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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/35

16. Wahlperiode

21.06.2013

35. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 21. Juni 2013

Mitteilungen der Präsidentin. 3085

1   Gegen Bevormundung und Entmündigung von Wirten und Gästen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3301. 3085

Christian Lindner (FDP) 3085

Serdar Yüksel (SPD) 3087

Hendrik Wüst (CDU) 3088

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 3090

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 3092

Ministerin Barbara Steffens. 3093

Lothar Hegemann (CDU) 3095

Dr. Roland Adelmann (SPD) 3096

Ralph Bombis (FDP) 3096

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 3098

Dietmar Schulz (PIRATEN) 3099

Ministerin Barbara Steffens. 3101

Lothar Hegemann (CDU) 3101

Dr. Roland Adelmann (SPD) 3102

2   Wohnungsmarkt entfesseln statt ausbremsen – Die Menschen in unseren wachsenden Großstädten brauchen Wohnungen und keine staatlich verordneten Markthemmnisse

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3238

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3310 – zweiter Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3339. 3103

Christof Rasche (FDP) 3103

Jochen Ott (SPD) 3104

Bernhard Schemmer (CDU) 3105

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 3106

Olaf Wegner (PIRATEN) 3108

Minister Michael Groschek. 3109

Ergebnis. 3110

3   Haushaltssanierung in NRW nicht durch unseriöse Politik der Bundesregierung gefährden

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3227. 3111

Stefan Zimkeit (SPD) 3111

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 3112

Christian Möbius (CDU) 3114

Ralf Witzel (FDP) 3117

Dietmar Schulz (PIRATEN) 3118

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 3119

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 3121

Martin Börschel (SPD) 3123

Dirk Wedel (FDP) 3124

Robert Stein (PIRATEN) 3125

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 3126

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 3127

Ralf Witzel (FDP)
(zur GeschO) 3127

Ergebnis siehe Abstimmung zu TOP 4

4   Datteln IV realisieren – moderne Kraftwerke tragen zum Gelingen der Energiewende bei und nutzen den ambitionierten Klimaschutzzielen – Antrag des Regionalverband Ruhr (RVR) zügig stattgeben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3204

in Verbindung mit:

Landtag Nordrhein-Westfalen unterstützt die Absicht des Wirtschaftsministers, den Weiterbau und die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerkes Datteln IV unverzüglich zu ermöglichen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3239. 3128

Lothar Hegemann (CDU) 3128

Dietmar Brockes (FDP) 3129

Thomas Eiskirch (SPD) 3130

Reiner Priggen (GRÜNE) 3131

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 3132

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 3133

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 3135

Christian Lindner (FDP) 3135

Thomas Kufen (CDU) 3136

Norbert Römer (SPD) 3136

Reiner Priggen (GRÜNE) 3137

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 3137

Christian Lindner (FDP) 3138

Ergebnis. 3138

Erklärung gem. § 46 Abs. 2 GeschO
zu Protokoll (siehe Anlage)

Ergebnis zu TOP 3. 3138

5   Nordrhein-Westfalen setzt sich für mehr Transparenz des Bundesrates ein

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3246. 3138

Michele Marsching (PIRATEN) 3138

Peter Weckmann (SPD) 3139

Ilka von Boeselager (CDU) 3141

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 3142

Dirk Wedel (FDP) 3143

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 3144

Michele Marsching (PIRATEN) 3146

Ergebnis. 3147


6   Bundesregierung muss die deutschen Seehafen-Hinterlandanbindungen der ZARA-Häfen im bundesweiten Interesse gezielt ausbauen und Engpassstellen beheben

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3226. 3147

Reiner Breuer (SPD) 3147

Arndt Klocke (GRÜNE) 3148

Oliver Bayer (PIRATEN) 3150

Klaus Voussem (CDU) 3151

Christof Rasche (FDP) 3152

Minister Michael Groschek. 3154

Ergebnis. 3155

7   Duales System der Krankenversicherung erhalten, 46.000 Arbeitsplätze sichern!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3240. 3156

Susanne Schneider (FDP) 3156

Angela Lück (SPD) 3157

Peter Preuß (CDU) 3158

Arif Ünal (GRÜNE) 3159

Olaf Wegner (PIRATEN) 3161

Ministerin Barbara Steffens. 3162

Ergebnis. 3165

8   Kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3244. 3165

Frank Herrmann (PIRATEN) 3166

Michael Hübner (SPD) 3166

Peter Biesenbach (CDU) 3167

Jutta Velte (GRÜNE) 3168

Dr. Joachim Stamp (FDP) 3169

Minister Ralf Jäger 3170

Frank Herrmann (PIRATEN) 3170

Ergebnis. 3171

Nächste Sitzung. 3171


Anlage  3173

Zur Abstimmung zu TOP 4 – „Datteln IV realisieren – moderne Kraftwerke tragen zum Gelingen der Energiewende bei und nutzen den ambitionierten Klimaschutzzielen – Antrag des Regionalverband Ruhr (RVR) zügig stattgeben“ – von den Abgeordneten Andreas Becker (SPD), Michael Hübner (SPD), Carsten Löcker (SPD) und Hans-Peter Müller (SPD) gemäß § 46 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung

Entschuldigt waren:

Ministerin Sylvia Löhrmann

Ministerin Svenja Schulze         
(ab 16:00 Uhr)

Brigitte Dmoch-Schweren (SPD)

Ibrahim Yetim (SPD)

Dr. Wilhelm Droste (CDU)

Wilfried Grunendahl (CDU)

Josef Hovenjürgen (CDU)

Werner Jostmeier (CDU)

Matthias Kerkhoff (CDU)

Daniel Sieveke (CDU)

Bernhard Tenhumberg (CDU)

Oliver Wittke (CDU)

Andrea Asch (GRÜNE)

Horst Becker (GRÜNE)

Angela Freimuth (FDP
(ab 14:00 Uhr)

Torsten Sommer (PIRATEN)


Beginn: 10:05 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, 35. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 13 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir haben auch heute jemandem zum Geburtstag zu gratulieren. Ich gratuliere ganz herzlich in Ihrer aller Namen Herrn Kollegen Dr. Joachim Stamp von der Fraktion der FDP zu seinem Geburtstag. Alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Neben den Glückwünschen werden wir alle miteinander versuchen, den Plenartag heute so zu gestalten, dass Sie noch rechtzeitig zu Ihrer privaten Feier kommen können.

(Zuruf von der FDP)

– Nein, das würde ich ihm auf gar keinen Fall wünschen, dass diese Sitzung hier heute seine private Feier ist. Ich glaube, dafür gibt es noch angenehmere Umgebungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach diesem Glückwunsch und den kleinen Vorbemerkungen treten wir nunmehr in die Beratung unserer heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

1   Gegen Bevormundung und Entmündigung von Wirten und Gästen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3301

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 17. Juni dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Kollegen Lindner, das Wort.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Guten Morgen! Wir haben vor einigen Wochen hier im Landtag über ein Rauchverbotsgesetz debattiert. Der Landtag hat dieses Gesetz mit der Mehrheit von SPD und Grünen beschlossen.

Ein solches Gesetz kann allerdings nicht zu den Akten genommen werden; denn erst nach dem Beschluss zeigt sich, ob es dem Praxistest genügt. Wenn für uns hier ein Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist, dann beginnt für die Menschen im Land die Prüfung, ob das, was sich ein Parlament als Willensbildung vorgenommen hat, das Leben der Menschen im Alltag tatsächlich verbessert.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb wollen wir dieses Gesetz nun einem Praxistest unterziehen und im Übrigen prüfen, ob das, was die regierende Mehrheit im Landtag beschlossen hat, auch ihren eigenen Zielen genügt. Das will ich an zwei Punkten tun.

Erstens. In der Theorie heißt es im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen – ich zitiere –: „Zivilgesellschaftliches und Bürgerschaftliches Engagement in Nordrhein-Westfalen stärken“. In der Praxis zeigt sich jetzt, dass das Rauchverbotsgesetz das Brauchtum in Schützenvereinen und im Karneval massiv bedroht und gefährdet.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Deshalb haben die dort Aktiven inzwischen die Vorarbeiten für eine Volksinitiative aufgenommen. Sie sehen sich in ihrer Tradition gefährdet.

Niemals hat es Beanstandungen wegen des Rauchens in Zeltveranstaltungen gegeben, und dennoch hat die Mehrheit hier im Landtag, ohne dort eine Ausnahme vorzusehen, ein striktes Rauchverbot verhängt.

Deshalb fragen die Initiatoren dieser Volksinitiative zu Recht: Was hat sich seit dem 20. Dezember 2007 – also seit der Verabschiedung des Nichtraucherschutzgesetzes von CDU und FDP – bei der Durchführung unserer traditionellen Feste geändert, dass das Gesetz zum 1. Mai 2013 geändert werden musste? – So die Initiatoren der Volksinitiative.

Im Brauchtum hat die Koalition das Ehrenamt also nicht gefördert und gestärkt, sondern behindert und geschwächt. Das können wir bereits nach wenigen Wochen sagen.

(Beifall von der FDP)

Zweitens. Die Theorie – Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vom 12. Sep-tember 2012 – sieht folgendermaßen aus – Zitat –: „Mittelstand und Handwerk können sicher sein, dass die Landesregierung ein offenes Ohr für ihre Anliegen hat.“

In der Praxis gefährdet Rot-Grün mit dem Rauchverbotsgesetz eine ganze Branche; denn in den Eckkneipen hat eine Vielzahl von Kleinstunternehmern jetzt keine Chance mehr, ihr Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten. Erste Branchenumfragen zeigen: Mehr als 70 % der Wirte von Kneipen und Bars beklagen Umsatzeinbrüche von bis zu 60 %. Da wird ein Geschäftsmodell von Menschen zunichtegemacht, die mitunter keine berufliche Alternative haben – alles nur, um ideologische Vorstellungen zum Durchbruch zu bringen.

(Beifall von der FDP)

Auf der anderen Seite haben viele Wirte in Nordrhein-Westfalen seit 2007 in den Nichtraucherschutz investiert. Deren Investitionspläne werden hier mit einem Federstrich zunichtegemacht.

Was sagt eigentlich der Wirtschaftsminister des Landes dazu, dass Frau Steffens bei einer der führenden Branchenmessen im Bereich Tabak, die wir in Nordrhein-Westfalen zu Gast haben, jetzt ebenfalls ein striktes Rauchverbot verhängen will? Alle Bemühungen des Veranstalters, die Messehalle zu einem multifunktionalen Veranstaltungsraum zu machen, sind von der Verwaltung zunichtegemacht worden mit dem Ergebnis, dass in der Branche darüber nachgedacht wird, diese Messe aus Nordrhein-Westfalen abzuziehen.

(Zuruf von Inge Howe [SPD])

Verehrte Damen, meine Herren, wir können bilanzieren: Mit dem Rauchverbotsgesetz in Nordrhein-Westfalen dokumentieren Sie, dass Ihre Zusagen für Ehrenamt, Brauchtum und Mittelstand nichts weiter als Lippenbekenntnisse sind. Das zeigt sich in der Praxis.

(Beifall von der FDP)

Der Nichtraucherschutz war auch für uns stets ein Anliegen. Deshalb haben wir hier im Landtag 2007 ein Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet. Da, wo Kinder und Jugendliche sind, in der Gastronomie, in öffentlichen Räumen und Bildungseinrichtungen soll nicht geraucht werden dürfen, um diejenigen, die sich in ihrer Gesundheit oder einfach in ihrer privaten Lebensführung beeinträchtigt fühlen, nicht zu belasten.

Unser Nichtraucherschutzgesetz, das wirklich eines war, hatte zum Ziel, Verhältnismäßigkeit und Vernunft zu bewahren.

(Beifall von der FDP)

Es ging darum, auch Privaten eine Nische für ihren individuellen Genuss zu lassen, einer Minderheit zu erlauben, ihre Bedürfnisse und Wünsche auszuleben.

Diese Vorstellung geht den Grünen vollständig ab. Das in Rede stehende Gesetz trägt ja offensichtlich Ihre Handschrift. Man braucht nur in Ihr aktuelles Bundestagswahlprogramm zu schauen. Sie wollen gute Bildung, gute Arbeit, gute Gesundheit – alles gut, und was gut ist, definiert eine Partei, nämlich Bündnis 90/Die Grünen. Das geht so weit, dass es in dem Entwurf Ihres Wahlprogramms – das hat die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ dieser Tage in Erinnerung gerufen – heißt: Wir lehnen die Entfernung von Körperbehaarung ab. – Also gewissermaßen Achseln unter Naturschutz! Sie wollen über Menschen bestimmen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: mit Haut und Haaren.

(Lebhafter Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Zu dieser Politik hat Karl Popper, der kritische Rationalist, einen Kommentar abgegeben. Er hat gesagt: „Die Hybris, die uns versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln.“ Genau das ist der totalitäre Anspruch von Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist ja nicht so, dass die Bedenken in der SPD nicht geteilt würden. 18 Abgeordnete der Sozialdemokratie haben in einer Protokollerklärung ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht, als wir das Gesetz beschlossen haben. 18 Abgeordnete der SPD haben mit Bedenken zugestimmt.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Christian Lindner (FDP): Das zeigt die große Disziplin der Sozialdemokratie, die wir im Augenblick auch in der Debatte Steinbrück beobachten können. Was in anderen Parteien los wäre, wenn eine Kanzlerkandidatur so in die Hose geht, mag man sich gar nicht ausmalen. Aber da sind Sie diszipliniert.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ganz dünn!)

Präsidentin Carina Gödecke: Sie achten bitte auf die Redezeit.

Christian Lindner (FDP): Mein letzter Gedanke. – Es gibt Alternativen, verehrte Damen und Herren von der SPD. In Berlin regieren SPD und CDU: Ausnahmeregelungen gestattet, auch Raucherräume. In Baden-Württemberg ist das ebenso. In Hamburg regiert die SPD allein: Kneipen, Raucherräume, Ausnahmen für Zelte.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Der letzte Gedanke dauert jetzt schon relativ lange.

Christian Lindner (FDP): In Bremen regiert Rot-Grün. Und die SPD brüstet sich damit, dass sie das Totalverbot der Grünen abgelehnt hat.

Kommen Sie zurück auf Kurs! Tun Sie etwas für Ehrenamt und Mittelstand in Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. Herr Kollege Lindner, Sie haben Ihre Redezeit um etwa eine Minute überzogen. Dies werde ich den anderen in der ersten Runde auch zugestehen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen aber, trotz einer sehr engagierten Debatte, die sicherlich auch kontrovers geführt werden wird, wie wir gleich hören werden, auf die Redezeit zu achten.

Herr Kollege Yüksel hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Serdar Yüksel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was hat der Antrag der FDP-Fraktion mit dem Maya-Kalender zu tun, was der 22. Dezember 2012 mit dem 1. Mai 2013? – Der Maya-Kalender sollte den Weltuntergang vorhersagen und die apokalyptischen Voraussagungen der FDP mindestens den Untergang des Abendlandes nach Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzes hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Beides ist erfreulicherweise ausgeblieben, wobei es sich bei den Mayas um eine Hochkultur gehandelt hat, während man bei der FDP angesichts dieses Antrags nur von einem peinlichen und kleinen Karo reden kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

So schreibt zum Beispiel der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 8. Mai 2013 unter der Überschrift „Seltsame Kämpfer entdecken die Freiheit“:

„Da reibt sich manch einer doch verwundert die Augen: Ausgerechnet die Schar der Nikotin-Abhängigen wird als Kronzeuge für Toleranz und Selbstbestimmtheit unserer Gesellschaft herangezogen.“

Wer wie Herr Laumann – ich dachte, bei diesem Thema ist Karl-Josef Laumann bestimmt hier, dem ist aber nicht so – ständig verantwortungslos von Bevormundung freier und eigenverantwortlicher Bürger durch die Politik spricht, sollte nicht vergessen, was Kneipen und Bars sind, nämlich keine privaten Räume.

(Christian Lindner [FDP]: 18 Protokollerklärungen!)

Gerade als gewesener Gesundheitsminister in diesem Land hätte sich Herr Laumann, finde ich, für eine schützende Regelung einsetzen müssen. Das war eines gewesenen Gesundheitsministers völlig unwürdig.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jedenfalls, Herr Lindner, sollte das eigene Suchtverhalten nicht das politische Handeln bestimmen.

Die Gefahren des Passivrauchens sind in Anbetracht Hunderter von wissenschaftlichen und medizinischen Veröffentlichungen von Fachgesellschaften völlig unstrittig. Tabakrauch ist mit Abstand der gefährlichste leicht vermeidbare Innenraumschadstoff. Er ist ein komplexes Gemisch aus 4.800 gas- und partikelförmigen Substanzen, die überwiegend erst beim Verbrennen des Tabaks entstehen. Mindestens 250 Substanzen im Tabakrauch sind giftig oder krebserregend. Zu den giftigen Substanzen gehören beispielsweise Blausäure, Kohlenmonoxid und Schwermetalle wie Kadmium. Mehr als 70 der im Tabakrauch enthaltenen Substanzen sind nachgewiesenermaßen krebserzeugend oder stehen im Verdacht, Krebs auszulösen. Zu den krebserzeugenden Substanzen gehören in erster Linie die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, die aromatischen Amine und die tabakspezifischen Nitrosamine. Was der Hauptstromrauch und der Nebenstromrauch bei Rauchern und Passivrauchern auslöst, ist hinlänglich auch von der Wissenschaft erforscht und wird von niemandem in Abrede gestellt.

Nun, Herr Lindner, zu Ihren apokalyptischen Prophezeiungen vom Kneipensterben durch einen konsequenten Nichtraucherschutz! Sie behaupten, dass ein absolutes Rauchverbot zu einem Kneipensterben und zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in der Gastronomie führen würde.

(Christof Rasche [FDP]: So ist es!)

Diese Aussage ist längst anhand der Zahlen der Statistischen Landesämter widerlegt. Die Studie zeigt, dass die Gastronomie von einem lückenlosen Nichtraucherschutz deutlich profitieren kann. Während im Jahr 2011 die getränkegeprägte Gastronomie in Nordrhein-Westfalen einen Umsatzrückgang von 2,6 % zu verbuchen hatte, konnten Gastwirte in Bayern mit einem lückenlosen Nichtraucherschutz eine beachtliche Steigerung der Umsatzzahlen in diesem Zeitraum von 7,2 % erreichen.

Herr Lindner, das im Jahre 2011 voll zum Tragen gekommene Rauchverbot in Bayern – in Bayern regiert die FDP ja mit; bei dem Gesetz da haben Sie auch mitgemacht – hat also entgegen den von der FDP aufgegriffenen populären, aber falschen Vorurteilen eine überaus positive Auswirkung auf die Besucherzahlen in den Gaststätten gehabt.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Wer jetzt noch behauptet, ein lückenloser Nichtraucherschutz führe zu einem Kneipensterben, argumentiert offensichtlich wider besseres Wissen. Das haben wir in den letzten Tagen bei Ihnen ja öfters erlebt.

Die positive Entwicklung der Gastronomieumsätze in Ländern mit konsequentem Rauchverbot erstaunt wenig, geht doch der Anteil der rauchenden Bevölkerung kontinuierlich auf nunmehr unter 30 % zurück. So hat der bayerische Volksentscheid deutlich gezeigt, dass sich eine breite Mehrheit der Bevölkerung einen konsequenten und lückenlosen Nichtraucherschutz auch in der Gastronomie wünscht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selbst habe viele Jahre als Krankenpfleger auf einer Intensivstation für innere Medizin und kardiologische Erkrankungen gearbeitet. Die theoretischen Auswirkungen des Passiv- und Aktivrauchens habe ich in diesem Zeitraum von 15 Jahren selbst erleben dürfen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

111.000 tabakbedingte frühzeitige Todesfälle und mehr als 3.500 Todesfälle durch Passivrauchen in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache, die auch Sie verstehen müssten. Ich erspare Ihnen Beispiele aus meinem beruflichen Alltag, da ich davon ausgehe, dass jeder von Ihnen im Bekannten- und Familienkreis genügend Beispiele über die schrecklichen Auswirkungen des Nikotinabusus selbst kennt.

Auch in der Bevölkerung hat es einen Mentalitätswandel gegeben. Die Zustimmung in der Bevölkerung zu einer gesetzlichen Regelung stieg von 53 % im Jahre 2005 auf 67 % im Jahre 2008.

Innerhalb kurzer Zeit hat die Politik in Deutschland und in anderen Ländern Europas erfolgreich reagiert. In Deutschland gibt es ein Bundesgesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, das am 1. September 2007 in Kraft getreten ist. Einrichtungen des Bundes und öffentliche Verkehrsmittel wurden rauchfrei. Auch in Deutschland durften wir nun rauchfreie Züge genießen. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wenn man in einen Regionalexpress oder in einen ICE steigt, wie es war, als diese noch nicht rauchfrei waren.

Jetzt zu Ihrem Gesetz, das Sie zu verantworten haben: Die Evaluation Ihres am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Nichtrauchschutzgesetzes hat insbesondere einen nicht funktionierenden Nichtraucherschutz eindeutig bewiesen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Blödsinn!)

Die Regelung war genauso effektiv, als würde man in einem Schwimmbad sagen: Auf den Bahnen 1 und 3 ist das Pinkeln im Wasser erlaubt, auf den übrigen Bahnen nicht. – Mit diesem Beispiel müsste eigentlich auch der FDP deutlich werden,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

dass ein effektiver Nichtraucherschutz nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt werden musste.

Aufgrund unseres Gesetzes ist die Raumluft in der Gastronomie nicht mehr mit giftigen, krebserregenden Substanzen aus Tabakrauch belastet. Diese vermeidbaren Gesundheitsgefährdungen für Gäste und Beschäftigte gehören Gott sei Dank der Vergangenheit an.

Mitarbeiter in der Gastronomie sind nicht mehr durch den Tabakrauch belastet. Wir setzen die Mitarbeiter nicht mehr einem erhöhten Lungenkrebsrisiko aus. Wir setzen sie nicht mehr einem höheren Risiko aus, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Wir setzen sie nicht mehr der Gefahr aus, eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion zu erleiden.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist nicht nur für die Gäste von gastronomischen Betrieben ein Meilenstein, sondern gerade auch für die Beschäftigten, die sich viel zu lange einer viel zu großen Gefahr ausgesetzt hatten.

(Christian Lindner [FDP]: Da hätte Franz Müntefering ja etwas machen können!)

In Nordrhein-Westfalen ist dieses Thema – das kann man verstehen – derzeit noch Diskussionsstoff an den Theken. Das war damals auch in den anderen Ländern so. Heute redet dort kein Mensch mehr darüber. Drinnen wird geredet und getrunken; draußen stehen die Raucher.

(Christian Lindner [FDP]: Konzession!)

Unser Gesetz kümmert sich um den Nichtraucherschutz. Es ist – Herr Lindner, merken Sie sich das für Ihre künftigen Diskussionen – kein Raucherverfolgungsgesetz, wie Sie hier suggerieren wollen.

Präsidentin Carina Gödecke: Auch Ihre Redezeit neigt sich dem Ende entgegen.

Serdar Yüksel (SPD): Ich komme zum Schluss. – Es gibt wohl keinen überzeugenderen Beweis für die Wirksamkeit einer Gesetzesmaßnahme im Sinne einer Primärprävention von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen. Deshalb sind wir von unserem Gesetz überzeugt. Für uns steht die Gesundheit der Menschen an erster Stelle. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Wüst.

Hendrik Wüst (CDU) : Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Dem christlichen Menschenbild fühlen sich nicht nur wir Christdemokraten verbunden, sondern, wie ich weiß, auch viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen politischen Richtungen. Deswegen werden Sie mir zustimmen, wenn ich formuliere: Dass der Mensch Ebenbild Gottes ist, führt zu seiner unveräußerlichen Würde, trotz aller Unterschiede, Schwächen und Fehler. Das macht ihn stark, selbstbestimmt zu leben.

Wenn man in die Grundsatzprogramme meiner Partei schaut, liest man immer die etwas hölzerne Formulierung: Er ist berufen zur Freiheit in Verantwortung.

Diese Verantwortung wird von immer mehr Menschen in immer stärkerem Maße wahrgenommen. Die Menschen sind so aufgeklärt wie selten zuvor in der Geschichte unseres Landes. Sie sind so gut gebildet wie selten zuvor in der Geschichte. Der Zugang breiter Massen zu Informationen ist so groß wie nie zuvor.

Die Menschen lassen sich nichts mehr vorsetzen, was ihnen nicht passt. Jeder muss nur in seinen E?Mail-Account gucken, um zu sehen, dass die Bürger sehr selbstbewusst ihre Rechte wahrnehmen und auch sehr selbstbewusst sagen, wenn ihnen etwas nicht passt. Im Extremfall wird dann vom Wutbürger gesprochen.

Wenn der Mensch so stark ist, muss das für uns alle, die politisch verantwortlich tätig sind, eine Mahnung zur Demut sein, die unüberhörbar ist. Es muss uns mahnen, nicht immer mehr Vorschriften zu erlassen und dem Subsidiaritätsgedanken Folge zu leisten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das alte Nichtraucherschutzgesetz von Karl-Josef Laumann ist diesem Maßstab gerecht geworden.

(Beifall von Lutz Lienenkämper [CDU])

Es hat die Nichtraucher geschützt, ohne die Raucher zu diskriminieren. Die Menschen haben das ordentlich miteinander geregelt.

Erinnern Sie sich einmal zurück. Viele von Ihnen machen ja noch länger Politik als ich. Ich bin jetzt seit über 20 Jahren in verschiedenen Gremien tätig. Als ich angefangen habe, wurde bei Parteiveranstaltungen – Kreisvorstand, Unterbezirksvorstand – immer noch geraucht. Sie werden sich erinnern. Wahrscheinlich war das sogar bei den Grünen so – was auch immer Sie da geraucht haben.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Heute ist es eher die Ausnahme als die Regel, dass sich in einer laufenden Sitzung jemand eine Zigarette ansteckt.

Genauso hat sich das in den Restaurants entwickelt, in denen gespeist wird.

(Inge Howe [SPD]: Genau! Die gehen vor die Tür! Heute schon!)

98 % der Fälle waren durch das alte Nichtraucherschutzgesetz und diese Entwicklung des Umgangs miteinander völlig ordentlich geregelt.

Sie haben dann gesucht: Wo finde ich die 2 %, die eine weitergehende Regelung rechtfertigen? Dann sind Sie beispielsweise auf die Eisdielen gekommen, in denen man, juristisch gesehen, noch hätte rauchen können.

Wir alle haben zur Dichtheitsprüfung, zur Inklusion, zur Beamtenbesoldung und vielen anderen Themen in den letzten Jahren massenweise E?Mails bekommen. Dass sich bei mir massenhaft Menschen darüber beschwert hätten, dass in Eisdielen geraucht worden sei, muss mir entgangen sein.

Sie haben einen Grund gesucht, das gute Miteinander der Menschen aufzuheben, die das selber regeln. Sie haben einen Grund gesucht, die Raucher zu isolieren und auszugrenzen. Ein Kollege hat mir jetzt erzählt, ihm sei sogar untersagt worden, draußen vor dem Landtagsgebäude zu rauchen.

Die Menschen sind selbstbewusster als je zuvor. Sie sind viel fähiger, diese Dinge selbst zu regeln. Grüne Bevormundung braucht da kein Mensch.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe ein schönes Zitat gefunden. Ulf Poschardt, der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung „DIE WELT“ hat Ende letzten Jahres geschrieben: Die Grünen sind autoritärer, paternalistischer und staatsseliger, als es die CDU vor 68 war.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die sozialdemokratische Bevormundung führt zur Handlungsunfähigkeit des Staates, wie Sie derzeit selber leidvoll feststellen müssen.

Die grüne Bevormundung führt zur Entmündigung von Menschen, die noch nie so mündig waren. Wenn man sich die Liste der Dinge anschaut, die die Grünen in der jüngsten Vergangenheit verbieten wollten, liest sich das wie Comedy: Motorrollerverbot, Plastiktütenverbot, Billigflugverbot,

(Ministerin Barbara Steffens: Ach, jetzt fängt das wieder an!)

Heizpilzverbot, Grillverbot in Parks, Verbot von Stand-by-Funktionen bei Elektrogeräten, Verbot von Süßigkeitenwerbung, Fleischverbot an einem Wochentag, Verbot von Alkoholwerbung, Verbot von Tieren im Zirkus, Werbeverbot für Fahrzeuge mit hohem Benzinverbrauch, Verbot von Ponyreiten, Verbot bestimmter Computerspiele, Nachtflugverbot, Solariumverbot, Schnäppchenverbot, Sonntagsfahrverbot, Kioskverbot. – Ich bin sicher: Hätte man mehr Zeit zum Googeln gehabt, hätte man noch viel mehr gefunden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für wie schwach, verantwortungslos, rücksichtslos und gewissenlos müssen Sie die Menschen halten, wenn Sie das alles verbieten wollen, um die Menschen voreinander zu schützen?

Wir trauen den Menschen zu, auch bei Brauchtumsveranstaltungen und in der Kneipe verantwortungsvoll miteinander umzugehen. Indem Sie die Veranstalter – in der Regel Ehrenamtler – im Karneval und im Schützenwesen zu Sittenwächtern Ihrer Bevormundungspolitik machen, gefährden Sie diese Brauchtumsveranstaltungen und machen die Menschen ein Stück heimatlos. Sie schaden den vielen kleinen selbstständigen Kneipiers und führen sie geradewegs in Hartz IV.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Unsere Befürchtungen sind leider Realität geworden. Sonst hätten nicht bei mehreren Demonstrationen in den vergangenen Tagen Tausende von Menschen gegen Ihre Politik demonstriert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Frau Ministerin Steffens, wenn Sie in der Pressekonferenz am 13. Juni 2013 sagen, es sei sein Armutszeugnis für die Veranstaltungen, wenn Stimmung nur aufkäme, wo geraucht würde, ist das dünnhäutige Überheblichkeit, wo sensible Offenheit gefragt wäre.

(Ministerin Barbara Steffens: Nein!)

Offensichtlich sind Sie in einer Mission unterwegs, die ein höheres Ziel hat.

(Ministerin Barbara Steffens: Ja, Kinder!)

Sie sind erst zufrieden, wenn wir alle stilles Wasser trinken, Salat essen und mit Birkenstocksandalen durch Wald und Flur wandern, statt mit dem Flieger im Süden zu urlauben. – Wir haben ein anderes Bild vom Menschen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihre Vorstellung mag für manche gut und völlig in Ordnung sein. In einer freiheitlichen, selbstbewussten Bürgergesellschaft darf sie nie per Zwang verordnet werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist in einer lebendigen Demokratie ein normaler Vorgang, wenn Menschen gegen politische Entscheidungen protestieren und das auch auf der Straße tun. Das zeichnet unseren Rechtsstaat, unsere freiheitliche Grundordnung aus.

(Ministerin Barbara Steffens: Genau!)

Es ist legitim, wenn Wirte, wenn Vertreter des Brauchtums und Bürgerinnen demonstrieren. Doch ich finde es erstaunlich, dass weder in Pressemitteilungen der Opposition noch in Ihren heutigen Redebeiträgen das angesprochen wurde, worauf Sie sich in der Begründung der Aktuellen Stunde beziehen, nämlich das, was am letzten Samstag in Düsseldorf passiert ist.

Lassen Sie uns einmal hinschauen, wie sich der Protest in Teilen geäußert hat! Es wurden Plakate mit dem Konterfei Adolf Hitlers hochgehalten, unterschrieben mit: Entmündigung kann tödlich sein.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ein einziges!)

– Selbst wenn es nur eines war, ist es schlimm genug. – Im Demonstrationszug waren Teilnehmer mit gelbem Stern auf der Brust, auf dem „Raucher“ stand. Die Frage steht im Raum, ob ein den Hells Angels nahestehender Rockerclan Ordnerfunktion ausgeübt hat. Man muss sich das mal vorstellen. Kriminellen Rockern nahestehende Gruppen laufen in der erste Reihe, offenbar vom Veranstalter geduldet.

Da wird eine hier im Landtag demokratisch getroffene Entscheidung mit der Nazidiktatur verglichen; da werden Zeichen der Ausgrenzung, Zeichen des Holocausts benutzt und damit das Leid der Opfer relativiert. Und von der anwesenden Bürgermeisterin der Stadt Düsseldorf, die der FDP angehört, wird das nicht problematisiert.

Zu alledem haben Sie nichts gesagt. Bei allem Verständnis für kreative und zugespitzte Protestformen, auch bei der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, heiligt der Zweck nicht die Mittel. Hier sind Grenzen überschritten worden, und das muss hier klar gesagt werden, wenn Sie das nicht tun!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Meine Damen und Herren, Sie sprechen in Ihrem Antrag von Bevormundung. Es ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, Menschen so gut es geht vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Wir wissen, dass Rauchen das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Gesellschaft ist. Wenn Menschen freiwillig dieses Risiko in Kauf nehmen, ist das ihre freie Entscheidung. Wir können und wollen diese Freiheit nicht einschränken.

Wir wissen auch, dass jedes Jahr 3.300 Todesfälle in Deutschland auf eine regelmäßige Passivrauchbelastung zurückzuführen sind. Wir wissen, dass die Konzentration vieler gesundheitsschädigender Inhaltsstoffe in der Luft, die in den Raum abgegeben wird, größer ist, als in dem Rauch, den die Raucherinnen und Raucher inhalieren.

Wir wissen aus einer Studie skandinavischer Länder, die Krankendaten von mehr als 15 Millionen Berufstätigen ausgewertet haben, dass bei keiner anderen Berufsgruppe das Risiko, an Krebs zu erkranken, so hoch ist wie bei Kellnerinnen und Kellnern. Lassen Sie uns mal schauen, wer sich hinter dieser Berufsgruppe verbirgt! Das sind in großen Teilen Studentinnen, die sich durch Aushilfsjobs in Szenekneipen etwas dazuverdienen; das sind meist Geringverdiener, das sind Selbstständige, die im eigenen Geschäft stehen – allesamt Menschen, die auf das Einkommen angewiesen sind.

(Zurufe von der FDP)

Meine Damen und Herren von der FDP, meine Damen und Herren von der CDU, wollen Sie uns angesichts dieser Situation erklären, dass bei Ihnen bei der Abwägung zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Unannehmlichkeit, für eine Zigarette vor die Tür zu gehen, die Unannehmlichkeit ein stärkeres Gewicht hat? – Das ist keine Freiheit, das ist Bevormundung derer, die sich entschieden haben, nicht zu rauchen. Das ist Bevormundung, meine Damen und Herren!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In der Anhörung wurde noch einmal sehr eindeutig festgestellt, und zwar von der Europäischen Kommission, den Ärztekammern, dem Deutschen Krebsforschungszentrum, dass ein konsequenter Nichtraucherschutz zur Verbesserung der Gesundheit der gesamten Bevölkerung führt, besonders der Angestellten in der Gastronomie.

Rauchverbote führen zur Senkung der Zahl von Herzinfarkten; das belegen Studien für Italien, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Zahlen der Atemwegserkrankungen und verschiedener Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gingen dort zurück. Neuere Studien weisen auf eine Verbesserung der Gesundheit der Schwangeren und ihrer ungeborenen Kinder hin – sowohl bei Nichtraucherinnen als auch bei Raucherinnen.

Ebenso deutlich kam heraus – das lassen Sie gerne unter den Tisch fallen –: Es sind keine wirtschaftlichen Negativeffekte festzustellen.

(Zuruf von der FDP)

Ich belege das ganz konkret entlang der Anhörung und der Studien. Ich fange mit dem Bayerischen Landesamt für Statistik an, unverdächtig, uns nahe zu stehen. Die Umsätze der bayrischen Gastronomie im ersten Jahr nach dem Volksentscheid liegen deutlich über denen des Vorjahres. Ich bleibe in Bayern bei dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Auch die Gas­tronomieumsätze sind davon nicht in größerem Umfang bzw. dauerhaft betroffen. Dies steht auch im Einklang mit der internationalen Studienlage, so wörtlich.

Wie die internationale Studienlage aussieht, stellt die Europäische Kommission in ihrer Stellungnahme fest. In 47 von 49 Studien zu den Auswirkungen von strikten Nichtraucherschutzgesetzen in der EU können keine negativen wirtschaftlichen Folgen festgestellt werden.

Laut eines WTO-Berichts haben rauchfreie Umgebungen entweder neutrale oder positive Auswirkungen auf Unternehmen, einschließlich der Gastronomie. Privatempirisch – ich komme aus Düsseldorf-Flingern – nehme ich es so wahr, dass sich jetzt vermehrt Menschen, die vorher aufgrund des Rauchs nicht in die Kneipen gegangen sind, wieder hintrauen.

Für unsere Gastronomie würde ich mir wünschen, dass diese Gruppe auch die Umsätze der gastronomischen Betriebe in Nordrhein-Westfalen wieder hebt, die nach unten gegangen sind – auch in der Zeit, als Sie regiert haben – und jüngst sogar eingebrochen sind, und zwar im Frühjahr, besonders im Februar und im März, also bevor unser Gesetz in Kraft trat. Das ist die Realität, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie suggerieren hier außerdem – das hat der Kollege Yüksel schon gesagt –, dass die Proteste eine Mehrheitsmeinung zum Ausdruck brächten, der wir uns verschließen würden. Bereits im Februar 2005 lag die Zustimmung für rauchfreie Gaststätten bei 53 %, im Februar 2012 bei 78 %. Inzwischen gibt es sogar bei den Raucherinnen und Rauchern eine Mehrheit für unser Gesetz. Schauen Sie sich einmal die Umfrage in der „WAZ“ an!

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Der Nichtraucherschutz war eines der zentralen Themen im Landtagswahlkampf. Die Wählerinnen und Wähler haben uns, SPD und Grünen, auch dafür ein Mandat gegeben. Hören Sie also auf, so zu tun, als ob an unserer Entscheidung irgendetwas Anstößiges wäre! Der ausgestreckte Finger an Ihrer Hand zeigt auf uns, drei Finger weisen auf Sie zurück. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich die Debatte in der Aktuellen Stunde an dieser Stelle für einen ganz kleinen Moment unterbrechen; denn ein Ehrengast, der im Landtag eingetroffen ist, hat gerade auf der Tribüne Platz genommen.

Ich begrüße in unserer Mitte ganz herzlich die Botschaftsrätin des Staates Israel in Berlin, Frau Zehavit Ben Hillel.

Sehr verehrte Frau Botschaftsrätin, wir freuen uns sehr, dass Sie den Landtag Nordrhein-Westfalen besuchen, und heißen Sie im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich willkommen. Sie sind ein gern gesehener Gast in unserer Mitte. Ihr Besuch ist Ausdruck der engen freundschaftlichen und in jeder Hinsicht besonderen Beziehungen unseres Landes zu Ihrem Land, zu Israel, die wir weiter ausbauen wollen. Das ist uns ein ganz besonders wichtiges Anliegen.

Deshalb: Herzlich willkommen, und fühlen Sie sich in unserer Mitte bitte wohl! Schalom!

(Allgemeiner Beifall)

Damit treten wir wieder in die Debatte ein. Für die Piraten hat Herr Kollege Schmalenbach das Wort.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kollegen! Herr Abel, ich war auf dieser Demo. Wenn in einzelnen Gruppen Leute auftreten, die man da eigentlich nicht haben will, ist man nicht immer in der Lage, die zu isolieren und auszusondern.

(Zurufe von den GRÜNEN: Dann muss man aber etwas dazu sagen! Dann muss man sie isolieren! Dann muss man sie ausschließen!)

Ich will nur sagen: Ich habe das nicht wahrgenommen. Ich hätte mich selbstverständlich dagegen zur Wehr gesetzt. Ich finde es nur unschön, dass die ganze Demo dann gerade unter diesem Banner läuft.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Das ist der Sache nicht angemessen. Die Demo war friedlich, farbenfroh, kreativ und lustig. Wenn da einzelne Idioten herumlaufen, kann nicht der ganze Zug etwas dafür. Natürlich muss man sich davon distanzieren; da gebe ich Ihnen völlig Recht.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Aber kommen wir zur Demo: Das war in der Tat eine farbenfrohe Veranstaltung. Ich muss sagen, durch den Antrag der FDP haben wir heute einen schönen, öffentlichkeitswirksamen Termin bekommen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir aus einem anderen Grund wieder über das Nichtraucherschutzgesetz reden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir noch einmal inhaltlich darüber reden, zum Beispiel aufgrund von Anträgen, so, wie wir es im Vorfeld getan haben. By the way muss ich ganz klar sagen: Von der FDP habe ich auf der Demo niemanden gesehen.

(Christian Lindner [FDP]: Wo waren Sie überhaupt? – Zuruf von der FDP: Wen haben Sie denn überhaupt gesehen? – Weitere Zurufe von der FDP)

– Vielen Dank für die lustige Unterhaltung. – Ich möchte den Verlauf skizzieren, wie er sich für die Piraten dargestellt hat: Die Piraten sind damals ins Parlament eingezogen und haben von dem Nichtraucherschutzgesetz Wind bekommen. Wir haben dann schleunigst dafür gesorgt, dass wir auf dem Parteitag ein Positionspapier bekommen, damit wir wissen, wie wir uns dazu zu verhalten haben. Das haben wir auch direkt getan.

Wir haben dann Anträge eingebracht. Ursprünglich waren es vier; am Ende waren es noch drei. Wir haben versucht, inhaltlich an dem Gesetz zu arbeiten und uns inhaltlich dazu zu positionieren, statt, wie CDU und FDP, mit einer grundsätzlichen Ablehnungshaltung zu reagieren nach dem Motto: Das wollen wir nicht und Friede. – Ich finde, in der Politik sollte man versuchen, tatsächlich auf die Kritikpunkte einzugehen und auf diesen Kritikpunkten basierend Änderungsvorschläge zu machen, statt einfach nur zu sagen: Wir sind dagegen.

(Zuruf von der FDP: Wir haben doch ein Gesetz!)

In der Debatte innerhalb der Partei haben wir nämlich schnell festgestellt, dass die Kritik am ursprünglichen Gesetz natürlich zulässig war und dass es Lücken gab, die ausgenutzt wurden und auf die man reagieren musste. Wir waren nur nicht damit einverstanden, wie dann reagiert wurde. Es wurde mit dem Holzhammer reagiert: mit einem Totalverbot. Es wurde nicht versucht, zu vermitteln und einen Interessenausgleich zu schaffen. Das hat nicht stattgefunden. Dagegen haben wir uns verwahrt, und dagegen verwahren wir uns nach wie vor.

(Beifall von den PIRATEN)

Zu diesen Kritikpunkten gehörte und gehört immer noch, dass Geschäftsmodelle eliminiert wurden. Für die Shisha-Bar-Besitzer hat sich keiner interessiert; für die Raucherklub-Besitzer hat sich ebenfalls keiner interessiert. Das sind Geschäftsmodelle, die einzig und allein darauf beruhen, dass man in diesen Lokalen rauchen kann.

Ich verstehe nicht, warum man, wenn es für diese Klubs eindeutig geregelt ist, dass es sich bei dem Publikum tatsächlich nur um Raucher handelt, dort das Rauchen verbieten muss. Das verstehe ich nicht. Das möchte ich bitte einmal erklärt haben. Ich habe das bisher nicht verstanden, und ich werde es vermutlich auch weiterhin nicht verstehen.

Herr Abel, zu dem, was in den Kneipen tatsächlich passiert: Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Annahmen nehmen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Sie hätten mal die Stellungnahmen lesen müssen! Das ist sehr interessant!)

Sie behaupten, es gehe aufwärts, das kurbele das Geschäft an. – Wir haben im Vorfeld und auch während der Demo mit Gastwirten gesprochen. Kein Gastwirt, mit dem ich gesprochen habe, kann das bestätigen. Diese Diskrepanz hätte ich ganz gerne erklärt.

Herr Wüst, eine kurze Rückfrage: War Ihre Liste vollständig? Können wir die noch vervollständigen? – Es war eine schöne Liste; die hat mir gefallen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Es gibt Google!)

Noch etwas zu den Geschäftsmodellen: Liebe Grüne, Ihre Reaktion auf die Aussage, Sie würden Menschen in Hartz IV schicken, fand ich ein bisschen befremdlich. Natürlich ist es so: Wenn ich jemandem die Geschäftsgrundlage entziehe, lässt er sich entweder fix etwas Neues einfallen oder er steht vor einem finanziellen Problem. Wie gesagt: Das wird von Ihnen komplett ignoriert. Ich würde mir wirklich wünschen, wir würden darüber noch einmal explizit reden und diese Dinge ausräumen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich habe schon sehr viele Wünsche geäußert, tue das aber noch einmal: Ich wünsche, dass wir tatsächlich wieder in die inhaltliche Debatte einsteigen und uns über Anträge unterhalten.

(Christian Lindner [FDP]: Stellen Sie doch einen!)

– Herr Lindner, das werden wir tun, verlassen Sie sich darauf. – Dann sollten wir noch einmal darüber reden und das Gesetz an den Stellen ändern, an denen es wirklich zu ändern ist. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade schon in dem einen oder anderen Redebeitrag gehört, wie wichtig eigentlich der Nichtraucherschutz für den Schutz der Gesundheit ist. Ich möchte es deutlich sagen: Es geht um Nichtraucherschutz und darum, wie gefährlich die Substanzen sind, die im Tabakrauch enthalten sind – nicht nur für diejenigen, die rauchen, sondern auch für diejenigen, die dem Passivrauchen ausgesetzt sind. Wir wissen, wie viele Menschen jährlich an den Folgen des Rauchs sterben, die in ihrem Leben selber nie geraucht haben.

Das heißt: Wir haben es mit einer massiven gesundheitlichen Belastung eines großen Teils der Bevölkerung durch einen kleinen Teil der Bevölkerung zu tun. Die Menschen, die ihre Gesundheit schützen wollen, haben nur die Wahl, entweder am gesellschaftlichen Leben nicht teilzunehmen, woanders teilzunehmen oder ihre Gesundheit zu gefährden. Deswegen gibt es in vielen europäischen Ländern an vielen Stellen einen konsequenten Nichtraucherschutz. Denn das höchste Gut des Menschen ist seine Gesundheit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Diejenigen, die sich jetzt hier hinstellen oder die ganze Zeit dazwischenbrüllen und meinen, es habe in Nordrhein-Westfalen einen konsequenten, guten und die Gesundheit schützenden Nichtraucherschutz gegeben, darf ich erinnern: In den Reihen der CDU-Fraktion gab es zwei Menschen mit der nötigen fachlichen Expertise, nämlich zum einen den damaligen gesundheitspolitischen Sprecher und heutigen Bundestagsabgeordneten Rudolf Henke, der diesem Nichtraucherschutzgesetz der damaligen Regierung nicht zugstimmt hat, und zwar mit der Begründung: Es schützt die Gesundheit der Menschen nicht. – Er als Arzt kann das auch beurteilen. Und der damalige Staatssekretär ist mit der Begründung, dass dieses Nichtraucherschutzgesetz nicht konsequent ist, als Staatssekretär in der schwarz-gelben Regierung zurückgetreten.

Das sind Menschen, die die gesundheitspolitische Expertise als Ärzte hatten und wissen, wie hoch das Gut Gesundheit ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben damals ein Gesetz nach dem Motto gemacht: Wasch mich, aber mach mich nicht nass! Sie haben ein Gesetz gemacht, das den Namen Gesundheitsschutzgesetz nicht verdiente, sondern bundesweit das löchrigste Gesetz von allen war.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nicht nur die gesundheitspolitische Szene – die Ärztinnen und die Ärzte -– hat gesagt: Macht für Nordrhein-Westfalen etwas anderes! Auch viele Gastronomen haben das gesagt – vielleicht nicht die, die heute auf der Matte stehen, aber viele haben gesagt: Das ist ein Gesetz zur Wettbewerbsverzerrung, weil wir in Nordrhein-Westfalen nicht die gleichen Chancen für alle haben, und wir wollen diese Chancen haben. – Wir haben Zuschriften von Wirten bekommen, die gesagt haben: Wir müssen rauchen lassen, weil die nebenan das tun, obwohl wir unsere Gesundheit schützen wollen. Wir haben viele Beschäftigte gehört und breite Proteste der Menschen, die ihre Gesundheit schützen wollen.

An der Stelle gebe ich Ihnen Recht: Ja, es ist eine Abwägung. Ich will es gar nicht schönreden und behaupten, dass es für einzelne Gastronomen, nämlich für diejenigen, die in einem ganz kleinen Umfang eine ausschließlich rauchende Gastschaft hatten, kein Risiko ist. Das ist keine Frage. Aber die Frage ist: Ist es der Abwägung zum Gesundheitsschutz eines großen Teils der Bevölkerung richtig, dass jeder einzelne Gastronom am Ende auch mit einem gesundheitsgefährdenden Geschäftsmodell bestehen können muss?

An der Stelle will ich Klartext reden, weil ich weiß: Es wird diese einzelnen Geschäftsmodelle geben. Aber, noch einmal: Dass es – wie Sie darzustellen versuchen – die Masse an Gastronomen und Unternehmen ist, die jetzt alle in die Insolvenz laufen, sehen wir an der Stelle nicht. Dazu haben auch schon einige Vorredner etwas gesagt.

Ich kann Ihnen auch deutlich die Umsatzeinbußen in der Jahreshälfte beziffern, bevor wir den Nichtraucherschutz in seiner verschärften Form in Nordrhein-Westfalen hatten: Im Januar waren es Umsatzeinsatzbußen von minus 2,7 %, im März minus 4,6 %, im April minus 2,7 %. Unter dem Strich kann man sagen: In Bayern ist die Wirtschaftlichkeit höher als in Nordrhein-Westfalen gewesen, obwohl Bayern den konsequenten Nichtraucherschutz hat.

Herr Lindner, ich würde mir wünschen, dass Sie – statt heiße Luft zu pusten und an der Stelle Wahlkampf zu machen – zur Sachlichkeit zurückkommen. Sie haben damals in der schwarz-gelben Regierung beim Thema „Nichtraucherschutz“ gesagt, als wir als Opposition bemängelt haben, das Gesetz sei nicht konsequent genug und nicht schütze: Wissen Sie, liebe Opposition, Sie müssen an der Stelle etwas geduldig sein, weil man die Wirksamkeit eines Gesetzes und seine Auswirkungen nicht nach einem halben Jahr erkennen kann. – Jetzt sagen Sie schon nach einem Monat: Untergang des Abendlandes!

Herr Lindner, lassen Sie uns doch die Diskussion versachlichen und uns in einem Jahr auf der Grundlage einer ordentlichen Datenerhebung, aber keiner Umfrage der DEHOGA, wo 700 von 10.000 Unternehmen befragt werden oder rückmelden, einer solchen Debatte aussetzen. Wir müssen diese Debatte wirklich ernsthaft führen und prüfen: Wie hat sich der Gesundheitsschutz durchgesetzt? Wie haben letztendlich die Folgen die Lebensqualität für die Menschen gesteigert?

Ich wundere mich, welchen Freiheitsbegriff Sie an der Stelle immer wieder nach oben stellen: Die Freiheit, die Gesundheit anderer zu gefährden, stellen Sie obenan. Das aber hat nichts mit Freiheit zu tun, sondern das, was Sie einfordern, ist ein Recht auf Destruktivität, statt das Recht einzufordern, Menschen zu schützen und an der Stelle staatliche Verantwortung zu übernehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bin gespannt darauf, ob Sie bei der Maßnahme, die jetzt die Bundesregierung unterstützt, nämlich die Mentholzigaretten zu verbieten, auch sagen: Freiheit für die Raucher und Raucherinnen, Men­tholzigaretten zu rauchen! – Die sollen ja in der Bundesrepublik zu Recht vom Markt genommen werden, weil sie gefährlich sind.

(Widerspruch von Christian Lindner [FDP])

– Herr Lindner, melden Sie sich nachher, aber brüllen Sie nicht immer dazwischen. Es strengt so an, gegen Sie anzureden.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist Demokratie, Frau Steffens!)

– Zwischenrufen ist nicht Demokratie an der Stelle, sondern das ist eigentlich ein …

(Christian Lindner [FDP]: Dann verbieten Sie es doch! – Weitere Zurufe – Unruhe)

– Frau Präsidentin, könnten Sie nicht dafür sorgen, dass irgendwie …

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin schon festgestellt, dass diese Debatte sehr kontrovers, sehr emotional und damit auch sehr hitzig geführt wird. Es wäre schön, wenn Wort und Widerwort dann über das Redepult kommen, damit alle etwas davon haben. Vielen Dank.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Lindner, Sie haben ja gleich noch Redezeit. Dann können Sie sagen, ob Sie die Mentholzigaretten- und die Slimzigarettenindustrie für wichtiger halten als den Gesundheitsschutz. Oder wo ziehen Sie die Grenze, dass der Gesundheitsschutz greift? – An der Stelle machen Sie sich auch ein Stück weit unglaubwürdig.

Deswegen, meine Damen und Herren, würde ich mir wünschen, zu einer sachlichen Diskussion zurückzukommen und über das zu reden, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen wirklich wollen. Einer meiner Vorredner hat vorhin bereits die große Online-Umfrage zitiert, die momentan von einer großen Zeitung in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wird. 82 % der Beteiligten der Online-Befragung sagen nach der Demonstration jetzt: Wir wollen, dass das Gesetz so bleibt. Vor der Demonstration waren es 78 %. Das heißt, die Diskussion hat noch einmal einen regen Zulauf ergeben.

Herr Lindner, wenn 82 % der Befragten sagen, dass dieses Gesetz gut ist, und nur ein geringer Teil gerne Raucherklubs hätte, dann kann man – glaube ich – nicht behaupten, dass wir in Nordrhein-Westfalen die Bevölkerung nicht mitnehmen. Ganz im Gegenteil: Wir haben viele Umfragen aus der Bevölkerung ausgewertet, und dieses Gesetz entspricht dem Wunsch der großen Menge der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen, denen ihre Gesundheit wichtig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Minderheitenschutz!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Hegemann.

Lothar Hegemann*) (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich als ehemaliger Raucher kenne heute keinen Raucher, der sagt: Ich freue mich, dass ich Raucher bin. Die meisten sehen das als Sucht, und die Allermeisten möchten auch davon runterkommen. Man hört ab und zu, dass zu einem Pilschen auch eine schöne Zigarette gehört, aber so richtig glücklich ist als Raucher niemand.

(Zuruf und Heiterkeit von der CDU)

– Es ist natürlich blöd, wenn man einen Zwischenruf nicht mitbekommt.

(Beifall von Marc Herter [SPD])

Es stellt sich jedoch die Frage: Wie vergewaltige ich Menschen? Wie bewerte ich individuelle Selbstbestimmtheit, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist?

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Meine Herren!)

Es ist etwas ganz anderes, ob in einem Büro Raucher und Nichtraucher zusammensitzen dürfen – da schütze ich den Nichtraucher – oder ob jemand sagt: Ich habe eine Raucherkneipe und ich gehe da rein, weil ich Raucher bin. Sie aber sagen dann: Das kommt nicht in Frage, das ist Teufelszeug. Dann wollen Sie einen neuen Menschentyp erschaffen. Sie haben die Rede des Kollegen Wüst …

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Holen Sie mal das Niveau aus dem Keller!)

– Ich als Münsterländer würde sagen: Ich komme auf Ihnen retour; warten Sie mal ab! – Der Kollege Wüst hat Ihnen dargelegt, was Sie alles nicht wollen. Sie sind die Neinsager-Partei.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darum geht es. Die Menschen haben den Mund und die Ohren voll von Bevormundung. Online-Umfragen mögen ja repräsentativ sein, aber ich bezweifle solche Umfragen. Es geht darum, dass jeder für sich entscheiden kann, was er möchte. Ich kann es nicht einsehen, dass heute Raucher gehetzt, Haschraucher aber gehätschelt werden.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was?!)

Da müssen Sie mir erklären, warum das auf der einen Seite so, aber auf der anderen Seite so ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie müssen mir erklären, warum Sie Raucherkneipen schließen, Coffeeshops aber fördern wollen. Das ist Ihre Politik. Die müssen Sie auch den Menschen erklären.

Sie reihen sich ein in eine große Phalanx von Neinsagern, die das Autofahren verbieten wollen – dort in dem Bereich saß derjenige, der aus Ford eine Fahrradfabrik machen wollte – und die sagen: Kernkraft wollen wir nicht, Kohlekraftwerk wollen wir nicht, Industrieansiedlung wollen wir nicht, Datteln 4 wollen wir nicht. Sie sagen, was Sie nicht wollen. – Trotzdem wollen Sie natürlich einen warmen Hintern und an jedem Ersten Ihr Geld auf Ihrem Konto haben. Das geht nicht, das haut nicht hin, meine Damen und Herren!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

In der Diskussion spielt oft auch eine ganze Menge Verlogenheit mit. Wenn Herr Remmel fordert: Wir müssen die Fernwärme aufbauen – dazu kommen wir gleich –, aber ein Kraftwerk dazu will ich nicht, das soll sich von irgendwo anders her einspeisen, dann ist das: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Das ist Ihre Art der Politik.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Nun komme ich auch noch zu der letzten Demons­tration. Kein Nazisymbol gehört in die Öffentlichkeit, ganz egal wo.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Aber wo war denn Ihre Empörung, als die Bundeskanzlerin mit Nazisymbolen dargestellt worden ist? – Da habe ich nichts gehört. Sie hat eine Politik vertreten, die die SPD mit unterstützt hat. Es gab kein Wort des Hinweises, dass sich so etwas nicht gehört. Auf der einen Seite regen Sie sich auf, auf der anderen Seite tolerieren Sie so etwas. Wo ist denn Ihre Empörung, wenn bei Anti-Atom-Demonstrationen ein gewaltbereiter schwarzer Block mitläuft? Sagen Sie dann „Ich haue von der Demonstration ab, weil die Falschen teilnehmen“?

(Zuruf von Marc Herter [SPD] – Zurufe von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss den Redner schon noch verstehen können. – Bitte schön.

Lothar Hegemann*) (CDU): Wo ist denn Ihre Empörung, wenn bei Demonstrationen Gleise gelockert werden? Sagen Sie dann „Wir entfernen die Leute, oder ich nehme nicht an solchen Demonstrationen teil“? – Wenn linke Chaoten an Ihren Demonstrationen teilnehmen, sind sie hochwillkommen. Das Gefühl habe ich.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch das Folgende hat etwas mit der Wahrheit zu tun. Sie fordern: Rauchen muss verboten, Alkohol muss eingeschränkt und Autofahren muss verboten werden. Mit jeder Zigarette aber, die sich jemand ansteckt, freut sich Walter-Borjans. Mit jedem Pils und jedem Schnaps hinterher freut sich Walter-Borjans. Tanken tun wir schon seit langem nicht mehr für unsere Rente, sondern für Vater Staat. Bei Ihren Forderungen müssen Sie dann auch konsequent sein und sagen: Ich verzichte auf die Tabak­steuer und mache stattdessen präventive Maßnahmen. – Das nehmen Sie alles billigend in Kauf.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ich stelle fest: Ihr Protest sagt mir, dass ich recht habe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie wollen die Bedienung in der Eckkneipe schützen, die Geld verdienen will. Die geschlossene Eckkneipe bietet aber keinen Arbeitsplatz mehr – damit das auch ganz klar ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es gibt in Recklinghausen eine bekannte Persönlichkeit der Grünen, ein Gründungsmitglied der Grünen in Recklinghausen. Der hat eine Eckkneipe. Wissen Sie, was er heute vor seiner Kneipe hängen hat? „Sie wissen, warum Sie beim Rauchen hier draußen stehen müssen. Wählen Sie nie wieder Grün.“ – Ich kann nur sagen: Recht hat der Mann.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Hegemann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Adelmann.

Dr. Roland Adelmann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dem Exkurs von Herrn Hegemann möchte ich jetzt wieder zum Thema zurückkommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Antrag der FDP zielt darauf ab, schon wenige Wochen nach Einführung des Nichtraucherschutzgesetzes den Praxistest zu beurteilen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen kommt mir das so vor, als würde man einem Patienten abends Antibiotika geben und ihn dann am nächsten Morgen anrufen und fragen, warum es immer noch nicht wirkt. Herr Lindner, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass der Praxistest auch die vergangenen Karnevalsveranstaltungen einbezieht. Dann habe ich wohl andere Jahreszeiten als Sie.

Ihre Initiative entbehrt ein wenig der Sachlichkeit. Herr Schmalenbach hat darauf hingewiesen, dass inhaltlich diskutiert werden sollte, weil dies sinnvoller sei als reine Polemik. Er hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Gastwirte genügend Zeit hatten, sich auf die Gesetzesänderung einzustellen. Bei der Einführung des Gesetzes hatten wir ganz bewusst eine Vorlaufzeit von mehreren Monaten gegeben, in der die Gastwirte durchaus die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Geschäftsmodelle umzustellen und gegebenenfalls Erweiterungen vorzunehmen.

Sie verweisen darauf, dass Gastwirte Hartz IV in Anspruch nehmen müssten. Das erinnert mich an die Diskothekenbesitzer, die mir gesagt haben, dass sie ihre Lokale jetzt schließen müssten und dass ihnen wegen des Nichtraucherschutzgesetzes die Pleite drohe – und das schon vier Monate, bevor das Gesetz überhaupt im Plenum diskutiert wurde.

Herr Abel hat Ihnen vorhin eine Vorstellung von der Demonstration am letzten Samstag gegeben. Bei der vorausgegangenen Anhörung hatten wir darum gebeten, dass die verschiedenen Verbände – Karnevalsverbände, Schützenvereine, auch die privaten Brauer – uns sachliche, stichhaltige Argumente liefern sollten. Leider kam da nicht viel. Jeder, der bei der dabei war, weiß das auch.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

In meinem Manuskript steht jetzt noch das Stichwort: „Unsinn“. Das bezog sich auf Herrn Wüst und sein Menschenbild bzw. seine Äußerung „Freiheit in Verantwortung“. Für mich bedeutet „christlich“ der Schutz allen Lebens. Als Kinderarzt gilt für mich vor allem die körperliche Unversehrtheit. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit macht es gelegentlich notwendig, die Rechte von anderen geringfügig einzuschränken. Dennoch gibt es durchaus noch genügend Möglichkeiten, rauchen zu können.

Bleiben wir auf der sachlichen Ebene, während Herr Lindner vielleicht noch Fachmagazine über Achselbehaarung liest. Im Hiller Kreis haben wir über Auswirkungen des Raucherschutzgesetzes diskutiert. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Studie verweisen, die in dem Fachmagazin „Pediatrics“ erschienen ist; auch die „Rheinische Post“ hat darüber berichtet. Diese Studie besagt, dass in England seit der Einführung des Nichtraucherschutzgesetzes – erstmals seit Jahrzehnten – die Asthma-Rate von Kindern wieder gesunken ist. Das wünschen wir uns von Rot-Grün auch für Deutschland. Ich freue mich jedenfalls über das viele Lob, das dieses Gesetz mir eingebracht hat.

Wenn wir schon eine Beurteilung vornehmen wollen, dann sollten wir zunächst eine entsprechende Zeit vergehen lassen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Dr. Adelmann. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Herr Kollege Adelmann, mich würde schon interessieren, ob Sie jetzt auch für die 18 Kollegen aus Ihrer Fraktion gesprochen haben, die seinerzeit ihrem Unbehagen in einer Protokollerklärung zu dem beschlossenen Gesetz Ausdruck gegeben haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD)

Das, glaube ich, haben Sie in diesem Zusammenhang nicht getan.

Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Yüksel, ich sage es noch einmal ganz langsam: Auch wir sind für einen konsequenten Nichtraucherschutz; auch wir wissen, dass Gesundheit ein hohes Gut ist. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir hier einen Dissens in der Beurteilung der Bedeutung des Nichtraucherschutzes haben.

(Zurufe von der SPD)

Entscheidend ist jedoch, dass wir die Verhältnismäßigkeit des Schutzes gleichzeitig mit im Blick haben, und die lassen Sie durch Ihr Gesetz völlig außer Acht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dass Sie dies inzwischen selbst gemerkt haben, spürt man daran, dass in Ihrer Argumentationslinie jetzt ganz plötzlich ein anderer Aspekt in den Vordergrund tritt. Sie sagen jetzt, dieses Gesetz sei eine kommunale Forderung gewesen, der Sie hätten nachkommen müssen. Die Ordnungsämter hätten gefordert, dass eine Überprüfbarkeit des Gesetzes hergestellt werden müsse.

(Zuruf von der Regierungsbank: Das haben wir nie gesagt!)

– Natürlich haben Sie das gesagt. Das haben Sie immer wieder in der Diskussion so formuliert. – Das ist doch der Gipfel der Unredlichkeit! Es geht letztlich darum, was der grüne Landesvorsitzende seinerzeit gesagt hat, nämlich: Grünes Ziel ist eine einheitliche Regelung für alle gastronomischen Betriebe. Grünes Ziel ist ein generelles Rauchverbot.

Das heißt aber doch: Nicht die Ordnungsämter liefern die Argumente. Die Grünen verfolgen eine grundlegende Ideologie, alle gleich zu behandeln – besser für alle etwas verbieten, als für Einzelne Freiräume zu ermöglichen.

(Beifall von der FDP)

Herr Abel, Sie sind auf den Punkt der Schutzwürdigkeit eingegangen. Was ist denn mit der Entscheidungsfreiheit? 80 % der gastronomischen Betriebe sind vor Inkrafttreten des Gesetzes doch bereits rauchfrei gewesen. Es hat doch niemand einem Gastwirt verboten, an seine Tür ein Schild zu hängen, auf dem steht: „Rauchfreier Gastronomiebetrieb“. Das konnte man machen, wenn man dies als sein Geschäftsmodell erkannt hatte.

Wenn es sich wirklich um solch eine Chance gehandelt hätte, wie Sie es hier behaupten, dann hätte man das doch konsequent schon längst überall erkannt. Aber es gab durchaus Einzelne, die schon beschlossen hatten, dass in ihrem Betrieb weitergeraucht werden sollte; für den Schutz der Nichtraucher wurde entsprechend gesorgt. Wo dies aber nicht möglich ist, da hätte es möglich sein müssen, Freiräume für Raucherbetriebe beizubehalten. Nichtraucher hatten genügend Möglichkeiten, um Lokale zu besuchen, die ihren Bedürfnissen gerecht wurden. Von daher schlägt diese Argumentation völlig fehl.

(Beifall von der FDP)

Uns geht es um Vielfalt, uns geht es um Eigenverantwortung in einer pluralen Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, selbst wenn das, was Sie hier immer wieder behauptet haben, stimmen würde, dass Sie mit diesem Gesetz den Forderungen der Kommunen nachkommen, zeigt uns das ein Verständnis vom Staat, das äußerst fraglich ist. Was ist das für ein Staatsverständnis, was ist das für ein Freiheitsverständnis? Wo ist bei Ihnen der Bürger? Wird das Recht für Behörden geschaffen? Wir halten es für angemessen, Ordnung und Recht am Freiheitsbedürfnis der Bürger auszurichten und nicht umgekehrt.

Meine Damen und Herren, die SPD sollte sich an der Stelle auch einmal fragen, wo sie noch für die einfachen Leute steht. Stehen Sie doch zu der Kritik, die aus Ihren Reihen geäußert worden ist, zu der Protokollnotiz, die von den 18 Kolleginnen und Kollegen geäußert worden ist. Sie wollten doch beobachten, Sie wollten doch insgesamt darauf achten, wie sich das Raucherschutzgesetz im kommunalen Bereich auswirkt, dass es insbesondere nicht zu übermäßigen Härten hinsichtlich des Lärmschutzes in dicht besiedelten Stadträumen kommt.

Was beobachten wir nun? Wir nehmen die Hinweise aus der Bevölkerung ernst. Christian Lindner hat es angesprochen. 70 % der Wirte von Bars und Kneipen vermelden starke Umsatzeinbußen, im Durchschnitt 10 %, in der Spitze bis zu 60 %. Da sind die Zahlen, Herr Abel, Herr Yüksel. Auf welche Zahlen wollen Sie denn warten? Was ist mit den Investitionen, die diese Wirte getätigt haben? Es geht hier um Menschen, es geht nicht um Statistiken, es geht hier um Existenzen. Da können Sie nicht warten, bis die alle Insolvenz angemeldet haben. Es geht darum, jetzt etwas für die Menschen zu tun.

(Beifall von der FDP)

Die Umfrage zeigt auch, dass der maßgebliche Grund für den Umsatzeinbruch das Pendeln zwischen Tresen und Außenbereich ist. Das bedeutet – das nehmen wir auch schon zur Kenntnis –, dass es bereits Unruhe in den Stadtteilen gibt.

(Günter Garbrecht [SPD]: Unruhen?)

Das werden wir in den kommenden Sommerwochen noch viel stärker erleben. Das wird zur Folge haben, dass Gastwirte in Auseinandersetzungen mit einer Nachbarschaft kommen, mit der sie bis dato friedlich koexistiert haben.

(Beifall von der FDP)

Das erreichen Sie mit Ihrem Gesetz.

Der nächste Schritt wird sein, dass sich Bürger zusammentun, weil sie in ihrer Nachbarschaft nicht diese Lautstärke haben wollen. Der nächste Schritt wird sein, dass Konzessionen für Gastwirte in Zweifel gezogen werden. Auf diesem Weg werden Sie zusätzliche Geschäfte ruinieren.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, die Redezeit.

Ralph Bombis (FDP): Ich komme zum Schluss.

Ich kann nur sagen, die Gastronomen haben massive Bedenken, und diese Gefahr ist real. Man muss die Anwohner an der Stelle verstehen. Rot-Grün hat diese friedliche Koexistenz aufgekündigt. Wir wollen einen wirksamen Nichtraucherschutz, der auf Eigenverantwortung setzt.

Liebe Kollegen von SPD und Grünen und verehrte Frau Ministerin, wollen Sie mir tatsächlich sagen, dass Ihre Genossinnen und Genossen und Ihre grünen Kollegen in Berlin, in Hamburg, in Stuttgart und in Bremen tatsächlich unverantwortlich sind, indem sie hier wirksame Regelungen geschaffen haben, bei denen Raucher und Nichtraucher nebeneinander existieren können?

Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen einen Raucherschutz ohne Diskriminierung, ohne Bevormundungsmentalität. Wir sollten zur Sachlichkeit zurückkommen, Frau Ministerin. Aber das geht nur, wenn Sie sich kompromissbereit zeigen. Dieses Raucherschutzgesetz ist total kompromisslos.

Es geht nicht darum, irgendetwas gegen die Regierung zu tun, es geht nicht darum, irgendetwas gegen die Koalition zu tun.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Es geht darum, etwas für die Betriebe, für die Menschen zu tun. Tun Sie etwas für die Menschen!

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hegemann! Ich hätte, bevor Sie gesprochen haben, übrigens nicht geglaubt, dass man das Niveau dieser Debatte noch unterbieten kann. Doch ich bin eines Besseren belehrt worden, Herr Hegemann.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Es ist Ihnen wirklich mühelos gelungen. Kein Problem.

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Herr Hegemann, wenn auf einer Demonstration in Deutschland gelbe Sterne mit der Aufschrift „Raucher“ getragen werden, dann finde ich das ein Maß an Geschichtsvergessenheit,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

das man in diesem Landtag mit Fug und Recht kritisieren darf. Die Vergleiche, die Sie an der Stelle gebracht haben, zeigen, dass Sie nicht verstanden haben, was es bedeutet, wenn auf einer Demonstration Menschen so auftreten. Das zeigt mir das, Herr Hegemann.

Jetzt zu Ihnen, Herr Lindner. Es ist eine schöne Liste, die Sie da vortragen haben – bis zur Achselbehaarung, auch wenn das in keinem Parteiprogramm gestanden hat. Das ist Ihnen aber ganz egal.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Die Hauptsache für Sie ist, eine kleine ideologische Debatte anzuzetteln, an deren Ende Sie die Grünen oder die Gesundheitsministerin oder die Landesregierung insgesamt an den ideologischen Pranger stellen wollen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Herr Lindner, Sie missbrauchen eine ernsthafte Debatte um den Gesundheitsschutz in Nordrhein-Westfalen für Ihren ideologischen Klamauk heute Morgen. Das finde ich unterhalb der Grasnarbe.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist im Grunde genommen immer dasselbe Lied von der Freiheit, das Sie da singen. Das ist Freiheit ohne Verantwortung

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

für die Menschen in der Gastronomie, auf die Herr Bombis eben noch hingewiesen hat,

(Christian Lindner [FDP]: Immer schön gegen die Person!)

für Menschen in der Gastronomie, die unter den Bedingungen arbeiten müssen.

(Ralph Bombis [FDP]: Die können sich das doch aussuchen!)

– Ja, sicher können die sich das aussuchen! Herr Bombis, fragen Sie doch einmal die Beschäftigten,

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

in der Gastronomie, was die von Ihrem gemäßigten Nichtraucherschutz gehalten haben!

Ich habe am Rande einer DEHOGA-Veranstaltung mit ihnen gesprochen. Die haben mir gesagt: Passen Sie einmal auf! Unser Verband vertritt diese Position, muss er vielleicht auch. Aber wir sagen Ihnen Folgendes: Im Innern ist der Verband gespalten.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wir sind nämlich sehr froh darüber, dass es einen konsequenten Nichtraucherschutz in den Kneipen in Nordrhein-Westfalen gibt. Wir sind Beschäftigte.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

– Sie brauchen gar nicht rumzuschreien. Es waren noch nicht einmal die Beschäftigten allein. Es waren auch die Besitzer und Besitzerinnen, die gesagt haben: Gut, dass ihr das für uns geregelt habt. Wir wollen nicht die ganze Nacht im Rauch stehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

Jetzt kommen wir noch zu einem anderen Punkt. Ich verstehe Folgendes nicht: Herr Lindner, Sie scheinen ein großes Gedächtnis für grüne Wahlprogramme, aber ein sehr wenig ausgeprägtes Gedächtnis für Entscheidungen Ihrer eigenen Partei in anderen Bundesländern zu haben. In Bayern sind Sie als Landesregierung zum Jagen getragen worden.

(Christof Rasche [FDP]: Was ist denn mit Baden-Württemberg?)

In Bayern hat Ihnen ein Volksentscheid diktiert, was Sie nicht bereit waren, gesetzlich zu regeln, nämlich einen konsequenten Nichtraucherschutz. Und: Steht Bayern noch? – Ja, Bayern steht noch, immer noch, trotz eines konsequenten Nichtraucherschutzes, den Sie politisch verweigert haben.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

Ich will Ihnen auch noch einmal etwas zur Situation der Eckkneipen sagen. Sie benutzen die schwierige Situation von Eckkneipen im Ruhrgebiet für Ihre Debatte und versuchen daran aufzuhängen, dass der Nichtraucherschutz die Existenz von Eckkneipen gefährdet.

(Zurufe von der FDP)

Wenn Sie ehrlich mit sich wären, müssten Sie eigentlich wissen, dass das Kneipensterben im Ruhrgebiet schon seit Jahren anhält, auch das Eckkneipensterben, und dass es einen massiven Strukturwandel in der Gastronomieszene gibt, der ganz schwierig ist für die Inhaberinnen kleiner Eckkneipen, aber der da ist und der mitnichten irgendetwas mit dem Nichtraucherschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen zu tun hat,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

sondern im Gegenteil schon vor Jahren eingesetzt hat. Das müssten Sie eigentlich wissen, wenn Sie sich mit kleinen und mittleren Unternehmen und insbesondere mit der Situation im Gaststättengewerbe beschäftigen. Aber das wollen Sie überhaupt nicht ernsthaft, sondern Sie wollen hier heute Morgen nur ein bisschen Wahlkampf machen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Das haben wir verstanden. Aber das hilft den Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Abgeordnete Schulz.

(Beifall von den PIRATEN)

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause am Stream! Vielen Dank für den Auftrittsapplaus.

Herr Kollege Bombis, Man könnte in der Tat sagen, es ist alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Aber ich danke Ihnen für die Ausführungen, dass schon vor Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzänderungsgesetzes 80 % der gastronomischen Betriebe in Nordrhein-Westfalen rauchfrei waren. Es geht also hier und ging hier einzig und allein um die Verfolgung ideologischer Ziele. Die restlichen 20 % sollten gefälligst auch noch rauchfrei sein.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Sie selbst von den regierungstragenden Fraktionen sprechen davon: Raucheranteil 30 %. 30 % der Bevölkerung rauchen, vielleicht ein bisschen weniger. Da sprechen Sie von einer Minderheit. Bei mir sind 30 % noch keine Minderheit. Wenn wir in das Gesellschaftsrecht schauen, sehen die Minderheiten etwas anders aus. Da fangen wir bei 5 % an. Je nach Gesellschaftsvertrag können es vielleicht auch einmal 20 % werden, aber sicherlich nicht 30 %. Wir reden von einem Drittel der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen. Da sprechen Sie von Minderheiten.

(Beifall von der CDU)

Diese wollen Sie nicht schützen, sondern Sie wollen diejenigen schützen, deren Recht auf freie Entscheidung, wohin Sie gehen, in Gaststätten mit Rauchen oder in Gaststätten ohne Rauchen, damit schlicht und ergreifend vom Tisch gewischt wird. So läuft das nicht. Das ist Ausdruck eines Rechtsverständnisses, welches ich in diesem Hohen Hause ehrlich gesagt nicht nachvollziehen kann. Es gibt kein Recht auf Besuch einer rauchfreien Gaststätte.

(Serdar Yüksel [SPD]: Es gibt das Recht auf Gesundheit!)

– Herr Yüksel, zu Ihnen komme ich gleich noch. Sie haben hier erstaunlicherweise etwas gesagt – oder vielleicht auch nicht erstaunlicherweise –, was dieses Rechtsverständnis in der Tat unterstützt. Sie haben nämlich gesagt, Sie wollen diejenigen schützen, die sich zu lange – ich zitiere aus dieser Sitzung – einer großen Gefahr ausgesetzt haben. Man achte genau auf die Terminologie: die sich zu lange einer großen Gefahr ausgesetzt haben. – Wenn ich mich persönlich einer großen Gefahr aussetzen möchte oder ausgesetzt wissen möchte, werde ich das tun. Das wird keine Partei in diesem Hause, keine Landesregierung verhindern. Es ist mein gutes Recht, mich einer Gefahr auszusetzen, ganz einfach.

Kommen wir mal zurück zu den weiteren Fakten: Während die Gesetzeslage vor fünf Jahren noch von einem Miteinander ausging, geht es heute nur noch um ein Gegeneinander. Das Gesetz hat mittlerweile dazu geführt, dass teilweise tumultartige Szenen vor Gaststätten in Nordrhein-Westfalen zu beobachten sind.

(Zurufe von den GRÜNEN: Oh!)

Es hat dazu geführt, dass Ordnungsämter vor Gaststätten einschreiten müssen. Es hat dazu geführt, dass der Lärmschutz nunmehr in besonderer Weise im öffentlichen Raum zu beachten ist, weil die Raucher auf die Straße gehen. Das stört die Nachbarn. Das wurde ja hier auch schon mehrfach angesprochen. Das führt zu einer Spaltung innerhalb der Gesellschaft. Dieses Gesetz, das wir letztens verabschiedet haben, ist ein Spaltungsgesetz.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Es geht ja nicht nur um das Rauchen, sprich Tabakverbrennen. Dieses Gesetz hat darüber hinaus ja auch den Verbotscharakter bezüglich der E-Zigarette. Das wurde noch gar nicht erwähnt, Frau Ministerin.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

Es gibt mehrere Gutachten, die klar sagen, dass im Vergleich zum Konsum von Tabak der Konsum oder auch das Verdampfen von Liquids durch die sogenannten E-Zigaretten eben nicht den entsprechend schädlichen Gehalt für die Nichtraucher mit sich bringt. Aber auch das haben Sie ja verboten. Auch da fragt man sich: Wo ist eigentlich hier die Verhältnismäßigkeit?

Wenn ich, Herr Yüksel, Ihren Zwischenruf von eben mal aufgreifen darf: Als Herr Bombis davon sprach, es ginge bei Gesetzen um Verhältnismäßigkeit, haben Sie gefragt, wozu wir in diesem Bereich Verhältnismäßigkeit bräuchten, denn es gehe um Nichtraucherschutz. Auch das ist wiederum Ausdruck eines Rechtsverständnisses, welches ich in unserem Staat nicht verstehen kann.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP – Zuruf von Serdar Yüksel [SPD])

Ferner sprechen Sie davon, Frau Schneckenburger: Freiheit ohne Verantwortung. – Was ist denn das für ein Käse? Entschuldigung, mit Verlaub: Freiheit ohne Verantwortung? Dort, wo die Verantwortung von Bürgern nicht wahrgenommen wird, wo Sie davon ausgehen, dass hier nur noch Soziopathen miteinander umgehen, müssen Sie diese Verantwortung übernehmen und dem Rest der Bevölkerung auch noch Verbotsgesetze vor die Nase setzen?

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Es tut mir furchtbar leid. Es mag ja sein, dass Sie das Ganze hier als Wahlkampfgetümmel abstempeln. Ich sage Ihnen eines: Das wird es nicht sein. Denn auch nach der Bundestagswahl am 22. September wird dieses Thema, wird ein Thema der Freiheit von Bürgern, wird das Thema „Nichtraucherschutz“ weiterhin Thema bleiben, bis zur nächsten Kommunalwahl, nämlich dann, wenn die Bürger darüber zu entscheiden haben, ob sie in den Kommunen, in denen sie leben, rauchen dürfen, wo sie wollen, oder nicht.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Wenn Sie das in öffentlichen Gebäuden verbieten, ist das vollkommen in Ordnung. Aber im Bereich der Privatwirtschaft – und darum geht es – ist ein Verbot in dieser Art und Weise schlicht und ergreifend verhältnismäßig nicht akzeptabel. Es ist nicht akzeptabel.

Sie können davon ausgehen: Jedes Mitglied der Fraktionen der SPD und der Grünen hat – vielleicht haben Sie schon davon gehört – in vielen Gaststätten in Nordrhein-Westfalen mit dem Aushang Ihrer persönlichen Bilder Hausverbot.

(Heiterkeit)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Ich verweise auf die Internetpräsenz www.raucherkneipen.eu. Ich habe das Plakat oben an meinem Arbeitsplatz liegen. Sie können es sich da einmal anschauen. Es hängt überall in den Fenstern. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Die Wirte und auch die Gäste wollen Sie in diesen Gaststätten definitiv nicht mehr sehen, und zwar in den jetzt rauchfreien Gaststätten. Ich sage Ihnen: Es wird die Quittung bei den nächsten Wahlen geben, vielleicht nicht bei der Bundestagswahl, aber sicherlich bei der nächsten Kommunalwahl. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht noch einmal Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mehrfach immer wieder betont worden, wie das Recht der wie auch immer großen – ob jetzt 20 % oder 30 % – Gruppe der Raucherinnen und Raucher zu schützen sei.

Erstens. Die Hälfte derjenigen in Nordrhein-Westfalen, die rauchen, hat in Umfragen klar und deutlich gesagt, dass auch sie einen konsequenten Nichtraucherschutz haben wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das heißt, wenn wir uns die Umfragen – auch die aktuelle Umfrage – angucken: Weit über 80 % der Bevölkerung wollen geschützt werden. Sie stellen sich hierhin und sagen allen Ernstes: Der Mensch hat kein Recht auf Gesundheitsschutz und es gebe sozusagen das Recht darauf, die Gesundheit anderer im wirtschaftlichen Bereich zu gefährden. Dieses Recht haben wir nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Unmöglich!)

Es gibt zwei unterschiedliche Zielrichtungen von Gesetzen. Das eine ist ein Schutzrecht. Es gibt Rechte, die regeln, wie wir im Straßenverkehr miteinander umgehen. Es gibt Gesetze, die Menschen an vielen Stellen schützen. Diese Schutzgesetze brauchen wir, damit nicht diejenigen, die ihre eigenen Interessen über die Werte von anderen stellen, machen können, was sie wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hier geht es darum, dass diejenigen, die rauchen, das Recht haben sollen zu rauchen, egal, ob sie süchtig sind oder Genussraucher sind. In ihrer Privatsphäre dürfen sie rauchen. Aber sie sollen weder Beschäftigte noch sollen sie andere mit ihrem Rauch passiv gefährden. Es geht lediglich darum, dass der Schutz der Gesundheit obendrüber steht.

Wenn die Piraten die Diskussion über die E-Zigarette hier wieder aufmachen, möchte ich dazu sagen: Es ist eine einheitliche Verständigung, gemeinsam auch mit dem Bund, dass die E-Zigarette von Nichtraucherschutzgesetzen erfasst wird. Dazu findet die Diskussion gerade auf EU-Ebene in einem noch ganz anderen Maße statt. Die Diskussion darüber, wie die Einordnung perspektivisch sein wird, werden wir führen.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eines sagen. Wir haben viele Zuschriften erhalten. Ja, es gibt Zuschriften auch von denjenigen, die sagen: Wir wollen weiterhin im Festzelt rauchen. Die Karnevalsaison gibt es zwar noch nicht, die Sie eben erwähnt haben, aber es gibt die Schützenfestsaison. Ich habe aber mehr Briefe, gerade bezogen auf die Schützenfeste von denjenigen erhalten, die das Schützenfest immer noch als Familienfest verstehen und die froh sind darüber, dass das Schützenfest rauchfrei ist, weil sie endlich mit ihren Kindern gemeinsam vor Ort in der Gemeinschaft die Feste feiern können.

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Das sind die Menschen, die wir schützen wollen. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Für die CDU-Fraktion spricht noch einmal der Kollege Hegemann.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An und für sich haben Kinder abends im Festzelt nichts zu suchen.

(Zuruf von den PIRATEN)

– Ja, die normale Schützenfestveranstaltung findet zu einer Zeit statt, in der Jugendliche gar nicht an diesen Veranstaltungen teilnehmen dürfen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)

– Es kann ja sein, dass Sie Ihre Kinder mitnehmen wollen.

Ich wehre mich gegen Ihre Zahlen, wonach 80 % der Bevölkerung Ihrer Meinung seien. Ich sage Ihnen einmal aus eigener Erfahrung: Wenn 18 Abgeordnete der SPD-Fraktion eine Erklärung abgeben –

(Unruhe)

– seien Sie einmal ruhig, vielleicht werden Sie dann schlauer –, fällt es ihnen sicherlich nicht leicht – ich weiß, worüber ich rede –, gegen die eigene Fraktion eine Erklärung abzugeben. Ich wette, dass mehr als 18 Abgeordnete diese Meinung vertreten haben, aber letztlich 18 Abgeordnete dies nur dokumentiert haben. Wenn Sie einmal die wahre Mehrheit derer sehen, die in der SPD dieses Gesetz abgelehnt haben, wäre die Mehrheit in diesem Hause weg. Zu sagen, das sei eine absolute Minderheitsmeinung, die von FDP und CDU und Piraten vertreten werde, ist dummes Zeug.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich sage noch einmal: Ihre demoskopischen Zahlen sind keine, sondern es sind Momentaufnahmen von Zeitungen. Fragen Sie doch einmal die DEHOGA nach der Entwicklung im Mai. Sie dürfen nicht nach 2012 oder 2011 in Bayern fragen. Mai 2013 in Nordrhein-Westfalen: Rapide gehen die Zahlen herunter. Das können Sie ignorieren. Sie können auch sagen: Damit müssen sie leben. Das ist deren Problem. – Ist alles okay.

(Unruhe)

Ich stelle nur fest: Diese Ministerin kriegt nichts auf die „Kette“, außer Nichtraucherschutz. Das hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Damit erpresst sie die SPD. Sie hat sich durchgesetzt. Gut, sei es drum.

Warum ich mich gemeldet habe, Frau Kollegin von den Grünen:

(Unruhe und Zurufe von den GRÜNEN)

– Passen Sie einmal auf, es gibt einen alten Brauch, der lautet: Zwischenruf ist gut, noch besser ist, ein Knöpfchen zu drücken. Wenn es so wichtig ist, was Sie der Nachwelt erhalten wollen, melden Sie sich zu Wort.

(Zuruf von den PIRATEN: Das ist leider nicht erlaubt! – Weitere Zurufe)

Ich habe mich zu Wort gemeldet, Frau Kollegin, weil Sie sinngemäß gesagt haben, ich hätte Nazisymbole verniedlicht. Ich habe meine Rede mit dem ersten Satz angefangen: Niemand hat das Recht, Nazi­symbole zu zeigen.

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Dann kommen Sie und wollen das wieder irgendwo in eine Ecke stellen und sagen: Ja, zu dem Judenstern hätten Sie etwas sagen sollen. – Auch dieser gelbe Judenstern ist ein unerwünschtes Nazisymbol. Den will ich auch nirgendwo sehen.

Ich sage Ihnen noch einmal: Versuchen Sie nicht, uns in irgendeine Ecke zu stellen, weil irgendwelche Leute an Demonstrationen teilgenommen haben, die nicht dahingehören. Verwenden Sie Ihre ganze Kraft bei Demonstrationen, an denen Sie teilnehmen, darauf, dass keine Antidemokraten daran teilnehmen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Zwischenfragen gibt es übrigens in der Aktuellen Stunde nicht. Deswegen bringt das Knöpfendrücken auch nichts.

(Unruhe)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt noch einmal der Kollege Dr. Adelmann.

Dr. Roland Adelmann (SPD): Herr Präsident! Wenn Herr Hegemann nicht weiß, dass keine Zwischenfragen erlaubt sind, kann ich nachvollziehen, warum er nicht weiß, dass an Schützenfesten auch Jugendliche teilnehmen.

(Beifall von der SPD)

Herr Hegemann, eine Anmerkung zu der Rede, die Sie vorhin gehalten haben, wonach sich keiner von der SPD vor die Bundeskanzlerin gestellt hätte. Da kann ich nur sagen: Wenn Sie ein bisschen die Bundespolitik verfolgt hätten, dann wüssten Sie, dass unser Parteivorsitzender, Sigmar Gabriel, sich höchstpersönlich massiv gegen solche Bilder und Vorwürfe aus dem Aus- und Inland gewehrt hat. – Das nur dazu.

Das andere ist: Herr Schulz sprach das Recht, sich einer Gefahr auszusetzen, das Recht auf Selbstverwirklichung an. – Das erinnert mich an die Diskussion bei Einführung der Stundenkilometerbegrenzung auf 30 km/h vor Grundschulen und Schulen. Da gibt es auf der einen Seite ein – ich nenne es einmal – Recht auf Gefahr, aber es gibt auf der anderen Seite auch das von unserer Gesundheitsministerin angesprochene Recht auf Gesundheit.

Ich darf ins Gedächtnis rufen, dass die Verbände in der Anhörung ganz klar gesagt haben, auf ihren Kinder- und Jugendveranstaltungen wäre alles in Ordnung. Zeitgleich jedoch wurden Bilder präsentiert, auf denen Festhallen komplett zugeraucht waren, in denen reine Kinder- und Jugendveranstaltungen durchgeführt wurden.

Das ist die Begründung, warum dieses Gesetz für den Schutz unserer Kinder- und Jugendlichen sinnvoll ist. Für eine Bewertung seiner Auswirkungen ist es, glaube ich, jetzt noch eindeutig zu früh. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Dr. Adelmann. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Beratung. Ich schließe diese Aktuelle Stunde.

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

2   Wohnungsmarkt entfesseln statt ausbremsen – Die Menschen in unseren wachsenden Großstädten brauchen Wohnungen und keine staatlich verordneten Markthemmnisse

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3238

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3310 – zweiter Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3339

Ich eröffne die Beratung und erteile dem Kollegen Rasche das Wort.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Fast in jeder Plenarwoche in diesem Jahr befassen wir uns mit dem Thema „bezahlbarer Wohnraum“. Nun ist das ein Wohnraum, in dem die Mieterinnen und Mieter hoffentlich auch in Zukunft noch entscheiden dürfen, ob sie dort rauchen oder nicht. Das ist deren Entscheidung und nicht die Entscheidung von Rot und Grün, meine Damen und Herren.

In all den Debatten in diesem Jahr waren wir uns einig und sind es uns auch heute, dass es in Nordrhein-Westfalen so wie in der gesamten Bundesrepublik eine Reihe von wachsenden Großstädten gibt, in denen Wohnungen Mangelware sind und in denen die Mietpreise gewaltig steigen.

Zudem, liebe Kolleginnen und Kollegen, eint uns das Ziel, dass in Nordrhein-Westfalen Wohnraum zu angemessenen und bezahlbaren Mietpreisen zur Verfügung stehen soll.

Bei diesen Punkten waren wir uns einig und sind es auch jetzt.

Bei den Überlegungen zur Lösung des Problems „bezahlbare Mietpreise“ trennt sich dann allerdings unser Weg, meine Damen und Herren. SPD und Grüne wollen die Einführung einer Mietpreisbremse, also einen massiven Eingriff in Eigentumsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Alle Verbände sagen Ihnen voraus, dass Sie damit Investoren verschrecken, sich die Investoren anschließend zurückziehen und das Problem am Ende dadurch vergrößert wird.

Deshalb, meine Damen und Herren, lehnt die FDP diese Wohnraumpolitik mit Mietpreisbremsen von Rot-Grün konsequent ab.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wahrscheinlich liegen wir schon bei der Beurteilung der Ursache auseinander. Der Mietpreisanstieg ist in erster Linie auf ein zu geringes Wohnungsangebot bei wachsender Nachfrage zurückzuführen. Wenn wir diesem Nachfragezuwachs gerecht werden wollen, müssen wir dafür sorgen, dass in den betroffenen Regionen mehr Wohnungen gebaut werden. Da die öffentliche Hand dieses nicht leisten kann, sind die private und die gewerbliche Wohnungswirtschaft gefragt, die ohnehin den größten Teil unseres Wohnungsbestandes bereitstellt. An Kapital – auch da waren wir uns immer einig – dürfte es dort nicht fehlen. Es fehlt an den richtigen Rahmenbedingungen und den richtigen Anreizen.

Die FDP, meine Damen und Herren, steht für sinkende Mieten durch eine massive Belebung des Wohnungsmarktes. Anders gesagt: mehr Wohnungen, anschließend niedrige Mieten.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, SPD und Grüne rufen in allen Bereichen immer nach dem Bund. Dabei gibt es genügend Möglichkeiten in der Landespolitik, um die Rahmenbedingen für Investitionen in den Wohnungsmarkt deutlich zu verbessern.

Sie aber haben die Grunderwerbsteuer erhöht – das war natürlich investitionshemmend. Sie müssen die Wohnraumförderpolitik so gestalten, dass die Mittel endlich wieder konsequent abgerufen werden. Städten und Gemeinden muss wieder die Gelegenheit gegeben werden, genügend Bauland auszuweisen.

Darüber hinaus, meine Damen und Herren, ist ein ganz wesentlicher Investitionsanreiz aus Sicht der FDP die Wiedereinführung der degressiven Abschreibung für Anlagen, also die sogenannte AfA, die im Jahre 2005 von CDU und SPD auf Bundesebene abgeschafft wurde. Seitdem sind die Investitionen erheblich zurückgegangen, da nur noch linear 2 % pro Jahr über einen Zeitraum von 50 Jahren steuerlich geltend gemacht werden können. Zuvor waren es in den ersten zehn Jahren 4 % pro Jahr.

In einem Gutachten aus dem Jahre 2009, erstellt durch das RWI, also das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, kam dieses zum Ergebnis: Die degressive AfA führt zu entscheidenden Impulsen für den Neubau von Wohnungen, dadurch zu mehr Beschäftigung, dadurch zu mehr Steuereinnahmen. – Wenn wir uns also hier auf Bundesebene in der Steuerpolitik bewegen, führt das zu keinen Steuerverlusten, sondern nach diesem Gutachten zu Steuermehreinnahmen.

Während SPD und Grüne mit Negativanreizen wie der Mietpreisbremse Wohnungspolitik betreiben, will die FDP mit fairen Rahmenbedingungen und Investitionsanreizen neue Wohnungen schaffen. Klarer, meine Damen und Herren, kann der Kontrast zwischen den einzelnen Fraktionen nicht sein.

Interessant wird jetzt der folgende Punkt, meine Damen und Herren, denn die Positionen der CDU in der Wohnungspolitik unterscheiden sich ganz selten von denen der FDP. Im Entschließungsantrag fordert die CDU jedoch unter IV.3 – ich zitiere –:

„Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich im Bundesrat für eine Mietpreisbremse einzusetzen, ….“

Das können Sie nachlesen. Dabei, meine Damen und Herren, hat die Bundesregierung von CDU und FDP mit dem Mietrechtsänderungsgesetz, das auch den Bundesrat passiert hat, eine solide Grundlage geschaffen, um ein hohes Maß von Mieterschutz zu gewährleisten, also um in ganz besonderen Fällen Mietpreissteigerungen vertretbar zu begrenzen, und gleichzeitig für Impulse auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen. Dieses Gesetz wurde beschlossen. Das haben CDU und FDP gemeinsam gemacht. Das ist auch genau der richtige Weg. Der reicht nach Auffassung der FDP-Landtagsfraktion hier in Nordrhein-Westfalen auch aus.

(Beifall von der FDP)

Abschließend möchte ich sagen: Es gibt einige Ansätze für mehr Wohnungen und sinkende Mieten. Nutzen Sie von SPD und Grünen endlich Ihre landespolitischen Möglichkeiten bei der Wohnraumförderung und beim Bauland. Ziehen Sie die Notbremse. Eine Mietpreisbremse schadet am Ende den Mieterinnen und Mietern. Unterstützen Sie den Vorschlag der FDP, zur degressiven AfA zurückzukehren, damit in Nordrhein-Westfalen endlich wieder genügend Wohnungen entstehen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP ist ja ganz verliebt in den Begriff des Entfesseltseins. – Man kann weltweit sehen, was aus Ihren entfesselten Märkten geworden ist: Eine Entfesselung der Märkte führt in der Regel dazu, dass einige wenige reicher werden und ganz viele draufzahlen müssen. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall von der SPD)

Der Begriff „Entfesselung“ ist eigentlich ein schöner Begriff. Diesen Begriff kann man heute auch vergeben, denn wir haben einen Entfesselungskünstler hier. Das ist dieser Minister. Er ist deshalb ein Entfesselungskünstler, weil es ihm gelungen ist, die Wohnraumförderung so anzupassen, dass sie insgesamt im Land Nordrhein-Westfalen sehr positiv aufgenommen worden ist. Wir bekommen Lob von allen Seiten. CDU und FDP in den Kommunen loben uns, die Wohnungsverbände loben uns, die Wohnungswirtschaft lobt uns und sagt, genau das sei der richtige Weg. Und wer hat’s gemacht? – Mike Groschek. Das ist der Entfesselungskünstler.

(Beifall von der SPD)

Der Neubau läuft. Wir haben ein Bündnis für Wohnen geschaffen, um immer nachjustieren zu können.

Etwas anderes müssen wir uns aber ansehen, wie der Minister deutlich gemacht hat. Selbstverständlich gibt es gerade in den Wachstumsgebieten massive Flächenprobleme. Darauf komme ich gleich noch einmal zurück. Wir haben auch Schwierigkeiten bei der Bestandssanierung in den Schrumpfungsgebieten. Auch dazu werden wir weitere Überlegungen anstellen müssen, um insbesondere diejenigen, die die Bestände verbessern wollen, zu unterstützen. Wir sind hier auf einem sehr guten Weg. Diesen Weg werden wir fortsetzen.

Die Flächenproblematik macht uns schwer zu schaffen. Es ist sehr interessant, wie gestern im Nachrichtenmagazin „Panorama“ führende Vertreter von CDU und FDP dabei vorgeführt worden sind, wie sie vor Ort an der Spitze von Bürgerinitiativen sämtliche Bebauungen und Nachverdichtungen kaputt machen und öffentlich erklären, dass es ein Skandal sei, eine Reihenhaussiedlung zu errichten, weil das schöne Wohnumfeld der Villenbesitzer gestört werde. – So Konrad Adenauer, Haus- und Grundbesitzerverein Köln.

Das ist die Bigotterie, mit der Sie arbeiten: Hier stellen Sie Entfesselungsanträge und dort, wo Leute etwas bauen wollen, sind Sie an der Spitze derjenigen, die das verhindern.

(Beifall von der SPD)

Zum Thema „Markthemmnisse“: Das, was wir jetzt erleben, kommt doch nicht von nichts. Vor zehn Jahren haben Sie da, wo Sie Verantwortung in den Kommunen hatten, systematisch den geförderten Wohnungsbau kaputt gemacht. Sie haben sich sogar damit gebrüstet. Es sind CDU-Dezernenten öffentlich aufgetreten und haben gesagt: Es wird mit mir keinen geförderten Wohnungsbau mehr geben.

Das Ergebnis sehen wir heute: Tausende von Wohnungen sind aus der Bindung gefallen. Was zehn Jahre lang schiefgelaufen ist, können wir in drei Jahren im Land Nordrhein-Westfalen nicht zurückdrehen. Das ist ein riesiges Problem. Wir haben uns aber fest vorgenommen, an seine Lösung heranzugehen.

Zum Thema „Modernisierung“: Sie sagen dazu, das sei alles gerecht. Ich kann Ihnen Mieter zeigen, die bei einer energetischen Modernisierung wegen der 11%igen Umlage 70 % höhere Mieten zahlen müssen. Das betrifft insbesondere ältere Menschen in unserem Land. Das kann doch nicht richtig sein. Ich kann Ihnen zeigen, dass in vielen Großstädten unseres Landes die Menschen bei Wiedervermietungen 20 bis 30 % mehr Miete zahlen müssen.

Deshalb ist es wichtiger denn je, endlich dafür zu sorgen, dass es diese Mietpreisbremse gibt, damit das Wohnen erschwinglich bleibt und nicht zum Luxusgut wird.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Hinsichtlich der energetischen Sanierung – das nur am Rande – wissen Sie selbst, dass man sich den Grenznutzen einmal vor Augen führen sollte. Es ist ja die schwarz-gelbe Regierung, die die EnEV gerade kurzfristig verschärfen will – nicht die Roten und nicht die Grünen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die Bundeskanzlerin öffentlich erklärt hat, die SPD habe eine super Idee. Aber es war wie immer – entschuldigen Sie, Herr Präsident; die Rüge kassiere ich schon mal – die typische Verarschungsnummer. Man erzählt nämlich öffentlich, man sei für diese Mietpreisbremse. Was passiert aber anschließend? – Im Anschluss geht man hin und verkündet, das sollten die Bundesländer machen.

Sie wissen alle – beim Thema „Zweckentfremdungsverordnung“ haben wir es schon einmal gesehen –: Es ist de facto für ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen unmöglich, diese Mietpreisbremse rechtssicher zu organisieren. Deshalb brauchen wir eine Bundesregelung. Aus diesem Grunde fordern wir die CDU auf, nicht immer Nebelkerzen zu schmeißen und das SPD-Programm zu plagiieren, sondern zu sagen: Ja, wir machen eine Mietpreisbremse! Millionen von Menschen in den großen Ballungszentren des Landes würden sich dafür bedanken.

In diesem Sinne kann man den FDP-Antrag nur in die Wahlkampfwüste schicken und den guten Entschließungsantrag von Rot-Grün heute annehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. Sie haben es selber schon gemerkt und sich vorab schon entschuldigt. Aber das hilft alles nichts. Sie wissen selbst, dass Sie einen unparlamentarischen Begriff verwendet haben, was wir eigentlich nicht so gerne hören.

Jetzt spricht für die CDU-Fraktion der Kollege Schemmer.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es auch ganz kurz machen, indem ich meine Ausführungen unter eine Überschrift stelle:

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Wir wissen eh, was kommt!)

Im FDP-Antrag ist fast alles richtig, im Entschließungsantrag der Roten und Grünen ist fast alles falsch.

Beim Wohnungsbau gilt bei Ihnen ganz schlicht: Vorschriften, Dirigismus, Planwirtschaft. So machen Sie Wohnungsbau.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Das ist wieder der kalte Krieger!)

Zu den Fakten: Wir haben in Nordrhein-Westfalen schrumpfende Regionen, ausgeglichene Wohnungsmärkte und wachsende Regionen. Wir haben drei Gruppen von Anbietern, nämlich private Immobilienanbieter, die 64 % der Mietwohnungen anbieten, öffentliche, kirchliche und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen mit einem Anteil von gerade einmal 11 % und die großen Wohnungsunternehmen von LEG bis GAGFAH, Vivawest und Deutsche Annington mit 25 %.

Wir müssen uns die Frage stellen, wie sich der Wohnungsbau, ob privat oder öffentlich gefördert, seit 2005 entwickelt. Dank Steinbrück – ich rufe das noch einmal in Erinnerung; ich bitte darum, dazu das Koch-Steinbrück-Papier zu lesen – ist der Wohnungsneubau in Deutschland von 360.000 Wohnungen im Jahr 2000 im Jahr 2004 auf 240.000 und jetzt auf 160.000 im Jahre 2011 – das ist die letzte Zahl, die ich habe – zurückgegangen.

Ganz schlicht: Woran liegt es? – Ohne degressive Abschreibung stirbt der Wohnungsbau. Natürlich gibt es die Ausnahme von wachsenden Märkten mit Potenzial für höhere Neubaumieten, aber das löst doch nicht unser Problem. Immerhin sind mehr als die Hälfte des Neubaus Eigentumsmaßnahmen.

Kommen wir zu Nordrhein-Westfalen: 70.000 Wohnungen in 2000, 50.000 in 2004, jetzt sind wir bei 30.000 neuen Wohnungen. Bei 8,6 Millionen Wohnungen in NRW sind das noch nicht einmal 0,4 %, also nicht einmal 4  Neubau. Das ist beim Wohnungsbau zu wenig, beim Autofahren sicherlich zu viel; aber darüber reden wir ja im Moment nicht.

(Jochen Ott [SPD]: Und in der Plenardebatte?)

Die „Welt“ vom 4. Juni dieses Jahres teilt uns die Kostensteigerungen beim Neubau mit: 28,3 % seit 2005, 5,5 % mehr als die Inflation. Der GdW und viele andere sagen uns: Die Kosten haben sich mit den Anforderungen an den Energiestandard einschließlich Dämmung und Nutzung alternativen Energien so entwickelt.

Wir könnten uns aber auch über den Hauptpreistreiber unterhalten: Das ist das Land NRW selber. Durch eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer von über 40 % seit 2005 ist es der größte neue Kostenträger. Selber Hauptpreistreiber und zugleich Mietpreisbremser zulasten der Investitionen – dann wird eben nicht mehr investiert. Das Land ist nicht nur der Hauptpreistreiber, es ist auch der blinde Akteur.

Jetzt zu den Fakten, die völlig anders sind als eben vorgetragen. Welche Vernebelung muss eigentlich vorliegen, um die Situation so zu beschreiben wie eben geschehen?

(Jochen Ott [SPD]: Wo kommen Sie eigentlich her, Herr Schemmer?)

Wohnraumförderung NRW, gigantischer Einbruch: 2009  1,14 Milliarden €, 2010  1,04 Milliarden €, 2011  0,78 Milliarden €, 2012  0,55 Milliarden €.

(Jochen Ott [SPD]: Wahlgeschenke auf Pump haben Sie gemacht!)

Der Entfesselungskünstler ist zum Zwerg geworden. Das ist doch das Problem bei dieser Fragestellung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: Der ist ein Riese!)

Ich sage es noch einmal: Das nicht nur nicht mal die Hälfte von 2009, es ist auch gerade die Hälfte von Rot-Grün in 2002, in 2003 und in 2004.

(Jochen Ott [SPD]: Haben Sie schon mal was von der Zinsentwicklung gehört? Was ist denn das für ein Geschwätz?)

Herr Groschek, ich sage es einmal ganz schlicht: So sieht ein Minusminister aus.

(Beifall von der CDU)

Stattdessen wird über eine Mietpreisbremse schwadroniert. Maß und Mitte sind völlig verloren gegangen.

(Jochen Ott [SPD]: Oh, Frau Merkel! Was sagt denn Ihre Bundeskanzlerin dazu, Herr Schemmer?)

Wenn Ludwig Erhard solche Leute wie eben Herrn Ott hören würde, es sähe wirklich schlimm aus.

(Jochen Ott [SPD]: Der würde begeistert klatschen! Endlich noch einer für die soziale Marktwirtschaft!)

Dann ist da noch die vom Bund beschlossene
15-%-Mietpreisbremse. Parallel dazu hat der bayerische Landtag schon gearbeitet. Man hat parallel zum 1. Mai 2013 eine Regelung getroffen, um die Mietpreisbremse unmittelbar umzusetzen. Ich konnte die Diskussion dort miterleben, als ich da kürzlich im Urlaub war.

(Stephan Gatter [SPD]: Entscheiden Sie sich doch mal!)

Während Bayern das parallel macht, erklärt Minister Groschek hier am 25. April, dass er sieben – ich wiederhole: sieben – Institute mit der Bestimmung von Gebietskulissen beauftragt habe.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Schemmer, die Redezeit.

Bernhard Schemmer (CDU): Bayern hat die Verordnung zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die Welt gesetzt, und Nordrhein-Westfalen braucht sieben Gutachten, um zu handeln.

Ich komme zum Schluss.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Schemmer nach Bayern!)

Für eine vernünftige Wohnungsbaupolitik empfehle ich, folgende Dinge zu tun: sofortige Umsetzung der 15-%-Grenze, wie Bayern es uns gezeigt hat, für die Bestandswohnungen in engen Wohnungsmärkten eine Wiedervermietungsobergrenze von 10 % – nur das ist eine vernünftige Lösung gegenüber den Vergleichsmieten –,

(Jochen Ott [SPD]: In Bayern baut man nur in München!)

und wir brauchen wieder die degressive Abschreibung.

Wir sind gegen Mietwucher, aber

(Zuruf von Gordan Dudas [SPD])

Mängel am Wohnungsmarkt beseitigt man durch Neubau

(Jochen Ott [SPD]: Klar, durch Neubau für 12 €! Das können Sie sich da, wo Sie herkommen, gar nicht vorstellen!)

und nicht durch Vorschriften, Dirigismus und Planwirtschaft. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als der Tagesordnungspunkt beantragt wurde und der Antrag der FDP vorlag, habe ich mich gefragt: Was will die FDP damit eigentlich erreichen?

(Stephan Gatter [SPD]: Das weiß sie selber auch nicht!)

Wir haben schon häufig über Wohnungspolitik diskutiert. Wir haben das Programm des Landes intensiv begleitet. Was will die FDP mit dem Antrag? – Ich glaube, ehrlich gesagt: Der Hauptzweck ist, sich von der CDU in der noch gemeinsamen Regierung abzusetzen und möglichst eigenes Profil zu gewinnen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Was will die FDP noch? – Sie will einen Schulterschluss mit den Hauseigentümern, die in der CDU sind, um Leihstimmen für die Bundestagswahl zu bekommen.

Was zeigt die FDP damit? – Sie zeigt vor allen Dingen, dass ihr die Probleme von Menschen am Mietmarkt egal sind, Herr Rasche. Was zeigt sie noch? – Sie zeigt, dass sie einen ideologischen Kampf gegen Marktregulierung führt. Das zeigt gleichzeitig, dass der Geist der Deregulierung bei Ihnen immer noch die politische Richtung vorgibt, auch wenn Sie ab und an die mitfühlenden Liberalen geben.

(Jochen Ott [SPD]: Aber nur für Bambis!)

Im Grundsatz zeigt das, dass Sie aus dem Marktversagen, das in der Finanzkrise so deutlich geworden ist, nichts gelernt haben. Es ist die Verteidigung purer Ideologie ohne ein wirksames politisches Konzept. Das ist Ihr Programm.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der Wohnungsmarkt reguliert sich nicht selbst. Die Marktakteure sind gar nicht auf gleicher Ebene.

(Jochen Ott [SPD]: Die sind nur von den Grünen reguliert!)

Es gibt keine Freiheit der Marktakteure auf der Mieterinnenseite, sich auf einem Wohnungsmarkt mit hoher Nachfrage mit günstigem Wohnraum zu versorgen, weil sich die Marktkräfte nicht selbst regulieren.

(Christof Rasche [FDP]: Deswegen brauchen wir auch mehr Wohnungen!)

Das ist auch ein Grund, warum wir an der Stelle schon einen hoch regulierten Markt haben. Es geht überhaupt nicht so, wie Sie sich das vorstellen. Die Menschen in den Ballungsräumen in Deutschland stehen doch Schlange vor vermietbaren Wohnungen.

(Christof Rasche [FDP]: Sie lassen doch keine Wohnungen zu! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD] – Gegenruf von Christof Rasche [FDP])

– Wenn sich die Herren miteinander unterhalten wollen, dann vielleicht draußen.

(Christof Rasche [FDP]: Das ist auf jeden Fall interessanter!)

– Ja, sicher ist das interessanter.

Vizepräsident Daniel Düngel: Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf, Frau Kollegin Schneckenburger. Mir geht es eigentlich ganz ähnlich: Das Zwiegespräch zwischen dem Kollegen Rasche und dem Kollegen Ott kann doch auch am Rande irgendwo stattfinden. Dann können wir alle Frau Schneckenburger weiter zuhören. – Bitte schön.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Das verschiebt die Marktmacht doch ganz gefährlich zulasten der Mieter und Mieterinnen. Und es gibt eine systembedingte Marktasymmetrie. Die kann man nicht mal so schnell auflösen. Das liegt daran, dass Bauen Zeit braucht. Darum braucht es einen Schutzschirm für Mieterinnen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Das hat sogar die Kanzlerin erkannt. Nach Jahren der Blockade sagt die Kanzlerin kurz vor der Bundestagswahl: Es gibt ein Problem am Mietwohnungsmarkt in Deutschland. Es gibt Menschen, die müssen steigende Mieten in Kauf nehmen, die müssen mehr als 50 % ihres Haushaltseinkommens für ihre Miete aufbringen. Das ist eine gefährliche Asymmetrie. Also brauchen wir eine Mietpreisbremse.

(Jochen Ott [SPD]: Und dann kam Schemmer!)

Das finde ich sehr interessant, weil sich Herr Schemmer vorhin von Mietpreisbremsen abgesetzt hat. Ihre Kanzlerin hat es erkannt. Die CDU hat aber immer ideologisch verbohrt dagegen gekämpft. Sie führen ideologische Schaukämpfe.

Was hingegen haben wir getan? – Wir haben Folgendes getan: Wir haben die Investitionsbremsen gelockert,

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

zum Beispiel durch attraktivere Förderbedingungen für geförderten Wohnraum. Das wirkt, Herr Rasche. Sie werden es sehen.

Wir haben dafür gesorgt, dass die Bewilligungsmiete in den Ballungsräumen für geförderten Wohnraum erhöht werden kann. Das wirkt. Die Mittel fließen auch ab. Es wird wieder geförderter Wohnraum in Nordrhein-Westfalen gebaut.

Wir haben unsere Bodenpolitik auf die Mietentwicklung ausgerichtet. Wir haben durch einen Haushaltsantrag in diesem Landtag vor wenigen Monaten dafür gesorgt, dass es möglich ist, Grundstücke des Landes zu kaufen, an Bauwillige mit einer Bindung für geförderten Wohnraum abzugeben. Wenn Sie sich daran beteiligen würden, dass die Kommunen das auch noch machen und dies in ihren Satzungsbeschlüssen ermöglichen, dann hätten wir eine andere Bodenpolitik in Nordrhein-Westfalen. Das wirkt. Auf der Ulmer Höh in Düsseldorf kann man das bereits sehen.

Es geht nicht darum, ideologischen Dunst zu produzieren, sondern es muss darum gehen, gemeinsam das zu tun, was man als Land beeinflussen kann. Das haben wir mit ganz entscheidenden Stellschrauben bereits getan. In Nordrhein-Westfalen wird wieder gebaut. Und wir haben im Landtag Anträge zum Thema „Mietpreisbremse“ beschlossen.

Ich finde es gut, dass die Kanzlerin Einsicht gezeigt hat.

An Sie, Herr Schemmer, nur noch mal der zarte Hinweis: Wenn man eine Mietpreisbremse in einem Land umsetzt, dann muss es rechtssicher geschehen. Von daher finde ich es sehr vernünftig, dass die Landesregierung entsprechende Gutachten in Auftrag gegeben hat. Denn wir haben ein hohes Interesse daran, dass solch eine Mietpreisbremse in Nordrhein-Westfalen rechtssicher ausgestaltet wird.

Rot-Grün hat für die Mieterinnen und Mieter in Nordrhein-Westfalen gehandelt. Wir haben die richtigen Stellschrauben betätigt. Ich freue mich, dass sich offensichtlich die CDU auf Bundesebene vor der Bundestagswahl dieser Einsicht annähert.

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin Schneckenburger, der Kollege Schemmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Ja, gerne.

Vizepräsident Daniel Düngel: Bitte sehr, Herr Kollege Schemmer.

Bernhard Schemmer (CDU): Frau Kollegin Schneckenburger, der Landtag in Bayern hat die 15%ige Mietpreisgrenze für bestimmte Regionen mit Zustimmung der Grünen-Fraktion im Landtag festgelegt. Meine Frage: Gehen Sie davon aus, dass diese Verordnung mit Zustimmung der Grünen im Bayerischen Landtag rechtswidrig beschlossen worden ist?

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Wir werden sehen, ob der Landtag in Bayern eine rechtssichere Verordnung gemacht hat. Das wird sich im Verlauf des Verfahrens zeigen. Ich bin aber sehr sicher, dass die grünen Kolleginnen und Kollegen der Absicht der Bayerischen Staatsregierung berechtigt zugestimmt haben, denn es ist sehr notwendig gewesen, dass sie in Bayern handeln. Das hätten Ihre Schwesterpartei und die FDP in Bayern schon längst tun können. Es gibt bekanntermaßen einen Hotspot in München. In München allerdings wird seit Jahren eine sozialorientierte Bodenpolitik betrieben. Nur die Staatsregierung hat bislang entsprechendes Handeln vermissen lassen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt der Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Ich habe mich über den Antrag der FDP zur Entfesselung der Wohnungsmärkte sehr gefreut. Alle anderen Fraktionen und Parteien überall im Land haben die Mieter für sich entdeckt und werben im Wahljahr mit dem Recht auf bezahlbaren Wohnraum, als ob der derzeit grassierende Mangel über uns gekommen wäre wie eine Jahrhundertflut – unerwartet und unvorhersehbar. Das ist schon für die Jahrhundertflut nicht wahr, für diese Misere an den Wohnungsmärkten trifft es erst recht nicht zu.

Aber unter den gegebenen politischen Bedingungen ist das Thema nach dem 22. September sowieso wieder vom Tisch. Konzepte liegen jedenfalls nicht vor. Lieber werden Anträge der Piraten zur Vermeidung von Wohnraumzweckentfremdung als sozialistisches Teufelswerk bezeichnet. Das ist grotesk!

Da tut es gut, mal wieder einen Antrag in die Hände zu bekommen, der an guten alten ideologischen Wahrheiten festhält: Der Markt wird es richten, wenn man ihn nur lässt. – In eleganter und von jeder empirischer Erkenntnis absehender Weise wird das Hohelied der Angebotstheorie gesungen, als ob sich der Wohnungsmarkt in nichts vom Luftmatratzenmarkt unterscheidet.

Okay, in dieser Welt können wirtschaftliche Aktivitäten von privaten Anbietern wohl überhaupt nur dann gedacht werden, wenn sie gewinnversprechend sind. Da könnten Anreizsysteme dazu beitragen, das Angebot auszuweiten. Inwieweit sich ein solcher staatlicher Eingriff mit der Maxime der FDP des sich selbst regulierenden Marktes verträgt, sei dahingestellt.

Die implizierte Unterstellung jedoch, dies sei in der Vergangenheit nicht geschehen, ist abenteuerlich. Nur zur Erinnerung: In unterschiedlichsten Farbgebungen haben Bundes- und Landesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem diese Initiativen ergriffen: Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit, Liberalisierung der Kapitalmärkte, Abschaffung der Kapitalverkehrsteuer, Zulassung von Hedgefonds, Verzicht auf 35 Milliarden € durch großzügige Steuerbefreiung der großen Wohnungsunternehmen, weitreichende Entwertung der Wohnungsaufsicht, Abschaffung des Wohnungszweckentfremdungsverbotes, faktischer Ausstieg aus der Wohnraumförderung.

Diese Liste ließe sich problemlos verlängern. Alle Aktivitäten sind absolut verträglich mit den bekannten FDP-Positionen. Im vorliegenden Antrag werden sie nur ein weiteres Mal aufgekocht. Bekömmlicher werden sie dadurch nicht.

Der Reihe nach: Die FDP behauptet pauschal einen Wohnungsmangel in den Wachstumsregionen unseres Landes. Tatsächlich haben wir es aber zunehmend mit einem Mangel an bezahlbaren Wohnungen zu tun – und dies eben nicht nur in den wenigen Wachstumsregionen, sondern in immer mehr Städten, auch in den stagnierenden und schrumpfenden. Offensichtlich hat die FDP das Problem noch nicht in seiner ganzen sozialen Brisanz erkannt. Vielleicht kann sie es aber auch aufgrund ihrer ideologisch begründeten Sehbehinderung gar nicht erkennen.

Ja, in Köln, Düsseldorf, Bonn und wenigen anderen Städten gibt es insgesamt nicht genug Wohnraum. Das Schaffen von Anreizsystemen jedoch, die es Investoren schmackhaft machen sollen, am oberen Preisrand des Marktes weitere Angebote zu generieren, würde erstens die vollkommen falschen Signale setzen und zweitens die beschränkten öffentlichen Mittel in skandalöser Weise falsch einsetzen.

Wer heute, im Jahr 2013, wirklich noch daran glaubt, dass durch die magischen Mechanismen des Marktes die oben geschaffenen Angebote letztendlich auch denen am anderen Ende des Marktes zugutekommen, zeigt vor allem eines: seine entwickelte Fähigkeit, jeden empirischen Befund zu ignorieren. In der höflichen Sprache dieses Parlaments: Das ist nicht zielführend.

Was wir brauchen, ist die Entdeckung bzw. Wiederentdeckung einer Wohnungspolitik, die an der Überzeugung ansetzt, dass eine an den gesellschaftlichen und individuellen Bedarfen orientierte Versorgung mit zeitgemäßem Wohnraum eben keine Wohnungsmarktpolitik ist. Wir können auf Margarine ausweichen, wenn uns Butter zu teuer ist. Wir können Samsung statt Apple wählen, wenn uns danach ist. Gegebenenfalls können wir auf beides verzichten. Aber versuchen Sie doch mal, nicht zu wohnen! Weil das eben nicht geht, ist es fatal und falsch, so zu tun, als sei der Wohnungsmarkt ein Markt wie jeder andere auch.

Es handelt sich um einen Kernbereich der Daseinsvorsorge. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Recht auf Wohnen ist ein Kernelement würdevollen Lebens. Würde lässt sich nun mal nicht in Kaufkraft messen. Wir brauchen also keine Anreizsysteme für Investoren, sondern die Einsicht, dass Wohnen keine Ware wie jede andere ist. Angemessener Wohnraum ist kein Mechanismus des Marktes, sondern ein Grundrecht.

Aus diesem Grund kann ich meiner Fraktion nur empfehlen, diesen Antrag abzulehnen und dem von uns zusammen mit den Grünen und der SPD gestellten Entschließungsantrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wegner, Sie haben, glaube ich, zutreffend skizziert, welchen Horizont wir einbeziehen müssten, wenn wir die Perspektiven der Wohn- und Sozialraumförderung in Nordrhein-Westfalen angemessen diskutieren wollten.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Das geht jedenfalls nicht mit einem solchen Antrag, wie er von der FDP hier vorgelegt wurde.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Schemmer, ich möchte vorab die Lanze für Sie brechen und hier ganz deutlich meiner Überzeugung Ausdruck verleihen: Im Gegensatz zur Frau Bundeskanzlerin sind Sie ein waschechter Konservativer des Herzens. Das haben wir heute wieder festgestellt.

(Beifall von der SPD – Gordan Dudas [SPD]: Meinen Sie!)

Zur Entfesselung selbst: Die Mieterinnen und Mieter in Nordrhein-Westfalen haben bei den 92.000 LEG-Wohnungen ja gemerkt, was Sie unter Entfesselung verstehen. „Privat vor Staat“ war auch so eine Entfesselungskunst, die letztendlich jedenfalls unter sozialen Gesichtspunkten gescheitert ist und der selbst Sie jetzt nicht mehr frönen, Herr Kollege Schemmer.

(Beifall von der SPD)

Was die Abschreibungsfähigkeit angeht, werden wir doch wohl gemeinsam feststellen, dass die Abschreibungen zwar Investorenwunsch sind, aber für viele Kleininvestoren auch das Wehe waren. Sie kennen doch genauso wie ich die bunten Blätter, in denen prominente Schauspieler und andere mit Heulen und Zähneklappern schildern, dass sie auf Abschreibungsruinen sitzen geblieben sind. Diese Ruinen türmen sich doch nicht nur im Osten auf. Die Betroffenen sind im Grunde Opfer einer völlig verfehlten Abschreibungspolitik. Dieser Politik dürfen wir hier doch nicht das Wort reden, Herr Kollege Schemmer und Herr Kollege Rasche.

(Beifall von der SPD)

Dieses Problem beruht insbesondere auf der räumlichen Undifferenziert­heit bei diesen Abschreibungsmodellen – neben dem Sich-auf-die-Schultern-der-Länder-Entlasten; denn die Länder sollten die Zeche bezahlen. Das ist nicht solide.

Bei den Diskussionen hier und heute hat man gemerkt, dass der Bundestagswahlkampf zum Dezemberfieber im Sommer führt. Warum? Weil nach dreidreiviertel Jahren Vollgas in die falsche Richtung jetzt auf einmal die Kehrtwende gemacht wird. Links blinken, rechts abbiegen bleibt aber politische Geisterfahrt – auch auf den letzten 100 m.

(Beifall von der SPD)

Nichts anderes ist doch der Merkel-Vorschlag zur Mietbremse. Sie haben gerade deutlich gemacht, wie leidenschaftlich Sie dieses Projekt, das ja durch die Konsensnotwendigkeiten innerhalb der CDU verstümmelt wurde, verteidigen.

Wir haben erlebt, dass Herr Ramsauer kurz vor Toresschluss auf einmal sein Herz, aber nicht die Förderung für studentischen Wohnraum entdeckt.

Wir haben erlebt, dass unser Land zwar Mieterland ist, dass die Mietrechtsänderung der Bundesregierung letztendlich aber ein Vermieterschutzgesetz und kein Mieterschutzgesetz war.

(Beifall von der SPD)

Das ist ein großer, qualifizierter Unterschied zwischen den regierungstragenden Fraktionen und Ihnen.

Unsere Ziele sind ganz einfach darzustellen. Wir wollen eine Mietobergrenze bei Wiedervermietungen in Höhe von 10 %. Diese Angemessenheitsgrenze muss überall gelten. Außerdem brauchen wir eine Kappungsgrenze von 15 % in vier Jahren statt 20 % in drei Jahren.

Kollege Schemmer, was den Bayerischen Landtag angeht, ist Folgendes zu sagen: Wenn ich eine solche Landtagswahl im Nacken hätte, würde ich vielleicht auch auf die Vergabekriterien verzichten, die wir uns als Landtag zu eigen gemacht haben. Ich habe im Ausschuss breit darüber berichtet, dass wir ein ganz solides Vergabeverfahren durchführen, das von A bis Z gerichtsfest ist. Deshalb haben wir sieben Büros aufgefordert, uns ein Angebot zu unterbreiten. Wir entscheiden uns jetzt für eins und werden dann Zug um Zug, wie im Ausschuss berichtet und beschlossen, genau das machen, was Ihre Bundesregierung uns als bürokratisches Monster auf die Schultern gelegt hat. Einfacher wäre anders.

(Beifall von der SPD)

Nächster Punkt: Wir in Nordrhein-Westfalen handeln. Sie sollten doch stolz auf die Erfolge sein, die wir gemeinsam erzielt haben. Wir haben zusammen mit Bremen einen großen Erfolg im Kampf gegen die Schrottimmobilien erzielt.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Wir sind dabei, ein Wohnungsaufsichtsgesetz des Landes zu formulieren, das wirksam ist, Wohnungspolizei für Städte und realen Mieterschutz auch in schwierigen Quartieren bedeutet.

(Beifall von der SPD)

Und wir haben mit einem neuen Bündnis für Wohnen, an dem die Wohnungswirtschaft, der Mieterbund und die NRW-Bank beteiligt sind, eines erreicht: Wir haben gemeinsam die völlig unzeitgemäßen Förderkriterien und ?kulissen so verändert, dass sich jetzt ein Fördererfolg einstellt. Ich werde im Ausschuss darüber berichten, wie erfolgreich unsere neue Mietwohnungsförderung ist.

Ich darf Ihnen versichern – wir bleiben dabei, Kollege Schemmer –: Es wird nie mehr so viele Mitnahmeeffekte bei der Eigentumsförderung mit Steuer- und Fördergeld geben, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Das war nämlich auch eine Form von Sozialmissbrauch.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir wollen, dass Mietermärkte gestärkt werden und soziales Wohnen geschützt wird. Die Fördererfolge geben uns recht. Wir haben den BLB bei seiner Grundstückspolitik auf die Höhe der Zeit gebracht. Und wir haben erreicht, dass kommunale Mitverantwortung wieder ganz anders diskutiert wird. Denn wir haben beispielhaft Düsseldorf wachgeküsst und an die kommunale soziale Wohnraumförderpolitik und -verantwortung erinnert. Das ist ein Schritt in die Richtung, wenn jetzt eine erste Bewegung in Düsseldorf zu verzeichnen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Alles in allem, Strich darunter: weniger Wahlkampf, mehr Nachhaltigkeit. Ich darf Ihnen versprechen, wir bleiben bis zum Ende der Wahlperiode dabei: Quartierförderung, Sozialraumförderung statt stupider ausschließlicher Wohnraumförderung ist das politische Credo dieser Koalition. Und das ist auch gut so.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Monika Pieper [PIRATEN])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister, vor allen Dingen für das schöne Bild „Düsseldorf wachküssen“, das mir gefallen hat.

(Jochen Ott [SPD]: Das war schwer!)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens über den Antrag der FDP Drucksache 16/3238 ab. Die Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die FDP-Fraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne, Piraten und CDU. Gibt es Enthaltungen im Hohen Haus? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 16/3310 – zweiter Neudruck. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD, Grüne, Piratenfraktion. – Wer stimmt dagegen? – CDU-Fraktion, FDP-Fraktion. Gibt es Enthaltungen? – Keine Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag mit breiter Mehrheit angenommen.

Wir stimmen drittens über den Entschließungsantrag der CDU Drucksache 16/3339 ab. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, FDP und einige Abgeordnete der Piraten. Wer enthält sich? – Vereinzelte Enthaltungen der Piraten. Wir nehmen das differenzierte Abstimmungsverhalten zur Kenntnis; es ändert nichts am Ergebnis. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

3   Haushaltssanierung in NRW nicht durch unseriöse Politik der Bundesregierung gefährden

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/3227

Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Zimkeit das Wort.

Stefan Zimkeit (SPD): Ich bin es aus Oberhausen gewöhnt, nach Mike Groschek zu reden; das ist allerdings immer besonders anspruchsvoll. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann hat gestern vor diesem Hohen Haus wieder einmal die Mär der soliden Haushaltsführung des Bundes vorgetragen. Die neuen Wahlkampfversprechen der CDU zeigen in aller Deutlichkeit, dass es mit dieser soliden Haushaltsführung nicht weit her ist. Das Allerschlimmste an den Vorschlägen ist, dass die Bundes-CDU ihre Versprechen auf Kosten Dritter finanzieren will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Für NRW und seine Kommunen ist dies besonders dramatisch. Das Land müsste mindestens 700 Millionen € für die Umsetzung dieser Wahlkampfversprechen zur Verfügung stellen. Da wir die Forderung der CDU schon kennen, solche Mindereinnahmen aus dem Haushalt zu finanzieren, muss man die Dimension klarmachen: Wir reden hier über 14.000 Stellen im Landesdienst.

Ich frage die Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die ja jetzt schon 6.000 Lehrerstellen und 1.100 Stellen bei der Polizei streichen wollen: Wollen Sie im Ernst weitere 14.000 Stellen im Landeshaushalt streichen, nur damit eine kleine Gruppe von Besserverdienenden von einem erhöhten Kinderfreibetrag profitiert? Ist das Ihre politische Herangehensweise?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist schlecht für NRW, und das muss verhindert werden.

(Ralf Witzel [FDP]): Ihre Schuldenpolitik ist schlecht für unser Land!)

Damit nicht genug – zum Schuldenabbau auf Bundesebene kommen wir gleich –: Sie wollen gleichzeitig 250 Millionen € auf Kosten der Kommunen in NRW finanzieren. Wir waren uns doch in diesem Hause einmal einig, dass die Kommunen insbesondere in Nordrhein-Westfalen mehr Unterstützung brauchen. Jetzt legen Sie wieder Vorschläge auf den Tisch, die Kommunen zusätzlich zu belasten. Das darf nicht passieren; das ist nicht im Interesse der Kommunen und des Landes Nordrhein-Westfalen.

Besonders dramatisch ist, dass zur Finanzierung dieser Wahlversprechen, die die Länder und Kommunen leisten sollen, keine weiteren Finanzierungsvorschläge auf den Tisch gelegt werden. 25 Milliarden € würde die Umsetzung dieser Forderungen mindestens kosten. 25 Milliarden ohne Gegenfinanzierung, das heißt doch de facto: 25 Milliarden neue Schulden. Das ist unsolide und schlecht für die öffentlichen Haushalte, und das muss verhindert werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang ein paar Fakten zur Mär der soliden Haushaltsführung des Bundes: 2013 macht der Bund 17,1 Milliarden neue Schulden. Das ist mehr als 2011, kein sinkender Pfad wie in Nordrhein-Westfalen, sondern eine Steigerung.

Insgesamt hat der Bund in dieser Legislaturperiode 100 Milliarden neue Schulden gemacht. Das ist doch keine solide Haushaltspolitik. Uns das als Beispiel für die Haushaltspolitik Nordrhein-Westfalens vorzuführen ist absurd. Das ist nur ein Beispiel für immer neue Schuldenrekorde.

Doch versuchen wir mal, das Positive an den Vorschlägen der CDU zu sehen. Die Bundes-CDU hat immerhin erkannt, dass Investitionen in Kinder und Familien dringend notwendig und sinnvoll sind. So weit, so gut. Leider setzen Sie bei Ihren Vorschlägen die völlig falschen Schwerpunkte.

Sie wollen das Kindergeld erhöhen, obwohl eine eigene Studie der Bundesregierung deutlich sagt, das ist finanzpolitisch sinnlos. Sie wollen den Kinderfreibetrag erhöhen und damit weiterhin Kinder von Besserverdienenden gegenüber Kindern aus Familien mit geringeren Einkommen bevorteilen und Ungleichheit schaffen. Sie haben das Betreuungsgeld eingeführt, statt in Kindertageseinrichtungen zu investieren. Das ist keine Politik im Sinne der Kinder in Nordrhein-Westfalen, sondern eine Kehrtwende zur Familienpolitik der 60er-Jahre.

(Beifall von der SPD)

Herr Laschet – der leider nicht da ist – hat einmal versucht, der Familienpolitik der CDU in Nordrhein-Westfalen wenigstens einen modernen Anstrich zu geben. Aber dieses Vorhaben ist anscheinend aufgegeben worden. Von diesem Vorhaben ist der Lack ab. Sonst müsste die CDU in NRW ja erhebliche Widerstände gegen diese familienpolitische Kehrtwende leisten.

Aber nehmen wir einmal an, die finanziellen Spielräume für familienpolitische Maßnahmen seien da. Dann sollte man sie doch zumindest vernünftig nutzen. Sie sind im Moment auf der Bundesebene dabei, die Schulsozialarbeit in diesem Land zu zerschlagen. Hier wird konkrete Hilfe für Schulen, für Kinder und für Familien geleistet. Hier wird in allen Städten NRWs konkrete Unterstützung für Chancengleichheit geleistet.

Dies sind sinnvolle Maßnahmen, die funktionieren. Aber diese Maßnahmen zerschlagen Sie mit dem Argument, es sei kein Geld da, um neue unsinnige Maßnahmen zu ergreifen. Das ist nicht gut für Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Oder der Ausbau von U3-Plätzen: Alle in diesem Haus sagen zu Recht immer wieder: Wir brauchen mehr Plätze im U3-Bereich, und wir müssen gleichzeitig die Qualität verbessern. – Hier gilt es, zu handeln, und hier gilt es, zu investieren, damit wir in NRW eine vernünftige Kinder- und Jugendpolitik fortführen können.

Lassen Sie mich noch mal auf die soliden Finanzen zurückkommen. Ja, es ist richtig, in Bildung und für Chancengleichheit zu investieren. Mehr Geld für Kitas, flächendeckende Ganztagsangebote, Gebührenfreiheit für Kitas und die Fortführung der Schulsozialarbeit – das wären richtige Zukunftsinvestitionen. Aber dazu gehört, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Und die Wahrheit ist, dass es das nicht zum Nulltarif gibt und dass gegenfinanziert werden muss.

Deswegen hat die SPD für ihre Vorschläge auch Gegenfinanzierungsvorschläge vorgelegt. Wir sagen:

(Ralf Witzel [FDP]: Alles umverteilen!)

Große Einkommen und große Vermögen müssen herangezogen werden, um diese notwendigen Investitionen tätigen zu können.

Jetzt wiederholen Sie den Zwischenruf; dann kann ich vielleicht auch etwas dazu sagen.

(Ralf Witzel [FDP]: Immer mehr Umverteilung wollen Sie!)

– Genau. Wir wollen immer mehr umverteilen, weil wir wissen, dass die Reichen hier immer reicher werden und die Armen immer armer. Deswegen ist eine Umverteilung zugunsten von Kindern und Bildung auch richtig.

(Beifall von der SPD)

Aber wenn wir bei der Gegenfinanzierung sind, sind wir auch beim Stichwort „Wahrheit“. Es stellt sich doch die Frage: Meinen Sie Ihre Wahlversprechen eigentlich ernst, und wollen Sie die umsetzen? – Dass Sie zu Wahlversprechen eher ein populistisches Verhältnis haben, zeigen Sie in den Diskussionen im Landtag ständig. Als Rot-Grün seine Wahlversprechen hier eins zu eins abgearbeitet hat – Abschaffung der Studiengebühren, Beitragsfreiheit im letzten Kindergartenjahr –, waren Sie nicht nur verwundert, sondern haben es auch kritisiert. Das zeigt doch, was für ein Verhältnis Sie zu Wahlversprechen haben. Sie haben augenscheinlich gar nicht vor, diese umzusetzen.

Das steht auch in der Tradition der Versprechen der Regierungskoalition aus dem Jahr 2009. Sie haben damals gemeinsam mit der FDP versprochen, die Steuern für die Menschen in Nordrhein-Westfalen und in der ganzen Bundesrepublik zu senken. Gesenkt worden sind aber ausschließlich die Steuern für Hoteliers. Das zeigt, wie Sie mit Wahlversprechen umgehen.

(Beifall von der SPD)

Herr Lauk, der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, bringt es selbst auf den Punkt: Wahlversprechen sind das, was Parteien vor der Wahl versprechen, um gewählt zu werden. – Selbst ihre eigenen Funktionäre glauben Frau Merkel nicht, was sie da sagt.

(Beifall von der SPD – Christof Rasche [FDP]: Kollege Müntefering hat einmal erklärt, was Wahlversprechen sind!)

– Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt zwei Varianten: Entweder Sie nehmen Ihre Versprechungen ernst – dann ist es finanziell unsolide, familienpolitisch unsinnig und auf Kosten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen, und das wäre schlecht für unser Land. Oder Sie meinen es nicht ernst – dann ist es Wahlbetrug mit Ansage.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Zimkeit. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute mit großem Interesse in der „Rheinischen Post“ ein Interview mit Herrn Laschet gelesen. Zusammenfassend kann ich nur sagen: Es pendelt zwischen Schamlosigkeit und Unglaubwürdigkeit, was dort niedergelegt ist.

Der Kollege Laschet gibt von sich, dass man bei der Bundestagswahl die CDU wählen müsse, um den Irrsinn bei der Inklusion zu stoppen. Diesen sachpolitischen Zusammenhang, Herr Kollege Laschet, soll man mir mal erklären: was die Bundesregierung an den Inklusionsumsetzungsprozessen in Nordrhein-Westfalen ändert, wenn die CDU dort mehr Stimmen bekommt.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Schamlos ist das! Auf dem Rücken der Kinder!)

Das Zweite ist: Er wolle den Irrsinn beenden, die Parallelstrukturen funktionierender Förderschulen abzuschaffen.

Ein Weiteres verspricht Herr Laschet in seinem Statement zur Bundestagswahl: dass die Bundestagswahl eine Quittung für die SPD und die Grünen für ihre Regelung zur Beamtenbesoldung werden soll. Der CDU ist offensichtlich jedes Mittel, jede Nebelkerze recht, um Bundestagswahlkampf zu machen. Das werde ich Ihnen jetzt auch anhand der Versprechungen der Bundeskanzlerin nachweisen.

Die Bundeskanzlerin hat gegenüber der Bevölkerung Versprechungen im Gegenwert von 28 Milliarden € gemacht.

(Beifall von der CDU)

Noch am selben Tag ist der Fraktionsvorsitzende der CDU, Volker Kauder, zurückgerudert und hat gesagt: Das steht alles unter Finanzierungsvorbehalt. – Na, das ist ja Methode Optendrenk und Fachpolitiker der CDU in Nordrhein-Westfalen: Man beschließt ein Finanzkonzept, in dem man scheinbar Minderausgaben vereinbart, um dann die Fachpolitiker rufen zu lassen: Stimmt alles gar nicht, wir machen das alles anders, wir versprechen Euch das Blaue, Grüne und Violette vom Himmel herunter.

Mit einer weiteren Mär, die sehr interessant ist, möchte ich an dieser Stelle aufräumen: Die FDP spricht immer davon, SPD und Grüne wollten die Mitte der Gesellschaft treffen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist ihr Ziel und ihr Programm!)

– Genau, Herr Witzel. – Wissen Sie, wo die Mitte der Gesellschaft anfängt? Kitagebühren wollen Sie ab einem Single-Einkommen von 14.000 € erheben.

Sie wollen Studiengebühren unmittelbar und unabhängig vom Einkommen der Eltern erheben. Ist das nicht die Mitte der Gesellschaft, frage ich Sie, Herr Kollege Witzel? Sind das alles Besserverdienende, Herr Kollege Witzel?

(Christof Rasche [FDP]: Für eigene Leistung, aber nicht für Umverteilung!)

– Genau: für eigene Leistung, nicht für Umverteilung! – Gleichzeitig schreiben Sie Wunschzettel. Bei der letzten Bundestagswahl haben Sie eine Steuerentlastung in Höhe von 24 Milliarden € versprochen. Der Bundesfinanzminister hat ausgerechnet, was Ihre Versprechungen tatsächlich kosten würden, und kam auf Beträge von 60 bis 70 Milliarden €. Mehrbelastung für Nordrhein-Westfalen: zwischen 7 Milliarden und 8 Milliarden €! Das sind Prioritätensetzungen Marke FDP. Gott sei Dank hat die CDU sie – nicht ganz freiwillig, weil der Bundesrat da auch noch ein Wort mitgesprochen hat – daran gehindert.

Was aber haben Sie in den Jahren 2005 bis 2013 tatsächlich umgesetzt? – Sie haben ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz gemacht, das Nordrhein-Westfalen jedes Jahr 1 Milliarde € kostet. Sie haben zwei Konjunkturpakete geschnürt. Außerdem haben Sie ein Bürgerentlastungsgesetz geschnürt, das Nordrhein-Westfalen – rechnet man die Kommunen mit ein – in Höhe von 3 Milliarden bis 5 Milliarden € belastet. Das heißt, Nordrhein-Westfalen muss für diese Wahlversprechen immer noch über 3 Milliarden € zahlen.

(Ralf Witzel [FDP]: Wir haben doch Rekordsteuereinnahmen!)

– Ja, wir haben historische Steuereinnahmen. Deswegen macht der Bund auch immer mehr Schulden.

Und wir haben jetzt eine CDU im Bund, die wieder Versprechungen in einer Größenordnung von 30 Milliarden € macht. Der Kollege Zimkeit hat eben gesagt, dass das 25 Milliarden € mehr Schulden bedeuten könnte. Ich sage: Die Schulden von heute sind in aller Regel die Steuerverpflichtungen von morgen. – Das predigt Herr Witzel ja immer. Ich gehe davon aus, dass diese 25 Milliarden € diesen Landeshaushalt über den Umweg der Umsatzsteuerverteilung und andere Beteiligungen des Bundes wieder treffen werden. Dann haben wir ein Paket von bis zu 3 Milliarden €, das dieser Landeshaushalt zusätzlich tragen soll.

Dann machen Sie eine Umverteilung zulasten von Studierenden, von Schülerinnen und Schülern sowie von anderen Leistungen, die in diesem Landeshaushalt gestrichen werden müssen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich finde, es ist schon ein starkes Stück, dass sich diese Kanzlerin so erdreistet und sagt: Wir versprechen 30 Milliarden €, und ich muss nicht sagen, wo die herkommen! – Sie geht sogar noch einen Schritt weiter. Das machen Sie ja auch, Herr Witzel. Sie sagen: Wir versprechen nicht nur diese 30 Milliarden €, sondern wir sind auch dagegen, dass man im Steuerkonzept das tut, was Grüne vor der Wahl sagen, nämlich Besserverdienende ab einer Größenordnung von 80.000 € Single-Einkommen etwas stärker zu belasten und den Spitzensteuersatz anzuheben.

Die wichtigeren Bausteine: Wir müssen auch Vermögende und Erben großer Vermögen stärker belasten – das betrifft eine Bevölkerungsgruppe, die kleiner ist als 8 % der Gesamtbevölkerung –, um a) die Bildung usw. finanzieren zu können und b) die Single-Einkommen bis 60.000 € – das lassen Sie auch immer unerwähnt – entlasten zu können.

Wir sind die Partei, die den Mittelstand, die Mitte der Gesellschaft entlastet, und zwar a) beim Einkommen und b) vor allem bei den staatlichen Leistungen, die zwingend erforderlich sind: bei Infrastruktur, besserer Bildung, auch bei Umweltschutz und sozialen Leistungen.

Die FDP ist die Partei, die Bestellungen aufgibt – die CDU schließt sich massiv an –, will aber an der Kasse nicht bezahlen und sagt gleichzeitig: Die Kleinen in der Gesellschaft müssen das bezahlen. Sie sind diejenigen, die die Kleinen in der Gesellschaft mit höheren Steuern und höherer Staatsverschuldung belasten werden. Das ist das Ergebnis dieser Politik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Immer gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Müller.

Holger Müller (CDU): Schönen Dank. – Lieber Herr Mostofizadeh, wenn das doch alles so schrecklich ist, wie Sie das meinen, dann erklären Sie mir doch bitte mal die Diskrepanz zwischen Ihrem Schreckensszenario und der Tatsache, dass Deutschland in Europa wirtschaftlich am besten dasteht.

(Beifall von der CDU)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Müller, ehrlich gesagt verstehe ich Ihre Frage nicht so ganz.

(Lachen von der CDU und der FDP)

Ich werde Ihnen das jetzt auch noch mal darlegen. Wenn das so wäre, dann frage ich mich, warum wir uns gestern darüber …

(Christof Rasche [FDP]: Wie? „Wenn das so wäre …!“)

– Geht‘s Ihnen gut? Sie können den Knopf drücken und noch eine Zwischenfrage stellen. Ich antworte jetzt Herrn Müller.

Das ist ja unbestritten so. Das ist nicht der Punkt.

(Christof Rasche [FDP]: Aha!)

– Entschuldigung Herr Rasche, dass ich an dem vorbeiformuliert habe, was Sie gerne gehört hätten.

Ich unterstelle, dass es Deutschland in Europa bestens geht, im Übrigen zum Beispiel auch deswegen, weil Deutschland im europäischen Vergleich die niedrigsten Zinsen zahlen muss, deutlich weniger als Griechenland und andere Staaten, weil wir – im Gegensatz zu dem, was die FDP vorträgt – eine solide Staatsverschuldung haben. – Das ist Punkt 1.

Punkt 2: Trotzdem kritisieren CDU und FDP – das ist Ihr gutes Recht – diese Landesregierung immer für ihre Haushaltspolitik. Aber soweit ich orientiert bin, ist Nordrhein-Westfalen Teil von Europa und damit auch Teil von Deutschland. Insofern habe ich – das wollte ich damit ausdrücken – die Rhetorik dieser Frage nicht ganz verstanden.

Es wird doch erlaubt sein, Herr Kollege Müller, klarzustellen, wo auch in einem guten Umfeld wir Grünen einen besseren Weg sehen, als die CDU ihn vorschlägt.

Was daran schrecklich ist, kann ich Ihnen schon sagen: Wenn diese 3 Milliarden € oder auch nur die 700 Millionen € Mehrbelastung real auf unseren Landeshaushalt zukommen, erhöht sich die Nettoneuverschuldung von 3,5 Milliarden € – die ich schon für super schrecklich halte – auf 4,2 Milliarden €. Dann sind wir schon im Bereich der Verfassungsgrenze. Wenn dann noch die Zinsen ansteigen, sind wir jenseits der Verfassungsgrenze.

Und Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wollen das verantworten, ohne darüber nachgedacht zu haben? – Das finde ich ganz schön schrecklich; das muss ich schon zugestehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Da wir gleich möglicherweise noch eine zweite Runde haben, möchte ich jetzt damit schließen, dass sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Ihr Wunschzettel für Nordrhein-Westfalen bald im zweistelligen Milliardenbereich befindet.

Er fängt an mit diesen 3 Milliarden € von der Bundeskanzlerin, geht weiter mit den 710 Millionen € für die Besoldung, 400 Millionen € für Studiengebühren, 350 Millionen € für die Kommunen und unerklärte Größenordnungen im Bereich der Inklusion, die sich im Milliardenbereich bewegen dürften, wenn das stimmt, was Herr Kaiser hier vorgetragen hat.

Ihr Wunschzettel ist schlicht unseriös. Diese Bundesregierung versucht, mit allen Tricks weiter an der Macht zu bleiben. Das werden wir im Bundesrat zu verhindern wissen, aber das kann doch nicht Ziel der Auseinandersetzungen sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, gehen Sie doch zu Frau Kanzlerin Merkel hin und erzählen Sie ihr: Es geht nicht, noch eine oder drei Milliarden € auf diesen Landeshaushalt draufzupacken. Hören Sie doch auf mit diesen Belastungen und sorgen Sie dafür, dass Nordrhein-Westfalen weiterhin solide wirtschaften kann, sonst sind Sie gänzlich unglaubwürdig und unseriös!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Möbius.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag liegen SPD und Grüne in mehrfacher Hinsicht völlig falsch. Die Haushaltssanierung in NRW wird nicht – wie im Titel Ihres Antrags steht – durch eine unseriöse Politik der Bundesregierung gefährdet, sondern durch die unseriöse Finanzpolitik der rot-grünen Landesregierung hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist schon ein dreistes Unterfangen der Koalitionsfraktionen, einen solchen Antrag hier im Landtag zu stellen. Während der Bund die Schuldengrenze zwei Jahre früher als vorgesehen erreicht, machen Sie immer neue Schulden. Wie Sie 2020 die Schuldengrenze in Nordrhein-Westfalen erreichen wollen, das steht vollkommen in den Sternen.

(Zuruf von der SPD)

Sie betreiben keinen Kurs der Haushaltskonsolidierung, sondern verweigern sich in dieser Frage. Dreimal in Folge wurden Ihre Haushalte für verfassungswidrig erklärt. Die Ministerpräsidentin ist die Schuldenkönigin von Deutschland und der Finanzminister der Vollstrecker.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Da ist Frau Merkel aber weit vorne!)

60 %, meine Damen und Herren, der Schulden aller Bundesländer werden von Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Trotzdem kriegen Sie es einfach nicht hin. Sie begehen Wortbruch in der Frage der Beamtenbesoldung, Sie haben nicht ausreichend Geld für die Umsetzung der Inklusion, und Sie rufen bei allen Gelegenheiten nach mehr Mitteln vom Bund.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Christian Möbius (CDU): Ich möchte jetzt hier …

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie möchten im Zusammenhang vortragen. Bitte schön.

Christian Möbius (CDU): Genau, danke schön.

Der Bund betreibt eine verantwortungsvolle Konsolidierungspolitik und sichert dadurch Stabilität und Wachstum. Dieser solide finanzpolitische Kurs führt zu Steuermehreinnahmen, wachsender Beschäftigung und vollen Sozialversicherungskassen. Rekordsteuereinnahmen von mehr als 600 Milliarden € zeigen, dass der Kurs der Bundesregierung der richtige ist.

Auch ohne Änderungen der steuerlichen Rahmengesetze gehen die Steuerschätzer davon aus, dass der Staat im Jahr 2017 über Einnahmen von 700 Milliarden € verfügen wird. Und was machen Sie? – Sie bekommen trotz 6 Milliarden € Steuermehreinnahmen seit 2010 den Landeshaushalt nicht in den Griff. Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis für diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Steuerkonzepte von SPD und Grünen führen zu einem Abwürgen der Konjunktur, geringeren Steuereinnahmen und zu Massenarbeitslosigkeit. Ihnen fällt aber nichts anderes ein als eine gigantische Steuererhöhungsorgie: Abschaffung des Ehegattensplittings, Beibehaltung der kalten Progression, Steuersatzerhöhung, Vermögensteuer wieder einführen, Erbschaftsteuer heraufsetzen, und weil das noch nicht genug ist, wollen Sie auch noch die Sozialversicherungsbeiträge erhöhen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Gute Vorschläge!)

Und Sie wollen weitere Belastungen des Haushalts durch die Einführung von Eurobonds übernehmen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wir halten das für den falschen Weg.

(Beifall von der CDU und der FDP – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Möbius lässt Geld regnen!)

Was Sie mit Ihrer Steuer- und Finanzpolitik planen, ist ein Anschlag auf das Herz unserer Wirtschaft, den Mittelstand und die arbeitende Bevölkerung.

(Beifall von der CDU und der FDP – Ralf Witzel [FDP]: So ist das!)

Sie begreifen einfach nicht, dass unser Staat kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wer das aber bestreitet, der will sich nur vor einer disziplinierten Haushaltspolitik und einer notwendigen Haushaltskonsolidierungspolitik drücken.

Meine Damen und Herren, ich komme zu Ihrem Antrag zurück. Falsch ist in diesem Antrag auch die Behauptung, das Bundesfinanzministerium habe die sogenannten Wahlversprechen der Bundeskanzlerin auf 28,5 Milliarden € geschätzt. Das ist schlicht unwahr. Das Bundesfinanzministerium hat gar nichts berechnet. Das „Handelsblatt“ …

(Martin Börschel [SPD]: Noch schlimmer! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Stimmt alles gar nicht!)

– Hören Sie doch mal zu! – Das „Handelsblatt“ hat in einem Artikel vom 31. Mai die Behauptung aufgestellt, die Wahlaussagen würden diese Summe kosten.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das kostet gar nichts! Ist alles umsonst!)

Dann haben fast alle Journalisten diese Zahl einfach übernommen. Die seriöse „FAZ“ nannte auch die in ihrem Antrag …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das zahlt der Möbius aus Köln allein!)

– Hören Sie doch zu, Herr Mostofizadeh! Ich weiß ja, dass es weh tut.

Die seriöse „FAZ“ nannte die auch in Ihrem Antrag erwähnte Zahl von 28,5 Milliarden € auch – wörtlich – Humbug. Es gibt einen sehr lesenswerten Artikel von Hans-Ulrich Jörges im „Stern“ vom 13.06.2013. Er bezeichnet die unkritische Übernahme dieser Fantasiezahl durch die Journalistenkollegen – so wörtlich – als „gedächtnislosen Rudeljournalismus“.

(Beifall von der CDU)

Weiter geht er in diesem Artikel der Frage nach, was denn an den Aussagen der Bundeskanzlerin so wirklich neu ist. Zutreffend stellt er fest, dass die Mütterrente, die Lebensleistungsrente gegen Altersarmut, die Rentenaufbesserung bei Erwerbsunfähigkeit, die Erhöhung der Steuerfreibeträge für Kinder und die Verstärkung der Investitionen in die Infrastruktur bereits Anfang Dezember des letzten Jahres auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover beschlossen worden sind. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Anfang des Jahres schon öfter in Interviews zu diesen Themen Stellung genommen.

Wo ist also der Neuwert der Information, und weshalb müssen wir uns mit Ihrem Antrag beschäftigen? – Ich kann es Ihnen sagen: Weil Sie ablenken wollen von der Belastungsorgie, die Sie nach der Bundestagswahl planen.

(Beifall von der CDU)

Ein Spruch von Willy Brandt lautet: „Mehr Demokratie wagen.“ – Bei Steinbrück und Trittin hießt es: Mehr Belastung wagen. – Wir halten das für einen Irrweg. Das Geld steht zuvorderst nicht dem Staat zu, sondern den Bürgern.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Was bedeutet Ihre Steuererhöhungskultur konkret für unser Bundesland? – Da bekommen zum Beispiel 80 % der Beamten in NRW nicht nur keine Besoldungserhöhung, sondern den Besserverdienenden ab A13 wollen Sie über Steuererhöhungen sogar noch das Geld aus der Tasche ziehen. Das wird die Bevölkerung und das werden wir am 22. September verhindern. Denn wie heißt so schön das Motto einer Leiharbeitsfirma: „Das Wir entscheidet“. – Bei Ihnen weiß man ja nie genau, ob es gerade das Gabriel-Wir oder das Steinbrück-Wir ist.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gott sei Dank hat die Bevölkerung ein feines Gespür und ist viel weiter, als Sie denken. Die Bevölkerung vertraut dem seriösen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der weltweit angesehenen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei ihnen ist Deutschland in guten Händen, und das wird auch nach dem 22. September so bleiben. – Herzlichen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Das wäre schlecht für uns!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Möbius. – Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Mostofizadeh. Wenn Sie sich eben eindrücken, Herr Kollege, dann kann ich Ihnen für 90 Sekunden das Mikrofon öffnen. Bitte schön.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Möbius, Sie haben vorgetragen, dass Manna vom Himmel fällt; denn ansonsten wäre das ja nicht finanzierbar: 710 Millionen € brauchen Sie für die Besoldung, 400 Millionen € für Kita und Studiengebühren als Gegenfinanzierung, 750 Millionen € für das Kindergeld, 350 Millionen € für den Stärkungspakt, etwa 1 Milliarde € oder sogar noch mehr für den Bereich der Inklusion.

Außerdem wollen Sie den „Anschlag auf das Herz der Gesellschaft“ verhindern. Ich kann Ihnen nur vorschlagen: Wir können gerne gemeinsam …

(Ilka von Boeselager [CDU]: Sie wollten doch eine Frage stellen!)

– Nein, ich brauche keine Frage zu stellen. Sie brauchen nicht dazwischenzureden. – Sie können gerne einmal durchlesen, was im Bundestagswahlprogramm der Grünen steht. Dort steht, dass eine massive Entlastung gerade der kleineren und mittleren Einkommen geplant ist.

Eine Frage möchte ich Ihnen stellen, Herr Möbius: Sind Sie in der Lage, auch nur annähernd zu sagen, was das a) für den Landeshaushalt bedeutet und b) wie Sie das finanzieren wollen? Sie sind nämlich ein Rosstäuscher. Sie versprechen allen alles, ziehen am Pult eine Show ab, setzen sich mit der Sachfrage jedoch nicht auseinander.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird es spannend!)

Christian Möbius (CDU): Herr Kollege Mostofizadeh, ich habe mich sehr wohl mit Ihrem Antrag intensiv auseinandergesetzt. Darum habe ich ja gerade gesagt: Machen Sie hier in Nordrhein-Westfalen endlich einmal eine solide und vernünftige Haushalts- und Finanzpolitik, und dann,

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist keine Antwort!)

Frau Kollegin Beer, werden wir hier in Nordrhein-Westfalen auch eine bessere Zukunft haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie zahlen Sie das denn? – Sigrid Beer [GRÜNE]: Er gibt keine Antwort!)

– Herr Kollege Mostofizadeh, Sie hätten sich Ihre Kurzintervention wirklich sparen können. Sie von SPD und Grünen hätten sich auch den Antrag sparen können. Aber wie heißt es von einem recht erfolglosen Mann? Hätte, hätte, Fahrradkette …

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der hier von SPD und Grünen vorliegende Antrag ist natürlich populistisches Wahlkampfgetöse.

(Zuruf von der SPD)

Herr Körfges, er ist doch schon in seiner Überschrift gleich doppelt falsch. Weder gibt es irgendwelche Mehrausgaben dieser Bundesregierung in zweistelliger Milliardengrößenordnung, noch gibt es eine Haushaltssanierung in Nordrhein-Westfalen, die man ernsthaft so nennen kann und diesen Namen verdient.

(Beifall von der FDP)

Bei einem Land, in dem 22 % der deutschen Bevölkerung leben, das aber 61 % der gesamten Länderverschuldung neu aufnimmt, kann man nicht ernsthaft von Haushaltssanierung reden, und das in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen.

Lassen Sie mich diese Debatte einmal einordnen: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Römer hat ja in dieser Woche Erhellendes gesagt: Es war ihm ganz wichtig zu betonen, dass er eine große Koalition ablehne. Das zeigt in entwaffnender Offenheit: Sie haben die Grünen als Koalitionspartner für eine rot-grüne Mehrheit längst abgeschrieben, da dies mittlerweile auch ganz objektiv eine unwahrscheinliche Regierungsoption für den Bund geworden ist. Mehr kann man diesen Worten zunächst nicht entnehmen. Jetzt versuchen Sie, mit einer Polarisierungsstrategie aufzuwarten, damit Ihr Kandidat Steinbrück wenigstens noch oberhalb der Zwanzigprozenthürde bleibt. Das ist das strategische Ziel dieses Antrags.

In der Sache ist für die FDP klar: In der wahrscheinlichen Fortsetzung der schwarz-gelben Bundesregierung im Herbst wird es – auch durch unsere Intervention – keine großvolumigen Wahlgeschenke auf Pump oder eine Ausweitung von Umverteilung geben. So einfach ist das. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte hat für die FDP oberste Priorität.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ah!)

Zum Glück, Herr Kollege, haben wir ja die Schuldenbremse. Dann müssen Sie nämlich nicht hier stehen und jammern und alles so schrecklich finden. Wir sollten uns vielmehr im Interesse der jungen Generation gemeinsam darüber freuen, dass es dieses Instrument gibt.

Wir sagen Ihnen aber: Nur die Schuldenbremse allein reicht nicht aus. Als nächsten Schritt brauchen wir auch eine Belastungsbremse für die Bevölkerung. Es geht nicht an, eine Schuldenbremse dadurch einzuhalten, dass den Menschen immer mehr Geld aus der Tasche gezogen wird. Vielmehr muss der Staat endlich einmal konsolidieren und in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen auch einmal die Ausgaben reduzieren. Diesen Ansatz muss man prioritär verfolgen.

(Beifall von der FDP)

Es widerspricht unseren Vorstellungen von Leistungsgerechtigkeit, wenn der Staat mehr als die Hälfte dessen wegnehmen will, was sich ein Mensch durch eigenen Fleiß und eigene Kreativität erarbeitet. Genau dazu führen ja Ihre Pläne.

Werfen wir einen Blick auf den Horrorkatalog von SPD und/oder Grünen: Vermögensabgabe: 100 Millionen €, Vermögensteuer: 10 Milliarden €, 49 % Einkommenssteuer – das macht eine Mehrbelastung von 5 Milliarden €; Abschaffung des Ehegattensplittings: 5 Milliarden €; Erhöhung der Gewerbesteuer mit Einbeziehung freier Berufe: 4 Milliarden €; Einführung einer EU-Steuer, Einführung einer Steuer auf Ressourcenverbrauch, Einführung einer Tütensteuer, Abschaffung der Entfernungspauschale, Erhöhung der Unternehmensteuer, Erhöhung der Ökosteuer, Einführung einer Kerosinsteuer, Erhöhung der Erbschaftsteuer, Erhöhung der Grundsteuer, Erhöhung der Dieselbesteuerung, Erhöhung der Heizölbesteuerung, Erhöhung der Dienstwagenbesteuerung, Erhöhung der Abgeltungsteuer und Erhöhung der Lkw-Maut.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wahlprogramme von SPD und insbesondere der Grünen sind Horrorkataloge für alle Menschen in diesem Land, die sich mit eigener Hände Arbeit irgendetwas erwirtschaften wollen

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mostofizadeh?

Ralf Witzel (FDP): Aber selbstverständlich.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Danke schön, Herr Kollege Witzel. Nur um Ihre Ausführungen nachvollziehen zu können: Sie haben im Zusammenhang mit dem Ehegattensplitting von 5 Milliarden € gesprochen. Vielleicht haben Sie unser Programm nicht gelesen; aber das Ehegattensplitting in Gänze macht nach Aussagen des Bundesfinanzministeriums im Moment ein Volumen von bis zu 25 Milliarden € aus. Wie kommen Sie denn auf die Zahl von 5 Milliarden €? Wollten Sie uns da schonen, oder ist Ihnen unklar, was in unseren Programmen steht?

Ralf Witzel (FDP): Das sind die Berechnungen, die sich aus den Vorschlägen von SPD und Grünen ergeben.

(Zurufe von der SPD)

Das sind Zahlen, mit denen auch die SPD bei ihrem Vorschlag zum Ehegattensplitting operiert. Wir können Ihnen gerne die Quellen nachliefern; das machen wir im Anschluss an diese Debatte.

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege: Ich finde es ausgesprochen vernünftig, dass es diese Regelungen zum Ehegattensplitting gibt.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Die Regelungen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewährt. Es ist ein Instrument, das auch Ehepaaren und Familien entgegenkommt. Das ist sicherlich ein Bereich von Leistungen, den Sie im Fokus haben sollten bei den Zielen, die Sie ansonsten hier formulieren. Wir liefern Ihnen gern die entsprechenden Quellen zu der Bewertung Ihrer Wahlprogrammforderungen nach.

Eines haben Sie allerdings bei all Ihren Steuererhöhungsabsichten vergessen. Wenn Sie die letzte all dieser Steuern auch noch erhöht oder eingeführt haben, dann ist in Deutschland niemand mehr da, der all diese Mehrbelastungen überhaupt noch schultern könnte.

Die aktuelle Bundesregierung ist demgegenüber historisch die erste, die zum Ende einer Wahlperiode weniger Ausgaben tätigt als zu deren Beginn. Ab 2016 wird der Bund definitiv anfangen, den Schuldenberg abzutragen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Das sehen alle solide unterlegten Rechnungen vor.

Die weiterhin zu erwartenden Rekordsteuereinnahmen müssen unbedingt zum Schuldenabbau verwendet werden. Die FDP wird daher in Regierungsverantwortung dafür sorgen, dass keine unseriöse Expansion neuer Staatsausgaben auf Pump erfolgt. Das ist unsere Verantwortung, und die nehmen wir entsprechend wahr.

Unsere Wahlversprechen sind die wertvollsten, die man der jungen Generation geben kann: solide Haushalte, Ausgabendisziplin, Schuldenbremse, schlanker Staat, Abbau des Schuldenberges, weniger Abhängigkeit von den Kapitalmärkten und damit eine generationengerechtere Politik. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Schulz das Wort.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und zu Hause! Es ist relativ leer. Nun könnte man sagen: Es geht ja auch um Bundestagswahlkampf, es geht weniger um NRW. Da kann man nur sagen: Herzlich willkommen im Wahlkampfendspurt zur Bundestagswahl im Landtag Nordrhein-Westfalen! Keine Frage – alles, was bisher und künftig in Berlin entschieden wurde bzw. wird, hatte und hat Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, auf die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Da wir bisher zu dem eigentlichen Antrag, der uns hier zur Debatte zusammenführt, nur wenig gefunden haben, was dazugehört, möchte ich noch einmal diesen Punkt hervorheben: Es geht um die Anhebung des Kinderfreibetrags. Und in der Tat, würde das so durchgeführt, käme es zu einer Verringerung der Einnahmen aus der Einkommensteuer, wovon die Länder 42,5 %, die Gemeinden 15 % erhalten. Das bedeutet so etwas wie ein Wahlgeschenk der CDU. Es würde dann teilweise aus Gemeinde- und Landesmitteln finanziert, es sei denn, der Bund gleicht dies durch Zahlungen an die Länder aus. Darüber müsste man natürlich noch reden. Würde es dann zu einer Debatte im Bundesrat kommen, könnte man sicherlich Korrektive finden, um das zu regeln.

Damit war eigentlich die Sache bezüglich des Antrags von SPD und Bündnis 90/Die Grünen durch. Der Rest war – wie Herr Witzel sagte – Wahlkampfgetümmel. Wenn ich daran denke, dass der Piratenfraktion vor zwei Tagen noch mit einiger Vehemenz aus verschiedenen Kreisen hier im Hause, sowohl von den Oppositionsparteien, aber auch von den regierungstragenden Fraktionen, Populismus vorgeworfen wurde – dieser Antrag ist dann wahrscheinlich das Meisterstück des Populismus.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber sei‘s drum. Entscheidend dürfte doch etwas ganz anderes sein. Alle haben hier vorgetragen, wie toll die Wahlprogramme oder auch Regierungsprogramme sind. Das können wir selbstverständlich auch. Bis zur Sommerpause haben wir noch eine Plenarsitzung. Ich möchte nicht wissen, was dann alles auf den Tisch kommt.

Aber hier und heute kommt auf den Tisch, was die Piraten innerhalb der Wirtschafts- und Finanzpolitik als Leitbild sehen im Rahmen einer Ordnung, die sowohl freiheitlich als auch gerecht als auch nachhaltig zu gestalten ist. Das sind die Zukunftsaufgaben, die sich in unserer Gesellschaft heute stellen. Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind universelle Grundwerte, und die wollen wir über den nationalen Rahmen hinaus bearbeiten, ausdehnen, vor allem innerhalb der Bundesrepublik Deutschland das Verständnis dafür schärfen.

Freiheitlich ist dabei eine Gesellschaftsordnung, in der die individuelle Entfaltung des Menschen im Mittelpunkt steht. Sie wird durch das Gemeinwohl sowohl gestärkt als auch beschränkt. Deshalb sind Freiheit und Verantwortung untrennbar miteinander verbunden.

Gerecht bedeutet, dass die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft so gestaltet sind, dass sowohl eine Teilhabe als auch ein angemessenes Leben grundsätzlich gewährleistet werden. All das sind Aspekte, die auch hier über die Fragen der Besteuerung von Einkommen, Vermögen und sonstigen Dingen eine Rolle spielen. Auch dazu wird man natürlich dann Wege finden müssen, wie all das unter einen Hut zu bringen ist.

Nachhaltig ist ein auf Dauer angelegter verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und mit der Umwelt. Die Haushalts- und Subventionspolitik sowie das Finanzsystem müssen den Menschen und der Realwirtschaft langfristig dienen. Auch da stellen Einnahmen des Staates wesentliche Faktoren dar, die dann dazu führen, dass diese Punkte Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in gewisser Weise auf unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensebenen reguliert werden, aber nicht überreguliert werden.Wir dürfen nicht vergessen: Regierungsprogramme sind zum Regieren da, Oppositionsprogramme bilden das Korrektiv. Wir haben im Moment zumindest die Situation, dass wir im Bundesrat eine anders gefärbte Mehrheit haben als im Bundestag. Man mag sagen, was man will. Wenn ich mir die Umfragewerte anhöre, gehe ich fast davon aus, dass das nach dem 22. September zunächst so bleiben wird.

(Beifall von der FDP)

– Gut, da kann man applaudieren. Ich weiß das nicht. Ich beziehe mich auf Umfragewerte, und wenn wir danach gehen, müssen wir schauen, wie sich das ändert. Das kann morgen schon wieder anders sein.

Für uns Piraten gilt bei allem folgende Maxime: Wirtschaftspolitik der Piratenpartei basiert auf einem humanistischen Menschenbild und ist bestimmt von Freiheit, Transparenz und gerechter Teilhabe. Auf diesem Fundament stehen unsere Konzepte für eine freiheitliche und soziale Wirtschaftsordnung, deren Ziel die selbstbestimmte Entfaltung und das Wohlergehen aller Menschen ist. Genau diesen Konsens erwarte ich nicht nur in diesem Hause, den erwarte ich natürlich auch im Bundestag, und den erwartet die Piratenfraktion auch in der Zukunft über diese Gremien hinaus.

An dieser Stelle möchte ich schlicht und ergreifend enden und wünsche allen noch einen wunderbaren Wahlkampf. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. – Für die Landesregierung spricht nun der Finanzminister, Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Methode Merkel wirklich verfangen sollte, dann müsste die Geschichte von Wahlkämpfen neu geschrieben werden. Aber ich kann mir nicht vorstellen und ich will mir auch nicht vorstellen, dass man das Vertrauen der Menschen damit gewinnen kann, dass man in so schamloser Weise Klientelpolitik betreibt, dass man Etikettenschwindel betreibt,

(Zuruf von der CDU: Wer? Wir?)

dass man Kehrtwenden vollzieht und anschließend auch noch das Schlaraffenland verspricht.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Nennen Sie mir mal ein Beispiel!)

– Das werde ich Ihnen jetzt sagen.

Täuschungsmanöver eins: die Klientelpolitik und der Etikettenschwindel. Sie bedienen Ihre wohlhabende Klientel zum Beispiel damit, dass Sie Hoteliers die Mehrwertsteuer senken und das Etikett draufpappen …

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

– Ja, ich weiß, das mögen Sie nicht mehr hören,

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist die Umsetzung einer europäischen Rechtsangleichung, die Peer Steinbrück vorbereitet hat!)

aber die Menschen haben das schon verstanden. Das ist dann das Etikett „Wachstumsförderung“. Sie lassen den Steuersatz für sozial Bedürftige den Hoteliers zukommen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das hat positive beschäftigungspolitische und konjunkturelle Auswirkungen gehabt! )

Das ist eine unglaublich tolle Geschichte, die dann Wachstumsförderung heißt.

(Ralf Witzel [FDP]: Gerade für kleine inhabergeführte Hotels und Pensionen!)

– Können wir die Redezeit anhalten, bis die fertig werden?

Sie sind von uns an vielen Stellen im Bundesrat zum Glück daran gehindert worden, diese Klientelpolitik noch weiter zu betreiben. Sie wollten die Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen auf sieben Jahre verkürzen, bei zehn Jahren Verjährungsfrist, damit in den letzten drei Jahren ein Steuerhinterzieher sagen kann: Ich habe doch gar keine Unterlagen mehr. – Sie wollten die Beweismittelvernichtung legalisieren und nennen das „Bürokratieabbau“.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

So können wir das weiter aufzählen. Was Sie alles als „sozial“ bezeichnen, werde ich Ihnen gleich auch noch sagen. Unter dieses Täuschungsmanöver fällt im Übrigen auch das immer wieder zitierte Steuerabkommen mit der Schweiz. Es war die Zementierung von Schlupflöchern für die Zukunft. Sie nennen das einen Beitrag zur gerechten Besteuerung.

Zweites Täuschungsmanöver: Kehrtwenden ohne mit der Wimper zu zucken, wenn Sie merken, dass Sie auf die Gegenfahrbahn der öffentlichen Meinung geraten sind.

Atomausstieg: kein Problem, Sie stellen es heute so dar, als hätten Sie ihn erfunden. Sie wollten ihn aufgeben.

Mindestlohn: Sie waren dagegen. Jetzt sind Sie dafür. Frauenquote kam überhaupt nicht infrage. Jetzt wird sie angekündigt.

Trennbanken waren Teufelszeug. Dazu macht der Bundesfinanzminister dann ein Gesetz.

Es ist doch interessant, zu sehen, wie Sie die Politik Ihrer Gegenspieler übernehmen, um sich anschließend feiern zu lassen. Sie sollten sich hin und wieder mal die Werbung für Hustenbonbons angucken und die Frage beantworten: Wer hat‘s erfunden?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt kommt sozusagen als Krönung das Täuschungsmanöver drei: das Versprechen, wir können alles bieten und haben auch noch eine solide Haushaltsführung. Da verspricht die Bundeskanzlerin fast 30 Milliarden für mehr Kindergeld, für höhere Steuerfreibeträge, für die Einführung einer Mütterrente, für die Verbesserung der Berufsunfähigkeitsrente. Wer hätte nicht gerne all diese schönen Leistungen? 30 Milliarden, das ist doch kein Problem für diese Bundesregierung. Schließlich glaubt der Fraktionsvorsitzende der CDU – das hat er ja gestern hier gesagt –

(Ralf Witzel [FDP]: Die Bundesregierung hat nichts dazu beschlossen!)

das Ammenmärchen, dass die acht Milliarden für die Fluthilfe ja schon zur Seite gelegt worden sind, weil man so solide gewirtschaftet hat. Die sind ja praktisch da.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

– Dann frage ich mich, warum er dafür jetzt acht Milliarden Schulden aufnehmen muss. Ich weiß nicht, ob Herr Schäuble die Zahl 30 Milliarden berechnet hat. Nur eines wissen wir: Dass sich ihm die Haare gesträubt haben, als er das gehört hat, und er sofort zurückgerudert ist und froh war, dass er die acht Milliarden Schulden für die Flut begründen konnte. Die verzeiht man einem ja im Augenblick. Das ist ja Solidarität. Dann ist man froh, wenn man sagen kann: Nun hört aber mit dem Unsinn auf, 30 Milliarden auszugeben, die wir überhaupt nicht haben.

Man kann natürlich sagen: Wenn solide Haushaltspolitik darin besteht, dass die Bundesregierung sagt, es ist doch kein Problem, wenn wir das versprechen, schließlich müssen ja vier oder fünf Milliarden locker schon einmal von den Ländern und Gemeinden bezahlt werden, dann muss man sagen: Nicht genug, dass Angela Merkel ankündigt, zur Bundestagswahl mit Milliarden von Geschenken zu kommen – nein, sie hat auch schon die Rechnung in der Tasche: Bezahlen müssen das zu einem großen Teil andere, das Land Nordrhein-Westfalen zum Beispiel mit 700 Millionen € jedes Jahr oder die Kommunen in Nordrhein-Westfalen mit 250 Millionen € jedes Jahr.

Solche Gönner wie Frau Merkel mögen wir! Die mögen auch die anderen Länder und Kommunen sehr gerne, weil die wissen, dass die am Ende die Zeche bezahlen müssen für das, was sie bei ihren Überlandreisen allen verspricht.

Die einzelnen Begriffe hören sich ja auch wieder sehr schön an. Aber wir sollten nicht die Augen davor verschließen, dass CDU und FDP auch da wieder an ihre Klientel denken. Vorne drauf klebt das Etikett „Familie und sozial“. Dahinter steckt zum Beispiel die Erhöhung des kindesbezogenen Freibetrags von 7.008 auf 8.354 €. Was heißt das?

(Ralf Witzel [FDP]: Haben Sie etwas dagegen?)

– Ich persönlich nicht. Denn bei meiner Einkommenslage bin ich demnächst 1.000 € besser dran als ein Normalverdiener. Das ist genau der Punkt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schon jetzt ist es so, dass das Kind der Besserverdienenden 900 € mehr wert ist. Das, was Sie jetzt planen, macht es um 160 € wertvoller. Ich bin in dieser Gruppe der Steuerzahler, die von dieser Sache profitieren. Genau das ist aber der Punkt: Über 80 % der Steuerzahler haben von dieser schönen Geschenkesgabe nämlich gar nichts.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das unterscheidet im Übrigen die Vorschläge, die SPD und Grüne gemacht haben, von Ihren Vorschlägen. Sie sind nicht nur gegenfinanziert, sondern sie beziehen sich auch auf die, die es nötig haben: Wenn das Kindergeld erhöht wird und etwas für Familien und Kinder getan wird, ist es für diejenigen, die in den kleineren Einkommensbereichen sind.

Sie bedienen hier Ihre Klientel und lassen sich wieder einfallen, das Etikett „sozial“ draufzupappen, und glauben, die Menschen im Land sind so dumm, dass sie Ihnen da folgen. Ich kann nur sagen: Diesen Glauben teile ich nicht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Sie reden von Schulden – und jetzt ja neuerdings auch von Steuerbremse. Damit wird ganz offenkundig, was Sie wirklich wollen. Sie wollen diesen Staat erdrosseln. Um es ganz klar zu sagen:

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie wollen nicht einen konsolidierten Haushalt, bei dem Einnahmen und Ausgaben gleich sind, sondern Sie wollen allein durch das Senken der Ausgaben diesen Staat in seiner Leistung einschränken. Dann sollten Sie doch einfach ehrlich sein und nicht sagen: Wir wollen Schuldenbremse und Steuerbremse. – Ich habe das schon einmal gesagt. Sagen Sie doch: Wir wollen Bildungsbremse, wir wollen Infrastrukturbremse,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

wir wollen Bremse des Zusammenhalts! – Dabei ist das Wort Bremse noch ein sehr glimpflicher Begriff. Sie wollen es am Ende demontieren.

(Beifall von der SPD)

Ich kann Ihnen nur sagen: Mir wird jeden Tag klarer bei solchen abenteuerlichen Berechnungen und solchen Selbstbeweihräucherungen, dass das mit solider Haushaltspolitik nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.

(Zurufe von der CDU)

Es wird klar, warum das Land Rheinland-Pfalz bei der Verankerung der Schuldenbremse in die Landesverfassung eine Anleihe beim Grundgesetz gemacht hat. In Artikel 115 GG steht:

„Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können die Kreditobergrenzen … überschritten werden.“

Rheinland-Pfalz ist hingegangen und hat gefragt: Was sollen wir denn machen, wenn uns der Bund Lasten überträgt, die sich der Kontrolle des Landes entziehen und zu erheblichen finanziellen Belastungen führen? Das ist am Ende nichts anderes als eine selbstproduzierte Notsituation. Eine solche haushaltspolitische Notsituation für Länder und Gemeinden will Frau Merkel aus Wahlkampfgründen – aus reinen Wahlkampfgründen! – verursachen. Das ist verantwortungslos. Das ist unsolide und das ist Wählertäuschung.

Das Einzige, was einen hoffnungsfroh stimmt, ist: Diese Naturkatastrophe kann man verhindern, indem man Sie einfach abwählt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Marcus Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon toll, was die „ablenkungspolitischen Sprecher von SPD und Grünen“ hier geleistet haben, nämlich abzulenken von den haushaltspolitischen Problemen des Landes Nordrhein-Westfalen

(Zuruf von der SPD: Im Gegenteil!)

und ein bisschen Bundestagswahlkampf zu versuchen, was aber offensichtlich nicht so richtig gezündet hat.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ihr wollt es auf unsere Kosten machen!)

– Ich werde Ihnen, Herr Körfges, wenn Sie gestatten, gleich genau erzählen, was auf wessen Kosten geht und wer an welchen Stellen wie viel Geld mehr hat und nur mit dem Geld nicht auskommen will. Das nämlich ist Ihr Problem.

Herr Minister, es kann überhaupt nicht die Rede von Erdrosseln des Staates sein, wenn Sie sich das Haushaltsvolumen anschauen, das beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen hat. Als die Regierung Steinbrück 2005 aufhörte, hier zu regieren, weil die Bürgerinnen und Bürger der Meinung waren, dass es eine bessere Regierung geben müsste, gab es ein Haushaltsvolumen von unter 50 Milliarden € beim Land von Nordrhein-Westfalen. Als wir den Haushalt 2013 von Ihnen bekamen, lag das Haushaltsvolumen bereits bei über 60 Milliarden €. Das heißt: In acht Jahren haben wir eine Steigerung des Haushaltsvolumens von 10 Milliarden € zu verzeichnen.

Es ist aus meiner Sicht relativ klar, wenn Sie eine Steigerung des Haushaltsvolumens von 20 % haben, dass keiner, der sagt, wir wollen mit diesem Geld versuchen auszukommen, den Staat erdrosseln wird.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie das mit dem Regierenden Bürgermeister von Hamburg vergleichen wollen, der Ihr Parteifreund ist: Er kommt mit einem Haushaltskonsolidierungspfad von linear 1 % bis 2017 mit seinen Planungen klar und sagt: Wenn wir Mindereinnahmen oder Mehrausgaben haben, müssen wir schauen, dass wir es trotzdem erwirtschaften. Sie liegen, je nachdem, wie Sie mit dem Haushalt 2014 durchkommen, bei einer Steigerung zwischen 3 % und 4 % bei einer Inflationsrate von unter 2 %. Erzählen Sie doch nichts von Erdrosseln des Staates. Erzählen Sie einfach, dass Sie so viele Steuereinnahmen haben, dass Sie damit eigentlich locker auskommen müssten, weil es auch noch zurückgehende Zinsausgaben des Staates gibt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Wahrheit ist: Sie wollen das Geld aus den Portemonnaies der Bürger haben und in die Verwaltung hineinziehen. Sie wollen mehr Unfreiheit. Sie wollen mehr Umverteilung, wie eben ein Redner ausdrücklich bestätigt hat. Sie betreiben den gierigen Staat, nicht den leistungsfähigen Staat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben überhaupt kein Einnahmeproblem. Ich darf Ihnen das einmal vorhalten. 2005 – ein Haushaltsvolumen von 50 Milliarden € – hatten wir Steuereinnahmen des Landes in Höhe von 34,7 Milliarden €. 2010, nach der Krise, hatten wir Steuereinnahmen in Höhe von 38 Milliarden €. Also: Trotz Krise hatten wir deutlich mehr Steuereinnahmen. 2013 stehen in Ihrem Etat 44,8 Milliarden €. Das macht 10,1 Milliarden € mehr, als in 2005. Und dann planen Sie mit jährlichen Einnahmesteigerungen zwischen 3 % und 4 %, also zwischen 1,2 Mil-liarden € und 1,6 Milliarden € pro Jahr in den nächsten Jahren.

Sie haben 30 % mehr Steuern in acht Jahren eingenommen und erhalten immer noch mehr. Und das reicht dann nicht. Sie lamentieren über Wahlprogramme für die Bundestagswahl, die Ihnen möglicherweise, wenn sie denn umgesetzt würden, einen Teil des Zuwachses wegnehmen würden, wenn sie denn kämen.

Sie lamentieren ganz genauso wie ein Kettenraucher, dem man fünf Päckchen Zigaretten täglich am Tag zugesteht und der möglicherweise drei Zigaretten weniger rauchen soll. Das passt zur Nichtraucherschutzdebatte und zum Rauchergesetz heute Morgen. Sie sind im Grunde ein finanzpolitischer Kettenraucher.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mostofizadeh zulassen?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Aber natürlich, gern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, bitte.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Danke, Herr Kollege Dr. Optendrenk. Ich möchte es nicht in die Länge ziehen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie der Auffassung sind, dass die CDU-Fraktion in der Lage wäre, Konsolidierungsvorschläge in einem Volumen von 3,5 Milliarden € zu machen, die unmittelbar sofort greifen, und zusätzlich 700 bis 800 Millionen € draufzusetzen, mithin 4,3 Milliar-den € aus diesem Landeshaushalt herauszuschneiden, ohne dass irgendetwas an der Struktur des Haushaltes passiert, also weder Schule, Polizei noch Justiz negativ beeinflusst werden? Habe ich Sie da richtig verstanden?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege, es scheint bei Ihnen ein Verständnis- und Akustikproblem zu geben. Das, was Sie jeden immer wieder fragen, ist Ihre eigene Horrorvorstellung, die Sie meinen, CDU und FDP vorhalten zu wollen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie müssen mit dem Geld auskommen, haben Sie gesagt!)

– Ich habe gesagt, mit dem Geld, das Sie bekommen, müssen Sie auskommen. Sie haben eine viel zu hohe Nettoneuverschuldung. Wir haben Ihnen mit dem Haushalt 2013 ganz konkrete Umschichtungsvorschläge unterbreitet.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wieso haben Sie 6 Milliarden € Schulden gemacht?)

Sie haben alle unsere 86 Anträge abgelehnt. Wenn Sie sich damit beschäftigen wollen, laden wir Sie gern ein, sich beispielsweise mit der Umstrukturierung beim Arbeitsschutz, mit der zusätzlichen Einführung von Polizeiverwaltungsassistenten, mit der zusätzlichen Einführung von Schulverwaltungsassistenten und mit den Kürzungen bei den Förderprogrammen intensiv zu beschäftigen.

Keiner von uns hat hier behauptet, dass man einen Haushalt in Nordrhein-Westfalen innerhalb von einem Jahr auf null Euro Nettoneuverschuldung bringen kann. Sie sind aber dabei, alles zu tun, dass man 2020 die Schuldengrenze, nämlich Nettoneuverschuldung null, garantiert nicht einhalten kann. Das ist der Punkt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie sollten sich im Übrigen schämen, dass Sie bei solchen Zahlen von Steuereinnahmeerwartungen und tatsächlichen Steuereinnahmesteigerungen in den letzten Jahren noch von drohenden Einnahmeausfällen reden.

Bundesweit ist übrigens die Situation nicht anders. Die letzte Steuerschätzung sagt: Bis 2017 nimmt der Staat 700 Milliarden € jährlich ein. 2012 betrug das Ist-Ergebnis etwa 600 Milliarden €. Das heißt, jedes Jahr soll der Staat im Schnitt 20 Milliarden € mehr Steuern als in den letzten Jahren von seinen Bürgern, von seinen Unternehmen einnehmen, und zwar bei bestehendem Steuerrecht, ohne Steuerrechtsänderungen. Deshalb: Was soll das mit den Steuereinnahmeausfällen?

Je nachdem, ob wir beispielsweise bei der kalten Progression die leistungsfeindlichen Elemente der Einkommensteuer abschwächen oder streichen, kann es zu Steuermindereinnahmen im Verhältnis zu der Steuerschätzung kommen. Aber absolut gesehen, im Vergleich zu dem, was wir heute haben, kommt es trotzdem zu Steuermehreinnahmen. Es ist vor allem leistungsgerechter für all diejenigen, die eine Gehaltserhöhung bekommen und die einen Inflationsausgleich wenigstens in der Tasche behalten.

(Beifall von der CDU)

Wir hatten 2005 in Deutschland 450 Milliarden Steuereinnahmen, jetzt prognostizieren wir für 2017 700 Milliarden €. Das sind 250 Milliarden € mehr, die in unserer Volkswirtschaft durch die Bürgerinnen und Bürger, durch die Unternehmen erwirtschaftet werden müssen. Das hat im Grunde genommen auch seinen Preis, weil wir nämlich den Bürgerinnen und Bürgern viel mehr über kalte Progression und Ähnliches abnehmen, als wir das in der Vergangenheit getan haben.

Wenn Sie dann in Ihrem Wahlprogramm über Steuererhöhungen, egal, für wen, reden, dann ist das schlicht maßlos. Ich nenne das Suchtverhalten.

Unser Land hat kein Einnahmeproblem; wir haben ein Ausgabeproblem. Das werden wir weiter besichtigen können. Dann erzählen Sie auch noch den Beamtinnen und Beamten des Landes seelenruhig, dass Sie leider wegen der knappen Finanzen weder eine volle Übertragung des Tarifabschlusses noch eine teilweise, noch eine verzögerte Übertragung machen können. Es ist evident.

Schauen Sie sich die Steuereinnahmesituation des Landeshaushaltes und Ihre Wahlgeschenke an, die Sie seit 2010 gemacht haben! Treffen Sie Prioritäten! Sprechen Sie sich aus für „Leistung muss sich lohnen“ statt Konsum und Umverteilung. Dann wären wir ein ganzes Stück weiter.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Die Reihe ist nun an Herrn Kollegen Börschel für die SPD-Fraktion.

Martin Börschel (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schulz hat uns eben mit einigem Recht dazu gemahnt, heute anlässlich des Antrags von SPD und Grünen über die landespolitischen Auswirkungen dessen, was in dem Antrag kritisiert wird, zu sprechen. Herr Schulz, ich glaube, da sind wir uns einig, nachdem Herr Kollege Zimkeit und Kollege Mostofizadeh genau dieses versucht und kundig dargelegt haben. Ich stelle fest, dass sich zumindest die Opposition genau dieser Fragestellung, was das für Nordrhein-Westfalen und die Menschen in diesem Land heißt, entzogen hat.

Halten wir fest: Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel hat in einer Telefonkonferenz mit CDU-Funktionärinnen und Funktionären versprochen und in Aussicht gestellt, dass unter anderem der Kinderfreibetrag in einer Art und Weise erhöht wird, wie Landesfinanzminister Walter-Borjans es eben dargestellt hat.

Das bedeutet für diesen Landeshaushalt in Nordrhein-Westfalen etwa 700 Millionen € jährlich weniger Ertrag und übrigens für die Kommunen in diesem Land noch einmal etwa 250 Millionen € weniger Einnahmen oben drauf. Das ist es doch, worüber wir hier sprechen müssen. Wie stehen Sie dazu? Wie ist Ihre Antwort aus nordrhein-westfälischer Sicht zu diesem Griff in die Kassen des Landeshaushalts und in die Kassen der nordrhein-westfälischen Kommunen?

Zumindest kann ich einen Lichtblick mit Blick auf die FDP heute festhalten. Herr Witzel hat es für die FDP mal eben flugs abgeräumt. Er hat schlicht und einfach festgestellt – ich darf zitieren –, es gebe mit der FDP keine großvolumigen Wahlversprechen auf Pump.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Das heißt, mit diesen bislang nicht seriös gegenfinanzierten Wahlversprechen steht die CDU bis auf Weiteres alleine. Ich darf daran erinnern, dass auch der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs auf Bundesebene die Bundeskanzlerin genau deswegen massiv kritisiert, weil diese Wahlversprechen nicht gegenfinanziert seien, und das nicht für seriös hält.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aber das will ich Ihnen hier in Nordrhein-Westfalen nicht weiter vorhalten, sondern Sie von der CDU-Opposition noch einmal konkret fragen: Was halten Sie mit Blick auf die Kassen Nordrhein-Westfalens von dem, was Ihre Bundesvorsitzende da sagt?

In der ersten Rede hören wir den Kollegen Möbius, gerade eben noch einmal den Kollegen Opten­drenk, die sich beide in einer – ich nenne es einmal – Dialektik der rheinischen Art versuchen. Da wird auf der einen Seite der Finanzminister dafür kritisiert, dass er angeblich nicht genug spare, um im selben Atemzug, in derselben Rede – in einem Fall bei Herrn Kollegen Möbius, im anderen Fall bei Kollegen Optendrenk – dann flugs weiter millionen- und milliardenschwere weitere Ausgaben für diesen Landeshaushalt zu fordern: die Tarifübertragung auf Beamtinnen und Beamte, die Inklusion und noch einige Dinge mehr. Kollege Mostofizadeh hat sie eben alle minutiös aufgelistet. Da ist nichts zurückzunehmen.

Wie wollen Sie das erklären, einerseits den Finanzminister dafür zu kritisieren, dass er nicht genug spare, um in derselben logischen Sekunde – damit kennen Sie sich ja aus, Herr Kollege Möbius – dann zu fordern, dass das Land noch viel mehr ausgeben müsse, wobei Sie das in dem Satz gipfeln lassen, unser Staat habe ein Ausgabeproblem. Und das ist die entscheidende Frage.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Sie bringen keine einzige Antwort aus einem Guss bringen, stattdessen – das will ich, Herr Kollege Möbius, dann doch noch einmal hier sagen – ein am Ende bemerkenswertes Geständnis. In Ihrer Rede haben Sie am Ende zugegeben – auch das darf ich zitieren –: Der Bundesfinanzminister hat gar nichts berechnet.

(Christian Möbius [CDU]: Das Bundesfinanzministerium!)

– Meinetwegen auch das Bundesfinanzministerium. Ich will das gerne so präzisieren, wie Sie das sagen. Das ist schon eine sehr bemerkenswerte Aussage. Da zieht also die Bundesvorsitzende der CDU, die werte Bundeskanzlerin, aus und macht milliardenschwere Wahlverspechen, und der Vorsitzende des Haushalts- und Finanzausschusses des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Möbius, muss eingestehen, dass das Bundesfinanzministerium nichts, aber auch gar nichts berechnet hat, was das eigentlich an finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte bedeutet.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch kein Regierungsprogramm!)

Das finde ich schon ein starkes Stück und alles andere als seriös, Herr Kollege Möbius.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da planen Sie also eine großangelegte Umverteilung von unten nach oben. Ich erinnere daran, dass die Vermögen der 10 % Reichsten in diesem Lande sich im letzten Jahrzehnt etwa verdoppelt haben. Da wollen Sie noch einmal obendrauf tun, indem Sie gerade die Besserverdienenden und Höchstverdienenden durch den Kinderfreibetrag über die von mir gerade schon dargestellte Situation hinaus noch einmal überprivilegieren. Und das Bundesfinanzministerium hat nichts berechnet. Das ist, finde, alles andere als seriös.

Das lässt mich am Ende zu dem Schluss kommen: Ich glaube, die werte Bundeskanzlerin hatte geglaubt, sie könnte unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihren Funktionären einmal etwas Schönes erzählen und sie auf den Wahlkampf einschwören.

Sie hat nicht damit gerechnet, dass ihre Telefonkonferenz ins Internet übertragen wird. Ich kann dazu nur sagen: Wenn für eine Bundeskanzlerin das Internet Neuland ist, dann rechnet sie in der Tat nicht damit, dass das, was sie sagt, auch für jeden nachlesbar und nachhörbar in den Medien und im Internet nachzuvollziehen ist.

Deswegen will ich Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU zurufen: Jede Partei ist selbst verantwortlich für das, was sie verspricht. Übrigens: Die Mehrheit der Deutschen – das sagen Umfragen – glaubt Ihnen diese Wahlversprechen nicht. Unsere Pflicht hier ist aber, dafür zu sorgen, dass die Interessen des Landes Nordrhein-Westfalen und der Menschen in diesem Land gewahrt werden. Deswegen fordere ich Sie auf, bekennen Sie sich mit uns eindeutig dazu: keine Wahlversprechen auf dem Rücken der nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürger, des Landeshaushaltes und der Kommunen. Das ist der Punkt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, warten Sie bitte noch einen Moment. Herr Kollege Möbius würde Ihnen gerne noch eine Frage stellen. Wie ich Sie kenne, werden Sie die gerne beantworten.

Martin Börschel (SPD): Herr Präsident, da kennen Sie mich gut.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Möbius hat das Wort.

Christian Möbius (CDU): Herr Kollege Börschel, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bundeskanzlerin nichts anderes in dieser Telefonkonferenz gemacht hat, als bestehende Beschlüsse des Bundesparteitages vom Dezember letzten Jahres nach vorne und in die Öffentlichkeit zu bringen?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das macht die Sache nicht besser! – Lachen und Heiterkeit von der SPD und den GRÜNEN)

Martin Börschel (SPD): Herr Kollege Möbius, wenn dem wirklich so sein sollte, dann überrascht und erschüttert es mich umso mehr, dass Sie so unvorbereitet und ohne jede Berechnung in die Debatten der Öffentlichkeit gehen. Das ist ein umso beschämenderes Bild.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Börschel. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Wedel das Wort.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag stellt Rot-Grün das Wahlprogramm der Union zur Diskussion. Ich betone: Es handelt sich um das Programm der Union, nicht um das Programm der Bundesregierung. Da ist den antragstellenden Fraktionen wohl ein Fehler im vorliegenden Antrag unterlaufen.

(Beifall von der FDP)

Der Pfad der Bundesregierung ist klar. Die Schuldenbremse wird bereits zwei Jahre früher eingehalten. 2016 macht der Bund keine neuen Schulden mehr. Die Tilgung der Schulden des Bundes ist in Sichtweite. In den vergangenen vier Jahren hat die Bundesregierung bewiesen: Man kann ohne Steuererhöhungen Rekordmehreinnahmen erzielen und einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorlegen.

(Beifall von der FDP)

Das ist solide Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dabei ist die Position der FDP sowohl im Land NRW als auch im Bund sehr klar und eindeutig: Leistungsgerechtigkeit statt Umverteilung, solide Haushalte statt immer neuer Schulden.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zimkeit zulassen?

Dirk Wedel (FDP): Bitte schön.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, bitte.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Herzlichen Dank. – Der Bund plant im Jahr 2013, 17 Milliarden € Schulden zu machen. Wie kommen Sie dazu, bei 17 Milliarden € Schulden den Haushalt für ausgeglichen zu erklären? Nach der Logik hätte der Haushalt von NRW sogar Überschüsse.

Dirk Wedel (FDP): Sehr geehrter Herr Zimkeit, wenn Sie genau zugehört hätten, dann hätten Sie das Wort „nahezu“ nicht überhört. Außerdem ist das immer in Relation zum Gesamthaushaltsvolumen zu sehen, sodass die Zahlen mit NRW nicht vergleichbar sind.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sage es ganz deutlich: Rot-Grün will durch Steuererhöhungen im Bund Wohlfühlprojekte finanzieren, indem der Mitte unserer Gesellschaft durch Steuerhöhungen die Luft zum Atmen genommen wird. Verantwortungsbewusste Politik verzichtet dagegen auf unsolide Versprechen, weil dann weder neue Schulden noch höhere Steuern nötig sind.

Dass ausgerechnet SPD und Grüne heute die große Empörung simulieren, ist jedoch erstaunlich. Es fehle, so der vorliegende Antrag von SPD und Grünen, die Gegenfinanzierung der Vorschläge der CDU. Empört stellen Sie fest, dass Mehrausgaben an der einen Stelle zu Sparanstrengungen an anderer Stelle führen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, das sind ja ganz neue Töne. Aus NRW kennen wir diese Systematik nicht. Hier führen Wahlgeschenke, von denen Sie zahlreiche gemacht haben, zu mehr Schulden. Ich sage Ihnen, wir würden uns hier in NRW freuen, wenn Mehrausgaben auf der einen Seite auch zu Sparanstrengungen auf der anderen Seite führten.

(Beifall von der FDP)

Zurück zur Bundesebene: Ich wiederhole, dass wir als FDP zu teure Wahlversprechen ablehnen, unabhängig davon, aus welcher Ecke sie kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Abgeordneter Stein.

Robert Stein (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon ein starkes Stück Wahlkampfgeplänkel, das wir miterleben dürfen, eigentlich auch ein Stück Bigotterie, die wir hier miterleben müssen. SPD und Grüne, die gestern noch Populismusvorwürfe gegenüber der Opposition geäußert haben, stellen mit diesem Antrag „Haushaltssanierung in NRW nicht durch unseriöse Politik der Bundesregierung gefährden“ selbst einen an Populismus nicht zu überbietenden Antrag.

Herr Mostofizadeh würde wahrscheinlich die Prädikate – ich zitiere Sie einmal aus der gestrigen Sitzung – „Schizophrenie“ und „lächerlich“ verwenden, käme ein solcher Antrag aus den Reihen der Oppositionsfraktionen.

Herr Zimkeit hat das gerade Wahlbetrug mit Ansage genannt. Ich kann mich gut an den Landtagswahlkampf erinnern. Von der WestLB-Milliarde war da im Vorfeld wenig zu hören, obwohl die Eckpunkte-Vereinbarung schon längst bekannt war. Auch zur Beamtenbesoldung haben Sie ganz andere Eindrücke hinterlassen, sonst wären auch die Reaktionen in der Beamtenschaft nicht so heftig ausgefallen. So viel erst einmal zum Thema Wahlversprechen und Wahlbetrug.

Den Titel des Antrages kann man natürlich toll finden und unterschreiben. Haushaltssanierung sollte man natürlich nicht durch unseriöse Politik der Bundesregierung gefährden. Ich glaube, da kann gar keiner widersprechen. Alles, was in irgendeiner Weise verschwenderisch im Bund eingesetzt wird und zum Schaden des Landes führt, können wir nicht gutheißen. Aber alles andere hier – das betone ich noch einmal – ist doch nichts anderes als Wahlkampfgeplänkel.

Ich könnte genauso gut Beispiele rot-grünen Versagens in der Bundesregierung anführen. Nehmen wir die Unternehmenssteuerreform, die zu Steuerschlupflöchern geführt hat. Ich habe das Dividendenstripping schon einmal erwähnt. Herr Steinbrück hätte als Finanzminister das Steuerschlupfloch allemal schließen können. Er hat es nicht getan.

Der „Focus“ hat vorgestern berichtet, dass Peer Steinbrück seinen damaligen Pressesprecher, Herrn Torsten Albig, der heute in Schleswig-Holstein Ministerpräsident ist, zu einem Abteilungsleiter gemacht, ihn monatlich mit Funktionszulagen in vierstelliger Höhe versehen hat und extra eine Abteilung geschaffen hat mit nur vier Referaten, was der Bundesrechnungshof zu Recht kritisiert hat. Auch all das ist Ressourcenverschwendung. Diese Beispiele bringe ich polemisch an.

Das, was wir hier erleben, ist nichts anderes als populistisches Wahlkampfgetöse, und das lehne ich ab.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Was wir vonseiten der rot-grünen Regierung hören, ist einseitig und undifferenziert. Es werden nur Steuererhöhungen in den Mund genommen, von etwas anderem hören wir gar nichts. Auch Steuer-CD-Ankäufe sind nur Populismus, sonst haben Sie nichts anzubieten.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Da haben aber die Piraten mitgestimmt!)

Das werden Sie noch öfter hören, Herr Finanzminister. Ich bin ja durchaus der Meinung, dass wir, wie im Bereich der Vermögensteuer, Gesprächsbereitschaft zeigen können – das ist klar –, alles andere muss aber nicht sein.

Auch wir haben ein Interesse daran, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht. Nur, dann müssen wir auch berücksichtigen, dass wir einen starken Mittelstand in Deutschland haben. Insofern müssen wir uns in einen Diskurs begeben, ob das machbar und realisierbar ist. Wir müssen Substanzen schonen. Im privaten Bereich ist eine Vermögensteuer vielleicht einfach umzusetzen, aber im unternehmerischen Bereich müssen wir wirklich wachsam sein.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit.

Robert Stein (PIRATEN): Ich komme zum Ende. – Mit dem Antrag, liebe SPD und liebe Grüne, haben Sie sich und auch dem Landtag keinen Gefallen getan. Das ist nichts anderes als Wahlkampfgetöse. Das lehne ich ab.

Allen, die den Antrag ernst nehmen, empfehle ich, sich zu enthalten. Man kann ihn auch in dem Sinne ablehnen. – Danke sehr.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Finanzminister Dr. Walter-Borjans zu Wort gemeldet.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur zu zwei für mich sehr erhellenden Bemerkungen kurz Stellung nehmen. Ich finde es interessant, was Herr Wedel gesagt hat. Er hat erstens erzählt: Der Bund hat gezeigt, dass man auch ohne Steuererhöhungen Rekordsteuereinnahmen haben kann. – Wenn Sie sich einmal den Verlauf der Steuereinnahmen ansehen, dann haben wir in den letzten 20 Jahren zwölfmal Rekorde gehabt. Das ist nämlich der Normalfall. Die Frage, die man sich stellen muss, ist: Warum hat es sie achtmal nicht gegeben? – In den acht Jahren gab es einmal für sechs Jahre keinen Rekord, weil die Steuern vor etwa zehn Jahren gesenkt worden sind. Dann hat es sechs Jahre lang gedauert, bis das Niveau wieder erreicht war.

Zweitens sind die Steuereinnahmen zwei Jahre nach der Bankenkrise zurückgegangen. Ansonsten gibt es jedes Jahr Rekorde, weil die Einnahme? und die Ausgabenseite jedes Jahr steigen.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Schere irgendwann geschlossen sein muss, zeugt nicht von besonderer Kenntnis von Mathematik und Haushalt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Besonders schön fand ich die Bemerkung, als Sie gesagt haben, dass Sie den Bundeshaushalt für nahezu ausgeglichen hielten und dass man das in Relation zum Haushaltsvolumen sehen müsse. 17 Milliarden € von 300 Milliarden € Ausgaben im Bundeshaushalt sind auf die 60 Milliarden € des Landes heruntergerechnet 3,4 Milliarden €. Das ist exakt unsere Neuverschuldung. Mit anderen Worten: Wir sind nahezu ausgeglichen, weil wir es jetzt in die richtige Relation gesetzt haben.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie das einmal deutlich gemacht haben.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wedel zulassen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, bitte.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank, sehr geehrter Herr Minister. Nach Adam Riese stellt sich doch – ich will Sie fragen, ob Sie das auch so darstellen können – die Neuverschuldung von 17 Milliarden € zum Volumen von 602 Milliarden € im Bund.

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Nein, das Volumen ist 302; es tut mir leid! Sie müssen nicht die Steuereinnahmen nehmen, Sie müssen das Haushaltsvolumen nehmen! – Beifall von den GRÜNEN)

– Okay, gut.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Zunächst einmal ist es so, Herr Minister, dass ein Abgeordneter seine Frage zu Ende formulieren darf.

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Entschuldigung!)

Darf ich zunächst einmal fragen, Herr …

(Dirk Wedel [FDP]: Ich denke, das lassen wir jetzt an der Stelle!)

Damit betrachten wir Frage und Antwort als erledigt. – Dann fahren Sie bitte fort, Herr Minister.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Dann will ich noch die zweite Anmerkung an die Adresse von Herrn Optendrenk machen: Es war schon sehr gut herauszuhören, Herr Optendrenk, dass Sie von den Belastungen gesprochen haben, die auf das Land zukämen, wenn denn käme, was von der Kanzlerin versprochen worden ist. Das konnte man sehr genau hören. Ich kann Ihnen den Zweifel, der in Ihrer Stimme mitschwang, nehmen, weil diese Dinge nicht kommen werden. Dafür wird es im September keine Mehrheit mehr geben. Und wenn es die Mehrheit gäbe, wüssten die Menschen, dass es auch nicht käme. Deswegen können wir mit großer Vorsicht, aber mit der Bitte an die Menschen, sich genau anzusehen, was da versprochen wird, gelassen planen. Das hat noch einmal entlarvt, dass es sich um einen Luftballon handelt, der garantiert im September dieses Jahres platzen wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Minister. – Herr Kollege Dr. Optendrenk hat sich im Rahmen seiner verbleibenden Redezeit noch einmal für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Kollege.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich möchte noch einmal auf die Bemerkungen des Herrn Minister eingehen, was die Mehreinnahmen und die Rekordeinnahmen angeht. Das tragen Sie fast in jedem Plenum vor, und es ist trotzdem so, wie ich gestern schon mit dem Zitat von Edward Kennedy gesagt habe: Alles, was nicht ganz richtig ist, ist falsch. – Das ist in der Mathematik so und auch in der Politik.

(Beifall von der CDU)

Sie tragen nicht vor, dass Sie deutlich mehr Steuereinnahmen haben, als die Inflationsrate beträgt. Sie tragen nicht vor, dass Sie deutlich mehr Steuereinnahmen haben, weil das Wirtschaftswachstum steigt und, was in der Tat normal wäre, der Staat über die Progression, insbesondere über die kalte Progression, mehr in die Taschen seiner Bürgerinnen und Bürger greift, als erwirtschaftet wird. Das heißt, mit jeder Einheit an Einkommenszuwachs wird mehr besteuert, als im Rahmen eines progressiven Steuergesetzes leistungsadäquat wäre.

(Beifall von der CDU)

Weil das so ist, ist es unredlich zu sagen: Dann kann sich die Schere nicht schließen. – Die Schere schließt sich deshalb nicht, weil Sie mit dem Geld nicht auskommen wollen. Wenn Sie das wollten, dann könnten Sie es. Das können Sie gut in anderen Bundesländern sehen. Nehmen Sie gerne alle Beispiele, nicht nur irgendwelche; denn Sie meinen ja immer, es gäbe irgendwelche Sonderfaktoren. Im Saarland reicht es nicht, in Mecklenburg-Vorpommern nicht und anderswo auch nicht. Machen Sie Ihre Hausaufgaben, statt den Menschen Sand in die Augen zu streuen, warum Sie nicht sparen wollen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Beratung.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich nach § 29 unserer Geschäftsordnung Herrn Abgeordneten Witzel das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. – Bitte, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Vom Kollegen Mostofizadeh sind Zweifel an der Richtigkeit von Zahlen und Fakten geäußert worden, die wir im Rahmen dieser Debatte vorgetragen haben. Da mir persönlich fachliche Präzision und Seriosität in der Finanzpolitik ausgesprochen wichtig sind,

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

möchte ich Ihnen an dieser Stelle die Quelle für unsere Aussagen liefern. Wir beziehen uns in unserer Argumentation auf das Argumentationspapier der grünen Bundestagsfraktion mit der Nr. 16/57. Es trägt den Titel „Kinder fördern statt Ehen“. In dem Kapitel „Kinder fördern, nicht die Ehe“ heißt es wörtlich:

„Wir wollen die Höhe des Ehegattensplittings begrenzen. Nach unseren Vorschlägen können bis zu fünf Milliarden € im Jahr eingespart werden.“

Das, Herr Kollege, ist die Aussage, die ich hier wiedergegeben habe und die Sie bestritten haben. Ich habe nicht unterstellt, dass SPD und Grüne über Nacht das komplette System kippen wollen, um dann 20 Milliarden € einzusparen, aber es sind jährlich 5 Milliarden €, die Sie für realistisch halten.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Es gab während der Rede den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Das ist nach unserer Geschäftsordnung bei persönlichen Bemerkungen nicht zulässig. Ich hatte vorher die Aussprache geschlossen. Ich bitte um Verständnis, dass eine weitere Beratung dazu nach unserer Geschäftsordnung nicht erfolgen darf.

Damit sind wir mit der Beratung einschließlich der persönlichen Bemerkung zu Tagesordnungspunkt 3 am Ende. Wir können allerdings noch nicht zur Abstimmung schreiten, da wir noch in der abstimmungsfreien Mittagspause sind. Wir werden also die Abstimmung auf später verschieben.

Einstweilen treten wir ein in:

4   Datteln IV realisieren – moderne Kraftwerke tragen zum Gelingen der Energiewende bei und nutzen den ambitionierten Klimaschutzzielen – Antrag des Regionalverband Ruhr (RVR) zügig stattgeben

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/3204

in Verbindung mit:

Landtag Nordrhein-Westfalen unterstützt die Absicht des Wirtschaftsministers, den Weiterbau und die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerkes Datteln IV unverzüglich zu ermöglichen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3239

Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen, nämlich die CDU, Herrn Kollegen Hegemann das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Lothar Hegemann (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch auf die Gefahr hin, dass jetzt Zwischenrufe kommen, sage ich mal, was Sie gleich sagen werden. Sie werden sagen: Was soll denn dieser Antrag? Wir sind doch im Verfahren.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

– Ich wusste doch, ich kann mich auf Sie verlassen, Frau Beer. – Das ist doch jetzt noch Sache des RVR. Die RVR-Verbandsversammlung muss sich doch erst eine Meinung bilden, und dann ist das Land gefragt.

Meine Damen und Herren, das ist seit Langem eine Frage des Landes und der die Landesregierung tragenden Parteien. Ich hätte mich gefreut, wenn zum Beispiel der Vorsitzende der Mehrheitsfraktion gesagt hätte: Wir überprüfen alles anhand der rechtlichen Vorschriften – das ist Sache der Gremien –, aber wir als SPD wollen das Kraftwerk in Datteln. – Das ist von Ihnen nie gesagt worden, immer nur: sowohl als auch.

(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])

– Sie kommen gerade rein und ballern rum. Setzen Sie sich erst einmal und atmen Sie tief durch.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich bin ja von Ihnen gar nicht weit entfernt. Sie haben im RVR die Kurve gekriegt. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn dieses Kraftwerk wird benötigt, und zwar unter anderem deshalb, Herr Remmel, um Ihre Fernwärmepläne zu realisieren.

Wir brauchen im mittleren Ruhrgebiet dieses Kraftwerk vor allen Dingen deshalb, weil alte Dreckschleudern, die Strom und Fernwärme herstellen, vom Netz genommen werden. Sowohl in Herne als auch in Datteln und Gelsenkirchen werden Kraftwerke vom Netz genommen. Wer also saubere Fernwärme, saubere Energie haben will, der muss für Datteln 4 sein.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Deshalb sollten wir hier das Signal geben, dass wir erwarten, dass der RVR eine solche Entscheidung trifft und die Landesregierung bei der rechtlichen Prüfung völlig frei ist. Es geht um eine rechtliche Prüfung und nicht um eine politische Prüfung. Die Prüfung darf dann nicht in den Händen von Herrn Remmel liegen. Da können Sie ja besser einen Dackel bitten, auf einen Kringel Fleischwurst aufzupassen. Also das geht schief.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn schon der Spitzenkandidat der Grünen, Herr Trittin, vor diesem Kraftwerk erklärt, dass das Ding abgerissen werden muss, glauben Sie dann, dass Herr Remmel dann noch unvoreingenommen prüfen kann?

Nun kann man sagen: Der prüft das ja nicht selber, sondern er hat seinen Staatssekretär, der das macht. Wenn dann die Staatskanzlei den Minister nach seiner Meinung fragt, dann wird ihn sein Staatssekretär schon beraten.

Der Staatssekretär heißt Knitsch, und der hat für den Landtag kandidiert. Da hat man ihn gefragt: Soll das Kraftwerk in Datteln in jedem Fall zu Ende gebaut werden? – Daraufhin hat er gesagt: Dem stimme ich nicht zu. Wir brauchen keine neuen Kohlekraftwerke. Das ist energiepolitisch Unsinn. Die gefährden die Klimaschutzziele. Datteln 4 darf nicht ans Netz geben.

Das ist der „unabhängige“ Staatssekretär. Herrn Knitsch ist ganz egal, wo die Grünen landen. Knitsch ist immer dabei. Er ist wieder da. Herzlich willkommen! Ich hoffe, dass Sie nicht die Landesregierung beraten, denn Sie liegen bereits in Ihrer Meinung fest.

Ich freue mich, dass nach Vorlage der Verwaltung des RVR im Planungsausschuss in Essen diese Entscheidung gefallen ist. Das ist unsere regionale Planungsbehörde. Das ist nicht irgendein Vorschlagsgremium, an das man sich nicht halten muss, sondern das ist die regionale Planungsbehörde, die wir mit unserem Landesrecht so geschaffen haben.

Und der Leiter dieser Behörde sagt: Ja, wir müssen ein Zielabweichungsverfahren auf den Weg bringen. – Das ist ein Verfahren, das große Teile der SPD und die kompletten Grünen immer abgelehnt haben. Die haben gesagt: Man kann nachträglich kein Gesetz ändern. – So einfach haben Sie sich das gemacht. Als Rüttgers gesagt hat: „Wir müssen ein Zielabweichungsverfahren machen.“, hingen Sie alle unter der Decke. Jetzt kommt der grüne Referent aus Essen und sagt: Das ist der Weg. – Interessanterweise war er bis zu seiner Ernennung zum zuständigen Abteilungsleiter Fraktionsvorsitzender der Grünen. Da hat er noch ein bisschen anders geredet, aber man kann ja schlauer werden. Ich finde das auch prima. Ich finde seine Haltung wirklich gut.

(Beifall von Thomas Kufen [CDU])

Auch bei Einwendungen geht er ganz formal vor. Das wünsche ich mir auch von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin. Sie sind in Ihrer Staatskanzlei dafür verantwortlich, dass Sie losgelöst von irgendwelchen Schalmeienklängen oder von irgendwelchen Tönen, die Sie aus dem Ministerium bekommen, die Sie insbesondere vom Umweltminister bekommen, nach Recht und Gesetz das Kraftwerk Datteln 4 prüfen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Wir wollen, dass Datteln ans Netz geht. Wenn Sie aber sagen, das gehe rechtlich nicht – jede Entscheidung wird wahrscheinlich sowieso gerichtlich überprüft werden –, sollten Sie dies allerdings zumindest ohne politische Vorgaben feststellen.

Ich habe noch einen Wunsch. Ich möchte nicht, dass Sie, wenn Sie sich zu Datteln durchgerungen haben, gleichzeitig newPark kaputtgehen lassen, indem Sie sagen, weil aus irgendeinem unerfindlichen Grunde in den Planungsunterlagen von newPark noch ein Kraftwerksstandort enthalten ist, drei gingen dann aber nicht. Bei newPark will niemand – Herr Müller wird mir recht geben – ein Kraftwerk bauen. Dabei handelt es sich um eine Planung aus den 1960er-Jahren. Das ist völlig out. Sie können also nicht sagen: Wenn wir für Datteln 4 sind, ist der große Industriepark – die Hoffnungsklammer, die man im nördlichen Ruhrgebiet hat – damit kaputt.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Wer sagt das denn, außer Ihnen?)

Das wäre in der Tat eine mindestens genauso große Katastrophe wie Ihre mögliche Entscheidung, Datteln 4 nicht ans Netz gehen zu lassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Hegemann. – Für die zweite antragstellende Fraktion spricht nun Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon des Öfteren über Datteln 4 diskutiert.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Mehrfach!)

Nun ist es so weit: Die Landesregierung wird im Rahmen eines Zielabweichungsverfahrens eine eigene Abwägungsentscheidung für oder gegen Datteln treffen müssen. Dabei meine ich nicht die Beschlussempfehlung des RVR-Planungsausschus-ses – die abschließende Entscheidung der Verbandsversammlung steht ja noch aus –, sondern den Beschluss der Stadt Datteln vom 13. Juni 2013 zum Bebauungsplan Nr. 105a – Kraftwerk –, das Abweichungsverfahren bei der Landesregierung zu beantragen.

Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, mit schöner Regelmäßigkeit zitieren Sie bisher bei der Frage von Datteln den entsprechenden Abschnitt aus dem Koalitionsvertrag:

„Die Landesregierung selbst baut keine neuen Kraftwerke und reißt auch keine begonnenen Projekte ab.“

(Beifall von Marc Herter [SPD])

Hinter diesem Formelkompromiss haben Sie sich bisher immer versteckt. Damit ist es jetzt aber vorbei. Nun müssen Sie Farbe bekennen.

Gestern haben SPD und Grüne hier ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Pumpspeicherkraftwerken abgegeben und die Landesregierung aufgefordert, deren Fertigstellung zu unterstützen.

Heute haben Sie die Möglichkeit, meine Damen und Herren, sich uneingeschränkt zum modernsten Steinkohlekraftwerk, zu Datteln 4, zu bekennen und damit auch die Position Ihres Wirtschaftsministers zu stärken. Oder hat in dieser Koalition der ferne Spitzenkandidat der Grünen zur Bundestagswahl, Herr Trittin, mehr zu sagen als der hiesige Wirtschaftsminister? Ich zitiere Herrn Trittin:

„Jeder, der mit den Grünen koalieren will, muss sich darauf einstellen, dass dieses Investment“

– gemeint ist Datteln 4 –

„nicht zu Ende gebaut wird.“

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle wird sich zeigen, ob es dabei bleibt, dass die Grünen und der grüne Umweltminister in dieser Koalition alles zu sagen haben und der sozialdemokratische Wirtschaftsminister nach wie vor nichts. Es stellt sich also die Frage: Was zählt das Wort von Energieminister Duin?

In der „Westpol“-Sendung am vergangenen Sonntag sagte Minister Duin zu Datteln 4 – ich zitiere –:

„Ich halte es für ganz wichtig, dass wir auch neue Kraftwerke ans Netz gehen lassen. Wir wollen gerade in Datteln eigentlich die Kraftwerke I bis III schon längst vom Netz genommen haben, brauchen aber natürlich dann auch eine Ersatzkapazität. Und deswegen wäre es gut, wenn wir zeitnah Entscheidungen treffen können, die dann die Inbetriebnahme von Datteln IV auch ermöglichen.“

Herr Minister Duin, recht haben Sie. Insbesondere bei der Frage „zeitnah“ werden wir Sie beim Wort nehmen; denn dies bedeutet, dass die Genehmigung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag geschoben wird, was das Zielabweichungsverfahren der Stadt Datteln angeht, sondern dass dies zeitnah und damit auch noch vor der Bundestagswahl geschieht.

Meine Damen und Herren, insbesondere die SPD-Fraktion muss sich fragen, ob sie hinter ihrem Wirtschaftsminister Duin steht oder ihn weiter der Lächerlichkeit durch die Grünen und Herrn Priggen preisgibt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Denn die Erwiderung des Grünen-Fraktions-vorsitzenden in „Westpol“ muss man schon als Unverschämtheit ansehen. Ich zitiere Herrn Priggen:

„Der Kollege Duin darf sich alles wünschen, jetzt, im Sommer, zu Weihnachten, aber in dem Genehmigungsverfahren mit Wünschen zu operieren, kann ich allen nur abraten. Die das bisher gemacht haben, sind immer vor die Wand gelaufen. Es ist einfach ein verseuchtes Verfahren und deswegen ist es nicht ’ne Frage von Wünsch-Dir-Was.“

Diese Aussagen des zuständigen Energieministers so abzutun, ist schon eine absolute Frechheit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren von der SPD, deshalb appelliere ich an Sie: Setzen Sie heute hier ein Zeichen, damit dieses Spielchen endlich aufhört. Stimmen Sie für unseren Antrag. Stimmen Sie für Datteln 4, und unterstützen Sie Ihren Wirtschaftsminister. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Eiskirch das Wort.

Thomas Eiskirch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Opposition legt heute zum wiederholten Male Anträge zum Thema „Kraftwerk Datteln“ vor. Der heute diskutierte Antrag der CDU unterscheidet sich – das will ich sagen – in Form und Inhalt durch eine relativ sachliche Darstellung wohltuend von früheren Anträgen, während der Antrag der FDP augenscheinlich nur Oppositionsklamauk ist. Darauf werde ich während meiner Redezeit auch nicht eingehen.

(Christof Rasche [FDP]: Klamauk habt ihr in der Koalition!)

Zum Antrag der CDU: Wer dafür ist, dass das moderne Kraftwerk Datteln 4 ans Netz gehen kann, weil es zugleich zu Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Reduzierung der CO2-Emissionen beiträgt, liest diesen Antrag mit Sympathie und hat vielleicht sogar mit dem Gedanken gespielt, dem Antrag seine Zustimmung zu geben.

Wer aber das Urteil gründlich ausgewertet hat, in dem das Oberverwaltungsgericht Münster den Bebauungsplan Datteln 4 am 3. September 2009 für nichtig erklärt hat, erkennt beim Lesen des Antrags jedoch auch, dass die CDU das gesamte Ausmaß ihrer verheerenden Niederlage des von ihr zu verantwortenden Planungs- und Genehmigungsverfahren bis heute, fast vier Jahre nach dem Urteil des OVG Münster, immer noch nicht begriffen hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mir steht es nicht zu, zu beurteilen, ob das eine Frage des Wollens oder des Könnens ist.

(Thomas Kufen [CDU]: Sondern?)

Ich habe das schon häufiger hier vorgetragen, aber ich tue es gerne noch einmal. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat 2009 den Bebauungsplan aus mehreren Gründen für nichtig erklärt. Einer dieser Gründe liegt darin, dass das OVG festgestellt hat, dass die damalige Änderung des Regionalplans, Teilplan Emscher-Lippe, an mehreren Stellen nicht mit den Zielen der Landesplanung übereinstimmt.

Das damals für die Landesregierung zuständige Ministerium – unter Leitung von Frau Thoben als Ministerin – hat die Genehmigung dieses Regionalplans am 17. Mai 2006 erteilt, ohne zu prüfen, ob die gebotene Übereinstimmung gegeben ist, und ohne die notwendigen Abwägungen vorzunehmen. Das OVG hat das in seinem Urteil als Abwägungsunterlassung bezeichnet. Das ist quasi die Höchststrafe für die Landesregierung unter Schwarz-Gelb.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Um dieses von CDU und FDP zu verantwortende Chaos zu beseitigen, wird nun ein seriöses und akribisches Verfahren nachgeholt. Der RVR führt ein neues Regionalplanverfahren durch, das im RVR mit den Stimmen von Rot und Grün – von Ihnen auch – eingeleitet wurde. Der RVR hat viele Verfahrensschritte äußerst seriös abgearbeitet, immer im Bemühen, alles dafür zu tun, dass sich das schwarz-gelbe Chaos nicht wiederholen kann.

Wenn der Regionalplan, wie vom RVR geplant, rechtssicher verändert werden soll, ist dafür ein Zielabweichungsverfahren notwendig, weil die vom RVR geplante Regionalplanänderung an zwei Punkten mit dem gültigen Landesentwicklungsplan nicht vereinbar ist.

Das Zielabweichungsverfahren wird im Raumordnungsgesetz sowie im Landesplanungsgesetz § 16 Abs. 1 beschrieben – ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten –:

„Von Zielen der Raumordnung kann im Einzelfall in einem besonderen Verfahren abgewichen werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist.“

Ich will Ihnen die nähere Definition ersparen, klar ist aber: Bei dem Zielabweichungsverfahren bei der Landesplanungsbehörde handelt es sich um ein rechtlich selbstständiges Verfahren. Damit dieses Verfahren Bestand haben kann, muss die Landesplanungsbehörde ergebnisoffen prüfen. Diese Prüfung endet in einem Verwaltungsakt mit Rechtsqualität. Mit anderen Worten: Die Prüfung und ihr Ergebnis werden bei späteren Klagen gegen das Kraftwerk eine bedeutende Rolle spielen.

Ich will Ihnen in meiner Funktion als Mitglied der RVR-Verbandsversammlung in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe das Regionalplanänderungsverfahren im RVR nicht deshalb mit unterstützt, damit Zielabweichungsverfahren scheitern. Im Gegenteil, ich werde als Mitglied der Regionalversammlung am 5. Juli für die Beantragung von Zielabweichungsverfahren stimmen.

(Beifall von der SPD)

Das wird so sein. Und ich stimme nicht dafür in der Hoffnung, dass die Zielabweichungsverfahren scheitern, sondern weil ich will, dass sie positiv beschieden werden,

(Beifall von Lothar Hegemann [CDU])

nicht irgendwann, sondern zügig. Ich sage Ihnen aber auch: Ich will nicht, dass diese Landesregierung auch nur einen einzigen der planungsrechtlich notwendigen Schritte unterlässt. Ich will keine erneute Abwägungsunterlassung, wie sie von Ihnen in Ihrer Zeit zu verantworten war.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In Ihrem Antrag fordert die CDU die frühzeitige politische Festlegung für die Genehmigung der Zielabweichung. Mit einer frühzeitigen Festlegung dieses Hauses würde ein zusätzliches juristisches Risiko geschaffen und keine Sicherheit für das Kraftwerk.

(Beifall von der SPD)

Die SPD-Fraktion wird den CDU-Antrag ablehnen, weil Sie erneut der Risikoträger in dieser Frage wären, wenn wir zustimmen würden. Eine Zustimmung würde bei Datteln 4 nichts beschleunigen, sondern nur erneut eine durch die CDU initiierte Bruchstelle zum Nachteil von Datteln 4 ermöglichen. Sie lernen einfach nicht aus Ihren eigenen Fehlern. Deswegen müssen wir erneut gut aufpassen, damit Sie für dieses Haus nicht wieder Fehler produzieren.

Ich bin mir ganz sicher, dass das planungsrechtlich vorgeschriebene Verfahren nach dem Beschluss des RVR am 5. Juli in der Landesregierung mit der erforderlichen Akribie und dem notwendigen Tempo durchgeführt werden wird, so zügig, dass sichergestellt ist, dass alle bei einem positiven Ergebnis folgenden weiteren Verfahrensschritte – Regionalplanbeschluss im RVR und Veröffentlichung durch das Land – noch in diesem Jahr erfolgen können. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Priggen das Wort.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Hegemann, lieber Herr Brockes, ein solches Ausmaß an Heuchelei, wie Sie beide es eben geboten haben, habe ich in der energiepolitischen Debatte lange nicht erlebt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Heute Morgen hat mich die Nachricht erreicht, dass seit 10 Uhr – parallel zu unserer Plenarsitzung – die Gesellschafterversammlung der Trianel tagt, um das Aus für das Pumpspeicherkraftwerk in der Eifel zu beschließen. Gestern haben wir darüber geredet. Es wäre mit 700 Millionen € die größte Investition in der Eifel seit dem Bau der Talsperren. Und Sie von der CDU sind maßgeblich dafür verantwortlich – die FDP spielt dabei keine große Rolle –, dass das Projekt auf absehbare Zeit für uns in der Eifel und für Nordrhein-Westfalen verloren ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Hegemann, Sie verlangen hier, wir sollten ein Signal geben. Sie, gerade Sie sind in Ihren fünf Regierungsjahren für den Murks, der für eine Planungsruine gesorgt hat, mitverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Gestern haben Sie mitgeholfen, das Projekt kaputtzumachen. Wir als Grüne und die sozialdemokratischen Kollegen haben gestanden, und wir wissen, dass solche Speicher einen Teil der Energieperspektive sind. Es geht um die Einleitung des Planungsprozesses, danach kommen die Detailarbeiten, und Sie haben das Projekt aus populistischen Gründen kaputtgemacht. 700 Millionen €!

Und gleichzeitig haben Sie für die Ruine, die Baustelle in Datteln die Verantwortung, nicht die SPD und die Grünen. Bei diesem Genehmigungsverfahren habe ich zum ersten Mal das Wort „Abwägungsausfall“ gehört.

(Zurufe von der CDU)

Es hat Abwägungsdefizite gegeben, Abwägungsausfall gegeben.

Man kann der Meinung sein, Herr Hegemann, dieser Block ist für die Energiewende unbedingt notwendig, und man kann der Auffassung sein, die Kraftwerke stecken so in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dass das kritisch ist. Aber wir als Regierungsfraktion, als Regierung sind verantwortlich für ein sauberes Genehmigungsverfahren. Dazu haben wir uns verabredet, und das wird gemacht. Wir werden weder Ihren Murks wiederholen noch Ihre Reparaturversuche wiederholen. Dafür sind wir Gewährträger.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Herr Brockes dann ankommt und sagt, wir sollten uns zu irgendetwas bekennen: Sie haben in der Frage immer Bekenntnisse gefordert; sie sind vor die Wand gelaufen. Sie sind dafür verantwortlich, dass es zu den Gerichtsurteilen gekommen ist. Das steht einfach fest. Wir können alle Urteile nachverfolgen, die dazu gefällt worden sind.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Gleichzeitig haben Sie gestern mit dieser Dreistigkeit ein Projekt wie das in der Eifel kaputt gemacht. Heute stellen Sie sich hierhin und wollen von uns irgendwelche Bekenntnisse haben. Es ist alles albern, was Sie da machen.

Wenn man weiß, was heute Morgen um 10 Uhr war, und wenn man jahrelang dafür gearbeitet hat, dass diese Möglichkeit kommt, muss man sagen: Das ist eine sehr unschöne Sache.

Der Kollege Duin arbeitet an seiner Stelle, ich arbeite an meiner. Selbst wenn wir manchmal einen verbalen Austausch haben, den Sie nicht aushalten mögen, sage ich: Das wird uns beide nicht daran hintern, hier vernünftig und korrekt zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass diese Regierung wesentlich erfolgreicher ist, als Sie es in den fünf Jahren waren. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke Herr Priggen. – Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Schmalenbach das Wort.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich möchte mich gar nicht in die ollen Querelen aus der letzten Legislaturperiode einmischen. Ich habe keinen Spaß an dieser Nummer.

Ich würde mich gerne darauf beschränken, inhaltlich darüber zu reden, ob das gut ist oder nicht. Die Piraten jedenfalls lehnen das Projekt Datteln 4 ab. Das haben wir mehrfach gesagt. Die einschlägigen aktuellen Gerichtsurteile geben uns recht, ebenso der aktuelle Landesentwicklungsplan.

Dass einige Fraktionen hier das nicht akzeptieren wollen – okay, geschenkt. Wir akzeptieren das so; wir würden das lieber nicht ändern.

Was mich aber ein bisschen stört, ist die Begründung in den Anträgen, Datteln 4 werde zum Klimaschutz beitragen. Wir möchten diese Darstellung deutlich von uns weisen. Wir reden hier über Blöcke, die zusammen 300 MW Leistung erbringen. Diese ersetzen wir durch einen Block mit einer Leistung von 1 GW, der voraussichtlich mindestens 40 Jahre lang laufen und pro Jahr 5 Millionen t CO2 emittieren wird. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie wir mit diesem Kraftwerk, das tatsächlich mehr Kapazität haben wird, zu mehr Klimaschutz kommt.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

– Ja, wir können uns gerne über den Wirkungsgrad unterhalten. Da gebe ich Ihnen auch teilweise recht. Aber in der Summe wird das Kraftwerk mehr CO2 emittieren als aktuell.

Der RVR wird sich aller Voraussicht nach für das Zielabweichungsverfahren entscheiden. Davon gehen wir momentan aus. Wir stellen uns aber die Frage, was im Anschluss daran politisch passiert. Nach unseren Informationen müsste das durch die zuständigen Ministerien ebenfalls bejaht werden. Kann ich ein Kopfnicken bekommen, ob das so ist?

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das klären wir dann!)

– Okay, das wäre nett. Mir fehlt diese Information an der Stelle wirklich.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

– Das ist geschenkt, Herr Schmeltzer.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

– Ja, das ist okay. – Was mir bei den zuständigen Ministerien wichtig wäre: Ich hätte jetzt zum Beispiel den Wirtschaftsminister auf dem Plan, der seine Meinung schon ganz klar gesagt hat. Ich hätte Herrn Remmel auf dem Plan und gegebenenfalls auch Frau Steffens. Ich würde mir klare Statements aus den Ministerien wünschen.

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

– Ja, ich sagte „gegebenenfalls“, Frau Steffens. – Ich sage einmal: CO2 oder überhaupt Abgase zu emittieren ist doch gesundheitsrelevant, oder? – Ich weiß nicht, ob Sie das anders sehen, glaube das aber eigentlich nicht.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

– Okay, kein Problem. – Wir werden uns meiner Meinung nach demnächst auch über die Kohle selber unterhalten, und zwar darüber, dass wir Kohle aus Kolumbien und Südafrika importieren. Wir werden uns über die Arbeitsbedingungen und über die Umweltzerstörung in den entsprechenden Gebieten unterhalten und darüber, ob wir das wirklich so akzeptieren.

Unsere Position dazu ist jedenfalls klar. Aus unserer Sicht brauchen wir keine neuen Kohlekraftwerke, weder in Datteln noch in Niederaußem. Wir würden uns freuen, wenn wir endlich aktiven Klimaschutz und Gesundheitsschutz betreiben würden, und wir würden uns eine Ablehnung wünschen. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerpräsidentin Kraft das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmalenbach, zu diesem Tagesordnungspunkt spricht die Ministerpräsidentin, denn zuständig ist die Landesplanung, und die ist in der Staatskanzlei angesiedelt. Deshalb rede ich zu diesem Punkt. Auch Herr Brockes braucht sich nicht zu wundern; das ist schlicht und einfach mein Zuständigkeitsbereich.

Ich denke, es ist erforderlich, den einen oder anderen Punkt noch einmal in aller Sachlichkeit darzustellen und zu sagen, wo wir stehen. Zu den beiden Anträgen kann ich zusammenfassend nur sagen, dass die Landesregierung mit der Regionalplanänderung für den Kraftwerkstandort Datteln und einem dafür möglicherweise erforderlichen Zielabweichungsverfahren aktuell noch gar nicht befasst ist. Das ist Fakt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

– Herr Brockes, das ist doch erst im Ausschuss. Machen Sie sich doch mal kundig! Ein bisschen mehr Info wäre gut.

Der Antrag der CDU unterstellt einen Beschluss des zuständigen Gremiums des RVR, der noch gar nicht vorliegt. Aber ich bin selbstverständlich gerne bereit, noch einmal den aktuellen Sachstand und die gesetzlichen Zuständigkeiten zu erläutern und Hinweise auf das weitere Verfahren zu geben.

Bevor ich dazu komme, möchte ich aber noch einmal festhalten: Bei dem Verfahren für das Kohlekraftwerk in Datteln hat es verheerende Planungsfehler gegeben. Auch wenn Sie immer hereinrufen, das seien alte Kamellen, sage ich: Das ist die Ursache für das Dilemma, in dem dieses Kraftwerk steckt. Das sind Ihre Planungsfehler in Ihrer Regierungszeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, entschuldigen Sie.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Nein, ich möchte gerne zu Ende ausführen; denn es besteht sachlich offensichtlich noch Bedarf, das zu erläutern. – Die Verfahren sind dort zu verantworten. Die Planungsfehler haben dazu geführt, dass der Bau des Kraftwerks durch Gerichtsentscheidungen höchstrichterlich gestoppt wurde – nicht durch die amtierende Landesregierung. Auch das gilt es für die Zuschauerinnen und Zuschauer noch einmal festzuhalten.

(Christian Lindner [FDP]: Dann ändern Sie doch die Landesplanung!)

– Nein, wir machen keine Lex E.ON, wie Sie das vorhatten. Bei uns gibt es Gesetze, die für alle gelten und nicht für einzelne Unternehmen, so wie Sie das gern auch für Mövenpick und andere hätten. Das unterscheidet uns.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Das ist doch unterste Schublade! – Weitere lebhafte Zurufe)

Die Landesregierung hat stets betont – und dabei bleibt es auch –, dass sie selbst keine neuen Kraftwerke baut und auch keine begonnenen Projekte abbricht.

Nun aber zu den Hinweisen zur Rechtslage und zum Verfahren: Der RVR führt das Regionalplanänderungsverfahren zur Festlegung eines Kraftwerkstandorts auf dem Gebiet der Stadt Datteln eigenverantwortlich durch. Die Verbandsversammlung des RVR ist regionaler Planungsträger und hat damit die Sach- und Verfahrenshoheit über das Regionalplanänderungsverfahren. Im RVR wird aktuell über einen Antrag auf ein Zielabweichungsverfahren von den Vorschriften des Landesentwicklungsplans diskutiert, für das die Landesplanungsbehörde, nämlich die Staatskanzlei, im Benehmen mit dem Wirtschaftsausschuss des Landtages zuständig wäre.

Am 3. Juni hat der RVR in seinem Planungsausschuss einen solchen Antrag vorberaten. Die abschließende Beratung und ein eventueller Beschluss sind für die Verbandsversammlung des RVR am 5. Juli geplant.

Meine Damen und Herren, sollte der RVR die Beantragung eines Zielabweichungsverfahrens beschließen, wird die Landesplanungsbehörde in meinem Haus diesen Antrag gemäß § 16 Landesplanungsgesetz prüfen und im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ministerien sowie im Benehmen mit dem zuständigen Wirtschaftsausschuss des Landtages entscheiden.

Konkret würde sich ein Antrag auf ein Zielabweichungsverfahren voraussichtlich auf Abweichung von Ziel D.II.2.1 des LEP Nordrhein-Westfalen – hier geht es um den vorrangigen Einsatz heimischer Primärenergieträger zur Stromerzeugung – und auf das im LEP Nordrhein-Westfalen festgelegte Ziel B.3.5 – Standort für die Energieerzeugung Datteln-Waltrop – beziehen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, es gibt eine …

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Nein, ich würde das gerne ausführen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, es gibt einen weiteren Wunsch.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Ja. Ich möchte aber nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie möchten nicht.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Für diese Prüfung gelten keine Fristen. Die Dauer der Prüfung ist von der Komplexität des zugrundeliegenden Sachverhaltes abhängig. Eine Prüfung erfolgt nach den Vorgaben des Landesplanungsgesetzes. Und wir werden mehr Sorgfalt walten lassen, als das bei dem ersten Verfahren offensichtlich der Fall war.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gemäß § 16 LPIG kann von den Zielen der Raumordnung im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist. Dies ist – wie schon geschildert – im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ministerien zu prüfen. Fachlich zuständige Ministerien sind in diesem Zielabweichungsverfahren – das nur zur Erläuterung – das Ministerium des Kollegen Remmel und das Ministerium des Kollegen Duin.

(Zuruf: Reihenfolge!)

– Es gibt hier keine Reihenfolge, sondern beide Ministerien sind gleichrangig einzubeziehen. Auch wenn Sie das weiterhin versuchen: Es wird Ihnen nicht gelingen.

Gemäß § 16 Abs. 3 LPlG ist anschließend – wie ich bereits angeführt habe – das Benehmen mit dem für die Landesplanung zuständigen Ausschuss des Landtages herzustellen.

Meine Damen und Herren, inhaltliche Aussagen zum möglichen Zielabweichungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt sind sowohl nicht möglich als auch aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen, damit die Rechtssicherheit eines möglichen Verfahrens nicht gefährdet wird. Das sollten die Fraktionen von CDU und FDP auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter. Es sei denn, Sie wollen eine Gefährdung herbeiführen. Die Landesregierung wird alles tun, um ihren Beitrag zu einer rechtssicheren Entscheidung zu leisten.

An dieser Stelle kann ich noch ergänzen: Es gibt in diesem Fall keinen Zusammenhang, Herr Hegemann, zwischen dem Projekt in Datteln und newPark. Ein solcher Zusammenhang ist auch nirgendwo beschrieben. Der entspringt offensichtlich der Fantasie der CDU.

Ich ärgere mich wirklich darüber, dass Sie dauernd nur über eine energiepolitische Investition in Nordrhein-Westfalen reden und gleichzeitig andere wichtige energiepolitische Investitionen in Nordrhein-Westfalen massiv gefährden, unter anderem – wie wir gerade gehört haben – das Pumpspeicherkraftwerk in der Eifel. Das ist keine ehrliche Politik für dieses Land.

Wir wollen energetisch vorankommen. Das wird diese Landesregierung auch weiterhin tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, vielen Dank. – Zum einen darf ich darauf hinweisen, dass die Landesregierung die Redezeit um 1 Minute und 37 Sekunden überzogen hat. Das nur, falls noch weitere Wortmeldungen geplant sind.

Im Übrigen, Frau Ministerpräsidentin, darf ich Sie bitten, noch einen Augenblick am Rednerpult zu verweilen, weil sich Herr Kollege Brockes zu einer Kurzintervention gemeldet hat.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Oh!)

– Nach der Geschäftsordnung des Landtags ist das sein selbstverständliches Recht, meine Damen und Herren. Deshalb erhält er jetzt für bis zu 90 Sekunden das Wort. Frau Ministerpräsidentin wird dann direkt darauf antworten. – Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerpräsidentin, ich habe eben deutlich gemacht, dass es mich gefreut hat, dass Sie sich endlich mal persönlich zum Thema „Datteln 4“ hier im Parlament äußern. In der Vergangenheit haben Sie in der Regel nicht an diesen Debatten teilgenommen.

Leider musste ich dann aber feststellen, dass Sie mir eine falsche Faktenlage vorwarfen. Darf ich Ihnen deshalb mitteilen, dass es bereits einen Beschluss des Stadtrates Datteln gibt, der ein Zielabweichungs­verfahren gegenüber der Landesregierung beantragt hat, sodass ein solcher Antrag bereits bei Ihnen vorliegt. Somit müssen Sie zukünftig an dieser Stelle Farbe bekennen.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben es heute leider wieder mal versäumt, sich klar zu diesem Kraftwerk zu bekennen. Sie haben es darüber hinaus versäumt, sich hinter die Position Ihres Wirtschaftsministers zu stellen, der sich in den Medien klar dazu geäußert hat. Es ist traurig, aber mit dieser Herumlamentiererei kommen sie nicht weiter. Jetzt wird es Zeit, dass Sie sagen, ob Sie es wollen oder nicht.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerpräsidentin, Sie haben das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Lieber Herr Kollege Brockes, es wäre schön, wenn wir es schafften, uns im Parlament gegenseitig zuzuhören. Ich habe die Verfahren eben erläutert. Ich habe klargemacht, dass eine Rechtsunsicherheit damit verbunden wäre, wenn wir uns hier frühzeitig festlegen würden. Deshalb führt Ihre Einforderung eines Bekenntnisses völlig in die Irre.

(Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])

– Och, Herr Kufen, Sie können sich doch auch melden. Es ist doch alles in Ordnung.

(Zuruf von Thomas Kufen [CDU])

– Herr Duin hat seine Position dazu erläutert. Wir haben es mit einem normalen Verfahren zu tun. Die tragende Behörde ist – das habe ich doch eben deutlich gemacht – die Staatskanzlei. Versuchen Sie doch nicht immer, zu dramatisieren, wenn es überhaupt keinen Grund dazu gibt.

Ich sage Ihnen: Ein Bekenntnis, wie Sie es hier einfordern, wäre zum jetzigen Zeitpunkt eher schädlich.

(Armin Laschet [CDU]: Nein!)

– Doch, das wäre eher schädlich. Das Verfahren habe ich gerade dargelegt.

Außerdem führt uns ein Bekenntnis alleine nicht weiter. Wir halten uns daran, dass wir alles auf einem vernünftigen Verfahrensweg auf die Reise schicken – anders als Sie es damals getan haben. Und das werden wir auch tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Zu guter Letzt liegt mir eine Wortmeldung von Herrn Kollegen Schmalenbach vor, dem ich das Wort erteile. Bitte, Herr Kollege.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Der Kollege Schmeltzer wies mich gerade darauf hin, dass es traurig sei, dass ich nicht Bescheid wisse, wer zuständig sei. Ich zitiere erneut Frau Ministerpräsidentin:

„Zuständig für das Zielabweichungsverfahren beim Landesentwicklungsplan ist die Landesplanungsbehörde.“

– So weit, so gut.

„Sie entscheidet im Einvernehmen mit den fachlich zuständigen Ministerien ...“

Den Rest lese ich jetzt nicht vor. Uns war einzig nicht klar, welches denn die fachlich zuständigen Ministerien sind. Ich glaube, dass es durchaus legitim ist, zu fragen, ob das Gesundheitsministerium im Falle eines so hohen CO2-Ausstoßes nicht ebenfalls involviert ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Lindner zu Wort gemeldet.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Ah! Oh!)

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Frau Ministerpräsidentin! Die Fraktion der FDP hat hier heute ein Papier vorgelegt, bei dem es uns nicht darum ging, das Verfahren zu Datteln 4 schon abzuschließen. Da warten wir ab, was der RVR macht. Wir haben Ihnen hier ein politisches Papier vorgelegt, weil sich der Wirtschaftsminister Ihrer Regierung positiv zu Datteln 4 geäußert hat. Da ist er persönlich der Lächerlichkeit durch den grünen Fraktions­vorsitzenden ausgesetzt worden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Und was haben Sie hier heute gemacht? – Sie haben die Meinung eines Kabinettsmitglieds zu Datteln 4 zu einer Privatmeinung degradiert. Das zeigt: In dieser Landesregierung hat Ihr Wirtschaftsminister energiepolitisch keinerlei Einfluss.

(Beifall von der FDP)

Unser Land Nordrhein-Westfalen braucht aber einen Wirtschaftsminister, der Einfluss und vor allen Dingen auch die Rückendeckung der Ministerpräsidentin hat.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: So viel heiße Luft!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die CDU-Fraktion hat sich für die verbleibendende Redezeit noch Herr Kollege Kufen zu Wort gemeldet. – Herr Kollege.

Thomas Kufen*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur feststellen: Die Ministerpräsidentin hat uns das Verfahren sehr schön therapeutisch aufbereitet, keine Frage.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Hoffentlich hat es auch mal gewirkt!)

Dabei hat sie deutlich gemacht: Sowohl Herr Remmel als auch Herr Duin sind zu beteiligen, Vorfestlegungen sind falsch.

Ich kann Ihnen nur sagen, Frau Ministerpräsidentin, dass in diesem Hause in den letzten acht Jahren kein Umweltminister und kein Wirtschaftsminister von der eigenen Regierungsspitze derart versenkt worden sind, weil sie sich bereits festgelegt haben. Das haben Sie ja gerade kritisiert. Sie haben diese beiden Herren, von denen der eine gegen, der andere für Datteln 4 gesprochen hat, an dieser Stelle für das weitere Verfahren desavouiert – weil Sie bei dem Thema „Datteln 4“ offensichtlich mehr als Strom unter der Tapete haben; das ist schon durch den Wortbeitrag von Herrn Priggen deutlich geworden, der zur Sache gar nichts gesagt hat, sondern uns Geschichten aus der Eifel erzählt hat.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Insofern sage ich Ihnen ganz klar: Sie kommen damit nicht aus der Sache heraus.

Wir haben von Ihnen hier auch keine Vorfestlegung gefordert, sondern wir haben gefordert, dass Sie, wenn der RVR positiv entscheidet, zügig in die Prüfung gehen und nach Möglichkeit genehmigen. Das verlangen wir von Ihnen im Interesse der Versorgungssicherheit, im Interesse des Industriestandorts und im Interesse der Arbeitsplätze – und nicht, weil es E.ON ist, sondern weil es für dieses Land richtig ist.

(Beifall von der CDU und der FDP – Thomas Eiskirch [SPD]: Sie lernen es nicht!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kufen. – Für die SPD-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Römer zu Wort gemeldet.

(Zuruf von der CDU: Herr Römer, lösen Sie das Problem!)

Norbert Römer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Dann will ich am Ende dieser Debatte noch einmal für uns gemeinsam festhalten, dass in der Regierungszeit der abgewählten Regierung Rüttgers die damalige Wirtschaftsministerin Christa Thoben und der damalige Umweltminister Eckhard Uhlenberg gemeinsam dafür gesorgt haben, dass wir dieses planungsrechtliche Desaster im Zusammenhang mit dem Kraftwerk Datteln 4 und der Befassung des Oberverwaltungsgerichts bekommen haben – mit dem Ergebnis, dass aufgrund dieser planungsrechtlichen Fehler der damaligen, inzwischen abgewählten Landesregierung ein Bebauungsplan für nichtig erklärt wurde. Zu verantworten haben Sie das, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Sagen Sie doch nur, ob Sie jetzt wollen oder nicht!)

Ihre krampfhaften Versuche, jetzt einen Keil zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu treiben, werden Ihnen nicht gelingen.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Wollen Sie das AKW jetzt oder nicht?)

Wir werden das, was die Ministerpräsidentin gerade gesagt hat, ordentlich machen – im Gegensatz zu Ihnen. Am Ende wird dabei, Herr Hegemann, vor allen Dingen herauskommen: Ja, diese Landesregierung hat planungsrechtlich all das, was Sie vermurkst haben, aufgehoben und wieder ordentlich gemacht. Am Ende werden wir erleben, dass ein Gericht – bei dem wird das landen, egal wie die Entscheidungen ausfallen – dann aufgrund von planungsrechtlich vernünftigen Entscheidungen ordentlich wird urteilen können. In dem Moment werden Sie sich weiter empören dürfen. Aber Sie haben keinen Beitrag dazu geleistet – weder mit dieser Debatte noch mit dem, was Sie zu verantworten haben –, Ihre eigenen planungsrechtlichen Fehler hier in diesem Hohen Hause einmal anzuerkennen.

(Zuruf von der CDU)

Es wäre schön gewesen, Herr Hegemann, Sie hätten die Größe besessen, zu sagen: Ja, wir haben Fehler gemacht. Ihr wollt sie jetzt reparieren, wir helfen euch dabei. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das widerspricht sich bei Herrn Hegemann!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Priggen das Wort.

Reiner Priggen (GRÜNE): Herr Kufen, Sie bringen mich dazu, noch mal an das Mikrofon zu treten. Sie haben eben gesagt: Herr Priggen erzählt Geschichten aus der Eifel. – Ich sage Ihnen: Mittlerweile habe ich die Nachricht, dass die Entscheidung getroffen ist. Herr Kollege Laschet, es gibt keinen Grund mehr, darüber zu lächeln.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Sie haben eben sehr lustig reagiert. Sie und auch Herr Lindner sind ja nur sporadisch hier.

Ich sage Ihnen: Die Entscheidung, das Pumpspeicherkraftwerk in der Eifel zu streichen, ist soeben getroffen worden. Es gibt keinen Grund, dass Sie uns hier heute irgendetwas vorwerfen. Sie haben es gestern hier kaputtgemacht, Sie haben es im Regionalrat kaputtgemacht. Das waren in unserer Region, Herr Laschet, Investitionen in Höhe von 700 Millionen €.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sind nicht dagewesen, als es darum ging, Ihre auseinanderlaufende christdemokratische Truppe für diese Investition zusammenzuhalten. Ich sage es noch mal: Es wäre die größte Investition seit dem Talsperrenbau bei uns gewesen. Das hätten wir schaffen können.

Sie von CDU und FDP nehme ich nicht ernster. Sie sind weggebrochen und haben es nicht gehalten. Wir als Grüne haben gestanden. Anders als in Baden-Württemberg haben hier auch die Sozialdemokraten gestanden.

Sie räsonieren hier über einen Kraftwerksbau, für den Sie ebenfalls die Verantwortung hatten – da waren Sie sogar in der Regierung –, und machen uns Vorwürfe, obwohl wir das Verfahren sorgfältig machen. Man kann sich das ein oder andere wünschen – wir werden aber nicht so wie Sie vorgehen: mit Bekenntnissen und Ähnlichem. Das haben wir mehrfach gesagt.

Sie stecken uns damit auch nicht die Hütte an, um das ganz klar zu sagen. Da haben wir ganz andere Probleme in der Koalition, an denen wir intensiv arbeiten, als dass wir uns darüber auseinanderbringen lassen würden. Wir wollen ein korrektes Verwaltungsverfahren durchführen.

Das Ergebnis wird sowieso – davon bin ich überzeugt – wieder vor Gericht überprüft werden. Deswegen kann man jedem, der an dem Verfahren beteiligt ist, nur raten, sauber und sorgfältig zu arbeiten. Niemandem aus der Regierung sollte später etwas angelastet werden, wo wir doch nur den Murks beseitigen, den Sie angerichtet haben.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Priggen. – Für die Landesregierung hat sich noch einmal Frau Ministerpräsidentin Kraft zu Wort gemeldet. Bitte, Frau Ministerpräsidentin.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Lindner, ich möchte gerne etwas richtigstellen: Ich habe zu keiner Zeit die Meinung des Kollegen Duin als Privatmeinung bezeichnet. Das habe ich nicht getan.

Es gibt unterschiedliche fachliche Einschätzungen. Es gibt auch unterschiedliche politische Positionen. Aber anders als Ihre schwarz-gelbe Streitkoalition in Berlin tragen wir das sachlich miteinander aus und werden nach Sachlage urteilen und nach dem, was zu beurteilen ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von der CDU und der FDP)

– Dass Ihnen das nicht gefällt, dass Sie hier versuchen, den Spaltpilz zu setzen, und den Koalitionsshowdown erwarten, ist ja klar. Herr Brockes, gehen Sie nach Berlin, da können Sie das bei Schwarz-Gelb betrachten. Hier in Nordrhein-Westfalen gibt es das nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

Herr Kufen, mit Ihrer Bezeichnung „Geschichten aus der Eifel“ – und das zu einer 700-Millionen-€-Investition, die jetzt nach Sachlage nicht verwirklicht werden wird, weil die CDU sie verhindert hat – hat sich die CDU endgültig ins Aus geschossen, was eine ernsthaft energiepolitische Debatte in Nordrhein-Westfalen angeht.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Durch die erneute Wortmeldung von Frau Ministerpräsidentin Kraft stehen den Fraktionen weitere 60 Sekunden zur Verfügung. – Wortmeldungen gibt es bisher von der FDP-Fraktion. – Herr Kollege Lindner hat das Wort.

Christian Lindner (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Frau Ministerpräsidentin, wir können das gerne länger fortsetzen. Sie haben ja gesagt, Sie hätten so ein wunderbares Koalitionsklima hier und würden das Ganze fachlich-sachlich miteinander klären.

Offensichtlich schauen Sie zu selten „WESTPOL“, Frau Ministerpräsidentin. Da hat nämlich der Vorsitzende der grünen Fraktion über Ihren Wirtschaftsminister gesagt, er warne davor, „Wünsch-dir-was-Politik“ zu machen. Einem Kabinettsmitglied aus Reihen der Sozialdemokraten wird „Wünsch-dir-was-Politik“ vorgeworfen! Herr Priggen sagt, wenn jemand mal verbal über die Stränge schlägt, wie der neue Wirtschaftsminister, dann gehen die Grünen großzügigerweise gelassen damit um.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Ist das die Art von Sachlichkeit und respektvollem Umgang, den Sie für eine Regierung für angemessen halten, Frau Kraft?

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Wie es aussieht, gibt es keine weiteren Wortmeldungen mehr. Wir sind somit am Ende der Debatte angelangt. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Erstens stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3204. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt dieses Antrags. Wer dem CDU-Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Dann stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/3204 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden ist.

Zweitens lasse ich abstimmen über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/3239. Die antragstellende FDP-Fraktion hat ebenfalls direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt dieses Antrags. Ich darf auch hier um das Handzeichen derjenigen bitten, die diesem Antrag zustimmen möchten. – Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/3239 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenfraktion gegen die Stimmen von CDU und FDP abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen weiterhin zur Kenntnis geben, dass vier Abgeordnete der SPD-Fraktion gemäß § 46 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zu ihrem Abstimmungsverhalten schriftlich zu Protokoll (siehe Anlage) geben. Diese Erklärung ist dann im Protokoll nachzulesen. Die Erklärung werde ich nicht vorlesen. Aber selbstverständlich erkläre ich, dass es sich um die Abgeordnetenkollegen Hans-Peter Müller, Andreas Becker, Hübner und Löcker der SPD-Fraktion handelt.

Damit sind wir endgültig am Ende des Tagesordnungspunkts 4 angelangt.

Wir kommen jetzt zu der noch offenen Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 3; von daher gibt es keinerlei Anlass, den Saal zu verlassen. Wegen der abstimmungsfreien Zeit in der Mittagspause haben wir die Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/3227 – Haushaltssanierung in NRW nicht durch unseriöse Politik der Bundesregierung gefährden – noch nicht vornehmen können. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten direkte Abstimmung beantragt. Diese werden wir jetzt vornehmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU, FDP und eines Teils der Piraten bei Enthaltung eines anderen Teils der Piratenfraktion mehrheitlich angenommen.

Ich schließe damit die Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 3.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

5   Nordrhein-Westfalen setzt sich für mehr Transparenz des Bundesrates ein

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3246

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Marsching das Wort. Bitte, Herr Kollege.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren hier auf der Tribüne und zu Hause! Ich nerve Sie heute schon wieder mit dem Thema „Transparenz“. Ich habe da so eine Art Sprecherfunktion in meiner Fraktion bekommen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Aber ich mache das tatsächlich mit Leidenschaft.

(Britta Altenkamp [SPD]: Toll!)

Allerdings geht es dieses Mal nicht um den Landtag – Sie können also aufatmen –, sondern es geht um den Bundesrat.

Angefangen hat das alles mit einem Antrag unserer Fraktion zur Schließung von Steuerschlupflöchern. Als Antwort kam von der Landesregierung die Aussage: Das machen wir doch schon längst.

Bei der Recherche in den Veröffentlichungen des Bundesrates habe ich dann tatsächlich zwei Vorgänge hierzu gefunden: eine Initiative der hiesigen Landesregierung mit der Aufforderung an die Bundesregierung, bei internationalen Verhandlungen darauf zu drängen, Steuerschlupflöcher zu schließen, und eine weitere Initiative zum Jahressteuergesetz, wobei es konkret um die deutsche Steuergesetzgebung ging; bei dieser Initiative ist allerdings nicht ersichtlich, aus welchem Bundesland sie überhaupt stammt.

Es gab also eine Gesetzesinitiative des Bundestages, welche in den Ausschüssen des Bundesrates besprochen wurde. Der Bundesrat forderte dabei mehrere Änderungen, um Steuerschlupflöcher zu schließen, und forderte zudem die steuerliche Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Diese Empfehlungen sind öffentlich, aber die Beratungen dazu und auch die Antragsteller leider nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Im Bundesratsplenum wurde diesen Forderungen zugestimmt. Es gab einen Redebeitrag von Rheinland-Pfalz zu den vier Änderungen. Man kann also vermuten, wer Antragsteller war – wissen kann man es nicht.

Bei der Schlussabstimmung ist – wie im Bundesrat üblich – aus dem Protokoll leider auch nicht ersichtlich, wer bei diesem Antrag wie abgestimmt hat. Ich habe das Protokoll hier und lese die Stelle kurz vor. Die amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall-Düren sagt – es geht um die Anrufung des Vermittlungsausschusses –: Wer ist dafür? – Das ist die Mehrheit. – Das wird protokolliert.

Die Sache ging dann in den Vermittlungsausschuss. Der tagt übrigens – Überraschung! – nichtöffentlich. Er hat empfohlen, die steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften separat zu behandeln. Diese Empfehlung kann man wieder nachlesen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Alle Ausschüsse des Bundesrates tagen nichtöffentlich, alle Ausschussprotokolle sind nichtöffentlich. Die einzige Ausnahme stellt hier die Europakammer dar; denn die kann endgültig über Anträge abstimmen, daher muss sie öffentlich tagen.

Unser Antrag fordert die Landesregierung auf, sich für mehr Transparenz im Bundesrat einzusetzen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir gehen hier im Übrigen konform mit dem aktuellen Bundesratspräsidenten Winfried Kretschmann. Der hat bei seiner Antrittsrede am 2. November 2012 gesagt – Zitat –:

„Die Verfahren und Abläufe im Bundesrat sind für Außenstehende oft schwer oder gar nicht verständlich. Dies gilt zum Beispiel für unsere Abstimmungsverfahren.“

Wir hier im Landtag sind da wesentlich weiter – Gott sei Dank! Bei allen Gesprächen in allen Runden freue ich mich, immer wieder zu hören, dass wir hier in NRW ein anderes Verständnis von Parlamentarismus haben, ein Verständnis, das von Offenheit und Einladungskultur geprägt ist.

(Beifall von den PIRATEN)

In den letzten Jahren ist bei den Parlamentariern hier im Landtag die Erkenntnis gereift, dass nichtöffentliche Ausschusssitzungen die absolute Ausnahme sein sollten. Die meisten unserer Sitzungen haben wir geöffnet. – Danke schön dafür.

Bis vor Kurzem hatten wir dabei den Haushaltskontrollausschuss übersehen. Auf Nachfrage wusste keiner mehr, warum der eigentlich nichtöffentlich tagt. In Windeseile haben wir auch diesen Ausschuss geöffnet. – Danke schön dafür.

Unterstützen wir den Bundesratspräsidenten dabei, die Entwicklung hin zu mehr Offenheit und mehr Transparenz im Bundesrat zu forcieren, indem wir zeigen, dass die Kultur der Transparenz in Nordrhein-Westfalen sehr weit fortgeschritten ist und es sich lohnt, diese von hier zu exportieren. Ich würde mich über Ihre Unterstützung freuen. – Danke schön auch dafür.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Weckmann.

Peter Weckmann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Piratinnen und Piraten! Ich will Ihnen zugutehalten, dass Ihr Antrag gut gemeint ist. Viel mehr Positives kann man dazu jedoch nicht vermelden. Denn gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ach so! Richtig! – Monika Pieper [PIRATEN]: Zu früh oder zu spät!)

Der Antrag scheint mir nicht konsequent durchdacht, zeichnet ein Zerrbild der Wirklichkeit und ist obendrein handwerklich im besten Fall ausreichend.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Durchgefallen!)

Dass Sie gerne den Eindruck erwecken wollen, dass das Wort „Transparenz“ erst mit der Gründung Ihrer Partei Aufnahme in den Duden gefunden hat, wissen wir alle. Deshalb möchte ich meinem Eingehen auf Ihren Antrag ein paar Anmerkungen voranstellen. Sie müssen uns Transparenz nicht nahebringen oder erklären wollen.

Es war Willy Brandt, der den Satz „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ prägte,

(Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

dem sich die SPD auch heute noch verpflichtet fühlt. Es war – schon vor Herrn Kretschmann – Hannelore Kraft, die in ihrer Abschlussrede als Präsidentin des Bundesrates zum Thema „Beteiligung der Menschen“ deutlich Stellung bezogen hat.

Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Wir müssen ihnen“

– den Menschen –

„größere Einblicke in unsere Entscheidungsprozesse und Handlungsspielräume geben, schon weil unsere Themen, wie man anhand der Tagesordnung und der Strichdrucksachen immer wieder sehen kann, sehr komplex sind. Wir müssen die Fenster zur Politik ein großes Stück weiter aufmachen, auch die Fenster des Bundesrates.“

Kommen Sie heraus aus Ihrer virtuellen Welt! Akzeptieren Sie endlich die Wirklichkeit! Informieren Sie sich, bevor Sie hier Anträge einbringen! Bringen Sie sich auf den aktuellen Stand der Diskussion! Lassen Sie uns dann ordentlich im Interesse der Menschen unseres Landes in den Ausschüssen diskutieren!

Nun zu den Punkten Ihres Antrages.

Erstens. Die Sitzungen der Bundesratsausschüsse sind laut Geschäftsordnung des Bundesrates nichtöffentlich. Also sind es auch die Protokolle. Wenn Sie die Protokolle der Ausschüsse lesen wollen, müsste Ihr Antrag darauf abzielen, die Geschäftsordnung des Bundesrates zu ändern. Die Bundesratsausschüsse und auch der von Ihnen angesprochene Vermittlungsausschuss tagen zudem aus gutem Grund nichtöffentlich. Hier sollen tragfähige Kompromisse erzielt werden. Da ist die Vertraulichkeit des Wortes geboten und auch zielführend.

Ich gebe Ihnen insoweit recht, dass das Abstimmungsverhalten der einzelnen Länder in den Plenarsitzungen genauer dokumentiert werden sollte.

Dass Sie aber als Piratenfraktion laut Punkt 2 Ihres Antrages Abgeordneten eine Sonderstellung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern einräumen wollen, möchte ich hier gar nicht weiter kommentieren. Das spricht für sich selbst und ist entlarvend. Für Sie sind alle Bürgerinnen und Bürger gleich, Abgeordnete sind gleicher. Ihnen geht es nicht um Transparenz. Ihnen geht es um Kontrolle.

Punkt 3 des Antrags betrifft die Information des Landtages und der Öffentlichkeit durch die Landesregierung in Angelegenheiten des Bundesrates.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage …

Peter Weckmann (SPD): Nein.

Auch hier muss ich Ihnen ganz deutlich sagen: Auch dieses Rad ist bereits erfunden. Der Eindruck, den Sie erwecken wollen, ist unredlich.

Die Landesregierung muss ihre Positionierung im Bundesrat nicht in den Ausschüssen hier im Hause klären. Denn der Bundesrat besteht gemäß Art. 51 Grundgesetz aus Mitgliedern der Regierungen der Länder.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine weitere …

Peter Weckmann (SPD): Nein.

Darüber hinaus besteht hier im Hause eine Parlamentsinformationsvereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung, die unter Punkt 4 die Bundesratsangelegenheiten regelt.

Natürlich kann es sein, dass Ihnen die dort getroffenen Regelungen nicht weit genug gehen. Aber wenn es Ihnen wirklich um die Sache ginge, dann sollten Sie anfangen, sich dort einzubringen, wo Sie Dinge ändern können.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Hier im Parlament!)

Eine Gelegenheit dazu wäre gewesen in der Sitzung des Hauptausschusses am 22. November 2012, in der die Parlamentsinformationsvereinbarung auf der Tagesordnung stand. Hier jedoch Ergänzungen oder kritische Anmerkungen Ihrerseits? – Fehlanzeige.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage …

Peter Weckmann (SPD): Nein, ich bleibe dabei. Ich möchte zuerst zu Ende ausführen.

Im Gegenteil: Herr Kern spricht für die Fraktion der Piraten. Ich zitiere wieder mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Ausschussprotokoll:

„Nico Kern (PIRATEN) zeigt sich als Vorsitzender des inhaltlich tangierten Ausschusses für Europa und Eine Welt außerordentlich erfreut über das Zustandekommen dieser Vereinbarung, die einen elementaren Zugewinn für das Parlament … bedeute. Hierfür sei allen Beteiligten ausdrücklich gedankt.“

Hier wäre Platz gewesen für Ihre Anmerkungen, wenn es Ihnen wirklich um die Sache ginge. Ihr heutiger Antrag ist bloße Effekthascherei.

Deshalb werden wir diesem Antrag in dieser Form auch nicht zustimmen. Ich persönlich verbinde nochmals die aufrichtige Bitte damit an Sie, Diskussionen doch endlich dort zu führen, wo sie auch sinnvoll sind und hingehören, nämlich in den Fachausschüssen. – Glück auf!

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, ich bitte Sie, noch einen Moment am Platz zu bleiben. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Marsching. Bitte schön.

Michele Marsching (PIRATEN): Herr Kollege Weckmann, ich habe zwei Punkte, auf die ich eingehen muss.

Erstens. Das wurmt mich, weil ich mich da persönlich angegriffen fühle. Wenn Sie sagen, für uns sind alle Bürger gleich, aber Abgeordnete gleicher, möchte ich Ihnen den ersten Satz des zweiten Punktes vorlesen. Denn da steht:

„Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass zumindest die Abgeordneten der Landesparlamente ohne Hürden Einsicht in die oben genannten Unterlagen erhalten können.“

Natürlich wollen wir, dass das komplett öffentlich ist, und natürlich wollen wir, dass jeder Bürger Einblick in die Unterlagen bekommt. Aber mindestens die Parlamentarier, die davon betroffen sind, sollten diesen Einblick haben. Das steht hier. Da steht nicht: die Abgeordneten alleine, sondern: alle Bürger, zumindest die Abgeordneten.

(Beifall von den PIRATEN)

Das Zweite ist eigentlich eine Frage. Ich finde es übrigens peinlich, dass Sie Fragen nicht zulassen. Aber das ist ja jedem selber überlassen.

Ich frage Sie: Was hat die Parlamentsinformationsvereinbarung des Landtags Nordrhein-Westfalen mit den Dokumenten des Bundesrates zu tun? Das würde ich gerne noch von Ihnen wissen.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Weckmann.

Peter Weckmann (SPD): Zunächst einmal: Ich wollte Sie nicht persönlich beleidigen.

(Zuruf von den PIRATEN: Ja? Hat nicht geklappt!)

Sie haben ja dankenswerterweise den Wortlaut Ihres Antrages noch einmal genau vorgelesen. Der sagt doch eigentlich alles: zumindest den Abgeordneten. – Damit schließen Sie doch andere aus, oder nicht? Natürlich. Bürgerinnen und Bürger sind gleich, Abgeordnete sind gleicher.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Sie machen sich zum Obst!)

Dabei bleibe ich. Daran ändert auch Ihr Einwand nichts.

Das andere ist: Laut Parlamentsinformationsvereinbarung des Landtages unterrichtet die Landesregierung den Hauptausschuss beispielsweise zweimal jährlich über die Beratungen des Bundesrates. Sie legt dort auch Punkte vor. Gegebenenfalls auf Antrag einzelner Fraktionen dieses Hauses unterrichtet die Landesregierung auch öfter.

Damit ist Ihre Frage doch hoffentlich ausreichend beantwortet.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nein! Entschuldigung!)

– Nein? Dann tut es mir leid. – Danke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Weckmann. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete von Boeselager.

Ilka von Boeselager (CDU): Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenige Zuschauer sind noch anwesend. Ja, der Antrag der Fraktion der Piraten ist eigentlich nicht so spannend, wie er sich auf den ersten Blick darstellen will. Der Kollege hat es eben schon deutlich gemacht.

Die Landesregierung hat im Dezember 2012 – und das muss ich auch aus der Opposition heraus zugeben – eine Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung über die Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung beschlossen. Sie betrifft unter anderem den Bundesrat. Man kann sich frühzeitig informieren. Wenn man einen besonderen Punkt hat, ist es wichtig und richtig, dass man die Informationen jederzeit erhalten kann. Auch wir haben in unserer Regierungszeit immer größten Wert darauf gelegt, vorbildlich zu informieren.

Transparenz ist wichtig. Allerdings sind funktionierende Bundestagsbeschlüsse ebenfalls wichtig. Eine pauschale Veröffentlichungspflicht würde die Arbeit in den Ausschüssen erheblich beschweren, denn wir haben es mit vielen Bundesländern zu tun, Herr Kollege, das müssen Sie doch auch verinnerlichen. Es ist nicht so, dass man das en passent durchwinken kann, sondern da müssen gewisse Spielregeln eingehalten werden.

Unsere Bewertung des Antrags lautet: Die Geschäftsordnung des Bundesrats hat sich in ihrer jetzigen Form bewährt. Der Antrag ist aus unserer Sicht deshalb abzulehnen.

Aber warum? § 37 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates lautet:

„Die Sitzungen der Ausschüsse sind nicht öffentlich. Die Verhandlungen sind vertraulich, soweit der Ausschuss nichts anderes beschließt.“

Frau Ministerin wird es gleich sagen: Der Ausschuss könnte es auch anders beschließen.

Gemäß § 44 sind die Sitzungsniederschriften vertraulich. Weiter heißt es:

„Der Wortlaut der von einem Ausschuss gefassten Beschlüsse und die dazu formulierten Begründungen können der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, soweit der Ausschuss nicht anderes beschließt.“

Die Aufgabe der Ausschüsse besteht darin, die Beratungen und Beschlussfassungen des Bundesrats­plenums vorzubereiten. Dazu legen sie dem Bundesrat Empfehlungen vor. Sie können sich vorstellen, was das alles bei 16 Ländern bedeutet.

Zur Nichtöffentlichkeit der Sitzungen gibt es einschlägige Literatur, wie den Kommentar von Konrad Reuter. Das alles kann man nachlesen. Ich will es jetzt nicht wiederholen. Diese Expertenmeinung teilen wir. Ich möchte betonen, dass eine Demokratie verschiedene Formen der Kommunikation zulassen muss – so laut Prof. Weidenfeld.

Meiner Ansicht nach kann man hier nicht alles vorweg öffentlich diskutieren, weil es zu keinen schnellen Entscheidungen im normalen Verfahren kommen kann, sondern alles sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen würde.

Gemäß § 45f der Geschäftsordnung des Bundesrates verhandelt die Europakammer öffentlich. Ihre Beschlüsse und ihre Begründungen werden veröffentlicht, soweit die Europakammer nichts anderes beschließt. Über die Sitzungen der Europakammer ist gemäß § 45j der Geschäftsordnung eine Niederschrift zu fertigen. Der Bericht ist vertraulich, soweit die Verhandlungen vertraulich sind. Auch dazu kann man in dem Kommentar von Herrn Reuter nachlesen.

(Zurufe von der SPD und den PIRATEN: Ändern!)

– Ja, ändern. Ich bin auch immer fürs Ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber dann muss es auch etwas Besseres für die Zukunft bedeuten. Das ist hier einfach nicht ersichtlich. Insofern sind wir der Meinung, dass wir beim bisherigen Verfahren noch bleiben sollten.

(Beifall von der CDU)

Sie haben den neuen Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg, Herrn Kretschmann, zitiert. Vielleicht hat er aus heutiger Sicht, nachdem er die Arbeitsabläufe länger verfolgen und erleben konnte, seine Meinung schon geändert.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Stein gestatten?

Ilka von Boeselager (CDU): Bitte, welche Zwischenfrage steht an?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Stein.

Robert Stein (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Dürfen wir das so verstehen, dass die nötige Transparenz, die wir hier im Landtag vorleben, für den Bundesrat zu zeitaufwendig ist, für den Landtag aber nicht? Bedeutet das im Umkehrschluss vielleicht, dass wir hier die Transparenz einschränken müssen? – Das reicht erst einmal. Danke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, bitte.

Ilka von Boeselager (CDU): Lieber Kollege, ich schätze Sie sehr, aber Sie dürfen Birnen nicht mit Äpfeln vergleichen. Die Diskussion im Bundesrat mit 16 Ländern ist doch etwas ganz anderes als das, was wir hier im Landtag machen. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Boeselager. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Marsching, aus Ihrem Redebeitrag entnehme ich Folgendes: Wir beide haben die gleiche Erkenntnis. Das, was der amtierende Bundesratspräsident, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann, sagt, ist in der Regel gut und klug und richtig. Insofern kann ich Ihnen nur zustimmen.

(Zuruf von der CDU)

Es macht mich aber ein bisschen traurig und meine Laune ist gerade rapide gesunken, als von der Parlaments- und Informationsvereinbarung die Rede war und Sie gefragt haben, was darin zum Bundesrat steht. Wir haben die Vereinbarung im Hauptausschuss im November beraten. Sie sind Mitglied im Hauptausschuss. Wenn ich einen Antrag hier im Plenum verteidige, bei dem es darum geht, mehr Transparenz im Bundesrat zu schaffen, und wir gerade mit der Parlaments- und Informationsvereinbarung mehr Transparenz geschaffen und neue Mechanismen eingeführt haben, ist es nicht gerade richtig begeisternd. Ich müsste doch voraussetzen können, wenn Sie den Antrag schreiben und hier einbringen und dazu reden, dass Ihnen das im Detail bekannt ist.

Wir werden den Antrag ablehnen. Es gibt gute Sachen. Das, was aus meiner Sicht sehr problematisch ist, ist das, was Sie in Ihrem Antrag unter Punkt III.3 steht. Sie wollen die Landesregierung auffordern, die Kommunikation ihres eigenen Abstimmungsverhaltens im Bundesrat zu verbessern. Als Beispiel nennen Sie – wenn ich zitieren darf, Herr Präsident –:

„Begründungen zum beabsichtigen Abstimmungsverhalten in Ausschüssen und in Plenarsitzungen oder die Ermöglichung vorhergehender Beratung von strittigen Punkten im jeweils fachlich dafür zuständigen Ausschuss des Landtages NRW.“

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter Engstfeld, würden Sie eine Zwischenfrage – es gibt zwei Zwischenfragen, die angemeldet sind – des Abgeordneten Kern zulassen?

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr gerne, Herr Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Danke schön, Herr Kollege Engstfeld, für die Zulassung. – Ich möchte kurz darum bitten, dass Sie, weil das Thema PV aufkam, das Zitat bestätigen, das Kollege Weckmann gebracht hat. Er hat mich zitiert, dass ich das begrüßt habe, wobei ich das ausdrücklich auf die Zusammenarbeit hinsichtlich der Frühwarndokumente und die schriftlichen Berichte bezog, die wir seitens der Landesregierung bekommen haben, sodass das in diesem Zusammenhang falsch verständlich vorgebracht wurde. Danke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Abgeordneter .

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Kollege Kern, da müssen wir alle ins Protokoll gucken. Das kann ich aus dem Kopf heraus nicht sagen. Man kann ja im Protokoll nachlesen, was Sie da genau gesagt haben. Ich habe es so in Erinnerung, ohne den Wortlaut von jeder Äußerung zu kennen, dass die Piratenfraktion der Parlaments- und Informationsvereinbarung zugestimmt hat.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, es gibt eine weitere Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Schulz. Möchten Sie die zulassen?

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ja, gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Danke, Herr Kollege Engstfeld, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Engstfeld, würden Sie mir beipflichten wollen, dass selbst dann, wenn in Ausschüssen bestimmte Prozesse stattgefunden haben, an deren Ende beispielsweise eine Informationsvereinbarung steht, zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund aktueller Veranlassung auch ein darüber hinausgehender, erweiternder, nämlich den Transparenzgedanken und dessen Durchsetzung erweiternder Antrag opportun, nein, sogar zweckmäßig und sinnvoll ist, wie es hier der Fall ist, bei dem es um eine aktuelle Veranlassung bezüglich einer Bundesratssitzung ging und weder auf Referentenebene noch auf Abgeordnetenebene eine entsprechende Protokollierung erhältlich war?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Abgeordneter Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Das mag so sein. Das ändert aber nichts daran, dass das – ich habe es gerade gesagt –, was Sie fordern, aus meiner Sicht praktisch nicht geht. Ich glaube, wir würden den ganzen Landtag hier lahmlegen und nur noch Bundesratsinitiativen diskutieren, wenn wir Ihrem Vorschlag so folgen würden. Insofern von unserer Seite an der Stelle keine Zustimmung.

Zustimmung aber – damit will ich auch enden – zu einem anderen Punkt. Ich glaube, dass wir in Richtung Transparenz – da bin ich bei Ihnen – Folgendes brauchen: dass wir nämlich wissen müssen, wie die Bundesländer in den Ausschüssen und im Plenum abgestimmt haben.

Ich muss es nicht unbedingt im Vorfeld sehen, aber ich muss nachher sehr schnell auf der Homepage des Bundesrates nachvollziehen können, wie die einzelnen Bundesländer abgestimmt haben. Das halte ich für eine positive Initiative in Ihrem Antrag, den Rest leider nicht. Insofern Ablehnung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Transparenz ist das Gebot der Stunde. Eines darf dabei allerdings nicht außer Acht gelassen werden: Transparenzanforderungen an öffentliche Institutionen, insbesondere Verfassungsorgane, dürfen deren Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen.

Den Bundesrat, der kein Parlament im eigentlichen Sinne ist, kann man sich als ein hoch komplexes Räderwerk vorstellen, bei dem in der Regel trichterförmig die Voten der Landesministerien über verschiedene Filter wie beispielsweise die Strichdrucksachen, in denen die die jeweils mehrheitliche Perspektive der entsprechenden Fachressorts widerspiegelnden Ausschussempfehlungen nebeneinander gestellt werden, nach und nach zu einem Beschluss des Bundesrates verdichtet werden.

Dazu dienen auch die auf den ersten Blick unübersichtlichen unterschiedlichen Abstimmungsmodi. In den Ausschüssen haben die Bundesländer jeweils eine Stimme, wobei Enthaltungen außer Betracht bleiben, im Plenum dagegen nach der Einwohnerzahl gestaffelte Stimmen. Stimmenthaltungen haben dort bei Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen unterschiedliche Auswirkungen. Jede Veränderung der geltenden Regeln, auch der über die Öffentlichkeit, muss daher gewährleisten, dass kein Sand ins Getriebe dieses gut geölten Räderwerks gestreut wird.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Transparenz und Sand im Getriebe! Sehr gut!)

Die dazu notwendigen Differenzierungen lässt Ihr heutiger Antrag vermissen. Meine Damen und Herren der Piratenfraktion, so hehr Ihre Zielsetzung sein mag, so wenig können die meisten Forderungen Ihres Antrags im Detail überzeugen. Der Antrag verlangt beispielsweise eine Veröffentlichung der Ausschussprotokolle.

Die Ausschusssitzungen des Bundesrates finden aber zu einem Zeitpunkt statt, zu dem sich die jeweiligen Landesregierungen noch gar nicht im Wege der Ressortabstimmung abschließend zu den einzelnen Fragen positioniert haben. Folgte man Ihrem Antrag, könnten Landesregierungen ihre Ressortabstimmungen möglicherweise nicht mehr in dem von Verfassungs wegen vorgegebenem Spielraum vornehmen. Ressortkonflikte aller Art wären sogleich Spielball der öffentlichen Meinung.

In verschärfter Form gilt Letzteres für Ihre weitere Forderung, auch die Sitzungen des Vermittlungsausschusses samt ihrer Protokolle öffentlich zu stellen. Der Vermittlungsausschuss dient dem Ausloten von Einigungsmöglichkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat. Zu befürchten wäre, dass die inhaltlichen Beratungen und Einigungsbemühungen weiter ins Vorfeld der Sitzungen verlagert würden, wo sie nicht nur jeglicher Transparenz, sondern auch jeglicher Rechtsförmigkeit beraubt wären.

Für den Ständigen Beirat gilt insofern nichts anderes. Dies kann nicht das Ziel sein. Daher können wir Ihrem Antrag nach Transparenz mit der „Holzhammermethode“ auch nicht zustimmen.

Meine Damen und Herren, soweit der Antrag das Abstimmungsverhalten des Landes in Plenarsitzungen des Bundesrates betrifft, möchte ich daran erinnern, dass bereits heute namentliche Abstimmungen beantragt werden kann. In diesem Fall wird das Abstimmungsverhalten aller Beteiligten aus dem bereits jetzt öffentlichen Plenarprotokoll ersichtlich.

Es gilt aber auch zu bedenken, dass im Falle der Durchführung der namentlichen Abstimmung als Regel sich der Charakter der Bundesratssitzungen stark verändern und insbesondere nicht unerheblich verlängern würde. Das heißt aber nicht, dass insoweit auf eine bessere Information der Öffentlichkeit verzichtet werden müsste. Nicht nur aus Sicht der Abgeordneten des Landtags NRW ist es doch von Interesse, wie beispielsweise die nordrhein-westfälische Landesregierung im Bundesratsple­num abgestimmt hat.

Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren, wie Sie wissen, enthält die Parlamentsinformationsvereinbarung zu den Bundesratsangelegenheiten fast ausschließlich Belanglosigkeiten wie die Übermittlung von Dokumenten, die ohnehin auf der Homepage des Bundesrats veröffentlicht werden. Die Landesregierung könnte einen Anfang auf dem Weg zu funktionswahrender Transparenz des Bundesrates machen, indem sie nach der Sitzung jeweils zügig dem Landtag mitteilt, wie sie im Bundesratsplenum abgestimmt hat.

(Beifall von Olaf Wegner [PIRATEN])

An dieser Stelle können Sie ohne größeren Aufwand für Transparenz sorgen, Frau Ministerin, und Ihnen und uns manche Kleine Anfrage ersparen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wedel. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Fraktion der Piraten vertritt die Auffassung, die Transparenz des politischen Diskurses im Bundesrat sei mangelhaft.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nicht nur wir!)

Sie sieht deshalb ein nachhaltiges Bedürfnis nach mehr Transparenz.

Meine Damen und Herren, auch für die Landesregierung ist die Herstellung von Transparenz und Offenheit ein wichtiges Element modernen Regierungshandelns. Wir haben uns nicht zuletzt deshalb im Koalitionsvertrag auf die Herstellung von mehr Transparenz, und zwar auf allen Ebenen, verpflichtet.

Dass wir das Thema Open Government ernst nehmen, hat nicht zuletzt der Kongress gezeigt, der hierzu in diesem Hause am 17. Mai veranstaltet wurde, an dem auch die Ministerpräsidentin teilgenommen hat. Darüber hinaus – das ist schon mehrfach erwähnt worden – haben die Präsidentin des Landtages und die Ministerpräsidentin am 13. Dezember 2012 die Parlamentsinformationsvereinbarung zur Stärkung der konstruktiven Zusammenarbeit zwischen dem Landtag und der Landesregierung unterzeichnet und somit ein starkes Zeichen für Transparenz gesetzt.

Auch wenn Sie, Herr Wedel, meinen, dass darin nur Belanglosigkeiten festgeschrieben seien, so finde ich dennoch, dass dort auch zum Bereich der Bundesratsangelegenheiten wichtige Informationsweitergaben festgelegt sind. Wenn man sich die Tagesordnung der Plenarsitzung des Bundesrates und ihre Erläuterung, die dann schon eine sehr gute Vorarbeit auch für die Abgeordneten des Parlamentes ist, einmal vor Augen führt, dann haben Sie dort schon Ansatzpunkte für Ihre politische Arbeit und für eventuelle Einflussnahme.

Ich will auf die weiteren Details nicht eingehen, weil ich noch andere wichtige Punkte zu erwägen habe. Es ist allerdings so, dass wir in der Tat darüber nachdenken können, ob die bislang zweimal jährlich stattfindende Information des Hauptausschusses vielleicht häufiger stattfinden sollte. Auf jeden Fall kann der Landtag jederzeit Informationen erbitten. Die Landesregierung wird diese Informationen geben. Der Landtag muss selbst überlegen, welche Punkte und welche Verfahren für ihn relevant sind.

Der Antrag der Fraktion der Piraten geht jedoch weit über den in der Parlamentsinformationsvereinbarung geregelten Umfang hinaus – eine Vereinbarung, die, wie wir vorhin schon festgehalten haben, konsensual zwischen dem Landtag und der Landesregierung festgelegt worden ist und eine Balance herstellen möchte zwischen einer möglichst großen Transparenz und den Anforderungen eines effizienten Regierungshandelns und Politikmanagements.

Ich will die Forderungen der Piraten nicht wiederholen, sondern jetzt zunächst noch einmal darauf eingehen, weshalb diesen Forderungen so nicht nachgekommen werden kann. Das Ansinnen der Fraktion der Piraten wird sowohl aus rechtlichen als auch aus prozeduralen Gründen den Besonderheiten des Bundesratsverfahrens nicht gerecht. Die Geschäftsordnung des Bundesrates regelt die Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen. Erst im Anschluss, nämlich im Plenum, wenn der Konsensfindungsprozess und Koordinationsprozess abgeschlossen ist, wird die Öffentlichkeit hergestellt. Und das nicht ohne Grund: Denn, meine Damen und Herren, Positionen, die in den Ausschüssen vertreten werden, sind zunächst häufig noch nicht in den Landesregierungen abgestimmt, sondern es handelt sich um einzelfachliche Auffassungen der Ressorts. Außerdem erfolgt die Ausschussarbeit im Bundesrat in der Regel auf Beamten- und Mitarbeiterebene.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulz zulassen?

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Lassen Sie mich noch diesen Gedanken zu Ende bringen.

Erst in den Kabinettssitzungen in der Bundesratswoche fällt die politische Entscheidung in den Ländern.

Jetzt können wir die Zwischenfrage nehmen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulz. Bitte schön.

Dietmar Schulz (PIRATEN): Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Frau Ministerin Schwall-Düren, sehen Sie es angesichts der Geschäftsordnung des Bundesrates als nicht auszuschließende Möglichkeit an, dass auf Initiative eines Bundeslandes diese geändert werden kann?

(Beifall von den PIRATEN)

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Die Geschäftsordnung kann nur mit Mehrheit geändert werden. Ich will aber an dieser Stelle sagen, was Frau von Boeselager schon angeführt hat: dass auf Anfrage auch ein einzelnes Ausschussprotokoll zur Verfügung gestellt werden kann. Das muss aber dann im jeweiligen Ausschuss beschlossen werden.

Ich möchte noch einmal auf die prozeduralen Fragen eingehen. Denn auch die Ergebnisorientierung der Verfahren spricht gegen eine Aufweichung der Nichtöffentlichkeit. Die Komplexität der Verfahren – das hat Herr Abgeordneter Wedel sehr gut dargestellt – ist extrem hoch. Wir haben es hier mit einer Überlagerung von ressortfachlicher Arbeit und Zielstellungen zu tun, die durch die politische Ausrichtung der jeweiligen Landesregierung geprägt sind. Hinzu kommt der unterschiedliche Stimmenanteil der Länder in den Ausschüssen und im Plenum.

Deshalb unterliegt der Bundesrat als exekutiv-föderale Kammer unseres bundesstaatlichen Systems Erfordernissen, die es notwendig machen, eine Verhandlungsatmosphäre herzustellen, die von Vertraulichkeit bestimmt ist. Nur in nichtöffentlicher Ausschusssitzung ist es den Ausschussmitgliedern möglich, Positionen auszutauschen, ohne Fensterreden zu halten. Der vertrauliche Beratungsprozess gewährleistet, dass auch ins Unreine gesprochen und Argumente und Positionen aus dem Stegreif vorgetragen werden können.

Das offene Wort im internen Kreis hilft auch, das Gegenüber besser zu verstehen und fördert so zuweilen die Kompromissbildung.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Die Beratungen des Bundesrates wären durch eine Veränderung dieser Praxis wohl noch stärker parteipolitischen Zwängen unterworfen. Seine ureigene Aufgabe ist jedoch die Artikulation von Länderinteressen, wobei diese durch die jeweilige Landesregierung vertreten werden. Seien Sie versichert, meine Damen und Herren Abgeordnete, …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: … unsere Landesregierung wird sich darum bemühen, den Landtag auch weiterhin so weitgehend und frühzeitig wie möglich über bundespolitische Aktivitäten zu informieren. Wir stehen zu der Verantwortung im Rahmen der bestehenden Verfahren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Ministerin, laufen Sie mir nicht weg. Es gibt zwar nicht den Wunsch nach einer Kurzintervention, aber es gab noch den Wunsch nach Zwischenfragen. Eine weitere würde ich zulassen, wenn Sie das möchten, und zwar von dem Kollegen Wegner von den Piraten, der sich zuerst gemeldet hatte.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Bitte sehr.

Präsidentin Carina Gödecke: Okay. – Bitte.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sie haben gerade ausgeführt, dass eine Vertraulichkeit aufgrund der Prozesse im Bundestag und aufgrund der Umstände sehr wichtig sei. Wenn ich von Vertraulichkeit spreche, möchte ich mich vor etwas oder irgendwem schützen. Können Sie einmal ganz deutlich sagen, vor wem sich die Politiker im Bundesrat oder in den Gremien schützen wollen?

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Es geht nicht darum, sich vor jemandem oder etwas zu schützen, sondern es geht darum, dass dort sehr komplexe Abwägungen erfolgen, um zu Kompromissen zu kommen. Sie wissen, dass das ein Geben und ein Nehmen ist. Es ist wirklich wichtig, dass die Vertraulichkeit erhalten bleibt, weil sonst der notwendige Verhandlungsspielraum durch das, was ich vorhin angedeutet habe – parteipolitische Vorfestlegungen, Grundlagen, auf denen wir zunächst selbstverständlich alle arbeiten, denn wir bekennen uns zu solchen parteipolitischen Grundlagen –, ex­trem eingeschränkt wird. Gelegentlich müssen wir aber im Sinne eines Kompromisses den Spielraum haben, davon abzuweichen. Das würde sehr erschwert werden.

(Beifall von der SPD und Matthi Bolte [GRÜNE])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die Beantwortung der Zwischenfrage, die nicht auf die Zeit angerechnet wird, hat die Ministerin dennoch die Redezeit um knapp zwei Minuten überzogen, sodass diese Zeit auch wiederum den Fraktionen zur Verfügung steht.

Es gab ohnehin eine weitere Wortmeldung bei den Piraten. Herr Kollege Marsching hatte sich noch einmal gemeldet.

Michele Marsching (PIRATEN): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin, Herr Weckmann, Frau von Boeselager, Kompromisse gehen nur mit vertraulichem Wort, sagen Sie.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nein, hat sie nicht gesagt!)

– Herr Weckmann hat es wörtlich gesagt. Ich frage mich: Warum darf ich die Interessen meines Landes im Bundesrat nicht wissen? Denn ein Abstimmungsverhalten ohne die entsprechende Begründung, wie es Herr Engstfeld es vorgeschlagen hat – wir können ja das Abstimmungsverhalten protokollieren –, ist eine Nullaussage, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn Sie sagen: „Wir müssen das vertraulich machen, weil wir sonst zu keinem Verhandlungsergebnis kommen“, frage ich mich, ob diese Aussage auch auf die Ausschüsse hier im Landtag zutrifft, denn die tagen alle öffentlich. Dann würden wir hier auch nicht zu Kompromissen kommen. Ich glaube, Ihnen geht es nicht darum, mehr Transparenz herzustellen, auch wenn Sie es immer wieder sagen, sondern Ihnen geht es darum, die Kontrolle im politischen Prozess zu behalten, um nicht mehr und nicht weniger: Wir sind hier, ihr seid da, und ihr bleibt bitte schön draußen!

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke, Herr Kollege Marsching. – Gibt es den Wunsch nach weiteren Redebeiträgen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung zu Tagesordnungspunkt 5, und wir kommen zur Abstimmung.

Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt durch, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3246„Nordrhein-Westfalen setzt sich für mehr Transparenz des Bundesrates ein“. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis gegen die Stimmen der Piraten abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt und rufe auf Tagesordnungspunkt

6   Bundesregierung muss die deutschen Seehafen-Hinterlandanbindungen der ZARA-Häfen im bundesweiten Interesse gezielt ausbauen und Engpassstellen beheben

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3226

Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Breuer das Wort.

Reiner Breuer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast zum Schluss möchte ich noch einmal Ihre Aufmerksamkeit erregen und insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP für den Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, gewinnen. Es wäre sinnvoll, wenn wir heute ein Signal nach Berlin senden könnten, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, die Seehafenhinterlandinfrastruktur auszubauen und zu stärken.

Der Anlass für den Antrag war eine gemeinsame Reise aller Fraktionen des Hauses zu den Seehäfen im belgischen Antwerpen und im niederländischen Rotterdam am 10. und 11. April dieses Jahres. Während der Reise der Mitglieder des Verkehrsausschusses wurde uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie gut sich die beiden ZARA-Häfen für die Zukunft im Bereich der Logistik aufgestellt haben. Die Belgier und die Niederländer haben längst erkannt, welche enormen Potenziale in einer globalisierten Welt in ihren Seehäfen stecken. Sie haben aus ihrer Sicht bereits die notwendigen und richtigen Schritte eingeleitet und die Infrastruktur an der See, aber auch im Hinterland deutlich ausgebaut. Sie sind selbst bei konservativer Prognose für absehbar starke Verkehrszuwächse gut gerüstet für eine Ausweitung des Seefrachtverkehrs.

Meine Damen und Herren, die Frage, die wir uns dort gestellt haben und uns auch weiterhin stellen müssen, ist: Sind wir in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen dafür gerüstet, den Zuwachs an Güterverkehren zu verkraften? Ist unsere Infrastruktur heute ausreichend ausgebaut? Sind unsere Verkehrswege auf der Straße, der Schiene und den Binnengewässern ökologisch und nachhaltig ausgerichtet, und zwar so, dass unsere Bürger diese Verkehre verträglich verkraften können?

Wenn wir uns ehrlich in die Augen schauen, müssen wir sagen: Nein, das ist heute noch nicht der Fall. – Umso mehr müssten wir eigentlich gemeinsam unsere Schlüsse ziehen, formulieren und gegenüber dem Bund vertreten.

Es scheint aber so, dass der Bundestagswahlkampf – wir haben heute an mehreren Stellen schon einen Vorgeschmack darauf bekommen – hier Einzug gehalten hat. Es war im Vorfeld nicht möglich, mit der CDU zu einer gemeinsamen Beschlussfassung zu kommen, auch mit der FDP leider nicht. Man kann schon erahnen, dass bei der CDU hier eine Art Inszenierung abläuft. Man ist im Wahlkampffieber. Auch Herr Wittke hatte ja in der letzten Woche das Wasser nicht halten können und musste ganz schnell ausplaudern, was Erfreuliches sich auf Bundesebene in dieser Hinsicht abzeichnet. Ich komme darauf zurück.

Eigentlich ist unstreitig, welche Kernprojekte wir gemeinsam im eigenen Interesse, aber auch im bundesdeutschen Interesse im Landtag vertreten müssen. Neben der wichtigen Schließung von Engpässen im Schienengüterverkehr stehen die schnellstmögliche Realisierung der Betuwe-Linie und die zügige Planung des Eisernen Rheins ganz oben auf unserer eigentlich gemeinsamen Prioritätenliste.

Wir freuen uns, dass endlich Bewegung in die unendliche Geschichte „Betuwe“ gekommen ist.

Wir haben Respekt und Anerkennung zu zollen für die Akteure auf Bundes- und auf Landesebene, die in Kürze eine verlässliche Vereinbarung treffen wollen. An dieser Stelle gilt natürlich unser besonderer Dank dem Entflechtungskünstler und Minister Herrn Groschek. Er ist der wahre Houdini der Verkehrspolitik auch hier in Nordrhein-Westfalen. Wir freuen uns, dass Sie mit sehr großer Verve dort herangegangen sind und gleichzeitig das Thema „RRX“ mit angepackt haben. Diese beiden Projekte sind ja miteinander verknüpft.

Gleichwohl möchten wir warten, bis die Tinte unter den avisierten Verträgen trocken ist. Bis auf Weiteres werden wir unsere Forderungen und berechtigten Ansprüche, die wir auch in dem Antrag niedergeschrieben haben, artikulieren, formulieren und diese an Berlin adressieren.

Dies tun wir auch weiterhin mit Blick auf den Eisernen Rhein. Wir müssen uns nunmehr sehr schnell interfraktionell zusammensetzen, um möglichst zu einer gemeinsamen Positionierung zu kommen. Das Angebot zur Einrichtung einer entsprechender interfraktionellen Arbeitsgruppe steht.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Breuer, ich muss Sie leider unterbrechen. Der Kollege Berger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Reiner Breuer (SPD): Ich denke nicht, dass eine rhetorische Frage erforderlich ist. Sie können sich ja gleich in Ihren Redebeiträgen hinreichend positionieren.

Zum Schluss möchte ich an Herrn Schemmer das Wort richten und ihn beim Wort nehmen. Er hat gestern in einer Debatte dargelegt, dass es an der Zeit sei, gemeinsam durch eine Tür der Verkehrspolitik zu gehen, die nicht immer offen sei. Richtig, Herr Schemmer. Genau Sie müssen durch diese Türe sehr bald gehen. Ich habe aber die Befürchtung, dass Sie nicht durch diese Tür passen, sofern Sie immer noch diese ideologischen Bretter vor dem Kopf haben, die Sie daran hindern. Aber wir werden ja gleich sehen, wie Sie sich zu unserem Antrag verhalten. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Breuer, bleiben Sie bitte hier. Der Kollege Dr. Berger hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Breuer, mir ging es in der angekündigten Zwischenfrage gar nicht so sehr um eine parteipolitische Frage.

Beim Thema „Eiserner Rhein“ vertritt die Bundesregierung ja eine andere Position hat als das Bundesland Nordrhein-Westfalen und der Landtag. Insbesondere steht die Bundesregierung auf dem Standpunkt, dass die Finanzierung einer wie auch immer gearteten Trasse des Eisernen Rheins so nicht darstellbar ist, weil drei verschiedene Nationen, also Belgien, Niederlande und Deutschland, einer gemeinsamen Finanzierung zustimmen müssten.

Ich habe in meiner Fraktion manchmal zu bestimmten Themen eine andere Meinung, aber vertrete eine Menge Bürger aus der Region, die sich mit verkehrspolitischen Belastungen abfinden müssen. Ich meine, man sollte, wenn man eine gemeinsame Position beschließen möchte – das ist der Gegenstand meiner Kurzintervention –, Verkehrsprojekte, die nicht finanziell abgeklärt sind und für die es noch keine trinationale Einigung gibt, aus Beschlüssen des Landtages heraushalten. Denn Menschen, die von Ankündigungen betroffen sind, dass möglicherweise hinter ihren Immobilien internationale Verkehrsgüterstrecken verlaufen, haben erhebliche Probleme mit den Werten ihrer Immobilien. Eine Ankündigung einer Güterverkehrsstrecke könnte dann natürlich negativ wirken.

Wenn man also den Eisernen Rhein fordert, dann muss man hinsichtlich der Finanzierung vorher Fakten geschaffen haben. Erst dann kann man über alles reden. Dann kann man auch mit der Region darüber sprechen, wie man es ausgestalten kann, wo man vielleicht Bahnhöfe und Wertschöpfung schaffen kann. Aber man sollte nicht einfach etwas in einen Antrag schreiben, Forderungen aufstellen …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Zeit.

Dr. Stefan Berger (CDU): … und dann nicht sagen, wie es nachher bezahlt werden soll.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank.

Reiner Breuer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege, das ist genau das, was wir wollen. Wir müssen auch hier eine gemeinsame Positionierung haben. Die haben wir eigentlich hier im Landtag auch klar und deutlich gefunden. Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesregierung hierzu klar und deutlich äußert. Es reicht eben nicht aus, sich immer wieder darauf zu berufen, dass man die historische Trasse des Eisernen Rheins will, die keiner mit einer Realisierungschance versehen hat. Sie müssen endlich Ihren Bundesminister dazu bringen, dass er die Verhandlungen mit den Niederländern und den Belgiern aufnimmt, um eine realistische Trasse zu erstellen. Sie sollten einmal Ihren Kollegen Herrn Ferlemann im Bund ins Gebet nehmen und ihm sagen, dass es keinen Sinn macht, immer weitere Trassenführungen zu diskutieren und ins Spiel zu bringen, sondern man muss sich endlich auf eine gemeinsame Linie verständigen und diese gemeinsam nach Berlin tragen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Breuer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Breuer hat es bereits gesagt: Der Ausschuss war vor einigen Wochen in den Hafenstädten Antwerpen und Rotterdam, und zwar, jedenfalls in meiner noch nicht allzu langen Abgeordnetentätigkeit, zum wiederholten Male. Wir hatten das ja auch schon in der letzten Legislaturperiode gemacht. Es war wieder einmal beeindruckend, zu sehen, welche Zuwächse es dort im Güterbereich schon jetzt gibt und in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Beispielsweise nenne ich die großen Auflandungen in Rotterdam, die Maasvlakte 2, die in Rotterdam gerade im Bau ist, und das, was sich in Antwerpen tut. Das ist mit den Häfen Neuss oder Duisburg nicht ansatzweise zu vergleichen. Schon heute werden dort riesige Gütermengen verarbeitet und verladen. Und in den nächsten Jahren kommen noch größere Gütermengen auf uns zu.

Von daher ist es gut und richtig, dass sich der Landtag heute zum wiederholten Male mit diesem Thema beschäftigt, nämlich mit der Frage, wie wir diese Gütermengen in den nächsten Jahren transportieren, abtransportieren können, wie wir es erreichen, dass die Straßen entlastet werden, wie wir sicher dafür sorgen können, dass Güter schnell von A nach B kommen und hier Mobilität und Beweglichkeit herrschen.

Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass das Bohren dicker Bretter auch Erfolg haben kann – wie in der vergangenen Woche, in der offenkundig ein Durchbruch in Bezug auf den Bau des dritten Gleises mit entsprechendem Lärmschutz bei der Betuwe-Linie erreicht werden konnte, und wie bei der Frage der Realisierung des RRX, bei der es jetzt entsprechende Signale von der Bahn und vom Bund gibt, dass die anstehende Finanzierungsvereinbarung endlich unterzeichnet werden kann. An dieser Stelle geht unser Dank an den Verkehrsminister und die Ministerpräsidentin,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

aber gleichzeitig auch an den Bund, die Bundesregierung und die Bahn AG; denn dabei handelt es sich um Projekte, die so lange liegen und so lange von verschiedenen Regierungen bearbeitet worden sind, dass man nur hoffen kann, dass die jetzt getroffene Vereinbarung auch wirklich unterschrieben wird, sodass die Tinte trocknen kann und diese Projekte endlich umgesetzt werden, damit wir hier auch einen Schritt vorankommen.

Wir haben die entsprechenden Punkte, die wir schon mehrfach debattiert haben, in diesem Antrag heute noch einmal vorgelegt, um auf die Missstände hinzuweisen und die Notwendigkeiten noch einmal zu formulieren.

Dabei geht auch kein Riss durch die Fraktionen. Vielmehr wird es in den nächsten Monaten und Jahren notwendig sein, dass sich NRW im Konzert der Bundesländer stark aufstellt – in Konkurrenz zu den Südländern, in Konkurrenz zu den norddeutschen Hafenstädten und den entsprechenden Bundesländern und in Konkurrenz zum Osten. Am besten kann das dann gelingen, wenn man fraktionsübergreifend agiert und dort vorstellig wird. Wie ich eben geschildert habe, war das bei der Betuwe-Linie jetzt hoffentlich endlich erfolgreich.

Bedauerlicherweise haben wir für die heutige Plenarbefassung keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen. Bei der CDU war das leider auch nicht gewollt, denke ich; denn der Antragsentwurf, den wir weitergegeben hatten, war schon auf Konsens geschrieben und kam trotzdem mit 95 % Änderungen zurück. Deshalb denke ich, dass dort nicht die Bereitschaft bestand, einen gemeinsamen Antrag zu stellen.

Bei der FDP war das anders. Da gab es Punkte im Bereich des Klimaschutzes und in der Frage eines PPP- oder ÖPP-Projekts, über die wir uns in der Kürze der Zeit nicht mehr verständigen konnten. Ansonsten besteht dort aber – wie schon in den letzten Jahren – eine gute Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass man sie hier entsprechend fortsetzen kann.

In dem – von mir nicht gewünschten – Fall der Fälle, dass die FDP Mitglied der Bundesregierung bleibt, würde ich auch darauf setzen, dass die Landtagsfraktion der FDP in Nordrhein-Westfalen dafür sorgt, dass in Berlin der Druck aufrechterhalten wird, damit wir auch in Berlin entsprechende Schritte realisieren können.

Herr Berger, Ihnen würde ich gerne Folgendes entgegnen: Das ist ja Ihr Thema, weil Sie regionaler Abgeordneter sind. An einem Punkt sind wir gar nicht weit auseinander. Herr Ferlemann hat vor drei Wochen beim IHK-Verkehrskongress in Düsseldorf angekündigt, dass die Bundesregierung nicht auf die Realisierung des Eisernen Rheins setzt. Bei dieser Einschätzung haben wir eine Differenz. Gleichzeitig hat er aber auch gesagt, er setze darauf, dass sowohl der Ausbau zwischen Venlo und Kaldenkirchen als auch das dritte Gleis zwischen Aachen und Düren realisiert würden. Nach unserer Einschätzung wird das zwar nicht ausreichen, um die Gütermengen von Antwerpen und Rotterdam abzutransportieren. Wenn wir an diesen Punkten vorankommen könnten, wäre das für die Region und für den Gütertransport aber ein riesiger Fortschritt.

Daher dürfen Sie sich gerne weiter mit uns zusammen dafür einsetzen, dass diese beiden Projekte vorankommen. Dann wären wir in der Tat einen Schritt weiter. Wenn man dann feststellen würde, dass der Eiserne Rhein zusätzlich nötig ist, müsste man das auch noch entsprechend voranbringen. Das ist unsere Auffassung. Sie haben aber unsere klare Unterstützung, wenn vonseiten der CDU hier endlich Signale kommen, dass man bei diesen beiden Teilabschnitten die Umsetzung des Ausbaus entsprechend voranbringt.

Noch einmal zusammengefasst: Das ist heute ein …

Präsidentin Carina Gödecke: Aber die Zeit …

Arndt Klocke (GRÜNE): Entschuldigung. Die Redezeit ist zu Ende. Dann spare ich mir die Zusammenfassung. Eigentlich habe ich auch alles gesagt.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und hoffe auf die entsprechende Unterstützung aller Fraktionen. Die Fraktionen sollten nicht gegeneinander handeln, sondern alle Fraktionen sollten in Berlin zusammen dafür eintreten, dass wir bei diesen Projekten endlich weiter vorankommen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Herr Kollege Klocke. – Für die Piraten spricht der Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Menschen am Stream und vor dem Protokoll! Dieser Antrag ist wichtig für die Menschen in NRW, Deutschland und Europa. Die Häfen in Belgien und in den Niederlanden wachsen. Sie setzen im Hinterland auf die Binnenschifffahrt und die Schiene. Wenn wir nichts tun, kommen die zusätzlichen Container anschließend zusätzlich auf unsere Straßen. Staus und Klimaschutz werden dann unsere geringsten Probleme dabei sein.

Die Zahlen, Daten und Fakten sind eindeutig. Ich verweise dazu unter anderem auf den Antrag. Dennoch müssen wir anscheinend noch massiv Aufklärungsarbeit leisten. Dieser Antrag spricht nicht nur Minister Groschek an. Er weiß ja, worum es geht. Ihn möchten wir bestärken und ihm den Auftrag des Landtags mitgeben – und auch noch ein paar Mal die Worte „wichtig“, „dringend“ und „Butter bei die Fische“.

„Offenkundiger Durchbruch bei der Betuwe-Linie“ klingt übrigens sehr gut. Ich will das aber auch von Herrn Grube und Bundesminister Ramsauer hören. Außerdem möchte ich, dass es weitergeht. Hält der Bundesverkehrsminister den Eisernen Rhein denn für ein regionales Leuchtturmprojekt, das wir hier zwar nett finden, das aber gesamtgesellschaftlich verzichtbar wäre? Wir wollen doch nicht hier zur Landgewinnung einen Bahnhof unter die Erde legen, sondern Versorgung und Mobilität in Deutschland generell sicherstellen.

Ein Popularitätsgarant ist der Bau und Ausbau von Güterverkehrsstrecken sicherlich auch nicht. Herr Berger hat gerade ein Beispiel genannt.

Selbstverständlich wünschen wir uns als Unterstützung etwas öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema. Das kann der vorliegende Antrag nur bedingt leisten. Das wissen wir. Gestatten Sie mir aber folgende Anregung: Wer die A1-Brücke als „Pisa-Schock für die Infrastruktur“ bezeichnet, sollte wissen, dass Pisa durch den Nationenvergleich so große Aufmerksamkeit erzielte. Im Vergleich zu unseren Nachbarn – nicht nur den Niederlanden und der Schweiz – liegen wir in Sachen Güterschienenverkehr ganz hinten.

Jetzt brauchen wir zu den Fakten nur noch ein Punktesystem und ein offizielles Ranking.

Wir erreichen hoffentlich auch die Mitglieder des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages; denn der Bundestag ist bezüglich eines von den Grünen eingebrachten Antrags mehrheitlich der Meinung, dass ein Ausbau der ZARA-Anbindung in direkter Konkurrenz zu den deutschen Häfen stehe und beides nicht zu realisieren sei. Die CDU dort hat vor allem vor Transitverkehr Angst.

Das zeigt erstens, dass alle Beteuerungen gegenüber NRW, die Hinterlandanbindung der ZARA-Häfen sei ein bundesweites Herzensanliegen, Blabla sind, und zweitens, dass die CDU im Bund entweder ignoriert, dass die Container ohne Schienenanbindung ihren Weg anderweitig durch Deutschland finden, oder das Straßennetz als ubiquitär ansieht – ein verbreiteter Irrtum, der mit der Diskussion um den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur endgültig passé sein sollte.

Was die Konkurrenz betrifft, so fördern wir die deutschen Seehäfen nicht dadurch, dass wir uns von unseren Nachbarn abklemmen. Wo ist der liberale Marktgedanke der Bundes-FDP, wenn er denn gesellschaftlich sinnvoll ist, wie in diesem Fall? Die Logistiker müssen wir natürlich auch noch überzeugen, und zwar durch klaren Willen, entschiedenes Handeln, und transparente Pläne.

„Güter auf die Schiene“ ist nur ein Lippenbekenntnis, wenn man gleichzeitig nichts dafür tut, sondern im Gegenteil die Deutsche Bahn ermuntert, den Einzelwagenverkehr zurückzudrängen und das Netz für Börsenpläne auf Verschleiß zu fahren. Ein Unternehmer, der dieses jahrzehntelange Lippenbekenntnis kennt, verweist auf die Zuwächse auf der Straße und verlangt dortiges Investieren. Er kann nicht auf Verdacht sein System wechseln. Eine Spedition plant mit dem, was da ist. Die Politik dagegen muss weiterdenken und gesamtgesellschaftlich handeln.

Aber leider kann die Landesregierung die Projekte nicht alleine stemmen. Nicht überall müssen wir auf die Bundesregierung schauen. Zwar sind PPP-Projekte, bei denen der Staat langfristig draufzahlt und nur die Schulden versteckt, auch unserer Ansicht nach keine Alternative, aber bei der Finanzierung können natürlich neben den Niederlanden, Belgien und der EU durchaus Logistik- und Infrastrukturunternehmen, die ein hohes Eigeninteresse an den Trassen haben, Partner sein.

Ohne den Bund können wir aber weder multinationale Verhandlungen führen noch Verkehrsinfrastruktur von bundesweitem Interesse planen. Wir brauchen die Unterstützung der Bundesregierung – natürlich auch finanziell – und die des Bundestags. Ich finde es schade, dass sich Herr Berger sehr eindeutig gegen den Eisernen Rhein positioniert hat. Insofern stimmt die Sache mit der gemeinsamen Position vielleicht doch nicht so ganz, aber ich hoffe darauf. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die CDU-Fraktion spricht Kollege Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn ein paar Anmerkungen zu Stil und Form von Antragsinitiativen der Regierungsfraktionen machen, was Sie sich, sehr geehrte Damen und Herren von den Piraten, offensichtlich ebenfalls langsam zu Eigen machen wollen.

Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidiums verschiedene Drucksachen. Drucksache 16/2277: „Bundesregierung muss Verantwortung für Realisierung einer Europäischen Frauenquote übernehmen“, Drucksache 16/2889: „Bund muss rasanten Anstieg von Mieten eindämmen“, Drucksache 16/2887: „Bundesregierung ist in der Pflicht, grundlegende Länderinteressen zu berücksichtigen!“ und schließlich der vorliegende Antrag, nach dem die Bundesregierung wieder einmal etwas machen muss.

Meine Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ich frage mich angesichts Ihrer Überschriften: Wozu brauchen wir überhaupt noch eine Landesregierung?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auch das Hohe Haus des Landtags benötigen Sie offensichtlich nur noch, um Wahlkampf, um Show zu machen. Mit der vorliegenden Form der Antragsinitiative erreichen Sie jedenfalls inhaltlich nichts, Sie machen nur Wind.

(Widerspruch von der SPD und den GRÜNEN)

In der Sache wollen Sie nicht ernsthaft gemeinsam die Interessen Nordrhein-Westfalens vertreten, indem Sie versuchen, einen breiten Konsens herbeizuführen. Diesen Vorwurf muss ich auch, sehr geehrter Herr Minister Groschek, an Sie adressieren. Sie reden immer gerne von gemeinsamem Handeln und fordern uns als Opposition auf, konstruktiv zu sein. Aber wenn es darauf ankommt, wenn Sie beim transnationalen Güterverkehr und bei den Hinterlandanbindungen der ZARA-Häfen selbst einmal initiativ werden müssen, hört man von Ihnen Sätze wie: „Ich bin ja nicht der Außenminister.“

(Zuruf von der SPD: Ich auch nicht!)

Das haben Sie gesagt. Mit dieser lapidaren Bemerkung entledigt sich der zuständige Fachminister seiner Verantwortung für ein zentrales Feld der wirtschaftlichen Stärke Nordrhein-Westfalens. Ich finde das bemerkenswert.

Zum Antrag: Es stehen zu Beginn einige richtige Feststellungen im Text. Die Darstellung der Herausforderungen ist zutreffend. Wie Sie sich vielleicht dunkel entsinnen können, haben wir den Antrag interfraktionell lange verhandelt. In der Problembeschreibung lag dabei sicherlich nicht der Dissens.

Der Antrag beinhaltet auch zu begrüßende Forderungen. Dabei geht es aber lediglich um Selbstverständlichkeiten, welche bereits im Grundkonzept für die Bundesverkehrswegeplanung berücksichtigt sind. Wir haben daher weitere konstruktive Vorschläge gemacht. Unter anderem wollten wir, dass im Antragstext auch die Aufgabenstellungen für die Landesregierung schriftlich dargelegt werden. Das war für Rot-Grün schon das Ende des Miteinanderredens.

Richtig ist und bleibt, die Landesregierung muss die Initiative ergreifen. Sie, Herr Minister, müssen den Weg bereiten, auf dem alle gemeinsam nach Berlin, nach Den Haag, nach Brüssel gehen und sagen: So machen wir das! – Der Kapitän gehört auf die Brücke und nicht ins Rettungsboot, Herr Minister Groschek.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Forderungen an den Bund alleine werden die Probleme nicht lösen. Das wissen Sie. Deshalb wollten wir den Lösungsweg nicht allzu einseitig beschrieben wissen.

Das Problem ist, dass Sie, Herr Minister Groschek, offenbar als Prophet im eigenen Land bzw. in Ihrer eigenen Partei nicht gehört werden. Sie sprechen von „gemeinsam“ und von „wir“, gestern im Plenum sogar von Freundschaft und Nähe, die Sie suchen wollen. Wenn es allerdings darauf ankommt, sagen die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen: Njet. Die Breuers und Klockes lassen den eigenen Minister im Regen stehen oder, was noch viel schlimmer wäre, die Fraktionen agieren so in Ihrem Auftrag.

Wie dem auch sei, Sie müssen zunächst einmal bei sich selbst und bei Ihren Regierungsfraktionen den Geist der Gemeinsamkeit herstellen, bevor Sie damit zu anderen gehen und dem Bund ungerechtfertigte Vorwürfe machen.

Durch einen formalen Akt machen Sie dann wirklich für jedermann deutlich, dass Sie ein Thema nur für den Wahlkampf instrumentalisieren. Sie stellen den Antrag zur direkten Abstimmung. Wie bei den eingangs bereits zitierten Antragsinitiativen, die alle in direkten Abstimmungen im Schnelldurchgang durchs Parlament gepeitscht wurden, verweigern Sie aus parteitaktischen Gründen die inhaltliche Debatte zu einem wichtigen landespolitischen Thema.

Sie wollen keine Debatte, keine Expertenmeinungen, keinen Austausch widerstreitender Argumente. Es könnte ja sein, dass das schlichte rot-grüne Weltbild – hier die Guten, da die Bösen – nicht mit der Realität übereinstimmt. Rot-Grün agiert wieder einmal nach dem Motto: Ich habe meine Meinung, störe mich nicht mit Argumenten! Über dieses Wahlkampftheater – Abteilung: unterste Schublade – ist die CDU-Fraktion sehr enttäuscht.

Über die Ernsthaftigkeit von Gesprächsangeboten werden wir vor diesem Hintergrund in der Zukunft mehrfach nachdenken müssen. Wir lehnen den Antrag hier und heute ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Voussem. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Rasche das Wort.

Ich würde mich gerne an den Vizepräsidenten Düngel auf der Besuchertribüne wenden. Sie wissen, dass man nicht zu lange auf der Besuchertribüne stehen sollte. Vielen Dank. – Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sechs Punkte zu dem Antrag, über den hier gerade beraten wird:

Erster Punkt. Wir haben oft über die Betuwe-Linie und den Eisernen Rhein geredet. Wir haben uns mehrfach zeigen lassen, wie gewaltig die Güterverkehrsströme steigen. Wir haben uns erklären lassen, wie wichtig die Hinterlandverkehre – der fließende Verkehr – für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen und für seine Arbeitsplätze sind. Wir waren uns alle einig, dass wir beide Strecken – Betuwe und Eiserner Rhein – dringend brauchen. Das alles haben wir dutzendmal erzählt; darin sind wir uns einig. Nichts Neues ist dabei.

Zweiter Punkt. Kollege Breuer, Sie haben uns, übrigens bevor ich überhaupt ans Mikrofon gegangen bin, in Ihrer Rede vorgeworfen – uns, der Opposition, und damit auch mir –, wir würden hier nur Bundestagswahlkampf machen. – Ich finde es ganz schön armselig, einen solchen Vorwurf zu Beginn einer Rede zu erheben. Ich habe gestern bei Münster–Lünen die Position der FDP vertreten. Das hatte mit Bundestagswahlkampf nichts zu tun. Es gab sogar Applaus von der SPD. Genauso mache ich das bei allen anderen Punkten auch. Das ist vielleicht nicht immer Ihre Position, aber ich mache hier keinen Bundestagswahlkampf und lasse mir das auch nicht von Ihnen unterstellen.

Dritter Punkt. Kollege Dr. Berger sprach eben zum Eisernen Rhein. Die Antwort des Kollegen Breuer: Der Bund muss doch dafür sorgen, dass da endlich etwas passiert. – Elf Jahre lang, unter Rot-Grün und unter der Großen Koalition – das ist noch nicht lange her, liebe Kolleginnen und Kollegen –, stellte die SPD den Bundeverkehrsminister. In diesen elf Jahren kam er mit den Kollegen Müntefering und Bodewig sogar zweimal aus Nordrhein-Westfalen, und in diesen elf Jahren hat sich beim Eisernen Rhein und bei Betuwe nichts auch nur einen Millimeter bewegt.

Jetzt hier die Frechheit zu haben, zu sagen, der Bund sei schuld, wohl wissend, dass sich elf Jahre zuvor unter der SPD nichts getan hat, ist einfach nur flacher, armseliger Bundestagswahlkampf. So kommen wir bei Projekten für Nordrhein-Westfalen nicht weiter.

(Beifall von der FDP)

Kollege Mike Groschek, den wir ansonsten sehr schätzen – der ebenfalls ab und zu Wahlkampf macht –, sagt auch oft, die Koalition im Bund und die Bundesregierung täten viel zu viel für andere Bundesländer, vor allem für Bayern, und viel zu wenig für Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Viel Geld fließt, teilweise in Sonderprogramme, nach Bayern – zu viel; da sind wir bei Ihnen. Aber das ist doch nicht neu. Wir wissen, dass sich die Länge des Autobahnnetzes in Bayern in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat. Elf Jahre lang geschah das unter SPD-Ministern. Das war also immer so.

Bayern ist im Verkehrsministerium auf der Bundesebene extrem gut vertreten. Wenn man dagegen ankommen will, braucht man da oben Persönlichkeiten. Wo kommt – das hat doch überall einige Aufmerksamkeit erregt – der Verkehrsminister im Kompetenzteam von Peer Steinbrück her? – Selbstverständlich aus Bayern. Sie wollen an der Verkehrspolitik doch gar nichts ändern. Auch unter Peer Steinbrück sollen die Bayern das Sagen haben. Deshalb soll bei Ihnen der zukünftige Minister aus Bayern kommen. Sie widersprechen sich da mal wieder, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Viertens: Thema „RRX, Betuwe – Finanzierung“: Ich bin ganz gespannt. Wir wissen doch, dass die Gelder über Jahre, wenn nicht sogar für zehn oder zwölf Jahre, vergriffen sind. Ich bin gespannt, was in diesem Vertrag steht. Wie viel Geld wird in jedem Jahr zur Verfügung gestellt, und woher kommt es ganz genau? – Darauf bin ich wirklich gespannt.

Fünfter Punkt: unsere Fahrt – darauf beruht der Antrag – nach Antwerpen und Rotterdam. Nach meinem Eindruck schwebte ein Geist über allem, was wir dort getan haben: bei den Gesprächen untereinander, mit den Belgiern und mit den Niederländern. Das war der Geist, dass wir im Wettbewerb für große Infrastrukturprojekte nur etwas erreichen können, wenn wir unsere Kräfte bündeln, in diesem Hohen Haus einen breiten Konsens haben und dann mit den Belgiern und den Niederländern gemeinsame Ziele formulieren. Dann können wir in diesem Wettbewerb endlich mal gewinnen. Das war der Geist dieser Reise.

Dann, meine Damen und Herren, kommt dieser Antrag. Die FDP hat zwei, drei kleine Änderungsvorschläge gemacht. Bei der Koalition gab es keine Bereitschaft, auf uns zuzugehen. Die Zeit war vielleicht zu knapp, um noch ein Gespräch zu führen. Aber unsere Änderungswünsche waren sehr bescheiden. Bei vier Punkten hätten man sich auch einigen können: Zwei nimmt man an, zwei nicht. – Dann hätten wir schon einen Konsens gehabt. Sie wollten ihn nicht haben.

(Reiner Breuer [SPD]: Sie haben sich zu viel Zeit genommen! Sie haben über drei Wochen gebraucht!)

Sie verraten den Geist dieser Fahrt.

(Reiner Breuer [SPD]: Sie sind auf Geisterfahrt!)

Herr Staatssekretär Adler war dabei; er kann es ihnen berichten.

Sechster Punkt. Gestern habe ich bei Münster–Lünen am Mikrofon gesagt: Es ist klug, wenn wir bei großen Schienenprojekten – bei Milliardenprojekten – in Deutschland, also auch in Nordrhein-Westfalen, nicht politisch bzw. wahlkampfmäßig entscheiden, sondern solche Anträge in den Ausschuss verweisen, wie es gestern der Fall gewesen ist. Die Kollegen von der SPD, insbesondere Verkehrsminister Groschek, haben geklopft.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Er hat mir Recht gegeben: So ist es richtig. – Was machen Sie heute, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Sie stellen den Antrag zur sofortigen Abstimmung. Sie waren nicht bereit, so viel Zeit wie nötig aufzuwenden, um aufeinander zuzugehen. Wenn Sie so vorgehen, kann das nur dazu führen, dass wir den Antrag ablehnen. Wenn Sie konstruktiv sind – vielleicht haben Sie die Größe –, überweisen Sie ihn wenigstens an den Ausschuss. Dann sind auch wir konstruktiv. Ich glaube, dann kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner. – Vielen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Nicht weglaufen. Es gibt keine Kurzintervention, aber es wurde der Wunsch nach einer Zwischenfrage geäußert. Die will ich noch zulassen, wenn Sie sie zulassen möchten.

Christof Rasche (FDP): Ja.

Präsidentin Carina Gödecke: Sie kommt vom Kollegen Klocke, der aber auf dem falschen Platz sitzt.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Frau Präsidentin. Ich hatte mich umgesetzt. – Lieber Christof Rasche, abgesehen von der SPD-Schelte stimme ich mit großen Teilen Ihrer Ausführungen überein.

Ich möchte nur nachfragen, ob es Ihnen denn bekannt ist, dass zwischen der Vorlage des Antrags, also dem Entwurf, und der Einreichung insgesamt sechs Wochen lagen und dass von der FDP über die Fachreferentenebene – ich habe die Papiere bei mir im Büro – insgesamt sieben Änderungswünsche kamen.

Mehr textlich waren fünf davon.

Zwei waren zentral: erstens, ob man in dem Antrag Klimaschutzaspekte berücksichtigt, und zweitens ging es – das habe ich auch in meiner Rede erwähnt – um eine ausschließliche PPP-Finanzierung für den Eisernen Rhein. Bei diesen beiden Punkten gab einen Dissens. Ich erwähne das deswegen, weil Sie es in Ihrer Rede so dargestellt haben, als ob man sich hätte verständigen können. Dass es nicht so war, habe nur daran gelegen, dass wir kein Interesse gehabt hätten. – Sind Ihnen die Punkte bekannt, an denen die Verständigung gescheitert ist?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Klocke, das war eher eine Kurzintervention als eine Frage.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Dann werde ich das nächste Mal die Chance der Kurzintervention nutzen!)

– Genau. Darauf wollte ich Sie gerne aufmerksam machen. – Herr Kollege Rasche, bitte.

Christof Rasche (FDP): Ich würde sagen, das war nicht „eher eine Kurzintervention“, sondern das war tatsächlich eine Kurzintervention. Sei’s drum!

In der Tat verlief es zeitlich zunächst sehr schleppend. Das lag daran, dass die Büros nicht besetzt waren. Zwischendurch kam die Pfingstpause, in der auch das SPD-Büro nicht besetzt war. Sie sagen es selber: Zum Schluss waren es ganz wenige Punkte.

Sie bringen in jeden Antrag – gestern beim Hochwasserschutz war es genauso – das Wort „Klimaschutz“ hinein. Das haben wir erst einmal infrage gestellt. An der Stelle hätten wir uns aber ohne Probleme einigen können.

Wir haben gesagt: Das, was der Neuss-Düsseldorfer-Hafen dem Ministerium vorgeschlagen hat, wollen wir ernsthaft überprüfen. Nicht: Wir wollen es oder wir wollen es nicht oder bewerten es! Nein: Wir wollen es ernsthaft überprüfen! – Ich glaube, da hätte man sich einigen können. Dem kann sich kein vernünftiger Mensch widersetzen.

Einen weiteren Punkt, den wir eingebracht haben, haben Sie gerade nicht erwähnt: Auch die Landesregierung soll alle ihre Möglichkeiten nutzen, um diese Projekte zu verwirklichen. – Auch darüber kann man eigentlich keinen Dissens entwickeln. Das wurde jetzt herausgestrichen, obwohl Sie ursprünglich einverstanden waren.

Konkret drei Punkte, an denen Sie die Verhandlung abgebrochen haben und haben scheitern lassen. Ich verstehe das nicht, und zwar erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass die SPD-Fraktion, die Grünen und insbesondere der Minister gestern gesagt haben: Lasst uns doch den Konsens finden; es ist klug, solche Anträge in den Ausschuss zu verweisen, statt hier rein wahltaktisch motiviert sofort zur Abstimmung zu stellen! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Klaus Voussem [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ja, wir unterstützen diesen Antrag selbstverständlich. Ich möchte in meinen Vorbemerkungen auf den Kollegen Dr. Berger, den Kollegen Voussem und den Kollegen Rasche eingehen:

Herr Rasche, ich beginne mit Ihnen! Sie haben auf die Konkurrenz- und Wettbewerbssituation hingewiesen. Das ist nicht nur eine zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen, sondern das ist eine zwischen NRW und NOD. Bezogen auf die ZARA-Häfen ist in den nordostdeutschen Ländern die Konkurrenzsituation genauso groß und ein Teil der Erklärung dafür, warum wir 30 Jahr lang an einer 73 km langen Schienenstrecke im wahrsten Sinne des Wortes „basteln“.

Zur Verantwortlichkeit in den letzten Jahrzehnten will ich der Vollständigkeit halber etwas hinzufügen, das Sie unterschlagen haben, obwohl es eine Zierde für Sie selbst ist: Die FDP hat über sehr viele Jahre hinweg die Schienenverkehrsabteilung im Bundesverkehrsministerium geleitet und ihren Beitrag dazu geleistet, dass die ZARA-Verbindungen leider nicht so sind, wie wir sie uns gemeinsam wünschen.

Zum Angebot von Herrn Voussem, dass ich die außenministerielle Verantwortung nicht ablehnen solle: Herr Voussem, ich möchte nur auf Folgendes hinweisen: Es bestünde tendenziell die Gefahr, dass dann nicht nur die Kavallerie reitet, sondern Kanonenbootpolitik herrscht. Das wäre wahrscheinlich nicht das richtige Instrument, um das Problem zu lösen.

(Vereinzelt Beifall und Heiterkeit)

Jetzt im Ernst: Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass der Konsens, soweit es die ZARA-Hinterlandhafenanbindung angeht, größer ist, als es diese Diskussion zum Ausdruck gebracht hat. Wir haben gemeinsam ein Problem erkannt, das im Grunde genommen zwei Seiten einer Medaille betrifft: Es geht um unser Bedürfnis einer optimalen Anbindung an unsere Seehäfen. Dabei rangieren die ZARA-Häfen noch vor den norddeutschen Häfen.

Deshalb brauchen wir Schienenverkehrsverbindungen. Das ist eine ökonomische und auch eine ökologische Perspektive. Der Lkw-Verkehr ist Problem, aber nicht Problemlösung. Deshalb brauchen wir den Eisernen Rhein neben der Betuwe. Das ist ganz wichtig.

Die Betuwe-Linie wird endlich Wirklichkeit, weil die Rahmenvereinbarungen im Grunde genommen ausgehandelt sind. Ich bin Ministerpräsidentin Kraft, Dr. Grube und den schlussendlich im Bund Verantwortlichen dankbar, dass wir nun diese Finanzierungsperspektive absichern können und den Zustand eines Bottroper Pferdemarktes überwinden. Auch das ist ein wichtiger Baustein, um die Betuwe endlich in der bestmöglichen Lärmschutzperspektive, die wir uns vorstellen können, praktisch erfahrbar zu machen.

Jetzt komme ich noch einmal zur Finanzierungsperspektive für den Eisernen Rhein! Wir werden in der vom Landtag beschlossenen Arbeitsgruppe ganz unterschiedliche Finanzierungsmodelle miteinander diskutieren. Es gibt die üblichen und traditionellen Finanzierungsinstrumente wie etwa die Regionalisierungsmittel, Bundesverkehrswegeplan- und Entflechtungsmittel sowie die unterschiedlichen Haushalte des Bundes, der Länder und der Kommunen. Darüber hinaus gibt es weitere Finanzierungsinstrumente. Die hinsichtlich ihrer Realisierungsfähigkeit und – was die Belastung für den Steuerzahler angeht – ihrer Tragfähigkeit auf Dauer einfach und nüchtern zu bewerten, ist doch bereits beschlossene Landtagssache. Also: Auch dort ist durch den letzten Antrag zu ZARA-Häfen eine große Gemeinsamkeit entstanden.

Gemeinsam müssen wir verhindern, dass sich historisch das wiederholt, was für den Investitionsrahmenplan 2011 bis 2015 der Bahn galt. In diesem Zeitfenster ist Nordrhein-Westfalen mit einem Bundesanteil von 1,9 % abgespeist worden. Das ist ein unhaltbarer, ja sogar skandalöser Zustand. Dessen Wiederholung müssen wir doch gemeinsam verhindern. Es kann nicht sein, dass wir nur ein Zehntel der Projektmittel bekommen, die uns eigentlich zustehen. Das müssen gemeinsame Botschaft und Anstrengung dieses Hauses sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb glaube ich: Wir müssen auf allen Ebenen dafür streiten. Herr Bayer – und leider nur Herr Bayer – hat live erlebt, wie wir letztens in Brüssel für eine verbesserte ZARA-Anbindung unter anderem mit dem Generaldirektor des Verkehrskommissariats der EU gekämpft und gestritten haben. Ich habe wiederholt mit Frau Staatssekretärin Mansveld, meiner Fachkollegin in den Niederlanden, gesprochen, damit die Niederlande zusätzlichen Druck in Berlin erzeugen. Denn die Niederlande haben ein staatsvertragliches Interesse an der Betuwe. Ich bin Herrn Generalkonsul Henk Voskamp zutiefst zu Dank verpflichtet, mit dem ich lange Gespräche geführt habe, um auszuloten, dass die Niederlande und Nordrhein-Westfalen doch im Grunde Seelenverwandte bei der Betuwe und dem Eisernen Rhein sind.

Also: Ich habe mir außenministerielle Kompetenzen angemaßt, die mir eigentlich nicht zustehen. Aber das ist ja auch nicht öffentlich geschehen. Von daher ist es verzeihlich.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Groschek, Entschuldigung, der Kollege Rasche würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Bitte schön.

Christof Rasche (FDP): Ich bekomme gerade fast schon Schläge von meinen Leuten hinter mir, denn wir haben ja Freitagnachmittag.

(Minister Michael Groschek: Wir hinken so lange hinterher! Jetzt ist es auch egal!)

– Okay! Ich habe Sie gerade wie folgt verstanden: Wir haben eigentlich gemeinsame Ziele, die wir dann auch gemeinsam zu erreichen versuchen sollten, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir sie nicht erreichen.

Wenn man etwas Gemeinsames will, muss man aufeinander zugehen. Sind Sie vor diesem Hintergrund nicht auch der Meinung, dass es dann klug wäre, einen Schritt aufeinander zuzugehen, indem wir diesen Antrag im Ausschuss beraten und dann versuchen, einen Konsens zu finden?

(Beifall von der FDP)

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Aus Sicht der Landesregierung kann ich nur sagen: Der vorliegende Antrag wird von uns voll und ganz unterstützt. Ich würde mich freuen, wenn sich alle Fraktionen diesem unterstützenden Votum anschließen könnten.

(Beifall von der SPD)

Aber das ist nur eine zurückhaltende Empfehlung. Als derzeitiger Nichtparlamentarier möchte ich mir an dieser Stelle nicht anmaßen, Ratschläge zu erteilen.

Eine letzte Bemerkung zur Verantwortlichkeit des Bundes. Staatssekretär Ferlemann hat diesen Punkt selbst ins Spiel gebracht, indem er sagte: Der Bund lässt noch eine dritte Trassenversion prüfen. Eine dritte Trassenversion, das heißt: Neben der Version „A 52“, die vom Parlament beschlossen wurde, und der historischen Version will der Bund – offensichtlich seine Verantwortung anerkennend – jetzt eine dritte Trassenvariante prüfen lassen.

Wie gesagt, dies war eine offizielle öffentliche Erklärung des zuständigen Staatssekretärs von Herrn Dr. Ramsauer. Wir sollten jetzt nicht so tun, als wäre der Bund ernsthaft daran interessiert, seine nationale Verantwortung auf Nordrhein-Westfalen zu delegieren. Ich glaube, so viel Wertschätzung wird der Bundesverkehrsminister unserem wunderbaren Land gegenüber nie zum Ausdruck bringen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ohne die Beantwortung der Zwischenfrage hat Herr Minister Groschek die Redezeit um 1 Minute und 23 Sekunden überzogen. Dieselbe Zeit könnte jetzt auch von den Fraktionen in Anspruch genommen werden. – Das ist nicht der Fall. Es bleibt dabei: keine weiteren Wortmeldungen. Dann schließe ich die Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt hiermit durch, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3226. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU, FDP. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag Drucksache 16/3226 angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6.

Nunmehr rufe ich auf:

7   Duales System der Krankenversicherung erhalten, 46.000 Arbeitsplätze sichern!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/3240

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Schneider das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die derzeitige Diskussion zur Zukunft der Krankenversicherung in unserem Land ist geprägt durch die Forderung nach einer Bürgerversicherung, wie sie unter anderem SPD und Grüne immer wieder reklamieren.

Als FDP-Fraktion sind wir nicht nur für die Freiheit der Bürger, sondern auch für deren Wahlfreiheit, auch und besonders in Bezug auf deren Krankenversicherung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es könnte die Bürger zwar freuen, dass nach „Hartz“ und „Riester“ nun eine Reform verlangt wird, die ihren Namen zu Recht tragen würde, nämlich Bürgerversicherung; aber ich versichere Ihnen: Die Freude darüber würde nicht lange währen. Denn hinter diesem schönen Namen „Bürgerversicherung“ verbirgt sich ein Schreckensszenario für die Versicherten: Zwangsmitgliedschaft statt Wahlfreiheit, beschränkter Leistungskatalog statt Wahlleistungen, ja sogar Einschränkungen bei der Arztwahl – dies sind nur einige Beispiele dafür, was auf die Menschen in Deutschland zukäme.

Dabei haben wir mit dem dualen Krankenversicherungssystem ein Modell im Gesundheitswesen, um das uns sogar das Ausland beneidet. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ist beispielsweise die Wartezeit auf einen Facharzttermin oder auf einen operativen Eingriff bei uns am kürzesten.

Wahrscheinlich höre ich von SPD und den Grünen gleich, dass das duale System zu einer Zweiklassenmedizin führt. Der Blick über den Tellerrand oder in diesem Fall über die Landesgrenzen zeigt aber, dass es in staatlichen Einheitssystemen – und nichts anderes ist diese Bürgerversicherung – deutlich öfter zu Leistungskürzungen und Rationierungen kommt – staatlich verordnet, versteht sich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dort suchen sich alle, die es sich leisten können, Wege zu einer besseren medizinischen Versorgung außerhalb dieses Einheitssystems. Das wäre dann eine Zweiklassenmedizin. An die Neiddebatte, die Sie damit losträten, werte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, möchte ich hier noch gar nicht denken.

Das Neben- und Miteinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung hat sich bewährt. Es handelt sich um ein gemeinsames Versorgungssystem, das allen ein flächendeckendes Angebot an Gesundheitsleistungen garantiert und einen Preis- und Qualitätswettbewerb generiert, der bei einer Integration wegfiele.

Das bestätigt auch Doris Pfeiffer vom GKV-Spitzenverband – ich zitiere –:

„Ohne die Konkurrenz von Privatversicherungen wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung reduziert wird, größer. In einem Einheitssystem ließen sich die Leistungen eher reduzieren.“

(Beifall von der FDP)

Die Pläne zur Einführung einer Bürgerversicherung richten sich aber nicht nur gegen die 9 Millionen Privatversicherten und ihre Versicherer. Mit der geforderten Zusammenführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung sind Zehntausende von Arbeitsplätzen in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen, gefährdet.

Ich habe mit vielen Beschäftigten gesprochen. Bei ihnen herrscht eine große Unsicherheit. Der einzelne Arbeitnehmer in der privaten Krankenversicherung weiß nicht, ob er seinen Arbeitsplatz verliert oder ob er zu den vermeintlichen Gewinnern zählt, weil er seine Arbeitsstelle – noch – behalten kann.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Schneider, Entschuldigung, dass ich auch Sie unterbreche. Der Kollege Yüksel würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Susanne Schneider (FDP): Ja, gerne.

Serdar Yüksel (SPD): Frau Schneider, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist es richtig, dass die FDP einen Gruppenvertrag mit der DKV – Deutsche Krankenversicherung AG – geschlossen hat und FDP-Mitglieder Exklusivrabatte bei einer privaten Krankenversicherung bekommen?

Susanne Schneider (FDP): Ich danke Ihnen für diese Frage. Wie Sie wissen, ist es in vielen Bereichen üblich, dass besondere Konditionen für Firmen, für Parteien usw. angeboten werden. Genaue Details sind mir hier aber nicht bekannt.

(Zurufe von der SPD)

Diese Frage hat aber nichts mit der Thematik „Arbeitsplätze in der PKV“ zu tun.

(Zuruf von der FDP: Eigentor, Eigentor!)

Ich habe, wie gesagt, mit vielen Beschäftigten gesprochen, bei denen eine große Unsicherheit besteht, weil sie eben nicht wissen, ob sie ihre Arbeitsplätze behalten oder verlieren werden.

Der Vorstandsvorsitzende einer großen privaten Krankenversicherungsgesellschaft in Dortmund versicherte mir, dass es in seinem Unternehmen noch nie zu betriebsbedingten Kündigungen gekommen sei. Falls sich aber die gesundheitspolitische Situation ändern sollte, könne sich das ändern.

Die Landesregierung berichtet hier so gerne, dass sie sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzt wie erst kürzlich bei Opel. Wo bleibt jetzt die Unterstützung für die 46.000 Beschäftigten in der privaten Krankenversicherung nur in Nordrhein-Westfalen?

(Beifall von der FDP – Inge Howe [SPD]: Sie verkennen doch völlig die Situation!)

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist der wichtigste Standort für die Krankenversicherer in Deutschland. Der Marktanteil der nordrhein-westfälischen Krankenversicherer am Krankenversicherungsgeschäft an den Bruttobeitragseinnahmen beträgt 46 %. Im Bundesländervergleich weist Nordrhein-Westfalen die höchste Dichte an Erwerbstätigen in der deutschen Versicherungswirtschaft auf.

Mit Köln, Düsseldorf, Dortmund, Wuppertal und Münster befinden sich in Nordrhein-Westfalen fünf deutsche Versicherungszentren. Die Arbeitsplätze der Versicherungswirtschaft in NRW werden also bei Einführung einer Bürgerversicherung überproportional von einem Arbeitsplatzabbau betroffen.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die FDP-Landtagsfraktion wird mit Sicherheit nicht tatenlos zusehen, wie Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen 46.000 Menschen in Angst und Schrecken versetzt,

(Beifall von der FDP)

indem sie deren Arbeitsplätze aufs Spiel setzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Lück das Wort.

Angela Lück (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag hat die FDP im Landtag – drei Monate vor der Bundestagswahl – ein Thema der Bundespolitik auf die Tagesordnung gesetzt. Der Wahlkampf lässt grüßen wie so oft in den letzten Plenartagen.

Nun aber zu Ihrem Antrag, Frau Schneider. Denn es ist, anders als Sie bemerkt haben, durchaus nicht so, dass sich das Nebeneinander der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen bewährt hat.

Das Beibehalten dieser beiden Versicherungen hat auch nichts damit zu tun, solidarische Freiheit bei uns in Nordrhein-Westfalen fortzuführen. Da haben wir sicherlich unterschiedliche Auffassungen von Freiheit. Denn die Menschen bei uns in Nordrhein-Westfalen spüren die Auswirkungen dieser falschen Weichenstellung jeden Tag: im Wartezimmer, wenn Privatpatienten bevorzugt werden, beim Spezialisten in den Unikliniken, bei denen Kassenpatienten oder Kassenpatientinnen oft Monate auf Termine warten, und natürlich in strukturschwachen Regionen, wo es zu wenige Ärztinnen und Ärzte gibt, weil die sich meistens an den Orten niederlassen, in denen viele Privatpatienten leben. Das ist die Realität. Diese Zweiklassenmedizin muss beendet werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb sehen wir uns mit unserem Eintreten für die Bürgerversicherung auch darin bestätigt, für alle einen gleichguten Zugang zu medizinischer Versorgung zu schaffen und die Privilegierungen im Gesundheitssystem abzubauen.

(Beifall von der SPD)

Die Bürgerversicherung als Vollversicherung bei Krankheit und Pflege für alle neu und gesetzlich Versicherten wird diese Privilegierungen im Gesundheitssystem abbauen und auch die Zweiklassenmedizin beenden. Das bedeutet Chancengleichheit und einen gleich guten Zugang zu medizinischer Versorgung und Pflege für alle, und zwar unabhängig vom sozialen Status oder vom Wohn­ort. Gesetzlich Versicherte müssen dann keine Diskriminierungen wie längere Wartezeiten oder Nachteile bei der medizinischen Behandlung mehr hinnehmen.

Mit der Bürgerversicherung wird ein einheitliches Versicherungssystem mit einer einheitlichen Honorarordnung für gesetzlich und privat Versicherte eingeführt. Außerdem wollen wir nicht nur die Solidarität zwischen den hohen und niedrigen Einkommen stärken, sondern auch die Arbeitgeber in einer tatsächlichen Parität wieder an den Beiträgen beteiligen.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Lück, Entschuldigung. Ich muss Sie unterbrechen, weil der Kollege Düngel Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen würde.

Angela Lück (SPD): Ja, bitte.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Kollegin Lück, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Wenn wir schon über Bundesthemen hier im Landtag sprechen, dann will ich dazu auch eine Frage loswerden.

Können Sie mir beantworten, wie die Bürgerversicherung die gerade von Ihnen geschilderten Probleme löst? Ich bin bei Ihnen, was die Solidarität usw. angeht, sehe allerdings weder in Ihren Wahlkonzepten noch in denen von Bündnis 90/Die Grünen wirkliche Lösungen, wie die Bürgerversicherung das eigentliche Problem lösen soll. Können Sie vielleicht kurz skizzieren, wie allein durch die Bürgerversicherung die Gesamtversorgung besser wird?

Angela Lück (SPD): Zumindest wird sie dazu beitragen, dass wir dann aufgrund der gleichen Honorarordnung für die Ärzte zumindest keine unterschiedlichen Ansiedlungsanreize mehr gibt, sprich: dass es die Ärzte nicht mehr dorthin zieht, wo viele Privatpatienten sind, mit der Folge, dass in ländlichen Regionen der Mangel an Ärzten zunimmt.

Frau Schneider, Sie haben heute hier in vorderster Front die Arbeitnehmerinneninteressen in der privaten Krankenversicherung verteidigt. Dahinter steckt aber auch der durchsichtige Versuch, Klientelpolitik für private Krankenversicherungen zu machen. Arbeitnehmerinteressen sind lediglich vorgeschoben. Denn Sie wollen die dort Beschäftigten für Ihre Zwecke instrumentalisieren und unberechtigt Ängste schüren.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute in den privaten Krankenversicherungen beschäftigt sind, werden auch nach der Einführung der Bürgerversicherung gute Perspektiven im Gesundheitswesen haben. Sie werden bei dem Übergang in ein einheitliches solidarisches Versicherungssystem Bürgerversicherung begleitet werden müssen.

Die bislang privat Krankenversicherten können auch noch befristet wählen, ob sie wechseln wollen. Das stärkt das gegliederte öffentlich-rechtliche und selbstverwaltete Kassensystem als tragende Säule der gesetzlichen Krankenversicherung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, mit Ihrem Antrag und der Forderung nach Erhalt der privaten Krankenversicherungen stehen Sie ziemlich allein da.

Der Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales werden wir wohl zustimmen und hoffen dort auf eine sachgerechte Diskussion und nicht auf ein Wahlkampfgerassel. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön, Frau Kollegin Lück. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Preuß.

Peter Preuß (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Lück, Sie haben recht: Wir gehen in den Wahlkampf. Dazu gehört auch, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen sollten, was auf sie zukommt, wenn es zur sogenannten Bürgerversicherung kommt. Natürlich geht es mal wieder um „Freiheit oder Sozialismus“. Einen Wahlkampf unter diesem Motto haben wir schon mal gewonnen.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Antrag der FDP zeigt an einem Beispiel Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Versicherungswirtschaft auf – hier: bei den privaten Krankenversicherungen –, wenn die sogenannte Bürgerversicherung mit Rot-Grün, falls sie denn eine politische Mehrheit finden würde, kommen sollte.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Wenn man mal alle Argumente, die gegen eine Bürgerversicherung sprechen, außen vor lässt, bleibt jedenfalls eines festzustellen: Diese Einheitsversicherung – und nicht Bürgerversicherung; es ist eine Einheitsversicherung –

(Beifall von der FDP)

führt zu einem totalen Umbau eines gut funktionierenden Krankenversicherungssystems.

Frau Schneider hat dazu im Grunde alles gesagt. Deshalb möchte ich hier nur zusammenfassend und schlagwortartig Folgendes festhalten:

Wettbewerb und Wahlfreiheit werden abgeschafft. Die finanzielle Belastung für die Mittelschicht, Rentner, Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird zunehmen. Die Arbeitskosten werden steigen. Die Zweiklassenmedizin wird gefördert und nicht verhindert. Die Folge ist eine Minimalversorgung der Patientinnen und Patienten, wenn der genau definierte Leistungskatalog kommt. Der demografischen Entwicklung wird in keiner Weise Rechnung getragen; denn die Einbeziehung von 9 Millionen Privatversicherten führt nicht automatisch zu mehr Beitragszahlungen.

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, das duale Krankenversicherungssystem abzuschaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Es muss ja einen Grund geben, warum jemand, der im Ausland krank wird, so schnell wie möglich nach Deutschland möchte.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So sieht es aus!)

Das duale System garantiert eine sehr gute, vor allen Dingen auch innovative Gesundheitsversorgung und fördert den medizinisch-technischen Fortschritt. Demgegenüber führt die Einheitsversicherung zu einer Absenkung des Leistungsniveaus. Der Wettbewerb untereinander – GKV und PKV – führt zu besseren Leistungen und geringeren Kosten.

Die Umstellung des bisherigen dualen Systems auf eine Einheitsversicherung würde Jahrzehnte dauern – mit unvertretbar hohem bürokratischen Aufwand und Kosten, was nicht ohne Wirkungen auf die Leistungen und die Beiträge für die Versicherten sein würde.

Schließlich ist die Abschaffung der PKV verfassungswidrig.

Zur Begründung der Abschaffung wird immer wieder auf die Zweiklassenmedizin hingewiesen, die durch die Einheitsversicherung abgeschafft werden soll. Genau das Gegenteil wird aber eintreten. Es wird immer Menschen geben – Frau Schneider hat darauf hingewiesen –, die zusätzliche medizinische Leistungen privat finanzieren können und wollen.

Aber was das Entscheidende ist: Das duale Versicherungssystem ist am ehesten geeignet, Zweiklassenmedizin zu verhindern. Davon unabhängig hat in Deutschland jeder Anspruch auf notwendige medizinische Versorgung.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Die Erfahrungen aus Großbritannien mit einem genau definierten Leistungskatalog zeigen ja, dass ein staatliches Einheitssystem das Versorgungsniveau absenkt. Längere Wartezeiten und Altersgrenzen bei bestimmten Leistungen sind die Regel. Diejenigen, die sich das leisten können, kaufen sich medizinische Leistungen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Einheitsversicherung keinerlei Vorteile gegenüber dem jetzigen dualen System bietet. Letztlich wird eine Neiddebatte gegenüber Privatversicherten geführt und den Menschen mit einer Änderung mehr Gerechtigkeit vorgegaukelt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)

Tatsächlich handelt es sich hier um Gleichmacherei, die den Menschen überhaupt keine Vorteile bringt. Das ist mit uns, mit der CDU, nicht zu machen.

Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung des Antrages der FDP zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die FDP will mit diesem Antrag an der überkommenen Aufspaltung unseres Gesundheitssystems, das sich in ein gesetzliches Gesundheitssystem für 90 % der Bevölkerung und in ein Versicherungssystem für nur 10 % der Bevölkerung aufspaltet, weiter festhalten. Dann werden alle Ungerechtigkeiten beibehalten.

Gerade die Zweiteilung unseres Krankenversicherungssystems in GKV und PKV führt nicht nur zur Gefährdung des Solidarausgleichs, sondern legt auch eine Grundlage für eine Zweiklassenmedizin. Allzu oft sind die Zeiten des Wartens auf einen Arzttermin und die Therapieentscheidungen in Arztpraxen und Krankenhäusern von der Art des Krankenversicherungsschutzes der Patienten abhängig und nicht von ihren Diagnosen oder ihrem Behandlungsbedarf. Über-, Unter- und Fehlversorgung der Patientinnen und Patienten sind vielfach die Folge.

Gerade das Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, das wir auch in der Bürgerversicherung zugrunde legen, gewährleistet den Zugang zur medizinisch notwendigen Gesundheitsversorgung auch für Geringverdienende in der Phase der Arbeitslosigkeit, der Pflege Familienangehöriger oder der Kindererziehung.

Mit dieser Bürgerversicherung wollen wir die Zweiklassenmedizin beenden, eine solide und nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens und auch mehr Beitragsgerechtigkeit schaffen. Hierzu gehört auch die paritätische Finanzierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern.

Es stimmt nicht, wie im FDP-Antrag behauptet wird, dass die Bürgerversicherung eine verpflichtende Einheitskasse werden soll. Dies ist völlig falsch. Denn das Bürgerversicherungsmodell von Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, dass die Bürgerversicherung auch durch die privaten Krankenversicherungsunternehmen angeboten werden kann. Somit könnten die privaten Kassen im Prinzip erhalten bleiben, müssten sich aber auf die Bedingungen der Bürgerversicherung ausrichten, also solidarisch finanziert werden und auch die Arbeitgeber miteinbeziehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Paul zulassen?

Arif Ünal (GRÜNE): Ja, natürlich. Bitte schön.

Daniel Düngel (PIRATEN): Ich habe eine Zwischenfrage, sitze aber auf dem Platz von Herrn Dr. Paul. Ich entschuldige mich vielmals dafür.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Vizepräsident, ich möchte nur darauf hinweisen, dass man bei Zwischenfragen möglichst auf dem eigenen Platz sitzen sollte, weil es für die Präsidentin und die Vizepräsidenten etwas schwierig ist, die Zwischenfrager, wenn andere Namen aufleuchten, gleichzeitig mit richtigem Namen anzusprechen.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Ich kenne das Problem!)

Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege. Herr Abgeordneter, bitte schön.

Daniel Düngel (PIRATEN): Ich möchte mich vielfach bei meinem Ersten Vizepräsidenten dafür entschuldigen.

Herr Kollege Ünal, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Jetzt hätte ich beinahe vergessen, was ich überhaupt fragen wollte. – Sie sagten gerade, das Bürgerversicherungsmodell von Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, dass auch die PKV diese quasi – wie ich sagen möchte – Einheitsversicherung anbieten kann. Können Sie kurz erläutern, wie das finanziert werden soll? Soll das umlagefinanziert sein, oder soll alles gleich finanziert werden? Vielleicht können Sie dazu zwei oder drei Sätze sagen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, bitte schön.

Arif Ünal (GRÜNE): Die Finanzierung der Bürgerversicherung ist durch die Einkommensabhängigkeit gesichert. Wir beziehen auch die anderen Einkommen ein, nicht nur die lohnabhängigen Einkommen der Bürgerinnen und Bürger. Dadurch ist eine solide Finanzierung unseres Gesundheitssystems sichergestellt.

Die Aufteilung ist so, dass die privaten Krankenkassen unter den Bedingungen der Bürgerversicherung die gleichen Angebote machen und zusätzlich andere Leistungen anbieten können. So gesehen ist es nicht, wie behauptet wird, ein einheitliches Krankenversicherungssystem, sondern beide Systeme können auch miteinander konkurrieren, aber unter gleichen Bedingungen. Das ist unser Bürgerversicherungssystem.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine weitere Zwischenfrage, und zwar von Frau Kollegin Schneider, die auf dem Platz von Frau Freimuth sitzt.

Arif Ünal (GRÜNE): Ja, natürlich, bitte schön.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Susanne Schneider (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Ünal, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Bisher habe ich in Ihrem Beitrag vermisst – und ich glaube, er ist auch nicht mehr so lang – die Antwort auf die Frage: Wo sollen diese 46.000 Menschen arbeiten, die bis jetzt mittelbar oder unmittelbar in der PKV beschäftigt sind? Sie wissen sicherlich, dass diese Beschäftigten völlig unterschiedliche Ausbildungen haben. Was empfehlen Sie denen dann?

Arif Ünal (GRÜNE): Ich komme jetzt ohnehin auf diesen Punkt zu sprechen. Ich habe Ihren Antrag sehr gut studiert und alle Punkte aufgearbeitet.

Wir sehen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die heute in der privaten Krankenversicherung tätig sind, auch nach der Einführung der Bürgerversicherung eine gute berufliche Chance und Perspektive.

Es gibt übrigens keinen zwingenden Grund für einen Stellenabbau in der privaten Versicherungswirtschaft, wie im Antrag der FDP-Fraktion behauptet wird. Allerdings ist es richtig, dass vor allem die private Krankenversicherung unter Veränderungsdruck steht. Zu hinterfragen ist dabei, ob es in unserem Gesundheitssystem sinnvoll sein kann, dass drei Viertel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der privaten Krankenversicherung nur damit beschäftigt sind, Abrechnungen zu kontrollieren und neue Kunden zu akquirieren, und nur ein geringer Teil, nämlich ein Drittel der Beschäftigten, die Gesundheitsversorgung ihrer Mitglieder sicherstellt.

Meine Damen und Herren, die Überwindung der Aufspaltung des Krankenversicherungssystems wird schon seit geraumer Zeit von vielen Seiten gefordert. Längst wird von einigen Sachverständigen auch die Zukunftsfähigkeit des heutigen Systems der PKV infrage gestellt.

Umfragen zeigen auf, dass ein Drittel der PKV-Versicherten aufgrund der wachsenden Probleme in der PKV liebend gerne in eine gesetzliche Krankenversicherung wechseln würden.

Auch in der Ärzteschaft gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Aus dem 7. MLP Gesundheitsreport, den Sie sicherlich gelesen haben, geht hervor, dass nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung für die Bürgerversicherung ist, sondern dass auch 51 % der Ärztinnen und Ärzte für diese Idee der Bürgerversicherung Sympathie haben.

Von der Aufspaltung des Gesundheitssystems in gesetzliche Krankenversicherung und private Krankenversicherung profitieren besonders, wie ich glaube, nur die Fachärztinnen und Fachärzte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Arif Ünal (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – Von den Hausärzten sprechen sich demgegenüber 50 % für die Bürgerversicherung aus, 44 % sind dagegen. Noch größer ist die Zustimmung bei den Klinikärzten. 57 % der Klinikärzte sind für die Bürgerversicherung, nur 34 % sind für die private Versicherung.

Das zeigt wohl, dass der Deutsche Ärztetag mit seiner Kampagne gegen die Bürgerversicherung nicht die Mehrheitsmeinung der Medizinerinnen und Mediziner in dieser Frage vertritt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Vor genau zwei Wochen war ich auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin. Auch in Berlin – und da gehört das Thema eigentlich hin – wurde die Bürgerversicherung zum Wahlkampfthema erkoren.

SPD, Grüne, CDU und FDP – entschuldigen Sie bitte den Versprecher, ich meine natürlich die Ärztekammer und nicht die FDP

(Zurufe von der FDP: Oh, oh!)

haben ihre Positionen dort wahlkampfbetont ausgetauscht. Die FDP war nicht anwesend.

Eines ist mir indes aufgefallen: Beim Austausch der Positionen ging es primär um den Austausch von komprimiertem Expertenwissen. Aber so komprimiert, wie in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hat sich niemand getraut, sich zu äußern.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: FDP!)

Frau Schneider, erlauben Sie bitte eine Bemerkung zu der Studie von der Hans-Böckler-Stiftung: Googeln hilft.

Meine sehr geehrte Damen und Herren, bei der Finanzierung des Gesundheitswesens werden wir uns in den nächsten Jahren neue Ideen und Konzepte überlegen müssen. Anders werden wir die Probleme der Kostenträger, die mit der Überalterung der Bevölkerung sowie mit dem demografischen Wandel einhergehen, nicht lösen können.

Das heißt, Denkverbote im Hinblick auf neue Konzepte wie die Bürgerversicherung, wie sie von den konservativen und liberalen Kräften kolportiert werden, helfen bei der Lösung des Finanzierungsproblems nicht weiter. Zukunftsorientierte Politik sieht an dieser Stelle anders aus.

Aber auch das populistische Vorgehen der Verfechter der Bürgerversicherung ist hier fehl am Platze. Die simplifizierte Darstellung, dass das Finanzierungsproblem des Gesundheitswesens einfach mit der Einführung irgendeiner Bürgerversicherung gelöst sei, ist schlicht und ergreifend falsch.

(Beifall von Daniel Düngel [PIRATEN])

Es ist zum Beispiel bekannt, dass viele Leistungen für GKV-Patienten überhaupt nur angeboten werden können, weil die Ärzte lukrative PKV-Patienten versorgen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das ist doch ein Fehler im System. Wir Piraten sagen dazu: It’s a bug, not a feature. – Bestenfalls ist es eine Krücke. Und auf diese Krücke zu bestehen bedeutet, den Patienten Gesundheitssystem zumindest in diesem Punkt für unheilbar zu erklären.

Wir Piraten haben im Gegensatz zu Ihnen noch nicht kapituliert. Unser Ziel ist es immer noch, die Krankheiten im System zu heilen, und nicht, die Krücke zum Heiligtum zu erklären.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das Hauptargument in Ihrem Antrag ist, dass in Nordrhein-Westfalen 46.000 Arbeitsplätze mit der Abschaffung der PKV gefährdet wären. Wie immer, wenn mit den Argumentationskrücken nichts mehr geht, dann kommt das Totschlagargument Arbeitsplätze. Zu diesem Argument drängen sich aber zwei Fragen auf:

Erstens. Ist die Gefährdung – ich wiederhole –, ist allein die Gefährdung von Arbeitsplätzen das Hauptkriterium, auf dessen Basis die finanzielle Sicherheit des Gesundheitswesens von 80 Millionen Menschen entschieden werden sollte?

(Beifall von den PIRATEN und Angela Lück [SPD])

Zweitens. Stimmt es überhaupt, dass 46.000 Arbeitsplätze gefährdet sind?

(Ralf Witzel [FDP]: Es könnten auch 50.000 sein!)

Ich will Ihnen die Fragen kurz beantworten.

Auf die erste Frage habe ich bereits eine Antwort gegeben. Ich bleibe dabei, dass uns Schranken im Kopf bei einem so wichtigen Thema wie der zukunftsorientierten Sicherung der Finanzierung des Gesundheitswesens nicht weiterhelfen.

Die Antwort auf die zweite Frage, ob 46.000 Arbeitsplätze verlorengehen, lässt sich nicht so einfach beantworten. Besser gesagt: Es gibt viele Prognosen und Studien, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Manche kennen diese veröffentlichten Studien, andere eben nicht.

In diesen Studien werden stets zwei Punkte diskutiert:

Die Gehaltsstruktur der Sozialversicherungsbediensteten unterscheidet sich um 25 % von der der Versicherungskaufmänner- und -kauffrauen. Das heißt, im Schnitt verdient ein GKV-Angestellter 30.000 €, ein PKV-Angestellter 38.000 €.

Von zehn Arbeitsbereichen sind drei bis vier Arbeitsbereiche in der GKV und der PKV vergleichbar. Für die restlichen sechs bis sieben Arbeitsbereiche müsste für die PKV-Mitarbeiter eine Umschulung stattfinden. Nehmen wir einmal an, die Gehaltsstruktur der GKV- und PKV-Mitarbeiter wird angeglichen; darüber hinaus wird eine Umschulung für die PKV-Mitarbeiter entwickelt. Dann kann man Ihrem Horrorszenario von 46.000 Arbeitsplätzen, die verlorengehen, nicht mehr folgen. Wie viele Arbeitsplätze am Ende verlorengehen oder eben nicht, ist dann eine Frage des Konzepts und dessen Umsetzung und keine allgemeingültige Regel. Mir ist natürlich klar, dass es nicht null Arbeitsplätze sein werden, die verlorengehen werden, aber es werden eben auch keine 46.000 Arbeitsplätze sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse kurz zusammen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Olaf Wegner (PIRATEN): Ich komme zum Schluss. – Die Zukunft der Krankenversicherung kann nicht allein durch die Bürgerversicherung gewährleistet werden. Die Finanzierung kann nicht mit Schranken im Kopf und Denkverboten gesichert werden. Die Zukunft der Kranken­versicherung betrifft alle Bürger. Aus diesem Grunde stehen wir für einen objektiven öffentlichen Diskurs, ob es eine Einheitsversicherung geben soll oder nicht, an deren Ende die Betroffenen, das Volk, ja die Bürger direkt entscheiden sollten, wo es in Zukunft langgeht. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich letzte Umfragen anguckt, etwa die von „SPIEGEL ONLINE“ von Januar dieses Jahres, dann wird klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter einer Bürgerversicherung steht, und zwar weil die Mehrheit der Bevölkerung eine gute medizinische Versorgung für alle Menschen haben will. Die Trennung in PKV und GKV ist dabei hinderlich; ich werde gleich noch darauf eingehen, wieso. Sie ist letztendlich nur historisch begründbar.

Es ist wichtig – das stellen Sie in Ihrem Antrag in den Mittelpunkt –, sich darüber Gedanken zu machen, was mit den bestehenden Arbeitsplätzen und mit den bestehenden Strukturen passiert, wenn man ein Versicherungssystem verändert und man für die Mehrheit der Bevölkerung eine optimale gesundheitliche Versorgung haben will.

Die erste Frage, die im Zentrum steht, lautet allerdings: Was ist gute medizinische Versorgung? Denn das ist der Grund, warum es die Krankenversicherung überhaupt gibt. Die Krankenversicherung hat keinen Selbstzweck. Erst dann müssen wir uns über die Strukturen der Versicherungswirtschaft Gedanken machen.

Ich will jedoch noch einmal einen Schritt zurückgehen und fragen: Was heißt das und warum brauchen wir eine andere gesundheitliche Versorgung als die, die wir heute mit der Trennung in GKV und PKV haben?

Sie haben eben angemerkt – Herr Preuß hat es gesagt –, es sei ein großes Problem, wenn man den Neid zwischen den unterschiedlichen Ebenen schüren wolle. – Herr Preuß, das Gegenteil ist der Fall. Deswegen werde ich zuerst auf die Nachteile der PKV-Versicherten eingehen. Denn wenn wir über die Zweiklassenmedizin reden, dann müssen wir auch sehen, welche Nachteile und Probleme die Privatversicherten haben.

Das Erste ist: Wir haben immer mehr Klagen darüber, dass die Beiträge für alte Menschen exorbitant steigen. Wöchentlich erreichen uns Briefe von denjenigen, die den größten Teil ihrer Rente für den PKV-Versicherungsbeitrag aufwenden müssen und sich das nicht mehr leisten können.

Das Zweite ist: Wir merken, dass auch die Prämien für die jungen Leute schnell steigen. Auch das ist so nicht haltbar.

Das Dritte ist, dass Rechnungen oft nicht mehr übersetzt werden.

Also: Gut 30 % der PKV-Versicherten möchten wieder in die GKV. Wir haben ja gerade mit Unterstützung anderer Länder im Bundesrat vereinbart, eine Lösung für diejenigen zu finden, die Beitragsrückstände haben. Die Gruppe der Unversicherten wird immer größer, weil sie die PKV-Beiträge nicht mehr bezahlen können.

Der zweite Nachteil der PKV-Versicherten betrifft die Überversorgung. Wir haben viele Menschen, die mittlerweile auch darüber klagen, dass sie Versorgungen angedient bekommen, damit Gewinn und Einnahmen da sind. Wir haben also eine Überversorgung der Privatversicherten. – Das ist der Nachteil auf der einen Seite.

Auf der anderen Seite haben wir die GKV-Versicherten mit Wartezeiten und mit zunehmenden Problemen, einen Termin zu bekommen. Insbesondere am Ende eines Quartals gibt es fatale Wartezeiten. Wenn Sie solche Fälle nicht kennen, empfehle ich Ihnen – viele andere haben es ausprobiert –, am Ende des Quartals mal 20 Ärzte anzurufen und zu sagen, dass Sie gesetzlich versichert sind. Danach rufen Sie als Privatversicherter an. – Ich glaube, Sie würden die Rede, die Sie heute gehalten haben, nicht mehr halten.

Wir brauchen also eine Änderung im System. Wir müssen diese Systemfelder trennen.

Eben ist gefragt worden, wie man damit etwas verbessern will. Ich will Ihnen nur zwei Beispiele nennen, an denen man sieht, wie problematisch das ist: Altenessen und Köln-Chorweiler. In diesen Stadtteilen haben die Ärzte von Kinderarztpraxen, in denen es keine Privatversicherten gab, keine Nachfolger gefunden, weil sie allein mit GKV-Versicherten ihre Praxis nicht betreiben können. Das ist eine Querfinanzierung.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schneider zu?

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Aber selbstverständlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident, vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Ministerin, danke, dass Sie die Frage zulassen. Ich habe Ihrem Vortrag bisher natürlich sehr gespannt gelauscht.

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, GKV-Versicherte seien schlecht versorgt und PKV-Versicherte seien überversorgt? Das heißt, Sie sprechen den Medizinern in unserem Land doch gewisse Qualifikationen ab.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Nein, ich spreche den Medizinern in unserem Land überhaupt keine Qualifikationen ab. Das sehe ich ganz gegenteilig. Es liegt an dem Finanzierungssystem; das müssten Sie ja von Ihrem Bundesgesundheitsminister wissen. Wir haben das Problem, dass Dinge, die im Gesundheitssystem finanziert werden müssten, zum Beispiel die sprechende Medizin in sozial schwachen Regionen, das Hinterfragen oder intensive Betreuung – wir wissen, dass Armut krank macht –, in unserem Gesundheitssystem heute nicht finanziert werden. Das betrifft GKV-Versicherte und normalerweise nicht PKV-Versicherte.

Also: Diejenigen, die hohe Kosten im System verursachen, sind diejenigen, die wenig Geld für den Arzt bringen. Das heißt, eine Praxis, die viele Versicherte hat, die hohe Kosten verursachen, erzielt vergleichsweise geringe Einnahmen und kann am Ende des Quartals die Leistungen, die ein Arzt erbringen muss, nicht mehr abrechnen, weil das Budget erschöpft ist.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, es gibt eine weitere Zwischenfrage.

Ministerin Barbara Steffens: Ich möchte die andere Frage gern erst zu Ende beantworten. Es ging ja darum, dass ich auch von Überversorgung gesprochen habe. – Deswegen versuchen die Ärzte Leistungen anzubieten und am Ende des Quartals eher Privatversicherten einen Termin in ihrer Praxis zu geben, da sie sonst ein Finanzierungsrisiko hätten. Der Arzt muss ja auch zusehen, wie er die MTA, die er in seiner Praxis beschäftigt, finanziert.

Das heißt, eine Arztpraxis ist heutzutage eine Mischkalkulation von PKV- und GKV-Versicherten. Jeder Arzt, mit dem Sie hinter verschlossener Tür darüber reden, wird Ihnen das auch ordentlich und ehrlich erklären und im Detail belegen können. Deswegen bekommen PKV-Versicherte zum Teil Leistungen, die ihnen zwar gesundheitlich nicht schaden, die aber eine Überversorgung darstellen, weil sie nicht notwendig sind. Das klassische Beispiel – eines von vielen Beispielen – ist der Allergietest bei jemandem, in dessen Familie es überhaupt keine Allergien gibt.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie jetzt die nächste Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Alda zulassen?

Ministerin Barbara Steffens: Aber gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Ulrich Alda (FDP): Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, leider reizt Ihr Vortrag noch zu einer anderen Frage.

Sie haben vorhin von Beitragsrückständen in der PKV gesprochen. Sie haben aber nicht erwähnt, dass es Beitragsrückstände auch in der GKV gibt, worauf 60 % Zinsen zu zahlen waren, was ich eigentlich Wucher nenne. Das hat man jetzt zum Glück in Berlin geändert. Ist Ihnen das bekannt, haben Sie das bewusst weggelassen?

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Nein, es ist mir bewusst, dass es auch in der GKV Menschen gibt, die in der Vergangenheit Versicherungsbeiträge nicht bezahlt haben oder die das aufgrund ihrer Finanzressourcen nicht geschafft haben.

Wenn man sich aber anguckt, über welche Personengruppen und über welche Summen wir reden, dann stellen wir fest: Wir haben bei der PKV eine andere Dimension des Problems. Wir mussten das jetzt lösen – in einem System, das sich eigentlich allein tragen sollte, wie die Privatwirtschaft an der Stelle ja immer postuliert.

Wir haben das Problem, dass auch in der PKV das Finanzierungssystem nicht optimal ist, sondern suboptimal, und dass in der GKV die Versorgung nicht in gleichem Maße stattfindet.

Ich wollte Ihnen mit den genannten Beispielen Altenessen und Köln-Chorweiler nachdrücklich ans Herz legen, in Ihren Wahlkreisen vor Ort einmal mit den Ärzten zu reden, die in den Stadtteilen niedergelassen sind, wo es finanziell schwierig ist. Suchen Sie das Gespräch mit denen, und klären Sie mit denen, wie dieses defizitäre Finanzierungssystem funktioniert.

Ich möchte gerne noch kurz auf die Frage eingehen, was mit denjenigen ist, die heute in der PKV beschäftigt sind. Da, Frau Schneider, würde mich schon interessieren, woher die Zahl 46.000 Arbeitsplätze in Ihrem Antrag kommt. Dazu liegen nämlich viele Zahlen vor. In dieser Woche ist eine Studie vorgelegt worden, wonach es bundesweit 60.000 PKV-Beschäftigte gibt und zusätzlich ca. 10.000 bis 20.000 Makler, die aus der PKV-Versicherung herausgerechnet sind, weil Versicherungsmakler natürlich in vielen Bereichen tätig sind. Mich wundert deswegen Ihre Zahl für Nordrhein-Westfalen.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sehen diese Einbußen gerade bei den Beschäftigtenzahlen in der PKV überhaupt nicht. Klar ist, dass es, wenn Versicherungsmakler nur PKV-Versicherungen vermitteln würden, ein Problem geben würde.

Aber noch mal: Wir haben ein System, bei dem es um die Versicherten geht und nicht um den Selbstwert eines Versicherungszweiges. Deswegen glaube ich, dass ein solcher Schritt hin zu einer Bürgerversicherung mit einem gut organisierten Transformationsprozess ein richtiger Schritt ist in eine gute Gesundheitsversorgung auch für Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Ministerin, ich bitte Sie, noch am Rednerpult zu bleiben. Es gibt zwei angemeldete Kurzinterventionen, zunächst eine von Frau Kollegin Schneider von der FDP-Fraktion.

Susanne Schneider (FDP): Frau Ministerin, wir haben in den Beiträgen sehr viel von Solidarität mit den Versicherten, von Solidarität mit den Beschäftigten gehört. Ich hatte in meiner Rede erwähnt, dass ich mit sehr vielen Mitarbeitern der privaten Krankenversicherung bereits gesprochen habe. Ich habe mich gefreut und gleichzeitig auch gewundert, dass eine Betriebsratsinitiative dieser PKVen mich besucht und um Rat gefragt hat.

Ich würde jetzt gerne wissen, mit wem Sie oder die Landesregierung sich diesbezüglich unterhalten haben. Soweit ich informiert bin, liegt vonseiten der Landesregierung, obwohl von den Betriebsräten gewünscht, immer noch kein Gesprächsangebot vor.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön. – Frau Ministerin, bitte schön.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Wir reden jetzt über ein bundesgesetzliches Thema, die Anfragen laufen auf Bundesebene. Ich weiß, dass auf der Bundesebene viele Gespräche stattgefunden haben, auch mit den Betriebsräten. In der letzten Zeit habe ich einige Gespräche mit den privaten Krankenversicherungen geführt. Ich habe mit einigen der Versicherer zu tun, weil wir auch andere Projekte gemeinsam machen. Es gibt eine enge Kooperation nicht nur mit der GKV, sondern in unterschiedlichen Projekten auch mit der PKV. Daher gibt es den Dialog.

Die Sorge darüber, dass die Beschäftigten Angst haben, wenn ihnen öffentlich immer suggeriert wird: „Eure Arbeitsplätze sind gefährdet, wenn eine Bürgerversicherung kommt“, ist nachvollziehbar. Ich kann noch einmal sagen: Bei allen Konzepten, die auf Bundesebene diskutiert werden und die wir vonseiten der Landesregierung kommentieren müssen, nehmen wir die Ängste der Beschäftigten ernst. Damit werden wir uns auseinandersetzen.

Die Versicherungsleistungen werden hinterher für alle Versicherten erbracht werden müssen. Die Verwaltung der GKV muss bei einer Bürgerversicherung als Pendant auch für die PKV-Versicherten vorhanden sein. Deswegen sehe ich bis auf diejenigen, die Versicherungen makeln, keinen Bereich, der später in einer Bürgerversicherung ersetzbar ist. Und diejenigen, die Versicherungen makeln, vertreten normalerweise nicht ausschließlich Krankenversicherungen, sondern sie haben die gesamte Palette von Hausratversicherungen über Haftpflichtversicherungen bis zu Kfz-Versicherungen usw. Davon ist ein Bestandteil der Anteil der PKV, der in den Angeboten, die ich bisher kenne – so waren die Diskussionen –, als Zusatzversicherung auch weiterhin gemakelt werden kann.

Ich halte es für sehr fatal, dass mit den Ängsten der Beschäftigten gespielt wird, anstatt gemeinsam an den Konzepten zu arbeiten. In dem Sinne sehe ich die Gefährdung nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, Frau Ministerin. – Es gibt eine zweite Kurzintervention des Abgeordneten Düngel. Bitte schön.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank. – Eigentlich reichen 90 Sekunden nicht aus. Vielleicht können Sie die Redezeit gleich ein bisschen überziehen, dann können wir noch länger über das spannende Thema reden. – Nein, Quatsch.

Ich würde eigentlich noch ganz viele Fragen stellen wollen. Zum Beispiel möchte ich gerne fragen, was mit dem Thema „Alterungsrückstellungen“ passiert. Rot-Grün vergisst das momentan in ihren Wahlprogrammen, vermutlich weil es verfassungsmäßig eher schwierig sein wird.

Sie haben vorhin auch gesagt, die GKV sei eher unterversichert – so war, glaube ich, Ihre Wortwahl – oder zumindest nicht gut versichert. Mir wird nach wie vor nicht klar, wie sich dieser Zustand dadurch verändern soll, dass ungefähr 10 % der in Deutschland Versicherten dazukommen und in ein kaputtes System einzahlen, in dem dann 100 % sind. Wie soll das Gesundheitswesen dadurch tatsächlich besser werden? Das verstehe ich nicht.

Sie haben zu Beginn auch gesagt, in der privaten Krankenversicherung gebe es die immensen Beitragssteigerungen. – Ja, die gibt es in Einzelfällen. Vermutlich stützen Sie sich auf die sehr fundierte Studie des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, die 144 Fälle untersucht und dabei Steigerungen von bis zu 23 % jährlich festgestellt hat. Das sind Ausnahmefälle. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Ansonsten: Ja, Versicherungsvermittler neigen dazu, Versicherungen zu verkaufen. Im Einzelfall passiert es in der Tat, dass ein Kunde vielleicht mehr abschließt als gewollt. Das passiert auch in anderen Versicherungssparten. Ist der nächste Schritt dann, dass wir alle anderen Versicherungssparten ebenfalls verstaatlichen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Abgeordneter, die 90 Sekunden sind überschritten. Vielen Dank. – Frau Ministerin, bitte schön.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Ihre letzte Anmerkung habe ich nicht verstanden. Ich habe nur gesagt: Wenn jemand heute verschiedene Versicherungen verkauft, dann hat er nicht von heute auf morgen nichts mehr zu tun, nur weil es eine nicht mehr in seinem Angebot gibt, nämlich die PKV.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Nein, das hat …)

Das war das Einzige, was ich gesagt habe, und nicht, dass irgendjemand mehr abschließt. An der Stelle habe ich Sie nicht verstanden.

Zu Ihrer Frage: Wie soll es besser werden, wenn es mehr werden? – Der erste Punkt ist: Wir haben heute einen großen Teil GKV-Versicherte, einen kleineren Teil PKV-Versicherte. Bei den privaten Krankenversicherungen werden die ärztlichen Leistungen höher honoriert. Das führt zu einem Ungleichgewicht. Wenn ich die Quersubventionierung an der Stelle nicht will, brauche ich eine einheitliche Honorierung, sodass es für den Arzt egal ist, wie der Patient versichert ist. Die Leistung soll sich an dem Krankheitsbild und an der Behandlung orientieren und nicht daran, dass der Blinddarm bei PKV-Versicherten mehr kostet als bei GKV-Versicherten.

Das ist erst einmal eine Qualitätssteigerung, weil es dann nicht mehr die Differenzierung im System und keine unterschiedlichen Wartezeiten mehr gibt, sondern jeder Mensch erst einmal gleich ist, weil er mit seinen Bedarfen und seinem Krankheitsbild im Mittelpunkt steht und nicht mit seinem Kostenträger.

Der zweite Punkt, der dahintersteht, ist die Frage: Wie kann man das Ganze finanziell bewerkstelligen? – Wenn wir heute eine gewisse Summe Geldes im System haben und daraus ein großes solidarisches System machen wollen, hätten wir erst einmal dieselbe Menge Geld im System.

(Christof Rasche [FDP]: 90 Sekunden!)

Wenn wir nur die Beiträge beibehalten würden, hätten wir schon dieselbe Summe. Aber, wie Sie eben schon von den Vorrednern gehört haben, sollen bei der Bürgerversicherung auch andere Einkommensarten mit herangezogen werden. Dann hat man ein System, in das auch andere einzahlen, die das heute nicht tun. Damit besteht ein größeres Umverteilungspotenzial innerhalb des Systems.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Nun ist auch die Redezeit der Ministerin im Rahmen der Kurzintervention beendet. – Vielen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Wir sind damit am Schluss der Beratung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3240 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig erfolgt.

Ich rufe auf:

8   Kommunales Wahlrecht auch für Nicht-EU-Bürgerinnen und Bürger einführen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/3244

Ich eröffne die Beratung und erteile dem Abgeordneten Herrmann von der Fraktion der Piraten das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Es ist Freitagnachmittag, trotzdem geht es um ein wichtiges Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Stream! Geehrte anwesende Kolleginnen und Kollegen von den regierungstragenden Fraktionen! Bezugnehmend auf unsere Debatte von gestern zum Thema „Wiederholungswahl“ kann ich Ihnen leider einen weiteren Antrag zur Änderung des Kommunalwahlrechts nicht ersparen. Die Zeit, zu handeln, ist jetzt und nicht später.

Bereits im November 2012 habe ich während der Beratung zu Ihrem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Demokratie darauf hingewiesen, dass wir Piraten von Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative zum Ausländerwahlrecht erwarten, die sich für das Wahl? und Stimmrecht auf kommunaler Ebene für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen einsetzt.

Ich habe Ihnen allen damals die Frage gestellt, warum Menschen nicht dort wählen dürfen, wo sie ihren Lebensmittelpunkt haben. Es kam keine Antwort. Passiert ist bis heute nichts. Wir wollen aber nicht weiter warten. Und so stellen wir heute selbst einen Antrag für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes, damit die Ausgrenzung unserer Nachbarn von der demokratischen Teilhabe, die Ausgrenzung von Menschen mit Migrationshintergrund und die Ausgrenzung von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit endlich ein Ende hat.

Wir Piraten fordern in unserem Programm schon lange die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger. Natürlich sind wir nicht die ersten. Seit vielen Jahren setzen sich Initiativen, Bürger, Integrationsräte für das passive und aktive Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger ein. Bereits 2007 startete die Kampagne „Hier, wo ich lebe, will ich wählen!“. Unzählige Migranten haben ihren Wunsch geäußert, durch ein kommunales Wahlrecht mitzubestimmen, wie die Zukunft ihrer Gemeinden aussieht. Das ist ein absolut legitimer Wunsch, mit dem wir uns endlich beschäftigen müssen.

Viele Migranten leben seit so vielen Jahren in unseren Städten und Gemeinden, sind hier geboren, identifizieren sich mit ihrer Stadt und engagieren sich gesellschaftlich vor Ort. Sie dürfen aber keine politischen Vertreter in die Räte schicken. Dabei ist die Teilhabe an demokratischen Prozessen im Lebensumfeld auch ein Weg in die Integration.

Die Zukunft heißt Vielfalt. Und diese Vielfalt von Meinungen, Wünschen und Vorstellungen muss sich endlich auch in den Stadträten und deren Ausschüssen widerspiegeln. Es ist schlichtweg absurd, 1,2 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen explizit von einem elementaren demokratischen Mitwirkungsrecht auszuschließen, obwohl sie seit Jahrzehnten in Deutschland leben. 16 EU-Staaten haben die kommunale Mitbestimmung längst eingeführt und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Dass man sich in Deutschland immer noch nicht zur Gewährung des Kommunalwahlrechts für Nicht-EU-Bürger durchringen konnte, ist traurig und peinlich.

In Schleswig-Holstein wurde am 26. April der gleiche Antrag auf den Weg gebracht. Eine einzige Partei hat dagegen gestimmt. Im Bund haben vor zwei Wochen FDP und CDU die Streichung der Optionspflicht abgelehnt. Und Hans-Peter Friedrich hat es geschafft, dass die Freizügigkeit in der Europäischen Union eingeschränkt werden kann. Ich glaube, dass wir in Deutschland integrationspolitisch schon sehr viel weiter wären, wenn sich die CDU endlich öffnen würde.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Integrationspolitische Initiativen und Ideen – Frau Güler, ich nehme Sie da ausdrücklich heraus – dürfen nicht an den Vorstellungen dieser einen Partei scheitern. Die CDU muss endlich in unserer modernen Gesellschaft ankommen und nicht auf den Begriff des „abgestammten Staatsvolks“ beharren, dem in der Realität mittlerweile nichts mehr entspricht.

Seit mehr als 20 Jahren dürfen EU-Bürger in Deutschland kommunal wählen. In Schleswig-Holstein wird nun auch gefordert, dass EU-Bürger auf Landesebene wählen dürfen. Für die CDU ist nicht nur das Internet Neuland, sondern leider immer noch auch die Integrationspolitik.

(Beifall von den PIRATEN)

Verehrte Vertreterinnen und Vertreter der Altparteien, Ihre Kollegen in Berlin haben gerade gezeigt, dass sie ein Gesetz zum Aufbau von demokratischen Hürden in nur neun Tagen durch den Bundestag bringen können. Gemeint ist die Dreiprozenthürde bei der Europawahl. Ich halte Sie alle nicht für Antidemokraten. Deswegen zeigen Sie doch mal, dass es auch andersherum geht und bringen Sie diese Bundesratsinitiative zum Abbau von Hürden schnell auf den Weg. Gewartet haben die Menschen lange genug. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Herrmann, ich will Ihnen in Ihrer Argumentation und der Inhaltlichkeit der Bewertung ausdrücklich zustimmen, weil dafür vieles spricht. Sie haben aber eines nicht deutlich auf den Punkt gebracht: Es ist in der Tat eine bundesverfassungsrechtliche Frage, die wir in Nordrhein-Westfalen nicht im Kommunalwahlrecht lösen können, dass Nicht-EU-Ausländer ein kommunales Wahlrecht in Nordrhein-Westfalen erhalten können. Und auf Bundesebene sind die Mehrheitsverhältnisse so, wie Sie sie dargestellt haben.

Von daher stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Das ist eine Frage, die in unserer Programmatik schon länger enthalten ist, als die Piraten existent sind. Das muss ich an dieser Stelle einmal feststellen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von den PIRATEN)

Es scheitert derzeit an dem von Ihnen geschilderten Willen, eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat und Bundestag zur Verfassungsänderung auf den Weg zu bringen. Es ist richtig beschrieben worden, dass es in der Vergangenheit bei vielen Initiativen die CDU war, die das kontinuierlich abgelehnt hat. Dementsprechend gibt es im Bundestag und im Bundesrat keine Zweidrittelmehrheit, die eine Verfassungsänderung ermöglichen könnte.

Sie haben darauf hingewiesen, dass es zuletzt vor 14 Tagen eine Abstimmung dazu gegeben hat, bei der dies deutlich geworden ist. Nichtsdestotrotz werden wir uns entsprechend unserem Koalitionsvertrag der Diskussion im Ausschuss nicht verweigern. Es geht Ihnen ja zunächst einmal um eine Diskussion im Ausschuss. Wir müssen uns vielleicht darüber verständigen, inwieweit wir Verfassungsrechtler daran beteiligen, das vernünftig einzuschätzen.

Vor dem Hintergrund begrüßen wir Ihre Initiative. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir die Koalition der Einladung bleiben. Aber manchmal gehört dazu, Herr Herrmann, dass man sich einladen lassen möchte. Das war gestern bei Ihrem Vorschlag zum Kommunalwahlrecht eben nicht der Fall. Das bedaure ich immer noch und finde es eigentlich ein bisschen schade, dass wir nicht weiter zusammengekommen sind, weil Sie bei den Veränderungen des Kommunalwahlrechts auf der Siegerseite hätten sein können.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bei allen Kolleginnen und Kollegen, die so viel Disziplin aufgebracht haben, heute Nachmittag um 16:43 Uhr das durchaus komplizierte Thema anzugehen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Biesenbach.

Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Herrmann, gestern haben Sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, Sie betrieben Rosinenpickerei. Heute kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen: Sie sind ein bisschen spät dran. Denn darüber, was Sie uns heute als angeblich neue Erkenntnis, neuen Antrag vorlegen, debattieren wir seit mindestens 1997.

(Jutta Velte [GRÜNE]: Seit 1992!)

Wenn Sie nicht nur vor 14 Tagen in die Zeitung geguckt hätten, dann hätten Sie mitbekommen, dass diese Frage im ersten Quartal 2013, also ganz aktuell, im Bundestag mit drei Gesetzesanträgen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und den Linken wieder aufgekocht worden ist, und zwar immer mit dem gleichen Ergebnis.

Warum? Doch nicht, weil wir möglicherweise nicht angekommen sind. Sie sollten sich vielleicht einmal mit dem beschäftigen, was Herr Hübner angeführt hat, nämlich mit unserer Verfassung. Ich könnte mir ja eventuell einmal den Scherz erlauben, Ihnen zu Weihnachten ein Grundgesetz zu schenken.

Worum geht es? Allein mit der Aussage, es hänge einfach damit zusammen, dass wir unter „integrativ“ etwas anderes verständen als Sie, ist das Thema nicht abgegolten. Keiner wird doch der CDU absprechen, sich auch mit der Integration intensiv auseinanderzusetzen. Dass wir möglicherweise einen anderen Weg gehen wollen als Sie, gehört zum Alltag. Das gehört zu dem, wie wir hier debattieren und miteinander umgehen.

Gerade beim Wahlrecht zäumen Sie aus unserer Sicht aber das Pferd von hinten auf. Das Wahlrecht kann doch nicht der Anfang der Integration sein. Nach unserem Verständnis muss es an ihrem Ende stehen.

Bestätigt fühlen wir uns darin auch durch die Umfrage zur Einbürgerung, die das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung im Mai dieses Jahres veröffentlicht hat. Darin wurde nämlich untersucht, warum sich diejenigen nicht einbürgern lassen, die bis jetzt darauf verzichten. Sie haben einige wichtige Gründe angegeben. Der wichtigste Grund war, dass sie deshalb darauf verzichtet haben, weil ihnen die Anreize fehlen, sich einbürgern zu lassen. Wenn wir ihnen ohne Einbürgerung auch noch das Wahlrecht geben, ist wieder ein Anreiz weg. Diesen Gedanken haben Sie überhaupt nicht berücksichtigt.

Wir können hier aber auch noch etwas differenzierter sprechen. Herr Hübner, es reicht nicht aus, wenn sich im Bundestag zwei Drittel für eine Änderung des Grundgesetzes aussprechen. Denn es gibt eine klare Rechtsauffassung – zuletzt bestätigt durch eine Anhörung im Jahr 2008 –, dass die Macht im Staat, dass die Volkssouveränität nur vom Volk ausgeübt werden kann. Und das Volk sind nicht die Menschen, die in Deutschland leben, sondern nach dem Verständnis fast aller Verfassungsrechtler sind das die deutschen Staatsangehörigen und die ihnen nach Art. 116 Grundgesetz Gleichgestellten. Gleichgestellt sind ihnen mittlerweile die EU-Bürger. Warum? Weil das über den Maastrichter Vertrag geregelt worden ist.

Diese Regelung können Sie auch nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes verändern, weil das zu den Ewigkeitsprinzipien gehört, die gesichert sind. Sie bekommen die Souveränität nicht durch eine Grundgesetzänderung modifiziert. Das Wahlrecht kann nur erreicht werden durch Einbürgerung, indem jemand Deutscher wird oder indem er als EU-Bürger hier in Deutschland lebt. Punkt, aus, Ende, basta! Das kann man nicht diskutieren. Das ist so. Die Väter des Grundgesetzes haben das so niederlegt. Nach ihnen haben wir uns auch heute noch zu richten. Da kann ich auch nicht mit irgendwelchen Wünschen weiterkommen.

Jetzt müssen wir noch den anderen Punkt ansprechen. Sie haben gerade so schön gesagt, wie viele davon ausgeschlossen würden. Auch da einmal ein Blick in die Wirklichkeit: In einigen EU-Staaten haben auch Drittstaatsangehörige das Recht, im kommunalen Bereich zu wählen. Dank der Statistiken wissen wir aber, wie viele Menschen, die diese Möglichkeit hätten, nur wählen gehen. In keinem einzigen EU-Staat, in dem Drittbürger ein Wahlrecht haben, gibt es eine Wahlbeteiligung von mehr als 30 %. Das heißt: Das Interesse der von Ihnen so sehr propagierten Drittstaatsangehörigen ist auch da relativ gering.

Darum sollten wir hier nicht Feindbilder aufbauen, wer irgendwo nicht ankommt oder wer wo hinterherzockelt. Vielmehr sollten wir uns allgemein Gedanken darüber machen, wie wir Anreize schaffen können, dass die Menschen, die in diesem Land mit uns leben wollen, auch unsere Staatsangehörigkeit mit uns teilen möchten, damit wir alle gleiche Rechte und Pflichten haben. Diese Debatte werden wir sicher an vielen Orten und in vielen Situationen demnächst intensivieren.

Lassen Sie uns aber aufhören, die Hoffnung zu hegen, wir könnten über die Änderung formaler Dinge die Integration schaffen. Nicht die formalen Möglichkeiten werden uns die Integration bringen, sondern das wirkliche intensive Miteinander im Alltag. Wenn wir alle daran mitarbeiten, haben wir heute zumindest noch ein Stück Gemeinsamkeit bei diesem Thema.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kommunalwahlrecht ist seit vielen Jahren, nämlich seit 1992, Bestandteil politischer Diskussionen.

Eines der schönsten Erlebnisse in meiner gesamten bisherigen politischen Laufbahn hatte ich, als in meiner Heimatstadt im Integrationsausschuss besprochen wurde, ob wir uns als Integrationsausschuss der Stadt Remscheid an einer Resolution der LAGA NRW zugunsten des Kommunalwahlrechts beteiligen wollten. Es war eine sehr intensive Debatte – im Übrigen auch mit den CDU-Kolle-ginnen und ?Kollegen, Herr Biesenbach. Obwohl ich schon seit vielen Jahren Integrationspolitik betreibe, hatte ich vorher noch nicht erlebt, dass sich Menschen – Drittstaatsangehörige, wie es formal immer heißt – so intensiv und mit so viel Leidenschaft an einer politischen Diskussion beteiligt haben.

Diese Menschen haben gesagt: Ja, das gehört zu uns. Wir wollen da, wo wir leben – die Kampagne hieß auch so ähnlich: „Hier, wo ich lebe, will ich wählen!“ –, die Politik beeinflussen; wir möchten in unserem Stadtteil alles selber mitgestalten. – Das ist eine ganz wesentliche Sache. Von diesen Menschen sind auch sehr viele in den politischen Prozess eingestiegen. Sie fanden das toll. Wir haben die Debatte dann über die Resolution hinaus weiterführen können.

Das Ganze läuft jetzt schon seit über 20 Jahren. Ich denke, es wäre langsam an der Zeit, diese Debatte auch einmal vernünftig zu führen – und sie nicht unter dem Aspekt zu führen, den Sie hier immer einbringen, Herr Biesenbach, dass die Staatsangehörigkeit die Krone aller Integrationspolitik sei. Vielmehr ist doch Teilhabe das Wesen der Integrationspolitik. Teilhabe heißt auch Wahlrecht – und vor allem Wahlrecht da, wo ich lebe, wo ich arbeite, wo ich mich einbringe.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir diese Debatte hier noch einmal aufgreifen und sie auch im guten Sinne kontrovers führen.

Zu Ihren Vorstellungen, was alles in Stein gemeißelt sei, ist zu sagen: In den vergangenen Jahren und vor allem im letzten Jahr haben wir ja gesehen, dass vieles, was in Stein gemeißelt zu sein schien – wie Ihre Einstellung zur Homo-Ehe und andere Dinge –, sich auch geändert hat.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin Velte, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biesenbach zulassen?

Jutta Velte (GRÜNE): Ich habe doch gehofft, dass er mir eine Zwischenfrage stellt.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Peter Biesenbach*) (CDU): Frau Kollegin, wenn Sie das möchten, mache ich das gerne. – Wie wollen Sie denn damit umgehen, dass es aus Sicht der Verfassungsrechtler – bis auf wenige Ausnahmen ist das unbestritten – nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes geht?

All die Änderungen, die Sie angesprochen haben, waren nicht durch die Ewigkeitsgarantie von Art. 79 GG in Stein gemeißelt. Dass aber die Souveränität nur von Deutschen oder Art. 116 GG Gleichgestellten ausgeführt werden kann, ist unstreitig. Ich will gar nicht weiter zitieren, wann man das lernt. Die Frage: „Wie wollen Sie damit umgehen?“, beantworte ich, dass es nach Ansicht der Verfassungsrechtler so nicht geht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Abgeordnete, bitte schön.

Jutta Velte (GRÜNE): Ich denke schon, es wäre wesentlich, wenn die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zusammenhalten würden, um die ominöse Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Das hängt nur an der CDU. Die FDP hat 2001 einen Antrag gestellt. Die Grünen und die Linke haben Anträge gestellt, und die Piraten stellen Anträge. Eigentlich, Herr Biesenbach, beschäftigt sich das gesamte politische System mit Ausnahme der CDU mit der Fragestellung. Vielleicht kann man 20 Jahre nach der ersten Diskussion mal schauen, ob man nicht andere Wege und Bekenntnisse zur Vielfalt in unserem Land findet.

Zum Antrag der Piraten: Wir freuen uns sehr darauf, über den Antrag diskutieren, weil wir es aus den verschiedensten Gründen, seit die Partei der Grünen besteht, für wesentlich halten, mehr Teilhabe für Ausländerinnen und Ausländer zu ermöglichen. Denn wir finden es wichtig. Die EU, Herr Biesenbach, hat es auch empfohlen, Nicht-EU-Bürger auch kommunal über das Wahlrecht partizipieren zu lassen. Ich halte das Thema für wichtig, und ich hoffe, dass wir eine sehr gute und spannende auch verfassungsrechtliche Diskussion führen. Ich will mal schauen, ob Herr Biesenbach als Einziger diese Meinung vertritt oder ob wir noch ein paar andere finden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Velte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Biesenbach hat gerade für die CDU erklärt, dass ein kommunales Wahlrecht nicht infrage kommt. Im Grunde genommen könnten wir die Debatte an dieser Stelle schon fast beenden. Denn mit der Sperrminorität, die die CDU bei einer Grundgesetzänderung auf Bundesebene hat, ist klar, wie die Diskussion zu Ende geht, unabhängig davon, ob man Herrn Biesenbach recht gibt oder nicht.

Ich sage aber auch ganz ehrlich, ich finde es nicht in Ordnung, dass Armin Laschet – ich habe das neulich schon gesagt – die CDU als moderne Einwandererpartei darstellt, und jedes Mal, wenn es konkret wird, kommt von Ihnen das Nein.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Das war schon bei der doppelten Staatsbürgerschaft so. Wie gesagt, über das Wahlrecht kann man sehr kontrovers diskutieren. Es wird auch bei uns sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Vor- und Nachteile. Wie gesagt, obwohl wir die Debatte beenden könnten, will ich kurz zwei, drei Aspekte ansprechen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biesenbach.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Gerne.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Kollege Dr. Stamp, hängt die Frage, ob eine Partei modern ist, davon ab, ob sie Ihre Meinung teilt? Oder hängt die Frage, ob eine Partei modern ist, davon ab, dass wir uns gerne diesen Debatten stellen? Aber nur zu sagen, weil ihr bei der doppelten Staatsbürgerschaft und auch bei dem heutigen Thema anders denkt als wir, seid ihr nicht modern, empfinde ich als ein bisschen einfach.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Nein!)

Im Grunde machen wir doch nichts anderes, als zu sagen: Wir sind in einigen zentralen Punkten unterschiedlicher Meinung.

(Jutta Velte [GRÜNE]: Das ist die Frage!)

Ich könnte Sie in die gleiche Situation bringen, in der wir Sie dann möglicherweise nicht mehr als modern betrachten können. Noch einmal: Können wir nur dann modern sein, wenn wir Ihre Meinung teilen?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Kollege Biesenbach, die Frage der Modernität können Sie interpretieren, wie Sie möchten. Das ist Ihnen völlig überlassen. Ich habe auch kein Problem damit, wenn Sie eine konservative Position vertreten. Nur, es geht nicht, dass Ihr Landesvorsitzender, der auch Bundesvize ist, sich bei Podiumsdiskussionen bei der entsprechenden Community – ich sitze gemeinsam mit ihm auf dem Podium – für die doppelte Staatsbürgerschaft ausspricht und Sie dann im Parlament das Gegenteil tun. Sie müssen sich irgendwann entscheiden: Hü oder Hott?

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Zu den Piraten sage ich: Vielleicht können wir in den beiden Ausschüssen – der Integrationsausschuss ist mitberatend – eine sachliche Diskussion dazu führen.

Wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir das kommunale Wahlrecht zusätzlich brauchen, wenn die doppelte Staatsbürgerschaft auf Bundesebene kommt. Ich bin der Meinung, wenn wir eine erleichterte doppelte Staatsbürgerschaft haben, müsste das Thema weitgehend obsolet sein, zumal wir beim kommunalen Wahlrecht auch gewisse Risiken haben, die wir im Auge behalten sollten.

Wir haben beispielsweise bei uns in Bonn auch eine segregativ orientierte Wählergruppe, die eine sehr starke ethno- und teilweise auch religionsorientierte Politik macht. Man muss aufpassen, das nicht zu stärken. Das heißt, wir müssen uns sehr viel Mühe geben, genau zu definieren, wie wir das kommunale Wahlrecht, wenn wir es denn wollen, ausgestalten. Dazu kann man – das ist in der Debatte bereits angesprochen worden – Verfassungsrechtler und Parteienforscher einladen und die von Herrn Biesenbach vorgetragenen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken erörtern, um zu sehen, ob das nur Einzelmeinungen sind oder ob eine Mehrheit das von Herrn Biesenbach Vorgetragene vertritt.

Das ist eine lohnende Diskussion, die man im Ausschuss mit der gebotenen Sachlichkeit führen sollte. Ich mag es auch nicht, wenn immer wieder Begriffe wie „Altpartei“ fallen. Ich denke, Sie werden als Piraten vielleicht irgendwann froh sein, wenn Sie tatsächlich einmal den Status einer Altpartei erreicht haben. – Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „… Deutschland ist kein Einwanderungsland. Es sind daher alle humanitär vertretbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Zuzug von Ausländern zu unterbinden.“ – Ein wörtliches Zitat aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP aus den 80er-Jahren, sozusagen schwarz auf gelb.

Ich bin froh, dass sich einiges geändert hat bei diesen Parteien – nicht bei allen. Zumindest die Rhetorik hat sich geändert; aber gelegentlich kann man den Geist dieser Formulierung immer noch wiedererkennen, insbesondere dann, wenn der Bundesinnenminister tatsächlich vorschlägt, die Freizügigkeit innerhalb Europas wieder einzuschränken.

Meine Damen und Herren, worum es geht, ist: Ist ein solches Wahlrecht in Deutschland möglicherweise zu installieren? – Herr Biesenbach, Ihre Rhetorik ist da sehr interessant. Sie sprechen sich gar nicht mehr gegen dieses Wahlrecht aus, sondern Sie verschanzen sich hinter der Rhetorik: Selbst eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes würde nicht ausreichen, weil es das Ewigkeitsrecht gibt, wonach alle Macht vom deutschen Volke auszugehen hat.

Diese verfassungsrechtliche Auffassung gibt es, Herr Biesenbach, aber sie ist weiß Gott nicht die Mehrheitsmeinung, und sie ist schon gar nicht, wie Sie sagen, unbestritten, ganz im Gegenteil. Herr Biesenbach, irgendwann kommen Sie vielleicht einmal in die Situation, dass es im deutschen Parlament eine Zweidrittelmehrheit für ein solches Wahlrecht gibt. Ich wäre dann sehr interessiert, zu erfahren, wie Ihre Rhetorik an diesem Punkt ist: ob Sie sich dann immer noch eigentlich nicht gegen dieses Wahlrecht aussprechen und ob auch bei Ihnen dann der alte Geist wieder durchkommt.

Ich sage Ihnen ganz offen: Um die CDU wird es bei diesem Thema ziemlich einsam. Ich bin mir sehr sicher, dass auch Sie in wenigen Jahren Ihre Auffassung dazu ändern werden.

(Beifall von der SPD)

Herr Biesenbach, ich glaube, es ist gut, dass wir uns mit diesem Thema inhaltlich noch einmal befassen und insbesondere die verfassungsrechtliche Frage erörtern, auch wenn die Bundesratsbefassung damit erst wenige Wochen alt ist und wir wissen, wie ein solcher Antrag anschließend im Bundestag beschieden wird. Dann wird von vielen, vielleicht auch von Ihnen, in dieser Diskussion mehr Klarheit an den Tag gelegt werden können. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion der Piraten hat sich noch einmal Herr Kollege Herrmann gemeldet.

Frank Herrmann (PIRATEN): Viel Zeit habe ich nicht mehr übrig. Ich wollte nur ganz kurz klarstellen: Der Antrag zur Änderung des Kommunalwahlrechts, den wir angesprochen haben, kommt dann, wenn Sie die Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes erfolgreich durchgebracht haben. Wir wissen schon, wie das funktioniert.

Herr Biesenbach, noch einmal ganz kurz an Sie gerichtet: Die Debatte geht wirklich schon viel zu lang. Sie haben einen ganz wichtigen Punkt genannt: An-


reize schaffen. Wir sind der Meinung, dass ein kommunales Wahlrecht – wir reden hier vom kommunalen Wahlrecht, nicht von Landtags- oder Bundestagswahlen – für Nicht-EU-Bürger, die hier leben, ein ganz wichtiger Anreiz sein kann, das zu erleben, was möglich ist, wenn man sich kommunal einbringen kann. Das kann vielleicht ein ganz wichtiger Anreiz sein, dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Deswegen finden wir es wichtig, dass das weiterverfolgt wird und dass wir das möglichst bald umsetzen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir sind damit am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3244 an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer kann dem seine Zustimmung geben? – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.

Die nächste Sitzung des Plenums findet statt am Mittwoch, 10. Juli 2013, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:04 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage

Zur Abstimmung zu TOP 4 – „Datteln IV realisieren – moderne Kraftwerke tragen zum Gelingen der Energiewende bei und nutzen den ambitionierten Klimaschutzzielen – Antrag des Regionalverband Ruhr (RVR) zügig stattgeben“ – von den Abgeordneten Andreas Becker (SPD), Michael Hübner (SPD), Carsten Löcker (SPD) und Hans-Peter Müller (SPD) gemäß § 46 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung

Wir, die unterzeichnenden SPD-Landtagsabge­ordneten, geben zu unserem Abstimmungsverhalten folgende Erklärung zu Protokoll:

Uns ist als örtliche Abgeordnete aus dem Kreis Recklinghausen ebenso wie den übrigen Abgeordneten der SPD-Fraktion an einem zügigen Verfahren hinsichtlich der Genehmigung des Kraftwerks Datteln 4 gelegen. Ebenso stimmen wir den Antragstellern zu, dass Datteln 4 „in puncto Energieeffizienz, Klimaschutz und Versorgungssicherheit neue Maßstäbe setzen“ kann.

Wir werden die Einleitung eines Zielabweichungsverfahrens durch die RVR-Verbandsver­sammlung am 05.07.2013 ausdrücklich begrüßen und wünschen uns ebenso wie die Antragsteller ein zügiges Verfahren.

Wir halten jedoch die Art und Weise, in der die Landtagsfraktion der CDU

–   den noch zu fassenden Beschluss der RVR-Verbandsversammlung am 05.07.2013 schon voraussetzt und

–   das sich anschließende Verfahren unter Beteiligung der Landesplanungsbehörde sowie weiterer Landesbehörden und -gremien durch blinden Aktionismus ad absurdum führt

für keine sachgerechte Prüfung und für kein gesetzeskonformes Verfahren.

Politischer Wille kann ein Zielabweichungsverfahren einleiten, dieses jedoch nicht ersetzen. In dem Zielabweichungsverfahren muss ergebnisoffen abgewogen werden, ob die Grundzüge der Planung erhalten bleiben und die Abweichungen vertretbar sind.

Politischer Wille kann auch ein Verfahren nicht gerichtsfest beschleunigen. Aus dieser Erfahrung hätten CDU und FDP angesichts der OVG-Entscheidung 2009 gegen die Regierung Rüttgers, die Grund für den Baustopp in Datteln war, eigentlich lernen müssen.

Der Antrag wird dem öffentlichen Interesse an einem sachgerechten Verfahren nach Recht und Gesetz nicht gerecht, und daher lehnen wir diesen wenig sachdienlichen Antrag ab, obwohl wir inhaltlich ein möglichst rasches Verfahren befürworten.

gez.

Andreas Becker, MdL

Michael Hübner, MdL

Carsten Löcker, MdL

Hans-Peter Müller, MdL