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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/28

16. Wahlperiode

25.04.2013

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28. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 25. April 2013

Mitteilungen der Präsidentin. 2391

Änderung der Tagesordnung. 2391

1   Opel muss zu seiner sozialen Verantwortung für die Beschäftigten und die Wirtschaftsregion stehen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2698

In Verbindung mit:

Opel-Schließung ist ein Symbol für die Wirtschaftspolitik der Regierung Kraft

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2699. 2391

Norbert Römer (SPD) 2392

Karl-Josef Laumann (CDU) 2393

Reiner Priggen (GRÜNE) 2395

Christian Lindner (FDP) 2396

Simone Brand (PIRATEN) 2398

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 2399

Oliver Wittke (CDU) 2400

Thomas Eiskirch (SPD) 2402

Christian Lindner (FDP) 2403

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 2404

Torsten Sommer (PIRATEN) 2405

Minister Garrelt Duin. 2406

Christian Haardt (CDU) 2408

2   Die Kirchen als Diener am Gemeinwohl: Gesellschaftliches Engagement von Caritas und Diakonie anerkennen und unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2632. 2409

Ergebnis. 2409

3   Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1187

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/2643

dritte Lesung. 2409

Dr. Roland Adelmann (SPD) 2410

Oskar Burkert (CDU) 2410

Arif Ünal (GRÜNE) 2410

Susanne Schneider (FDP) 2411

Torsten Sommer (PIRATEN) 2411

Ministerin Barbara Steffens. 2411

Günter Garbrecht (SPD) 2412

Oskar Burkert (CDU) 2412

Ergebnis. 2412

4   Stärkungspakt für Gymnasien – Chancen der Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs zur Verbesserung der individuellen Förderung nutzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2122

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/2321. 2413

Ina Spanier-Oppermann (SPD) 2413

Dr. Gerd Hachen (CDU) 2414

Sigrid Beer (GRÜNE) 2415

Yvonne Gebauer (FDP) 2416

Birgit Rydlewski (PIRATEN) 2418

Ministerin Sylvia Löhrmann. 2418

Ergebnis siehe Abstimmung zu TOP 7

5   Nordrhein-Westfalen darf nicht Hort der Geldwäsche werden – Kommunen dürfen mit der Kontrolle des Geldwäschegesetzes nicht überfordert werden

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2633. 2420

Peter Biesenbach (CDU) 2420

Michael Hübner (SPD) 2421

Mario Krüger (GRÜNE) 2422

Kai Abruszat (FDP) 2422

Frank Herrmann (PIRATEN) 2423

Minister Garrelt Duin. 2424

Ergebnis. 2425

6   Landesweite Einführung der Schulverwaltungsassistenz zur Verbesserung der Schulqualität in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2634. 2425

Petra Vogt (CDU) 2425

Rüdiger Weiß (SPD) 2426

Ali Bas (GRÜNE) 2427

Yvonne Gebauer (FDP) 2427

Oliver Bayer (PIRATEN) 2428

Ministerin Sylvia Löhrmann. 2429

Ergebnis. 2430

7   Staatsangehörigkeitsgesetz modernisieren: Einbürgerungen erleichtern, mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglichen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2616. 2430

Jutta Velte (GRÜNE) 2430

Bernhard von Grünberg (SPD) 2431

Simone Brand (PIRATEN) 2433

Peter Biesenbach (CDU) 2434

Dr. Joachim Stamp (FDP) 2435

Minister Ralf Jäger 2437

Ergebnis
(siehe auch Anlage) 2438

Ergebnis zu TOP 4. 2438

8   Bettensteuer erneut vor Gericht gescheitert – Landesregierung muss Genehmigungen zur Erhebung der Bettensteuer zurücknehmen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2123

Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Kommunalpolitik
Drucksache 16/2579. 2438

Lisa Steinmann (SPD) 2438

Ina Scharrenbach (CDU) 2439

Mario Krüger (GRÜNE) 2440

Dietmar Brockes (FDP) 2441

Robert Stein (PIRATEN) 2442

Minister Ralf Jäger 2443

Ergebnis. 2443

9   Inhaltliche Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG zum 
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Ein-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union 
und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende („Smart Borders“-Paket)

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2584. 2443

Nicolaus Kern (PIRATEN) 2443

Jens Geyer (SPD) 2444

Ilka von Boeselager (CDU) 2445

Verena Schäffer (GRÜNE) 2446

Dr. Ingo Wolf (FDP) 2447

Minister Ralf Jäger 2448

Ergebnis. 2448

10 Der Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern – Paare mit unerfülltem Kinderwunsch auch in NRW unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2624. 2448

Andrea Milz (CDU) 2448

Marcel Hafke (FDP) 2449

Regina Kopp-Herr (SPD) 2450

Josefine Paul (GRÜNE) 2451

Daniel Düngel (PIRATEN) 2452

Ministerin Ute Schäfer 2453

Marcel Hafke (FDP) 2454

Ergebnis. 2454

11 Abitur in Nordrhein-Westfalen: Ministerin muss für korrekte Durchführung sorgen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2636. 2455

Klaus Kaiser (CDU) 2455

Brigitte D’moch-Schweren (SPD) 2456

Sigrid Beer (GRÜNE) 2457

Yvonne Gebauer (FDP) 2458

Birgit Rydlewski (PIRATEN) 2459

Ministerin Sylvia Löhrmann. 2460

Klaus Kaiser (CDU) 2464

Ergebnis. 2465

12 Hochschulzugang gewährleisten und Numerus-clausus-Praxis beenden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2628. 2465

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 2465

Karl Schultheis (SPD) 2466

Ralf Nettelstroth (CDU) 2467

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 2468

Angela Freimuth (FDP) 2469

Ministerin Svenja Schulze. 2470

Ergebnis. 2471

13 Kinderschutz stärken – Interkollegialen Austausch von Kinderärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen ermöglichen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2433. 2471

Ina Scharrenbach (CDU) 2471

Ingrid Hack (SPD) 2472

Andrea Asch (GRÜNE) 2473

Marcel Hafke (FDP) 2474

Olaf Wegner (PIRATEN) 2475

Ministerin Barbara Steffens. 2476

Ergebnis. 2477

14 Transparenz in der Landespolitik – Vertrauen schaffen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2629. 2477

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 2477

Guido van den Berg (SPD) 2478

Werner Jostmeier (CDU) 2479

Matthi Bolte (GRÜNE) 2479

Dirk Wedel (FDP) 2480

Minister Ralf Jäger 2482

Ergebnis. 2482

15 Nordrhein-Westfalen lehnt die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit durch ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage entschieden ab!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2627. 2482

Daniel Schwerd (PIRATEN) 2483

Alexander Vogt (SPD) 2484

Thorsten Schick (CDU) 2484

Matthi Bolte (GRÜNE) 2485

Thomas Nückel (FDP) 2487

Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren. 2488

Ergebnis. 2489

16 Industrie- und Handelskammern in NRW: Geschäftsführergehälter offenlegen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2626

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2705. 2489

Daniel Schwerd (PIRATEN) 2489

Rainer Schmeltzer (SPD) 2491

Dr. Günther Bergmann (CDU) 2492

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 2493

Ralph Bombis (FDP) 2493

Minister Garrelt Duin. 2495

Ergebnis. 2496

17 Mietsteigerungen begrenzen – soziale Spaltung verhindern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2617

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2715. 2496

Sarah Philipp (SPD) 2496

Daniela Schneckenburger (GRÜNE) 2497

Klaus Voussem (CDU) 2498

Holger Ellerbrock (FDP) 2498

Olaf Wegner (PIRATEN) 2500

Minister Michael Groschek. 2500

Ergebnis. 2501

Anlage  2503

Zu TOP 7 – „Staatsangehörigkeitsgesetz modernisieren: Einbürgerungen erleichtern, mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglichen“ – von Serap Güler (CDU) nach § 46 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung

Entschuldigt waren:

Minister Thomas Kutschaty      
(ab 17:30 Uhr)

Minister Guntram Schneider

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans

André Kuper (CDU)

Norbert Post (CDU)

Peter Preuß (CDU)

Daniel Sieveke (CDU)

Dr. Roland Adelmann (SPD)    
(ab 12:30 Uhr)

Ali Bas (GRÜNE)         
(bis 11:30 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 16:00 Uhr)

Monika Pieper (PIRATEN)

 

Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 28. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen.

Mein Gruß gilt auch an diesem Morgen unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir haben auch heute jemandem zum Geburtstag zu gratulieren. Der Kollege Peter Weckmann von der Fraktion der SPD feiert heute seinen Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute im Namen der Kolleginnen und Kollegen!

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch ein paar Informationen bekannt zu geben. Wir haben auch eine Entscheidung zu treffen.

Die Fraktionen haben sich, wie Sie wissen, betreffend den Ablauf des heutigen Plenartages bereits gestern darauf verständigt, die auf Antrag der CDU-Fraktion durchzuführende dritte Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung Drucksache 16/1187 – Änderung von Rechtsvorschriften im MGEPA – als neuen Tagesordnungspunkt 3 mit Redezeit Block I durchzuführen.

Dafür soll der bisherige Tagesordnungspunkt 2, Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/2632 – Kirchen als Diener am Gemeinwohl –, entgegen dem Ausdruck in der Tagesordnung heute nicht debattiert werden, sondern erst nach Vorliegen der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses.

Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Den sehe ich nicht. Dann ist die Tagesordnung entsprechend geändert. Die bisherigen Tagesordnungspunkte 3 bis 16 verschieben sich entsprechend.

Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen und Ihnen damit auch mitteilen, dass wir eine Änderung der Tagesordnung für die morgige Sitzung erleben werden. Der Chef der Staatskanzlei hat mir gestern mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, den Landtag zu dem Thema „Aktueller Sachstand über die Klage der Firma Klausner gegen das Land Nordrhein-Westfalen über Holzlieferungen – Klausner-Vertrag 2007“ zu unterrichten. Die Unterrichtung durch den Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz soll morgen unter Tagesordnungspunkt 1 erfolgen.

Die Landesregierung verzichtet dafür auf die zunächst angemeldete und Ihnen bekannte Unterrichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konvention.

Darüber brauchen wir morgen nicht abzustimmen. Aufgrund der Tatsache, dass die Landesregierung jederzeit das Wort ergreifen kann, ist das dann so vorgesehen.

Als letzten Hinweis für die heutige Sitzung will ich noch einmal daran erinnern, dass zwischen 12:30 Uhr und 14:00 Uhr grundsätzlich keine Abstimmungen stattfinden, es sei denn, es handelt sich um Überweisungsabstimmungen.

Mit all diesen Vorbemerkungen und der geänderten Tagesordnung können wir in die geänderte Tagesordnung einsteigen.

Ich rufe auf:

1   Opel muss zu seiner sozialen Verantwortung für die Beschäftigten und die Wirtschaftsregion stehen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2698

In Verbindung mit:

Opel-Schließung ist ein Symbol für die Wirtschaftspolitik der Regierung Kraft

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2699

Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 22. April 2013 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ebenfalls hat die Fraktion der CDU mit Schreiben vom 22. April 2013 gemäß § 90 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zu einer aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Bevor ich die Aussprache eröffne, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich den Betriebsrat der Firma Opel aus Bochum ganz herzlich begrüßen, der heute gekommen ist, um an der Aktuellen Stunde teilzunehmen.

(Allgemeiner Beifall)

Stellvertretend für alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Bochumer Werk begrüße ich den Betriebsratsvorsitzenden Rainer Einenkel ganz herzlich. Das unterstreicht auch noch einmal die besondere Bedeutung der heutigen Aktuellen Stunde.

Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Norbert Römer, das Wort.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Heute vor acht Tagen hat der Opel-Aufsichtsrat beschlossen, die Fahrzeugproduktion am Ende des nächsten Jahres einzustellen und den Standort Bochum zum Ende des Jahres 2014 zu schließen. Deshalb ist der 17. April ein bitterer Tag für die Kolleginnen und Kollegen von Opel und ihre Familien, denn diese Entscheidung bedeutet, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren werden.

Der 17. April ist gleichzeitig ein bitterer Tag für Bochum, für die Region und für unser Land. Er ist ein bitterer Tag für uns alle, weil damit auch entschieden worden ist, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit Opel ein großes, ein traditionsreiches Automobilwerk verlieren werden, das 50 Jahre lang Maßstäbe für Qualität und Leistungsfähigkeit gesetzt hat und das für viele Zehntausende von Menschen lange Zeit Grundlage für berufliche Existenz und Perspektive, aber auch Grundlage für Lebensinhalt und Wohlstand war.

Heute ist die erste Möglichkeit nach dieser Aufsichtsratsentscheidung, hier im Landtag über Folgen und Konsequenzen zu reden. Deshalb haben wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, diese Aktuelle Stunde beantragt. In dieser schwierigen Situation, in dieser bitteren Zeit ist für uns zuallererst das Wichtigste, ein klares und eindeutiges Zeichen der Solidarität zu setzen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Heute Morgen sind bei uns Betriebsräte, Belegschaftsvertreter aus Bochum; die Präsidentin hat sie bereits begrüßt. Rainer Einenkel, Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße euch ebenfalls und sage euch: Wir alle sind froh, dass ihr heute im Landtag seid. Unsere klare Botschaft aus dieser Aktuellen Stunde lautet: Die Kolleginnen und Kollegen von Opel, die Bürgerinnen und Bürger in Bochum, im Ruhrgebiet, die Menschen in den Städten, in denen Opelaner, Frauen und Männer mit ihren Familien, leben, müssen wissen: Wir im nordrhein-westfälischen Landtag stehen an Ihrer Seite, und wir nutzen unsere Möglichkeiten, um Ihnen zu helfen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Das ist das Eine.

Das zweite Wichtige heute Morgen für uns ist: Wir fordern vom Opel-Management ein, sich klar und eindeutig zu seiner Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bekennen und diese Verantwortung wahrzunehmen. Deshalb muss es Gespräche darüber geben, wie es nach der Einstellung der Fahrzeugproduktion weitergehen kann, wie Arbeitsplätze in Bochum gesichert werden können. Opel darf diese Verantwortung nicht an die Seite schieben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ja, es geht um Verantwortung. Das Management von Opel hat die Zukunft der Marke Opel und ihrer Standorte selbst immer wieder infrage gestellt. GM und Opel haben den ständigen Austausch von Personen in Geschäftsführung und Management betrieben. Sie haben den Export von Opel-Fahrzeugen in Länder außerhalb Europas mit großer Nachfrage unterbunden. Hier ist viel Vertrauen zerstört worden. Die Opel-Belegschaft hat zu oft erleben müssen, wie wenig sie sich auf Pläne und Zusagen des Managements verlassen konnte. Die Belegschaft ist zu oft von ihrem Management enttäuscht worden.

Das alles hat zu tiefem Misstrauen bei der Opel-Belegschaft geführt. Dennoch haben Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall immer wieder mit großem Einsatz für den Erhalt der Fahrzeugproduktion in Bochum gekämpft. Die Belegschaft hat auch eigene Beiträge zur Verbesserung der Kostensituation geleistet, auch finanziell schmerzhafte.

Dann hat es den Tarifvertrag gegeben, den die IG Metall mit den Arbeitgebern ausgehandelt und über den die Belegschaft abgestimmt hat. Nach meiner ganz persönlichen Bewertung steht da viel Gutes drin. Ganz offensichtlich hat es aber für die Kolleginnen und Kollegen in Bochum nicht gereicht, weil sie so schlechte Erfahrungen gemacht haben. Deshalb haben die Gewerkschaftsmitglieder der IG Metall diesen Tarifvertrag abgelehnt.

Ich selbst habe über viele Jahre gewerkschaftliche Verantwortung in Nordrhein-Westfalen wahrnehmen können. Ich weiß aus dieser Erfahrung, wie den Kolleginnen und Kollegen bei solch schwierigen Entscheidungen zumute ist. Deshalb sage ich klipp und klar: Ich habe großes Verständnis für eine solche Entscheidung. Sie ist von mir nicht zu kommentieren, sie ist zu akzeptieren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Nachkarten hilft nichts. Jetzt geht es um den Blick nach vorne. Wie kann Wertschöpfung am Opel-Standort in Bochum auch in Zukunft gesichert werden? Wie kann sie gelingen? Wie können möglichst viele Arbeitsplätze, möglichst viele Produktionsarbeitsplätze, gesichert werden? Wo gibt es neue Chancen, und wie können diese genutzt werden? Das sind entscheidende Fragen, auf die es möglichst schnell Antworten geben muss. Dabei ist selbstverständlich auch Politik gefragt. So etwas gelingt aber nicht unter dem öffentlichen Scheinwerferlicht.

So etwas kann nur in sehr vielen beharrlichen Gesprächen und Verhandlungen zustande gebracht werden. Die Landesregierung war in ständigem Kontakt, in enger Abstimmung mit der IG Metall, dem Betriebsrat, den politisch Verantwortlichen in Bochum und auch mit Opel. Es hat viele Gespräche gegeben. Die Ministerpräsidentin war ebenso in ständigem Kontakt wie der Wirtschaftsminister.

(Widerspruch von der CDU – Zuruf von Karl-Josef Laumann [CDU])

Deshalb, meine Damen und Herren, sind frühzeitig Weichen dafür gestellt worden, dass Alternativen entwickelt und Perspektiven eröffnet werden können. Dabei, Herr Kollege Laumann, war Wirtschaftsminister Garrelt Duin unermüdlich und beharrlich unterwegs. Dafür danke ich ihm bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben? Das Ende der Fahrzeugproduktion muss doch nicht das Ende der Produktion, muss nicht das Ende der Automobilwirtschaft in Bochum sein. Es geht um Alternativen und Perspektiven. Meine Damen und Herren, wenn es darauf ankommt, nach besseren Lösungen zu suchen, als die Totalaufgabe des Standortes hinzunehmen, dann muss es auch die Suche nach diesen besseren Lösungen von allen geben, die zu beteiligen sind. Alle müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Jetzt kommt es darauf an – das will ich zu Beginn der Aktuellen Stunde klipp und klar herausstellen –, erstens mit den Betroffenen solidarisch zu sein. Darauf kommt es zuallererst an.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens kommt es, meine Damen und Herren, darauf an, das Unternehmen nicht aus der Verantwortung für seine Beschäftigten und den Standort zu entlassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Drittens. „Bochum Perspektive 2022“ muss von GM und Opel – auch finanziell – gestärkt werden, damit es für die Menschen in der Region eine Perspektive geben kann. Dazu einen Beitrag zu leisten, sind auch wir hier in diesem Hause aufgefordert. Dazu, meine Damen und Herren, von den Oppositionsfraktionen, lade ich Sie ganz herzlich ein. Vielen Dank fürs Zuhören. Glückauf für die Kolleginnen und Kollegen von Opel! Glückauf für unsere gemeinsame Sache!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Römer. – Für die CDU-Fraktion hat deren Vorsitzender, Herr Kollege Laumann, das Wort.

Karl-Josef Laumann (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Monat haben die Mitarbeiter des Bochumer Opelwerkes den Tarifvertrag, den die IG Metall für alle Opelstandorte in Deutschland ausgehandelt hatte, mit 76,1 % abgelehnt. Das war eine weitreichende Entscheidung, die, Herr Römer, natürlich jeder akzeptieren muss.

Statt 2016 soll die Autoproduktion aber nur noch bis Ende 2014 laufen. So hat es danach der Opel-Aufsichtsrat entschieden. Wegen dieses Beschlusses war das ohne Frage ein schwarzer Tag für das Land Nordrhein-Westfalen. Deswegen haben wir heute diese Aktuelle Stunde.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Am letzten Freitag habe ich das Bochumer Opelwerk und den Betriebsrat besucht. Am Hauptgebäude hängen Transparente, auf denen zu lesen ist: „Wir bleiben Bochum“, „Zukunft für alle bei Opel Bochum“ oder „Zukunft für die Region“.

In meinem Gespräch mit dem Betriebsrat habe ich gemerkt, was den typischen Opelaner ausmacht. Das sind Menschen, die direkt und geradeaus sind. Vor allen Dingen sind es Menschen, die mit Verstand, mit Herz und mit Riesenengagement seit Jahren für den Opelstandort in Bochum, für ihr Werk und für ihre Arbeitsplätze kämpfen und damit auch für einen wichtigen Teil der industriellen Wertschöpfung unseres Landes den Rücken hinhalten. Deswegen bin ich auch froh, dass es möglich war, dass der Betriebsrat heute an dieser Debatte teilnimmt. Ich freue mich darüber, dass die Kolleginnen und Kollegen da sind.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Schon die erste Frage an mich war direkt und ohne Schnörkel: Schön, dass du da bist, aber was kannst du als Oppositionsführer überhaupt für uns tun? – Eine gute Frage. Ich will sie heute in der Debatte ergänzen: Was kann die Landespolitik, was kann der Landtag überhaupt für Opel tun? Die Verantwortlichen bei General Motors, bei der Opel AG, in der Politik oder auch bei den Gewerkschaften dürfen in dieser Situation natürlich nicht zur Tagesordnung übergehen. Es wäre der falsche Umgang mit der Krise und den Sorgen der Mitarbeiter, wenn in Nordrhein-Westfalen einfach gar nichts geschehen würde; denn wir sprechen über viele Tausend Beschäftigte, über deren Familien, über die Zuliefererbetriebe, über alle, die in der Region von diesem Werk profitieren und profitiert haben. Wir wollen auch nicht vergessen, dass die Adam Opel AG mit den Fahrzeugen aus Bochum viele Jahrzehnte gutes Geld verdient hat.

(Beifall von der CDU)

Über all das müssen wir heute im Landtag sprechen. Ich finde, Nordrhein-Westfalen kann stolz darauf sein, was Opel bislang für unser Land bedeutet.

(Beifall von der CDU)

Am 3. März war ich beim Solidaritätsfest der Bochumer Opel-Mitarbeiter. Wer da war, der hat doch diesen Stolz gespürt – auch den Stolz auf dieses Werk, den es in der ganzen Stadt gibt. Da war zu sehen und zu hören, dass die Opelaner nicht einfach so aufgeben und kapitulieren wollen. Sie wissen, was sie für Bochum geleistet haben. Aber die Menschen in Bochum wissen auch, welche Bedeutung dieses Werk für Wohlstand und. gut bezahlte Arbeit in dieser Region bedeutet.

Frau Ministerpräsidentin, ich habe mich schon gewundert, dass an diesem Solidaritätsfest kein Mitglied der Landesregierung teilgenommen hat. Der Betriebsrat hat es mir bestätigt.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Widerspruch von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Ich habe den Eindruck – man muss das heute ebenfalls sagen –, dass die Landesregierung seit einiger Zeit einen ganz weiten Bogen um das Opelwerk in Bochum macht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Frau Kraft, ich habe noch im Ohr, wie Sie 2009 von diesem Rednerpult aus als SPD-Fraktionsvor-sitzende geredet haben. Ich zitiere Sie: In den Zielen wissen wir uns weitgehend mit der CDU einig: So viele Arbeitsplätze wie möglich in Bochum sichern; Bochum darf nicht einseitig benachteiligt werden. Wir wollen, dass es in Bochum keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Das ist der Lackmustest. Das ist entscheidend. Ziel für uns in Nordrhein-Westfalen ist, dass es am Standort Bochum weitergeht.

Sie wissen, dass die Landesregierung damals viel dafür getan hat, dieses Problem, das es seinerzeit schon gab, öffentlich zu machen und sich mit Bochum und den Opelanern zu solidarisieren.

Ich weiß, dass Ihr Wirtschaftsminister am Montag in Bochum war. Aber dass er am Montag da war, ist so, als würde die Feuerwehr erst dann kommen, wenn es nur noch ein paar qualmende Ruinen gibt. Das war einfach zu spät.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Natürlich wissen auch die Menschen, dass sich Politik an anderen Standorten in Deutschland massiv für die dortigen Standorte eingesetzt hat. Das ist Aufgabe eines jeden Ministerpräsidenten, in Hessen, in Rheinland-Pfalz, in Thüringen. Nur hier war von der Ministerpräsidentin während der ganzen Zeit nichts zu sehen und nichts zu hören. Wenn es um Opel geht, ist das aber Chefsache.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich finde, es muss jetzt alles darangesetzt werden, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Wir befinden uns jetzt in einer Situation, in der die Ministerpräsidentin – nicht weil sie „Kraft“ heißt – mit ihrem Amt dafür sorgen muss, dass diese Sprachlosigkeit überwunden wird, Brücken gebaut und neue Vereinbarungen getroffen werden, die Sie wie ein guter Notar besiegeln, sodass die Menschen sich anschließend auf diese Vereinbarungen in Punkt und Komma verlassen können. Dafür muss sie auch sorgen. Das ist jetzt Ihre Aufgabe.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Davor können Sie nicht wegtauchen. Das kann man auch nicht einem Kabinettsmitglied übertragen, sondern dazu muss ein Ministerpräsident selber stehen. Schaue ich auf die Regierungsbank, stelle ich fest, dass es der Arbeitsminister heute für wichtiger hält, im Deutschen Bundestag auf 1. Mai zu machen, statt als Arbeitsminister in einer Opel-Debatte bei den Kolleginnen und Kollegen zu sein. Ich frage mich: Was für ein Amtsverständnis hat dieser Mann überhaupt?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deswegen, Frau Kraft: Von Düsseldorf bis nach Bochum sind es 65 km. Andere sind mehr als 6.000 km geflogen, um beispielsweise in Detroit mit Opel zu reden.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Und Autos anzuschieben!)

Machen Sie sich einmal auf diesen Weg von 65 km.

(Lebhafte Unruhe und Zurufe von der SPD)

Wahr und wichtig ist in dieser Auseinandersetzung auch:

(Anhaltende Unruhe und Zurufe von der SPD)

– Sie können ruhig schreien. Der Betriebsrat von Opel weiß, wann zuletzt einer von euch da gewesen ist. Das könne Sie mir glauben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wer schreit hier am meisten?)

Wahr ist auch – ich sage es ganz klar –: Es ist notwendig, dass alle, die bei Opel für eine industrielle Zukunft arbeiten – das gilt für den Betriebsrat, die IG Metall, die Werksleitung bei Opel und die Konzernspitze in Detroit –, realistische Vorstellungen haben müssen, was für Opel in der jetzigen Situation in Deutschland möglich ist.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Laumann, Ihre Redezeit.

Karl-Josef Laumann (CDU): Für viele ist es zurzeit nicht einfach, weil Entscheidungen getroffen worden sind. So entschieden, wie ich hier die Rolle der Ministerpräsidentin bei diesen Verhandlungen einfordern muss, hat auch sie ein Anrecht darauf, dass alle Beteiligten mit realistischen Vorstellungen in solche neuen Gespräche gehen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege!

Karl-Josef Laumann (CDU): … damit man auch eine Chance hat, dass diese Gespräche zu einem Ergebnis führen. Dieses Ergebnis muss zur Folge haben, dass es möglichst lange möglichst viele industrielle Arbeitsplätze von Opel in Bochum gibt.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Laumann, Ihre Redezeit ist um vier Minuten überschritten.

Karl-Josef Laumann (CDU): Das kann zwar auch ohne Fahrzeugbau sein, aber industrielle Arbeitsplätze für Opel muss es geben. Opel muss Verantwortung dafür übernehmen, dass in Bochum und der Region neues Industrielles entsteht. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Laumann. – Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen – insbesondere für die nachfolgende Debatte – gerne mitteilen, dass sich das sitzungsleitende Präsidium vor Eintritt in diese Aktuelle Stunde darauf verständig hat, im Hinblick auf die Redezeiten etwas großzügiger als normalerweise zu sein. Der Kollege Römer hatte seine Redezeit um 50 Sekunden überzogen, Kollege Laumann, bei Ihnen waren es mehr als vier Minuten. Das will ich nur sagen, damit es keine Irritationen gibt. Wir werden weiterhin großzügig sein, bitten aber, trotz der Brisanz des Themas und seiner Aktualität den Bogen – was die Redezeiten angeht – nicht völlig zu überspannen. – Vielen Dank.

Der nächste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen deren Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Priggen.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament! Liebe Opel-Kolleginnen und -Kollegen und andere Gäste oben auf der Tribüne! Herr Kollege Laumann, ich frage mich als Erstes: Was hat die Belegschaft von Opel von dem, was Sie hier eben vorgetragen haben?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich weiß, dass Sie Temperament haben. Aber wenn Sie, nachdem der Wirtschaftsminister am Montag dort gewesen ist, Opel als qualmende Ruine bezeichnen, dann passt das nicht zu dem, was Sie auf der anderen Seite hier an Inhalten geäußert haben, dass Sie möchten, dass da etwas entsteht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In den letzten Jahren ist die Geschichte Opels in Deutschland und speziell Opels in Bochum eine sehr leidvolle Geschichte. Es ist eine Geschichte nicht gegebener Chancen, und es ist eine Geschichte nicht gehaltener oder nur ganz, ganz vager Zusagen. Opel hat über Jahrzehnte und bis heute qualitativ sehr gute, sehr zuverlässige und moderne Fahrzeuge gebaut. Das konnte man zum Beispiel heute Morgen auf der Fahrt zum Landtag und das kann man jederzeit bei uns auf den Autobahnen und Straßen sehen. Den Ruf hat Opel, den hat man sich hart erarbeitet.

Aber Opel hat vom Mutterkonzern – das ist eigentlich das Allerschlimmste – nie die Chance bekommen, im internationalen Wettbewerb auf Märkten außerhalb von Europa Möglichkeiten zu suchen, Absatz zu erzielen. Das ist aus meiner Sicht das ganz große Manko, was General Motors Opel in die Wiege gelegt hat.

Wichtige Teile des Weltmarktes sind für Opel abgeschottet worden. Und da, wo Volkswagen, wo andere deutsche Automarken sehr erfolgreich tätig waren und mit dem Verkauf im Ausland auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert haben, hat General Motors darauf geachtet, dass dort, wo andere Konzernmarken tätig werden konnten, Opel nicht arbeiten durfte.

Was das heute bei international sehr aktiven Märkten heißt, wenn man so beschränkt und beschnitten wird, dazu muss man den Vergleich zwischen diesen beiden traditionellen starken deutschen Marken Volkswagen und Opel ziehen. VW hat es geschafft, auch mit konkurrierenden eigenen Produkten international auf den Märkten insgesamt zu gewinnen. Opel wurde diese Chance nicht gegeben, Opel wurde sie verweigert.

Die Frage ist nicht von der Tagesordnung, sondern die Frage wird für alles, was in Deutschland von Opel noch gebaut wird, wieder auf die Tagesordnung kommen. Deswegen muss man es klar benennen. Es muss eine faire Chance geben für die hochwertigen Produkte, die da jetzt und in Zukunft hergestellt werden, damit diese international auf den Märkten ihre Möglichkeiten suchen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der zweite Punkt, wenn wir ehrlich bilanzieren, den wir ansprechen müssen: Der Konzern hat in Europa erhebliche Überkapazitäten aufgebaut. Ich will die Zahlen gar nicht alle zitieren. Aber „SPIEGEL ONLINE“ hat berichtet: 1,6 Millionen Fahrzeugkapazitäten in der Fertigung und 1,1 Millionen Absatz. Die IG Metall hat uns noch sehr viel drastischere Zahlen mitgegeben. Die Tarifkommission der IG Metall im Januar 2013: „Angesichts historisch niedriger Marktanteile sind die Produktionsstandorte in Europa nur zu 50 % ausgelastet.“ Das ist die Dramatik in der Situation. Und in dieser Situation hat der Aufsichtsrat am 17. April 2013 das Ende der Autoproduktion in Bochum für 2014 beschlossen.

Herr Kollege Laumann, Sie haben eben die 76,1 % in der Abstimmung bei Opel angesprochen. Wenn man nachvollzieht, was in den ganzen Jahren war, wie immer wieder Zusagen oder auch Abmachungen getroffen worden sind, die nicht eingehalten wurden, dann kann man die Skepsis derjenigen, die da beschäftigt sind, natürlich verstehen. Man hätte erwartet, dass der Konzern, wenn er entscheidet, nicht jetzt entscheidet „Zwei Jahre früher“, sondern mindestens entschieden hätte, dass das, was er mit der IG Metall ausverhandelt hat, umgesetzt wird. Insofern ist es doch ein Stück weit so, dass das, was an Befürchtungen da war, durch diese Entscheidung sogar bestätigt wurde.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt können wir Folgendes machen – und da war Ihr Beitrag, Herr Laumann, nicht hilfreich –:

(Widerspruch von der CDU)

Wir können die Auseinandersetzung hier so führen, wie sie normalerweise geführt wird. Ich könnten Ihnen jetzt reihenweise Zitate vorlesen, in denen sich Herr Brüderle und Herr Guttenberg damals als harte Wirtschaftspolitiker profiliert haben, gerade am Beispiel Opel, ohne für das Unternehmen irgendetwas zu erreichen. Ich könnte Ihnen aus den Berichterstattungen über den Besuch des Ministerpräsidenten Rüttgers in den USA zitieren, als er sich in Detroit hat fotografieren lassen, ohne etwas zu erreichen, oder darüber, dass Guttenberg sich auf dem Time Square hat fotografieren lassen, ohne einen Erfolg für Opel zu erzielen. Aber das nützt alles nichts.

Deswegen gibt es nach vorne doch nur eine gemeinsame Konsequenz: dass wir uns darum kümmern, dass am Standort Bochum natürlich so viel Opel wie irgend möglich erhalten bleibt, und die Chance, das auszubauen, dann auch in Bochum gegeben ist. Das ist das eine.

Als Zweites müssen wir dafür sorgen, dass an dem Standort mit Unterstützung und mit Verpflichtung des Unternehmens neue Sachen entstehen können. Dass wir mit Unterstützung des Wirtschaftsministers, mit Unterstützung der Landesregierung, mit Unterstützung der Stadt Bochum und des Ruhrreviers sehen, dass an den Plätzen, wo es auf absehbare Zeit keine Autoproduktion mehr geben wird, tatsächlich neue Arbeit entstehen kann und wieder Arbeitsplätze für diejenigen angeboten werden können, die da noch sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage das als jemand, der in Aachen lebt und seit Jahren den Kampf bei Bombardier mitbekommt, wo ganz, ganz zäh dafür gekämpft wird, dass jeder, der dort arbeitet, bleiben kann oder dass an dem Standort etwas Neues entsteht, damit industrielle Produktion erhalten bleibt. Da sind unsere Auseinandersetzung und unser Einsatz gefordert. Da nützen irgendwelche vordergründigen Geländegewinne, die man meint holen zu können, indem man so agiert, wie Sie das eben in weiten Teilen gemacht haben, niemandem. Die nützen nicht den Beschäftigten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das heißt auf Deutsch: Es gibt zu der Linie, die Wirtschaftsminister, Landesregierung, IG Metall, Fraktion und auch der Betriebsrat fahren, keine Alternative: jetzt in Bochum alles zu erhalten, was an Arbeitsplätzen erhalten werden kann, den Konzern einzubinden und ihm auch deutlich zu machen, dass es nicht sein kann, dass Opel Bochum nicht fair behandelt wird, dass dort nicht die Chance gegeben wird, industrielle Produktion zu erhalten oder wieder neu entstehen zu lassen, und zu erreichen, dass sich der Konzern auch tatsächlich an dem beteiligt, was da notwendig ist.

Das ist das, was wir brauchen. Dafür sollten wir uns alle zusammen einsetzen. Es sollte heute aus dem Landtag das Signal ausgehen, dass das breit getragen wird, anstatt vordergründige Polemik zu machen. – Danke schön.

(Anhaltender lebhafter Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die FDP-Fraktion spricht deren Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege Lindner.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Damen, meine Herren! Herr Priggen, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede die Frage aufgeworfen, was denn die Belegschaft von der Rede vom Kollegen Laumann habe. Man kann nach Ihrer Rede feststellen: Sie haben jedenfalls mehr von der Rede Laumann als von Ihrer Prosa, die Sie hier vorgetragen haben, Herr Priggen. Das ist nun klar.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Verehrte Damen, meine Herren, Opel gehört zur Tradition unseres Ruhrgebiets. Opel, das ist auch ein Stück Legende des Wirtschaftswunders. Der Opel Kadett A, der in Bochum produziert worden ist, ist Teil dieses Wirtschaftswunders. Viele erinnern sich an dieses Fahrzeug.

Die Beschäftigten von Opel haben nicht nur von Opel gelebt, sondern über Generationen auch für dieses Unternehmen gelebt. Die Opelaner waren eine Familie. Und am Erhalt des Standortes Bochum waren die Beschäftigten so interessiert, dass sie sogar bereit waren, auf Gehalt zu verzichten, dass sie bereit waren zu Veränderungen in den vergangenen Jahren.

General Motors hat vom Standort Nordrhein-Westfalen und von den qualifizierten Beschäftigten in Bochum profitiert. Deshalb werden wir diesen Konzern nicht aus seiner Verantwortung für die Beschäftigten vor Ort entlassen. Alle, die für Opel gearbeitet haben und heute in Beschäftigung sind, haben ein Recht auf Fairness. Darin sind wir alle hier im Landtag einer Meinung.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Allerdings sind die Probleme, vor denen wir heute stehen, nicht überraschend. Wir haben in Europa im Automobilmarkt nicht nur bei Opel, sondern generell Überkapazitäten. Gerade jetzt in der Eurokrise haben wir eine akute Absatzproblematik in Südeuropa.

Es gab schwerwiegende Managementfehler, weil Detroit sich auf den internationalen Märkten auf die Marke Chevrolet konzentrieren will, weshalb der innovativen Produktpalette von Opel keine Chancen eingeräumt worden sind. Die Bänder laufen in Bochum deshalb seit Jahren immer langsamer. Von der Spitze der Beschäftigung im Jahre 1970 mit 20.000 Beschäftigten ist das Unternehmen am Standort Bochum inzwischen weit entfernt.

Spätestens seit Dezember des vergangenen Jahres stand auch die konkrete Werksschließung in Bochum im Raum. Nun gab es eine Entscheidung des Betriebsrates und der Belegschaft in Bochum, den angebotenen Sanierungstarifvertrag nicht anzunehmen, über den neun Monate verhandelt worden ist, der zumindest eine Perspektive erst bis 2016 und dann bis 2018 und darüber hinaus geboten hätte.

Herr Römer, Sie haben recht: Diese Entscheidung der Belegschaft haben wir zu respektieren. Ich sage hier aber doch: Ich halte es für eine bedauerliche und falsche Entscheidung, dass die Belegschaft dieses Angebot nicht angenommen hat – als einen ersten Schritt, Beschäftigung in Bochum zu sichern.

(Beifall von der FDP)

Offensichtlich gibt es in Bochum selbst ein Umdenken. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ berichtet am heutigen Tag: Stimmen aus der Belegschaft gibt es, die sich bei der Abstimmung nicht hinreichend über die Konsequenzen und über die Alternativen informiert gefühlt haben.

Meine Damen und Herren, wie agiert die Landesregierung in dieser Frage? Man braucht nicht viel Phantasie, Frau Kraft, um sich vorzustellen, wie Sie in der Oppositionsrolle hier agiert hätten. Da brauchen wir keine Phantasie, sondern nur ein gutes Gedächtnis.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jedenfalls hätten Sie sich hier nicht so staatstragend eingelassen wie Kollege Laumann. Wenn ich mich an Ihre Debattenbeiträge erinnere …

(Lachen und Zurufe von der SPD)

– Ich glaube, da lachen die jüngeren Kollegen, die in der ersten oder zweiten Legislaturperiode dem Landtag angehören. Ich erinnere mich nämlich noch an die Auseinandersetzungen, die wir hier um beispielsweise die Arbeitsplätze bei Nokia geführt haben. Wir erinnern uns an Auseinandersetzungen um Opel und die richtige Strategie und daran, wie Frau Hannelore Kraft hier aufgetreten ist: Die Regierung Rüttgers/Pinkwart habe vollständig den Kontakt zum Management von Nokia und Opel verloren, hieß es da. Sie müsse sich einsetzen.

Fast bis zu dem Tag, bevor General Motors gesagt hat, sie bräuchten die Milliarden-Bürgschaften des Staates nicht, hat Hannelore Kraft sich dafür einsetzen wollen. Am nächsten Tag hat Detroit gesagt: Wir brauchen es eigentlich gar nicht; wir haben genug Kapitalausstattung. – Das, Frau Kraft, war Ihre Art, in der Frage Politik zu machen. Daran müssen Sie sich heute messen lassen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, führt man sich vor Augen, wie Sie damals hier aufgetreten sind, dann ist es umso bemerkenswerter, dass Sie die jetzige Krisenbewältigung in Bochum dem politischen Leichtgewicht Ihres Kabinetts, nämlich Wirtschaftsminister Duin, überlassen wollen. Das zeigt Ihre Glaubwürdigkeit in der Frage.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Ja, bis in die heutige Debatte! In der Redeliste ist der Wirtschaftsminister und nicht die Ministerpräsidentin ausgedruckt.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Frau Kraft, ich fordere Sie auf, entgegen Ihrer Planung hier gleich dem Landtag Rede und Antwort in der Frage zu stehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es ist Ihre Verantwortung, so wie Sie damals aufgetreten sind. Im Übrigen, Frau Kraft …

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Entschuldigen Sie einmal bitte, Frau Kraft. Ich werfe Ihnen hier jetzt nicht mit vielen Zitaten, die ich bringen könnte, vor, dass Sie Verantwortung für das mögliche Ende der Fahrzeugproduktion in Bochum zu übernehmen hätten. Aber dafür, dass der Sanierungstarifvertrag nicht abgeschlossen worden ist, tragen Sie sehr wohl Mitverantwortung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Oppositionschefin Hannelore Kraft hat sich nahezu ans Werkstor bei Opel ketten lassen, und die Regierungschefin Kraft packt das Thema mit spitzen Fingern an. Sie waren nicht in Bochum, Sie haben dort nicht Gespräche geführt!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das wäre Ihre Aufgabe gewesen. Ihre Aufgabe, Frau Kraft – mit Ihrer persönlichen Autorität, die Sie haben –, wäre es gewesen, eine Vertrauensbrücke zwischen der Belegschaft in Bochum und dem Management zu bauen. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen. Ein „TatKraft-Tag“ weniger, ein Tag mehr bei der Belegschaft hätte hier einen großen Erfolg erreicht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielleicht besteht jetzt noch eine Möglichkeit, Frau Ministerpräsidentin. Wenn es in der Belegschaft ein Umdenken gibt, wenn sich die Berichterstattung der „WAZ“ bestätigen sollte, dann haben Sie jetzt eine zweite Möglichkeit, mit dem Management von General Motors ins Gespräch zu kommen.

Aber, verehrte Damen, meine Herren, darauf allein dürfen wir uns nicht verlassen. Es geht jetzt darum, schnell die Entwicklungsgesellschaft in Bochum auf den Weg zu bringen. Die „Bochum Perspektive 2022“ darf nicht länger nur eine Absichtserklärung sein; sie muss mit Leben gefüllt werden. Wir haben beim Fall Nokia gesehen, dass es neue, sichere Arbeitsplätze auch in anderen Branchen gibt.

Ihre Aufgabe wird es also sein, an anderen Standorten für sichere Arbeitsplätze Sorge zu tragen. 28 Kilometer entfernt von Bochum wollen auch Ihre sozialdemokratischen Parteifreunde mit newPark ein neues Industriegebiet mit 10.000 Arbeitsplätzen schaffen. Das kann gegenwärtig nicht realisiert werden, weil auf Druck der Grünen der Wirtschaftsminister die Landesbürgschaften kaputtprüfen soll.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Da können Sie einen Punkt setzen; da können Sie neue, sichere Arbeitsplätze schaffen. Die Sorgfalt, die Sie jetzt bei newPark an den Tag legen, hätten wir uns früher bei Opel gewünscht, Frau Ministerpräsidentin. Jetzt ist es Ihr Thema. Sie haben eine Möglichkeit, mit den Beteiligten jetzt noch einmal über den Sanierungstarifvertrag ins Gespräch zu kommen. Sie haben die Verantwortung, vernünftige Standortbedingungen in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Das ist Ihre Verantwortung als Regierungschefin. Machen Sie jetzt das wahr, was Sie als Oppositionsführerin immer gefordert haben!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Piraten hat Frau Brand das Wort.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer, und vor allem liebe Opelaner! Ich bin Bochumerin. Ich bin in Bochum geboren, dort aufgewachsen, und ich habe dort studiert. Nach einem ganz kurzen Aufenthalt in Ostwestfalen – nichts gegen Ostwestfalen – bin ich vor über zehn Jahren mit fliegenden Fahnen in meine Stadt zurückgekehrt. Ich bin stolz auf meine Stadt.

Die Schließung des Opel-Standorts zum Ende 2014 kommt schneller als gedacht. Dass die Belegschaft jetzt mit hocherhobenem Kopf aus der Sache herausgegangen ist, das ist richtig, und das ist gut.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Stadt hat eine lange Arbeitertradition und ist, wie unser ganzer Ruhrpott, dafür bekannt, für Arbeitsrechte zu kämpfen. Aber irgendwann ist Schluss. Erneute Einschnitte auf dem Rücken der Mitarbeiter waren nicht mehr hinzunehmen; denn letztlich geht es nicht nur ums Geld. Es geht auch um die Würde des Menschen. Der US-amerikanische Mutterkonzern hat aufgrund betriebswirtschaftlicher Berechnungen die Werke in Europa kontinuierlich gegeneinander ausgespielt.

Um das Ausmaß dieser Entwicklungen zu verstehen, muss man wissen, welche Bedeutung Opel für Bochum hat. Opel ist nicht nur irgendein Werk. Opel bedeutet für Bochum Tradition und Lebensphilosophie. Ein Opelaner zu sein, war und ist noch heute gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zu einer Familie. Auch deshalb war die Belegschaft immer bereit, Einbußen hinzunehmen.

Mit dem Standort Bochum sterben aber auch Stadtteile. Langendreer und Altenbochum haben von den Opelanern gelebt: Lebensmittelgeschäfte, der Friseur um die Ecke, die Pommesbude, der gesamte Handel basiert auf dem Opel-Werk. Jetzt stehen Belegschaft, Zulieferer und die Infrastruktur mehrerer Stadtteile vor dem Aus.

Dann gibt es heute wieder eine Aktuelle Stunde. Der Antrag von SPD und Grünen spricht von einer „sozialen Verantwortung“ eines Konzerns. Ist klar – solche Konzerne agieren ja direkt hinter der Caritas an zweiter Stelle, wenn es um soziales Engagement geht. Es wird gemunkelt von gewaltigen Beträgen, die für das Getriebewerk zur Verfügung gestellt werden. Nur komischerweise hat der Herr Einenkel davon noch gar nichts gehört.

Der CDU-Antrag ist auch ganz großartig. Man will einmal mehr die Ministerpräsidentin und ihre Landesregierung vorführen. Will man ihr vorwerfen, sie hätte beeinflussen können, ob der Standort geschlossen wird?

In mir erweckt das den Eindruck, dass Sie, meine Damen und Herren, das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft nicht wirklich verstanden haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Wirtschaft agiert losgelöst vom politischen Wunschkonzert. Oder glaubt hier wirklich irgendeiner, die Bosse vom GM-Konzern interessiert es nur einen Deut, wenn sich hier Politiker mit Forderungen aus dem Fenster lehnen? Die lachen höchstens müde. Denken Sie nur an Herrn Rüttgers: Der stand vor den Werkstoren, und er wurde noch nicht einmal hereingelassen.

Was Politik hier leisten kann und längst leisten sollte, ist, rechtzeitig einen Plan B zu entwerfen. Bis jetzt wurde versäumt – und nach der Schließung des Nokia-Werkes vor vier Jahren war es bereits fünf vor zwölf –, in einen zukunftsorientierten Arbeitsmarkt und in Weiterbildungspolitik zu investieren. So wurden die Chancen auf Schaffung eines fortschrittlichen Wirtschaftsstandortes vertan. Da nutzt auch der Gesundheitscampus nichts. Oder machen wir dann aus den Facharbeitern von Opel Hebammen oder Logopäden? Eine der wichtigsten Forderungen muss jetzt lauten, die Arbeitsagentur in Bochum möge mit genügend Mitteln ausgestattet werden, um qualitativ hochwertige, zukunftsfähige Umschulungen zu garantieren.

Wir sollten jetzt vor allem in die Zukunft schauen. Vor 50 Jahren gelang es, den Bergbaustandort Bochum in einen Industriestandort zu verwandeln. Warum sollte es jetzt nicht möglich sein, den Industriestandort in einen innovativen und zukunftsfähigen Technologiestandort zu verwandeln?

Viel Zeit dafür bleibt allerdings nicht mehr. Es gelingt auch nur, wenn wir alle nach vorne schauen und nicht die Fehler der Vergangenheit beweinen. – Glückauf für mein Bochum!

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die Landesregierung hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das Wort.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Kolleginnen und Kollegen vom Opel-Betriebsrat! Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was die da oben auf der Tribüne angesichts dieser Debatte denken mögen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Da ist Herr Laumann, der staatstragend hervorhebt, welche Leistungen die Opelaner erbracht haben, der dann die Eigenschaften skizziert mit den Worten „direkt und geradeheraus“ und „sie arbeiten und kämpfen mit Verstand und Herz“. Das kann ich alles unterschreiben, weil ich die gut kenne, die da oben sitzen.

Aber eines weiß ich auch: Die haben nicht nur ein Kurzzeitgedächtnis. Lieber Herr Lindner, die können sich gut daran erinnern, wie hier die Debatten in der letzten Legislaturperiode verlaufen sind und wie Sie die Opelaner im Stich lassen wollten. Das haben die Kolleginnen und Kollegen nicht vergessen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben vorhin davon gesprochen, ich müsste meine persönliche Verantwortung wahrnehmen.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Das tue ich. Aber zu dem, was Sie skizziert haben, was meine persönliche Verantwortung wäre – nämlich: dass dieser Sanierungstarifvertrag nicht zustande gekommen ist, wäre meine Verantwortung –, kann ich nur sagen: Das ist das Tarifautonomieverständnis einer FDP.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch da wissen die Kolleginnen und Kollegen genau, wie das einzusortieren ist.

Lieber Herr Laumann, das Kurz- und Langzeitgedächtnis funktioniert auch in Bezug auf die CDU gut. Wenn Sie die mit „direkt und geradeheraus“ und „mit Herz und Verstand“ richtig beschrieben haben, kann ich Ihnen nur sagen: Die lassen sich auch nicht instrumentalisieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die lassen sich nicht instrumentalisieren, damit Sie hier Ihr dünnes Oppositionssüppchen auf ihre Kosten kochen können.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Ah!)

Die können sich noch gut daran erinnern, wann mein Vorgänger im Amt, Herr Dr. Rüttgers, was getan hat, wie viele Kameras er nach Detroit mitgenommen hat, und die wissen auch noch, wie die Ergebnisse dieser Runden waren. Auch das haben die Kolleginnen und Kollegen bei Opel nicht vergessen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Eines sage ich Ihnen klipp und klar: Die Art, wie ich eine Regierung führe, wie ich mit Themen umgehe, unterscheidet sich durchaus von der der Vorgängerregierung. Denn wir sind nicht diejenigen, die die großen Showtermine suchen.

(Lachen von der CDU und der FDP)

Wenn der Arbeitsminister auf ein Solidaritätsfest geht

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU)

– Sie können gerne in der Zeitung nachlesen, dass er da war –, dann tut er das nicht mit 23 Kameras im Schlepptau, sondern, indem er direkt mit den Kolleginnen und Kollegen spricht! Das ist Solidarität, die vor Ort ernst genommen wird. Das ist Solidarität.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Widerspruch und Zurufe von der CDU)

Vieles, was hier sachlich gesagt worden ist, kann ich unterschreiben. Die Kollegen Priggen und Römer haben alles dargestellt,

(Zuruf von der FDP: Kabarett!)

auch die strategischen Fehler, über die wir nicht erst seit gestern sprechen: die Tatsache, dass man nicht nach Europa und in die Länder darüber hinaus exportieren durfte; die Tatsache, dass dort hervorragende technologische Entwicklungen auf den Weg gebracht worden sind, die GM in Detroit – weit weg – überhaupt nicht zu schätzen wusste, weil GM ihren Markt und nicht den europäischen Markt vor Augen hatte.

Eines darf man auch an dieser Stelle sagen: Die Lage im Automobilbereich ist in der Tat grundsätzlich ernst. Es gibt Überkapazitäten. Sie haben davon gesprochen, es gebe eine Absatzkrise. Dann reden wir heute auch darüber, warum diese Absatzkrise in diesen Dimensionen besteht: auch weil diese Bundesregierung, Ihre Bundesregierung, in Europa eine reine Austeritätspolitik gemacht hat. Das ist einer der Gründe dafür, dass wir solche Absatzprobleme in Europa haben!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der CDU)

Eine so billige Oppositionspolemik, wie ich sie heute gehört habe, haben die Kolleginnen und Kollegen vor Ort nicht verdient! Sondern: Sie haben einen Wirtschaftsminister verdient, der ernsthaft Gespräche führt

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

und versucht, das Beste für die Kolleginnen und Kollegen am Standort und für Nordrhein-Westfalen herauszuholen. – Und das tun wir!

(Langanhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die CDU-Fraktion hat Kollege Wittke das Wort.

(Zurufe von der SPD: Wow! Das Schwergewicht! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Er hat ja Zeit; es waren keine Panini-Bilder im Umlauf!)

Oliver Wittke (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich finde es bemerkenswert, dass Sie, Frau Kraft, es in dieser wichtigen Plenardebatte, in dieser wichtigen Diskussion für unser Land – die Wichtigkeit kann man schon allein daran ermessen, dass zumindest die vier Fraktionsvorsitzenden der großen Fraktionen und die Ministerpräsidentin das Wort ergriffen haben – fertiggebracht haben, kein einziges Wort dazu zu sagen, was Sie im vergangenen halben Jahr getan haben, und dass Sie kein einziges Wort dazu gesagt haben, was Sie in den nächsten Wochen tun werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es ist erstaunlich, dass die Ministerpräsidentin in dieser schwierigen Stunde – nicht nur für Bochum, nicht nur für die Belegschaft von Opel in Bochum, sondern auch für unser Land – sprachlos ist und ablenkt, indem sie wieder einmal versucht, die Verantwortung in Berlin abzuladen.

(Beifall von der CDU)

Frau Kraft, das ist kraftlos und einer Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes nicht würdig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dabei haben Sie noch am 21. Mai des vergangenen Jahres bei einer Betriebsversammlung bei Opel in Bochum wörtlich erklärt – ich zitiere –: Wir wollen, dass endlich das Totenglöckchen vergraben wird.

(Zurufe von der SPD)

Frau Kraft, dann sagen Sie bitte diesem Hohen Haus, was Sie im vergangenen Jahr dazu beigetragen haben, dass das Totenglöckchen vergraben wird! – Nichts haben Sie getan, um das Totenglöckchen zu vergraben.

(Beifall von der CDU)

Wenn Ihr Wirtschaftsminister, der gleich noch Gelegenheit haben wird, sich dazu zu erklären, vor gerade einmal einem halben Jahr, nämlich am 30. Oktober 2012, erklärt hat – ich zitiere wiederum wörtlich –: „GM und Opel sind Unternehmen, die Verantwortung und Engagement gegenüber ihren Mitarbeitern und gegenüber der Region zeigen“, dann frage ich Sie: Teilen Sie diese Auffassung Ihres Wirtschaftsministers?

Teilen Sie die Auffassung von Herrn Duin, dass GM und Opel tatsächlich Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und der Region gezeigt haben? Das Gegenteil ist doch der Fall!

Ihre Sprachlosigkeit ist der Grund dafür, dass Sie hinters Licht geführt worden sind. Sie haben sich nicht bemüht, nicht mit dem Management von Opel geredet. Das werfen wir Ihnen heute vor.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Es ist völlig klar, dass eine Landesregierung keine Verantwortung für unternehmerische Entscheidungen übernehmen kann. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass sich Landesregierungen wie auch andere Politiker aus Tarifverhandlungen selbstverständlich heraushalten müssen. Aber sie haben eine Verantwortung für das, was danach kommt. Und sie haben eine Verantwortung dafür, wie mit der Unternehmensleitung umgegangen wird. Da haben Sie in den vergangenen Wochen kläglich versagt.

Und ich befürchte, das wird sich fortsetzen. Denn was haben wir schon in der Hand? Herr Römer hat hier von der „Perspektive 2022“ gesprochen. Herr Römer, lesen Sie mal nach, was der Kollege Duin vor einem halben Jahr gesagt hat. Er hat damals erklärt: Jetzt werden wir rasch Gespräche mit allen Beteiligten über die weitere Ausgestaltung der Arbeitsgruppe führen. – Was ist denn in dieser Zeit passiert, Herr Duin? Die Arbeitsgruppe hat noch nicht ein einziges Mal getagt.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Ist das „rasch“, wenn ein halbes Jahr lang nichts passiert ist, keine Erfolge vorzuweisen sind, Sie eben keine Perspektive gegeben haben? Sie müssten diese Arbeitsgruppe umbenennen in „Perspektivlosigkeit der Landesregierung 2022“.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Sie können sich doch gleich noch mal zu Wort melden, Frau Kollegin Kraft. Das ist doch kein Problem.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Sie erzählen einfach falsche Sachen!)

Sie haben damals ausgeführt, Herr Kollege Duin: Profilierte Persönlichkeiten für die Geschäftsführung der Arbeitsgruppe „Bochum Perspektive 2022“ werden in Kürze benannt. – Das haben Sie vor einem halben Jahr erklärt. Ist das „Kürze“, wenn diese Arbeitsgruppe bis heute überhaupt nicht handlungsfähig ist, weil Sie noch nicht einmal wissen, wie die Geschäftsführung dieser Arbeitsgruppe besetzt werden soll? Da ist wertvolle Zeit verloren gegangen. Das ist das, was wir kritisieren. Sie haben sich Ihrer Verantwortung nicht gestellt. Sie waren im letzten halben Jahr tatenlos, obwohl Sie wussten, was auf Sie zukommen würde.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass wir solidarisch an der Seite der Kolleginnen und Kollegen bei Opel stehen – und auch bei den Kolleginnen und Kollegen, die indirekt von den Beschlüssen betroffen sind. Denn es sind ja nicht nur die Kolleginnen und Kollegen bei Opel betroffen, sondern auch die Zulieferbetriebe in unserem Land, der Bäcker an der Ecke, die Wirtschaft in Bochum, die Wirtschaft in der Region. Viele, viele mehr sind von dieser Entscheidung betroffen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Ich sage Ihnen: Wenn in einer ähnlichen Situation – wir hatten solche Situationen in den fünf Jahren, in denen wir Verantwortung in diesem Land getragen haben – die Regierung Rüttgers, die Wirtschaftsministerin Thoben, der Arbeitsminister Laumann sich so verhalten hätten, wie Sie sich in den letzten sechs Monaten verhalten haben, Sie hätten uns zu Recht – zu Recht! – durch die Arena gezogen und uns vorgeworfen, dass wir die Interessen der Menschen dieses Landes nicht wahrnehmen.

Und das müssen wir Ihnen hier vorwerfen: Sie nehmen die Interessen der Menschen Nordrhein-Westfalens nicht wahr, weil Sie tatenlos zusehen, wie ein Unternehmen einen Standort schließt, der gute Arbeit geleistet hat!

(Beifall von der CDU)

Aber es ist nicht zu spät. Sie haben hier heute die Gelegenheit, zu erklären, wie Sie gedenken, sich in den nächsten Wochen und Monaten zu verhalten. In Ihrer Rede, Frau Ministerpräsidentin, haben Sie dazu kein Wort gesagt. Darum fordere ich Sie noch einmal ausdrücklich auf: Erklären Sie den Betriebsräten von Opel, erklären Sie den Menschen im Ruhrgebiet, in Bochum, erklären Sie der Bevölkerung in diesem Land, was Sie in den nächsten Wochen und Monaten tun werden, um die Situation in Bochum zumindest abzumildern, wenn Sie sie schon nicht abwenden können.

(Zuruf von der CDU: Nichts wird sie tun!)

Ich glaube, es ist jetzt Ihre Aufgabe, Brücken zu bauen. Es ist Ihre Aufgabe – wie Karl-Josef Laumann es gesagt hat –, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Sie haben eine Mittlerfunktion. Sie dürfen jetzt nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: Wir schau‘n mal. Es wird am Ende alles gut werden. – Nein! Sie müssen tätig werden. Sie müssen tatsächlich Perspektive für Bochum, Perspektive für die Opelaner, Perspektive für das Ruhrgebiet und damit für Nordrhein-Westfalen vom Zaun brechen. Da kann man sich nicht zurückziehen. Das ist nicht die liebe Landesmutter, die man da geben kann. Da muss man kämpfen. Da muss man kraftvoll

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)

die Angelegenheiten der Menschen in diesem Land vertreten. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht getan. Wir haben aber die große Hoffnung, dass Sie das jetzt tun.

Unsere Forderung an Sie ist ganz klar und eindeutig: Wir verlangen von Ihnen, dass Sie Sorge dafür tragen, dass die Menschen wieder miteinander reden, dass der Betriebsrat, die Gewerkschaft, das Management von Opel darüber sprechen, nicht nur, wie es nach der Schließung des Werkes weitergeht, sondern auch, ob es nicht doch noch eine Möglichkeit gibt, Arbeitsplätze bei Opel über 2015 hinaus zu erhalten.

Das ist jetzt Ihre Aufgabe, diese Mittlerfunktion wahrzunehmen. Wir fordern Sie auf, diesem Hohen Hause heute zu erklären, wie Sie diese Verantwortung wahrzunehmen gedenken. Dann werden Sie Ihrer Aufgabe als Ministerpräsidentin gerecht. Dann werden Sie Ihrer Aufgabe als Landesregierung gerecht. Dann werden Sie auch die CDU -Fraktion dieses Hauses an Ihrer Seite haben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Keine Drohungen!)

Denn das eint uns am Ende allesamt: Wir wollen so viel Opel und so viele Arbeitsplätze wie möglich in Bochum erhalten. Aber dazu muss man etwas tun. Die werden nicht vom Himmel fallen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Heiße Luft!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Wittke. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Herr Abgeordnete Eiskirch.

Thomas Eiskirch (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Betriebsrat bei Opel! Das gemeinsame, parteiübergreifende Motto im Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen war: Möglichst lange möglichst viel Opel in Bochum!

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Karl-Josef Laumann [CDU])

Dies ist ein richtiges Motto. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, das kleine Zeitfenster zu nutzen, das sich nach der Entscheidung des Opel-Aufsichtsrates am 17. April aufgetan hat, und gucken, welche Möglichkeiten es gibt, nachdem Opel beschlossen hat, keine Automobilproduktion in Bochum mehr nach dem Jahr 2014 aufrechterhalten zu wollen, welche Optionen es trotzdem gibt, möglichst viel Opel möglichst lange in Bochum zu halten. Dieses Zeitfenster ist jetzt da.

An dieses Zeitfenster und seine Nutzung sind Bedingungen zu stellen. Der Betriebsrat, die Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber hängen mit vielen Fragen im Moment in der Luft, weil der Sanierungstarifvertrag in Bochum nicht angenommen worden ist. Wie sieht es mit bestimmten Komponenten aus? Wie sieht es mit Verteillagern etc. aus?

Ein gutes Signal dieses Hauses wäre ein einiges Signal gewesen, genauso wie es vonseiten des Wirtschaftsausschusses ausgegangen ist. Was hier passiert ist, ist keine Politik. Das ist Parteipolitik. Ich will Ihnen ehrlich sagen: Für mich als Bochumer ist es beschämend, wie diese Debatte verlaufen ist. Sie hilft nicht; sie schadet dem, was wir eigentlich gemeinsam wollen.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Was ist Sinn und Zweck einer solchen Aktuellen Stunde? – Sinn und Zweck wäre es gewesen, den Betroffenen in Bochum in der jetzigen Situation Solidarität vor Ort zu zeigen, denjenigen, die um ihre Arbeitsplätze bangen. Das haben wir getan.

Der zweite Sinn und Zweck wäre gewesen, in Richtung des Unternehmens die Kritik zu transportieren, die berechtigterweise an der Aufstellung des Unternehmens in der Vergangenheit und in der gegenwärtigen Situation geübt worden ist.

Gleichzeitig wäre Sinn und Zweck ein geschlossenes Signal dieses Hauses gewesen, darüber mit den Verantwortlichen bei Opel sprechen zu wollen, wie es mit der Komponente aussieht, wie es mit Verteillagern aussieht und wie es vielleicht noch mit anderen Dingen aussieht, die in Bochum belassen werden können und bei denen es gute Standortvoraussetzungen gibt, um Opel im Wettbewerb der verschiedenen Standorte in Bochum zu halten. Dadurch könnten Flächen von Opel in Bochum nutzbar gehalten werden.

Was es heute gibt, ist ein zerstrittenes Signal dieses Hauses. Einigen Rednern ist es wichtiger, den Applaus aus den eigenen Reihen zu bekommen als die wirkliche Notwendigkeit zu beleuchten. Mich beschämt das zutiefst, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe mich auf diese Debatte gefreut, denn ich glaube, dass Bochum die Unterstützung gut gebrauchen kann.

Ich habe in der Oppositionszeit Verantwortung für die SPD in der Wirtschaftspolitik getragen, als es um Nokia ging. Natürlich habe ich damals deutlich angemahnt, was Regierungen tun müssen. Ich habe es oftmals in Gesprächen mit Herrn Baganz und Frau Thoben getan, aber nicht in der Öffentlichkeit. Ich habe mit ihnen über Dinge gesprochen, die ich wusste und die ich hätte nutzen können. Im Sinne der guten Sache habe ich es nicht getan, weil Ziel nicht eine Skandalisierung war, sondern von Nokia möglichst viel zu bekommen und möglichst gute Standortvoraussetzungen für die Flächen nach Abzug von Nokia zu schaffen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist die Art, wie man mit solchen Situationen in diesem Land verantwortlich umgeht.

Jetzt geht es eben auch darum, Opel deutlich zu machen, was Opel selbst noch möglichst lange in Bochum tun kann. Es geht darum, mit ihnen darüber zu reden, was auf den Flächen passiert, die sie nicht brauchen, die sie auch dann nicht brauchen, wenn es noch möglichst lange möglichst viel Opel in Bochum gibt. Diese nicht benötigten Flächen gibt es ja schon heute.

Es ist richtig: Dazu gibt es einen gemeinsamen Auftritt, eine Arbeitsgruppe, eine Gesellschaft „Bochum Perspektive 2022“. Es wäre heute ein gutes Signal dieses Hauses gewesen, Opel deutlich zu machen, dass auch diese Gesellschaft kein Feigenblatt für das Image von Opel werden darf. Sie muss wirklich dem Standort dienen. Dazu gehört beispielsweise, die Grundstücke über kurz oder lang in eine solche Gesellschaft einzubringen und nicht den Eindruck zu erwecken, man möchte sich nur mit einem möglichst guten Image oder mit möglichst wenig Imageverlust vom Acker bzw. aus dem Staub machen. – Auch diese Chance ist heute verpasst worden. Auch das beschämt mich zutiefst.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht nutzt mein Bochumer CDU-Kollege, der seinen Platz in der Redeliste gerade an den Kollegen Wittke für dessen Auftritt abgetreten hat, noch einmal die Gelegenheit, um deutlich zu machen, dass es eine breite Mehrheit in diesem Hause gibt, die gemeinsam von diesem Platz aus appelliert: Schaut doch, ob nicht Bereitschaft auf beiden Seiten des Verhandlungstisches besteht, um miteinander ins Gespräch zu kommen über das, was unter den jetzt vorhandenen Rahmenbedingungen „möglichst lange möglichst viel Opel in Bochum „bedeuten kann. – Das wäre mein Wunsch. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Eiskirch. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Lindner.

Christian Lindner (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Eiskirch, die Bereitschaft, gemeinsam zu appellieren, habe ich bereits der Debatte entnommen. Wir wollen aber auch wissen, wie die Landesregierung handeln will,

(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])

in welche Richtung die Landesregierung in dieser Frage agiert. Wir wollen es eben nicht beim Appell belassen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vor diesem Hintergrund war der Debattenbeitrag von Hannelore Kraft nun wirklich bemerkenswert. Frau Kraft, offensichtlich haben wir Ihnen auf den Nerv gebohrt, oder Sie empfinden inzwischen jede Kritik an Ihrer Politik als Majestätsbeleidigung. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Die Ministerpräsidentin war auf diese Debatte so unvorbereitet wie die Regierung insgesamt auf die Situation in Bochum unvorbereitet war.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Keine Strategie, keine Planung. Deshalb haben Sie auch nicht zur Sache gesprochen, Frau Ministerpräsidentin.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Sie haben hier über die damalige Ablehnung vonseiten der FDP gesprochen, Bürgschaften an General Motors zu geben. Das kritisieren Sie noch im Nachhinein. Dabei wissen wir heute, dass das Unternehmen, wie es selbst eingeräumt hat, keinen Liquiditätsengpass gehabt hat. Sie wollten die mit frischem Geld versorgen, das die gar nicht brauchten, und dass, obwohl GM nicht bereit war, strategische Entscheidungen zu korrigieren.

(Beifall von der FDP)

Das ist Ihre soziale Politik zulasten des Steuerzahlers.

Sie sprechen hier über die Tarifautonomie. Frau Ministerpräsidentin, Sie werfen uns unser Verständnis von Tarifautonomie vor: Die Ablehnung des Sanierungstarifvertrags dürfte man gar nicht kommentieren. Oder wie ist das sonst zu verstehen? Darf man solche Entscheidungen nicht kommentieren?

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Nein, Sie haben gesagt, ich hätte Verantwortung!)

– Ja, die haben Sie auch.

Ihr Wirtschaftsminister hat den Wirtschaftsausschuss des Landtags doch über Monate mit dem Hinweis ruhiggestellt, er sei in Gesprächen. Dann bilanziert er am 17. April seine Gespräche. Ich zitiere aus seiner Pressemitteilung vom gleichen Tag:

„Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung des Sanierungstarifvertrags Ende März durch die Bochumer Belegschaft umso bedauerlicher. Im Nachhinein wäre dies offensichtlich die letzte Chance zu einer Sicherung des Standorts zumindest bis Ende 2016 gewesen.“

Das sind die Gesprächsergebnisse von Herr Duin.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Quatsch! Das ist doch totaler Quatsch!)

Warum haben Sie sich als größtes Gewicht dieser Regierung nicht eingeschaltet, Frau Ministerpräsidentin?

(Beifall von der FDP und der SPD)

Das Einzige, Frau Ministerpräsidentin, was Sie nach meiner Erinnerung in Ihrem Debattenbeitrag zur Lösung der Situation in Bochum konkret gesagt haben, ist, dass Sie der Bundesregierung allen Ernstes deren stabilitätsorientierte Europapolitik vorgeworfen haben. Also wollen Sie die südeuropäischen Länder wieder zum Schuldenmachen einladen, damit deutsche Fahrzeuge gekauft werden. Oder wie ist das, was Sie hier gesagt haben, zu verstehen, Frau Ministerpräsidentin? So haben Sie das hier dargestellt.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD)

Das ist unverantwortlich und unkonzeptionell. Und dann sagen Sie: Wir, CDU und FDP, hätten billige Oppositionspolemik gemacht.

(Beifall von den GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das bestätigen Sie gerade mit Ihrem Wortbeitrag!)

Billige Regierungspolemik haben wir hier erlebt!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Betriebsrates! Diese Entscheidung, die das GM-Management nun nach jahrelangem Tauziehen getroffen hat, ist eine absolut bittere Entscheidung für die Opelaner, für ihre Familien – übrigens nicht nur in Bochum, sondern in der ganzen Region; denn es gibt Beschäftigte bei Opel nicht nur aus Bochum, sondern auch aus den umliegenden Kommunen.

Es ist eine Entscheidung gegen die Region. Es ist vor allen Dingen eine Entscheidung gegen die Menschen, die sich mit guter Arbeit, mit hohem Engagement und über Jahre hinweg für dieses Unternehmen eingesetzt haben.

Auch die Stadt hat viel für Opel getan, und zwar nicht nur ein Jahr lang, sondern jahrzehntelang. Sie hat Flächen bereitgestellt, sie hat Infrastruktur bereitgestellt, sie hat dafür gesorgt, dass die Produktionsbedingungen an diesem Ort wirklich gut sind.

GM hat sich in einem jahrelangen Tauziehen gegen diesen Standort entschieden. Ich kann gut verstehen, dass die Beschäftigten viel Misstrauen gegenüber einem Management haben, das sie über Jahre hinweg immer wieder hingehalten hat. Das ist die Lage.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde das, Herr Lindner, was Sie hier zweimal hintereinander als Stegreifrede vortragen, absolut verlogen. Sie haben vom Recht auf Fairness gesprochen.

Ich finde, es ist nicht fair, wenn Mitarbeiter Managementfehler ausbaden müssen, die noch nicht einmal an den deutschen bzw. den europäischen Standorten, sondern an den amerikanischen Standorten gemacht worden sind. Die Mitarbeiter in Deutschland, insbesondere in Bochum, müssen jetzt diese Fehler ausbaden.

Und es ist insbesondere nicht fair, sondern verlogen, wenn Guttenberg als Ihr Wirtschaftsminister die Tasche zuhielt, als es um Bürgschaften ging, die ein Fenster für eine Verselbstständigung von Opel aufgemacht hätten. Das wäre der entscheidende Punkt gewesen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ging niemals darum, einem US-amerikanischen Konzern, der nicht in der Lage war, seine Produktionslinie so zu fahren, dass ihm auch jemand die Autos abkauft, das Geld in die Taschen zu werfen, sondern darum, ein Fenster für selbstständige Opelstandorte aufzumachen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und jetzt stellen Sie sich hierhin und machen einen auf mitfühlenden Liberalismus. Das finde ich verlogen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wo war denn Ihr Herr Papke damals, als andere vor den Werkstoren standen? Ich stand da zusammen mit anderen in der großen Opelkrise und habe das auch jetzt getan. Wo war denn damals Ihr Fraktionsvorsitzender Papke? Wir haben von der FDP nichts gesehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben damals schon hier ideologische, marktradikale Reden gehalten, und das tun Sie auch noch heute.

(Christian Lindner [FDP]: Prosa!)

Worum geht es wirklich? – Es geht darum, dass die Belegschaft jetzt entscheiden muss, ob sie ihre Abstimmung gegen den Sanierungsplan noch einmal revidieren will. Diese Entscheidung muss die Belegschaft in ihrer eigenen Verantwortung treffen, und das tut sie auch vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit diesem Management. Ich finde, das ist eine Entscheidung, die dort bleiben muss, wo sie auch hingehört, nämlich in Bochum und in den Händen der Belegschaft. Das ist das eine.

Das Land – und das haben Sie, Herr Lindner, in genauso verzerrter Weise dargestellt – ist schon lange, und zwar seit Monaten, aktiv. Wenn Sie sich ein bisschen mit der Situation in Bochum auskennen würden und einmal da gewesen wären, dann wüssten Sie das auch.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Heiterkeit von der FDP)

Das Land versucht seit Wochen und Monaten, genau diese Perspektive 2022 aufzubauen. Ich will Ihnen, Herr Lindner, noch einmal vor Augen führen, woran man merkt, dass Sie keine Kenntnis von der örtlichen Lage haben. Wer jetzt von newPark redet, versteht überhaupt nicht, was das Aus von Opel strukturell für eine Stadt wie Bochum bedeutet. Wir haben riesige Werksflächen in der Stadt, riesige industrielle Brachen, wenn sich das Unternehmen zurückzieht.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist unglaublich! Zunächst einmal geht es um Arbeitsplätze!)

Es muss gemeinsame Aufgabe – daran arbeitet auch der Wirtschaftsminister – des Unternehmens, das die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, auch für Anschlussbeschäftigung zu sorgen, und der Stadt sein, diese Brachflächen so zu reaktivieren, dass darauf in Zukunft wieder Beschäftigung entstehen kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Dann muss man das Baurecht ändern, liebe Kollegin!)

Sie reden aber von newPark. Warum reden Sie von newPark? Sie reden davon, weil Sie hoffen, einen Keil in die Landesregierung treiben zu können,

(Christian Lindner [FDP]: Der Keil ist schon da! – Christof Rasche [FDP]: Der ist sooo groß!)

der an der Stelle überhaupt nicht vorhanden ist. Es geht bei Ihnen immer nur um die Frage, ob Sie Ihr parteipolitisches Profil schärfen können oder nicht. Es muss aber um die Menschen gehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will nur noch einen letzten Satz an den Bundestagskandidaten der CDU aus dem Ruhrgebiet richten. Ich hoffe, dass Ihr kraftvoller Einsatz für Bochum hier und heute auch noch nach September da ist. Wir hatten bislang wenig Gelegenheit für einen gemeinsamen kraftvollen Einsatz. Aber vielleicht hilft Ihr Engagement ja in der Zukunft. Die Bundesregierung wird jetzt an dieser Stelle sicher auch gebraucht werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Schneckenburger. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und im Livestream!

(Zurufe: Lauter!)

– Ich kann gerne etwas lauter sprechen. Entschuldigung; meine Stimme ist etwas angeschlagen. Wir hatten gestern Halbfinal-Chorprobe.

(Beifall von den PIRATEN und der CDU)

– Danke schön. Es war auch erfolgreich.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja!)

Ich kann allerdings die Frustration der Kollegen bei Opel sehr gut verstehen. Die unternehmerischen Fehler, die dort – fast schon die letzten Jahrzehnte – gemacht worden sind, sind kaum zählbar.

Bei einer durchschnittlichen Verweildauer der von General Motors eingesetzten Vorstände von vielleicht zwei Jahren – es gab acht Vorstandsvorsitzende in 16 Jahren – stellt sich die Frage, wie man eine solche Dauerwechselveranstaltung nennen sollte. Mir drängt sich der Begriff der Ausbildungsmanagementzentrale von General Motors auf –

(Beifall von den PIRATEN)

ein Hort für angehende und ausgewechselte Manager aus den Vereinigten Staaten, die in ihrem Heimatland entweder noch hoch hinaus wollen oder eigentlich schon auf dem Weg zur Rente sind.

Das wirtschaftliche Gebaren dieser Herrschaften von General Motors hat dazu geführt, dass der Standort Bochum trotz hervorragender Belegschaft im weltweiten Wettbewerb nicht bestehen durfte. Hier ist betriebswirtschaftlich mit Tausenden Schicksalen herumexperimentiert worden. Deshalb kann ich verstehen, dass die Belegschaft diesem jahrelangen Sterben auf Raten nicht mehr zuschauen wollte und letztlich zwangsweise die Reißleine ziehen musste. Dadurch lassen sich auch das Ergebnis dieser Abstimmung und die Ablehnung dieses Tarifvertrags erklären.

Da hilft es auch nichts, wenn Frau Bundeskanzlerin Merkel sich in Rüsselsheim fotografieren lässt und den Standort Bochum einfach fleißig links liegen lässt.

General Motors ist ein internationaler Konzern und hätte Opel erlauben müssen, international zu verkaufen. Darauf hätte auch eine Bundesregierung hinweisen müssen. Das hat sie aber leider nicht getan.

Das Heiligtum der freien unternehmerischen Entscheidung, so dämlich sie auch sein mag, hilft uns manchmal eben nicht weiter. Echte Mitbestimmung stellen wir uns anders vor als die zurzeit gelebte Pseudo-Mitbestimmung.

Insofern fordern wir die Landesregierung auf, im Bundesrat eine Initiative zu ergreifen, an deren Ende eine Änderung im Betriebsverfassungsgesetz stehen muss, die echte Mitbestimmung beinhaltet. Genauso, wie Sie auf Bundesebene den Mindestlohn forcieren, müssen Sie nun auch auf diesem Feld aktiv werden. Es darf nicht bei einem Feigenblatt der simulierten Mitbestimmung, wie es zurzeit der Fall ist, bleiben. Gerade bei Großbetrieben kann ein selbstherrlicher Führungsstil sonst zu fatalen Folgen führen. Das sehen wir bei Opel in Bochum gerade.

Damit wir uns hier allerdings nicht missverstehen: Wir wollen nicht direkt unternehmerische Entscheidungen aus der Politik heraus beeinflussen, sondern die Rahmenbedingungen setzen, an die sich alle gleichermaßen zu halten haben.

Im Gegensatz zu den Lindner’schen Windkanalreden

(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

möchte ich jetzt zur Zukunft am Standort Bochum kommen, die durchaus positiv aussehen kann. Man muss sich die vielen Vorteile dort einmal bildlich vor Augen führen. Bochum ist und bleibt ein idealer Standort für die Wirtschaft im Ruhrgebiet und selbstverständlich darüber hinaus in NRW und ganz Europa.

Neben den knapp 400.000 Einwohnern von Bochum leben, wohnen und arbeiten über 6 Millionen Menschen im Umkreis von 50 bis 60 km.

Die Infrastruktur mit Bahnverbindungen ist hervorragend – das gilt für den öffentlichen Nahverkehr genauso wie für die ICE-Verbindungen –, selbst wenn ein fahrscheinloser ÖPNV wahrscheinlich noch etwas besser wäre.

Auch das Autobahnnetz ist ideal ausgebaut – wobei hier anzumerken ist, dass der Autobahnring extra geschlossen werden wird und somit der Standort noch besser erreichbar sein wird.

Daneben ist der gesamte Markt, den ich eben schon räumlich beschrieben habe, logistisch perfekt erschlossen.

Die kulturellen und wirtschaftlichen Vorteile von Bochum darf man ebenfalls nicht vergessen. Das fängt beim europaweit bekannten Schauspielhaus an und endet noch lange nicht bei der Ruhr-Universität.

Am Ende darf vor allem eines nicht unerwähnt bleiben: die hervorragende Belegschaft, die all die Jahre zu viel zu erdulden hatte. Mit einer solchen motivierten und gut ausgebildeten Belegschaft kann sich ein zukünftiger Investor hier ins gemachte Netz setzen und ein enormes Potenzial nutzen.

Dafür müssen wir als Politik aber auch unterstützend tätig werden und etwa die Umwandlung in einen Technologiepark vorantreiben sowie die Suche nach Investoren unterstützen.

Andere Industrieparks wie den newPark hier in Konkurrenz zu setzen, macht überhaupt keinen Sinn, Herr Lindner.

(Christian Lindner [FDP]: Doch!)

Das bedeutet im Übrigen nicht, dass sich General Motors aus der Verantwortung stehlen darf. Nur Werbung beim Revierfußballnachbarn zu schalten, reicht da sicher nicht aus. Eine kraftvolle Initiative in „Bochum Perspektive 2022“ zu begleiten und sich dort einzubringen, muss für General Motors Pflicht sein. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Mitglieder des Betriebsrates aus Bochum! Ich will mit dem Versuch beginnen, einmal zu definieren – denn darüber ist heute Morgen viel gesprochen worden –, was in einem solchen Fall und in vergleichbaren Fällen eigentlich Aufgabe einer Landesregierung sein muss. Im Mittelpunkt unserer Tätigkeit bzw. unseres Interesses stehen die Arbeitsplätze, aber auch die Wertschöpfungsketten. Nicht zuletzt stehen die Chancen in den Regionen und in den Städten in unserem Interesse.

Nicht in unserem Interesse stehen einzelne Marken. Wir sind nicht die besseren Controller. Wir sind nicht die besseren Manager. Wir sind auch nicht der bessere Betriebsrat und nicht die besseren Gewerkschaften.

Wir in der Politik können Rahmenbedingungen für Investitionen, auch für Neuansiedlungen, schaffen. In manchen Fällen können wir durch direkte finanzielle Hilfe eine Entwicklung ermöglichen. In anderen Fällen können wir das durch Bürgschaften leisten.

Wir können aber nicht – das habe ich seit dem 20. Juni letzten Jahres immer wiederholt – quasi durch Gesetz oder mit Geld unternehmerische Entscheidungen verhindern oder direkt verändern. Ich bin Frau Brand und anderen Rednern in der Debatte sehr dankbar dafür, dass sie auch genau diesen Punkt herausgestellt haben.

Wenn es um konkrete Pläne geht, Arbeitsplätze abzubauen oder einen Standort zu schließen, hat die Politik sich einzuschalten, sich ein Bild zu machen und die Handlungsoptionen zu benennen und zu prüfen.

Die Gewerkschaften haben sich im Prozess der letzten 30 Jahre deutlich gewandelt. Das gilt erst recht für die IG Metall. Herr Laumann, Herr Lindner und Herr Wittke, die Politik muss sich diesem Wandel ebenso stellen.

Selbstverständlich steht an erster Stelle immer noch die Solidarität mit den Beschäftigten. Niemand hier im Hause lässt daran irgendeinen Zweifel aufkommen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Karl-Josef Laumann [CDU])

Für die Politik geht es im Kern aber um mehr als nur die Solidarität mit den Beschäftigten. Als ich mein Amt angetreten habe, stand noch Oliver Burkhard an der Spitze der nordrhein-westfälischen IG Metall. Sein Nachfolger, Knut Giesler, und ich wir waren und sind uns sehr einig: Der öffentliche Schulterschluss von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Politik muss mehr können, als am Tage der Werksschließung beim letzten Demonstrationszug hinter dem symbolträchtigen Sarg herzulaufen. Dicke Tränen und Wut und Enttäuschung sind verständlich. Aber dicke Tränen und Enttäuschung schaffen keine Jobs. Politik muss mehr können als das.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es muss sehr frühzeitig die Entwicklung antizipiert werden, um Alternativen zu entwickeln und Perspektiven zu eröffnen. Das habe ich übrigens bei Ihnen, Herr Lindner, heute vermisst; denn das haben Sie in der Vergangenheit durchaus völlig zu Recht auch an der einen oder anderen Stelle noch einmal betont: Es geht auch darum, Mut zu machen und in der Tat nicht von rauchenden Ruinen zu sprechen.

Es braucht aber im Übrigen – darauf hat die Ministerpräsidentin schon hingewiesen – nicht die Show auf großer Bühne, sondern harte Arbeit im Detail. Die, die jetzt aufwachen, die, die jetzt die große Welle machen, sind Trittbrettfahrer der Not der Betroffenen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir arbeiten lieber meistens ohne große Bühne.

Gemeinsam mit der Ministerpräsidentin habe ich von meinem ersten Tag hier an mit Steve Girsky, mit Lee Godown gesprochen, zunächst mit Herrn Stracke, dann mit Dr. Sedran, dann mit Herrn Neumann. Rainer Einenkel hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, dass diejenigen, die im dritten Lehrjahr sind, bei Opel alle mehr Betriebszugehörigkeit haben als inzwischen das gesamte Management an der Spitze der Adam Opel AG. Das ist auch eine der Ursachen, über die wir gerade diskutieren.

Ich habe mit dem Betriebsratsvorsitzenden und mit anderen Mitgliedern des Betriebsrates, mit dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Schäfer-Klug, der IG Metall, mit Mitgliedern des Aufsichtsrates, mit Zulieferern, mit der Oberbürgermeisterin von Bochum, der lokalen Wirtschaft, der IHK, mit Flächenentwicklern, mit potenziellen Investoren, sehr erfahrenen Managern auch aus anderen Branchen, der Arbeitsagentur, der Werksleitung, im Übrigen auch mit meinen Amtsvorgängern in Bochum, in Düsseldorf, in Rüsselsheim, in Berlin und auch noch an anderen Orten gesprochen. Seien Sie versichert nach den letzten neuneinhalb Monaten: Keine einzige noch so kleine Chance zur Verbesserung der Situation bleibt ungenutzt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Einschätzung war, dass der Tarifvertrag keine schlechte Grundlage gewesen ist. Die Belegschaft in Bochum ist zu einem anderen Ergebnis gekommen. Das ist legitim. Das ist zu respektieren.

Wir arbeiten weiter insbesondere an der Entwicklungsgesellschaft Perspektive 2022.

Sehr geehrter Herr Wittke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben von Anfang an an diesem Thema gearbeitet. Aber wir haben auch immer erklärt: Erstens ist es falsch, dass da noch nie jemand getagt hätte. Sie behaupten das im Grunde auch – das muss ich voraussetzen – wider besseres Wissen. Das ist die gleiche Nummer, die Herr Wüst hier vor einigen Wochen oder Monaten abgezogen hat, als er über die Perspektive gesprochen hat und von diesem Pult aus mir vorgeworfen hat, ich hätte mich mit 200.000 € abspeisen lassen. Wir sind inzwischen bei einer festen Zusage des Unternehmens im zweistelligen Millionenbereich.

Aber wenn Sie glauben, so agieren zu müssen, bewusst mit Unwahrheiten die Stimmung anzuheizen, kann ich Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so! Es wird Ihnen nicht gedankt werden. Wir arbeiten solide an diesen Themen weiter, ohne uns an diesen Dingen zu verkämpfen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber um Herrn Wittke noch einmal zu erläutern, warum wir es auch tatsächlich mit zeitlichen Verzögerungen bei der Perspektive zu tun gehabt haben: weil wir immer gesagt haben in enger Abstimmung mit IG Metall und Betriebsrat, wir gehen mit dieser Entwicklungsgesellschaft nicht nach draußen. Wir werden diese Entwicklungsgesellschaft nicht weiter im Detail präsentieren, bevor nicht die Tarifverhandlungen abgeschlossen sind. Wir werden, weder die Stadt noch das Land, ein Feigenblatt für diejenigen, die die Verantwortung bei GM und in der Adam Opel AG eigentlich zu tragen haben, abgeben. Deswegen warten wir das Ende der Verhandlungen ab und werden dann entsprechende Maßnahmen einleiten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der immer genannte Ablauf.

Jetzt geht es um diese gemeinsame Gesellschaft von Stadt und Opel. Um auch das im Detail zu beschreiben: Es geht um die gemeinsame Gesellschaft von Stadt und Opel. Die Verhandlungen über rechtliche und andere Fragen sind auf einem sehr guten Weg. Die Gesellschaft wird vom Land alle mögliche Unterstützung erhalten.

In den Verhandlungen geht es zum Beispiel darum, ob die Flächen der Werke 2 und 3 in die Gesellschaft eingebracht werden und zu welchem Zeitpunkt. Ich bin dafür, dass das möglichst frühzeitig geschieht, damit auch klar ist, dass es nicht nur um Flächenvermarktung geht, sondern dass es in der Tat darum geht, industrielle Arbeit in Bochum zu schaffen. Es geht nämlich darum: Welche Ansiedlungen können eigentlich ermöglicht werden, um diese industrielle Arbeit in Bochum über die genannten Zeiträume hinaus zu schaffen? Es geht darum, Perspektiven für die Opelaner zu schaffen, Mut zu machen und tatsächlich anzupacken, um vor Ort etwas zu realisieren und nicht nur die Backen aufzublasen.

Wir werden am 17. Mai an den Start gehen und werden insbesondere am 17. Mai auch die Mitglieder des Beirates, der, wie gesagt, schon getagt hat und in engem Kontakt der Mitglieder untereinander steht, präsentieren.

Der Status quo ist: Es gibt keine Klarheit über die Fragen des Logistikzentrums. Es gibt keine Perspektive für so etwas wie Komponentenfertigung. Es ist noch nicht einmal geklärt, ab wann genau der Zafira wo eigentlich gebaut werden soll, wenn er denn dann am 31. Dezember 2014 nicht mehr in Bochum gebaut werden soll.

All diese Fragen sind zwischen den Tarifvertragsparteien zu besprechen. Wir, ich ganz persönlich, werden mithelfen, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die vielleicht im Moment nicht miteinander sprechen, wieder miteinander sprechen. Ich habe mit beiden Seiten in den letzten Tagen und Wochen – ich habe es gerade geschildert – so viele Gespräche geführt, dass ich optimistisch bin, dass es zu einem solchen gemeinsamen Gespräch auch wieder kommen wird.

Klar ist: Bochum wird eine Perspektive haben. Die Beschäftigten werden eine Perspektive haben. Was wir nicht zulassen werden und wo wir das Unternehmen nicht herauslassen, ist, dass die sagen: Wir machen einen Zaun drum und sind dann weg. – Das ist nicht Perspektive 2022, sondern Perspektive 2022 heißt, zukunftsfähige industrielle Arbeitsplätze in Bochum anzusiedeln. Das ist das Ziel unserer Arbeit dort.

(Erneut Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Landtag, damit das Gemeinsame und nicht das gegenseitig Vorwerfende hier noch eine Chance bekommt – es ist die Erwartung der Beschäftigten, die mir bei dem Gespräch am Dienstag in Bochum mit auf den Weg gegeben worden ist, dass dieses Signal aus dieser Runde bei all dem Streit, den es immer mal wieder geben darf und muss, herausgeht –: Herr Paul, Herr Römer, Herr Priggen, Herr Laumann, Herr Lindner, wir können hier sofort durch Kopfnicken Folgendes verabreden: Wir sechs machen einmal die Woche oder 14tägig, wie Sie wollen, einen Jour fixe und tauschen uns vertraulich über den jeweiligen Stand der Dinge aus. Aber eines ist klar: Das, was jetzt an Arbeit notwendig ist, können Sie nicht jeden Tag in die Zeitungen schreiben, sondern da ist Vertraulichkeit notwendig. Sonst werden Sie am Ende keinen Erfolg haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Ich weise darauf hin, dass die Landesregierung ihre Redezeit um vier Minuten und 40 Sekunden überschritten hat.

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Herr Abgeordnete Haardt.

Christian Haardt*) (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie seien seit rund neun Monaten dabei und führten Verhandlungen. Es kommt natürlich nicht nur darauf an, Verhandlungen zu führen, sondern es kommt vor allem auf die Resultate an.

(Beifall von der CDU)

Insofern will ich auf die aktuelle Situation eingehen. Wir haben die Situation, dass die Belegschaft den Tarifvertrag abgelehnt und im Anschluss daran der Aufsichtsrat von Opel beschlossen hat, dass das Werk in Bochum schon Ende 2014 geschlossen werden soll. Die Fronten auf beiden Seiten sind verhärtet. Im Moment – so jedenfalls meine Information – finden keine konstruktiven Gespräche statt. Mit diesem Resultat – da sind wir uns sicherlich einig – kann man nicht zufrieden sein.

Ich komme zu dem zweiten Punkt, Resultat Bochum 2022. Sie haben gesagt, wir seien auf einem guten Weg. Das hört man aus Bochum eindeutig anders. Tatsache ist: Es gibt in wesentlichen Punkten keine Einigung, und eine solche ist auch nicht in Sicht. Ein Thema haben Sie selbst angesprochen, nämlich das Thema „Einbringung der Grundstücke in die Gesellschaft“. Bislang gibt es da keinerlei konkrete Vereinbarung. Diese ist aber erforderlich – das wissen Sie selbst –, schon allein deshalb, weil für die Entwicklung der Flächen Fördermittel gebraucht werden. Wenn Sie also seit neun Monaten verhandelt haben und wir nun einen Strich darunter ziehen, um zu sehen, was dabei herausgekommen ist, dann muss man an der Stelle sagen: Nicht viel!

Ich möchte nun darauf zu sprechen kommen, was für den Standort wichtig ist, was wir jetzt brauchen und wo Sie, Herr Minister und Frau Ministerpräsidentin, handeln müssen. Derzeit sind die Fronten verhärtet. Die Situation ist, dass das Management von General Motors, das klar und eindeutig die Hauptverantwortung für die aktuelle Lage trägt, offenkundig nicht bereit ist, mit der Belegschaft weiter zu sprechen, und dass sich eigentlich mit jedem Tag, der ins Land geht, diese Front verhärtet. Je länger wir hier warten, je länger konkrete Maßnahmen durchgeführt werden, je eher die ersten Schritte in Richtung einer möglichen Abwicklung des Werks unternommen werden, desto schwieriger wird es, die Parteien noch einmal an den Tisch zu bekommen. Und genau da, Herr Minister, liegt Ihre Verantwortung. Es ist die Verantwortung der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass die Parteien wieder an einen Tisch kommen, miteinander reden und möglichst eine vernünftige Lösung für den Standort finden.

(Beifall von der CDU)

Das Zeitfenster ist ganz eng; ich habe es bereits gesagt. Mit jedem Tag, mit jeder Woche, die vergeht, schließt sich dieses Fenster immer mehr und wird eine Lösung immer unwahrscheinlicher. Vor diesem Hintergrund gilt: Alle – da schließe ich mich und meine Fraktion eindeutig mit ein – sind aufgefordert, uns in die Richtung zu engagieren, dass hier wieder verhandelt wird, dass eine Lösung gefunden wird, mit der alle, mit der die Mitarbeiter, mit der der Standort und mit der letztendlich auch die Stadt Bochum leben kann.

Ein letztes Wort zur Perspektive 2022: Der Kollege Eiskirch hat hier dazu aufgefordert, miteinander solidarisch zu sein. Das sind wir auch. Sie bekommen unsere Unterstützung für die Perspektive Bochum 2022. Zur Solidarität gehört aber auch, dass man das nicht nur hier zum Ausdruck bringt wie etwa in der letzten Aktuellen Stunde, sondern dazu gehört manchmal auch ein bisschen Symbolik. Und da sind wir wieder bei dem Thema „Solidaritätsfest“, bei dem sich unglücklicherweise von dieser Landesregierung niemand hat sehen lassen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist falsch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Auch das ist ein Zeichen der Solidarität.

Bezüglich der Perspektive 2022 kommt es darauf an, dass die Grundstücke möglichst zügig in eine Gesellschaft eingebracht werden, dass dann Fördermittel beantragt werden und zügig an einer Entwicklung des Standortes gearbeitet wird. Da, Herr Minister, bin ich auf die Resultate gespannt. Es darf nicht noch einmal neun Monate dauern, bis ein konkretes Ergebnis vorliegt, sondern wir erwarten, dass Sie schon vor der Sommerpause diesem Hause erklären können: Ich habe etwas erreicht. Das geht in die richtige Richtung. – Ansonsten sind es hier nur Lippenbekenntnisse gewesen, und Sie helfen letztendlich Opel dabei, hier ein Feigenblatt zu schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Haardt. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind damit am Schluss der Aktuellen Stunde.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt

2   Die Kirchen als Diener am Gemeinwohl: Gesellschaftliches Engagement von Caritas und Diakonie anerkennen und unterstützen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2632

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Debatte ist nach der Vereinbarung von heute Morgen nicht vorgesehen.

Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/2632 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Beratung und Abstimmung sollen nach Vorlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

3   Gesetz zur Änderung von Rechtsvorschriften im Geschäftsbereich des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/1187

Beschlussempfehlung und Bericht
des
Ausschusses
für Arbeit, Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/2643

dritte Lesung

Ich eröffne die Beratung und erteile als Erstes Herrn Abgeordneten Dr. Adelmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Roland Adelmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was die dritte Lesung anbelangt: Meines Erachtens wurden in den Ausschüssen und gestern – auch im Hinblick auf die Kommentare der Kammern – die Eckpunkte dieses Gesetzes ausreichend diskutiert. Darum bleibt mir im Namen der SPD-Fraktion nur, zu sagen, dass wir die Anregungen und Umsetzungen, die aufgrund der aktuellen Anforderungen neu bzw. überarbeitet hier hereinkommen, unterstützen. Wir stimmen dem Antrag zu. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Adelmann. – Für die CDU-Landtagsfraktion spricht der Abgeordnete Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die dritte Lesung beantragt. Wir stehen damit im Gegensatz zu Ihnen Herr Dr. Adelmann, denn Sie haben gerade gesagt, dass mit diesem Gesetz alles klar sei und dass es genügend diskutiert worden sei. Wir haben Ihre Änderungsanträge in der letzten Ausschusssitzung erhalten. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass die Kammern bereits am 30. November 2012 den Vorsitzenden des Ausschusses – mit der Anschrift: „An den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, zu Händen Herrn Vorsitzenden Garbrecht“ – angeschrieben hatten. Wir haben keine Kopie dieses Schreibens bekommen. Darin haben die Kammern deutlich auf drei Punkte hingewiesen, die so in diesem Gesetz nicht verbleiben könnten.

Dabei geht es erstens um die Ethikkommission, zweitens um das Versicherungsvertragsgesetz und drittens um den Notfalldienst. Wir konnten diese Dinge nicht beraten. Aufgrund der Anregung der Apothekerkammer haben wir zum Thema „PTA“ Anhörungen durchgeführt. Selbstverständlich hätten wir auch sehr gerne gehört, was uns die Kammern dazu zu sagen haben. Die Kammern haben sich bemüht, mit dem Ministerium zu sprechen. Sie haben auch diese Dinge vorgebracht, aber auch keine Informationen erhalten.

Gestern schon habe ich gesagt, dass heute in Berlin eine Arbeitsgruppe tagt, die sich genau mit der EU-Richtlinie 2011/24 auseinandersetzt. Gerade habe ich aufgrund einer Rückmeldung erfahren, dass von den Ärztekammern Berlin, Sachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Baden-Württemberg, Saarland und Hessen – man hatte sie gefragt, wie es dort mit der Umsetzung dieser Richtlinie aussieht – nur gesagt wurde, das Land Hessen habe angekündigt, dass man demnächst an diesem Thema arbeiten werde.

Man tagt in diesem Arbeitskreis in Berlin, um eine Vereinheitlichung der Gesetze in den einzelnen Bundesländern zu haben. Genau dies ist die Zielsetzung. Hier prescht Nordrhein-Westfalen vor und macht ein anderes Gesetz. Die anderen werden wieder andere Gesetzesregelungen vornehmen, und es gibt wieder ein Durcheinander und keine einheitliche Umsetzung einer EU-Richtlinie.

Es ist hochinteressant, meine Damen und Herren, dass das Land Nordrhein-Westfalen auch an dieser Sitzung teilnimmt. Hätten wir dieses Gesetz gestern beschlossen, hätten wir gar nicht mehr über die Vereinheitlichung reden müssen.

Ich darf den Vorsitzenden bitten, wenn schon Briefe von Kammern an die Ausschussmitglieder gesandt werden, diese dann auch den Ausschussmitgliedern zur Verfügung zu stellen, damit wir auf dem gleichen Kenntnisstand wie Sie bzw. das Ministerium sind. – Danke schön.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Burkert. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern über diese Gesetzesänderungen sowohl im Ausschuss als auch in der Anhörung und gestern sehr ausführlich diskutiert. Besonders weil die Opposition die Finanzierung der PTA-Schulungen immer wieder als vorrangig angesehen hatte, haben wir hier über konkrete Gesetzesänderungen überhaupt nicht diskutieren können.

Genau das Thema, das Sie ansprechen, haben wir in der Gesetzesänderung berücksichtigt. In § 7 steht: „bundes- und landesrechtlich nichts anderes vorgegeben ist.“ Das ist extra eingefügt worden, damit man nicht bei jeder bundes- und landesgesetzlichen Änderung dieses Heilberufsgesetzes dieselbe automatisch übernehmen muss.

Was die Finanzierung der PTA-Schulen angeht, so haben wir das mit der Verabschiedung des Haushaltes erledigt. Das hat mit diesem Gesetz überhaupt nichts zu tun.

Mit diesem Gesetz ermöglichen wir nur, dass sich die Apotheken bei der Finanzierung aktiver beteiligen können, nicht mehr und nicht weniger. So gesehen geht es hier nicht um die Finanzierung der PTA-Schulen, sondern um die Änderung des Heilberufegesetzes. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist vor allem zur PTA-Ausbildung alles andere als gelungen. Mit ihrem Änderungsantrag verpassen SPD und Grüne auch noch die Chance, den von den Kammern errichteten Ethikkommissionen zur Beratung ihrer Kammerangehörigen in berufsrechtlichen und berufsethischen Fragen rechtssicher Aufgaben zu übertragen. Denn für die Aufgabenübertragung wird eine bloße Bezugnahme auf das Grundgesetz nicht ausreichen. Das Grundgesetz enthält nämlich insoweit keine Aufgabenzuweisung.

(Beifall von der FDP)

Es zeigt sich wieder: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht! So offenbart sich in Ihrem Änderungsantrag eine Verschlimmbesserung des Gesetzentwurfs. Die Vorschriften, auf die Bezug genommen wird, regeln allein die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes in den dort bezeichneten Bereichen. Es fehlt also immer noch ein Landesrecht, das verbindliche Aufgaben auf die Ethikkommission überträgt. Das ist unseriöses Stückwerk.

Auf der Grundlage Ihres Änderungsantrages bekommen Sie die Aufgabenzuweisung jedenfalls nicht hin. Im Streitfalle wird jede Maßnahme der Ethikkommission vor Gericht scheitern, da es an einer rechtswirksamen Aufgabenzuweisung fehlt. Damit erweisen sie der Tätigkeit der Ethikkommission einen Bärendienst.

(Beifall von der FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Rahmen der Informationen zur Berufsausübungsberechtigung wollen Sie mit Ihrem Antrag den Bestimmungen der entsprechenden EU-Richtlinie nachkommen, die bis zum 25. Oktober 2013 von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Wir vermissen allerdings die notwendige transparente Abstimmung der Umsetzungsabsichten mit den anderen Bundesländern. Um einen Flickenteppich von Umsetzungsregelungen zu vermeiden, wäre es ratsam gewesen, wenigstens die gemeinsame Sitzung der AG Heilberufe und Kammergesetze der Landesärztekammern und der AG Berufe im Gesundheitswesen am 25. April, also heute, abzuwarten. In dieser Sitzung soll erstmals die Umsetzung der EU-Patientenrechte-Richtlinie beraten werden.

Es wäre also seriöse Politik der Landesregierung gewesen, die abschließende Beratung dieses Gesetzentwurfs zu vertagen, wenn sie schon mit einem Last-Minute-Änderungsantrag mit § 5a Abs. 5 einen völlig neuen Regelungsgegenstand in das Gesetz einfügen will. Wir glauben, dass es übereilt ist, heute eine Entscheidung darüber zu treffen, in welcher Form die Umsetzung der EU-Richtlinie Eingang in das Heilberufegesetz NRW findet.

Mit der von Ihnen vorgesehen Änderung hinsichtlich der Informationsverpflichtung der Kammerangehörigen greifen Sie nach unserer jetzigen Einschätzung nicht weit genug. Die Richtlinie der EU verlangt eine Inländergleichbehandlung von EU-Ausländern im Zuge der Qualitätssicherung. In der Reichweite des Auskunftsrechts gibt sie nicht mehr als einen Mindeststandard vor, den man aber nicht einfach nur abschreiben kann. Werfen Sie einmal einen Blick in die einschlägige Kommentarliteratur zur Richtlinie! Dort herrscht uni sono die Auffassung, dass das so nicht geht.

(Beifall von der FDP)

Der mitgliedstaatliche Gesetzgeber selbst muss die Standards definieren. Wenn Sie das nicht tun, bleiben Sie nicht nur auf dem Mindestniveau, sondern konkretisieren dieses noch nicht einmal. Damit öffnen Sie Streitigkeiten über die Reichweite von Auskunftsverpflichtungen Tür und Tor.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Insgesamt dürfte der vorliegende Änderungsantrag nur eine Folge haben: die Steigerung der Verfahrenszahlen am nordrhein-westfälischen Verwaltungsgericht. Ob das wirklich Ihr Ziel ist, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Ich bitte Sie nur alle, dem Gesetzentwurf und dem Änderungsantrag in der heute vorliegenden Form nicht zuzustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf der Tribüne und im Livestream! Zu den von mir gestern geäußerten Kritikpunkten zum Gesetzentwurf und zum Änderungsantrag haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben. Von daher möchte ich meine Rede an der Stelle von gestern nicht einfach nur wiederholen.

Leider hat sich auch am Hauptkritikpunkt unserer Fraktion, der Finanzierung der PTA-Ausbildung, noch nichts verbessert. Innerhalb eines Tages wäre das auch ein bisschen kurzfristig. Das sehen wir ein. Wir hoffen allerdings, dass es in Zukunft besser wird, und bleiben für Gespräche offen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Richtung des Kollegen, der vor mir gesprochen hat, noch einmal: Wir reden hier nicht über die Finanzierung der PTA-Ausbildung – es geht nicht um den Haushalt –, sondern wir reden über die gesetzlichen Rahmenbedingungen: Wie und auf welche Weise können Finanzierungen von anderer Stelle stattfinden? Ich dachte, das hätten wir gestern hin- und ausreichend diskutiert.

Da gestern im Wesentlichen eigentlich alles gesagt worden ist, will ich nicht mehr groß auf die Punkte eingehen. Nur so viel: Die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen sind mehrfach angesprochen worden. Erstens befinden wir uns in einem föderalen System. Es ist Länderaufgabe, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Dem kommen wir nach, auch mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen. Sämtliche Bedenken, die geäußert worden sind, kann ich überhaupt nicht teilen.

Auch wenn man sich genau anschaut, welche gesetzlichen Regelungen vorgesehen sind, ist das haltlos. Das gilt auch für die Vorwürfe und Anmerkungen, die Frau Schneider gerade angeführt hat. Schauen wir uns den § 7 Abs. 1 in seiner neuen Fassung an, können wir feststellen: Die Vorwürfe, die Sie erhoben haben, sind haltlos. Von daher bin ich froh darüber, dass die Koalitionsfraktionen ihren Änderungsantrag gestellt haben. Damit kommen wir unseren Pflichten nach.

Ein letzter Punkt, Frau Schneider: Natürlich kann es bei einer gesetzlichen Regelung immer unabhängig davon, wie die Länder eine Regelung ausgestalten, zu Klagen kommen. In einem Rechtsstaat ist das nun einmal so. Ich glaube aber, dass wir das mit unserer gesetzlichen Regelung weitgehend minimieren oder sogar ausschließen werden. Von daher bin ich froh, dass wir die Beratung heute so abschließen können. – Danke.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Garbrecht.

Günter Garbrecht (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife deswegen das Wort, weil der Kollege Burkert mich auch als Ausschussvorsitzenden angesprochen und den Vorwurf erhoben hat, ich würde meinen Aufgaben und Pflichten als Ausschussvorsitzender in dieser Frage nicht hinreichend nachkommen. Das weise ich ausdrücklich zurück. Alle Schreiben, die in diesem Zusammenhang gekommen sind, wurden auch an alle Mitglieder des Ausschusses weitergeleitet, jedenfalls ist das nachrichtlich so in meinem E-Mail-Account für mich nachvollziehbar. Von daher sah ich keine Veranlassung, über das Ausschusssekretariat diese Stellungnahme der Ärztekammer Nordrhein noch einmal als Ausschussvorsitzender an die Mitglieder weiterzuleiten.

Im Übrigen, denke ich, dass meine bisherige Führung des Ausschusses, die Einbeziehung aller Fraktionen und aller Mitglieder des Ausschusses genug unter Beweis gestellt hat. Von daher weise ich noch einmal mit allem Nachdruck diese Vorwürfe zurück.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Burkert.

Oskar Burkert (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Garbrecht, ich habe vorhin schon die beiden Daten genannt. Diese Briefe liegen keinem Ausschussmitglied der FDP und der CDU vor. Sie sind nicht weitergeleitet worden. Es gibt auch keinen E-Mail Verkehr in dieser Richtung. Deshalb müssen Sie diesen Vorwurf schon hinnehmen. Wir können in der Obleuterunde noch einmal darüber reden, oder Sie zeigen uns Ihren E-Mail-Account. In unserem E-Mail-Account ist nichts angekommen.

(Marc Herter [SPD]: Das ist ja ein schönes Gespräch!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind somit am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Eine weitere Beratung des Fachausschusses hat zwischen der zweiten und der dritten Lesung nicht stattgefunden. Gegenstand der Abstimmung ist deshalb der Gesetzentwurf in der Fassung nach der zweiten Lesung. Wir stimmen also ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/1187, geändert durch den Änderungsantrag Drucksache 16/2656. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf, wie soeben erläutert, mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Piratenfraktion angenommen worden. Er ist damit in dritter Lesung in der Fassung nach der zweiten Lesung verabschiedet worden.

Wir kommen nun zu:

4   Stärkungspakt für Gymnasien – Chancen der Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs zur Verbesserung der individuellen Förderung nutzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2122

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Schule und Weiterbildung
Drucksache 16/2321

Ich möchte noch einen Hinweis geben. Der Antrag der Fraktion der FDP wurde gemäß § 79 Abs. 2 b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Schule und Weiterbildung liegen nunmehr vor.

Ich eröffne die Beratung und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Spanier-Oppermann das Wort.

Ina Spanier-Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Uns liegt der zweite Antrag der FDP mit dem Titel „Stärkungspakt für Gymnasien“ vor. Ohne Zweifel darf wohl formuliert werden: Die FDP betreibt Bildungspolitik ausschließlich für eine einzige Schulform, nämlich die des Gymnasiums.

Stehen wir also am Anfang einer Serie von Anträgen dieser Art? Wir dürfen für die Zukunft gespannt sein.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Es freut mich zwar, dass die FDP mittlerweile zum zweiten Mal unsere Wortwahl des Stärkungspaktes übernimmt, aber damit enden auch unsere Gemeinsamkeiten. Der Schulkonsens, an dem sich die FDP nicht beteiligen wollte, hat offenbar Spuren, hat Wunden hinterlassen, die mit diesen Anträgen geheilt werden sollen.

Nun zum Inhalt des vorliegenden Antrages: Es werden zusätzliche Stellen für die Gymnasien in NRW gefordert. Die Zuweisung der Stellen an die Schulen ist ja bekanntermaßen in der Haushaltsverordnung geregelt und beschlossen. Wollen Sie diese nun ändern und zusätzliches Geld bereitstellen?

Dann frage ich mich nur, wie Sie das machen wollen, wenn Sie auf der einen Seite ständig zum Sparen auffordern und uns Schuldenmacherei vorwerfen, auf der anderen Seite aber immer mehr Geld bereitstellen wollen.

Der Schulkonsens, auf den ja bereits in der Beratung im Ausschuss ausdrücklich verwiesen wurde, ist ein – um bei der gemeinsamen Wortwahl zu bleiben – Stärkungspakt für alle, also für die gesamte Schullandschaft und somit nicht eine Unterstützung für eine einzelne Schulform.

(Beifall von der SPD und von Sigrid Beer [GRÜNE])

Unsere Schulpolitik ist eine, die für alle da ist. Wir unterstützen alle Schulformen und alle Schüler gleichermaßen. So gewährleisten wir die in Ihren Anträgen geforderte Chancengleichheit.

Wenn von Ihrer Seite von Chancengleichheit gesprochen wird, werfen wir einmal einen Blick zurück auf die Regierungszeit Rüttgers, als die FDP in allen Belangen versuchte, die Gesamtschulen zu schwächen und nahezu eine Anti-Gesamtschulpolitik verfolgte. Und nun? Nun ist aus der Anti-Gesamtschulpolitik eine Pro-Gymnasiumpolitik geworden. Bravo! Ob so Chancengleichheit geschaffen werden kann? Das ist ja wohl mehr als eine rhetorische Frage.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht zulassen, dass hier Klientelpolitik auf dem Rücken des Schulsystems ausgetragen wird. Uns wird vorgeworfen, dass wir uns nur auf unsere Lieblingsschulformen, die Gesamt- und die Sekundarschule, konzentrieren. Das ist falsch. Wir konzentrieren uns eben nicht auf eine bestimmte Schulform, sondern wir schaffen Alternativen und Wahlmöglichkeiten, indem wir die Leitlinien des Schulfriedens umsetzen.

Wir stehen für eine Schulpolitik der individuellen Förderung. Sie betrifft das ganze Spektrum: von Kindern mit besonderem Förderbedarf bis zum hochbegabten Kind – so verschieden und vielfältig, wie die Menschen eben sind. Ihr Antrag dagegen symbolisiert einen rückwärtsgewandten Blick auf das System Schule.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Sie sprechen immer wieder von einer Benachteiligung der Gymnasien und kritisieren, dass dort die individuelle Förderung nicht in vollem Maße gewährleistet wird. Dabei setzt die rot-grüne Landesregierung gerade genau das um, was Sie damals in der schwarz-gelben Regierung im Schulgesetz verankert haben, nämlich die individuelle Förderung der Kinder.

Die alleinige Fokussierung in Ihrem Antrag auf die Gymnasien zeigt allerdings, dass der Grundgedanke des Schulkonsenses und damit der individuellen Förderung von Ihnen nicht erkannt worden ist oder sie ihn nicht erkennen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die durch den doppelten Abiturjahrgang und die demografische Entwicklung frei werdenden Mittel werden zur individuellen Förderung und kontinuierlichen Verbesserung des Schulsystems für alle Schülerinnen und Schüler an allen Schulformen eingesetzt. Die schrittweise Senkung der Klassengrößen wird erfolgen, und zwar in allen Schulformen. Der Startschuss ist gegeben für alle Beteiligten mit dem Schulkonsens bis 2023.

Klientelpolitik hat in der Schulpolitik nichts zu suchen. Daher sollte der Landtag der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen und diesen Antrag ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Spanier-Oppermann. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Kollege Dr. Hachen.

Dr. Gerd Hachen (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der FDP-Fraktion, über den wir debattieren, weist auf einen wichtigen Aspekt des Schulkonsenses hin, der auch uns, der CDU, sehr am Herzen liegt.

Es wurde darin vereinbart, dass nicht nur der Klassenfrequenzrichtwert für die neuen Sekundarschulen auf 25 Kinder pro Klasse festgelegt wird, sondern auch eine mittelfristige Absenkung an den anderen Schulformen von 28 auf 26 Schüler pro Klasse erreicht werden soll. Die FDP sieht darin eine auch langfristig verbleibende Ungerechtigkeit.

Für uns ist aktuell aber wichtiger, dass zur mittelfristigen Realisierung dieser Vereinbarung bisher leider keine konkreten Ansätze erkennbar sind. Wir sehen in dem Kompromiss keine Ungerechtigkeit, sondern betonen die dringende Notwendigkeit für eine Benennung von Zwischenzielen für den Zeitraum bis 2023, also den Zeitraum des Schulkonsenses. Insofern unterscheiden wir uns von der FDP.

Wir sind aber ebenso wie die FDP der Meinung, dass die demografischen Gewinne, die in den nächsten zehn Jahren bei ca. 18.000 Stellen liegen werden, zur Verringerung der Klassengrößen und damit zu verbesserter individueller Förderung an allen Schulformen beitragen müssen.

Die besondere Situation an den Gymnasien ist aber, dass diese ca. 600 Schulen zwar zurzeit noch intensiv mit der Abarbeitung des doppelten Abiturjahrgangs befasst sind und deshalb an der Grenze ihrer Kapazitäten arbeiten, gleichzeitig aber offensichtlich bereits mit dem Abbau von Personal begonnen wird und auch die Einstellung von Referendaren aus Kostengründen an dieser Schulform – da geht es ja um A13 – offensichtlich besonders restriktiv gehandhabt wird.

Das Schulministerium hatte wegen des zukünftigen Wegfalls des doppelten Abiturjahrgangs zunächst an den Gymnasien einen Überhang von 2.300 Stellen prognostiziert, der dann auf 2.000 Stellen reduziert wurde.

Nach dem Haushaltsentwurf 2013 reduziert sich die Schülerzahl an den Gymnasien von 2012 nach 2013 konkret um 39.000 Köpfe. Das entspricht einem Überhang von ca. 1.900 Stellen, von denen Sie 700 sofort reduzieren. 1.000 Stellen sollen – allerdings temporär, also übergangsweise – erhalten bleiben.

Frau Hendricks sprach in der Ausschussdebatte, die wir dazu hatten, davon, dass diese Stellen aus ihrer Sicht behutsam am Gymnasium abgebaut werden sollen. Die Frage, die sich sofort stellt, ist: Was bedeutet das, behutsam? Was muss man sich darunter konkret vorstellen?

Bei einer Pensionierungsrate – diesen Hinweis möchte ich an dieser Stelle geben – von ca. 1.000 Stellen pro Jahr am Gymnasium sind diese Stellen bereits im nächsten Jahr weg, ohne dass Sie zusätzlich Stellen streichen müssen. Der FDP-Vorschlag, jedem Gymnasium eine Stelle davon auf Dauer zu belassen, würde von diesen 1.000 temporären Stellen 600 auf Dauer festschreiben, die dann größenabhängig an den Schulen verteilt werden könnten.

In der Beschlussempfehlung und in dem Bericht über die Ausschussdebatte ist fälschlicherweise zu lesen, dass nach Auffassung der FDP der überwiegende Teil der Demografiegewinne im System verbleiben soll. Das stimmt angesichts der geforderten ca. 600 von ursprünglich 2.000 Stellen erkennbar nicht. Diese Forderung bezieht sich wohl eher auf ein Drittel der formal überzähligen Stellen als auf einen überwiegenden Teil.

Damit erscheint diese Forderung der FDP auch nicht wirklich überzogen – allerdings nur dann, wenn man individuelle Förderung tatsächlich will. An diesem Willen muss man zurzeit offensichtlich zweifeln, da die Landesregierung – auch darauf will ich hinwiesen – aktuell größenordnungsmäßig 500 Lehrerstellen bei der Vertretungsreserve an allen Schulen abbaut. Wenn man hier 500 Stellen abbaut, dann gelingt individuelle Förderung natürlich nicht. Der Slogan „Kein Kind darf zurückgelassen werden“ verkommt dann leider zur Satire.

Wir haben uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der FDP der Stimme enthalten, weil wir anders als die FDP der Meinung sind, dass eine gelingende Absenkung des Klassenfrequenzrichtwertes auf 26 Schüler an allen Schulformen keine Benachteiligung gegenüber den Sekundarschulen darstellt, sondern positiv zu bewerten ist. Deshalb teilen wir die Kritik der FDP an dieser Stelle ausdrücklich nicht.

Abschließend lassen Sie mich festhalten: Wir werden uns auch heute demzufolge der Stimme enthalten, weisen aber mit Nachdruck darauf hin, dass unser Verständnis der Absprachen zum Schulkompromiss dahin geht, dass die Reduzierung des Klassenfrequenzrichtwertes an allen Schulen zeitnah und schrittweise zu erfolgen hat und nicht bis 2020 verschleppt werden darf. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Dr. Hachen. – Darf ich eine Frage stellen: Frau Spanier-Oppermann, war das Ihre erste Rede?

(Ina Spanier-Oppermann [SPD]: Nein!)

Wir waren uns hier nicht ganz sicher. Danke schön. – Es spricht als Nächste Frau Beer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch ihre erste Rede!)

Sigrid Beer (GRÜNE): Nein, das ist nicht meine erste Rede.

Vizepräsident Oliver Keymis: Und da weiß ich es auch.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hachen, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auf die Vereinbarungen zum Schulkonsens hingewiesen haben, dass wir diese umsetzen und darauf, dass keine Schulform benachteiligt wird.

Jedoch haben Sie die Zahlen offensichtlich etwas anders verstanden, als sie sich für mich darstellen. Es werden nämlich nicht 500 Lehrerstellen im Land abgebaut; das ist einfach nicht richtig. Jede Lehrerstelle kann neu besetzt werden; das gilt es festzuhalten. Es gibt Einstellungskorridore für die Lehramtsanwärterinnen zum 1. Februar und zum 1. August, auch an den Gymnasien.

Sie haben richtigerweise darauf hingewiesen: Wir belassen zurzeit tausend Stellen an den Gymnasien im System, um den Übergang G8 zu gestalten; ansonsten könnte nicht nacheingestellt werden, wenn Lehrerinnen und Lehrer in den wohlverdienten Ruhestand gehen.

Das bedeutet: Diese Stellen werden neben der in § 93 Abs. 3 Schulgesetz geregelten Schüler-Lehrer-Relationen für das Gymnasium – gegenüber allen anderen Schulformen – zusätzlich zur Verfügung gestellt. Das bitte ich zu berücksichtigen.

Natürlich ist das erst einmal eine Herausforderung für den Gesamtbereich, vor allem was die flexiblen Vertretungsmittel angeht, aber es gibt ja z. B. weiter die Vertretungsreserve im Grundschulpool. Außerdem kann jede Stelle neu besetzt werden, und dann werden wir prüfen, wie wir im weiteren Verlauf des Jahres dastehen. Im Augenblick sind noch genügend Mittel vorhanden; deshalb möchte ich Sie bitten, an dieser Stelle nicht falsche Botschaften ins Land zu senden.

Wir haben außerdem mit der Umsetzung des Schulkonsenses begonnen, indem wir die Klassenrichtwerte in 2013 schon im Bereich der Grundschule abgesenkt haben. Die anderen Schritte werden verlässlich folgen.

Jetzt möchte ich gerne noch zu einem weiteren Gymnasial-Antrag der FDP-Fraktion Stellung nehmen. Frau Gebauer, Sie haben es in der Anhörung zum Ganztag selbst mitbekommen, dass auch dieser Antrag nicht gerade als sehr zielführend eingeschätzt worden ist. Ich weiß, dass wir gleich wieder unterschiedliche Wahrnehmungen präsentiert bekommen.

Jedoch möchte ich die kommunalen Spitzenverbände zitieren, die gesagt haben: Zu spät, liebe FDP. Zu spät – das hätten Sie sich bei der Einführung von G8 überlegen sollen, die Gymnasien zu stärken. Damals hätte es vielleicht Sinn gemacht, jetzt ist die Forderung aber absolut daneben.

Vor allen Dingen haben Sie die gemeinsamen Beschlüsse in der Bildungskonferenz außer Acht gelassen, nämlich den Ganztag systematisch zu entwickeln. Das ist doch die Herausforderung, die wirkliche Hilfe für Gymnasien steigt. Sie haben doch auch den Beitrag der Kollegin Wenning aus Essen wahrgenommen, die gesagt hat: Wir möchten nicht wieder ein Aufdröseln in der Ganztagsschullandschaft erleben; das kann nicht funktionieren, weil das G8 ein pädagogisch konsistentes Konzept braucht.

Auch das Votum des Kollegen aus der Bezirksregierung fiel damals ähnlich aus. Die pädagogisch-organisatorischen Herausforderungen brauchen ein Zeitgefäß für den Ganztag, für das G8. Das kann man nicht einfach aufsplitten.

Wenn Sie diese Voten nicht wahrgenommen haben, dann möchte ich anheimstellen, das Protokoll bitte noch einmal sehr genau durchzulesen. Darin findet sich ihre Position deutlich in der Minderheit vertreten.

Außerdem hat Herr Hamacher vom Städte- und Gemeindebund auch von der Gefahr der „Filetierung“ der Gesamtdebatte gesprochen. Auch das sollten Sie sich noch einmal vor Augen führen. Es ist in der Tat so: Wir brauchen die Weiterführung der Ganztagsschulentwicklung im G8. Das will ich Ihnen noch einmal ans Herz legen. Es darf auch keine Zweiklassengesellschaft – Halbtag und Ganztag – geben. Das führt zu Schwierigkeiten in der pädagogischen Organisation. Bei den Schülerinnen und Schülern darf zudem nicht der Eindruck erweckt werden, dass die eine Gruppe schon gehen darf, während die andere noch „nachsitzen“ muss.

Wir brauchen ein pädagogisch konsistentes Gesamtkonzept, gerade angesichts dessen, was Sie mit dem G8 bei den Schulen verursacht haben. Wir arbeiten noch heute an der Optimierung. Hierfür haben Sie ganz offensichtlich noch nicht das notwendige Verständnis.

Es ist deutlich geworden, dass der Erlass alle Möglichkeiten offenlässt, dieses verlässlich zu planen, den Schulen aber auch die notwendigen Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Es ist wichtig, dieses Konzept weiter zu verfolgen.

Sie versuchen – die Kollegin hat es bereits gesagt – permanent, den Eindruck zu erzeugen, die Gymnasien im Lande würden benachteiligt. Das ist definitiv nicht der Fall. Alle Anträge auf Ganztag sind genehmigt worden, wie bei allen anderen Schulen und Schulformen auch. Wir ermuntern die Gymnasien geradezu, in den Ganztag hineinzugehen, weil G8 dies als Zeitgefäß für andere Formen des Lernens braucht.

Frau Gebauer, Sie haben gleich Gelegenheit, Ihre Wahrnehmung der Anhörung zu präsentieren. Leider können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Für alle, die sich näher informieren wollen: Lesen Sie einmal das Anhörungsprotokoll sowie die Stellungnahmen der Expertinnen und Experten; dann werden Sie sehen, dass nicht nur dieser Antrag eher rückwärtsgewandt ist und nichts zur Schulentwicklung in Nordrhein-Westfalen beiträgt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Nun, wie bereits angekündigt, Frau Kollegin Gebauer für die FDP-Fraktion.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Beer, ich habe mehrfach versucht, es Ihnen mitzuteilen, und dabei habe ich auf Ihre eigenen Leute gehofft: Sie haben zum falschen Antrag gesprochen. Wir sprechen hier über den Stärkungspakt für Gymnasien und über die Stellen, die wir fordern, aber nicht über die Anhörung und auch nicht über G8.

Wie gesagt, ich habe es mehrfach versucht; es kam jedoch auch keine Resonanz aus Ihrer Fraktion. Deswegen konnte ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wie ebenfalls bereits gesagt, geht es uns um den Stärkungspakt Gymnasien; wir fordern 627 Stellen für die Gymnasien zur individuellen Förderung. Es geht hier nicht um den Ganztag.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das gehört alles zusammen, Frau Gebauer! Das ist ja das Problem!)

– Das können Sie halten, wie Sie möchten. – Alle haben zu diesem Antrag gesprochen, nur Sie nicht.

Frau Spanier-Oppermann, es war schon bezeichnend, dass Sie in Ihren Ausführungen die Gesamtschule und die Sekundarschule – so haben Sie sie genannt – als Ihre „Lieblingskinder“ bezeichnet haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das kam nicht von mir, sondern das haben Sie hier gesagt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Kommen wir zurück zu unserem Antrag. Es geht um Chancen, die in diesem Jahr aus der Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges einmalig entstehen. Es sind Chancen, die die FDP im Rahmen des Stärkungspakts für Gymnasien zur Verbesserung der individuellen Förderung vor Ort nutzen möchte.

Ich möchte Sie heute, weil es gerade aktuell ist, auf Folgendes hinweisen: Die Vodafone-Stiftung hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, deren Inhalt genau diese individuelle Förderung ist. Da heißt es ?– ich darf zitieren – in Bezug auf das Gymnasium und die Lehrer: Besonders kritisch äußern sich hier die Lehrer an den Gymnasien. Von ihnen sind 84 % der Ansicht, dass eine individuelle Förderung nur eingeschränkt oder überhaupt nicht möglich ist.

So viel zum Thema „Individuelle Förderung an Gymnasien“, für die wir diese zusätzlichen Stellen nutzen wollen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Yvonne Gebauer (FDP): Nein. – Wir haben jetzt den doppelten Abiturjahrgang – eine einmalige Chance, 2.000 Lehrerstellen werden frei –, eine Sondersituation für die Gymnasien. Wir wollen den Gymnasien für die individuelle Förderung Unterstützung anbieten.

Es kam vorhin das Gespräch auf die Sekundarschulen, bei denen der Klassenfrequenzrichtwert bei 25 liegt. Wir wissen dank der Anfrage von Frau Pieper, dass von 215 Klassen, die vergangenes Jahr an den Start gegangen sind, allein 123 zwischen 20 bis 25 Schüler haben und sechs sogar unter 20 Schülern.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen: Wir gönnen jedem Kind gute Bedingungen vor Ort, jedem Kind kleine Klassen. Aber, es schaut auch so aus, wir haben diese guten Bedingungen für rund 5.300 Schüler bereitgestellt. Aber am Gymnasium haben wir in Nordrhein–Westfalen 600.000 Schüler, die diese beliebteste weiterführende Schulform besuchen. Dort beträgt der Klassenfrequenzrichtwert 28. Er soll – das ist schon mehrfach angesprochen worden – auf 26 abgesenkt werden. Wir wissen jedoch nicht – ein Zeitplan liegt diesbezüglich nicht vor –, wann das erfolgen wird.

Sie haben, Frau Ministerin Löhrmann, im Ausschuss die Sekundarschulen als begünstigt in Bezug auf den Klassenfrequenzrichtwert von 25 bezeichnet und das mit der Heterogenität der Schülerschaft begründet. Wir haben bei den Gymnasien mittlerweile eine Übergangsquote von 41 %. Wenn ich den Aussagen von Frau Hendricks letzte Woche glauben darf, liegen wir bei 60 % Übergangsquote an den Gymnasien in Bonn.

Um das noch einmal klarzustellen, alle Schülerinnen und Schüler verdienen eine umfassende Förderung. Sie haben – das wurde schon gesagt – 1.000 Stellen für den Übergang nach dem Doppeljahrgang bereitgestellt. Da haben Sie, Frau Beer, am Anfang tatsächlich zu dem Antrag gesprochen und gesagt: zurzeit 1.000 Stellen. Das heißt, diese 1.000 Stellen sind in den Haushaltsplanberatungen unmissverständlich als solche dargestellt worden, die zeitnah wieder abgesetzt werden können.

Aber die FDP möchte an den 627 Gymnasien, gestaffelt nach der Größe, je eine Stelle vor Ort für die individuelle Förderung belassen. Diese besagten Stellen für das Gymnasium planen wir bis zum Jahre 2015 ein. Denn bis dahin müssen sich Rot-Grün regierungsintern geeinigt haben, wie es mit dem Demografiegewinn weitergeht. Wir erwarten also von der Landesregierung zeitnah einen Umsetzungsplan, wie die Klassenstärken an den Gesamtschulen, den Gymnasien und den Realschulen spürbar gesenkt werden können. Hier und heute sollten wir aber die einmalige Chance nutzen, und es würde sich bestimmt eine Vielzahl von Referendaren bedanken, die sonst schlimmstenfalls das Land verlassen und unseren Schulen verloren gehen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, bleiben Sie einen Moment am Pult. Wir haben wieder unsere Kurzinterventionen. Daran gewöhnen wir uns alle noch. Das ist sehr schön. Kurzintervention heißt, während des Redebeitrags wird eventuell eine Kurzintervention beantragt. Frau Voigt-Küppers hat das getan.

Frau Kollegin, Sie haben jetzt 90 Sekunden Zeit, Ihre Intervention zu starten. Sie, Frau Gebauer, haben anschließend 90 Sekunden Zeit, darauf einzugehen. Bitte schön.

Eva Voigt-Küppers (SPD): Vielen Dank für die Möglichkeit der Kurzintervention. – Frau Gebauer, ich habe die Frage, ob es sein kann, dass Sie meine Kollegin Spanier-Oppermann falsch verstanden und zitiert haben? Frau Spanier-Oppermann hat nicht gesagt, unsere Lieblingsschulen seien die Gesamtschulen,

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

sondern uns würde unterstellt, es wären unsere Lieblingsschulen. Dem sei nicht so; uns wären alle Schulen gleich viel wert.

Yvonne Gebauer (FDP): Liebe Frau Voigt-Küppers, wir werden das mithilfe des Protokolls sicherlich zu klären wissen. Sollte das tatsächlich anders gewesen sein, werde ich mich bei der Kollegin entschuldigen. Hier und heute lasse ich es erst einmal so stehen, weil ich es tatsächlich so verstanden habe.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin. – Ich habe noch einen Hinweis bekommen. Zu Ihrer Rede ist eine zweite Kurzintervention angemeldet worden – parallel, es hat zweimal hintereinander geklingelt –, und zwar von Frau Kollegin Beer. Frau Beer, Sie haben die 90 Sekunden. Bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will gerne noch einmal nachhelfen, um den Zusammenhang herzustellen. Sie haben zum Gymnasium kurz hintereinander zwei Anträge gestellt: einmal den Antrag „Stärkungspakt für Gymnasien“. Aber wir haben auch in der Anhörung über den Ganztag als geeignetes Mittel der individuellen Förderung miteinander geredet. Um diesen Zusammenhang geht es mir.

Ich bin mit den Stellen eingestiegen, um noch mal deutlich zu machen, dass die Ganztagsentwicklung die Stärkung für die Gymnasien ist. Darauf wird im Übrigen auch in einer Pressemitteilung des Philologenverbandes der Schwerpunkt gelegt. Offensichtlich haben Sie noch nicht rezipiert, was wir in der Anhörung und in der Ausschussberatung hatten. Das ist die Stärkung. Im Augenblick gelingt es, mit dem zusätzlichen Mitteleinsatz für die Gymnasien den Übergang vom G8 hinzukriegen.

Wir müssen jedoch in der Schulentwicklung – das ist das gemeinsame Anliegen – alle Gymnasien davon überzeugen, dass der Weg in den Ganztag gegangen werden muss. Das ist eine inhaltliche, innere Schulentwicklung, die zu befördern ist. Mit den anderen Maßnahmen bleiben Sie an der Oberfläche. Dazu ist heute schon genug Kritik gekommen, dass das so nicht realistisch ist.

Diesen Beitrag würde ich mir von Ihnen, was die Gesamtentwicklung angeht, vorausgewandt, zukunftsgewandt wünschen. Dazu erinnere ich noch mal an den Plafond, den wir in der Bildungskonferenz gemeinsam besprochen haben, bei der die FDP leider ausgestiegen ist.

Yvonne Gebauer (FDP): Liebe Frau Beer, dass Sie jetzt versuchen, aus der Nummer mit der falschen Rede herauszukommen, das kann ich ja nachvollziehen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Nein! Gar nicht! Das geht wunderbar zusammen!)

Sie haben von der Anhörung gesprochen. Wir hatten keine Anhörung zur individuellen Förderung, sondern wir hatten eine Anhörung zum Ganztag. Das hat Frau Spanier-Oppermann an der Stelle auch richtig gesagt. Wir von der FDP hatten zwei Anträge zum Stärkungspakt Gymnasium. Bei einem Antrag ging es um die Flexibilisierung des Ganztags. Den haben Sie, den hat Rot-Grün abgelehnt. Das muss man an der Stelle auch sagen. So viel zum Thema Ganztag!

(Beifall von der FDP)

Hier und heute geht es um die individuelle Förderung; das steht auch ganz klar in diesem Antrag. Es geht um Stellen, die für die individuelle Förderung genutzt werden sollen. Bei dem anderen Antrag ging es um die Möglichkeit der Einrichtung von einzelnen Zügen am Gymnasium. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

(Beifall von der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE]: Der Ganztag ist das Wichtige!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herzlichen Dank, Frau Gebauer, für Ihre Reaktionen im Rahmen der beiden Kurzinterventionen. – Nun spricht für die Piratenfraktion Frau Rydlewski.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie so oft haben wir einen Antrag der FDP mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis genommen. Einige der im Antrag enthaltenen Formulierungen sind gut, sinnvoll und konstruktiv.

Ein kurzes Zitat aus der Begründung:

„Grundsätzlich sind bestmögliche Förderbedingungen an jedweder Schulform anzustreben und zu begrüßen.“

Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand hier dies ablehnen würde. Insofern ist es ein bisschen schwammig.

Allerdings hat die jetzige Debatte für uns einen etwas merkwürdigen Beigeschmack. Wie die anderen Kolleginnen es hervorgehoben haben, haben auch wir den Eindruck – wir sind ja noch nicht so lange hier –, dass durch die Anträge der FDP der Schulstreit mit anderen Mitteln weitergeführt werden soll. Dieser ist mühsam beendet worden. Wir halten das daher für ebenso sinnlos wie zeitraubend.

Die im Antrag erwähnten besonderen Herausforderungen, denen sich die Gymnasien derzeit aufgrund des doppelten Abiturjahrganges gegenübersehen, werden durch den temporären Verbleib von Lehrerstellen an Gymnasien und weitere Abfederungsmöglichkeiten berücksichtigt. – Das weiß die FDP.

Die FDP weiß auch, dass der Haushalt 2013 mittlerweile verabschiedet worden ist und damit zumindest in diesem Jahr kein Spielraum bleibt, die unrealistischen Wünsche umzusetzen. Daher erinnern die Bemühungen der FDP, sich immer und immer wieder als die letzten und einzigen Retter des Gymnasiums zu verkaufen, insgesamt doch sehr an das ähnlich ergebnisorientierte Handeln eines Don Quichotte.

Wie schon erwähnt, ist dieser Antrag aber glücklicherweise nicht nur Schall und Rauch, sondern birgt in sich ein Körnchen nutzbaren Inhaltes.

Die letzte Forderung – unter Nr. 3 –, wonach die Landesregierung dem Landtag zeitnah einen Umsetzungsplan vorlegen möge, wie die demografischen Gewinne zur Absenkung der Klassengrößen und zur Stärkung der individuellen Förderung eingesetzt werden sollen, halten wir für sehr sinnvoll. Diese Forderung würden wir daher selbstverständlich unterstützen.

Aufgrund der Summe des Gesagten ist für uns zum Antrag in der vorliegenden Form aber nur eine Enthaltung möglich. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN und Ina Spanier-Oppermann [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Rydlewski. – Nun hat für die Landesregierung Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Gebauer, ich möchte zwei Vorbemerkungen machen; die eine hat nur mittelbar mit dem Antrag zu tun.

Erstens. Sie haben die Bildungsstudie, die heute zitiert wurde, angesprochen. Ich muss sagen: Bei allen Daten, die darin wiedergegeben sind, finde ich eines an dieser Bildungsstudie wirklich nicht gut, nämlich dass Eltern und Lehrer hier gegeneinander ausgespielt werden und dass versucht wird, den Schwarzen Peter der einen oder anderen Gruppe zuzuweisen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Da sind wir in Nordrhein-Westfalen auch mit der Bildungskonferenz im Grunde weiter. Es kommt darauf an, im Sinne und im Interesse der Kinder und Jugendlichen zusammenzuarbeiten. Es geht nicht darum, zu gucken, wer woran schuld ist oder wer wofür allein zuständig ist, sondern darum, eine gemeinsame Verantwortung für die Kinder zu definieren, dies auch zum Beispiel in Erziehungsverträgen von Eltern und Schule zu leben, damit man die Kinder in den Mittelpunkt stellt und im Sinne der Kinder gemeinsam bestimmte Hürden und Probleme überwindet. Ich hoffe, dass wir uns da einig sind. – Das ist der eine Punkt.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE] und Ina Spanier-Oppermann [SPD])

Der andere Punkt: Der Unterschied zwischen Frau Beer und Ihnen ist mir aufgefallen. Sie, Frau Gebauer, haben da offenbar immer „Häppchen“ im Blick. Frau Beer hat sich erlaubt, die Dinge zusammenzunehmen, weil es in beiden Fragen ja um das Gymnasium geht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Frage der individuellen Förderung und die Frage des Ganztags hängen natürlich zusammen. Insofern darf man sich auch erlauben, die Dinge zusammen anzusprechen.

Meine Damen und Herren, auch wir, auch die Landesregierung bedauert, dass die FDP sich an dem konstruktiven Dialog zum Schulkonsens nicht beteiligt hat. Ziel ist ein umfassendes Schulangebot, das den Bedürfnissen der Eltern und Schülerinnen und Schüler entgegenkommt und gleichzeitig ein umfassendes und regional ausgewogenes Schulangebot garantiert. Entscheidend für Schulen sind der Elternwille und der Bedarf. Die Landesregierung folgt diesem Grundsatz.

Hören Sie auf, die Nachfrage nach Sekundarschulen und neuen Gesamtschulen, die immer auf regionalen, kommunalen Entscheidungen basieren, schlechtzureden und zu bekämpfen! Oft ist vor Ort auch die FDP dabei.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben im Schulkonsens beschlossen, den Klassenfrequenzrichtwert an Gymnasien, Gesamtschulen und Realschulen schrittweise von 28 auf 26 Schülerinnen und Schüler abzusenken. Das werden wir auch schrittweise tun; da bin ich ganz bei Herrn Hachen. Wir können es aber erst dann tun, wenn in einem Haushalt wieder nennenswerte – nennenswerte! – Potenziale frei werden.

In dem Zusammenhang weise ich darauf hin – wir sagen das immer wieder, auch ich betone das mehrfach –: Es handelt sich immer um Schätzungen, wenn wir über die Stellenplanungen reden. Es gibt unterschiedliche Schülerzahlentwicklungen, zum Beispiel abhängig davon, wie viele Jugendliche in die Oberstufe gehen, wie viele in den Berufskollegs sind. Das heißt also nicht, dass wir uns in der Sache von 2.300 auf 2.000 korrigiert haben, sondern die Schülerzahlentwicklung war eine andere. Das bitte ich einfach zu berücksichtigen.

Was wir uns vorgenommen und was wir festgelegt haben, ist: Wenn wir anfangen abzusenken, dann wird das stufenweise gehen. Dann behandeln wir die Realschulen, die bestehenden Gesamtschulen und die Gymnasien strukturell gleich. Dieses Versprechen möchte ich Ihnen hier heute für die Landesregierung geben.

Wir hatten uns verständigt, weil wir unser Grundschulkonzept einstimmig verabschiedet haben, dass wir mit der Grundschule anfangen, weil da alle Kinder sind und weil in der Grundschule das Fundament für die Bildung gelegt wird. Es kommt uns darauf an, das Grundschulkonzept umzusetzen. Ich möchte bitten, dass wir dort beieinander bleiben, weil das sauber besprochen und festgelegt worden ist.

(Zustimmung von Sigrid Beer [GRÜNE])

Die Landesregierung bleibt damit absolut im Schulkonsens und hat sich nicht angreifbar gemacht.

Jetzt komme ich auf einen letzten Punkt. Ich habe versucht, das im Ausschuss deutlich zu machen. Es kann doch nicht sein, dass man sagt, Demografie bedeutet, die freiwerdenden Stellen bleiben in dieser Schulform. Was hieße das für die Hauptschulen? Das kann doch nicht sein. Wir müssen strukturell aufgrund der Schülerzahlen, die in einer Schulform sind, die Lehrerstellen zuweisen.

Weil sich die Gymnasien aufgrund des doppelten Abiturjahrgangs in einem schwierigen Prozess befinden, kann man das nicht abrupt machen. Darum haben wir die Entscheidung getroffen, aus der demografischen Entwicklung 1.000 Stellen über Bedarf an den Gymnasien zu belassen, damit wir nicht zu Zwangsversetzungen kommen und Einstellungskorridore haben. Das war die logische und – wie ich finde – richtige Entscheidung.

Mit dieser Entscheidung hatten die Verbände – Herr Silbernagel sitzt dort oben –, die Landeselternschaft Gymnasien und die Direktorenvereinigung Gymnasien, nicht gerechnet, glaube ich. Es ist honoriert worden, dass wir aus gutem Grund eine Bevorzugung des Gymnasiums vornehmen. Die Gesamtschulen haben es akzeptiert. Ich finde, das ist ein Zeichen dafür, wie der Schulkonsens auch in den Verbänden trägt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Darauf möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal hinweisen.

Einen allerletzten Punkt möchte ich ansprechen. Es gibt keinen Einstellungstopp. Den gibt es nicht. Wir stellen Referendarinnen und Referendare ein, auch an Gymnasien. Die Ausgebildeten haben auch die Gelegenheit, sich an Berufskollegs zu bewerben, wenn sie jetzt nicht direkt am Gymnasium eine Stelle finden, aber dorthin wollen. Sie können sich an einer Gesamtschule, an einer Sekundarschule oder an einem Berufskolleg bewerben und dort anfangen. Am Berufskolleg haben wir stellenplanmäßig Vorsorge getroffen, um mögliche Verdrängungswettbewerbe durch den doppelten Abiturjahrgang im Ausbildungsbereich aufzufangen. Wir haben dort vorsorglich Stellen geschaffen, die wir natürlich woanders nutzen können, wenn wir sie dort nicht brauchen. Insofern ist das logisch sehr vernünftig angelegt. Ich hoffe, die CDU bleibt in diesem Punkt bei uns.

Meine Damen und Herren, abschließend: Die Gymnasien werden von dieser Regierung gerecht behandelt. Wir spielen keine Schulformen gegeneinander aus. Das hat die Kollegin von der SPD sehr deutlich gesagt. Es geht uns um die Kinder, die in den jeweiligen Schulformen sind. Die einzige, die sich davon verabschiedet, ist leider die FDP. Sie fühlt sich letztendlich nicht in der Verantwortung. Ich finde das bedauerlich und würde mir wünschen, Sie würden von diesem Kurs abgehen.

Wir haben eine Verantwortung für alle Kinder in unseren Schulen in Nordrhein-Westfalen. Dafür steht diese Landesregierung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin Löhrmann. – Wir sind am Ende der Beratung zu dem Punkt. Wie es zwischen den Fraktionen vereinbart ist, erfolgt die Abstimmung nach 14 Uhr. Damit setzen wir an dieser Stelle aus und gehen über auf Tagesordnungspunkt

5   Nordrhein-Westfalen darf nicht Hort der Geldwäsche werden – Kommunen dürfen mit der Kontrolle des Geldwäschegesetzes nicht überfordert werden

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2633

Ich eröffne die Beratung und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Biesenbach das Wort.

Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer mit dem Intercity durch Nordrhein-Westfalen fährt und hier nicht wohnt, sondern Zeitung liest, wenn er das Land durcheilt, kann den Eindruck gewinnen, dass in Nordrhein-Westfalen mit Energie gegen Kriminalität vorgegangen wird.

Wir erleben einen Innenminister, der alle paar Tage eine neue Aktion plant. Es werden Einsatzhundertschaften gegen Einbrecherbanden losgeschickt. Alles, was bei der Polizei Uniform tragen kann, wird beim Blitzmarathon auf die Straße geschickt. Bei Rockern werden die Kutten weggenommen und die Schilder von Vereinsheimen abmontiert. Auch der Kontrolldruck zum Beispiel bei den Salafisten wird erhöht.

(Zuruf von der SPD: Beeindruckend!)

Das Ergebnis ist ungeheuer: Was die Einbrecherbanden angeht, werden zwar nicht die Einbrecherbanden gefasst, dafür aber ganz viele, die ihre Strafe nicht bezahlt haben, etwa Verkehrssünder und Personen, gegen die seit Wochen Haftbefehle schlummern – bloß keine Einbrecher.

Bei den Salafisten muss der Chef des Verfassungsschutzes zugeben: Seitdem wir hingucken, hat sich die Zahl verdoppelt. – Wer also nicht hinguckt, findet auch nichts. Von der Rockerszene ist heute in der „Bild“-Zeitung zu lesen, dass die Hells Angels ganz munter verkünden: Wir werden das Ruhrgebiet erobern, und die Polizei sollte uns dabei besser nicht stören.

Mit unserem Antrag geht es um ein Vorhaben, das im Bereich des Wirtschaftsministers liegt. Er möchte zu einem finalen Schlag gegen die Geldwäsche ausholen. Es gilt, schärfere Anforderungen der EU umzusetzen. Die Landesregierung holt die Geheimwaffen: Politessen der Ordnungsämter oder vielleicht auch Standesbeamte sollen künftig das Geldwäschegesetz und Transaktionen überprüfen. – Ich finde, es ist eine glänzende Idee; denn wer Falschparker erkennt, wird auch in der Lage sein, Geldwäscher zu entdecken.

Das Blöde ist nur – so der Bund der Kriminalbeamten –: Wir haben es hier mit internationaler Kriminalität zu tun. Darüber sagen die Kommunen: Davon haben unsere Mitarbeiter leider überhaupt keine Ahnung. – Wir gehen noch ein Stückchen weiter. Besonders im Fokus der Geldwäsche, für die das Land zuständig ist, stehen Autohändler, Kunsthändler oder Juweliere. Schätzungen zufolge waschen Mafia, Drogenhändler oder Terrorbanden jedes Jahr bis zu 50 Millionen € aus illegalen Einnahmen. In Nordrhein-Westfalen hat das Landeskriminalamt eine steigende Zahl von Verdächtigen registriert. 2011 waren es rund 2.700 Fälle, 400 mehr als ein Jahr zuvor. In mehr als 1.600 Fällen bestätigte sich auch der Verdacht.

Nun sagt der Wirtschaftsminister – wir werden ihn gleich hören –: Dem begegnen wir mit einem effektiven Vollzug. – Er kann sich nach eigenen Überlegungen aber nur auf stichprobenartige Kontrollen berufen. Vorgesehen ist, 200 Betriebe im Land pro Jahr stichprobenartig zu kontrollieren. Das soll ein deutliches Zeichen setzen.

Das ist toll. In der Kriminalstatistik werden wir einige Zeit später erleben, wie erfolgreich das Land ist. Gegenwärtig sagt das Landeskriminalamt, bei 1.600 Fällen hat sich der Verdacht erhärtet. Wenn aber künftig nur noch 200 Betriebe kontrolliert werden, wird diese Zahl natürlich schlagartig sinken. Damit haben wir nicht weniger Geldwäsche – aber wo ich nicht hingucke, passiert auch nichts. Das ist die Situation. Etwa 46.000 Gewerbebetriebe in Nordrhein-Westfalen müssten kontrolliert werden. 200 sollen davon pro Jahr kontrolliert werden.

Das, Herr Minister, ist nicht die Bekämpfung der Kriminalität, wie wir sie uns vorstellen. Sie reihen sich aber damit ein in die Linie des Innenministeriums, wo mit viel lautem Feuerwerk tolle Sterne an den Himmel gemalt werden, das Ergebnis aber mehr als mager ist.

Es reicht eben nicht aus, sich mit dem Ankauf von Steuerdateien zu gerieren, womit Sie große Erfolge haben möchten, und dann, wenn Sie die Information nicht geliefert bekommen, sondern selbst erarbeiten, selbst kontrollieren und suchen müssten, zu sagen: Das machen die Kommunen; darum muss ich mich nicht kümmern.

Ich hoffe, dass Sie uns heute deutlich machen, dass das, was wir in den Medien lesen konnten, richtig ist, dass Sie nämlich Ihren Entwurf nicht weiter umsetzen wollen. Dann wären wir zwar in der Sache nicht weiter, hätten aber die Chance, darüber nachzudenken, wie eine Bekämpfung erfolgreich geschehen kann. So ist es nicht einmal das Wortgeklimper wert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Biesenbach. – Die SPD-Fraktion wird vom Kollegen Hübner vertreten.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss ich eine Feststellung zu dem neuen Verfahren treffen, das wir miteinander vereinbart haben, nämlich mittags keine Abstimmungen zu machen. Die Fülle des Hauses deutet gerade nicht darauf hin, dass das, was Kollege Biesenbach gerade gesagt hat, zu großem Interesse in Kollegenreihen geführt hat.

(Heiterkeit von Kai Abruszat [FDP])

– Kollege Abruszat, ich sage das durchaus selbstkritisch. Das ist schon etwas überraschend.

Herr Kollege Biesenbach, ich will Ihnen in zwei Punkten recht geben. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Geldwäsche ist auch kein Kavaliersdelikt. Sie sehen aber schon an der Rednerreihenfolge, dass wir das, was da angedacht ist, durchaus kommunalpolitisch bewerten wollen. Es geht uns heute weniger um die finanzpolitische und innenpolitische Diskussion, die grundsätzlich notwendig ist, insbesondere nach den letzten aktuellen Fällen. Gestern hatten wir eine Aktuelle Stunde dazu, die sich um Uli Hoeneß rankte. Beides sind keine Themen, die durch das Steuerabkommen gedeckt werden, sondern es geht um die kommunalpolitische Dimension.

Von daher habe ich mich sehr gewundert, dass die CDU-Fraktion das Thema „Konnexität“ mit diesem Antrag in den Vordergrund gestellt hat, weil Sie meint, dass es durchaus zu Überforderungen bei den Kommunen kommen könnte. Das will ich einmal in Richtung CDU sehr fürsorglich so verstehen, weil das ein Thema ist, mit dem wir uns auf Städtetagen – einem konnte ich gestern noch beiwohnen – seit Jahren beschäftigen, wie es mit Aufgaben ist, die von Städten übernommen und letztendlich durch die Städte selbst finanziert werden. Das führt dann in die Dimension, dass wir einen Stärkungspakt auflegen und die Städte massiv stärken müssen. Wir haben in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass es die Politik der Vorgängerregierung war, Konnexität nicht ernst zu nehmen. Ich darf Sie diesbezüglich an zwei konkrete Beispiele erinnern:

Ein Beispiel, Herr Kollege Biesenbach, war, dass Sie eine Kommunalisierung der Umweltverwaltung vorgenommen haben. Das ist prima, haben Sie sich damals gedacht, und dann den Kommunen sogar noch versprochen, dass man es deutlich bewerten werde, welche Aufgaben den Kommunen – aufwachsend – zugeschrieben werden. Das haben Sie aber nicht gemacht. Sie haben die Aufgabe einfach übertragen, und die Kommunen mussten richtig in die Taschen greifen. Das war nicht in Ordnung.

Ein zweites Beispiel: Sie haben die Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung vorangetrieben. Auch dort gab es keinerlei Ausgleiche, sondern Sie haben im Gegenteil gesagt: Die Effizienzen, die wir auf Landesebene damals nicht haben darstellen können, werden die Kommunen in irgendeiner Weise schon auf den Weg bringen. Von daher ist es nicht notwendig, dafür einen Ausgleich zu schaffen. – Dies geschah alles unter Ihrer Verantwortung.

Geldwäsche ist, wie gesagt, kein Kavaliersdelikt. Man muss sich das Geldwäschegesetz aber einmal ein bisschen genauer anschauen. Es ist auch wenig hilfreich, aus Literatur oder Presse zu zitieren. Was ist denn da die eigentliche Aufgabe? Die eigentliche Aufgabe ist es, die Sorgfaltspflichten, die den Unternehmen, den Gewerbetreibenden auferlegt worden sind, zu überwachen. Es geht also darum, bei den Gewerbebetrieben abzufragen, ob ein Verfahren vorhanden ist oder nicht. Darum geht es. Letztlich bleibt bei der Geldwäsche die Verantwortung bei den entsprechenden Unternehmen. Es ist eben nicht vorgesehen, dass die kommunalen Ordnungsämter diese Verantwortung übertragen bekommen.

Die Verfahrensabfrage aber ist das Entscheidende. Und man muss kontinuierlich im Blick behalten, wie wichtig oder aufwendig das Thema geworden ist. Das werden wir auch tun. Von daher werden wir uns das kommunalpolitisch sehr intensiv anschauen. Dafür hätte es Ihres Antrags nicht bedurft. Wir werden sehr darauf achten, dass es dabei zu keiner Überforderung der kommunalen Ordnungsbehörden kommt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Kollege Hübner. – Für die grüne Fraktion spricht nun Kollege Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wir erleben hier das Aufblasen eines Popanzes. Ich möchte deshalb zunächst einmal klären, um was es hier eigentlich geht.

Da gibt es aus dem Wirtschaftsministerium einen Verordnungsentwurf, mit dem Teilaufgaben des Geldwäschegesetzes auf die kommunalen Ordnungsbehörden übertragen werden sollen. Darüber kann man nachdenken. Darüber wird auch in anderen Bundesländern nachgedacht, bzw. dort ist es schon realisiert worden mit entsprechenden Erfahrungen, auf die ich gleich gerne eingehen möchte.

Die üblichen Verfahren sehen so aus, dass im Vorfeld die kommunalen Spitzenverbände um eine entsprechende Einschätzung gebeten werden. Diese liegt vor, offensichtlich auch der CDU-Fraktion. Ansonsten hätte man diesen Antrag nicht gestellt.

Die kommunalen Spitzenverbände haben deutlich gemacht, dass diese Aufgaben, bitte schön, nicht auf die Ordnungsbehörden abgewälzt werden dürfen – einfach deshalb, weil die entsprechende Kompetenz dort nicht vorhanden ist. Auch bei der Frage der damit verbundenen Aufwendungen stimmen sie nicht mit der vom Wirtschaftsministerium vorgetragenen Einschätzung überein.

Wie reagiert man darauf? Man bewertet im Wirtschaftsministerium einen solchen Prozess hausintern. Die Bewertung liegt vor und lautet, wie man in der „Rheinischen Post“ vom 23. April 2013 nachlesen kann: NRW-Wirtschaftsministerium rückt nach massiven Protesten vom Verordnungsentwurf ab.

Das ist der übliche Verfahrensablauf. Es bleibt in Sachen Umsetzung des Geldwäschegesetzes bei den Mittelbehörden; es bleibt bei den Bezirksregierungen. Inwieweit das noch weiter optimiert werden kann, ist Angelegenheit der Landesregierung. Was da möglicherweise noch anders gemacht werden kann, werden wir sehen. Wir wissen aus Erfahrungen in anderen Ländern wie Schleswig-Holstein, in denen eine entsprechende Übertragung auf die Ordnungsämter vorgenommen worden ist, dass sich das nicht bewährt hat. Mittlerweile hat man das hier auch erkannt bzw. es bleibt bei der bisherigen Zuständigkeit.

Dass Handlungsbedarf besteht, wird sehr deutlich. Ich will hier nur einige Beispiele nennen. In Thüringen ist das Ganze in einer Mittelbehörde angesiedelt worden. Insgesamt sind zwei Prüfer für 22.000 Unternehmen tätig. Dass die Gewerbebetriebe dort hinreichend über ihre Verpflichtungen informiert werden können, kann bezweifelt werden. Eine ähnliche Situation gibt es in Bayern bezogen auf die im Innenministerium hierfür abgestellten Personen. In Baden-Württemberg ist es bei den Regierungspräsidenten angesiedelt.

Wir sehen da durchaus Handlungsbedarf. Die Lösung kann aber nicht so aussehen – da stimmen wir mit der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgetragenen Einschätzung überein –, dass das ganze Thema auf die Ordnungsämter verlagert wird. Das ist mittlerweile auch innerhalb des Ministeriums Erkenntnisstand. Insofern wird es in diesem Zusammenhang kein weiteres Beratungsverfahren geben.

Daher ist es ein Popanz, den Sie hier aufblasen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Die FDP-Fraktion wird von Herrn Abruszat vertreten.

Kai Abruszat (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich – anders als der Kollege Krüger – sehr über den Antrag der CDU-Fraktion, weil er uns Gelegenheit gibt, noch einmal darüber nachzudenken, worum es eigentlich geht, Herr Kollege Krüger. Es geht um den Kampf gegen organisierte Kriminalität. Es geht um Gewinne aus kriminellen und verbrecherischen Geschäften. Es geht um strafrechtlich relevante Transaktionen von Geld und anderen Wertgütern. Das erfordert höchste Wachsamkeit und besondere Sensibilität der öffentlichen Hand. Nur so kann eine Verschleierung der Herkunft von Geldern wirksam bekämpft werden.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sehr gut! Beim Steuerabkommen hätte ich mir auch so ein Statement gewünscht!)

– Lieber Herr Kollege Mostofizadeh, wenn Sie schon dazwischenrufen, will ich Ihnen sagen: Dass Sie beim Thema „Steuer-CD“ als Regierung publicitywirksam agieren, ist die eine Seite der Medaille. Bei der Frage der Geldwäschekontrolle machen Sie hingegen nichts. Sie haben kein Konzept. Das ist die Wahrheit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jetzt kommt das Pikante.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was hat denn die Bundesregierung gemacht?)

– Herr Mostofizadeh, hören Sie zu; Sie können vielleicht noch etwas lernen! – Das Geldwäschegesetz ist ein Bundesgesetz.

(Michael Hübner [SPD]: Richtig!)

Herr Schäuble und Herr Steinbrück haben es 2008 in der Zeit der Großen Koalition installiert. Mit verabschiedet hat es ein Bundestagsabgeordneter namens Garrelt Duin. Dieser Bundestagsabgeordnete Duin muss jetzt als Minister dieser Landesregierung dieses möglicherweise praxisuntaugliche Gesetz hier vor Ort umsetzen.

Herr Minister Duin, es ist Ihre Verantwortung, jetzt ein Konzept auf die Beine zu stellen. Es ist Ihre Aufgabe, die Geldwäschekontrolle in Nordrhein-Westfalen zielgerichtet, praxistauglich und kommunalfreundlich so umzusetzen, dass der Normzweck dieses Gesetzes auch erreicht wird.

(Beifall von der FDP)

Ich will Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen, was für uns als Freie Demokraten gilt: Kriminalitätsbekämpfung ist definitiv keine kommunale Kernaufgabe – definitiv nicht. Kommunen können hier höchstens begleitend tätig sein.

(Michael Hübner [SPD]: So ist es!)

Wenn Sie an dieser Stelle eine Zersplitterung von Zuständigkeiten bei der Strafverfolgung implementieren wollen, wird das zu nichts führen. Ich sage Ihnen: Wir haben im Moment eine Zuständigkeit. Sie liegt nach dem Landesorganisationsrecht bei den Bezirksregierungen. Wenn man auf die Internetseiten der Bezirksregierungen schaut, stellt man fest, dass die Bezirksregierungen auch selbst darauf hinweisen, dass sie Leitfäden und Informationsbroschüren erstellen. Man kann auf den Internetseiten der Bezirksregierungen sogar die Namen von konkreten Ansprechpartnern finden, die für die Geldwäschekontrolle derzeit zuständig sein sollen.

Wie die Bezirksregierungen ihrer Kontrollaufgabe konkret nachkommen, um den Normzweck dieses Gesetzes, Herr Minister Duin, welches Sie in Berlin mit beschlossen haben, zu erfüllen, kann man bis heute aber leider nicht feststellen.

Deswegen sage ich Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Insgesamt gesehen ist das Vorgehen der Landesregierung schon ein Stück weit entlarvend. Sie haben zunächst versucht, eine Bundesländerstrategie zu entwickeln, indem Sie sich für eine bundesweite Kontrolle ausgesprochen haben – so ähnlich wie im Finanzsektor mit der BaFin. Das hat nicht geklappt. Nachdem Sie das Hohelied der Zentralisierung gesungen hatten, haben Sie plötzlich das Argument der Ortsnähe entdeckt und wollten dann Kommunalbeamte damit beauftragen. Kurzum: Es sind sämtliche Versuche unternommen worden, um in Sachen Geldwäschekontrolle bloß nicht eigenständig verantwortlich tätig werden zu müssen.

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, Herr Minister: Was wir nicht brauchen, ist ein Vollzugsdefizit in dieser wichtigen Angelegenheit; denn das käme einer Bagatellisierung der Geldwäschekontrolle gleich. Das ist nicht zielführend. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept. Das müssen Sie als Landesregierung vorlegen.

Deswegen freue ich mich, dass der CDU-Antrag Gelegenheit gibt, dieses Thema auch in den Fachausschüssen zu diskutieren. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abruszat. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf der Tribüne und im Livestream! Das Geldwäschegesetz des Bundes ist in den letzten Jahren recht häufig reformiert und ergänzt worden. Das rührt zum größten Teil daher, dass die Financial Action Task Force der OECD Deutschland immer wieder rügt, weil Maßnahmen zur Umsetzung der Geldwäschebekämpfung nicht ausreichend angewendet wurden und werden. Die OECD schätzt ein Volumen von ca. 50 Milliarden €, die jedes Jahr in Deutschland weißgewaschen werden – ein hübsches Sümmchen!

Was wird getan, um das In-den-Verkehr-Bringen von Schwarzgeld zu verhindern? – Zum Beispiel wird dafür gesorgt, dass man Einkäufe im Internet mittels elektronischen Geldes kaum noch anonym tätigen kann. Doch das führt im Endeffekt nicht zu weniger Geldwäsche, dafür aber zu mehr Überwachung unbescholtener Bürger.

(Vorsitz: Vizepräsident Daniel Düngel)

Zur Erinnerung: Es ist nicht mehr möglich, mehr als 100 € anonym per E-Geld auszugeben. Nach dem Kreditwesengesetz und dem Geldwäschegesetz müssen die Geschäftspartner identifiziert und ihre Geschäftsbeziehungen kontinuierlich überwacht werden. Anonyme Zahlungen sollen so ausgeschlossen werden.

Schon damals kritisierte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass sich eine Verhinderung der Geldwäsche nicht durch eine flächendeckende und systematische Überwachung sämtlicher Zahlungsgeschäfte erreichen lasse. Denn in der Tat müsste man ja, wenn man konsequent sein und nicht nur das Internet überwachen wollte, sämtliche anonymen Geschäfte ab einem Betrag von über 100 € erfassen. Die wachsenden Schlangen im Supermarkt beim Wochenendeinkauf, weil die Kassiererinnen und Kassierer die Daten der Kunden aufnehmen und überprüfen müssen, kann man sich gut vorstellen.

Auch nicht konsequent ist, dass ein großer Sektor, in dem mutmaßlich Geld gewaschen wird, von Kontrollen und Überwachungsmaßnahmen weitestgehend verschont bleibt, und zwar Spielhallen und Betreiber von Münzspielautomaten. Das ist insofern erstaunlich, als dass Experten und Ermittler davon überzeugt sind, dass Spielhallen einen wesentlichen Beitrag zur Geldwäsche leisten.

Nach einem Bericht des „SPIEGEL“ hat sich die Zahl der Automaten seit 2006 vervierfacht und der Umsatz wuchs um 40 %.

Ob das Aussparen der Spielhallen im Geldwäschegesetz etwas mit der großzügigen Unterstützung des Spielautomatenherstellers Gauselmann für eine politische Partei zu tun hat, sei einmal dahingestellt.

Jedenfalls sagt der Geldwäscheexperte des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, zu „SPIEGEL ONLINE“: „Die Regierung“ – damit ist die Berliner Regierung gemeint – „hat die Wünsche der Automatenindustrie eins zu eins umgesetzt, …“ Das sei „ein klarer Sieg der Glücksspiellobby“.

Dies sind natürlich alles Dinge, die auf Bundesebene geregelt und korrigiert werden müssten. Eine Initiative der Landesregierung über den Bundesrat zur Behebung dieses Missstands würden wir übrigens begrüßen.

Wenn man bei den OECD-Berichten zwischen den Zeilen liest, dann ist Deutschland insgesamt ein Hort der Geldwäsche und nicht Nordrhein-Westfalen allein.

Kommen wir zu dem Antrag der CDU und den im Geldwäschegesetz vorgesehenen Kontrollen in der Zuständigkeit der Länder. Im Antrag wird ein Verordnungsentwurf der Landesregierung kritisiert. Wir haben schon einiges darüber gehört. Es wird von der Übertragung der Geldwäscheüberwachung an die örtlichen Ordnungsbehörden gesprochen. Zweihundert Stichproben bei 46.000 Händlern – Herr Biesenbach hat es erwähnt. Ein deutliches Zeichen gegen Geldwäsche ist da nicht zu sehen. Zweihundert Stichproben in ganz NRW bedeuten eine halbe Stichprobe pro Kommune pro Jahr. Das geht sicher nicht. Ich sehe da schon die angstvollen Gesichter des organisierten Verbrechens wie sie zittern.

Aber vielleicht ist auch alles ganz anders. Herr Biesenbach hat ebenfalls die Zeitungsmeldung angesprochen, dass vielleicht der Verordnungsentwurf schon wieder zurückgezogen ist. Wir wissen es nicht, von welchem Verordnungsentwurf mit welchem Inhalt hier die Rede ist und wer welche Aufgaben bei der Geldwäschebekämpfung übernimmt oder übernehmen soll. Das hören wir vielleicht von Herrn Minister Duin am besten selber. Wir werden ja im Ausschuss noch darüber beraten. Daher mache ich das Pult frei für den Minister. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. Wir hatten gerade vergessen, rechtzeitig die Uhr zu starten. Aber das hat ja mit dem Ende dann hervorragend geklappt. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank auch für die Debatte, die wir anlässlich des Antrages der CDU-Fraktion hier jetzt geführt haben und der ich sehr aufmerksam gefolgt bin.

Ich denke, es ist klug, dass man sich hier auf das, was eigentlich geregelt werden soll, konzentriert. Es ist klug, nicht die ganz große Welle der Bekämpfung der internationalen Geldwäschemafia sozusagen als Maßstab dafür nimmt, was hier im Detail eigentlich zu regeln ist.

Es geht darum, dass wir natürlich das ganze Thema „Geldwäscheprävention“ sehr ernst nehmen und eine optimale Vollzugslösung für die Überwachung der verpflichteten Gewerbetreibenden suchen. Das steht im Mittelpunkt.

Vor diesem Hintergrund hatte die Landesregierung ursprünglich eine aufgeteilte Zuständigkeit zwischen den Bezirksregierungen einerseits und den Kreisordnungsbehörden andererseits favorisiert.

Die CDU-Fraktion hat jetzt aufgegriffen, was über die Presse, was in vielen Fachgesprächen natürlich auch mit den Ministerien und insbesondere seitens des Städtetages proklamiert worden ist. Der Städtetag lehnt eine Einbindung kommunaler Ordnungsbehörden ganz grundsätzlich ab, und zwar mit der Begründung, Geldwäscheprävention stelle in vollem Umfang eine polizeiliche Tätigkeit dar.

Noch bevor wir zu dem Punkt kommen, wer es denn in Zukunft real machen soll, möchte ich sagen: Ich finde diese Haltung inhaltlich nicht richtig. Wir sehen das durchaus anders. Denn es geht ausschließlich um die Kontrolle der Einhaltung bestimmter formaler Pflichten durch Gewerbetreibende. Ergeben sich dabei Verdachtsmomente für eine Geldwäsche, muss die jeweilige Behörde eine Verdachtsanzeige natürlich bei den zuständigen Polizeibehörden erstatten. Für die anschließende polizeiliche Ermittlungsarbeit ist sie dann auch nicht mehr zuständig.

Dass das Bundesgesetz – vielen Dank noch einmal für den Hinweis, dass ich selbst dabei gewesen bin – die Terrorismusbekämpfung – das meinte ich auch mit meiner Eingangsbemerkung – nennt, dürfte zu dem Missverständnis vielleicht beigetragen haben. Zuletzt war auch darüber mit dem Städtetag keine inhaltliche Diskussion mehr möglich.

Durch diese Beschreibung wird noch einmal deutlich, dass jedenfalls das Bild von den Politessen, das hier zu Beginn der Debatte gemalt worden ist, wirklich an der Realität und an diesen Überlegungen vorbeigeht.

Alle Bundesländer stehen in gleicher Weise vor der Aufgabe, eine funktionierende Geldwäschekontrolle aufzubauen. Es besteht großes Einvernehmen – das ist in der Debatte ja jetzt auch schon einmal betont worden –, dass hierbei die risikoorientierten Ansätze zu verfolgen sind. Dazu gehört es eben auch, präventiven Maßnahmen wie Information, Aufklärung und Beratung gerade zu Beginn eine besondere Bedeutung zukommen zu lassen. Schriftliche Abfragen und Vor-Ort-Kontrollen schließen sich dann entsprechend an.

Der Bund – wer auch immer damals an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen ist – hätte es ja einheitlich regeln können – Stichwort: BaFin. Es gibt aber seitens des Bundes keine Vorgaben zur notwendigen Kontrolldichte. Deshalb müssen wir diese erforderliche Kontrollintensität nach und nach im Rahmen einer entsprechenden Evaluierung ermitteln.

Ich bin davon überzeugt, dass ein funktionierender Vollzug in allen Bundesländern nur Schritt für Schritt aufgebaut werden kann. Wichtig ist, dass wir so schnell wie möglich damit beginnen.

In dieser Debatte ist bereits von dem Kollegen die aktuelle Berichterstattung dazu angesprochen worden. Dem ist inhaltlich im Grunde nicht viel hinzuzufügen. Ich will nur darauf hinweisen, dass wir das, was aus der kommunalen Familie dazu gesagt worden ist, sehr ernst nehmen, auch wenn wir es inhaltlich nicht in jedem Punkt teilen. Dem hiesigen Gesetzgeber, der ja am Ende auch über den Haushalt des Landes zu entscheiden hat, muss aber klar sein – Sie haben mich hier gerne an Ihrer Seite –, dass, wenn wir es mit der Bezirksregierung machen, wir auf dieser Ebene die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen müssen. Sonst wird es nämlich keine risikoorientierte und wirklich angemessene Kontrolldichte geben. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir es auf dieser Ebene machen.

Ich glaube, die weiteren Diskussionen in den nächsten Wochen werden ein gutes Ergebnis bringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Minister Duin.

Über Überweisungsempfehlungen stimmen wir ja auch in der ansonsten abstimmungsfreien Mittagszeit ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrag Drucksache 16/2633 an den Ausschuss für Kommunalpolitik – federführend – sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Ich frage, wer für diese Überweisungsempfehlung stimmen möchte. – Jemand dagegen, oder enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung so angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

6   Landesweite Einführung der Schulverwaltungsassistenz zur Verbesserung der Schulqualität in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2634

Ich eröffne die Beratung. – Für die antragstellende CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Vogt.

Petra Vogt (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussionen der vergangenen Wochen über den Reallohnverlust bei Beamten ab A13 und die zahllosen Proteste dazu aus der Lehrerschaft zeigen sehr deutlich, dass die bestehenden Strukturen im nordrhein-westfälischen Schulwesen nicht zukunftsfähig sind. Man kann Lehrerinnen und Lehrern nicht immer mehr Aufgaben übertragen, wofür sie häufig nicht einmal ausgebildet sind, und ihnen dann als „kleines Dankeschön“ dafür erklären, dass man sie aber leider nicht richtig bezahlen kann. Ein solches Verhalten demotiviert und führt im schlimmsten Fall zu innerer Kündigung. Die zahllosen E-Mails, die wir alle als Abgeordnete in den vergangenen Wochen bekommen haben, sprechen da eine sehr deutliche Sprache.

Was aber führt neben dieser mangelnden Wertschätzung, die sich natürlich auch in dem Nichtübernehmen des Tarifergebnisses ausdrückt, zu den vielfältigen Klagen der Lehrerinnen und Lehrer? – Wenn man sich das genauer anschaut, dann erkennt man, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer überfordert fühlen. Warum fühlen sie sich überfordert?

Sie können sich häufig nicht in dem Maße, in dem sie es gerne möchten, auf ihre eigentliche Kernaufgabe, den Unterricht, konzentrieren. Zahlreiche bürokratische Pflichten halten sie davon ab. Nach einer amtlichen Untersuchung verbringen Lehrerinnen und Lehrer ein Zehntel ihrer Arbeitszeit mit sogenannten nichtunterrichtlichen Tätigkeiten. Dazu zählen sicher unverzichtbare Aufgaben, aber es sind eben auch ganz viele verwaltungstechnische Tätigkeiten, die deutlich besser von Fachleuten erbracht werden könnten.

Bereits im Frühjahr 2007 wurde von der CDU-geführten Landesregierung das Pilotprojekt „Schule und Verwaltung in einem Boot“ eingeführt. Diese Schulverwaltungsassistenten sind mittlerweile ein wichtiger Bestandteil des Schullebens. Sie unterstützen Schulleitungen und Lehrkräfte bei vielfältigen organisatorischen Aufgaben und tragen somit zur Weiterentwicklung der Schulqualität bei.

Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir dieses erfolgreiche Projekt ausweiten. Bis 2017 sollen 3.000 Schulverwaltungsassistenten flächendeckend an den Schulen in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden und damit Lehrerinnen und Lehrer entlasten. Zur Fortentwicklung dieser Maßnahme wollen wir in Nordrhein-Westfalen darüber hinaus das Berufsfeld „Schulverwaltungsassistenz“ einführen.

Den Lehrkräften bliebe dann mehr Zeit für pädagogische und fachliche Arbeit. Sie haben mehr Zeit für ihre Schülerinnen und Schüler. Das führt zu besserem Unterricht, mehr Zufriedenheit bei den Lehrenden und Lernenden und vielleicht, wenn sich dann auch noch das Ministerium auf diesen Weg begibt, in den kommenden Jahren zu problemlos durchgeführten Abiturprüfungen.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

– In Gänze, Frau Löhrmann. Über dieses Thema können wir noch unter einem anderen Tagesordnungspunkt sprechen. Das ist sicherlich für alle ein wichtiges Thema, das sich von dem Thema „Wie organisiere ich Schule?“ nur ausgesprochen schlecht trennen lässt.

Über die Finanzierung werde ich mich mit Ihnen am heutigen Tage nicht mehr austauschen. Die Finanzierung haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen vorgeschlagen. Sie haben alle unsere Finanzierungsvorschläge dazu abgelehnt. Von daher würden wir uns am heutigen Tage sehr gerne auf eine inhaltliche Diskussion mit Ihnen einlassen. Vielleicht können Sie ja, auch wenn Sie unseren Finanzierungsvorschlägen bei den Haushaltsberatungen in keiner Weise folgen konnten, heute unserer inhaltlichen Idee folgen, unseren Schulen in Nordrhein-Westfalen mehr Unterstützung zu geben.

Dafür werben wir, und wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie den Weg mit uns gehen würden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Vogt. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Weiß.

Rüdiger Weiß (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Im Jahr 2007 stand die damalige schwarz-gelbe Landesregierung hier in NRW vor dem Problem, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgelöster oder aufzulösender Landesbehörden anderswo unterzubringen. Sie haben – wenn man das resümiert – also an der einen Stelle Personal weggenommen, um es an anderer Stelle wieder unterzubringen. Umgesetzt wurde das Ganze damals durch den Start eines Pilotprojektes namens „Schulverwaltungsassistenz“. Es ist übrigens bis heute ein Pilotprojekt geblieben, meine Damen und Herren.

347 Personen sind bis jetzt in diesem Bereich in Schulen tätig. Ihre Besoldung reicht von der Besoldungsgruppe A6 bis zur Besoldungsgruppe A13. A13 ist immerhin die Besoldung eines Studienrates. Diese Stellen werden auf den jeweiligen Stellenbedarf der Schulen in Höhe eines Drittels einer Lehrerstelle angerechnet. Hierfür werden ebenfalls auch die Anrechnungsstunden für die Schulleiterpauschale und die Stunden genommen, die in der Regel dem Kollegium zur Erledigung bestimmter Aufgaben zur Verfügung stehen.

Das Projekt ist im März 2011 im Auftrag des inzwischen aufgelösten Landesamtes für Personaleinsatzmanagement evaluiert worden – zum Teil mit sehr, sehr differenzierten Ergebnissen, die in Ihrer Vorlage keine Beachtung finden. Fragen der Zufriedenheit nicht nur der Assistentinnen und Assistenten, sondern auch des Kollegiums werden von Ihnen nicht behandelt. Der zum Teil sehr diffuse Aufgabenbereich der Assistentinnen und Assistenten wird ebenso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass bis zum heutigen Tag die Arbeitsplatzausstattung in vielen Fällen unzureichend ist.

Etwas überraschend ist Ihr Vorschlag auch im Hinblick auf Ihr eigenes Vorgehen bei den letzten Haushaltsplanberatungen, als Sie vorgeschlagen hatten, Lehrerstellen in beträchtlicher Höhe abzubauen, um dafür diese Assistenzstellen zu schaffen. Jetzt lautet der Vorschlag anders: Es kommen praktisch noch einmal 3.000 Assistenzstellen – sozusagen „on top“ – obendrauf, ohne dass Lehrerstellen wegfallen sollen.

Ich frage mich allen Ernstes: Wie wollen Sie das denn finanzieren? Wir reden hier von einem Kostenvolumen von etwa 120 Millionen €. Aus welchem Ressort soll das denn bezahlt werden? Selbst wenn der Eigenanteil der Schule dagegen gerechnet wird, verbleibt ein Rest von etwa 70 Millionen €, der nicht belegt und nicht finanziert werden kann.

Völlig konfus finde ich in diesem Zusammenhang den gestrigen Wortbeitrag der Kollegin zum Thema „Schulsozialarbeit“. Da wurde gesagt, Ihre Vorschläge zu dem Themenbereich „Finanzielle Ermöglichung und Sicherstellung“ lägen unter dem Stichwort „Schulverwaltungsassistenten“ vorl. Übersetzt heißt das für mich: Wieder sind die Kommunen mit im Boot, wieder soll es zulasten der Lehrerstellen gehen, und wieder soll das Land komplett durchfinanzieren. Ich habe eigentlich gedacht, dass wir uns alle vorgenommen hätten, bis 2020 die Schuldenbremse einzuhalten.

Vielleicht haben Sie – mag ja sein – auch daran gedacht, in dieser Frage den Bund mit ins Boot zu holen. Dieser Gedanke hätte einen gewissen Charme.

Die eben angesprochene völlig unterschiedliche Bezahlung – immerhin umfasst sie eine Spreizung von acht Besoldungsgruppen – muss auf jeden Fall diskutiert werden. Welche halten Sie denn für angemessen? A6? A13?

Sie erwähnen in Ihrem Antrag mit keinem Wort, dass nicht nur das Land Mittel bereitstellen muss, sondern dass das natürlich auch die Kommunen als Schulträger tun müssen. Die sind nämlich bei der Schaffung der Rahmenbedingungen mit im Boot. In welcher Höhe soll das denn passieren? Kein Wort davon steht in Ihrem Antrag.

Wir haben in Summe etwas mehr als 6.000 Schulen. Sie wollen 3.000 Schulverwal-tungsassistenten schaffen. Das ist flächendeckend. Warum kommen Sie auf 3.000? Woher nehmen Sie diese Zahl? Auch sei die Frage erlaubt: Ist ein Schulverwaltungsassistent an kleineren Schulen überhaupt notwendig?

Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass man zur Besetzung dieser Assistenzstellen Bedienstete aus der öffentlichen Verwaltung – also auch aus der Landesverwaltung bzw. aus den Ministerien – nehmen könne, die an anderer Stelle nicht mehr benötigt würden. Hier hätten Sie uns alle miteinander einmal schlauer machen können, hätten Sie die Namen etwa der Städte oder Angaben über die Teile der Ministerien beigefügt, wo solche Personen heute noch herumlaufen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mir sind keine bekannt. Auch diejenigen, die aus den Landesbehörden kamen sind mittlerweile alle versorgt.

Sie, liebe CDU, wollen eine Zitrone auspressen, die lange gelutscht ist. Alles in allem gibt es in Ihrem Antrag viel Ungereimtes und viel, viel Diskussionswürdiges. Wir sollten die Gelegenheit wahrnehmen, uns dann mit dem Antrag vertieft zu beschäftigen, wenn er im Schulausschuss – da kommt er ja hin; das ist auch gut so – auf der Tagesordnung steht. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir, meine Damen und Herren, einem solchen Antrag nicht zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kommt nun der Kollege Bas zu seiner Premiere hier im Hohen Haus. Ich wünsche ihm dafür viel Erfolg.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne. In Nordrhein-Westfalen arbeiten seit 2007 rund 347 Schulverwaltungsassistentinnen und -assistenten. Diese Assistentinnen und Assistenten unterstützen derzeit an 389 Schulen Schulleitungen und Lehrerkollegien bei der Bewältigung administrativer Aufgaben. Dies machen sie übrigens zu vollster Zufriedenheit der Schulen.

Die Finanzierung dieser 347 Assistenzen erfolgte seinerzeit zu einem Drittel aus Lehrerstellen und aus weiteren Anteilen, welche aus dem Abbau von Strukturen in den Landesbehörden zusammenkamen. Das betroffene Personal wurde übrigens wohnortnah vom mittlerweile aufgelösten Landesamt für Personaleinsatzmanagement zugeordnet.

Nun fordert die CDU in ihrem Antrag die flächendeckende Einführung von 3.000 Schulverwaltungsassistenzen, um den Lehrkräften in Nordrhein-Westfalen mehr Zeit zum Unterrichten zu geben. Was auf den ersten Blick nach einer pädagogischen Wohltat für unsere Schulen aussieht, wirkt beim Blick auf die Finanzierung schon ganz anders. Wenn wir der Forderung nach 3.000 neuen Schulverwaltungsassistenzen nachkämen, müssten nach dem Finanzierungsschlüssel zuerst 1.000 Lehrerstellen verwendet werden. Da wir im Gegensatz zu 2007 keine weiteren Mittel aus der Zusammenlegung von Landesbehörden mal eben zur Hand haben, müssten somit rund 70 Millionen € irgendwo aus dem Haushalt genommen werden. Derzeit ist das aber so nicht möglich.

Hinzu kommt, dass 3.000 neue Verwaltungsmitarbeiter nicht ohne Weiteres zu bekommen sind. Ginge es nach der CDU, so sollten die von Ihnen geforderten Schulverwaltungsassistenzen aus den sogenannten demografischen Gewinnen aus dem Schulsystem bezahlt werden. Ihrer Meinung nach wären bei zurückgehenden Schülerzahlen zu viele Lehrerstellen im System. In Summe ergäbe das rund 470 Millionen €, die man für diese Wohltaten verwenden könnte.

Wir halten es für falsch, die Lehrerstellen dafür zu streichen. Denn wir vertreten die Meinung, dass wir jede Lehrerstelle im System brauchen, um vor allen Dingen den Herausforderungen der Inklusion gewachsen zu sein.

Dementsprechend werden wir natürlich diesem Anliegen der CDU nicht zustimmen. Auf die Diskussion im Ausschuss zu dem von Ihnen geforderten Berufsbild „Schulverwaltungsassistenz“ freue ich mich aber. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Daniel Düngel: Herzlichen Dank, Herr Kollege Bas. Im Namen des Hohen Hauses darf ich Ihnen recht herzlich zu Ihrer Jungfernrede gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Gebauer für die FDP-Fraktion.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne noch einmal auf das eingehen, was Herr Weiß gesagt hat: Wenn wir nach der Zufriedenheit gehen, und zwar sowohl der Zufriedenheit der Schulverwaltungsassistenten wie auch der Lehrer, dann haben wir es mit einer spannenden Frage zu tun, insbesondere dann, wenn wir in diesem Zusammenhang ansprechen, dass – wie von Frau Vogt schon erwähnt – ein Großteil der Lehrer leer ausgegangen ist, was die Übertragung der Tarifergebnisse betrifft. Ich bin gespannt, wie es dann mit der Zufriedenheit aussieht. Diesen Ball spiele ich gerne zurück.

(Beifall von der FDP)

Ich kann nur sagen, dass die Arbeit, die Schulverwaltungsassistenten – unabhängig von ihrer Eingruppierung – vor Ort leisten, an den vielen Stellen, an denen ich war, immer sehr geschätzt worden ist. In vielen Bereichen bedeuten sie eine sehr große Entlastung.

Meine Damen und Herren, die alles entscheidende Frage im Land, im Bund, aber auch in den Kommunen lautet immer wieder: Wie kann man intelligent sparen und gleichzeitig die Effizienz steigern? – Angesichts der katastrophalen Haushaltslage, in der wir uns in Nordrhein-Westfalen befinden, müssen wir natürlich sämtliche Bereiche nach möglichen Effizienzgewinnen durchforsten. Wir wünschen uns natürlich alle, dass zusätzliche Entlastungsmaßnahmen on top kommen.

Herr Weiß, ich war bei den Haushaltsplanberatungen im Plenum und im Ausschuss anwesend, hatte aber die CDU nicht so verstanden, dass sie Schulverwaltungsassistenz on top möchte, sondern sie hat entsprechende Alternativvorschläge präsentiert

Es ist richtig: Wir müssen uns natürlich um die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes kümmern und diese immer im Blick haben, denn nur so können wir für die Zukunft ein gut ausgestattetes und leistungsstarkes Schulwesen in Nordrhein-Westfalen sicherstellen. Und das möchten wir wohl alle.

Wir als FDP setzen auf intelligentes Sparen durch Effizienzsteigerungen und haben uns im Zuge der Haushaltsplanberatungen – ähnlich wie die CDU – das Instrument der Schulverwaltungsassistenten näher angesehen. Sie wissen es: Lehrerinnen und Lehrer sollen unterrichten und heutzutage auch viel erziehen, nicht aufräumen, Listen führen oder sogar Schulinventar verwalten. Schaut man sich alleine die Zahl der Lehrerstellen an, die für nichtunterrichtliche Tätigkeiten bereitgestellt werden, ließen sich dort deutliche Effizienzgewinne erzielen. Alleine im Schuljahr 2011/2012 handelte es sich um mehr als 18.000 Stellenäquivalente.

Es sei auch erwähnt, dass viele Aufgaben wie zum Beispiel Beratungen und Ähnliches nur durch Lehrkräfte wahrgenommen werden können. Das ist gar keine Frage. Es gibt oft aber genug Aufgaben, von denen die Pädagogen vor Ort tatsächlich entlastet werden könnten. Von daher halten wir wie die CDU den vermehrten Einsatz von Schulverwaltungsassistenten an dieser Stelle für geboten. Dieser Einsatz kann den Schulen eine bürokratische Entlastung ermöglichen. Er kann auch durch das Umsetzen nicht mehr benötigten Personals aus der Verwaltung und durch Effizienzgewinne im System Schule Einsparungen generieren.

Auch wenn wir mit der Union grundsätzlich übereinstimmen, scheinen uns die von der CDU erwarteten Einsparungen in Höhe von 300 Millionen € bis 2017 doch etwas gewagt. Auch sind aus unserer Sicht zum Beispiel die Kosten für die Schulverwaltungsassistenten, die die CDU im Jahr 2013 angesetzt hat, zu niedrig kalkuliert. Wir haben deutlich vorsichtiger prognostiziert und erwarten bis zum Jahr 2017 mögliche Einsparpotenziale in Höhe von rund 150 Millionen €. Das halten wir für erreichbar, allerdings nur unter der Bedingung, dass wir zeitnah mit einer solchen Maßnahme beginnen.

(Beifall von der FDP)

Also: Die Richtung des Antrags der CDU stimmt. Über die erreichbaren Ziele werden wir im Ausschuss noch entsprechend diskutieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und Petra Vogt [CDU])

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Bayer von der Piratenfraktion.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Lehrkräfte an unseren Schulen 10 % ihrer Arbeitszeit mit nichtpädagogischen Arbeiten verbringen, klotzen sie mit der Zeit, die im höchstmöglichen Maße für die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern zur Verfügung stehen sollte.

Wir setzen uns dafür ein, dass Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Arbeit durch nicht lehrendes Personal wie zum Beispiel Verwaltungspersonal und Assistenzen unterstützt werden. Daher begrüßen wir den Antrag der CDU-Fraktion auf flächendeckende Einsetzung von Schulverwaltungsassistenten sowie besonders die Einführung eines entsprechenden Berufsbildes. Lehrer sollen sich auf ihre eigentliche pädagogische Kernaufgabe konzentrieren können, statt ihre Arbeitszeit mit fachfremden und dadurch auch zeitraubenden Verwaltungsarbeiten ausfüllen.

Wir gehen aber noch einen Schritt weiter, denn wir fordern nicht unterrichtendes Personal nicht nur zur Entlastung bei Verwaltungsaufgaben, sondern wir wollen auch einen flächendeckenden Einsatz von Psychologen und Sozialpädagogen an Schulen, die das Lehrpersonal fachlich entlasten und zu einer verbesserten Schulkultur beitragen.

Übrigens: Auch die stets unterschätzten Kopieraufgaben werden zu einer Herausforderung, da für diese spezielle Kenntnisse im Bereich des Urheberrechts erforderlich sind. Die Einhaltung des Urheberrechts beim Kopieren aus Schulbüchern ist sehr aufwendig und sollte lehrerübergreifend organisiert und sorgfältig zentral protokolliert werden, da zum Beispiel darauf zu achten ist, dass maximal 12 % bzw. 20 Seiten pro Schulbuch ab dem Erscheinungsjahr 2005 sowie pro Klasse und Jahr kopiert werden und auch niemals doppelt kopiert werden dürfen.

Eine zentrale Kopienverwaltung im Rahmen von Vertretungen in interdisziplinären Ansätzen ist damit schon unabdingbar. Ohne zusätzliche Unterstützung ist die Einhaltung dieser Kopierregeln kaum leistbar. Das nur als kleiner Exkurs, welche neuen Zusatzaufgaben man zwischen Inklusion und Lernentwicklungsplan inzwischen noch an Schulen für Lehrer findet.

Schulverwaltungsassistenten sind kein pädagogisches Personal, aber auch weder Hausmeister noch Sekretärin. Sie dürfen jedoch mit allem beschäftigt werden, was nicht Unterricht ist oder zu den Aufgaben des Schulträgers zählt. Dies sind teilweise sehr differenzierte Aufgabenfelder für die Assistenten. So ist beispielsweise das Erstellen von amtlichen Statistiken durchaus eine Aufgabe, die bestimmte Fähigkeiten und Schulungen erfordert. Auch das Plus an Zuständigkeit für Personalangelegenheiten bringt einzelnen Schulen Mehrverwaltungsaufwand, wo eine Entlastung hilfreich wäre.

Der Antrag der CDU lässt noch zwei wesentliche Dinge offen: Erstens. Wo sollen die neuen gut 2.500 Schulverwaltungsassistenten herkommen? Im Antrag wird von den Bediensteten aus der öffentlichen Verwaltung, die an anderen Stellen nicht benötigt werden, gesprochen. Bisher kamen die Verwaltungsassistenten aus Behörden, die im Zuge der Verwaltungsstrukturreform aufgelöst werden mussten; Herr Weiß erwähnte das.

Ich bin da auf eine Idee gekommen, ich erahne die von Ihnen angedachte Quelle: wahrscheinlich die Portigon AG. Die ehemaligen WestLB-Mitarbeiter gehen an die Schulen, haushaltsneutral, 2.500 zusätzliche Verwaltungsassistenten gefunden. Daher, Herr Weiß, haben Sie die Zahl 3.000. Die Bankenrettungsbranche tut endlich einmal etwas für die Gesellschaft.

(Beifall von den PIRATEN – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)

Nehmen wir einmal rein fiktiv an, das funktioniert nicht mit den Portigon-Mitarbeitern an den Schulen, verteilt über das ganze Land. Da kommen wir zum Zweiten: Wie sollen diese neuen Stellen finanziert werden? – Im Abschlussbericht des Pilotprojekts Schulverwaltungsassistenz von 2011 wird deutlich, dass durch die eingesetzten Assistenten neben neuen, offensichtlich positiven quantitativen Effekten vor allem auch Effekte qualitativer Natur zu verzeichnen sind. Die Verbesserung der Schulqualität ist Ziel des Einsatzes von Schulverwaltungsassistenten. Dies kann aber nicht bedeuten, dass Schulen den Einsatz von Schulverwaltungsassistenten mit Lehrerstellen gegenfinanzieren. Aktuell werden Schulverwaltungsassistenten zu einem Drittel – wir haben es gehört – auf den jeweiligen Stellenbedarf der Schule angerechnet. Dies mindert selbstverständlich die Entlastungseffekte für die Schulen. Wie sich dann das Kosten-Nutzen-Verhältnis verschiebt, wenn man das auch noch erhöht, kann sich jeder selbst ausrechnen.

Schulverwaltungsassistenten sollten das Lehrpersonal entlasten und nicht ersetzen. Das möchte ich an dieser Stelle festhalten, wenn es um die Finanzierung geht. Das bedeutet, wenn wir die Qualität unserer Schulen wirklich verbessern wollen, dann müssen die Schulen auch entsprechende finanzielle sowie personelle Ressourcen haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gehört. Es gibt seit fünf Jahren Schulverwaltungsassistenten an öffentlichen Schulen, um die Schulleitung und die Lehrkräfte zu entlasten, damit sie mehr Zeit für ihre originären Aufgaben haben. So weit, so gut.

Die Entstehungsgeschichte war aber nicht – und das ist eben von Herrn Weiß schon gesagt worden – Ausgangspunkt, nach dem Motto: Wir wollen jetzt etwas Gutes für die Schulen tun. Ausgangspunkt war vielmehr, dass Sie Personal von Behörden, die Sie aufgelöst haben, von denen Sie meinten, sie nicht mehr zu benötigen, sinnvoll einsetzen zu wollen.

Diese Personen stammen aus aufgelösten und zusammengelegten Behörden, wurden durch das PEM, das Landesamt für Personaleinsatzmanagement, vermittelt und haben mit dem Einsatz an Schulen eine wohnortnahe Beschäftigung erhalten. Es gibt ein Gutachten, in dem ausgeführt ist, dass es positive Erfahrungen gibt. Auch verbandsübergreifend wird der fachliche Einsatz der Schulverwaltungsassistenten begrüßt.

Die Fraktion der CDU beantragt jetzt, dass der Landtag erstens einen flächendeckenden Einsatz von 3.000 Schulverwaltungsassistentinnen und -assistenten bis zum Jahr 2017 beschließen möge und zweitens die Einführung des Berufsbildes „Schulverwaltungsassistenz in Nordrhein-Westfalen“.

Meine Damen und Herren, das klingt gut, aber aus Sicht der Landesregierung macht es sich die CDU mit diesem vermeintlich guten Vorschlag nun wirklich sehr, sehr leicht. Ich bin dankbar, dass auch die FDP-Fraktion und die Piratenfraktion neben den Vertretern der Koalitionsfraktionen auf die Probleme Ihres Antrags hingewiesen haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Jahre 2007 und 2008 sind mit 2013 nicht zu vergleichen. Ich möchte Ihnen das an vier Punkten noch einmal deutlich machen: Auf die damalige Finanzierung kann nicht zurückgegriffen werden. Bisher haben wir ein Drittel Lehrerstellen, zwei Drittel aus Stellen dieser aufgelösten Ämter. Die Umsetzung des CDU-Antrags, 3.000 Assistenzen einzusetzen, löst einen Finanzierungsbedarf von rund 120 Millionen € aus. Ich möchte das einmal klar machen vor dem Hintergrund unserer Diskussionen bei den Haushaltsberatungen. Man muss doch einmal deutlich machen, wie unseriös das ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweiter Punkt. Das damalige Projekt der CDU/FDP-Landesregierung basierte auf der Vermittlung von Verwaltungsbeschäftigten mit kw-Stellen-Vermerk. Das waren Menschen, die man sonst in ihren alten Funktionen nicht gebraucht hätte. Und nach Auflösung des Landesamtes für Personaleinsatzmanagement Ende Juni 2012 ist kein Verwaltungspersonal aus Landesbehörden vorhanden, das wohnortnah unterzubringen wäre. Insofern stimmt das da an zwei Stellen sehr systematisch nicht. Ich finde es fahrlässig, dass Sie einen Antrag stellen, der Erwartungen weckt, von denen Sie selber wissen, dass diese nicht erfüllt werden können, meine Damen und Herren. Man muss sehr deutlich sagen, dass das fahrlässig ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Angesichts der Haushaltssituation und vor dem Hintergrund der Reduzierung der Neuverschuldung mit Blick auf die zu erreichende Schuldenbremse ist der Ausbau mit 3.000 neuen Schulverwaltungsassistenzen aus Sicht der Landesregierung nicht realisierbar.

Was wir tun, ist: Wir prüfen, ob es eine Weiterentwicklung der vorhandenen 347 geben kann, die zur Unterstützung der Schulen bereits eingesetzt sind. Hier sind die Verhandlungen zwischen den betroffenen Ressorts aber noch nicht abgeschlossen. Wir sagen sehr deutlich, dass wir im Moment froh sind, wenn wir das halten können, was wir haben. Diese Regierung verspricht aber nicht, einfach etwas auszuweiten, wenn sie die Finanzierung und auch die personelle Entwicklungsperspektive nicht sieht. Wir arbeiten seriös und verlässlich für die Schulen in Nordrhein-Westfalen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Wir haben 13:37 Uhr und sind am Schluss der Beratung dieses Tagesordnungspunktes.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat möchte den Antrag Drucksache 16/2634 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – und mitberatend an den Haushalts- und Finanzausschuss überweisen. Wer möchte dieser Überweisungsempfehlung zustimmen? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

7   Staatsangehörigkeitsgesetz modernisieren: Einbürgerungen erleichtern, mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglichen

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2616

Ich eröffne die Beratung. – Für die antragstellende SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen von Grünberg das Wort. – Er ist anscheinend noch nicht im Saal. Dann nehmen wir zunächst Kollegin Velte für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Velte ist hier, ich freue mich. Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Jutta Velte (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist jetzt etwas ungewöhnlich. Wir sind etwas eher dran als sonst. Ich freue mich aber, dass ich jetzt zu Ihnen sprechen darf.

Ich spreche zu einem Antrag, der uns als Grünen und insbesondere mir persönlich sehr am Herzen liegt. Denn es geht um sehr viele junge Menschen in diesem Land, die darunter zu leiden haben, dass sie der Optionspflicht unterliegen, dass sie sich bis zu ihrem 23. Lebensjahr entscheiden müssen, ob sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, ihrer Großeltern, ihrer Familien annehmen, ob sie ihre Wurzeln annehmen oder ob sie sich für die Staatsangehörigkeit des Landes entscheiden, in dem sie aufgewachsen sind, in dem sie sich sozialisiert haben, in dem sie Freunde gefunden haben, dessen Sprache sie sprechen, wo ihr Zuhause ist und in dem sie sich gesellschaftlich auf allen Ebenen, auch auf der politischen, betätigen wollen.

Das ist eine schwierige Entscheidung für die jungen Leute, eine schwierige Entscheidung für alle, die davon betroffen sind. Diese Entscheidung war schon bei ihrer Erfindung im Jahre 1999 höchst umstritten. Es ist ein deutscher Sonderweg, vor allem auch in der Hinsicht, dass EU-Angehörige dieser Wahlpflicht überhaupt nicht unterliegen. Sie können zwei Pässe haben wie auch der frühere Ministerpräsident in Niedersachsen. Das schließt die politische Teilhabe nicht aus. Da ist auch die schwierige Entscheidung nicht erforderlich.

Es gibt also in Deutschland eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: diejenigen, die zwei Pässe haben – das ist über die Hälfte –, und diejenigen, die nur über einen Pass verfügen dürfen.

Wir sagen in diesem Antrag: Wir möchten mit dieser Praxis Schluss machen. Ich glaube, dass wir in Nordrhein-Westfalen auf diesen Antrag sehr stolz sein können. Wir können stolz darauf sein, denn wir sind das Land der Vielfalt. Mit diesem Antrag bekennen wir uns auch zu der Vielfalt in diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])

Wir fordern mit diesem Antrag nicht mehr und nicht weniger als die Anerkennung der Lebensleistung derer, die zum Beispiel in den 50er-Jahren eingewandert sind, bei Opel gearbeitet haben, das Werk mit aufgebaut haben, die jetzt in derselben Situation stehen wie alle anderen auch, die in diesem Land mitgewirkt haben.

In diesem Sinne hoffen wir, dass wir durch die Veränderungen, die wir anregen – das sind sehr weitreichende Veränderungen – zu einer Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts kommen. Zum Beispiel geht es um die Frage, ob Fristen angerechnet werden können. Wenn zum Beispiel Menschen in Deutschland studieren, dann wird die Studienzeit nicht darauf angerechnet, ob sie in Zukunft die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen können oder nicht. Nach dem Studium müssen sie praktisch acht Jahre draufsatteln.

Andersherum: Wenn ein Mensch 17 Jahre in Deutschland als Asylbewerber gelebt hat, endlich sein Verfahren durchbekommen hat, muss er weitere acht Jahre warten, bis er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen kann. Das halten wir für falsch. Wir glauben, dass die Zeiten vorher, die in diesem Land verbracht worden sind, die zur Sozialisation in diesem Land beigetragen haben, angerechnet werden müssen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir Erleichterungen für die Menschen schaffen müssen, die hier leben, arbeiten, wohnen und ihr gesellschaftliches Teilhaberecht ausüben wollen.

Ich möchte kurz darauf eingehen – es hat im Vorfeld Verwirrung gegeben –, dass einige bei diesem Antrag nicht mit dabei sind. Ich möchte dabei auch auf die stete Weigerung der CDU eingehen, sich einem solchen Antrag anzuschließen. Nicht nur, dass Sie dadurch die Lebenswirklichkeit in diesem Land ignorieren, nicht nur, dass Sie es sich sparen können, in Sonntagsreden von der Frage der Willkommenskultur, von den Bürgerrechten zu sprechen, von all diesen Dingen, von Facharbeitern zu sprechen – das können Sie sich in Zukunft sparen.

Ich bitte Sie inständig, dafür Sorge zu tragen, dass das Ganze nicht in menschenfeindliche Äußerungen ausartet, wie wir sie letzte Woche von Herrn Laumann gehört haben, der von falsch verstandener Toleranz gesprochen hat, der davon gesprochen hat, Menschen auszuweisen, die eigentlich das Recht haben, hier zu sein – wie auch immer man dazu steht.

Mit einer weiteren Mär bitte ich Sie aufzuräumen. Meine Damen und Herren von der CDU, Sie tun immer so, als sei die Einbürgerung sozusagen der Höhepunkt eines Einwanderungslebens. Nein, die Einwanderung ist ein Teil gelungener Integration. Aber es ist nur ein Teil davon. Die Integration geht weiter, die Teilhabe geht weiter. Es geht weiter in die Gesellschaft. Es geht um Teilhabe, und es geht um eine Katalysatorfunktion, …

Vizepräsident Daniel Düngel: Frau Kollegin, Ihre Redezeit!

Jutta Velte (GRÜNE): … die die Einbürgerung für die Menschen hat, die in diesem Land ihre Rechte und Pflichten als deutsche Staatsbürger und als ausländische Staatsbürger wahrnehmen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Herr Kollege von Grünberg ist auch eingetroffen und darf jetzt nachlegen. Bitte sehr.

Bernhard von Grünberg (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin. Man rechnet nicht damit, dass es in der Debatte manchmal auch schneller gehen kann; man geht eher davon aus, dass es länger dauert.

Im Jahre 2000 konnten wir einen ganz erheblichen Fortschritt verzeichnen: Wir haben dafür gesorgt, dass wir erstmalig Menschen mit Migrationshintergrund bei ihrer Geburt zu Deutschen machen konnten. Zusätzlich gab es eine unangenehme Diskussion. Sie können sich sicherlich an Herrn Koch erinnern und seine Ausführungen sowie die Kampagnen, die er damals durchgeführt hat. Damals war es leider nicht möglich, von vornherein eine doppelte Staatsangehörigkeit durchzusetzen. Deshalb mussten wir die Optionspflicht einführen.

Inzwischen ist die Zeit vorangeschritten. Heute müssen sich junge Menschen, die jetzt Deutsche sind, entscheiden, ob sie Deutsche bleiben wollen oder wieder Türken werden sollen. Dabei entsteht häufig ein Zeitproblem; manche Betroffene verschlafen den richtigen Zeitpunkt.

Darüber hinaus gibt es inhaltliche Spannungen, nämlich bei der Frage, ob und wie sich die jungen Menschen bekennen sollen, vielleicht gegen die Herkunft der Eltern. Es kann sein, dass wir bei diesem Prozess möglicherweise den einen oder anderen verlieren. Diese Spannung wollen wir den jungen Leuten nicht zumuten. Deswegen sagen wir: Weg mit der Optionspflicht, her mit der doppelten Staatsangehörigkeit.

Das ist zeitgemäß und dringend notwendig. Ich stelle fest, dass der Bundesrat inzwischen entsprechend optiert hat, wie ich höre, auch mit manchen B-Ländern, nicht nur den A-Ländern.

Im vorliegenden Antrag haben wir noch weiter gehende Forderungen gestellt; denn bei der Einbürgerung gibt es eine Menge Haken und Ösen. Da ist zunächst die Frage: Wie lange muss man eigentlich bis zur Einbürgerung warten? Junge Menschen beispielsweise, die bei uns studiert haben, müssen nach Abschluss des Studiums noch acht Jahre darauf warten, weil ihre Studienzeit nicht anerkannt wird.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie sagen, dass Sie alles daransetzen wollen, damit diese Leute nicht wieder zum Beispiel in die Türkei zurückgehen, nachdem sie hier gut ausgebildet worden sind, dann verstehen wir das. Wir haben unseren Antrag extra so formuliert, damit wir Sie möglichst mitnehmen können. Es geht aber nicht an, dass diese Leute acht Jahre warten müssen. Im Zweifel werden sie sagen: Wenn ich hier sowieso nicht willkommen bin und noch einmal acht Jahre warten muss, bevor ich Deutscher werde, dann gehe ich gleich in die Türkei; denn dort habe ich möglicherweise bessere Berufschancen. Wir verlieren also auch diese Leute.

Es gibt noch einen weiteren Problemkreis, und zwar im Zusammenhang mit Transferleistungen. Es gibt viele alte Menschen, die gut integriert sind, die aber nur über eine geringe Rente verfügen und daher auf solche Transferleistungen angewiesen sind. Diese Menschen – die gut integriert sind und die mit Sicherheit nicht zurückkehren werden – müssen als Deutsche akzeptiert werden. Das gilt auch für Menschen, die viele Kinder haben – was wir ja begrüßen –, die aber deshalb nur über geringe Einkommen verfügen, erst recht wenn es nur einen Verdiener gibt.

Das alles zieht viele Probleme nach sich. Deswegen wollen wir auch hier die Hürden etwas herunterschrauben. Wir wollen auch die Einbürgerungstests, die von vielen als schwierig angesehen werden, abschaffen, aber dafür Kurse anbieten.

Ich komme jetzt zur Frage, warum wir bei diesem Thema nicht breit aufgestellt sind. Das finde ich sehr bedauerlich. Die FDP ist ja auf einem guten Weg. Auf ihrem Bundesparteitag sind einige gute, vernünftige Beschlüsse gefasst worden, die genau in diese Richtung zielen. Ich finde es etwas traurig, dass wir hier keine gemeinschaftliche Ebene finden; aber es wird ja vielleicht noch etwas.

(Zuruf von der FDP)

Wenn Sie von „Unverschämtheit“ reden, Herr Stamp, dann kann ich das nicht nachvollziehen. Wir hatten Sie ja gebeten, an der Diskussion teilzunehmen und beim Antrag mitzuwirken. Das war Ihnen leider nicht möglich.

Das Verhalten der CDU verstehe ich auch nicht. Ich habe vorhin schon gesagt, dass wir wegen des CDU-Antrags überhaupt erst in die Diskussion gekommen sind über die Frage, was wir tun können, damit die Menschen sich hier wohlfühlen und eben nicht weggehen.

Bedauerlich finde ich die Ausführungen von Herrn Laumann, und ich hoffe, das ist ihm nur so rausgerutscht. Ich fände es jedenfalls gut, wenn wir diese Fragen, die in der Bevölkerung emotional diskutiert werden, hier mit Sachkenntnis diskutieren. Wenn man mit Sachkenntnis an diese Fragen herangeht, wird man nicht zu solch einfachen Lösungen kommen, wie Herr Laumann sie dargestellt hat.

Es besteht die Gefahr, dass wiederum Fremdenfeindlichkeit Bestandteil des Wahlkampfes wird. Das wollen wir nicht. Ich appelliere noch einmal an unser Versprechen, möglichst viel gemeinsam auf den Weg zu bringen.

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege von Grünberg, es gibt eine Wortmeldung von der Kollegin Güler aus der CDU-Fraktion.

Bernhard von Grünberg (SPD): Gerne, Frau Güler. Ich bin zwar eigentlich fertig, aber reden Sie ruhig. Das wird ja nicht mehr angerechnet.

Vizepräsident Daniel Düngel: Bitte, Frau Güler.

Serap Güler (CDU): Besten Dank, Herr von Grünberg, dass Sie meine Frage zulassen. Sie haben gerade von unserem Antrag gesprochen. Ich finde es schön, dass Ihr Antrag letztlich auf unseren Antrag gefolgt ist.

Wir hatten in unserem Antrag allerdings auch eine Forderung im Zusammenhang mit dem Anerkennungsgesetz, nämlich dass dieses auch die Lehrerberufe einbeziehen soll. Diesen Antrag haben Sie abgelehnt und präsentieren uns jetzt einen Antrag, der zwar schön und gut ist, der aber letztlich etwas beinhaltet, worüber wir in Nordrhein-Westfalen nicht entscheiden können.

Bernhard von Grünberg (SPD): Frau Güler, Sie wissen doch ganz genau: Wir haben das Anerkennungsgesetz diskutiert, und es ist verabschiedet. Die nordrhein-westfälische Ebene ist dabei erfasst. Zum Stichwort „Lehrer“ wissen Sie, dass seitens der Ministerien bereits eine Anerkennung stattfindet. Es geht allein um die Frage, dass man als Lehrer in Deutschland zwei Studien benötigt und nicht nur eines. Dieses Problem kann man beispielsweise durch einen Seiteneinstieg lösen. Es ist mit der Anerkennung von einem Studium schwierig, wenn zwei Studien vorausgesetzt werden. Im Rahmen des Seiteneinstiegs gibt es aber Möglichkeiten. Sie wissen doch ganz genau, dass das so läuft. Das hat mit dem Anerkennungsgesetz nichts zu tun.

(Serap Güler [CDU]: Sie kennen aber auch die Kritik der Verbände!)

Die Ministerien erkennen die Lehrerausbildungen der meisten Länder längst an und ermöglichen den Seiteneinstieg. Werfen Sie also keine Nebelkerzen. Ihnen ging es doch um die Frage, was wir tun können, damit Metin hierbleiben kann. Das war ja Ihre Überschrift. Das hat mit der Anerkennung der Lehrer gar nichts zu tun gehabt.

(Serap Güler [CDU]: Auch nicht mit der Mehrstaatlichkeit!)

Vielen Dank.

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege von Grünberg. – Nur zur Klarstellung, weil es da Anmerkungen aus dem Plenum gab: Wir sind mit Blick auf die ursprüngliche Tagesordnung etwas vor der Zeit. Dadurch kam sicherlich die Verspätung zustande.

Nichtsdestotrotz machen wir weiter. Für die Piratenfraktion ist die nächste Rednerin Frau Kollegin Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Schön! Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute über diesen Antrag sprechen und direkt über ihn abstimmen werden. Bereits im November letzten Jahres hatte meine Fraktion einen Anlauf gestartet, die Abschaffung der Optionspflicht in den Bundesrat einzubringen. Von allen anderen Fraktionen gab es ein Zögern und Zaudern. Man wollte sehr gerne bis zur Bundestagswahl warten und sich dann mit dem Thema beschäftigen.

Gegen den Antrag konnte man aber auch schlecht stimmen, weil sich fast alle Parteien für die Abschaffung der Optionspflicht eingesetzt haben. Der zeitliche Kompromiss ist mit dem heutigen Antrag gefunden. Wir finden das gut und haben uns dem Antrag deshalb sehr gerne angeschlossen.

Es geht jedoch um viel mehr. Wenn ich mir vorstelle, unser Antrag wäre so weitreichend gewesen – Verkürzung der Voraufenthaltszeit, Ausnahmeregelung bei den Sprachkenntnissen und Abschaffung des Einbürgerungstests –, hätten viele eher milde gelächelt und gesagt: Mach mal schön langsam, kleine Oppositionspartei, das ist jetzt aber ein bisschen viel!

Schade finde ich, dass sich die FDP-Fraktion nicht durchringen konnte, sich dem Antrag anzuschließen. Sie sollten öfter mal auf Frau Leutheusser-Schnarrenberger hören. Denn sie ist eine von den beiden Guten in Ihrer Partei.

(Zuruf von der CDU: Uiuiui!)

Wichtig ist, dass dieses Signal in dieser Zeit gerade aus Nordrhein-Westfalen gesendet wird. Es brodelt bei uns im Land. Ich sage nur: Duisburg und Dortmund. Jeder weiß sofort, was damit gemeint ist.

Ja natürlich, die doppelte Staatsbürgerschaft hilft nicht bei der Problematik, die die Sinti und Roma bei uns vorfinden. Es ist jedoch wichtig, mit diesem integrationspolitischen Signal ein Zeichen zu setzen. Worte wie „Armutsflüchtlinge“ und „Armutszuwanderer“ machen auch in höchsten Politikerkreisen die Runde und entfachen damit eine sehr gefährliche Stimmung. Wissen die Damen und Herren eigentlich, mit welchem Rassismus und mit welchen Ressentiments die Roma in ihren Ursprungsländern zu kämpfen haben?

In Duisburg haben die Helfer vor Ort Probleme, Dolmetscher zu finden

(Peter Biesenbach [CDU]: Geht es darum? Kommen wir zum Thema!)

– ja, darum geht’s –, weil selbst die Rumänen, die in Deutschland leben, sagen: Nein, für Roma übersetzen wir nicht. – Es gibt Familien, denen in ihrem Heimatland nachts mit dem Bulldozer die Hütte platt gewalzt wurde. Nicht Armut, sondern die nackte Angst treibt diese Menschen zu uns.

Wenn dann Herr Laumann schön populistisch – es wurde gerade angesprochen –

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Was?)

gegenüber der Presse verlauten lässt: „Die Armutsflüchtlinge sind auszuweisen“,

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Ja!)

Dann hat er erstens nichts von dieser Problematik verstanden und fischt zweitens in äußerst trüben Gewässern nach Applaus.

(Peter Biesenbach [CDU]: Thema!)

Dieser Antrag ist ein Signal – ein Signal, das keine Symbolpolitik ist, sondern den Bürgern in unserem Lande mit Migrationshintergrund die offenen Hände reicht. Wir sagen: Ihr seid willkommen, auch ohne für einen Test Antworten auswendig zu lernen, die nicht einmal die Hälfte der Deutschen beantworten könnte. Ihr seid willkommen ohne die kompliziertesten Bürokratiehürden. Ihr seid willkommen mit eurer Kultur in unserer Kultur. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Biesenbach.

Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte gehofft, ein Thema, das stark emotionalisiert, heute sachlich zu debattieren. Aber nachdem ich Frau Velte und Herrn von Grünberg gehört habe, muss ich sagen: Sparen Sie sich doch Ihren billigen Populismus!

(Beifall von der CDU)

Wenn Sie für eine Debatte, die tiefe Fragen aufwirft, einen Antrag schreiben, der in zehn Minuten zu lesen ist, und diesem Antrag eine Redezeit von fünf Minuten einräumen, machen Sie doch niemandem deutlich, das Thema ernsthaft diskutieren zu wollen.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Ich werde mir verkneifen, in ähnlicher Weise zu reagieren. Denn das war nicht nur unter der Gürtellinie, Frau Velte, sondern das war unterirdisch. Ich will mir die weiteren Beschreibungen ersparen.

Wenn man die Frage nach der doppelten Staatsangehörigkeit stellt, geht es nicht darum, das Optionsmodell abzuschaffen und etwas zu verschenken, sondern darüber zu debattieren: Wie stellen wir uns unsere Gesellschaft vor? Wie stellen wir uns vor, dass auch Menschen mit einem anderen Hintergrund, die zu uns gekommen sind, sagen: Wir wollen unsere deutsche Staatsangehörigkeit haben. – Darüber müssen wir reden.

Sie machen es sich in Ihrem Antrag ausgesprochen leicht. Sie sagen nämlich, wenn die Zahl der Anträge auf Einbürgerung sinkt, müssen wir uns der Wirklichkeit stellen: Wir wollen keine Verfahren mehr. Wir brauchen keine Sprachkenntnisse mehr. Wir verschenken die Staatsbürgerschaft einfach und fragen nicht nach den Folgen.

Diese Debatte will die CDU gerade nicht führen, sondern fragen: Wie gehen wir damit um? Sie wissen, alles, was man verschenkt, hat keine Bedeutung. Beim Optionsrecht gibt es den Leidensdruck, den sie propagieren, nicht. Wir haben am 25. Februar vom Innenminister eine Statistik bekommen, wie mit dem Optionsmodell von 2008 bis 2012 umgegangen worden ist. Es haben sich fast 3.000 – genau 2.948 – junge Menschen entschieden, Deutsche zu bleiben und ihren anderen Pass zurückzugeben. Nur 23 haben sich entschieden, den deutschen Pass abzugeben. Wenn das Leidensdruck ist, sollten Sie sich einmal mit der Wirklichkeit beschäftigen.

Da ich nur noch zweieinhalb Minuten habe, will ich mir eine Argumentation aus meiner Sicht ersparen, denn sie wäre die Sicht eines Deutschen. Ich würde gerne mit Erlaubnis des Präsidenten einige Sätze aus einer Schrift einer jungen Türkin, Seyran Ates, vorlesen, die ihren türkischen Pass abgegeben hat, um Deutsche zu sein.

(Britta Altenkamp [SPD]: Dann ist sie eine junge Deutsche!)

– Frau Kollegin, ich darf es einfach einmal vorlesen, auch wenn Sie anderer Meinung sind.

Frau Ates schreibt ganz simpel: Kann man ein Land lieben? Man könnte es wertschätzen, sagen viele, sich dessen bewusst sein, dass man in einem guten Land lebt, in einem Land, in dem Demokratie keine Theorie, sondern Praxis ist, in dem Rechtsstaatlichkeit nicht nur auf dem Papier steht, sondern gelebte Realität ist. Darum habe ich freiwillig die türkische Staatsbürgerschaft abgegeben und besitze nur noch die deutsche, weil es für mich stimmiger ist, weil es für mich sicherer ist.

Natürlich habe ich mit der Abgabe der türkischen Staatsangehörigkeit meine türkische Seite weder ab- noch aufgegeben. Meine türkische Sprache, der türkische Teil meiner Seele und meine Identität sind existent wie eh und je. Warum also habe ich meinen türkischen Pass zurückgegeben?

In der Türkei wäre ich nie so sicher als Bürgerin wie in Deutschland. Ich traf also eine Entscheidung für eine politische Heimat. Weil ich in diesem Land ein kritischer Geist, eine unbequeme Person, eine streitbare Juristin, vehemente Frauenrechtlerin und Feministin sein darf, ohne mit der Angst zu leben, nach einem Artikel, einem Interview oder einer Buchveröffentlichung von Sicherheitsbeamten einer Behörde abgeholt zu werden ...

Am meisten fühle ich mich von Dolf Sternbergers Begriff des Verfassungspatriotismus angesprochen. Ihm zufolge ist das, was wir Demokratie nennen, in Wahrheit und Wirklichkeit ein Staat, nämlich ein Verfassungsstaat, ein Rechtsstaat. Ohne diese freiheitlich-demokratischen Verfassung, die Werte, Rechte und Pflichten, ist Demokratie nicht denkbar.“

Und sie endet damit:

„Man kann zu einem Land nicht nur Gefühle entwickeln, weil es die angestammte Heimat ist. Man kann es zur Wahlheimat machen …

Noch werden wir Fremde, Ausländer, Deutschländer, Deutsche mit Migrationshintergrund oder mit Migrationsgeschichte genannt. Gönnt man uns den Verfassungspatriotismus, können wir Deutsche sein.“

Das ist das Gedankengut, das wir bei vielen, vielen jungen Menschen finden, die noch keine Staatsbürger sind.

(Zuruf von Jutta Velte [GRÜNE])

All diejenigen, die sich jetzt aufregen, weil ich ihnen das vorhalte, sollten mir noch eine Frage beantworten. In den Parteistatuten der Sozialdemokraten und auch der Grünen ist nur erlaubt, lediglich einer Partei anzugehören. Warum? Frau Velte, warum darf ich nicht Grüner sein – mit Ihrem Verständnis von Staatsbürgerschaft – und zugleich FDP-Mitglied?

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Was ist denn das? – Zurufe von den GRÜNEN)

Wenn Sie dafür eine plausible Antwort finden, dann können wir hier heute darüber reden. So machen Sie nichts anderes, als wirklich billigen Populismus!

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Biesenbach, ich darf Sie bitten, am Rednerpult stehenzubleiben. Der Kollege Bas möchte gleich seine zweite Premiere feiern. Er hat eine Kurzintervention angemeldet.

Herr Kollege, Sie haben dafür 90 Sekunden Zeit. Würden Sie sich bitte einloggen, dann kann ich Sie freischalten – und dann beginnen die 90 Sekunden. Bitte sehr.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident, herzlichen Dank. – Herr Biesenbach, ich habe gerade mit sehr großem Interesse Ihre Rede verfolgt, stimme natürlich in vielen Punkten nicht damit überein, habe aber trotzdem eine Frage. In der CDU gibt es ja durchaus verschiedene Positionen und Haltungen zur doppelten Staatsbürgerschaft, zur Mehrfachstaatsangehörigkeit. Wird innerhalb der CDU eine bestimmte Doppelstrategie gefahren, nach außen so aufzutreten, wie Sie das hier tun? Oder sind Sie noch im Meinungsbildungsprozess?

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Biesenbach, bitte.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Peter Biesenbach (CDU): Die Antwort, Herr Kollege, ist doch ganz simpel: Wir sind eine offene und debattierende Partei. Natürlich bleiben wir bei diesen Fragen genauso wenig unbeteiligt wie Sie. Nur, wir werden uns darüber intensiv, dem Anlass entsprechend, auch mit Tiefgründigkeit unterhalten. Nur zu sagen: „Gott, wenn es nicht klappt, kümmern wir uns nicht mehr darum, das haben wir erledigt“, das ist uns zu billig. Wir werden Ihnen dann, wenn wir uns die Zeit genommen haben, darüber sehr ausführlich zu debattieren, auch eine Antwort mitgeben und Sie vielleicht bitten, noch einmal über die Antwort mit uns zu diskutieren, zu der Sie heute noch schweigen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Stamp für die Fraktion der Freien Demokraten. Bitte sehr.

(Unruhe)

Dr. Joachim Stamp (FDP): Mein sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bisschen unruhig. Ich kann das auch irgendwie verstehen.

Die FDP bekennt sich zu einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht. Wir sind offen für eine vereinfachte Einbürgerung, für die Abschaffung der Optionspflicht und auch für die Möglichkeit von Mehrstaatigkeit.

Dazu steht auch viel Richtiges in dem vorliegenden Antrag. Aber wie die Unruhe hier gerade zeigt: Es handelt sich um einen sehr sensiblen Themenkomplex. Wir haben in diesem Hause im Januar dieses Jahres verabredet, dass wir dieses Thema aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten wollen. Ich darf an dieser Stelle den integrationspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Bernhard von Grünberg, zitieren:

„Deswegen hoffe ich, dass wir diese Diskussion noch einmal sachlich führen können – auch übergreifend mit der CDU –, sodass wir gemeinsam versuchen, einen Antrag zu formulieren. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Herr Laschet sagt immer wieder zu Recht: Wir müssen diese Themen aus der Bundestagswahl heraushalten, da sie zu einer Spaltung der Gesellschaft führen könnten.“

Das ist gerade einmal drei Monate her. Heute kommt der Wortbruch. Es wird verlangt: Sofortige Abstimmung, keine Fachberatung im Ausschuss! Es geht nur darum, die ganze Sache möglichst schnell im Bundestag auf die Tagesordnung zu bringen, den Spaltpilz gegen die CSU zu richten, um auf diese Weise das ganze Thema im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Das ist die ganz klare Strategie.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr von Grünberg, das enttäuscht mich wirklich, weil Sie sich in allen Reden immer anders darstellen. Hier zeigen Sie, dass es letztendlich doch nur darum geht, Wahlkampf zu machen.

Wir haben einen hervorragenden Thinktank in Nordrhein-Westfalen, den wir mit viel Geld bezahlen, das Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung. Dieses Zentrum hat gerade eine Studie zum Einbürgerungsverhalten von Migrantinnen und Migranten abgeschlossen. Ich habe explizit darum gebeten, dass, wenn wir hier einen gemeinen Antrag machen wollen, wir uns das in Ruhe anschauen, die Studie auswerten, damit das viele Richtige, das in diesem Antrag steht, weiter optimiert werden kann. – Sie haben gar kein Interesse daran! Das wird hier in der Mittagspause verhandelt. Sie kommen auch noch zu spät. Dann wird das hier alles beiseite gewischt. So stelle ich mir eine sachliche Argumentation und eine sachliche Auseinandersetzung über die Integrationspolitik wirklich nicht vor, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU – Lebhafter Widerspruch von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Sorgen Sie dafür, dass bei Ihnen ein paar Leute da sind!)

Ich will aber auch nicht verhehlen, dass mich die – sagen wir es mal vorsichtig – Mehrsprachigkeit der CDU bei diesem Themenkomplex erheblich stört. Ich habe noch am vergangenen Samstag mit Herrn Laschet auf einem Podium gesessen,

(Zuruf von der SPD: Wo ist der eigentlich? Den haben wir lange nicht gesehen!)

wo er die Notwendigkeit der doppelten Staatsbürgerschaft verkündet hat. Herr Biesenbach, Sie erzählen hier heute das Gegenteil.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Herr Kollege! Würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Grünberg zulassen?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Selbstverständlich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann Herr von Grünberg, bitte.

Bernhard von Grünberg (SPD): Herr Kollege Stamp, würden Sie mir zugestehen, dass ich versucht habe, mit Ihnen intensiv über das Thema zu reden, um die FDP einzubeziehen – das war im Übrigen auch bei der CDU der Fall –, und wir versucht haben, selbstverständlich eine gemeinsame Position in der Frage hinzubekommen? Natürlich wollten wir jetzt auch mit einer Position herauskommen.

(Christof Rasche [FDP]: Wahlkampf!)

– Nein, das hat mit Wahlkampf überhaupt nichts zu tun.

Wir möchten jetzt eine Diskussion führen, die im Bundesrat und überall diskutiert wird. Dann zu sagen, wir warten bis nach der Bundestagswahl, ist auch nicht besonders fair. Im Bundesrat wird dieses Thema diskutiert. Dann kann man wohl davon ausgehen, dass auch der Landtag eine Position dazu entwickelt. Dass im Bundestagswahlkampf von uns …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, stellen Sie bitte eine Frage. Sie wollten eine Frage stellen!

Bernhard von Grünberg (SPD): Meine Frage war, ob er mir zugesteht, dass wir in Gesprächen intensiv bemüht waren, die FDP zu bewegen, einen gemeinsamen Antrag zu stellen, ebenso wie die CDU.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr von Grünberg, darauf kann ich Ihnen genau antworten. Sie haben uns gefragt, ob wir mitmachen wollen. Sie haben uns den Antrag gegeben und gefragt, ob wir als Antragsteller mit auf den Antrag wollen. Das ist auch völlig in Ordnung.

Ich habe darauf hingewiesen, dass wir das Ganze gerne noch einmal im Ausschuss besprechen wollen und habe explizit auf die Studie des Zentrums für Türkeistudien hingewiesen. Sie haben mir geantwortet: Was soll da schon groß Neues drinstehen? – Das ist Ihr Umgang mit unserem Thinktank. Ich finde nicht, dass das die richtige Art und Weise ist.

Ich habe gesagt, man kann den Antrag auch zu einer späteren Sitzungsperiode einbringen und diskutieren. Ich hätte mir zumindest gewünscht, dass die Möglichkeit besteht, das Thema anschließend noch einmal im Ausschuss zu behandeln, wenn Sie es hier schon einbringen. Dass Sie hier eine direkte Abstimmung beantragen, zeigt den Charakter dieser Antragsinitiative. Frau Brand, da haben Sie sich ziemlich hinter die Fichte führen lassen. Als Sie mit dem Antrag im Januar kamen, hat Herr von Grünberg noch gesagt, nein, das machen wir später. Jetzt muss es auf einmal sofort sein. So sieht es aus. Das finde ich nicht in Ordnung.

Ich wollte aber auch noch einmal auf die Kritik an der CDU zu sprechen kommen: Meine Damen und Herren, ich finde es schon schwierig, wenn Herr Laschet und die geschätzte Kollegin Güler auf der einen Seite suggerieren, dass die CDU eine attraktive Partei für Zuwanderer ist, und auf der anderen Seite immer der Schwanz eingezogen wird, wenn es ernst wird

(Beifall von den GRÜNEN)

bzw. von Herrn Laumann Äußerungen zum Thema Armutsflüchtlinge kommen, die schlichtweg nicht in Ordnung sind. Das muss man so deutlich aussprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht hier jetzt nicht um diese Geschichte. Man muss es aber trotzdem einmal erwähnen; denn der Themenkomplex ist nun einmal sehr sensibel.

Wir als FDP hätten uns eine fundierte und sachliche Auseinandersetzung im Ausschuss gewünscht. Wir hätten gerne die angesprochene Studie des Zentrums für Türkeistudien ausgewertet. Wir hätten uns gerne konstruktiv eingebracht. Rot-Grün hat Wahlkampf vorgezogen. Deswegen werden wir uns heute enthalten, auch wenn vieles Richtige in diesem Antrag seht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stamp, Sie kritisieren, dass dieser Antrag heute direkt zur Abstimmung gestellt wird, obwohl man gerne noch länger über dieses Thema debattiert und diskutiert hätte.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das haben wir nicht so verabredet!)

Das mag ja ehrenhaft sein. Herr Stamp, wie erklären Sie sich aber bei dieser Diskussion zu diesem wichtigen Thema die Lücken im Parlament auf dieser Seite? Wie erklären Sie sich das?

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Wenn es ein Interesse an den Diskussionen gäbe, dann wären Ihre Reihen doch sicherlich gefüllter, als es zurzeit der Fall ist.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Unverschämtheit!)

Herr Biesenbach, Sie haben ausführlich eine Mail dargelegt, die Sie erhalten haben. Ich kann Ihnen nicht ersparen, aus der heutigen „Hürriyet“ zu zitieren. Hier heißt es:

Trotz Merkel: NRW spricht mit einer Stimme. Auch Türken haben das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft. Alle vier Parteien im NRW-Landtag haben sich am Samstag auf einer Fachtagung für die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland ausgesprochen, die auch insbesondere für türkischstämmige Bürger dienen soll.

Herr Biesenbach, ich habe Ihnen schon im Januar bei dieser Debatte gesagt, um die CDU wird es in dieser Frage wirklich einsam. Heute muss ich feststellen, um Herrn Biesenbach wird es zunehmend einsam, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordnetenkollegen Rasche zulassen?

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, bitte.

Christof Rasche (FDP): Herr Minister, vielen Dank. – Sie haben gerade ein Bild gemalt, welche Fraktionen sich für welche Themen interessieren. Vor gut einer Stunde haben wir über Kommunalpolitik debattiert. Von der SPD-Fraktion stand ein Redner am Pult. Von der ganzen Fraktion war ein Mitglied der SPD anwesend. Sieht so das Interesse der SPD an Kommunalpolitik aus? Das würde Ihrem Bild entsprechen.

(Beifall von der FDP)

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Rasche, ich habe auf Herr Stamp Bezug genommen, der eine zusätzliche Diskussion zu diesem Thema gewünscht hätte. Ich stelle nur fest, er ist da offensichtlich ziemlich alleine in seiner Fraktion.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Landesregierung will keine deutsche Staatsangehörigkeit auf Zeit. Das unterscheidet uns im Wesentlichen, Herr Biesenbach. Wir wollen eine gesetzliche Regelung ohne Wenn und Aber. Das haben wir bereits im Januar klar und deutlich gesagt.

Ob türkisch, irakisch oder chinesisch: Für Sie mag das nur ein Wort im Pass sein. Für viele Menschen in diesem Lande ist es Identität, Herkunft und ein Stück Heimat. Das wollen wir den Menschen nicht wegnehmen. Wir wollen nicht, dass junge Menschen vor die Entscheidung gestellt und in die Enge getrieben werden. Deshalb sage ich im Gegensatz zu Herrn Biesenbach, aber offensichtlich auch im Gegensatz zu Frau Merkel und zu Ihrer Partei: Wir stehen zu der Forderung nach Mehrstaatigkeit. Dafür werden wir als Landesregierung im Bundesrat eintreten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Wir wollen aber noch ein ganzes Stück weitergehen und den Menschen, die ihre Identität verloren haben, diese wieder zurückgeben. Viele möchten das übrigens, Herr Biesenbach. Wir wollen aber noch mehr. Es geht auch darum, bürokratische Hürden abzubauen, den Kreis der Berechtigten größer zu ziehen und tatsächlich eine Kultur des Willkommenseins deutlich zu machen.

Wir wollen Einbürgerung erleichtern und damit ein deutliches Signal setzen, das lautet: Ihr seid Teil dieser unserer Gesellschaft. Wir sind froh, dass ihr hier seid, und wir wollen euch ganz in diesen Staat integrieren. Wir wollen außerdem eine Verkürzung der Wartezeit auf acht Jahre.

Darüber hinaus macht eine Alternative zu dem gängigen Einbürgerungstest wirklich Sinn. Das kann man unter Umständen mit der Zurverfügungstellung von Seminaren in Staatsbürgerkunde sicherstellen.

Wir wollen die unter 23-Jährigen wieder bei der Anrechnung des Familieneinkommens privilegieren, so wie es bis 2007 war. Wir wollen die Gebühren für die Einbürgerung senken, die gerade für Familien mit vielen Kindern ein echtes Hindernis darstellen. All diese Ansprüche, meine Damen und Herren, erfüllt dieser Antrag.

Ich würde gerne Frau Velte, wenn Sie gestatten, aus der letzten Debatte im Januar zitieren, die da Wichtiges gesagt hat. Zitat: Wir müssen ein Signal aus Nordrhein-Westfalen senden. Wir müssen es so machen, dass es auch auf Bundesebene durchsetzbar ist.

Ich teile diese Auffassung. Den Weg sollten wir jetzt gehen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Ende der Beratung angelangt und kommen zur Abstimmung.

Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und die ebenfalls antragstellende Fraktion der Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2616. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das ist die Fraktion der CDU. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der FDP und zwei Kollegen aus der CDU-Fraktion. (Siehe auch Anlage) Damit, meine Damen und Herren, ist der Antrag mit dem festgestellten Ergebnis mehrheitlich angenommen.

 Ich rufe auf nunmehr die Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 4, die wir wegen der abstimmungsfreien Zeit jetzt nachholen müssen. Es handelt sich dabei um den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2122 „Stärkungspakt für Gymnasien – Chancen der Verkürzung des gymnasialen Bildungsgangs zur Verbesserung der individuellen Förderung nutzen“. Der Ausschuss für Schule und Weiterbildung empfiehlt in Beschlussempfehlung Drucksache 16/2321, den Antrag Drucksache 16/2122 abzulehnen. Wer dieser Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer ist gegen diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Fraktion der FDP und einige Kollegen der CDU. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die Piratenfraktion. Damit ist die Ausschussempfehlung mit dem festgestellten Ergebnis mehrheitlich angenommen und der Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

8   Bettensteuer erneut vor Gericht gescheitert – Landesregierung muss Genehmigungen zur Erhebung der Bettensteuer zurücknehmen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2123

Beschlussempfehlung
des Ausschusses für
Kommunalpolitik
Drucksache 16/2579

Ich darf darauf hinweisen, dass der Antrag der Fraktion der FDP gemäß § 79 Abs. 2 Buchstabe b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen wurde mit der Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik liegt nunmehr dem Plenum vor.

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Steinmann das Wort.

Lisa Steinmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Zuschauer und Zuhörer allüberall! Als Landtagsabgeordnete aus Köln möchte ich der antragstellenden Fraktion eines kurz vorausschicken. Liebe FDP, die Überschrift „Bettensteuer erneut vor Gericht gescheitert – Landesregierung muss Genehmigungen zur Erhebung der Bettensteuern zurücknehmen“ offenbart die Polemik Ihrer Rhetorik. Es mutet ja nahezu vergnügungssteuerpflichtig an, wie Sie krampfhaft und mit allen Mitteln versuchen, eine – vermeintlich Ihre – Klientel auf gleich welchem Wege zu bedienen, ohne dabei auf das kommunale Ganze und die rechtlichen Hoheiten zu achten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich empfehle Ihnen wirklich, sich in den betroffenen Städten und gerne auch in Köln mit den Realitäten vor Ort, der Hotellandschaft und den Übernachtungszahlen einmal auseinanderzusetzen. Die Branche boomt, und das nicht trotz, sondern nicht zuletzt auch durch die Kulturförderabgabe.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Antrag der Fraktion der FDP zielt darauf ab, die seinerzeit vom Ministerium für Inneres und Kommunales und vom Finanzministerium erteilte Genehmigung zur Kulturförderabgabe betreffend der Satzung der Stadt Köln zurückzunehmen.

Die Kulturförderabgabe gleicht anteilig Einnahmenverluste aus, die den Städten durch die von der Mövenpick-Partei durchgesetzte Steuerschenkung an die Hoteliers entstanden sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Abgabe ist sinnvoll, weil gerade Touristen von einem dichten kulturellen Angebot profitieren, dessen Bereitstellung für die Kommunen erhebliche finanzielle Belastungen bedeutet. Solange die Kommunen nicht auch von Bundesseite angemessen entlastet werden, sollte das Land Nordrhein-Westfalen den Kommunen auf gar keinen Fall die Möglichkeit nehmen, eigene Abgaben zu erheben.

Auch in anderen europäischen Großstädten gibt es Übernachtungsabgaben, die Touristen über Hotelübernachtungen zahlen. Insbesondere Metropolen und Oberzentren brauchen entsprechende individuelle Gestaltungsspielräume und Instrumente, um ihre Versorgungsfunktion und die Attraktivität aufrechterhalten zu können.

Dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Köln von Januar 2013 zu der seinerzeit geltenden Satzung der Stadt Köln ist die Stadt Köln zwischenzeitlich nachgekommen und schließt seither eine Besteuerung von beruflich veranlassten Übernachtungen aus. Zu dieser neuerlichen Satzung gibt es meines Wissens derzeit keine obergerichtliche Befassung.

Gegenüber dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hat die Stadt Dortmund Berufung eingelegt, und es bleibt abzuwarten, wie sich das OVG dazu positioniert.

Einer vergleichbaren Satzung der Stadt Lübeck wurde aktuell im Februar 2013 seitens des zuständigen OVG Rechtmäßigkeit zugesprochen und auch der organisatorische Aufwand für die Stadt im Zusammenspiel mit den Hoteliers, zwischen beruflichen und privaten Übernachtungen zu unterscheiden, wurde für leistbar erklärt.

Als Kauffrau weiß ich zum Handling aus der Praxis zu berichten: Das ist nicht bürokratischer als schon die Auflistung und die Trennung nach Übernachtungs- und Bewirtungskosten. Erfurt macht es uns vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurzum: Es gibt derzeit keinerlei Anlass, die Genehmigung der Kulturförderabgabe zurückzunehmen. Die Abgabe entspricht aktuell der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Ich empfehle Ihnen nachdrücklich, den vorliegenden Antrag abzulehnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, gestatten Sie mir abschließend noch, die Situation vor Ort zu beschreiben. Ich kann Ihnen mit Stolz und Freude mitteilen, dass die touristischen Kennzahlen für das Reiseziel Köln sich in einem steten Höhenflug befinden. Nach den Rekordjahren 2010 und 2011 mit jeweils fast zweistelligen Steigerungsraten wurde in 2012 erstmalig gar die Fünf?Millionen-Marke bei den Übernachtungen überschritten. Auch 2013 zeigt neue Höchstmarken auf. Zudem sind im Stadtbild reihenweise Neubauten und Neuansiedlungen von Hotels zu verzeichnen.

Meine Damen und Herren, mit der Kulturförderabgabe hat die Stadt Köln aus der Not eine Tugend gemacht, zumal eine sehr kluge. Sie hat sich Möglichkeiten eingeräumt, den Kultur- und Tourismusstandort Köln mit verschiedenen Stadtverschönerungsmaßnahmen und Renovierungsprogrammen für Museen und Kulturbauten gezielt aufzuwerten und damit vor allem auch den Wirtschaftsstandort zu attraktivieren und nachhaltig zu stärken.

Als kölsches Kind und mit einem augenzwinkernden Winken aus der „verbotenen Stadt“ in Richtung Heimat kann ich da nur sagen: Glück auf und weiter so! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Frank Herrmann [PIRATEN])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Außer Spesen nichts gewesen“ – so kann man die Bettensteuer in Köln und in vielen anderen Städten zusammenfassen.

Werte Kollegin Steinmann, es geht hier um das Steuerfindungsrecht der Kommunen, das wir in Nordrhein-Westfalen über das Kommunalabgabengesetz auf die Kommunen delegiert haben. Es ist in Ordnung, dass Kommunen versuchen, im Rahmen ihrer Steuerpolitik steuersetzend tätig zu werden. Allerdings hat das Land Nordrhein-Westfalen hier eine Genehmigung erteilt. Selbst der Deutsche Städte- und Gemeindebund schreibt zu der Genehmigung der Bettensteuer in Köln, dass die Bettensteuer zwar inzwischen vom Land genehmigt worden sei, das Land aber durchaus rechtliche Probleme mit dieser Steuer habe. Hier geht es um die Würdigung dieser rechtlichen Probleme.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die in 2010 erlassene Satzung der Stadt Köln zur Erhebung einer Kulturförderabgabe, wie sie das politisch korrekt bezeichnen, für nichtig erklärt. Es sei den Hoteliers nicht zuzumuten, zu prüfen, welche Übernachtung dienstliche Gründe habe, so das Oberverwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor bereits entschieden, dass für Dienstreisen keine sogenannte Bettensteuer erhoben werden darf. Insofern ist das Urteil eine schallende Ohrfeige für die Ratsmehrheit in Köln, aber auch für die verantwortlichen Akteure in der Stadtverwaltung.

(Beifall von der FDP)

Die Stadt Köln hat die Quittung dafür kassiert, dass die Verwaltung und die rot-grüne Ratsmehrheit ohne jeglichen Realitätssinn eine völlig unpraktische Satzung gestrickt haben, die sich nun keineswegs als neue Einnahmequelle erweist, sondern als teures Abschiedsgeschenk des ehemaligen Kölner Kämmerers und heutigen NRW-Finanzministers Dr. Walter-Borjans.

Es wird spannend sein, zu erfahren, wie hoch denn die Kosten des Klageverfahrens und letztendlich auch die Kosten der Rückabwicklung dieser Bettensteuer sind. Denn eines dürfen wir nicht vergessen, wenn es um das Steuerfindungsrecht der Kommunen geht, dann geht es in der Regel um die sogenannten Bagatellsteuern, um Aufwandsteuern. Dr. Norbert Walter-Borjans hatte damals damit gerechnet, hierdurch anfänglich 7 Millionen € jährlich zu erzielen. Tatsächlich sind in 2011 nur 4,5 Millionen € Erträge über die Kulturförderabgabe zustande gekommen. Die neue Kämmerin der Stadt Köln hat die Haushaltsdaten für 2013/14 deutlich nach unten korrigiert. Während man früher mit 20 Millionen € Ertrag im Jahr 2013 gerechnet hat, geht die Kämmerin heute von nur 7 Millionen € aus. Insofern ist die Kulturförderabgabe das, was sie auch rechtlich darstellt: eine Bagatellsteuer.

Vor diesem Hintergrund hat das Oberverwaltungsgericht Ihnen dargelegt, dass die Einführung und die Erhebung dieser Steuer nicht mit den geltenden Grundsätzen für diese Steuer in Einklang zu bringen sind; denn Aufgabe eines Hoteliers ist es nicht – ich glaube, zumindest darüber könnte parteiübergreifend Konsens bestehen –, zu überwachen, ob seine Gäste ihren Aufenthalt in Köln dienstlich oder privat nutzen. Er hat die Aufgabe, sein Hotel erfolgreich zu führen und sich um das Wohlergehen seiner Gäste zu kümmern. Das wird mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts mehr als deutlich.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Insofern ist es spannend, gleich von dem zuständigen Minister zu erfahren, wie er denn die rechtlichen Probleme, die das Land Nordrhein-Westfalen seinerzeit bei der Genehmigung der Bettensteuer durchaus erkannt hat, nun vor dem Hintergrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts würdigt; denn dem Grunde nach kann es hier nur noch eine Konsequenz geben – und zwar, diese Genehmigung zurückzuziehen.

Insofern werden wir den Antrag der Kollegen der FDP unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Krüger.

(Minister Ralf Jäger: Wie hat der BVB denn gespielt?)

Mario Krüger (GRÜNE): Weißt du das nicht? Ich dachte, du warst dabei. 4:2 – äh, 4:1.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke für diese umgehende Korrektur, Herr Kollege.

Mario Krüger (GRÜNE): Ja. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das zum gestrigen Spiel. Es war ein schönes Spiel.

(Minister Ralf Jäger: Ja!)

Schade, dass es nicht alle sehen konnten.

(Zuruf von der CDU: Wir waren hier!)

– Es gibt ja noch technische Medien. Mit einem Laptop kann man das über Livestream verfolgen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein, das kann hier keiner!)

Insofern habe ich das ab der 8./9. Minute relativ gut erkennen können.

(Zuruf von der SPD: Wie hat es dir denn gefallen?)

– Mir hat es sehr gut gefallen. – Ich hoffe aber, dass das jetzt nicht auf die Redezeit angerechnet wird. Ich möchte gerne zum Thema kommen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, ich kann Ihnen versichern, dass ich Sie ausnahmsweise nicht ersuchen werde, zur Sache zu reden.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

Mario Krüger (GRÜNE): Vielen Dank. – Zum Thema „Bettensteuer“ respektive „Kulturförderabgabe“: Ich bin gegenüber diesen Instrumenten relativ reserviert. Ich will das jetzt nicht an dem Beispiel Köln festmachen. Da macht es durchaus Sinn. Es werden jedoch auch in anderen Städten entsprechende Steuern erhoben. Wenn wir in diesem Zusammenhang den entsprechenden Aufwand und die Einnahmen sehen, dann müssen wir uns sehr wohl fragen: Ist es sinnvoll, ist es nicht sinnvoll? Wenn wir diese Frage stellen und zu einer Antwort kommen wollen, dann sollte man aber auch fragen: Aus welchen Gründen wird und wurde seinerzeit darüber diskutiert, entsprechende Abgaben neu einzuführen?

Ich erinnere daran, dass wir vor 2009 NRW-weit keine Kulturförderabgabe und auch keine Bettensteuer gekannt haben. Die Einführung ist 2009 im Zusammenhang mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz erfolgt, zu Recht auch Mövenpick-Gesetz“ genannt, wo CDU und FDP im Bund die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe von 19 % auf 7 % abgesenkt haben. Allein dadurch entgingen Nordrhein-Westfalen 180 Millionen € an Mehrwertsteuern, das heißt natürlich auch anteilig den Gebietskörperschaften.

Wenn Sie sich die kommunale Finanzsituation – die war 2009/2010 nicht gravierend anders als heute – vor Augen halten, dann überlegt man sehr wohl, wie man damit umgeht. Die Kommunen haben im Rahmen des § 2 Abs. 2 Kommunalabgabengesetz die Satzungshoheit zur Erhebung von Kommunalabgaben. Natürlich ist das Land bei Neueinführung von Satzungen gefordert, rein formal zu prüfen, inwieweit die Satzung ordnungsgemäß zustande gekommen ist oder auch nicht. Einen entsprechenden Bescheid bezogen auf die Kölner Satzung hat es im September 2010 gegeben.

Nun, Frau Scharrenbach, Sie bringen im Zusammenhang mit Ihren Schlussfolgerungen, die Sie aus den diversen Urteilen ziehen, einiges durcheinander.

Das OVG hat die Kölner Satzung deshalb für nichtig erklärt, weil nicht mit zwischen privaten Übernachtungen zum einen und beruflich bedingten Übernachtungen zum anderen unterschieden worden ist. Der Kölner Rat hat darauf reagiert und hat die Kulturförderabgabe auf private Übernachtungen beschränkt.

Sie vermengen das mit einem anderen Urteil, und zwar zur Bettensteuer oder zur Kulturförderabgabe der Stadt Dortmund, die im Übrigen auch von der CDU im Rat der Stadt Dortmund mit beschlossen worden ist – das einmal am Rande –, wozu das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gesagt hat, es gäbe eine unverhältnismäßig hohe Mitwirkungspflicht seitens des Hotelgewerbes. Insofern ist die Steuer nichtig, so das Verwaltungsgericht. Aber Sie sollten auch wissen, dass die Stadt Dortmund Berufung eingelegt hat. Hierüber wird das OVG demnächst entscheiden.

Wenn Sie sich in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung in anderen Bundesländern ansehen – gerade ist es von unserer Kollegin Steinmann aus der SPD-Fraktion zitiert worden –, stellen Sie fest: Das OVG Lübeck hat am 7. Februar 2013 in einem vergleichbaren Fall geurteilt, es sei sehr wohl zumutbar, hier zu differenzieren bzw. hier seinen Mitwirkungsverpflichtungen als Hotelier nachzukommen.

Deshalb bitte ich Sie, das Übel an der Wurzel zu packen. Auslöser war seinerzeit das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit der Absenkung der Mehrwertsteuer im Bereich des Hotelgewerbes. Da sollten Sie tätig werden.

Wenn man sich vor Augen hält – das war damals ein Stück weit kennzeichnend für die Diskussion, die wir gehabt haben –, dass von interessierte Seite Geldsprenden der FDP zugegangen sind – Hotelier August von Finck 1,1 Millionen €, wo viele durchaus nachvollziehbar einen gewissen Zusammenhang hergestellt haben –, wird deutlich, wie Sie an die Sache herangehen. Sie betreiben ausschließlich eine Klientelpolitik und versuchen, Ihrer Klientel auch Rechnung zu tragen. Wenn sich die Kommunen das nicht gefallen lassen bzw. ihre Instrumente nutzen, dann versuchen Sie auf anderen Wegen, das Ganze zu Fall zu bringen. Das ist nicht unser Weg.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Scharrenbach zulassen?

Mario Krüger (GRÜNE): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, bitte.

Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ist Ihnen bekannt, dass es allein in der Stadt Köln seit der Einführung der Kulturförderabgabe über 15.000 Rückerstattungsanträge von Bürgerinnen und Bürgern in Bezug auf die Abgabe gegeben hat, und wie werten Sie das?

Mario Krüger (GRÜNE): Diese Rückerstattungsanträge haben wir nicht nur in Köln. Auch in Dortmund hatten wir diese Situation, nachdem das Urteil des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen vorlag. Selbstverständlich sind unrechtmäßig erhobene Abgaben im Nachhinein zurückzuerstatten. Dem wird die Stadt Köln auch nachkommen.

Sie sollten – Sie haben selbst die Zahlen genannt – auch sehen, welche Einnahmen die Stadt Köln in diesem Zusammenhang vereinnahmen konnte, auch wenn sie rückläufig sind oder möglicherweise bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung nicht den Erwartungen entsprachen, die man sich seinerzeit gesetzt hatte. 7 Millionen € im letzten Jahr sind kein Pappenstiel, auch nicht für eine Stadt wie Köln.

Jeder, der sieht, in welchem Umfang Städte wie Köln ihre Kultureinrichtungen mittlerweile zur Disposition stellen bzw. kaum noch Möglichkeiten haben, diese auskömmlich zu finanzieren, der ist dankbar über jeden Euro, insbesondere über 7 Millionen €, die in diesem Zusammenhang vereinnahmt werden konnten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden anknüpfend an meine Vorrednerin von der SPD-Fraktion diesen Antrag heute ablehnen und damit Ihr Anliegen dort hinbringen, wo es hingehört, nämlich in den Papierkorb. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Krüger. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krüger, Sie lagen leider nicht nur bei dem Punkt falsch, wie mit dem Antrag weiter umgegangen wird. Denn dieser Antrag wird heute abschließend beraten, da er schon in den Ausschüssen war.

(Mario Krüger [GRÜNE]: Das ist das Thema „Borussia“!)

Gern hätte ich Ihnen noch einmal die Gelegenheit gegeben, über Ihre Position nachzudenken. Denn das wäre wirklich notwendig gewesen.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Meine Damen und Herren, von Anfang an gab es enorme rechtliche Bedenken bezüglich der Erhebung der Kulturförderabgabe in Köln, und dies nicht nur seitens der FDP-Fraktion, sondern – man höre und staune – auch seitens der beiden Ministerien, die diese Genehmigung erteilt haben. Denn in dem Genehmigungsschreiben weisen beide Häuser ausdrücklich darauf hin, dass es rechtliche Unsicherheiten und das Risiko gibt, dass die besagte Satzung einen Verstoß gegen die vom Verfassungsgericht vertretenen Grundsätze der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung darstellen kann.

Das heiß auf gut Deutsch: Die Landesregierung hat sehenden Auges die Kommunen in diese Rechtsunsicherheit laufen lassen. Da muss man ganz klar sagen, dass eine verantwortungsvolle Rechtsaufsicht doch hier hätte anders handeln müssen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, diese Kritik an der sogenannten Bettensteuer ist absolut berechtigt. Es gibt rechtliche Probleme. Ungleiches darf nicht gleich behandelt werden. Geschäftliche Übernachtungen dürfen nicht wie private Übernachtungen besteuert werden.

Wir haben operative Probleme. Wie soll an der Hotelrezeption differenziert werden? Wo ist das Recht der Hoteliers, den Kunden hier zu fragen, ob er geschäftlich oder privat übernachtet? Es gibt einen erheblichen bürokratischen Aufwand für die Beherbergungsbetriebe. Man hat somit die ganze Bürokratie auf die Beherbergungsbetriebe abgewälzt.

Dann hat man sich noch einer unzulässigen Beweislastumkehr zulasten der Beherbergungsbetriebe bedient, meine Damen und Herren. Denn die Städte gehen zunächst davon aus, dass alle Übernachtungen privater Natur sind und damit besteuert werden müssen. Der Betrieb muss nun nachweisen, dass die Gäste Geschäftsreisende sind.

Meine Damen und Herren, der Dumme ist immer der Unternehmer, der das Inkasso machen muss, seine Übernachtungsgäste belästigen und ausforschen soll, die Steuern abführen soll und durch immer neue Steuersatzungen mürbe gemacht wird. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall von der FDP)

Dies ist auch durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Münster im Januar dieses Jahres deutlich geworden. Denn es hat die damalige Satzung zu Recht für nicht haltbar beschieden.

Deshalb gibt es aus unserer Sicht nur eine sachlich richtige Konsequenz, meine Damen und Herren: Die Genehmigung durch die Landesregierung muss zurückgezogen werden. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, unserem Antrag heute zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Piratenfraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Stein.

Robert Stein (PIRATEN): Werter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Es geht hier um die Bettensteuer. Wenn wir das historisch betrachten, scheinen wir jetzt hier mit diesem Antrag auch Zeuge eines kleinen Kleinkriegs zu sein. Denn im Endeffekt ist es ja so gewesen, dass auf Bundesebene für die Hoteliers der verminderte Mehrwertsteuersatz durchgesetzt worden ist. Finanzminister Norbert Walter-Borjans war zur damaligen Zeit Kämmerer in Köln. Der hat dann als Replik darauf diese Kulturförderabgabe – auch bekannt als Bettensteuer – eingeführt.

Das ist natürlich jetzt schwierig zu betrachten, wenn man das differenziert sieht.

Zum einen ist es natürlich so, dass die Kommunen auch im Rahmen ihrer Selbstverwaltung gewisse Möglichkeiten haben, Steuern zu erheben. Die Kommunen sind auch auf Geld angewiesen, zweifelsohne. Wir kennen die finanzielle Lage in den Kommunen. Sie sieht alles andere als rosig aus in NRW.

Zum anderen müssen wir festhalten, dass zumindest unter Gesichtspunkten des Datenschutzes und der informationellen Selbstbestimmung dort natürlich von Reisenden Dinge gefordert werden, die wir als Piraten nicht so ohne Weiteres hinnehmen können. Denn wir werden ja hier mehr oder minder gezwungen, gewisse Auskünfte zu geben, ob wir privat reisen oder geschäftlich reisen. Damit sind wir grundsätzlich nicht einverstanden. Es ist auch fraglich, ob das rechtlich überhaupt zulässig ist. Da bin ich mir trotz der bisherigen Urteile noch nicht ganz sicher, ob da schon das letzte Wort gesprochen ist.

Alles in allem: Ich möchte mich hier jetzt auch nicht länger mit dieser Sache aufhalten. Im Ausschuss für Kommunalpolitik haben wir uns gegen den Antrag ausgesprochen, weil es einfach hier auch nach einem Kleinkrieg riecht. Im Endeffekt könnte ich aber auch vorschlagen, dass wir hier alle Optionen ziehen. Wir können abstimmen, wie wir wollen: dafür, dagegen, uns enthalten. Wir müssen sehen, was für uns im Einzelfall wichtiger ist: ob wir sagen, die Steuerkraft ist wichtiger, oder das Recht auf Datenschutz oder wie auch immer. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mich auch gerne noch zum BVB äußern. Aber das wird mir leider auf meine Redezeit angerechnet. Deshalb lasse ich es. Deshalb kommen wir direkt zum Thema.

(Christof Rasche [FDP]: Lieber zum MSV!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die kommunale Selbstverwaltung ist für uns, für diese Landesregierung, gelebte Demokratie vor Ort. Sie findet dort statt, wo Sie und ich leben, nämlich direkt vor unserer Haustür. Dieses Recht auf kommunale Selbstverwaltung ist Bestandteil unseres Grundgesetzes, unserer Landesverfassung und unserer Gemeindeordnung.

Im Gegensatz zu Herrn Brockes sage ich Ihnen ganz deutlich: Diese Landesregierung respektiert dieses Recht auf Selbstverwaltung. Das gilt selbstverständlich auch im Umgang mit der sogenannten Bettensteuer. Unsere Kommunen, die sie erheben, nehmen die Rechtsprechung sehr ernst und gehen verantwortungsvoll mit ihr um. Daran besteht, glaube ich, kein Zweifel.

Das beste Beispiel ist die genannte Stadt Köln selbst. Denn falls es jemandem entgangen sein sollte: Streitgegenstand im Oberverwaltungsgerichtsverfahren war nämlich nicht die aktuelle Satzung, sondern die Satzung aus dem Jahre 2010. Die Stadt Köln hat ihre Satzung der Rechtsprechung schon längst angepasst. Deshalb ist Vertrauen gegenüber unseren Kommunen richtig. Das werden wir auch weiter an den Tag legen.

Ich will jetzt nicht über das Für und Wider der Kulturförderabgabe diskutieren, meine Damen und Herren, aber zitieren aus der aktuellen Rechtsprechung. Es gibt zwei interessante Urteile zu der Frage der sogenannten Kulturförderabgabe. Das Finanzgericht Hamburg beispielsweise hat geurteilt – ich zitiere aus diesem Urteil –:

Die Steuer könne von den Hotelbetreibern anhand des Gesetzes unproblematisch berechnet werden. Für den Nachweis der Steuerfreiheit für Geschäftsreisende gebe es ein einfach auszufüllendes Formular.

Ich glaube, ohne dem Gericht zu nahe treten zu wollen, dass auch dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen dieses Urteil des Finanzgerichtes aus Hamburg bekannt ist und es auch entsprechend urteilen wird. Deshalb werden wir kein Eingreifen der Landesregierung vorsehen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Ende der Beratung angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kommunalpolitik …

(Unruhe)

– Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, der Abstimmung so zu folgen, dass alle wissen, worüber jetzt abgestimmt wird.

Also: Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/2579, den Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/2123 abzulehnen. Wer dieser Ausschussempfehlung folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und mehrheitlich der Piraten. Wer ist gegen diese Abstimmungsempfehlung? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer enthält sich der Stimme? – Bei Enthaltung eines Abgeordnetenkollegen aus den Reihen der Piratenfraktion ist diese Ausschussempfehlung mehrheitlich angenommen und der Antrag abgelehnt.

Wir treten ein in den Tagesordnungspunkt

9   Inhaltliche Stellungnahme gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG zum
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Ein-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union         
und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende („Smart Borders“-Paket)

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2584

Ich eröffne die Beratung und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion dem Herrn Abgeordneten Kern das Wort.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Der europäische Integrationsprozess beruht auf dem Gedanken einer weltoffenen, toleranten und rechtsstaatlichen Union von Mitgliedstaaten, welche die Grundrechte der hier lebenden Menschen achtet und schützt. Diese Grundsätze kommen – gerade in letzter Zeit – immer mehr unter die Räder. Das ist alarmierend.

Die Europäische Union beschreitet seit Jahren den Weg hin zu einer digitalen Überwachungsfestung. Folgende Projekte machen das deutlich: Datenstriptease für Flüchtlinge durch EUROSUR, für Flugreisende durch das Passagiernamensregister und jetzt für Reisende ein Grenzkontrollsystem namens „Smart Borders“.

Worum geht es bei „Smart Borders“? – Unter dem Deckmantel des Sicherheitsaspekts wird hier ein weiterer Baustein einer grundrechtsverletzenden und menschenverachtenden Überwachungsarchitektur in der EU gelegt. Es ist ein weiteres Hochrüsten eines europäischen Überwachungsapparats, der in einem schleichenden Prozess auf alle Menschen in der EU ausgeweitet werden kann, der sich also gegen die eigene Bevölkerung richtet.

Auf Drängen einiger sicherheitsparanoider Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – will die EU mit „Smart Borders“ nun also ein milliardenschweres Grenzkontrollsystem einführen. Dabei sollen bei der Einreise alle relevanten persönlichen Daten, darunter auch Fingerabdrücke, von Reisenden aus Drittstaaten erfasst werden mit dem Ziel, mittels der Megadatenbanken herauszufinden, wer seine Aufenthaltserlaubnis in der EU überzieht. Doch wo sich diese Menschen nach Ablauf der Aufenthaltsfrist genau befinden, kann das System nicht erfassen, sodass der angebliche Zweck des Vorhabens gar nicht erreicht werden kann.

Allein das verstößt aus unserer Sicht eindeutig gegen den Schutz personenbezogener Daten sowohl nach EU-Grundrechtecharta als auch nach deutschem Verfassungsrecht. „Smart Borders“ ist eine Sicherheits-Fata-Morgana, der Verstoß gegen Verfassungsrecht hingegen ist real.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch die vorgesehene Nutzung der erhobenen Daten zur Strafverfolgung ist für uns Piraten eine eklatante Zweckentfremdung.

Der zweite Gesetzesvorschlag von „Smart Borders“ will ein Registrierungsprogramm einführen, mit dem sich Vielreisende nach vorheriger datentechnischer Vollbeichte die schnellere und effizientere Grenzüberschreitung erkaufen. Nicht nur, dass ein echter Effizienzgewinn dabei mehr als fragwürdig ist – hier wird de facto Druck ausgeübt, sensibelste persönliche Informationen, zum Beispiel zur wirtschaftlichen Situation, preiszugeben. Jeder, der die Vollbeichte beim Grenzbeamten nicht abgibt, gerät automatisch unter Rechtfertigungsdruck.

Damit nicht genug: Vorgesehen ist weiterhin eine Differenzierung von Drittstaaten nach Risikofaktoren. Das ist eine menschenverachtende Stigmatisierung von Reisenden allein aufgrund des falschen Passes,

(Beifall von den PIRATEN)

und es missachtet den europaweiten Grundsatz der Nichtdiskriminierung.

Das vollkommen unverhältnismäßige „Smart Borders“-Paket lädt nicht nur zu Datenmissbrauch und Rasterfahndung ein, sondern schafft Voraussetzungen zur Datenerfassung aller Menschen in der EU. Meine Damen und Herren, „Smart Borders“ ist nicht smart oder intelligent, sondern dreist und perfide!

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist nichts anderes als der rostige Nagel für den Wundstarrkrampf des europäischen Grundrechtesystems.

Wir Piraten bleiben dabei: Einer grundrechtsverletzenden und menschenverachtenden Überwachungspolitik in NRW, in Deutschland und in der EU treten wir Piraten entschieden entgegen!

(Beifall von den PIRATEN)

Ich appelliere an die Landesregierung: Sorgen Sie dafür, dass „Smart Borders“ im Bundesrat wieder auf die politische Tagesordnung kommt, dass NRW ein klares Signal nach Brüssel sendet! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Geyer das Wort.

Jens Geyer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Zur Versachlichung der Debatte gestatten Sie mir ein paar Erläuterungen. Die Europäische Kommission hat m 28. Februar 2013 unter der Überschrift „Smart Borders“ nach jahrelanger Diskussion drei Vorschläge für Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates vorgelegt. Mit ihrem Verordnungsvorschlag KOM(2013) 95 unterbreitet sie einen Vorschlag zur Einführung eines Einreise-/Ausreise-Systems (EES). Ziel ist eine Verbesserung des Außengrenzen-Managements und die Bekämpfung der illegalen Migration in das Gebiet der Europäischen Union.

Anstelle des heutigen manuellen und zeitaufwendigen Verfahrens zur Kontrolle von Drittstaatsangehörigen mittels Stempel im Reisedokument soll das EES technische Neuerungen für die Berechnung der Dauer des jeweiligen zulässigen Aufenthaltes, die Identifizierung von nicht einreiseberechtigten Personen, die Erleichterung der statistischen Analyse der Reiseströme an den Außengrenzen sowie die Ermittlung der Anzahl von sogenannten Overstayern – Personen, die sich länger als erlaubt im EU-Gebiet aufhalten – einführen.

Mit dem Verordnungsvorschlag KOM(2013) 97 schlägt die Kommission ein Registrierungsprogramm für Reisende (RTP) vor. Vielen Reisenden aus Drittländern soll damit die Möglichkeit gegeben werden, mit vereinfachten Grenzkontrollen zügiger in das Gebiet der Europäischen Union einzureisen.

Die beiden vorgenannten Verordnungen erfordern eine Änderung des Gemeinschaftskodexes für die Kontrollen an den Außengrenzübergangsstellen und die Überwachung der Außengrenzen, „Schengener Grenzkodex“ genannt. Ein entsprechender Vorschlag der Kommission – KOM(2013) 96 – liegt vor. Dieser allerdings bleibt im Antrag der Piraten unerwähnt.

Das Ziel einer gemeinsamen Regelung, um harmonisierte Vorschriften zur Erfassung von Grenzübertritten und zur Überwachung der zulässigen Aufenthaltsdauer für den gesamten Schengen-Raum einzuführen sowie die statistische Analyse der Reiseströme an den Außengrenzen zu erleichtern, wird sowohl von uns als auch – das ist auch in ihrem Antrag ersichtlich – von der Fraktion der Piraten befürwortet.

Ich möchte vorwegschicken, dass wir unsererseits das Vorhaben kritisch begleiten und einige Kritikpunkte teilen. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass es hierzu noch viele Diskussionsmöglichkeiten geben wird, um inhaltlich zu debattieren.

Der Antrag der Piraten ist an einigen Stellen sachlich unzutreffend. Gerade der Vergleich mit US-amerikanischen Grenzmanagement-Systemen ist weder haltbar noch entspricht er dem Ansinnen des von der EU-Kommission geplanten Systems. Hinzu kommt, dass es sich hierbei um sogenannte Frühwarndokumente im Rahmen des Subsidiaritätsprüfungsverfahrens handelt.

Die Vorschläge wurden Ende Februar von der Kommission vorgestellt und Anfang März an den Landtag übermittelt. Dazwischen lagen Plenarsitzungen und Sitzungen der Fachausschüsse – so auch des Europa- und Eine-Welt-Ausschusses. Dort bestand auch für die Fraktion der Piraten die Möglichkeit, sich noch nachdrücklicher mit der Fragestellung beschäftigen zu können, indem man einen Bericht einfordert und das Prüfungsverfahren konstruktiv begleitet.

So gerät der Piratenantrag nur zu einem Schaufensterantrag und wird der Thematik nicht gerecht. Daher wird die SPD den Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin von Boeselager.

Ilka von Boeselager (CDU): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kern, da haben Sie sich – das muss ich schon sagen – jetzt aber mit diesem Antrag einmal so richtig ausgetobt. Der Kollege Geyer von der SPD hat dagegen doch sehr versachlicht, was hier passieren soll.

Zu dem Paket, das vorgelegt wurde – beim „Smart Borders“-Paket geht es um intelligentere Grenzen –, gehören drei Rechtsakte. Dabei geht es erstens um den Vorschlag für eine Verordnung über ein Einreise-/Ausreisesystem, zweitens um den Vorschlag für eine Verordnung über ein Registrierungsprogramm für Reisende und drittens um den Vorschlag für eine Verordnung, um den Schengener Grenzkodex entsprechend anzupassen. Alle drei Verordnungsvorschläge unterfallen – das wurde eben auch schon mitgeteilt – dem Frühwarnsystem.

Die EU-Außenminister haben die Vorschläge im März aufgenommen. Das gilt ebenso für den federführenden Ausschuss, dem EP-Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.

Besonderes Ziel des legislativen Prozesses muss es sein, die Vorschläge eingehend daraufhin zu überprüfen, ob sie effektiv auf das Ziel zuführen, die Sicherheit an den Außengrenzen zu verbessern – Herr Kern, wir haben nur eine Außengrenze zur Schweiz, sonst gar keine –, die Einreise für viele EU-Bürger wirklich zu erleichtern und die zunehmende Zahl der Grenzüberschritte angemessen zu bewältigen. Weiter geht es darum, ob sie mit dem Anspruch zu vereinbaren sind, die persönlichen Daten robust zu schützen – da sieht man, wie unterschiedlich man so etwas auslegen kann –, ob sie mit dem Anspruch in Einklang stehen, dass niemand diskriminiert wird, und ob die Kosten-Nutzen-Relation stimmt. Dabei geht es um die Kernaufgabe, fundamentale und sensible Rechtsgüter in die richtige Balance zu bringen.

Das steht im Horizont der Frage, wie wir uns die weitere Entwicklung der Europäischen Union und die Grundordnung, in der wir leben wollen, vorstellen. Deshalb ist es richtig, dass wir uns mit diesem „Smart Borders“- Paket auch hier im Landtag auseinandersetzen. Das muss aber auch sachgerecht geleistet werden.

Der von Ihnen vorgelegte Antrag leistet das in eklatanter Weise nicht. Ein Bezug zu Nordrhein-Westfalen kommt in den Beschlussvorschlägen auf dreieinhalb Seiten nicht einmal vor. Der Antrag enthält keine Vorstellung des Sachverhaltes. Aus unserer Sicht fehlt der komplette Begründungszusammenhang.

Der Antrag verschweigt den gesamten objektiven Rahmen, auf dem die Kommission ihre Vorschläge basiert. Ebenso verschweigt er die Garantien, die in Bezug auf personenbezogene Daten natürlich vorgesehen sind. Dabei geht es zum Beispiel auch um die Freiwilligkeit, an diesem Versuch teilzunehmen.

Fakt ist, dass die derzeitigen EU-Vorschriften bezüglich des Überschreitens der Außengrenze der Mitgliedstaaten nicht ausreichen, um den neuen technischen Möglichkeiten und der zunehmenden Zahl von Reisenden Rechnung zu tragen. Im Raum stehen Schätzungen der Kommission, nach denen die Zahl der Reisenden alleine an den Flughäfen bis zum Jahre 2030 um 80 % ansteigen könnte. Ausgehend von 400 Millionen Menschen im Jahre 2009 sind das 720 Millionen Reisende im Jahre 2030! Im Raum steht auch, dass schätzungsweise 1,9 bis 3,8 Millionen Einwanderer illegal in der EU leben und arbeiten.

Darauf geht der Antrag der Fraktion der Piraten überhaupt nicht ein, sondern die Historie der Vorschläge und ihre Systematik werden einfach ignoriert, Herr Kern. Stattdessen ergibt sich aus dem, was Sie zum Beschluss vorschlagen, ein Bild, das aus unserer Sicht einseitig und völlig überzeichnet ist. Das wird der Sache nicht gerecht.

Vielmehr sollten wir – es dauert ja noch, bis so etwas überhaupt auf den Weg gebracht wird; wir haben noch viele Facetten und Möglichkeiten übrig – die Diskussion in aller Ruhe und Sachlichkeit führen. Denn es trifft uns natürlich, was an den Außengrenzen passiert. Dann aber bitte mit Sachlichkeit statt dieser Problematik. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau von Boeselager!

(Ilka von Boeselager [CDU] ist auf dem Rückweg zu ihrem Abgeordnetenplatz.)

– Bitte, Frau von Boeselager, bleiben Sie noch einen Moment vorne.

(Ilka von Boeselager [CDU] setzt ihren Rückweg fort.)

– Frau von Boeselager, bitte bleiben Sie noch einen Moment in unserer Mitte!

(Ilka von Boeselager [CDU] stolpert.)

– Vorsicht! Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen, Frau Kollegin.

(Ilka von Boeselager [CDU]: Nein, das haben Sie auch nicht! Ich wollte Ihnen auch nicht zu Füßen liegen! – Heiterkeit – Ilka von Boeselager [CDU]: Ich hatte die Stufe nicht gesehen! – Allgemeiner Beifall)

– Es ist Gott sei Dank nichts passiert. Zu Ihrer Interpretation schweige ich beschämt, weise aber darauf hin, dass sich Herr Kollege Kern zu einer Kurzintervention gemeldet hat.

(Ilka von Boeselager [CDU]: Bitte, Herr Kollege Kern!)

Er hat deshalb jetzt auch das Recht, 90 Sekunden zu Ihnen zu sprechen. Sie, Frau Kollegin von Boeselager, haben 90 Sekunden Zeit, ihm zu antworten.

(Ilka von Boeselager [CDU]: Ja! – Die Abgeordnete begibt sich zum Redepult.)

Herr Kollege Kern, seien Sie so nett und drücken sich ein. Sie haben jetzt das Wort.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank! Es tut mir leid, dass ich durch meine Meldung den Anlass dafür gegeben habe, dass Sie sich beinahe etwas gebrochen hätten. Entschuldigung dafür!

Ich möchte Ihr Diskussionsangebot gerne aufnehmen und denke, dass wir in unserer weiteren Landtagsarbeit auf dieses Thema noch häufiger zu sprechen kommen werden.

Sie sagten, es handele sich um ein Subsidiaritätsdokument. Dazu will ich nur ergänzend darauf hinweisen, dass wir kurze Fristen einzuhalten haben und es der Bundesrat nicht für notwendig befunden hat, das Thema innerhalb dieser gesetzten Frist auf die Tagesordnung zu nehmen. Deshalb war es für uns als Oppositionspartei unmöglich, dort rechtzeitig zu agieren. Deswegen dieses Vorgehen. Das nur zur Erläuterung. – Vielen Dank.

Ilka von Boeselager (CDU): Dann hätten Sie das ja im Antrag auch so schreiben können. Das ist aber nicht deutlich geworden.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit zur Kurzintervention und der Entgegnung darauf. – Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Schäffer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau von Boeselager, die „Smart Borders“-Pakete der Europäischen Kommission bedeuten vor allen Dingen, zukünftig alle ein- und ausreisenden Nicht-EU-Bürgerinnen und ?Bürger schärfer als bisher zu kontrollieren. Zum einen sollen zukünftig Ort und Datum des Grenzübertritts gespeichert werden. Zum anderen sollen die Fingerabdrücke in einer zentralen EU-Datenbank erfasst werden. Bei jedem Übertritt der EU-Außengrenzen sowie bei allen Polizei- und Ausweiskontrollen innerhalb der EU sollen diese Daten überprüft und abgeglichen werden.

Das ist meiner Ansicht nach eine elektronische Überwachung aller Nicht-EU-Bürgerinnen und ?Bür-ger, die sich in einem Mitgliedsland in der EU aufhalten. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt die Festung Europa endgültig auch im digitalen Zeitalter an: Es werden nicht nur Grenzzäune hochgezogen, sondern auch die virtuellen Mauern entsprechend erhöht.

Das entspricht eben gerade nicht dem, was wir als Grüne von einem freien und solidarischen Europa erwarten, einem Europa, in dem die Bürger- und Freiheitsrechte aller gewährleistet und geschützt werden.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Aber es ist nicht nur das, sondern mit dem „Smart Borders“-Paket soll auch ein sehr teures, nutzloses und bürokratisches Überwachungssystem aufgebaut werden, das gerade unter Datenschutzgesichtspunkten hochproblematisch ist.

Ich sage Ihnen, warum ich das meine: „Smart-Borders“ ist – erstens – sehr teuer. Die Europäische Kommission rechnet bis zum Jahr 2020 damit, dass es Kosten von mehr als 1 Milliarde € verursacht. Die EU-Mitgliedstaaten müssen selber auch noch einmal ins Portemonnaie greifen und für einen erheblichen Teil der Kosten, die sie in ihrem eigenen Land betreffen, aufkommen.

Zweitens ist „Smart-Borders“ aus unserer Sicht völlig nutzlos und ineffektiv. Ziel ist es ja, illegale Migration aus Drittstaaten in die EU zu verhindern. Das wird meines Erachtens nicht geschehen, da der aktuelle Aufenthaltsort einer Person – hat sie erst einmal die Grenze überschritten – nicht festgehalten wird. Das heißt: Die Kommission weiß, wann wer einreist und wann wer ausreist, erfasst bei der Gelegenheit auch die Fingerabdrücke. Aber die EU-Kommission weiß nicht, wo sich die Person aufhält. Deshalb kann die EU-Kommission diese Person – wenn Sie sich nach Ablauf der Aufenthaltsbefristung noch in der EU aufhält – gar nicht aufspüren und dann ausweisen. Das soll ja das eigentliche Ziel dieses Systems sein.

Ganz unabhängig davon, wie man zum Umgang der EU mit Angehörigen aus Drittstaaten steht, wird dieses System seinen Zweck so niemals erfüllen können.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Aber es gibt auch verschiedene Datenschutzgründe, aus denen heraus man „Smart-Borders“ ablehnen kann und sogar muss: Das ist zum Beispiel die anlasslose Speicherung biometrischer Daten sämtlicher Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger, also von Personen, die nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat kommen oder dessen Staatsangehörigkeit haben. Das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in deren Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung. Das widerspricht auch dem EU-Datenschutz-grundrecht. Die Speicherung ist diskriminierend. Sie unterstellt Drittstaatenangehörige einem Generalverdacht und weicht ihre Persönlichkeitsrechte auf.

Schon jetzt plant die Kommission eine Zweckentfremdung dieser Datenbank. Wenige Jahre nach Einführung dieses Systems dieser Datenbank soll geprüft werden, ob die Polizei einen Zugriff auf die Datenbank bekommen soll, ob Fingerabdrücke von Nicht-EU-Angehörigen dann in Zukunft auch mit Tatorten abgeglichen werden sollen.

Aus unserer Sicht, gerade wenn es darum geht, ob Polizei und Strafverfolgungsbehörden eben auch einen Zugriff auf die Datenbank erhalten sollen, ist es sehr offensichtlich, dass die EU-Kommission schon heute damit plant. Für uns bedeutet das Generalverdacht und Rasterfahndung, ohne nachweisen zu können, ob es wirklich einen Zugewinn bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität gibt. Das bringt gerade auch aus Bürgerrechtsperspektive dann das Fass zum Überlaufen.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

So weit, so gut. Sie sehen, dass wir inhaltlich mit dem Antrag der Piratenfraktion übereinstimmen, dass wir zumindest die meisten Punkte, die in dem Antrag genannt werden, sehr richtig finden.

Nichtsdestotrotz muss man einfach sagen: Vom Verfahren her kommt dieser Antrag der Piratenfraktion schlichtweg zu spät. Denn dieses Thema ist ja bereits im Bundesratsinnenausschuss diskutiert worden. Es ist leider anders diskutiert worden, als wir uns das inhaltlich hier wünschen würden. Insofern finde ich es unehrlich, jetzt noch, nachdem die Beratung im Bundesrat schon gelaufen ist, einen Antrag zu beschließen, in dem gefordert wird, dass sich der Bundesrat entsprechend verhält.

Aus diesem Grund werden wir den Antrag ablehnen, sprich: nicht inhaltlich, sondern insbesondere aus Verfahrensgründen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von den PIRATEN – Verena Schäffer [GRÜNE]: Ja, es ist so!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Piratenfraktion zum Thema „Smart Borders“ entspringt erkennbar einem Interview des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar mit dem dpa-Informationsdienst Inside EU und übernimmt dessen kritische Betrachtung. Das ist nicht falsch.

Denn es ist tatsächlich so, dass dieses Programm, das hier über den ins Verfahren eingestreuten Verordnungsentwurf gestartet wird, zwei Punkte vorsieht: ein Registrierungsprogramm für Vielreisende und ein Kontrollsystem zur Erfassung von Ein- und Ausreisen. Das sind die substanziellen Änderungspunkte. Letztendlich ist das eine Umstellung von bisher manuellen auf elektronische Kontrollen.

Da ist es vom Ansatz her durchaus richtig, auch unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes Vorsicht walten zu lassen und das Ganze intensiv zu begleiten.

Man kann – und so habe ich Sie verstanden, Herr Kern – sagen, dass es an dem nötigen gewichtigen Anlass für eine Speicherung fehlt. Auf der anderen Seite ist von anderen Rednern betont worden, dass es natürlich ein gewisses Bedürfnis gibt, zu kontrollieren. Dies geschieht durch Visa oder, wenn es keine Visa gibt, durch entsprechende Kontrollen an den Außengrenzen.

Die Frage ist natürlich, ob der Verordnungsentwurf in der vorliegenden Form auf europäischer Ebene dem Datenschutzgrundrecht aus Art. 8 der Grundrechtscharta genügt. Daran kann man genauso Zweifel hegen wie daran, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, ob die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit hier richtig vorgenommen worden ist. Deswegen haben auch wir Liberale Zweifel, ob das System in der gegenwärtig vorgeschlagenen Form rechtssicher eingeführt werden kann.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Dennoch ist zu bedenken, dass sich das Ganze im Verfahren befindet. Meines Erachtens ist dieser Entwurf nicht der Weisheit letzter Schluss. Es werden sicherlich noch Diskussionen im weiteren Verfahren stattfinden. Wir haben große Sympathie für das Datenschutzanliegen. Das habe ich sehr deutlich werden lassen. Allerdings habe ich einen konkreten Lösungsvorschlag der Piratenfraktion für das Problem nicht erkennen können.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Leider Gottes ist auch durch die direkte Abstimmung eine tiefergehende Debatte nicht möglich. Ich hätte mir gewünscht, dass man im Fachausschuss hätte beraten können, wo eine intensivere Aussprache möglich gewesen wäre als sie es in einer Plenardebatte ist. Wegen einiger richtiger Ansätze wollen wir uns bei der Abstimmung enthalten.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, zu diesem Thema ist durch meine Vorredner fast alles gesagt. Es geht bei diesen Smart Borders um die Frage, wie die EU- und Schengen-Außengrenzen der Europäischen Union kontrolliert werden sollen, wie die sogenannten Overstayer, also diejenigen, die sich aufenthaltsrechtlich zu lange in Europa aufhalten, und wie Nichteinreiseberechtigte identifiziert werden können.

In den weiteren Beratungen und Entscheidungen sollten wir sehr kritisch auf die Kosten-Nutzen-Analyse schauen und auf die Frage von Bürgerrechten und Datenschutz achten. Diese kritische Herangehensweise ist im Verfahren durch eine ganze Reihe von Bundesländern bereits implantiert. Unter diesen Vorzeichen werden wir mit diesem Thema auch in der Zukunft umgehen. – Herzlichen Dank.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor, sodass ich die Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt schließe.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt, die wir jetzt auch durchführen, und zwar über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/2584. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piratenfraktion und ein Kollege von der SPD. Wer stimmt dagegen? Das sind die anwesenden Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU. Wer enthält sich? – Das sind die anwesenden Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Damit ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag der Piratenfraktion abgelehnt.

Ich rufe nun auf:

10       Der Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern – Paare mit unerfülltem Kinderwunsch auch in NRW unterstützen!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/2624

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellenden Fraktionen Frau Kollegin Milz das Wort.

Andrea Milz (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie schätzt, dass der Kinderwunsch bei 1,5 Millionen Paaren in Deutschland unerfüllt bleibt. Das ist für die Paare ein Drama und auch für uns als Gesellschaft sehr schade.

Wenn sich diese Paare dann dem Thema künstliche Befruchtung nähern, stoßen viele von Ihnen schnell an ihre finanziellen Grenzen. Denn seit der rot-grünen Gesundheitsreform aus dem Jahre 2004 werden die Kosten für eine Kinderwunschbehandlung nur noch zur Hälfte für die ersten drei Versuche von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Die andere Hälfte zahlen die Paare selber. Bei drei Behandlungen betragen diese Kosten dann schon leicht mal 6.000 €. Kommt ein vierter Versuch hinzu, muss dieser komplett selber getragen werden, sodass man als Paar für vier Versuche 10.000 € finanzielle Belastung selber schultern muss.

Die Folgen sind klar: Zu den vielfach tabuisierten Sorgen um das Thema Unfruchtbarkeit kommt die bange Frage: Können wir uns das leisten? So bleibt es oft bei jahrelangen Versuchen, die Schwangerschaft auf natürlichem Wege zu erreichen, bis nachher doch Maßnahmen der assistierten Reproduktion ergriffen werden.

Statistiken zeigen, dass seit der Reform 2004 und der damaligen Senkung der Kostenübernahme durch die Kassen die Zahl der Geburten nach einer Kinderwunschbehandlung von etwa 17.000 auf 8.000 im Jahr zurückgegangen ist. Experten schätzen, dass deshalb für 10.000 Paare der Kinderwunsch nicht realisierbar ist.

Die CDU will diese Situation nicht hinnehmen und begrüßt daher das Förderprogramm der Bundesregierung für Paare mit Kinderwunsch.

(Beifall von der CDU)

Das gibt es seit April 2012. Die Förderrichtlinie sieht vor, dass Bund und Länder gemeinsam 50 % der Kosten übernehmen, die die Paare heute für die ersten drei Versuche selber übernehmen müssen. Das sind also 25 % der Gesamtkosten. Beim vierten Versuch würden Bund und Länder dann die Hälfte übernehmen.

Die Teilnahme am Bundesprogramm jedoch ist an die Beteiligung der Länder gekoppelt. Während Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern schon mitmachen, hat Nordrhein-Westfalen bislang keine Entscheidung getroffen, das Bundesprogramm zu unterstützen. Damit bleibt den betroffenen Paaren in Nordrhein-Westfalen der Zugang zum Bundesprogramm versperrt.

Ein Blick nach Sachsen, wo es seit 2009, sogar schon vor dem Bundesprogramm, eine landesseitige Unterstützung gibt, zeigt, wie erfolgversprechend ein solches Instrument sein kann. Nach Angaben des sächsischen Familienministeriums sind die Behandlungszahlen seit der Förderung um 30 % gestiegen. 2010 wurden dafür knapp 600.000 € in zusätzliche Behandlungen investiert, was dazu geführt hat, dass der familiäre Herzenswunsch von 162 Paaren in Erfüllung gehen konnte.

(Beifall von der CDU)

Frau Ministerin Schäfer, wir würden Sie bitten, auch Paaren in Nordrhein-Westfalen den Weg zum Bundesprogramm freizumachen und dementsprechend eine Landesbeteiligung am Förderprogramm auf den Weg zu bringen.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Bitte helfen Sie denen, die Kinder bekommen wollen, und denken Sie bitte nicht nur darüber nach, wie Sie die kostenlose Pille für Hartz-IV-Empfängerinnen finanzieren können. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein unerfüllter Kinderwunsch ist eine schlimme Situation für die betroffenen Paare. In Deutschland gibt es Schätzungen, dass davon 1,5 Millionen Paare betroffen sind. Für diese ist es ein Herzenswunsch, ein Kind zu bekommen. Ich glaube, da sollte Politik all das, was möglich ist, tatsächlich auch realisieren.

Früher war man dem Schicksal in der Regel ausgeliefert. Heute gibt es medizinische Möglichkeiten, diesen Paaren zu helfen. Daher scheitert es nicht am Zugang zur Hilfe, sondern meistens an den finanziellen Belastungen. Über die muss man politisch reden. Ich bin der Meinung: Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Meine Damen und Herren, seit 2004 wird eine Kinderwunschbehandlung nicht mehr von der gesetzlichen Krankenkasse in vollem Umfang bezahlt. Die damalige Reform von Rot-Grün hat dazu geführt, dass nur noch 50 % von der Gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, und die anderen 50 % die Eltern alleine tragen müssen. Im Prinzip kann man darüber diskutieren, ob es richtig ist, das an die Gesetzliche Krankenkasse anzudocken. Wenn man das macht, wäre es richtig gewesen, eine Kompensation über Steuermittel zu organisieren. Das hat man vernachlässigt.

Die Konsequenz aus der damaligen Reform ist die Tatsache, dass die Zahl der Kinderwunschbehandlungen stark gesunken ist. 17.000 Geburten waren es vor 2004, jetzt aktuell sind es nur noch 8.000. Ich glaube, das kann nicht das Ziel einer solchen Politik sein.

Der Bund hat deswegen völlig zu Recht ein Bundesprogramm aufgelegt, mit dem der Eigenanteil der Eltern abgesenkt werden soll, sodass sich nicht nur Reiche eine solche Behandlung leisten können. Der Bund hat wiederum die Länder aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Die Länder sollen sich mit einem gleichen Anteil wie der Bund entsprechend beteiligen, sodass auf die Eltern ein Eigenanteil von einem Viertel der gesamten Kosten entfällt. Ich meine, das ist ein fairer Anteil, das ist ein guter Weg.

Heute geht es darum, zu diskutieren, wie das Land Nordrhein-Westfalen sich entsprechend einbringen kann. Bislang hat das Land Nordrhein-Westfalen das noch nicht gemacht. Ich würde mir wünschen, dass sich insbesondere die regierungstragenden Fraktionen heute im Rahmen dieser Debatte einen Ruck geben und sagen: Uns ist das Thema so wichtig, dass wir all denjenigen, die einen Kinderwunsch haben, den entsprechenden Schritt auch ermöglichen und hier den Weg freimachen wollen, damit diese Eltern diesen Weg auch gehen können.

Ich würde mir wünschen, dass wir im Ausschuss positiv darüber diskutieren, einen gemeinsamen Weg finden und heute schon den Eltern ein gutes Signal geben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Kopp-Herr.

Regina Kopp-Herr (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle an den Anfang meiner Rede das, was gerade Kollege Hafke auch schon gesagt hat, dass unerfüllter Kinderwunsch für die betroffenen Paare oftmals eine der schwersten Krisen in ihrem Leben ist und dann auch der Wunsch, ein Kind über medizinische Maßnahmen zu bekommen, verständlich ist.

Bezüglich der Zahlen, die Sie, Herr Hafke, und Sie, Frau Milz, gerade vorgetragen haben, möchte ich Sie bitten, einfach noch einmal genauer hinzugucken. Denn die Zahlen haben sich nach 2003 nach dem Einbruch in den Jahren 2004 und 2005 ab dem Jahr 2007 stetig nach oben entwickelt, sodass sie im Jahre 2010 – ausweislich des letzten vorliegenden Berichts des Registers – fast wieder den Stand von 2003 erreicht hatten.

Vielleicht sollte man da auch die Zahl der Praxen zugrunde legen, die eine künstliche Befruchtung nach In-Vitro-Fertilisation oder intracytoplasmatischer Spermieninjektion vornehmen und fördern. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren von 100 auf mittlerweile 128 angestiegen. Ich denke, kein Arzt würde sich mit der Absicht, künstliche Befruchtung zu praktizieren, niederlassen, wenn er nicht auch wirtschaftlich davon leben könnte.

Im Übrigen merke ich an, dass die Gewinne der Pharmakonzerne sehr hoch sind und dass die Ärzte in diesem Segment wirklich zu den gutverdienenden gehören.

Ich gehe zurück an den Anfang meiner Rede. Seitens der CDU-Fraktion haben sie die Maßnahmen der assistierten Reproduktion seit 2010 immer wieder thematisiert. Ich habe mich schon gefragt, warum das in den Jahren von 2005 bis 2010 unter Herrn Dr. Rüttgers kein Diskussionspunkt war. Ich kann mir darüber nur Gedanken machen und müsste spekulieren. Deswegen unterlasse ich das. Sie haben in der Märzsitzung einen Bericht angefordert. Dieser Bericht – so interpretiere ich das – ist die Vorbereitung für den heutigen Antrag gewesen.

Diesen Antrag werden wir überweisen, federführend an den Ausschuss Familie, Kinder und Jugend, mitberatend an den AGS. Wir finden, dass er originär in den AGS gehört, weil die Kostenregelungen – das haben Herr Hafke und Sie, Frau Milz, herausgestellt – über die gesetzlichen Krankenkassen in § 27a SGB V getroffen sind.

Dennoch finde ich, dass wir – oder Sie als CDU und FDP – mit der plenaren Beratung dieses Tagesordnungspunktes eine echte Chance vertan haben, das Thema in den Ausschüssen zu belassen und damit das gesamte Spektrum der künstlichen Befruchtung mit allen Facetten, Bedingungen und Auswirkungen ergebnisoffen zu halten, nach einer Expertenanhörung – ich nehme an, die werden Sie beantragen – zu diskutieren und vielleicht sogar einen parteiübergreifenden Konsens zu erreichen.

(Angela Freimuth [FDP]: Finden Sie, dass das Thema nicht ins Plenum gehört?)

– Doch, Frau Freimuth, das Thema gehört schon ins Plenum; aber es wäre sicherlich im Interesse der Betroffenen gewesen, es zunächst im Ausschuss zu behalten und erst anschließend ins Plenum zu bringen. Jetzt befinden wir uns in einem parteipolitischen Hin und Her.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie entscheiden, ob Sie das Thema dazu machen!)

Das finde ich den betroffenen Paaren gegenüber nicht in Ordnung.

Ich nehme jetzt aus unserer Sicht Stellung zu den unterschiedlichen Ziffern.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Die Kollegin Freimuth würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?

Regina Kopp-Herr (SPD): Ich fahre jetzt erst im Kontext fort. Sie kann sich ja gleich noch einmal melden.

Die Förderrichtlinie des Ministeriums besagt unter Ziffer 1, dass es der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen sei, Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch deutlich sichtbar zu machen, dass das Thema „künstliche Befruchtung“ zu enttabuisieren ist, um darüber zu einer Akzeptanz und Entstigmatisierung kinderloser Frauen und Paare beizutragen.

Unter Ziffer 3 der gleichen Förderrichtlinie wird dann der Gegenstand der Förderung genannt: Behandlungen im ersten bis vierten Behandlungszyklus in Form von In-vitro-Fertilisation oder intracytoplasmatischer Spermieninjektion.

Unter Ziffer 4 werden als Zuwendungsempfänger Ehepaare genannt, die sich einer der unter Ziffer 3 genannten Behandlungen unterziehen.

Die Gesamtkonzeption der psychosozialen Beratung der Paare und die Aufklärung ungewollter Kinderlosigkeit spielen in Ziffer 3 keine Rolle mehr. Sprich: Dafür erhalten Paare keine finanzielle Unterstützung; diese Leistungen müssen sie aus eigener Tasche bezahlen – es sei denn, sie wohnen in Nordrhein-Westfalen. Hier kann man zu Familienberatungsstellen gehen und in dem gesamten Prozess – vor, während oder nach einer solchen Behandlung – kostenfreie Beratung erhalten. Das ist möglich, weil das Land diese Beratungsstellen fördert.

Deswegen ist Ihr Antrag zu kurz gesprungen. Ich habe nur noch wenig Zeit und verweise daher nur noch auf die einstimmige parteiübergreifende Saarbrücker Erklärung der Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister, die Krankenkassen dazu in die Lage zu versetzen, ihren Anteil zu erhöhen und dies als Länderanteil anzuerkennen.

Wir sind für die Überweisung des Antrags. Ich setze darauf, dass wir im Ausschuss darüber hinaus all die Themen diskutieren, die hier anzusprechen mir aus Zeitgründen gar nicht mehr möglich war. Hierzu gehört beispielsweise die Haltung der Kirchen, das Marktpotenzial von Pharmakonzernen und Ärzten, aber auch die Frage, warum das Bundesfamilienministerium nicht erst die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Milieustudie abwartet, die sich zu den Gründen der ungewollten und gewollten Kinderlosigkeit und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz verhält, bevor eine solche Förderrichtlinie erlassen wurde. Im Übrigen ist die Kürzung, die 2004 in Kraft trat, mit Zustimmung der CDU im Bund zustande gekommen.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine interessante, kritisch-konstruktive Diskussion im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ungewollte Kinderlosigkeit – die Debatte macht es deutlich; da sind wir uns auch einig – ist ein persönliches Schicksal, unter dem betroffene Paare oftmals sehr leiden. Ihr Wunsch, alle medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen, ist daher nur allzu verständlich.

In dieser Lebenslage geht es aber um wesentlich mehr als um finanzielle Fragen. So wichtig für die Betroffenen auch die Frage der Kostenübernahme ist, geht es weit darüber hinaus: Es geht um qualifizierte Beratung, es geht um Betreuung und um Begleitung der Paare.

Im Antrag von CDU und FDP wird dieser Aspekt leider nur in einem Nebensatz aufgeführt. Kein Wort auch zu den Risiken, die mit einer solchen medizinischen Behandlung verbunden sind. Für die Frauen sind diese Behandlungen mit diversen medizinischen Risiken – von der Hormongabe über die Entnahme von Eizellen bis hin zu möglichen Komplikationen bei Mehrlingsschwangerschaften – verbunden. Darüber hinaus ist eine sogenannte Kinderwunschbehandlung auch mit großen psychischen Belastungen verbunden, insbesondere dann, wenn sie temporär oder auf Dauer ohne Erfolg bleibt.

Es ist also bei Weitem nicht allein eine Frage nach Anzahl und Art der Finanzierung der Versuche. Die Tiefe und die Vielschichtigkeit dieses Themas blieben Ihnen möglicherweise verborgen, zumindest schlagen sie sich nicht in Ihrem Antrag nieder. Das ist schade und aus unserer Sicht eine vertane Chance.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber auch einige andere Aspekte stellen Sie in Ihrem Antrag, wie ich finde, etwas verkürzt dar. Da wäre beispielsweise die von Ihnen erwähnte rot-grüne Gesundheitsreform – Frau Kopp-Herr hat es gerade auch schon deutlich gemacht –, oder nennen wir das Kind beim Namen: das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Es ist richtig: Im Zuge dieser Reform einigte man sich in der Tat auf eine Leistungseinschränkung bei den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Ein wichtiges Detail bleiben Sie uns aber in Ihrem Antrag schuldig, nämlich folgendes: Diese Leistungseinschränkung basiert auf einem Kompromiss von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU.

Noch in einem weiteren Punkt bleiben Sie in Ihrem Antrag eine wichtige Detailinformation schuldig. Bereits in der Ausschussdebatte zu diesem Thema – basierend auf dem Bericht der Landesregierung – hat Ministerin Schäfer darauf hingewiesen, dass Bundesfamilienministerin Schröder ihr Förderprogramm zwar an die Kofinanzierung der Länder gebunden hat. Eines hat sie dabei jedoch vergessen: Sie hat nämlich vergessen, mit den Ländern zu sprechen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen zu suchen und sich mit den Ländern dabei abzustimmen.

Auch dazu verlieren Sie in Ihrem Antrag kein Wort. Anstatt Ihrer Bundesfamilienministerin vielleicht einmal den Hinweis zu geben, dass dies kein sachdienlicher Umgang mit dieser Frage im Sinne der Betroffenen ist, ignorieren Sie und ignoriert Ihre Bundesministerin alle offenen Fragen, und die Länder dürfen zusehen, wie sie mit diesen Fragen und möglichen Antworten darauf umgehen.

Es erfolgt auch kein Hinweis darauf, dass sich die Gesundheitsminister- und Gesundheitsministerinnenkonferenz im Juni darauf geeinigt hat, die Krankenkassen aufzufordern, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und ihren Anteil in der von Ihnen ausgeführten Art und Weise zu erhöhen und darüber hinaus Satzungsleistungen der Krankenkassen als Kofinanzierung der Länder zu akzeptieren. Frau Kopp-Herr hat es gerade schon sehr deutlich gemacht.

Das zeigt noch mal, die Landesregierung kümmert sich sehr wohl um die Belange von Paaren, die ungewollt kinderlos sind. Aber unter Umständen kommen wir nicht zu ganz so einfachen und plakativen Antworten, die sich in einem Antrag schön zusammenfassen lassen, ohne genauer hinzuschauen und auf Details zu achten.

In Richtung FDP möchte ich noch eine Bemerkung loswerden. Ich finde es wirklich schade, dass auch Sie die Thematik der künstlichen Befruchtung nicht unter dem Aspekt der gewünschten Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare betrachten.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Es liegt auf der Hand, die Hintergründe für solche Kinderwunschbehandlungen bei hetero- und homosexuellen Paaren können sehr unterschiedlich sein, sodass die Rahmenbedingungen nur bedingt vergleichbar sind. Trotzdem hätte ich mir gewünscht – diese Chance haben Sie leider mit Ihrem Antrag bislang vertan; ich setze auf eine Anhörung, die Sie möglicherweise beantragen werden –, dass die von Ihnen mit initiierte Debatte auch diesen gesellschaftspolitisch hoch relevanten Bereich mit aufgreift.

Hier geht es vor allem um die längst überfällige Klärung rechtlicher Fragen rund um den Zugang, aber auch um die familienrechtliche Absicherung dieser Regenbogenfamilien und nicht zuletzt um die Finanzierung. Eine reine Verengung dieser Thematik auf die Finanzierung greift zu kurz. Aber selbst in diesem Abschnitt bleiben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, auf halber Strecke stehen. Denn würden Sie die Finanzierung so ins Zentrum rücken, hätten Sie auch schon zum Haushalt 2013 einen Änderungsantrag stellen können.

Es bleibt also der etwas fade Beigeschmack in Ihrem Antrag, aber auch in der Initiative der Bundesministerin, die sich nicht mit den Ländern abgestimmt hat, dass in erster Linie schwarz-gelbe Betriebsamkeit zur Schau gestellt werden soll. Die bereits von mir oben angesprochenen vielschichtigen Hilfen, die betroffene Paare eigentlich bräuchten, sind Ihnen entweder nicht bekannt oder schlicht egal. Verantwortungsvolle und konstruktive Politik im Sinne von Paaren mit Kinderwunsch sieht aus unserer Sicht anders aus. Da hoffen wir auf ein bisschen mehr Vielschichtigkeit in der Debatte im Ausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Paul. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will es einfach mal so formulieren: ein guter Antrag, zumindest in der Überschrift und in der Beschlussfassung. Dazwischen wird eine ganze Menge „wild reingeworfen“, um es vorsichtig auszudrücken. Darüber können wir uns im Ausschuss unterhalten. Ich glaube, dass wir da nicht sehr weit voneinander entfernt sind.

Ich will kurz auf die momentane Rechtslage eingehen. Wir haben gerade gehört, 2004 ist diese geändert worden: Die Patienten zahlen bei der Kinderwunschbehandlung 50 % selber. – Wir können uns darüber unterhalten, ob das, was damals geändert wurde, gut ist. Wir können uns auch fragen, warum Schwarz-Gelb – seit einiger Zeit hat Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bund – das nicht geändert hat oder warum die CDU die seinerzeit getroffenen Kompromisse mitgetragen hat. Ich will nicht ausführlich darauf eingehen.

Aktuell haben wir folgende Situation: Vor einem Jahr ist diese Förderrichtlinie herausgekommen, die, wie ich finde, den richtigen Weg geht. Damit besteht die Möglichkeit, dass 75 % der Kosten durch den Staat, durch Bund, Land, Kasse, übernommen werden und – in Anführungszeichen – „nur“ noch 25 % vom Patienten zu tragen sind.

Das ist den Piraten längst nicht genug. Für uns ist eine hundertprozentige Kostenerstattung wünschenswert. Aber mit einem zwischenzeitlichen Kompromiss kann man durchaus leben. Von der Zielrichtung gehen wir also bei dieser Regelung mit.

Die Förderrichtlinie beinhaltet, dass sich das Land an der Bereitstellung der Mittel beteiligen muss. Darüber müssen wir uns hier unterhalten. Ich hoffe, dass wir von der Landesregierung entsprechende Signale bekommen, um das Bundesprogramm in Nordrhein-Westfalen anzuwenden.

Um es noch mal ganz klar zu sagen: Unser Ziel sind 100 %. Im Antrag ist erläutert, wie die Eigenbeteiligung aussieht: zwischen 6.000 und 10.000 € je nach Umfang der Behandlung. Bei einer Reduzierung des Zuschusses des Patienten auf 25 % sind wir immer noch bei 3.000 bis 5.000 €. Das ist für eine Familie immer noch wahnsinnig viel Geld und wird immer noch viele Menschen daran hindern, diese Kinderwunschbehandlung vorzunehmen. Bitte lassen Sie uns daher das Ziel nicht aus den Augen verlieren!

Bei der Recherche zu dem Antrag ist mir noch einiges aufgefallen. Frau Paul hat es eben schon kurz angesprochen, Sie hatten in der letzten Legislaturperiode eine Kleine Anfrage zu der Thematik bei lesbischen Paaren gestellt. Das Gesundheitsministerium hat damals, wenn ich es recht in Erinnerung habe, geantwortet. Mich interessiert – Frau Steffens ist gerade nicht hier, vielleicht kann Frau Ministerin Schäfer etwas dazu sagen –, ob Gespräche mit den Ärztekammern geführt wurden oder ob möglicherweise noch gar nichts passiert ist.

Mich interessiert auch der Bundesratsbeschluss aus März 2012. Der Antrag liegt jetzt so im Bundestag rum. Er sieht auch 75 % vor, aber ohne zwingende Beteiligung der Länder. Warum hält der Bundesrat mit rot-grüner Mehrheit nicht weiter an diesem Antrag fest?

Ein weiterer Antrag der grünen Bundestagsfraktion, der die von Frau Paul eben schon angesprochene Problematik mit aufgreift, liegt seit knapp zwei Jahren im Bundestag. Für unsere weitere Beratung würde mich auch der Stand bei diesem Antrag interessieren. Vielleicht können Sie Ihre Kontakte nutzen, damit wir auch darüber reden können, warum bei diesem wichtigen Thema auf Bundesebene nichts weiter passiert.

Ich will es dabei belassen. Ich freue mich sehr auf die weitere Beratung im Ausschuss. Ich bin gespannt, ob wir zu dem Antrag eine Anhörung machen. Es ist ein sehr wichtiges Thema, zu dem wir wohl gemeinsam etwas hinkriegen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Schäfer das Wort.

Ute Schäfer, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat – darin sind wir uns alle einig –: Ein unerfüllter Kinderwunsch kann bei vielen betroffenen Paaren zu einem großen seelischen Druck und zu Leid führen. Deshalb ist die Intention, die in diesem Antrag auch steckt, nämlich dies öffentlich zu thematisieren und zu enttabuisieren, sehr richtig und wichtig. Dieser Debatte, dieser Diskussion sollten wir uns alle stellen.

Es ist auch darauf hingewiesen worden, mit welcher Sensibilität wir bei diesem Thema vorgehen sollen und müssen. Ich möchte in erster Linie auch gar nicht über das Geld sprechen, das das Land zur Verfügung stellen sollte, sondern thematisieren, um welche seelischen, aber auch körperlichen Belastungen es bei den Paaren gehen kann. Da muss man genau hinschauen. Es gehört einfach zu unserer Verantwortung, diese Risiken deutlich zu machen. Dazu gehören die Gefahr der Überstimulation der Frau, die Risiken, die bei der Eizellentnahme entstehen, und die Belastung durch Mehrlingsschwangerschaften, die in diesen Fällen gehäuft vorkommen. Ich habe im Ausschuss auch darauf hingewiesen, dass bei Kinderwunschbehandlungen der Anteil angeborener Fehlbildungen um 30 bis 40 % erhöht ist. Das sind Fakten und Risiken, die man in diesem Kontext aufzeigen muss. Die Risiken sind also groß.

Wie ist denn der Erfolg solcher Versuche? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich ein Baby zu bekommen? Man weiß, dass von 100 Versuchen 14 erfolgreich sind. Das ist in unserem Land anders als in anderen Ländern Europas, weil dort eine andere Diskussion um Präimplantationsdiagnostik stattfindet, als das bei uns der Fall ist. Wir haben für dieses Verfahren in Deutschland andere ethische Grundlagen.

Deswegen sagen wir: Gerade wenn die Erfolgsquote so niedrig ist, darf man die Nachsorge, die Behandlung der Paare nach dem Versuch nicht aus dem Auge lassen. Das ist für diese jungen Menschen eine enorme psychische Belastung. Ich denke, das ist ein Grund, das im Ausschuss noch sehr ausführlich zu besprechen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich es befremdlich finde, dass die Bundesregierung diese Förderrichtlinie, die auch die Länder betrifft, in Kraft gesetzt hat, ohne sich mit den Ländern vorher fachlich oder sachlich auszutauschen. Einen Tag nach Inkrafttreten dieser Förderrichtlinie sind wir als Länder darüber informiert worden. Das ist, finde ich, kein guter Umgang, wenn man an einer gemeinsamen Sache arbeiten will. Das kritisiere ich hier ausdrücklich. Auch das können wir im Ausschuss noch thematisieren.

Hier sind schon mehrfach Zahlen genannt worden, wie viele Paare aufgrund der Gesundheitsreform vielleicht keinen solchen Versuch unternommen haben. Nach meinem Kenntnisstand haben sich die Zahlen wie folgt entwickelt – das ist dem Jahrbuch des IVF entnommen –: Im Jahr 2001 haben in Deutschland 74.000 Paare einen solchen Versuch unternommen. Nach der Gesundheitsreform waren es im Jahre 2004 60.000 Paare. Im Jahr 2011 sind wir bei 79.000 jungen Paaren angekommen, die auf diese Weise versuchen, sich ihren Babywunsch zu erfüllen. Insofern hat es da durchaus wieder eine andere Entwicklung gegeben. Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber sagen.

Frau Milz, wir sollten uns auch Zeit nehmen, dies alles im Ausschuss zu thematisieren. Aber eines möchte ich noch ganz deutlich sagen, weil Sie hier im Plenarsaal erneut deutlich gemacht haben, ich setzte mich für die kostenlose Pille für Hartz-IV-Empfängerinnen ein, und in diesem Kontext macht die Landesregierung nichts. – „Mittel für kostenlose Empfängnisverhütung“ ist ein Thema, das die Jugend- und Familienministerkonferenz beraten hat. Wir haben einen gemeinsamen Beschluss von 15 Bundesländern – außer Bayern –, die Bundesregierung zu bitten, einkommensschwachen Frauen die kostenlose Empfängnisverhütung zu ermöglichen. Ich nenne Ihnen jetzt zwei Zahlen; dann werden Sie verstehen, warum das so ist.

Die Regelleistung für Alleinstehende in der Gesundheitspflege liegt bei 15,55 €. Davon dürfen 8,54 € für Medikamente und ähnliche Dinge ausgegeben werden. Das reicht einfach nicht aus, dass sich junge einkommensschwache Frauen davon die Pille besorgen könnten. In diesem Zusammenhang haben wir von den Schwangerschafts­beratungs-stellen – nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern überall – verstärkt Hinweise auf Schwangerschaftsabbrüche bekommen. Die werden natürlich vom Gesundheitssystem getragen, sind aber auch eine hohe Belastung für die jungen Frauen. Darum haben wir die Bundesregierung gebeten, sich dieses Themas anzunehmen. Diese Bitte kommt von 15 Bundesländern gemeinsam. Deswegen würde ich nicht das eine gegen das andere setzen. Es war mir wichtig, das an dieser Stelle auszuführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die FDP-Fraktion hat noch einmal Herr Kollege Hafke das Wort.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. Ich fand Ihre Einlassung über Chancen und Risiken und darüber, dass wir das hier im Parlament diskutieren, richtig. Das ist der Weg, den wir gehen sollten: so etwas inhaltlich zu diskutieren.

Mich hat es schon erschreckt, dass SPD und Grüne wieder reflexartig in die alten Muster verfallen sind: Es kommt ein Vorschlag aus der Opposition, den lehnen wir erst mal ab. – Ich glaube, das ist der falsche Weg.

Hier geht es um ein wichtiges Thema, das die Betroffenen sehr stark belastet. Es sollte Aufgabe des Parlamentes sein, zu überlegen, wie man mit diesem Thema umgehen kann. Natürlich muss man Risiken und Chancen abwägen; da bin ich vollkommen bei Ihnen. Aber es ist immer noch die eigene Entscheidung der betroffenen Paare, diesen Weg zu gehen. Dann sollte man als Parlament auch darüber diskutieren, wie man denen finanziell entgegenkommen kann. Es kann ja nicht sein, dass eine solche Behandlung nur diejenigen einschlagen, die sich das finanziell leisten können oder die sich dafür verschulden, wenn für das Parlament die Möglichkeit da ist, diese Paare zu entlasten. Darüber muss man diskutieren.

Ich bin ja ganz bei Ihnen. Natürlich hätte der Weg der Bundesregierung vielleicht anders sein können. Aber faktisch ist es nun mal so, dass die Verantwortung hier im Land Nordrhein-Westfalen liegt, diesen Paaren irgendwo entgegenzukommen. Von daher würde ich mich freuen, wenn wir die Diskussion in dieser Art und Weise führen und nicht wieder die Bälle von links nach rechts spielen würden. Das Thema ist viel zu wichtig, als dass wir daraus Parteipolitik machen sollten.

Deswegen mein Appell an Sie: Lassen Sie uns das auf eine inhaltliche Ebene ziehen. Es ist wichtig, die Chancen und Risiken abzuwägen. Es ist die eigene Entscheidung der Paare, wie sie damit umgehen.

Wir können auch gerne über Ihr Anliegen diskutieren, Frau Paul; da bin ich bei Ihnen. Es ist ein zweites großes Feld. Aber abgeneigt bin ich nicht, dass wir eine solche Diskussion führen.

Von daher würde ich mich freuen, wenn wir das Parteipolitische etwas außen vor lassen und stattdessen darüber diskutieren würden: Was kann das Land Nordrhein-Westfalen tun, um diesen Paaren tatsächlich zu helfen? Wir sollten nicht wieder in reflexartige Äußerungen hineinfallen. Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil mir das Thema dafür viel zu wichtig ist. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Debatte im Ausschuss entsprechend inhaltlich führen würden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2624 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Inzwischen haben sich die Fraktionen darauf verständigt, den Antrag zur Mitberatung auch an den Ausschuss für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation zu überweisen. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand dieser Überweisungsempfehlung widersprechen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

11       Abitur in Nordrhein-Westfalen: Ministerin muss für korrekte Durchführung sorgen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2636

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Kaiser das Wort.

Klaus Kaiser*) (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Löhrmann, es ist wirklich nicht zu fassen. Wir haben in diesem Jahr den doppelten Abiturjahrgang, einen Jahrgang, der sowieso schon sehr belastet ist. Sie als verantwortliche Ministerin versagen bei der Durchführung des diesjährigen Zentralabiturs. Dort, wo äußerste Sensibilität notwendig gewesen wäre, passieren Anfängerfehler, obwohl inzwischen der siebte Jahrgang in NRW das Zentralabitur ablegt.

Die Anfängerfehler im Management haben den Eindruck verstärkt, der bei den betroffenen Schülerinnen und Schülern entstanden ist. Der doppelte Abiturjahrgang wird durchverwaltet und unsensibel behandelt. Verschärfend kommt hinzu, Ihre Landesregierung trägt im Anblick der Prüfungen durch die Verunsicherung und Diskussion um NC-Verschärfungen erheblich zur Verunsicherung bei und fördert die Zukunftsängste unserer Jugendlichen.

(Beifall von der CDU)

Frau Ministerin, die Termine für den doppelten Abiturjahrgang sind nicht über Nacht festgelegt worden. Das bedeutet, dieser doppelte Aufwand hätte vorausschauend organisiert werden können. Dafür tragen nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern Sie als Ministerin die Verantwortung. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können diese Pannen bedauern. Das ist zu akzeptieren. Wenn Sie als zuständige Ministerin dies auch nur bedauern, so ist das nicht akzeptabel. Sie müssen die politische Verantwortung für diese Pannen übernehmen.

(Beifall von der CDU)

Das tun Sie aber gerade nicht, sondern beklagen, dass zu wenig Personal für die Durchführung des Abiturs im Ministerium zur Verfügung stand.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Sie lesen nicht richtig!)

Aber nicht nur Ihr Versagen bei der Organisation ist unbegreiflich, sondern auch Ihre Handhabung der Probleme. Bezogen auf die Proteste zur Mathematikklausur machen Sie den Schülerinnen und Schülern zunächst Hoffnung, dass sie die Arbeit wiederholen können, indem Sie eine solche Wiederholung nicht ausschließen. Was machen Sie dann? Dann lassen Sie diejenigen diese heikle Frage der Wiederholung prüfen, die die Aufgaben selbst gestellt haben. Wie sieht das Ergebnis einer solchen Prüfung aus? Wir konnten es heute der Presse entnehmen: Alles richtig gemacht.

Die Schülerinnen und Schüler haben vollkommen Recht, wenn sie Gerechtigkeit fordern. Die Überprüfung hätte natürlich nur unabhängig erfolgen dürfen. Das ist ein vollkommen unsensibler Vorgang, der zu Frust und Wut führen muss. Ich möchte einmal kurz vorlesen, was uns an Mails erreicht hat. Ich zitiere:

Statt auf die Schüler einzugehen, spielen Sprecher des Schulministeriums die Problematik herunter, wahrscheinlich weil eine Anerkennung der Proteste einem Eingeständnis einer schlechten Führung des Ministeriums gleichkäme. Wie man bei den Medien entnehmen kann, lässt Frau Löhrmann die Klausuraufgaben nun zwar noch einmal prüfen, jedoch nur durch diejenigen, die diese Aufgaben zuvor selbst entwickelt hatten. Das Ergebnis kann man erahnen. Eine Offenlegung und unabhängige Prüfung der Klausuraufgaben lehnt das Ministerium mit Verweis auf Urheberrechte – hört, hört! – ab. Hier wird auf dem Rücken einer Schülergeneration Politik gemacht. Das macht mich sehr wütend. – So heißt es in einem Brief.

Und weiter: Wir Erwachsenen sollten unseren Kindern und besonders dem doppelten Abiturjahrgang, der es ohnehin schwerer hat, nicht noch zusätzlich Steine in den Weg legen und Chancen verbauen.

(Beifall von der CDU)

Ich möchte ausdrücklich betonen. Wir als CDU-Fraktion halten das Zentralabitur uneingeschränkt für richtig. Es ist richtig und wichtig, um leistungsgerechte Zugangsvoraussetzungen zu den Universitäten zu schaffen. Es ist ein Instrument, um Bildungsgerechtigkeit zu schaffen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kaiser.

Klaus Kaiser*) (CDU): Es ist ein Instrument, um Qualität zu sichern. Daher darf es nicht sein, dass auf Leistungsstandards verzichtet wird.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kaiser, entschuldigen Sie.

Klaus Kaiser*) (CDU): Nein, ich möchte weiter ausführen.

Präsidentin Carina Gödecke: Okay.

Klaus Kaiser*) (CDU): Allerdings möchten wir sicher sein, dass auch die Leistungen in den entsprechenden Fächern geprüft werden. Es ist keine Leistung zur Überprüfung in Mathematik, wenn die Aufgabenstellung – wie es aus den Mails deutlich wird – sprachlich nicht verstanden wird. Ein sprachliches Problem ist kein mathematisches Problem und hat damit auch nichts mit der Leistung in Mathematik zu tun.

Sie als Ministerin haben darauf rein bürokratisch reagiert. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Schülerinnen und Schüler vor den Kopf gestoßen fühlen. Ein sensibleres Vorgehen wäre in Zeiten des doppelten Abiturjahrgangs sicherlich der angemessenere Weg gewesen. Ich will mir nicht vorstellen, wie Sie reagiert hätten, wenn wir solche Pannen heute zu verantworten hätten.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Oliver Wittke [CDU])

Ich kann mich gut an Ihre persönliche Hetze gegen Frau Sommer beim Mathematikabitur im Jahre 2008 erinnern. Frau Löhrmann, ich hoffe, Ihre Einlassungen werden sich gleich auch vor dem damaligen Hintergrund verstehen lassen. Demut ist angebracht.

Ich komme zum Schluss. Es ist nicht gelungen, für einen fehlerfreien Ablauf des Zentralabiturs 2013 zu sorgen. Das ist beim siebten Durchlauf des Zentralabiturs blamabel. Das ist Ihre Verantwortung, Frau Ministerin. Ihre bürokratischen Reflexe sind unsensibel. Das politische Versprechen, sich im Jahr des doppelten Abiturjahrgangs besonders um die Abiturienten zu kümmern, hält diese Landesregierung nicht ein.

(Beifall von der CDU)

Ihr Motto, kein Kind zurücklassen zu wollen, wird zur hohlen Phrase. Zehntausend Protestierende haben es Ihnen ins Stammbuch geschrieben. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die SPD-Fraktion hat Frau D’moch-Schweren jetzt das Wort.

Brigitte D’moch-Schweren (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren im Zuschauerraum! Schön, dass Sie zu Gast sind! Liebe Kolleginnen und Kollegen. Bevor ich mit meiner Rede, die ich vorbereitet habe, beginne, möchte ich einen Satz zu Herrn Kaiser sagen: Ich weiß nicht, was diese Beschimpfungen, diese Tiraden hier sollen, zumal wir doch gemeinsam nach Lösungen suchen. Das hat mich für einen Kollegen aus dem Schulausschuss, wo es um Inhalte und Schüler geht, schon ziemlich überrascht.

(Beifall von der SPD)

Das fand ich völlig daneben. Aber das scheint die Diskussionskultur im Ausschuss oder sogar im Parlament zu sein.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Lesen Sie mal alte Protokolle!)

Zu meiner Rede: Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Der diesjährige doppelte Abiturjahrgang stellt alle Beteiligten vor besonders hohe Herausforderungen. 130.000 Schülerinnen und Schüler schreiben an insgesamt 827 Schulen an ihrer Hochschulreife. Das hier Fehler passieren können, ist menschlich.

(Zuruf von der CDU: Ach nee!)

An vier von 48 Schulen mit dem Leistungskurs Sozialwissenschaften/Wirtschaft im Abitur hatten die Schülerinnen und Schüler das Pech, nicht die richtigen Klausuren gestellt bekommen zu haben. Was eine misslungene Klausur für die betroffenen Schülerinnen und Schüler bedeutet, weiß ich, weil auch ich schon mein schluchzendes Kind in einer solchen Situation trösten musste. Die Panne ist im Ministerium passiert, keine Frage. Aber jetzt stellt sich die Frage nach der Vermeidbarkeit, nicht nach den Beschimpfungen.

Lissa, eine Leserin der Onlineausgabe der WAZ, äußerte sich zu dem Kommentar „Peinliche Abi-Panne“ von Gregor Boldt vom 13.04.2013. Sie schreibt:

Wenn das nur an vier Schulen passiert ist, wirft das aber auch ein schlechtes Licht auf die Schulen. So etwas muss man doch merken als zuständiger Lehrer. Na ja, zum Glück waren die meisten schlauer. – Zitat Ende.

Fakt ist, dass sich 18 von 109 betroffenen Abiturienten entschlossen haben, die Arbeit nachzuschreiben. Fakt ist auch, dass sich die Ministerin für diese Panne entschuldigt hat. Ebenso ist Fakt, dass 2008 nicht 18 Schüler, sondern einige tausend Abiturienten eine Prüfung wiederholen mussten, weil sie Fehler in der Klausur, unter anderen „Das Oktaeder des Grauens“, zur Verzweiflung gebracht hatten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Fakt ist auch, das von der damaligen Schulministerin Barbara Sommer, CDU, eine ehrliche Entschuldigung bis heute noch aussteht.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ha, ha!)

Ob der Antragsteller sich daran erinnert hat, als er den Antrag für diese Debatte schrieb, wage ich zu bezweifeln.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

– Schreien macht es auch nicht besser, Herr Kollege!

Mittlerweile rückt die Panne im Sowi-Abitur in den Hintergrund. Eine ganz andere Diskussion tut sich auf. Die „Aachener Zeitung“ schreibt am 20. April: „Abiturklausuren: Wenig Pannen, aber Aufruhr in Mathe.“ – Einige tausend Schülerinnen und Schüler sind in diesem Jahr auf die Barrikaden gegangen. Ihnen waren die Aufgaben der Mathematikgrundkursklausur zu schwierig, zu kompliziert gestellt. Unter anderem stellt die GEW fest, dass es jedes Jahr Probleme mit den Mathematikklausuren gibt und dass sie viel zu oft zu unverständlich in der Fragestellung sind. Befürchtet wird, dass Mathematik zu einem Angstfach wird, sodass sich dies auf das Wahlverhalten bei Leistungskursen auswirken könnte.

Auch hier hat das Ministerium unverzüglich reagiert. Es hat die Aufgabenkommission beauftragt, Stellung zu nehmen. Das vorliegende Ergebnis stimmt die Betroffenen nicht glücklich.

Vorbereitung und Ablauf der Zentralabiturprüfung 2013 werden auch unabhängig davon zu diskutieren sein. Unsere Aufgabe wird es dann sein, Anregungen zu geben und Wege aufzuzeigen, die die diesjährige Situation wahrnehmen und ihr Rechnung tragen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ich nun aber gar nicht verstehe, ist die voreilige Schlussfolgerung des Antragstellers. Er fordert einfach nur mehr Personal. Pannen, Irrtümer und Fehler gehören zur menschlichen Natur. Auch mit einer deutlichen Erhöhung des Personaleinsatzes wird man Pannen niemals hundertprozentig ausschließen können. Und dies ist unabhängig von der Tatsache, dass gerade diejenigen Kolleginnen und Kollegen mehr Personal fordern, die ansonsten den Regierungsfraktionen vorwerfen, zu viel Geld auszugeben, und dafür selbst das höchste Landesgericht anrufen. Dieser Antrag, meine Damen und Herren, reiht sich in die lange Reihe von pawlowschen Reflexhandlungen einer Opposition ein, die ihre Rolle nach wie vor sucht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich schicke Ihnen mal Protokolle aus der letzten Legislaturperiode!)

Ich komme zum Ende.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das erleichtert die Sache!)

Sehr verehrte Damen und Herren, das Abitur ist ein wichtiger Schritt in das Berufsleben, es ist für viele Schüler die Eintrittskarte zu einer erfüllenden Berufswahl und oft zukunftsweisend. Darum ist uns ein reibungsloses Abitur wichtig.

Alles, was uns diesem Ziel näher bringt, ist gut für unsere Kinder. Wir freuen uns deshalb auf Ihre konstruktiven Vorschläge. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. Und wir haben uns darüber gefreut, dass Sie Ihre erste Rede hier gehalten haben.

(Allgemeiner Beifall)

Für die Fraktion der Grünen hat Frau Kollegin Beer das Wort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch lieber Klaus; immer! Auch lieber Christof, überhaupt keine Frage! Gerade Klaus Kaiser und der Kollege Hovenjürgen haben darauf hingewiesen, wie das denn in den Protokollen und unter der schwarz-gelben Regierung war. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen.

Allerdings will ich das erste Wort an die Abiturientinnen und Abiturienten in diesem Jahr richten. Ich kann natürlich verstehen, dass sich da Protest formiert hat und dass sie Angst haben, benachteiligt zu werden. Dafür muss man Verständnis haben.

Lieber Klaus Kaiser, ich hätte allerdings erwartet, dass dann hier auch gesagt wird, wer der Verursacher dieses G8 war, das die Schüler und Schülerinnen in dieser ganzen Periode begleitet hat. Es gab eine Stauchung in der Sekundarstufe I. Sie mussten unvorbereitet – ohne Lehrpläne, ohne Schulbücher – in eine solche Schulphase starten.

Es war aber das Bemühen der Landesregierung und wohl auch unser aller gemeinsames Bemühen, faire Ausgangslagen auch für diesen doppelten Abiturjahrgang zu schaffen. Das stand an der ersten Stelle. Deswegen möchte ich diesen Vorwurf zurückweisen. Es ist geradezu absurd, zu sagen, Aufgaben seien speziell gefertigt worden, um irgendjemandem eine Hürde in den Weg zu legen oder um irgendetwas abzusenken. Es gibt eben keine politische Einflussnahme auf Aufgaben.

Damit bin ich auch bei der 14. Legislaturperiode. Über die Unterschiede zwischen damals und heute sollten wir einmal reden. Seinerzeit gab es nämlich eine politische Einflussnahme auf die Abituraufgaben.

Erstens darf ich daran erinnern, dass der Staatssekretär damals eine Aufgabe zurückgezogen hat, weil Frau Merkel sich zum Klimaschutz geäußert hat und politisch nicht gewollt war, dass so etwas in einer Klausur stand. Das ist eben der Unterschied, lieber Klaus Kaiser.

(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was hat das denn damit zu tun?)

Zweitens haben wir es erlebt, dass bei dem Gedicht „Vergänglichkeit der Schönheit“ nicht einfach eingestanden wurde, dass es sich um einen Kopierfehler gehandelt hat. Vielmehr wurde vom Pressesprecher die Legende gebildet, dass wir es mit einer neugermanistischen Interpretation des Textes zu tun hätten, der zeitgemäß zu interpretieren sei. Auch das ist beim jetzigen Abitur nicht der Fall.

Drittens war das leider berühmte „Oktaeder des Grauens“ eine Aufgabe, die nicht lösbar war, lieber Klaus Kaiser. Das ist ein entscheidender Unterschied zur jetzigen Situation. Die Mathematikaufgaben des Jahres 2013 waren lösbar.

In der lokalen Berichterstattung hört man natürlich die Stimmen der Abiturienten und Abiturientinnen, die über die Aufgabe irritiert waren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Stimmen der Abiturienten und Abiturientinnen, die gesagt haben: Ja, das konnten wir bewältigen; das ist lösbar gewesen; das waren für uns keine unbekannten Aufgaben. – Das ist schon einmal eine ganz andere Ausgangslage.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Übrigens findet man das auch auf der Facebook-Seite – lieber Klaus Kaiser, da können Sie sich das einmal anschauen – der offenen Gruppe „faires Abitur“. Diejenigen, die versucht haben, dort entsprechende Kommentare zu platzieren, mussten aber mit Streichungen rechnen. Ich finde, es ist nicht gerade ein Ausweis von demokratischem Dialog, wenn bei solchen Gruppen versucht wird, solche Dinge zu lancieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Schauen wir uns die Sachverhalte also einmal an. Außerdem ist natürlich das Umgehen mit solchen Vorkommnissen im Abitur entscheidend.

Das Erste ist – der Antrag war ja auf die Sozialwissenschaftsklausuren bezogen –, dass sich die Ministerin tatsächlich dafür entschuldigt hat; denn es ist in der Tat ein ärgerlicher Vorgang,

(Ministerin Sylvia Löhrmann nickt.)

dass nicht alle Schulen gleich miteinander informiert worden sind. Das hat die Ministerin aber ausdrücklich eingeräumt. Es wird auch entsprechend abgestellt.

Das Zweite ist: Die Ministerin hat jetzt auch klargestellt, dass die Klausuren alle noch einmal durchgeprüft worden sind. Wir hatten in diesem Jahr ein außerordentlich sorgfältiges Verfahren mit Praxischecks von Kollegen und Kolleginnen, die selbst in der Oberstufe arbeiten, aktuell nicht mit in das Abitur einbezogen sind und diese Aufgaben gegengerechnet haben.

In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Frage des Zugangs zu einer Mathematikaufgabe Thema gewesen. Deswegen bin ich der Ministerin außerordentlich dankbar dafür, dass sie auf die gängigen Vorschriften hingewiesen hat – die auch nichts Neues sind, sondern im Land schon seit langen Jahren die Regel –, was die Bewertungskriterien von Abiturarbeiten angeht. Dabei ist nämlich die Ausgangslage, also die Frage, was wie vorbereitet worden ist, noch einmal entsprechend zu bewerten. Daher haben die fachkundigen Kollegen und Kolleginnen, in die ich mein volles Vertrauen setze, genau die gleichen Bewertungskriterien an der Hand und genau die gleichen Möglichkeiten wie in allen anderen Jahren zuvor.

Ich bin der Ministerin dankbar dafür, dass sie sehr transparent – das ist auch ein Gegensatz zu dem, was wir unter Schwarz-Gelb und der damaligen Bildungsministerin erlebt haben – das gesamte Verfahren offengelegt hat, deutlich gemacht hat, wie viele Leute über die Aufgaben geschaut haben, und ausgeschlossen hat, dass diese Aufgaben nicht lösbar waren. Sie waren in der Tat lösbar. Es ist richtig, dass sie unterschiedliche Reaktionen ausgelöst haben. Wir müssen da aber auch eine Klarheit und Transparenz im Verfahren haben, finde ich. Das hat die Ministerin vorgelegt. Dafür bin ich ihr auch dankbar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die Fraktion der FDP spricht Frau Abgeordnete Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP): Zum dritten und letzten Mal am heutigen Tage: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern ist die Entscheidung des Ministeriums zur Mathematikklausur gefallen. Grundsätzlich gilt, dass das Niveau von Prüfungen selbstverständlich nicht abgesenkt werden darf. Es handelt sich dabei nämlich um den Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung. Das muss man ganz klar und deutlich sagen.

In der Bewertung, ob diese Aufgaben verständlich und dem zu erwartenden Anspruch eines Grundkurses angemessen waren, gehen die Meinungen bei Fachleuten – wie so oft, ist das auch hier der Fall – merklich auseinander. Daher war die Überprüfung der Aufgabenstellung richtig. Die Kommission hat nun erklärt, sie sei aus ihrer Sicht angemessen, verständlich und lösbar. Jetzt kann man noch darüber sprechen, ob hier eine unabhängige Überprüfung angebracht wäre. Das werden wir sicherlich an anderer Stelle tun. Die Entscheidung des Ministeriums steht aber fest.

Allerdings – das sage ich an dieser Stelle auch – müssen wir meines Erachtens im Ausschuss noch über eine Frage intensiver diskutieren, die vom Ministerium abschlägig beschieden wurde. Vielfach wurde nämlich ein unterschiedlicher Schweregrad zwischen den einzelnen Jahrgängen kritisiert. Im Sinne einer Gleichbehandlung muss sichergestellt sein, dass jedes Jahr anspruchsvolle, angemessene, aber auch zwischen den Jahrgängen vergleichbare Anforderungen gestellt werden.

Bei der Frage der Sozialwissenschaften handelt es sich jedoch offensichtlich um ein klares Missmanagement des Ministeriums. Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben noch am 8. April 2013 erklärt – ich darf an dieser Stelle zitieren –:

„Die Schüler in NRW können zuversichtlich ins Abitur gehen, weil alle Beteiligten alles nach besten Kräften vorbereitet haben.“

An dieser Stelle kann ich nur sagen: Vertrauen ist gut, Kontrolle manchmal besser.

Ich möchte hier nicht wiederholen – das wurde schon in den Äußerungen meiner Vorredner deutlich –, wie besonders die Grünen geschimpft haben, als zu Beginn des Zentralabiturs zweifellos deutliche Probleme aufgetreten sind. Das kann man an dieser Stelle sagen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Und politische Vertuschungen!)

Mir geht es um die Schlüsse, die Sie, Frau Ministerin Löhrmann, für Ihr Handeln daraus gezogen haben. Bereits 2011 sind Probleme aufgetreten, die dann noch um weitere Fehler des Ministeriums bei der Wiederholungsklausur ergänzt wurden.

Damals haben Sie im Ausschuss erklärt, natürlich gehöre zum Vorgehen des Ministeriums, dass beim Auftauchen von Problemen mit den Betroffenen sehr zeitnah gesprochen werde. Das haben Sie als Ihren Anspruch formuliert.

Ich sage aber auch, dass ich es als pure Selbstverständlichkeit erachte, unmittelbar mit den Schulen zu kommunizieren, wenn man Probleme sichtet. Dann klingt es an dieser Stelle doch etwas befremdlich, wenn Ihre Sprecherin äußert – ich darf zitieren –: Künftig werden wir alle Schulen sofort informieren.

Meine Damen und Herren, ich halte es – wie schon erwähnt – für selbstverständlich, dass bei einer so wichtigen Prüfung wie der Abiturprüfung keine Zeitverzögerung eintritt.

Die Vorgänge in den Sozialwissenschaftsklausuren sind keine Petitesse, nur weil hier nicht so viele Schulen betroffen sind wie das im Bereich der Mathematik der Fall ist und offenbar nur 18 Schüler nachschreiben. Eine Wiederholungsprüfung – das wissen wir – ist, ob jetzt Doppelabiturjahrgang oder nicht, für die Jugendlichen immer eine zusätzliche Belastung. Das muss man an dieser Stelle klar und deutlich sagen. Auch für Lehrerinnen und Lehrer ist dies immer schwierig. Ich glaube, an der Stelle sind wir uns einig.

Frau Ministerin Löhrmann, das hätte vermieden werden müssen, das wäre zu vermeiden gewesen, und das gilt es in Zukunft mit allen Mitteln zu vermeiden. Insofern hat die CDU Recht, wenn sie sagt, Sie können sich bei dem Fehler, der hier entstanden ist, nicht mit einem kleinen Team herausreden. Denn es ist Ihre Aufgabe als Hausspitze eines Ministeriums, für eine solche wichtige Aufgabe an dieser Stelle das benötigte Personal einzuplanen. Das Abitur – auch das ist schon angesprochen – und die dazugehörigen Prüfungen kommen nicht über Nacht, sondern dieser Termin und die entsprechenden Prüfungsaufgaben stehen schon länger fest.

Frau Löhrmann, Sie haben in der Plenardebatte 2011 zu den damaligen Fehlern des Ministeriums erklärt – ich darf zitieren –:

Manchmal geht es eben um schnelles und effektives Reagieren und insbesondere darum, sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler eine korrekte Abituraufgabe vorgelegt bekommen.

Das kann so unterstrichen werden.

In diesem Jahr ist das in Ihrem Haus nicht gelungen. Hoffen wir, dass es 2014 nicht wieder Probleme gibt und Ihre Sprecherin Recht behält, die erklärte – ein letztes Zitat –: Wir werden das sicherlich beim nächsten Mal anders machen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Rydlewski.

Birgit Rydlewski (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! In Bezug auf den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion sind wir der Meinung, dass selbstverständlich die Ministerin für die korrekte Durchführung aller Vorgänge in ihrem Haus sorgen muss, glauben jedoch auch, dass der im Antrag formulierte Vorschlag der CDU ein Schnellschuss ist und inhaltlich zu kurz greift.

Was ist passiert? Wir haben gehört, dass es zwei Fälle gegeben hat, einmal den Fall der Sozialwissenschaftsklausur, wo der falsche Schwerpunkt bereitgestellt worden ist; der Schwerpunkt „Wirtschaft“ fehlte. Nach Angaben des Ministeriums wurde am Dienstag um 12 Uhr der Download zur Verfügung gestellt, um 12:55 Uhr sei der Fehler behoben worden.

Der Presse kann man weiterhin entnehmen, dass das Ministerium bestätigt habe – ich zitiere aus dem Artikel von „Der Westen“ –, dass „an die betroffenen Schulen keine Rundmail geschrieben, sondern den Mitarbeitern der Info-Hotline dieser Hinweis gegeben“ wurde. Mit anderen Worten: Die betroffenen Schulen scheinen, obwohl möglicherweise bekannt, nicht aktiv auf den Fehler hingewiesen worden zu sein.

Im zweiten Fall, im Fall der Mathematikaufgaben, beklagen zahlreiche Schülerinnen und Schüler, die entsprechenden Aufgaben seien zu schwierig oder unverständlich gewesen. Bei Facebook traten binnen zwei Tagen mehr als 7.000 junge Menschen einer entsprechenden Protestgruppe bei, und eine Online-Petition ans Ministerium fand bereits mehr als 5.000 Unterstützerinnen.

Am Dienstag haben mehrere hundert Schülerinnen und Schüler vor dem Ministerium protestiert. Man muss bedenken, das machen diese Schülerinnen und Schüler während der laufenden Abiturprüfungen. Das heißt, für die Schülerinnen und Schüler „brennt“ es. Jugendliche sind heute sehr ehrgeizig, und gerade im doppelten Abiturjahrgang verstehe ich die Angst vor der Konkurrenzsituation um Studien- und Ausbildungsplätze. So viel zum Sachverhalt.

Was nun? Unser allererstes Interesse gilt natürlich in beiden Fällen der Zukunft der betroffenen Schülerinnen und Schüler. Im ersten Fall, der falschen Aufgaben im Bereich „Sozialwissenschaft und Wirtschaft“, dürfen die betroffenen Schülerinnen und Schüler die Klausur nachschreiben. Das ist dann zwar eine Mehrbelastung für die Schülerinnen und Schüler, aber eine schnelle und unbürokratische Lösung, bei der die Interessen der Schülerinnen und Schüler gewahrt werden und die wir deshalb gutheißen.

(Beifall von den PIRATEN)

In Bezug auf den Schwierigkeitsgrad der diesjährigen Grundkurs-Matheklausur ist eine Beurteilung der Situation deutlich schwieriger. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben die Aufgaben als unlösbar empfunden. Es waren sogar vereinzelte Stimmen zu hören, die Klausur sei leichter als im Vorjahr gewesen. In den Online-Protestforen allerdings tun sich diese Stimmen eher schwer oder werden freundlich gebeten, ihre anderslautende Meinung doch bitte nicht vorzutragen. Der Gesamteindruck in den Online-Foren ist also eher negativ. Doch selbst, wenn die Klausur schwerer als im Jahr zuvor gewesen sein sollte, ist eine gewisse Schwankungsbreite im Schwierigkeitsgrad grundsätzlich wohl nicht zu vermeiden.

Mein Mathe-Leistungskurs ist sehr lange her. Ich maße mir deshalb nicht an, den Schwierigkeitsgrad beurteilen zu können. Das würde mir auch nicht gelingen. Denn wir haben gehört, es gibt das Problem, dass die Aufgaben überhaupt noch nicht veröffentlicht worden sind. Von Klarheit und Transparenz zu sprechen, finde ich an dieser Stelle übertrieben.

(Beifall von den PIRATEN)

Insofern ist eine Überprüfung des Kurzberichts, der gestern vom Schulministerium veröffentlicht wurde, daher für mich nicht möglich. Der Öffentlichkeit wird es ähnlich gehen. Das empfinde ich als frustrierend.

Die Frage ist auch: Würde eine Kommission, die zuvor die Aufgaben als angemessen ausgewählt hat, jetzt sagen, dass sie doch nicht angemessen sind? Es ist zu prüfen, ob nicht für solche Fälle bei Streitfragen oder Unstimmigkeiten eine unabhängige Kommission eingesetzt werden muss.

(Beifall von den PIRATEN)

Was nun den konkreten Antrag der CDU angeht, so stellt sich aus unserer Sicht die Frage, ob das ganze Problem nicht auch mit einem größeren Mitarbeiterstab passiert wäre.

Wir plädieren deshalb dafür, dass das Ministerium die gemachten Fehler zum Anlass nimmt, das Verfahren grundsätzlich auf denkbare Fehler zu prüfen. So dürfte es technisch möglich sein, festzuhalten, welche Schule welche Abiturklausuren heruntergeladen hat. Auf diese Weise könnten entsprechend im Falle der fehlerhaften Bereitstellung einer Klausur ganz gezielt die Schulen angesprochen werden, die von diesem Fehler betroffen sind.

Es ist weiterhin zu prüfen, ob die Expertise der Fachlehrerinnen nicht früher genutzt werden kann als Kontrollmechanismus. Dafür müssten den Kolleginnen und Kollegen die Prüfungen früh genug vorliegen. Als Lehrerin kann ich mich daran erinnern, dass ich die Prüfungsklausuren erst 30 Minuten vor der Prüfung gesehen habe. Wenn ich dann feststelle, dass zum Beispiel eine falsche Aufgabe heruntergeladen wurde, habe ich keinerlei Chance mehr, das zu korrigieren.

Beide Anregungen würden einen ebenso einfachen wie effektiven zusätzlichen Kontroll- und Korrekturmechanismus schaffen, der im zweitgenannten Fall sogar völlig kostenlos umsetzbar ist.

Wir würden uns deshalb freuen, wenn alle Beteiligten gemeinsam diese oder andere konstruktive Lösungen erarbeiten, zum Beispiel im Schulausschuss. Aus diesem Grund stimmen wir natürlich einer Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Rydlewski. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde die Sachverhalte etwas ausführlicher darstellen.

Ich habe Verständnis für Abiturientinnen und Abiturienten, die am Ende ihrer Schullaufbahn aus Sorge um ihr Abitur Petitionen und Protestmails verfassen und demonstrieren, weil sie fürchten, dass sie ungerecht behandelt werden.

Frau Gebauer, da stimme ich Ihnen zu, für die Schülerinnen und Schüler in jedem Einzelfall ist das keine Petitesse, auch wenn es keine leicht verortbaren Schuldigen gibt. Aus Sicht der Betroffenen ist kein Vorgang eine Petitesse.

Ich habe Verständnis für Eltern, die mir schreiben und sich für ihre Söhne und Töchter einsetzen, weil sie glauben, es seien falsche oder unangemessene Aufgaben gestellt worden.

Ich habe aber, Herr Kaiser, kein Verständnis für die CDU, die ohne Kenntnis der Gesamtlage undifferenziert auf eine Stimmung gesetzt hat, pauschal von Schlamperei spricht und Äpfel mit Birnen vergleicht. Pawlow lässt grüßen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die schriftlichen Abituraufgaben werden in Nordrhein-Westfalen in einem sehr aufwendigen Verfahren erstellt. Die wichtigsten Elemente sind: Eine Kommission aus erfahrenen Fachlehrkräften erarbeitet die Aufgaben. Unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begutachten sie. Lehrkräfte machen einen Praxischeck.

Frau Gebauer, dieses Element habe ich genau nach der Diskussion um 2011, wo ich ja das Verfahren, das die Vorgängerregierung angelegt hatte, eingeführt. Die Rückmeldungen zu diesem Instrument sind bezogen auf alle Fächer überwiegend sehr positiv, dass das zwar aufwendig ist, dass das aber gut ist.

Die Ausfertigung, Zusammenstellung und die Zustellung der umfangreichen Datenpakete und Downloads – das sind in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen über 10.000 Kombinationen – erfolgen durch das Schulministerium unter Wahrung komplizierter Sicherheitsmaßnahmen.

Meinem Haus obliegt – daraus habe ich nie einen Hehl gemacht – natürlich die Gesamtverantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Zentralabiturs.

Aber, Herr Kaiser, Sie haben ein Zitat aus dem Zusammenhang gegriffen vom WDR und hier zum Antrag erhoben. Das ist ein bisschen dürftig, wenn Sie sich die Komplexität dieser Sachverhalte anschauen. Das ist sehr dürftig.

Schön, dass wenigstens die Entschuldigung durch die CDU dadurch öffentlich dokumentiert ist.

Es ist nicht einfach eine Frage von mehr Personal. Die Grundaufgaben sind doch die gleichen. Sie müssen nur häufiger vervielfältigt werden. Die Frage ist doch: Ist ein Stab da, und zwar ein fachkundig geschulter Stab, der auf knifflige Fragen antworten kann?

Verehrter Herr Kaiser, das war das Problem an diesem Tag. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir mal erklären würden, welche hellseherischen Fähigkeiten ich haben soll, um zu wissen, dass an diesem Tag nicht nur ein Problem auftaucht bei der SoWi-Aufgabe, sondern auch alle Welt aufgeregt ist, weil eine Zeitung darüber berichtet, dass es auf einmal Handyortungsgeräte gibt. Wussten Sie das? Konnte das Ministerium das ahnen? Ich bilde mir ein, dass ich das nicht ahnen konnte, dass an diesem Tag Zeitungsartikel auftauchen, die dann bearbeitet werden müssen.

Konnten Sie ahnen, glauben Sie, dass man ahnen kann, dass Schulen, an denen es auch den einen oder anderen Fehler gegeben hat, anrufen und sagen, sie merken gerade, sie hätten die falsche Klausur bestellt und sie bräuchten eine andere? Schulleiter, die verzweifelt sind, weil sie möglicherweise eine falsche Aufgabe gestellt haben, müssen dann von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses in etwas längeren Telefongesprächen beraten werden, was sie denn jetzt am besten tun.

Ich behaupte, lieber Herr Kaiser, dass sich solche Vorkommnisse nicht vorhersehen lassen. Deshalb finde ich den Pauschalvorwurf von Schlamperei im Schulministerium auch angesichts dessen, was diese Leute da arbeiten, unangemessen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Den weise ich auch aus Fürsorge für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück. Solche Vorkommnisse können Sie nicht planen.

Es geht in diesem Jahr bislang – toi, toi, toi, denn die Nachschreibeklausuren laufen nämlich noch – im Wesentlichen um zwei Vorgänge. Es geht um zwei Vorgänge.

Beim Leistungskurs Sozialwissenschaften fehlte für den Schwerpunkt Wirtschaft das entsprechende Aufgabenset beim ersten Download. Der Fehler wurde nach Rückmeldungen aus Schulen innerhalb einer Stunde korrigiert. Es wurde versäumt, parallel zu dieser Korrektur die Schulen zur Sicherheit zu informieren. Das haben meine Mitarbeiter zutiefst bedauert. Sie sind nämlich ausgesprochen gewissenhaft.

Ich habe mich unmittelbar entschieden, dass wir den Abiturientinnen und Abiturienten auf freiwilliger Basis eine Nachschreibemöglichkeit einräumen, und mich ohne Umschweife bei den jungen Menschen für diesen von meinem Haus zu verantwortenden Fehler entschuldigt.

Von den potenziell 48 Schulen blieben dann aber nur vier übrig, die den Abiturienten wirklich die falschen Aufgaben gestellt haben. Ein Teil der Aufgaben war im Übrigen identisch. Auch vielleicht darum, weil das nämlich durchaus auch lösbar war – wir reden von einem Leistungskurs –, haben von potenziell 109 Schülerinnen und Schülern nur 18 von der Nachschreibemöglichkeit Gebrauch gemacht.

Der Schulleiter einer betroffenen Schule, der natürlich zunächst seinem Unmut Luft macht, kommt zu dem Schluss – ich zitiere –:

„Wir sind froh, dass wir gemeinsam mit dem Ministerium zu einer schnellen Lösung gekommen sind.“

Mein Fazit: Angemessenes Krisenmanagement anlässlich eines ärgerlichen Fehlers.

Zweitens. Der Erstellung der Mathematikaufgaben galt aufgrund der Vorgeschichte eine besondere Aufmerksamkeit, wenn Sie so wollen mit Netz und doppeltem Boden. Im Ergebnis: Einvernehmen in den Kommissionen, anders als in den Vorjahren keine nennenswerte Rückmeldung aus den Schulen am Tag des Downloads.

Das will ich auch noch einmal sagen. Wenn die Aufgaben eingestellt sind und große Probleme auftreten, dann melden sich die Lehrerinnen und Lehrer und sagen: Moment, da stimmt etwas nicht. – Das war an diesem Tag bezogen auf das Fach Mathematik nicht der Fall. Es gab keine nennenswerten Rückmeldungen von den Fachlehrerinnen und Fachlehrern.

Erst nach dem faktischen Schreiben begann durch die Abiturientinnen und Abiturienten die öffentliche Diskussion über die Angemessenheit der Aufgaben und das Formieren des Protests.

Parallel sind aber auch gegenteilige Rückmeldungen dokumentiert, und zwar in einem nennenswerten Umfang. Es nimmt in letzter Zeit zu, dass die gegenteiligen Rückmeldungen dokumentiert werden. Sie, Herr Kaiser, scheinen sich ja nur auf die Rückmeldungen zu beziehen, in denen ein Vorwurf an das Ministerium konstruiert wird.

Zwei Beispiele: Fabian aus Köln wird im „Kölner Stadt-Anzeiger“ so zitiert:

„Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben war einfach nur fair. Der Umgang passte zur Bearbeitungszeit, und die geforderten Methoden waren einfacher als in den von meinem Mathelehrer üblicherweise gestellten Klausuren. Dank der im Internet veröffentlichten Anforderungen und der im Buchhandel erhältlichen Klausursammlungen der letzten Jahre war der Inhalt der Prüfungen sogar extrem vorhersehbar.“

Eine Schülerin aus Oberhausen schreibt per Mail:

„Meiner Meinung nach waren die Aufgaben gut verständlich und mit etwas Vorbereitung auf die Prüfung auch durchaus lösbar. Zudem wurden sie zumindest an jeglichen Schulen in Oberhausen und Mülheim entgegen mancher Aussagen alle zuvor im Unterricht behandelt.“

Sie fände eine Wiederholungsklausur unfair.

Obwohl die fachliche Korrektheit und grundsätzliche Lösbarkeit nicht infrage standen – ich hätte also direkt sagen können, es sei alles in Ordnung –, habe ich die Aufgabenkommission und den Fachkoordinator Mathematik um Stellungnahme gebeten, und zwar nicht abstrakt, sondern ich habe natürlich die Kommission die bis dato vorliegenden Kritikpunkte, die inhaltlich substantiiert waren, prüfen lassen und um Stellungnahme gebeten. Erst danach haben wir unseren Abwägungsprozess getroffen. Außerdem hat Herr Staatssekretär Hecke in meiner Vertretung die Petition „faires Abitur“ entgegengenommen und mit einer Delegation gesprochen.

Nach einem intensiven Abwägungsprozess habe ich gestern folgende Entscheidung getroffen: Es gibt keine Nachschreiboption oder pauschalen Bonuspunkte. Die Stellungnahme der Aufgabenkommission und die differenzierten Rückmeldungen aus der Schulöffentlichkeit, wie oben ansatzweise erläutert, rechtfertigen aus pädagogischen und rechtlichen Gründen keine Nachschreibemöglichkeit für die Mathematikaufgaben. Eine solche Entscheidung wäre willkürlich, rechtsstaatlich angreifbar und könnte die gesamte Abiturprüfung in Nordrhein-Westfalen juristisch anfechtbar machen. Dass ich nicht leichtfertig entscheide, erkennen Sie auch daran, dass ich vor zwei Jahren, als mir die Kommission gesagt hat, ich könne das stehen – die Fehler in der Aufgabenführen waren keine Fehler; das war kein Vergleich zum Oktaeder des Grauens, Herr Kaiser, das wissen Sie –, eine Nachschreibemöglichkeit eingeräumt habe, weil die Rückmeldungen seinerzeit so eindeutig kritisch waren. Ich habe mich hier aber in Kenntnis der Gesamtlage wissentlich anders entschieden.

Für die laufenden Korrekturen und Bewertungen der Klausuren in den Schulen habe ich die Fachlehrkräfte Mathematik ausdrücklich darin bestärkt, auf der Grundlage der Kriterien und unter Berücksichtigung der unterrichtlichen Voraussetzungen ihren Beurteilungsspielraum bei der Gesamtbeurteilung auszunutzen. Dies schließt ein, dass kritische Hinweise zur Formulierung und zum Umfang der Aufgaben aufgefangen werden können. Diese Entscheidung steht auch im Einklang mit der Stellungnahme der Aufgabenkommission.

Ich weiß – die Rückmeldungen sind ja erfolgt –, das stellt natürlich die betroffenen Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern, bei denen häufig der Frust über das G8 noch einmal hochkommt, nicht zufrieden. Das verstehe ich. Ich kann aber aus den oben genannten Gründen nur um Verständnis bitten.

Meine Damen und Herren, die Aufgabenkommission rechnet nicht damit, dass es zu deutlich schlechteren Ergebnissen kommen wird. Erste Rückmeldungen schon erfolgter Korrekturen stimmen mich zuversichtlich, dass sich diese Einschätzung bewahrheitet. So schreibt ein Lehrer – ich zitiere –:

„Ich bin mit meinem Kurs komplett fertig, andere Kollegen teilweise oder zum Teil auch. Die Klausuren fallen ganz normal aus, meist nahezu Punktlandungen, auch bei meinen Kollegen, so die Rückmeldungen. Andere berichten bei eigentlich schwächeren Schülern sogar von Abweichungen nach oben.“

Meine Damen und Herren, im Netz kursiert der Vorwurf, die Aufgaben seien extra schwer gestaltet worden, um den Andrang an die Universitäten zu vermindern, was ich wahrscheinlich mit Kollegin Schulze ausgeheckt hätte. Ich frage Sie: Nehmen wir uns dann ausgerechnet das Fach vor, und zwar nur das Fach, auf das in den letzten Jahren alle Welt sieht, oder stellen wir uns nicht ein bisschen geschickter an und verteilen das auf die Fächer, damit es nicht auffällt? Dieser Vorwurf ist wirklich absurd.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Seit ich im Amt bin, gilt ein Grundsatz: Es gibt keine politische Einflussnahme auf die Aufgabenstellung. Es gibt keine Ansagen, es besonders leicht oder besonders schwer zu machen, weil es hier – das hat Frau Gebauer zu Recht gesagt – um eine Abiturprüfung geht, die bundesweit vergleichbar sein muss. Handelte man hier anders, würde man das Zentralabitur insgesamt diskreditieren, und daran sollten wir alle kein Interesse haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Probleme auftreten, werden sie geklärt und, wenn möglich, geheilt. Herr Kaiser, auch hier sagen Sie etwas, was nicht stimmt. Niemand, auch ich nicht, kann versprechen, dass es nie einen Fehler gibt. Denn wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Entscheidend ist, wie man mit diesen Fehlern umgeht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist der Unterschied meines Handelns und des Handelns meines Hauses zum Handeln der Vorgängerregierung. Ich hätte das normalerweise nicht gesagt, aber so, wie Sie sich hier eingelassen haben, möchte ich das ausdrücklich festhalten.

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

Es wird nichts vertuscht, Herr Kollege Kaiser. Es wird auch nichts beschönigt. Es wird nicht irgendwelche Schuld weggeschoben. Und es werden keine Entscheidungen hinausgezögert. Vielleicht erinnern Sie sich noch, wie lange es gedauert hat, bis die Klausur aufgrund der unlösbaren Oktaeder-des-Grauens-Aufgabe nachgeschrieben wurde. Das war keine Entscheidung des Schulministeriums, sondern eine Entscheidung der Staatskanzlei, weil Herr Dr. Rüttgers die Reißleine gezogen hat. So ist es doch gewesen. Und dann tun Sie hier so, als würden hier die gleichen Abläufe stattfinden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine ausführliche Darstellung zum Thema „Mathematik“ können Sie schon seit gestern auf der Internetseite des Schulministeriums finden.

Frau Rydlewski, es ist nicht erlaubt, in laufenden Prüfungsverfahren Aufgaben ins Internet zu stellen. Das ist schlicht und ergreifend nicht erlaubt. Diese strenge Regel ist auch durch das Informationsfreiheitsgesetz gedeckt. Das haben wir natürlich ausdrücklich geprüft. Insofern hat es einen Grund, dass wir das nicht einstellen. Irgendwann, wenn alle Prüfungen abgeschlossen sind, wird das eingestellt und auch ausgewertet werden. Dann kann jeder für sich noch einmal prüfen, ob er die Aufgabe rechnen konnte. Aber jetzt, im laufenden Verfahren, ist es bewusst rechtlich so geregelt, dass solche Aufgaben nicht eingestellt werden dürfen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht Transparenz herstellen, meine Damen und Herren. Das möchte ich an dieser Stelle auch ausdrücklich sagen.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Gegenüber dem Vorsitzenden des Ausschusses für Schule und Weiterbildung habe ich bereits am 18. April eine weitergehende ausführliche Berichterstattung angekündigt. Ich finde es richtig, dass wir dort – wie es einige gesagt haben – eine sachbezogene Diskussion führen und überlegen, wo es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich muss darauf hinweisen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um neun Minuten und 40 Sekunden überschritten hat. Der Block I war verabredet worden, Frau Ministerin. Es ist möglich, dass Sie wesentlich länger reden. Ich teile diese Redezeit aber allen Fraktion zu. Das ist jedoch keine direkte Aufforderung an Sie, sich alle noch einmal zu melden.

Es liegt aber noch eine Wortmeldung der Frau Abgeordneten Güler von der CDU-Fraktion im Rahmen der Kurzintervention vor. Bei dieser Redezeitüberziehung haben alle noch einmal die Möglichkeit, sich zu melden, wenn es denn gewünscht wird. Nun gebe ich das Wort an die Frau Abgeordnete Güler von der CDU-Fraktion.

Serap Güler (CDU): Ich habe noch eine Frage an die Frau Ministerin sowie die eine oder andere Anmerkung. Dem Landtag gehöre ich noch nicht so lange an. Ich habe mir die Mühe gemacht, die alten Plenarprotokolle – ganz speziell die aus 2008 – zu den Abi-Prüfungen durchzulesen. Es ist, finde ich, ein bisschen bemerkenswert, dass Sie hier angeführt haben: „Wo Menschen sind, passieren Fehler“. Ich glaube, das ist allen hier klar.

Das hat aber bei Frau Ministerin Sommer damals nicht gegolten. Die Fehler waren nicht menschlich. Sie haben die Ministerin – aus diesen Plenarprotokollen geht das hervor – nicht nur persönlich kritisiert, Sie kritisieren auch das ganze Ministerium. Jetzt verteidigen Sie sich mit dem Argument: „Wo Menschen sind, passieren Fehler“. Das ist, glaube ich, allen klar. Ich möchte nur wissen, ob hier mit doppelten Maßstäben gemessen wird.

(Beifall von der CDU)

Hinzu kommt auch – dass klang gerade bei Ihrer Rede ein bisschen durch –, dass Sie ein Stück weit die Verantwortung auf die Lehrer schieben: Die hätten auch ein Stück weit kontrollieren können. Genau dies haben Sie – das steht in den Plenarprotokollen – damals der Ministerin Sommer vorgeworfen: Sie habe die Schuld auf die Lehrer geschoben. – Ich würde Ihnen dazu einmal ans Herz legen, die Plenarprotokolle vielleicht selbst noch einmal durchzulesen.

Ich fand besonders interessant – das haben Sie, Frau Ministerin, gerade auch angesprochen; gestern haben Sie dazu auch eine Pressemitteilung herausgeschickt –, dass Sie den Lehrerinnen und Lehrern noch einmal in Erinnerung gerufen haben, dass sie durchaus Beurteilungsspielräume hätten. Dazu möchte ich ein Zitat anbringen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, die Redezeit von 90 Sekunden ist herum.

Serap Güler (CDU): Darf ich das eben noch zitieren? – Das ist ein Zitat von Frau Beer aus der Plenardebatte 2008:

„Es tröstet wahrlich wenig, wenn die Ministerin nicht nur im Schulausschuss aufgrund der großen Probleme im Fach Mathematik darauf hinweist, Lehrerinnen und Lehrer sollten bei der Punktebemessung großzügig sein, Spielräume auszunutzen. Ich nenne das ‚kreativ damit umgehen‘. Von diesen Möglichkeiten machen die Schulen höchst unterschiedlich Gebrauch.“

Dass Sie jetzt dasselbe Verfahren anwenden, sehe ich sehr kritisch.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, das sind wirklich 90 Sekunden. Ich muss jetzt ein bisschen darauf achten. – Als Gegenrednerin hat sich die Frau Kollegin Hendricks von der SPD-Fraktion zu einer Kurzintervention gemeldet.

(Zurufe)

– Okay, Frau Hendricks hat zurückgezogen. – Die Frau Ministerin hat das Wort. Bitte schön.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das Verfahren so verstanden, dass ich noch einmal sprechen darf. Ich bin ja jetzt auch noch einmal von der Kollegin angesprochen worden. Ich meine, dass ich das eben deutlich gemacht hätte: Wir haben – das gilt auch für die Kollegin Beer – nie gesagt, dass nicht Fehler passieren können, sondern dass in entscheidender Situation die Frage ist, wie wir mit den Fehlern umgehen.

Das habe ich Frau Sommer auch nie persönlich vorgeworfen. Es ging immer eher an den Staatssekretär der Vorgängerregierung. Der hat mir – das will ich noch hinzufügen – übrigens mit Klageverfahren gedroht, weil wir uns erlaubt hatten, kritische Pressearbeit zu diesen Vorfällen, zum „Oktaeder des Grauens“, zu machen. – Die Frage ist also: Wie geht man damit um? Darauf haben wir Bezug genommen, und das haben wir kritisiert.

Ich habe mitnichten jetzt irgendwem einen Vorwurf gemacht. Aus guter Erfahrung weiß ich nämlich, wie unproduktiv es ist, sich zu fragen, wer schuld ist, statt dafür zu sorgen, dass die Fehler möglichst behoben und die Dinge geheilt werden. Ich meine, dass ich das in beiden Fällen, die jetzt hier zur Debatte stehen, angemessen und im Interesse aller Schülerinnen und Schüler gemacht habe.

(Beifall von den GRÜNEN)

Was das Thema „Bewertung“ angeht, ist die Frage, ob man pauschal Punkte gibt oder ob man sagt: „Was haben die Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund des durchgeführten Unterrichts geleistet?“ Das ist der Ermessensspielraum. In der Regel machen das die Kolleginnen und Kollegen eigenständig und verantwortlich.

Um es aber noch einmal – angesichts der aufgeheizten Situation – deutlich auszusprechen, habe ich das gestern im Einklang mit dem Vorschlag der Aufgabenkommission den Schulen noch einmal als Instrument zugemailt und in Erinnerung gerufen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Damit sind die Möglichkeiten im Rahmen der Kurzintervention ausgeschöpft.

Es hat sich aber – im Rahmen des Zeitbudgets ist das noch möglich – der Abgeordnete Kaiser von der CDU-Fraktion gemeldet. Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Klaus Kaiser*) (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Löhrmann, damit kein Missverständnis aufkommt: Sie haben eben in Ihrem Redebeitrag gesagt, ich hätte Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlecht bzw. deren Arbeit als schlampig dargestellt. Genau das war nicht meine Argumentation. Ich weiß, dass Fehler passieren können, und ich weiß, unter welchem Stress die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Hauses sind, wenn Zentralprüfungen anstehen. Deshalb habe ich ausdrücklich gesagt: Wenn die sich entschuldigen, ist das voll in Ordnung. – Ich habe Ihre politische Verantwortung eingefordert. Darauf sind Sie ausweichend eingegangen.

(Beifall von der CDU)

Ich komme zu Punkt 2, der ganz wichtig ist. Faktum ist, dass sich in diesem Fall 10.000 junge Menschen vor den Kopf gestoßen fühlen. Trotzdem wird hingegangen und diejenigen, die die Aufgaben geschrieben haben, bestätigen deren Korrektheit. Dass das Proteste und Unverständnis bei den betroffenen Protestanten ausgelöst hat, ist doch selbsterklärend.

(Ministerin Barbara Steffens: Protestierenden!)

– Okay, bei den Protestierenden. – Es ist doch selbstverständlich, dass das nicht verstanden wird. Das habe ich in meinem Redebeitrag angesprochen. Sie gehen hochunsensibel mit diesem Sachverhalt um. Ergänzt wird das dadurch, dass die Ministerkollegin Schulze die Frage der verschärften NCs in die Diskussion bringt, wenn die Jugendlichen des doppelten Abiturjahrgangs vor ihren schriftlichen Arbeiten stehen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Das ist das, was ich unsensibles, bürokratisches Verhalten nenne. Man hätte sensibler vorgehen müssen. Darauf haben Sie sich nicht bezogen.

Jetzt zur Vorgängerregierung! Wir wollen einen Fakt noch einmal kurz festhalten: Beim „Oktaeder des Grauens“ ging es um den zweiten Durchlauf des Zentralabiturs. Auch von der Breite her geht es um eine ganz andere Fragestellung, wenn etwas als Instrument neu eingeführt wird. Dabei passieren mehr und andere Fehler.

Jetzt aber geht es um den siebten Durchlauf. Insbesondere weil zwei Abiturjahrgänge gleichzeitig Abitur machen, weiß man, dass es besonderer Sorgfalt bedarf, damit sich die Schülerinnen und Schüler darauf verlassen können, dass die Prüfungen ohne Pannen ablaufen. Das ist das, was aus meiner Sicht angesprochen werden muss und wofür Sie als Ministerin die Verantwortung tragen, worauf Sie aber hoch unsensibel reagiert haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2636 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung; die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dem nicht zu? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU erfolgt.

Ich rufe auf:

12       Hochschulzugang gewährleisten und Numerus-clausus-Praxis beenden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2628

Ich eröffne die Beratung und erteile für die Fraktion der Piraten Herrn Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier und zu Hause! Ich verstehe nicht so recht, was an einem Oktaeder so grauenvoll sein soll. Ich kann Ihnen versprechen: Der Rhombenikosidodekaeder ist viel grauenvoller.

Wir befassen uns heute mit einer Praxis dieser Landesregierung, die leider nichts mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Zielen zu tun hat. Statt jungen Menschen eine sichere Perspektive für ein Mehr an Bildung zu geben, erlaubt Frau Ministerin Schulze den Hochschulen, weitere örtliche Numeri clausi zu erheben. Das soll sie also sein, die viel zitierte Chancengerechtigkeit.

Aus Ihrer Presseerklärung, Frau Ministerin Schulze, ist zu entnehmen, dass Sie den Studieninteressierten nur mit dem Prinzip „Hoffen und Bangen auf einen Studienplatz“ antworten können. Herr Präsident, ich zitiere daraus:

„Wenn ein Studiengang eine örtliche Zulassungsbeschränkung hat, heißt dies allerdings noch lange nicht, dass nur Einser-Kandidaten eine Chance haben. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass auch Kandidatinnen und Kandidaten mit einer drei vor dem Komma im Abi zum Zuge gekommen sind. Bewerberinnen und Bewerber sollten sich deshalb nicht abschrecken lassen.“

So weit, so gut. – Das, was dort beschrieben wird, ist eigentlich Kaffeesatzleserei. Denn eine solche Situation wie die Bewältigung eines doppelten Abiturjahrgangs gab es in dieser Form noch nie.

Über 50 % der Studiengänge in Nordrhein-Westfa-len sind zum nächsten Semester nicht zulassungsfrei. Das kann zur Folge haben, dass sich viele Studierwillige nicht bewerben werden, da sie keine Aussicht auf einen Studienplatz haben. Das ist ein bildungspolitisches Armutszeugnis.

(Beifall von den PIRATEN)

Welche Potenziale dadurch möglicherweise gehemmt werden, ist nur zu erahnen. Wenn man des Weiteren bedenkt, dass viele der Hochschulzugangsberechtigten dann auch noch auf den Ausbildungsmarkt drängen werden, haben wir einen großen Verschiebebahnhof, der auf den Schultern der Absolventen mit Fachoberschulreife und mit Hauptschulabschluss ausgetragen wird. Das kann doch nicht ernsthaft gewollt sein.

Nach unserer Auffassung ist aber das Schlimmste, dass die Landesregierung keine Rezepte zu einer besseren Verteilung der Studienplätze gefunden oder vorgelegt hat. Das dialogorientierte Serviceverfahren ist kläglich gescheitert. Es wird von den Hochschulen kaum angenommen, da man ihnen das Spielzeug der Studierendenauslese überlassen hat. Studieninteressierte sind zu Bittstellern geworden. Es obliegt der Hochschule, welche jungen Menschen sie aufnimmt.

Das entwertet die Hochschulzugangsberechtigung. Gerade die Abiturnote allein – das ist längst bekannt – sagt wenig über die Potenziale junger Menschen aus, wird aber hier zum Spielball für fehlende Studienkapazitäten und die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen.

(Beifall von den PIRATEN)

Hier ist unserer Auffassung nach ein Blickwechsel nötig. Wir fordern in unserem Antrag die Aussetzung weiterer Orts-Numeri-clausi-Genehmigungen durch das Ministerium. Wir bleiben dabei, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, dass die Hochschulen die gesamte Studienzulassung übernehmen.

Ein letzter, aber zentraler Punkt unserer Kritik ist, dass diese Numeri-clausi-Praxis unserer Auffassung nach gegen das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1972 verstößt. Damals wurde festgestellt, dass Numeri clausi nur zulässig sind, wenn alle vorhandenen Ausbildungskapazitäten ausgeschöpft worden sind. Aber, Frau Ministerin Schulze, Sie können doch keine qualifizierende Aussage zu deren Ausschöpfung machen; denn Sie sind ja selber ein Bittsteller des Pinkwart’schen Politikentmündigungsgesetzes geworden.

Unsere Bitte: Lassen Sie uns diese Praxis für die zukünftigen Studierendengenerationen endlich beenden! – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion spricht nun der Abgeordnete Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Paul, Ihre Behauptungen in Ihrer Pressemitteilung vom 11. April 2013, aber auch die heutigen sind schlichtweg falsch und irreführend. Das ist ungefähr auf der Wellenlänge dessen, was Herr Kaiser eben nach dem Motto „Haltet den Dieb“ versucht hat.

Ich unterstelle Ihnen, Herr Dr. Paul, dass das, was Sie hier vortragen, wohlmeinend gemeint ist. Aber das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Darum geht es einfach. Ich kann Ihnen von dem Besuch des SPD-Arbeitskreises Wissenschaft und Forschung an der Ruhr-Universität am letzten Freitag berichten. Da sind wir gerade von der Prorektorin, die für Lehre und Studium zuständig ist, darauf hingewiesen worden, wir sollten doch endlich im Landtag diese Diskussion über den Numerus clausus lassen, weil diese Diskussion dazu führe, dass junge Leute davon abgehalten werden, sich an den Hochschulen zu bewerben.

Ich habe das sehr, sehr ernst genommen, und das sollten wir als Abgeordnete auch tun. Wir sind nicht dazu da, junge Menschen zu verängstigen und bei ihnen den Eindruck erwecken, dass sie keinen Studienplatz in Nordrhein-Westfalen erhalten werden. Das ist einfach nicht der Fall. Von daher sollten wir dies auch lassen.

Sie fordern mit Ihrem Antrag die Landesregierung auf, sich dem berechtigten Anspruch der Studierendengeneration zu stellen, dafür Sorge zu tragen, dass allen Studierwilligen ein erfolgreiches Studium ermöglicht wird. Dieser erneuten Aufforderung bedarf es nicht. Frau Ministerin Schulze hat ihre Hausaufgaben gemacht und der Landtag auch, indem wir die Haushaltsmittel bereitgestellt haben. Es sind zusätzliche Kapazitäten für die Lehre bereitgestellt worden. Die Studentenwerke haben erst heute in Pressemitteilungen deutlich gemacht, dass wir zusätzliches Personal für die Bearbeitung der BaföG-Anträge dort einstellen können. Es ist dafür gesorgt worden, dass Neubauten errichtet und Gebäude saniert worden sind, dass Runde Tische in den Kommunen eingesetzt wurden, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.

Allerdings ist eine Festsetzung von Orts-NCs unumgänglich, weil verschiedene Studiengänge mehr nachgefragt werden als andere. Dann gibt es eben nicht für alle Bewerberinnen und Bewerber an dem Studienort und in dem Studiengang, für den sie sich bewerben, einen Studienplatz.

Wir sind doch alle daran interessiert, dass sich nicht alle Studierenden nur in Köln, Münster oder Aachen für ein Studium einschreiben, sondern auch an den anderen Studienorten. Deshalb kämpfen wir ja dafür, dass die Infrastruktur an unseren Hochschulen auch gleichwertige Qualität hat. Wir gehen davon aus, und dafür stehen wir auch, dass die Studienbedingungen in Siegen, an den Fachhochschulstandorten, an allen Standorten in Nordrhein-Westfalen gleichwertig sind. Von daher müssen wir über die Orts-NCs daran interessiert sein, dass diese Kapazitäten an den einzelnen Standorten auch genutzt werden.

Das ist auch nur über dieses Steuerungsinstrument möglich, weil wir die Situation haben, dass sich die Studienbewerberinnen und -bewerber natürlich an verschiedenen Studienorten gleichzeitig anmelden. Zum Zeitpunkt der Anmeldung haben wir gar keinen konkreten Überblick darüber, wie groß die Nachfrage an den einzelnen Standorten und in den einzelnen Fächern sein wird.

Wir gehen davon aus, dass alle jungen Menschen im doppelten Abiturjahrgang dieses Jahr einen Studienplatz erhalten werden – zwar nicht immer in dem haarscharf vorgesehenen Studienfach, das mag sein, und auch nicht immer an dem Studienort des Wunsches, aber sie werden einen Studienplatz erhalten. Dafür haben wir gerade im Bereich der Hochschulpakte Vorsorge getroffen.

Wir haben erst vor wenigen Wochen Frau Ministerin Schulze loben dürfen, dass sie auf Bundesebene erreicht hat, den Deckel von dem bestehenden letzten Hochschulpakt aufheben zu können, dass eben alle Studienplätze in Nordrhein-Westfalen am Bedarf orientiert ausgebaut werden können, meine Damen und Herren.

Verwechseln Sie hier also nicht die Orts-NCs mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts! Sie haben ja das Bundesverfassungsgericht und die Urteile aus dem Jahr 1972 vorgetragen, die sich im Wesentlichen auf die zentral zulassungsbeschränkten Fächer für die ganze Republik beziehen. Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe, und ich bitte Sie, diese auseinanderzuhalten.

Die soziale Öffnung, die Sie hier anmahnen, ist eines unserer Kernelemente der Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen. Wir haben die Studiengebühren abgeschafft, wir haben die höchste Quote an jungen Leuten, die über ihren schulischen Abschluss einen Zugang in die Hochschulen erreichen. Wir haben eine sehr breite Öffnung ermöglicht, damit wir auch Studierwilligen ohne einen formalen Schulabschluss, der einem Abitur gleichkommt, in unseren Hochschulen einen Studienplatz anbieten können.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Karl Schultheis (SPD): Das sind wesentliche Elemente, die dazu führen, die soziale Öffnung auch glaubwürdig zu gestalten. Von daher bitte ich Sie, Verständnis dafür zu haben. In der Tat: gut – gut gemeint.

Wir müssen Ihren Antrag heute in direkter Abstimmung ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Zu einer Kurzintervention hat sich Herr Dr. Paul gemeldet.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Schultheis, ich will gar nicht in Abrede stellen, dass die existierende Regierung und die regierungstragenden Fraktionen durchaus Leistungen im Bereich Hochschule vorzuweisen haben. Das ist auch mehrfach in den Ausschüssen und im Plenum deutlich geworden.

Sie haben aber auf der einen Seite von einer Gleichwertigkeit der Studiengänge gesprochen. Nur, wenn es um die Zugänge zu diesen Studiengängen geht, ist von Gleichwertigkeit auf einmal nicht mehr die Rede. Da muss sich ein Student an fünf, sechs, sieben, vielleicht sogar acht Universitäten oder Fachhochschulen bewerben, um einen Zugang zu bekommen.

Und als Frage zum Schluss: Ist Ihnen bekannt, dass an der RWTH Aachen, eine der renommiertesten Hochschulen im Land, die wir haben, nur ein einziger Studiengang ohne Zugangsberechtigung existiert?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Schultheis.

Karl Schultheis (SPD): Das Letzte kann ich Ihnen bestätigen, das ist in der Tat so. Aber das sagt nichts darüber aus, mit welchem Notendurchschnitt beispielsweise ein Studiengang aufgenommen werden kann. In der Maschinentechnik – das ist eines der Highlights der RWTH Aachen – lag der NC in den letzten Semestern bei knapp über drei. Also, er ist überhaupt nicht mit einem Selektionsmechanismus versehen.

Es geht lediglich darum, dass die Qualität des Studiums bei den vorhandenen Studienplätzen vergleichbar ist. Ich kann natürlich die Säle so vollmachen, dass da niemand mehr studieren kann. Das ist doch nicht Sinn der Sache. Wir müssen die Kapazitäten, die wir in NRW haben, auch sinnvoll ausschöpfen. Das geht nur so. Wir kennen nicht das Wahlverhalten im Vorhinein. Das können Sie nicht planen. Die aufpumpbare Hochschule haben wir nicht, und was wir haben, können wir auch nicht bei Bedarf aufblasen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Schultheis. Damit ist die Kurzintervention beendet. – Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Nettelstroth das Wort.

Ralf Nettelstroth (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Piraten spricht im Kern ein Problem an, das alle Mitglieder des Landtags interessieren muss, nämlich die Ausgestaltung des Rechts auf freie Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes und des Sozialstaatsprinzips, konkret den Zugang zum Hochschulstudium in Nordrhein-Westfalen.

Nachdem die Landesregierung in dieser Sache, insbesondere vor dem Hintergrund des doppelten Abiturjahrgangs, immer wieder beschwichtigt hatte und namentlich Frau Ministerin Schulze nicht müde wurde zu betonen, dass man in Nordrhein-Westfalen auf den Ansturm auf die Hochschulen vorbereitet sei, stellen wir nunmehr fest, dass nach aktuellen Prognosen des Schulministeriums in diesem Jahr rund 176.000 Studienberechtigte mit Fachhochschulreife und Hochschulreife an den Hochschulen des Landes erwartet werden.

Das ist gegenüber dem Jahr 2012 ein Plus von 45.000 Studienberechtigten. In der Tat haben die Fachhochschulen und Hochschulen des Landes konkrete Maßnahmen ergriffen, um dem erwarteten Ansturm an Studienberechtigten begegnen zu können. Angesichts einer unzureichenden Finanzausstattung durch das Land konnten und können jedoch nicht die erforderlichen Kapazitäten bereitgestellt werden.

Die zuständige Ministerin beschwichtigte derweil. Gefragt, ob sie eine Gefahr der Abschottung der Hochschulen durch Zulassungsbeschränkungen sehe, antwortete Ministerin Schulze gemäß der „Bild“-Zeitung vom 25.02.2013, dass sie diese Gefahr nicht sehe.

Noch in der Plenardebatte vom 28.02.2013 sagte die Ministerin wörtlich, und zwar hier an diesem Platz:

„Ich stelle das aber gerne noch einmal klar: Es wird keinen ‚flächendeckenden NC‘ geben.“

Gut eineinhalb Monate später stellte die „Rheinische Post“ am 11. April 2013 fest, dass nahezu zwei Drittel der Fächer an Universitäten im kommenden Semester einen Numerus clausus einführen werden. An der Universität Köln sind von 140 Studiengängen noch fünf frei wählbar. Alle anderen haben einen NC. An der Universität Duisburg-Essen sind gerade einmal noch sechs von 117 Studiengängen NC-frei. Angesichts dieser Fakten erscheinen die Aussagen der Ministerin abgehoben und fernab der Realität.

(Beifall von der CDU)

Das Motto „Kein Kind zurücklassen“ verkommt immer mehr zu einer bloßen Worthülse. Sie, Frau Ministerin, schicken Tausende Studienwillige in jahrelange Warteschleifen – und das, obwohl zuvor bei unserer Jugend dafür geworben wurde, möglichst stringent Schule und Studium abzuschließen, um schneller in das Berufsleben einsteigen zu können.

In dieser Sache zeigt sich immer deutlicher, dass diese Landesregierung, deren originäre Aufgabe die Schaffung von Studienplätzen ist, versagt hat. Der NC in einigen Studiengängen sollte die Ausnahme sein und nicht zur Regel werden.

In Nordrhein-Westfalen ist das Studium zwar grundsätzlich studiengebührenfrei; im Gegensatz dazu werden jedoch Tausende Studienwillige von einem Studium ausgeschlossen – wegen unzureichender Studienplatzkapazitäten mangels ausreichender Finanzmittelbereitstellung durch diese Landesregierung.

Obwohl es die Aufgabe des Landes ist, ausreichend Studienplätze zu schaffen, hat sich der Bund bereit erklärt, im Rahmen des Hochschulpaktes in den nächsten Jahren weitere 2 Milliarden € bereitzustellen. Insoweit sind wir gespannt, Frau Ministerin, wie diese Landesregierung die Kofinanzierung sicherstellen wird.

Angesichts der hohen Studienplatznachfrage und unzureichender Studienplatzkapazitäten vor Ort bleibt den Hochschulen nunmehr nur noch die Möglichkeit, die jeweilig betroffenen Studiengänge mit einem Numerus clausus zu belegen. Aus Sicht der Hochschulen ist es daher legitim, dazu entsprechende Genehmigungsanträge zu stellen.

Würde man dem Antrag der Piraten entsprechen, müsste man solche Orts-NC abweisen. Dies wiederum wäre die falsche Vorgehensweise, denn die Numeri clausi sind das Symptom und nicht die Ursache für unzureichende Studienplatzkapazitäten. Deshalb wird unsere Landtagsfraktion den Piraten-Antrag ablehnen.

Im Übrigen bleibt der Antrag der Piraten nebulös. Wenn die Landesregierung recht abstrakt dazu aufgefordert wird, dieser Studiengeneration ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen und auf eine soziale Öffnung der Hochschulen hinzuwirken, dann muss man zumindest Hinweise geben, wie das geschehen soll. Denn schließlich hat diese Landesregierung nachgewiesen, dass sie die Probleme eben gerade nicht zu lösen vermag. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nettelstroth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Dr. Seidl das Wort.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe, dass die Festsetzung von Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen immer wieder Debatten auslöst und diese dann auch gerne dazu benutzt werden, um Ängste zu schüren wie in dem vorliegenden Antrag. Herr Nettelstroth, Sie behaupten sogar, dass es uns dabei um den Aufbau von Bildungshürden in Nordrhein-Westfalen geht. Ich muss sagen, das ist schon ziemlich unverschämt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Offensichtlich haben Sie alle beide, Herr Nettelstroth und Herr Paul, den Kern des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1972 überhaupt nicht verstanden. Der NC ist ganz im Sinne dieser Rechtsprechung ein Instrument zur bestmöglichen Versorgung der Studierenden mit Studienplätzen bei vollständiger Nutzung der vorhandenen personellen, räumlichen und sächlichen Möglichkeiten. Darum geht es.

Er ist ein notwendiges Steuerungsinstrument, um das vorhandene Studienangebot optimal auszunutzen. Das wird in allen Bundesländern so gehandhabt. Deshalb kann ich Ihrer Argumentation auch nicht folgen, Herr Paul. Wir brauchen keine neue Strategie zur Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen entspricht exakt dieser Rechtsprechung.

Die Regelungen können Sie im Hochschulzulassungsgesetz, das der Landtag 2008 verabschiedet hat, nachlesen. Grundlage ist ein Staatsvertrag der Länder, der bundesweit einheitlich die Vergabe von zulassungsbeschränkten Studiengängen regelt.

Wenn wir uns nun ansehen, welche enormen Kraftanstrengungen der Bund und die Länder zur Ausfinanzierung der nötigen Studienplätze unternommen haben, dann muss eigentlich jedem klar sein, dass trotz der Einrichtung von NC im kommenden Wintersemester deutlich mehr junge Menschen ein Studium in Nordrhein-Westfalen aufnehmen können, und zwar auch in den so genannten NC-Fächern.

Aus dem Monitoring der Landeregierung wissen wir, dass die Hochschulen viel geleistet haben, um sich auf den doppelten Abiturjahrgang vorzubereiten. 4.200 zusätzliche Dozenten sind für die Lehre eingestellt worden. 180.000 Quadratmeter Fläche sind an den Hochschulen seit 2007 nur für die Lehre entstanden.

Allein in den letzten zwei Jahren haben die zwölf nordrhein-westfälischen Studentenwerke rund 1.000 neue Studentenwohnheimplätze gebaut. Über 11.000 vorhandene Wohnheimplätze sind saniert und modernisiert worden. Das ist der entscheidende Punkt. Wir haben doch nicht die NCs angehoben, ohne gleichzeitig die Kapazitäten zu erhöhen.

Mit der jetzt auf GWK-Ebene erzielten Verdoppelung der Mittel aus dem Hochschulpakt für die nordrhein-westfälischen Hochschulen können wir das Hochplateau der Studierendenzahl dauerhaft finanzieren; denn wir werden es noch eine ganze Weile mit einem Hochplateau in dieser Größenordnung zu tun haben.

In der heutigen Debatte geht es auch um die zusätzlichen Kapazitäten, die wir aufgebaut haben. Wenn Sie, Herr Nettelstroth, die Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge in Nordrhein-Westfalen – die besagten 48 % – zum Maßstab machen, dann möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich die Situation zu Zeiten Ihrer Landesregierung kaum anders dargestellt hat. Heute haben 48 % der Bachelorstudiengänge in Nordrhein-Westfalen einen Numerus clausus; im Wintersemester 2006/2007 unter der Regierung Rüttgers/Pinkwart waren es 50 %.

Letztlich ist die Frage nach der Anzahl der Studiengänge mit NC auch nicht die entscheidende. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Aufnahmesituation insgesamt nicht verschärft hat. Fakt ist doch: Wir konnten in den Studienjahren 2011 und 2012 jeweils knapp 120.000 junge Menschen zusätzlich an unseren Hochschulen aufnehmen, trotz NC.

Das sind 22 % mehr als 2010. Nach bisherigem Stand der Prognosen erwarten wir für das kommende Wintersemester noch einmal um die 123.000 Studierende an unseren Hochschulen. Herr Nettelstroth, die Zahl, die Sie genannt haben – 176.000 – ist die Zahl der Schulabgänger. Das entspricht erfahrungsgemäß bei Weitem nicht der Zahl derjenigen, die ein Studium an einer Hochschule aufnehmen werden.

Hierfür stehen im Haushalt Mittel in Höhe von über 1 Milliarde € zur Verfügung, davon 830 Millionen € an Hochschulpaktmitteln. Deshalb kann ich zum Schluss Ihrem ehemaligen Wissenschaftsminister Herrn Professor Pinkwart nur zustimmen, der am 14. Januar 2013 im „General-Anzeiger Bonn“ mit den Worten zitiert wird:

„Ich teile die Einschätzung meiner Nachfolgerin, dass die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gut auf den doppelten Abiturjahrgang vorbereitet sind.“

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, worum geht es bei diesem Antrag? Mit dem Antrag der Piraten soll die Praxis des Numerus clausus an unseren Hochschulen generell beendet werden; so habe ich es verstanden. Dies ist mehr als utopisch. Vor allem aber ist es verantwortungslos, wenn man die Hochschulen auf der einen Seite in die Überlast treibt und auf der anderen Seite wertvolle Studienkapazitäten ungenutzt lässt. Vor diesem Hintergrund können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Danke schön, Frau Dr. Seidl. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entgegen früheren Annahmen müssen wir in der Tat feststellen, dass die Zahl der örtlichen Zulassungsbeschränkungen in diesem Jahr massiv angezogen hat. Im bevorstehenden Wintersemester 2013/2014 wird aller Voraussicht nach die Quote der an den Universitäten noch frei zu wählenden Studiengänge bei 38,7 % liegen. Ich stimme der Kollegin Seidl – bei dieser Gelegenheit auch gute Besserung – ausdrücklich zu, dass die zu erwartende Zahl der Studierenden ein historischer Rekord sein wird.

Zahlen sind schon viele genannt worden; darum will ich mich hier anschließen. Im Wintersemester 2010 und 2011 waren rund 54 % der Fächer an den Universitäten nicht mit einem NC belegt, heute wird diese Quote voraussichtlich 38 % betragen. Bei den Fachhochschulen fällt die Quote etwas günstiger aus, aber die Voraussetzungen sind auch hier strenger geworden.

Eine kritische Anmerkung in Richtung Landesregierung kann ich nicht unterlassen. Beschwichtigungen dahin gehend, dass vielleicht nicht jeder Studierende sein Wunschstudienfach und auch nicht seinen Wunschort erhält, sind nicht zufriedenstellend. Es ist nur bedingt ein Trost für die betroffenen jungen Menschen, und sie fühlen sich zu Recht nicht ernst genommen mit ihren Sorgen. Was nützt es, wenn man Germanistik in Bonn studieren will, aber nur Technomathematik in Paderborn frei ist? Hier wünsche ich mir eine andere Sensibilität.

Dass die Zunahme des NCs in erster Linie mit der voraussichtlich hohen Anzahl der Studierwilligen zu tun hat und auch eine Schutzhandlung der Hochschulen vor dem Überlaufen ist, ist, glaube ich, unstreitig. Es sollte uns jedenfalls allen klar sein, dass dahinter kein böser Wille vermutet werden kann.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wir wissen alle noch nicht, wie sich der doppelte Abiturjahrgang genau auf die Hochschulen auswirkt. Wir wissen nicht, wie viele von den jungen Menschen, die jetzt in den Abiturprüfungen stehen, tatsächlich die Zugangsberechtigung bekommen und wie viele dann ein Studium aufnehmen wollen. Es ist gerade schon angesprochen worden, dass auch die Frage der Doppelmeldungen eine erhebliche Herausforderung darstellt, jedes Jahr aufs Neue übrigens. Insofern gibt es noch eine ganze Reihe von sensiblen Punkten. Ich kann verstehen, dass sich die Hochschulen insofern zu schützen suchen.

Ich komme zu meiner Kritik am Antrag der Piraten. In Ihrem Antrag steht nichts Konkretes zu Hilfestellungen oder zu Ansätzen, wie wir im Rahmen der Möglichkeiten der Politik den Druck an den Hochschulen abmildern können.

Die Hochschulen sind am Limit. Sie leisten dennoch Hervorragendes. Das ist auch gerade schon deutlich geworden. Es wird wirklich alles getan, um möglichst vielen Studienanfängern Platz bieten zu können.

Ich will nicht die Sorge verhehlen, dass gerade in einer solchen Situation, in der die Hochschulen Enormes leisten, eine Drohung, die Hochschulen wieder in die Gängelung zu nehmen und sie der Hochschulfreiheit zu berauben, eine völlig ungeeignete Maßnahme ist. Auch die Unisenate, wie zuletzt der der Uni Münster, haben zu dem Eckpunktepapier der Landesregierung angemerkt: „Überzeugende Gründe für eine Einschränkung der Selbstständigkeit der Hochschulen sind durch den Gesetzgeber bisher nicht benannt worden.“ – Geschenkt.

Die Erfolge in den Verhandlungen und Gesprächen mit dem Bund, was den Hochschulpakt angeht, sind gerade schon angesprochen worden. Es ist gelungen, dass sich Bund und Länder darauf verständigt haben – das ist erfreulich –, die Anstrengungen zu verstärken und mehr Mittel für die gestiegene Zahl der Studierenden bereitzustellen.

Insbesondere die nordrhein-westfälische Landesregierung – das Land Nordrhein-Westfalen – muss aber noch die Frage beantworten, was sie in ihrem Verantwortungsbereich tut. Wo ist die Aufhebung des Deckels bei der unzureichenden Kompensation der verlorenen Studienbeitragsmittel, die den Hochschulen fehlen, um in Ausbau und Qualitätssteigerung zu investieren? Wo sind die Anstrengungen, die Sie unternommen haben und unternehmen wollen, um dem Recht der jungen Menschen auf eine qualitativ hochwertige universitäre Ausbildung Rechnung zu tragen?

Zum Stichwort „Kooperationsverbot“ ist anzumerken, dass doch SPD-geführte Landesregierungen im Bundesrat eine Lockerung und Aufhebung des Kooperationsverbots im Bereich der Hochschulen verhindert haben.

Es wäre noch vieles anzumerken. Mit der Frage der übergeordneten Koordinierungssysteme, Stichwort: Stiftung für Hochschulzulassung, haben wir uns in der letzten Legislaturperiode schon auseinandergesetzt. Es liegt dabei noch vieles im Argen. Bisher liegen mir leider noch keine Anzeichen für einen Durchbruch vor. Er wäre dabei insbesondere im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen, da der Sitz der Stiftung für Hochschulzulassung in NRW ist. Hier wäre ein besserer und weitergehender Ansatz, die Frage der Hochschulzulassung zu lösen und den Chancen für junge Menschen in angemessener Weise Rechnung zu tragen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Piratenfraktion beruht überwiegend auf Annahmen, die nicht der Realität entsprechen. Sie greifen Ängste auf, die es bei den Schülern und Schülerinnen und künftigen Studierenden sicherlich gibt. Sie verstärken diese Ängste, und das tun Sie völlig grundlos.

Wir stehen mit dem doppelten Abiturjahrgang vor einer großen Herausforderung. Ich habe aber wiederholt dargelegt, was wir alles tun, um diese Herausforderungen zu meistern. Ich wiederhole das heute gerne, auch im Zusammenhang mit den Orts-NCs. Ich will Ihnen gerne auch die Funktionsweise des Numerus clausus noch mal erläutern. Technisch gesehen geht es beim NC um die Festlegung von Aufnahmekapazitäten. Deswegen ist es wichtig, sich die Fakten noch mal anzusehen.

Erstens. Die Nachfrage nach Studienangeboten an verschiedenen Hochschulen ist und bleibt unterschiedlich. Das hat mit vielem zu tun: mit Trends, mit erhofften Perspektiven, mit der Attraktivität der Städte. BWL in Köln ist seit jeher populär, und wir konnten noch nie alle, die dort studieren wollen, aufnehmen.

Zweitens. Zu einem Konzert können nicht beliebig viele Interessierte eingelassen werden. Sie können auch nicht beliebig viele in Köln studieren lassen. Man muss zweierlei tun: Man muss das Platzangebot in Köln vergrößern – das tun wir –, und man muss auf die Angebote in anderen Hochschulstädten hinweisen. Genau das tun wir auch. Wir sorgen für die Verteilung der Nachfrageströme entsprechend der Ressourcen. Der NC ist das Instrument dafür.

Wir haben die zur Verfügung stehenden Plätze ganz massiv ausgebaut, damit viele junge Leute studieren können. Mit dem NC verteilen wir die Studierwilligen auf die vorhandenen Kapazitäten. Diese Kapazitäten sind an allen Hochschulen des Landes in den letzten Jahren deutlich gestiegen und werden weiter steigen.

Es ist schon angesprochen worden, man kann nicht von einer chronischen Unterfinanzierung reden, wenn es uns mit dem Hochschulpakt gelungen ist, zwischen 2011 und 2015 für die Hochschulen 4 Milliarden zu generieren – zusätzlich zu dem, was sonst an den Hochschulen an Geld da ist. Die Aufhebung des Finanzdeckels, also diese 2 Milliarden mehr, die wir jetzt bekommen, sind für die Hochschulen enorm wichtig.

Ja, wir haben einen doppelten Abiturjahrgang. Aber es sind nur 25 % Studierwillige mehr. Wir schaffen 170.000 neue Plätze für Studienanfängerinnen und ?anfänger.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Nettelstroth, die Bemühungen der Hochschulen und die Leistungen, die dort erbracht werden, lasse ich von Ihnen im Parlament nicht kleinreden. Die Hochschulen erbringen eine enorme Leistung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir setzen unsere Anstrengungen fort. Wir werden gemeinsam mit den Hochschulen die zusätzlichen Studienanfängerinnen und ?anfänger an den Hochschulen aufnehmen.

In dieser wichtigen Phase brauchen die Studierenden nicht Verunsicherung, sondern Beratung, Begleitung und Motivation. Das verstehe ich unter einer sozialen Öffnung der Hochschulen, und das bringen wir auch voran. Wir haben mit der Abschaffung der Studiengebühren angefangen. Das sind die nächsten Punkte, die wir angehen.

Mit dem NC sorgen wir in Nordrhein-Westfalen dafür, wenn wir bei dem Bild des Konzertsaals bleiben, dass die Besucher Sicht auf die Bühne haben, dass die Studierenden auf qualitativ hohem Niveau studieren können. Es kann doch nicht in Ihrem Interesse sein, dass an der einen Hochschule ein Saal wegen Überfüllung geschlossen werden muss, während an einer andern Hochschule ein Saal fest leer steht. Das ist jedenfalls nicht unser Interesse. Als Land wollen wir die vorhandenen Kapazitäten auslasten.

Also: Der Numerus clausus ist ein Steuerungsinstrument. Wir wollen die Qualität des Studiums in Nordrhein-Westfalen hochhalten. Das ist über dieses Instrument möglich. Andere Wege, die zum Ziel führen, liegen nicht vor. Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag abzulehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir sind am Ende der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer folgt der Bitte der Ministerin und lehnt den Antrag Drucksache 16/2628 ab? – SPD-Fraktion, grüne Fraktion, CDU-Fraktion und FDP-Fraktion. Wer ist für den Antrag? –

(Zuruf von den PIRATEN: Überraschung!)

Die Piratenfraktion. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Tagesordnungspunkt

13       Kinderschutz stärken – Interkollegialen Austausch von Kinderärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen ermöglichen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/2433

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU Frau Kollegin Scharrenbach das Wort.

Ina Scharrenbach (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Familienministerin Schäfer hat mit Vorlage 16/229 ausgeführt, dass das Land ein Gesetz zum präventiven Kinderschutz entwickeln will. Weiter heißt es dort, dass die Landesregierung ein strukturiertes, systematisches Gesamtkonzept, das den präventiven und intervenierenden Kinderschutz auf breiter Ebene in Nordrhein-Westfalen in den Blick nehme, entwickeln wolle.

Da ein solcher Gesetzentwurf diesem Landtag noch nicht vorliegt, haben wir als CDU-Landtagsfraktion heute und damit frühzeitig einen Antrag in die Beratung eingebracht, damit wir in NRW ergebnisoffen prüfen können, ob es im Land eine Möglichkeit gibt, den interkollegialen Austausch von Ärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung rechtlich abzusichern.

Die Situation heute ist unbefriedigend. Wenn Eltern mit ihrem Kind zu einem Kinderarzt kommen, das Kind möglicherweise blaue Flecken oder Schrammen hat, man nicht weiß, woher sie stammen, ob es ein ganz normaler Unfall beim Spielen gewesen ist oder ob hier vielleicht ein Verdacht auf Kindesmisshandlung vorliegt, ist es dem Arzt heute nicht gestattet, ohne Einverständniserklärung der Eltern bei einem Kollegen Rat zu holen und ihn zu bitten, sich das einmal anzugucken und zu fragen: Wie wertest du das, wie siehst du das?

Insofern haben wir gerade als Parlament den verfassungsrechtlich verankerten Schutz für Kinder und Jugendliche vor Gewalt mit den berechtigten Ansprüchen des Datenschutzes abzuwägen.

Wir als CDU-Landtagsfraktion sind der Auffassung, dass es eine Prüfung in diesem Land wert ist, ob es uns gelingt, auf Landesebene eine hinreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Dass das möglich wäre, halten wir für darstellbar, zumindest in dem angekündigten Gesetz zum präventiven Kinderschutz.

Ein weiterer Aspekt ist die Problemlage des sogenannten Doktorhoppings. Eltern, die ihre Kinder misshandeln, neigen dazu, des Öfteren den Arzt zu wechseln. Derzeit gibt es für Ärzte keine Möglichkeit, herauszufinden, ob die Eltern vielleicht schon woanders vorstellig geworden sind, ob es vielleicht schon in anderen Städten, Regionen, Stadtteilen Vorlagen gegeben hat, dass Eltern auffällig geworden sind.

Hier hat sich angesichts zahlreicher Todesfälle von Kleinkindern in Duisburg vor Jahren ein Verein auf den Weg gemacht und ein System entwickelt, mit dem es gelingen soll – und zumindest in Duisburg und im westlichen Ruhrgebiet bei den angeschlossenen Ärzten gelingt –, sich mit dem Doktorhopping intensiv auseinanderzusetzen und den Ärzten eine Chance zu eröffnen, zu erkennen, ob das Kind schon woanders vorstellig geworden ist.

Insofern erachten wir als CDU-Landtagsfraktion es für wert, als Landesgesetzgeber zu prüfen, ob wir mit einer solchen Datenbank als Grundlage oder einer vergleichbaren Grundlage in Nordrhein-Westfalen landesweit in die Fläche gehen können, damit wir das Netz, das durch verschiedene Landesregierungen zur Gewährleistung des Kinderschutzes immer weiter gespannt worden ist, noch enger ziehen können – zum Schutz des Kindes und um dem verfassungsrechtlichen Rang des Kinderschutzes, den er in Nordrhein-Westfalen genießt, Rechnung zu tragen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Insofern freuen wir als CDU-Landtagsfraktion uns auf die Beratungen, die sich im Familienausschuss fortsetzen werden, und hoffen, dass es uns hier im Landtag mit allen vertretenen Fraktionen gelingt, eine gesetzliche Grundlage zu finden, die Ärzten bei Verdacht auf Kindesmisshandlung den Austausch ermöglicht, anstatt sie weiter zu kriminalisieren, und dass wir auf der zweiten Ebene das Netz zugunsten von Kindern und Jugendlichen in diesem Bundesland enger spannen können. Denn das ist unsere Verpflichtung, die in der Landesverfassung niedergelegt ist. Damit haben wir gleichzeitig das Recht, hier tätig zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Hack.

Ingrid Hack (SPD): Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist erfreulich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass Sie in Ihrem Antrag einführend die Verankerung der Kinderrechte in der nordrhein-westfälischen Verfassung erwähnen. Das war und bleibt eine wirklich wichtige Grundsatzentscheidung, die unser Land getroffen hat.

Auf Bundesebene ist das leider auch mit der von Ihnen seit Jahren getragenen Regierung noch nicht gelungen. Das möchte ich eingangs zur Debatte stellen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das ist sicher ein anderes Thema, aber wir sollten uns darüber noch mal unterhalten.

Erlauben Sie mir vor der von Ihnen nun gewünschten Entscheidung für die Überweisung an unseren Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend eine Anmerkung zu diesem Verfahren.

Wir alle in diesem Ausschuss sind sicherlich Kinder- und Jugendpolitikerinnen in umfassendem Sinne. Das heißt, wir schauen auch über enge Zuständigkeiten hinaus in anderen Bereichen von Politik und Gesellschaft nach Auswirkungen für Kinder, Jugendliche, ihre Eltern, ihre Familien.

Warum Sie Ihren Antrag, der ausschließlich ärztliches Handeln betrifft, mithin einen zentralen Bestandteil des Gesundheitssystems und seiner rechtlichen Verfasstheit, federführend in unserem Ausschuss verhandeln wollen, das erschließt sich uns zurzeit nicht so ganz.

Zu Ihren Forderungen! Nach langjährigen Beratungen trat das Bundeskinderschutzgesetz im Januar 2012 endlich in Kraft. Es weist nach Meinung von Fachverbänden aus der kinderärztlichen Landschaft gleich zwei Defizite auf.

Erstens. Die während der Beratungen geforderte erweiterte Schweigepflichtentbindung wurde nicht Bestandteil des Gesetzes.

Zweitens – ich zitiere –: „Das neue Kinderschutzgesetz ist nicht geeignet, die Situation für mißhandelte Kinder in Deutschland entscheidend zu verbessern, weil weiterhin eine adäquate Einbeziehung des Gesundheitswesens fehlt.“ Nachzulesen ist das auf der von Ihnen schon erwähnten Homepage RISKID unter „Aktuelles“ und „Bundeskinderschutzgesetz“.

Die von Ihnen beantragte hinreichende Rechtsgrundlage für Ärztinnen und Ärzte hätte es also längst geben können. Das ist eine verpasste Chance Ihrer Bundesregierung mit diesem Bundeskinderschutzgesetz.

(Beifall von der SPD)

Frau Scharrenbach, wenn wir uns auf den Weg machen, um dies wie vorschlagen landesgesetzlich behelfsmäßig nachzubessern, kann das unseres Erachtens – bei allem Respekt – nur Flickwerk sein. Das ist bei einer solch ernsthaften Aufgabenstellung unangebracht.

Sie erwähnen zu Recht das sogenannte Doktorhopping. Bei einer solchen Regelung käme die Gefahr hinzu, durch Arztwechsel in ein anderes Bundesland – das ist in Grenzgebieten nicht so abwegig – Taten zu vertuschen. Soll also eine zielführende Lösung geschaffen werden, ist unseres Erachtens zu berücksichtigen, dass sie keinesfalls nur für Kinderärzte gelten darf. Es muss auch Hausärzten, Notfallpraxen und Krankenhäusern möglich sein, kollegialen Austausch in dem Sinne durchzuführen, wie Sie ihn in Ihrem Antrag beschreiben.

Unverzichtbar ist unserer Meinung nach die Einbeziehung der Familienhebammen in diese Neuregelung. Sie werden im Sinne des Bundeskinderschutzgesetzes immer in den Bereich „Frühe Hilfen“ eingeordnet. Das ist auch richtig und gut so. Sie sind aber faktisch genauso wichtige Akteurinnen im Gesundheitssystem. Das wird durch das Bundeskinderschutzgesetz bekanntlich überhaupt nicht tangiert.

Ein letzter Punkt: Sie erwähnen in Ihrem Antrag die in Ihrer Regierungszeit in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebrachte Initiative, um die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zu verbessern. Die aktuellste Auswertung hat – positiv überraschend, wenn ich das in diesem Zusammenhang so ausdrücken darf – deutlich geringere Versäumniszahlen als erwartet ergeben. Nach unserer Auffassung zeigt dies zweierlei: Die medizinische Seite des Kinderschutzes darf keinesfalls vernachlässigt werden. Sie ist aber auch nicht das Allheilmittel gegen Kindesmisshandlungen.

Wir wissen, dass wir weitaus umfassendere Instrumente benötigen. Vor allem brauchen wir die geregelte Zusammenarbeit der Akteure im Jugendhilfe- und Gesundheitssystem. Das muss unser Bestreben sein. Wenn wir da im Land einen Schritt weiterkommen – möglicherweise mit einem Präventionsgesetz –, dann sind wir völlig einer Meinung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Hack, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Scharrenbach?

Ingrid Hack (SPD): Sehr gerne, ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett, danke.

Ina Scharrenbach (CDU): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit anzuerkennen, dass sich die CDU-Landtagsfraktion in ihrem Antrag nicht rein auf Kinderärzte fokussiert, sondern Ärzte allgemein in Bezug auf die Austauschmöglichkeit bezeichnet hat? Sind Sie bereit anzuerkennen, dass natürlich auch der medizinische Bereich in seinem Spezifikum Teilbereich des Kinderschutzes ist?

Ingrid Hack (SPD): Das kann ich sehr gerne anerkennen. Ich dachte, ich hätte das mit meinem letzten Satz gerade angemerkt.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie möchte recht haben! Sie möchte nicht darüber diskutieren!)

Ich darf das noch einmal vorlesen: Die medizinische Seite des Kinderschutzes darf keinesfalls vernachlässigt werden. – Das waren meine Worte. Sie ist aber auch eben kein Allheilmittel. Wir brauchen viel umfassendere Instrumente. Ich denke, darüber wir sind im Ausschuss Familie, Kinder und Jugend durchaus einer Meinung. Das ist keine Frage. Wir werden diesen Aspekt bei allen rechtlichen Hürden, die Sie beschrieben haben, sicherlich im Präventionsgesetz zu berücksichtigen haben.

Abschließend sei gesagt: In diesem Sinne wünsche ich mir auch die Beratungen, in welchem Ausschuss federführend und mitberatend auch immer. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Kollegin Hack. – Für die Grünen spricht nun Frau Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat. Der Schutz von Kindern, den schwächsten Mitgliedern in unserer Gesellschaft, und ihr gelingendes Aufwachsen müssen Aufgabe für uns alle sein, für die gesamte Gesellschaft und damit natürlich auch für alle staatlichen Ebenen. Das Grundgesetz formuliert das in Artikel 6 als Wächteramt des Staates.

Ich finde es übrigens interessant, dass der CDU-Antrag damit beginnt, dass wir – wir alle gemeinsam – die Rechte der Kinder in die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen haben. Frau Kollegin Hack hat es schon erwähnt. Damals war es ein Beschluss aller Fraktionen. Das ist gut und richtig so.

Ich würde mir nur wünschen, dass dies auch auf Bundesebene vollzogen und von CDU und FDP in Berlin nicht immer länger verhindert wird, die Rechte der Kinder ins Grundgesetz zu schreiben. Das ist überfällig.

Nun gibt es einen breiten Konsens darüber, dass der Schutz von Kindern nicht mit einfachen isolierten Maßnahmen zu gewährleisten ist, sondern es komplexer ineinandergreifender Strukturen bedarf, um diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe tatsächlich befriedigend zu bewältigen. Dies fängt bei der Begleitung von Eltern in der Schwangerschaft, zum Beispiel in der Schwangerschaftsvorsorge, in der pränatalen Diagnostik an. Wir brauchen eine Vernetzung von Gesundheitseinrichtungen und pädiatrischen Einrichtungen, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Bildungseinrichtungen wie Kita und Schulen sowie von sozialen Unterstützungsangeboten.

All diese Ebenen müssen mit einander kooperieren, um das Kindeswohl und ein gelingendes Aufwachsen tatsächlich zu gewährleisten. Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen unter dem Stichwort „Kein Kind zurücklassen“ die kommunalen Präventionsketten in 18 Kommunen installiert. Wir haben damit auf Erfahrungen der sogenannten sozialen Frühwarnsysteme aufgesetzt, die noch von der bis zum Jahre 2005 im Amt befindlichen rot-grünen Landesregierung ins Leben gerufen wurden.

Auch das Bundeskinderschutzgesetz trägt dieser Erkenntnis Rechnung, dass Vernetzung und Kooperation im Sozialraum im Grunde die wichtigsten Komponenten sind, um gelingenden Kinderschutz zu gewährleisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU-Fraktion fordert mit diesem Antrag eine sehr isolierte Maßnahme. Sie wollen rechtliche Möglichkeiten schaffen, damit die Daten innerhalb der Ärzteschaft weitergegeben werden können. Wenn Sie das wollen, hätte Bundesfamilienministerin Schröder das auch ins Bundeskinderschutzgesetz aufnehmen können. Es ist bekanntlich 2012 in Kraft getreten. Und mehr noch: Als Schwarz-Gelb an der Landesregierung war, hätten Sie das genauso regeln können.

Es gibt aber einen guten Grund, warum Sie das nicht gemacht haben. Herr Tenhumberg und Kollege Lindner waren damals dabei und erinnern sich daran. Sie haben es 2008 geprüft, als die Datenweitergabe von den Kinderärzten an die Jugendämter eingeführt wurde. Die Datenschutzbeauftragte hat Ihnen damals ganz klar gesagt, dass das rechtlich nur zulässig ist, wenn eine Schweigepflichtentbindung der Eltern gegenüber den Kinderärzten vorliegt.

Ich möchte aber in Erinnerung rufen, dass wir damals einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag gehabt haben. Ich fand es sehr gut, dass wir dieses Thema gemeinsam und nicht im parteipolitischen Streit miteinander angegangen sind. In der Anhörung hatten wir einen Kinderarzt aus Duisburg zu Gast, mit dem wir dieses Problem erörtert haben. Sie hätten die Gelegenheit gehabt, aus dieser Erfahrung zu lernen, dass das rechtlich überhaupt nicht möglich ist.

Wir als rot-grüne Landesregierung haben vereinbart, Kinderschutz und die Grundlagen für gelingendes Aufwachsen der Kinder in einem Präventionsgesetz zu regeln. Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart und wollen damit erreichen, dass wir besser früh vorbeugen als später teuer intervenieren, und wir wollen natürlich den Kindern in Nordrhein-Westfalen die besten Startchancen in ihr Leben und die besten Entwicklungsmöglichkeiten geben.

Ich kann Sie alle, auch die CDU-Fraktion, nur einladen, sich mit Ihren Ideen an diesem Prozess zu beteiligen und dass wir die Entwicklung eines solchen Präventionsgesetzes möglichst im Interesse der Kinder machen und nicht im parteipolitischen Streit austragen. Dann können wir gute Ergebnisse im Interesse der Kinder in Nordrhein-Westfalen entwickeln. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Asch. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vom Bund und von den Ländern wurde und wird viel unternommen, Kinder besser zu schützen. Seit 2011 haben wir das Bundeskinderschutzgesetz. Bereits seit 2008 besteht in Nordrhein-Westfalen, von der schwarz-gelben Regierung eingeführt, ein Früherkennungsuntersuchungssystem. Seit letztem Jahr ist es Kinderärzten bei Misshandlungsverdacht auch gestattet, den Fall anonymisiert ans Jugendamt weiterzuleiten, damit dieses prüft, ob die jeweilige Familie eingehender begutachtet werden muss.

Ein leichterer interkollegialer Datenaustausch von Kinderärzten wäre ein weiterer guter Baustein in einem umfassenden Schutzkonzept. Das ist an der Stelle auch sicherlich keine Frage des Wollens, sondern eher eine Frage der rechtlichen Möglichkeiten.

Das Problem ist das Spannungsfeld von Schutzauftrag und ärztlicher Schweigepflicht. Die Schweigepflicht ist ein hohes Gut. Deshalb gilt es, bei allen diskutierten Lösungen die Interessen sorgsam auszutarieren. Wir wollen den Schutz sensibler Daten nicht leichtfertig aufgeben, aber wir stellen eben fest: Die Schweigepflicht verbietet es den Ärzten, sich gegenseitig über Verdachtsfälle zu informieren.

Hiermit hat auch das Duisburger Vorzeigeprojekt, die Risiko-Kinder-Informationsdatei, genannt RISKID, zu kämpfen. RISKID ist ein elektronisches Informationsaustausch- bzw. ?abgleichsystem für Ärzte, welches im Jahr 2007 zunächst auf regionaler Ebene initiiert wurde. Aufgrund der Schweigepflichtproblematik wurde eine rechtskonforme deutschlandweite Version entwickelt, in die mittlerweile 70 Kinderärzte Daten von Verdachtsfällen einstellen. Allerdings gibt es – deshalb ist die Version auch rechtskonform – zwei Schwachstellen: Erstens dürfen Verdachtsfälle nur völlig anonymisiert ausgetauscht werden. Zweitens dürfen die Daten nur mit Zustimmung der Eltern gesammelt werden, obwohl sie selbst unter Umständen als Tatverdächtige in Frage kommen.

Wir sind uns einig, dass diese Schwachstellen einem effektiven Kinderschutz im Wege stehen. Ein Arzt, der bei Anzeichen von Misshandlungen im Sinne des Kinderschutzes tätig werden will, macht sich im Zweifel damit strafbar. Damit ist der Austausch gerade mit Blick auf das sogenannte Ärztehopping wichtig, bei dem Misshandlungen durch den Wechsel des Arztes unentdeckt bleiben sollen.

Dem im Antrag skizzierten Handlungsbedarf stimme ich daher grundsätzlich zu. Wir sollten uns gemeinsam darüber austauschen, welche Möglichkeiten wir als Land Nordrhein-Westfalen haben. Wie gesagt, es geht nicht um das Wollen, sondern allein um das rechtliche Können.

Das Ganze ist – das wurde auch schon angesprochen – eher ein Bundesthema. Viele Experten befürworten auch eine Änderung bzw. Ergänzung des § 8 SGB. Aus diesem Grund hätte ich die Verankerung eines kooperativen Vorgehens zwischen Bund und Land im Antrag schon für zielführend gehalten. Sicher wäre auch eine Beteiligung des Gesundheitsausschusses sinnvoll. Vielleicht kann man das noch im Verfahren ergänzen.

Allerdings gibt es nun auch eine rechtliche Einschätzung, nach der die Länder aktiv werden können. Das hat sich in den letzten Wochen so entwickelt. Insofern sollten wir das auch im entsprechenden Ausschuss diskutieren.

Die Ministerin wird uns gleich darlegen, wie Sie die Rechtslage generell einschätzt. Da wir uns bei dem Thema inhaltlich eigentlich alle einig sind, ist für uns auch denkbar, mit den Fraktionen gemeinsam zu einem entsprechenden Ziel zu kommen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche uns gute Beratungen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hafke. – Nun spricht für die Piratenfraktion der Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen am Stream und auf der Tribüne! Wir haben jetzt schon einiges zum Thema „Kinderschutz“ gehört. Auch ich bin für den Schutz von Kindern. Auch ich bin für den Austausch von Informationen zwischen Kinderärzten. Prinzipiell bin ich auch für unkomplizierte, webbasierte Lösungen.

Mit der grundsätzlichen Intention des Antrags erkläre ich mich durchaus einverstanden. Schauen wir uns den Antrag etwas genauer an! Der Antrag bezieht sich direkt im ersten Satz auf Art. 6 Abs. 1 unserer Landesverfassung. Dort wird die Achtung der Würde eines Kindes als eigenständige Persönlichkeit und das Recht auf besonderen Schutz durch Staat und Gesellschaft herausgestellt.

Im zweiten Absatz werden des Weiteren die Rechte des Kindes auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung unter den Schutz des Staates gestellt. Aber ist das genug? Art. 19 der UN-Kinderrechtskonvention geht in seinen Forderungen erheblich weiter. Ich zitiere:

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszuführung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen …“

Mir ist diese Definition sehr wichtig, weil sie die Dimensionen von Kindeswohl sehr gut umfasst. Der heute vorliegende Antrag der CDU-Fraktion soll Kinder durch einen verbesserten Austausch unter Kinder- und Jugendärzten schützen.

Als Beispiel für ein Instrument zum interkollegialen Austausch über sogenannte unklare Befunde spricht die CDU in ihrem Antrag das Duisburger RISKID-Programm an. Herr Hafke hat schon genau erklärt, worum es sich dabei handelt. Arztpraxen greifen dabei auf begrenzte Patientendaten und Daten anderer Praxen zurück.

Wenn man sich die Beschreibung ansieht, hört sie sich erst einmal sehr gut an. Das eigentliche Problem ist aber, dass es sich auch bei diesem Programm ohne Einverständniserklärung der Eltern um einen strafbewehrten Verstoß gegen die Schweigepflicht handelt. Damit dürfte dies wohl eher ein sehr stumpfes Schwert sein.

Denn Eltern, die die Aufdeckung von Kindeswohlgefährdung befürchten, werden eine solche Einverständniserklärung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgeben. Auch auf diese Problematik ist Herr Hafke bereits eingegangen.

Und sollte die Schweigepflicht aufgehoben werden, verlagert sich das Problem dadurch unter Umständen lediglich, da auf diese Weise wiederum der Vertrauensschutz ausgehöhlt würde und dem Arzt viele wertvolle Informationen gar nicht mehr anvertraut würden.

Bei diesen Gedanken breitet sich mir ein mehr als leicht flaues Gefühl im Magen aus, wenn ich mir vorstelle, dass Kinder dann unter Umständen nicht einmal mehr eine erste Hilfe bekommen.

Zudem ist es traurig, dass im vorliegenden Antrag zum Kinderschutz der Datenschutz überhaupt nicht erwähnt ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir halten solche webbasierten Datenbanklösungen nämlich immer auch für ein datenschutzrechtliches Problem – erst recht, wenn darin Gesundheitsdaten von Kindern abgelegt werden.

Wir haben bei Arztpraxen nachgefragt, was sie von dem Duisburger Modell halten und ob sie Alternativen sehen. Ich möchte hier beispielhaft einen Kinderarzt zitieren:

Die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage würde es insbesondere den ängstlichen kinder- und jugendärztlichen Kollegen erleichtern, bei begründetem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung rasch und effizient zu handeln. Dabei ist eine Datenbank aus meiner Sicht nicht der Königsweg, sondern auch ein telefonischer Austausch auf dem kurzen Dienstweg kann sehr hilfreich sein. – Zitat Ende.

Der Datenschutz gehört für uns Piraten zum Kinderschutz dazu. Nicht umsonst fordert die von mir vorhin zitierte UN-Kinderrechtskonvention „alle geeigneten Gesetzgebungs?, Verwaltungs?, Sozial- und Bildungsmaßnahmen“ zum Schutz von Kindern. Die Betonung liegt hier auf „geeignet“.

Ich frage mich wirklich, welche Instrumente geeignet sind und welche Möglichkeiten und Grenzen sich dabei zeigen. Eine Datenbanklösung mit allen damit einhergehenden datenschutzrechtlichen, technischen sowie Manipulations- und Missbrauchsrisiken erscheint mir, was die Eignung angeht, eher problematisch.

In welcher konkreten Form wir uns für den Schutz unserer Kinder vor Misshandlungen tatsächlich einsetzen können, diskutiere ich gerne mit Ihnen im Ausschuss.

Gestatten Sie mir noch eine kleine grundsätzliche Ergänzung. Statt mit weiteren Überwachungsinstrumenten solchen unsäglichen Verbrechen ohnehin nur hinterherzulaufen, sollten wir vielleicht einmal darüber nachdenken, wie man mit den in der UN-Kinderrechtskonvention vorgeschlagenen Sozial- und Bildungsmaßnahmen den Ursachen vorbeugen kann. Auch darüber diskutiere ich gerne mit Ihnen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Wegner. – Nun hat die Landesregierung das Wort. Es spricht Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben sicherlich breiten Konsens darüber, dass der Kinderschutz für uns alle, unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit, ein wichtiges Thema ist, über das kein parteipolitischer Streit geführt werden darf.

Frau Scharrenbach, deshalb bin ich über diesen Antrag und seine Begründung etwas verwundert. Schließlich ist RISKID kein neues Thema, sondern ein Projekt, das schon 2008 unter Schwarz-Gelb diskutiert worden ist. Die damalige Landesregierung hat unter Ihrer Verantwortung auch beim LDI eine deutliche Stellungnahme zu der Fragestellung eingeholt: Geht das eigentlich? Ist das also möglich? Und ist dieses Projekt auch sinnvoll?

Für uns alle ist klar, wie wichtig es ist, dass Informationen über Kindeswohlgefährdung vorhanden sind. Wir müssen uns aber auch fragen: Gibt es letztendlich ein Wissensdefizit? Oder gibt es nicht oft auch dann, wenn Wissen vorhanden sind, ein Handlungsdefizit? Sind diejenigen, die über Informationen verfügen, also auch immer bereit dazu, die rechtlichen Möglichkeiten, die vorhanden sind, wirklich zu nutzen?

Wie ist das Projekt RISKID 2008 bewertet worden? Das damalige Ergebnis war, dass die Durchbrechung der Schweigepflicht und der Rückgriff auf rechtfertigenden Notstand nicht gegeben seien, weil RISKID nicht auf Notstandsfälle beschränkt sei. Damals hat der LDI erklärt, es gehe an dieser Stelle nicht so einfach.

2008 gab es auch das jetzt an verschiedenen Stellen zitierte Gutachten, das zu dem Ergebnis kam, man könne eventuell eine landesrechtliche Regelung schaffen.

Seitdem ist aber viel passiert. Es ist nämlich das Bundeskinderschutzgesetz in Kraft getreten. Herr Hafke, Sie haben eben gesagt, seit der letzten oder vorletzten Woche gebe es neue Informationen. Es liegen keine neuen Informationen vor. Vielmehr gibt es die Stellungnahmen und Gutachten von 2008 sowie seit 2012 das Bundeskinderschutzgesetz. Im Bundeskinderschutzgesetz hätte man – darauf hat die eine oder andere Vorrednerin schon hingewiesen – genau diese Punkte regeln können.

Beim Bundeskinderschutzgesetz hat man es aber explizit anders gemacht. Der Bundesgesetzgeber hat nämlich durch das Bundeskinderschutzgesetz von seiner Regelungskompetenz nach Art. 74 Grundgesetz Gebrauch gemacht, um eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen.

In der Begründung zu diesem Gesetz wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es darum geht, ein solches Gesetz unter Berücksichtigung eines wirksamen Schutzauftrages auch im Bereich der Schnittstelle zum Gesundheitssystem unter Klarstellung der ärztlichen Schweigepflicht auf den Weg zu bringen.

Klar ist auf jeden Fall, dass diese bundesgesetzliche Regelung alle weiteren landesgesetzlichen Möglichkeiten ausschließt, weil das Bundesgesetz an dieser Stelle eine abschließende Regelung getroffen hat. Es ist eindeutig, dass das Land nach dem Grundgesetz entsprechend Art. 72 nicht mehr gesetzgeberisch tätig werden kann, weil der Bund es hier abschließend geregelt hat.

Von daher verwundert mich dieser Antrag. Denn eigentlich müsste dieser Antrag in Richtung Bundesregierung gehen, das Bundeskinderschutzgesetz dahin gehend zu ändern, dass dieser Bereich der Schweigepflicht anders und sozusagen weiter ausgelegt wird.

Doch Sie wissen genau wie ich, dass der Bundesgesetzgeber – auch das ist eben von Vorrednerinnen schon benannt worden – damals mit der Regelung, wie sie jetzt im Bundeskinderschutzgesetz getätigt worden ist, eine weitergehende Aufhebung der Schweigepflicht nicht wollte und explizit auch nicht für sinnführend und in der Abwägung der unterschiedlichen Rechtsgüter für gegeben hielt.

Von daher haben wir in Nordrhein-Westfalen nicht die Möglichkeit. Das können wir im Ausschuss gern noch ausführlich diskutieren. Ich fände es sinnvoll, wenn man den Gesundheitsausschuss, der für die ärztliche Schweigepflicht federführend zuständig sein müsste, an der Stelle einbezieht. Es wäre sinnvoll, dass dieser Ausschuss es mit berät, weil, wie gesagt, rechtlich die Möglichkeiten nicht bestehen.

Darüber hinaus fände ich es wichtig, das zu tun, was tatsächlich möglich ist und was wir in Nordrhein-Westfalen nach wie vor machen, nämlich zu fragen: Hat dieses Meldeverfahren, das eingeführt und evaluiert worden ist, in dem Sinne die Funktion erfüllt, die es haben sollte? Brauchen wir darüber hinaus andere Schnittstellen zwischen Jugendhilfe und Gesundheitshilfe, um weitere Möglichkeiten für die Jugendlichen zu erreichen? Darüber können wir gern diskutieren, doch ich glaube, dass dieser Weg der falsche ist.

Den Punkt, den ich für ganz wichtig halte, ist ein Punkt, der an vielen Stellen ein bisschen krude in der Diskussion hin- und herging. Ärzte und Ärztinnen haben, wenn sie unsicher sind, jederzeit die Möglichkeit, sich in anonymisierter Form von anderen Kollegen, aber auch von den rechtsmedizinischen Instituten beraten zu lassen. Hier wird ihnen weitergeholfen. Da haben wir in Nordrhein-Westfalen ein sehr umfassendes System. Auch da kann man nur diejenigen, die verunsichert sind, ermuntern, die Kollegen und Kolleginnen um Rat zu fragen. Aber wir werden auch das in der Diskussion im Ausschuss gemeinsam vertiefend erörtern können. – Danke.

(Beifall von den grünen)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Ministerin Steffens. – Damit sind wir am Ende der Beratung und kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/2433 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend – federführend – und, worauf sich die Fraktionen zwischenzeitlich verständigt haben, zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann in öffentlicher Sitzung im federführenden Ausschuss erfolgen. Wer stimmt dem so zu? – Wer stimmt dem nicht zu? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen, wie vereinbart.

Ich rufe auf:

14       Transparenz in der Landespolitik – Vertrauen schaffen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2629

Warum der Antrag gestellt wurde, begründet jetzt Kollege Schmalenbach von der Piratenfraktion.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Sehr gern, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! „Klarmachen zum Ändern!“ Das ist der Slogan der Piratenpartei. Aber was bedeutet er? Darauf werden Sie vermutlich viele verschiedene Antworten bekommen.

Ich möchte Ihnen einmal erklären, was es für mich bedeutet. Dazu hole ich etwas aus. Meine Sicht auf die Politik vor meiner Wahl in den Landtag war von Misstrauen gezeichnet, Misstrauen, das in den meisten Fällen darauf beruhte, dass Entscheidungen nicht nachvollziehbar waren.

Ich denke, ich spreche für viele, wenn ich sage, die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen ist eines der zentralen Probleme, die die Bürger mit den Entscheidungen der Politik haben. Diese Nachvollziehbarkeit ist einer der elementaren Gründe, weswegen wir Transparenz so hoch halten. Darum geht es in diesem Antrag; dafür setzen wir uns ein.

(Christian Lindner [FDP]: Macht doch mal ein Gutachten!)

– Ich komme darauf zurück.

Nun geht meine Meinung dazu jedoch noch weiter. Mir war immer klar, dass alle etwas davon haben, wenn die Bürger mehr Vertrauen zu ihren Politikern haben. Ich bin der Überzeugung, dass eine offene transparente Politikkultur, die den Bürger besser informiert, die ihm bessere Möglichkeiten an die Hand gibt, sich selbstständig tiefergehend zu informieren, die womöglich sogar von der Presse mitgetragen wird, dem Bürger unsere Arbeit besser vermittelt und möglicherweise sogar ein Gemeinschafts- und Wir-Gefühl erzeugt. Exakt das wäre mein persönlicher Wunsch, und ich glaube, dass die meisten Politiker gar nichts anderes im Sinn haben.

Aber konkret zu unserem Antrag! Ich kam, wie gesagt, mit diesem Misstrauen in den Landtag und musste feststellen, dass ganz viel von dem, was ich mir wünsche, anscheinend längst Common Sense ist. Wenn man Forderungen zur Transparenz äußert, rennt man oft offene Türen ein. Antworten auf Forderungen sind häufig: Hm, könnte man eigentlich machen. Wir wissen auch nicht, warum es bisher anders läuft. Speziell zu den Gutachten lauten die Antworten: Die werden nicht veröffentlich, weil niemand danach fragt.

Gerade bei Gutachten wissen wir NRW-Piraten – Herr Lindner, hören Sie zu – seit ein paar Wochen, wie viel Vertrauen unnötig vernichtet wird, wenn man sie nicht veröffentlicht.

(Lachen von Josef Hovenjürgen [CDU])

Ich war insofern sehr ordentlich involviert, als dass ich lautstark meine Meinung dazu geäußert habe. Am Ende standen drei Rücktritte und leider auch ein Austritt. Das war eine von Anfang bis Ende sehr schmerzhafte Erfahrung, und ich wünsche mir, diese Erfahrung nicht wieder machen zu müssen.

Deswegen und auch wegen der Gespräche, die man mit der Verwaltung, mit Kolleginnen, mit Kollegen beim Mittagessen oder mit Besuchern führt, frage ich mich: Warum schreibt man es nicht einfach als Regel fest?

Dieser Antrag tut das. Und da ich niemanden gefunden habe, der mir gesagt hat, dass das so nicht geht, glaube ich, dass der Beschluss hier und heute reine Formsache ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Schmalenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmalenbach, jetzt ist mir die Rolle zugewiesen worden, Ihnen zu erklären, warum das so nicht geht. Ich will es auch gerne tun.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Ich bin gespannt! Überraschung!)

Sie schreiben in Ihrem Beschlusstext – ich zitiere –:

„Der Landtag ist bestrebt, das Vertrauen der Bürger wiederherzustellen.“

Ich finde, das ist schon ziemlich starker Tobak. Ich frage mich: Warum formulieren Sie das so und nicht anders?

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Das ist eine sehr gute Frage!)

Ich kann es mir nur so erklären: Sie haben gespürt, dass Sie dieser Debatte ein bisschen hinterherhinken.

Die Ministerpräsidentin hat am 12. September in ihrer Regierungserklärung dargelegt, warum wir eine Open-Government-Strategie für dieses Land brauchen: weil wir Betroffene zu Beteiligten machen und „Mehr Demokratie 2.0“ wagen wollen.

Es hat dann einen Antrag der Regierungsfraktionen gegeben, in dem Sie gesagt haben, Sie wollen Positives dazu besteuern, Sie wollen Anregungen und Ähnliches geben. Es gab eine Anhörung. Jetzt wird es ein Zukunftsforum geben, am 17. Mai hier im Landtag auch unter Beteiligung der Landtagspräsidentin.

Ich vermisse nach wie vor die wertvollen Beiträge der Piraten. Das Entscheidende, auf das Sie sich noch nicht richtig eingelassen haben, ist, glaube ich, das, was Open Government ausmacht, die drei Aspekte, wirklich einmal durchzudiskutieren.

Sie beschränken sich auf mehr Offenlegung von Daten. Das ist aber nur ein Aspekt. Übrigens steht überall in den Texten „mehr Offenlegung“ und nicht „alle Daten offenlegen“.

Es geht auch um mehr Beteiligung. Ich sage nicht: um die Umkehr von Beteiligung ins Internet. Es geht darum, die repräsentative Demokratie zu stärken.

Es geht auch um mehr Zusammenarbeit. Das ist der dritte Aspekt von Open Government. Auf den sollte man an dieser Stelle auch noch ein Stück eingehen. Denn wenn man sich auf den Weg macht, Open Government wirklich zu wollen, dann reicht es nicht, nur zu sagen, jetzt müssen alle Daten offengelegt werden, sondern man muss diese Zusammenarbeit von beiden Seiten einfordern.

Ich habe es selber erleben dürfen, in einem Ministerium zu arbeiten, und sage Ihnen: Wenn man auf völlige Transparenz setzt, dann hat das auch Auswirkungen auf die Arbeit in einem Ministerium. Dann wird Kreativität eher behindert. Dann werden kontroverse Ideen wahrscheinlich nicht mehr so leicht aufgeschrieben oder finden ihren Weg zu einer Hausspitze. Sie müssen auch einen Kernbereich einer inneren Verwaltung schützen, um überhaupt Ideen entstehen zu lassen. Das schließt zu einem Teil eben auch Gutachten ein.

Deswegen, glaube ich, ist es falsch, zu fordern, alles muss offengelegt werden, sondern man muss sich auf den Weg machen. Das haben wir jetzt versucht. Dafür haben wir Kriterien entwickelt. Wir haben alle eingeladen, das zu diskutieren. Es gibt diverse Papiere dazu im Netz, die, wie ich das wahrgenommen habe, auch lebhaft in der Fachwelt diskutiert werden.

Man muss sich dann aber eben auch von beiden Seiten auf diese Welt einlassen. Das macht Zusammenarbeit aus. Das vermisse ich ein Stück.

Sie haben es selber schon angedeutet. Dass Sie gerade Gutachten zum Maßstab für Transparenz machen, reizt natürlich dazu, auch Sie an die jüngsten Ereignisse in Ihrer Partei zu erinnern. „Klarmachen zum Ändern“ haben Sie als Slogan ausgegeben. Es ist ja wohl eher „Klarmachen zum Kentern“ daraus geworden, Herr Schmalenbach.

(Beifall von der SPD)

Von daher: Sie wissen, wir wünschen uns an dieser Stelle Zusammenarbeit. Ich lade Sie ein. Machen Sie bei diesem Prozess mit! Am 17. Mai wird hier im Landtag die Strategie diskutiert werden. Grämen Sie sich nicht, dass das von SPD und Grünen schneller aufgegriffen worden ist und dass wir eine Struktur, die in der Anhörung positiv aufgenommen worden ist, vorgegeben haben.

Bringen Sie sich konstruktiv in die Gespräche ein! Das schafft am Ende dann auch Vertrauen. Vertrauen schafft es nicht, sich nur in eine Ecke zu stellen und zu meckern, dass Ihnen alles nicht genug sei und dass nur die Offenlegung aller Dokumente am Ende Vertrauen schaffen würde. Das glaube ich nicht, sondern konstruktive Mitarbeit ist das, was am Ende Vertrauen schafft. Ich glaube, dann wird auch die Piratenpartei an dieser Stelle einige Erfolge für sich verbuchen können. Wir laden Sie dazu herzlich ein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Nun spricht für die CDU-Fraktion Herr Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was die Fraktion der Piraten mit diesem Sachantrag hier will, ist klar. Das haben sie dargestellt. Sämtliche Gutachten und Stellungnahmen der Regierung sollen innerhalb von vier Wochen für jedermann zugänglich sein. Das geht sogar so weit, dass sie sagen, das, was datenschutzrechtlich bedenklich ist, soll dadurch veröffentlicht werden, dass man die datenschutzrechtlich bedenklichen Stellen schwärzt.

Meine Damen und Herren, wir haben seit mehreren Jahren ein Informationsfreiheitsgesetz, an dem CDU und FDP damals beteiligt gewesen sind. Nach allem, was wir hören – der letzte Bericht stammt aus dem Jahre 2009 –, hat sich das Informationsfreiheitsgesetz, das den Menschen den Zugang zu sie betreffenden Informationen bei den zuständigen Behörden möglich macht, bewährt.

Dann könnte man ja sagen, dann warten wir wenigstens diesen Fünfjahresturnus ab. Der nächste Bericht zum Informationsfreiheitsgesetz erscheint im nächsten Jahr, im Jahr 2014. Aber dessen bedarf es aus unserer Sicht deshalb nicht: Der Antrag der Piraten geht sogar so weit, dass man die Gutachter vorher informieren und ihnen empfehlen soll, ihren Text entsprechend zu verfassen und sich darauf einzustellen, dass er nachher für jedermann nachlesbar ist. Welchen Zweck hat denn ein Gutachten, wenn der Gutachter nicht mehr das schreiben darf, was er wirklich meint, sondern sich danach zu richten hat, welche Reaktionen er in der Öffentlichkeit bekommt?

Meine Damen und Herren, der Antrag der Piraten ist aus mehreren Gründen und nicht zuletzt aus diesem Grunde nicht seriös. Er ist nicht vernünftig. Deshalb: Die CDU stimmt diesem Antrag nicht zu. Wir lehnen ihn ab. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Jostmeier. – Für die grüne Fraktion spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Schmalenbach, Sie haben jetzt natürlich ein bisschen das „#gutachtengate“ schon abgeräumt für die folgenden Redebeiträge.

Was mir aber an Ihrem Beitrag tatsächlich sehr gut gefallen hat, war, dass Sie gesagt haben, Sie hätten erlebt, wie auch aus parlamentarischer Praxis heraus gewisse Vorbehalte, die Sie gegenüber dem politischen Betrieb hier im Haus hatten, abgebaut wurden. Ich würde mir manchmal wünschen, dass Sie das auch stärker nach außen tragen und nicht mindestens in jeder zweiten Pressemitteilung fehlende Transparenz bei irgendwem oder irgendetwas bemängeln, sondern auch sagen: Wir haben an einigen Stellen Verbesserungen in dem Bereich erreicht. – Konstruktiv und in der Sache mitzuarbeiten ist weitaus wichtiger als Ressentiments gegen den politischen Betrieb zu schüren.

(Beifall von den GRÜNEN)

In der Sache, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen – das wissen Sie –, sind wir gar nicht weit auseinander. Auch wir als Koalition haben uns in unserem Koalitionsvertrag auf das Ziel festgelegt, mehr Transparenz in der Landespolitik zu schaffen.

Wir wollen aber für diese Herausforderung – ich habe manchmal den Eindruck, dass nicht so ein richtiges Bewusstsein dafür herrscht, wie groß diese Herausforderung eigentlich ist – ein Gesamtkonzept schaffen und keinen Flickenteppich.

Deshalb gilt an dieser Stelle das, was ich schon an anderer Stelle gesagt habe: Wir machen eine Open-Government-Strategie als ein Gesamtkunstwerk, und wir reißen nicht einzelne Bereiche heraus.

Im Erarbeitungsprozess für diese Strategie wollen wir gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Beschäftigten aus der Verwaltung vorgehen. Zunächst wollen wir die großen Fragen klären: Was heißt eigentlich für uns hier in Nordrhein-Westfalen Open Government? Was heißt Transparenz? Welche Informationen sollten unter welchen Bedingungen bereitgestellt werden? Da kann man dann auch über solche Fragen wie die Bereitstellung von Gutachten diskutieren. Sie haben eben gesagt, es habe noch niemand danach gefragt. Dann kann man auch einmal die Frage diskutieren, warum niemand nachgefragt hat. Ich glaube, das wird ein ganz interessanter und erkenntnisreicher Prozess.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)

Ich habe zu diesen Fragen, die ich gerade skizziert habe, durchaus eine Meinung und weiß aus Diskussionen mit Ihnen gerade auch über unseren Antrag „Modernes Regieren im digitalen Zeitalter“, dass auch Sie eine Meinung dazu haben. Aber was mich und uns als rot-grüne Koalition interessiert, ist die Meinung der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen, finde ich, ist der Zeitpunkt der Einbringung Ihres Antrags durchaus schlecht gewählt. Landtag und Landesregierung führen in gut drei Wochen hier im Haus ein Zukunftsforum „Digitale Bürgerbeteiligung“ durch, weil wir glauben, dass wir es nicht besser wissen als die Bürgerinnen und Bürger, was sie interessiert, und weil wir gespannt darauf sind, mit welchen Impulsen sich die Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess einbringen.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

In diesem ganzen Prozess, der vor uns liegt, und in diesem Zusammenhang wird sicherlich auch das im Koalitionsvertrag vereinbarte Transparenzgesetz, das Sie an anderen Stellen bereits angemahnt haben, von Bedeutung sein. Nordrhein-Westfalen – darauf ist Kollege Jostmeier eben eingegangen – hat seit gut zehn Jahren ein Informationsfreiheitsgesetz. Es bietet durchaus schon heute vielfältige Möglichkeiten, an Informationen heranzukommen. Der LDI-Bericht aus dem Jahr 2011 hat einige Punkte aufgezeigt, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Ich glaube, dass es insgesamt notwendig sein wird, die Chancen der Digitalisierung in dem Bereich Informationszugang und Informationsbereitstellung stärker zu nutzen.

Es gibt weitere Initiativen. Im vergangenen Jahr gab es in Hamburg – das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Piratenfraktion – ein breites Bündnis für ein Transparenzgesetz, das so ein Gesetz vorangebracht hat. Und auch hier in Nordrhein-Westfalen gibt es seit Mitte April ein Bündnis mit dem Titel „NRW blickt durch“ und eine ähnliche Initiative. Ich freue mich über diesen Rückenwind für die Arbeit der Koalition und die daraus resultierenden Impulse.

Meine Damen und Herren, Transparenz heißt, die Hohlschuld der Bürgerinnen und Bürger in eine Bringschuld von Verwaltung und Politik zu verwandeln. So haben wir als Koalition im Koalitionsvertrag unser Ziel definiert. Das bedeutet auch, mehr Informationen und mehr Daten zugänglich zu machen. Das werden wir tun. Das ist unser Ziel. Aber vor diesem Ziel liegt ein Weg. Diesen Weg werden wir gemeinsam mit der Bevölkerung gehen – für mehr Transparenz, für mehr Beteiligung und für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten. – Ich danke Ihnen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Wedel das Wort.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich ist es Zufall, dass die Beratung des vorliegenden Antrags mit der Initiative „NRW blickt durch“ für ein neues Transparenzgesetz zusammenfällt. Erst vor Kurzem haben wir über die Notwendigkeit der Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes beraten. Es ist bedauerlich, Herr Kollege Bolte, dass sich CDU, SPD und Grüne dafür entschieden haben, auf ein Transparenzgesetz nach hamburgischem Vorbild, an dem sich auch der Entwurf der Initiative orientiert, für unser Land zu verzichten.

In diesem Zusammenhang möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten aus einem Entschließungsantrag zur Großen Anfrage 29 der 14. Wahlperiode zitieren:

„Echte Transparenz darf aber nicht nur die Reaktion der Landesregierung sein, sondern setzt eine aktive Informationspolitik voraus.“

Antragstellerin war übrigens die SPD-Landtagsfraktion.

Die Forderung nach Transparenz gilt wohl nur im Hinblick auf die anderen und erschöpft sich für Rot-Grün in der Ankündigung einer Open-Government-Strategie.

Ein entlarvendes Beispiel für den Umgang der Landesregierung mit dem Thema „Transparenz“ ist das Effizienzteam. Dessen Zuschnitt, namentlich die Mitgliedschaft der Fraktionsvorsitzenden und der haushaltpolitischen Sprecher von SPD und Grünen, verfestigt den Eindruck, dass Politik hier von einigen wenigen im Hinterzimmer gemacht werden soll.

Meine Damen und Herren, eine Veröffentlichung von Gutachten der Landesregierung sollte die Regel sein und nicht die Ausnahme und nicht von politischen Opportunitäten abhängen. Im Hamburger Transparenzgesetz ist ausdrücklich geregelt, dass Gutachten nicht der unmittelbaren Entscheidungsfindung dienen und daher von der Informationspflicht grundsätzlich nicht ausgenommen sind. Dahin müssen wir kommen.

Die im Antrag in Punkt 4 aufgestellte Forderung an die Landesregierung, bereits bei Ausschreibungen und Vergaben für Gutachten an externe Dienstleister darauf zu achten, dass einer weiteren Veröffentlichung nichts entgegensteht, ist daher richtig und wichtig.

In anderen Punkten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten, ist Ihr Antrag hingegen zu plakativ und undifferenziert, weshalb wir uns in der Gesamtschau enthalten werden.

Dass der Landtag das Vertrauen der Bürger wieder herstellen muss, setzt voraus, dass die Menschen in unserem Land dieses Vertrauen verloren hätten. Das erkenne ich nicht. Wie aus dem auf Ihrer Homepage veröffentlichten Protokoll über Ihre Fraktionssitzung ersichtlich, haben Sie selbst festgestellt, dass sich die in Ihrem Antrag aufgeworfenen Fragen nicht in erster Linie an den Landtag richten, sodass der erste Punkt des Beschlussvorschlags einfach so im Raum steht und richtige Ansätze vernebelt.

Auch dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es gibt Gutachten, die beispielsweise Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten und deren Gegenstände auch in den Ausschüssen des Landtags mindestens vertraulich behandelt werden.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

In diesen Fällen bedarf es einer Abwägung, ob das Informationsinteresse oder das Geheimhaltungsgebot überwiegt. Punkt 2 des Antrages schießt daher über das Ziel hinaus.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, es gibt Wünsche, Ihnen eine Frage stellen zu dürfen, nämlich von Herrn Sommer und von Herrn Schmalenbach von der Piratenfraktion. Möchten Sie die zulassen?

Dirk Wedel (FDP): Ja.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann fangen wir jetzt mit Herrn Kollegen Sommer an. Bitte schön.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. Sie haben gerade aus dem Protokoll der Fraktionssitzung der Piraten zitiert. Haben Sie dazu auch etwas in den Protokollen der Fraktionssitzungen von FDP, CDU, Grüne und SPD gefunden?

(Beifall von den PIRATEN)

Dirk Wedel (FDP): Lieber Herr Kollege Sommer, ich denke, es dürfte für Sie nicht nur von Vorteil sein, dass Sie all diese Informationen ins Netz stellen. Das wird dadurch aufgezeigt, dass Sie an der Stelle überhaupt diese Anfrage stellen. Insofern spricht schon einiges dafür, solche Dinge etwas besser abzuwägen.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank.

(Zuruf)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie ziehen zurück? – Okay, alles klar. Dann hat sich das erledigt. Vielen Dank. – Fahren Sie bitte fort, Herr Kollege.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Landesdatenschutzbeauftragte NRW in der Antwort auf die von Ihnen zitierte Kleine Anfrage sehr klar ausgeführt hat, dass der Begriff der personenbezogenen Daten sehr weit zu fassen ist. Das Hamburger Transparenzgesetz, das Ihnen noch vor kurzem als Blaupause für NRW geeignet schien, enthält Regelungen zu diesen Punkten, weil sich der Gesetzgeber der entsprechenden verfassungsrechtlichen Problematiken bewusst war.

Auch der Entwurf der Initiative „NRW blickt durch“ beinhaltet entsprechende Vorschläge. Johannes Caspar, der Datenschutzbeauftragte Hamburgs, bringt es – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – in einem Interview im „Behörden Spiegel“ auf den Punkt:

„Hier treffen sich die Belange einer optimierten Teilhabe an demokratischen Prozessen mit dem Schutzanspruch individueller Grundrechtsgarantien.“

Auf dieser Grundlage spricht sich die FDP auch weiterhin dafür aus, den Paradigmenwechsel zu vollziehen und mittels eines Transparenzgesetzes nach Hamburger Vorbild aus einer Holschuld der Bürger eine Bringschuld der öffentlichen Verwaltung zu machen. Die automatische Veröffentlichung von Gutachten der Landesregierung in den genannten Grenzen könnte dazu ein Anfang sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Diskussion gab es schon – insbesondere von Herrn van den Berg – wichtige Impulse. Er hat, wie ich finde, das Thema sehr gut beschrieben. Zusammenfassend kann man sagen: Wer Transparenz fordert, hat noch lange keinen Durchblick. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Piratenfraktion, Sie ziehen aus dieser Debatte um „Open Government“ die falschen Schlüsse.

Richtig ist: Wir als Landesregierung wollen die Hürden zwischen Staat und Bürgerinnen bzw. Bürgern abbauen. Wir wollen einfach das Aufeinanderzugehen besser organisieren. Zu genau diesem Zwecke erarbeiten wir eine Open-Government-Strategie. Dabei wollen wir – wie Herr van den Berg schon ausgeführt hat – eben nicht nur einfach von mehr Transparenz sprechen. Vor allem wollen wir auch mehr Teilhabe für die Bürgerinnen und Bürger organisieren und andere Formen der Zusammenarbeit erreichen, um politische und staatliche Entscheidungsprozesse letztendlich verstehbarer zu machen. Weiter wollen wir die Möglichkeit geben, dass Bürgerinnen und Bürger daran auch aktiv teilhaben dürfen.

Richtig ist auch, dass die Projektgruppe dazu Eckpunkte veröffentlicht hat. Diese Eckpunkte sind aber nun einmal nicht in Stein gemeißelt, sondern sie sollen Anstoß zu dieser Diskussion geben. Wir wollen zum Auftakt – hier im Hause am 17. Mai – in Ruhe diese Eckpunkte diskutieren. Sie sind als Piratenfraktion herzlich eingeladen, an dem Zukunftsforum „Digitale Bürgerbeteiligung“ teilzunehmen und Impulse für diese Diskussion zu geben.

Ergebnis soll sein, die Frage zu beantworten: Wie können wir den Dialog mit der Öffentlichkeit besser organisieren? Wir haben den richtigen Schluss gezogen. Meine Damen und Herren von der Fraktion der Piraten, es ist falsch zu glauben, dass dieses Eckpunktepapier die Grundlage für die Veröffentlichung darstellt. Ich habe deutlich gemacht, dass wir uns in einem Prozess befinden und einen Startschuss für eine Diskussion geben. Es bleibt dabei, dass wir uns im Rahmen der Open-Government-Strategie viel vorgenommen haben. Mein Vorschlag ist, dass auch Sie das Tempo, das wir dabei vorgelegt haben, halten sollten. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es gab einen späten Wunsch nach einer Zwischenfrage; aber das funktioniert jetzt natürlich nicht mehr. Ich bitte den entsprechenden Kollegen, beim nächsten Mal etwas fixer zu drücken. Wir sind damit am Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunktes.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/2629. Wer dem vorliegenden Antrag zustimmen möchte, den darf ich um sein Handzeichen bitten. – Das ist die Piratenfraktion. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.

(Zurufe)

– Entschuldigung! Ich korrigiere mich ausdrücklich: Die FDP-Fraktion stimmt nicht gegen diesen Antrag, sondern sie enthält sich geschlossen. Damit ist der zur Abstimmung stehende Antrag gleichwohl mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

15       Nordrhein-Westfalen lehnt die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit durch ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage entschieden ab!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2627

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Schwerd das Wort.

(Große Unruhe – Daniel Schwerd [PIRATEN] wendet sich dem Vizepräsidenten zu und schaut ihn fragend an.)

– Herr Kollege Schwerd weist zu Recht auf die leider große Unruhe im Plenum hin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf herzlich bitten, die zahlreichen Gespräche, die zum Teil hier auch noch stehend geführt werden, nach draußen zu verlagern. Ich glaube, dass wir die Aufmerksamkeit, die jedem Redner gebührt, sicherstellen sollten. Vielen Dank. – Bitte schön, Herr Kollege.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident, vielen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Leistungsschützer und Leistungsbeschützte! CDU und FDP haben am 1. März 2013 mit ihrer Mehrheit im Bundestag ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage eingeführt. Dieses Leistungsschutzrecht ist handwerklich schlecht gemacht und schädlich für die Meinungsfreiheit.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir Piraten haben daher schon vor Wochen einen Antrag eingebracht, in dem wir die Landesregierung auffordern, das Gesetz im Bundesrat zu stoppen. Sie, Frau Dr. Schwall-Düren, sagten in unserer Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien am 14. März wörtlich – ich zitiere –:

„Die Landesregierung lehnt das Leistungsschutzrecht so, wie es der Bundestag am 1. März beschlossen hat, ab. Mit dieser Ablehnung stehen wir an der Seite der uns tragenden Koalitionsfraktionen, aber auch an der Seite der Piraten.“

Und weiter:

„Das Gesetz, wie es im Bundesrat vorliegt, ist handwerklich mangelhaft. Es vernachlässigt die legitimen Interessen zu vieler Beteiligter und leistet keinen erkennbaren Beitrag zur publizistischen Vielfalt im Netz.“

Und dann sagten Sie noch:

„Die Landesregierung wird im Bundesrat mit den anderen Ländern alle Möglichkeiten ausloten, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.“

Ich glaube, Piraten, die Fraktion der SPD, die Fraktion der Grünen und die Landesregierung sind sich im Ausschuss für Kultur und Medien selten so einig gewesen wie bei der Diskussion um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage.

(Beifall von den PIRATEN)

Sowohl der Kollege Alexander Vogt von der SPD als auch der Kollege Matthi Bolte von den Grünen werden sich erinnern, wie froh wir alle über die Haltung der Landesregierung waren. Herr Vogt begrüßte die eindeutige Positionierung der Landesregierung. Auch Herr Bolte war dankbar dafür, dass sich die Landesregierung im Bundesrat gegen dieses Gesetz stellen wollte. Hören Sie sich noch einmal den Audiomitschnitt der Ausschusssitzung an!

Wir Piraten haben offenbar einen Fehler gemacht. Wir glaubten, dass bei der Regierungspolitik hier im Land Sachorientierung und Vernunft Vorrang hätten. Doch offensichtlich gibt es hier im Landtag stattdessen nur eine Prämisse, die lautet: Wahlkampftaktik!

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn die Landesregierung ankündigt, alle Möglichkeiten zu ergreifen, das sinnlose Leistungsschutzrecht zu stoppen, dann erwarten wir, dass die Landesregierung tatsächlich alle Möglichkeiten ergreift, dieses sinnlose Leistungsschutzrecht zu stoppen.

(Beifall von den PIRATEN)

Nur aus diesem Grund waren wir damit einverstanden, vor der entscheidenden Bundesratssitzung auf ein Votum zu verzichten und stattdessen einer Sachverständigenanhörung zuzustimmen. Entsprechend perplex waren wir, als wir kurz vor der entscheidenden Bundesratssitzung die ersten Berichte hörten, dass die Landesregierung im Bundesrat nun doch nicht für die Einberufung eines Vermittlungsausschusses stimmt. Genau diese Einberufung wäre aber das Mittel der Wahl gewesen, um tatsächlich alle Möglichkeiten für ein besseres Ergebnis im Bundesrat auszuloten.

(Beifall von den PIRATEN)

Stattdessen hat der Bundesrat, in dem Rot-Grün die Mehrheit hat, eine windelweiche Entschließung gefasst, in der die neue Bundesregierung dazu aufgefordert wird, ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu erarbeiten. Da kann ich mir nur an den Kopf fassen: Welche neue Bundesregierung denn?

Frau Dr. Schwall-Düren, glauben Sie etwa, ein schlechtes Gesetz ist besser als gar kein Gesetz? Oder haben Sie kurzfristig von Ihrem Kanzlerkandidaten, dem Herrn Steinbrück, eine neue Marschrichtung vorgegeben bekommen? Könnte es sein, dass Sie sich gerade hier in NRW so kurz vor der Bundestagswahl nicht mit den großen Presseverlagen anlegen wollten?

Frau Ministerin, ich muss feststellen: Sie haben uns veräppelt! Sie haben den Ausschuss und uns Parlamentarier auf eine falsche Fährte geführt. Aber zu welchem Preis? – Sie haben im Bundesrat ein handwerklich mangelhaftes und schädliches Gesetz abgenickt, obwohl Sie wenige Tage vorher signalisierten, das Leistungsschutzrecht aufhalten zu wollen. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir in Deutschland ein schlechtes und ungerechtes Gesetz mehr haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich fasse zusammen: Wir Piraten kritisieren das Verhalten der nordrhein-westfälischen Landesregierung in der 908. Sitzung des Bundesrates scharf. Sie haben mit Ihrem Verhalten die Position dieses Parlamentes geschwächt und unser aller politische Glaubwürdigkeit beschädigt.

Nordrhein-Westfalen lehnt das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ab. Nur sind Sie als Landesregierung offenbar zu ängstlich, auch im Bundesrat so zu handeln. Sie sind politisch unglaubwürdig.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie sollten sich überlegen, wieso draußen auf der Straße niemand mehr Politikern traut. Wegen solcher politischer Winkelspielchen, weil Sie heute A sagen und morgen B tun! Jedenfalls kann ich dieser Landesregierung nicht mehr glauben. – Vielen Dank!

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die SPD-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist nun der zweite Antrag der Piraten zum Thema „Leistungsschutzrecht für Presseverlage“. Schon im letzten Plenum wurde Ihre Ablehnung des Gesetzes dokumentiert.

Herr Schwerd, führe ich mir Ihre gerade gehaltene Rede vor Augen, habe ich den Eindruck: Manchmal haben Sie den Kompass verloren! – Wenn Sie die Landesregierung angehen, sollten Sie sich die Frage stellen, wo denn diejenigen sitzen, die das neue Gesetz ausgearbeitet haben. Ihre Kritik muss auf die Bundesregierung sowie die Bundestagsfraktionen von CDU und FDP zielen. Die haben das Gesetz am 1. März dieses Jahres beschlossen.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns das Gesetz ansehen, teilen wir inhaltlich durchaus die Kritik an diesem Gesetz. Das Gesetz ist nicht gut gemacht. Es enthält unter anderem unbestimmte Rechtsbegriffe: Was sind zum Beispiel kleine Textteile, die erlaubt werden? Auch positive Effekte für Journalistinnen und Journalisten sind kaum zu erwarten.

Wir müssen uns natürlich überlegen, wie journalistische Leistungen besser geschützt werden. Im Bundesrat gab es aber keine einheitliche Meinung der Bundesländer, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Auch Verbesserungen des Gesetzes durch eine Verhandlung mit der Bundesregierung waren nicht zu erwarten.

Dennoch wurde eine Entschließung verabschiedet. In dieser Entschließung wird der Bundestag aufgefordert, alle betroffenen Akteure einzubeziehen. Neben den Interessen der Verleger sollen auch die Interessen der Urheber berücksichtigt werden. Unser Ziel ist es, an diesem Thema weiterzuarbeiten. Die SPD hat ihre Kritik klar zum Ausdruck gebracht.

Wenn Sie in unser Bundestagswahlprogramm blicken, das wir vor knapp zehn Tagen beschlossen haben, dann finden Sie, ich erlaube mir zu zitieren:

„Das von Schwarz-Gelb beschlossene Leistungsschutzrecht lehnen wir ab. Wir werden nach der Regierungsübernahme ein neues Gesetz auf den Weg bringen. Wir wollen unter Einbeziehung aller Akteure einen Vorschlag entwickeln, der die Möglichkeiten der Presseverleger zur Rechtsdurchsetzung im Hinblick auf ihre bereits bestehenden Urheberrechte stärkt, dabei die Interessen der Urheber (hier insbesondere Journalistinnen und Journalisten) vollständig wahrt, den Grundsatz der Informationsfreiheit und die Auffindbarkeit von Informationen gewährleistet.“

Meine Damen und Herren, Sie sehen, die SPD will an diesem Thema weiter arbeiten. Darum haben wir eine getrennte Abstimmung Ihrer Punkte beantragt. Wir werden dem ersten Punkt zustimmen. Die beiden weiteren Punkte lehnen wir ab. Ich empfehle Ihnen, die Forderungen, die Sie in den beiden weiteren Punkten aufstellen, einmal auf sich selbst anzuwenden. Ich denke da beispielsweise an das Gutachten, das Ihnen ein katastrophales Aufstellungsverhalten Ihrer Bundestagsliste bescheinigt. Dieses wurde über Wochen von Ihrem Landesvorstand unter Verschluss gehalten. Gerade Sie von den Piraten sollten sich mit Anspruch und Handeln nicht an anderen Parteien abarbeiten. Machen Sie Ihre Hausaufgaben, was Forderungen nach Transparenz angeht, und handeln Sie danach.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das haben wir bereits aufgearbeitet!)

Meine Damen und Herren, wie schon angesprochen, das Leistungsschutzrecht wird derzeit auch im Kultur- und Medienausschuss bearbeitet. Lassen Sie uns eine zukunftsgerichtete Diskussion führen, bei der die Interessen von Verlegern, Urhebern und Plattformbetreibern mit einbezogen werden. Wir wollen bessere Rahmenbedingungen schaffen. Dafür werben wir. Das wollen wir mit einer neuen Mehrheit im Bundestag umsetzen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und von Matthi Bolte [GRÜNE])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schick das Wort.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der Debatte um das Leistungsschutzrecht kann man eines über diese Landesregierung mit Fug und Recht behaupten: Sie besitzt eine unerwartete Wendefähigkeit, wenn man es sehr, sehr positiv ausdrücken will.

(Beifall von Oliver Bayer [PIRATEN])

Am 14. März hatte Frau Ministerin Schwall-Düren im Ausschuss für Kultur und Medien des Landtags noch erbitterten Widerstand gegen dieses Gesetz angekündigt. Ich zitiere Sie wörtlich, Frau Ministerin, wir haben es gerade schon einmal gehört, aber ich denke, es lohnt sich, dieses Zitat hier noch einmal zu bringen: Die Landesregierung lehnt das Leistungsschutzrecht, wie es der Bundestag am 1. März beschlossen hat, ab.

In der weiteren Begründung äußerten Sie dann Ihre Einschätzung, dass das Gesetz mangelhaft sei. Deshalb müsse die Landesregierung im Bundesrat alle Möglichkeiten ausloten, um für ein besseres Gesetz zu kämpfen. Beifall gab es dafür von den Koalitionsfraktionen, die frohlockten, dass die Landesregierung alle Register ziehen werde, um es abzuwenden.

Allerdings: Aufsteigenden Pulverdampf hat es anschließend im Bundesrat nicht gegeben. Statt dort die Segel auf Konfrontationskurs zu setzen, so wie es die Piraten mit Recht nach der Ausschusssitzung vermutet hatten, lag das Schiff der Landesregierung ganz ruhig im Hafen vor Anker. Von Streitlust keine Spur. Im Gegenteil, der Antrag von Schleswig-Holstein auf Anrufung eines Vermittlungsverfahrens wurde billigend durch die NRW-Landesregierung versenkt.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Dass man in der Politik argumentativ auch mal einen größeren Schritt machen muss, darüber brauchen wir meines Erachtens nicht zu streiten. Aber dieser Spagat – da haben die Piraten vollkommen recht – zerreißt die Glaubwürdigkeit dieser Landesregierung.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

– Herr Bolte, ich gehe davon aus, dass Sie deswegen gerade so laut hineingerufen haben – es war hier leider nicht zu verstehen –, weil die Grünen so ganz und gar nicht mit dem Vorgehen dieser Landesregierung einverstanden waren. So zumindest, wenn ich einer WDR-Internetmeldung vom 21. März Glauben schenken darf. Während die Grünen nämlich im Vermittlungsausschuss streiten wollten, war es der SPD nur recht, dieses Gesetz durchzuwinken.

Für den inhaltlichen Wechsel, Frau Ministerin, habe ich Verständnis, denn es gibt gute Gründe hinter diesem Gesetz zu stehen. Es ist kein mangelhaftes, sondern ein notwendiges Gesetz. Denn wenn das Gesetz wirklich mangelhaft gewesen wäre – da bediene ich mich mal der Schulnoten –, hätte man es im Bundesrat sitzenbleiben lassen müssen und hätte es nicht durchwinken dürfen.

Die Begründung liegt auf der Hand. Suchmaschinen erzielen beträchtliche Werbeeinnahmen, indem sie Arbeitsergebnisse von Journalisten nutzen, die wiederum von Verlagen bezahlt werden. Presseverlage haben bislang kein eigenes Recht eingeräumt bekommen. Sie sind deswegen gezwungen, aus abgetretenen Rechten der Urheber vorzugehen, um ihre Leistungen zu schützen. Da Verlage mit vielen Journalisten, mit Fotografen und Graphikern arbeiten, ist eine Rechtsverfolgung quasi unrealisierbar. Einfacher Rechtsschutz sieht deswegen anders aus.

In fast allen Medienbranchen gibt es ein eigenständiges Leistungsschutzrecht. Es gibt also tatsächlich eine Schutzlücke, die nun beseitigt wird. Ausgenommen von der neuen Regelung sind einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte, ein Zusatz, der aus meiner Sicht Sinn macht, da er für einen Interessensausgleich sorgt. Es soll gewährleistet werden, dass Texte im Internet kurz beschrieben und gefunden werden können. Dafür können vier Worte reichen, bei sehr komplexen Suchen können es aber auch einmal mehr werden. Eine exakte Festlegung auf eine bestimmte Anzahl von Worten wäre aus meiner Sicht falsch.

Wir werden Teile des Antrags der Piratenfraktion – es ist ja eine Einzelabstimmung verlangt worden – ablehnen. Aber, verehrte Piraten, wir verstehen natürlich Ihre Verärgerung, da Sie aufgrund der vorherigen Ankündigung der Landesregierung getäuscht worden sind – so würde ich es ausdrücken. Sie sagten gerade, Sie seien veräppelt worden.

In Ihrem Antrag fordern Sie, dass die Landesregierung in Zukunft Absichtserklärungen und tatsächliches Handeln in Einklang bringen soll. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen da nur wenig Hoffnung machen. Dass bei dieser Landesregierung weiter Worte und Taten auseinanderfallen, ist noch wahrscheinlicher als ein rein deutsches Champions-League-Endspiel.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Bolte das Wort.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, das war jetzt wirklich billig. Sie stellen sich hierhin und fragen: Warum hat die Landesregierung dieses Gesetz nicht aufgehalten? Warum ist dieses Gesetz zustande gekommen? Das ist doch die Frage, die Sie beantworten müssten. Dieses Gesetz ist zustande gekommen, weil es ein Werk der schwarz-gelben Merkel-Koalition ist. Das ist doch der Punkt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Leistungsschutzrecht reiht sich 1:1 in eine bald vierjährige Periode ein, in der Schwarz-Gelb den digitalen Wandel von vorne bis hinten verschlafen hat. Die Merkel-Koalition versagt beim Breitband. Sie hat – das zeigt sich doch ganz aktuell, Stichwort Telekom – die Sicherung der Netzneutralität vergeigt. Einige Koalitionäre – ich finde, das ist fast das Schlimmste – haben Erika Steinbach zum Twittern gebracht. Jetzt kommt das Leistungsschutzrecht, mit dem die Merkel-Koalition gezeigt hat, dass sie auch netzpolitisch die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Das sagen die Befürworter des Jugendmedienstaatsvertrags, die wir dabei stoppen mussten!)

Wir haben immer angezweifelt, ob ein Leistungsschutzrecht das geeignete Rechtsinstrument ist, um das allseits gewünschte Ziel eines fairen Interessenausgleichs zwischen allen Beteiligten zu erreichen. Ein Leistungsschutzrecht schützt nach seiner bisherigen Verwendung eine eigenständige schöpferische Leistung, die nicht durch das Urheberrecht abgedeckt ist. Und dieses Institut soll nun sachfremd nach dem Willen der Bundesregierung auf verlegerische Leistungen ausgedehnt werden.

Das Leistungsschutzrecht dient auch nicht denen, denen es dienen soll. Nicht umsonst gab es die Kritik von den Journalistinnen und Journalisten, die Sie, Schwarz-Gelb, in Berlin von vorne bis hinten durch das ganze Verfahren ignoriert haben. Es hilft nicht den Journalistinnen und Journalisten. Es hilft nicht den kleinen Verlagshäusern, sondern es wird die Marktmacht der großen Häuser gestärkt und der Konzentrationsprozess beschleunigt.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Schließlich ist auch das Leistungsschutzrecht nicht im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer. Das Leistungsschutzrecht wird zu massiver Rechtsunsicherheit führen. Es wird das Problem der Massenabmahnungen verschärfen,

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

gegen das Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative aus guten Gründen gestartet hat.

Dass von der schwarz-gelben Koalition kurz vor Toresschluss noch ein paar Änderungen reinkamen, Herr Schick – auch das haben Sie angesprochen –, hat an diesem Gesetz nichts mehr verbessert. Im Gegenteil, es hat alle Probleme noch einmal deutlich verschärft.

Meine Damen und Herren, wenn ich sage, das Leistungsschutzrecht ist ein Werk der schwarz-gelben Koalition von Frau Merkel, dann heißt das auch: Nach dem 22. September und mit einer neuen Mehrheit im Deutschen Bundestag werden die Karten neu gemischt. Es gilt dort, den Diskurs sachlich fortzusetzen.

Wir haben in der Vergangenheit – auch im Ausschuss für Kultur und Medien, Herr Schwerd; Sie waren doch an einigen Diskussionen schon beteiligt – in den Gremien Diskussionen darüber geführt, wie wir es schaffen, dieses Ziel, das alle im Munde führen, „fairer Interessensausgleich für alle“, auch Realität werden zu lassen. Darüber haben wir doch diskutiert. Wir müssen nach vorne darüber diskutieren. Ich hoffe, dass sich viele daran auch beteiligen.

Wir wissen, dass es eine lebensnotwendige Funktion von Medien und Meinungsvielfalt in unserer Demokratie gibt. Da reden wir nicht mehr nur über das Urheberrecht, sondern da reden wir über das große Ganze. Da reden wir über alle Arbeitsbedingungen, die für journalistische Arbeit im digitalen Zeitalter einschlägig sind, und auch über alle Herausforderungen, die im digitalen Zeitalter einschlägig sind.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Düngel zulassen?

Matthi Bolte (GRÜNE): Gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann los!

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Matthi Bolte. Wir haben gerade gehört, dass schon einiges zu dieser Thematik im Ausschuss besprochen wurde. Ich möchte konkret nachfragen, da ich diesem Ausschuss nicht angehöre: Ist da auch über die Option gesprochen worden, dass das rot-grün geführte Nordrhein-Westfalen im Bundesrat dem Leistungsschutzrecht zustimmt?

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Kollege, ich habe gerade skizziert, dass es in der Debatte nicht alleine um Verfahrensfragen ging, sondern dass es insbesondere – das fand ich auch in Ordnung, dass die Diskussion in der Sitzung im März in dieser Richtung geführt wurde – um das breite Feld ging: Wir stellen wir Randbedingungen für journalistische Werke im digitalen Zeitalter auf, damit es einen fairen Interessensausgleich gibt?

Sie können sich mit den Kollegen Schwerd und Lamla darüber unterhalten, die in der Sitzung anwesend waren. Wir haben, bevor wir in die Befassung Ihres Antrags im Ausschuss eingestiegen waren, über eine sehr umfangreiche Studie über die Zukunft und den gegenwärtigen Stand des Lokaljournalismus in Nordrhein-Westfalen diskutiert. Wir wissen, ich habe es eben skizziert: Demokratie braucht Medien- und Meinungsvielfalt. Wir sehen, gerade auf der lokalen Ebene gibt es nun einmal Handlungsbedarf. Da gibt es Probleme.

Wenn man diese Diskussion konstruktiv führt, dann zeichnen sich einzelne Baustellen ab, auf die es Antworten zu finden gilt. Es wird beispielsweise auch im Landesmediengesetz einige Punkte geben, die sich damit befassen, wie wir Rahmenbedingungen für journalistische Arbeit im digitalen Zeitalter schaffen, wie wir insbesondere den Journalismus vor Ort stärken können. Ich glaube, das ist eher die Frage, über die wir diskutieren müssen. Insgesamt ist zu dieser Verfahrensdebatte ja auch schon sehr viel gesagt worden.

Meine Damen und Herren, ich habe eben den Arbeitsprozess auf die Zwischenfrage des Kollegen Düngel hin schon skizziert. Ich habe skizziert, welche Herausforderungen es gibt, wie groß die Herausforderungen sind. Und ich habe gesagt, dass wir daran arbeiten werden.

Wir schließen uns gerne – das hat Herr Vogt auch schon ausgeführt – Ihren Argumenten gegen das Leistungsschutzrecht an und werden entsprechend dem ersten Punkt Ihres Antrags zustimmen. Bei dem anderen tun Sie aus meiner Sicht Ihre pflichtschuldige Arbeit als Oppositionsfraktion. Ich hoffe, dass Sie darüber hinaus bereit sind, sich in die Diskussion wieder sachlich und mit Sachverstand einzubringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Kollegen Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben hier gerade eine Antwort auf die Frage bekommen, ob nun der vorliegende Piraten-Antrag oder die taktischen Winkelzüge von SPD und Grünen eine Show-Veranstaltung waren. Zumindest war es bemerkenswert, als beim ersten Aufschlag die Ministerin im zuständigen Ausschuss vollmundig ihren Widerstand im Bundesrat ankündigte, gleichzeitig aber Rot-Grün einen Antrag auf eine Anhörung stellte, um erst einmal Tempo aus den Beratungen zu nehmen. Der ursprüngliche Piraten-Antrag steckte also schon in der Sackgasse, und Rot-Grün hat dann noch geholfen, die Sackgasse zur Einbahnstraße zu erklären.

Auf Ihre Frage, ob Sie veräppelt worden sind: Ja klar, Sie sind veräppelt worden. Aber das ist wie im Paradies: Wenn jemand da ist, der den Apfel entgegennimmt, dann trägt derjenige dafür auch ein Stück Verantwortung – obwohl Äpfel eine nahrhafte Frucht sind, wie ich finde.

Das Ausbremsmanöver führt dazu, dass der Antrag jetzt eigentlich keinen Sinn mehr macht; denn in Berlin war man schneller. Der heutige Antrag, die Landesregierung für ihr Verhalten im Bundesrat zu maßregeln, wirkt da eher wie ein sinnentleertes Nachtreten. Sie kritisieren damit das Verhalten der Landesregierung im Bundesrat, verbunden mit der Aufforderung – ich zitiere –, „Absichtserklärungen und tatsächliches Handeln miteinander in Einklang zu bringen“.

Dieser Aufforderung möchten wir im Grundsatz gar nicht widersprechen. Wie sagte schon die Ministerpräsidentin bei ihrer Regierungserklärung 2010, als sie Johannes Rau zitierte? „Sagen, was man tut, und tun, was man sagt.“ – Dies umzusetzen – das wissen wir –, gelingt der Landesregierung auch in vielen anderen Bereichen nicht sonderlich überzeugend.

Ich möchte mich aber dennoch bei der Landesregierung bedanken. Frau Ministerin, aber auch liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, vielen Dank dafür, dass Sie das Leistungsschutzgesetz der Bundesregierung im Bundesrat nicht blockiert haben. Es scheint so, als wolle sich die SPD alle Türen offenhalten. Die Mehrheit will es sich so kurz vor der Bundestagwahl natürlich nicht mit den Medien und den Redaktionen verscherzen; denn diese sind schon für das Leistungsschutzrecht.

Herr Steinbrück steht mit seiner Rhetorik alleine da, Herr Steinmeier war schon immer für das Leistungsschutzrecht. Die SPD hatte die Möglichkeit, einen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu unterstützen. Das hat sie aber nicht getan. Als dann über das Gesetz im Plenum des Bundestages abgestimmt wurde, machten sich die Kollegen der SPD rar.

Dass die rot-grüne Blockade nicht kam, liegt vielleicht auch daran – und das sehe ich jetzt einmal positiv, Frau Ministerin –, dass Sie sich Sachargumenten aufgeschlossen gezeigt haben;

(Lachen von der SPD)

dafür gibt es ebenso gute Gründe wie für das Leistungsschutzrecht. Gut, Sie wollen das Gesetz nach der Bundestagwahl abschießen oder weiterentwickeln. Ich glaube, bei der Entschließung handelt es sich um Worthülsen; das ist geschenkt.

Es geht schließlich um den digitalen Bereich; da müssen die Gesetze immer wieder überprüft werden, weil sich da alles mit rasender Geschwindigkeit entwickelt. Das werden CDU und FDP nach der Bundestagwahl auch tun, wenn erforderlich, und zwar in einer gemeinsamen Regierung in Berlin.

Bei dem Leistungsschutz für Verleger geht es darum, dass Internetsuchmaschinen und automatische Nachrichtensammler, sogenannte News-Aggregatoren, Lizenzgebühren an Verlage zahlen müssen,

(Matthi Bolte [GRÜNE]: Ach, darum?)

wenn sie Teile der Pressetexte verwenden. Es kann nicht sein, dass Google oder andere sich mit fremden Texten schmücken und dabei von der Politik – und von Ihnen, Herr Bolte – noch ein gutes Gewissen zugesprochen bekommen. Wer fremde Inhalte zur eigenen Wertsteigerung nutzen will, darf dies nicht ungefragt tun. Ich glaube, der Nahezu-Monopolist Google gehört nicht unter Artenschutz.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Nückel, darf ich Sie kurz unterbrechen, weil Herr Kollege Sommer Ihnen eine Zwischenfrage stellen möchte?

Thomas Nückel (FDP): Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Lassen Sie die zu?

Thomas Nückel (FDP): Ja, ich lasse sie zu.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Ich hätte gerne von Ihnen gewusst, ob Ihnen der kleine englische Eintrag „robots.txt“ auf einer Webseite etwas sagt. – Danke.

Thomas Nückel (FDP): Na, das hilft uns an dieser Stelle jetzt auch nichts.

(Zuruf von den PIRATEN: Das erklärt einiges!)

– Ach. – Die Frage ist vielmehr, ob und in welcher Form Sie es zulassen wollen, dass die News-Aggregatoren die Stellung als Portal erreichen. Damit kann man das Geld verdienen; und wenn es nach Google geht, sieht kein Verlag, kein Journalist auch nur einen Cent.

Das Gesetz betrifft insbesondere – vielleicht geht das auch ein bisschen auf Ihre Frage ein – News-Aggregatoren und damit verschiedene Smartphone-Apps, die ganze Texte aus Zeitschriften und Zeitungen ohne Zustimmung der Verlage sammeln. Die Frage, wer Portal ist, ist im Augenblick von strategischer Bedeutung, weil mit der Funktion des Portals – also der Funktion als erster Anlaufstelle, wenn man Informationen haben möchte – Geld verdient werden kann.

Es gibt Unternehmen, die einen anderen Weg gehen. Flipboard zum Beispiel – das wird Ihnen sicherlich etwas sagen – beteiligt seine Content-Partner an den Werbeumsätzen. – Wir müssen schauen, wie sich das entwickelt.

Ganz wichtig – das ist ein kleines Gerücht, das immer wieder gerne gestreut wird –: Es wird keine Abmahnwelle geben, weil für Private, Blogger und Vereine beim neuen Leistungsschutzrecht keine Zahlungspflicht besteht.

In diesem Sinne wird mit dem am 1. März 2013 vom Bundestag verabschiedeten Leistungsschutzrecht ein faires Instrument geschaffen. Der Antrag der Piraten ist in vielen Punkten inhaltlich falsch. Die Landtagfraktion der FDP wird ihn deshalb in Gänze ablehnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Dr. Schwall-Düren das Wort.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst einmal: Auch die Landesregierung stimmt dem ersten Beschlussvorschlag der Piraten zu. Es dürfte Sie nach meinen Ausführungen im Ausschuss nicht verwundern, wenn ich Ihnen hier wiederhole, dass wir die derzeitigen gesetzlichen Regelungen zum Leistungsschutzrecht ablehnen, da sie mangelhaft und handwerklich schlecht gemacht sind.

Im Übrigen – auch das dürfte Sie nicht wundern – kann die Landesregierung den Beschlussvorschlägen der Piraten nicht zustimmen. Lassen Sie mich das erläutern. Über den Werdegang des Gesetzes und die wesentlichen Elemente der Auseinandersetzung ist hier schon gesprochen worden. Das muss ich nicht wiederholen. Deshalb will ich Ihnen die Haltung der Landesregierung erklären.

Vorweg: Die Landesregierung hat dem Gesetz nicht zugestimmt. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 2013 beschlossen, keinen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen. Ich freue mich sehr, dass ich hier mehrfach korrekt von Ihnen zitiert worden bin. Im Ausschuss habe ich nämlich gesagt, dass wir alle Möglichkeiten ausloten, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.

In diesem Prozess der Auslotung hat die Mehrheit der Länder die Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht als zielführend angesehen. Denn die von den Piraten geforderte Anrufung hätte dazu geführt, dass aufgrund der zeitlichen Abläufe in der laufenden Legislaturperiode des Bundestages und der dort herrschenden Mehrheitsverhältnisse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt keine andere gesetzliche Regelung zum Leistungsschutzrecht zustande gekommen wäre. Deswegen hat die Landesregierung zusammen mit den anderen Ländern beschlossen, auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu verzichten und ihre Meinung durch eine detaillierte Bundesratsentschließung deutlich zu machen.

Auch wenn das eine Wiederholung ist, möchte ich noch einmal hervorheben, dass nach unserer Meinung Urheber, Verleger und Plattformbetreiber Spielregeln benötigen, die für einen fairen Ausgleich ihrer unterschiedlichen Interessen sorgen und die digitale Freiheit ermöglichen. Die Politik ist in der Pflicht, diese Spielregeln gemeinsam mit den Akteuren zu entwickeln.

Mit seiner Entschließung gibt der Bundesrat der künftigen Bundesregierung Hausaufgaben auf. Die Aufgabe wird sein, unter Einbeziehung aller Akteure einen Vorschlag zu entwickeln, der die Möglichkeiten der Presseverleger zur Rechtsdurchsetzung im Hinblick auf bereits bestehende Urheberrechte stärkt, dabei die Interessen der Urheber, also insbesondere die Rechte der Journalistinnen und Journalisten, vollständig wahrt und den Grundsatz der Informationsfreiheit gewährleistet.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Herr Abgeordneter Schwerd von der Piratenfraktion möchte Ihnen gerne eine Frage stellen.

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Bitte sehr, Herr Schwerd.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Vielen Dank für das Zulassen der Frage. – Sie sagten, man könne jetzt kein besseres Gesetz erzielen. Sind Sie denn der Meinung, das Gesetz, wie es in drei Monaten in Kraft treten wird, ist besser als keines – bezogen auf die Zwischenzeit?

Dr. Angelica Schwall-Düren, Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Wir sind der Meinung, dass dieses Gesetz kein gutes Gesetz ist und dringend verändert werden muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie können sicher sein: Wir werden dafür Sorge tragen, dass sich eine neue Bundesregierung mit unserer Entschließung befassen wird. Meine Damen und Herren, es wird eine neue Gesetzgebungsinitiative zu dem Thema geben. Die Karten werden neu gemischt: bei der Bundestagswahl und beim Leistungsschutzrecht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit sind wir am Schluss der Beratung angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/2627. Die SPD-Fraktion hat zu Teil II des Antrags, dem Beschlussteil, Einzelabstimmung beantragt. Ich darf fragen, ob es Widerspruch gegen die beantragte Einzelabstimmung gibt. – Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren. Wir kommen damit zur Abstimmung über die einzelnen Teile des Abschnitts II, also über die drei Spiegelstriche.

Wir stimmen zunächst über den ersten Spiegelstrich ab. Wer dem ersten Spiegelstrich seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer ist gegen den ersten Spiegelstrich? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der erste Spiegelstrich mit der festgestellten Mehrheit des Landtags angenommen.

Ich lasse über den zweiten Spiegelstrich abstimmen. Wer diesem Teil des Antrags seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das ist die Piratenfraktion. Wer ist dagegen? – Die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Damit ist der zweite Spiegelstrich mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich lasse zudem über den dritten Spiegelstrich abstimmen. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU, FDP und Piraten. Wer ist gegen den dritten Spiegelstrich? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist der dritte Spiegelstrich mit der Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich komme viertens zur Gesamtabstimmung über den Inhalt des so geänderten Antrags Drucksache 16/2627. Wer dem geänderten Antrag in der jetzt beschlossenen Fassung seine Zustimmung geben möchte, darf ich um sein Handzeichen bitten. – Das ist die Piratenfraktion. Wer ist gegen den Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Wer enthält sich? – Kein Abgeordneter. Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:

16       Industrie- und Handelskammern in NRW: Geschäftsführergehälter offenlegen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2626

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2705

Ich eröffne die Beratung und erteile zunächst für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Schwerd das Wort. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! In Nordrhein-Westfalen existieren zurzeit 16 Industrie- und Handelskammern. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, Ausdruck der Selbstverwaltung der Wirtschaft und zählen zur mittelbaren Staatsverwaltung. Mitglieder der Industrie- und Handelskammern sind die Unternehmen und Gewerbetreibenden dieses Landes.

(Unruhe – Glocke)

– Ja, schön.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das galt nicht Ihnen, Herr Kollege, wie Sie sich denken können.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Laut Bundesgesetz haben die Industrie- und Handelskammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Die IHKs sind ein wichtiger Teil wirtschaftlichen Lebens in Nordrhein-Westfalen. Im Bereich der Berufsausbildung etwa leisten sie seit Jahren gute Arbeit.

Die Mitgliedschaft in einer IHK ist aber nicht freiwillig. Wer ein Unternehmen oder ein Gewerbe betreibt, der ist gesetzlich verpflichtet, Mitglied zu sein. Dann werden Mitgliedsbeiträge fällig. Man könnte das Zwangsbeiträge nennen. Wenn Unternehmen und Gewerbetreibende aber gezwungen sind, Beiträge an die IHK zu zahlen, dann haben sie auch ein Recht, zu erfahren, was mit ihren Beiträgen geschieht. Und genau darum geht es in diesem Antrag.

Die IHKs handeln im gesetzlichen Auftrag und nehmen teilweise hoheitliche Aufgaben wahr. Wer öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ist jedoch in besonderem Maße zu Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet. Und wer wie die IHKs über Gelder verfügt, die aus gesetzlichen Pflichtbeiträgen stammen, muss Klarheit über die Verwendung dieser Gelder herstellen.

(Beifall von den PIRATEN)

Oder, wie die Kollegin Schneckenburger es auf ihrer Homepage formuliert:

„Die Mitgliedsbetriebe der Industrie- und Handelskammern sollten sehen können, was mit ihren Beiträgen geschieht.“

(Zustimmung von Daniela Schneckenburger [GRÜNE])

Die Offenlegung von Geschäftsführergehältern ist ein wichtiger Baustein dieser erforderlichen Transparenz.

Diese Forderung ist weder neu noch ungewöhnlich. Die meisten Rundfunkanstalten und Krankenkassen veröffentlichen schon heute die individualisierten Gehälter ihrer Geschäftsführungen, und zwar freiwillig.

Aber auch gesetzliche Maßnahmen gibt es. Aufgrund des Transparenzgesetzes von 2009 müssen in Nordrhein-Westfalen Sparkassen, öffentlich-rechtliche Unternehmen und Landesbetriebe die Vergütung für jedes Mitglied ihrer Geschäftsführungen und Vorstände veröffentlichen.

Nur die IHKs sind von diesem Gesetz nicht betroffen. Das finden nicht nur wir ungerecht. Ich zitiere aus einem Brief von Frau Sylvia Löhrmann an den Bundesverband für freie Kammern vom 30. April 2010, der öffentlich einsehbar im Internet steht. Dort heißt es:

„Im Zuge des nordrhein-westfälischen Transparenzgesetzes hat der Landesgesetzgeber zum Beispiel für kommunale Unternehmen und Sparkassen eine Veröffentlichungspflicht bezüglich der Vorstandsgehälter normiert. Aus diesem Grund ist nicht einzusehen, warum die Kammern als Körperschaften öffentlichen Rechts in Bezug auf ihre Geschäftsführer nicht ebenfalls einer solchen Veröffentlichungsvorschrift unterliegen sollten.“

Dem ist aus unserer Sicht nichts hinzuzufügen. Da die IHKs als mittelbare Landesbehörden fungieren, ist die Landesregierung hier in der Pflicht, einzugreifen.

Die Fraktionen von SPD und Grünen haben heute einen wachsweichen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem sie auf einen Dialogprozess verweisen, in dem sie dann wiederum auf einen guten Ausgang hoffen. Es ist aber zu erwarten, dass das zu nichts führen wird. Die IHKs haben bereits mehrfach bestätigt, kein Interesse an dieser Form von Transparenz zu haben. Daher ist jetzt Handeln notwendig.

(Beifall von den PIRATEN)

Welche inhaltlichen Argumente sprächen gegen die Offenlegung der Geschäftsführergehälter? Die IHKs bemühen immer wieder dasselbe Argument. Dazu zitiere ich jetzt Herrn Mittelstädt von der IHK NRW – „WAZ“ vom 27. März 2012 –:

„Die Einzelgehälter werden nicht veröffentlicht, da es sich wie auch in der freien Wirtschaft um individuelle Einzelverträge handelt.“

Zu diesem Argument zwei Anmerkungen:

Zunächst sind die IHKs eben kein Teil der freien Wirtschaft. Im Gegenteil: Ihre Einnahmen kommen aus gesetzlichen Zwangsbeiträgen. Die Landesregierung selbst hat dies in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Nr. 823 vom 18. Februar 2013 so formuliert:

„Die Kammern fallen nicht unter den Unternehmensbegriff, da es sich um öffentlich-rechtliche Körperschaften mit einem gesetzlichen Auftrag handelt.“

Zum anderen: Es kann sein, dass die IHKs diese Verträge mit ihren Geschäftsführern unter Geheimhaltungsprämissen geschlossen haben. Nun, dann müssen neue Verträge geschlossen werden, sobald es eine gesetzliche Veröffentlichungspflicht gibt. Hierfür kann man ja angemessene Übergangsfristen definieren.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Es spricht viel für die Offenlegung der Geschäftsführergehälter der IHKs. Es ist erstens legitim, zu fordern, dass die Verwendung öffentlicher Mittel transparent gemacht wird. Zweitens sind auch andere öffentliche Unternehmen zur Offenlegung ihrer Geschäftsführergehälter verpflichtet. Es ist aus unserer Sicht nicht plausibel erklärbar, warum gerade die IHKs eine Ausnahme darstellen sollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schmeltzer das Wort.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Über das Thema „Transparenz bei Vergütungen“ wird ja nicht nur aufgrund dieses Antrags der Fraktion der Piraten diskutiert, darüber wird allgemein diskutiert. Ich sage auch gleich dazu: Es ist immer wichtig, über dieses Thema zu diskutieren.

Wir wollen das Thema „Transparenz“ aber nicht auf einen Teil öffentlich-rechtlicher Körperschaften beschränkt wissen. Die Möglichkeit zur Erhebung von Pflichtbeiträgen verpflichtet Kammern wie zum Beispiel die Industrie- und Handelskammer zu einer transparenten und gewissenhaften Verwendung ihrer Beiträge.

Wir wollen deshalb, dass die Transparenz über die Verwendung der Mittel, über die Gehaltsstrukturen ihrer Geschäftsführungen und über die Bilanzen auch bei den Kammern – also bei allen Kammern – hergestellt und weiter verbessert wird.

Kammern sind eben, Herr Kollege Schwerd, nicht nur die Industrie- und Handelskammern, wie der Antrag Ihrer Fraktion es vorgibt; sondern es gehören neben den Industrie- und Handelskammern zum Beispiel auch die Handwerkskammern dazu. Sie reden in Ihrem Wortbeitrag zwar von den Kammern; Sie schreiben in Ihrem Antrag aber – und wollen das auch beschlossen haben – nur die über die Industrie- und Handelskammern.

Die Kammern im Allgemeinen haben in ihrem jeweiligen Bereich ziemlich gleiche Aufgaben. Sie sind Interessenförderung und Interessenvertretung der Wirtschaft, ihrer Unternehmen, die sie vertreten. Sie beraten staatliche Stellen. Sie übernehmen Aufgaben im Bildungsbereich, hier insbesondere im Berufsbildungsbereich. Sie erbringen Dienstleistungen und einiges mehr.

Unterschiede gibt es zwischen den Kammern hauptsächlich in der Einbeziehung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ich möchte hier als Beispiel die Handwerkskammern anführen, wo es traditionell so ist, dass der jeweilige Vizepräsident aus der Arbeitnehmerschaft kommt.

(Vorsitz: Präsidentin Carina Gödecke)

Es macht daher wenig Sinn, sich, wie die Piraten dies in ihrem Antrag tun, ausschließlich auf die Industrie- und Handelskammern und nicht auch auf die anderen Kammern zu beziehen. Das ist logischerweise nicht folgerichtig.

Es gibt einen zweiten wichtigen Aspekt, den der Antrag der Piraten verkennt. Kammern sind nicht nur öffentlich-rechtlich, sondern auch Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung. In der Selbstverwaltung bestimmen kammerzugehörige Unternehmen und Unternehmer in den jeweiligen Vollversammlungen, wie sich ihre Kammer aufstellt.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schmeltzer, wundern Sie sich nicht. Der Vorsitz hat gerade gewechselt. Ich unterbreche Sie, weil es beim Kollegen Schwerd von den Piraten den Wunsch nach einer Zwischenfrage gibt.

Rainer Schmeltzer (SPD): Ja, gerne.

Daniel Schwerd (PIRATEN): Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Es ging bei Ihnen ja gerade um die Handwerkskammern. Wie sieht die Rechtslage in Bezug auf die Veröffentlichung bei den Handwerkskammern aus? Meines Wissens gibt es bereits normierte Vorschriften in der Abgabenordnung des Landes Nordrhein-Westfalens, was die Handwerkskammern angeht. Zum anderen weiß ich von einigen Handwerkskammern, die das ohnehin veröffentlichen. Ist das dann nicht eher ein Grund dafür, jetzt auch mindestens mit den IHKs nachzuziehen?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Schwerd, das waren nach großzügiger Auslegung mindestens zwei Fragen. Herr Kollege Schmeltzer, Sie wissen, wie Sie damit umzugehen haben oder umgehen können.

Rainer Schmeltzer (SPD): Ich bin ja ganz geschmeidig. Die Verwunderung bei mir kommt nicht auf, weil die Präsidentin jetzt präsidiert, sondern weil sie mir die Uhr abgedreht hat.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Schmeltzer, das war eine Zwischenfrage. Dann halten wir immer die Uhr an, damit es nicht zulasten Ihrer Redezeit geht.

Rainer Schmeltzer (SPD): Nein, das ist mir schon klar. Ich sehe aber überhaupt keine Zeitangabe mehr.

Ich will aber gern auf die Fragen antworten. Lieber Herr Kollege Schwerd, Sie haben es in Ihrer doppelten Fragestellung selbst dargelegt und gesagt, dass einige Handwerkskammern das von sich aus praktizieren.

In Ihrem Antrag wollen Sie aber weit darüber hinaus, sprechen im Übrigen die Industrie- und Handelskammern an und fordern einen Gesetzentwurf.

Folgerichtig wäre es dann gewesen, die Kammern anzusprechen. Wenn jemand etwas freiwillig macht und Sie das für einen anderen Teil gesetzlich geregelt haben wollen, ist es für mich unlogisch, es dann nicht auf alle Kammern zu beziehen, sondern nur auf einen Teil der Kammern.

Von daher bleibe ich bei meinen Ausführungen von eben: Es ist nicht folgerichtig, wenn Sie einen Antrag ausschließlich auf die Industrie- und Handelskammern beziehen, wo es doch auch andere Kammern gibt.

Die von mir angesprochene damit verbundene Verantwortung aus der Selbstverwaltung tragen die Unternehmen, die in der Tat in den Kammern vertreten werden. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung ist als demokratische Betroffenenverwaltung zeitgemäß und effektiv. Es gibt viele Vorteile dieser Selbstverwaltung: die Entlastung des Staates, die Entlastung der Politik, die Partizipation durch Wahl und Mitwirkungsrechte aller Mitglieder.

Der Antrag ist so, wie er von Ihnen gefasst wurde, abzulehnen. Wir stellen aber einen Entschließungsantrag vor. Sie haben ihn als „wachsweich“ bezeichnet. Bezüglich des „wachsweich“ weise ich Sie darauf hin, dass es, wenn wir einen Entschließungsantrag mit dem Koalitionspartner stellen, immer Sinn macht, in die Koalitionsvereinbarung zu gucken. Darin ist genau dieser Dialogprozess von uns schon formuliert. Dies ist dann folgerichtig.

Der Entschließungsantrag nimmt die Selbstverwaltung ernst und berücksichtigt den längst laufenden sowie den weiteren Dialog mit den Selbstverwaltungsorganen. Ihnen wird nicht entgangen sein, dass sich Wirtschaftsminister Duin derzeit in einem permanenten Dialog mit allen Industrie- und Handelskammern befindet. Meines Wissens ist er damit noch nicht ganz durch. So wie ich ihn kenne, wird er sein Ziel erreichen und alle Industrie- und Handelskammern aufgesucht und den Dialog mit ihnen geführt haben.

Unser Entschließungsantrag fordert zugleich, Transparenz über die Verwendung der Mittel, über die Gehaltsstrukturen der jeweiligen Geschäftsführungen und über die Bilanzen der Kammern herzustellen und weiter zu verbessern. Nach Abschluss dieses Dialogprozesses, den wir angekündigt haben, stringent durchführen und beenden werden, wird die Landesregierung – insbesondere Minister Duin – gebeten, diese Ergebnisse des Dialogs gegenüber dem Landtag im zuständigen Fachausschuss darzustellen. Deswegen ist es dann nur folgerichtig, heute dem Entschließungsantrag Drucksache 16/2705 zuzustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Bergmann.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mir jetzt einen relativ schlanken Fuß machen, weil Herr Kollege Schmeltzer viele Dinge gesagt hat, die erstens richtig sind und zweitens nicht wiederholt werden müssen.

Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich für meine Fraktion erkläre, dass wir den vorliegenden Antrag der Piraten ablehnen werden. Das hat mehrere Gründe. Ich will in Anbetracht der schon vorgebrachten Argumente nur noch zwei dafür anführen.

Erstens und grundsätzlich: Wir von der CDU stehen ohne Wenn und Aber zur Idee der berufsständischen Selbstverwaltung. Diesem Gedanken der Selbstverwaltung widerspricht es nun einmal, dass sich der Staat in die internen Angelegenheiten einmischt. Wenn die Mitglieder einer IHK Interesse an der Veröffentlichung der Geschäftsführergehälter haben, dann steht den Mitgliedern seit jeher der Weg in den Gremien und über die Gremien der IHK offen, um entsprechende Vorgaben zu beschließen. Das ist in der IHK, bei der ich Mitglied bin, übrigens auch so. Es wäre somit Aufgabe der Vollversammlung, diesbezügliche Beschlüsse herbeizuführen. Es gehört auf gar keinen Fall zu den Aufgaben des Landtages.

Zweiter Grund unserer Ablehnung: Ihr Antrag erscheint uns ein wenig wie ein Showantrag. Er reitet ein bisschen auf der Welle des derzeit populären Themas „Transparenz“. Populär liegt bekanntlich ganz oft nah bei populistisch. Dafür steht unsere Fraktion überhaupt nicht zur Verfügung.

Ginge es Ihnen nämlich um die Sache, dann hätten Sie hier und heute eine Überweisung an den Wirtschaftsausschuss beantragt, um dort in Ruhe und ausführlich das Für und Wider Ihrer Forderungen zu diskutieren. Ich glaube jedoch, dass es Ihnen gar nicht um die Sache geht. Ich vermute, es geht Ihnen vielmehr darum, mit einer direkten Abstimmung bei den Grünen etwas Unbill hervorzurufen und diese vorzuführen, da sie erst kürzlich auf ihrem Landesparteitag mehr Transparenz bei Mittelverwendungen gefordert haben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe überhaupt nichts dagegen, die Grünen ab und zu einmal zu testen, zu entlarven oder gar vorzuführen, aber doch bitte nicht auf Kosten Dritter. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Dieses Thema ist dafür gänzlich ungeeignet. Es ist auch eigentlich überhaupt nicht nötig; denn gerade in der Wirtschaftspolitik haben wir doch viele Gelegenheiten, diese Landesregierung zu testen und vorzuführen. Darauf sollten Sie sich konzentrieren und entsprechend im Ausschuss handeln. Die CDU-Fraktion lehnt daher den Antrag ab. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin wirklich hocherfreut, dass sowohl Herr Schwerd als auch Herr Dr. Bergmann intensives Studium grüner Homepages und grüner Dokumente betreiben. Das bildet doch weiter. Das merkt man Ihnen an.

Wir debattieren hier, wie mit dem Thema „Transparenz und Kammern“ umzugehen ist. In diesem Fall geht es insbesondere um die IHKs. Die Kammern haben eine rechtliche Sonderstellung. In der Tat, es sind Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft. Wir halten die Selbstverwaltung der Wirtschaft für richtig. Aber es sind Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft – das will ich hinzufügen – mit einem besonderen Privileg. Sie sind ausgestattet mit dem Privileg der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Pflichtbeiträge zu erheben.

Umgekehrt heißt das für uns auch, dass sich eine besondere Verpflichtung aus dem Recht ergibt, Pflichtbeiträge zu erheben. In den letzten Jahren gab es aus dem Inneren der Kammern – nicht von den Grünen! – vermehrt Kritik an der Intransparenz der Finanzen, aber auch der Vergütungsstrukturen.

Vor diesem Hintergrund – Sie werden es sicher auch wissen, wenn Sie sich auf unserer Homepage intensiv umgetan haben – gab es eine Prüfung der IHK Schwaben durch den Bayerischen Obersten Rechnungshof in den Jahren 2010 und 2011. Die IHK Schwaben hat zunächst versucht, diese Überprüfung rechtlich zu verhindern. Das ist aber im Rahmen einer Klage abgelehnt worden, die vor dem Bundesverwaltungsgericht endete, wo die IHK Schwaben scheiterte.

Es wurde also geprüft in Bayern. Und dann traf der Oberste Rechnungshof in Bayern – das entspricht unserem Landesrechnungshof -eine nicht uninteressante Feststellung zur Gehaltsstruktur der IHKs, aber auch – das war ein strittiger Punkt – zur Transparenz bei den IHKs. Der Oberste Rechnungshof hat klargestellt, dass Offenheit und Transparenz zu den Wesensmerkmalen einer nach demokratischen Prinzipien organisierten Körperschaft gehören.

Infolge dieser Prüfung und der darauffolgenden öffentlichen Diskussion hat auch der bundesweite Dachverband der IHKs, nämlich der DIHK, alle Bezirke zur Offenlegung der Gehaltsstrukturen ihrer Geschäftsführungen aufgefordert.

Also, wir haben keine Differenz in der Sache; davon gehe ich einmal aus. Und: Wir jedenfalls haben auch keine Differenz zur Diskussion, die bei den IHKs geführt wird. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass ein Dialogprozess, wie wir ihn für Nordrhein-Westfalen vorschlagen, mit den IHKs zum Erfolg führen wird.

Ich habe übrigens in Gesprächen mit den IHKs durchaus den Eindruck gewonnen, dass dieser Dialogprozess zum Teil auch schon Erfolge gebracht hat, insbesondere der innere Dialogprozess, der an einigen Stellen innerhalb der IHKs wohl durchaus schmerzhaft war. Ich erinnere nur an Berlin, an Stuttgart, wo entsprechende Konflikte innerhalb der IHKs ausgetragen wurden.

Insofern, Herr Dr. Bergmann – das will ich in Ihre Richtung sagen –: ein eindeutiges Ja zur Selbstverwaltung, aber den Rahmen der Selbstverwaltung kann der Staat am Ende schon setzen, da er doch gleichzeitig den Rahmen für die Finanzierung dieser Selbstverwaltung schafft.

Ich nehme an, dass der innere Beratungsprozess der IHKs, der Konsultationsprozess, ein ganzes Stück fortschreiten wird und dass das, was gesellschaftlich an vielen Stellen vollzogen worden ist, nämlich die Herstellung von Transparenz betreffend Gehaltsstrukturen und innere Organisation, in fortschrittlicher und nach vorne führender Weise diskutiert werden wird.

Der Dialog wirkt auch hier. Die kammerinterne Debatte tut das Ihre. Sollte das nicht ausreichen, kann man sich immer noch darüber verständigen, ob es weitere Maßnahmen braucht. Wir setzen jedenfalls auf einen Dialogprozess.

Herr Schwerd, das ist dann der Grund, warum wir Ihren Antrag nicht zustimmen können, sondern einen Entschließungsantrag vorlegen, der ein anderes Verfahren vorschlägt. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schneckenburger. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Herr Schwerd, der Antrag der Piraten zur Transparenz drückt wieder einmal aus, dass das ein wichtiges Thema für Sie ist. Das glaube ich Ihnen auch. Und das ist in den anderen Fraktionen hier im Landtag wohl nicht anders.

Abgesehen davon – das ist auch schon angeklungen –, dass Sie das vielleicht einmal auf Ihre eigenen internen Strukturen anwenden sollten, muss ich Ihnen allerdings sagen: Wir als FDP halten Ihren Antrag für einen Schnellschuss. Wir halten bei dem Thema insbesondere die in Ihrem Antrag verlangte direkte Abstimmung für nicht angemessen. Das wird der Komplexität des Themas nicht gerecht, und ich will das in vier kurzen Punkten begründen.

Erstens – das ist bei Ihnen gelegentlich angeklungen –: Bei diesem Thema müssen wir einen Abwägungsprozess zwischen dem Transparenzgedanken, der Transparenzforderung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen. Das kommt in der ganzen Transparenzdebatte gelegentlich ein bisschen zu kurz.

Der zweite Punkt ist, dass Sie durchaus differenzieren müssen, je nachdem, über welche Gehälter wir reden. Reden wir über Geschäftsführer, über Hauptgeschäftsführer in den IHKs oder über andere Tätigkeiten. Das ist nicht in der Kürze der Zeit einer plenaren Debatte mit direkter Abstimmung zu schaffen.

Was ist mit dem Vertrauensschutz bezüglich der Individualverträge? Sie haben das kurz angesprochen. Ich glaube, dass eine intensivere Befassung damit notwendig ist.

Schließlich – das ist der ganz entscheidende Punkt – wird durch den Antrag und durch das Verlangen nach direkter Abstimmung in keiner Weise gewürdigt, dass ein Diskussionsprozess innerhalb der Industrie- und Handelskammern durchaus schon stattgefunden hat, und zwar maßgeblich auf Initiative der Mitgliedsunternehmen – Frau Schneckenburger hatte es eben dargestellt – und auch der Vollversammlungen. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Unternehmen, die sich in Industrie- und Handelskammern organisieren, gehören im Allgemeinen nicht zu denen, die ein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um Forderungen nach Transparenz oder sonstige Fragen geht.

(Beifall von der FDP)

Es geht hier aber nicht um Transparenz, bestenfalls um übertriebene Regelungswut, im schlechtesten Fall um die Beförderung einer Neiddebatte zu politischen Zwecken. Davon haben wir in diesem Land schon genug. Das werden wir nicht mittragen.

Wir als FDP haben hohen Respekt und ein hohes Vertrauen in die Selbstverwaltungskräfte gerade und auch der Industrie- und Handelskammern. Die Erfahrungen damit sind positiv. Herr Kollege Schmeltzer hat vieles davon angesprochen. Sie sind Ausdruck eines hohen Maßes an Verantwortung für die Unternehmen, deren Belage und für den Staat insgesamt wegen der gesamten Aufgabenwahrnehmung.

Insofern stimmen wir auch mit den ersten Sätzen des rot-grünen Entschließungsantrags deutlich überein.

Aber, meine Damen und Herren, warum soll sich die Landesregierung in der momentanen Situation eigentlich ins Verfahren einbringen? Sie sind doch ohnehin beteiligt, Herr Minister. Sie wissen auch genau, dass bundesweit eine Einigung der Industrie- und Handelskammern über die Änderung des Finanzstatuts bevorsteht.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sparkassen!)

– Ich komme gleich auf die Sparkassen zu sprechen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das ist schön!)

Die geplante satzungsmäßige Selbstverpflichtung zur Veröffentlichung der Gehaltsgruppen trägt doch der geforderten Transparenz Rechnung. Darüber ist die Landesregierung längst informiert. Darüber steht sie doch in Gesprächen. Daher ist es überhaupt nicht nötig, hier noch einmal einen separaten Dialog einzufordern.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Veröffentlichungen der Grünen gerade in eine andere Richtung gehen – von ihnen werden immer wieder gesetzgeberische Maßnahmen gefordert, die die entsprechenden Verpflichtungen beinhalten sollen –, ist dieser angekündigte Dialog eher als Drohung zu verstehen nach dem Motto: Wenn ihr euch nicht so selbst verwaltet, wie wir das von euch verlangen, dann werden wir euch schon mit der gesetzgeberischen Keule kommen. – Das haben wir bei Ihnen an anderen Stellen schon häufig genug erlebt, Frau Schneckenburger.

(Beifall von der FDP und Olaf Wegner [PIRATEN])

Das ist kein Respekt vor der betonten Selbstverwaltung. Bestenfalls ist das wieder Regelungswut. Schlechtestenfalls ist es erneut die Beförderung einer Neiddebatte.

Wenn Sie beides nicht wollen, dann vertrauen Sie doch erst einmal den Kräften der Selbstverwaltung, bevor Sie Aufträge an die Landesregierung verteilen; denn die Landesregierung muss hier nicht in einen weiteren Dialog eintreten. Sie hat wahrhaft – Stichwort „Sparkassen“, Herr Kollege – genug damit zu tun, die Erfordernisse des Transparenzgesetzes, die bis heute lange noch nicht alle umgesetzt sind, zum Beispiel in Bezug auf die Sparkassenvorstände, umzusetzen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, bevor wir hier wieder mit einer gesetzgeberischen Drohkulisse kommen, sollten wir zunächst einmal die Hausaufgaben machen, die anliegen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Ralph Bombis (FDP): Herr Minister, von Ihnen würde ich mir wünschen, dass Sie das an dieser Stelle noch einmal klarstellen. Es ist nicht notwendig, dass wir den Entschließungsantrag beschließen. Daher sollten wir es auch nicht tun. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, Herr Dr. Bergmann hat gerade recht gehabt. Wir können uns in der Tat zusammenfassend auf ein paar wesentliche Punkte beschränken.

Es ist klar – alle Rednerinnen und Redner haben das jetzt noch einmal zum Ausdruck gebracht, einmal sogar in Form der entsprechenden Zwischenfrage –, dass wir es bei den Industrie- und Handelskammern mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu tun haben.

Das ist aber nicht alles. Es gibt auch das bundesrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverwaltung. Auf diese Selbstverwaltung sind die Kammern, wie ich finde, völlig zu Recht sehr stolz. Beispielsweise wird die Industrie- und Handelskammer zu Dortmund in diesem Jahr bei ihrer 150-Jahr-Feier mit großem Stolz auf diese bewährte Praxis der Selbstverwaltung zurückblicken.

Selbstverwaltung bedeutet auch, dass Unternehmerinnen und Unternehmer in den Vollversammlungen bestimmen, was gemacht wird und wie sich ihre Kammer aufstellt.

Als Wirtschaftsminister habe ich bei meinen sehr häufigen Kontakten –darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen – durchaus den Eindruck, dass die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen das Selbstbestimmungsrecht in ihren Kammern sehr selbstbewusst wahrnehmen. Auch darüber ist gerade in der Debatte schon aus eigener Erfahrung berichtet worden. Was Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht nicht brauchen, sind gesetzliche Vorschriften.

Wer Rechte hat, hat aber auch Pflichten. Diese Pflichten werden von Unternehmerinnen und Unternehmern auch in den Versammlungen eingefordert.

Die Industrie- und Handelskammern haben in den letzten Jahren eine Menge getan, um sich auch in der Öffentlichkeit transparenter aufzustellen. Frau Schneckenburger hat gerade völlig zu Recht gesagt, dass in einigen Kammerbezirken mit sehr schmerzhaften Prozessen Neues dazugelernt werden musste. Das, was an einigen Orten passiert ist, hat aber auch in Nordrhein-Westfalen und bei unseren Kammern Auswirkungen.

Das jüngst eröffnete Transparenz-Portal kann sich auch im Vergleich zu den Aktivitäten anderer Institutionen wirklich sehen lassen, sehr geehrter Herr Schwerd. Das muss man auch zur Kenntnis nehmen, bevor man neue Forderungen nach gesetzlichen Regelungen aufstellt.

Im Laufe des Jahres – darauf ist ebenfalls schon hingewiesen worden – werden die Kammern ihre Finanzstatuten anpassen, um auch im bilanziellen Bereich für noch mehr Transparenz zu sorgen. Alles Weitere wird das ehrenamtliche Engagement der Unternehmerinnen und Unternehmer in den Vollversammlungen sicherlich auch noch vorantreiben.

Herr Bombis, im Entschließungsantrag von SPD und Grünen wird noch einmal bekräftigt, dass es wichtig ist, eben nicht auf eine gesetzliche Regelung zurückzugreifen, sondern einen Dialog zu führen. Ich habe kurz nach meinem Amtsantritt in diesem Land die sogenannten Kammertage eingeführt. Das heißt, dass ich nicht nur an den Terminen teilnehme, bei denen wir alle Präsidenten und alle Hauptgeschäftsführer treffen, sondern auch in jeden einzelnen Kammerbezirk fahre. Bei den Terminen in den einzelnen Kammerbezirken besprechen wir neben den jeweiligen regionalen Themen auch diese internen Fragestellungen. Wir reden zum Beispiel darüber, wie noch mehr Transparenz geschaffen werden kann. Wir erleben in diesen Gesprächen …

(Zuruf von Ralph Bombis [FDP])

– Deswegen ist der Entschließungsantrag so richtig,

(Ralph Bombis [FDP]: Er ist überflüssig!)

weil dieser Dialog Früchte trägt und wir ihn weiterführen müssen. Wenn die erste Reise durch alle Kammerbezirke beendet ist, werden wir das noch einmal evaluieren.

Ich will an dieser Stelle aber auch deutlich darauf hinweisen, dass es nicht allein um das Thema „Transparenz“ geht, sondern zum Beispiel auch um die Frage, wie es uns eigentlich gelingen kann, dass mehr Unternehmerinnen in den entsprechenden Gremien an der Spitze stehen. Da gibt es zum Beispiel bei der Industrie- und Handelskammer zu Essen gerade riesige Fortschritte. Wer wie ich in der vergangenen Woche auf dem Unternehmerinnentag NRW gewesen ist, weiß, welche Wirkung solche guten Beispiele flächendeckend entfalten.

Deswegen ist das, was in dem Antrag von SPD und Grünen zum Ausdruck gebracht wird, nämlich den Dialog zu führen, um insgesamt für mehr Transparenz zu sorgen, der absolut richtige Weg. Er wird auch schon in die Tat umgesetzt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich hiermit die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Diese führen wir jetzt durch. Erstens stimmen wir über den Inhalt des Antrags der Fraktion der Piraten Drucksache 16/2626 ab. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Zweitens stimmen wir über den Inhalt des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/2705 ab. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten, CDU und FDP. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Antrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen, und wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunkts.

Ich rufe auf:

17       Mietsteigerungen begrenzen – soziale Spaltung verhindern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/2617

Änderungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/2715

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Frau Kollegin Philipp das Wort.

Sarah Philipp (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein wenig schade, dass wir uns heute im Landtag wieder einmal mit einem Thema beschäftigen müssen, das bei ausreichender Bundesgesetzgebung vermutlich hier im Landesparlament gar kein Thema geworden wäre.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

„Mietsteigerungen begrenzen – soziale Spaltung verhindern“, das ist der Titel des Antrags, den wir heute vorgelegt haben und mit dem wir uns heute beschäftigen möchten.

Der Markt für preiswerte Wohnungen ist in den Ballungszentren extrem angespannt. In Städten wie Düsseldorf, Köln oder Münster entstehen oft lange Warteschlangen, wenn sich die Leute nach bezahlbarem Wohnraum umschauen, wenn sie sich für eine Besichtigung bewerben.

So dramatisch wie im Augenblick war die Lage auf dem Wohnungsmarkt seit mehr als 20 Jahren nicht. Steigende Mieten – das ist nichts Neues – belasten vor allem Geringverdiener und Einkommensschwache, die zunehmend Probleme haben, sich mit angemessenem Wohnraum zu versorgen. Neu ist jedoch, dass das inzwischen auch für Bevölkerungsgruppen mit durchschnittlichem Einkommen gilt, die unter den steigenden Kaltmieten und den zunehmenden Energiekosten, der sogenannten „zweiten Miete“, zu leiden haben.

(Zuruf von der FDP)

Die Wohngesamtkosten machen heute bereits 30 bis 40 %, in der Spitze sogar 50 % des Haushaltseinkommens aus. Die Mietpreise und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mieterinnen und Mieter haben sich in den letzten Jahren ganz bedenklich auseinanderentwickelt. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Wir müssen zugleich die Aufgabe annehmen, den Anstieg der Mieten und die Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen aus sehr begehrten Stadtvierteln zu stoppen. Dazu brauchen wir ein Instrument, doch dazu wiederum müssen wir sehr genau bestimmen können, wo in unserem Land die Versorgung mit angemessenem Wohnraum gefährdet ist.

Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Landesregierung heute auf, in einer Verordnung genau jene Gebiete zu bestimmen, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen ganz besonders gefährdet ist.

Wir müssen für die nächsten fünf Jahre anhand empirischer Untersuchungen – das ist die Voraussetzung – festlegen können, wo genau diese Gemeinden bzw. Stadtviertel sind. Es geht auch darum, diese Gebiete kleinräumig zu bestimmen. Erst danach kann dort der mögliche Anstieg der Wohnraummiete innerhalb von drei Jahren von 20 % auf 15 % bis hin zur ortsüblichen Vergleichsmiete abgesenkt werden. Das ist die sogenannte Kappungsgrenze.

Rechtsgrundlage hierfür ist § 558 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, und dessen entsprechende Änderung wird in Kürze, nämlich ab dem 1. Mai 2013, in Kraft treten.

Diese bundesgesetzliche Regelung ist allerdings aus unserer Sicht immer noch unzureichend, da damit kein landesweiter Schutz der Mieterinnen und Mieter erreicht werden kann. Damit die Mieter wirksam und rechtssicher vor diesen unzumutbaren Mietsteigerungen geschützt werden können, wollen wir noch einen Schritt weitergehen und fordern, demnächst bundesweit zu regeln, dass Mieterhöhungen innerhalb von vier Jahren maximal 15 % betragen dürfen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die von CDU/CSU und FDP im Bundestag durchgesetzte Mietrechtsnovelle stellt sich deutlich auf die Seite der Hausbesitzer und Vermieter und ignoriert weitestgehend die Probleme der Wohnungsknappheit in Ballungszentren, und zwar in all ihren Facetten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bezahlbare und vor allem qualitativ gute Wohnungen sind ein grundlegendes Bedürfnis, sind Lebens- und Rückzugsraum und damit auch ein grundlegender Bestandteil der Daseinsvorsorge. Wohnraum in der Stadt darf keine Ware werden, sondern ist ein Grundrecht, das für alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen gelten muss. Die Beschränkung von Mietsteigerungen ist demnach nicht nur eine wohnungspolitische, sondern – das möchten wir heute noch einmal betonen – eine sozialpolitische Maßnahme.

Wir stellen uns mit diesem Antrag an die Seite der Mieterinnen und Mieter in Nordrhein-Westfalen. Ich bitte Sie deshalb: Unterstützen Sie uns in diesem Antrag. – Recht herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schneckenburger.

Daniela Schneckenburger (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt ein wachsendes Problem in Nordrhein-Westfalen, insbesondere in den Städten an der Rheinschiene, aber nicht nur da, sondern beispielsweise auch in den Universitätsstädten des Landes.

Das wachsende Problem sind seit Langem ansteigende Mieten. Sie steigen lageabhängig, aber insbesondere für große Wohnungen. Ursache sind zum einen der anhaltende Trend zur Rückkehr in die Städte und die nicht ausreichende Bautätigkeit auf dem Mietwohnungssektor, aber – das kommt erschwerend hinzu – natürlich auch steigende Studierendenzahlen.

Darum hat der Deutsche Städtetag gestern auf seiner Hauptversammlung auf diese rasant zunehmende Problematik des Wohnungsmangels in Deutschland aufmerksam gemacht. Der Deutsche Städtetag verweist ebenso darauf, dass der Trend zum Wohnen auf der grünen Wiese zurückgeht und die Stadtbevölkerung mittlerweile wieder deutlich zunimmt.

Die zehn Städte mit dem größten Bevölkerungswachstum in Deutschland verzeichnen eine Bevölkerungszunahme von 3 bis 9 %. Dem entspricht spiegelbildlich auch der Verlust von Bevölkerung in eher ländlichen Regionen. Das gilt genauso für Nordrhein-Westfalen. Auch hier haben wir eine ungebrochene Dynamik des Wachstums in der Rheinschiene mit den entsprechenden Folgerungen und Verwerfungen auf dem Mietwohnungsmarkt.

Leben in der Stadt ist für viele Menschen attraktiv. Das gilt für attraktive Großstädte und für Universitätsstädte. Inzwischen fehlen überall bezahlbare Wohnungen. Die doppelten Abiturjahrgänge werden die Problematik sicherlich noch einmal verschärfen. Zu beobachten ist aber auch eine Zunahme von Singlehaushalten. Die Anzahl der Haushalte in Nordrhein-Westfalen steigt also trotz Rückgangs der Bevölkerungszahlen. Das ist die Lage. Das ist die Situation.

Was tut man dagegen? Politik muss handeln. Wir sind der Auffassung, dass Politik da gefragt ist, dass die Länder und der Bund handeln müssen.

Die Bundesregierung hatte auch die Chance, mit der Mietrechtsnovelle zu handeln, kraftvoll und energisch zu handeln. Sie hat zwar anerkannt, dass es ein Problem gibt. Sogar Schwarz-Gelb hat anerkannt, dass es ein Problem gibt und hat in der Mietrechtsnovelle insofern eine entsprechende Ermächtigung für die Länder geschaffen. Aber leider hat Schwarz-Gelb nicht kraftvoll gehandelt.

Es fehlt eine Bundesverordnung für eine Kappungsgrenze, die eben nicht nur das Heft des Handelns an die Länder gibt, die wiederum in einem komplizierten Gutachterverfahren dann nur handeln können, sondern die dafür gesorgt hätte, dass es eine Bundesermächtigung gibt, wachsenden Mietpreisen und der Wohnungsnot entgegenzutreten.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen darüber hinaus auch auf die Maklerkosten hingewiesen. Auch das ist eine Forderung, die übrigens der Städtetag teilt. Maklerkosten werden gerade durch steigende Mieten noch einmal problematischer bei Neuvermietungen.

Insofern sind das zwei Maßnahmen, von denen wir meinen, die können dämpfend auf den Mietwohnungsmarkt wirken, genauso wie andere Maßnahmen, nämlich die Neuorientierung der sozialen Wohnraumförderung, die Neuausrichtung der Mittel. Das haben wir in Nordrhein-Westfalen gemacht. Insofern haben wir wesentliche Stellschrauben bedient.

Es ist bedauerlich, dass das Thema „Wohnen“ bei der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit in schlechten Händen ist. Das spüren sehr viele Menschen in den Großstädten Deutschlands und auch in Nordrhein-Westfalen. Das Thema „Mietsteigerungen in den wachsenden Städten“ wird nicht angegangen. Bei der energetischen Gebäudesanierung werden auch die Rechte der Mieterinnen und Mieter abgebaut. Die soziale Stadterneuerung ist von der Bundesregierung geschleift worden.

Das alles zusammen genommen sind Maßnahmen, die eine enorme soziale Problematik für die wachsenden Städte im Rheinland beinhalten, aber auch in Münster. Das ist nicht nur ein Problem des Rheinlandes.

Wir fordern die Landesregierung auf, bitten die Landesregierung, im Interesse der Mieter und Mieterinnen zu handeln. Denn Mieter/innenrechte in Nordrhein-Westfalen sind bei dieser Landesregierung in guten Händen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Voussem das Wort.

Klaus Voussem (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen von Frau Kollegin Schneckenburger haben eindeutig gezeigt: Der vorliegende Antrag von Rot-Grün ist allein dem Wahlkampf geschuldet und eine reine Showveranstaltung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Mietrechtsänderung wurde im Bundesgesetzblatt Nr. 13 vom 18. März 2013 verkündet und tritt zum 1. Mai 2013 in Kraft. Die Änderung des Mietrechts wurde vom Bundesrat am 1. Februar 2013 gebilligt, da keine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses zustande kam.

Der Antrag ist obsolet, da die Landesregierung auch ohne Parlamentsbeschluss die im Antrag geforderte Verordnung gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch erlassen kann.

Meine Damen und Herren, was ist das für ein Bauminister, der die Möglichkeiten, die ein neues Bundesgesetz bietet, nicht von sich aus ausschöpft? Muss die rot-grüne Koalition den Minister mit einem solchen Antrag tatsächlich zum Jagen tragen? Ich weiß es nicht.

Ebenso erschütternd ist, dass die Argumentation des Antrags in sich sinnlos ist. Entweder man ist für die Novelle. Dann ist der Antrag überflüssig. Oder man ist gegen die Novelle. Dann kann man nicht den im Antrag formulierten Beschluss fassen. Also: Entweder setzt die Landesregierung das um, was im Bundesgesetz steht, oder sie lässt es.

Die Bundesregierung hat mit der Mietrechtsnovelle einen guten Vorschlag gemacht, der alle Interessen abgewogen berücksichtigt. Die bisherige Kappungsgrenze wurde seinerzeit von Rot-Grün eingeführt. Schwarz-Gelb hat diese Regelung deutlich verbessert, und trotzdem ist Rot-Grün heute dagegen. Rot-Grün fordert auf der einen Seite eine Begrenzung der Mietpreissteigerungen. Auf der anderen Seite haben Sie, Herr Minister Groschek, bei der sozialen Wohnraumförderung selbst die Miete auf einen Schlag um 20 % erhöht. Das trifft die sozial Schwächsten.

Rot-Grün fordert von den Kommunen und Investoren mehr Engagement, schafft es aber selber nicht, die Fördermittel der sozialen Wohnraumförderung komplett zu bewilligen, sondern lediglich zu 50 %.

Die Ahnungslosigkeit dieser Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen konnte man zuletzt am 22. März 2013 zum Tagesordnungspunkt „Bezahlbares Wohnen und wohnungspolitische Innovationen brauchen bezahlbares Bauland“ hier im Landtag erfahren. Ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin den Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans:

„Wir haben uns angeguckt, wie die Wohnungsbauförderung der NRW.BANK aussah, als wir die Regierung übernommen haben. Da haben Sie die Förderung des Einfamilienhäuschens für Bessergestellte als sozialen Wohnungsbau verkauft. Damit haben Sie die Statistik aufgeblasen und gleichzeitig noch Ihre Klientel bedient.“

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Richtig, meine Damen und Herren, ist vielmehr: Ob sozialer Wohnungsbau oder Eigentumsmaßnahme, es sind jeweils die gleichen Bevölkerungsgruppen mit dem gleichen Eigentum.

Der damalige und der heutige Beifall von Rot-Grün, meine Damen und Herren, zeigt mir: Rot-Grün und der Finanzminister kennen die eigenen Wohnraumförderbestimmungen bis heute nicht. Das ist schlimm für unser Land.

Fazit: Rot-Grün handelt nicht im Interesse von Mietern oder Eigentümern, sondern ausschließlich wahltaktisch. Machen Sie nur weiter so! – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Jochen Ott [SPD]: So machen wir weiter!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Voussem. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Voussem, schönen Dank dafür, dass Sie auf die Wahlkampforgie schon einleitend hingewiesen haben. Was gesagt ist, brauche ich nicht zu sagen. Schönen Dank dafür, dass Sie schon darauf hingewiesen haben, dass Schwarz-Gelb in Berlin die jetzt unsozial dargestellten Kappungsgrenzen verbessert hat. Schönen Dank dafür. Das macht es alles etwas kürzer.

Frau Kollegin Philipp, Sie stellen Nordrhein-Westfalen dar als ein Land, aus dem Mieter vertrieben werden. Wir haben 396 Gemeinden. Von denen sind Problemgemeinden sicherlich die Ballungszentren, die Sie angesprochen haben, sicherlich auch Teile im Ruhrgebiet. Wir beide kommen aus Duisburg und wissen, wovon wir reden. Das ist eine Handvoll von Gemeinden.

Also müssen wir zum Ersten mal festhalten: Es handelt sich nicht um ein Allgemeinproblem. Gleichwohl handelt es sich um ein Problem, das wir angehen müssen.

Meine Damen und Herren, zumindest tendenziell wird aus Ihrem Antrag deutlich, dass es sich um eine Vermieterschelte handelt. Darüber müssen wir reden.

Wer ist denn für die Mietpreiserhöhungen verantwortlich? – Sicherlich der Vermieter – völlig klar –, aber doch zum Beispiel auch die Kommunen. Mit ihrer Stadtplanung, mit ihren Stadtentwicklungskonzepten sind sie Aufgabenträger dafür, dass es eine gesunde sozialdurchmischte Stadt gibt. Mit der Bauleitplanung setzen sie die Konzepte um. Mit der Baulandfreigabe, mit dem Baulandmarkt können sie hier selbst tätig werden. Mit den kalkulatorischen Zinsen im Bereich Wasser und Abwasser greifen sie sofort in die Miete ein. Mit der Grundsteuer B ziehen sie selbst die Miete hoch. Also muss man sich fragen: Ist das nur der Vermieter, oder ist das nicht auch die öffentliche Hand? Und auch der Bund hat eine Verantwortung: Energieeinsparverordnung 2009, Umswitchen auf 2012 mit den daraus resultierenden enormen Kosten. Nicht zuletzt deswegen hat die FDP auf Bundesebene das ja gestoppt. Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint. Wir haben gesagt: Nein, das kann so nicht richtig sein.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, nehmen wir doch einfach mal das Beispiel Düsseldorf. Da wird die Scheinheiligkeit doch klar. Nicht jeder kann es sich leisten, in Kaiserswerth zu wohnen. In Garath liegt die Miete bei rund 6,50 € pro Quadratmeter. In Düsseldorf-Kaiserswerth liegt sie bei 12, 13 € pro Quadratmeter. Nehmen wir einmal einen mittleren Stadtteil, zum Beispiel Oberbilk. Dort liegt die durchschnittliche Miete bei rund 9 € pro Quadratmeter. Ich bleibe bei der hohen Erhöhungsmöglichkeit von 20 % in vier Jahren. Das bedeutet für den Vermieter eine Mietpreiserhöhung von 37,5 Cent pro Quadratmeter und Jahr. Das ist ja wohl eine ganz schlimme Sache! Herr Minister, Sie haben erlaubt, die Bezugsmiete im Bereich sozialer Wohnungsbau um 1 € pro Quadratmeter zu erhöhen. Da muss ich doch fragen: Was ich letztendlich im Bereich sozialer Wohnungsbau bezogen auf Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften mit 1 € erlaube, das will ich einem privaten Vermieter nicht erlauben? Das kann so nicht richtig sein.

(Jochen Ott [SPD]: Darum geht es nicht! Sie vergleichen Äpfel mit Birnen! Dass Sie sich nicht schämen! Das ist doch wohl ein Scherz!)

– Herr Kollege, keep cool. Wenn Sie etwas zu sagen hätten – Konjunktiv –, dann könnten Sie ja gleich eine Kurzintervention anmelden. Nutzen Sie das doch mal.

(Jochen Ott [SPD]: Zu so etwas? Das lohnt sich nicht! Sie verstehen es eh nicht!)

Der nächste Punkt ist, dass der Antrag falsch, in jedem Falle handwerklich nicht gelungen ist. Zumindest ist er missverständlich. Denn Sie wollen ja eine landesweite Kappungsgrenze einbauen. Im dritten Absatz Ihres Antrags schreiben Sie nämlich:

„Die … Möglichkeit zur Herabsetzung der Kappungsgrenzen von Mieterhöhungen auf 15 Prozent in Gebieten, in denen eine angemessene Mietraumversorgung der Bevölkerung gefährdet ist, reicht nicht, um Mieterhöhungen landesweit wirksam zu begrenzen.“

Wir haben doch eben deutlich gemacht, dass es in den größten Teilen des Landes die Probleme nicht gibt, dass es aber Teilbereiche gibt, wo wir tatsächlich handeln müssen.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend lassen Sie mich sagen: Erstens. Das ist Wahlkampf. Deswegen sind Sie gar nicht daran interessiert, über den Antrag im Ausschuss zu beraten.

Zweitens. Er ist nicht präzise. Kollege Ott, ich kann es ja verstehen. Wir beide sind ja Rheinländer. Für den Rheinländer ist ja präzise ungefähr genau. Aber das ist er ja noch nicht einmal. Der ist handwerklich schlecht.

Präsidentin Carina Gödecke: Präzise ist die Redezeit jetzt vorbei.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, wenn solche Missverständnisse da sind, kommen die Jungs nicht mal bei Ihnen vorbei und sagen: „Guck doch einmal nach, ob das handwerklich in Ordnung ist“? Die Landesregierung hat doch eine Beratungsfunktion gegenüber dem Parlament. Da müssen Sie doch einmal Ihrer Pflicht nachkommen. Das verstehe ich nicht.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Der berät Sie gleich gerne, damit Sie verstehen, um was es geht!)

Meine Damen und Herren, es kann nicht richtig sein, hier eine allgemeine Vermieterschelte zu machen. Wir brauchen privates Kapital für öffentliche Aufgaben. Ich bedaure, dass das hier eine Wahlkampfveranstaltung ist. Schade.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Ich bedaure, dass Sie immer noch nichts begriffen haben! Unglaublich!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. Ihre Redezeit ist jetzt leider vorbei.

Holger Ellerbrock (FDP): Schade.

Präsidentin Carina Gödecke: Manchmal ist das Leben hart. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Wegner.

Olaf Wegner (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Der uns vorliegende Antrag der Fraktionen der SPD und der Grünen ist im Prinzip Formsache. In diesem Antrag wird die Landesregierung aufgefordert, das zu tun, wozu der Bundesgesetzgeber sie kürzlich ermächtigt hat. Und das ist auch richtig so. Das ist sozusagen Pflicht.

Die Senkung der Kappungsgrenze von 20 auf 15 % wird zwar nicht die brennenden Probleme auf den Wohnungsmärkten lösen – das sind doch vor allem die Probleme der Menschen in diesem Land –, aber sie ist auch kein Schritt in die falsche Richtung.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Die Senkung der Kappungsgrenze von 20 auf 15 % wird die Preisspirale, die wir derzeit beobachten können, nicht stoppen. Sie wird auch nicht verhindern, dass Mieterinnen und Mieter verdrängt werden. Dafür hätten auf Bundesebene schon wirksamere Maßnahmen beschlossen werden müssen, zum Beispiel die diskutierte Begrenzung bei den Neuvermietungen. Aber die Senkung der Kappungsgrenze kann zumindest in einigen Fällen die Dynamik auf den Wohnungsmärkten abschwächen. Insofern ist dem vorliegenden Antrag zuzustimmen. Und hätten Sie ihn heute nicht eingebracht, dann hätten wir es getan.

Ärgerlich ist nur, dass von der ausgestreckten Hand der Regierungsfraktionen wieder einmal nichts zu sehen war.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Es muss Ihnen ja wirklich unheimlich schwer fallen, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen, um mal nach der Meinung anderer Fraktionen zu fragen. Auch dieser Antrag hätte schon in der Entstehung einen breiteren Konsens finden können.

Aber lassen Sie uns nun im Sinne der Mieterinnen und Mieter die Sache auf den Weg bringen.

Und da möchte ich noch auf einige Aspekte eingehen, die wir in einem heute vorliegenden Änderungsantrag aufgeführt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern Sie sich noch an den Erlass der Kündigungssperrfristverordnung Anfang 2012? Das war zwar vor unserer Zeit hier im Landtag, aber es ist auch uns nicht entgangen, dass sich die rot-grüne Landesregierung mit dieser Verordnung nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Warum erwähne ich das? Die Kündigungssperrfristverordnung ist aufgrund einer Ermächtigung der Landesregierung möglich, die im BGB verankert ist. Der Wortlaut der Ermächtigung im BGB bezüglich der Kündigungssperrfrist gleicht dem der Kappungsgrenze bis ins Detail. Das heißt, auch für die Kündigungssperrfrist war eine Gebietsbestimmung – also eine qualifizierte empirische Untersuchung – nötig.

Was daraus geworden ist, zählt jedoch nicht zu den Sternstunden der Landespolitik. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grünen dürften das so ähnlich sehen. Das ist zumindest ihren damaligen Äußerungen so zu entnehmen. Herr Kollege Ott gab zum Beispiel vor einem Jahr zu Protokoll, man nehme die Kritik an der Gebietsbestimmung sehr ernst und werde sich kritisch mit der Verordnung auseinandersetzen.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD]

– Gut, dieses Mal haben wir die Chance. Die Landesregierung hat die Chance, von Beginn an eine wirklich qualitative geeignete Untersuchung auf den Weg zu bringen und damit auch die Qualität der Verordnung insgesamt zu garantieren. Dazu müsste die Landesregierung aber ihre Eitelkeiten ablegen, das Fachwissen der vielen Experten aus den Verbänden frühzeitig einbeziehen und auch den Fraktionen frühzeitig Gelegenheit zur Mitwirkung geben.

Bei der Kündigungssperrfristverordnung wurden weder die Betroffenen – also die Mieterinnen und Mieter – gefragt noch deren Verbände adäquat einbezogen. Das darf dieses Mal nicht so laufen. Deshalb bitte ich Sie darum: Schließen Sie sich unserem Antrag an, sorgen Sie mit dafür, dass es kein Kappungsgrenzenfiasko gibt. Sorgen Sie für Transparenz bei der Erstellung der Verordnung und für demokratische Mitbestimmung der Bevölkerung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich will den Reigen jetzt nicht schließen, wie er heute Morgen – mit doch zu wahlkampflastigen Tönen – begonnen wurde. Das Thema ist, wie ich finde, ein ernstes. Deshalb sollten wir zumindest versuchen, es auch ohne übertriebene Polemik ernsthaft zu behandeln. Uns hört sowieso – außer uns selbst – niemand zu. Von daher brauchen wir jetzt hier keine Wahlkampfrunden und Scharmützel mit uns selbst zu betreiben. Die Abgeordneten sollten nicht Sparringspartner sein. Dafür sind die Diäten zu angemessen; dementsprechend sollten wir andere Tätigkeiten ausüben. Die Debattenredner sollten daher auch in fachlicher Hinsicht – und nicht, was Boxringqualitäten anbelangt – kompetent sein

Von daher meinerseits nur ein paar Anmerkungen: Ich glaube, dass die Absenkung der Kappungsgrenzen besser als nichts ist, aber nicht gut genug. Nordrhein-Westfalen wollte mehr. Wir sind leider im Bundesrat gescheitert, eine stärkere Absenkung der Kappungsgrenzen durchzusetzen. Möglicherweise bekommen wir auf dem Wege zur Umsetzung eine andere Bundesregierung, die das Umsetzungsverfahren dann überflüssig macht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Antrag ist richtig. Das haben die beiden Regierungsfraktionen und die Fraktion der Piraten erklärt, weil es natürlich auch ein politisches Signal ist, deutlich zu machen, dass die Mieterinnen und Mieter möglichst vor Ausbeutung zu schützen sind. Der Sozialstaat und die soziale Stadt müssen auch an der Mietrechnung ablesbar bleiben; das ist längst nicht der Fall. Wenn viele Menschen mehr als 40 % ihres Einkommens für Miete aufwenden müssen, ist das ein Indiz für Ausbeutung und nicht für Sozialstaatlichkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Grundlagen für die Gebietskulissen müssen gutachterlich abgestimmt und gerichtsfest sein. Deshalb werden wir im Vergabeverfahren sieben Institute zur Abgabe eines Gutachtens auffordern, und wir werden in diesem Verfahren aus den Defiziten der anderen Verordnungswege lernen. Wir werden die Verbände – auch die kommunalen Verbände und die Mieterverbände – frühzeitig einbeziehen. Ich garantiere Ihnen nicht, dass wir eine förmliche Landtagsbeteiligung durchführen werden. Das würde nämlich eher verhindern, dass wir mit dem Verfahren 2013 fertig werden und Anfang 2014 die Umsetzung hinbekommen. Ich werde aber selbstverständlich vor dem Inkraftsetzen den Fachausschuss einbeziehen, mir dort Rat holen und informieren. Ich glaube dann bekommen wir gemeinsam das Bestmögliche in der Hoffnung hin, dass diese Verordnung schnellstmöglich überwunden wird, weil eine neue Bundesregierung ein besseres Mietrecht in Kraft setzen wird. Unsere Unterstützung hätte sie dabei.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Damit schließe ich die Beratung zu Tagesordnungspunkt 17.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Die führen wir jetzt durch, und zwar erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/2715. Wer dem zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP.

(Zurufe)

Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag …

(Zurufe)

– Entschuldigung! Es gab eine Enthaltung bei den Piraten. Damit ist der Änderungsantrag mit dem jetzt korrekt festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich komme zweitens zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/2617 der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Die FDP und die anwesenden Mitglieder der CDU. – Wer möchte sich enthalten? – Eine Enthaltung. Damit ist der Antrag mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir sind am Schluss des Tagesordnungspunktes 17 und am Schluss der heutigen Debatte.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Freitag, den 26. April 2013, 10 Uhr, und wünsche einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19:52 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 96 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage

Zu TOP 7 - „Staatsangehörigkeitsgesetz modernisieren: Einbürgerungen erleichtern, mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglichen“ ? von Serap Güler (CDU) nach § 46 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung

Hiermit gebe ich folgende Erklärung zu meinem heutigen Abstimmungsverhalten zum Tagesordnungspunkt 7 – Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der Grünen und der Fraktion der Piraten: „Staatsangehörigkeitsgesetz modernisieren: Einbürgerungen erleichtern, mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglichen“ – ab:

Ich enthalte mich bei der Abstimmung zum Thema „Staatsangehörigkeitsgesetz“ meiner Stimme. Ich persönlich vertrete die Auffassung, dass die Abschaffung der Optionspflicht sowie eine generelle Zulassung der Mehrstaatlichkeit, also eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts in Deutschland, grundsätzlich der richtige Weg ist. Ich stimme aber nicht mit der Vorgehensweise, die durch diese Antragseinbringung zum Ausdruck gebracht wird, überein. Der Antrag will den Eindruck erwecken, dass wir im nordrhein-west­fälischen Landtag über diesen Sachverhalt abzustimmen hätten, als handele es sich um die Gesetzgebungskompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen. Das ist nicht der Fall; deshalb halte ich den Antrag für populistisch. Die antragstellenden Fraktionen nehmen in Kauf, die Wähler zu täuschen. Die gesetzgeberische Kompetenz liegt jedoch hinsichtlich des Staatsbürgerschaftsrechts beim Bund und zuallererst damit beim Bundestag. Ich unterstütze es nicht, wenn dieses Thema, wie es jetzt in diesem Antrag geschieht, zum Wahlkampfthema gemacht wird.

Ferner setze ich mich für das Modell der Mehrstaatlichkeit mit einer aktiven und passiven Staatsbürgerschaft ein. Aus integrationspolitischer Sicht kann es zudem nicht unser Anliegen sein, die Mehrstaatlichkeit über Generationen hinweg einzuführen. Meiner Auffassung nach sollte sie nach zwei bis drei Generationen auslaufen.

Der vorgelegte Antrag behandelt ebenso wenig diese Themen und kann von mir daher nicht mit meiner Zustimmung rechnen. Ich enthalte mich daher meiner Stimme.

gez. Serap Güler MdL