht relativiert werden darf. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Berger, kommen wir doch noch einmal zum aktuellen Anlass zurück. Tatsache ist doch, dass 22 Hochschulen in Deutschland offensichtlich für das Pentagon Auftragsforschung übernommen haben, und darüber – das haben Sie eben selbst zitiert – haben in den vergangenen Tagen etliche Medien berichtet. Dabei wurden auch drei nordrhein-westfälische Hochschulen genannt.

Tatsache ist auch, dass Deutschland bei den weltweiten Rüstungsexporten ganz oben im Ranking steht. Auch darüber wurde in den vergangenen Wochen viel berichtet. Es mutet schon zynisch an, wenn die Universität München davon spricht, sogenannten sauberen Sprengstoff für die Militärforschung zu entwickeln. Es gehe schließlich darum, Sprengstoff umweltverträglicher zu machen. Das ist natürlich Auftragsforschung für das US-Verteidi-gungsministerium. Insofern stellt sich doch die Frage, wie wir mit dieser Tatsache umgehen.

Herr Berger, Sie haben den Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz genannt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Die sogenannte Wissenschaftsfreiheit sichert unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein individuelles Recht, auf dem Gebiet zu forschen, auf dem sie forschen wollen. Das lässt sich nicht per Gesetz verbieten, und das hat hier in Nordrhein-Westfalen auch niemand vor.

Es besteht in Deutschland jedoch ein Grundkonsens über eine friedliche Ausrichtung der Gesellschaft. Dieses Ziel ist auch im Grundgesetz an vielen Stellen verankert. Aus der Friedensfinalität des Grundgesetzes und dem herrschenden gesellschaftlichen Meinungsbild leiten wir unsere Forderung nach einer allgemeinen Zivilklausel im Hochschulgesetz ab.

Flankiert werden soll diese Selbstverpflichtung mit einer strikten Transparenzpflicht auch für Drittmittelströme. Auch das ist in der Kombination wichtig, und auch das wollen wir im neuen Hochschulgesetz verankern. Forschungsthema, Fördervolumen und Geldgeber von Drittmittelprojekten müssen öffentlich gemacht werden, auch wenn die Hochschulen das nicht immer so gerne wollen. Die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber haben ein Recht darauf zu erfahren, auf welchen Gebieten die öffentlich finanzierten Hochschulen tätig sind; das gilt auch für Drittmittelprojekte. Insofern können wir im Hochschulgesetz einen klaren Auftrag festlegen, der die Gewissensfreiheit von Forscherinnen und Forschern respektiert, aber die Verantwortung mit der Auftragsforschung gleichermaßen großschreibt.

Die Ausgestaltung des Friedens- und des Nachhaltigkeitsauftrags überlassen wir der Autonomie der Hochschulen, Herr Berger. Die in der Tat bestehende Problematik, dass es eine Grauzone gibt, die sogenannte Dual-Use-Problematik, in der Forschungs-ergebnisse sowohl zu zivilen als auch militärischen Zwecken genutzt werden können, muss dann im konkreten Fall diskutiert werden. Hier gibt es keine Patentlösung. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Hochschulen festlegen werden, dass solche Diskussionen auch künftig im Senat geführt und dort entschieden werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Diskussion wirft eigentlich noch weitergehende Fragen auf. In den letzten Jahren haben wir verschiedent-lich Diskussionen über die Finanzierung von Drittmittelprojekten und Tätigkeiten von Stiftungsprofessuren geführt. Unter dem Strich sind wir uns doch alle einig, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht durch unzulässige Einflussnahme privater Förderer beeinträchtigt werden darf – weder bei der Besetzung der Stellen noch bei der Auswahl von Forschungsthemen oder Lehrangeboten, noch bei der Entscheidung darüber, was veröffentlicht werden soll. Darüber haben wir im Ausschuss ausführlich diskutiert, und auch der Stifterverband hat sich mit diesem Thema beschäftigt.

Unabhängigkeit, Freiheit von Forschung und Lehre, Transparenz, Schriftform und Verzicht auf Beeinflussung – das sind die Kriterien der Empfehlung des Stifterverbandes bezüglich der Einrichtung von Stiftungsprofessuren durch private Förderer. Dies gilt es an allen Hochschulen nach gleichen Standards umzusetzen, damit die Wissenschaftsfreiheit auch an dieser Stelle nicht beeinträchtigt wird.

Im Übrigen – das möchte ich in diesem Zusammenhang auch erwähnen – hat auch der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2011 dazu Stellung bezogen. Unter anderem hat er sehr deutlich gemacht, die Grenze des Zulässigen werde überschritten, wenn die Stifter derart weitreichenden Einfluss auf Forschung und Lehre nehmen könnten, dass sich die Tätigkeit der Stiftungsprofessur einer Auftragsforschung zugunsten der Stifter annähere. Eine Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit müsse insbesondere dann befürchtet werden, wenn die Stifter von Anfang an entscheidenden Einfluss auf die Einrichtung der Professur hätten.

Und wenn Sie jetzt wieder – das haben Sie ja eben gemacht, Herr Berger – mit Ihrer notorischen Klage über die Unterfinanzierung der Hochschulen um die Ecke kommen – auch Frau Freimuth macht das wahrscheinlich gleich –, dann kann ich nur sagen: Es ist mitnichten so, dass unsere Hochschulen auf diese Drittmittel, von denen in diesem Beitrag die Rede war, existenziell angewiesen sind. 10 Millionen US-Dollar verteilt auf 22 Hochschulen und 13 Jahre, das sind nicht einmal 26.000 € pro Jahr und Hochschule.

Die Drittmittelfinanzierung ist für die NRW-Hoch-schulen in der Tat ein wichtiges Standbein. Aber – auch in Richtung Piraten – der Stifterverband, die DFG und das Statistische Bundesamt geben ja regelmäßig die Zahlen zum Anteil der Drittmittel an Hochschulen heraus. Für das Jahr 2011 können wir festhalten: Bezogen auf die gesamten Einnahmen der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen machen Drittmittel 27 % aus, jedoch stammt nur ein knappes Viertel der Drittmittel aus privaten Quellen. Das heißt, private Drittmittel machen rund 7 % der gesamten Hochschulmittel aus, die Hochschulmedizin eingeschlossen.

Dass das Land auch in finanzieller Hinsicht seiner Verantwortung gerecht wird, das haben wir bereits in der Haushaltsdebatte am Mittwoch ausführlich diskutiert. Der Gesamtetat im Wissenschaftsbereich – ich muss das eigentlich nicht ständig wiederholen – wächst in diesem Jahr auf fast 8 Milliarden €. Davon erhalten die Hochschulen über 4,8 Milliarden €, die Innovationsförderung in Höhe von knapp 730 Millionen € noch nicht eingerechnet. Über 1 Milliarde € kommt für die Medizin noch hinzu. Die Hochschulen haben zur Verbesserung von Studium und Lehre so viel Geld wie nie zuvor. Vor diesem Hintergrund kann also die Wissenschaftslandschaft in NRW auf das Geld des Pentagon gut verzichten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Seidl. – Für die FDP-Fraktion spricht die Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine grundsätzliche Anmerkung vorab: Populismus, pauschale Schuldzuweisungen und Verdächtigungen ohne Sachverhaltsklärung sind keine geeignete Grundlage, die verfassungsmäßigen Grenzen der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 Abs. 3 und/oder die Verantwortung aus dieser Forschungsfreiheit zu diskutieren.

(Beifall von der FDP)

Wir dürfen unsere Hochschulen und unsere Forschungsinstitute nicht leichtfertig in Misskredit bringen.

Die verfassungsrechtlich garantierte Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit ist wie die Presse- und Meinungsfreiheit Ausdruck und Eckpfeiler einer freiheitlichen Gesellschaft. In unserem Grundgesetz wird die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre in Art. 5 Abs. 3 ohne Einschränkungen garantiert. Sie unterliegen eben auch nicht der Beschränkung durch die Vorschriften allgemeiner Gesetze, sondern die Beschränkung der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit bedarf verfassungsimmanenter Schranken. Diese werden aber von dem Antrag der Piratenfraktion zu dieser Aktuellen Stunde in keiner Weise auch nur im Ansatz gestreift. Deshalb zum Antrag der Piraten auch nur drei Bemerkungen:

Erstens. Die Hochschulen haben erklärt, es gibt bei ihnen keine militärische Forschung.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Dann ist ja alles gut!)

Zweitens. Das US-Verteidigungsministerium unterstützt Grundlagenforschung wie bei uns in Deutschland zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Kollege Schultheis hat gerade darauf hingewiesen. Angesichts des ganzen Popanz um die privaten Interessen bei Drittmitteln will ich nur darauf hinweisen: Hier handelt es sich nach den mir vorliegenden Informationen um einen öffentlichen Auftraggeber.

Drittens. Die Präambel des Grundgesetzes verpflichtet uns, dem Weltfrieden zu dienen.

Allerdings wird die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit auch im Falle unmittelbar auf militärisch nutzbare Verfahren oder Produkte hinauslaufende Forschung nicht zu beschränken sein, da das Grundgesetz in den Art. 87 a und b ausdrücklich auch den militärischen Verteidigungsauftrag enthält. Wenn also Forschung im Rahmen des Verteidigungsauftrags des deutschen Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr die Forschungsfreiheit nicht beschränken kann und damit auch darf, dann bleibt die Frage, ob sich eine andere Bewertung daraus ergibt, wenn es sich um das US-Verteidigungs-ministerium handelt.

Ich persönlich halte es da eher mit Prof. Klapötke von der im anderen Zusammenhang schon angesprochenen Universität in München, der sinngemäß dazu anmerkte: Wenn man das NATO-Bündnis und dessen Einsätze und Ziele mit dem Grundgesetz für vereinbar hält, dann ist es auch nicht verwerflich, für gute Materialien und Ausrüstungen der einzelnen Bündnispartner zu forschen.

Die FDP bekennt sich zum NATO-Bündnis. Gleichwohl bietet die heutige Diskussion auch eine Gelegenheit, auf das Zivilklauseldiktat im Referentenentwurf zur Hochschulgesetznovelle einzugehen, an der Debatte vom 20. März 2013 zu unserem Antrag mit der Drucksache 16/2289 anzuknüpfen und uns erneut mit der Verantwortung aus der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit zu befassen.

Ich will nur kurz erwähnen, dass Frau Kollegin Preuß-Buchholz seinerzeit für die SPD klargestellt hatte, einer gesetzlichen Grundlage bedürfe es nicht. Da meine Kollegin meiner damaligen Rede offensichtlich nicht ganz folgen konnte, wir aber inhaltlich gar keinen Dissens hatten, will ich heute gerne wiederholen: Forschungsfreiheit heißt nicht Verantwortungslosigkeit. Ein gesellschaftlicher Diskurs über und mit Forschung und Wissenschaft ist grundsätzlich zu begrüßen. Dieser kann gegebenenfalls auch durch die Aufnahme von Transparenzregeln für aus Steuergeldern finanzierte Forschung in den Förderbewilligungen ermöglicht werden. Auf die sich aus der Forderung nach grenzenloser Transparenz ergebenden Diskussionsansätze möchte ich aber erneut hinweisen.

Es kann gewichtige Gründe geben, nicht oder zumindest nicht sofort die Einzelheiten bezüglich jeglicher wissenschaftlicher Forschung offenzulegen. Die Verantwortung von Forschung kann eben gerade dafür sprechen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht publik gemacht werden, zum Beispiel wenn sie potenziell eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen können. Hier seien nur die Stichworte „Influenzavirus H5N1“ und die Diskussionen darum genannt.

Der wichtigste Punkt ist aber doch wohl, dass wir – das gilt insbesondere für die Grundlagenforschung – eine Zweckunterscheidung in der Praxis kaum werden vornehmen können. Das Stichwort „Dual Use“ ist schon gefallen. Es geht um Forschung, die sowohl in zivil als auch militärisch einsetzbaren Wissenschaftsprodukten oder Technologien münden können. Es gehört eben gerade zu der Dual-Use-Problematik, dass beispielsweise Ergebnisse der Traumaforschung oder der Friedens- und Konfliktforschung auch militärisch nutzbar sein können.

Das kann aber keine Begründung für das Verbot dieser Disziplinen bedeuten.

Andersherum gilt häufig: Forschungen, die mit der Absicht angestellt werden, militärisch nutzbares Wissen oder entsprechende Technologien zu entwickeln, können im zivilen Bereich Anwendung finden. Das Stichwort „Internet“ wurde gerade schon genannt.

In vielen Bereichen, etwa der Materialforschung, ist eine Unterscheidung schon gar nicht möglich. Diesen Zwiespalt müssen wir aushalten. Es darf nicht sein, dass der Staat diktiert, was gute und was schlechte Forschung ist.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Natürlich nicht!)

Einige letzte Anmerkungen noch zum Stichwort „Drittmittel“: Sie sind im Referentenentwurf der Landesregierung offensichtlich im Grundsatz nicht mehr gewollt. Denn wenn die Hochschulen pauschal über alle Inhalte und Auftraggeber bzw. private Projektpartner sprechen müssten, würde das die Hochschulen am Markt der Auftragsforschung erheblich schwächen, Innovationen – gerade im Mittelstand – verhindern und Arbeitsplätze gefährden.

Ein Verhaltenskodex sollte Anforderungen an Drittmitteltransparenz sehr spezifisch und nicht pauschal festlegen. Denkbar wären zum Beispiel ein Anzeigegebot zum Beispiel für Militärforschung oder Kooperationen mit Partnern außerhalb des NATO-Bündnisses.

Hier lohnt eine ausführlichere Diskussion. Ich stimme dem Kollegen Schultheis insoweit zu. Wir werden sie in der Tat auch in der gebotenen Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit führen – mehr jedenfalls, als es im Rahmen dieser Aktuellen Stunde möglich ist.

Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Forscher ermutigen, ihre Verantwortung aus der Forschungsfreiheit anzunehmen. Dazu gehört auch die Abwägung im Zusammenhang mit der Einwerbung von Drittmitteln.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): Wir müssen den Diskurs über Forschung und Wissenschaft in der Gesellschaft suchen und unterstützen. Dabei haben wir noch viel zu tun. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier erst vorgestern über die finanzielle Ausstattung der Hochschulen für das kommende Jahr debattiert. Sie alle wissen noch: Der Vorschlag der Landesregierung sieht vor, dass es 7,9 Milliarden € für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung gibt.

Um es in Erinnerung zu rufen, möchte ich noch einmal Folgendes betonen, Herr Berger: Ihre Fraktion hat vorgeschlagen, Forschungsgelder zu streichen und 249 Millionen € weniger an die Hochschulen zu geben. Ich bin sehr froh, dass wir andere Mehrheiten haben, die dieses Geld in den Hochschulen halten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dr. Stefan Berger [CDU]: 1,2 Milliarden € mehr!)

Heute debattieren wir aber darüber, ob die mit Steuergeld finanzierte Infrastruktur der Hochschulen dazu genutzt wurde, im Auftrag des US-Militärs zu forschen. Man muss ehrlicherweise sagen: Wir alle sind genauso schlau wie die Leser der „Süddeutschen Zeitung“, die das gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk aufgedeckt hat.

Die Hochschulen sind nicht verpflichtet, das Parlament, die Landesregierung oder die Öffentlichkeit zu informieren, in wessen Auftrag sie forschen und an welchen Projekten sie arbeiten. Das geltende Hochschulgesetz sieht so etwas nicht vor. Wir sind darauf angewiesen, dass Journalistinnen und Journalisten recherchieren. Wir sind auf den guten Willen der Hochschulen angewiesen oder auch auf die Homepage der US-Regierung, auf der man nachlesen kann, welche Mittel von der US-Regierung kommen.

Anders würden wir nicht erfahren, ob Hochschulen im Auftrag des Pentagon forschen oder nicht. Allein schon diese Debatte zeigt: Wir brauchen mehr Transparenz. Wir müssen darüber sprechen, an welchen Punkten diskutiert wird. Deswegen ist es gut, dass wir den Referentenentwurf für das neue Hochschulzukunftsgesetz auf den Weg gebracht haben, wo Transparenz ausdrücklich vorgesehen ist.

Wir wollen, dass die Hochschulen über Drittelmittelprojekte informieren. Das sollen sie natürlich in geeigneter Weise tun. Denn wir wissen, dass die Hochschulen Drittmittel brauchen. Das ist übrigens zum größten Teil öffentliches Geld der EU, des Bundes und des Landes. Deswegen ist es eine sinnvolle Initiative, dass die Hochschulen über den Auftraggeber, den finanziellen Umfang und das Thema des Projektes informieren. Wo öffentliches Geld involviert ist, hat die Öffentlichkeit ein Anrecht auf Transparenz, was dort passiert.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir erst auf dieser Grundlage wirklich eine offene Debatte führen können und dass diese an den jeweiligen Hochschulen möglich ist. Eine solche Debatte zu führen, ist wichtig. Es ist ganz wichtig, sie nicht schwarz oder weiß zu führen. Manche Fälle sind nicht ganz eindeutig: Ist eine Traumatherapie abzulehnen, weil sie auch Kriegsveteranen helfen kann? Wollen wir Fortschritte auf dem Gebiet der Minenräumung verhindern, weil neben spielenden Kindern auch Soldaten gerettet werden können?

Nahezu unmöglich ist eine Abgrenzung zwischen militärischer und ziviler Nutzung in der Grundlagenforschung zum Beispiel bei den Materialwissenschaften oder in der Medizin.

Weil es so schwierig ist und weil das Grenzfragen sind, ist es ganz zentral, diese Fragen in der Hochschule zu diskutieren. Wir müssen die Voraussetzungen für die Transparenz schaffen. Denn Transparenz schützt die Hochschulen vor Debatten, die sich aus Unwissenheit speisen oder die Verschwörungstheorien nach oben fördern. Das ist im Interesse aller und vor allen Dingen im Interesse der Hochschulen.

Meine Damen und Herren, neben den Grenzfragen des Dual Use gibt es auch eindeutige Fälle: Die Entwicklung moderner Sprengköpfe oder neuartiger Munition hat keinen anderen Zweck als das Töten von Menschen. Hier stößt die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit an ihre ethischen Grenzen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Diese Grenzen müssen von den Hochschulen sowie von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert und definiert werden. Das Grundgesetz schützt die Forschungsfreiheit, aber es setzt gleichzeitig auf die Verantwortung der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Deswegen wollen wir mit dem neuen Hochschulzukunftsgesetz die Hochschulen bei diesem Prozess unterstützen und die notwendige Debatte vorantreiben. Sie alle können in § 3 Abs. 6 des Referentenentwurfs lesen:

„Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet …“

Sie können zwar darauf hinweisen, das stehe schon im Grundgesetz. Aber für mich ist es sinnvoll, das auch im Hochschulgesetz noch einmal deutlich zu machen, um die Hochschulen an diesen Auftrag zu erinnern. Erste Hochschulen haben das schon in ihrer Grundordnung verankert. Dieser Prozess ist für alle Hochschulen sinnvoll.

Wir werden das alles ausführlich im Gesetzgebungsverfahren diskutieren. Wir sollten einen Fehler aber nicht machen: Wir sollten die Relationen nicht aus den Augen verlieren.

Wie es aussieht, hat es seit dem Jahre 2000 insgesamt an 22 Einrichtungen in Deutschland Mittel in Höhe von 7,4 Millionen € gegeben. Der Presse können wir entnehmen, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen 150.000 € bekommen haben. Das sind nur drei Hochschulen. Schauen Sie sich diese Dimension an – 7,8 Milliarden € gegenüber 150.000 € –, ist das, was die einzelne Hochschule im Verhältnis zum Gesamtetat bekommen hat, nahezu mikroskopisch.

Ich halte es daher nicht für hilfreich von „amerikanischer Militärforschung im großen Stil“ zu sprechen, wie es im Antrag der Piraten für die Aktuelle Stunde der Fall ist. Wir diskutieren wirklich über Ausnahmefälle, nicht aber über die Regel.

Meine Damen und Herren, ich bin trotzdem dankbar für die Debatte, und zwar dann, wenn wir sie ohne Übertreibung und Alarmismus führen. Wir brauchen Transparenz in der Forschung. Wir brauchen auch die gesellschaftliche Debatte darüber.

Wir werden mit dem Referentenentwurf und dem Hochschulzukunftsgesetz wichtige Schritte in diese Richtung gehen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Haardt das Wort.

Christian Haardt (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „US-Militärforschung an NRW-Hochschulen aufklären“ ist der Antrag der Piraten für diese Aktuelle Stunde überschrieben. Wie meine Vorrednerinnen und Vorredner – zuletzt war es Frau Ministerin – zum größten Teil festgestellt haben, sind diese Titulierung und der Inhalt des Antrags maßlos überzogen.

Was wissen wir denn? Herr Dr. Paul, ich fange mit Ihnen und dem Beispiel Bochum an. Das haben Sie selber gelobt. Es ging um Grundlagenforschung, nämlich um die Mittel zur Optimierung von Messmethoden.

Wuppertal, die zweite Universität! Dort ging es um ein mathematisches Symposium. Konkret hat man die Verteilung von Wärme eines Heizkörpers im Raum berechnet. – Tolle Militärforschung!

Das sind zwei von drei Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Das bringt uns zunächst einmal zu der Frage: Was ist eigentlich Militärforschung? – Das ist doch die eigentlich spannende Frage, bevor man das Thema hier so „aufbauscht“. Was ist Militärforschung? – Definieren sich Forschung und der Inhalt von Forschung nach der Frage, wer die Forschung bezahlt? Dann ist das Militärforschung gewesen. Dann ist in der Tat über das Pentagon bei der Universität Wuppertal Geld angekommen, um mathematische Grundlagenforschung zu betreiben. Kon-kret wurde – ich habe es bereits gesagt – die Verteilung von Heizwärme, ausgehend von einem Heizkörper im Raum, berechnet. Das wäre – definiert man es nach der Frage, wer das Geld gibt – Militärforschung.

Für uns vielleicht etwas ungewöhnlich, aber vom Kollegen Schultheis schon erwähnt: In den USA ist es eben durchaus üblich, dass staatliche Stellen und das Militär Grundlagenforschung in Bereichen betreiben, die eigentlich überhaupt keinen militärischen Nutzen haben, es sei denn, es ist von militärischem Nutzen, dass es Generäle schneller warm haben, weil der Heizkörper im Raum richtig platziert ist.

Also: Im Grunde bleibt von einer etwas aufgeregten Debatte, die durch einen etwas aufgeregten Zeitungsartikel ausgelöst worden ist, jedenfalls für NRW am Ende des Tages nicht viel übrig. Denn auch die Journalisten haben sich zunächst einmal an der Frage orientiert, wer denn der Geldgeber ist. Das aber kann nicht die Frage sein, sondern wenn überhaupt dann kann die Frage allenfalls lauten: Was ist denn der Inhalt der Forschung?

Damit kommen wir zu der Frage zurück: Was ist eigentlich Militärforschung? – Ich denke, wir werden uns an der Stelle ganz schnell einig: Dort, wo – wie es Frau Ministerin gesagt hat – an der Optimierung eines Sprengkopfes geforscht wird oder es den klaren Auftrag gibt, beispielsweise die Qualität einer Glattrohrkanone, wie wir sie im Leopard 2 verwenden, zu verbessern, handelt es sich um Militärforschung. Ob das zulässige Forschung ist oder nicht, ist ein ganz anderes Thema. Auch die ist meines Erachtens zulässig.

Nehmen wir das Beispiel Universität München! Dort hat man es „Ökosprengstoff“ genannt. Über die Begrifflichkeit kann man ein bisschen streiten. Aber schon bei der Sprengstoffentwicklung muss man die Frage stellen: Ist das wirklich ausschließlich Militärforschung?

Die Forscher selbst gehen übrigens davon aus, dass ein nicht unerheblicher Teil dieses Sprengstoffs zivil eingesetzt wird. Das Problem war ja nicht die Optimierung eines Sprengstoffs im Hinblick auf die Sprengwirkung, sondern dass die allermeisten konventionellen Sprengstoffe für Rückstände sorgen, die umweltschädlich sind. Diese Rückstände sollten beseitigt werden, und zwar nicht mit der Zielrichtung auf den eigentlichen militärischen Einsatz, sondern damit die Truppenübungsplätze nicht verseucht werden und – jetzt sind wir bei dem Aspekt der zivilen Nutzung – im Bergbau, bei Abbruchfirmen keine umweltschädlichen Rückstände verbleiben, wenn man den Sprengstoff zivil einsetzt. Ist das noch Militärforschung?

Es geht noch weiter. Funktionskleidung kennen Sie alle: wasserabweisend, wärmend und trotzdem von innen Wasserdampf herauslassend, wenn man schwitzt. Ist solche Funktionskleidung und die Forschung an solcher Funktionskleidung Militärforschung?

Geht man nach den Journalisten, so ist es dann Militärforschung, wenn die Bundeswehr den Auftrag erteilt. Aber wenn irgendeine zivile Behörde den Auftrag erteilt, ist es keine Militärforschung. – Meine Damen und Herren, das kann beim besten Willen nicht das Kriterium sein.

(Beifall von der CDU – Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu den Themen „Drittmittelforschung“ und „Beseitigungsgesetz zum Hochschulfreiheitsgesetz“ – so will ich das ein-mal nennen – sagen:

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, es solle „in geeigneter Weise“ über Auftragsforschung unterrichtet werden. Meine Frage: Was ist „in geeigneter Weise“? Heißt das, dass ich Auftraggeber und Forschungsgebiet benennen muss? – Ich kann Ihnen auf Anhieb – auch aus meiner Heimatstadt – Firmen nennen, die dann keine Aufträge mehr an Universitäten vergeben würden, weil sie in ihrem Bereich Weltmarkführer sind, weil sie insbesondere bei der Verbesserung von Werkstoffen – bevor der Werkstoff abschließend entwickelt, marktfähig und patentierfähig ist – niemanden wissen lassen wollen, dass sie in diese Richtung forschen. Das heißt: Mit der Forderung, Universitäten müssen über solche Auftragsforschung unterrichten – das macht nur Sinn, wenn man dann Auftraggeber und Inhalt des Forschungsgebietes nennt –, legen Sie die Axt an die Drittmittelforschung, gerade im mittelständischen Bereich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Frau Ministerin, das tun Sie letztendlich sehenden Auges. Wir werden das nicht mitmachen. Wir freuen uns auf die weitere Debatte zum Hochschulentmündigungsgesetz und werden Sie dann darauf hinweisen, dass das jedenfalls für unsere Universitäten ein Irrweg ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Haardt. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bell.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es lohnt, die Debatte zu versachlichen, wie es einige meiner Vorredner getan haben. Ich mache das zu Beginn in der Funktion als Wuppertaler Abgeordneter.

Hier ist geäußert worden, dass drei nordrhein-westfälische Universitäten militärische Auftragsforschung durchgeführt hätten. Vorsicht bei diesen Aussagen. Ich glaube, sie sind nicht sachgerecht. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus einer Antwort des Leiters der Hochschulkommunikation, Johannes Bunsch, an die regionale Presse:

Zu keiner Zeit gab es Leistungen an das Militär. Allerdings sind zwei Projekte mit augenscheinlich zivilem Inhalt verfahrenstechnisch über Verwaltungsstellen der US-Airforce abgerechnet worden.

Der Grund ist banal, kann sogar missverstanden werden, erklärt Bunsch auf Nachfrage des „Tageblatt“. So sei etwa eine internationale Konferenz zur mathematischen Grundlagenforschung, die von Professorin Birgit Jacob im Jahr 2011 veranstaltet wurde, mit knapp 5.000 € vom Air Force Office of Scientific Research abgewickelt worden. Nachzulesen ist das im Federal Procurement Data System, einer Datenbank, die US-Aufträge ab einer bestimmten vierstelligen Summe auflistet.

Das hat mit der Frage militärischer Auftragsforschung aus meiner Sicht nichts zu tun. Die Frage, welche Titel wir uns für unsere Hochschulen über Pressearbeit und Öffentlichkeitsarbeit anziehen lassen, sollten wir miteinander kritisch bewerten. Das relativiert auch die Aufgeregtheit des hier eingebrachten Antrags, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Es ist immer wieder eine große Freude, nach Dr. Berger zu reden. Das muss ich wirklich sagen. Diese Chance zu bekommen, ist wirklich richtig klasse. Man muss erst einmal darauf kommen, bei einem Antrag über die militärische Forschung wider den Parforceritt zur Frage des neuen Hochschulgesetzes zu behaupten, die Grundlagenfinanzierung sei nicht ausreichend und das sei der Grund dafür, warum an nordrhein-westfälischen Universitäten militärische Forschung stattfinde.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Das habe ich nicht gesagt!)

– Das haben Sie gesagt, Herr Dr. Berger.

(Zurufe von der SPD)

Ihr Parteikollege hat gerade relativ deutlich gemacht, was von diesem Ansatz zu halten ist. Sie sagten darüber hinaus, die ideologische Prägung der Ministerin hätte dazu geführt, dass das Internet nicht entstanden wäre und damit auch die Piraten nicht, wenn sie frei hätte handeln können und von Ihnen als Abgeordnetem nicht ausgebremst worden wäre. Herr Dr. Berger, ich will Ihnen deutlich sagen, dieser Gedankengang war echt eine Bewerbungsrede für die „Heute Show“.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Ich werde Oliver Welke jedenfalls den Tipp geben.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich empfehle wirklich, auch in der Debatte über das neue Hochschulzukunftsgesetz verbal ein bisschen abzurüsten. Frau Freimuth, ich habe die sehr ruhige und sachliche Diktion Ihrer Rede aufgenommen. Aber Sie sprachen von einem Zivilklauseldiktat. Eine verbale Abrüstung tut an bestimmten Punkten durchaus not.

Wir werden uns der Debatte über die Frage, wie wir mehr gesellschaftspolitisch gewünschte Transparenz herstellen können, ohne die Forschungsbeauftragung an unsere Universitäten zu gefährden, nicht entziehen.

In Richtung der christdemokratischen Freunde will ich sagen, dass die Amerikaner ihre entsprechende Drittmittelforschung im Internet vollständig zur Verfügung stellen, weist nicht zwingend darauf hin, dass die Axt an die Drittmittelforschung gelegt wird, wenn man mehr Transparenz einfordert. Wir werden uns jedenfalls einer sachlichen Debatte nicht entziehen. Ich freue mich auf die Debatte und darauf, weiterhin nach Herrn Dr. Berger reden zu können. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema ist ohne Frage sehr sensibel. Wir sollten daher sehr sachlich und ruhig diskutieren. Das ist verschiedentlich schon gesagt worden.

Ich halte die von den Piraten vorgenommene Verknüpfung für problematisch. Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der NSA-Affäre und den Forschungsprojekten, um die es hier geht. Wir dürfen das Thema auch nicht auf die USA verengen. Es geht grundsätzlich darum, wie unsere Hochschulen erstens generell mit Forschungsaufträgen umgehen und wie sie zweitens mit militärisch relevanten Forschungsaufträgen umgehen. Man kann höchstens Unterschiede zwischen NATO-Partnern und Nicht-NATO-Partnern ziehen.

Wie ich eingangs sagte, sind wir uns alle darüber einig, dass militärisch relevante Forschung sensibel ist. Die Wissenschaftler tragen in erster Linie eine ethische Verantwortung. Es ist vollkommen klar, wir haben die Erwartung, dass sie mit dieser Verantwortung vernünftig umgehen. Wir können darüber sprechen, mit einem Verhaltenskodex allgemeine Normen zu vereinbaren. Vor allem aber sollten wir einen Diskurs mit den Hochschulen und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern führen. Wir als FDP wollen diesen Diskurs ausdrücklich.

Im Moment haben wir ein paar Presseberichte, einige Bestätigungen, aber auch Dementis. Wir brauchen zuerst einmal eine vernünftige Datengrundlage. Damit verbietet es sich aus meiner Sicht erst recht, nach weitreichenden gesetzlichen Regelungen zu rufen.

Ich erinnere noch einmal daran, dass die Forschungs- und Wissensfreiheit ein hohes Gut ist. Eingriffe – auch wenn sie gut gemeint sind – dürfen allenfalls sehr behutsam passieren. Zivilklauseln sind nicht der richtige Weg. Sie schränken genau diese Freiheit zu stark ein. Hier wird versucht, sensible Einzelfälle durch allgemeine Vorschriften zu regeln. Damit gefährdet man aber auch viele unproblematische oder letztlich zivil nutzbare Projekte. Dann sind sie offenbar auch noch unwirksam. Beispielsweise hat die Universität Bremen, die ja ebenfalls als Auftragnehmer benannt ist, eine Zivilklausel. Von daher bringt die Zivilklausel an dieser Stelle überhaupt nichts.

Also lassen Sie uns diesen Diskurs führen. Lassen Sie uns die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Dialog stärken, damit sie ihre Verantwortung sensibel wahrnehmen können. Das Thema eignet sich ausdrücklich nicht als Kronzeuge für die Absicht, die Freiheit der Hochschulen abzuschaffen.

(Beifall von der FDP)

Diese Verknüpfung ist auch unzulässig. Die Steuerungsfreunde von SPD, Grünen und Piraten haben ihre Regulierungslust schon oft unabhängig von diesem aktuellen Bezug ausgedrückt. Stellen Sie hier also bitte keinen Bezug her. Das wird dem sensiblen Thema, das wir heute diskutieren, nicht gerecht. Die Freiheit der Hochschulen bleibt eine Erfolgsgeschichte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Stichwort „Zivilklausel-Diktat“, Frau Freimuth, hat mich dazu bewegt, noch mal hier vorne in die Rede einzusteigen und etwas zu dem Thema „Zivilklausel“ zu sagen.

Die Frage, ob Forschung und Lehre an den Hochschulen auf friedliche Zwecke begrenzt werden soll, etwa mithilfe einer solchen Zivilklausel in der Grundordnung, wird zurzeit an sehr vielen Hochschulen diskutiert. Wir haben viele Einladungen der NRW-Hochschullandschaft bekommen, darüber zum Beispiel mit den Studierenden zu diskutieren. Und das ist nicht nur hier so, sondern das ist bundesweit so.

So verfügt bereits jetzt eine ganze Reihe von Hochschulen in Deutschland über Formulierungen in ihren Grundordnungen, die festschreiben, dass Forschung friedlichen Zwecken dienen soll. Ich nenne sie noch einmal: Das sind die Universitäten Konstanz und Tübingen. Die Hochschule Ulm verweist auf die im Leitbild festgeschriebene Haltung, dort entwickelte Technik solle sozialverträglich eingesetzt werden. Am Karlsruher Institute of Technology, dem KIT, muss zwischen dem nach wie vor mit einer Zivilklausel versehenen ehemaligen Forschungszentrum und dem Universitätsteil unterschieden werden. Und für letzteren hat der Senat am 12. Mai 2012 ethische Leitlinien beschlossen, zu denen auch eine Orientierung an friedlichen Zwecken gehört. Ebensolche finden sich in der Grundordnung der Universität Oldenburg, der Universität Rostock, der Universität Bremen und im Leitbild der TU Berlin.

Wozu also jetzt diese Aufregung darüber, Herr Hafke, was die Zivilklausel bei uns im Hochschulgesetz zu suchen habe? Der Wunsch, sich im Rahmen einer Leitbild-Diskussion an friedlichen Zwecken zu orientieren, ist offensichtlich an vielen Universitäten auch in Nordrhein-Westfalen vorhanden. Warum sollte sich dies in unserem Hochschulgesetz nicht widerspiegeln? Wettbewerb und marktorientiere Ansätze führen eben nicht allein zu mehr Nachhaltigkeit und Qualität an unseren Hochschulen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zum Abschluss gerne ein Zitat der Wissenschaftsministerin Theresia Bauer aus der Debatte in Baden-Württemberg vortragen, das meines Erachtens die Frage einer Zivilklausel entideologisiert und auch ins richtige Verhältnis setzt. Sie sagt:

„Hinter der Zivilklausel „steckt ein Anliegen, dem man alle Sympathie entgegenbringen möchte, nämlich das Anliegen, dass man sich darüber bewusst werden und sich klarmachen sollte …, dass Forschung relevant ist, dass Forschung risikobehaftet ist und dass Forschung sicher nicht immer einfach nur für Dinge eingesetzt wird, die gesellschaftlich erwünscht sind.

Die Sensibilisierung in dieser Frage, was man mit Forschungsergebnissen machen kann, die Notwendigkeit, dass sich Forscherinnen und Forscher damit auseinandersetzen, dass eine Hochschule auch darüber diskutiert und dass eine Gesellschaft in die Lage versetzt wird, zu entscheiden, wie sie damit umgehen möchte, alle diese Fragen sind hoch legitim, und es ist in der Tat notwendig, sie zu stellen.“

Deshalb ist unser Weg in Nordrhein-Westfalen eben kein Forschungsverbot, sondern eine Friedensklausel, verbunden mit der strikten Transparenzpflicht für Drittmittelströme. Forschungsthema, Fördervolumen und Geldgeber von Drittmittelprojekten sollen künftig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ist richtig so. Ministerin Schulze hat das eben auch so ausgeführt. Wir werden diesen Weg mit dem neuen Hochschulgesetz gehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Herr Abgeordnete Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Dr. Berger, ich ergänze noch: Ohne Atomkraftwerke gäbe es keine Grünen und ohne soziale Ungerechtigkeit keine SPD.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir alle wollen erfolgreiche Universitäten und dafür entschlossen an der Forschungsfreiheit festhalten. Hochschulen sollen sich dabei heute spezialisieren und ein bestimmtes Profil ausbilden. Bochum, Aachen und Wuppertal haben es auf eine traurige Art und Weise geschafft, innerhalb einer Woche ein ganz bestimmtes Profil auszubilden.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Bell, Herr Haardt, es geht vor allem um die weiterhin verheimlichten Projekte in Aachen und das zweite US-Projekt, auch verheimlicht in Wuppertal. Es geht nicht um die Konferenz.

Es ist bedauerlich, wenn der Ruf der Hochschulen aufgrund von Intransparenz und Misstrauen Schaden nimmt. Nur steckt dahinter keine demokratisch legitimierte Strategie einer Hochschulmehrheit, sondern das Vorgehen einzelner Forscher oder Fachbereiche. Herr Schultheis, Frau Seidl, Frau Ministerin, gerade wenn es um kleinere Beträge geht, wird die Tragik deutlich, die diese Drittmittel verursacht haben.

Meine Sorge ist, dass die Legitimität öffentlicher Forschungsförderung insgesamt leidet. Die Forschung ist aber von der Akzeptanz der Bürger in besonderem Maße abhängig.

Ein Beispiel: Ich habe schon Forderungen von Bürgern gehört, man müsse wegen des EU-For-schungsprogramms INDECT an der Universität Wuppertal die gesamten Mittel dieser Uni streichen.

(Beifall von den PIRATEN)

INDECT steht für Totalüberwachung der EU-Bürger. Als Pirat setze ich mich dafür ein, dass solche Forschungsvorhaben nicht mehr mit öffentlichen Geldern finanziert werden.

(Zurufe von Dr. Stefan Berger [CDU] und Marcel Hafke [FDP])

Wegen des hohen Gutes der Forschungsfreiheit würde ich aber niemals ein Verbot aussprechen, an der neutralen Technik selbst zu forschen.

Im März, als wir schon einmal über die Zivilklausel debattiert haben, hatten wir noch ganz andere Beispiele vor Augen, bei denen es darum ging, dass eine spätere militärische Nutzung nicht immer auszuschließen sei.

Herr Berger, Frau Freimuth, Herr Haardt und Herr Schultheis, das Militär ist nicht der Vater aller Dinge. Denn Geld, das während des Kalten Krieges in Militärforschung gesteckt wurde, hätte man viel erfolgreicher für die zivile Forschung verwenden können.

(Karl Schultheis [SPD]: Hat das jemand von uns behauptet?)

Aber, wenn wie in den aktuellen Fällen, das amerikanische Militär Auftraggeber ist, darf man auch nicht so naiv sein. Das ist ja so, als ob Sie die Panzerknacker-Bande fragt, ob Sie ein stabiles Brecheisen entwickeln können, und Sie sich am Ende darüber wundern, dass eine Bank ausgeraubt wurde.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn das amerikanische Militär Geld ausgibt, ist der Einsatzzweck völlig klar. Hier helfen aber keine Verbote. Hier hilft richtigerweise nur Transparenz.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie sagen jedoch nichts darüber, wie dieser Weg aussehen soll oder wie ein offener Dialog oder Forschung in Zukunft gestaltet werden soll. Darüber, wer diskutieren kann und wo diskutiert wird, wollen Sie jetzt diskutieren, Frau Ministerin Schulze. So habe ich das eben verstanden.

Vor allem ist aber der Zeitpunkt entscheidend, zu dem Öffentlichkeit hergestellt wird. Im Moment läuft es doch so, wie Frau Seidl das eben beschrieben hat. Ich interpretiere das aber etwas anders. Erst im Nachhinein erfährt die Öffentlichkeit, dass eine ihrer Universitäten eine neue Spionage-App entwickelt hat, damit Frau Angela Merkel und alle anderen auch weiterhin ausspioniert werden können. Wenn es so ist, dann muss die Öffentlichkeit vorher ergebnisoffen mitdiskutieren können.

Ich frage Sie daher: Wie wollen Sie die Wissenschaft und auch die verfasste Studierendenschaft an dem Diskurs beteiligen? Bremen hat gezeigt, dass Beliebigkeit nicht funktioniert, Frau Seidl. Vor der dortigen Debatte um die Zivilklausel, während der dortigen Debatte um die Zivilklausel und nach der dortigen Debatte um die Zivilklausel hat ein Bremer Forscher munter im Geheimen weitergeforscht, ohne auch nur an Offenheit zu denken – weil er die Moral der Befürworter nicht teilt oder um seiner persönlichen Vorteile willen. Was empfiehlt die Regierung im Umgang mit solchen Forschern? Frau Ministerin, das müssen Sie gleich auch noch erklären.

Was geschieht, wenn sich die Vertragspartner einfach auf § 8 des Informationsfreiheitsgesetzes berufen, das den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen regelt? Ihr Referentenentwurf nennt die Transparenz in einem Atemzug mit dem Schutz der Betriebsgeheimnisse. Wie stellen Sie sicher, dass Geheimniskrämerei beendet wird, wenn öffentliche Gelder im Spiel sind?

Ich komme zum Ende und betone, dass Sie, Frau Ministerin, mit der Ankündigung, mehr Transparenz zu schaffen, einer zentralen Forderung der Piraten nachkommen. Wir gehen davon aus, dass die Formulierung am Ende auch so ins Gesetz kommt. Da nehmen wir Sie beim Wort.

Es ist so, wie Herr Dr. Paul anfangs gesagt hat: Wenn Forschung im Verborgenen betrieben wird, wird dadurch Misstrauen geschürt, das eigentlich gar nicht nötig wäre. Transparenz hingegen stützt Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Nur dies sichert auf Dauer die Legitimation der Forschung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal darum bitten, in dieser Debatte nicht zu übertreiben und auch keinen Alarmismus zu betreiben. Die Forschungsfreiheit ist grundgesetzlich garantiert. Das hat Gründe. Es hat etwas mit unserer Geschichte zu tun. Diese Gründe sollten wir auch akzeptieren.

Wie kommt man jetzt zu Transparenz? So, wie das im Forschungsbereich immer läuft, nämlich nur über einen Diskurs. Das ist dem Wissenschaftssystem eigentlich auch immanent.

Deswegen ist es gut, dass der Referentenentwurf jetzt einen klaren Weg aufzeigt. Zwar werden wir es hier auch noch diskutieren. Ich empfehle Ihnen aber, doch noch einmal die Begründung in dem Referentenentwurf zu lesen. Dort ist klar dargelegt, wie dieser Weg verlaufen soll. Die hier getroffene Festlegung, dass die Hochschulen ihren Beitrag zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt entwickeln sollen und friedlichen Zielen verpflichtet sind, soll eine Diskussion in den Hochschulen und im Wissenschaftssystem ermöglichen. Dorthin gehört die Diskussion im Kern auch.

Das ist der richtige Weg, glaube ich. Diesen Weg sollten wir aber wirklich nicht mit Alarmismus und mit Übertreibungen gehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum einen habe ich mich noch einmal gemeldet, weil Herr Bell gerne nach mir redet und sich dann vielleicht auch noch einmal melden kann. Herr Bell, Sie haben gesagt, ich hätte die Drittmittelforschung abgelehnt. Lassen Sie mich das klarstellen. Ich habe gesagt, dass wir von der CDU auf folgendem Standpunkt stehen: Wir haben in der Tat erkennbar zu wenig Grundfinanzierung in Nordrhein-Westfalen.

Wir haben auch Wege aufgezeigt, wie man mehr Geld für das System generieren könnte – zum Beispiel über Studienbeiträge.

(Zurufe von Nadja Lüders [SPD] und Dr. Ruth Seidl [GRÜNE])

Sie wären zwar keine Grundfinanzierung. Das bei ansonsten unverändertem Haushalt dadurch frei werdende Geld – in vier Jahren immerhin 1,2 Milliarden € – stände dann aber zusätzlich für die Grundfinanzierung zur Verfügung. Wenn wir Ihnen die Gelegenheit geben, 1,2 Milliarden € mehr für ein System zu generieren,

(Nadja Lüders [SPD]: Diese Gelegenheit müssen Sie uns erst einmal geben!)

dürfen Sie uns also nicht vorwerfen, dass wir keine Vorschläge machen. Sie haben die Studienbeiträge abgeschafft. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber an dieser Stelle noch einmal erwähnen.

(Karl Schultheis [SPD]: Es ist aber nicht besser geworden!)

Zum anderen habe ich mich aber auch gemeldet, weil Herr Bayer hier gesprochen hat. Herr Bayer, wenn es einen Beleg dafür gibt, dass wir das aktuelle Hochschulfreiheitsgesetz erhalten sollten, dann war das Ihre gerade gehaltene Rede. Sie haben sich hierhin gestellt und im nordrhein-westfälischen Landtag verkündet: Ich bin politisch aktiv, und bestimmte Dinge passen mir politisch nicht; ergo darf darüber nicht mehr geforscht werden. – Herr Bayer, das ist genau das, was wir nicht wollen.

(Beifall von der FDP)

Nicht Sie sollen darüber entscheiden, worüber in Nordrhein-Westfalen geforscht wird. Nicht Frau Schulze soll darüber entscheiden.

(Nadja Lüders [SPD]: Ministerin Schulze!)

Nicht Rot-Grün soll darüber entscheiden. Sie sollen nicht die Köpfe zusammenstecken, Hochschulentmündigungsgesetze auf den Weg bringen und dann einen Hochschulbevormundungsplan auf den Weg bringen, um anschließend zu sagen, wo die Wissenschaftler ihre Schwerpunkte setzen sollen. Das kann nicht der Weg für eine erfolgreiche Wissenschaftslandschaft sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen ist es notwendig, das von Prof. Pinkwart entwickelte Gesetz unverändert beizubehalten.

(Ralf Witzel [FDP]: Genau das! – Beifall von der FDP)

Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen, Frau Ministerin. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf nicht nur die Planwirtschaft erfunden, sondern darüber hinaus auch die gerade diskutierten Zivilklauseln. Für die Besucher auf der Tribüne: Zivilklauseln sind Vorschriften, die ausschließen sollen, an Universitäten Forschung mit militärischem Nutzen durchführen zu können. – Wir haben eben lange über „Dual Use“ gesprochen. Man kann doch nie so einfach unterscheiden, wo es einen militärischen Nutzen, aber auch einen gesellschaftlichen Nutzen gibt. Wir haben über das Arpanet gesprochen, also eine Fülle von Beispielen gehört.

Sie benutzen diese Zivilklauseln, um ideologisch motivierte Tabuzonen für die Wissenschaft zu errichten. Das geht mit der CDU nicht.

(Dietmar Bell [SPD]: Sie halten die gleiche Rede noch einmal! Das ist gar nichts Neues! Das haben Sie doch vorhin schon gesagt!)

Für uns ist vollkommen klar: Nicht Sie oder irgendein anderer Politiker sollen entscheiden, wo es in der Wissenschaftspolitik entlangzugehen hat. Vielmehr sollen das die Hochschulen machen; denn sie wissen es am besten.

Die Erfolge, die in Nordrhein-Westfalen mit diesem Gesetz zu verzeichnen sind, geben uns recht. Es wäre für uns alle am besten, wenn es dabei bleiben würde. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Ende der Aussprache zu dieser Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

2   Energiewende darf Arbeitsplätze nicht gefährden – Landtag Nordrhein-Westfalen wehrt sich gegen die pauschale Streichung von Ökostrom-Rabatten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4441

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4517

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4519

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag zu den besonderen Ausgleichsregelungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das ist der technische Begriff. Besser bekannt sind sie als „Ökostromrabatte“.

Meine Damen und Herren, diese Sondervorschriften im EEG sind für die energieintensive Industrie in Deutschland und vor allem für die heimische Industrie überlebensnotwendig; denn etwa ein Drittel der hierunter fallenden Unternehmen haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Über 220.000 Arbeitsplätze hängen in unserem Bundesland davon ab, dass es diese Ausnahmen auch künftig – solange das EEG besteht – gibt.

Richtig ist natürlich, dass sich der internationale Wettbewerb ändert. Daher ist es auch richtig, dass diese Ausnahmeregelungen regelmäßig überprüft und angepasst werden.

Um es deutlich zu sagen: Die Ökostromrabatte sind kein Staatsgeschenk auf Kosten der Verbraucher. Nein, meine Damen und Herren, sie sind eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens für nordrhein-westfälische Betriebe.

Da sieht es im Moment aber leider ziemlich düster aus, insbesondere weil die Sonderregelungen systematisch in Verruf gebracht werden. Vor allem die Grünen werden nicht müde, zu versuchen, mit nachweislich unwahren Beispielen von den eigentlich relevanten Kostentreibern beim EEG abzulenken.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie kennen die Äußerungen von Herrn Trittin oder der stellvertretenden Ministerpräsidentin, Frau Löhrmann, die von EEG-Befreiungen für Golfplätze schwadronieren – wohl wissend, dass es diese nicht gibt. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass sich inzwischen die EU-Kommission eingeschaltet hat und sehr wahrscheinlich in den nächsten Tagen ein förmliches Prüfverfahren eröffnen wird.

Meine Damen und Herren, hierzu darf es nicht kommen! Denn – was vielen nicht bekannt ist – bereits die Verfahrenseröffnung hat gravierende Auswirkungen für die Unternehmen. Es müssen erhebliche Rückstellungen für die vergangenen Jahre gebildet werden.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus der vergangenen Woche im Fall des Flughafens Frankfurt-Hahn ist sogar damit zu rechnen, dass auch die bereits für das Jahr 2014 genehmigten Ausnahmen vorläufig suspendiert werden müssen. Von heute auf morgen ohne Vertrauensschutz!

Meine Damen und Herren, um das zu verhindern, ist Ministerpräsidentin Kraft vor drei Wochen bei EU-Kommissar Almunia gewesen – bisher leider ohne sichtbaren Erfolg. Denn was machte zeitgleich zum Besuch der grüne Koalitionspartner hier in Nordrhein-Westfalen? In der für unsere Industrie denkbar ungünstigsten Stunde eines drohenden EU-Verfahrens griff der Fraktionsvorsitzende, Herr Priggen, erneut die Ausgleichsregelung an. Sie soll pauschal eingekürzt werden – aber nicht in Sorge um steigende Stromkosten wegen der EEG-Umlagen, nein, um die ideologischen Feldzüge der Grünen gegen die Kohle und gegen die konventionelle Landwirtschaft weiterzutreiben. Die übrige heimische Industrie wird gleich mit in Geiselhaft genommen.

Ich zitiere aus dem Pressestatement von Herrn Priggen:

„Aber für andere Branchen wie den Braun- und Steinkohlebergbau oder Schlachthöfe gilt das Wettbewerbs-Argument nicht. Sie schöpfen auf Kosten anderer Wirtschaftszweige ab. In den vergangenen Jahren sind in unzulässiger Weise Ausnahmeregelungen erteilt worden.“

Weiter sagt er:

„Der Braun- und Steinkohlebergbau ist nur ein Beispiel.“

Für die Zementindustrie soll nach Ihrem Willen das Gleiche gelten, für die Nahrungs-, Getränke- und Futtermittelindustrie ebenso.

Meine Damen und Herren, diese Äußerungen sind brandgefährlich, weil sie Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen kosten können; denn auch diese Branchen – Herr Kollege Priggen, auch wenn Sie hier nicht anwesend sind – stehen in direktem oder indirektem internationalem Wettbewerb.

Meine Damen und Herren, deswegen muss sich der Landtag von dieser Meldung distanzieren: damit aus Nordrhein-Westfalen ein starkes Signal der Geschlossenheit nach Berlin und in diesen Tagen vor allem nach Brüssel geht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nordrhein-Westfalen ist die industrielle Herzkammer Deutschlands und soll es auch bleiben. Der Landtag steht zum Erhalt des Industriestandorts. Wir verteidigen die Notwendigkeit einer sachgerechten und verhältnismäßigen besonderen Ausgleichsregelung in Brüssel für alle Branchen, meine Damen und Herren. Deshalb bitten wir heute um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht der Herr Kollege Eiskirch.

Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, dies ist ein wegweisender Antrag der FDP.

(Dietmar Brockes [FDP] unterhält sich mit seinem Sitznachbarn.)

– Jetzt lobe ich den Kollegen Brockes schon fast, und er hört gar nicht zu.

(Dietmar Brockes [FDP] wendet sich dem Redner zu.)

Es ist ein wegweisender Antrag, den Sie hier vorlegen. Er ist deswegen wegweisend, weil er den Weg markiert, auf dem die FDP versucht, in Zukunft hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen auf Basis dessen, was im Koalitionsvertrag in Berlin festgelegt worden ist, Keile zwischen Rot und Grün in Nordrhein-Westfalen zu treiben.

Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Wir müssen ihn nur noch tiefer reintreiben!)

Zwischen den Grünen in Nordrhein-Westfalen und der SPD in Nordrhein-Westfalen gibt es eine breite Übereinstimmung. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir die klassisch energieintensiven Industrien, aber auch diejenigen, die mittelbar und unmittelbar im internationalen Wettbewerb stehen, für die Zukunft des Industriestandortes Nordrhein-Westfalen Entlastungen brauchen, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten und gar ausbauen zu können.

In einigen Branchen, das will ich überhaupt nicht verhehlen – denn wenn wir damit anfangen würden, dann hätten Sie eine Chance, mit Ihrer Strategie durchzukommen –, gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob diese Kriterien zutreffen oder nicht.

Das, was mich allerdings wirklich massiv ärgert, Kollege Brockes, ist das Pharisäertum dieses Antrags. Denn Sie hätten über Ihren Bundeswirtschaftsminister Gelegenheit gehabt, im Hinblick auf die Befreiungen der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, die im Moment davon betroffen sind, etwas zu tun.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brockes zulassen?

Thomas Eiskirch (SPD): Der Kollege Brockes quatscht ja, insofern braucht er keine …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ich korrigiere: eine Zwischenfrage des Kollegen Abruszat! Würden Sie die zulassen?

Thomas Eiskirch (SPD): Nein, einen Adjutanten aus der Reihe hinter ihm für eigene Unaufmerksamkeit braucht der Kollege Brockes nicht.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Kolleginnen und Kollegen, Ihr Fraktionsvorsitzender Christian Lindner hat vor wenigen Tagen in der „FAZ“ deutlich gemacht,

(Dietmar Brockes [FDP]: Die Angst ist ja greifbar!)

dass es unverzeihlich ist, dass Philipp Rösler die Gestaltung der Energiewende verschlafen hat. Genau an der Stelle hätte er etwas tun können. Der zukünftige Ex-Parteivorsitzende der FDP hätte über das BAFA gestalten und etwas für die nordrhein-westfälischen Unternehmen tun können. In seiner Pressemitteilung zur Energiepolitik der Großen Koalition in Berlin beklagt Herr Lindner:

„Durch eine gesetzliche Unschärfe und eine falsche Handhabe der zuständigen Behörde (BAFA) fällt die EEG-Ermäßigung seit diesem Jahr jedoch weg. Alleine bei ThyssenKrupp“

– ich sage: auch bei Outokumpu –

„geht es um eine Zusatzbelastung von 53 Millionen Euro.“

Das BAFA gehört in den Zuständigkeitsbereich Ihres Ministers auf Bundesebene, der bis heute im Amt ist und nichts tut, um für Nordrhein-Westfalen und die hier ansässige energieintensive Industrie entsprechende Vergünstigungen herbeizuführen!

(Zuruf von Ulrich Alda [FDP])

Insofern bitte ich Sie dringend, bevor Sie untaugliche Versuche unternehmen, hier Keile hineinzutreiben – deswegen werden wir den Antrag auch ablehnen –: Kümmern Sie sich vor Ihrer eigenen Haustür um die Unterstützung der energieintensiven Industrie und des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen! Werden Sie der Verantwortung gerecht, und lassen Sie solche Scharmützel sein! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter Eiskirch, bleiben Sie bitte noch am Rednerpult. Es liegt eine Kurzintervention des Herrn Abgeordneten Abruszat vor. – Bitte schön, Herr Kollege Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Eiskirch, nachdem Sie in Ihrer Souveränität meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, erlaube ich mir jetzt eine kurze Bemerkung. Sie haben versucht, deutlich zu machen, zwischen SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen würde in Fragen der Energiepolitik kein Blatt Papier passen.

(Christof Rasche [FDP]: Generell!)

Lesen Sie mal die heutige Ausgabe der „Aachener Nachrichten“ mit dem Titel „Schwarz-Rot belastet Rot-Grün“:

„Grüne im Landtag meinen, die Vereinbarungen der großen Koalition in Berlin gefährden den Ausbau der regenerativen Energien in NRW.“

Viel Spaß, Herr Kollege Eiskirch, bei den kommenden Gesprächen!

(Beifall von der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde!)

Thomas Eiskirch (SPD): Sehr geehrter Kollege Abruszat: Erstens. Mit Ihrer Kurzintervention haben Sie eindeutig meine Vermutung belegt, dass es der FDP nicht um den Industriestandort Nordrhein-Westfalen,

(Lachen von der FDP)

sondern um den Versuch geht, Keile zu treiben.

(Christof Rasche [FDP]: Ohne rot zu werden!)

Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Sagen Sie doch mal was zur Sache!)

Zweitens. Ich habe gerade in großer Offenheit gesagt, dass es beim Thema „EEG-Umlage“ große Schnittmengen zwischen Rot und Grün gibt, wie wir gemeinsam damit umgehen wollen,

(Lachen von der FDP)

und auch branchenspezifische Einschätzungen, wo wir unterschiedlicher Auffassung sind. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir gehen in einem internen Diskurs transparent damit um. Das unterscheidet uns von dem, was uns Schwarz-Gelb hier fünf Jahre vorgemacht hat. Da bin ich völlig entspannt.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber ich will Ihnen noch eines sagen, Herr Kollege Abruszat – das ist das wirklich Entscheidende –: Über die Frage, wie die gesetzlich unscharfen Regelungen aus dem Bundeswirtschaftsministerium auszugestalten sind, entscheiden nicht Rot und auch nicht Grün in Nordrhein-Westfalen, auch nicht die FDP in Nordrhein-Westfalen oder die CDU in Nordrhein-Westfalen,

(Kai Abruszat [FDP]: Sie schon gar nicht!)

sondern die Bundesregierung und die ihr nachgeordneten Behörden. Es ist schlicht und ergreifend das Versäumnis Ihres Bundeswirtschaftsministers, dass beispielsweise ThyssenKrupp in der jetzigen Situation ist. – Herzlichen Dank.

(Ralf Witzel [FDP]: Nebelkerzen!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Kufen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Es gibt nur einen Fakt: Die FDP ist raus aus der Nummer!)

Thomas Kufen (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, der Beginn der Debatte wird dem Thema nicht gerecht.

(Zuruf von der SPD: Da haben Sie völlig recht!)

Daran hat auch der Vorredner der SPD einen nicht geringen Anteil. Wenn man über Reflexe redet, muss man nicht gleichzeitig demonstrieren, dass sie auch ordentlich bedient wurden.

Angesichts des Themas will ich versuchen, noch einmal anders einzusteigen.

Der Antrag der FDP spricht in der Tat ein wichtiges Thema an. Ich habe nur gleichwohl den Eindruck, dass wir mit einer noch so imposanten, interessanten, kurzweiligen Zitatensammlung von hüben wie drüben in der Sache nicht weiterkommen. Dafür ist das Thema tatsächlich zu wichtig.

(Beifall von Thomas Eiskirch [SPD])

Denn es geht nicht um Zitate, es geht um Taten. Es geht um Arbeitsplätze und ganze Produktionsketten, die gefährdet sind, wenn die EU ihre Drohung wahrmacht, ein Beihilfeverfahren einzuleiten.

Dazu haben wir einen entsprechenden Entschließungsantrag eingereicht, der auch in Ihrer Rede, Herr Kollege Eiskirch, eine Erwähnung wert gewesen wäre. Aber Sie werden uns sicherlich gleich mit Ihrem Votum überraschen und zeigen, dass Sie sich damit kundig auseinandergesetzt haben.

Denn das ist die Gefahr, die besteht – und das sagen alle betroffenen Firmen, mit denen man sich in diesem Zusammenhang unterhält –: Schon die Einleitung eines Beihilfeverfahrens würde zu diesem Zeitpunkt gravierende Folgen für die Wirtschaft in unserem Land haben.

Ich will Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Essen nennen. Der Aluminiumhersteller TRIMET ist einer der größten Stromverbraucher Deutschlands. TRIMET sagt mir ganz klar: Schon allein die Einleitung des Hauptverfahrens seitens der EU, sogar ohne explizite Forderung nach Risikorückstellungen, hätte zur Folge, dass Banken und Lieferanten zu einer größeren Verunsicherung kämen, dass Kreditlinien unter Umständen sogar gestrichen und Aufträge gekürzt werden könnten. Unternehmen kämen damit in völlig untragbare Situationen. Dadurch dass die Liquidität gefährdet würde, müssten Produktionsstandorte stillgelegt werden.

Das Szenario lässt sich bei TRIMET illustrieren in Euro und Cent. Die Ökostromrabatte bei TRIMET machen 600 Millionen € für den Zeitraum 2010 bis 2013 aus. Diese Rückstellung in dieser Höhe hätte die sofortige Insolvenz dieses Unternehmens zur Folge.

Gleiches gilt übrigens, meine sehr verehrten Damen und Herren von Regierung und Opposition, für die Stahlindustrie. Fielen die Erleichterungen weg, würde die Stahlindustrie in Deutschland allein im kommenden Jahr knapp eine Milliarde Euro an EEG-Umlage zahlen müssen, die Hälfte davon bei uns in Nordrhein-Westfalen. Dies bedroht 49.500 Beschäftigte in der nordrhein-westfälischen Stahlindustrie mit einer Produktion von 14 Millionen Tonnen Roheisen bzw. 17 Millionen Tonnen Rohstahl im Jahr 2012 und einem entsprechenden Umsatz von 20 Milliarden €.

Auch dort kommt es zu der eindeutigen Aussage, dass unter diesen Bedingungen eine wettbewerbsfähige Stahlproduktion in Deutschland nicht mehr möglich wäre. Je nachdem, wie das Prüfverfahren ausgestaltet wird, würde es dazu führen, dass Unternehmen umgehend Insolvenz anmelden müssten, da Geldmittel langfristig gebunden wären. Investitionen am Standort kämen gar nicht mehr infrage, Produktionsstandorte kämen zum Erliegen.

Daher kommt es darauf an, wie wir die Energiewende gestalten, dass wie Versorgungssicherheit gewährleisten, Energie für die Verbraucher und für die Wirtschaft bezahlbar halten.

Das gilt im Besonderen eben hier in Nordrhein-Westfalen für die energieintensive Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht. Stuft die EU-Kommission die Entlastung aus dem EEG als unerlaubte Beihilfe ein, hätte dies erhebliche finanzielle und wirtschaftliche Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen. Das muss jeder wissen. Deshalb ist „Mätzchen mit Zitat“ an dieser Stelle unangebracht. Das sage ich ganz klar.

Fair ist ein mögliches Verfahren nur dann aus unserer Sicht, wenn die europäischen Umweltbeihilferichtlinien vorgelegt werden und wir einen angemessenen Zeitraum haben, uns darauf dann einzustellen und die deutschen Regelungen den entsprechenden europäischen Regelungen anzupassen. Bleibt das aus, sind wir sozusagen chancenlos in diesem Verfahren, weil die Entscheidung der EU für unsere Industrie viel zu gefährlich ist.

Statt einer streitenden Regierungskoalition dieses Thema zu überlassen, haben wir unseren eigenen Entschließungsantrag eingebracht, damit sich die Landesregierung analog zu der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie einsetzt.

Diese Regelung sollte europarechtlich abgesichert werden – das ist unsere Forderung. Die Finanzierung des EEG muss dauerhaft auf stabile Grundlagen gestellt werden. Obwohl wir ausdrücklich davon ausgehen, dass das EEG keine Beihilfe darstellt, muss die Landesregierung sich trotzdem dafür einsetzen, dass die EU-Rahmenbedingungen beihilferechtlich den Ausbau der erneuerbaren Energien weiterhin unterstützen.

Schließlich ist es wichtig, dass die Kriterien bei den besonderen Ausgleichseinrichtungen …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Thomas Kufen (CDU): Letzter Satz!

… in einzelnen Branchen anhand objektiver europarechtskonformer Maßstäbe zu überprüfen sind. Daher enthalten wir uns bei dem FDP-Antrag und bitten um breite Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich – ich muss es leider sagen –, mit welchen inhaltlich leeren Anträgen wir es hier zu tun bekommen. In diesem Fall haben wir es mit Erkenntnissen der FDP zu tun, die meint, diese mit uns teilen zu müssen.

Die Erkenntnisse sind: Bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen handelt es sich um zwei eigenständige Parteien. Diese befinden sich in einer Koalition. Die Koalitionsfraktionen haben viele Gemeinsamkeiten, aber an ein paar Stellen auch unterschiedliche Vorstellungen zur Vorgehensweise. – Ich kann mir da die Ironie beim besten Willen nicht verkneifen: Das sind wahnsinnig neue Erkenntnisse.

Es wäre allerdings toll, wenn die FDP noch ein paar Erkenntnisse hinzugewinnen könnte. Bei dem von ihr angesprochenen Thema der EEG-Umlagen-Befreiung handelt es sich um kein landespolitisches Thema. Zuständig ist zunächst der Bundestag. Ich kann ja verstehen, dass die FDP eine Ersatzbühne für den Bundestag benötigt, dann aber bitte auch mit inhaltlichen Anträgen und nicht mit dem billigen Versuch, die rot-grüne Koalition zu spalten. Jetzt springen ja leider auch noch CDU und Piraten auf diesen Zug auf. Aber ich kann Ihnen allen versichern: Es wird Ihnen nicht gelingen. Denn wir haben viele Gemeinsamkeiten, und die Basis ist unser rot-grüner Koalitionsvertrag, den ich gerne zitiere:

„In verschiedenen EU-Ländern werden Strompreise indirekt subventioniert. Im internationalen Wettbewerb stehende energieintensive Unternehmen in Deutschland sind deshalb auf wettbewerbsfähige Strompreise angewiesen, damit sie ihre Produktion und damit CO2-Emmisionen nicht ins Ausland verlagern.

Ausnahmen und/oder Kompensationen müssen auf die Bereiche begrenzt werden, in denen sie für faire Wettbewerbsbedingungen erforderlich sind.“

Da sehen Sie die Gemeinsamkeiten und die Linie. Die ganz wenigen Differenzen halten wir schon aus, da brauchen Sie keine Sorgen zu haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte mich natürlich vor der inhaltlichen Debatte nicht drücken. Denn wir Grüne sind der Meinung, dass die Befreiungen von der EEG-Umlage wirklich in den letzten Jahren überhandgenommen haben. Den Fakten kann sich eigentlich niemand entziehen: Im Jahr 2006 waren es noch unter 500 Befreiungen, im Jahr 2011 unter 1.000, und mittlerweile liegt die Zahl die Anträge bei über 2.000. Das ist eine Vervierfachung innerhalb von sieben Jahren.

Dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist, kann eigentlich jeder sehen. Von einem „Weiter so“, wie es in dem CDU-Antrag gefordert wird, kann also nicht die Rede sein.

(Thomas Kufen [CDU]: Quatsch!)

Die Konsequenzen für uns alle, für Stromkundinnen und Stromkunden, sind deutlich zu spüren: Die Befreiungen summieren sich im Jahr 2013 auf 5,6 Milliarden €. Allein 15 % des Anstiegs der EEG-Um-lage von 2013 auf 2014 sind auf diese überbordenden Befreiungen zurückzuführen.

Gleichzeitig möchte ich natürlich auf keinen Fall abstreiten, dass es zu Belastungen der stromintensiven Industrie durch die EEG-Umlage kommt. Zahlen aus dem Jahre 2012 zeigen jedoch, dass den Belastungen in Höhe von 137 Millionen € preissenkende Effekte in Höhe von 440 Millionen € gegenüberstehen. Diese preissenkenden Effekte kommen durch gesunkene Börsenstrompreise zustande, die eine Folge der Einspeisung erneuerbarer Energien sind. Die erneuerbaren Energien senken also den Börsenpreis und die Kosten für viele Unternehmen.

Überbordende Befreiungen sorgen jedoch dafür, dass andere Stromkunden höhere Lasten zu tragen haben. Wenn es also ernsthaft gewollt ist, den Strompreisanstieg für die Endkunden zu begrenzen, müsste die EEG-Umlagen-Befreiung auf wirklich im internationalen Wettbewerb stehende stromintensive Unternehmen zurückgeführt und die Weitergabe der erhöhten Börsengewinne an die Endkunden festgelegt werden. Den Strompreisanstieg einseitig den erneuerbaren Energien in die Schuhe zu schieben, ist einfach nicht ehrlich.

Lieber Herr Kufen, ich möchte gerne noch einen Satz zum EU-Beihilfeverfahren sagen. Dieses Verfahren wurde nicht eröffnet, weil in einem Bundesland Rot-Grün über Einzelheiten diskutiert, sondern weil dort Tatsachen entscheiden. Und das sind, wie ich eben festgestellt habe, die massiv ausgeweiteten Befreiungen der letzten Jahre.

(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

Zu guter Letzt meine wirklich gutgemeinte Empfehlung für alle Oppositionsparteien in diesem Fall:

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Bringen Sie inhaltlich konstruktive Anträge ein, statt uns hier unnötig mit Ihren bahnbrechenden Erkenntnissen, mit Nichtzuständigkeiten und Ihren vergeblichen Versuchen, die rot-grüne Koalition auseinanderzutreiben, zu beschäftigen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und draußen! Zu Beginn möchte ich, auch wenn es mir persönlich eher schwerfällt, Herrn Kollegen Lindner aus der antragstellenden Fraktion zitieren, der gerade nicht anwesend ist:

„Das war die Chance, uns durch eine rationale und marktwirtschaftliche Energiepolitik gegen alle Mitbewerber zu profilieren. Es ist unverzeihlich, dass wir sie nicht genutzt haben.“

So äußerte er sich gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und warf dem leider immer noch amtierenden Wirtschaftsminister Rösler Versagen vor. Diesem Vorwurf können wir uns gerne ohne Vorbehalte anschließen.

Unklar bleibt jedoch, was der Kollege Lindner unter einer rationalen Energiepolitik versteht. Liest man den vorliegenden Antrag, beschreibt der erste Absatz banale Selbstverständlichkeiten. Insofern ist durchaus Rationalität zu erkennen. Wenn Unternehmen subventioniert werden – egal ob direkt oder indirekt –, muss es dafür sachgerechte und europarechtskonforme Kriterien geben. Es muss regelmäßig geprüft werden, ob die Bedingungen noch erfüllt sind. Wir stimmen daher zu und haben diese Forderung an das Plenum in unseren Änderungsantrag übernommen.

Zweifel an der Rationalität kommen jedoch beim zweiten Absatz auf. Die pauschale Herausnahme bestimmter Branchen aus der Besonderen Ausgleichsregelung im EEG „entspricht nicht den Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen“, heißt es dort. Wessen Interessen sind aber die des Landes NRW? Die Interessen einzelner Unternehmer? Das Interesse der RWE? Hier sollen uns nach Vulgär-liberallala-Manier wieder einmal betriebswirtschaftliche Partikularinteressen als volkswirtschaftliche Gesamtinteressen angedreht werden.

Schauen wir uns doch eine der im Antrag der FDP genannten Branchen genauer an, die nicht pauschal aus der Privilegierung herausgenommen werden soll, nämlich den Bergbau, speziell den Abbau der Braunkohle. Mitten in der Energiewende erlebt ausgerechnet die besonders schmutzige Braunkohle eine Renaissance. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres stieg die Produktion von Braunkohlestrom um 11,7 %. Bereits im Jahr 2012 hatte sie um rund 5 % zugelegt. Die Bundesnetzagentur prognostiziert in einer kürzlich erschienenen Studie, dass eine Abschwächung oder gar eine Umkehr dieses Trends nicht abzusehen ist.

Geradezu absurd ist, dass ausgerechnet die Braunkohle immer stärker vom Erneuerbare-Energien-Gesetz profitiert. So war in „SPIEGEL ONLINE“ zu lesen, dass laut einem als „vertrauliche Verschlusssache“ deklarierten internen Dokument der Bundesregierung die Rabatte bei der Ökostromumlage für den energieintensiven Braunkohletagebau von 43,5 Millionen € im Jahr 2012 auf 67,6 Millionen € in diesem Jahr zulegten. Das ist ein Anstieg von 55,4 % innerhalb eines Jahres.

Die Vertraulichkeit begründet die Bundesregierung mit der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses der Tagebaubetreiber. Ich erspare mir den Hinweis darauf, was wir Piraten von solcher Vertraulichkeit halten.

(Beifall von den PIRATEN)

Die FDP setzt sich in ihrem Antrag dafür ein, dass es genauso bleibt. Herr Lindner fordert zeitgleich rationale und marktwirtschaftliche Energiepolitik. Das ist eine Rationalität, die sich nur einem radikalen Marktliberalen erschließt, wobei sich die Frage stellt, wie Subventionen eigentlich in das liberale Marktverständnis der Antragsteller passen. Das sind schizoide Argumentationsmuster, verursacht durch Wahrnehmungsstörungen und Realitätsverweigerung.

(Henning Höne [FDP]: Witzig!)

Das ist typisch für Sekten, aber das lassen wir jetzt mal.

Aus unserer Sicht müssen die Rabatte bei der EEG-Umlage für die energieintensive Industrie alle auf den Prüfstand. Das gesamte System muss neu geregelt werden im Interesse aller Bürger.

(Beifall von den PIRATEN)

Grundsatz muss sein, dass eine Privilegierung, wenn überhaupt, nur in Betracht kommen kann für Unternehmen, die tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehen. Für Rabatte braucht es gute Gründe, zum Beispiel den Nachweis, dass besondere Anstrengungen im Hinblick auf Energieeffizienz unternommen werden. Nur das ist rational und im Interesse der Menschen in NRW. Für diese Interessen stehen wir ein, nicht aber für die Interessen einzelner Unternehmen oder Branchen. Das überlassen wir gerne der Mövenpick-Partei.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dennoch sind wir bereit, das Rationale im Absurden zu suchen. Deshalb haben wir das Selbstverständliche in unseren Änderungsantrag übernommen und bitten hier um Ihre Zustimmung – auch um die der FDP.

Der Entschließungsantrag der CDU ist wohl etwas in Eile gestrickt worden. Es steht nicht drin, dass Sie eigentlich gegen die Energiewende im Land wie im Bund sind. Das haben Sie vergessen, hineinzuschreiben. So steht da nichts wirklich Böses und Verkehrtes drin. Also kann man auch diesem Antrag zustimmen, obwohl er ziemlich wischiwaschi ist und man nicht so genau weiß, ob mehr wischi oder mehr waschi. Es steht, wie gesagt, nichts wirklich Verkehrtes drin. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung, damit kein falscher Eindruck entsteht – ich glaube, dass auch die Antragsteller mir da zustimmen –: Wir reden hier über ein sehr spezielles, in der Tat sehr aktuelles Problem.

Es sollte aber nicht den Blick verstellen: Die Herausforderungen der Energiewende werden wir nicht über besondere Ausgleichsregelungen, Ausnahmetatbestände und Sonderregulierungen bewältigen. Im Kern steht nicht die Frage, wie wir Kosten der Energiewende verteilen, sondern im Kern der Debatte – darüber haben wir gestern auch intensiv gesprochen – muss die Frage stehen, wie Kosten der Energiewende begrenzt werden und wie wir die gemeinsam und auch ziemlich unstreitig festgelegten Ziele bis zum Jahre 2050 erreichen.

Hier ist jetzt ein besonderes Thema aufgerufen, nämlich die Zukunft der Besonderen Ausgleichsregelung. Herr Rohwedder von den Piraten, Sie haben hier davon gesprochen, dass es wieder mal nur um Partikularinteressen gehe. Ich glaube, das waren ungefähr Ihre Worte. – Sie bestätigen mir das durch Nicken. Sehr geehrter Herr Rohwedder, ich will dem ausdrücklich und intensiv widersprechen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Es geht nicht um die Interessen irgendwelcher „böser“ – in Anführungsstrichen, weil ich mir das nicht zu eigen mache – Unternehmer, die die Umwelt verschmutzen, sondern es geht im Kern darum, die Interessen von 220.000 direkt beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Nordrhein-Westfalen zu verteidigen. Ich finde, dafür lohnt jede Diskussion, und das sind keine Partikularinteressen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

220.000 Beschäftigte in den genannten Branchen! Ich nenne ein Rechenbeispiel: Wenn ein Betrieb mit einer Größenordnung von 1 % androhen würde, zu schließen, würde das vieles von dem übersteigen, was wir hier manchmal diskutieren, und wir alle – wahrscheinlich parteiübergreifend – würden auf den Werkshof gehen und uns dafür einsetzen, dass dieser Betrieb mit der entsprechenden Hilfe, die politisch notwendig ist, erhalten bleibt.

Hier geht es nicht um 1 %, sondern um 100 %: 220.000 Beschäftigte. Dem Beispiel von Herrn Kufen – TRIMET – könnte man andere hinzufügen, ob das nun Hydro ist oder Voerdal mit all den Schwierigkeiten – Insolvenzverfahren –, die wir dort in den letzten zwei Jahren erlebt haben. Dann eine Regelung auf den Weg zu bringen, die dazu führen würde, dass dieser Betrieb von heute auf morgen schließen muss, wäre eine wirkliche Katastrophe, und deswegen ist es richtig, dass wir uns für den Erhalt dieser Besonderen Ausgleichsregelung einsetzen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Das gilt nicht nur für den Aluminiumbereich, sondern auch für die Stahlindustrie. Das gilt im Übrigen aber auch für Zement oder den Bergbau.

(Beifall von der FDP)

Ich will das an dem Beispiel Bergbau deutlich machen. Darüber wird so leicht gesprochen, und Sie haben sich geschickterweise nur auf die Braunkohle bezogen, weil das bei der Steinkohle so einfach ist nach dem Motto: Wenn die ein Defizit machen, wird das wieder ausgeglichen. – Das war ursprünglich der Plan – anhand einer Liste nachzulesen – von Noch-Bundesumweltminister Altmaier. Das regnet hier aber mit einem zweistelligen Millionenbetrag direkt in den Landeshaushalt. Auch deswegen müssen wir uns dafür einsetzen, dass solche Regelungen erhalten bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Manche Gegner des EEG in Brüssel, aber auch in Deutschland, und zwar in Ecken, in denen man das gar nicht so vermutet hätte – das ist hier nämlich nicht so einfach mit schwarz-weiß, rot-grün, schwarz-gelb oder wie auch immer; das ist ganz bunt –,

(Armin Laschet [CDU]: Nord-Süd!)

haben geglaubt, dass sie, wenn sie in Brüssel die Besondere Ausgleichsregelung torpedieren und ein entsprechendes Verfahren befeuern, dadurch die Abschaffung des gesamten EEG befördern können. Deswegen waren sie da mit im Boot.

Jetzt erleben wir die Situation, dass, bei all den Reformbemühungen, die nun auf den Weg gebracht werden, nicht das EEG abgeschafft wird, sondern dass die Ausnahmetatbestände abgeschafft werden und wir damit wirklich das Kind mit dem Bade ausschütten.

Das ist der EU-Kommission im Grunde gar nicht vorzuwerfen; denn die ist gezwungen, sich mit solchen Themen, wenn sie denn vorgetragen werden, auseinanderzusetzen. Insbesondere auch die Entscheidung mit Blick auf das Nachbarland Österreich zwingt sie dazu, jetzt irgendwann zu Potte zu kommen.

Ich bin der Meinung, dass sich das, was die FDP hier ursprünglich beantragt hat, erübrigt, weil sich diese Landesregierung seit Langem dafür einsetzt, dass NRW ein guter Standort für stromintensive Industrien bleibt und dass Wertschöpfungsketten erhalten bleiben, sich aber auch besonders dafür einsetzt, dass faire Wettbewerbsbedingungen gelten. Da geht es nicht nur um die EEG?Umlage, sondern auch um die Summierung von EEG-Umlage, Netzentgelten, Emissionshandel, Stromsteuer und all diesen Dingen. Wir müssen sehen, wie die Belastungen für die Industrie in der Summe sind.

Wir sorgen mit unserer klaren Haltung in dieser Landesregierung dafür, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit für die stromintensive Industrie erhalten. Wir sind dafür, dass die Kriterien überprüft werden. Wir wollen das europarechtskonform machen.

Daher ist es nicht sinnvoll, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sich bestimmte Branchen vorzunehmen. Zum einen haben Sie gar nicht alle genannt, die zur Zeit davon profitieren, und zum anderen muss es darum gehen, objektive, europarechtskonforme Kriterien zu finden und das nicht nur nach dem Motto „Das sind die Guten, und das sind die Schlechten“ zu machen und dann eine politische Auswahl von Branchen vorzunehmen, sondern es müssen einheitliche Kriterien gelten.

Für uns ist wichtig: Die EEG-Reform, die im nächsten Jahr kommen soll, muss der Vorläufer der Reform einer Ausgleichsregelung sein. Es macht keinen Sinn, erst das eine und dann das andere zu ändern, sondern das muss hintereinandergeschaltet werden, also Hand in Hand gehen. Dabei ist für uns die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entscheidend.

Lassen Sie mich abschließend einen Punkt hinzufügen, auf den Herr Eiskirch zu Recht hingewiesen hat: Egal welche Regelung wir haben – die Anwendung durch das BAFA bedarf einer gesonderten Betrachtung; denn bei all den politischen Diskussionen, die wir hier kreuz und quer haben, kann und darf es nicht sein, dass eine deutsche Behörde im Ergebnis der Meinung ist, dass zum Beispiel Stahlwerke gar nicht unter diese Regelung fallen.

Denn was nützt uns die beste Regelung, wenn die nachweislich im internationalen Wettbewerb stehenden und nachweislich energieintensiven Indus-trien dann davon nicht einmal profitieren, meine Damen und Herren?

Deswegen brauchen wir eine klare Regelung und eine klare Verwaltungspraxis für die Interessen der hier beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die energieintensive Industrie in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich möchte darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um zweieinhalb Minuten überzogen hat. Gibt es noch Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/4519. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag abgelehnt mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen, FDP und der Stimme des fraktionslosen Abgeordneten Stein gegen die Stimmen der Piraten.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der FDP Drucksache 16/4441. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Inhalt dieses Antrags. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten bei Enthaltung der CDU-Fraktion und bei Zustimmung der FDP-Fraktion.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/4517. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen.

(Zurufe: CDU!)

– Hier steht: über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4517. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der CDU abgelehnt von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD bei Zustimmung der CDU bei Enthaltung der FDP-Fraktion und bei Nichtbeteiligung der Fraktion der Piraten – wenn ich das von hier aus richtig gesehen habe.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wir haben zugestimmt!)

– Abgelehnt?

(Zurufe: Zugestimmt!)

– Zugestimmt. – Damit gibt es die Zustimmung der Fraktion der Piraten zu dem Entschließungsantrag Drucksache 16/4517 der Fraktion der CDU. Aber insgesamt ist dieser Antrag durch die Mehrheit des Landtags abgelehnt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das war Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

3   Land muss umfassende Aufsicht über wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in schwieriger Finanzlage garantieren

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4434

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Herrn Kollegen Nettelstroth das Wort.

Ralf Nettelstroth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen nimmt zu. Viele Kommunen erhoffen sich durch die Aufnahme wirtschaftlicher Betätigungen zusätzliche Deckungsbeiträge, und zwar zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Daseinsvorsorge, aber auch zur Senkung ihrer Haushaltsdefizite.

Größere Kommunen haben teils schon ein umfassendes Beteiligungsmanagement aufgebaut, um ihre unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen zu verwalten.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass der erhofften Gewinnaussicht bei einer wirtschaftlichen Betätigung immer auch das Verlustrisiko bis hin zur Totalabschreibung der Investition gegenübersteht.

In Nordrhein-Westfalen ist die Frage der Zulässigkeit der wirtschaftlichen bzw. energiewirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden in §§ 107 und 107a der Gemeindeordnung geregelt. Neben der Voraussetzung, einen definierten öffentlichen Zweck erfüllen zu müssen, hat die wirtschaftliche Betätigung der Kommune nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Gemeinde zu stehen.

Von daher sind die Gemeinderäte aufgefordert und gehalten, sich nicht nur über die Chancen und Risiken des beabsichtigten wirtschaftlichen Engagements von ihrer Verwaltung unterrichten zu lassen, sondern auch im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung und der damit einhergehenden kommunalen Selbstverantwortung zu prüfen, ob die wirtschaftliche Betätigung nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur eigenen gemeindlichen Leistungsfähigkeit steht. Dabei werden insbesondere drei Kriterien zu berücksichtigen sein.

Erstens. Die Gemeinde muss in der Lage sein, die wirtschaftliche Betätigung erfolgreich zu steuern. Sie sollte also über ein qualifiziertes Beteiligungsmanagement verfügen.

Zweitens. Die Gemeinde muss den finanziellen Aufwand, der erforderlich ist, die wirtschaftliche Betätigung aufzunehmen, ohne Vernachlässigung ihrer anderen Aufgaben tragen können.

Drittens. Die Gemeinde muss prüfen, ob die mit der wirtschaftlichen Betätigung verbundenen Risiken für den Haushalt tolerierbar sind. Dabei ist darauf zu achten, ob die Erträge der Gemeinde im Übrigen ausreichen, die Finanzierungskosten zu decken. Ferner muss die Gemeinde das Risiko des Wertverlustes einer Beteiligung mit entsprechender Auswirkung auf das gemeindliche Vermögen verkraften können.

Eine Entscheidung auf Basis der vorgenannten Kriterien durch die Gemeinde unterliegt der Überprüfung durch die Kommunalaufsicht.

Genau hier setzen wir mit unserem Antrag auf eine umfassende Prüfung durch die Kommunalaufsicht an. Zwar mag grundsätzlich die Gemeinde im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative oder ihres Beurteilungsspielraums eigenständig entscheiden können; allerdings kann die Kommunalaufsicht wegen eines Rechtsverstoßes einschreiten, wenn die gemeindliche Einschätzung des Sachverhaltes unter offensichtlichen Mängeln leidet.

Gerade bei Kommunen in schwieriger Haushaltslage dürfte sich bei Aufnahme wirtschaftlicher Betätigung ein geringer Spielraum ergeben. So wird im juristischen Schrifttum die Auffassung vertreten, dass bei Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzept die Aufnahme von gewagten Wirtschaftsaktivitäten schlichtweg ausgeschlossen ist. Grundsätzlich hat daher die Kommunalaufsicht im Einzelfall die Möglichkeit, gerade bei HSK- und Stärkungspaktgemeinden die beabsichtigte wirtschaftliche Betätigung zu untersagen. Denn Gemeinden, welche die Hilfe des Landes oder gar anderer Kommunen in Anspruch nehmen, würden hier Verluste erwirtschaften, die andere Gemeinden und letztendlich auch das Land mit zu tragen hätten.

Die Kommunalaufsicht hat somit auch die Interessen der sogenannten abundanten Kommunen im Stärkungspakt und des Landes zu beachten. Letztendlich geht es darum, dass die Kommunalaufsicht in die Lage versetzt wird, ihre rechtlichen Möglichkeiten tatsächlich auszuschöpfen und sicherzustellen, dass etwaige Risiken allein von der Gemeinde zu tragen sind, welche die jeweilige Betätigung aufnehmen möchte.

In diesem Sinne freuen wir auf die Diskussion im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die Rede passte zum Antrag!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nettelstroth, ich bin schon überrascht, dass Sie uns die §§ 107 und 107a der Gemeindeordnung noch einmal so umfassend erläutert haben.

(Heiterkeit von Hans-Willi Körfges [SPD])

Ich bin wirklich überrascht. Denn als wir den Politikwechsel 2010 eingeleitet haben – vielleicht wissen Sie es –, bestand eine der ersten Reformen, die wir hinsichtlich der Gemeindeordnung auf den Weg gebracht haben, darin, den Kommunen die wirtschaftliche Betätigung wieder zu ermöglichen. Das war auch gut und richtig so.

(Beifall von der SPD)

Ich darf Sie daran erinnern, dass hier zwischen 2005 und 2010 ein Klima vorgeherrscht hat, das ich unter dem Mantra „Privat vor Staat“ zusammenfassen möchte. Damit haben wir zu Recht aufgeräumt. Schließlich hat auch der vorangegangene Tagesordnungspunt, bei dem es um Energiewirtschaft ging, deutlich gemacht, dass eine kommunale Energiewende ohne Stadtwerke undenkbar ist und die Energiewende in Deutschland ganz ursächlich von den kommunalen Stadtwerken bestritten wird.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Was allerdings die Rechtsaufsicht über mittelbare Beteiligungen, also Beteiligungen der Städte, die nicht unmittelbar im Haushalt der Stadt zu finden sind, angeht, so haben Sie die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen gerade hinreichend erläutert. Ich glaube, dass wir diese Diskussion im Kommunalausschuss führen sollten, damit es auch für Sie noch einmal nachvollziehbar wird. Dieser Debatte werden wir uns natürlich nicht verweigern. Insofern stimmen wir der Überweisung an den Kommunalausschuss zu. Dort werden wir die Diskussion weiterführen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. – Nun spricht für die grüne Fraktion Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich bei der Lektüre des Antrags ernsthaft gefragt, was Sie, Herr Kollege, damit bezwecken wollen. Welche Intention haben Sie denn? Was soll denn damit erreicht werden?

Als ich mir die Beschlusspunkte angeschaut habe, dachte ich: Denen könnten wir auch zustimmen. Denn es würde nichts passieren.

(Heiterkeit von Hans-Willi Körfges [SPD])

Wenn Sie – ich versuche, es zu interpretieren – sich auf ein Gutachten, das die FDP bei Herrn Prof. Oebbecke in Auftrag gegeben hat und den STEAG-Deal betrifft, beziehen würden, hätte ich noch eine ordnungspolitische Idee, worum es geht. Aber auch das tut der Antrag erkennbar nicht.

Um direkt mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen, die in dem Zusammenhang bestehen: Es ist keinesfalls so, wie es die FDP zu suggerieren versucht, dass die Städte im Auslandsgeschäft mit der STEAG Verluste machen würden. Man kann sich selbstverständlich ordnungspolitisch darüber unterhalten, ob es sinnvoll ist, im Ausland Geschäfte zu machen. Aber auch diese Frage wirft der Antrag nicht auf. Sie sagen nur: Wenn die Kommune finanzschwach ist, dann soll die Kommunalaufsicht möglichst genau hinschauen, ob sich die Kommune dieses Geschäft leisten kann oder nicht. Dann haben Sie eine gewisse Interpretation der bestehenden Gemeindeordnung vorgenommen, die allerdings nicht ganz zutreffend ist; darüber können wir dann im Ausschuss sprechen.

Auf einen zweiten Punkt möchte ich hinweisen: Dass wir energiewirtschaftlich da sind, wo wir sind, dass nämlich die Oligopole der Energieunternehmen Konkurrenz von den Stadtwerken bekommen können, ist richtig, und das wollen wir. Wir wollen auch eine Bevorteilung der kommunalen Stadtwerke in dem Zusammenhang.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das halten wir für richtig. Dafür schämen wir uns auch nicht. Schließlich haben wir uns nach der Kommunalwahl als Allererstes dafür aufgestellt, und in diese Richtung wollten wir auch. Denn wir halten es für falsch, dass RWE, E.ON, Vattenfall und andere den Markt beherrschen. Die Energiewende muss gestaltet werden, und insofern halten wir das für richtig.

Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Kommunalpolitik? Haben Sie Angst vor dem Fraktionsvorsitzenden Kufen in Essen, der all diesen Punkten so zugestimmt hat? Haben Sie Angst vor den Kolleginnen und Kollegen aus dem Ruhrgebiet, die sich in der Frage ordnungspolitisch offenkundig anders aufstellen? Das frage ich mich. Ich frage mich auch, welche Debatten in dem Zusammenhang in der Landtagsfraktion ablaufen. Das würde mich brennend interessieren, weil es auch wichtig für unsere Diskussion sein könnte, wie hiermit ordnungspolitisch umzugehen ist.

Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich unter anderem wegen des STEAG-Deals überlegen kann, ob das alles so richtig gewesen ist,

(Kai Abruszat [FDP]: Aha!)

was wir da organisiert haben. Ich meine aber, Herr Kollege Abruszat – im Übrigen hat das mit der Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts gar nichts zu tun, weil die Vorgänge aus der Zeit zuvor stammen; aber das ist ein anderer Zusammenhang, der Ihnen immer noch nicht erkennbar ist –, dass die Reform des § 107a sehr gut und sehr wichtig war. Und ich sage auch: Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut.

Ich möchte mit einem Hinweis auf Ihre aktuelle aktive Kommunalpolitik schließen. Vielleicht sollten Sie sich lieber darum kümmern, dass sich Stärkungspaktkommunen eben nicht an Ausbauprojekten beteiligen. Dies halte ich für falsch. Aber dafür ist der Landtag nicht die richtige Bühne. Vielmehr müssten Sie auf Ihrem Parteitag und in den Gremien vor Ort mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Clinch gehen und nicht den Landtag als Ausweichbühne nutzen. Ich halte den Antrag für schlicht überflüssig. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Abruszat.

Kai Abruszat (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Nettelstroth, ein ganz herzliches Dankeschön für diesen Antrag;

(Beifall von der FDP)

denn er bietet uns Gelegenheit, noch einmal über die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen zu sprechen. Im Übrigen fußt er auch auf dem schon vom Kollegen Mostofizadeh angesprochenen Gutachten, das wir beim Wissenschaftlichen Dienst in Auftrag gegeben haben, der wiederum Prof. Oebbecke damit betraut hat. Über dieses Gutachten werden wir zu gegebener Zeit noch sprechen müssen.

Zum Antrag der Union sage ich ein wenig kritisch: Uns fehlen in dem Antrag konkrete Forderungen, wie wir das aufsichtsrechtliche Instrumentarium gegen eine ausufernde gemeinwirtschaftliche Tätigkeit verbessern können. Denn das ist ja letztendlich die Konsequenz, Herr Kollege Nettelstroth, über die wir diskutieren müssen. Dazu werden wir sicherlich im Ausschuss Gelegenheit haben.

Lieber Kollege Michael Hübner, es geht vor allem um Fragen, die hier von der Regierungskoalition nicht angesprochen worden sind. Es geht um die Frage: Wo hat kommunale Daseinsvorsorge eigentlich eine Grenze?

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Es geht um die Frage: Braucht eine Kommunalaufsicht nicht ein sicheres Prüfraster für Zulässigkeit kommunalwirtschaftlicher Aktivitäten? Es stellt sich die Frage: Welche Risikotragfähigkeit und Aufwandstragfähigkeit kann letztendlich eine Kommune eingehen und durch die ehrenamtlichen Räte selbst steuern? Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind wichtige Fragen. Wir brauchen also aus unserer Sicht einen neuen Diskurs, nicht um die generelle Frage der §§ 107, 107a GO wieder aufzuwärmen – der Streit ist Jahrzehnte alt –, aber wir müssen schon die entsprechenden Fragen dahingehend stellen, wo wir am Ende die Grenze kommunalwirtschaftlicher Betätigung setzen. Das ist auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dass ich mit dieser Forderung nicht alleine stehe, sondern mich in guter Gesellschaft weiß, will ich Ihnen noch einmal sagen. Herr Kollege Mostofizadeh, Ihr Fraktionsvorsitzender hat schon im März dieses Jahres und auch in diesem Monat deutlich gemacht, dass Auslandsgeschäfte nicht zu den Aufgaben der Stadträte von Dinslaken oder Essen gehören. Er hat in der „NRZ“ gesagt – ich zitiere –:

„Die sollen sich um ihre Bürger kümmern und nicht um Projekte auf den Philippinen oder in Indien.“

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Hat er recht!)

Das ist einer der entscheidenden Sätze aus der Regierungskoalition. Selbst der Wirtschaftsminister dieses Landes, Herr Duin, wird in der „FAZ“ zitiert mit:

„Eine kritische Nachfrage, ob Stadtwerke Kraftwerke in aller Welt betreiben müssen, sei durchaus berechtigt.“

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Kollege Hübner, dazu hätte ich gerne von Ihnen etwas gehört. Wir werden das sicherlich im Ausschuss vertiefen. Aber dass Sie hier dieser Debatte ausweichen, zeigt, dass Sie an dieser Stelle möglicherweise nicht nur das reine Gewissen haben.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie haben Schleusen geöffnet und merken jetzt, welche Konsequenzen das nach sich zieht. Insofern ist das, was Herr Mostofizadeh zum Thema „STEAG“ gesagt hat, bemerkenswert. Auch er hat kritische Worte zu diesem Themenfeld gefunden. Es lohnt sich, dies an anderer Stelle zu vertiefen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines sagen: Wenn wir Kommunen wie Oberhausen, Duisburg, Essen und andere haben, die hochverschuldet sind, die im Stärkungspakt sind und von anderen Kommunen Stärkungspakthilfen bekommen, und zwar auch, wie wir seit ein paar Tagen wissen, über den Kommunal-Soli, dann ist das auch eine Frage der interkommunalen Akzeptanz. Es wird sehr kritisch gefragt, was diese hochverschuldeten Städte mit den Steuergeldern machen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Darauf, Herr Kollege Hübner, haben Sie keine Antwort. Es gibt ja zum Teil das blanke Entsetzen in den Kommunen, die diesen STEAG-Deal eingefädelt haben. Gleiches gilt für Betätigungen oder Beteiligungen im Bereich von Aktienportfolios, deren Werte sich aufgrund der Situationen am Kapitalmarkt pulverisiert haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist doch Unsinn!)

Da kann man schon darüber diskutieren, ob sich eine Stadt wie Düsseldorf nicht besser entschieden hat, Herr Kollege Mostofizadeh, als die Stadt Essen vor einigen Jahren. Es geht also schon um ordnungspolitische Fragestellungen, die Sie leider an dieser Stelle ausblenden. Aber wir werden darüber hoffentlich im Ausschuss diskutieren. Ihre Zwischenfrage beantworte ich gerne. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ich habe Sie so verstanden, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade beschrieben, dass sich aus Ihrer Sicht hochbelastete Kommunen an einer wie auch immer gearteten privatwirtschaftlichen Betätigung beteiligt hätten.

Aus meiner Sicht sind es – darauf hätte ich gerne eine Antwort – aber eben nicht die Kommunen, sondern mittelbare Beteiligungen der Kommunen, die sich daran beteiligt haben. Sie wissen ganz genau, auch wenn Sie auf den – in Anführungszeichen – „STEAG-Deal“ hingewiesen haben, dass es die Stadtwerke waren, die sich daran beteiligt haben. Dazu haben wir im Rahmen der Debatte um den § 107 direkt im Jahr 2010 umfassende Erläuterungen gegeben, im Übrigen auch zur kommunalen Daseinsvorsorge.

Kai Abruszat (FDP): Ganz herzlichen Dank für die Bemerkung, Herr Kollege Hübner. Ich will gerne darauf mit den Worten Ihres eigenen Wirtschaftsministers antworten, der in der „Wirtschaftswoche“ am 19. Oktober Folgendes gesagt hat – dann erschließt sich genau die Kette –:

„Die Städte werden eine Sparorgie hinlegen müssen, die ihresgleichen sucht. … Wenn dort die Verluste von den Kraftwerken reinregnen und die Städte Wertberichtigungen vornehmen müssen, dann wird das eine Katastrophe. Da schließt dann auch noch das letzte Hallenbad, weil die Kraftwerke so hohe Verluste produzieren.“

Ich finde, einen besseren Kronzeugen für meine Rede als Ihren Wirtschaftsminister kann ich eigentlich gar nicht haben. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Abruszat. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Anlass für den Antrag der CDU-Fraktion ist offensichtlich der Kauf der STEAG durch das Stadtwerke-Konsortium Rhein-Ruhr. Zum 2. März 2011 kaufte das Konsortium 51 % der Anteile an der STEAG. Demnächst soll auch der Rest übernommen werden.

Die näheren Umstände und Bedingungen des Deals bleiben aber unter Verschluss. Das musste auch der Bochumer Ratsherr Gräfingholt erfahren, dem gerade einmal eine Stunde Akteneinsicht gewährt wurde. Er muss nun vor dem Verwaltungsgericht klagen, um mehr als einen kurzen Blick auf die Teile des Vertragswerks werfen zu dürfen.

Transparenz ist beim sogenannten STEAG-Deal offensichtlich ein Fremdwort. Dabei wäre doch die Veröffentlichung der Details das Mindeste, was der Bürger erwarten darf.

Nun argumentiert Herr Hübner, dass sich die Städte nicht unmittelbar beteiligen; das täten vielmehr Konsortium bzw. die Stadtwerke als Privatunternehmen. Diese müssten sich nicht so transparent geben wie der Staat. Das ist aber eine juristische Spitzfindigkeit, die unserer Meinung so nicht zulässig ist.

Zu dieser Ansicht kommt auch Prof. Dr. Oebbecke, der in seinem Gutachten, auf dem der Antrag der CDU letztlich basiert, anmerkt, dass nach § 108 Abs. 6 Gemeindeordnung auch Tochter- und Enkelgesellschaften an die Bestimmungen der Gemeindeordnung zur wirtschaftlichen Betätigung gebunden seien.

Allerdings merkt er wörtlich auch an, es gebe „Umgehungsmöglichkeiten“. Auch könne die Aufsichtsbehörde – also die Kommunalaufsicht – im Rahmen ihres Ermessens auf die Durchsetzung der Vorgaben verzichten. Es kommt also maßgeblich auf den politischen Willen an. An dieser Stelle sind die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen gefragt. Wie ernst nehmen Sie Ihre eigenen Worte von Transparenz im Koalitionsvertrag? Wie ernst nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern? Diese Fragen stellen sich umso dringender, als Prof. Dr. Oebbecke ganz klar in seinem Gutachten feststellt, dass der Erwerb der STEAG im Hinblick auf die Aufwandstragfähigkeit und Risikotragfähigkeit bei den Städten in schwieriger Haushaltslage mit § 107a Abs. 1 GO unvereinbar wäre.

Insbesondere die Risiken sind unüberschaubar, weil erstens die STEAG immer noch zu großen Teilen auf Steinkohle setzt, was mit nationalen und internationalen Klimaschutzzielen in Konflikt steht. Zum Zweiten sind die Risiken eines international tätigen Unternehmens mit Kraftwerken in Staaten außerhalb der EU weder abschätzbar noch kontrollierbar. Man denke zum Beispiel an Naturkatastrophen wie den Taifun Haiyan. Die STEAG betreibt ein Kohlekraftwerk auf den Philippinen.

Natürlich wäre auch der Kernhaushalt der Kommunen sehr schnell betroffen. Die Haushaltssperre durch den Kämmerer in Essen wurde nicht zuletzt durch die Hiobsbotschaften von der RWE ausgelöst. Bei der STEAG würde sich eine ähnliche Situation kaum anders auf die kommunalen Haushalte auswirken.

Das eigentliche Problem liegt aber auf einer viel grundsätzlicheren Ebene: Wie ernst ist es uns mit der Demokratie und der Verfassung? Prof. Dr. Oebbecke stellt nämlich in seinem Gutachten fest, dass die Vereinbarkeit der Vorschriften der Gemeindeordnung zur wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen außerhalb ihres Gebiets mit der Verfassung – ich zitiere wörtlich – „äußerst zweifelhaft“ ist.

Deutlicher kann man es kaum sagen. Aber es kommt noch schlimmer. Diese Bedenken sind alle bekannt, nur möchte sie niemand klären lassen. Im weiteren Verlauf des Gutachtens wird argumentiert, dass sich das Risiko, dass das Bundesverfassungsgericht die Regelung kassiere, gering sei, weil niemand ein Interesse an einer Klärung habe.

Auch mache es die enge Verbindung zwischen Landes- und Kommunalpolitik unwahrscheinlich, dass vonseiten der Politik dagegen geklagt werde. Also: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frank Herrmann (PIRATEN): Nein, ich möchte fortfahren.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. – Bitte schön.

Frank Herrmann (PIRATEN): Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Im Klartext heißt es doch, dass die Verfassung der Politik egal ist, wenn man einen Nutzen aus dem Verfassungsbruch ziehen kann. Nichts weniger bedeutet diese Aussage im Gutachten.

Dabei gäbe es eine Möglichkeit aus diesem Haus, wie Prof. Dr. Oebbecke ausführt, die Regelung im Wege der objektiven Normenkontrolle vorm Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen prüfen zu lassen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was hat das mit Ihrem Antrag zu tun, Herr Kollege?)

Antragsberechtigt vor dem Verfassungsgerichtshof wäre die Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Landtags.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der CDU die Intention ihres Antrags wirklich ernst meinen, sollten sie darüber nachdenken. Wir Piraten würden uns solchen Gesprächen sicher nicht verschließen.

Grundsätzlich stehen wir Piraten für mehr Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung. In unserem Wahlprogramm haben wir uns daher für Bürgerentscheide bei allen budgetrelevanten Investitionsprojekten ausgesprochen. Einen STEAG-Deal ohne Bürgerentscheid hätte es mit Piraten nie gegeben.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte daher anregen, auch bei der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen mehr Demokratie zu wagen. Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie künftig bei Projekten dieser Größenordnung der Bürger eingebunden werden kann. Denn das, was wir jetzt haben, ist intransparent, es beinhaltet juristische Winkelzüge, nicht abschätzbare Risiken und höchstwahrscheinlich verfassungswidrige Gesetzesvorschriften.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das kann und muss besser gehen. Wir möchten Sie einladen, mit uns gemeinsam darüber zu reden. In diesem Sinn freue ich mich auf eine anregende Diskussion im Ausschuss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Als nächster Redner spricht Herr Stein.

Robert Stein (fraktionslos): Wertes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Mostofizadeh, dass jemand aus Essen so eine Rede hält wie Sie gerade, verwundert mich gar nicht – vor allem nicht, nachdem mit Ihrer Mehrheit diese schöne Änderung des Stärkungspaktgesetzes in dieser Woche verabschiedet worden ist.

Dass Sie ein Interesse haben, dass Düsseldorf und Monheim hinterher in Essen risikoreiche Geschäfte weiterfinanzieren sollen und dass die Aufsicht nicht so genau darauf schauen soll, ist mir gerade deutlich geworden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Michael Hübner [SPD]: Wo steht das?)

Ich glaube, das kann man im Plenum in aller Deutlichkeit sagen.

Der Antrag hat eine Daseinsberechtigung, die Sie ihm aber absprechen wollen. Denn durch die Abundanzumlage wird es wichtiger denn je, ganz deutlich zu schauen, was die Kommunen machen. Eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen kann durchaus sinnvoll sein – das wissen wir alle. Wirtschaftliche Betätigung ist eine Möglichkeit – das haben wir schon gehört, auch von Herrn Nettelstroth –, die Einnahmeseite auszugestalten.

Allerdings muss auch klar sein, dass wirtschaftliche Betätigungen vertragliche und rechtliche Pflichten nach sich ziehen. Auch diese Pflichten bedeuten, dass Kosten entstehen bzw. die realen Einnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben können. Das ist umso wichtiger, als gerade im Rahmen der Haushaltskonsolidierung Businesspläne gemacht und zukünftige Einnahmeprognosen abgegeben werden. Das sehen wir am Beispiel der RWE, die angekündigt haben, dass die Dividenden halbiert werden. Die Pläne werden wahrscheinlich gar nicht eingehalten werden können. Insofern ist aus der aktuellen Lage heraus ein Risiko schon deutlich zu beobachten.

(Michael Hübner [SPD]: Wo steht das denn?)

Deswegen ist es auch wichtig, dass wir darüber in den Ausschüssen sprechen werden.

Schließlich ist es so, dass Kommunen aus der Abundanzumlage heraus Gelder erhalten – das sehen wir bei STEAG –, die entsprechende Geschäfte tätigen. Oberhausen, Duisburg und Essen sind zu erwähnen.

Die Kommunalpolitiker in den Ausschüssen werden die Fragestellungen entsprechend gewissenhaft und sorgsam besprechen. Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stein. – Für die Landesregierung spricht Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU nimmt ganz konkret die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden auf einem speziellen Sektor, und zwar ausschließlich dem der Energiewirtschaft, in den Fokus. Es ist in der Tat richtig – meine Vorredner haben es schon festgestellt –: Für diesen Sektor gibt es in der Gemeindeordnung den § 107a als eigene Norm. Dieser § 107a stellt klare Voraussetzungen auf: Die Betätigung einer Gemeinde muss in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Leistungsfähigkeit stehen.

Sie, meine liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU, zweifeln daran, dass dieses Kriterium der Leistungsfähigkeit bei finanzschwachen Kommunen ausreichend geprüft wird. So zumindest habe ich den Tenor Ihres Antrags verstanden.

Dazu möchte ich gerne einige Sachverhalte klarstellen: Zum einen ist Aufgabe der Kommunalaufsicht, die Leistungsfähigkeit in den bekannten Anzeige- oder Genehmigungsverfahren zu prüfen. Das gilt übrigens für alle Kommunen, nicht nur für finanzschwache. Ich habe keine Hinweise darauf, dass diese Prüfungen nicht oder nicht ausreichend erfolgen.

Zum anderen legen Sie in Ihrem Antrag den Begriff der Leistungsfähigkeit in einer Weise aus, die sich zumindest nach meiner Auffassung so nicht zwingend aus dem Gemeindewirtschaftsrecht ergibt.

(Beifall von der SPD)

Ich will die Beratungen im Ausschuss überhaupt nicht vorweggreifen. Das Thema ist stark juristisch geprägt. Wir müssen uns ihm sehr sorgfältig und sehr genau nähern.

Gestatten Sie mir trotzdem noch einige Bemerkungen: Bei den Beratungen müssen wir zwischen mittelbaren und unmittelbaren Beteiligungen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist aus meiner Sicht sehr wichtig, denn die kommunalen Beteiligungen auf dem Energiesektor sind fast immer mittelbare Beteiligungen. Das bedeutet, dass sie regelmäßig den Kernhaushalt einer Kommune nicht betreffen. Diese Unterscheidung treffen Sie in Ihrem Antrag übrigens nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, aus Ihrem Antrag lese ich auch eine Richtung heraus, in die ich nicht gehen möchte, dass die finanzschwachen Kommunen nämlich ihr Recht auf Selbstverwaltung beschnitten bekommen sollen.

(Widerspruch von André Kuper [CDU])

Herr Kuper, nichts anderes wäre eine vorgelagerte Prüfung der Beteiligung durch die Kommunalaufsicht.

Herr Kuper, das hätte einerseits zur Folge, dass unsere Kommunalaufsicht nicht mehr nur eine Rechts-aufsicht wäre. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Die Kommunalaufsicht ist eine Rechtsaufsicht, ob Beteiligungen nach Recht und Gesetz eingegangen werden.

Andererseits hätte Ihr Vorschlag zur Folge, dass es eine reine Verlagerung der Abwägung von Chancen und Risiken bei kommunalen Beteiligungen gäbe. Ich glaube, dass der Energiesektor nicht exklusiv ein Verlustrisiko birgt, genauso wenig wie er exklusiv ausschließlich ein Gewinnrisiko birgt.

(Beifall von der SPD)

Folgte man Ihrem Antrag, müsste diese Abwägung im Einzelfall auf die Kommunalaufsicht übertragen werden. Herr Kuper, Sie und Ihre Fraktion sind alle Argumente schuldig geblieben, dass eine solche Abwägung zuverlässiger sein sollte als die Abwägung der jeweiligen Kommune. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die grüne Fraktion hat noch einmal der Kollege Mostofizadeh um das Wort gebeten.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident, was die rechtliche Bewertung betrifft, ist den Worten des Innenministers nichts hinzuzufügen. Allerdings habe ich schon befürchtet, dass der Kollege Abruszat und der Kollege Stein in seinem weltbewegenden Beitrag Folgendes zu suggerieren versucht haben:

Durch das internationale Geschäft, das bei der STEAG stattfindet, werden Verluste eingefahren und es besteht unberechenbares Risiko. – Das Gegenteil ist der Fall, Herr Kollege: Unabhängig von der ordnungspolitischen Bewertung dessen finde ich es infam, dass sowohl Sie als auch die CDU in Ansätzen versuchen zu suggerieren, dass die prekäre Situation in den ehemaligen Nothaushaltskommunen – jetzt Stärkungspaktkommunen – durch den STEAG-Deal entstanden sei und diese Geschäfte deshalb zu verbieten seien. Nichts anderes suggerierten Sie heute. Das ist falsch.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das ist richtig!)

Der Innenminister hat sehr treffend dargestellt, wie die Herleitung aussieht.

Ich frage mich schon, wie Sie in der CDU bei solchen wichtigen Fragen zu politischen Debatten stehen. Auch dort geht schizophren der Schnitt komplett quer durch die Fraktion: Kommunal stimmen Sie zu, im Landtag versuchen Sie aber etwas anderes zu machen. Das ist nicht in Ordnung. Sie betreiben hier Politik auf dem Rücken der Betroffenen.

Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wollten Sie wirklich sachgerecht diskutieren, würden Sie das so abschichten wie der Innenminister. Wenn dort dann eine Lücke besteht, können wir darüber reden. Nur kann ich die bis heute nicht erkennen. Das haben Sie nicht getan. Die FDP hat Spielchen ordnungspolitischer Art betrieben, weil sie den § 107a nie wollte. Das wissen wir. Deswegen sind Sie auch 2010 abgewählt worden.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Herr Kollege Nettelstroth, hatten Sie sich noch einmal zu einem Redebeitrag gemeldet? Hatte ich das richtig verstanden? – Bitte schön.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Kollege, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil Sie davon reden, dass ich vom STEAG-Deal gesprochen habe. Davon habe ich nicht gesprochen, und zwar ganz bewusst nicht, weil es nämlich um eine ganz allgemeine Frage geht, wie wir in Zukunft die Kommunalaufsicht aufstellen, um mit diesen Vorhaben, die wir alle haben und die sich nicht nur auf energiewirtschaftliche Vorhaben beziehen, sondern auch auf solche nach § 107, Herr Minister, umzugehen. Wir haben es zunehmend mit der Situation zu tun, dass Deals abgewickelt werden, die so umfangreich sind, dass selbst die Kommunalaufsicht nicht ohne Weiteres in der Lage ist, diese zu überblicken.

Dabei spielt es sehr wohl eine Rolle, Herr Hübner, ob es sich um eine mittelbare oder eine unmittelbare Beteiligung handelt, weil sich – das wissen Sie auch – die Frage stellt, dass die Räte das kontrollieren müssen. Das ergibt sich aus dem Gesetz.

Deshalb tun wir gut daran, diese Diskussion inhaltlich zu führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Nun sind wir aber am Ende der Beratungen. Ich sehe auch keine weiteren Wortmeldungen.

(Zurufe)

– Herr Hübner, hatten Sie sich gemeldet?

(Michael Hübner [SPD]: Ja!)

– Ehrlich? Anständig?

(Michael Hübner [SPD]: Ja! – Minister Ralf Jäger: Geht das auch unanständig?)

– Ja, klar. Wenn ich mich gerade umdrehe, ist das unanständig.

Herr Stein hat sich auch noch gemeldet. Herr Stein! – Ihr seid aber mutig heute.

Bitte, Herr Hübner, Sie haben selbstverständlich das Wort. Sie haben sogar noch 2:50 Minuten Redezeit. Bitte schön.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident, ich habe mich um Kürze bemüht, vor allen Dingen auch deshalb, weil der Antrag relativ belanglos geschrieben ist. Herr Kollege Mostofizadeh hat das deutlich gemacht. Sie wollen das heute völlig überhöhen, indem Sie sagen, die Städte würden das direkt oder unmittelbar machen. Den Eindruck haben Sie zuletzt auch noch einmal erweckt. Uns geht es um die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen. Ihrem Antrag ist nicht einmal zu entnehmen, dass Sie diese Unterscheidung treffen wollen. Das ist einfach nicht in Ordnung.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Kollege Stein hat sich noch einmal gemeldet. Auch das, was Sie sagten, finde ich nicht in Ordnung. Sie haben den Eindruck erweckt, als ob sich die Stadt Monheim in irgendeiner Art und Weise an den Verlusten der Stadt Oberhausen beteiligen müsste. Das hat mit diesem Thema nun wirklich überhaupt nichts zu tun. Ansonsten können wir gerne noch einmal darüber debattieren, wer sich gestern wie bei der Abstimmung über das Einheitslastenabrechnungsgesetz verhalten hat, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Entlastungen für die kommunale Familie sind eigentlich auch nicht Ihre Sache. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Hübner. – Nun spricht noch einmal der fraktionslose Abgeordnete Stein.

Robert Stein (fraktionslos): Vielen Dank, Herr Präsident. – Der Kollege Mostofizadeh hat es gerade so dargestellt, als ob ich den STEAG-Deal bewusst als negatives Beispiel gewählt hätte. Ich habe dieses Beispiel in der Tat gebracht. Ich habe allerdings sehr wohl gesagt, dass Potenziale in der wirtschaftlichen Betätigung stecken und diese Risiken mit sich bringen können.

Es geht darum, die Risiken gerade im Rahmen dieser Zeiten des Stärkungspaktes und der Abundanz-umlage stärker zu beobachten. Ich habe es übrigens auch nicht so verstanden, als ob die CDU die kommunale Selbstverwaltung einschränken will. Ganz im Gegenteil! Es geht einfach nur darum, gewissenhaft und noch einmal sehr genau zu prüfen. In der kommunalen Finanzierung ist momentan einiges im Wandel. Das Ganze kann noch einmal ordentlich auf den Prüfstand gestellt und exakt draufgeschaut werden. Das schadet nicht. Es geht um Sicherheit.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

– Herr Jäger, es geht um Sicherheit und sicherlich nicht um die Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich da irre. – Danke sehr.

(Beifall von Dietmar Schulz [PIRATEN])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stein. – Möchte die Landesregierung noch einmal Stellung nehmen? 1:29 Minuten stehen noch zur Verfügung. Herr Minister?

(Minister Ralf Jäger: Nein!)

– Dann sind wir jetzt endgültig am Ende der Beratungen. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt dem zu? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Antrag ist einstimmig überwiesen, wie es zu erwarten war.

Ich rufe auf:

4   Begrenzung bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge aufheben

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4388

Ich darf die Aussprache eröffnen und erteile für die Fraktion der Piraten Frau Kollegin Brand das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! 1.000 zusätzliche Flüchtlinge aus Syrien: Das hört sich erst einmal gut an. – Aber wie wenig sind doch 1.000, wenn man weiß, dass dort 6 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Wie wenig sind 1.000 für die siebtstärkste Volkswirtschaft in Europa. Wie wenig erst sind 1.000, wenn man hört, dass alle anderen Bundesländer bis auf Bayern, Baden-Württemberg und das kleine Saarland keine Obergrenze für Kontingente festgelegt haben. Wir wollen diese Obergrenze des Landeskontingentes abschaffen. Wir wollen die Warteliste streichen. Wir wollen ein Signal an die mehr als 3.500 Wartenden senden, dass sie die Krisenregion endlich verlassen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Warum ist das Landeskontingent auf 1.000 begrenzt? Welche Argumente haben Sie? Ich sage Ihnen, es gibt keine Argumente, weder inhaltlicher, noch sozialer, noch monetärer Art.

Meine Damen und Herren, dazu kommt, dass bis letzte Woche Dienstag gerade einmal 15 Visa genehmigt wurden. Vielleicht sind es inzwischen schon 20. Das ist bei den bürokratischen Hürden, die diese Flüchtlinge zu überwinden haben, kein Wunder. Neben den bürokratischen Hürden müssen die Verwandten ein nicht unerhebliches Vermögen besitzen. Eine vierköpfige Familie muss zum Beispiel 3.200 € netto nachweisen, um vier Personen den Lebensunterhalt sichern zu können. 3.200 € netto: Wer kann sich das denn leisten? – Mögliche Kosten für eine Unterkunft kommen noch hinzu. Dies können nur die wenigsten nachweisen. Trotzdem stehen über 3.500 Menschen auf dieser Warteliste.

Ja, die kommunalen Spitzenverbände klagen über die Behandlungskosten, und das ausgerechnet bei dieser kleinen Gruppe, die sich alles andere selbst finanzieren muss. Ich finde es zudem ziemlich widerlich, im Zusammenhang mit Menschen, die vor Krieg, Hunger und Tod auf der Flucht sind, von Kosten zu sprechen.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine sehr verehrten Vertreter auf der Regierungsbank, wir unterstützen Sie gerne bei dem Vorhaben, die Innenministerkonferenz am Freitag, dem 6. Dezember, zu nutzen, um bessere Bedingungen für die Syrienflüchtlinge zu erwirken oder gar neue Kontingente zu verabschieden.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber warum sollte uns das davon abhalten, hier und heute das Kontingent zu öffnen? Erklären Sie mir das! Erklären Sie das den über 3.500 Wartenden!

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Ganz im Gegenteil: Mit dem heutigen Beschluss setzen wir gerade Richtung Konferenz ein Zeichen aus dem Landtag und stärken Ihre Verhandlungsoptionen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Außerdem geht es uns darum, den auf der Warteliste stehenden Menschen das Signal zu senden, dass sie die Krisenregion verlassen können. Nichts anderes.

Falls Sie auf die Idee kommen sollten, über den Antrag heute nicht abstimmen zu lassen, sondern lieber die IMK abzuwarten, um noch bessere Bedingungen zu verhandeln, ist das in etwa so, als ob Sie sagen: In zwei Wochen soll es regnen, dann binde ich mir heute lieber nicht die Schuhe zu. – Das ist die Sache mit den Äpfeln und den Birnen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Sieveke?

Simone Brand (PIRATEN): Nein, jetzt nicht. Danke.

Vizepräsident Oliver Keymis: Keine Zwischenfrage. – Bitte.

Simone Brand (PIRATEN): Meine Damen und Herren! Im Übrigen will der Bund gar kein neues Kontingent. Ich zitiere aus einer Antwort aus einer Kleinen Anfrage vom 18.11. im Bundestag:

„Das derzeit laufende Aufnahmeprogramm des Bundes ist noch nicht abgeschlossen. Daher ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit für den Erlass einer zweiten Aufnahmeanordnung durch den Bund ersichtlich.“

Darüber hinaus steht im Koalitionsvertrag, dass für schutzbedürftige Flüchtlinge spätestens ab 2015 neue Kontingente aufgebaut werden. 2015? Wir reden hier über Kriegsflüchtlinge und deren Verwandte, die nur darauf warten, dass sie die Krisenregion endlich verlassen dürfen. Wir können heute das Signal an diese Menschen senden oder eben nicht.

Wie gesagt, wenn wir die Kontingentbegrenzung jetzt streichen, dann haben Sie, Herr Minister Jäger, sogar eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Verhandlungspartnern auf Bundesebene. Vielleicht können Sie sogar etwas gegen die unsäglichen bürokratischen Hürden für diese Flüchtlinge unternehmen. Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Marquardt.

Thomas Marquardt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Mit dem Arabischen Frühling war die Hoffnung auf eine umfassende Demokratisierung der Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens verbunden.

(Daniel Sieveke [CDU]: Das war ein Arabischer Winter!)

Leider haben sich unsere Hoffnungen nicht erfüllt. In Syrien spielt sich derzeit vor unseren Augen eine humanitäre Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes ab, ohne dass dieses Drama in unseren Medien sonderlich präsent ist. Syrien steht vor den Trümmern der Reformbemühungen seiner Bevölkerung. Der Ruf nach mehr Demokratie und Freiheit endete in einem schrecklichen Bürgerkrieg. Das Assad-Regime ist auch nach drei Jahren Bürgerkrieg immer noch an der Macht und wird weiterhin durch seine Verbündeten Russland und den Iran gestützt.

Die Lage im Land ist unübersichtlich. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bislang mehr als 110.000 Menschen ums Leben gekommen. Da-rüber hinaus gibt es Hunderttausende an Verletzten, Verwundeten und Vertriebenen.

Auch die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Soldaten sind vom Bürgerkrieg in Syrien betroffen. Die Bundeswehr schützt derzeit im Rahmen der deutschen Bündnisverpflichtungen an der türkisch-syrischen Grenze den Luftraum unseres Bündnispartners Türkei.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Konflikt ist die Unterscheidung von Gut und Böse, auch auf der Seite der zumeist islamistischen Rebellen, nicht immer eindeutig. Das Leid der Zivilbevölkerung im Land ist unbeschreiblich. Alle Hoffnungen auf eine diplomatische Lösung haben sich bislang zerschlagen.

Krieg ist aber auch immer ein Versagen der Diplomatie. Die Hoffnung, dass die Syrien-Konferenz im kommenden Januar spürbare Erfolge bringt, muss deutlich gestärkt werden. Aus der Sicht der SPD-Landtagsfraktion muss in den kommenden Wochen und Monaten die Hilfe für die syrischen Flüchtlinge deshalb forciert werden. Aber auch die kommende Bundesregierung ist aufgefordert, mehr Initiative zu ergreifen und sich stärker für eine friedliche, politische Lösung des Konfliktes einzusetzen.

(Beifall von der SPD)

Sie muss auch auf die waffenliefernden Staaten einwirken, um damit den Konflikt endlich einzudämmen. Mindestens 6 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Terror und Gewalt in ihrer Heimat. Alleine in der Türkei halten sich derzeit 600.000 syrische Flüchtlinge auf und davon 200.000 in den völlig überfüllten Flüchtlingscamps. Über 500.000 Syrierinnen und Syrer sind in das benachbarte Jordanien geflohen.

Im Libanon beträgt die Anzahl der Flüchtlinge nach inoffiziellen Schätzungen ca. 1,4 Millionen Menschen. Viele von ihnen finden keinen Platz in den Flüchtlingscamps und schlagen sich alleine durch. Diese Zahlen sind unvorstellbar. Hinter jeder Zahl verbirgt sich eine individuelle menschliche Tragödie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies gibt einen Eindruck von den Dimensionen des Elends, das der Bürgerkrieg verursacht. Auch Europa und insbesondere Deutschland sind in der Pflicht, den Opfern von Terror und Gewalt zu helfen. Angesichts dessen hat sich die nordrhein-westfälische Landesregierung dazu entschieden, den Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge zu verlängern.

Darüber hinaus wurde im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister beschlossen, über den NRW-Anteil am Bundeskontingent hinaus weitere 1.000 Flüchtlinge aufzunehmen und damit die Aufnahmequote in Nordrhein-Westfalen nahezu zu verdoppeln. Das Land Nordrhein-Westfalen bemüht sich weiterhin intensiv darum, das Leid der Flüchtlinge zu lindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Landtagsfraktion würde es begrüßen, wenn die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien möglich gemacht würde.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir möchten jedoch ein abgestimmtes Vorgehen unter den Bundesländern ermöglichen und sind deshalb dafür, den Innenministern der Bundesländer bei der anstehenden Konferenz die notwendige Zeit für ein koordiniertes Vorgehen zu geben.

Zeitnah werden wir daher dem Landtag einen Vorschlag unterbreiten, wie die Aufnahme weiterer syrischer Flüchtlinge ausgestaltet werden kann. Dies wird mit der gebotenen Eile, aber auch mit der notwendigen Sorgfalt geschehen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Wann denn?)

Diese Vorgehensweise kommt schließlich und letztlich auch den betroffenen Menschen zugute. Wir lehnen aus diesem Grund den Antrag der Piraten zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marquardt. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kruse das Wort.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir erinnern uns, dass das Thema Flüchtlings- und Asylpolitik in all den letzten Jahren häufig Gegenstand der Beratungen hier im nordrhein-westfälischen Landtag war.

Vorweggeschickt möchte ich anmerken, dass wir in Deutschland, zumindest im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten, das modernste Asylrecht haben. Darauf können wir stolz sein, und das ist auch gut so.

Ich glaube, wir sind uns auch einig darin, dass die Auseinandersetzung über die Verteilung von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die aus Ländern im Kriegszustand und ohne funktionierende Rechtsstrukturen kommen und vor den übelsten Diktatoren und islamistischen Terrorbanden fliehen, uns voraussichtlich in den nächsten Monaten und Jahren noch häufiger beschäftigen wird. Das ist eine Riesenaufgabe, die wir in den demokratischen Staaten Westeuropas insgesamt vor der Brust haben.

Ich bin ganz sicher: Für diese Aufgabe gibt es keine schnelle und erst recht keine schnelle politische Lösung. Wir brauchen – da sind sich, soweit ich das überblicken kann, auch alle einig – eine gemeinsame europäische und natürlich auch gemeinsam europäisch abgestimmte Vorgehensweise und eine Lösung, die auch an der Quelle des Problems ansetzt. Die Quelle dieser Probleme liegt natürlich nicht hier in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland und in Europa, sondern in den angesprochenen Staaten.

Bereits am 20. März dieses Jahres gab der noch amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bekannt, dass Deutschland im Vorgriff auf eine gemeinsame europäische Aufnahmeaktion 5.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen werde. Noch nie zuvor – das darf man in diesem Zusammenhang ja einmal sagen – hat Deutschland mit einer einzelnen Aktion so viele Flüchtlinge aufgenommen. Das verdeutlichen im Übrigen auch die entsprechenden Pressemitteilungen im Frühjahr und im Sommer dieses Jahres.

Erfreulicherweise – es ist zumindest von einem Vorredner indirekt erwähnt worden – haben sich viele Bundesländer darüber hinaus bereit erklärt, auch nahe Familienangehörige von Syrern aufzunehmen. Ich denke, darum geht es auch in besonderer Weise.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das kann man nur unterstützen. Nordrhein-Westfalen hat in diesem Zusammenhang ja auch angekündigt, zusätzlich 1.000 dieser Personen aufzunehmen.

Es ist aus meiner Sicht eindeutig falsch – das möchte ich auch zurückweisen –, wenn die Piraten mit dem vorliegenden Antrag den Eindruck erwecken möchten, als würden die Bundesrepublik Deutschland und das Land Nordrhein-Westfalen ihrer humanitären Verantwortung nicht gerecht; denn das genaue Gegenteil war in allen vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr der Fall. Deutschland bietet nämlich – auch Nordrhein-Westfalen hat sich hieran ganz ohne Frage beteiligt – nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch im Verhältnis zu seiner Bevölkerung etwa doppelt so vielen Menschen aus Syrien Schutz wie die EU-Staaten im Durchschnitt. Auch das darf man in diesem Zusammenhang erwähnen. Gleichwohl löst das natürlich nicht die Probleme in den entsprechenden Regionen.

In Erinnerung rufen darf ich aber auch, dass der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes vor wenigen Wochen noch einmal eindringlich appelliert hat: Es macht keinen Sinn, dass sich jedes der 16 Bundesländer mit dieser Thematik beschäftigt und man sich in der Diskussion darüber auseinanderdividiert. Vielmehr macht es sehr viel Sinn, dass wir erstens in Deutschland eine einvernehmliche Vorgehensweise haben und zweitens in Europa eine abgestimmte Vorgehensweise haben. – Das hat Rudolf Seiters, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, auch noch einmal angemahnt. Davon sind wir noch weit entfernt, weil die Entwicklung mit einer ungeheuren Dynamik vorangeht. Das haben wir in den letzten Wochen und Monaten ja erlebt.

Deswegen bitte ich die Fraktion der Piraten darum, heute von der direkten Abstimmung über ihren Antrag abzusehen und den Fachausschüssen Gelegenheit zur Diskussion zu geben, weil sich die Zahlen verändern und mit der eben schon angesprochenen Dynamik in Bewegung sind. Ich möchte Sie darum bitten, den Fachausschüssen – sprich: dem Innenausschuss und dem Integrationsausschuss – die Beratung darüber anzuvertrauen. Dorthin gehört es aus meiner Sicht. Über ein so sensibles Thema könnte man zwar auch direkt abstimmen. Insgesamt sind wir aber gar nicht so weit auseinander, denke ich.

Ich appelliere an die demokratischen Fraktionen, dass wir die angesprochene einvernehmliche Lösung, die abgestimmte Lösung, Herr Minister Jäger, auf der Innenministerkonferenz anstreben. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über 6 Millionen Syrerinnen und Syrer sind mittlerweile zu Flüchtlingen geworden – 2 Millionen in den Nachbarstaaten und über 4 Millionen im eigenen Land. Das ist fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Die Tendenz ist leider steigend. Die Nachbarländer sind völlig überfordert. Herr Marquardt hat die Zahlen hier genannt.

Daher teile ich auch die Auffassung, die von den Vorrednern von den Piraten und insbesondere von der SPD vertreten wurde, dass das, was Deutschland mit den beschlossenen Aufnahmequoten hier an Solidarität zeigt, tatsächlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein und eigentlich erbärmlich wenig ist.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

5.000 hat der Bund festgelegt. Davon kommen 1.000 in Nordrhein-Westfalen an. Die Aufnahme-quote ist durch eine eigene Landesanordnung im September …

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU] – Gegenruf von Marc Herter [SPD])

– Ich finde das erbärmlich wenig, Herr Sieveke. So bewerte ich diese Dinge. Sie können da zu einer anderen Auffassung kommen. Ich finde das erbärmlich wenig – ganz klar.

Am 26. September 2013 hat das Land diese Aufnahmequote für Nordrhein-Westfalen durch eine eigene Anordnung um 1.000 erhöht und damit verdoppelt. Das Kontingent ist bekannt. Bei der Hotline sind inzwischen über 4.000 Meldungen eingegangen.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU] – Gegenruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wo stehen wir zwei Monate später? Schauen wir uns die Situation zwei Monate später an, stellen wir fest, dass zwei Monate später – ich habe mich erkundigt; es sind nicht die ganz aktuellen Zahlen, glaube ich – erst ca. 20 Visa ausgestellt worden sind. Über 4.000 Personen haben Bedarf angemeldet. Erst ungefähr fünf Personen – das war die letzte Zahl, die ich auf Nachfrage erhalten habe – sind zwei Monate nach diesem zusätzlichen Kontingent von 1.000 Personen angekommen.

Liebe Piratinnen und Piraten, wir müssen uns doch fragen, warum das so ist, um da auch ein bisschen den Finger in die Wunde zu legen; denn die Auslandsvertretungen – ich habe mir von Flüchtlingsorganisationen vortragen lassen, wie die Erstellung dieser Visa funktioniert bzw. nicht funktioniert – sind völlig überlastet. Man bekommt keine Termine bei den Botschaften im Libanon und in Jordanien. Auch das, Herr Minister, meine ich, müsste auf der Innenministerkonferenz dringend angesprochen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ähnlich sieht es mit der Aufnahme aus dem Kontingent von 5.000 des Bundes aus. Von den 1.000, die NRW aus diesem Kontingent aufnehmen will, sind erst knapp 200 hier angekommen. Das ist auch aufgrund von bürokratischen Hürden so. Deswegen begrüße ich einerseits die Initiative aus Nordrhein-Westfalen bei der Innenministerkonferenz, dass das Kontingent von 5.000 aufgestockt wird. Gleichzeitig aber – das müssen wir immer wieder sagen – ist es notwendig, die Hürden für die Menschen abzubauen, die letztlich bei den Auslandsvertretungen – nicht bei den Ausländerbehörden – vorhanden sind.

Ich schaue nach vorne: Ein Zuständigkeitszwist zwischen Bund und Ländern darf nicht auf dem Rücken der betroffenen Menschen, die in größter Not sind, ausgetragen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deswegen müssen Bund und Länder hier zusammenarbeiten. Auf beiden Ebenen muss Verantwortung übernommen werden. Perspektivisch aber wird sich – das kann ich für meine Fraktion hier sehr deutlich erklären – Nordrhein-Westfalen nicht verschließen. Wir stehen auch dafür, dass Nordrhein-Westfalen dies nicht tut, sondern vielmehr das Kontingent aufstockt und eine neue Anordnung trifft. – Es darf hier nichts auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden.

Zweitens. Wir brauchen – auch perspektivisch – möglichst auf EU-Ebene dauerhafte Aufnahmequoten im Rahmen des sogenannten Resettlement-Verfahrens für besonders Schutzbedürftige. Wenn das aber nicht absehbar ist – das ist leider der Fall – brauchen wir das zumindest auf nationaler Ebene. Was heißt das? Es werden Quoten festgeschrieben, sodass Menschen aus Krisenregionen ohne große bürokratische Hürden möglichst schnell hierher kommen können. Es ist herzlich wenig, was die Innenministerkonferenz 2011 dazu beschlossen hat. Sie hat ein institutionalisiertes Resettlement – jedoch lediglich mit einem jährlichen Aufnahmekontingent, befristet von 2012 bis 2014, für 300 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge – beschlossen

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Düker, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Herrmann?

Monika Düker (GRÜNE): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Wir müssen das trennen: Wir haben das 5.000er-Kontingent wirklich notleidender Flüchtlinge. Weiter gibt es die 1.000 Menschen, die im Rahmen des Familiennachzugs – dabei handelt es sich um eher wohlhabende Familien – nach NRW kommen, wo das Land NRW eigentlich überhaupt keine Kosten hat. Sie haben gerade gesagt, dass erst fünf Visa erteilt worden sind.

(Monika Düker [GRÜNE]: Nein, fünf Personen sind eingereist.)

– Oder fünf Personen sind eingereist. Okay! Entschuldigung! – Sie haben die Komplexität und Kompliziertheit der Aufnahmeanordnung sowie des Verfahrens bemängelt. Ich möchte Sie fragen: Wer ist dafür zuständig, dass diese Verfahren so kompliziert sind? Wer könnte da für Vereinfachung sorgen?

Monika Düker (GRÜNE): Danke für die Frage! – Ich habe dargestellt, dass ich mit Flüchtlingsorganisationen und Betreuern bzw. Rechtsanwälten gesprochen und gefragt habe: Warum kommen die hier nicht an?

Die Antwort war leider immer wieder: Weil die Botschaften bzw. die Auslandsvertretungen in den Fluchtländern Libanon, Jordanien und Türkei die Bearbeitung der Visa – obwohl eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde vorliegt – nicht vornehmen. Zum Teil bekommt man keinen Termin. Man kommt telefonisch nicht durch. E-Mails werden nicht beantwortet. Die Botschaften sind überlastet. Oder aber sie machen so schwachsinnige Dinge, wie zu sagen: Wir können die Legalisierung der Kinder nicht vornehmen. Die müssen wieder zur Botschaft nach Syrien zurück. – Solche Antworten bekommen die Menschen dort. Ich könnte hier lange darüber erzählen. Das sind die Probleme in den Auslandsvertretungen in den Fluchtländern. Das wurde mir so vorgetragen.

Deswegen bitte ich den Innenminister, genau diese Probleme beim Bundesminister des Inneren vorzutragen. Das sind die Auslandsvertretungen des Bundes, und das ist seine Verantwortung.

Trotzdem meine ich, wir können es nicht darauf schieben. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass das nicht auf dem Rücken der Leute ausgetragen werden darf. Wir müssen gucken, was wir hier als Land machen können, damit Menschen, die Verwandte in Nordrhein-Westfalen haben, vor Verfolgung und Not geschützt sind, indem sie hierher kommen. Das werden wir auch tun. Dieser Verantwortung werden wir uns auch stellen.

Die Innenministerkonferenz 2011 beschloss ein institutionalisiertes Resettlement. Das betrifft für die Zukunft 300 Personen pro Jahr. Auch das ist, Herr Sieveke, erbärmlich wenig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das bezeichne ich ebenfalls mit diesem Begriff. Es kann nicht sein, dass wir als Deutschland sagen: Wir verkraften nur ein Resettlement in Höhe von 300 Menschen pro Jahr. – Zusätzlich kommen aber noch Menschen im normalen Asylverfahren zu uns. Das dürfen wir bei allen Debatten nicht vergessen: In diesem Jahr sind bereits 10.000 Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen. Das sind Syrerinnen und Syrer, die ein Asylverfahren durchlaufen und in der Regel erst einmal vor Abschiebung geschützt sind.

Das habe ich zu den Perspektiven gesagt.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Oder Sie gestatten noch eine Zwischenfrage.

Monika Düker (GRÜNE): Ja, immer gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Schatz hatte sich gemeldet. Bitte schön.

Dirk Schatz*) (PIRATEN): Frau Düker, unser Antrag zielt eigentlich einzig und allein darauf ab, die Grenze von 1.000 zu kappen. Mit dem, was Sie gesagt haben, haben Sie nicht Unrecht. Im Gegenteil: Die Verfahren müssen vereinfacht werden. Da muss etwas getan werden; das ist überhaupt keine Frage. Nur stellt sich mir die Frage: Inwiefern hindert unser Antrag, der einzig und allein auf die Kappung abzielt, daran, diese Verfahren trotzdem noch zu ändern? Dann könnte sogar noch als klares Signal gesagt werden: NRW will es verbessern. – Dass das nicht geschieht, verstehe ich nun wirklich nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Diese Frage haben Sie jetzt Frau Düker gestellt. – Bitte schön.

Monika Düker (GRÜNE): Das eine schließt das andere nicht aus. Wir dürfen nicht nur auf die Zahl gucken, wir müssen auf die Verfahren gucken.

(Zuruf von den PIRATEN: Dann kann man doch hier zustimmen!)

– Ja, wir brauchen eine perspektivische Lösung. Man sollte auch ab und zu in die Zukunft gucken. Wir sollten nicht mehr darum zanken, sondern die Aufnahmequoten festschreiben. Wir müssen die Verfahren beschleunigen, und wir müssten, wenn wir in Nordrhein-Westfalen mehr aufnehmen wollten – ich will hier nicht technisch, sondern politisch argumentieren –, neu anordnen. Technisch könnten wir diese Anordnung gar nicht verändern, sondern technisch müssten wir als Land Nordrhein-Westfalen eine neue Anordnung erlassen. Diese neue Anordnung – der Minister muss mich korrigieren, wenn das falsch ist – müsste auch wieder mit Zustimmung des BMI erfolgen.

Das heißt, um mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen aufnehmen zu können – wir sind dazu bereit –, können wir nicht so vorgehen, wie Sie es vorschlagen. Wir müssten eine neue Anordnung machen.

Politisch sind wir da auf einer Linie. Wir sind dazu bereit, eine neue Anordnung zu erlassen, um dann auch eine neue Zustimmung vom BMI zu bekommen. Politisch geht das in diese Richtung.

Von daher meine ich: Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen sollten sich hier etwas solidarischer zeigen als bisher. Nordrhein-Westfalen wird sich hier der Verantwortung nicht entziehen.

Aber auch der Bund muss handeln. Schaut man auf die Herkunftsländer und die hohe Belastung in den Nachbarländern der Krisenregion – Libanon und Jordanien – oder aber auch auf andere Länder, wohin die Flüchtlinge in erster Linie fliehen, erkennt man, dass wir – das finde ich – perspektivisch feste Resettlement- bzw. Aufnahmequoten brauchen. Das wäre mein Wunsch.

Ich stimme dem Kollegen Kruse ausnahmsweise mal zu.

(Zurufe von der SPD: Ui!)

– Ja, Herr Kruse, ab und zu muss das sein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, Sie kommen in dieser Runde jetzt aber zum Schluss.

Monika Düker (GRÜNE): Genau! – Man kann diese Dinge wirklich nicht in fünf Minuten Redezeit abarbeiten. Denn es geht um Fragen wie: Wie gehen wir weiter vor? Wie operationalisiert man? Wir ziehen da an einem Strang. Ich bin insofern dankbar für den Redebeitrag von Herrn Kruse. Im Ausschuss hätten wir an der Sache orientiert weiterdiskutieren können. Das wollen Sie aber offenbar nicht. Sie wollen nach jeweils fünf Minuten Redezeit über einen Sachverhalt abstimmen, der etwas schwieriger zu erörtern ist. Das finde ich schade, das bedauere ich. Deswegen werden wir den Antrag ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.

(Daniel Sieveke [CDU]: Wasch mich, aber mach mich nicht nass!)

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Düker, wenn man Ihrer Argumentation folgt, dann muss man sich die Frage stellen: Wer regiert denn hier in Nordrhein-Westfalen?

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Wer hat denn hier die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten?

(Minister Ralf Jäger: Die haben wir eben nicht!)

– Herr Minister, lassen Sie mich das ausführen. Sie haben ja gleich noch die Möglichkeit, sich zu äußern. Ich bin auch gespannt auf Ihre Ausführungen, weil ich Ihnen Positives unterstelle. Ich glaube aber, dass Sie und die Mehrheitsfraktionen hier den falschen Weg beschreiten. Denn es wäre wichtig und richtig gewesen – ich finde es enttäuschend, dass das nicht möglich war –, wenn das gesamte Haus, alle Fraktionen gemeinsam, ein klares Signal an die Flüchtlinge aus Syrien, um die es hier geht, gesendet hätten.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Debatte ist doch deutlich geworden: Auch ein gestandener Konservativer wie Herr Kruse hat die Sensibilität des Themas erkannt und klargemacht, dass alle hier im Hause um eine gemeinsame Haltung ringen. Und der Antrag von Frau Brand ist kein Dringlichkeitsantrag, der erst heute Morgen aufgetaucht ist, sondern liegt schon ein paar Tage auf dem Tisch. Es hat doch Gespräche gegeben. Es wäre möglich gewesen, zusammenzukommen und das Signal zu senden.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Wenn Sie aber sagen: „Wir vertagen das in den Ausschuss, wir machen dieses und jenes, am besten noch eine Expertenanhörung“, kann ich nur antworten: Meine Damen und Herren, in Syrien sterben Leute. Wenn wir ein humanitäres Zeichen setzen wollen, dann sollten wir das hier und heute tun.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Deswegen wird die FDP-Fraktion diesen Antrag unterstützen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Körfges zulassen?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ja.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen bewusst, wer im Augenblick noch das Bundesaußenministerium, das in vielen Fragen zuständig ist,

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

besetzt und wieso die Dinge auf anderer Ebene haken?

(Daniel Sieveke [CDU]: Antwort!)

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Kollege, das Bundesaußenministerium wird derzeit geschäftsführend von Guido Westerwelle geführt. Er entscheidet aber nicht hier und heute, ob wir die Flüchtlinge aufnehmen oder nicht, sondern das ist Ihre Entscheidung.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Stamp, würden Sie auch noch eine Zwischenfrage, und zwar von Frau Düker, zulassen?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ja, bitte.

Monika Düker (GRÜNE): Danke, Herr Stamp, für die Gelegenheit zur Zwischenfrage. – Ich bin ja bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass gemeinsame Signale sehr gut und sehr schön sind. Wären Sie denn auch bereit, heute das gemeinsame Signal auszusenden, dass sich der gesamte Landtag der Initiative des Innenministers anschließt, den Bundesinnenminister auf der Innenministerkonferenz aufzufordern, auch das 5.000er-Kontingent zu erhöhen?

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Wo ist der Antrag?)

Das wäre wunderbar. Dann könnten wir mit einer gemeinsamen Initiative rausgehen. Leider missbrauchen Sie die Debatte gerade – und das finde ich sehr schade – für parteipolitisches Herumtaktieren.

(Serap Güler [CDU]: Unfassbar!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, eine Frage bitte, keine Stellungnahme! Diese ist, glaube ich, angekommen.

Monika Düker (GRÜNE): Die Frage ist: Schließt sich Herr Stamp der Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen auf der IMK an?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Düker, den Vorwurf, wir würden hier parteitaktische Spielchen machen, weise ich in aller Entschiedenheit zurück. Das finde ich unglaublich!

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN – Christof Rasche [FDP]: Das ist eine Initiative von Fraktionen!)

Wir haben uns hier die ganze Zeit um eine gemeinsame Haltung bemüht. Jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit! Das ist wirklich unglaublich. Das war im Übrigen gerade auch keine Frage, sondern eine Unterstellung. Wenn wir uns in Runden treffen und verabreden, genau so etwas hier nicht zu veranstalten, dann finde es sehr bedenklich, dass Sie jetzt damit kommen. Das ist nicht in Ordnung.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie haben das doch genauso gemacht!)

Ich habe mich im Übrigen eben an den Innenminister gewandt und eindeutig gesagt, dass wir ihm einen positiven Ansatz unterstellen. Wir unterstellen ihm auch, dass er das Beste herausholen möchte. Dann möchte ich aber auch gerne die Argumentation hören, warum wir nicht von vornherein aus Nordrhein-Westfalen heraus ein Zeichen setzen sollten.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Sie verstecken sich hinter der Innenministerkonferenz. Das, meine Damen und Herren, finden wir falsch.

Zu diesem Thema ist wirklich alles gesagt. Es ist schade, dass das jetzt kontrovers abgestimmt wird. Wir haben unseren konstruktiven Beitrag geleistet. – Danke schön.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde die Schärfe in dieser Debatte in der Tat nicht gut, Herr Stamp. Sie dient nicht der Sache und auch nicht den Menschen. Ich meine in dieser Debatte erkannt zu haben, dass über alle Fraktionen hinweg eines klar ist: Wir dürfen die syrischen Familien, die syrischen Flüchtlinge nicht alleinlassen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben eine politische Verantwortung. Ich glaube, dass wir auch eine moralische Verantwortung haben. Und das gilt über alle Parteigrenzen hinweg.

Die Intensität, mit der die Debatte geführt wird, zeigt, mit wie viel Herzblut die Fraktionen hinter diesem Thema stehen. Das ist übrigens ein gutes Zeichen, Herr Stamp.

Wenn ich das erweitern darf, was das Herzblut angeht: Ich glaube, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörden in unseren Kommunen, aber genauso die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hotline, die wir für syrische Flüchtlinge eingerichtet haben, mit dem gleichen Herzblut daran arbeiten, so schnell wie möglich für humanitäre Lösungen im Einzelfall zu sorgen. Dafür sollten wir meines Erachtens auch dankbar sein: dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit demselben Herzblut vorgehen, wie wir hier diskutieren.

Meine Damen und Herren, es geht um das konkrete Ziel, diese Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen. Da sind wir gar nicht auseinander. Es geht um dieses konkrete Ziel, Herr Stamp.

Wenn man den Menschen wirklich helfen will, geht es um eine Lösung, die möglichst die beste, schnellste und die effektivste ist. Die beste, die schnellste und die effektivste Lösung, Frau Brand, ist eine Erhöhung der Aufnahmekapazität des Bundes – weil dies garantiert, dass in Zusammenarbeit mit dem UNHCR in den Flüchtlingslagern sehr viel schneller geschaut werden kann, wer zur Ausreise als Flüchtling geeignet ist und wer weniger geeignet ist. Über diesen Weg wird den Menschen am meisten, am schnellsten geholfen.

Von den 5.000 Flüchtlingen werden wir übrigens rund 1.000 in Nordrhein-Westfalen aufnehmen.

Ich sage Ihnen jetzt ganz deutlich: Ich finde es beschämend, angesichts dessen, was Jordanien, was der Libanon, was die Türkei zurzeit an Flüchtlingen aufnehmen, dass wir uns als ein Land, das unglaublich reich ist und in dem 80 Millionen Menschen leben, nicht dazu durchringen können, mehr als diese 5.000 aufzunehmen. Ich finde das beschämend, um es deutlich zu sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn bei diesem Flüchtlingsdrama, das wahrscheinlich das Drama unseres Jahrzehnts wird, tatsächlich rund 6 Millionen Syrer in Syrien und in den Nachbarländern auf der Flucht sind, sind wir als Deutschland – egal, Herr Kruse, was andere EU-Länder machen – moralisch dazu verpflichtet, ein Zeichen setzen, indem wir diese Grenze von 5.000 deutlich nach oben setzen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, entschuldigen Sie.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich würde jetzt gerne …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Es gibt den Wunsch, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen. Würden Sie dem Wunsch nachkommen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Schwerd möchte gerne fragen. Bitte schön, Herr Kollege.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herzlichen Dank, Herr Minister, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie wissen, ich bin der mit der Gutgläubigkeit.

Was halten Sie denn davon, wenn wir aus Nordrhein-Westfalen heraus Amtshilfe leisten zum Beispiel für die Botschaften, die mit der Bearbeitung der Visa-Anträge überfordert sind? Wir haben ja gehört, das sei ein Flaschenhals. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn da konkret vor Ort, mit nordrhein-westfälischen Mitteln zu helfen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Schwerd, das ist ein guter Gedanke, der ehrt Sie auch. Aber Sie haben es ja herausgearbeitet: Die Bundesanordnung ermöglicht eine Flucht nach Deutschland über die Flüchtlingsorganisationen. Die Landesaufnahme erfordert nach Gesetz ein Visum durch die jeweilige Botschaft vor Ort.

Und die Botschaften sind ja nicht nur verwaltungsmäßig überfordert. Sie müssen sich vorstellen, dass viele Flüchtlinge Damaskus schlichtweg nicht erreichen können. Da hilft auch keine Verwaltungsunterstützung. Die Menschen leben in Flüchtlingslagern, die zum Teil Hunderte von Kilometern von der deutschen Botschaft entfernt sind. Dieses Verfahren, so gut und richtig es ist, ist nicht das beste.

Das Beste ist, dass nächste Woche die Innenministerkonferenz feststellt: Wir trennen uns von dieser 5.000-Obergrenze und beschließen einen deutlich höheren Ansatz.

(Beifall von der SPD)

Ich bitte, mir abzunehmen, wofür ich stehe, Herr Schwerd: Es darf nicht sein, dass ein Familienangehöriger der jetzt hier lebenden Flüchtlinge deshalb nicht nach Deutschland kommen kann, weil es Zwistigkeiten zwischen Bund und Ländern gibt, weil wir uns hier nicht einigen können. Und da spielt es überhaupt keine Rolle, ob wir eine Aufnahmekapazität von 1.000 oder 4.000 haben. Wir müssen diesen Menschen direkt helfen.

(Beifall von der SPD)

Jetzt habe ich folgendes Problem: Ich stelle fest, dass das hier im Haus eigentlich die Meinung aller ist. Tun Sie mir bitte einen Gefallen, wenn ich in der nächsten Woche für diese Haltung in der Innenministerkonferenz werbe: dass ich für Nordrhein-Westfalen am Tisch sitzen und dem Bundesinnenminister sagen kann, dass wir die 5.000er-Grenze gar nicht zu erheben brauchen, weil Nordrhein-Westfalen die Grenze jetzt auf 4.000 angehoben hat und das sozusagen eingerechnet wird. Wir wollen schnelle Lösungen haben für die betroffenen Menschen. Das geht am besten durch eine Bundesanordnung.

Ich finde, wir kommen, wenn Sie die Forderung aufrechterhalten, hier direkt abzustimmen, in eine ganz komische Gemengelage: dass wir eigentlich alle dasselbe Ziel haben, aber – das ist mein Gefühl – dass man eher taktisch herangeht, als klug im Sinne der Menschen zu handeln.

(Beifall von der SPD)

Deshalb bitte ich Sie, auch dem Vorschlag von Herrn Kruse folgend, dass wir diesen Antrag heute nicht direkt abstimmen müssen, sondern im Innenausschuss beraten können. Ich garantiere Ihnen: Wir kommen zu einer sehr vernünftigen humanitären und solidarischen Lösung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Es gab, das möchte ich nachreichen, in den letzten Sekunden noch den Wunsch, Ihnen zwei weitere Fragen zu stellen. Wollen die beiden Kollegen das aufrechterhalten, Frau Brand, Herr Herrmann? – Herr Minister, wären Sie noch bereit?

(Minister Ralf Jäger [SPD]: Ja!)

Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich nun zunächst Herrn Kollegen Herrmann und dann Frau Kollegin Brand auf. – Bitte.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Minister, dass Sie die Frage noch zulassen. Für Ihr Engagement, das Sie hier deutlich gemacht haben, bedanken wir uns sehr. Ich habe aber leider immer noch nicht verstanden – wir haben hier in Nordrhein-Westfalen ja eine Grenze für den Familiennachzug; da gibt es ganz eigene Vorschriften –, was das mit der grundsätzlich notwendigen Erhöhung des Allgemeinkontingents zu tun hat, wofür Sie sich auf der Innenministerkonferenz einsetzen werden. Wo besteht da der Zusammenhang?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ich will es gerne noch mal versuchen zu erklären, Herr Herrmann. Frau Düker hat es zu Recht geschildert: Von der Aufnahmeanordnung des Landes haben bisher nur fünf profitieren können, weil das so unglaublich kompliziert ist und weil wir nach Recht und Gesetz auch nicht anders vorgehen können. Ich mache Herrn Westerwelle da persönlich überhaupt keinen Vorwurf. Aber die Botschaften sind personell überfordert, und das Erreichen der deutschen Botschaft ist für die Flüchtlinge unglaublich schwierig. Insofern hat es keinen Sinn, in einen Überbietungswettbewerb zu gehen, wo wir die Grenze in der Landesanordnung setzen, wenn die gar nicht wirkt.

Ich würde von diesem Landtag daher gerne ein Verhandlungsmandat in die Innenministerkonferenz nächste Woche mitnehmen, dass der Bund seine Anordnung erhöhen muss. Das ist das Einzige, was den betroffenen Menschen unmittelbar hilft.

Eine Debatte um die Grenzziehung in einer Landesanordnung hilft den Menschen nicht weiter. Ich bitte daher, abzuwägen, ob eine solche abschließende Bewertung heute wirklich Sinn macht.

Da war noch eine Zwischenfrage.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Kollegin Brand hat ihre Frage zurückgezogen. – Weitere Informationsinteressen sehe ich nicht mehr. Wir sind somit am Ende der Aussprache angelangt.

Nun kommen wir zur Abstimmung. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/4388. Wer dem Antrag der Piraten seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich der Stimme?

(Unruhe)

– Ich darf um Ruhe bitten, meine Damen und Herren! Wir sind mitten in der Abstimmung! – Ich darf das Ergebnis feststellen: Damit ist der Antrag der Piraten Drucksache 16/4388 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und Piratenfraktion abgelehnt.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 4. – Wir treten ein in die Beratung zu Tagesordnungspunkt

5   Gesetz zur Aufhebung des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/4443

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende FDP-Fraktion als erstem Redner Herrn Abgeordneten Bombis das Wort.

(Anhaltende Unruhe)

– Ich darf doch sehr herzlich bitten, weil in den Gängen hier viele Kolleginnen und Kollegen weiterdiskutieren: Seien Sie so nett und führen Sie diese Gespräche vor dem Plenarsaal, damit wir der Debatte weiter mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen können.

Wir warten noch einen kleinen Augenblick, Herr Kollege Bombis. – So. Ich denke, es kann losgehen. Herr Kollege Bombis hat das Wort. Bitte schön.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Wir haben uns in diesem Haus bereits häufig mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz befasst. Ich habe die Hoffnung, dass die heute beginnende Beratungsrunde die letzte Befassung mit diesem Gesetz ist.

Ich möchte zu dem Hintergrund unseres eingebrachten Gesetzentwurfs kurz die Chronologie des Gesetzes rekapitulieren.

In der 15. Wahlperiode wurde das Tariftreue- und Vergabegesetz verabschiedet. Nicht nur die FDP-Fraktion, sondern auch die CDU-Fraktion hat bereits damals vor überbordender Bürokratie gewarnt.

Ich möchte deutlich machen, dass es dabei nicht um eine Bewertung der Ziele geht, die mit diesem Gesetz erreicht werden sollen. Da können wir im Einzelnen vielleicht über Nuancen diskutieren. Aber so wie auch der Städte- und Gemeindebund, der Landkreistag, der Städtetag sowie der Verband kommunaler Unternehmen haben wir damals bereits die Frage aufgeworfen, ob das Vergaberecht das richtige Instrument ist, um verschiedenste gesellschaftliche Problemstellungen zu lösen. Wir haben sie klar mit Nein beantwortet.

(Beifall von der FDP)

Hier werden den Unternehmen und den Kommunen Pflichten aufgedrückt, die diese schlechterdings nicht erfüllen können.

(Beifall von der FDP)

Die Verbände haben zusätzlich angemerkt, dass es bei dem Vergaberecht sowieso schon sehr kompliziert zugeht und es in keiner Weise sinnvoll ist, hier noch eine weitere Verkomplizierung hinzuzufügen.

Die Mehrheit aus Grünen, SPD und Linken, meine Damen und Herren, wollte damals aber daran festhalten und hat die Zunahme bürokratischer Hürden wissentlich und willentlich aus ideologischen Gründen in Kauf genommen. So weit – so schlecht.

Als Nächstes hat die rot-grüne Landesregierung in dieser Wahlperiode die Rechtsverordnung zum Tariftreue- und Vergabegesetz vorgelegt. Ich will Ihnen durchaus zugestehen, dass Sie das vielleicht in guter Absicht getan haben. Aber ich muss feststellen, dass es an diesem Gesetz eben nichts zu verbessern gab; denn dieses Gesetz war nicht verbesserungsfähig. Ich zitiere noch einmal die kommunalen Spitzenverbände: Die Rechtsverordnung wird vor Ort als eine äußerst bürokratische Regelung verstanden.

Der Unternehmerverband in Nordrhein-Westfalen berichtete bereits in der Anhörung zur Rechtsverordnung von einer Vielzahl von Rückmeldungen aus der Unternehmerschaft. Diese hat klar und deutlich darauf hingewiesen, dass insbesondere die umfangreichen Nachweis- und Kontrollpflichten zu einem extremen bürokratischen Aufwand führen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat es nicht für nötig gehalten, der Clearingstelle für Mittelstand das Gesetz vorzulegen. Sie werden wissen, warum Sie es nicht getan haben. So weit – so schlecht.

Aber wie stellt sich die Situation heute dar? Wie ist das Gesetz in der praktischen Anwendung zu bewerten? Ich will nur drei kurze Fälle nennen, die das in sehr schöner Weise veranschaulichen.

Der erste Fall kommt aus Arnsberg. Die Bezirksregierung Arnsberg hält das Tariftreue- und Vergabegesetz schlicht für europarechtswidrig.

Der zweite Fall kommt aus Düsseldorf. Faktisch soll ein Auftraggeber bei öffentlichen Aufträgen seinen Auftragnehmer verpflichten, und der wiederum soll sich selbst verpflichten, dass er irgendwo im Ausland Löhne durchsetzt, die die nordrhein-westfälische Landesregierung für angemessen hält. ? Meine Damen und Herren, wie soll das funktionieren? Sie fordern hier doch faktisch zum Rechtsbruch auf. Wie soll ein Unternehmen das nachweisen können?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Drittens. Die Verwaltung in Bonn weist darauf hin, dass sie zum Teil gar keine Angebote auf Ausschreibungen mehr bekommt.

Es bleibt einfach festzuhalten: Dieses Gesetz ist nicht geeignet – weder für Unternehmen noch für den Mittelstand noch für Kommunen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Im Ergebnis bleibt festzustellen: Das Gesetz war von Anfang an als bürokratisches Monster angelegt. Es ist durch die Rechtsverordnung nicht verbessert worden. Es ist auch im Praxistest durchgefallen.

Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung:

„Mittelständische Unternehmen werden wir von unnötigen bürokratischen Hemmnissen entlasten und das Vertrauen zwischen öffentlichen Verwaltungen und Wirtschaft stärken.“

So der Koalitionsvertrag von Rot und Grün hier in Nordrhein-Westfalen!

(Ralf Witzel [FDP]: Nur Worthülsen!)

Wo ist dieses Vertrauen, das Sie bei mittelständischen Unternehmen stärken wollen, wenn Sie Rechtsbruch provozieren, weil solche Nachweispflichten einfach nicht zu leisten sind?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie schaffen mehr Bürokratie und mehr Unsicherheit für Unternehmen und Mittelstand. Sie schaffen mehr Bürokratie auch für das Land. Sie belasten den Landeshaushalt. Und Sie schaffen mehr Bürokratie vor Ort für die Kommunen.

Es ist nun an der Zeit, das ideologische Projekt Tariftreue- und Vergabegesetz zu beerdigen. Nehmen Sie sich ein Beispiel daran, wie wir, Schwarz-Gelb, es in unserer Regierungszeit gemacht haben: Schaffen Sie dieses Gesetz einfach ab!

Ich bin gespannt auf die Beratungen und hoffe, dass am Ende die Abschaffung dieses Monsters steht. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion ist Herr Kollege Schmeltzer auf dem Weg zum Rednerpult. Jetzt erhält er auch das Wort. Bitte.

Rainer Schmeltzer*) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Bombis, ich fange mit Ihrem Schlusssatz an. Das wird Ihnen nicht gelingen. Von einem Monster kann keine Rede sein. Hier geht es um ein gutes Gesetz. Und dieses gute Gesetz wird von Ihnen nicht kaputtgemacht.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Ich rede in diesem Landtag seit 2002 über Tariftreue. Ich werde auch weiterhin dazu reden. Und ich werde Ihrer Mentalität an keiner Stelle nachgeben.

(Zurufe von der FDP)

Es ist schon großes Kino, was Sie hier machen. Sie starten ein Gesetzgebungsverfahren: einen – sage ich mal – Dreizeiler mit zwei Paragrafen. In § 1 wird das Gesetz aufgerufen, und in § 2 steht, wann das Gesetz in Kraft treten soll. Damit haben wir heute eine erste Lesung. Wir haben eine Überweisung an insgesamt sechs Ausschüsse. Wir haben mit Sicherheit die entsprechenden Beratungen. Wir haben eine Anhörung. Durch eine Anhörung entstehen logischerweise Kosten, die Sie gestern in jeder einzelnen Beratung auf Teufel komm raus verurteilt haben. Wir haben eine zweite Lesung.

Wir machen das. Natürlich! Sie haben das Recht, einen Gesetzentwurf einzubringen. Wir haben das im Ältestenrat so vereinbart. Aber manchmal muss man solche Vereinbarungen auch hinterfragen.

Ich will auch eines ganz deutlich machen: Das, was Sie bei dieser Thematik machen – im Übrigen seit 2002 –, ist nichts anderes als politischer Popanz.

(Zurufe von der FDP)

Sie haben auf die Anhörung am 25. Januar dieses Jahres Bezug genommen. In dieser Anhörung – ja, wir haben uns das sehr genau angehört – ging es um die Rechtsverordnung. Es ist sehr interessant, dass Sie im Zusammenhang mit dieser Anhörung immer auch auf das Gesetz Bezug nehmen. Es ging da um die Rechtsverordnung.

Ich meinerseits nehme Bezug auf die Ausschusssitzung am 8. Mai, in der die Auswertung dieser Anhörung stattfand. Da ist deutlich geworden, wie ernst die Landesregierung und wir als regierungstragende Koalition diese Anhörung genommen haben. Wir haben rechtstechnische Hinweise aufgenommen, wir haben klarstellende Formulierungen aufgegriffen. Wir haben das so ernst genommen und sind den Anregungen aus der Anhörung so weit nachgekommen, dass Ihnen das schon wieder zu viel war und Sie ein neues Verfahren einleiten wollten. Das zeigt doch nur, dass Sie an der Sache gar nicht interessiert sind.

Fakt ist, Sie wollen weiter Lohndumping und Wettbewerbsverzerrung. Herr Bombis, Sie haben das zwar gerade relativiert. Aber schauen Sie bitte mal in die Protokolle jener Plenardebatten, die stattgefunden haben, als Sie diesem Parlament noch nicht angehört haben. Ich habe dem Parlament damals sehr wohl angehört, der Kollege Brockes auch – er grinst schon so, weil er genau weiß, worauf ich hinauswill –: Sie haben das seinerzeit verteufelt, als es ausschließlich um Tariftreue ging, als ob das etwas wäre, was uns das Leben kosten würde.

Tariftreue bedeutet weiterhin fairen Wettbewerb, und dabei bleiben wir.

Wir haben etwas gemacht, was als Vorläufer für den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gilt: Wir haben Lohngerechtigkeit hergestellt und Niedriglohngruppen bei öffentlichen Aufträgen eine Absage erteilt. Es kann und darf zum Beispiel nicht sein, dass in einer Kommune öffentliche Aufträge an Niedriglöhner vergeben werden und ebendiese Niedriglöhner dann zu derselben Kommune gehen und um Aufstockerleistungen bitten. Das ist perfide.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, gestatten Sie, dass ich Sie frage, ob Sie eine Zwischenfrage des von Ihnen bereits angesprochenen Abgeordneten, des Kollegen Brockes, zulassen möchten?

Rainer Schmeltzer*) (SPD): Immer gerne. Ich habe ihn schon auf der Rednerliste vermisst.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann haben Sie ihn jetzt gefunden. – Herr Kollege Brockes, bitte.

Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer, dass Sie mir die Möglichkeit geben, mich auch in diese Debatte einzubringen.

Herr Kollege Schmeltzer, da Sie das Gesetz so loben: Wir erklären Sie es sich, dass dieses angeblich so gute Gesetz mehrfach erfolgreich beklagt wurde?

Rainer Schmeltzer*) (SPD): Herr Kollege Brockes, dieses Gesetz ist noch gar nicht mehrfach erfolgreich beklagt worden; es sind Verfahren anhängig. Ich nehme jetzt meinen Redebeitrag vorweg – das wird mir dann auch nicht auf die Redezeit angerechnet, herzlichen Dank dafür –: Wir nach unserem Verständnis warten, wenn Verfahren anhängig sind, auf die Urteile und ziehen daraus unsere Schlüsse, statt wie Sie Urteile nicht abzuwarten – das ist ein komisches Rechtsverständnis – und schon vorher Gesetzesabschaffungen zu fordern.

(Zurufe von der FDP)

Aber ich danke Ihnen, dass Sie sich in die Debatte eingebracht haben. Mir hätte an dieser Stelle sonst etwas gefehlt.

Ich will es mal im Sinne von Karl-Josef Laumann sagen, der auf der Internetseite der CDA, deren Bundesvorsitzender er ist, im Jahre 2011 Folgendes geschrieben hat:

„Wir kämpfen entschlossen gegen Dumpinglöhne. … Es soll eine allgemeine und allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze eingeführt werden, die die Regel sein wird.“

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht jetzt auch im Koalitionsvertrag auf Bundesebene, der bei uns zur Abstimmung vorliegt, der Mindestlohn als mit der CDU vereinbart. Und das ist ein gutes Signal gegen Lohndumping und Niedriglöhne.

Ich habe mich schon gewundert, dass der Kollege Spiecker, der gleich auch noch reden wird, applaudiert hat, steht doch in demselben Koalitionsvertrag auf der Seite 69 – „Tariftreue im Vergaberecht“ ist die Überschrift –:

„Auf Länderebene bestehen bereits Vergabegesetze, die die Vergabe öffentlicher Aufträge von der Einhaltung allgemeinverbindlicher Tarifverträge abhängig machen. Wir werden eine europarechtskonforme Einführung vergleichbarer Regelungen auch auf Bundesebene prüfen. Im Ergebnis dürfen damit keine bürokratischen Hürden aufgebaut werden.“

An dieser Stelle ist das ein guter Koalitionsvertrag. Wir werden uns mit unseren Erfahrungen dort einbringen; dessen können Sie sicher sein. Dann werden wir endlich auch auf der Bundesebene Tariftreue anstreben können.

Zu der vorliegenden Drucksache nur so viel: Zu den Verfahren habe ich einiges gesagt; denen werden wir nicht vorgreifen. Sie unterstellen in Ihrem 13-sei-tigen Papier, dass bei den Kommunen finanzielle Entlastungen zu erwarten wären, wenn Ihr Gesetzentwurf durchkommt. Sie verschweigen, dass wir in unserem Gesetz einen Konnexitätsparagrafen haben, der dort zum Tragen kommt. Sie kritisieren eine Prüfbehörde und verschweigen dabei, dass diese Prüfbehörde insbesondere auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände eingerichtet wurde, exakt um sie zu entlasten. Das war nämlich der Hintergrund dieser Angelegenheit.

Ihnen ist dieses Gesetz seit 2002 ein Dorn im Auge, weil für Sie Lohndumping zur Privatwirtschaft gehört. Das wird immer so bleiben.

Damit komme ich zu dem zurück, was ich schon am Anfang gesagt habe: Ihr Gesetzentwurf wird keine Mehrheit bekommen. Und im Bund wird die Bundesregierung – mit der Union – die Tariftreue prüfen, und wir werden dabei behilflich sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Spiecker das Wort.

Rainer Spiecker (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Sie haben es sich sicher schon gedacht: Wir von der CDU-Landtagsfraktion begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf der FDP zur Abschaffung des völlig unsinnigen Tariftreue- und Vergabegesetzes.

Warum? – Seit Inkrafttreten dieses Gesetzes hat sich massiver Widerstand in Kommunen und Wirtschaft formiert. Verfassungsbeschwerden sowie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof sind mittlerweile anhängig.

In der Kritik heißt es unter anderem, dass es dem Land bei den sozialen Kriterien an der Gesetzgebungskompetenz fehle, da diese abschließend vom Bund im Arbeitsrecht wahrgenommen worden sei und außerdem nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs München allein die Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation Adressaten der ILO-Norm seien, nicht aber die Unternehmen.

Ferner werde der Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung durch die größtenteils gesellschaftspolitisch motivierten Vorgaben ausgehöhlt.

Schließlich bezweifeln die Vergabekammern Düsseldorf und Arnsberg, dass das Tariftreuegesetz überhaupt dem europäischen Recht entspricht, da es die Dienstleistungsfreiheit aushebelt.

Kurz gesagt: Das Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht und verfassungs- und europarechtlich äußerst bedenklich.

Wir hätten uns deshalb gewünscht, dass der Gesetzentwurf zur Abschaffung des TVgG nicht von der FDP, sondern von der Landesregierung selbst eingebracht worden wäre, auch und vor allem deshalb, weil die Kritik von Unternehmen und aus dem Mittelstand an Ihrem Gesetz nicht abreißt.

Die Tariftreuevergabe ist ein echtes Bürokratiemonster, wie der Kollege schon gesagt hat. Hinweise dafür gibt es zu Genüge. Ich erinnere an dieser Stelle nur an die Anhörung vom 25. Februar, in der die Sachverständigen das Gesetz und die dazugehörende Verordnung scharf kritisiert haben.

Für alle, die sich nicht mehr so ganz deutlich daran erinnern, möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten kurz aus drei Stellungnahmen zitieren.

Erstens. Die Stellungnahme des Bauindustrieverbandes NRW:

„Bereits in unserer schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW sowie in der Anhörung am 18.10.2011 hatten wir darauf hingewiesen, dass das Gesetz eine unzumutbare Belastung für die ausführende Wirtschaft mit sich bringen werde. Der vorliegende Entwurf der Rechtsverordnung … bestätigt – bedauerlicherweise – in profunder Form unsere Befürchtungen.“

Zweitens. Die Stellungnahme von unternehmer nrw:

„Dem erklärten Ziel der Landesregierung, durch eine Rechtsverordnung den bürokratischen Aufwand des TVgG-NRW nun auf ein Minimum zu reduzieren und Rechtsunsicherheit zu beseitigen, wird der vorliegende Entwurf nicht gerecht. Vielmehr zeigt der mit Begründung und Anlagen insgesamt 64 Seiten umfassende Rechtsverordnungsentwurf, welch immensen und unverhältnismäßigen Regelungsaufwand die Berücksichtigung vergabefremder Kriterien erfordert.“

Drittens. …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter. Ich unterbreche Sie ungern. Aber gleich zwei Kollegen würden Ihnen gerne eine Frage stellen, Herr Kollege Müller und Herr Kollege Priggen. Würden Sie die zulassen?

Rainer Spiecker (CDU): Bitte schön.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann ist erst Herr Kollege Müller am Zug. Bitte schön.

Hans-Peter Müller (SPD): Herzlichen Dank, dass ich die Zwischenfrage stellen kann, Herr Spiecker. Ich habe gerade den Koalitionsvertrag vorliegen. Herr Schmeltzer hat das vorhin schon angefragt. Wie stehen Sie denn dazu, dass Herr Laumann und Herr Laschet das in Berlin für den Koalitionsvertrag verhandeln und Sie hier von Teufelszeug reden? Das kann es doch nicht sein.

Rainer Spiecker (CDU): Herr Kollege, erstens rede ich nicht von Teufelszeug. Zweitens verhandelt die Koalition in Berlin in einem Thema, bei dem wir in Nordrhein-Westfalen noch gar nicht so weit sind. Wir reden ja hier über einen Gesetzentwurf; das wollen wir ja erst einmal sehen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Was? – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie wissen aber schon, worüber Sie reden?)

– Das weiß ich.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Man muss doch eines sehen: Wir reden jetzt hier zum Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf)

– So ist es, Frau Kollegin.

(Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

– Erlauben Sie mir, dass ich weitermache? – Danke schön.

Herr Minister Duin, angesichts der vorgetragenen Stellungnahmen frage ich Sie: Warum nehmen Sie diese Kritik des Mittelstandes nicht ernst und schaffen dieses Bürokratiemonster endlich ab? Wer den Mittelstand ernst nehmen will, sollte dieses nicht nur in Sonntagsreden tun, wie Sie, Herr Minister. Vielmehr müssten sich alle, die die Wirtschaft in unserem Land voranbringen wollen, verstärkt dafür einsetzen, dass der Mittelstand von unsinnigen Belastungen befreit wird. Das wäre Ihr Job, Herr Minister.

Herr Minister Jäger ist leider im Moment nicht anwesend. Ihn frage ich: Warum lassen Sie die Kommunen mit dem TVgG im Stich? Warum belasten Sie die kommunalen Haushalte mit diesem Gesetz zusätzlich? Warum kommen Sie Ihrer Konnexitätsverpflichtung nicht nach? Warum kämpfen Sie nicht gemeinsam mit Ihrem Kollegen Duin für eine Abschaffung?

Am Ende wird Ihnen beiden dazu die Kraft fehlen. Am Ende wird diese Landesregierung gegen jede Vernunft an diesem unsinnigen Gesetz festhalten. Am Ende werden Sie die Sorgen und Nöte der Unternehmen und Kommunen mit diesem Gesetz wieder einmal ignorieren.

Wenn das so ist, dann machen Sie den Vollzug für Kommunen und Unternehmen wenigstens einfacher! Dann erklären Sie endlich öffentlich, dass Sie zu Ihren Konnexitätsverpflichtungen stehen!

(Thomas Eiskirch [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss, Herr Kollege.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Herr Eiskirch, ich glaube, Sie sind einverstanden – die Rede war zu Ende –, das vielleicht in anderer Form zu diskutieren.

Ich darf der nächsten Rednerin, Frau Kollegin Schneckenburger, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort erteilen.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst habe ich mich nicht so sehr auf diese Debatte gefreut. Aber ich muss sagen: Die Freude daran wächst eigentlich mit jeder Minute.

Herr Spiecker, was haben Sie eigentlich verbrochen, dass Sie zu diesem Punkt aus Ihrer Fraktion reden müssen?

(Lachen und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist ja wirklich eine furchtbare Aufgabe, die Sie hier zu erfüllen hatten. Man weiß ja gar nicht, ob es noch der Text von vor ein paar Monaten war. Der Punkt ist doch längst abgeräumt in der CDU. Die CDU ist doch handelseinig geworden mit der SPD auf Bundesebene für einen Mindestlohn, Tariftreue und Mindestlohn. Da sind Sie sich doch längst einig geworden. Sie haben doch in Ihren Koalitionsvertrag hereingeschrieben, dass Sie sich um die Vergabe kümmern wollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die CDU hat also diese Position geräumt. Was bitte ist noch Ihr Vorhalt im nordrhein-westfälischen Landtag? Was bitte ist Ihr Vorhalt? Das ist mir unverständlich.

Ihr Fraktionsvorsitzender Laumann hat übrigens schon zu Ihrer Regierungszeit nach einer Reise nach Indien dafür gesorgt, dass Ihre Wirtschaftsministerin Teile dessen, was wir dann hier übernommen haben, für Nordrhein-Westfalen kodifiziert hat; dies tat sie nicht in Gesetzesform, sondern als Runderlass.

Sie haben also schon damals in der Sache eingeräumt, dass es richtig ist, die ILO-Kernar-beitsnormen zur Voraussetzung für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu machen. Sie haben in der Sache eingeräumt, dass es richtig ist, nachhaltige Beschaffung in Nordrhein-Westfalen vorzunehmen. Denn das ist auf Dauer nicht nur ökologisch und klimapolitisch richtig, sondern auch finanziell richtig.

Sie haben jetzt auch auf Bundesebene eingeräumt – das hat Ihr Fraktionsvorsitzender im Grunde genommen auch schon zuvor getan –, dass es richtig ist, einen Mindestlohn zu beschließen, um die Kommunen – insofern ist die Frage beim Kommunalminister richtig platziert – eben nicht in die Situation zu versetzen, mit ihrer Vergabe einerseits dafür zu sorgen, dass Lohnstandards unterschritten werden, und andererseits das Arbeitslosengeld II kofinanzieren zu müssen. Das ist doch eine verrückte Praxis, die wirklich niemand für richtig halten kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage vom Herrn Kollegen Post zulassen?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön.

Norbert Post (CDU): Schönen Dank, Frau Kollegin. – Könnten Sie uns bitte noch einmal die Liste all der Dinge nennen, die neben der eigentlichen Tariftreue in diesem Gesetz zusätzlich verhackstückt werden, die von den Kommunen kaum umsetzbar sind und hinsichtlich derer sich Kommunen Dritter und Vierter bedienen müssen, um sie leisten zu können?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Ja, das tue ich gerne, Herr Post. Wie gesagt, es geschah in einem gewissen Schulterschluss mit Ihrer ehemaligen Wirtschaftsministerin Frau Thoben.

Nachhaltigkeit ist für uns ein ganz wichtiges Kriterium. Das bedeutet auch wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Das billigste Angebot, das eine Kommune einwirbt, ist nicht immer das wirtschaftlichste. Die Energiekosten spielen beispielsweise bei einem Drucker, den man anschafft, auch eine Rolle. Deswegen sagen wir, dass man das Lebenszyklusprinzip betrachten sollte. Was kostet das Produkt über die Lebenszeit?

Zweitens geht es uns um die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen. Wir sind gegen Kinderarbeit in nordrhein-westfälischen Städten und auf nordrhein-westfälischen Plätzen.

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

– Dass Sie das nicht teilen, Herr Bombis, weiß ich.

(Ralph Bombis [FDP]: Das ist doch eine Unverschämtheit!)

Das ist für uns ein grundlegender menschenrechtlicher Standard, und auch an der Stelle sind wir der Linie der damaligen Wirtschaftsministerin gefolgt.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Dritter Punkt: Wir wollen, dass die Unternehmen auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten – deshalb haben wir die Schwellenwerte und den Maßnahmenkatalog entsprechend gesetzt – einen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten. Das ist auch eine wichtige Zukunftsaufgabe für die Unternehmen, die wissen, dass sie zukünftig auf Frauen als Fachkräfte zugreifen müssen.

Sie können ruhig sagen, das sei alles durcheinandergerührt, aber wir halten das für ein ausgesprochen fortschrittliches Tariftreue- und Vergabegesetz in der Bundesrepublik. Ich war kürzlich in Baden-Württemberg und fand es sehr spannend, wie sich die Arbeitgeberverbände zur baden-württembergi-schen Idee eines Vergabegesetzes aufstellen. Wir sind mit unserem Tariftreue- und Vergabegesetz dem Beispiel anderer Bundesländer gefolgt, und jetzt folgt der Koalitionsvertrag auf Bundesebene dem nordrhein-westfälischen Beispiel. So ist das.

Sie haben natürlich jetzt als CDU eine relativ schwierige Position in diesem Landtag. Aber so ist das nun einmal, wenn man sich in eine Große Koalition begibt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, schon gibt es weitere Wünsche, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Immer.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann erteile ich Herrn Kollegen Bombis das Wort. Herr Spiecker steht auf der Warteliste.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Danke, dass Sie die Frage zulassen, Frau Schneckenburger. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sowohl ich als auch meine gesamte Fraktion selbstverständlich Ziele wie die Eindämmung von Kinderarbeit teilen und dass es wirklich eine Unverschämtheit ist, dass Sie so etwas infrage stellen?

(Beifall von der FDP)

Sind Sie darüber hinaus bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir aber auch der Auffassung sind, dass wir es nicht einem nordrhein-westfälischen Vier- oder Fünf-Mann-Betrieb aufs Auge drücken können, mit seiner Unterschrift bei der Abgabe von Angeboten die Kinderarbeit in Indien oder anderswo auf der Welt zu bekämpfen? Das ist einfach nicht möglich.

(Beifall von der FDP)

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Herr Bombis, ich nehme in der Tat zur Kenntnis, dass Sie sagen, dass es der FDP-Fraktion wichtig ist. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass die FDP-Fraktion mehrfach Versuche unternommen hat, dieses Gesetz zu kippen, und dass sie sich auch heute hierhin stellt und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt.

Ich frage Sie umgekehrt, Herr Bombis: Wie viel Ernsthaftigkeit hat eigentlich eine solche Erklärung, die Sie nicht bereit sind, in konkrete Politik umzusetzen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Da wir jetzt nicht in den freien Diskurs überwechseln können, ist Herr Kollege Spiecker mit seiner Frage an der Reihe.

Rainer Spiecker (CDU): Frau Kollegin, ich habe nur eine einzige Frage: Ist für Sie der Mindestlohn von 8,50 € die Kernaussage in diesem Gesetz?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Herr Spiecker, wir haben in diesem Gesetz keinen Mindestlohn von 8,50 € vorgehen. Vielmehr ist das Ihre Vereinbarung auf Bundesebene. Dieses Gesetz sieht in Anerkennung der europäischen Rechtsprechung einen vergabespezifischen Mindestlohn vor, und zwar folgt dies folgender Argumentation: Wenn die Kommune X oder Y eine Leistung selber erbringen würde, dann könnte sie ihr Tarifgefüge nicht unterschreiten. Darum haben wir gesagt, dass der niedrigste Tarif, der kommunal und somit mittelbar staatlich gezahlt wird, für uns der Tarif ist, der für das Tariftreue- und Vergabegesetz gelten soll.

Sie haben recht, dass es eine Klage gibt. Klagen werden aber vor Gericht entschieden. Wir sind uns sehr sicher, dass dieses Gesetz auch dieser Klage standhalten wird. Es gab ein Gesetz, das in der Vergangenheit einer Klage nicht standgehalten hat. Das ist aber in der Debatte berücksichtigt und von unserer Seite genau so geregelt worden, um das Gesetz europafest zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, die FDP ist sehr isoliert. Sie ist natürlich jetzt in einer schwierigen Position; das kann ich verstehen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Unser Bedauern hält sich in Grenzen!)

– Ja, im Bund ist nichts mehr, und ansonsten läuft es auch nicht gut.

(Ralph Bombis [FDP]: Uns reicht der Mittelstand an der Seite!)

Mit dem Mittelstand an der Seite hat es auch so seine Probleme, auch in Nordrhein-Westfalen. Ich kann verstehen, Sie sind sehr isoliert und versuchen, ein Thema zu finden, das die FDP zusammenhält und die innere Identität in der FDP schafft. Das Tariftreue- und Vergabegesetz ist für Sie darum ein beliebtes und häufiges Thema.

Jetzt einen Gesetzentwurf einzubringen, damit man in den Ausschuss kann, eine Anhörung machen kann und noch einmal ins Parlament kann, obwohl es in der Sache überhaupt nichts Neues gibt, das ist allerdings auch ein bisschen Verschwendung parlamentarischer Ressourcen. Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle gerne sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber wir werden selbstverständlich mit Ihnen in eine Debatte gehen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Sommer.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ich springe heute für den Kollegen Sommer ein!)

– Herr Sommer sah gerade noch anders aus. Für die Zukunft bitte ich darum, vorne zu melden, wenn Redner umdisponiert werden. Das erleichtert das Geschäft.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ich bin davon ausgegangen, dass das geschehen ist!)

– Es ist ja nicht Ihre Schuld. Ich erteile Ihnen auch gerne das Wort. Bitte.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause!

„Unfaire Löhne sind eine der größten Bedrohungen des sozialen Friedens und des sozialen Zusammenhalts. Im öffentlichen Beschaffungswesen ist die Gewährleistung einer ordentlichen Bezahlung ein unverzichtbares Mittel, um Lohn- und Sozialdumping bei öffentlichen Aufträgen zu unterbinden.“

Diese Worte könnten Ihnen bekannt vorkommen. Es sind die einleitenden Worte der Gesetzesbegründung aus dem Juli 2011. Bereits in dieser Haltung kommt zum Ausdruck, was das Grundproblem an diesem Gesetz ist und warum es vor dem Europäischen Gerichtshof nach dessen berühmter Rüffert-Entscheidung vermutlich keinen Bestand haben wird. Da bin ich dezidiert anderer Auffassung als die Kollegin Schneckenburger von den Grünen.

Zunächst möchte ich klarstellen, dass wir die Intention des Gesetzes, wie sie in den eben zitierten einleitenden Worten in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommt, ausdrücklich unterstützen. Sozialdumping darf kein Wettbewerbsfaktor sein. Daher haben mittlerweile fast alle Bundesländer ein entsprechendes Tariftreuegesetz erlassen. Deswegen, liebe FDP, ist es auch falsch, es komplett abschaffen zu wollen.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Allerdings ist der Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung, die Rüffert-Entscheidung, in den damaligen Beratungen des Landtags viel zu kurz gekommen, nur ganz kurz behandelt worden. Der Knackpunkt in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs war doch, dass das niedersächsische Tariftreuegesetz keine allgemeine Regelung des Mindestlohns vorsah. Das kann grundsätzlich auf zwei Weisen geschehen: zum einen durch einen gesetzlichen Mindestlohn und zum anderen dadurch, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, dann gilt er nämlich tatsächlich für alle Arbeitnehmer innerhalb dieses Tarifgebiets. Entscheidend ist an dieser Stelle das Wörtchen „alle“, das Ihnen Schwierigkeiten bereitet.

Was europarechtlich nicht geht, ist, zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu unterscheiden. Denn wenn ein Mindestlohn gelten soll, dann doch bitte schön für alle Arbeitnehmer, egal, ob sie im Auftrag für die Privatwirtschaft oder die öffentliche Hand tätig sind.

(Beifall von den PIRATEN)

Man kann nämlich nicht nur den öffentlichen Bereich schützen. Genau das verlangt auch der Europäische Gerichtshof von uns und vor allem von Ihnen, liebe rot-grüne Koalition, als Landesgesetzgeber. Denn nur dann kann man Ihnen abnehmen, dass es Ihnen wirklich um Arbeitnehmerschutz geht. Ansonsten steht doch die Vermutung im Raum, dass es Ihnen nur darum geht, günstigere Anbieter mittels vorgeschobener Argumente vom Verfahren auszuschließen, um dann doch dem teureren Unternehmer den Zuschlag zu geben, mit dem man vielleicht schon so viele Jahre gemeinsam im Stadtrat sitzt.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: So sieht es aus!)

Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen: Wir haben auf Initiative der Piraten die umstrittene EU-Richtlinie zur Konzessionsvergabe in diesem Hause behandelt. Der Liberalisierungsdruck, der von dieser Richtlinie ausgeht, ist enorm. Die mögliche Privatisierung der Trinkwasserversorgung hatte viele Bürger aufgeschreckt. Sie regelt aber auch, dass bei öffentlichen Konzessionen künftig nur Tariftreueverpflichtungen eingefordert werden dürfen, wenn diese unionsrechtskonform sind. Auch hier sorgen Sie mit Ihrem Gesetz für anfechtbare Vergabeentscheidungen. Das wird letztlich dazu führen, dass sich Billiganbieter, die wir nicht haben wollen, wieder in die Verträge hineinklagen. Das wollen wir definitiv nicht!

(Beifall von den PIRATEN)

Im Grunde genommen ist es doch jetzt ganz einfach für Sie, liebe SPD, Ihren hier zur Schau getragenen Willen umzusetzen: Setzen Sie sich in Berlin für echten Arbeitnehmerschutz ein. Bringen Sie den Mindestlohn jetzt auf den Weg und nicht erst 2017. Dann müssten Sie hier auf Landesebene keine Flickschusterei betreiben. Wir Piraten werden Sie daran erinnern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Kern, die Theorie, dass man Vergaberecht macht, um am Ende in einer Kommune Kungelei zu ermöglichen, ist mir bei all den Debatten, die wir schon mehrfach hier geführt haben, noch nicht begegnet. Das ist schon bemerkenswert.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Endlich mal was Neues!)

Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass das Vergaberecht gerade dazu dient, diese Mauscheleien, die es sicherlich früher an der einen oder anderen Stelle gegeben hat, und zwar auch in der Bundesrepublik – davon waren wir leider Gottes eben nicht frei –, zu beseitigen. Deswegen ist es so wichtig, dass man ein klar strukturiertes, nachvollziehbares und transparentes Vergaberecht hat.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Und EU-rechts-konform!)

Das ist insbesondere mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz in Nordrhein-Westfalen auch der Fall.

Der Gesetzentwurf, den die FDP-Fraktion vorgelegt hat und heute zur Diskussion stellt, ist natürlich – das wird Sie nicht überraschen – aus Sicht der Landesregierung abzulehnen. Wir sind der festen Überzeugung, dass weder rechtlich noch tatsächlich ein Anlass besteht, dieses Gesetz aufzuheben.

Die Landesregierung hat weder verfassungsrechtliche noch – das Thema „EU“ wird gleich noch von mir im Einzelnen aufgegriffen – unionsrechtliche Bedenken. Klar ist, dass dem Gesetzgeber, diesem Landtag, bei der Verabschiedung des Tariftreue- und Vergabegesetzes in der vorherigen kurzen Wahlperiode bekannt war, dass die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben im Rahmen der öffentlichen Beschaffung sowohl bei den öffentlichen Auftraggebern als auch bei der Wirtschaft zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand führen wird. Das ist auch damals nicht in der Beratung in irgendeiner Weise ignoriert worden.

Dem stand allerdings die Zielsetzung des Gesetzgebers gegenüber, mit Blick auf eine langfristige nachhaltige Entwicklung in Nordrhein-Westfalen die öffentliche Beschaffung mit diesen Vorgaben zu Tarif- und Sozialstandards, zu einem vergabespezifischen Mindestlohn und zu weiteren Aspekten der Nachhaltigkeit zu gestalten.

Es war einfach völlig klar und ist bis heute politischer Wille der Landesregierung, dass sich Bieter, die im Vergabeverfahren beispielsweise untertariflich entlohnen, nicht mehr auf Kosten redlicher Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen sollen. Das soll so bleiben.

(Beifall von der SPD)

Deswegen gab es damals eine Güterabwägung – sie bleibt bis heute bestehen – zwischen den politischen Zielen und dem, was in den Anhörungen durchaus genannt worden ist.

Die Landesregierung hat ferner durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die dann kritisiert worden sind – auch gerade in den vorhergegangenen Reden –, wie die Veröffentlichung eines Leitfadens, die Bereitstellung der Praxishinweise im Rahmen einer sogenannten FAQ-Liste auf der Vergabeplattform, aber auch im Rahmen einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, die Umsetzung in die Praxis flankiert.

Ferner wird verstärkt an einem Ausbau der Möglichkeiten zur Präqualifizierung gearbeitet, um die Lasten der Wirtschaft und insbesondere des Mittelstandes weiter zu reduzieren.

Zu den rechtlichen Punkten: Die von den Vergabekammern Düsseldorf und Arnsberg vertretenen Rechtsauffassungen haben wir natürlich zur Kenntnis genommen; wir haben aber keine Bedenken, dass sich die Landesregierung mit ihrer vertretenen Rechtsauffassung durchsetzen wird.

Zum einen ist der von der Vergabekammer Arnsberg vorgelegte Fall nicht mit dem Fall vergleichbar, auf dem die Rüffert-Entscheidung des EuGH basiert. Bei der Rüffert-Entscheidung ging es primär um Fragen der Arbeitnehmerentsendung. Im nun vorliegenden Fall sind Fragen der Dienstleistungstätigkeiten im EU-Ausland betroffen; das ist also ein anderer Fall.

Zum anderen sind nach 2009 im EU-Vertrag Änderungen eingetreten, die auch hierbei von Bedeutung sind. So ist die soziale Dimension nun gleichrangig neben der Freizügigkeit geregelt. Auch das muss man juristisch entsprechend bewerten.

Darüber hinaus wird Anfang 2014 in Brüssel eine grundlegende europäische Vergaberechtsnovelle verabschiedet, die wesentliche und umfangreiche Änderungen mit sich bringen wird. Ein Schwerpunkt dieser europäischen Vergaberechtsnovelle ist eine verstärkte Umsetzung sogenannter strategischer Beschaffungsziele. Das heißt nichts anderes als die Berücksichtigung von sozialen, umweltbezogenen und innovativen Aspekten, wie es bei uns im Tariftreue- und Vergabegesetz geschehen ist.

Die Landesregierung wird die Umsetzung in nationales Recht und letztlich die Vergabepraxis fachlich eng begleiten. Aber diesen Änderungen wird sich ohnehin die Wirtschaft künftig stellen müssen. Auch deswegen wäre es widersinnig, einem Antrag Folge zu leisten, wie ihn die FDP gestellt hat. Viele Regelungen, die das Tariftreue- und Vergabegesetz bereits heute enthält, werden nach Inkrafttreten der Richtlinien ohnehin in nationales Vergaberecht zu überführen sein.

Deswegen will ich abschließend daran erinnern, dass diese Vorgaben für öffentliche Beschaffung einem gesellschaftlichen Wertewandel und einer gesellschaftspolitischen Diskussion unterworfen sind. Ich hatte gestern die Vertreter der Evangelischen Kirche des Rheinlands zu Gast. Sie sagten mir, dass sie im Januar auf ihrer Synode für ihre Vergaben Tariftreue- und Vergabevorschriften auf den Weg bringen werden, die sich exakt an den Vorgaben orientieren werden, die dieses Land hat.

Das ist eine Bestärkung, dass wir mit diesem Gesetz auch mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Debatten auf dem richtigen Weg sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/4443 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend –, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, den Ausschuss für Kommunalpolitik, den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr, den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation sowie an den Rechtsausschuss. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Oder Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

6   Offene Zugänge zum Internet schaffen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4427

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die erste der drei antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Schneider von der SPD-Fraktion das Wort.

René Schneider (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einem halben Jahr habe ich an gleicher Stelle zum Antrag der Piratenfraktion gesprochen, die eine Abschaffung der Störerhaftung forderte; Sie erinnern sich vielleicht.

Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört. Nach sechs Monaten beraten wir nun über einen gemeinsamen Antrag der Piraten mit den Fraktionen der SPD und der Bündnisgrünen. Er benennt noch einmal die wesentlichen Argumente dafür, die Haftungsfragen bei offenen WLAN-Netzen eindeutig zugunsten der privaten Betreiber zu regeln.

Ich möchte hier nicht alle Punkte des Antrags wiederholen, sondern ich beschränke mich auf zwei, wie ich finde, wichtige Beispiele.

Zum einen möchte ich auf die Chancen hinweisen, die mit einer sauberen rechtlichen Lösung der Störerhaftung für den ländlichen Raum bestehen. Dort, wo ein flächendeckender Breitbandausbau noch nicht gegeben ist, können Insellösungen mit schnellem Internet dafür sorgen, dass nicht nur sozial schwache Nutzer in die Lage versetzt werden, hohe Bandbreiten zu benutzen; auch Bürgerinnen und Bürger, die innerhalb der weißen Flecken auf der Breitbandlandkarte wohnen, haben dann die Chance, über offene WLAN-Netze am digitalen Leben teilzunehmen.

Aber auch die digitale Wirtschaft profitiert davon, wenn das Haftungsrisiko endlich vom privaten Anbieter auf den Nutzer des WLAN-Netzes verschoben wird. Man kann nicht einerseits von flexiblen Arbeitsplatzlösungen sprechen und andererseits durch die aktuelle Regelung den unkomplizierten Zugang zum schnellen Internet blockieren.

Seien es der Coworking-Space, das Ad-hoc-Netzwerk für Konferenz und Messe oder beispielsweise die geschätzten Mitarbeiter des WDR, die ihre Videos regelmäßig im Kölner Café Hallmackenreuther schneiden – ohne Rechtssicherheit bei der Störerhaftung ist der flexible Zugang so mancher Webworker ins Netz gefährdet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, die heute noch hier verblieben sind, während ich Ihnen vor einem halben Jahr attestieren musste, dass Ihre Partei noch immer in Schockstarre vor dem Neuland verharrt, möchte ich Ihnen heute eindeutig gratulieren: Sie bewegen sich doch.

Einschränkend muss ich allerdings sagen, dass Ihnen das nicht ganz selbstständig gelungen ist. Nur geführt von den Unterhändlern der SPD, haben Sie sich auf folgende Formel im Koalitionsvertrag – ich zitiere mit Genehmigung – geeinigt:

„Die Potenziale von lokalen Funknetzen (WLAN) als Zugang zum Internet im öffentlichen Raum müssen ausgeschöpft werden. Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar ist. Wir werden die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offenen Netze und deren Anbieter schaffen. Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Accessprovidern).“

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Damit haben wir einen Teil der im Antrag geforderten Schritte bereits klar festgelegt. Weitere Dinge müssen wir noch anpacken.

Ganz im Sinne unserer Open-Data-Strategie müssen wir offene Internetzugänge lokalisieren und die Informationen für Dritte bereitstellen. Damit können Anwendungen entstehen, mit denen kostenlose WLAN-Zugänge gefunden werden können.

Übrigens: Das ist genau das Gegenteil eines Geschäftsmodells, das bereits vorhandene und bezahlte Bandbreiten nochmals gewinnbringend vermarktet und dabei den Kunden durch die Hintertüre einen Routerzwang auferlegt, den wir übrigens im Koalitionsvertrag ebenso ablehnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei aller Freude über wichtige Weichenstellungen in Berlin möchte ich nicht verhehlen, dass es in der bundesweiten Medien- und Netzpolitik noch viele offene Baustellen gibt. NRW wird deshalb Beschleuniger und Korrektiv bleiben müssen, auch wenn wir leider an vielen Stellen der Gesetzgebung selber nicht zuständig sind. Wir werden eine progressive Netzpolitik vorantreiben, gerne auch wieder im Schulterschluss mit weiteren Fraktionen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein herzliches Glückauf!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Glück auf, Herr Kollege. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat es ja gerade schon umrissen: Das Thema „Störerhaftung“ ist ein durchaus leidiges Thema, das uns schon seit ziemlich langer Zeit beschäftigt. Ausgangspunkt für die Debatte, die wir heute führen, ist das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Thema „Störerhaftung bei WLAN“. Seit 2010 – das ist eine ganze Zeit her – ist nichts passiert.

Durch dieses Urteil hat es damals eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Betreiberinnen und Betreiber freier WLANs gegeben. Die zentrale Fragestellung, die den BGH damals beschäftigt hat, war, inwiefern eine Betreiberin oder ein Betreiber bei Rechtsverletzungen bei offenem WLAN haftbar gemacht werden kann. Damals hat der BGH die Position eingenommen, dass – angesichts der damaligen Situation – die sogenannte Störerhaftung greift, wenn der Betrieb eines offenen WLANs eine Gefahrenquelle darstellt, aber Betreiberinnen und Betreiber Schutzmaßnahmen unterlassen.

Ich fand, damals wurde schon sehr deutlich, dass das ein Hindernis für offene Zugänge zum Netz darstellen wird. Schon damals war klar, dass Handlungsbedarf besteht. Was aber passiert? – Jahrelang nichts! Jahrelang ist vonseiten der schwarz-gelben Koalition nichts unternommen worden.

Der ursprüngliche Antrag der Piratenfraktion, den Sie dankenswerterweise im März vorgelegt und mit dem Sie eine ganz spannende Debatte in Gang gebracht haben, sah allerdings nur eine Bundesratsinitiative vor, die zum damaligen Zeitpunkt schon längst erfolgt war.

Deswegen finde ich es gut, dass es uns gelungen ist, einen etwas breiter angelegten Antrag einzubringen und dem Landtag heute zur Abstimmung vorzulegen, der den Blick auf das Gesamtthema lenkt.

Neu an diesem Antrag ist, dass wir einen Gesamtansatz entwickeln wollen, um offene Zugänge zum Netz zu schaffen. Einen solchen erweiterten Ansatz sollten wir gerade vor dem Hintergrund der Untätigkeit der Bundesregierung über viele Jahre hinweg zugrunde legen. Wir müssen abwarten, was dabei in der nächsten Zeit unter der neuen Regierung herauskommt. Aber gerade vor dem Hintergrund der letzten Jahre ist es erforderlich, über weitere Formen offener Zugänge zu reden, weitere Formen zu entwickeln.

Neben der Neuregelung der Störerhaftung ist es sehr interessant, über den Freifunkbereich zu sprechen. Freifunk ist eine gute Möglichkeit, um Zugänge zum Netz zu ermöglichen. Es gibt auch in Nordrhein-Westfalen eine große Zahl von Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die die Freifunkphilosophie vorantreiben. Durch zivilgesellschaftlichen Einsatz werden Möglichkeiten der digitalen Teilhabe vergrößert. Das ist ein guter Weg, eine gute Initiative mit dem Ziel, dezentrale, selbstverwaltete, freie Netze aufzubauen. Dadurch werden diskriminierungsfreie Zugänge geschaffen und anonymes und unzensiertes Surfen ermöglicht.

Aber Freifunk ist nicht die einzige Möglichkeit, offene Zugänge zum Netz zu schaffen. Es gibt in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen bereits heute die Möglichkeit, etwa durch kostenlose Terminals auf das Internet zuzugreifen. Wenn wir die Vorteile, die die Digitalisierung für unsere Gesellschaft bietet, nutzen wollen, müssen wir es endlich schaffen, die Zugänge für alle zu ermöglichen.

Es ist eigentlich unglaublich, dass heute noch ein Viertel der Bevölkerung keinen Netzzugang hat. Dass es Offliner in einer solchen Größenordnung gibt, finde ich für ein so großes und reiches Indus-trieland unglaublich. Wenn wir die Vorteile und Möglichkeiten, die die Digitalisierung für uns bietet, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern für uns als Gesellschaft und Gemeinschaft endlich nutzen können, haben wir heute einen guten Weg beschritten.

Ich finde es einfach wichtig, dass wir die verschiedenen Möglichkeiten, die sich bieten – so wie es der Antrag jetzt fordert – bündeln, vernetzen, gute Praxis zentral darstellen und dafür sorgen, dass es beworben wird.

Wir schlagen das heute in dem Antrag, den wir gemeinsam erstellt haben, vor. Das ist auch ganz im Sinne des Koalitionsvertrags der Landesregierung, wie wir ihn letztes Jahr vorgelegt haben. Dort ist eine solche Plattform vereinbart worden.

Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nur noch einmal meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass es uns gelungen ist, heute einen an der Sache orientierten gemeinsamen Antrag vorzulegen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken. Ich freue mich auf eine möglichst breite Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Bolte. – Als Nächstes spricht Daniel Schwerd für die Piratenfraktion.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Opfer der Abmahnindus-trie! Wer seinen Internetzugang anderen Menschen zur Verfügung stellen will – sei es ein Gewerbetreibender oder eine Privatperson –, geht derzeit noch ein unkalkulierbares Risiko ein. Man haftet für Rechtsverstöße anderer, die sich ins eigene Netz einklinken. Dies gilt auch dann, wenn man weder Kenntnis davon hatte noch irgendetwas daran hätte verhindern können. Dies ist die sogenannte Störerhaftung. Dieser unerträgliche Zustand sorgt dafür, dass sehr viel weniger Internetzugangsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, als eigentlich möglich wären.

Der Bundesgerichtshof nannte in seinem Urteil vom 24. Januar 2013 den Zugang zum Internet ein Grundrecht. Die Mitbenutzung vorhandener Anschlüsse würde dieses Grundrecht für noch mehr Menschen verwirklichen. Angesichts der unklaren Haftungsfrage ist aber kaum jemand bereit, seinen Anschluss zu teilen.

Wir befassen uns hier und heute zum zweiten Mal mit der Störerhaftung. Wir Piraten hatten bereits einen entsprechenden Antrag eingebracht und hierzu eine aufschlussreiche Anhörung durchgeführt. Die Experten haben unisono eines bestätigt: Es bedarf dringend der Klarstellung des Haftungsprivilegs für Anbieter. Die derzeitige Situation ist schädlich für Gesellschaft und Wirtschaft.

Die unsichere Rechtslage schadet allen Anbietern von Internetzugängen, die nicht selbst Zugangsprovider sind, etwa Gastronomie und Hotels, aber auch Kommunen und kommunalen Einrichtungen. In Skandinavien gibt es in jedem öffentlichen Bus einen kostenlosen und freien WLAN-Zugang. Bei uns ist das derzeit undenkbar. Die aktuelle Regelung schadet nicht nur dem Gastgewerbe und Tourismus, sondern auch der Kreativwirtschaft, deren Beschäftigte darauf angewiesen sind, von überall und jederzeit arbeiten zu können. Nirgendwo in Europa gibt es etwas Vergleichbares wie die Störerhaftung. Für Nordrhein-Westfalen und Deutschland summieren sich diese Probleme zu einem echten Wettbewerbsnachteil.

In der Verhandlung über die Große Koalition auf Bundesebene wurde das Thema aufgegriffen und behandelt. Allerdings wurden teilweise widersprüchliche Signale gesendet. Manchmal war von einer Haftungsprivilegierung nur bei Straftaten die Rede. Das ist aber gar nicht Gegenstand der Haftungsprobleme gewesen. Das waren zivilrechtliche Ansprüche.

Teilweise wurden Registrierungsmodelle diskutiert, die dem Gedanken eines freien Zugangs auch für Passanten und Besucher widersprechen oder technisch nicht angemessen realisierbar sind. Eine Überwachung des Datentransfers ist ebenfalls abzulehnen. Private Kommunikation genießt einen besonderen Schutz, gerade in Zeiten der NSA-Überwachung. Beides stellt zudem eine Ungleichbehandlung von Internetprovidern zu anderen Zugangsanbietern dar und eröffnet neue Risiken für Anbieter, die versehentlich komplizierte Regelungen nicht hundertprozentig umsetzen.

Bisherige gesetzgeberische Bemühungen, die Störerhaftung zu entschärfen, gingen nämlich ins Leere. Wir erinnern uns an den Versuch, Abmahnkosten sogenannter nichtgewerblicher Fälle zu deckeln. Neben der Tatsache, dass dies keine Entlastung für die Gastronomie und Hotellerie darstellt, haben findige Anwälte vor deutschen Gerichten diese Regelung schnell wieder ausgehebelt, indem sie den Begriff der Gewerblichkeit extrem weit auslegen ließen.

Daher fordern wir eine Abschaffung der Störerhaftung ohne Ausnahme. Alle Anbieter von WLAN-Zugängen sind gleichzustellen, egal, ob es Provider oder sonstige gewerbliche oder private Anbieter sind, und egal, ob der Zugang verschlüsselt oder frei ist. Es darf auch keine vorausschauenden Prüf- und Kontrollvorschriften geben, wie es der Gesetzgeber ursprünglich beim Haftungsprivileg im Telemediengesetz beabsichtigt hatte. Es darf keine Schlupflöcher für Abmahnanwälte geben.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Der vorliegende Antrag, den wir Piraten gemeinsam mit SPD und Grünen stellen, basiert zu großen Teilen auf unserem ursprünglichen Antrag. Ich freue mich sehr, dass wir eine gemeinsame Position gefunden haben. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass Sie sich öfter vernünftigen Ideen öffnen. Die Worte von der progressiven Netzpolitik, die wir eben gehört haben, werden wir sehr ernst nehmen.

Zum Thema „Freifunk“ sind im Übrigen schon Initiativen innerhalb des Landtags im Gange, um die Freifunkvernetzung mit dem Landtag und dem Land Nordrhein-Westfalen voranzubringen. Ich freue mich auf eine gemeinsame Initiative. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Nächster Redner ist Herr Kollege Hegemann für die CDU-Fraktion.

Lothar Hegemann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon verwunderlich, dass fast der gleiche Antrag, den die Piraten Anfang des Jahres gestellt haben, nun von Grünen und SPD noch einmal gestellt wird.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Weil er gut ist! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wir nennen das Fortschritt!)

Er war damals genauso unsinnig wie heute. Heute hat er nur eine größere Basis und wird wahrscheinlich beschlossen. Es wird einiges zu dem Antrag erzählt, was gar nichts mit dem Kern des Antrags zu tun hat.

Ein freier Zugang zum Internet ist interpretationsbedürftig. Bedeutet das in jedem Fall einen kostenfreien Zugang? Viele sagen, das muss der Staat leisten. Was muss der Staat noch alles leisten? Jede Stadt oder Landgemeinde muss jetzt kostenfreies WLAN anbieten? Sie drücken auf die Tränendrüse und sagen, dadurch ist die Teilhabe weiterer Bevölkerungsschichten möglich. Für mich sage ich, wer ein teures Handy, ein Smartphone hat, der hat vielleicht auch fünf Euro für eine Flatrate zur Verfügung. Ich glaube nicht, dass jemand zwar ein teures Handy hat, von der Kommunikation aber ausgeschlossen ist. Er ist auch jetzt schon im Netz.

Dass man in Zukunft auch Missbrauch im Netz bekämpfen muss, ist unstrittig. Anfang des Jahres gab es einen Fall in Gladbeck, bei dem ganze Bevölkerungsgruppen verunglimpft wurden. Im Netz wurden Unterstellungen anonym verbreitet. Erst als die Staatsanwaltschaft die Identität lüften konnte, stellte man fest, es war der städtische Pressesprecher. Wenn alles frei ist, kann man dies aber nicht mehr. Wenn keiner mehr dafür verantwortlich ist, dass er sein Netz zur Verfügung stellt, dann kann man alles im Netz machen. Dann kann man Kinderpornografie herunterladen und Ebay-Schweinereien veranstalten. Dann kann man Verabredungen zu Straftaten vornehmen.

Das Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2010 ist eindeutig, Herr Kollege.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

– Ja, vom BGH.

Solange Sie keinen professionellen Hotspot zur Verfügung stellen, machen Sie sich nicht strafbar. Sie können bestenfalls auf Unterlassung verklagt werden. Sie machen sich aber nicht strafbar, wenn ein Café einen Internetanschluss zur Verfügung stellt und damit Missbrauch betrieben wird.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Warum gibt es dann kein Internet-Café mehr?)

– Was? Sie müssen ein bisschen lauter sprechen.

(Zuruf von Oliver Bayer [PIRATEN])

Sie können sagen: Das ist Rechtsunklarheit. Wenn das für Sie unklar ist, muss das nicht allgemein Unklarheit bedeuten.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Hegemann, ich bin nicht überrascht – Sie vielleicht auch nicht –, dass der Kollege Schwerd Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen möchte. Wollen Sie die zulassen?

Lothar Hegemann (CDU): Ja, und die nächsten zwei auch.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Und die nächsten zwei auch. Das ist quasi ein Freifahrtschein. – Herr Kollege Schwerd, bitte schön.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Es ist furchtbar lieb, dass Sie das zulassen. Herzlichen Dank. – Ich habe versucht, es mir zu verkneifen, weil da so viele Ungenauigkeiten waren. Was ich Sie gerne fragen möchte – es sollte Ihnen bekannt sein –: Wie sieht es denn mit dem Unterschied zwischen Strafrecht und Zivilrecht aus? Sie sprechen die ganze Zeit strafrechtliche Komponenten an. Was hat das jetzt mit der zivilrechtlichen Frage zu tun?

Lothar Hegemann (CDU): Gar nichts.

(Beifall und Heiterkeit von den PIRATEN)

Ich sprach übers Strafrecht. Es kann sich keiner zivilrechtlich strafbar machen. Ich habe über das Strafrecht gesprochen.

Sie sagen, es ist eine Rechtsunsicherheit im Strafrecht, aber meinen Zivilrecht. Natürlich habe ich kein Interesse daran, eine Abmahnindustrie zu fördern.

(Zurufe)

Ich habe auch ein Interesse daran, dass, wenn einer ein Instrument zur Verfügung stellt, dies sozial verantwortlich geschieht.

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Keine Ahnung!)

– Keine Ahnung, das kenne ich. Ihre Ahnung wurde im Bundestag schon nicht gebraucht. Ich gehe davon aus, sie wird in Zukunft hier auch nicht mehr gebraucht werden. Sie haben einen eindrucksvollen Nachweis gebracht.

Meine Damen und Herren, wir wollen nach wie vor …

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Hegemann. Ich unterbreche ungern. Sie hatten gerade gesagt, Sie würden eine weitere Zwischenfrage zulassen. Es gibt zwei zeitgleiche Zwischenfragen.

Lothar Hegemann (CDU): Die können Sie ja gleichzeitig stellen lassen!)

Vizepräsident Daniel Düngel: Es gibt Zwischenfragen sowohl von Herrn Marsching als auch vom Kollegen Bolte. Machen wir beide? – Wir fangen mit Herrn Marsching an.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann, dass Sie diese Frage zulassen. Sie sagen, Sie reden übers Strafrecht. Da muss ich Sie auch als Betroffener fragen: Ist Ihnen denn klar, dass es sich bei dieser Abmahnindustrie, von der Sie reden und die wir auch mit diesem Antrag bekämpfen wollen, nicht um Strafrecht, sondern um Zivilrecht handelt?

Lothar Hegemann (CDU): Genau das hatte ich, glaube ich, gesagt. Ich verlange ja nicht viel von Ihnen, aber dass Sie mir zuhören, das verlange ich schon. Dass diese ganze Abmahnmaschinerie zivilrechtliche Hintergründe hat,

(Daniel Schwerd [PIRATEN]: Darum geht es in dem Antrag!)

darüber sind wir uns im Klaren.

Vizepräsident Daniel Düngel: Jetzt haben wir noch die – ausnahmsweise – dritte und damit letzte Zwischenfrage. Kollege Bolte, bitte schön.

Matthi Bolte (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann, dass Sie die Frage zulassen. Nun bin ich kein Mitglied der Piratenfraktion. Insofern können wir uns vielleicht ohne Ihre Reflexe unterhalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was ich an Ihrer Argumentation interessant finde, ist, dass Sie offensichtlich kein Bewusstsein für die Chancen einer größeren Verbreitung freier Internetzugänge haben.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen gerne die Frage stellen, ob Sie in der bisherigen Regelung der Störerhaftung einen Grund dafür erkennen, dass es in Deutschland wesentlich weniger freie Zugänge zum Netz – mit all den in den vorhergehenden Redebeiträgen beschriebenen Chancen – gibt als in allen anderen europäischen Ländern. Hat das möglicherweise damit zu tun, dass die Störerhaftung in Deutschland in einer Weise geregelt ist, wie es sie praktisch nirgendwo in Europa gibt?

Lothar Hegemann (CDU): Das weiß ich nicht. Fragen, „Was wäre wenn?“, kann ich schlecht beantworten. Da Sie sagen, ich wäre mir nicht im Klaren, was die freie Nutzung des Internets bedeutet: Ich habe das Internet schon genutzt, da sind Sie wahrscheinlich noch mit Trommeln um den Weihnachtsbaum gelaufen.

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Was soll das jetzt? – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Was diese Unterstellung soll, kann ich beim besten Willen nicht verstehen.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, jeder in diesem Haus hat die Chance des Internets erkannt. Uns gegenseitig vorzuwerfen, Sie wollen das Internet nicht, ist doch billig. Das hat mit Reflexen nichts zu tun. Das entspricht auch nicht Ihrem Niveau. Bisher habe ich Sie anders erlebt. Zu glauben, eine Fraktion hier hätte per se etwas gegen eine breite Nutzung des Internets, das ist dummes Zeug.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, es wird Sie nicht wundern, dass wir diesem fast unveränderten Antrag, der nun zwei Unterschriften mehr trägt, nämlich den der SPD und den der Grünen, auch heute nicht zustimmen werden.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, geehrte Herren! Ganz grundsätzlich: SPD, Grüne und Piraten legen einen Antrag vor, der vor allem viel Prosa beinhaltet. Sie begrüßen die Aktivitäten der rot-grünen Regierungsmehrheit. Sie loben sich also selbst. Das ist zunächst einmal eine beeindruckende parlamentarische Leistung.

Immerhin fordern Sie die Landesregierung auf, aktiv zu werden. Sie gestehen also zu, dass da Verbesserungsbedarf ist. Soweit teilen wir das auch. Auch über Fragen des vermehrten Zugangs zum Internet kann man diskutieren.

Aber dieser Antrag ist trotzdem in dieser Form so nicht zustimmungsfähig. Ich will Ihnen anhand dreier Punkte kurz erläutern, warum das so ist. Sie sprechen in der Einleitung zunächst den fehlenden Internetzugang bei einkommensschwachen Familien an. Ich sage Ihnen ganz offen: Eine Novellierung des Telemediengesetzes ist sinnvoll und wird auch von der FDP unterstützt.

Was wir nicht mittragen können, ist diese rot-grüne piratenmäßig gefärbte Betroffenheitslyrik. Sprechen Sie doch mal mit den Sozialexperten aus Ihren Fraktionen. Im ALG II etwa ist der Internetzugang berücksichtigt. Sie sollten den Leuten hier nicht erzählen, dass Sie mit diesem Antrag etwas für sozial Schwache tun, und Sie sollten die Menschen insofern nicht für dumm verkaufen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bombis, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Sommer. Möchten Sie die zulassen?

Ralph Bombis (FDP): Aber mit dem allergrößten Vergnügen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Sommer!

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Kollege Bombis, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie sagten gerade, dass im ALG-II- oder im SGB-II-Bezug der Internetzugang enthalten ist. Können Sie uns die monatliche Summe nennen, die dafür zur Verfügung steht? – Wenn Sie die Summe nicht genau wissen: Wissen Sie, ob der Betrag über oder unter 2 € im Monat liegt.

Ralph Bombis (FDP): Der Kollege Hegemann hat doch gerade schon darauf hingewiesen, dass es durchaus andere Möglichkeiten gibt, wenn man die entsprechende technische Ausstattung hat, kann man grundsätzlich unter Berücksichtigung der Kosten für einen Internetzugang per Flatrate diesen Zugang ermöglichen.

(Zuruf von den PIRATEN: 2 €!)

Sie sollten in diesem Antrag keine Betroffenheitslyrik bringen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Sie wissen es nicht! – Michele Marsching [PIRATEN]: Die Antwort ist Nein!)

Meine Damen und Herren, es gibt einen zweiten Punkt. Sie tun so, als müsse man nur das Telemediengesetz ändern, und schon sei einer der großen Wünsche der vereinigten Linken von SPD, Linkspartei und Grünen bis zu den Piraten erfüllt: Alles für alle, und das am besten noch umsonst.

Ich habe Ihnen eine traurige Wahrheit mitzuteilen. Es wird auch zukünftig nötig sein, für einen WLAN-Zugang zu bezahlen. Er muss ja von irgendjemandem auch zur Verfügung gestellt werden. Sie sollten sich einmal überlegen, wie Sie dem von morgens bis abends hart arbeitenden Cafébetreiber dann erzählen wollen, dass er mit seinem WLAN jetzt auch zum Beispiel alle Wohnungen über seinem Café versorgen soll. Damit wende ich mich insbesondere an Sie von den Piraten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das muss er doch gar nicht!)

– Wie soll das denn sonst funktionieren?

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wer redet von müssen? Er kann! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Und einige machen es sogar!)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bombis, es gibt eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Schwerd. Möchten Sie die ebenfalls zulassen?

Ralph Bombis (FDP): In Gottes Namen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Dann machen wir das. – Vielleicht können diejenigen, die die ziemlich lauten Zwischenrufe machen, in der Zwischenzeit auch etwas zurückhaltender agieren. – Herr Kollege Schwerd, bitte stellen Sie Ihre Zwischenfrage.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie das – in Gottes Namen – zulassen. – Sie sprachen gerade davon, dass man für einen WLAN-Zugang immer werde bezahlen müssen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass ich zu Hause meiner Nachbarschaft, den Passanten usw. einen WLAN-Zugang bereitstelle und dafür überhaupt kein Geld verlange, oder passt das nicht in ein liberales Weltbild? – Herzlichen Dank.

Ralph Bombis (FDP): Sie haben mich an dieser Stelle eindeutig missverstanden. Was Sie da tun – im Übrigen ist zu dem Thema „Abmahnwirtschaft“ ja etwas gesagt worden –, ist natürlich Ihre Sache. Grundsätzlich muss aber für die Zurverfügungstellung des WLAN-Zugangs von Ihnen doch wohl auch bezahlt werden, oder, Herr Kollege Schwerd?

Hinzu kommt Folgendes – entschuldigen Sie bitte, dass ich darauf auch noch einmal hinweise –: Wenn in einem solchen Haus zum Beispiel mehrere Mietparteien auf diesen WLAN-Zugang zugreifen und alle gleichzeitig Filme herunterladen, führt diese Belastung des Zugangs potenziell dazu,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Herr Schwerd hat ein sehr schnelles WLAN!)

dass dieser Zugang in dem Café nicht mehr vernünftig genutzt werden kann. Das ist doch wohl auch eine technische Wahrheit.

(Zurufe von den PIRATEN: Das ist die Freiheit! – Das will er nicht!)

Meine Damen und Herren, es gibt einen dritten Punkt, auf den ich ebenfalls noch kurz hinweisen möchte. Sie fordern den Aufbau einer NRW-Plattform, auf dem WLAN-Zugänge gelistet werden sollen. Hier überraschen mich insbesondere die Piraten und die Grünen. Die Forderung, so etwas zentral zu organisieren, geht potenziell wieder in Richtung einer flächendeckenden Überwachungsmaßnahme. Sie wollen zwar eine Haftungsfreistellung für das WLAN. Trotzdem soll der Staat genau wissen, wer da was genau treibt.

Wenn ich mir gleichzeitig anschaue, dass CDU und SPD auf Bundesebene die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen wollen, sehe ich dort eine wesentlich größere Bedrohung für Freiheit und Offenheit im Internet als durch bestimmte ungeklärte Haftungsfragen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Vorratsdatenspeicherung dem Access Provider aufgebürdet werden soll und Sie mit Ihrem Antrag private WLAN-Betreiber bei der Haftungsprivilegierung Access Providern gleichstellen wollen. Das wird eine interessante Situation geben. Überwacht dann demnächst der Cafébetreiber die Mitnutzer seines WLANs? Darüber sollten Sie vielleicht noch einmal nachdenken.

In dieser Form ist Ihr Antrag jedenfalls nicht zustimmungsfähig. Er ist wenig konkret, enthält viel Betroffenheitsprosa und geht unserer Auffassung nach in Teilen – Stichwort: NRW-Plattform – sogar in eine gefährliche Richtung. Sie sollten sich noch einmal genau überlegen, wie das in der Praxis aussehen soll. Wir werden dem Antrag so nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Landesregierung hören wir nun Herrn Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt den Antrag der Fraktionen von Piraten, Bündnis 90/Die Grünen und SPD, der das Ziel hat, private und gewerbliche WLAN-Anbieter, wenn sie einen WLAN-Zugang für die Öffentlichkeit anbieten, vom Haftungsrisiko bei einem Missbrauch durch andere Nutzer freizustellen.

Der Sachverhalt ist hier schon mehrfach – auch in den Diskussionen zwischen Ihnen bei entsprechenden Fragen – dargestellt worden. Private Gaststätten, Hotels und Cafés haben derzeit ein sehr hohes Haftungsrisiko, wenn sie einen WLAN-Zugang für die Öffentlichkeit anbieten. Es ist unklar, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen sie rechtlich geradestehen müssen, wenn ein Missbrauch durch andere Nutzer erfolgt. Gewerbsmäßiges Anbieten eines WLAN-Hotspots durch Zugangsprovider ist hingegen durch den § 8 des Telemediengesetzes privilegiert geregelt.

Die Sanktionen für Missbrauch und Abmahnkosten können für private und kleine Betreiber von WLAN-Zugängen in den existenzgefährdenden Bereich gehen. Es ist für Anbieter von WLAN-Hotspots unzumutbar, das komplette Surfverhalten der Kunden zu kontrollieren. Nach der aktuellen Rechtsprechung wird der Betreiber eines offenen Funknetzes bei Rechtsverstößen etwa gegen das Urheberrecht oder das Wettbewerbsrecht als Mitverantwortlicher angesehen.

Um das Haftungsrisiko für private und gewerbliche Betreiber zu ändern, haben wir bereits im Bundesrat die Bundesregierung gebeten, zu prüfen, ob und wie durch Änderung der bisherigen Gesetzeslage a) das Potenzial vorhandener WLAN-Netze stärker nutzbar gemacht werden kann, b) das Haftungsrisiko beschränkt werden kann, indem man zum Beispiel den § 8 TMG überprüft oder ändert, und c) Schutzmaßnahmen notwendig sind, die die Betreiber von WLAN-Netzen zur Vermeidung ihrer Verantwortlichkeit für unbefugte Nutzung durch Dritte zu ergreifen haben.

Das alles dient vor allem auch den privaten Betreibern von WLAN-Netzen, um Haftungs- und Abmahnrisiken auszuschließen.

Es ist bedauerlich, dass bei dem ersten Anlauf die bisherige Bundesregierung das in ihrer Stellungnahme als nicht notwendig erachtet hat. Wir sind aber als Landesregierung in dieser Angelegenheit sehr eindeutig und sagen: Wir unterstützen diesen Antrag. – Im Übrigen hat der Abgeordnete Schneider schon darauf hingewiesen, dass man sich in den Koalitionsverhandlungen darauf verständigt hat, die Betreiber öffentlicher WLAN-Netze den Zugangsprovidern gleichzustellen.

Das heißt, die Landesregierung wird sich weiter dafür einsetzen, das Potenzial vorhandener WLAN-Netze stärker nutzbar zu machen und das Haftungsrisiko für private und öffentliche WLAN-Betreiber zu beschränken.

Die Landesregierung – auch das spielt in dem Antrag eine wichtige Rolle – begrüßt im Übrigen die bestehenden regionalen und lokalen Freifunkinitiativen als einen wichtigen Beitrag für die Schaffung einer digitalen Teilhabe.

Sie wird die Forderungen des Antrags gerne aufgreifen, die stärkere Verbreitung offener Internetangebote durch ein Informationsangebot auf einer Internetplattform zu unterstützen. Dies könnte beispielsweise in ein bestehendes Internetangebot der Breitbandinitiative des Landes integriert werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir stimmen daher ab.

Die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/4427. Ich darf Sie fragen, wer für diesen Antrag stimmen möchte? – Das sind die Piratenfraktion, die SPD-Fraktion und die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen den Antrag? – Die CDU- und die FDP-Fraktion. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/4427 angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

7   Schulleitermangel an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen: Landesregierung muss endlich handeln!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4432

Ich eröffne hiermit die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht Frau Kollegin Korte.

Kirstin Korte (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten lesen wir immer wieder in der Presse, dass ein massiver Schulleitermangel in Nordrhein-Westfalen besteht, der sich besonders an Grundschulen auswirkt. Es mangelt schlicht und ergreifend an Bewerbungen sowohl in der Leitungs- als auch in der Stellvertreterfunktion.

In Zahlen ausgedrückt: Nach Angaben des Verbandes VBE sind an den 2.974 Grundschulen in unserem Bundesland 435 Schulleitungsstellen unbesetzt und weitere 662 Stellvertreterposten offen. Hochgerechnet heißt das: Jede siebte Grundschule in Nordrhein-Westfalen hat keinen Chef bzw. keine Chefin.

Mit unserem Antrag möchten wir darauf aufmerksam machen, dass den Pädagoginnen und Pädagogen schlichtweg der Anreiz fehlt. Eine führende Position an einer Grundschule ist – nicht zuletzt wegen der nicht erfolgten Gehaltsanpassung – unattraktiv, meine Damen und Herren. Man muss schon mit mehr als Herzblut dabei sein, um sich für ein paar Euro mehr im Monat einen Berg von Verwaltungsarbeiten aufzuhalsen. Arbeitsfelder wie Statistiken, Ablagen, Protokollführung, Weiterleitung von Informationen an Gremien und ganz besonders der Bereich der Dokumentation entwickeln eine immer stärker werdende Eigendynamik.

Früher wurden die deutlich geringeren Anteile von Sekretärinnen miterledigt; aber die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage hat kaum eine Grundschule mehr eine tägliche Kraft, die Anlaufstelle und Filter für die großen und kleinen Dinge des Alltags ist. Wir müssen auch zugeben, dass der Umfang der Verwaltungsarbeiten eklatant zugenommen hat. So sind Schulleiterinnen und Schulleiter neben der Wahrnehmung ihres pädagogischen Auftrags oft auch noch ihre eigene Sekretärin oder ihr eigener Hausmeister; denn diese Stellen wurden durch den Schulträger stark reduziert. Frau Ministerin Löhrmann, diesen Teil haben Sie zwar nicht zu vertreten, aber die drastische Vermehrung der Verwaltungsaufgaben schon. Einher damit gehen offenbar nicht ausreichende Wertschätzung und nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten. Trauen Sie den Leitungspersönlichkeiten mehr zu, schenken Sie Ihnen ernsthaft Gehör!

(Beifall von der CDU)

An dieser Stelle kann ich mir nicht verkneifen, auf einen Aspekt hinzuweisen, der vielen meiner Kolleginnen und Kollegen im Lande die Lust auf Führungspositionen vergällt. Es kann nicht sein, dass Rot-Grün Maulkörbe verteilt.

(Beifall von der CDU)

Ich erinnere an den Fall der 20 Schulleiter aus der Region Aachen, die zu einem dienstlichen Gespräch einbestellt wurden, nachdem sie sich in einem Brief kritisch geäußert hatten. Da bleibt kein Gestaltungswille, da muss man kuschen. So bringt man auch das letzte bisschen Herzblut bei den engagierten Kollegen zum Erstarren.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Korte, wenn ich Sie kurz unterbrechen darf: Frau Beer wünscht eine Zwischenfrage.

Kirstin Korte (CDU): Nein.

Vizepräsident Daniel Düngel: Im Moment nicht? – Soll ich später noch einmal fragen?

Kirstin Korte (CDU): Das machen wir gerne so. – Offenbar haben Sie das inzwischen erkannt.

Ihr heutiger Entschließungsantrag lässt zumindest darauf schließen, dass fachliche Stellungnahmen nicht gegen die ADO verstoßen.

(Zuruf von der SPD)

– Schauen wir mal nachher darauf. – Der Grund unseres Antrages ist, einen pragmatischen Lösungsversuch vorzuschlagen. Wenn es die Landesregierung schon nicht schafft, mehr Pädagoginnen und Pädagogen für Grundschulleitungen zu begeistern, müssen wir diejenigen, die wir haben, hegen und pflegen.

Wir fordern daher, die Möglichkeit zu schaffen, dass eine Schulleitung für mehr als eine selbstständige Grundschule zuständig sein kann. Bei sinkenden Schülerzahlen und kleiner werdenden Schulen ist das eine Aufgabe, bei der Synergien genutzt werden können. Gleichzeitig möchten und müssen wir die Führungskräfte deutlich entlasten. Verwaltungsarbeiten sollten an Schulverwaltungsassistenten übertragen werden. Dafür müssen Stellen geschaffen werden. Dass eine Assistenz aber weniger kostet als eine weitere Führungskraft, muss ich, glaube ich, nicht näher erläutern. Das ist Fakt.

Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass das Problem nicht kleiner wird. In den kommenden Jahren gehen viele Schulleiterinnen und Schulleiter in Pension. Dann dürfte es noch schwieriger werden, die Posten adäquat zu besetzen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass durch die Themen „offener Ganztag“, „Veränderung der Beratungsnotwendigkeiten“, „Kooperation“, „Inklusion“ usw. die Aufgaben immer anspruchsvoller geworden sind. Es gibt Dinge, die nur die Schulleitung selbst erledigen kann. Für alles andere, meine Damen und Herren, brauchen wir Schulverwaltungsassistenten. Ich setzte daher auf Ihre konstruktive Zusammenarbeit und freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Korte, bleiben Sie doch noch kurz bei uns. Nicht ganz überraschend hat Frau Beer zeitig eine Kurzintervention angemeldet. Sie hat dafür jetzt 90 Sekunden Zeit. Bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Korte es ist richtig, dass Sie an der Akteneinsicht, welche die Ministerin den schulpolitischen Sprecherinnen eigens gewährte, nicht teilgenommen haben.

Darf ich Sie bitten, hier nicht weiter Personen durch Dinge zu beschädigen, die Sie überhaupt nicht einschätzen können, und Falschbehauptungen in den Raum zu stellen?

(Beifall von den GRÜNEN)

Kirstin Korte (CDU): Frau Beer, ich danke Ihnen für den Hinweis. Selbstverständlich habe ich nicht daran teilgenommen, aber ich glaube, so viel ist bekannt: Über den Fall oder die Situation hinaus – ganz wie Sie es nennen wollen – steht die Problematik im Raum, dass Kollegen nicht offen sagen mögen, was sie denken. Das können Sie auch mit Ihrer Intervention nicht verhindern. Das ist so. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Korte. – Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Feuß.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Ich kann Ihnen den Ordner gerne zur Verfügung stellen! Ich habe ihn nämlich dabei!)

Hans Feuß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man oder frau muss schon zwischen Tagesordnungspunkt 9 – der kommt später – und Tagesordnungspunkt 7 unterscheiden können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich beginne mein Kurzstatement mit einem Zitat aus dem CDU-Antrag: „Der Missstand der unbesetzten Leitungsstellen an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen muss behoben werden.“ – Zustimmung, aber diesen Missstand gibt es nicht überall. Man muss schon genauer hingucken. In NRW – Frau Korte hat es gesagt – sind 435 Schulleiterstellen unbesetzt. Bei 2.974 Grundschulen ist das eine Quote von 14,6 %.

Schauen wir nach Gütersloh – das ist der Kreis, aus dem ich komme –: Da haben wir 61 Grundschulen, und drei Stellen sind nicht besetzt. Das ist eine Quote von 4,9 %.

Schauen wir in den Kreis Warendorf: 31 Grundschulen, alle Stellen sind besetzt, keine Fehlquote.

In der Stadt, die es nicht gibt, in Bielefeld, gibt es 47 Grundschulen, und eine Stelle ist unbesetzt. Das ist eine Quote von 2,1 %.

Vielleicht muss man ein bisschen genauer hingucken, wenn die Rahmenbedingungen für alle gleich sind. Die Landesregierung hat die Leitungszeit an Grundschulen auf elf Stunden erhöht. Bei Teilstandorten gibt es zusätzlich noch mal elf Stunden im ersten Jahr, was sich dann bis zum dritten Jahr auf sieben zusätzliche Stunden abbaut.

Warum ist die Besetzungssituation in diesen Kreisen so? Die Antwort ist ganz einfach: Die Schulaufsichtsbeamtinnen dort betreiben eine aktive Personalentwicklung. Kolleginnen und Kollegen in den Schulen werden direkt gezielt angesprochen, wenn sie sich in irgendeiner Art und Weise über den reinen Schulbetrieb hinaus engagieren. Es gibt Fortbildungen zur Orientierung über Leitungshandeln, denn ein Schulleiter ist in einer anderen Position als ein Kollege.

Dann gibt es noch Eignungsfeststellungsverfahren, abgekürzt EFV, über die sich Kolleginnen und Kollegen innerhalb von zwei Tagen testen können: Ist das überhaupt etwas für mich? Wenn es dazu noch die entsprechenden Qualifizierungs? und Fortbildungsangebote gibt, sind auch junge Kolleginnen und Kollegen bereit, die verantwortliche Tätigkeit als Schulleitung an einer Grundschule zu übernehmen. Diese Personalentwicklung muss vor Ort bei der lokalen Schulaufsicht erfolgen.

Aber auch in der Lehrerausbildung hat man entsprechend reagiert. Früher genügte es, wenn der Lehrer unterrichten und erziehen konnte. Heute ist eine Vielzahl von Lehrerfunktionen notwendig, um den schulischen Alltag zu bewältigen. Es muss organisiert, verwaltet, kooperiert und evaluiert werden. All das wird in der Lehrerausbildung angebahnt. Ich bin überzeugt, die jungen gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen werden die reizvolle Stelle als Schulleiter gerne anstreben.

Ich komme zum Schluss – kurze Rede, langer Sinn – und zitiere mit Erlaubnis der Ministerin die Ministerin: „Eine Grundschule zu leiten ist eine herausfordernde Aufgabe, …“ – Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Ich glaube, Sie hat es erlaubt, Herr Kollege Feuß. – Vielen Dank, Herr Kollege Feuß. – Für die grüne Landtagsfraktion spricht jetzt der Kollege Bas.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe gedacht, wir gehen in eine sachliche Diskussion zum Thema „Unbesetzte Schulleiterstellen an den Grundschulen“, und jetzt kommt die Nummer mit dem Maulkorbvorwurf. Das ist der sachlichen Diskussion nicht dienlich, das möchte ich am Anfang einmal erwähnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zurück zum Antrag: Die Problematik der unbesetzten Schulleiterstellen an den Grundschulen in NRW ist nicht erst gestern aufgetreten, sondern sie herrscht schon etwas länger vor. Wir haben insgesamt 2.974 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Die Zahlen, die die CDU in ihrem Antrag gebracht hat, muss ich ein bisschen korrigieren: Derzeit sind 360 Schulleiterstellen an Grundschulen unbesetzt und 565 Stellen für stellvertretende Schulleiter. Das ist ein sinkender Trend, was auf der einen Seite zwar erfreulich, aber insgesamt noch nicht ganz zufriedenstellend ist. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass die Stelle als Schulleiter oder stellvertretende Schulleiterin bei den Lehrerinnen und Lehrern nicht so attraktiv ist.

Mögliche Ursachen wurden genannt: zeitliche Belastung durch Unterricht, organisatorische Aufgaben, Veränderungen im Schulsystem, aber auch die Entlohnung. Deshalb haben wir verschiedene Forderungen der Verbände im Raum: Der VBE fordert eine bessere Bezahlung. Es gibt die Forderung nach mehr Entlastungsstunden und die Idee, die Bewerbungsverfahren zu straffen, damit Schulleiterstellen demnächst möglichst zeitnah besetzt werden können.

Die Landesregierung handelt aber. Seit 2011 haben wir in jedem Jahr mehr Entlastungsstellen für den Bereich zu verzeichnen, was auch für 2014 der Fall sein wird.

Zu den CDU-Forderungen Folgendes: Sie fordern, dass ein Rektor oder eine Rektorin für mehrere Grundschulen zuständig sein kann. Diese Forderung finde ich nicht uninteressant. Deshalb freue ich mich, in dem Bereich in den Austausch mit Ihnen zu kommen, um einfach zu gucken, wie sich das im Alltag auswirken kann. Insgesamt würde mich interessieren, wie die Idee vonseiten der Verbände aufgenommen wird. Ich habe gelesen, dass der VBE dieses Thema in einer der jüngsten Meldungen schon kritisch kommentiert hat.

Dann fordern Sie – das ist mittlerweile ein Evergreen – die Schulverwaltungsassistentinnen und ?assistenten. Den Antrag hatten wir in ähnlicher Form schon einmal. Das haben wir damals abgelehnt, weil Sie es einerseits flächendeckend für das ganze Land wollten, andererseits aber auch Lehrerstellen, die durch die demografische Entwicklung frei wurden, einsparen wollten. Wir brauchen diese Stellen im System auch für die Inklusion, um das noch einmal zu erwähnen.

Das andere Problem ist, dass der Arbeitsmarkt für Schulverwaltungsassistentinnen und -assistenten derzeit in der Form leergefegt ist und wir diese Stellen auch nicht so einfach besetzen können.

Insgesamt haben wir aber viele offene Fragen, die wir gerne auch mit Ihnen, mit der antragstellenden Fraktion, erörtern wollen. Ich freue mich auf die Diskussion und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bas. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Gebauer für die FDP-Fraktion.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fehlende Schulleitungen bedeuten, und das unabhängig von Schulform und Schulstufe, immer eine stark belastende Situation für die Schulen. Diese Mangelsituation kann durch temporäre, manchmal auch leider durch sehr lange Vertretungen aus den Kollegien heraus nur unzureichend – und das nicht weil die Kollegen dazu keine Lust haben, sondern weil sie mit vielen anderen Tätigkeiten ausgelastet sind – kompensiert werden.

Für eine nach vorne gerichtete Schulentwicklung sind aber Schulleitungen unverzichtbar. Bereits im Februar dieses Jahres hat der VBE mangels Schulleiterbesetzungen vernehmlich Alarm geschlagen. Ich werde an dieser Stelle als vierte Rednerin nicht mehr alle Zahlen nennen. Es ist ja jetzt hinreichend bekannt, wie viel offene Stellen wir an den einzelnen Schulformen hier in Nordrhein-Westfalen haben.

Die FDP-Fraktion hat in den letzten Monaten mehrere Anfragen zu diesem Thema an die Landesregierung gerichtet. Und die Antworten des Ministeriums zeigen, dass sich die Situation eben nicht großartig verbessert hat. Im Oktober lag – eine Zahl nenne ich dann doch – die Gesamtzahl der unbesetzten Schulleitungen aller Schulen bei 767.

Genau wie zu Zeiten der mitregierenden FDP wird gegenwärtig sukzessive die Leitungszeit an den Grundschulen ausgebaut. Und das nehmen wir als FDP auch positiv zur Kenntnis. Aber, uns fehlt da-rüber hinaus ein schlüssiges Gesamtkonzept.

Rot-grün nimmt offenbar an, dass man an dieser Stelle Abhilfe schaffen kann, wenn man nach den Eignungsfeststellungsverfahren für Schulleitungen auch durchgefallene Kandidaten zu Schulleitern und Schulleiterinnen macht. Diese Qualitätsabsenkung – wir haben das bereits im Ausschuss deutlich gemacht – halten wir für einen Irrweg. Es kann nicht sein, dass man sagt: Uns fehlen zum einen Leitungspersonen und nehmen aber dann in diesem Zusammenhang auch die Kandidaten, die die Eignungsprüfung einmal nicht bestanden haben. – Wir haben große Zweifel, dass man den Schulen – an dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt – und auch den Bezirksregierungen, die Betroffenen wissen Bescheid, warum ich das sage, damit einen Gefallen tut.

Was schlägt nun die CDU vor? Die Grundidee klingt nicht uninteressant, dass eine Leitungsfunktion auch gleich für mehrere Schulen übernommen werden kann. Bei größeren Entfernungen dürfte dies dann allerdings problematisch sein. Es wird in diesem Antrag nicht ganz klar, ob nur die Leitungszeit und die Konrektorenstelle, was hier ja auch Sinn macht, erhalten bleiben, sondern dann auch die zusätzliche Bezahlung für zwei Leitungsfunktionen erfolgt. Auch stellt sich generell die Frage, was mit der Steigerung der Attraktivität gemeint ist. Bedeutet das eine generelle Erhöhung der Bezüge für die Leitungsstellen an Grundschulen?

Auch bezüglich der bereits mehrfach angesprochenen Schulverwaltungsassistenten müsste die CDU dann noch präzisieren, was genau gemeint ist. Es ist richtig, dass die Schulen durch Verwaltungspersonal entlastet und auch ein Stück weit entlastet werden müssen. Aber auch die CDU sagt, dass dies aus finanziellen Gründen nicht on top geschehen kann und somit mit den Stellen dann verrechnet werden sollen.

Das ist aber gerade für Grundschulen mit oft sehr kleinen Kollegien dann kaum leistbar, selbst wenn sich mehrere Schulen zusammentun. Also, hier müsste genauer präzisiert werden, wie sich die Ausgestaltung in diesem Fall vollzieht. Deshalb freue ich mich auf die Diskussion im Ausschuss. Wir werden der Überweisung selbstverständlich zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Jetzt hören wir nicht nur Zitate von Frau Ministerin Löhrmann, sondern sie spricht auch zu uns. – Nein! Ich habe mich vertan.

(Monika Pieper [PIRATEN]: Mein lieber Herr Präsident!)

Bitte entschuldigen Sie, ich habe Frau Pieper etwas zu früh zur Ministerin berufen. Das tut mir leid. Das müssen wir dann bei Gelegenheit wiederholen.

Frau Kollegin Pieper spricht natürlich für die Piratenfraktion. Und danach kommt Frau Löhrmann. Bitte nicht erschrecken, Sie haben noch ein wenig Zeit.

Monika Pieper (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist vieles gesagt und vieles richtig gesagt worden. Wir sind uns alle einig, dass etwas passieren muss. Wir haben zu wenig Schulleiter, vor allem an den Grundschulen. Insofern ist der Antrag der CDU durchaus berechtigt.

Es muss jetzt auch ganz schnell etwas passieren, weil ich glaube, wie es gerade schon gesagt worden ist, dass es für einzelne Schulen eine hoch belastende Situation ist. Da übernehmen Leute Aufgaben, für die sie nicht bezahlt werden, teilweise für ein bis zwei Jahre dann kommissarisch. Das ist ein Zustand, der so nicht zu akzeptieren ist.

Um sich auf eine solche Schulleiterstelle zu bewerben, muss man eigentlich einen Anfall von geistiger Umnachtung haben, wenn man sich überlegt, was da auf einen zukommt. Die Anforderungen sind extrem hoch. Besonders belastend finde ich die persönliche Haftbarkeit von Schulleitern. Ich höre immer wieder, dass mir Leute sagen: Wenn du Schulleiter bist, stehst du immer mit einem Bein im Gefängnis.

Die berechtigten Ansprüche von Schülern, Kollegen und Eltern unter einen Hut zu bringen, ist meines Erachtens eine Aufgabe, die kaum möglich ist. Die Kollegen in Schulleiterfunktion wissen genau, wovon ich da rede.

Der Schulleiter ist also ein Multitalent: Unterricht, Organisation, Elternarbeit, Qualitätsmanagement, Personalentwicklung, externe und interne Kommunikation, Kooperation und daneben noch Sekretariat und Hausmeisteraufgaben. Ich weiß, dass der eine oder andere Kollege überlegt, ob er sich das Bett nicht in die Schule stellt. Denn nach Hause fahren, lohnt sich eh nicht mehr.

Und das alles bei schlechter Bezahlung und zu wenig Anrechnung bei der Leitungszeit. In diesem Zusammenhang muss man tatsächlich noch einmal auf die Nichterhöhung der Beamtenbezüge hinweisen. Das war nicht gerade eine Motivationshilfe, sondern eher das Gegenteil. Warum sollte jemand, der noch alle Sinne beisammen hat, sich auf einen solchen Posten bewerben?

Der Schulleiterjob muss dringend attraktiver gemacht werden. Aber wie? Es sind die angemessene Bezahlung, die ausreichende Anrechnung bei der Leitungszeit, die Unterstützung durch Sekretariat und Hausmeisterstellen. Dem Schulleiter müssen, nachdem er den Job bekommen hat, auch Fortbildungen angeboten werden, die ihm persönlich helfen, diese Stelle auf Dauer ausfüllen zu können.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal die Forderung aus Kollegenkreisen stellen, dass es nicht nur für Schulleiter, sondern für alle die Möglichkeit zur Supervision geben sollte. Ich glaube, es wäre ausgesprochen hilfreichen, wenn man an der Stelle solche Möglichkeiten schaffen könnte, um die Schulleiter zu unterstützen.

Bei der im Antrag der CDU geforderten Möglichkeit, Schulleiterinnen gleich für zwei kleine Grundschulen zu ermöglichen, sollte man sehr vorsichtig sein. Man muss sehr genau schauen, ob das nicht zu einer weiteren Aufgabenverdichtung führt. Hier müsste es unbedingt zusätzliche Ressourcen und genau festgelegte Rahmenbedingungen geben.

Den Vorschlag der CDU zur Schaffung von Stellen für Schulverwaltungsassistenten finde ich erst einmal ganz schick. Wenn wir aber genau hinschauen – das hat Frau Gebauer gerade gesagt –, würden dafür Lehrerstellen wegfallen. Das ist keine gute Idee. Damit helfen Sie keinem Lehrer und keinem Schüler in diesem Land. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Jetzt das Original, Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Leitungsvakanzen gibt es gerade in der Schulform Grundschule seit vielen Jahren, unabhängig von der Zusammensetzung der jeweiligen Landesregierung.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein wichtiger Grund wird häufig in der gegenüber anderen Schulformen geringeren Bezahlung der Leiterinnen und Leiter gesehen. So werden die Rektorinnen und Rektoren kleiner Grundschulen lediglich nach Besoldungsgruppe A 12 plus Zulage bezahlt. In großen Grundschulen mit über 360 Schülerinnen und Schülern, von denen es derzeit 143 gibt, endet die Besoldung bei A 14.

Jede nicht besetzte Leitungsstelle stellt für die betroffenen Schulen, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die Eltern eine besondere Belastung dar. Aus diesem Grund versuchen die für die Stellenbesetzung zuständigen Bezirksregierungen, Vakanzen so schnell wie möglich zu beenden. Es wird zügig ausgeschrieben, und potenzielle Bewerberinnen und Bewerber werden gezielt angesprochen.

Auch mir fällt bei meinen Besuchen auf, wie es Herr Feuß gesagt hat, dass es Regionen gibt, in denen das überhaupt kein Problem ist. Woanders gibt es diese Probleme. Das müssen wir natürlich versuchen anzupassen.

Es stimmt aber auch – deswegen wundert mich, dass sich die CDU hier so weit aus dem Fenster hängt –, dass die CDU versprochen hatte, dass sie etwas macht, aber letztlich nichts gemacht hat.

Die rot-grüne Landesregierung hat erhebliche zusätzliche Ressourcen zur Entlastung der Schulleiterinnen und Schulleiter aufgewendet. Mit dem Haushalt 2011 wurden für Grundschulen 340 Stellen, mit dem Haushalt 2012 für die übrigen Schulformen 224 Stellen und mit dem Haushalt 2013 197 Stellen zusätzlich für die Erhöhung der Anrechnung der Leitungszeit an größeren Systemen zur Verfügung gestellt. Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2014 sieht weitere 109 Stellen explizit für die Grundschulen vor. Summa summarum sind das 870 Stellen. Das entspricht einem Volumen von etwa 45 Millionen €. Das ist kein Pappenstiel. Das kann sich sehen lassen. Das ist mehr, als Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben. Sie haben nämlich keinen Euro im Bereich der Leitungszeit investiert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit dem Achten Schulrechtsänderungsgesetz wurde die Regelung getroffen, dass Grundschulen mit weniger als 92 und mindestens 46 Schülerinnen und Schülern nur noch als Teilstandorte ohne eigene Leitung geführt werden können. Für solche Teilstandorte erhöhen sich die elf Wochenstunden Leitungszeit für den zweiten und jeden weiteren Standort im ersten Jahr um zunächst elf Wochenstunden, im zweiten um neun und auf Dauer um sieben Wochenstunden je Standort.

Die im Antrag der CDU-Fraktion geforderte Leitung von mehreren kleinen Grundschulen durch eine Rektorin oder einen Rektor ist bereits jetzt möglich und wird vertretungsweise auch praktiziert. Eine Dauerlösung – da hat Frau Pieper völlig recht – kann auf diese Weise allerdings nicht herbeigeführt werden.

Das Schulgesetz sieht angesichts zurückgehender Schülerzahlen für kleine Grundschulen mit weniger als 92 Schülerinnen und Schülern im Interesse des Erhalts von Teilstandorten und einer effektiven Ressourcensteuerung gerade eine Lösung über Grundschulverbünde vor.

Bei der Frage der Schulverwaltungsassistenten haben wir schon bei der zweiten Lesung darüber gesprochen, dass Sie sich hier etwas vormachen, wenn Sie meinen, das wäre ein Sparmodell und würde gleichzeitig alle möglichen Probleme lösen.

Meine Damen und Herren, hinsichtlich der im Antrag genannten 435 unbesetzten Schulleitungsstellen an Grundschulen kann ich Ihnen heute eine aktualisierte Zahl aus der letzten Woche geben. Die Zahl vakanter Leitungsstellen an den insgesamt 2.891 Grundschulen in NRW hat sich auf 360 verringert; es ist also etwas besser geworden. Den plumpen Zusammenhang mit der Nichtübertragung der Besoldungsanpassung straft diese Entwicklungszahl doch Lügen. Ich finde, Sie machen es sich etwas zu einfach, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Auch 360 unbesetzte Grundschulleiterstellen sind 360 zu viel. Wir müssen weiter daran arbeiten. Aber manche der Maßnahmen, die wir mit dem nächsten Haushalt und dem Achten Schulrechtsänderungsgesetz ergriffen haben, das erst zum kommenden Schuljahr gilt, werden erst Schritt für Schritt greifen. Ihren Antrag beraten wird natürlich ausführlicher, aber ich finde ihn etwas zu kurzgegriffen, zumal Sie überhaupt nicht nachweisen, wie Sie das Problem systematisch angehen wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Wir sind am Schluss der Debatte und stimmen ab.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/4432 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik; die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ist jemand gegen diese Überweisungsempfehlung oder möchte sich enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag überwiesen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

8   Forderung nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur internationalen Initiative Open Government Partnership

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/4437

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion spricht der Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Besuchertribüne und zu Hause! Was soll ich sagen? Eigentlich spricht der Antrag für sich selbst. Wenn ich dem Koalitionsvertrag in Berlin trauen darf, werden wir das Ganze heute mit einer großen Mehrheit positiv bescheiden. Da steht unter der Überschrift „Moderne Verwaltung“:

„Erste Open-Data-Projekte in Deutschland zeigen das Potential offener Daten. Die Bundesverwaltung muss auf der Basis eines Gesetzes mit allen ihren Beho?rden Vorreiter fu?r die Bereitstellung offener Daten in einheitlichen maschinenlesbaren Formaten und unter freien Lizenzbedingungen sein. Wir wollen für Bund, Länder und Kommunen ein Open-Data-Portal bereitstellen. Die Koalition strebt einen Beitritt Deutschlands zur internationalen Initiative Open Govern-ment Partnership an.“

(Beifall von den PIRATEN)

Jetzt hoffen wir einfach mal, dass diese Aussage das Papier wert ist, auf dem sie steht; denn auf der Bundesebene ist bisher viel zu lange genau gar nichts passiert.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Noch am 5. März dieses Jahres hieß es in der Bundestagsdrucksache 17/12616 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke – ich zitiere noch einmal –:

„Deutschland legt den Schwerpunkt der Open-Government-Projekte auf den nationalen Bereich, insbesondere auf das Öffnen von Verwaltungsdaten. Aus Ressourcengründen kann die Bundesregierung sich nicht zusätzlich in der übergreifenden Open Government Partnership engagieren.“

Ich finde es gut, dass die CDU ihre Meinung geändert hat und das jetzt anscheinend doch anders sieht.

Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hatte schon im siebten Zwischenbericht, knapp einen Monat vor dieser Antwort, festgestellt, dass ein Beitritt Deutschlands die Open-Government-Bemühungen stark vorantreiben könnte. Auch Ministerpräsidentin Kraft hat Open Government zur Chefinnensache erklärt. Das finden wir gut. Wir haben hier schon häufiger positiv über das Thema „Open Government“ geredet. Die Landesregierung hat dazu in diesem Hause auch bereits eine große Veranstaltung durchgeführt. Die Unterstützung sollte also eigentlich obligatorisch sein.

Heute können wir auch als Landtag noch einmal unsere Unterstützung dieses Wegs ausdrücken, uns klar für einen Beitritt Deutschlands zu der Initiative aussprechen und für die Einhaltung des Fahrplans der Initiative einstehen, auch wenn das bedeutet – da möchte ich der Kritik vorgreifen –, dass ein Teil der Ressourcen, die in der zitierten Drucksache genannt werden, anteilig vom Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Mittel dafür haben wir in den Haushalt eingestellt.

Bei der Frage, in welchem Rahmen wir da genau tätig werden, kann uns sicherlich die künftige Bundesregierung zur Seite stehen; aber auch die Initiative selber kann uns da helfen.

Open Government geht uns alle an. Auch das Land NRW wird stark von dieser Bewegung profitieren können. Dazu zählt vor allem eine bessere Vernetzung der handelnden politischen Akteure mit der Zivilgesellschaft. Wie man dem Wunsch der Initiative entnehmen kann, zeichnet sich die nationale Umsetzung dadurch aus, dass die Besetzung der Arbeitsgruppe fifty-fifty mit Vertretern der handelnden Politik und Vertretern der Zivilgesellschaft erfolgt und dass das Stimmengewicht im gleichen Verhältnis steht. Lobenswert ist auch der Wunsch nach einer transparenten Protokollierung der Arbeitsschritte. So macht man Open Government!

(Beifall von den PIRATEN)

Momentan steht die deutsche Arbeitsgruppe der Initiative unter der Koordination von Prof. Dr. Jörn von Lucke. Das ist zufällig der Experte, der von der Landesregierung zu der Veranstaltung Open.NRW am 17. Mai geladen war. Das lässt Gutes hoffen.

Die Zeichen stehen also gut, dass sich NRW kon-kret und sinnvoll in diese Arbeit einbringen kann. Nur die Willensbekundung dieses Hohen Hauses fehlt noch. Diese Forderung wird – wie bereits im Antrag beschrieben – nicht von uns erhoben – auch da greife ich Ihrer Kritik voraus –, sondern das ist das Arbeitsergebnis von führenden Mitgliedern der Open-Government-Szene.

Jetzt hat sich dieser Antrag zeitlich mit dem Koalitionsvertrag auf Bundesebene überkreuzt. Aber sei‘s drum: Unterstützen wir die Initiative hier in Nordrhein-Westfalen! Stellen wir sicher, dass dieser Prozess auch tatsächlich angeschoben wird. Dazu sollten wir hier mit einer breiten Mehrheit ein klares Zeichen in Richtung Bund geben: Nordrhein-Westfalen steht hinter dem Ziel des Open Governments. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Marsching, Sie dürfen dem Koalitionsvertrag trauen und ihn wortwörtlich nehmen. Sie werden erleben, dass wir Ihren Antrag mit Freude unterstützen. Viel zu sagen haben Sie mir auch gar nicht mehr übrig gelassen,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das tut mir leid!)

denn Sie haben völlig richtig dargestellt, dass wir als Nordrhein-Westfalen hier vorangeschritten sind, dass wir schon Schritte weiter sind, dass wir das jetzt mehr oder weniger synchron mit der Bundesebene machen sollten und auch schauen sollten, dass wir den Sprung schaffen, international die Möglichkeiten zu nutzen, die dieses Projekt bietet.

Ein Stück weit steckt in der Politik ja immer noch der Reflex, zu gucken, ob man einen Antrag nicht vielleicht noch verbessern könnte. Deswegen haben Kollege Bolte und ich eine Zehntelsekunde lang überlegt, ob wir vielleicht noch die Forderung erheben, eine intergalaktische Zusammenarbeit anzustreben.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Da sind wir dabei! – Michele Marsching [PIRATEN]: Da wäre ich auch dafür gewesen!)

– Da wären Sie auch dafür gewesen; das habe ich mir fast gedacht. – Aber wir haben davon Abstand genommen und werden Ihrem Antrag so, wie er heute vorliegt, zustimmen.

Partizipation und Transparenz sind keine Themen, die wir nur national bearbeiten sollten. Sie sollen vielmehr auch international Würdigung finden.

Da wir so oft über die Griechen schimpfen, will ich an dieser Stelle deutlich sagen: Jetzt sind wir wirklich mal an einem Punkt, an dem wir jemanden aus dem Mutterland der Demokratie zitieren dürfen. Sokrates hat mal gesagt: „Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen.“ – Insofern beschreiten wir da in NRW einen guten Weg und hoffen, dass noch mehr daraus wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Korte.

Kirstin Korte (CDU): Frau Präsidentin! Liebe verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Herr van den Berg, wir machen es ein bisschen einfacher und hängen es ein bisschen niedriger, als Sie es eben getan haben.

Mit dem vorliegenden Antrag fordern die Piraten, dass Deutschland sich an der internationalen Initiative Open Government Partnership – kurz: OGP – beteiligen möge.

Bei OGP handelt es sich um eine internationale Initiative – wir hörten das – zu dem Thema „Open Government“, die am 20. September 2011 von der US-amerikanischen Regierung und der Regierung Brasiliens ins Leben gerufen wurde.

Unterstützer der Initiative bekennen sich dazu, in ihren Ländern Aktionspläne für mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung und Verwaltungsmodernisierung zu entwickeln und regelmäßig Revisionsprozesse durchzuführen.

Wie von den Antragstellern zutreffend beschrieben, beteiligen sich inzwischen über 60 Staaten an dieser Initiative. Zuletzt sind im April 2013 beispielsweise Panama, Liberia und Ghana beigetreten.

In Mitteleuropa dagegen hält sich die Bereitschaft zur Mitwirkung noch in sehr überschaubaren Grenzen. So haben sich beispielsweise unsere unmittelbaren Nachbarländer Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Schweiz, Österreich und Polen der OGP bislang nicht angeschlossen.

Dass vor diesem Hintergrund eine besondere Eilbedürftigkeit für einen Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dieser Initiative gegeben ist, vermag ich so beim besten Willen nicht zu erkennen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Man kann doch mit gutem Beispiel vorangehen!)

– Immer wieder! – Von einer internationalen Isolation Deutschlands kann insoweit jedenfalls nicht ernsthaft die Rede sein.

Zielführender als die Forderung nach einem Beitritt zur OGP-Initiative ist es aus meiner Sicht, wenn wir bei dem wichtigen Thema „Open Government“ zunächst auf nationaler und europäischer Ebene Schwerpunkte setzen. Der Aufbau eines EU-weiten Open Data Portals oder die Standardisierung von Metadaten hätten insoweit sicherlich direktere, praktischere Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen als globale Initiativen im Verbund – ich kann es Ihnen nicht ersparen – mit Tansania, Jordanien und Aserbaidschan.

Zunächst sollten wir uns deshalb dafür einsetzen, dass das Thema „Open Government“ auf nationaler Ebene forciert wird, und uns dabei eng mit unseren europäischen Nachbarn absprechen.

Dass Deutschland in einem zweiten Schritt auch der internationalen Initiative Open Government Partnership beitritt, mag durchaus sinnvoll sein und hat ja jetzt auch – Herr Marsching, Sie haben darauf hingewiesen – Eingang in den Koalitionsvertrag im Bund gefunden.

Für eine definitive Festlegung des Landtages in dieser Frage besteht aus unserer Sicht zum jetzigen Zeitpunkt allerdings kein Anlass. Letztlich handelt es sich bei dem Beitritt zur OGP-Initiative ohnehin um eine Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland, über die wir hier in diesem Haus demnach nicht zu entscheiden haben.

Hier und heute wird sich die CDU-Fraktion bei der Abstimmung über den vorliegenden Antrag der Piraten daher enthalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Korte. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Herrn van den Bergs Ausführungen zur intergalaktischen Zusammenarbeit, die bei der Piratenfraktion offensichtlich auf große Freude gestoßen sind, fürchte ich jetzt ein bisschen, dass Sie uns beim nächsten Plenum mit einem Antrag zur Erforschung von Zeitmaschinen um die Ecke kommen und auch dafür unsere Zustimmung erwarten.

(Beifall von der CDU – Zuruf von den PIRATEN: Zeitreisen! Ist okay! Das können wir machen!)

– Ich hoffe nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, man sollte die Gesamtperspektive beim Thema „Open Government“ nicht aus dem Blick verlieren. Das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner richtigerweise auch nicht getan.

Die Formen und Wege, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger am politischen Prozess beteiligen wollen, haben sich verändert. Gleiches gilt auch für die Erwartungen an Verwaltungen. Da bietet die Digitalisierung riesengroße Chancen, die wir gemeinsam nutzen wollen. Das ist an vielen, vielen Stellen schon zum Ausdruck gekommen. Das Zukunftsforum „Digitale Bürgerbeteiligung“, das wir hier im Mai erleben durften, ist angeführt worden. Auch die Arbeiten an der Open.NRW-Strategie, die sich den Zielen Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit verschrieben hat, sind angesprochen worden.

Es geht darum, dass alle von Verwaltungen gesammelten Daten veröffentlicht werden, der Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden, dass Zusammenarbeitsprozesse, dass Partizipationsprozesse unter Nutzung des Internets und seiner Möglichkeiten hier in Nordrhein-Westfalen vorangebracht werden.

Damit das auch gelingt, haben wir für die Realisierung der Open.NRW-Strategie vorgestern im Einzelplan 03 entsprechende Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Die Rückmeldung, die ich dazu von vielen erhalten habe, war: Mit 1 Million € kann man schon was machen. – Die Kolleginnen und Kollegen aus dem ostwestfälischen Bereich unseres Landes wissen, dass „Damit kann man schon was anfangen“ ungefähr das höchste Lob ist, das man bei uns aussprechen kann.

Konkret zum Antrag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es schon gehört, was wir mit Ihrem Antrag vorhaben. Wir Grüne haben den Beitritt zur Open Government Partnership stets unterstützt. Wir haben im Bundestag wiederholt Fragen an die Bundesregierung zu diesem Thema gerichtet, auch um zu erfahren, ob sie ihren Kurs, den sie über die vergangenen Jahre gefahren hat, fortsetzen will, nämlich der OGP noch nicht beitreten zu wollen.

Die Bundesregierung verwies dabei immer auf ihr Engagement auf nationaler und auf europäischer Ebene, auf ein bundesdeutsches, EU-weites interoperables Open Data Portal, auf die Standardisierung von Metadaten, darauf, dass das alles viel praktischere Auswirkungen auf Open Government in Bund, Ländern und Kommunen habe als ein Beitritt zur OGP.

Das war ungefähr das Wording, das die Kollegin Korte hier gerade zum Besten gegeben hat. Sie hat das Update mit dem Koalitionsvertrag für ihr Manuskript offensichtlich erst später gekriegt. Denn da steht drin: Der Beitritt zur OGP soll forciert werden. – Wir Grüne werden natürlich auch auf der Bundesebene darauf achten, dass das auch so kommt.

Ein Beitritt zur OGP bietet tatsächlich eine ganze Reihe von Vorteilen. Das kann den Austausch von guter Praxis, von guten Projekten voranbringen. Deutschland – das muss man einfach konstatieren – hat deutlichen Nachholbedarf im Bereich Open Government. Das stellen Sie fest, wenn Sie sich anschauen, wie engagiert, wie stark einige Länder das Nutzen der Vorteile von Open Government vorantreiben, wenn Sie sich allein die Entwicklung in den Vereinigten Staaten über die letzten fünf Jahre anschauen. Da ist unheimlich viel passiert, wovon wir in der Bundesrepublik ja auch lernen können. E ist einfach notwendig und sinnvoll, die Zusammenarbeit zu suchen, um gute Ideen auszutauschen und voranzubringen.

Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang auf Open.NRW, auf unsere Strategie, hingewiesen. Sie wird im kommenden Jahr an den Start gehen.

Wir wollen darüber hinaus – auch das ist hier vielfach debattiert worden – die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um Bürgerinnen und Bürgern verstärkt Informationen zur Verfügung zu stellen. Wir wollen dafür auch den gesetzlichen Rahmen schaffen.

So leisten wir alles in allem einen Beitrag, nicht nur, indem wir heute die Forderung nach einem Beitritt zur Initiative Open Government Partnership unterstreichen, sondern auch, indem wir als rot-grüne Landtagsmehrheit gemeinsam mit der rot-grünen Landesregierung die Verbreitung der Open-Government-Philosophie hier in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland aktiv unterstützen.

Ich glaube, wir haben Vorbildliches vor. Es ist inhaltlich richtig, was in Ihrem Antrag steht. Er passt gut zu dem Kurs, den wir hier in NRW verfolgen. – Ich darf mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, möchte ich zunächst wie der Kollege Marsching aus dem Entwurf des schwarz-roten Koalitionsvertrags zitieren.

„Die Bundesregierung strebt einen Beitritt Deutschlands zur internationalen Initiative Open Government Partnership an.“

Damit dürfte sich der Antrag der Piraten demnächst erledigt haben.

Schaut man sich die Kernforderungen der Initiative an, so sieht man, dass Deutschland bereits viele der geforderten Punkte umgesetzt hat: Der Haushaltsentwurf wird veröffentlicht, ein Informationsfreiheitsgesetz besteht, die Einkünfte von Abgeordneten werden veröffentlicht, die Besoldungstabellen von Beamten sind bekannt, und politische Beratungsabläufe sind nachvollziehbar. Damit sind wir weiter als viele andere Staaten, für die die Initiative erst der Startschuss für ein Engagement in Richtung Transparenz war.

Die Bundesregierung hat in den letzten Monaten bei Nachfragen zu einem potenziellen Beitritt Deutschlands immer wieder deutlich gemacht, dass der Fokus zunächst auf nationaler Ebene liegt. Die Plattform „GovData“ habe ich bereits im Sommer erwähnt. Auch das vorgelegte Programm „Vernetzte und transparente Verwaltung“ darf nicht vergessen werden, ebenso wenig das gesamtstaatliche Steuerungsprojekt „Förderung des Open Government“ des IT-Planungsrates.

Die Pilotphase von „GovData“ läuft bis 2014, und täglich kommen mehr Daten hinzu. So finden sich nicht nur Statistiken und Dokumente zu Vorgängen auf Bundesebene; die Informationen gehen bis in den kommunalen Bereich. Eines der letzten eingestellten Dokumente sind beispielsweise die „Kameralen Monatsdaten Bezirk Marzahn-Hellersdorf 2013“.

Auf der europäischen Ebene arbeitete die Bundesregierung intensiv mit bei der Errichtung eines EU-weiten interoperablen Open-Data-Portals oder bei der Standardisierung von Metadaten. Die hier genannten Projekte haben – im Gegensatz zum Theorem der OGP – direkte Auswirkungen auf den Bund, die Länder und die Kommunen, sodass es nötig ist, den Schwerpunkt dort zu setzen.

Transparenz in Politik und Verwaltung ist wichtig. Es ist richtig, dass wir in einer digitalen Gesellschaft immer mehr gefordert sein werden, unsere Bemühungen auf diesem Feld voranzutreiben.

Initiativen wie die Initiative Open Government Partnership können tatsächlich ein Orientierungspunkt sein. Allerdings sollten wir darauf achten, dass wir uns nicht in Arbeitsgruppen verlieren, sondern an die praktische Umsetzung gehen.

In NRW haben wir jahrelang gesehen, wie es gerade nicht laufen sollte: Rot-Grün feiert sich zwar selbst – so auf dem Open.NRW-Tag –, hängt aber deutlich hinter seinem Zeitplan für eine Open-Government-Strategie her. Erst im nächsten Jahr, sofern man den Änderungsanträgen zum Haushalt glauben kann, werden finanzielle und personelle Ressourcen bereitgestellt. Die Frage muss erlaubt sein: Was haben Sie die letzten Jahre bei diesem Thema eigentlich überhaupt geleistet?

Es muss Bewegung in den Bereich des Open Governments kommen.

(Beifall von der FDP)

Politik und Verwaltung sind auch in NRW gefordert, aus der Holschuld der Bürger eine Bringschuld der Verwaltung zu machen. Das geht natürlich nur schrittweise. Wenn Sie aber die Ressorts eigenverantwortlich entscheiden lassen wollen, wie und wann Daten erhoben und bereitgestellt werden und die Open-Data-Prinzipien erfüllt werden können, ist das sicher ein Schritt in die falsche Richtung.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Wedel, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Bolte möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dirk Wedel (FDP): Dann bitte ich darum.

Matthi Bolte (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben gerade kritisiert, dass wir im Haushaltsverfahren entsprechende Änderungsanträge zum Bereich Open Government verspätet gestellt hätten. Dazu muss ich festhalten, dass auch in diesem Jahr – Sie haben die Veranstaltung angesprochen – Gelder im Bereich Open Government verausgabt worden sind.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Frage!)

Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund gerne fragen, wo in den vergangenen Jahren zum Bereich Open Government die Änderungsanträge der FDP zum Haushalt oder sonstige Initiativen aus den Reihen der FDP waren. – Herzlichen Dank.

Dirk Wedel (FDP): Lieber Herr Kollege Bolte, Sie wissen genau, dass ich gerade die Ausstattung mit personellen und finanziellen Ressourcen bereits im Sommer 2012 zum Gegenstand einer meiner ersten Kleinen Anfragen, die ich hier in diesem Hause gestellt habe, gemacht habe. Dazu ist von der Landesregierung lang und breit erklärt worden, dass das nicht nötig sei. Offensichtlich musste die Landesregierung da erst von Ihnen auf die Spur gebracht werden.

(Beifall von der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, konzentrieren wir unsere Kapazitäten auf die Umsetzung von Open Government in NRW! Die Aktionspläne und Leitfäden der Open Government Partnership können einige gute Anregungen und Denkanstöße geben, was noch zu tun ist, um mittelfristig ein Gesamtpaket zu schnüren. Doch solange die Hausaufgaben gerade in Nordrhein-Westfalen noch nicht gemacht sind, sollten wir uns davor hüten, unsere Aktivitäten auf die internationale Ebene zu verlagern.

Ich bin mir sicher, meine Damen und Herren, dass wir bereits viel Gefordertes im Bund und in der EU umgesetzt haben. Jetzt ist NRW gefragt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Die Landesregierung empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt offensichtlich auch so. Damit beende ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt durch, und zwar über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/4437. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, die SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

9   Landesregierung darf Lehrerinnen und Lehrern keinen Maulkorb erteilen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/4433

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/4520

Für die antragstellende Fraktion hat Frau Kollegin Vogt das Wort.

Petra Vogt (CDU): Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten hier einen Antrag unserer Fraktion, der seinen Ursprung in der aus unserer Sicht verfehlten Schulpolitik der rot-grünen Regierungskoalition hat.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Im vergangenen Juni fanden in diesem Hause die Anhörungen zum Inklusionsgesetz statt. Hier wurde einhellige und vor allem – das möchte ich betonen – sachliche Kritik an den Inklusionsplänen aus dem Hause von Frau Ministerin Löhrmann geübt. Gehört wurde sie, wie bekannt, leider nicht. Was bei vielen Lehrerinnen und Lehrern zur Unzufriedenheit und Frustration geführt hat, das wird auch Ihnen nicht gänzlich entgangen sein.

Die große Enttäuschung der Kolleginnen und Kollegen an den Schulen in unserem Lande gipfelte darin, dass Sie, die Landesregierung, das Gefühl vermittelt haben, dass ihre Meinung zu dem Thema „Inklusion“ nicht erwünscht war, dass ihre Argumente vom Tisch gewischt wurden und dass diese als „Maximalforderungen“ – so O-Ton Frau Ministerin Löhrmann – abqualifiziert wurden.

Seither mehren sich die Stimmen, dass man sich nun vor dienstrechtlichen Konsequenzen fürchtet, wenn man sich an die Politik und die Verbände richtet, um offen über Missstände zu berichten und den Fortgang des aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer vollständig missgeleiteten Inklusionsprozesses zu kritisieren.

Frau Löhrmann, diese Kollegen äußern ihre Kritik doch nicht leichtfertig, weil sie Spaß daran haben oder weil sie auf Krawall gebürstet sind. Diese Kritik kommt von Menschen, die ihren Beruf nicht einfach als Job sehen, sondern als Berufung und Lebensaufgabe, von Menschen, die ihren Beruf lieben. Diese Menschen wollen auch nicht grundlos die Schulaufsicht ärgern, sondern ihre große Sorge äußern und ihrer Verantwortung gerecht werden, die sie Tag für Tag für ihre Schützlinge haben, die übrigens zu den Schwächsten der Gesellschaft zählen.

Tun Sie, Frau Löhrmann, uns beiden und den anderen Mitgliedern dieses Hohen Hauses einen Gefallen: Sagen Sie gleich bitte nicht, dass diese Sorgen vor dienstrechtlichen Konsequenzen Unsinn wären.

(Beifall von der CDU – Sigrid Beer [GRÜNE]: Genauso ist es!)

Der uns bekannte aktuelle Fall aus Aachen zeigt deutlich, dass diese Konsequenzen seitens der Bezirksregierungen durchaus drohen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das darf doch nicht wahr sein!)

Im Fall Aachen fühlte sich die Bezirksregierung in ihrem Bemühen, offene Förderschulstellen zu besetzen, von den Schulleitern wohl nicht ausreichend gewürdigt und erklärte, Grundlage aller ihrer verhängten Disziplinarmaßnahmen in diesem Falle seien geltende rechtliche Bestimmungen des Landesbeamtengesetzes – so gestern zu lesen in den „Aachener Nachrichten“.

(Zuruf von der CDU: Paragrafenreiter!)

Die Motivation der 20 Schulleiter, einen derartigen Brief an ihre Bürgermeister zu schreiben und darin aus Verantwortung für ihre Schüler ihre Sorgen kundzutun, spielt hier wohl leider gar keine Rolle.

(Beifall von der CDU)

Die Außenwirkung ist fatal und verheerend.

Am 26. November war in den „Aachener Nachrichten“ zu lesen, dass die Welle der Empörung über diesen Fall nicht abreißt und dass unzählige Leserbriefe die Redaktion erreichen.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Vogt, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Abel von den Grünen möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?

Petra Vogt (CDU): Gerne.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich hatte die Ehre, Frau Kollegin Beer in einer Sitzung des Schulausschusses zu vertreten. Ich war dabei, als die Schulministerin in Absprache mit der Regierungspräsidentin allen Fraktionen die Möglichkeit angeboten hat, Akteneinsicht bei der Bezirksregierung zu nehmen.

Ich frage Sie deshalb, ob Sie irgendeinen Ihrer Vorwürfe und irgendeines Ihrer Zitate aus Ihrer Zeitungslektüre anhand von Erkenntnissen aus der Akteneinsicht belegen können.

Petra Vogt (CDU): Lieber Kollege, Sie wissen genau, dass ich von dieser Akteneinsicht nicht berichten darf. Aber Sie können gänzlich sicher sein, dass dieser Redetext nach der Akteneinsicht entstanden ist.

(Beifall von der CDU)

Ich war bei der Empörung. Und die Empörung geht weiter. Es gibt also jeden Tag Leserbriefe, wie die „Aachener Nachrichten“ mitteilten. Jetzt will ich Ihnen einmal die Titel nennen. Am 23. November lautete ein Titel – ich zitiere wörtlich –:

„Maulkörbe waren immer die Anfänge einer Diktatur“

(Zurufe von der SPD: Oh! – Marc Herter [SPD]: Ich bitte um Mäßigung!)

Am 26. November – auch hier zitiere ich wörtlich; ich zeige Ihnen den Artikel gerne – stand in der Zeitung – ich zitiere –:

„Exklusiv in NRW: Duckmäuser adeln, Mutige tadeln“

Sehr geehrte Damen und Herren, ist das der Eindruck, den wir in unserem Bundesland erwecken wollen?

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Offensichtlich ja!)

Der Schaden, der hier angerichtet wurde, ist immens. Es ist spannend, sich diese Leserbriefe mal durchzulesen. Leider habe ich nicht genug Redezeit, hier jetzt auf alle einzugehen. Gerade das Verhältnis von Inklusion und Grünen würde Sie vielleicht sehr interessieren, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.

Ich frage Sie, Frau Ministerin Löhrmann: Wollen Sie ein solches Klima der Repression und Angst an unseren Schulen wirklich haben?

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.

Petra Vogt (CDU): Wenn sich Mitglieder von „lehrernrw“, einer Lehrergewerkschaft, bei ihrem Verband erkundigen, ob sie den Mülheimer Aufruf, etwas, was die Gewerkschaft dort beschlossen hat, unterschreiben dürfen oder ob sie dann disziplinarrechtlich belangt werden können, ist das wirklich ein alarmierendes Signal.

Da meine Redezeit leider zu Ende ist – ich hätte Ihnen gerne noch weitere Beispiele genannt –, möchte ich Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben: Wenn man ein Gesetz nur noch unter Druck durchhalten kann, dann sollte man lieber ein neues Gesetz machen, mit dem alle gut leben können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Vogt. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hendricks.

Renate Hendricks*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss sagen: Ich habe mich nach der Rede von Frau Vogt tatsächlich gefragt, ob das, was wir gemeinsam beraten haben, und auch die Akteneinsicht an ihr vorbeigegangen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Anlass war ein Schreiben von Schulleitern in Sorge darüber, dass die vorhandenen Stellen in Aachen nicht besetzt werden können. Dabei ist die Versorgung von Aachen nicht schlechter als von anderen Regionen von Nordrhein-Westfalen.

(Rainer Deppe [CDU]: Das ist überall schlecht! Genau! – Gegenruf von Ministerin Sylvia Löhrmann: Weil Sie keine Sonderpädagogen haben ausbilden lassen!)

Das war Anlass für die Ministerin, in der letzten Sitzung des Schulausschusses die Sachlage deutlich darzustellen und damit eigentlich auch zu verdeutlichen, dass es dieses skandalisierenden Antrags nicht bedurft hätte.

Es wurde dann den schulpolitischen Sprechern angeboten, Akteneinsicht zu nehmen, was wir alle getan haben. Aus der Akteneinsicht werde ich nicht berichten, aber es wird sehr deutlich, dass dieser Antrag nach der Akteneinsicht mehr als überflüssig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Peter Preuß [CDU])

Was Sie, Frau Vogt, mit dem Antrag bezwecken, ist eine Skandalisierung, wie sie die CDU in der Vergangenheit schon häufiger vorgenommen hat.

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Denn es ist immer wieder so – das war 2011 auch so, als Sie versucht haben, der Ministerin anzuhängen, dass sie einen Maulkorb vergibt –, dass Sie über die Frage des Verhängens von Maulkörben versuchen, sich für die Rechte von Lehrer und Lehrerinnen stark zu machen. Das haben Sie nach der Winands-Periode auch nötig. Denn da gab es in der Tat Angst und Schrecken in Nordrhein-Westfalen, weil dieser Staatssekretär das Telefon zur Hand nahm und in der Tat Druck ausgeübt hat.

(Thomas Kufen [CDU]: Das ist alter Kaffee!)

Wir tun das nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Frau Kollegin Hendricks, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. – Herr Kollege Deppe würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Renate Hendricks*) (SPD): Jetzt nicht.

Präsidentin Carina Gödecke: Später?

Renate Hendricks*) (SPD): Ich rede jetzt zu Ende.

Wir haben hier ganz andere Zeiten erfahren. Mit der rot-grünen Landesregierung ist ein neuer Stil der Beteiligungskultur in Nordrhein-Westfalen eingeführt worden.

(Lachen von der CDU – Zuruf von der CDU: Ohne Zweifel! – Weitere Zurufe)

Es gibt eine Beteiligungskultur durch die Bildungskonferenz. Es ist in unserem Interesse, dass sich die am Schulwesen Beteiligten ganz eindeutig zu Wort melden.

Aber, liebe Frau Vogt, soweit ich weiß, waren Sie Beamtin. Ich wollte Ihnen eben schon die Frage stellen: Sind Sie sich darüber im Klaren, dass es ein bestimmtes Treueverhältnis von Beamten gibt?

Wir haben mit unserem Antrag heute sehr deutlich gemacht, dass es uns darum geht, dass wir diese Beteiligungskultur fortsetzen, dass wir die im Land vorhandene Beteiligungskultur für wichtig erachten und dass darüber hinaus auch die pädagogische Freiheit, die in der allgemeinen Dienstordnung steht – auch da haben Sie versucht, eine skandalisierende Form der Auseinandersetzung in den Schulausschuss hineinzubringen –, eine eigenständige Verantwortung von pädagogischen Kräften braucht.

Es liegt uns daran, dass wir das 9. Schulrechtsän-derungsgesetz verantwortungsvoll und mit den Beteiligten umsetzen. Der wahre Grund für Ihren Antrag, den Sie heute hier aufrechterhalten haben, ist nicht Ihr Mitgefühl für Lehrer und Lehrerinnen, sondern die Tatsache, dass Sie erneut versuchen wollten, das 9. Schulrechtsänderungsgesetz und unsere Absicht, die Inklusion umzusetzen, in diesem Land zu diskreditieren. Das ist schäbig. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Beer.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in Nordrhein-Westfalen keinen Maulkorb für Lehrerinnen und Lehrer – weder wurde er von der Landesregierung noch von einzelnen Ministerinnen und Ministern ausgesprochen. Das will ich am Anfang meiner Rede sehr deutlich sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Diese Schulministerin ist jede Woche seit Dienstantritt vor Ort. Sie ist in Schulen präsent. Sie ist für Eltern präsent, für Kolleginnen und Kollegen präsent und jederzeit zum Gespräch bereit. Sie hat die Bildungskonferenz initiiert, gemeinsam mit der Ministerpräsidentin dazu eingeladen und sie moderiert – in einem Beteiligungsverfahren, das es bisher bundesweit so noch nicht gegeben hat.

Jeder in diesem Land ist aufgefordert, sich an der notwendigen Schulentwicklung zu beteiligen – egal, ob Lehrerin oder Lehrer, ob Eltern, ob Schülerinnen oder auch Schulverwaltung. Jeder, der Kritik übt, ist willkommen. Kritik sollte aber fachgerecht, aufrichtig und redlich sein.

Sehr geehrte Frau Kollegin Vogt, was Sie gerade nach der Akteneinsicht gemacht haben, ist unredlich und einer seriösen Schulpolitik aufs Gröbste unwürdig. Das ist politische Instrumentalisierung der Offenlegung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie stellen sich natürlich hierhin – man erzählt nicht konkret darüber – und versuchen, eine Legende zu bilden und Nebelkerzen zu streuen. Das ist wirklich unwürdig.

(Petra Vogt [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Sie können am Ende meiner Rede Ihre Frage stellen. Ich beantworte sie gern, um meine Redezeit zu erweitern. Jetzt möchte ich gerne durchgehend reden.

Aber ich frage mich natürlich: Woher haben Sie eigentlich Ihre Fantasien? Ich will den Faden aufnehmen, den die Kollegin Hendricks gerade schon gezogen hat. Das kann ich mir nur so erklären, dass Sie immer noch die Muster schwarz-gelben Handelns im Kopf haben, die wir zwischen 2005 und 2010 erlebt haben, nämlich im Schulressort.

Wissen Sie, was es da gerade zum Ende der Legislaturperiode gab? Eine Ministerin mit Maulkorb. Sie wurde nämlich gar nicht mehr in die Öffentlichkeit gelassen. Sie durfte gerade einmal Blumensträuße verteilen. Die politischen Reden hat der Staatssekretär gehalten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie war nicht in der Lage, noch irgendeine bildungspolitische Entscheidung zu begleiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU)

Der Staatssekretär hat sich eher als politischer Kommissar entpuppt, als seiner Rolle der Verwaltungsleitung eines Hauses gerecht zu werden. Das muss man doch deutlich sagen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie wissen doch auch von den Anrufen in den Chefredaktionen, wenn mal kritische Berichterstattung und Kommentare vorgelegen haben.

Sie wissen auch von der Klagedrohung an die Opposition – sowohl an Frau Löhrmann als auch an mich –, weil wir aufgedeckt haben, dass es ein Pressesprecher nicht ganz genau mit der Wahrheit genommen hat, als es um das erste Zentralabitur ging.

Sie wissen doch auch, dass Kollegen und Kolleginnen persönlich einbestellt worden sind, nachdem sie sich auf Podien über die Schulpolitik des Landes geäußert haben.

Sie wissen hoffentlich auch, dass es der Staatssekretär mit dem Fahnden im Ministerium sehr genau genommen hat, wenn er dachte, Informationen seien vielleicht nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hat.

Wenn Sie solche Informationen und solche Fantasien über Ihre Politik von 2005 bis 2010 im Kopf haben, kann ich Ihre Reaktion sehr gut verstehen. Aber diese Landesregierung, dieses Kabinett und diese Ministerin stehen für eine andere Politik, für eine demokratische Beteiligungskultur in diesem Land. Das werden wir heute unmissverständlich miteinander feststellen. – Danke schön. Jetzt freue ich mich auf die Frage von Frau Vogt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Zwischenzeitlich hat sich Frau Kollegin Vogt zu einer Kurzintervention gemeldet.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Noch besser!)

Die führt sie jetzt auch durch.

Petra Vogt (CDU): Sehr geehrte Frau Kollegin Beer, ist Ihnen der Fall eines Schulleiters bekannt, der sich bei einer Veranstaltung mit einem Anliegen an die Schulministerin wandte, die Schulministerin ihm daraufhin sagte, er möge ihr das bitte in einem Brief mitteilen, der Schulleiter das tat und danach ernsthaften Ärger mit der Schulaufsicht bekommen hat?

Sigrid Beer (GRÜNE): Wieder so eine Ihrer Darstellungen. Dieser Fall ist mir absolut nicht bekannt.

(Zurufe)

Das ist genau dieses Nebelkerzenwerfen und Nicht-Offenlegen, was wir eben auch schon erlebt haben. Das wird sehr deutlich und ist Ihre Taktik in der ganzen Geschichte. Sie können das alles ja auch gar nicht nachweisen. Die Fälle sind mir nicht bekannt.

(Zurufe)

– Wir haben eben erlebt, wie Sie hier agieren. Ich habe es betont: Die Ministerin ist im Land unterwegs, ist offen für Gespräche. Das machen wir auch, nehmen jede Kritik gerne auf. Dass hinterher Dinge nicht so umgesetzt werden – das betrifft auch die Kritik im Anhörungsprozess –, gehört zu den demokratischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen, und das hat dann jeder nach einer Diskussion auch zu akzeptieren. Das ist, glaube ich, das Wesentliche, was dazu zu sagen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Herr Deppe, ich hatte Ihre Wortmeldung gesehen, aber Frau Kollegin Beer hatte vorher gesagt, sie würde am Ende noch Zwischenfragen zulassen. Aber „Zwischenfragen“ am Ende eines Beitrags entsprechen nicht so ganz der Geschäftsordnung. Deshalb hatte sich ja Frau Kollegin Vogt zur Kurzintervention gemeldet. Deshalb konnte ich Sie an dieser Stelle nicht mehr ins Spiel bringen. Ich bitte Sie, mir das nachzusehen.

Für die FDP hat jetzt Frau Kollegin Gebauer das Wort.

(Unruhe – Yvonne Gebauer [FDP] wartet einen Moment mit dem Beginn ihres Redebeitrags.)

Yvonne Gebauer (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn von unserer Seite noch eines zum Thema „Akteneinsicht“ sagen. Ich hätte mir an der Stelle noch ein wenig mehr Transparenz gewünscht, Frau Beer.

Wir hatten als FDP angefragt, ob wir unseren rechtspolitischen Sprecher zur Akteneinsicht mitnehmen können, um die Sache von der juristischen Seite beleuchten zu lassen. Uns wurde seitens des Ministeriums gesagt: Nein, ausschließlich dem schulpolitischen Sprecher ist die Akteneinsicht vorbehalten! – Wenn man nichts zu verbergen hat, hätte man ganz klar und offen sagen können: Ja, in diesem Fall kann ein Jurist mit draufschauen! – Das hätte ich mir in Sachen Transparenz doch an der Stelle gewünscht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Frau Ministerin Löhrmann, in einem sind wir uns ja wohl einig, nämlich darin, dass es für Landesbedienstete ein Treue- und Dienstverhältnis gibt bzw. dieses besteht. Aber anhand unterschiedlichster Fälle – Frau Vogt hat gerade einen genannt; auch wir kennen Fälle dieser Art – aus den unterschiedlichsten Landesteilen Nordrhein-Westfalens wird doch offensichtlich, dass die Schulverwaltung über das Ziel hinausschießt.

(Beifall von der FDP)

Wir brauchen bei der Demokratie, in der wir leben, mündige Staatsbürger, keine Duckmäuser. Gerade für eine positive Weiterentwicklung des Bildungssystems als „Keimzelle unserer Gesellschaft“ muss es den dort tätigen Fachleuten möglich sein, sich angstfrei pädagogisch äußern zu dürfen.

(Beifall von der FDP)

Die allgemeine Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer und auch Schulleitungen schreibt dieses Engagement sogar explizit vor. Ich darf aus § 10 zitieren:

„Sie“

– also die Betroffenen –

„wirken an der Qualitätsentwicklung und -sicherung schulischer Arbeit … mit.“

Ich frage: Wie können bzw. wie sollen Pädagogen diesem Anspruch genügen, wenn dann doch bei schon leiser pädagogischer Kritik einige Bezirksregierungen permanent Daumenschrauben anlegen?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Positive Entwicklungen im Schulsystem, die wir uns alle wünschen, kann man nicht gegen die Beteiligten durchsetzen.

(Widerspruch von Sigrid Beer [GRÜNE])

Frau Ministerin Löhrmann, Ihnen kommt dabei schon eine sehr wichtige Rolle zu, unsere Landesbediensteten, unsere Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter entsprechend mitzunehmen. Sie können sich meiner Meinung nach als oberste Dienstherrin nicht hinter den Bezirksregierungen verstecken.

Ich habe in der vergangenen Sitzung des Schulausschusses bei Ihnen die Souveränität vermissen müssen, weil Sie mir nämlich auf meine Frage, ob Sie das Vorgehen der Bezirksregierung im betreffenden Fall Aachen angemessen finden oder nicht, auch nach mehrmaligem Nachfragen keine Antwort gegeben haben. Zusammen mit Frau Kollegin Zentis von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben Sie immer wieder von der Eigenverantwortung der Bezirksregierung im besagten Fall gesprochen.

Ich meine aber: Bei dem Fall Aachen und den anderen Ereignissen, die an uns herangetragen werden, handelt es sich eben nicht mehr alleine um in Eigenregie zu verantwortende Einzelfälle der Bezirksregierung. Ich denke, dass wir dahinter schon ein Stück weit ein System vermuten können. Frau Beer und Frau Hendricks, Sie sprachen hier von einem neuen Stil sprachen. Ja, das ist ein neuer Stil, aber nicht der Stil, den Sie hier vorzugeben meinen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Konstruktive pädagogische Meinungsäußerung ist die Voraussetzung für eine differenzierte, ausgewogene sowie erfolgsorientierte Arbeit in der Verantwortung für die besten Bildungsvoraussetzungen für unsere Kinder und Jugendlichen.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Frau Ministerin Löhrmann, ich erwarte von Ihnen, dass Sie die Größe zeigen, diesen Pädagogen, die wir dringend brauchen, den Raum für eine fundierte fachliche Kritik zu geben. Stellen Sie die Maulkörbe in Nordrhein-Westfalen ein! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und Robert Stein [fraktionslos])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. Bleiben Sie bitte gleich am Redepult. Der Kollege Abel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin, nach Ihrem Potpourri aus Vermutungen und Behauptungen haben Sie von Hinweisen und Anzeichen gesprochen. Sie suggerieren auf dieser Basis, dass unliebsame Meinungen unterdrückt wurden.

Gleichzeitig sind Sie mit keinem Wort auf die Akteneinsicht eingegangen. Das ist entlarvend; denn es zeigt, es geht Ihnen gar nicht um den Fall. Ihnen geht es um eine Schmutzkampagne. Das ist Ihr Versuch, die Schulministerin zu verleumden. Das Erstaunliche daran ist, Sie nehmen in Kauf, dass Sie Beamtinnen und Beamten der Dienstaufsichtsbehörden gleich mit unterstellen, dass sie sich politisch vereinnahmen lassen und willkürlich handeln. Das geht nicht. Bei Ihnen heiligt der Zweck die Mittel. Das ist unanständig. Da ist eine Entschuldigung gegenüber den Beamtinnen und Beamten der Bezirksregierung fällig.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Kollege, ich weiß nicht, inwieweit Sie juristisch vorbelastet sind oder nicht. Das Thema „Akteneinsicht“ hat für alle Beteiligten, nämlich die schulpolitischen Sprecher, nur eines zur Folge: Gerade aus der Akteneinsicht dürfen wir eben nichts zu dem Thema vorbringen. Das haben wir schriftlich.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Nein. Ich bin reinen Gewissens. Das kann ich ganz klar sagen. Ich habe extra nichts zum Fall Aachen gesagt.

Der Fall Aachen ist Teil eines Puzzles, stellt aber nicht das gesamte Bild dar. Darüber hinaus gibt es zig Meldungen. Ich kann Ihnen ganz klar sagen, ich habe diese alle gesammelt. Ich hoffe sehr, dass dieser Bogen, der jetzt überspannt ist, irgendwann als Kreis endet, dass Lehrerinnen und Lehrer dann aufstehen und sich geschlossen dazu äußern. Das tun sie jetzt schon. Im Nachgang kann ich Ihnen dann alle Fälle, die ich jetzt sammle, präsentieren, wenn ich die Erlaubnis derjenigen habe.

Ansonsten weiß ich, was bei einer Namensweitergabe an dieser Stelle passiert. Wenn ich hier Ross und Reiter nenne, haben diese Herrschaften morgen einen Termin bei der Bezirksregierung.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das hat Folgen, und das verantworte ich nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Piraten spricht Frau Kollegin Pieper.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das kann man doch nicht so behaupten! – Gegenruf von der CDU: Aber das ist so! – Gegenruf von den GRÜNEN: Das ist doch Quatsch, was die da machen! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der CDU)

– Das Wort hat jetzt Frau Pieper von den Piraten.

Monika Pieper (PIRATEN): Ich habe Zeit – kein Problem.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie können es nicht belegen! – Weitere Zurufe und Gegenrufe – Unruhe)

– Ich kenne das aus der Schule so, dass ich immer erst rede, wenn alle leise sind. Danke.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Anhaltende Zurufe)

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens haben unterschiedliche Fraktionen noch Redezeit zur Verfügung. Diese kann man noch verwenden. Zweitens würde Frau Kollegin Pieper jetzt wirklich gerne reden. Ich habe großes Verständnis dafür, dass sie das nicht macht, wenn sich quer durch den Saal unterhalten wird oder Vorwürfe durch den Raum geworfen werden.

(Zurufe)

Monika Pieper (PIRATEN): Okay, ich versuche es. – Danke schön, Frau Präsidentin.

(Dietmar Brockes [FDP]: Frau Lehrerin, er war es! – Weitere Zurufe)

– Das ist ein schöner Anfang, dieses „er war es – nein, sie war es“. Genau darum geht es hier nämlich, um nichts anderes.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich ziehe das jetzt einfach durch. Es ist egal.

Also: Die Vorfälle in Aachen fand ich mehr als bedauerlich. Ich glaube, man hätte mit sehr viel mehr Fingerspitzengefühl diese Situation gar nicht entstehen lassen müssen. Es gibt aber jetzt überhaupt keinen Grund, das zu pauschalisieren und einen Ballon aufzupusten, der eigentlich schon ein kleines Löchlein hat, wenn man sich die Akten angesehen hat.

Ihre Forderungen, die Sie im Antrag stellen, sind pure Selbstverständlichkeiten. Ich erkenne überhaupt keine große Neuerung. Natürlich sind auch wir für Meinungsfreiheit. Wir werden daher sehr sorgfältig darauf achten, ob ähnliche Vorfälle bekannt sind, waren oder werden. Ich bitte darum, Kenntnis davon zu erhalten, wenn konkrete Fälle vorliegen.

Was Sie hier machen, ist aber nicht mein Stil. Wir sind hier, um Sachpolitik zu machen, und nicht, um uns gegenseitig irgendwelche Sachen vorzuwerfen. Wir haben so viele Probleme in der Schulpolitik. Ich weiß gar nicht, woher wir die Zeit nehmen, um uns mit dieser Sache zu befassen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einmal mehr werde ich von FDP und CDU mit dem Vorwurf konfrontiert, ich würde Lehrerinnen und Lehrern Maulkörbe erteilen. Einmal mehr ist eine Tatsachenbasis dieser Vorwürfe nicht belegt und meines Wissens auch nicht belegbar. Im Ausschuss habe ich gesagt, dass ich mich vor Abschluss des Verfahrens zum Schutz der Beteiligten zu laufenden Verfahren in meiner Bewertung nicht äußern werde. Frau Gebauer, daraus haben Sie etwas ganz anderes gemacht.

In dem hier behandelten Antrag der CDU-Fraktion heißt es: „Hinweise und Anzeichen mehren sich.“ – Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil das Wort „Tatsachen“ offenbar ganz bewusst vermieden wird. Ich will aber von Tatsachen sprechen, denn alles andere ist bestenfalls Kampagne und nicht etwa Ausdruck einer echten Sorge um den freien schulpolitischen oder schulfachlichen Diskurs.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nicht zufällig steht der Beschlussantrag der CDU in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Dringlichen Frage im Ausschuss für Schule und Weiterbildung in der vergangenen Woche. Hier ging es um einen Vorgang in der Städteregion Aachen, bei dem sich 20 Leiterinnen und Leiter von Förderschulen in einem quasi offenen Brief an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Region gewandt haben. Beklagt wurde eine unzureichende und intransparente Stellenbesetzung durch die Bezirksregierung.

Diese hat – sagen wir es einmal so – sehr konsequent reagiert, auch weil der Vorwurf der Intransparenz objektiv nicht gerechtfertigt war. Aber keine der beteiligten Schulleitungen – ich betone: keine – ist entgegen anderslautender Pressemitteilungen disziplinarisch belangt worden.

Noch in der Ausschusssitzung habe ich den schulpolitischen Sprecherinnen Einsicht in die Sachakten der Bezirksregierung angeboten, um weitestmögliche Transparenz zu schaffen. Dass dabei die Datenschutzrechte der vor Ort Beteiligten gewahrt werden mussten, war für alle klar und akzeptabel.

Diese Akteneinsicht hat hier im Landtag stattgefunden. Wie mir berichtet wurde, haben sich die Dinge vollständig aufklären und erklären lassen. Ich danke den schulpolitischen Sprecherinnen an dieser Stelle für die Diskretion, mit der Sie alle die Akteneinsicht vorgenommen haben.

Ich sage aber auch eines: In den Akten taucht erstens der Name „Ministerin Löhrmann“ nicht auf und taucht auch zweitens das Schulrechtsänderungsgesetz nicht auf, denn die Vorgänge liegen vor Verabschiedung dieses Gesetzes. Deswegen ist es politisch und fachlich problematisch, dass Sie ständig den Zusammenhang zu diesem Gesetz herstellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Nicht erst mit der Kleinen Anfrage 1594 haben Sie mir den Maulkorb-Vorwurf anhängen wollen. Danach hatten wir den soeben beschriebenen Fall in Aachen. Es ist immer dasselbe Muster: ein mit Getöse erhobener schwerer Vorwurf: Wenn dann Fakten auf den Tisch kommen, dann fällt das Kartenhaus in sich zusammen.

Nun könnte man das alles abtun als das übliche politische Geschäft – und danach wieder zur Tagesordnung übergehen. Wäre da nicht die begründete Sorge, dass diese Maulkorb-Vorwürfe großen Schaden anrichten: Ich kann nicht ausschließen, dass es gerade dieser sorglose Umgang mit unbewiesenen Tatsachen, diese ohne jede faktische Grundlage erhobenen Vorwürfe sind, die die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort verunsichern.

Stimmungsmache will Stimmungen erzeugen – in diesem Fall eine Stimmung von Verunsicherung und Verängstigung. Man könnte, meine Damen und Herren von CDU und FDP, den Eindruck gewinnen, dass Sie eine solche Stimmung herbeireden wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist verantwortungslos gegenüber der Sache – auch der Inklusion –und mir gegenüber unanständig. Ich weiß um die Fragen und auch Sorgen von Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften und Verbänden, weil ich viel vor Ort bin. Ich stehe für das erklärende Gespräch, für den offenen Dialog. Die meisten Veranstaltungen sind öffentlich. Sie können gerne dazukommen und sich selbst ein Bild davon machen, zum Beispiel morgen in Ostwestfalen, wo mit der Gläsel Stiftung ein offenes Forum zum Thema Inklusion stattfindet. Ich pflege eine Politik des Dialogs ohne Maulkörbe und mit offenem Visier.

Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der CDU-Fraktion wird kein einziges konkretes Beispiel aufgezeigt, inwieweit die Landesregierung gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung oder die pädagogische Freiheit von Lehrerinnen und Lehrern verstoßen hätte. Das spricht für sich.

Jetzt sagen Sie – das haben die Beiträge ja gezeigt –: Ja, ja, Sie können hier schön reden, aber in Wahrheit ist alles ganz anders. Ich wollte es also genau wissen und habe mir deshalb eine Übersicht über die Disziplinarverfahren aufbereiten lassen. Diese Zahlen möchte ich Ihnen jetzt gerne nennen.

Die Zahl der verbeamteten Lehrkräfte beträgt 155.852, Disziplinarverfahren insgesamt: 107. Das heißt, die Quote pro Lehrkraft liegt bei 0,007 %. Es gibt zwei Verfahren wegen politischer Mäßigung. Dabei handelt es sich um Vorgänge im Zusammenhang des Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht zu sprechen.

Insofern, meine Damen und Herren, gibt es keine Fälle. Ich möchte Ihnen vor dem Hintergrund dieser Aussagen noch einmal nahelegen, Ihren Antrag zurückzuziehen, weil die Feststellungen in dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen geltendes Recht sind. Die Vorgaben sind von der Landesregierung bisher beachtet worden, und wir werden das auch zukünftig tun. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung erstens über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/4433. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt durch. Wer dem Inhalt des Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das sind die Piraten. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist damit der Antrag abgelehnt.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/4520. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP und der fraktionslose Abgeordnete Stein. Wer enthält sich? – Die Piratenfraktion. Damit ist der Entschließungsantrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 18. Dezember 2013, 10 Uhr, und wünsche Ihnen allen einen angenehmen Nachmittag und Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:58 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

 

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.