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Landtag

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/143

16. Wahlperiode

07.04.2017

 

143. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 7. April 2017

Mitteilungen der Präsidentin. 15131

Änderung der Tagesordnung. 15131

Ergebnis. 15131

1   Die Welt zu Gast in NRW: Weltklimakonferenz COP 23 2017 in Bonn

Unterrichtung
durch die Landesregierung. 15131

Minister Johannes Remmel 15131

Josef Hovenjürgen (CDU) 15134

Norbert Meesters (SPD) 15138

Henning Höne (FDP) 15140

Wibke Brems (GRÜNE) 15143

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 15146

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 15149

Rainer Christian Thiel (SPD) 15150

2   Herkunftskennzeichnung stärkt tierwohlfreundliche Schweineproduktion

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14664. 15151

Annette Watermann-Krass (SPD) 15151

Norwich Rüße (GRÜNE) 15152

Josef Wirtz (CDU) 15153

Karlheinz Busen (FDP) 15154

Simone Brand (PIRATEN) 15155

Minister Johannes Remmel 15155

Ergebnis. 15157

3   Schluss mit der Schönrednerei – Nordrhein-Westfalen braucht eine Regierung, die die Probleme unseres Landes erkennt und bekämpft!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14654. 15157

Josef Hovenjürgen (CDU) 15157

Stefan Zimkeit (SPD) 15158

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 15160

Ralf Witzel (FDP) 15161

Michele Marsching (PIRATEN) 15163

Dietmar Schulz (fraktionslos) 15164

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 15164

Ergebnis. 15166

4   Nutzlos-Maut mit allen Möglichkeiten verhindern – Schaden von Nordrhein-Westfalen abwenden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14647

In Verbindung mit:

PKW-Maut von CDU, SPD und CSU durch den Bundesrat stoppen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14658 – Neudruck. 15166

Christof Rasche (FDP) 15166

Oliver Bayer (PIRATEN) 15167

Andreas Becker (SPD) 15168

Hubertus Fehring (CDU) 15169

Arndt Klocke (GRÜNE) 15170

Minister Michael Groschek. 15171

Erklärung von
Dr. Günther Bergmann (CDU)
zur Abstimmung
gem. § 47 (2) GeschO
siehe Anlage 1

Ergebnis. 15172

5   Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses V (Fall Amri)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 15.02.2017
Drucksache 16/14168 – Neudruck

Drucksache 16/14550. 15172

Sven Wolf (SPD) 15172

Thomas Stotko (SPD) 15175

Daniel Sieveke (CDU) 15178

Monika Düker (GRÜNE) 15180

Dr. Joachim Stamp (FDP) 15182

Simone Brand (PIRATEN) 15184

Daniel Sieveke (CDU) 15185

Thomas Stotko (SPD) 15185

Simone Brand (PIRATEN) 15187

6   Abschlussbericht des Petitionsausschusses

Rita Klöpper (CDU) 15188

7   System zur Akkreditierung von Studiengängen auf sichere Rechtsgrundlage stellen und weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14660. 15191

Dietmar Bell (SPD) 15192

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 15192

Dr. Stefan Berger (CDU) 15194

Angela Freimuth (FDP) 15194

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 15195

Ministerin Svenja Schulze. 15196

Ergebnis. 15197

8   Engpässe in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) Büren beseitigen – Landesregierung muss Kapazitäten umgehend erweitern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14172

Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/14470. 15197

Christian Dahm (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

André Kuper (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

Herbert Goldmann (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

Henning Höne (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

Frank Herrmann (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 15197

Ergebnis. 15197

9   Einmischen, aber richtig! Jugendpartizipation stärken!

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14666. 15198

Wolfgang Jörg (SPD) 15198

Bernhard Tenhumberg (CDU) 15199

Dagmar Hanses (GRÜNE) 15200

Dr. Björn Kerbein (FDP) 15201

Daniel Düngel (PIRATEN) 15202

Ministerin Christina Kampmann. 15203

Ergebnis. 15203

Nachtrag zu den Abstimmungen
zu TOP 7 und TOP 8. 15204

10 Die Game- und Netzkultur lebt mit dem Streaming: Veraltete Rundfunkkonzepte der Medienanstalten müssen für das digitale Zeitalter neu konzipiert werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14657. 15204

Lukas Lamla (PIRATEN) 15204

Alexander Vogt (SPD) 15205

Thorsten Schick (CDU) 15205

Matthi Bolte (GRÜNE) 15206

Thomas Nückel (FDP) 15207

Daniel Schwerd (fraktionslos) 15208

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 15208

Ergebnis. 15209

11 Kommunale Ordnungsdienste durch die Einführung eines Ausbildungsberufes qualitativ stärken – für mehr Sicherheit und Ordnung in unseren Städten!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13527

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/14691. 15209

Christian Dahm (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15209

Henning Höne (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15209

Torsten Sommer (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15209

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15209

Ergebnis. 15209

12 Überwachung und Datenzugriff im Bereich der Telekommunikation, Fortsetzung: Werden Funkzellenabfragen, Stille SMS und IMSI-Catcher zum Standard bei Ermittlungen nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden?

Große Anfrage 23
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13803

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/14528. 15209

Frank Herrmann (PIRATEN) 15209

Hans-Willi Körfges (SPD) 15210

Josef Rickfelder (CDU) 15211

Matthi Bolte (GRÜNE) 15212

Dirk Wedel (FDP) 15213

Minister Ralf Jäger 15214

13 Gesetz zur Harmonisierung und Stärkung des Informationsfreiheitsrechts und Zugang zu maschinenlesbaren Daten (OpenData-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14379 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/14692

zweite Lesung. 15214

Guido van den Berg (SPD) 15214

Lothar Hegemann (CDU) 15215

Matthi Bolte (GRÜNE) 15216

Dirk Wedel (FDP) 15217

Frank Herrmann (PIRATEN) 15217

Minister Ralf Jäger 15218

Ergebnis. 15218

14 Nordrhein-Westfalen smartgerecht neu bauen. Großstadt und Sonderwirtschaftszone Garzweiler

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14659. 15218

Oliver Bayer (PIRATEN) 15218

Guido van den Berg (SPD) 15219

Dr. Gerd Hachen (CDU) 15220

Gudrun Zentis (GRÜNE) 15222

Holger Ellerbrock (FDP) 15224

Ministerin Svenja Schulze. 15225

Oliver Bayer (PIRATEN) 15226

Ergebnis. 15226

Anlage 1. 15229

Zu TOP 4 – „Nutzlos-Maut mit allen Möglichkeiten verhindern – Schaden von Nordrhein-Westfalen abwenden“, in Verbindung mit: „PKW-Maut von CDU, SPD und CSU durch den Bundesrat stoppen“ – gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung von Dr. Günther Bergmann (CDU)

Anlage 2. 15231

Zu TOP 8 – Engpässe in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) Büren beseitigen – Landesregierung muss Kapazitäten umgehend erweitern – zu Protokoll gegebene Reden

Christian Dahm (SPD) 15231

André Kuper (CDU) 15232

Herbert Franz Goldmann (GRÜNE) 15232

Henning Höne (FDP) 15233

Frank Herrmann (PIRATEN) 15233

Minister Ralf Jäger 15234

Anlage 3. 15237

Zu TOP 11 – Kommunale Ordnungsdienste qualitativ durch die Einführung eines Ausbildungsberufes stärken – für mehr Sicherheit und Ordnung in unseren Städten! – zu Protokoll gegebene Reden

Christian Dahm (SPD) 15237

Henning Höne (FDP) 15237

Torsten Sommer (PIRATEN) 15238

Minister Ralf Jäger 15238


Entschuldigt waren:

 

Minister Garrelt Duin    
(ab 13 Uhr)

Ministerin Christina Kampmann
(bis 12 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(bis 14 Uhr)

Minister Johannes Remmel      
(ab 12 Uhr)

Dietmar Bell (SPD)       
(bis 14 Uhr)

Ingrid Hack (SPD)

Josef Neumann (SPD) 
(bis 14 Uhr)

Lisa Steinmann (SPD)

Dr. Anette Bunse (CDU)

Regina van Dinther (CDU)

Wilfried Grunendahl (CDU)

Matthias Kerkhoff (CDU)          
(ab 15:45 Uhr)

Bernd Krückel (CDU)   
(bis 14:30 Uhr)

Theo Kruse (CDU)

André Kuper (CDU)      
(ab 16 Uhr)

Claudia Middendorf (CDU)

Andrea Milz (CDU)       
(bis 13 Uhr und ab 15:30 Uhr)

Ralf Nettelstroth (CDU)
(ab 12:30 Uhr)

Friedhelm Ortgies (CDU)

Michael-Ezzo Solf (CDU)

Robert Stein (CDU)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)

Andrea Asch (GRÜNE)
(bis 12 Uhr)

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE)    
(ab 17:15 Uhr)

Reiner Priggen (GRÜNE)         
(bis 12 Uhr)

Norwich Rüße (GRÜNE)          
(ab 16 Uhr)

Verena Schäffer (GRÜNE)       
(ab 16:30 Uhr)

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE)           
(bis 13:30 Uhr)

Jutta Velte (GRÜNE)    
(ab 13 Uhr)

Christian Lindner (FDP)
(ab 17 Uhr)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Dirk Schatz (PIRATEN)


Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 143. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen, die zugleich die letzte geplante Plenarsitzung in dieser Legislaturperiode ist. Die Reihen sind zurzeit noch etwas leer, weil viele Parallelveranstaltungen und Besprechungen stattfinden und auch die Verkehrslage offensichtlich wieder nicht ganz so einfach ist. Trotzdem beginnen wir jetzt fast pünktlich mit dieser letzten geplanten Plenarsitzung.

Mein Gruß gilt den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien. Für die heutige Sitzung haben sich bisher 13 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Darüber hinaus hat mich die Verwaltung gebeten, den Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen noch einmal mitzuteilen bzw. sie daran zu erinnern – das ist jetzt sehr organisatorisch, und das werden wir im Laufe der Sitzung wahrscheinlich noch einmal wiederholen müssen, weil noch nicht so viele da sind –: Sie mögen bitte die Schubladen der Tische leeren und die Schlüssel dann auch in den Schubladen liegen lassen, damit es, wenn der Plenarsaal nach der Wahl umgestaltet wird, keine Probleme insoweit gibt, als wir noch Privatsachen sicherstellen und Ihnen überreichen müssen.

Mit diesen etwas ungewöhnlichen organisatorischen Vorbemerkungen – am Ende einer Legislaturperiode ist manches in den Abläufen etwas ungewöhnlich – steigen wir immer noch nicht in die Bearbeitung der heutigen Tagesordnung ein; denn es gibt noch ein paar nachträgliche und erinnernde Hinweise.

Sie alle wissen, dass sich die fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt haben, den für heute vorgesehenen Tagesordnungspunkt 13 „NRW smartgerecht neu bauen: Großstadt und Sonderwirtschaftszone Garzweiler“, Drucksache 16/14659, ein Antrag der Piratenfraktion, mit dem heutigen TOP 14 „Gesetz zur Harmonisierung und Stärkung des Informationsfreiheitsrechts und Zugang zu maschinenlesbaren Daten (OpenData-Gesetz)“, Drucksache 16/14379 (Neudruck) – auch hier handelt es sich um eine Initiative der Piraten, diesmal allerdings um einen Gesetzentwurf –, zu tauschen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.

Wie bereits am Mittwoch mitgeteilt – und so wurde am Mittwoch auch verfahren –, haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt, den ursprünglich für heute vorgesehenen Tagesordnungspunkt 8 „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westfalen (LBG NRW)“, Drucksache 16/13532, ein Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, mit dem Tagesordnungspunkt 13 von Mittwoch „Engpässe in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) Büren beseitigen – Landesregierung muss Kapazitäten umgehend erweitern“, Drucksache 16/14172, ein Antrag der CDU-Fraktion, zu tauschen.

Wir haben uns ebenfalls bereits am Mittwoch darauf verständigt, den heutigen Tagesordnungspunkt 7 „Ehrenamtliches Engagement auch im Steuerrecht fördern“, Drucksache 16/14661, ein gemeinsamer Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, mit dem Tagesordnungspunkt 7 von Mittwoch „System zur Akkreditierung von Studiengängen auf sichere Rechtsgrundlagen stellen und weiterentwickeln“, Drucksache 16/14660, ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, zu tauschen. – Wenn sich hiergegen jetzt kein Widerspruch erhebt, dann verfahren wir so.

Die geänderte Tagesordnung können Sie dem Internet unter „Aktuelle Termine“ entnehmen.

Das waren die Vorbemerkungen vor Eintritt in die Tagesordnung. Ich rufe dann auf:

1  Die Welt zu Gast in NRW: Weltklimakonferenz COP 23 2017 in Bonn

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 28. März dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem Thema „Die Welt zu Gast in NRW: Weltklimakonferenz in Bonn“ zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch Herrn Minister Remmel, der jetzt am Redepult steht und damit auch das Wort hat. – Bitte schön.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Schreckensbilder der letzten Tage von Giftgaseinsätzen und Bombenhagel ist es schwer, heute Morgen über eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das wichtigste Friedensprojekt der Zukunft zu sprechen. Aber vielleicht sollten wir es gerade deshalb tun.

Vom 6. bis zum 17. November 2017 findet in Bonn die nächste Weltklimakonferenz, COP 23, statt. Wir erwarten 25.000 Delegierte sowie Vertreterinnen und Vertreter von internationalen Organisationen, von Nichtregierungsorganisationen, von Unternehmen und aus der Wissenschaft. Es ist die größte internationale Konferenz, die jemals in Deutschland stattgefunden hat.

Mit unseren Menschen, mit unseren Regionen, mit unseren Kommunen, mit unseren Unternehmerinnen und Unternehmern und mit den Vertretern unserer wissenschaftlichen Einrichtungen sind wir mit großer Freude Mitgastgeber einer Zusammenkunft der Weltgemeinschaft, in der wesentliche Entscheidungen fallen sollen und in der es eine große Erwartung bezüglich der Frage gibt, wie es weitergeht mit dem weltweiten Klimaschutz nach Trump und nach der Ankündigung, dass der bisher größte Vorwärtstreiber des weltweiten Klimaschutzes, die Nation der USA, nicht mehr richtig mitmachen will.

Die Präsidentschaft der Klimakonferenz hat die Republik Fidschi inne, ein kleiner Staat, für den es ums nackte Überleben geht. Das bringt mir die Erinnerung an die Begegnung mit einem philippinischen Bischof vor gut zwei Jahren zurück. Der Bischof schilderte, dass auf seiner Insel – dort, wo er zuständig ist –, mittlerweile nicht mehr nur alle zehn Jahre, sondern jedes Jahr dreimal ein schwerer, verheerender Hurrikan auftritt und jeweils Angst und Schrecken, Tod und Leid verursacht. Der letzte Sturm hat eine riesige Schlammlawine mit mehr als 1.000 Toten ausgelöst.

Er hat erzählt, wie er mit seiner Gemeinde, den Menschen dort ganz ruhig und gelassen am Wiederaufbau arbeitet, und gesagt: Ja, vielleicht sind wir auch mit daran schuld, weil wir den Wald zu stark abgeholzt haben, und deshalb konnte die Schlammlawine über unserem Dorf und unseren Städten niedergehen. Aber eines kann ich den Menschen nicht erklären, nämlich warum wir hier Leid und Zerstörung abbekommen, die durch den Klimawandel bedingt sind, den andere verursacht haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bringt uns zu unserer Verantwortung zurück. Klar ist: Der Klimaschutz ist und bleibt das Megathema unserer Zeit. Es geht keineswegs nur um das Klima, sondern zugleich um Gerechtigkeit, Frieden und Sicherheit für uns in Nordrhein-Westfalen, für die Menschen in ganz Europa, insbesondere für die Menschen in den südlichen Ländern, die heute unter den Folgen des Klimawandels leiden müssen.

Klimaschutzpolitik ist insbesondere auch Friedenspolitik. Wir alle kennen die Bilder von Dürre und von Hochwasser. Selbst bei uns gab es im letzten Jahr verstärkt Starkregenereignisse. Wir kennen mittlerweile die Schreckensbilder aus dem mittleren Afrika, wo existenzbedrohende Hungersnöte auftreten, auch bedingt durch den Klimawandel.

Es bleibt den Menschen oft nichts anderes übrig, als ihr Land zu verlassen und zu fliehen. Schon heute rechnen wir bis zum Jahr 2050 mit mindestens 60 Millionen Klimaflüchtlingen, die sich auf die Suche nach einer besseren Zukunft begeben und sich so auch auf den Weg nach Europa machen. Deshalb wird es nicht sehr viel helfen, darüber zu diskutieren, ob wir die Mauern vielleicht höher ziehen sollen. Nein, es geht darum, dass wir für alle lebenswerte Verhältnisse schaffen und dazu beitragen, genau solche Entwicklungen anzustoßen.

Damit bin ich wieder bei Nordrhein-Westfalen. Ich lade Sie ein, es sich selber anzuschauen; ich war da und bin nach wie vor sehr beeindruckt. In Jülich haben wir mittlerweile die größte künstliche Sonne der Welt. Zusammen mit der Solarforschung, die in Jülich stattfindet, bei der es darum geht, solare Energie über Tage zu speichern, quasi richtige Kraftwerke daraus zu betreiben, ergeben sich Bilder von Möglichkeiten, die unendlich sind und Entwicklungen an anderer Stelle in der Welt erlauben. Zwischen Aachen, Köln und Jülich gibt es Perspektiven für die Gründung von so etwas wie einem Silicon Valley der Energiewende und des Klimaschutzes, wo Zukunftstechniken erprobt werden, die an anderer Stelle für Entwicklung und auch für Frieden sorgen können. Das ist unser Auftrag für die Zukunft. Das ist die Brücke, die wir in die Welt schlagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dabei stellen wir durchaus Irritierendes fest, wenn wir uns anschauen, wie die Klimasituation weltweit und in Deutschland im Besonderen aussieht. Es gibt durchaus positive Anzeichen. Weltweit stagniert der CO2-Ausstoß seit 2014 – eine Entwicklung, die eigentlich für sehr viel später prognostiziert wurde. 2016 betrug der weltweite Anstieg nur noch 0,2 %. Das ist die große Chance. Wenn es gelingt, über einen längeren Zeitraum eine Steigerung zu vermeiden, kann es eine Zukunft geben, in der der CO2-Ausstoß verringert wird. Das ist die große Aussicht.

Weltweit – und das ist ein weiteres positives Zeichen – ziehen die Staaten ihre Investitionen aus fossilen Energieträgern ab und leiten sie in den Ausbau der erneuerbaren Energien um. In den Jahren 2014 und 2015 waren zum ersten Mal Neuinvestitionen in erneuerbare Energien weltweit höher als in alle anderen Energieträger. Diese Zahl macht in der Tat große Hoffnung für die Zukunft. Gut 60 % der Neuinvestitionen in Energiesysteme findet in erneuerbare Energien statt, schon jetzt weltweit. Das ist ein Erfolg, den wir nicht für möglich gehalten haben, aber der derzeit stattfindet – ein gutes Hoffnungszeichen für die Zukunft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine Zahl aus China: China will zwischen 2016 und 2020 343 Milliarden € in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken, vor allem in den Wind. Derzeit werden mehr als die Hälfte der weltweiten Investitionen in Windenergie in China getätigt.

Dabei fällt allerdings auf, dass die Zahlen in Deutschland leider keinen Grund geben, dieser positiven Entwicklung auch einen eigenen positiven Trend an die Seite zu stellen. In Nordrhein-Westfalen werden wir – ich bin froh, das unterstreichen zu können – unser eigenes Klimaschutzziel 2020 wahrscheinlich gut erreichen. Wir sind jetzt gegenüber 1990 bei minus 22,4 %. Das ist ein Erfolg für unsere gemeinsamen Anstrengungen und zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg.

In Deutschland allerdings wird es kaum gelingen – jedenfalls sagen das die Zahlen –, die Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 % zu senken. Das ist leider kein Wunder, weil es viele Konzepte gibt, die in Deutschland nicht umgesetzt werden oder wo wir hintendran sind.

Die Zahlen belegen eindeutig: Gerade der Verkehrsbereich hinkt hinterher. Hier muss man der Bundesregierung, den Bundesverkehrsministern ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Der Verkehrsbereich hat seinen Jahren seinen Beitrag zum CO2-Ausstoß nicht geliefert. Hier haben wir die Zeit verschlafen. Statt über die „Murksmaut“ zu reden, hätten wir lieber über die Senkung des CO2-Ausstoßes in der Motorentechnik reden und die Automobilkonzerne insbesondere in diese Richtung treiben müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wichtige weitere Rahmenbedingungen fehlen, so beispielsweise eine nationale Verständigung auf ein gemeinsames Konzept, wann bei der Braun- und Steinkohleverstromung was ausläuft und wann Neuinvestitionen getätigt werden können; denn wir brauchen Investitionen in neue Systeme.

Es fehlt an breiter Investitionssicherheit und auch an Rahmenbedingungen für eine umfassende Gebäudesanierung, so wie wir es im Modellprojekt „InnovationCity Ruhr“ in Bottrop mit Sanierungsquoten, die bei fast 5 % liegen, angegangen sind. So etwas brauchen wir in einer nationalen Kraftanstrengung. Hier fehlen die bundesweiten Rahmenbedingungen, hier müssen wir nacharbeiten.

Weltweit allerdings nimmt der Zug in Richtung Dekarbonisierung weiter Fahrt auf. Für uns gilt es, den Anschluss nicht zu verlieren. Ambitionierte Aktivitäten sind auf der Bundesebene allerdings nur begrenzt zu beobachten. Deshalb geht es darum, Impulse zu setzen, im Übrigen auch aus Nordrhein-Westfalen. Nur wenn wir an der Basis erfolgreich sind – in den Regionen, Kommunen, Unternehmen, Städten –, können wir so etwas wie Klimaschutz von unten erfolgreich nach vorne bringen.

Das ist auch das Erfolgsrezept, wenn es darum geht, eine Antwort auf die Frage zu geben: Was passiert mit dem weltweiten Klimaschutz nach Trump? Schon Paris hat gezeigt: Es ist nicht nur der Nationalstaat, es sind nicht nur die Staatenlenker, die Druck gemacht haben, um Paris zum Erfolg zu führen, sondern es sind vor allem die Regionen, die sich in neuen Netzwerken zusammenschließen.

Nordrhein-Westfalen ist da mit anderen Bundesländern beteiligt. Wir haben immerhin einen Zusammenschluss von Städten und Regionen aus allen Teilen der Erde hinbekommen, mit unseren Partnerregionen in Amerika – mit Minnesota, mit Kalifornien und mit anderen Bundesstaaten –, mit Partnerregionen in China, in Australien, in Südafrika. Diese Koalition, die immerhin ein Drittel des weltweiten Bruttosozialproduktes vereinigt, sagt klar: Wir wollen das Ziel „unter 2 Grad“ dringend erreichen. – Das können wir, wenn wir die Aktivitäten in unseren Regionen gemeinsam in die Waagschale werfen. Auf dieses Bündnis setzen wir, auch bei der Weltklimakonferenz 2017 in Nordrhein-Westfalen, in Bonn. Diese Kraft in einen weltweiten Klimaschutz einzubringen, das ist unsere Aufgabe, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Hier können wir zeigen, was regionale Anstrengungen bedeuten: mit unserem Klimaschutzgesetz, mit unserem KlimaschutzStartProgramm, mit unseren Investitionen in die Bereiche Umweltwirtschaft und Klimaschutz. 800 Millionen € werden hier in den nächsten Jahren investiert. Gerade die Umweltwirtschaft hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Bis 2025 wollen wir hier noch einmal 100.000 Arbeitsplätze in die Waagschale legen.

Das ins Schaufenster zu stellen, ist unsere Aufgabe. Deshalb ist es eine gute Entscheidung gewesen, mit der KlimaExpo.NRW das Schaufenster des Klimaschutzes in Nordrhein-Westfalen auch der Welt zu zeigen. Das bietet die Chance, gerade das in diesem Jahr mit besonderem Nachdruck zu tun.

Die einzigartige Verknüpfung von Nah- und Fernwärme beispielsweise verdeutlicht, wie es uns gelingen kann, einerseits energieeffizient und klimaschonend zu arbeiten, andererseits die einzigartige Verbindung von Wärme- und Stromproduktion in ein erneuerbares Energiezeitalter zu führen.

„InnovationCity Ruhr“ und das Roll-out zeigen, wie es gelingen kann, in Quartieren Klimaschutz, Energieeffizienz, erneuerbare Wärme und nachhaltige Mobilität quasi sektorenübergreifend zusammenzubringen.

Unsere Forschungseinrichtungen können dazu beitragen, Batterieforschung und Speichertechnologien in die Zukunft zu tragen.

Die Frage ist: Wo ist da die Brücke in die Zukunft? Ich bin davon überzeugt: Das ist die zentrale Aufgabe, die vor uns liegt.

2050 werden gut 70 % der Menschen in Megastädten leben, in großen Agglomerationen. Wir wissen heute, wie Erneuerbare-Energien-Systeme implementiert werden. Wir wissen heute, wie Verkehrssysteme laufen müssten. Wir wissen, dass wir die Wasserversorgung neu organisieren müssen, damit solche Städte funktionieren. Wir wissen auch, dass wir zukünftig eine gerechtere Ernährung sicherstellen müssen, damit solch große Städte gelingen.

Klar ist auch: 80 % der Energie werden 2050 in diesen großen Städten verbraucht. Wir wissen aber viel zu wenig darüber, wie wir die einzelnen Systeme so miteinander verbinden können, dass sie in den großen Städten funktionieren.

Insofern ist es ein Glück, in diesem Jahr mit Essen die „Grüne Hauptstadt Europas“ in Nordrhein-Westfalen zu haben. Denn so können wir zeigen, wie es gelingen kann, in ehemaligen industriell überformten Städten Konzepte der Zukunft so zu implementieren, dass damit eine grüne, eine nachhaltige Zukunft geschaffen werden kann.

Von Essen, der „Grünen Hauptstadt Europas“, nach Bonn zu kommen, in die Welthauptstadt des Klimas, das ist die gestalterische Aufgabe für dieses Jahr. Darauf müssen wir unser Land vorbereiten, um genau das in die Konferenz einzubringen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn damit sind auch Wettbewerbsvorteile in der Zukunft für uns verbunden. Unsere Konzepte, unsere Techniken und unsere Möglichkeiten auch im weltweiten Wettbewerb sichern hier Arbeitsplätze und schaffen Standortperspektiven für die Zukunft.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, globale Netzwerke von Städten, Gemeinden, Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern sind unsere Antwort, und in diesen Netzwerken sind wir zurzeit tätig. In der Climate Group, in der Under2 Coalition sind wir weltweit vernetzt und auch mit unseren Partnerregionen in Polen und in Frankreich an der Stelle unterwegs.

Deshalb lautet der Aufruf an alle, dazu beizutragen, zu helfen, Städtepartnerschaften gerade mit dem Thema des weltweiten Klimaschutzes, des Austausches der Verbindungen und der Netzwerke neu zu beleben. Das muss und kann unsere Antwort für die Zukunft sein.

Einen letzten Punkt, der für unseren Industriestandort von entscheidender Bedeutung ist, möchte ich allerdings auch noch in die Debatte einführen. Wir stehen mit energieintensiven Produktionen im weltweiten Wettbewerb. Zuletzt haben wir das intensiv beim Stahl diskutiert. Deshalb ist es so wichtig, weltweite Klimaanstrengungen auch an diesem Punkt so zu verknüpfen, dass ein fairer Wettbewerb stattfinden kann.

Bei der Gestaltung des europäischen Emissionshandels bringen wir uns entsprechend ein, aber wir müssen vorwärts in Richtung 2030 und 2035 denken. Es geht darum, die jetzt weltweit entstehenden Emissionshandelssysteme miteinander zu verbinden. In China beispielsweise wird ein solches System derzeit auf den Weg gebracht. In den USA wird in der Kooperation zwischen Kalifornien, Ontario und Mexiko ein solches staatenverbindendes System implementiert.

Unsere Aufgabe muss es sein, in diese Verhandlungen auch den Anspruch einzubringen, die Emissionshandelssysteme miteinander zu verknüpfen, um somit weltweit gleichen und fairen Wettbewerb herzustellen. Denn in der Tat macht es keinen Sinn, dass energieintensive Produktionen wie die in der Stahl- oder Aluminiumindustrie, in der Chemie‑, Papier- oder Zementindustrie hier abwandern, so Wertschöpfungsketten bei uns unterbrochen werden und an anderer Stelle weniger umweltentlastend entstehen.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP)

Das können und dürfen wir nicht wollen. Deshalb haben wir ein originäres Interesse daran, die Emissionshandelssysteme miteinander zu verbinden. Lassen Sie uns die Weltklimakonferenz für genau diese Frage nutzen, um gerade in diese Richtung zu starten.

Ich sehe nicht nur große Chancen für unser Land, die wir nicht vertun sollten, sondern auch große Chancen für unsere Techniken und Wissenschaften. Das ist die Botschaft der Weltklimakonferenz an uns, aber auch an die Menschen in anderen Teilen der Welt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel, für die Unterrichtung durch die Landesregierung. – Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Hovenjürgen jetzt das Wort.

(Karlheinz Busen [FDP]: Jetzt sag ihm mal die Wahrheit!)

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir vorweg eine Bemerkung: Man ist schon ein bisschen erstaunt, dass der nordrhein-westfälisch Umweltminister Anfang April einen Bericht über eine Konferenz abgibt, die erst im November stattfinden soll.

(Heiterkeit von der CDU und der FDP)

Die COP 23 findet zwar in Bonn und damit in Nordrhein-Westfalen statt, aber sie wird maßgeblich vom Bundesumweltministerium vorbereitet. Deshalb und auch angesichts des großen zeitlichen Vorlaufs beschleicht mich das Gefühl: Die Grünen und insbesondere ihr Umweltminister haben berechtigte Angst, dass sie im Herbst nicht mehr Teil der Landesregierung sind und dann nicht mehr an so prominenter Stelle, zu einer solchen Zeit berichten dürfen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber zur Sache:

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Jetzt aber!)

Herr Minister, wir stimmen überein, dass das Weltklima gemeinsamer Anstrengungen bedarf, um es sozusagen ins Lot zu bringen und das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Da sind wir mit Sicherheit beieinander. Es geht schließlich um das Weltklima.

Wenn Sie eingesehen hätten und wenn in Ihrer Politik deutlich geworden wäre, dass es kein NRW-Klima gibt, sondern ein Weltklima,

(Michael Hübner [SPD]: Aha!)

dass das, was Sie auf den Weg gebracht haben, an der einen oder anderen Stelle sogar kontraproduktiv war, dann würde ich Ihnen meinen Respekt zollen. Ganz so verstanden habe ich Sie allerdings nicht.

Die COP 23 in Bonn wird eine Arbeitskonferenz sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Regierungen und Vertragsstaaten werden weitere Details zur Anwendung des Pariser Abkommens von 2015 ausarbeiten, damit das sogenannte Regelbuch beim nächsten Klimagipfel in Polen Ende 2018 verabschiedet werden kann. Diese Arbeit unterstützen wir ausdrücklich.

Die CDU steht sowohl im Bund als auch im Land zum Klimaschutz. Wir bedauern natürlich die Haltung von Präsident Trump, der die Schraube beim Klimaschutz zurückdrehen will. Zur Erinnerung: Bundeskanzlerin Merkel hat das Pariser Klimaabkommen maßgeblich mitverhandelt und trägt einen großen Anteil daran, dass es am Ende erfolgreich zustande gekommen ist.

Deutschland hat das Abkommen mittlerweile ratifiziert, die dort vereinbarten Ziele gelten für uns damit verbindlich. Daran rüttelt niemand.

Deutschland hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 % zu reduzieren. Die CDU bekennt sich ausdrücklich zum Zwei-Grad-Ziel,

(Michael Hübner [SPD]: So, so!)

aber wir wollen keinen ideologisch verblendeten Klimaschutz, wie Rot-Grün ihn in Teilen in NRW betrieben hat und betreibt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn die rot-grüne Klimapolitik schadet dem Klima mehr, als sie ihm hilft. Symbolisch hierfür sind der NRW-Klimaschutz, das NRW-Klimaschutzgesetz und der NRW-Klimaschutzplan. Beide tragen zum dringend notwendigen Klimaschutz nichts bei, ganz im Gegenteil, sie schaden sogar.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Denn Sie verkennen eine entscheidende Tatsache. Der Klimawandel hat – wie ich vorhin schon ausführte – eine globale Dimension. Daher muss er auf allen Ebenen bekämpft werden. Das hat auch die damalige Expertenanhörung zum Klimaschutz gezeigt. Die Wirksamkeit der dort vorgesehenen Maßnahmen sind bezogen auf die globalen Klimaherausforderungen mehr als fraglich. Deshalb setzen wir auf eine europäische bzw. auf eine weltweit abstimmte Klimapolitik.

Leider ist die von Rot-Grün betriebene isolierte Klimaschutzpolitik auf Landesebene mit Blick auf den europäischen Emissionshandel und die EU-Klimaschutzziele völlig unwirksam, ja zum Teil regelrecht kontraproduktiv. Sie führt in erster Linie zu unverhältnismäßig finanziellen wie bürokratischen Mehrbelastungen für die heimischen Haushalte und Unternehmen.

Herr Remmel hat immer noch nicht verstanden, dass der Klimaschutz eine globale Aufgabe ist, die nicht allein regional zu lösen ist. Dabei sind die Zahlen eindeutig: 2016 war China mit 28,21 % der größte CO2-Emittent, gefolgt von der USA mit 15,99 %, Indien mit 6,24 % und Russland mit 4,53 %. Dort muss Klimaschutz ansetzen. Sich mit wirtschaftsfreundlichen Maßnahmen in der Hinsicht im kleinen NRW zu befassen, wird dem nicht gerecht. Denn diese schwächen den Industriestandort NRW deutlich.

Das will ich Ihnen an zwei Beispielen erläutern.

Erstes Beispiel, die Stahlindustrie. Wie in vielen anderen Industriebereichen auch produzieren deutsche Unternehmen sauberer als fast alle anderen Länder weltweit. Seit 1970 sind die CO2-Emissionen von 2,4 t auf 1,3 t CO2 pro Tonne Rohstahl – das sind 54 % – gesunken. Die Herstellungsverfahren sind technologisch bereits so weit ausgereizt, dass für neue Techniken keine nennenswerten Emissionsreduktionen mehr zu erwarten sind.

Durch die nationalen bzw. hier in NRW fatalerweise sogar regionalen Alleingänge in der Klimapolitik finden keinerlei neue Investitionen in den Klimaschutz statt. Stattdessen werden Produktionsverlagerungen nach China, Indien und Russland ausgelöst. Sie haben das selbst ausgeführt, Herr Minister. Die dortigen Anlagen produzieren jedoch mit weitaus größeren Emissionen. So fallen in China pro Tonne Rohstahl 38 % mehr CO2-Emissionen an. Dabei ist die Rechnung des CO2 für die Logistik – Stahl, der nicht hier in NRW produziert wird, muss von weither, im Zweifel eben auch aus China, Russland oder Indien, importiert werden – noch gar nicht eingepreist. Produktionsanlagenverlagerungen aus NRW ins Ausland schaden also dem Klima. Hinzu kommt natürlich der Verlust der wichtigen Arbeitsplätze.

Zur Erinnerung: Mehr als jeder zweite Arbeitsplatz der deutschen Stahlindustrie befindet sich in Nordrhein-Westfalen. Die Stahlindustrie hat damit eine enorme Bedeutung für die Beschäftigung in unserem Land. Zudem geraten Arbeitsplätze der vielen Zulieferer und Abnehmerindustrien ebenfalls unter Druck, wenn die Stahlproduktion aus NRW abwandert, und das vor dem Hintergrund, dass wir in NRW bundesweit ohnehin den geringsten Rückgang der Arbeitslosenzahlen haben.

Seit Beginn Ihrer Regierungszeit gingen die Arbeitslosenzahlen im Bundesdurchschnitt dreimal so schnell zurück wie in NRW. Lägen wir im Durchschnitt der Bundesländer, hätten wir also aktuell knapp 90.000 Arbeitslose weniger, meine Damen und Herren. Das wäre einmal eine Leistung, über die es sich zu jubeln lohnen würde. Zusammengefasst: Wer die Axt hier in NRW bei der Stahlindustrie anlegt, der schadet den Menschen und dem Klima mehr, als er hilft.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

– Herr Hübner, Sie können heute noch viel lernen. Hören Sie zu!

(Beifall von der CDU – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Zweites Beispiel. Was beim CO2 für die Stahlindustrie gilt, gilt im Grunde auch für Chemie und Pharma. Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat zwischen 1990 und 2015 ihre Produktion um mehr als 60 % erhöht. Diese Entwicklungen gingen jedoch keinesfalls zulasten des Klimas. Der absolute Energieverbrauch sank in demselben Zeitraum um 19 %, der Treibhausgasausstoß, Herr Hübner, um rund 49 %. Darüber hinaus liefert die Chemie zahlreiche innovative Produkte und Lösungen, um den Treibhausgasausstoß in der eigenen Produktion sowie in anderen Sektoren zu reduzieren, gar ihn zu vermeiden. Darüber hinaus investieren sie in Grundlagenforschung, zum Beispiel in Speichertechnologien und in flexible Stromnetze.

Der Chemiestandort Nordrhein-Westfalen bildet mit einem Umsatz- und Beschäftigungsanteil von etwa einem Viertel am Bund das Rückgrat der chemischen Industrie Deutschlands. Das sind 100.000 Beschäftigte, meine Damen und Herren.

(Michael Hübner [SPD]: Aha!)

Die Chemie ist eine Querschnittsindustrie und hat damit wesentliche Bedeutung für eine industrielle Wertschöpfung und natürlich für ihre Wertschöpfungsketten. Die chemische Industrie ist mit anderen Industriebranchen eng verknüpft. Rund 70 % aller von der chemischen Industrie hergestellten Stoffe gehen in die industrielle Weiterverarbeitung. Auch hier gilt also: Wer mit falscher Klimapolitik den heimischen Standort schwächt, Arbeitsplätze und Wertschöpfungen stört, Produktionsverlagerungen ins Ausland provoziert, der schadet nicht nur dem Klima, sondern er gefährdet Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Damit komme ich zur Energieversorgung. Wir befinden uns mitten in der Energiewende. Der Grundkonsens hierfür ist sowohl in der Gesellschaft als auch in den Unternehmen vorhanden. Erst kürzlich hatten wir dazu ein Gespräch mit IHK-Vertretern. Nach deren Aussage geht es ihren Mitgliedern wesentlich um die Gestaltung der Energiewende, also wie Wertschöpfung erhalten und ausgebaut werden kann. Hierfür brauchen wir vor allen Dingen eine sichere und bezahlbare Energieversorgung.

Versorgungssicherheit gibt es aktuell nur mit konventionellen Energieträgern, das heißt, auch mit Braunkohle. Ja, das ist nicht die klimafreundlichste Energie. Das wissen wir, und wir verschließen davor nicht die Augen. Aber unsere Bürger, unsere Industrie, wir alle brauchen Versorgungssicherheit. Diese leisten die volatil erneuerbaren Energien leider noch nicht zuverlässig zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit. Man denke nur an die prekäre Versorgungslage im Januar, als es kalt, dunkel und windstill war, als alle – zum Glück– noch vorhandenen Notreserven inklusive von Braunkohle, Steinkohle und Gaskraftwerken aktiviert werden mussten und dennoch die Stromversorgung Spitz auf Knopf stand. Da haben wir die konventionellen Energieversorger mehr als dringend gebraucht, meine Damen und Herren.

Wir haben uns als Politik und als Gesellschaft nach dem GAU in Fukushima für den Ausstieg aus der Kernenergie und die Energiewende entschieden. Dazu stehen wir. Wir wollen und werden in den kommenden Jahren die noch laufenden deutschen Kernkraftwerke abschalten. Deshalb brauchen wir für unsere Versorgungssicherheit, die als Industriegesellschaft in unserem ureigensten Interesse ist und sein muss, für eine gewisse Zeit weiter die kommerziellen Energieerzeuger, also auch die Kohleverstromung. Schließlich wollen wir nicht von Gaslieferungen aus Putins Russland abhängig sein. Und wir haben Braunkohle hier im Land.

Sie ist der einzige verfügbare heimische Energieträger, der ohne aktuelle Subventionierung auskommt – ein Faktor, der angesichts der für unser Land mehr als schädlichen Verschuldungspolitik dieser rot-grünen Landesregierung nicht unterschätzt werden darf. Außerdem sind unsere Braunkohlekraftwerke um ein Vielfaches sauberer und effizienter als die in anderen Weltregionen.

Daraus folgt für uns – die CDU NRW –, wir werden sowohl die Erneuerbaren als auch die konventionelle Energieversorgung mit Bedacht weiterentwickeln. Ausstiegsszenarien aus der konventionellen Energieversorgung, die sich allein an Jahreszahlen orientieren, lehnen wir ab. Der Umstieg auf erneuerbare Energien, der Strukturwandel des Kraftwerkparks muss mithilfe marktwirtschaftlicher Anreize umgesetzt werden.

Denn klar ist, durch einen überhasteten Ausstieg aus der konventionellen Energieerzeugung und nationale Alleingänge werden wir das Weltklima nicht retten, dafür aber die Grundlage für unseren Wohlstand riskieren. Wir stehen daher zum Energieträger Braunkohle, um eine sichere und bezahlbare Stromversorgung zu garantieren.

Auch Datteln 4 brauchen wir für die Versorgungssicherheit in der Übergangszeit der Energiewende, in der wir uns zurzeit befinden. Anfang des Jahres haben wir die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des hocheffizienten Kohlekraftwerks Datteln 4 durch die Bezirksregierung Münster ausdrücklich begrüßt.

Die rot-grüne Landesregierung dagegen hat jahrelang alles darangesetzt, dieses für nordrhein-westfälische Interessen wichtige Kraftwerksprojekt zu stoppen.

(Zuruf von der SPD)

Datteln 4 ist mittlerweile ein Synonym für rot-grüne Verhinderungspolitik geworden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dabei wird das Kraftwerk mit einer Nettoleistung von 1.050 MW und Fernwärme für über 100.000 Haushalte im Rahmen der Energiewende einen unverzichtbaren Beitrag für die stabile Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen leisten. Mit einem Gesamtwirkungsgrad von bis zu 60 % wird Datteln 4 darüber hinaus eines der effizientesten Kohlekraftwerke weltweit sein.

Dennoch versuchen die Grünen weiterhin, den Bau mit Auflagen, die kein Unternehmen der Welt erfüllen kann, zu verhindern. Umweltminister Remmel spielt seit Jahren mit dem BUND über Bande. Das zeigt auch die Ausweitung der Klagerechte. Hier zeigt sich, Ideologie steht über interessengerechter Sachpolitik.

Ich wiederhole daher noch einmal: Der Klimawandel hat eine globale Dimension. Deshalb setzen wir auf europäische und globale Klimapolitik, und deshalb sind wir gegen nationale Alleingänge bei den CO2- Minderungszielen.

Hierbei setzen wir auch auf den Emissionshandel. Der Emissionshandel funktioniert in Europa. All das, was wir darüber hinaus in Deutschland bzw. NRW einsparen, dürfen etwa Polen, Franzosen, Tschechen mehr ausstoßen. Dem Klima ist damit in keiner Weise geholfen. Deshalb wollen wir den Emissionshandel auf eine andere, möglichst alle Erdteile umfassende Betrachtung ausweiten.

Sie selbst haben das so ausgeführt, Herr Minister. Da sind wir an dieser Stelle sogar einer Meinung.

Denn nur dann helfen wir dem Klima wirklich, weil wir dann signifikante Emissionsminderungen auch in den Schwellenländern erreichen. Nur so schaffen wir im Übrigen auch gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle, ohne unsere heimische Industrie einseitig zu belasten.

Wir setzen uns auch für die Verwirklichung eines europäischen Energiemarktes ein. Beispielsweise kennzeichnen Widersprüche, Ungleichzeitigkeiten leider auch heute noch den europäischen Energiemarkt. Während weltweite und europäische Klimaschutzziele ausgegeben werden, verfolgen europäische Staaten nationale und regionale Klimaschutzziele, die nur selten aufeinander abgestimmt sind. Manche Staaten setzen auf eine völlige Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energien. Andere verfolgen auch langfristig die Idee eines Energiemixes oder halten gänzlich an atomaren oder fossilen Energieträgern fest.

Nur eine vertiefte europäische Integration in der Energiepolitik kann hier Abhilfe schaffen. Wir wollen die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Energie, eine europäische Koordination der nationalen Beiträge zum Klimaschutz, eine Verständigung auf einen miteinander abgestimmten Energiemix sowie die Angleichung von technischen und kommerziellen Handelsregeln.

Nicht nur beim Klimaschutzgesetz, auch beim Klimaschutzplan 2015 des Bundes hat die rot-grüne Landesregierung versagt. Frau Kraft hat nach Aussage von Frau Hendricks bereits sehr früh allen ursprünglichen Vorschlägen der Bundesumweltministerin – man höre und staune – zugestimmt.

Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Wirtschaftsverbänden ist es der CDU NRW gelungen, die voreilige und planlose Beschleunigung eines Kohleausstiegs zu verhindern.

Zudem konnten wir erreichen, dass die geplante Kommission sich nicht nur mit den Fragen des Klimaschutzes, sondern auch mit der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Industrien und den Folgen für die Arbeitsplätze befasst. Den betroffenen Unternehmen und Arbeitnehmern im Rheinischen Revier wollen wir damit wirtschaftliche Perspektiven eröffnen. Dieser Kampf für die Industriearbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen war mühsam, weil er ohne die Unterstützung der Landesregierung und der Ministerpräsidentin geführt werden musste.

(Beifall von der CDU)

Zum Abschluss möchte ich noch einen letzten Punkt aufgreifen, der ebenfalls symbolisch für die rot-grüne Verhinderungspolitik in diesem Land steht. 2016 gab es einen neuen traurigen Rekord in NRW. Nie zuvor waren die Staus länger als in diesem Jahr. Mit rund 388.000 km war die Summe aller Staus in Nordrhein-Westfalen 2016 länger als die Entfernung zwischen Erde und Mond. Damit hat die Staulänge in unserem Bundesland im wahrsten Sinne des Wortes astronomische Dimensionen angenommen.

2012 gab es 161.000 Staukilometer. Die Staukilometer in Nordrhein-Westfalen haben sich also deutlich mehr als verdoppelt und damit auch der im Stau generierte Ausstoß von Treibhausgasen. Laut Zahlen des LANUV hat der Verkehr in NRW 2014 einen Anteil von 11,4 % an der CO2-Emission des Landes. Hier könnte man doch mal ansetzen und die Emissionen durch Neu- und Ausbau des Straßennetzes reduzieren.

Stattdessen hat Rot-Grün den Planungs- und Bauhochlauf, den die CDU-geführte Vorgängerregierung bei dem Bundesfernstraßenbau in ihrer Amtszeit erzielt hatte, abrupt gestoppt und die Planungen massiv zurückgefahren.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

In der Folge konnten Bundesmittel im zweistelligen Millionenbereich nicht abgerufen werden. Sie flossen in andere Bundesländer, wie zum Beispiel nach Bayern.

(Michael Hübner [SPD]: Thema verfehlt!)

Es gibt noch heute keinen Masterplan, wie rund 14 Milliarden € vom Bund bis 2030 verbaut werden sollen. Das geht auch zulasten der vielen Pendler. Bundesweit steigen die Zahlen der Pendler. 2015 pendelten bundesweit 60 % aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde. Im Jahr 2000 waren es noch 53 %.

Herr Hübner, das ist übrigens ein Beleg dafür, dass man den Menschen auch vor Ort, da, wo sie wohnen, Arbeitsplätze generieren sollte, um Pendeln und Fahren zum Arbeitsplatz auf ein Minimum zu reduzieren. Arbeit vor Ort, wo Menschen leben, ist ein Maßstab, an dem Sie sich messen lassen müssen.

(Beifall von der CDU)

Herr Remmel, wenn Sie Treibhausgase senken wollen, dann schreiben Sie endlich Ihre verblendete Ideologie ab, und lassen Sie zu, dass in NRW wieder Straßen gebaut werden! Damit ist dem Klima und vielen Pendlern in NRW mehr geholfen als mit Ihrer falschen Klimapolitik und Berichten von einer Weltklimakonferenz, die erst in einem halben Jahr stattfinden wird. Sie, Herr Minister, haben die Zukunft dann hinter sich, glaube ich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.

Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt von der verkehrspolitischen Debatte, die wir gerade geführt haben und die ich von ihren Ableitungen her etwas skurril fand, Herr Hovenjürgen, wie ich sagen muss, wieder auf das Thema kommen, über das wir hier sprechen. Es geht um die Weltklimakonferenz, die in Nordrhein-Westfalen stattfindet.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte meine Rede im Gegensatz zu Herrn Hovenjürgen natürlich nicht nur an Herrn Hübner richten, sondern an alle hier im Plenum, wobei natürlich auch Herr Hübner angesprochen ist. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass Sie persönlich da etwas abzuarbeiten hatten.

(Heiterkeit und Beifall von Michael Hübner [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im November, wir haben jetzt schon mehrfach gehört, wird die Weltklimakonferenz COP 23 in Bonn und damit in unserem schönen Bundesland Nordrhein-Westfalen stattfinden. Erlauben Sie mir, an dieser Stelle zu sagen: in unserem schönen, starken und innovativen Nordrhein-Westfalen, auf das wir alle stolz sein können und stolz sein sollten.

Es ist gut, dass die Welt in Bonn zu diesem Thema Station macht; denn wir geben mit unserer Klimaschutzpolitik ein Best-Practice-Beispiel und stehen für erfolgreiche Klimaschutzpolitik in einem starken Industrieland.

Vom 6. bis zum 17. November wird die Welt im World Conference Center unter der Präsidentschaft der Fidschi Inseln den Blick auch auf unsere Region werfen. Das wurde gerade angesprochen. Das ist ein wichtiges Signal für uns als Nordrhein-Westfalen und für uns in Deutschland; denn gerade in den letzten Wochen und Monaten ist uns leider vor Augen geführt worden, dass es im Kampf gegen den Klimawandel immer wieder Rückschläge gibt. Wenn wir etwa nach Amerika schauen – genauer: in die USA –, so müssen wir erkennen, dass die meist ohnehin nur begrenzten Anstrengungen der Vergangenheit unter dem neuen Präsidenten Donald Trump nun konterkariert werden. Er will mit seiner primitiven Kohlepolitik von gestern zurück in die Zukunft. Aber sein Energiepopulismus wird nicht funktionieren; denn – ich zitiere –:

„… warum sollten die Manager der Stromkonzerne, die sich seit Jahren darauf einstellen, schmutzige Kraftwerke durch weniger schädliche zu ersetzen, jetzt ihre Strategie ändern?“

So ein Zitat aus dem „Tagesspiegel“ vom 28. März. Eine solche – im Übrigen auch wirtschaftlich gefährliche – Rückwärtsgewandtheit im 21. Jahrhundert zu erleben, hätte vermutlich vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten.

Es ist so. Es gibt immer noch zu viele Menschen – auch hier im Hause, so habe ich manchmal den Eindruck –, die den Klimawandel in seinen Auswirkungen und in seinen Möglichkeiten leugnen oder zumindest ignorieren. Dabei wird häufig erkannt, dass es beim Klimaschutz um Fortschritt für die Welt, aber auch und gerade um Fortschritt hier bei uns geht. Wir haben gerade wieder ein Lehrbeispiel von dem Kollegen Hovenjürgen zu hören bekommen. Den Klimaschutz als Belastung zu sehen, zeigt, dass man die Situation überhaupt nicht verstanden hat oder aus ideologischen Gründen nicht verstehen will.

(Beifall von der SPD)

Die Klimafolgen kommen auch bei uns an. Wir erleben veränderte Vegetationsphasen und zunehmende Unwetter wie Starkregenereignisse. Ich erinnere nur an letztes Jahr, als im Frühsommer solch starke Niederschläge auch in meinem Wahlkreis – das ist der Kreis Wesel, genauer gesagt Hamminkeln – Felder und Keller flutete und fast einen Deich zum Bersten brachten. In anderen Teilen Deutschlands war es noch verheerender. Sie erinnern sich bestimmt noch an die Fernsehbilder aus Braunsbach in Süddeutschland, wo das Wasser sintflutartig durch den Ort floss.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es eben nicht nur um Eisbären, denen wir die Lebensgrundlage entziehen. Es geht auch nicht nur um die Malediven oder die Fidschi Inseln, die vom Untergang durch den steigenden Meeresspiegel bedroht sind, was jedes für sich genommen schon schlimm genug ist. Nein, es geht eben auch um uns hier zu Hause, um unsere Region, um das, was vor unserer eigenen Haustür geschieht. Da kann man nicht wegschauen. Das darf man nicht. Man muss sich auch an die eigene Nase fassen und sich fragen, welchen Beitrag man selbst leisten kann, um dem Problem zu begegnen.

Herr Hovenjürgen, Sie haben gesagt, Klimawandel – das war ein richtiger Satz; Sie haben nur nicht die richtigen Schlussfolgerungen daraus gezogen – muss auf allen Ebenen bekämpft werden. – Ja, genau. Er muss eben auch auf der landespolitischen Ebene bekämpft werden. Sie kennen alle diesen Spruch: Man muss global denken und lokal handeln. – Das machen wir hier in Nordrhein-Westfalen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir in Nordrhein-Westfalen sind beim Thema „Klimaschutz“ auf der Höhe der Zeit. Wir haben als erste ein Klimaschutzgesetz gemacht und dabei klare Ziele benannt. Das Klimaschutzgesetz legt zu den Treibhausgasen fest, dass bis 2020 mindestens 25 % und bis 2040 mindestens 80 % CO2 gegenüber 1990 eingespart werden sollen. Nordrhein-Westfalen hat sich damit eigene Ziele gesetzt, die die besondere Situation des Industrielandes Nordrhein-Westfalen berücksichtigen. Dazu haben wir das Ziel, bis 2020 einen Anteil von 15 % Windenergie bei der Stromerzeugung zu erreichen und bis 2025 mehr als 30 % des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.

Klimaschutz ist eben auch Fortschrittsmotor. Damit stärken wir unsere Wirtschaft. Ja, wir wollen und wir werden damit auch Industrie- und Energieland Nummer eins in Deutschland bleiben.

Bedauerlich ist, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die Chancen durch den Klimaschutz völlig verkennen. Sie wollen den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen sogar zurückdrehen; denn in Ihrem Programm zur Landtagswahl haben Sie ausgeführt, dass Sie das Klimaschutzgesetz und den Klimaschutzplan abschaffen wollen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Auch das ist ein kläglicher Versuch, mit rückwärtsgewandter Politik Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Das wird so niemals gelingen. Gerade der Klimaschutzplan beinhaltet viele Vorschläge, die gemeinsam mit verschiedensten Gruppen und auch der Wirtschaft erarbeitet wurden. Da wurde ein sehr breiter Dialog mit insgesamt 2.000 Vertreterinnen und Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger geführt, die alle an der Erarbeitung der Grundlagen für den Klimaschutzplan mitgewirkt haben.

Herr Hovenjürgen, auch zahlreiche Beispiele aus der Industrie zeigen, dass die Industrie und die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen klimatechnisch schon sehr gut aufgestellt sind. Im Anschluss an diesen Prozess hatten die Wirtschafts- und Umweltverbände, Kirchen und Gewerkschaften sowie andere relevante gesellschaftliche Gruppen auch die Gelegenheit, zum Entwurf des Plans Stellung zu nehmen. Sie sehen, Beteiligung haben wir in diesem Entwicklungsprozess sehr groß geschrieben.

Ihre Ablehnung dieses Prozesses bedeutet letztendlich auch, dass Sie die Vorschläge der Wirtschaft, die sich eingebracht hat, ablehnen. Ich finde das sehr bemerkenswert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine verantwortliche Politik, die Umwelt und Klima schützt, die wirtschaftlichen Potenziale und gute, innovative Arbeitsplätze fördert. Davon verstehen wir hier in Nordrhein-Westfalen etwas, davon versteht die SPD auch etwas. Mit der Marke „Klimaschutz in NRW“ setzen wir als Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen das fort, was Willy Brandt seinerzeit mit dem blauen Himmel über der Ruhr begonnen hat.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Mindestens!)

Klimaschutz hat eine lange Tradition in unserem Industrieland Nordrhein-Westfalen. Er ist Bestandteil einer Gesamtstrategie, die sich an wirtschaftlicher Stärke, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Vernunft orientiert. Diesen beschrittenen Weg werden wir fortsetzen.

Gerade die Klimakonferenz im Herbst ist eine gute Möglichkeit für unser großartiges Bundesland, sich entsprechend zu präsentieren. Dort können wir auch unsere Erfolge herausstellen. Wir können den zu erwartenden 20 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigen, was „Klimaschutz made in NRW“ bedeutet – und das vor dem Hintergrund, dass wir Industriestandort sind, dass wir Energieland sind, neue Wege gehen und somit unserer Verantwortung gerecht werden und auf diese Art und Weise hier in Nordrhein-Westfalen eine innovative Industriepolitik betreiben.

Diese Chancen wollen wir auch in den nächsten Jahren nutzen und unsere Arbeit für eine verantwortliche, nachhaltige Klimaschutz- und Industriepolitik in Nordrhein-Westfalen fortsetzen, denn das ist kein Gegensatz. Beides funktioniert schon längst in einer gut aufgestellten Umweltwirtschaft hier in Nordrhein-Westfalen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz nach der Einigung auf der Weltklimakonferenz in Paris hatten wir hier zu genau diesem Themenkomplex auch eine Debatte. Schon damals habe ich das Abkommen, die Einigung, die in Paris erzielt wurde, persönlich und auch für meine Fraktion begrüßt. Erstmals hat sich die Weltgemeinschaft völkerrechtlich verbindlich dazu bekannt, dass die Welt in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts treibhausgasneutral werden soll. Erstmals machen sich alle Länder dieser Welt gemeinsam auf den Weg, um die Auswirkungen menschlichen Handelns auf ein Minimum zu beschränken. Vor allem wollen und müssen wir dabei den ärmsten Ländern, den Ländern, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind – durch Schäden, durch Verluste – helfen, das zu bewältigen.

Das war und ist ein historischer Wendepunkt. Die Verpflichtungen, die Deutschland im Rahmen des Pariser Abkommens eingegangen ist, sind auch für uns Freie Demokraten verbindliche Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Klimaschutzpolitik.

(Beifall von der FDP)

In der damaligen Debatte haben sich zwar alle Fraktionen über diese Einigung gefreut, waren aber unsicher, wie schnell es wohl geht mit der Ratifizierung und ob am Ende wirklich alle Länder mitmachen. 141 Staaten haben dieses Abkommen mittlerweile ratifiziert, eben auch die USA und China, zwei der größten Emittenten – ein großer Erfolg.

Meine Vorredner haben es schon angesprochen: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Es war in den vergangenen Wochen immer wieder zu lesen, dass US-Präsident Trump einen Rückzug aus dem Abkommen erwägt. Das wäre sicherlich ein herber Rückschlag für die weltweiten Bemühungen im Bereich des Klimaschutzes. Ich bin gespannt: Ende Mai will Donald Trump wohl vor dem G7-Gipfel eine Entscheidung dazu mitteilen. Die erste Aktion von ihm, der Erlass zum Clean Power Plan in den USA, treibt mir aber eher Sorgenfalten auf die Stirn. – Erfreulich ist hingegen, dass der chinesische Präsident Xi bei der letzten UN-Versammlung in Genf die große Bedeutung des Klimaschutzabkommens herausstellte und zur erfolgreichen Implementierung entsprechender Maßnahmen aufrief. Wenn ich mir diese kleine Klammer erlauben darf: Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass die KP China und ihre Führer auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für Freihandel und in Genf für den Klimaschutz werben und sich damit von den USA abgrenzen?

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Pariser Abkommen stellt zweifelsohne einen Meilenstein in der Geschichte des Klimaschutzes dar, aber das Abkommen allein wird die Welt nicht verbessern können, weil eben noch konkrete Maßnahmen und Instrumente fehlen. Und da kommt die Klimakonferenz in Bonn ins Spiel. Dort gilt es, auch aufbauend auf den Ergebnissen von Marrakesch zu klären, wie die Reduktionsziele für Treibhausgase zu verwirklichen sind, und zwar konkret und verbindlich.

Bei aller Freude über das Pariser Abkommen müssen wir allerdings festhalten, dass noch viel zu tun ist, weil das Abkommen in seiner jetzigen Form in Teilen hinter dem Kyoto-Protokoll zurückbleibt, weil nämlich keine wirksamen Mechanismen zum Beispiel zur Kontrolle der Einhaltung der Klimaziele vorhanden sind. Einzelne Länder haben ja auch schon Ziele ausgegeben, die nach dem heutigen Stand der Technik schon lange erreicht worden sind – Russland gehört zum Beispiel dazu. Sicherlich kann man immer über die Höhe der Latte, die man sich selbst anlegt, sprechen, aber sie sollte nicht auf dem Boden liegen, das ist vollkommen klar.

Wichtig ist – das ist auch ein Ziel der Konferenz –, ein Level-Playing-Field zu schaffen, wie es dort auf Englisch heißt – also faire Rahmenbedingungen, wie wir eigentlich auf der ganzen Welt fair die Wettbewerbsfähigkeit vor Ort erhalten und gleichzeitig das Klima schützen können. Das ist für die europäische Wirtschaft eine besondere Herausforderung. Es ist auch für Deutschland eine besondere Herausforderung – übrigens eine, die über ein pures Eigeninteresse an Wertschöpfung und an Arbeitsplätzen hinausgeht. Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir denn von Schwellenländern und Entwicklungsländern erwarten, dass sie uns folgen, wenn sie hier von außen betrachtet schwere Umbrüche in der Wirtschaftsstruktur oder immense Kosten sehen? Das sind Dinge, die solche Länder abschrecken. Umso wichtiger ist es, dass wir klug und bedacht vorgehen, nicht überstürzt und ideologisch.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Im Fokus stehen faire Spielregeln. Dazu gehören zwingend die Erarbeitung von Sanktionsmechanismen und die Vollendung des Regelbuchs – Kollege Hovenjürgen hat es angesprochen. Dabei sollte Deutschland eine Führungsrolle einnehmen.

Um die Vereinbarung aber nicht komplett zu gefährden, um die Vereinbarung von konkreten, verbindlichen Maßnahmen überhaupt erreichen zu können, ist es aber auch von essenzieller Bedeutung, den bereits erzielten Konsens vom Abkommen von Paris nicht durch immer weiteres Hinaufschrauben von Zielen, nicht durch immer neue, noch ambitioniertere Ziele zu gefährden. Solche Forderungen haben aber genau dafür das Potenzial, gerade mit Blick auf die großen Emittenten in dieser Welt. Darum gilt es hier, vorsichtig voranzugehen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Gäste aus aller Welt werden in der Bundesstadt Bonn, werden in Nordrhein-Westfalen zu Gast sein. Da lohnt doch auch sicherlich einmal ein Blick auf die Bemühungen der Landesregierung im Bereich Klimapolitik: Herr Minister Remmel, Sie haben ja sehr gekämpft für den Klimaschutzplan in Nordrhein-Westfalen. 220 Maßnahmen sind da drin, Herr Kollege Meesters. Sie sind zu einem breiten Prozess entwickelt worden. Den technischen, den ideellen Durchbruch vermisst man allerdings darin.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Neue Dinge gibt es darin nicht; da sind Selbstverständlichkeiten und ohnehin vorhandene Projekte in einer neuen Form zusammengefasst worden – nicht mehr und nicht weniger. 220 Maßnahmen also! In der jüngsten Vorlage zum Thema war dann zu lesen: Knapp 10 % sind abgeschlossen, 35 % in der Umsetzung, 30 % in der Konkretisierungsphase, und das verbleibende Viertel konnte noch nicht angegangen werden. Man könnte also westfälisch sagen: gar nicht so schlecht!

Doch der Schein trügt. Im Klimafortschrittsbericht schreiben Sie ja selbst, dass der Klimaschutzplan NRW rein angebotsorientiert sei. Es gehe um Vernetzung, um Beratung, um ein bisschen Förderung, um ein perspektivisches Radar – das alles schreiben Sie da. Das verdeutlicht noch einmal das, was ich gerade gesagt habe: Welche neuen Impulse sind denn eigentlich vom Klimaschutzplan wirklich ausgegangen? Welche bahnbrechenden Neuerungen sind denn davon zu erwarten gewesen oder sind noch zu erwarten?

Nordrhein-Westfalen hat 2015 seine Treibhausgas-Emissionen um 2,7 % senken können. Darüber freuen wir uns. Das hat aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Klimaschutzplan dieser Landesregierung herzlich wenig zu tun.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es kommt noch etwas hinzu: Der Klimaschutzplan dieser Landesregierung sorgt eben gerade nicht für eine faire Balance, hat eben Wettbewerbsfähigkeit nicht ausreichend im Blick. Zwei Gründe will ich Ihnen dafür mitgeben.

Erstens. Ihre Forderung, Herr Minister Remmel – Sie haben sie eben wiederholt –, eines vorzeitigen Ausstiegs aus der Braunkohle würde alleine im rheinischen Revier gut 10 000 Arbeitsplätze vernichten, indirekte Effekte bei Zulieferern und Co. sind noch hinzuzuzählen. Das ist doch das Gegenteil von Planungssicherheit, das ist das Gegenteil von industriepolitischer Verantwortung!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Stromerzeugung aus fossilen Quellen brauchen wir auf absehbare Zeit noch für die Versorgungssicherheit, für eine wirtschaftliche Energieversorgung. Bei dieser Feststellung haben wir übrigens – ganz offensichtlich anders als Sie, Herr Minister Remmel – die Ministerpräsidentin auf unserer Seite. Im vergangenen Jahr hat Hannelore Kraft gegenüber dem „Handelsblatt“ noch gesagt, man könne – Zitat – „nicht heute beschließen, wann wir auf Kohlekraftwerke komplett verzichten können“. – Sehr, sehr richtig!

(Beifall von der FDP)

Zweitens. Herr Remmel, Sie haben das Ziel der Gebäudesanierungsrate angesprochen. Da sind wir uns beim Ziel absolut einig; hier schlummert ein großes, großes Potenzial. Das Problem ist: Reden und Handeln passen bei dieser Landesregierung nicht zusammen.

(Beifall von der FDP)

Denken wir einmal kurz zurück an die Entscheidung im Bundesrat im Dezember 2012. Es gab Vorschläge von der damaligen Bundesregierung, steuerliche Anreize ergänzend zu KfW-Förderprogrammen zur energetischen Gebäudesanierung zu setzen, damit wir zum Ziel einer zweiprozentigen Sanierungsquote kommen. Diese Landesregierung hat aus parteitaktischen Überlegungen zum damaligen Zeitpunkt eine Einigung verhindert und blockiert.

Vorher haben Sie hier, Herr Remmel, immer im Plenum gesagt, es sei alles an Bayern gescheitert. Später mussten Sie in einer Kleinen Anfrage – ich habe sie eben herausgesucht; die Antwort finden wir in Drucksache 16/11485 – zugeben, dass Nordrhein-Westfalen auch dagegen gestimmt hat. Heute fordern Sie die höhere Gebäudesanierung; 2012 haben Sie einen wichtigen Schritt in diese Richtung verhindert.

Der bundesweite Anstieg der Treibhausgas-Emissionen im vergangenen Jahr ist nämlich nicht auf die Kohleverstromung zurückzuführen. Sie ist insbesondere zurückzuführen auf eine kühle Witterung und eben auf eine zu geringe Gebäudesanierungsrate.

(Beifall von der FDP)

40 % der Endenergie, die in Deutschland verbraucht wird, landet in den Gebäuden.

Mit Blick auf die Bundesebene will ich ergänzend sagen: Es ist weiterhin auch falsch, mit der neuen Energieeinsparverordnung 2016 eine Konzentration auf Neubauten fortzusetzen. Dazu haben wir in den letzten Plenarwochen auch Debatten geführt. Die neueste Stufe der EnEV führt laut Bauexperten zu weiteren Baukostensteigerungen von 7 bis 8 % in einem Bereich, wo wir schon ein weltweit führendes Niveau erreicht haben.

Warum konzentrieren wir uns nicht viel, viel mehr auf die Sanierung im Bestand? Und wo, Herr Minister Remmel – Nordrhein-Westfalen hat dieser Energie-Einsparverordnung im Bundesrat zugestimmt –, waren denn in dem Zusammenhang eigentlich Ihre Initiativen konkret zu einer Konzentration, zu einem Fokus hin zu einer höheren Sanierungsrate?

(Beifall von der FDP)

Von der Wirtschaft, von den Verbrauchern, von allen Akteuren verlangt diese Landesregierung gerne viel, gerade im Bereich Klimaschutz. Da können die Anstrengungen gar nicht gut genug sein, die Daumenschrauben können gar nicht fest genug sein – entweder es ist unerreichbar, oder es ist absurd. Es gab ja tolle Vorschläge, die wir auch oft genug diskutiert haben, im Klimaschutzplan – denken Sie an solche Kampagnenideen wie den Verzicht auf einen Trockner zugunsten einer Leine.

Aber wo diese Landesregierung es selber in der Hand hat – und da komme ich wieder zurück zum Thema Gebäude –, da versagen Sie. So deutlich muss man das sagen. Ich spreche über das Thema der klimaneutralen Landesverwaltung: § 7 des Klimaschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen, das ja mit den Stimmen von Rot-Grün und Piraten beschlossen wurde – umso erstaunlicher, dass von deren Seite gar nicht nachgefragt wird –, besagt, dass das Land bis 2030 eine klimaneutrale Landesverwaltung sicherstellen muss. Das Gesetz schreibt im gleichen Paragrafen auch vor, dass das Konzept, wie diese klimaneutrale Landesverwaltung zu erreichen ist, als Teil des Klimaschutzplans vorzulegen ist. Dieser Plan hätte 2013 vorgelegt werden sollen. Vorgelegt wurde er 2015 – gesetzeswidrig.

Nun könnte man sagen: Na ja, zwei Jahre Verspätung, aber vielleicht befindet sich immerhin das Konzept zur klimaneutralen Landesverwaltung darin. Aber weit gefehlt! Abschnitt II.6 stellt auch nur fest, dass sich der BLB in der Zukunft darum kümmern solle. Bis Ende 2016 sollte es ein Konzept geben. Anfang 2017 stellen wir fest: Die Geschäftsstelle „Klimaneutrale Landesverwaltung“ im Hause des Umweltministers hat jetzt ihre Arbeit aufgenommen. Demnächst fangen die entsprechenden Arbeitsgruppen an. Passiert ist aber weiterhin nichts. Das ist ein Rechtsbruch mit Ansage.

(Beifall von der FDP – Minister Johannes Remmel: Dann müssen Sie aber vollständig berichten!)

– Herr Remmel, Sie haben eben über die eigene Verantwortung gesprochen – herzlich gern. Wir warten seit 2013 auf das fertige Konzept.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Das glaube ich, ha ha!)

Darüber hätten wir schon lange diskutieren können.

(Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

– Die Grünen haben so viel Energie, weil sie bei den Kollegen der SPD eben nicht klatschen konnten. Darum ruft ihr jetzt so viel dazwischen; das ist auch klar.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU] – Zuruf von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

– Herr Kollege Engstfeld, ich kann Ihnen sagen, was lächerlich ist. Sie haben für ein Gesetz gestimmt, das eine klare Regelung enthält, wann die Landesregierung was vorzulegen hat. Darauf warten wir seit Jahren. Da ist überhaupt nichts passiert. Wer macht sich denn hier eigentlich lächerlich? Wer begeht denn hier eigentlich Rechtsbruch? Das fällt doch alles auf Sie zurück.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, es gibt technisch gesehen viele Wege, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Wir meinen, dass Wirtschaft, Industrie und Forschung Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sind. Wir meinen auch, dass jede gesellschaftlich akzeptierte Technologie gleichermaßen hilfreich ist, die sich marktwirtschaftlich behaupten kann, die eine sichere Energieversorgung gewährleistet.

Wichtig ist aber, dass das technologieneutral passiert. Wichtig ist, dass Politik sich nicht anmaßt, über 20, 30 oder 40 Jahre im Voraus schon zu entscheiden, welche Technologien sich wie entwickeln werden und worauf wir in Zukunft zurückgreifen wollen. Das EEG ist eines der schlimmsten Beispiele, weil es zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr effektiv, nicht mehr zeitgemäß und nicht technologieoffen ist. Darum braucht es eine grundlegende Korrektur. Davon würde auch Nordrhein-Westfalen profitieren. Wir brauchen weniger bürokratische Hürden beim Direktverbrauch und bei der Direktvermarktung, um es marktbasierten Geschäftsmodellen bei der Stromerzeugung etwas einfacher zu machen.

Wir sollten mit Blick auf den Emissionshandel etwas größer denken. Diese Landesregierung hat in den letzten Jahren vor allem viel Zeit damit verbracht, zu behaupten, der europäische Emissionshandel sei gescheitert. Ich habe eben zu meiner großen Freude wahrgenommen, Herr Minister Remmel, dass Sie sehr wohl beobachten, welche Möglichkeiten es in naher Zukunft geben könnte, weltweit auf ein solches System zurückzugreifen – das ist wunderbar –: marktwirtschaftlich und technologieneutral. Das wäre dieses Level-Playing- Field, was in Bonn auch angestrebt wird. Das ist insofern auch für das Energieland Nummer eins besonders wichtig, weil Energie weiterhin eine ganz zentrale Rolle beim Klimaschutz spielen wird.

Meine Damen und Herren, das Abkommen von Paris – damit habe ich meine Rede begonnen – war und ist ein großer Erfolg. Die nächsten großen Herausforderungen stehen in Bonn im November vor der Tür, wenn es um die Konkretisierung der Maßnahmen und die entsprechende Kontrolle geht.

In der Welt dreht man mehrheitlich an großen Rädern. Nordrhein-Westfalen verheddert sich weiterhin viel zu viel im Klein-Klein

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

und wird der eigenen Verantwortung, wie am Beispiel „klimaneutrale Landesverwaltung“ ersichtlich ist, nicht im Ansatz gerecht. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Höne. – Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im November – das haben wir eben gehört – ist die Welt zu Gast in Nordrhein-Westfalen. Die Welt schaut dann auf Nordrhein-Westfalen und fragt: Was passiert in Sachen Klimaschutz? – Ich hoffe, wir können dann nicht nur auf unsere nordrhein-westfälischen Bemühungen bezogen sagen: Es passiert viel, und viele packen an, dass es auch wirklich gelingt.

(Die Rednerin hält ein Blatt mit zwei Fotos hoch.)

– Das hier sind Chinma George und A. G. Saño. Sie waren in der vergangenen Woche hier im Landtag. Sie sind so etwas wie Vorboten für die Klimakonferenz gewesen. Leider sind sie auch so etwas wie Vorboten für die Klimakatastrophe. Denn für Millionen von Menschen auf der Erde ist die Klimakatastrophe nicht düstere Zukunft, sondern schon heute bittere Realität.

Chinma George kommt aus Nigeria. Der Norden Nigerias ist mit der Region des Tschadsees schon heute vom Klimawandel sehr stark betroffen. Der Tschadsee war 1960 so groß wie Nordrhein-Westfalen, heute ist er noch so groß wie Berlin. Das Klima sorgt für immer weniger Niederschläge, eine Ausbreitung der Sahara und dafür, dass der See immer kleiner wird. 20 Millionen Menschen in der Region sind direkt oder indirekt von diesem See abhängig.

Ein Grund für das Erstarken der Terrororganisation Boko Haram ist das Verschwinden des Sees. Wer keine Perspektive hat, flüchtet sich in Extreme. 2,7 Millionen Menschen in der Tschadseeregion sind auf der Flucht vor Boko Haram. In Nigeria brauchen wir also nicht nur in die ferne Zukunft zu blicken; dort gibt es indirekt schon heute Klimaflüchtlinge, und es werden mehr erwartet. Denn die 14-Millionen-Megacity Lagos liegt eingekreist von Meer und Lagune. Der steigende Meeresspiegel hat hier also direkten Einfluss auf Millionen von Menschen.

A. G. Saño kommt von den Philippinen. Er hat den Taifun Haiyan erlebt. Dieser Taifun überstieg alles, was bis dahin bekannt war, alle bekannten Windgeschwindigkeiten. Er sorgte für Millionen von Obdachlosen und Zehntausende Tote. A. G. Saño überlebte den Taifun, verlor aber viele Freunde und Familienmitglieder. Seitdem es diesen Taifun gab, gibt es immer mehr und immer heftigere Taifune.

Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, hatte jede Fraktion die Chance, die beiden Klimaaktivisten zu treffen. Aber außer uns und den Piraten hatte niemand ein Interesse, den dringenden Appell der beiden zu hören, den sie an uns gerichtet haben: Wir brauchen euch im Parlament. Wenn ihr nicht für den Kohleausstieg kämpft – wer ist dann noch für uns da?

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ich das gern als Kompliment allein für uns Grüne werten würde, muss ich sagen: Dieser Appell richtete sich an uns alle. Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen gemeinsam den begonnenen Weg weitergehen. Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten und für die streiten, die unsere Unterstützung am nötigsten brauchen.

Auch Chinma George und A. G. Saño wissen, dass Nordrhein-Westfalen das Klima nicht alleine retten kann. Aber sie sind darauf angewiesen, dass Industrienationen, die die beiden ganz klar als Hauptverantwortliche ihrer eigenen Misere sehen, handeln und ihrer Verantwortung gerecht werden.

Wir sind nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern von Nordrhein-Westfalen verpflichtet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben auch als Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Verantwortung; denn wir gestalten mit unseren Gesetzen, mit unseren Anträgen und mit unseren Wünschen an die Regierung unsere Art zu leben, unsere Art zu wirtschaften, mit.

Wir müssen uns dabei im Klaren sein, dass Entscheidungen, die wir treffen, eben nicht nur die Wirtschaft und das Leben in Nordrhein-Westfalen beeinflussen. Sie beeinflussen auch Menschen, Länder, Tiere und Pflanzen in anderen Teilen der Welt. Es ist unsere Aufgabe, daran zu denken. Es ist unsere Aufgabe, nicht auf andere Länder zu zeigen, wie Herr Hovenjürgen, und zu warten, bis die anfangen. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur an uns, sondern auch andere zu denken.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ja, es gibt Länder, die mehr CO2 ausstoßen als wir, aber abgesehen von einem großen Land im Westen findet in vielen Ländern ein Umdenken statt, anders als Sie, lieber Herr Hovenjürgen und Herr Höne, das uns weismachen wollen.

Ich nehme nur einmal China als ein Beispiel. Die chinesische Regierung fährt gigantische Regierungsprogramme zum Umstieg auf erneuerbare Energien an. Die Ziele für Windenergie und Solar für das Jahr 2020 wurden in der Zwischenzeit verzehnfacht. China hat Anfang des Jahres Kohlekraftwerksplanungen für 30 Kohlekraftwerke zurückgenommen und weitere 300 Gigawatt in 600 Blöcken komplett auf Eis gelegt. Das nur einmal als Relation! Bei uns schreit die Opposition sofort die Deindustrialisierung aus, nur weil ein Kraftwerk eventuell vor Gericht scheitert.

Herr Höne, weil Sie eben gefragt haben, wie sollen uns andere Länder das nachmachen, das sei alles viel zu teuer, ziehe ich noch einmal das Beispiel Indien heran. Indien baut in den nächsten zehn Jahren 57 % des Energieverbrauchs aus nichtfossilen Quellen. Sie sagen ganz klar – ich habe ein Zitat eines Regierungsmitarbeiters –: Rechnet man die Kosten der Kraftwerke mit ein, ist Ökostrom in Indien inzwischen günstiger als konventioneller Strom. – Das ist das, was wir den Inderinnen und Indern und allen vormachen. So muss es eben auch gehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, in den USA ist leider gerade alles anders. Da kassiert der egomanische Präsident zentrale Bestimmungen zum Klimaschutz per Dekret. Da wird mit einem Klimaleugner als Chef der Umweltbehörde der Bock zum Gärtner gemacht. Während wir hier in Nordrhein-Westfalen Fracking einen Riegel vorschieben, wird in den USA ein Exxon-Chef Außenminister.

Einmal ganz abgesehen davon, dass es auch hier im Haus Kollegen gibt, für die – so hat sich das an einigen Stellen eben hier angehört – der Klimaschutz irgendwie Beiwerk ist, gibt es Menschen, die in dieses Parlament einziehen wollen, die in genau dieselbe Kerbe schlagen wie Trump – Menschen, die nicht anerkennen können, was 99 % aller Forscherinnen und Forscher sagen; die noch immer nicht anerkennen können, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, mit dem wir uns alle gefährden. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese Leute hier im Parlament nichts zu sagen bekommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Während wir im Landtag an dieser Stelle Ende 2015 den Klimaschutzplan Nordrhein-Westfalen verabschiedet haben, hat sich die Staatengemeinschaft in Paris darauf verständigt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter zwei Grad begrenzt werden soll, am besten sogar auf unter 1,5 Grad. Doch leider auch an dieser Stelle schlechte Nachrichten: Die bisher angemeldeten Reduktionsziele der Weltgemeinschaft werden dafür leider nicht ausreichen.

Im November will sich dann die Staatengemeinschaft hier in Deutschland, hier in Nordrhein-Westfalen, treffen. In Bonn wird darüber diskutiert werden, wie die Ziele von Paris erreicht werden sollen, welche Staaten vorangehen und welche noch Unterstützung benötigen.

Wir in Nordrhein-Westfalen hatten mit dem Klimaschutzgesetz und dem Klimaschutzplan gezeigt, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen. Deutschland hingegen wird sein Ziel einer 40-prozentigen Treibhausgasreduktion für 2020 krachend verfehlen, wenn es so weitergeht.

Zwei Sektoren sind ganz entscheidend dafür, ob wir in Deutschland unsere Klimaziele erreichen, nämlich die Energiewirtschaft und der Verkehrssektor. Denn während die Industrie seit Anfang der 1990er-Jahre ihre Emissionen um 27 % reduziert hat, haben Teile der Energiewirtschaft und der Verkehrssektor bisher noch nichts zur Treibhausgasreduktion beigetragen oder sie sogar erhöht.

Ja, sehr geehrte Damen und Herren, die Energiewende – ehrlich gesagt, eigentlich müsste ich „Stromwende“ sagen –, die wir in Deutschland schon erreicht haben, hat schon zu verringerten Emissionen beigetragen. Mit dem Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen, der Fotovoltaik, mit Biomasse und Wasserkraft haben wir begonnen, die Stromversorgung zu ändern.

Schauen wir aber einmal in einen anderen Bereich von Nordrhein-Westfalen, zu den Kohlekraftwerken im rheinischen Revier. Die haben seit 1990 mit keiner einzigen Tonne zur CO2-Reduktion beigetragen. Alle Berechnungen zeigen: Ohne einen Kohleausstieg erreicht Deutschland die selbstgesteckten Klimaschutzziele niemals.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann beobachte ich hier und heute bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine Irrationalität, die ich mir manchmal wirklich schwer vorstellen kann. Einige von Ihnen haben Angst vor Dingen, vor denen sie keine Angst haben müssten. Ich verstehe die Angst auch wirklich nicht.

(Henning Höne [FDP]: Angst haben wir nicht!)

Sie haben Angst – ja, auch Sie, Herr Höne – vor einer Veränderung. Sie haben Angst vor Innovation. Sie haben Angst davor, tatsächlich mit neuen Ideen Arbeitsplätze zu schaffen. Sie haben Angst davor, den Leuten durch frühes Handeln, durch frühe Entscheidungen, eine Perspektive zu geben. Sie schüren sogar Ängste und sagen, hier fallen mal eben von heute auf morgen Arbeitsplätze weg. Das ist wirklich nicht das, worum es hier geht, sondern hier geht es darum, den Menschen eine Perspektive aufzuzeigen und zu zeigen,

(Henning Höne [FDP]: Das steht in Ihren Programmen!)

dass man genau das verhindert, dass man eben nicht von heute auf morgen hier ein Problem hat, sondern dass man den Wandel gestalten kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, überwinden Sie ihre Angst, planen Sie jetzt, steigen Sie mit uns aus der Kohle aus! Dann, und nur dann, müssen die Leute vor Ort nämlich keine Angst um ihre Zukunft haben. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, brauchen wir Mut.

Ehrlich gesagt, Industrie, Wirtschaft und Handwerk haben teilweise viel mehr Mut als Sie und auch als Sie es sich überhaupt vorstellen können.

(Henning Höne [FDP]: Energetische Sanierung!)

Dort gibt es Konzepte für Klimaschutz. Dort gibt es Konzepte für die Arbeit mit erneuerbaren Energien.

(Zuruf von Hennig Höne [FDP])

Dort gibt es Konzepte zur Effizienzsteigerung und zum Energiesparen.

Auch noch an Sie ein Wort gerichtet, Herr Hovenjürgen: Ihre Ausführungen zur Stahlindustrie und Chemieindustrie haben gezeigt, dass Sie gerade nicht wissen, was vor Ort los ist. Die Stahl- und die Chemieindustrie arbeiten beim Thema „CO2-Nutzung“ zusammen, sodass eben die CO2-Emissionen, die bei der Stahlindustrie stattfinden, genutzt werden.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Genau das sind Projekte, die Mut machen, bei denen die Industrie vorangeht, aber Sie machen einfach nur Angst.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Hans-Willi Körfges [SPD]: Recht hat sie!)

Um die letzten Ängstlichen auf die richtige Bahn zu bringen, braucht es Lotsen, die sie nicht nur beschützen, sondern sie auch in die richtige Richtung drängen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Schade, nicht zugehört!)

Apropos Bahn: Wenn wir über Klimaschutz reden, müssen wir auch über Verkehr reden; denn der Verkehr ist der Bereich, in dem die Emissionen in den letzten Jahren angestiegen sind. Die Bundesregierung erscheint da machtlos, sorgte vor Jahren nur für eine Biokraftstoffquote, rief ein Ziel für Elektromobilität aus, schrieb einen Bundesverkehrswegeplan, der nur auf das Auto setzt, und lehnt sich dann wieder im Sessel zurück, dreht Däumchen und schaut den Betrügereien der Dieselindustrie tatenlos zu.

Stattdessen ist es doch längst höchste Zeit, endlich auch in Deutschland alternative Antriebe und moderne Verkehrskonzepte zu entwickeln. Seit Jahren erklären wir, dass die deutsche Autobranche auf alternative Antriebe setzen soll. Da kann man doch glatt den Eindruck bekommen, dass uns Grünen mehr an der Rettung der deutschen Automobilindustrie liegt als allen andern. Das hätte man sich doch nie vorstellen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Karlheinz Busen [FDP])

Und auch vonseiten der FDP ist Angst vor Veränderung spürbar.

(Karlheinz Busen [FDP]: „Angst vor Veränderung“ – das müssen mir die Grünen nicht erzählen!)

Das Einzige, was der aktuellen Bundesregierung und auch den Kolleginnen und Kollegen von der FDP zu den Herausforderungen der zukünftigen Mobilität einfällt, ist „freie Fahrt für freie Bürger“.

Herrn Hovenjürgen ist zum Thema „Klimaschutz und Verkehr“ nur das Problem „Stau“ eingefallen und dass man dies durch Bauen, Bauen, Bauen löst. Sie sind, ehrlich gesagt, ein trauriger Haufen angstgetriebener Bleifüße, der Angst um seine Privilegien hat. Das ist doch nicht mehr feierlich!

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Eine Verkehrswende bedeutet mehr, als den Verbrennungsmotor durch den Elektromotor zu ersetzen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Eine wirkliche Verkehrswende bedeutet eine neue Art der Mobilität.

(Karlheinz Busen [FDP]: Jawoll!)

Die Menschen wollen in den Städten Lebensqualität. Wir müssen das Radfahren, die Busse und die Bahnen attraktiver machen.

(Zuruf von der CDU: Womit sollen die Busse denn fahren?)

Wir brauchen mehr Investitionen in den Radverkehr. Der Radschnellweg im Ruhrgebiet ist hier ein erster guter Schritt. Wir brauchen Investitionen in die Schiene statt immer mehr und größere Straßen.

(Zuruf von Stefan Fricke [PIRATEN])

Wir brauchen mehr Güterverkehr auf Schiene und Wasser und einen Personenverkehr mit Bus, Bahn, Pedelec und Fahrrad.

(Karlheinz Busen [FDP]: Ja, dann macht das doch!)

Wir brauchen attraktive Angebote für Pendlerrinnen und Pendler und für Reisende.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Und auch deshalb setzen wir uns für ein Ticket ein, mit dem Menschen für 2 € pro Tag durch ganz NRW fahren können; denn dann lassen Menschen für eine Fahrt von Kleve nach Siegburg, von Aachen nach Düsseldorf, von Gütersloh nach Hamm und von Dortmund nach Siegen auch immer öfter ihr Auto stehen und nutzen Bus und Bahn.

(Zuruf von Stefan Fricke [PIRATEN])

Die Leute wollen auch im ländlichen Raum mit öffentlichen Verkehrsmitteln überall hinkommen, und die Leute wollen durch ihre Fortbewegung etwas fürs Klima tun. Das geht mit dem vernünftigen Ausbau mutiger neuer Verkehrskonzepte, aber nicht mit den Konzepten der 60er-, 70er- und 80er-Jahre. Das geht nur mit grünen Ideen für nachhaltige Verkehrspolitik.

(Beifall von den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Riesenbeifall!)

Sehr geehrte Damen und Herren, für all diese Veränderungen braucht es Mut – Mut, um Neues durchzusetzen, Mut, um gute Konzepte umzusetzen, Mut, um unsere Welt zukunftsgerecht zu gestalten. Wir haben diesen Mut, wir stellen uns dem Wandel. Und wir wollen frische Luft, Lebensqualität und eine abgasfreie Zukunft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brems. – Und nun spricht für die Piratenfraktion Herr Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer draußen im Stream! Frau Brems hat eben vor allem zur Verkehrswende eine ganze Menge Richtiges gesagt. Aber ich frage mich – die Grünen sind hier seit 2000 an drei Regierungen beteiligt gewesen – warum Sie nicht auch nur ein kleines bisschen davon umgesetzt haben?

(Beifall von den PIRATEN)

Ich verstehe es einfach nicht. Es ist halt Wahlkampf.

Ja, die Welt ist zu Gast in Nordrhein-Westfalen, zu Gast bei Freunden: Die Weltklimakonferenz COP 23 2017 findet im Herbst in Bonn statt – ein Großereignis, zu dem rund 20.000 Menschen aus aller Welt erwartet werden. Nachdem bei der letzten COP in Paris wider Erwarten Fortschritte zumindest bei der Wunsch- und Zielvorstellung erreicht wurden, gibt es in Bonn eine echte Arbeitskonferenz – Herr Hovenjürgen erwähnte das schon. Details zur Anwendung des Pariser Abkommens von 2015 müssen weiter ausformuliert werden. Dies gilt als Vorbereitung für die nächste COP ein Jahr später in Polen, bei der ein Regelbuch verabschiedet werden soll.

Politik und Zivilgesellschaft werden sich also in Bonn treffen und sich zu Klimaschutzinitiativen und -projekten austauschen. Und tatsächlich müssen wir mit der Treibhausgasminderung, der Klimafolgenanpassung und der Dekarbonisierung vorankommen.

Oxfam veranstaltete in Deutschland eine Tour mit Klimazeugen – das hat Frau Brems vorhin auch erwähnt. Sie waren auch hier in Nordrhein-Westfalen und auf Einladung der Grünen hier im Landtag, zu Gast bei Freunden. Aber nur Grüne und Piraten interessierten sich für die persönlichen Berichte über die Folgen des Klimawandels im Tschad und in der Umgebung, in Niger, und auf den Philippinen. Die anderen Freunde in diesem Landtag glänzten durch Abwesenheit. Nicht einen Vertreter konnten SPD, CDU und FDP schicken – keinen MdL aus den Ausschüssen für Energie oder für Umwelt, keinen aus dem Unterausschuss Klimaschutzplan und auch keinen Mitarbeiter.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

– Sehr schön, das war auch eine Ansage! Das, was Sie jetzt hier zu sagen haben, Herr Brockes und Herr Kollege Höne, das hätten Sie dort auf dieser Veranstaltung sagen können.

Gestern veröffentlichte das Dänische Meteorologische Institut eine Auswertung der Temperaturmessungen über längere Zeit nördlich von 80° Nord, in der Arktis also. Da ist es seit einem halben Jahr ununterbrochen wärmer als normal. Das gesamte Eisvolumen ist so niedrig wie nie zuvor. Der gesamte Masseverlust des grönländischen Inlandeises ist schon lange auf Rekordhoch, sowohl durch Abschmelzen der Oberfläche wie auch durch beschleunigtes Kalben der Großgletscher. In der Antarktis ist die Gesamteisbedeckung auf See rekordniedrig, und vom Schelfeis brechen immer größere Stücke ab.

Tropische Wirbelstürme werden immer stärker. Der Klimazeuge Melvin Purzuelo berichtete – Frau Brems erwähnte es schon – von dem stärksten bisher auf den Philippinen beobachteten Orkan Haiyan und von der Suche nach Verwandten, bei der er 70 Leichen barg. Inzwischen trat ein noch stärkerer tropischer Orkan im östlichen Pazifik auf. Kalifornien und die Levante erlebten in den letzten Jahren Tausend-Jahres-Dürren. Bürgerkriege um Wasser, Hungeraufstände und Massenmigrationen haben bereits begonnen.

In Peru und Kolumbien macht sich ein völlig neues Phänomen eines Küsten-El Niño bemerkbar. Als ich im Sommer 2015 in Peru war und die Stadt Trinidad de Huancayo – in der örtlichen Sprache „Wankayuq“ – besuchte, erfuhr ich, dass deren 400.000 Einwohner bald als Binnenflüchtlinge umgesiedelt werden müssen; denn der Gletscher, der sie mit Wasser versorgt, ist in spätestens 20 Jahren verschwunden.

Bei uns macht sich der Klimawandel noch nicht so dramatisch bemerkbar. Einzelereignisse mit Hunderten oder Tausenden Toten haben wir in Deutschland und in Mitteleuropa noch nicht erlebt. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass Deutschland und Nordrhein-Westfalen im Klimaschutz immer weiter zurückfallen und schon ankündigen, dass sie ihre ohnehin nicht besonders ambitionierten Klimaschutzziele nicht erreichen werden.

Auf Bundesebene wird die Energiewende seit Jahren sabotiert: Aus einer geplanten Klimaschutzabgabe für alte Braunkohlemöhren wurden Subventionen in Höhe von 1,6 Milliarden €; der Zertifikathandel wird nicht vernünftig reformiert und Fracking ist im Gegensatz zu dem, was die Sprecherin der Grünen hier eben behauptete, nicht komplett verboten. – Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Und wie sieht es im Bundesland aus? Der Hambacher Forst wird weiter gerodet. Gestern gab es dort im Wald wieder einen Polizeieinsatz. Die Aktivisten planen ab Sonntag ein Camp vor Ort, und da musste die Polizei kurz vorher natürlich noch einmal eine kleine Demonstration oder Provokation durchführen. Ich glaube, die setzen da ein bisschen auf Eskalation, und ich weiß nicht, ob das mit der heutigen Unterrichtung der Landesregierung in Zusammenhang steht. Das Timing ist jedenfalls ganz hervorragend.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dann will man hier im Land mit aller Macht den illegalen Schwarzbau Datteln 4 legalisieren. Auch die Grünen im Regionalrat Münsterland stimmten für ein Zielabweichungsverfahren im alten Landesentwicklungsplan. Da waren sich mal wieder alle einig.

Alle großen gesetzgeberischen Reformprojekte hier im Lande, die zu einem sinnvollen Strukturwandel bei der Energiewende und Dekarbonisierung hätten beitragen können, wurden kastriert. Klimaschutzgesetz – stattdessen ein rechtlich unverbindlicher Klimaschutzplan –, Naturschutzgesetz, Landesentwicklungsplan – alles gefleddert, um bloß nicht weiterzukommen! Das ist ein Elend! Schwarz-Geld hätte es kaum schlechter machen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Bei den Erneuerbaren haben wir globale Erfolge zu verzeichnen. In Deutschland haben wir im Jahr 2015 in der Solarindustrie 50.000 Arbeitsplätze verloren. Skandinavien ist der europäische Vorreiter, obwohl Solarenergie dort kaum nutzbar ist. Deinvestition ist ein Thema, das ganz aktuell eine große Rolle spielt: Kopenhagen deinvestiert, Münster deinvestiert auf kommunaler Ebene, der norwegische Pensionsfonds deinvestiert. – Sie alle ziehen ihr Geld alle aus der fossilen Energie ab, da sie wissen, dass es sich auf lange Sicht um Pleiteprojekte handelt.

Portugal ist in Südwesteuropa mit seinen großen Windkraftwerken ein Vorreiterland in der Energiewende. Portugal lässt sich von der Troika nicht so kaputtmachen, tyrannisieren und kaputtsparen wie Griechenland und Spanien. Die Portugiesen machen eine andere Politik und setzen konsequent auf die Energiewende. Und denen geht es wirtschaftlich deutlich besser als den Griechen und den Spaniern, die unter der Knute der Troika leiden.

(Beifall von den PIRATEN)

China hat zwei Jahre hintereinander mehr Kohlekraftwerke außer Betrieb genommen als in ganz Großbritannien in Betrieb sind.

(Karlheinz Busen [FDP]: Die haben neue Atomkraftwerke gebaut!)

Kein Land investiert so viel und baut so viele erneuerbare Energien auf wie China. Das sind die Länder, in denen der Strukturwandel stattfindet.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wieviel investieren die denn?)

Das sind die Länder, die Sieger im Wettlauf um die beste Lösung sein werden, wenn wir uns hier nicht endlich auf die Hinterbeine stellen und unsere Hausaufgaben machen.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wieviel investieren die denn?)

Zur Verkehrswende: Frau Brems hat bisher als Einzige etwas ausführlicher dazu ausgeführt. Die Verkehrswende ist wirklich notwendig und spielt eine wichtige Rolle; denn die Art und Weise, wie wir unseren Verkehr im Moment organisieren, ist nicht nur klimaschädlich, sondern sie hat auch noch andere schädliche Folgen. Ich spreche hier von Stickoxiden und Feinstäuben.

Essen wurde in der Regierungserklärung ja als „Grüne Hauptstadt“ vorgeführt. Das ist ein Witz. Gestern titelten die Zeitungen hier im Land: Der Verkehr vergiftet unsere Kinder. Und da soll Essen die „Grüne Hauptstadt“ sein?

Sie sagen, Sie hätten Chancen zu bieten. – Diese Chancen sind ziemlich luftig, und die globale Entwicklung der Erneuerbaren zeigt, dass Klimaschutzforschung und -entwicklung woanders stattfinden. Die Bilanz der drei rot-grünen Landesregierungen seit 2000 ist erbärmlich.

Was haben denn die anderen Oppositionsparteien zu sagen? Ich will zunächst auf Herrn Hovenjürgen eingehen. Er hat hier gerade verkündet: Die CDU steht für Klimaschutz. – Er hat allerdings nicht gesagt, dass er um jeden Preis newPark bauen und Datteln 4 legalisieren und betreiben will.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Habe ich gesagt!)

So sieht Ihr Klimaschutz nämlich aus. Sie haben gesagt, Sie bekennen sich zu einem 2-Grad-Ziel. Aber, Herr Hovenjürgen, dieses 2-Grad-Ziel, das ist kein Minimalziel; es bedeutet nicht, dass wir mindestens 2 Grad Klimaerwärmung erreichen wollen, sondern es ist ein Maximalziel. – Ist Ihnen das klar?

(Beifall von den PIRATEN)

Und ist Ihnen auch klar, dass in Paris sogar ein Maximalziel von 1,5 Grad anstatt der 2 Grad als wünschenswert genannt wurde? Sie schießen hier gegen einen ohnehin unzureichenden Klimaschutzplan; aber Sie stehen zu Klimaschutz. Sie argumentieren mit dem Ausstoß größerer und wenig entwickelter Staaten, und Sie benutzen das schlechte Beispiel als Vorbild. Das ist immer wieder dieselbe Art und Weise, wie CDU und FDP hier Politik machen wollen. Sie nehmen ein schlechtes Beispiel und stellen das als Vorbild dar: Solange die anderen sich schlecht verhalten, können wir uns nicht besser verhalten. Wir können nicht das Best-Practice-Beispiel sein, nein.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir müssen uns am Wettlauf der Schäbigkeiten beteiligen, damit alles nur immer schlechter wird und nichts besser werden kann. – Das ist Ihre Politik. Das ist die Perspektive, die Sie bieten.

Zukunftsfähige Arbeitsplätze in Deutschland werden durch die CDU-Politik in Berlin vernichtet. In der deutschen Solarindustrie sind 50.000 Arbeitsplätze allein im Jahr 2015 über den Jordan gegangen. Stattdessen wird hier hochsubventionierte Braunkohle propagiert. – Im Gegensatz zu Ihrer Behauptung, die sei subventionsfrei, haben wir im letzten Jahr 1,6 Milliarden € bekommen für drei uralte Braunkohlemöhren, die als Reserve vorgehalten werden, die aber kein Mensch braucht. Großartig!

Das nennen Sie subventionslos? – Das ist ja großartig.

Ihre Politik riskiert unsere Zukunft. Die riskiert die Arbeitsplätze. Die riskiert den Wohlstand. Sie verursacht Ewigkeitsschäden und Ewigkeitskosten. Wir dagegen wollen Ewigkeitsnutzen statt Ewigkeitsschäden. Wir wollen, dass der Strukturwandel schöpferisch geformt wird. Wir wollen ein Braunkohleausstiegsgesetz. Wir wollen das Bergrecht abschaffen und durch ein Bundesumweltgesetzbuch mit dreidimensionaler Raumplanung ersetzen. Das sind die Themen der Zukunft.

Herr Meesters von der SPD – ein schönes, starkes, innovatives Nordrhein-Westfalen haben Sie hier geschildert. Ganz schön stark fossil ist das, Herr Meesters, so wie sich die fossilen Stollentrolle von der SPD sich hier darstellen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Hier gibt es nicht viel, was mit Stolz vorzuweisen wäre. Die Ankündigung, dass Sie Ihren Weg fortsetzen wollen,

(Zuruf von der SPD: Weil er erfolgreich ist!)

das ist eher eine Drohung. Das sollten Sie den Menschen, die zur COP 23 nach Bonn kommen wollen, lieber nicht an den Kopf werfen. Die werden das vielleicht böse aufnehmen. Das ist eher eine Drohung als eine politisch ernst zu nehmende Zielvorgabe.

Sie werden, das kann ich Ihnen versichern, scheitern – zum Glück. Denn die Entwicklung – egal was Sie wollen und irgendwann mal machen – wird an Ihnen vorbeilaufen und Sie zurücklassen.

So reden wir hier seit 10 Uhr, seit anderthalb Stunden, über eine Unterrichtung der Landesregierung, die ziemlich lang war und wenig Inhalt hatte, weil es leider Gottes von dieser Landesregierung nicht fürchterlich viel zu sagen gibt zum Thema „Energiewende und Klimaschutz“.

Eigentlich hätten Sie Ihre Unterrichtung auf einen Satz einschrumpfen und sich so ehrlich machen können. Der Satz lautet: Bei uns regieren in Wirklichkeit Industrie- und Energielobbyisten in Bund und Land. Deshalb wird es nichts – vorläufig – mit Wärme-, Energie- und Verkehrswende, mit Degrowth und Dekarbonisierung, mit einem angemessenen Beitrag aus Deutschland und Nordrhein-Westfalen zum globalen Klimaschutz.

Schade drum. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rohwedder. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Lersch-Mense das Wort.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Bevor ich zur COP 23 komme, erlauben Sie mir einige kurze Anmerkungen zur bisherigen Debatte.

Herr Hovenjürgen, alles, was Sie hier heute Morgen zur Bedeutung der Stahlindustrie, der Chemieindustrie, der Grundstoffindustrie vorgetragen haben, auch was Sie zum europäischen Emissionshandel gesagt haben, das entspricht exakt der gemeinsamen Position – das betone ich hier ausdrücklich – der Landesregierung. Natürlich sind auch wir gegen Carbon Leakage. Natürlich sind wir dagegen, dass Arbeitsplätze und damit – da haben Sie ja recht – auch CO2-Emissionen ins europäische Ausland verlagert werden. Deshalb setzen wir uns ein für eine vernünftige Neuregelung auf der europäischen Ebene. Das hat auch die Ministerpräsidentin persönlich in vielen Gesprächen getan.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen zum Thema „Klimaschutzgesetz und Klimaschutzplan“: Ich führe im Vorfeld von Bundesratsitzungen regelmäßig Gespräche mit Wirtschaftsvertretern, mit Verbandsvertretern in Berlin. Anlässlich der Debatten zum Klimaschutzplan des Bundes wurde ich immer wieder gefragt: „Warum macht es denn die Bundesregierung nicht so, wie Sie das in Nordrhein-Westfalen gemacht haben?“, weil alle dort den Prozess, wie er bei uns stattgefunden hat, für vorbildlich halten, weil es ein dialogischer, ein gemeinsamer Prozess ist – ein Prozess, der sich auch an dem orientiert, was technologisch realisierbar und machbar ist. Deshalb wird dieser Prozess von vielen in der Wirtschaft und in den Wirtschaftsverbänden für vorbildlich gehalten.

Herr Höne, eines finde ich es schon interessant. Ich habe Ihre Position bisher oft so wahrgenommen, dass Sie unser Klimaschutzgesetz und den Klimaschutzplan für ein Teufelswerk halten, für Folterinstrumente für die Wirtschaft. Dass Sie uns heute auffordern, das alles noch viel schneller umzusetzen, ist eine erfreuliche Entwicklung. Ich gebe zu: Wir können da noch ehrgeiziger werden.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Wenn Sie das künftig unterstützen wollen, nehmen wir das sehr gerne zur Kenntnis.

Zum Thema „Energieversorgung“. Wir haben es geschafft, uns auf der Bundesebene dafür einzusetzen, dass fünf Braunkohleblöcke ab 2018 schrittweise in die Sicherheitsreserve überführt werden. 2030 laufen der Tagebau Inden und damit das Kraftwerk Weisweiler aus. Das alles wird im Ergebnis dazu führen, dass im Bereich der Braunkohle die CO2-Emissionen um 40 % bis 50 % bis zum Jahre 2030 zurückgehen. Das ist ein beachtlicher Beitrag zum Klimaschutz, den diese Landesregierung auch auf der Bundesebene hat erreichen können.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Es bleibt dabei: Wir wollen einen Strukturwandel im rheinischen Revier, Herr Brockes, und keinen Strukturbruch. Wir wollen auch weiter Versorgungssicherheit in der Energieversorgung. Für diese Ziele haben wir uns in der Vergangenheit eingesetzt, und dafür werden wir uns auch in der Zukunft einsetzen.

COP 23 wird eine gute Gelegenheit sein, die Leistungsfähigkeit des Technologiestandortes und Industriestandortes Nordrhein-Westfalen einem internationalen Publikum zu vermitteln, auch die Leistungsfähigkeit im Bereich der regenerativen Technologien und des Klimaschutzes.

Die COP 23 in Bonn wird mit einigem Abstand die größte internationale Konferenz sein, die bisher jemals in Deutschland stattgefunden hat. Weder Tagungen des Europäischen Rates noch Treffen im G7- oder G20-Format reichen auch nur entfernt an die Größenordnung der COP 23 heran. 25.000 Teilnehmer – darauf ist bereits hingewiesen worden – erwarten wir. Natürlich wollen wir – Bund, Land und die Stadt Bonn – gemeinsam für diese internationalen Gäste ein guter Gastgeber sein.

Im vergangenen Jahr haben wir die 20-jährige Präsenz der Vereinten Nationen in Bonn gefeiert, auch mit einem Parlamentarischen Abend hier im Landtag. Bei aller Würdigung dessen, was in Bonn in diesem Zeitraum entstanden ist und welche wichtigen Impulse von Bonn ausgehen, waren sich viele einig, dass die internationale Bekanntheit und auch die Ausstrahlung des UN-Standortes Bonn noch verbessert werden könnte. Dafür bietet die Konferenz COP 23 eine hervorragende Möglichkeit. Diese Konferenz wird sicherlich auch dazu beitragen, nicht nur die internationale Ausstrahlung der Stadt Bonn, sondern auch die internationale Reputation und Ausstrahlung unseres gesamten Landes zu verbessern.

Zu den politischen Kernbotschaften der Weltklimakonferenz in Bonn muss in dieser Zeit auch gehören, dass globale Zusammenarbeit zur Bewältigung der gemeinsamen Herausforderungen der Menschheit eine ungebrochene Bedeutung hat und dass diese Herausforderungen gestaltbar sind. In Bonn soll wieder deutlich sichtbar werden, dass wir internationale Zusammenarbeit und internationale Vereinbarungen brauchen, dass sie notwendig sind, dass sie aber auch umgesetzt und eingehalten werden müssen.

Die Vorbereitung der COP 23 wird nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung aller staatlichen Ebenen möglich sein. Wir brauchen natürlich das UN-Klimasekretariat in Bonn, wir brauchen die Unterstützung der Bundesressorts, wir brauchen aber auch die Unterstützung der Stadt Bonn, und wir haben sie auch. Und auch das Land ist bereit, zu unterstützen. Herr Hovenjürgen, das ist auch der Grund, warum wir heute darüber reden – weil wir als Landesregierung jetzt die Entscheidung darüber treffen müssen, in welcher Form wir diese Unterstützung gewähren.

Wir werden uns auf vielfältige Weise an der erfolgreichen Ausrichtung der Konferenz beteiligen. Natürlich sind die Polizeibehörden des Landes gefordert, aber wir sind grundsätzlich auch bereit, beispielsweise als Land die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs durch die Delegierten zu übernehmen und damit die logistische Seite der Konferenz in nachhaltiger Weise zu unterstützen.

Wir werden die Chance nutzen, den Teilnehmern und Teilnehmerinnen durch Exkursionen und Veranstaltungen zu zeigen, wie leistungsfähig unser Land ist, wenn es um die Verbindung von Klimaschutz und moderner Industriegesellschaft geht.

Mit der Beteiligung an der Weltklimakonferenz reiht sich Nordrhein-Westfalen in zahlreiche Aktivitäten zur Stärkung des UN-Standorts in Bonn ein. Ich will davon nur eine erwähnen: Wir haben vor einer Woche im Bundesrat eine Landesinitiative für ein Gaststaatsgesetz eingebracht. Ein solches Bundesgesetz soll künftig regeln, unter welchen Bedingungen sich die unterschiedlichen internationalen Organisationen und Einrichtungen in Deutschland ansiedeln können.

Gegenwärtig muss in jedem Einzelfall ausgehandelt werden, welche Befreiungen, Immunitäten und Vorrechte für die internationalen Einrichtungen gelten. Das ist ausgesprochen zeitaufwendig, es ist wenig transparent, und deshalb ist es zunehmend ein Nachteil im internationalen Wettbewerb um die Ansiedlung internationaler Organisationen. Durch ein solches modernes Gaststaatsgesetz wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir in dieser Frage künftig über einheitliche und transparente Rahmenregelungen verfügen, um damit den internationalen Standort, aber auch den internationalen Rang unseres Bundeslandes zu stärken.

Die COP 23 stellt eine weitere große Chance für den internationalen Standort Bonn, ebenso wie für ganz Nordrhein-Westfalen, dar. Lassen Sie uns gemeinsam diese Chance nutzen und die Welt in Bonn und in Nordrhein-Westfalen willkommen heißen. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Thiel das Wort.

Rainer Christian Thiel (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zwar eine Rede vorbereitet, die werde ich so aber nicht halten. Ich werde mich auf ein, zwei Anmerkungen konzentrieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Sie greifen immer gern den Klimaschutzplan bzw. das Klimaschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen an. Sie haben dabei allerdings – ähnlich wie beim Landesentwicklungsplan und bei anderen Projekten – vor lauter Bemühen, die Landesregierung anzugreifen, überhaupt nicht verstanden, wie es funktioniert und welchen Vorteil es für Nordrhein-Westfalen hat.

Im Klimaschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen steht: Wir wollen bis 2020 25 % CO2 einsparen. Das ist ein Wert, den wir schaffen werden, den das Industrieland Nordrhein-Westfalen schaffen kann, und es ist zugleich ein Wert, der uns vor Überforderung schützt. Das ist ganz wichtig; denn ich darf Sie daran erinnern: Wenn Sie Rot-Grün vorwerfen, dass wir mit überambitioniertem Klimaschutz – so wird das ja immer genannt – Nordrhein Westfalen in eine besondere Rolle bringen würden, dann sage ich Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall! Mit den angestrebten 25 % liegen wir in Nordrhein-Westfalen goldrichtig.

Sie hatten zu Ihrer Zeit, als Sie versucht haben, Klimaschutzpolitik zu machen – mehr war es ja nicht –, gesagt: Die CDU-FDP-Koalition hat ihre Energie- und Klimaschutzkonzepte seit zwei Jahren als Entwurf für das Energieland NRW angekündigt. – Und jetzt kommt’s: In dem Papier kündigt Thom deutlich höhere CO2-Einsparziele an, als es etwa die Bundesregierung oder sogar die CDU-Landtagsfraktion jüngst getan haben. Das wären über 40 % gewesen! Sie hätten das Industrieland Nordrhein-Westfalen an die Wand gefahren!

(Beifall von der SPD)

Wir werden die 25 % schaffen!

(Karlheinz Busen [FDP]: Wie soll man das denn schaffen in fünf Wochen? – Heiterkeit von der CDU – Lutz Lienenkämper [CDU]: Der war gut!)

Die werden wir bis 2020 schaffen; unter anderem auch mit den fünf Kraftwerksblöcken, die in die Sicherheitsreserve gehen. Damit wird der Energiesektor in Nordrhein-Westfalen den Hauptanteil zur CO2-Einsparung beitragen. Im Mobilitäts- und im Wohnsektor hat sich nicht viel getan. Da ist noch viel Potenzial. Es gibt noch viele andere Dinge; darauf ist heute bereits eingegangen worden ist.

Wir haben mit der Leitentscheidung – übrigens auch mit der Verkleinerung des Tagebaus – im Energiesektor den Rahmen gesetzt. Das war ein mühsamer Kampf, der jetzt aber auch Klarheit gebracht hat, dass in diesem Bereich ein entsprechender Beitrag geleistet wird. Minister Lersch-Mense hat es ja auch noch einmal gesagt: Bis 2030 werden im Rheinischen Revier ca. 50 % CO2-Einsparungen erzielt. Damit ist klar: Es gibt dort verlässliche Rahmenbedingungen.

Klar ist aber auch, dass eine weitere Verkleinerung – beispielsweise in Hambach – mit einer SPD-Landesregierung nicht zu machen ist. – Schönen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Thiel. – Es liegen mir jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit sind wir am Ende der Unterrichtung und kommen zu Tagesordnungspunkt

2  Herkunftskennzeichnung stärkt tierwohlfreundliche Schweineproduktion

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14664

Die Aussprache ist eröffnet. Frau Watermann-Krass spricht für die SPD-Fraktion.

Annette Watermann-Krass (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Antrag geht es um die Stärkung der Schweinehaltung in NRW, aber auch in Deutschland insgesamt.

Dies ist heute meine letzte Rede in diesem Bereich. Ich kann sagen: Vor fünf Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir im Dialog zur Verbesserung der Nutztierhaltung so weit kommen. Lassen Sie mich ein paar Dinge aufzeigen, an denen ich das festmachen möchte.

Es gab ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates des Bundeslandwirtschaftsministeriums, in dem eine langfristige Strategie für eine gesellschaftlich akzeptierte Nutztierhaltung aufgezeichnet worden ist. Die Landesregierung hat 2015 ihre eigenen Vorstellungen in Bezug auf die Nutztierhaltung vorgestellt und auch einen Dialogprozess mit ganz vielen Beteiligten vorangebracht.

Mit Blick auf das uns jetzt vorgestellte Tierschutzlabel, das Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt auf den Weg bringen will, bleibe ich skeptisch. Das liest sich für mich – ich sage das einmal so – wie eine Neuverpackung gesetzlicher Mindeststandards. Wir brauchen da aber eher eine gemeinsame Basis, wo sich der Bauernverband, der ja auch in diesem Bereich unterwegs ist, aber auch die Tierschutzvereine dazu äußern können sollen.

Der WLV, der Westfälische Bauernverband, hat mit seinen Mitgliedern eine eigene „Offensive Nachhaltigkeit“ gestartet und diskutiert darüber mit seinen Mitgliedern. Ich zitiere einmal aus dem entsprechenden Papier:

„Die Landwirte in NRW haben erkannt, dass Akzeptanz nur mit Offenheit, Transparenz und Veränderungsbereitschaft erreicht werden kann.“

Als Kernaussage zur künftigen Schweinehaltung steht dort:

„Tiergesundheit und Tierverhalten sind wesentliche Merkmale der Zucht.“

Eine Länderregelung ist in dieser Sache nicht hilfreich; denn damit würden wir ja den Tierschutz in unsere Nachbarländer verlagern. Der erste Schritt, mit dem auf diesem Weg etwas vorangebracht werden konnte, bestand in der Vereinbarung, die wir zwischen den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen getroffen haben. Das ist die „Münsteraner Erklärung“.

Aus unserem Bundes-Gutachten wissen wir: Erst dann, wenn wir es hinbekommen, dass es die im Hotspot mit der Tierproduktion Beschäftigten zusammen auf den Weg bringen – dabei sind Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, aber auch Dänemark und die Niederlande unsere wichtigsten Partner –, können wir auf die europäische Ebene gehen und eine europaweite Beantragung vornehmen.

Trotz dieser lösungsorientierten Dialoge sind die Verunsicherung und auch der Strukturwandel bei unseren Schweinehaltern spürbar. Zwischen 2013 und 2016 ist die Zahl der Schweinehalter in Deutschland um 18 % gesunken. Der Strukturwandel schreitet immer weiter voran. Auch bei uns im Kreis Warendorf ist er spürbar. Betriebe mit unter 150 Sauen sind dort eine Seltenheit geworden. Man muss auch sagen: Sehr viele Ferkel kommen jetzt aus den Nachbarländern, aus Dänemark oder Holland. Sie werden auf einem sehr langen Transportweg zu uns gebracht.

Hier geht für uns eine regionale Wertschöpfung verloren. Deswegen gibt es diesen Antrag. Er zielt im Wesentlichen auf die Transparenz ab. Wir wollen Transparenz. Dabei geht es um folgende Fragen: Wo ist das Tier geboren? Wo ist es aufgewachsen? Und vor allem: Wie hat es gelebt?

(Werner Jostmeier [CDU]: Noch mehr Bürokratie! Ganz genau!)

– Ja, das wird man auch dokumentieren müssen, Herr Kollege. – Aber nur dann, wenn erkennbar ist, dass wir eine Unterscheidung haben, bekommt das Lebensmittel wieder einen Wert. Wir wollen diesen Wert für die Landwirte dann insoweit ummünzen, dass sie mehr Geld für ihr Produkt bekommen. Unser Vorhaben zielt genau darauf ab.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, eine eindeutige Kennzeichnung einzuführen. Das beginnt beim frisch verarbeiteten Fleisch; hier soll das Geburtsland des Schweines angegeben werden. Bisher ist es ja so, dass wir nur den Nachweis brauchen, dass das Tier vier Monate hier gelebt hat. Dann kann das Herkunftsland entsprechend ausgewiesen werden.

Wir brauchen aber auch eine klare Kennzeichnung der Haltungsbedingungen sowie ein Agrarförderprogramm gerade auch für kleinere Betriebe, die im Bereich der artgerechten Sauenhaltung unterwegs sind. Des Weiteren fordern wir eine Nutztierstrategie zur Haltung von Sauen in Kastenständen.

Ich bitte also um Zustimmung zu diesem Antrag, mit dem dafür gesorgt werden soll, dass wir eine eindeutige Herkunftsbezeichnung von Schweinefleisch bekommen, weil ich davon überzeugt bin, dass das eine gute Basis für eine reale Wertschöpfung auch in der Landwirtschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Watermann-Krass. – Und für die grüne Fraktion spricht nun Herr Rüße.

Norwich Rüße*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute einen Antrag ein, der einen Bereich der Landwirtschaft thematisiert, der mit am stärksten vom Strukturwandel betroffen ist. Deutschland hat in den letzten 20 Jahren 80 % der sauenhaltenden Betriebe verloren. Das ist insofern wichtig, als jeder dritte sauenhaltende Betrieb in Deutschland seinen Standort in Nordrhein-Westfalen hat.

Wir erleben mittlerweile eine sehr starke Veränderung in diesem Bereich. Vor 20 Jahren wurden vielleicht 1 Million Ferkel aus Dänemark und aus den Niederlanden importiert. Mittlerweile werden über 11 Millionen Ferkel nach Deutschland importiert, vor allem nach Nordrhein-Westfalen.

Es gibt zwei Strategien; darin unterscheiden wir uns. Eine Strategie ist, zu sagen: Wir wollen mit unseren Produkten am internationalen Markt bestehen können. – Wir glauben nicht, dass diese Strategie, außer bei wenigen Spitzenprodukten, wirklich erfolgreich sein kann und meinen – das zeigt auch die Verunsicherung der Landwirte in den letzten Jahren –, dass sie nicht funktioniert hat.

Wir sind stattdessen der Meinung – das ist die andere Strategie –, dass wir zumindest einem erheblichen Teil der Betriebe das Angebot machen müssen, ihre Produkte regional und mit einer klaren Kennzeichnung versehen zu vermarkten. Dazu gehört eben auch, dass die Herkunft der Ferkel klar gekennzeichnet ist und nicht verschwurbelt wird, wie es zurzeit der Fall ist. Wir wollen, dass, wie es auch beim Rindfleisch möglich ist, am Ende an der Fleischtheke klar gekennzeichnet ist – viermal mit dem Buchstaben D –, dass das Tier in Deutschland geboren, in Deutschland aufgezogen, in Deutschland geschlachtet und in Deutschland zerlegt worden ist. Da gibt es im Moment eindeutig eine Schwachstelle; das gehört geändert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Frau Watermann-Krass hat es eben auch schon erwähnt: Wir haben mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik einen Leitfaden bekommen, der uns allen in den nächsten Jahren als Orientierung dienen wird. Wir diskutieren mit der CDU ja auch nicht mehr darüber, ob der Umbau der Tierhaltung stattfindet. Da gibt es auch in Ihrer Partei viele Stimmen – ob es die auch in Ihrer Fraktion gibt, weiß ich nicht –, die sagen: Das wird kommen. – Die Frage ist eigentlich nur noch, wie wir das gestalten und in welchen Zeiträumen es ablaufen soll.

Wir alle wissen, dass unsere Bevölkerung bestimmte Erwartungen an die Tierhaltung hat: Sie wollen, dass Tiere mehr Platz in den Ställen bekommen, und sie wollen, dass die Kühe auf die Weide kommen. Wir müssen daher gemeinsam dafür sorgen, dass das für die Menschen über die Kennzeichnung auch erkennbar ist, dass sie die Produkte entsprechend wählen können und dann natürlich auch den Mehraufwand, den die Landwirte dadurch haben, finanzieren.

Wir haben in unserem Antrag vier Punkte aufgelistet, die unserer Meinung nach so wichtig sind, dass wir sie jetzt angehen müssen.

Dazu gehört natürlich die Frage – das bedingt ja die Verunsicherung bei den Sauenhaltern –: Wie setzen wir das Magdeburger Urteil zu den Kastenständen um? An der Stelle zitiere ich den Minister, der wiederholt erklärt hat: Wir müssen in der Landwirtschaft endlich vor die Zeit kommen. Wir laufen immer Gerichtsurteilen hinterher. Wir nehmen Gerichtsurteile zur Kenntnis, die feststellen, dass irgendetwas tierschutzwidrig ist und nicht passt, und dann gucken wir, wie wir das reparieren. – Es wäre notwendig, dass wir eine Vision entwickeln und auch in der Schweinehaltung gemeinsam solche Tierschutzstandards hinbekommen, dass es endlich einmal 20 Jahre lang Ruhe und Verlässlichkeit für die Betriebe gibt.

Wenn wir beim Produkt die Haltungsbedingungen endlich klar kennzeichnen – da wird der Weg der Initiative Tierwohl nicht reichen; wir brauchen eine klare Kennzeichnung für jedes Stück Fleisch, darauf muss stehen, wie das Tier aufgezogen worden ist; die Verbraucher sollen sich bewusst entscheiden können –, ist das ein Schritt, der vielen Betrieben helfen wird. Denn dadurch ist aus unserer Sicht ein Mehrerlös erzielbar.

Wir brauchen bei diesem Umbauprogramm aber auch die Unterstützung der Politik. Die Gelder müssen zur Verfügung gestellt werden, damit die Inhaber ihre Betriebe umbauen können. Wir dürfen sie nicht alleinlassen. Das wollen wir mit dem Antrag erreichen. Wir wollen das, was wir in dem Antrag beschrieben haben, nach dem 14. Mai zügig umsetzen. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rüße. – Die CDU-Fraktion wird nun von Herrn Wirtz vertreten.

Josef Wirtz (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Plenartag in dieser Legislaturperiode wollen SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch die Schweine retten. Mein Gott, was haben Sie für Probleme!

(Beifall von der CDU)

Das Tierwohl ist nicht nur, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren, ein Anliegen der Gesellschaft, sondern auch und in erster Linie der Nutztierhalter; denn die Leistungsfähigkeit zum Beispiel von Hühnern, Kühen und eben auch Schweinen hängt ganz wesentlich davon ab, dass die Tiere gesund sind und sich wohlfühlen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

– Herr Ott, da, wo der Tierschutz Defizite aufweist, geht die Leistung der Nutztiere ganz erheblich zurück. Deshalb haben insbesondere die Halter ein elementares Interesse an einer tierwohlorientierten Haltung.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

An den Fleischtheken und in den Einkaufsmärkten – gehen Sie einmal einkaufen, Herr Ott – ist die Herkunft der Waren deklariert,

(Zuruf von Jochen Ott [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

sodass der Kunde die Information hat, wo die Schweine gemästet wurden. Daher stellt sich die Frage, ob über das bisherige Maß hinaus noch weitere staatliche Reglementierungen erforderlich sind.

Herr Kollege Rüße, auf Twitter treten Sie auf einmal für größere Ställe ein. Bisher hatte ich den Eindruck, das sei eher umgekehrt gewesen, dass Sie also kleinere Einheiten wollen.

(Beifall von der CDU)

Sehr geehrter Herr Minister Johannes Remmel, auf der Agrarministerkonferenz verständigen Sie sich mit den Kollegen aus den anderen Ländern und dem Bund auf eine gemeinsame Lösung. Das war vergangene Woche. Und heute beschreitet Nordrhein-Westfalen wieder einen Sonderweg?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das tun wir doch gar nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, in Ihrem Antrag beschreiben Sie, dass die Zahl der Schweinehalter zwischen 2013 und 2016 um 18 % gesunken ist. Haben Sie vielleicht einmal darüber nachgedacht, dass die Ursache dafür gerade in solchen Eingriffen und den damit verbundenen größeren bürokratischen Hürden liegen könnte?

(Beifall von der CDU)

Viele Betriebe haben nämlich wegen all der Aufzeichnungspflichten keine Lust mehr und verabschieden sich aus der Schweinehaltung, da der bürokratische Aufwand bald größer ist als die eigentliche Arbeit im Stall. Ständig redet man von Bürokratieabbau. Aber mit Ihrem Antrag wollen Sie weitere Bürokratie aufbauen.

(Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Wo steht das denn?)

Wir in Deutschland haben die besten Haltungsformen, die man sich vorstellen kann. Europaweit sind wir führend, was Tierwohl und Qualitätsstandards angeht. Die Marktpartner, das heißt die Bauern, die Metzger und der Einzelhandel, wissen selber am besten, was in diesem Zusammenhang getan werden muss; denn auch der Kunde, dem das Tierwohl ein Anliegen ist, beeinflusst mit seinem Kaufverhalten natürlich den Markt.

In ganz Nordrhein-Westfalen befinden sich Einkaufsmärkte wie auch Metzgereien. Wenn man sich das Einkaufsverhalten der Verbraucher dort einmal ansieht, wird man sehr schnell feststellen, dass kein einziger nach der Herkunft der Ferkel fragt, die vom Sauenhalter an den Mäster geliefert wurden. Die Kriterien, wonach die Verbraucher entscheiden, was sie kaufen, sind Aussehen, Sauberkeit und die Frische. Diese Merkmale fallen sofort jedem ins Auge.

Muten wir also unseren Nutztierhaltern nicht zu viel zu; denn wenn es diese vor Ort nicht mehr gibt, brauchen wir uns über regionale Produkte nicht mehr zu unterhalten.

(Beifall von der CDU)

Dann werden diese Erzeugnisse bald aus anderen Teilen der Erde kommen, wo die Qualitätsstandards und die Haltungsformen an unsere bei Weitem nicht heranreichen. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag ab.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, wenn Sie etwas für das Tierwohl tun wollen, dann sollten Sie sich mal im Hambacher Forst umschauen. Dort leiden Hunde und Katzen der Aktivisten im Wiesencamp Morschenich, weil sie im eigenen Dreck vergehen. – Herr Minister Remmel, das sollten Sie sich am besten mal gemeinsam mit Herrn Innenminister Jäger anschauen. Ich habe das getan und war entsetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute mein letzter Plenartag, und das war auch meine allerletzte Rede in diesem Landtag. Ich trete in den Ruhestand. Deshalb wünsche ich Ihnen allen für die Zukunft alles Gute, vor allem Gesundheit und gutes Gelingen dabei, die Politik zum Wohle der Menschen zu gestalten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Wirtz. Auch hier oben vom Präsidium Ihnen alles Gute für den Ruhestand, in den Sie eintreten wollen und werden. Danke für Ihre Arbeit hier zum Wohle des Volkes, zum Wohle der Menschen in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Jahren. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Busen.

Karlheinz Busen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie es anfängt, hört es auch auf. Als ich vor fünf Jahren das erste Mal an dieser Stelle gesprochen habe, habe ich mich über die Weltfremdheit von Rot-Grün in Fragen der Landwirtschaftspolitik gewundert. Jetzt, exakt am letzten Plenartag der Legislaturperiode, stellen Sie diese Weltfremdheit und Unwissenheit mit Ihrem Antrag noch einmal exzellent zur Schau.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn man den Antrag „Herkunftskennzeichnung stärkt tierwohlfreundliche Schweineproduktion“ liest, bekommt man den Eindruck, dass Sie von der Materie überhaupt keine Ahnung haben. Eine Kennzeichnung und ein kleines Progrämmchen sollen die Landwirte und auch die Tiere retten. Hören Sie einfach nicht zu? Die Landwirte beklagen sich ohnehin über zu viel Regulatorik, zu viel Bürokratie. Die Landwirte in unserem Land wollen endlich wieder machen. Die Landwirte wollen die Fesseln der Bürokratie sprengen, sie wünschen sich, den ganzen Remmel-Krempel loszuwerden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Und Ihre Antwort? Neue Auflagen, neue Bürokratie, neue Stolpersteine für unsere heimischen Familienbetriebe. Sie schreiben tatsächlich …

(Zuruf von Ministerin Barbara Steffens)

– Was ist, Frau Gesundheitsministerin? Wollen Sie jetzt die Schweine vertreten, oder wie?

(Vereinzelt Lachen – Ministerin Barbara Steffens: Gerne!)

Sie schreiben tatsächlich, dass neue Vorgaben dringend nötig seien, da die Zahl der Schweinehalter in Deutschland um 18 % gesunken sei. Nein, neue Vorgaben werden eher noch mehr Landwirte in die Betriebsaufgabe treiben. Ich habe in meinem Leben etliche Ställe gebaut: Schweineställe, Rinderställe, Kuhställe. Die Ställe sind in den letzten Jahrzehnten immer besser und funktionsfähiger geworden. Die Tierhaltung früher – heute von Rot-Grün oft romantisiert als die gute alte Zeit – wird beweint; die war nämlich gar nicht gut, die alte Zeit.

(Zuruf: Das ist doch völliger Quatsch!)

Früher gab es Anbindehaltung, verdreckte Ställe, schlechte Luft in den Ställen. Das war die Realität bis in die 80er-Jahre.

(Unruhe – Norbert Meesters [SPD]: Versuchen Sie doch einmal, eine gute Rede zu halten!)

– Herr Meesters, heute sind die Ställe dagegen erheblich besser und sorgen für mehr Tierwohl, für mehr Platz für das einzelne Tier. Aber diese positive Entwicklung wollen Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Welt kann sich ein Beispiel daran nehmen, wie verantwortungsvoll die Landwirte bei uns mit ihren Tieren umgehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In renommierten Studien ist die Landwirtschaft in Deutschland weltweit auf Platz eins in der Nachhaltigkeit.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Busen, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Yüksel?

Karlheinz Busen (FDP): Nein, ich komme zum Schluss. – Beim Thema „Tierwohl“ liegen wir an zweiter Stelle. Das ist die Realität. Da braucht es keine grünen Belehrungen mit komischen Zahlen, wer nicht alles mehr Tierwohl will.

Jeder möchte mehr Tierwohl, das ist doch selbstverständlich. Es ist kein Wunder, dass es da hohe Zustimmungswerte gibt. Dafür stehen wir auch. Aber es gibt dieses Tierwohl in deutschen Ställen durchaus. Sie wollen nur die Menschen draußen täuschen, verunsichern und daraus Kapital schlagen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das liegt ihm ganz fern! – Beifall von der FDP und der CDU)

Da das hier auch meine letzte Rede ist, sage ich: Ich wünsche mir nach dem 15. Mai wieder Politik mit gesundem Menschenverstand und weniger Ideologie. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Busen. Auch Ihnen alles Gute für den weiteren Weg. – Es kommt als nächste Rednerin für die Piratenfraktion Frau Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Es tauchen immer wieder Nachrichten über jämmerlich vor sich hin leidende Schweine in der industriellen Landwirtschaft auf. Das sind dann sehr unschöne Bilder von teilweise unerträglichen Zuständen. Für uns steht deshalb völlig außer Frage, dass man sich konsequent und auf allen Ebenen für das Tierwohl einsetzen muss. Nicht zuletzt ist der Tierschutz auch in der Landesverfassung als Staatsziel verankert.

Nur ist es nicht damit getan, das Kupieren von Schwänzen zu verbieten. Die Konsequenz muss doch sein, dass jedes Schwein mindestens 50 % mehr Platz braucht, um Schwanzbeißen zu vermindern. Es muss das Verhältnis von Personal und gehaltenen Schweinen verbessert werden, damit es zu einer konsequenten Aussortierung von aggressiven Schweinen kommen kann. Subventionen müssen zukünftig an nachhaltige Landwirtschaft, verhaltensgerechte Tierhaltung und Mindestlöhne für Personal gebunden werden.

Würde Fleisch dadurch teurer werden? Ja, natürlich würde es das. Aber ist das wirklich so schlimm, wenn man bedenkt, dass man inzwischen 1 kg Schweinefleisch für 3 € kaufen kann? Ich denke, nein. Wenn man jetzt argumentiert, das werde die finanziell schwächer Gestellten treffen, und das gehe nicht, dann stimmt das zwar, aber es zäumt das Pferd von hinten auf. Denn die Lösung kann nicht sein, die Bedingungen in der Mast immer weiter zu verschlechtern, damit Fleisch noch billiger wird, damit Menschen mit noch weniger Geld auskommen müssen und Firmen noch geringere Gehälter zahlen können.

Diese Spirale dreht sich komplett in die falsche Richtung. Es muss genau andersherum sein: Menschen müssen in die Lage versetzt werden, durch ein geregeltes, ausreichendes Auskommen genug Mittel zu haben, um sich faire Produkte kaufen zu können – aus nachhaltiger Landwirtschaft und verhaltensgerechter Tierhaltung. Genau das wäre ein systemischer Ansatz, wie wir Piraten ihn immer fordern.

Was wird stattdessen gemacht? Es soll eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung für Fleisch geben. Okay, prima. Aber was ist die Aussage dahinter? Die Aussage ist: Hier ist alles super. Hier werden alle Tiere, alle Angestellten in der Landwirtschafte und alle landwirtschaftlichen Betriebe fair behandelt, und alle kümmern sich. Aber bei denen in Polen, Ungarn, Russland und Argentinien sind wir uns nicht so sicher. Lieber sollten wir draufschreiben, woher es kommt und was wirklich gutes deutsches Fleisch von gutem deutschem Boden ist.

Dennoch sind die Forderungen im Antrag natürlich richtig. Ausgewiesene Haltungsbedingungen sind gut. Nachvollziehbare Herkunfts- und Handelswege sind gut, artgerechte Sauenhaltung natürlich auch. Allerdings ist es wieder nur ein symptomatischer Ansatz, und es wird nicht viel ändern. Dafür müsste man sich schon etwas trauen und den großen Wurf wagen.

Norwich Rüße, du hast eben etwas sehr Schönes gesagt. Du hast gesagt: Das muss als Vision gelebt werden. Wir möchten endlich mal nach vorne arbeiten und nicht nur permanent reagieren müssen. So sähe auch unser Ansatz aus: proaktiv Politik zu machen und nicht nur reaktiv zu arbeiten. Das ist also ein wahrer Ansatz nach Piratenart. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Hendrik Schmitz [CDU]: Aha!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Angenehme und Gute vorweg: Lieber Josef Wirtz, alles Gute für deinen zukünftigen Lebensweg! Ich darf mich herzlich bedanken – auch bei Ihnen, Herr Busen – für die gute menschliche Zusammenarbeit; wir konnten das Gespräch schließlich auch außerhalb der Kontroverse gut miteinander führen. Ich sage auch Danke dafür, dass ich mich insbesondere mit Ihnen beiden hier im Plenum so gut streiten konnte, und das muss ich jetzt tun. Das ist vielleicht die schlechte Nachricht am Anfang meiner Rede.

(Vereinzelt Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, worum geht es, und warum möchte ich mich mit Josef Wirtz und auch mit Herrn Busen an dieser Stelle ganz besonders streiten? Sie haben heute mit Ihrer Positionierung deutlich gemacht, wo das Problem eigentlich liegt: Die Landwirtinnen und Landwirte sind viel zu lange Ihrer Positionierung gefolgt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben heute den Zustand, dass wir tatsächlich hinter der Zeit sind. In vielen Fragen drängen uns andere, endlich Entscheidungen zu treffen. Wir werden von der EU-Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens aufgefordert, die Düngeverordnung durchzusetzen. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht sagt, der Kastenstand sei nicht in Ordnung; die Diskussion darüber gibt es schon lange. Beim Ringelschwanz ist auf europäischer Ebene längst klar, dass es solche Amputationen nicht geben darf. Trotzdem dulden wir die Regel als dauerhafte Ausnahme in unserem Land.

Wir sind niemals vor der Zeit, wenn wir die Entscheidung treffen, den Bäuerinnen und Bauern, den Landwirten langfristig Investitionssicherheit zu geben und gleichzeitig auch für Einkommen zu sorgen. Das hängt doch zusammen, und es muss auch zusammenhängen.

Deshalb ist die Frage der Kennzeichnung von entscheidender Bedeutung. Wie soll ich denn sonst an der Ladentheke erkennen, ob eine bessere Tierhaltung stattgefunden hat oder nicht?

Wir haben ein Beispiel dafür, wo es funktioniert. Es ist ja nicht so, als ob es eine solche Kennzeichnung nicht schon gäbe. Beim Ei gibt es die Ziffern 0, 1, 2 und 3. Daran kann die Verbraucherin bzw. der Verbraucher erkennen, ob es sich um ökologische Haltung, Freilandhaltung, Bodenhaltung oder Käfighaltung handelt. Hier hat sich der Verbraucher schon entschieden. Der Verbraucher hat entschieden: Eier aus Käfighaltung kaufe ich nicht mehr.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb haben die großen Discounter diese ausgelistet. Eier aus Käfighaltung bekommen Sie in unseren Discountern nicht mehr. Denn die Verbraucher haben offensichtlich gesagt: Die wollen wir nicht. – Die Verbraucher haben also eine klare Entscheidung getroffen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Beim Fleisch kann diese Entscheidung aber nicht getroffen werden. Deshalb bin ich für eine Kennzeichnung, damit die Bäuerinnen und Bauern mehr Geld für ihr gutes Produkt bekommen, damit die Haltung auch gewürdigt werden kann. Ohne kann ich mich nicht entscheiden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

So gehört das eine zum anderen dazu. Klar ist – Sie werden das Argument ins Feld führen –: Beim Ei ist es nicht vollständig gelungen. Klar ist auch, dass drei Viertel der Eier in der Verarbeitung verwendet werden. Insofern lautet unsere klare Forderung – der Bundesrat hat es mit Mehrheit beschlossen –, auch bei der Verarbeitung entsprechend zu kennzeichnen.

Wir brauchen eine umfassende Kennzeichnung, damit das Geld letztlich bei den Produzenten, den Bäuerinnen und Bauern, landet, damit sie sicher investieren können. Neue Haltungssysteme sind teuer, gar keine Frage. Das braucht Investitionssicherheit.

In dem Zusammenhang habe ich schon mehrfach das Beispiel von großen Schlachtereien in Nordrhein-Westfalen erwähnt. Die wären sehr wohl bereit, solche Produkte auch zu vermarkten, sagen aber, sie brauchen 50.000 Mastplätze, um daraus dann auch eine Marke machen zu können. Das muss investiert werden können. Deshalb braucht es Investitionssicherheit, und das geht nur mit einer Kennzeichnung und einer entsprechenden staatlichen Förderung über die europäischen Agrarmittel. Es ist unsere Absicht, das so miteinander zu kombinieren, dass daraus auch gute Marken entstehen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie mit den Vertreterinnen und Vertretern der Initiative Tierwohl sprechen, die wir sehr wohl unterstützen, dann stellen Sie fest: Das ist genau das der Punkt, warum wir – bisher jedenfalls – nicht den großen Durchbruch haben erzielen können, nämlich weil die Kennzeichnung fehlt. Deshalb macht es großen Sinn, einen solchen Schritt gemeinsam zu tun. Leider ist der Bundesminister hier ausgesprochen zögerlich. Mit seiner „leeren Formel“, die er bislang vorgestellt hat, ist den Bauern, glaube ich, nicht geholfen, und das wissen Sie auch.

Klar ist: In diesem Sommer stehen Entscheidungen an. Nordrhein-Westfalen hat das Positionspapier „Nachhaltige Nutztierhaltung Nordrhein-Westfalen“ vorgelegt. In Niedersachsen gibt es eine solche Strategie. Wir haben ein gemeinsames Papier gemacht. Und am Ende des Tages wird auch die Bundesregierung endlich Konsequenzen aus den Vorschlägen ziehen müssen, die die Lindemann-Kommission gemacht hat.

Am Ende nur noch ein Wort zum nationalen und internationalen Wettbewerb – darüber müssten Sie ja spätestens dann stolpern, wenn diese Tatsachen auch in der Debatte eine Rolle spielen würden –: In Dänemark gibt es das sogenannte Dänische Modell. Wenn wir hier in Deutschland keine Kennzeichnung einfordern, dann werden die Ferkel demnächst aus Dänemark oder aus Spanien kommen. Deshalb brauchen wir eine Kennzeichnung zur Haltung, Erzeugung und auch Mast, versehen mit Qualitätsstandards.

Es ist auch klar: Schon heute liefern deutsche Bauern aus Niedersachsen, aus Nordrhein-Westfalen in die Niederlande, weil es dort das Label „Beter Leven“, Das ist in der Tat ein Standardkennzeichen.

Insofern brauchen wir eine solche Kennzeichnung auch für den nationalen und internationalen Markt, um hier nicht abgehängt zu werden. Deshalb unterstützt die Landesregierung mit Nachdruck die Initiative der Koalitionsfraktionen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Remmel. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht, sondern eine Abstimmung.

Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir stimmen also ab über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14664. Wer stimmt diesem Antrag zu? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Piratenfraktion und Herr Schwerd, fraktionslos, sowie Herr Stüttgen, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Eine Enthaltung von Herrn Schulz, fraktionslos. Alles das ändert nichts daran: Dieser Antrag Drucksache 16/14664 ist mit breiter Mehrheit angenommen.

Wir kommen zu:

3  Schluss mit der Schönrednerei – Nordrhein-Westfalen braucht eine Regierung, die die Probleme unseres Landes erkennt und bekämpft!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14654

Herr Hovenjürgen von der CDU-Fraktion wird jetzt begründen, warum die CDU das so sieht. Bitte schön.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Probleme lösen will, muss sich diesen Problemen stellen und muss auch bereit sein, sie zu benennen. Das vermissen wir bei der Landesregierung seit Jahren. Wir haben Schönrednerei, wie wir sie schlimmer nicht haben könnten.

Wir können anfangen bei der Ministerpräsidentin dieses Landes, die zum Beispiel laut einem Bericht in der „Aachener Zeitung“ im August 2016 verkündet hat, 170 Milliarden € für Kinder, Familie und Bildung zur Verfügung gestellt zu haben. Und sie legt noch einen drauf. Laut einer Meldung in der „Neuen Westfälischen“ im Februar 2017 verkündete sie, mehr als 200 Milliarden € für Kinder, Bildung und Familien investiert zu haben.

Was die Ministerpräsidentin dabei verschweigt, ist, dass 40 Milliarden € dieser 200 Milliarden € in die Pensionen der Lehrer fließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Pensionäre geben keinen Unterricht und können damit im Endeffekt nicht der Bildungspolitik zugerechnet werden. Insofern ist das auch wieder eine der vielen Nebelkerzen, die hier im Lande geworfen werden.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Beim Breitbandausbau – ich erinnere an die denkwürdige Rede von Frau Kraft am 29. Januar 2015 – hat sie sich auf das Juncker-Investitionsprogramm bezogen. Dort seien 315 Milliarden € ausgelobt, und man habe 3,7 Milliarden € gemeldet. Am Ende kommt heraus, dass die NRW.BANK Projekte für 30 Millionen € angeschoben bzw. auf den Weg gebracht hat. Das ist nicht einmal ein Bruchteil dessen, was die Ministerpräsidentin angekündigt hat. Und so geht es weiter, meine Damen und Herren.

Die Ministerpräsidentin redet am 12. September 2012 in einer Regierungserklärung davon, dass man prekäre Beschäftigung zurückdrängen will,

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass man Zeitbeschäftigung reduzieren will. Und was kommt dabei heraus? Zwischen 2015 und 2016 gab es 1.645 Arbeitsverhältnisse mehr mit Zeitarbeitsverträgen. – So viel zu den eigenen Ansprüchen.

(Beifall von der CDU)

Wenn wir dann ins Ruhrgebiet schauen, der Region, aus der ich stamme, dann muss man ganz einfach sagen: Sie lassen das Ruhrgebiet in einer Art und Weise im Stich, dass die Heide wackelt.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, der von Ihnen gelobte Stärkungspakt wird zum Mühlstein für die Kommunen.

(Marc Herter [SPD]: Das erzählen Sie mal Ihrem Oberbürgermeister! Mühlstein 700 Millionen €!)

Die Kommunen mussten sich, um die Auflagen im Stärkungspakt erfüllen zu können, in eine Hochsteuerregion verwandeln. An diesem Fakt, wenn die Menschen da die höchste Abgabenlast haben, wo es schlecht läuft, Herr Herter, erkennen Sie,

(Marc Herter [SPD]: Erklären Sie das mal Ihrem Oberbürgermeister!)

wie falsch Ihre Politik ist.

(Beifall von der CDU)

Noch einmal: Wir behaupten nicht, dass wir im Binnenverhältnis zu unseren Kommunen in unserer Regierungszeit alles richtig gemacht haben.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Oh!)

Aber der Stärkungsparkt, den Sie auf den Weg gebracht haben, wird der Mühlstein für unsere Region. Wir haben keine Flächen mehr zur Verfügung, der LEP schränkt die Flächenausweisungen ein. Da, wo wir Flächen im Angebot haben müssten, um Arbeit zu generieren, können wir nichts mehr anbieten. Da, wo der newPark erforderlich ist, liebe Piraten, wird blockiert, behindert etc.

(Beifall von der CDU – Michele Marsching [PIRATEN]: Ich kann es nicht mehr hören, ehrlich!)

Es gibt keine Möglichkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Das ist Ihre Haltung.

Kommen wir zu den Polizeikräften:

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Die Ministerpräsidentin hat hier nach der Silvesternacht erklärt, 500 Polizisten einstellen zu wollen – 500! Heute überprüfen wir ihre Aussage. Es sind real nur 94 geworden. Also: Versprechen gebrochen, auch in diesem Fall wieder!

(Beifall von der CDU)

Was ist das für eine Ankündigungspolitik, die nicht im Ansatz den Realitäten entspricht? So gewinnt man die Menschen in diesem Lande nicht.

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Menschen sind motiviert, sie wollen ihre Zukunft gestalten. Sie sind im Übrigen in einem guten und in einem schönen Land zu Hause, sie werden nur leider grottenschlecht regiert.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich hoffe, dass wir alles dafür tun können, dass wir wieder Zukunftswege aufzeigen können, dass wir wieder eine echte Flächenpolitik machen können, dass die Menschen im Ruhrgebiet vor Ort Arbeit finden können

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und sich nicht morgens in den Stau begeben müssen, weil es vor Ort keine Arbeit mehr gibt.

Seit 2010 haben wir 3.800 ha Industrie- und Gewerbefläche verloren. Wir sind Wolferwartungsland geworden, aber von Arbeitsplatzerwartung ist nichts zu spüren. Das ist die falsche Zielsetzung; das muss man an dieser Stelle sagen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es geht um Zukunft in Nordrhein-Westfalen. Es geht um Aufbruch in diesem Land. Das geht nicht mehr mit dieser Landesregierung; das hat sie sieben Jahre lang bewiesen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP – Norbert Meesters [SPD]: Glauben Sie das selber?)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hovenjürgen. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist bei dieser Rede insbesondere eines aufgefallen: Sie war zum Schluss sehr laut, schreibt aber das fort, was wir jetzt zweieinhalb Tage in diesem Plenum erlebt haben: Die CDU nörgelt und kritisiert, macht aber nicht einen einzigen inhaltlichen Vorschlag.

(Norbert Meesters [SPD]: Weil da nichts ist!)

Sie haben absolut null Inhalte. Sie haben keinen Plan für das Land. Das ist auch in dieser Rede wieder deutlich geworden.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zudem entbehrt Ihre Kritik jeglicher Fakten und ist in vielen Punkten von keiner Sachkenntnis getrübt.

Fangen wir kurz bei den befristeten Stellen an. Fakt ist, wir haben 16.000 befristete Stellen abgebaut. Fragen Sie doch mal die Kollegen im BLB und in der Justiz, wie es war. Sie haben dort Hunderte befristete Stellen geschaffen, die wir in feste Arbeitsverhältnisse umgewandelt haben. Das ist die Realität.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wer war der Chef im BLB? Ihr Parteifreund!)

– Da können Sie noch so viel brüllen, Herr Hovenjürgen, und nicht von Ihren Unwahrheiten ablassen! – Bei den 50 Stellen bezichtigen Sie die Gewerkschaften der Lüge. Die Gewerkschaften haben erklärt: Das ist nicht sachgrundlos befristet, sondern das ist ein vernünftiger Weg. – Sie ignorieren das, weil Sie keine anderen Argumente haben.

Sehen wir uns den Bereich Bildung, den Sie angesprochen haben, an. Sie haben 2010 im Wahlkampf erzählt: In der Bildung ist alles toll; in der Bildung in NRW ist alles großartig. – Seitdem haben wir zahlreiche neue Lehrerstellen geschaffen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber nicht besetzt!)

Bei 200.000 Schülerinnen und Schüler weniger haben wir 5.000 Lehrerstellen mehr besetzt als zu Ihrer Zeit. Das sind doch die Zahlen!

Wir haben mehr besetzte Lehrerstellen; wir haben mehr Geld investiert. Ihre Behauptung „Dadurch ist es schlechter geworden“, Herr Hovenjürgen, glaubt Ihnen doch draußen kein Mensch. Und das Schlimme ist, Sie wissen das. Sie wissen das doch.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wenn Sie über das Ruhrgebiet reden, sind Sie ja in Ihrer Fraktion sehr einsam. Nehmen Sie erst mal die Fakten zur Kenntnis! Allein 2016 sind im Ruhrgebiet 22.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Und da malen Sie solche Untergangsszenarien.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: 10 % Arbeitslosigkeit im Emscher-Lippe-Raum – immer noch!)

Die Industrie- und Handelskammer Ruhr verkündet: Es wird noch besser werden. Der Aufschwung im Ruhrgebiet wird weitergehen. – Das sagen die Industrie- und Handelskammern. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie doch zumindest mal auf Gewerkschaften und Industrie- und Handelskammern!

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Was erzählen Sie da? – Weitere Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Da können Sie noch so viel brüllen, Herr Hovenjürgen, diese Argumente aufzunehmen, würde Ihnen endlich mal vernünftige Inhalte an die Hand geben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wenn Sie über das Ruhrgebiet reden, wie sind die Lösungsansätze der CDU für das Ruhrgebiet?

Erstens. Sie kündigen an, Finanzmittel in den ländlichen Raum umzuschichten – das heißt, dem Ruhrgebiet Geld wegzunehmen und in den ländlichen Raum zu geben.

Zweitens. Die CDU fordert Polizei aus dem Ruhrgebiet abzuziehen und in den ländlichen Raum zu geben.

(Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das sind Ihre Lösungsansätze für das Ruhrgebiet. Mit Ihnen wird es dem Ruhrgebiet schlecht gehen. Das ist doch die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ihre zweite Lösung für das Ruhrgebiet steht in Ihrem Antrag. Sie lehnen den sozialen Arbeitsmarkt ab. Sie lehnen es ab, die Langzeitarbeitslosigkeit im Ruhrgebiet zu bekämpfen und den Menschen wieder eine Chance zu geben. – Das schreiben Sie in einen Antrag.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt nicht!)

Das ist doch ein Skandal, hier zu sagen: „Wir wollen etwas für die Menschen im Ruhrgebiet tun“, und dann verweigern Sie ihnen konkret die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Antrag hat den vollkommen falschen Titel. Ihr Antrag müsste den Titel haben: Schluss mit der Untergangsrhetorik – NRW braucht eine Opposition, die das Land kennt und Alternativen aufzeigt! – Die hat sie nicht, und deswegen wird NRW diese Opposition auch behalten. – Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Hovenjürgen.

(Stefan Zimkeit [SPD] eilt zum Rednerpult zurück.)

Langsam, langsam. Fallen Sie nicht! Wir sind gut in der Zeit. Sie müssen nicht hetzen.

Herr Hovenjürgen, es stehen Ihnen eine Minute und 30 Sekunden zur Verfügung. Bitte schön.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident, herzlichen Dank. – Herr Zimkeit, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass wir im Emscher-Lippe-Raum immer noch zweistellige Arbeitslosenprozentzahlen haben – höher als in anderen Regionen –, sodass wir dort viel mehr tun müssten als das, was zurzeit passiert, und dass wir dafür Fläche brauchen? Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Fläche im Ruhrgebiet fehlt?

Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass wir am Ende eines solchen Prozesses einen sozialen Arbeitsmarkt nicht ablehnen, aber dass es unser vorrangiges Ziel ist, ordentliche, vernünftige Arbeitsverhältnisse im Ruhrgebiet zu schaffen, damit die Menschen in Arbeit kommen, ein eigenverantwortetes Leben führen können und nicht von Sozialhilfe abhängig sind? Das muss Ziel einer Politik sein und nicht vorrangig sozialer Arbeitsmarkt.

(Beifall von der CDU – Zurufe von den GRÜNEN)

Stefan Zimkeit (SPD): Sie haben als Erstes bewiesen, dass Sie gar nicht wissen, was der soziale Arbeitsmarkt ist. Der soziale Arbeitsmarkt ist nämlich nicht die Abhängigkeit von Sozialhilfe, sondern es sind sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose.

(Zuruf von Günter Garbrecht [SPD])

Herr Hovenjürgen, Sie haben gerade eine Kurzintervention gemacht und ständig dazwischengeschrien. Vielleicht wäre es sinnvoll, gelegentlich mal zuzuhören. Sie haben gezeigt, dass Sie nicht wissen, was dieser soziale Arbeitsmarkt ist. Wir wollen mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen Langzeitarbeitslosen Chancen geben, die sie sonst auf dem Arbeitsmarkt nicht haben. Genau das tun wir doch, weil wir wissen, dass die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet und in anderen Regionen höher ist und dass die Menschen schlechte Chancen haben. Uns geht es eben um die Menschen, die nicht so gute Chancen haben. Das ist für uns zentral.

Natürlich kennen wir die Flächenproblematik. Das ist ja der Unterscheid zwischen uns und Ihnen. Sie malen alles schrecklich, Sie sehen alles schwarz. Wir wissen, es gibt Probleme in diesem Land, die wir anpacken müssen. Es gibt Herausforderungen, auf die wir auch konkrete Antworten haben. Sie reden nur schlecht und präsentieren gar nichts.

Ihr Gerede über den Landesentwicklungsplan entbehrt jeder Grundlage. Natürlich benötigen wir Flächen. Aber es stehen auch Flächen durch die Umwandlung zur Verfügung.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Eben nicht!)

Wir haben dafür gesorgt, dass ehemalige Bergbauflächen im Rekordtempo zur Verfügung gestellt werden,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Einmaliger Vorgang!)

um neue wirtschaftliche Entwicklungen zu ermöglichen. Der Wirtschaftsminister stellt das immer wieder dar. Das ist das, was wir leisten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sind konkrete Lösungen und ist nicht nur Gerede wie bei Ihnen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Damit sind wir beim nächsten Redner. Es spricht für die grüne Fraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen heute Teil 2 der Torschlusspanik der CDU nach Mittwoch.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Heute gibt es wieder einen Zahlenzauber, der durch nichts zu überbieten ist. Ich finde es schon großartig, dass Sie jetzt tatsächlich auch noch diese Kommunalnummer auf den Tisch legen.

Ich sage es Ihnen gerne noch einmal: Sie hatten 2006 das historisch niedrigste GFG mit 5,6 Milliarden €. Wir haben im Jahr 2016 10,6 Milliarden €. Das sind in zehn Jahren über 90 % mehr. Es ist doch erbärmlich, dass Sie sich hierhin stellen und uns an der Stelle kritisieren.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die CDU hat 2013 die Streichung von 30.000 Stellen im Landesdienst vorgeschlagen. Wollen Sie damit die Schulstellen nachbessern, die Sie nicht gebracht haben? Tatsächlich hat diese Ministerin dafür gesorgt, dass 10.000 Stellen, die Sie im Schulbereich streichen wollten, nicht gestrichen worden sind und es trotz zurückgehender Zahlen bei Schülerinnen und Schülern mehr Lehrerinnen und Lehrer gibt als vorher. Mittlerweile sind es über 9.000 Stellen im Landesdienst. Das ist ganz im Gegensatz zu CDU und FDP die Leistungsbilanz dieser Regierung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Wie viele sind denn besetzt, Herr Kollege?)

Noch ein Punkt: Was Sie mit den Polizeizahlen machen, ist abenteuerlich. Die GdP forderte 1.800 zusätzliche Stellen. Rot-Grün hat 2.300 eingestellt. Sie reden hier allen Ernstes davon, dass wir die Versprechen nicht eingehalten haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie hier veranstalten, ist doch „Sechs, setzen!“.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben diesen fünfseitigen Antrag lustlos zusammengefummelt. Herr Lindner hat schon am Mittwoch gesagt, dass man keine Vergleiche anstellen soll. Herr Kollege Lindner hat aber selbst versucht, zu vergleichen. Er hat nämlich versucht, Real- und Nominalwachstum zu vergleichen. Ich zitiere, was er gesagt hat: Wenn man die Preisentwicklung sieht, muss man sagen, dass es einen realen Verlust an Wirtschaftskraft gibt. – Der Chef der Staatskanzlei hat das nachgerechnet. Herr Kollege Linder hat versucht, vom Realwachstum noch einmal etwas abzuziehen. Soviel zur Wirtschaftskompetenz unserer Wirtschaftspartei FDP, zu den Nachfolgern von Otto Graf Lambsdorff. Das soll unsere Wirtschaftspartei sein? Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Warum machen Sie das? – Weil Sie eigentlich von dem ablenken möchten, was Sie wirklich tun wollen. Sie wollen Studiengebühren statt Bildungsgerechtigkeit.

(Zuruf von der CDU: Das stimmt doch gar nicht! Das ist die Unwahrheit, Herr Kollege!)

Sie wollen Steuersenkungen für Reiche statt Investitionen in Schulen, Kindertagesstätten und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

(Unruhe)

– Ganz ruhig. Ich meine gerade Ihre Kollegen. Aber Sie können sich ja mitärgern.

Sie wollen Elitegymnasien statt Chancen für alle. Sie wollen ausblutende Städte statt Solidarität zwischen Jung und Alt und zwischen Arm und Reich.

(Zuruf von der CDU: Unsinn!)

Sie haben gestern eine eindrucksvolle Debatte geführt. Sie halten Klimaschutz immer noch für das wichtigste Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Kampf gegen Windmühlen und Ihr Hoffen auf Atomenergie ist der völlig falsche Weg. 100.000 neue Jobs in der Umweltwirtschaft, mehr erneuerbare Energien, mehr Klimaschutz

(Ralf Witzel [FDP]: Alles Subventionen! Milliarden an Subventionen!)

und mehr Elektromobilität ist der Weg, den das innovative Nordrhein-Westfalen benötigt. Deswegen werden wir diese Unterschiede deutlich machen.

Lieber Kollege Witzel, für Sie habe ich noch ein ganz besonderes Präsent. Sie haben es tatsächlich geschafft, mich dafür zu kritisieren, dass die Erweiterung am Flughafen Düsseldorf immer noch nicht gestoppt ist. Sie haben in einer Podiumsdiskussion gesagt,

(Ralf Witzel [FDP]: Ich habe aus Ihrem Koalitionsvertrag aus 2010 zitiert!)

dass Sie nicht daran glauben, dass zusätzliche Arbeitsplätze in Düsseldorf geschaffen werden. Ihr Kollege Rasche hat hier sehr deutlich für die FDP in Nordrhein-Westfalen erklärt:

(Ralf Witzel [FDP]: Das war Ihr Koalitionsvertrag!)

Es ist ein Anschlag auf den Wirtschaftsstandort Düsseldorf, dass die Kapazitätserweiterung um 1.200 Plätze nicht kommt. – Sie machen billigen Wahlkampf. Wir werden das darlegen. Wir werden das, was die FDP in Nordrhein-Westfalen vorhat, sehr deutlich ins Land hinaustragen.

(Beifall von den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Ja, genau!)

Diese Kapazitätserweiterung ist falsch. Die Politik der FDP ist doppelzüngig und falsch.

(Karlheinz Busen [FDP]: Von nichts eine Ahnung und eine große Klappe!)

Das werden wir klar auf den Tisch legen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesländervergleich zeigt uns regelmäßig: Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land. Sonst hätte es die sieben Jahre Rot-Grün auch nicht überstanden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nordrhein-Westfalen ist bei all dem spitze, bei dem wir es uns nicht wünschen: bei Schulden, bei den Steuersätzen im Land und in den Kommunen, bei Stau, bei Kriminalität, bei Unterrichtsausfall, bei der Arbeitslosigkeit, bei immer stärkerer bürokratischer Überregulierung und bei der Gängelung von Menschen und Betrieben. – Umgekehrt hinkt Nordrhein-Westfalen überall dort hinterher, wo dies außerordentlich bedauerlich und schmerzlich ist, nämlich bei der Start-up-Kultur und Unternehmensgründungen,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

bei Selbstständigen und beim Verkehrswegebau.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Warum sagen Sie immer die Unwahrheit, wenn Sie da vorne stehen?)

Deshalb ist man ja in Nordrhein-Westfalen und insbesondere im Ruhrgebiet – das ist auch eine wichtige Betrachtungsfacette dieses Antrags – schon froh, wenn man nicht auf den Abstiegsplätzen liegt. Sie feiern sich als rot-grüne, noch amtierende Mehrheit in diesem Hause schon für durchschnittliche Werte, wenn man irgendwo Mittelmaß ist.

Herr Kollege, das ist in der Tat nicht unser Anspruch. Das reicht uns nicht aus. Wir wollen den Ehrgeiz haben, dass wir zur Spitze gehören.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Es wäre schön, wenn ihr zumindest manchmal Mittelmaß erreichen würdet!)

Wir wollen, dass wir in Nordrhein-Westfalen härter arbeiten, um mit zur Spitze zu gehören. Das setzt mehr Einsatz, mehr Leistung und vonseiten der Politik selbstverständlich auch bessere Rahmenbedingungen voraus.

(Beifall von der FDP)

Unser Ziel als FDP-Landtagsfraktion ist es, besser zu sein als der bundesweite Trend – aber doch nicht durch Ansätze, wie Sie sie haben, indem Sie Martin Schulz hinterherlaufen. Das ist Ihr Modell: Martin Schulz soll den bundesweiten Trend der Wirtschaftsentwicklung senken, damit die Lücke in Nordrhein-Westfalen nicht mehr so sehr auffällt. Das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen, dass sich Deutschland insgesamt gut entwickelt, insbesondere auch deshalb, weil wir in Nordrhein-Westfalen bei den Indikatoren erfolgreich sind.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb gehört es auch zu dieser Debatte, dass man für eine sachliche Bewertung politischen Wettbewerbern Respekt entgegenbringt an den Stellen, an denen sie es verdient haben. Vieles von dem, was Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agendapolitik betrieben hat, war richtig. Viele Reformen, die er auf den Weg gebracht hat, waren richtig. Sie haben uns an verschiedenen Stellen auch geholfen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren besser entwickelt hat als andere europäische Länder.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sagen Sie das jetzt, weil Sie nicht für den Bundestag kandidieren dürfen wie die wichtigen Leute von der FDP?)

Deshalb ist es so fatal, dass Sie sich vorgenommen haben, diese Reformen, die Ihre Parteifreunde in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, jetzt mit Martin Schulz wieder rückabwickeln zu wollen. Das ist der verkehrte Weg.

Gerade weil auch das Ruhrgebiet in dem Antrag als wichtiger Teil angesprochen ist, auch als Beispiel dafür, wo der Reformstau besonders groß ist, bin ich meinem Kollegen sehr dankbar, dass er wichtige Fragen angesprochen hat, die aber eine völlig andere Betrachtung verdienen. Wir haben es doch an wesentlichen Stellen im Ruhrgebiet mit einer durchgängigen grünen Investitionsblockade zu tun. Sie tun doch seit Jahren alles, um das weltweit modernste Kraftwerk, Datteln 4, nicht ans Netz zu nehmen. Sie unternehmen alles, damit es keine Gewerbeflächenentwicklung bei newPark gibt.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Oh Gott! – Stefan Zimkeit [SPD]: Glauben Sie wirklich, was Sie da erzählen? – Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Stattdessen überbieten Sie sich mit Staatsausgaben für Radautobahnen.

(Lachen von Norwich Rüße [GRÜNE])

Da gilt dann für Sie kein Planungsrecht mehr, da gelten keine Umweltverträglichkeitsprüfungen, damit Pendler von Dortmund bis Duisburg mit Rikschas durch die Gegend fahren können,

(Lachen von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Sie schreiben Mindestbreiten vor für die Fußwege, für den überregionalen Fußverkehr,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist doch irre, was Sie da erzählen!)

und Sie machen den Landesbetrieb Straßen.NRW zuständig für eine Streupflicht, weil ja gerade dann, wenn draußen Glatteis ist, besonders viele Menschen mit Rikschas auf der Radautobahn unterwegs sind. Das ist Ihre Verkehrspolitik, und die halten wir für grundlegend falsch.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Witzel, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Klocke. Würden Sie diese annehmen?

Ralf Witzel (FDP): Ja, selbstverständlich. Immer gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Dann ist Herr Klocke jetzt am Zug. – Bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Danke, Herr Präsident. Danke, Herr Witzel. – Herr Witzel, haben Sie die aktuellen Zahlen präsent, was das Land an Radschnellwegen fördert, was der Bund fördert; denn Sie halten uns das ja gerade vor? Ich würde Sie einfach gerne einmal fragen, welche Summe im aktuellen Haushalt für den Radschnellwegebau in Nordrhein-Westfalen eingestellt ist.

(Herbert Franz Goldmann [GRÜNE]: Das kann er doch nicht wissen! – Oliver Bayer [PIRATEN]: Zu wenig!)

Ralf Witzel (FDP): Herr Kollege Klocke, es ist richtig: Der Löwenanteil der Finanzierung für die Radautobahnprojekte kommt aus Bundesmitteln.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ach was?)

Diese Mittel werden vom Land in diesem Jahr mit einem einstelligen Millionenbetrag ergänzt und vom RVR weiter unterstützt, aber natürlich auch, weil Sie das Signal gesendet haben, dass Sie diese Mittel für diese Zwecke wollen. Es ist ja kein Zufall, dass die Mittel – auch bei dem Löwenanteil, der vom Bund kommt – für den Radwegebau, für diesen Zweck des Verkehrswegebaus, ausgegeben werden. Das Land hat das ja entsprechend ergänzt.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das halten Sie für falsch? Was ist daran falsch?)

Deshalb haben Sie, Herr Kollege Klocke, – das ist ja Ihr Ziel, das haben Sie ja vor wenigen Wochen hier im Hohen Haus begründet –, die Radautobahnen verkehrsrechtlich gesehen zu Landesstraßen erhoben,

(Beifall von den GRÜNEN und Minister Michael Groschek)

damit sich der Landesbetrieb Straßen.NRW mit darum kümmert. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie nichts damit zu tun

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das tut doch keiner! Wir sind doch stolz darauf!)

und als seien das irgendwelche Segnungen des Bundes, mit denen Sie nichts zu tun haben wollen! Das jedenfalls ist nicht die Zukunft der Mobilität. Wir müssen deshalb die Fesseln der rot-grünen Blockade sprengen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ihr dickes Auto ist die Zukunft der Mobilität! – Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN – Glocke)

Wir müssen die Politik des grünen Misstrauens gegenüber Bürgern und Betrieben beenden. Wir brauchen weniger Regulierung in diesem Land, wir brauchen weniger Verbote. Deshalb werden die Menschen in Nordrhein-Westfalen in ein paar Wochen die Grünen in ihrer Regierungsrolle abwählen,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sehen wir noch!)

damit die Chance besteht, dass in diesem Land die ganze Remmel-Bürokratie schnellstens abgewickelt werden kann, um wieder neue Perspektiven für Wirtschaft und Beschäftigung zu eröffnen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Nun hat das Wort für die Piratenfraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne und an den Endgeräten! Im Grunde genommen reden wir, ähnlich wie bei TOP 3 am Mittwoch, über eine Bilanz der Politik von Rot-Grün in den letzten fünf Jahren. Ich frage mich, warum man das nicht in einem Antrag abhandeln konnte. Sei es drum, es ist jetzt aufgesplittet.

Herr Hovenjürgen, Sie haben vergessen, den Punkt zum Landesentwicklungsplan vorzulesen. Ansonsten fand ich das gut. Ich habe den Antrag zwar selbst gelesen, aber ihn hier noch einmal vorgestellt zu bekommen, Punkt für Punkt …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Vorgelesen!)

– Vorgelesen quasi! Das ist natürlich auch eine Leistung.

Für uns Piraten ist es eine relativ schwierige Situation, denn Sie machen es sich alle einfach: Sie haben klare Fronten, und wir stehen immer irgendwo in der Mitte.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Oder an der Seite!)

Woran ich nicht teilnehmen möchte, das ist dieses gegenseitige Beschuldigen, dieses Zurückblicken über sieben Jahre: Was ist bei Schwarz-Gelb falsch gelaufen? Was ist von Anfang an bei Rot-Grün falsch gelaufen? Ganz unsäglich finde ich – ohne Namen zu nennen –, dass Rednern hier die falsche Einstellung ihrer Tabletten vorgeworfen wird oder dass sie eine Krankheit hätten oder dass die FDP doch der Drogenfreigabe nicht zugestimmt hätte. Solche Argumente sollten in diesem Hohen Hause nicht fallen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE] – Stefan Zimkeit [SPD]: Glashaus und Steine!)

So richtig wurmt mich, dass im zweiten Redebeitrag von Herrn Zimkeit gesagt wird, die CDU habe keine Lösungen, und dann wird eine Fünf-Minuten-Rede dafür verschwendet – tut mir leid, Herr Zimkeit –, auch keine Lösungen aufzuzeigen, sondern die Nichtlösungen der CDU durchzusprechen. Dass die CDU keine Lösung hat, da sind wir uns einig. Was mich gefreut hätte, wäre gewesen, dass stattdessen Lösungen präsentiert werden. Denn niemand hier hat eine Vision für die Zukunft. Es wird immer nur darüber geredet, dass damals alles besser war – das sagt die eine Seite des Hauses – oder dass heute alles gut ist – das sagt die andere Seite des Hauses.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie haben augenscheinlich nicht zugehört!)

Aber was in Zukunft passieren soll, davon hören wir leider nichts. Stattdessen höre ich, dass die eine Statistik gegen die andere ausgespielt wird, und, je nachdem, welche Statistik man gelesen hat, ist NRW entweder Spitzenreiter oder Schlusslicht. Für mich – da bin ich ganz ehrlich – ist das ein trauriges Schauspiel, was heute hier passiert. Da fand ich den TOP 3 am Mittwoch besser, denn da haben wir tatsächlich inhaltlich geredet. Das mag auch daran liegen, dass wir jetzt nur fünf Minuten und eben keine acht Minuten haben.

Mein Problem mit diesem Antrag ist, dass der Titel falsch ist. Die CDU hat keine Visionen für die Zukunft. Die SPD hat keine Visionen für die Zukunft, sondern verwaltet das Heute; die Grünen machen da mit. Eigentlich müsste dieser Antrag den Titel haben: NRW braucht eine Regierung. – Damit wäre diesem Hohen Hause hier geholfen. Noch mehr wäre ihm geholfen gewesen, wenn wir das vernünftig unter TOP 3 am Mittwoch mitbehandelt hätten.

Aber sei’s drum! Wir werden diesen Antrag ablehnen, weil er in seiner Form einfach überhaupt nicht geht. Wir würden allerdings auch einem Gegenantrag nicht zustimmen, weil alles Schönreden in diesem Land nicht hilft.

(Zurufe)

Wir brauchen tatsächlich eine Politik für die Zukunft. Ich hoffe, dass die Menschen in diesem Land bei der Landtagswahl im Mai das erkennen und dass weder die CDU noch die rot-grüne Regierung hier die Chance haben, alleine mit ihrer Politik und mit diesem Verwalten des Heute, mit diesem Verwalten des Gestern vorzukommen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching. – Nun spricht Herr Schulz, fraktionslos.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen und Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal! Wir haben jetzt vier Wahlkampfreden gehört, die so lala waren. Wir reden über einen Antrag der CDU, der, mit Verlaub, keine Visionen enthält, was die Zukunft angeht – da gebe ich dem Kollegen Marsching absolut recht –, aber wir haben auch keine Visionen für die Zukunft vonseiten der SPD gehört.

Der Antrag zeigt in einigen Politikfeldern so etwas wie eine Bestandsaufnahme auf, und er soll darlegen, wie NRW nach den letzten fünf oder sieben Jahre Rot-Grün dasteht. Ich glaube: Ja, einiges davon stimmt – leider. Ich greife nur einen wichtigen Punkt aus dem Antrag auf, und das betrifft das Ruhrgebiet.

„Welt online“ veröffentlichte am 23. August 2016 ein Interview mit Christa Reicher, einer Professorin für Städtebau und Bauleitplanung der Uni Dortmund, ein Interview, in dem in bemerkenswerter Art und Weise laut über die Verknüpfung zwischen Stadtplanung und Entwicklung von Gesellschaft nachgedacht wird, ein Interview, das überschrieben ist mit – aus meiner Sicht falsch – „Ruhrgebiet? Zerstückelt, dauerpleite und hässlich“. Ein Abgesang soll das Interview wohl nicht sein, im Gegenteil, es ist ein Aufruf zum Aufbruch, auch zu einem Aufbruch in die Zeit eines neuen Governance, in der nicht nur die gewählten Politiker gefragt sind, sondern jeder Mitbürger, jede Mitbürgerin auch Eigeninitiative entwickeln sollte. Das bedarf der Erweiterung von Partizipation, insbesondere auch junger Menschen im Ruhrgebiet.

Das betrifft nicht nur Wohn- und Arbeitsexperimente. Da brauchen wir nur auf den Ausbildungsmarkt zu schauen: In München entfallen auf einen Bewerber um einen Ausbildungsplatz mehr als 1,7 Angebote; im Ruhrgebiet leider nur 0,7 oder noch weniger Angebote. Für alles das braucht es bessere Förderung von Mittelstand und vor allen Dingen Gründertum, frei von Bürokratismus und Denkverboten, und vor allen Dingen braucht es eine visionäre Regierung.

Wenn ich den Antrag als Aufforderung an alle betrachte – wie auch schon den Antrag vom Mittwoch –, dann muss ich sagen: Es trifft jeden, der das hier so sagt.

Egal, wie und in welcher Form er möglicherweise in der Zukunft an einer Regierung beteiligt sein wird, egal, ob das SPD sein wird oder CDU, ich wünsche dem Land Nordrhein-Westfalen auch künftig eine gute Regierung.

An diesem Tag, an dem ich in dieser Legislaturperiode meine voraussichtlich letzte Rede an diesem Pult – nämlich die 197. – halte, danke ich Ihnen allen für die Aufmerksamkeit, die Sie mir in den letzten fünf Jahren haben zuteilwerden lassen. Danke vor allen Dingen für Ihr Verständnis, auch wenn Sie mich manchmal nicht verstehen wollten oder konnten! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schulz. Als fraktionsloser Abgeordneter werden Sie dem Landtag ja künftig nicht angehören. Insofern war das vermutlich wirklich Ihre letzte Rede. Ihnen alles Gute für die weitere Zukunft auch vom Präsidium aus!

Nun spricht als nächster Redner für die Regierung Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir erleben heute, am dritten Plenartag dieser Woche, die dritte Variation des gleichen Themas. Das Thema lautet: Wie lenke ich am besten davon ab, dass ich keine eigenen Ideen und Konzepte habe?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und wie lenke ich am besten davon ab, dass ich, was eigene Positionen angeht, schwanke wie ein Schilfrohr im Wind? – Am besten tue ich das dadurch, dass ich versuche, das Land in allen Bereichen schlechtzureden.

Kommen wir nun zu den einzelnen Bereichen, die Sie auch in Ihrem Antrag ansprechen. Sie sprechen das Thema „Bildung“, das wir ja auch in den letzten Tagen vielfach diskutiert haben, erneut an und behaupten, die 200 Milliarden, die wir für die Bildung ausgegeben haben, seien eine falsche Zahl, weil in dieser Zahl auch die Personalkosten enthalten seien.

Wir haben nie bestritten, dass in dieser Zahl auch die Personalkosten enthalten sind. Übrigens machen das auch andere Länder so, wenn sie ihre Bildungsausgaben darstellen. Beispielsweise macht das auch Bayern so. Sie orientieren sich doch sonst so gerne an Bayern. Gerne stellen wir Ihnen die Broschüre der Bayrischen Staatsregierung „Schule und Bildung“ zur Verfügung, damit Sie auch weiter von Bayern lernen können.

Meine Damen und Herren, auch bei den Themen „Digitalisierung“ und „Juncker-Plan“ nehmen Sie Bewertungen vor, die einer Überprüfung nicht standhalten. Richtig ist, dass in der Tat Projektideen im Umfang von 3,7 Milliarden € durch die NRW.BANK gesammelt und benannt wurden. Diese Zahl ist, anders als Sie behaupten, korrekt. Wir haben nie die Behauptung aufgestellt, dies seien schon gebundene Mittel. Denn deutschlandweit sind insgesamt bisher erst 620 Millionen € aus diesem Fonds verausgabt worden. Das war der Stand am 10. März 2017.

Die Hauptzielgruppe dieses Fonds ist aber nicht die öffentliche Hand, sondern, wie Sie wissen, die Wirtschaft. Es geht um die Verbürgung von Krediten durch die Wirtschaft. Die Zielrichtung betrifft weniger die wirtschaftlich starken Länder der Europäischen Union, sondern es geht darum, Investitionen in Südeuropa zu stärken.

Anders als Sie suggerieren, ist es auch nicht Aufgabe der Bundesländer, die Mittel zu beantragen und zu verteilen. Wir sind mit zwei Projekten der NRW.BANK zur Bereitstellung von Haftungsfreistellungen für Darlehen an innovative mittelständische Unternehmen und mit einem zweiten mittelstandsorientierten Mezzaninkapital-Beteiligungsdachfonds immerhin das Bundesland, das die meisten Projekte für diesen Fonds angemeldet hat.

Das Thema „Befristungen“ ist hier in den letzten Tagen schon mehrfach diskutiert worden. Unter anderem hat der Finanzminister in der Fragestunde dazu ausführlich Stellung genommen. Ich kann mich deshalb darauf beschränken, noch einmal die zentralen Daten zu nennen. Die Zahl der befristeten Stellen liegt bereits heute weit unter 5 %. Seit der Regierungsübernahme hat die rot-grüne Landesregierung die Zahl der befristeten Stellen um 14 % abgesenkt. Die Landesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die Befristungen noch weiter und so schnell wie möglich abzubauen. Wir werden diesen Weg fortsetzen.

Dann führen Sie immer wieder beim Vergleich von Arbeitslosenzahlen das Ruhrgebiet an. Sie wissen aber auch, dass in Großstädten, in denen sich bestimmte Gruppen mit einem hohen Risiko für Arbeitslosigkeit konzentrieren, natürlich die Arbeitslosenquoten höher sind als in Flächenländern oder in ländlichen Regionen. Sie wissen doch auch, dass wir im Münsterland nahezu Vollbeschäftigung haben. Warum nennen Sie nicht das Münsterland, sondern immer das Ruhrgebiet?

Sie wissen auch, dass wir in Nordrhein-Westfalen allein zwölf der 23 deutschen Großstädte mit mehr als 250.000 Einwohnern haben. Wir sind das Land mit den meisten Großstädten. Wir haben mit dem Ruhrgebiet sozusagen einen eigenen Stadtstaat in unseren Landesgrenzen. Deshalb: Wenn Sie schon Vergleiche ziehen, ziehen Sie sie mit Stadtstaaten. Dann werden Sie feststellen: Die Arbeitslosenquoten im Ruhrgebiet liegen in einer vergleichbaren Größenordnung.

Zum Thema „Polizeistärke“ gab es bereits Gelegenheit, hier ausführlich zu diskutieren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Redezeit, Herr Minister.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Zum Thema „Stellenbesetzungsquote“ will ich darauf hinweisen, dass diese heute einen Prozentpunkt höher als zu Ihrer Regierungszeit liegt. Ihr Argument, wir würden Stellen nicht besetzen, geht also in die Irre. Wir haben umgerechnet 3.000 mehr besetzte Stellen als zu Ihrer Regierungszeit. Auch dieses Argument geht völlig in die Leere.

(Zuruf von der SPD: Bravo!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Kollege Hovenjürgen hat sich für die CDU-Fraktion zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt für 90 Sekunden das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Josef Hovenjürgen (CDU): Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister Lersch-Mense, Sie haben vorgetragen, wie Sie das Ruhrgebiet einschätzen.

Wir geben die Menschen im Ruhrgebiet nicht auf. Wir wollen für die Menschen Arbeit schaffen – auch im Ruhrgebiet. Sind Sie deshalb als derjenige, der auch für die Landesplanung zuständig ist, bereit, das aktuelle Baurecht zur Kenntnis zu nehmen? Denn das aktuelle Baurecht greift, wenn Betriebe im Ballungsraum aufgegeben werden, sodass wir dort nicht in gleicher Art und Weise wieder Betriebe ansiedeln können. Auf diesem Weg haben wir 3.800 ha Industrie- und Gewerbefläche verloren.

Sind Sie bereit, mit uns zusammen einen Weg zu gehen, der dazu führt, diesen Flächenverlust zukünftig zu vermeiden, Arbeitsplatzgewinnung vor Ort zu ermöglichen und den derzeitigen Bestandsschutz für Betriebe auf die Fläche zu erweitern, sodass die Fläche bei Aufgabe des Betriebes für die industrielle oder gewerbliche Nutzung nicht verloren geht? Sind Sie bereit, so einen Weg mitzugehen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Herr Hovenjürgen, wir hatten mehrfach Gelegenheit, die Flächenpolitik auch im Zusammenhang mit dem LEP zu diskutieren. Sie wissen, dass wir den Grundsatz im LEP festgeschrieben haben, dass sich der Flächenbedarf sowohl mit Blick auf die Siedlungs- wie auch auf die Gewerbeflächen bedarfsgerecht entwickeln soll.

(Christof Rasche [FDP]: Aus Sicht der Grünen!)

Das gilt selbstverständlich auch für das Ruhrgebiet. Sie wissen, dass die Landesregierung eigene Initiativen ergriffen hat, Brachflächen und ehemalige Industrieflächen wieder verfügbar zu machen.

Die in Ihrem Antrag enthaltene Unterstellung, es gäbe Einzelansiedlungsprojekte, die durch den LEP verhindert würden, ist ebenfalls nicht zutreffend. Sie wissen genau: Es geht um die Anmeldung von Gewerbeflächen für den Regionalentwicklungsplan. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist keine Antwort auf meine Frage!)

Es geht nicht um konkrete Industrieansiedlungsprojekte.

Aber selbstverständlich hat die Landesregierung nicht nur ein hohes Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung des Ruhrgebietes, sondern wie unsere Initiative zum sozialen Arbeitsmarkt zeigt, auch ein Interesse daran, diejenigen, die besondere Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, wieder in Beschäftigung zu bringen – natürlich mit dem Ziel des ersten Arbeitsmarkts. Aber da, wo das nicht sofort gelingt, soll über den sozialen Arbeitsmarkt eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt gebaut werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. – Das waren die Kurzintervention und die Entgegnung der Landesregierung darauf. Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/14654 beantragt. Zu dieser direkten Abstimmung über den Antrag kommen wir auch. Wer ist für den Antrag der CDU-Fraktion? – CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion sowie die beiden fraktionslosen Abgeordneten Schwerd und Stüttgen. Wer enthält sich der Stimme? – Der fraktionslose Kollege Schulz. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/14654 abgelehnt ist.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 3 und rufe auf:

4  Nutzlos-Maut mit allen Möglichkeiten verhindern – Schaden von Nordrhein-Westfalen abwenden

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14647

In Verbindung mit:

PKW-Maut von CDU, SPD und CSU durch den Bundesrat stoppen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14658 – Neudruck

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die FDP-Fraktion Herrn Kollegen Rasche das Wort.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP stellt einen Antrag zur Verkehrspolitik, und die Grünen, lieber Arndt Klocke, stehen nicht im Fokus, sondern CDU und SPD. Ich glaube, das passiert so ziemlich das erste Mal in dieser Legislatur, aber es hat seinen Grund.

Die Pkw-Maut der Großen Koalition wird in weiten Teilen der Gesellschaft abgelehnt und sie spaltet Europa. Der Einfluss Nordrhein-Westfalens hat nicht ausgereicht, um diesen Unsinn zu verhindern. Weder der Einfluss im Bundesrat noch der Einfluss zu den Bundestagsfraktionen der Union und der SPD. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, um diese Murksmaut – so hat sie Minister Groschek mehrfach bezeichnet – zu verhindern.

(Beifall von der FDP)

Schauen wir einmal kurz zurück: Am 1. September 2013 war das berühmte TV-Duell. Angela Merkel sagt dort: Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben! – Trotzdem vereinbaren CDU, CSU und SPD am 27. November im Koalitionsvertrag die Einführung der Maut. Diese haben dann auch beide Fraktionen im Deutschen Bundestag am 27. März 2015 beschlossen.

Dann ging es ein bisschen hin und her. Es gab ein Verfahren in der EU. Die Maut wurde auf Eis gelegt. Ein Jahr später gab es dann doch eine Einigung zwischen Berlin und Brüssel. Am 24. März 2017, also noch gar nicht so lange her, hat der Bundestag das Gesetz mit den Stimmen der Großen Koalition gebilligt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte, wir, also wir alle, müssen weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, um diese Maut zu verhindern. Mit „wir“ meine ich besonders unsere Kollegen von der CDU und von der SPD; denn ihnen ist es bisher nicht gelungen, ihre eigenen Kollegen von ihren eigenen Zielen zu überzeugen. Dabei haben sie ihre Ziele deutlich formuliert, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft noch am 24. März dieses Jahres – Zitat –:

„Wenn denn schon eine Pkw-Maut eingeführt wird, ist eine Regelung erforderlich, die Ausnahmen für Grenzregionen ermöglicht.“

Auch Armin Laschet – ich könnte jetzt die „Rheinische Post“ oder aus Plenarprotokollen zitieren – hat sich immer für Ausnahmen in der Grenzregion eingesetzt. – Beides ist gescheitert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit sind beide Vizevorsitzenden der großen Volksparteien CDU und SPD innerhalb ihrer Parteien gescheitert.

Herr Minister, auch die Landesregierung handelte widersprüchlich. In den Fachausschüssen des Bundesrats stimmte die Landesregierung unterschiedlich ab. Wie will sich denn Nordrhein-Westfalen im Bundesrat durchsetzen und die Interessen von Nordrhein-Westfalen durchsetzen, wenn die Koalitionsfraktionen, die Minister, im Bundesrat für Nordrhein-Westfalen unterschiedlich abstimmen? Das kann nicht funktionieren.

(Beifall von der FDP)

Unsere europäischen Nachbarn sind im Gegensatz zu CDU und SPD nicht so schnell bereit, die Mautvorschläge der CSU zu akzeptieren. Sie werden sich im Juni treffen und unter Garantie klagen. Wir sind gespannt, wie das Verfahren dann ausgeht.

Die Mautanhörung im Deutschen Bundestag, also im Verkehrsausschuss, war für die Maut vernichtend. Ralf Ratzenberger, ein anerkannter Fachmann, war nicht allein mit seiner Auffassung, im ersten Jahr der Einführung der Maut werde es zu einem Verlust von 71 Millionen € kommen. Die Maut könne sich auch generell in den Jahren danach zu einem Zuschussgeschäft entwickeln.

Meine Damen und Herren, wir müssen zu den Bürgern ehrlich sein. Wir alle! Wenn die Maut ein Minusgeschäft ist oder nicht die eingeplanten Millionen einbringt, dann wird sie doch erhöht werden. Das ist doch klar; das weiß jeder. Dann werden unsere Pendler in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland noch mehr belastet.

(Zuruf von der FDP)

Zweiter Punkt, bei dem wir ehrlich sein müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen: In Berlin wird auch überall darüber gesprochen und geschrieben, so „Berliner Zeitung“ am 23. März, dass die Maut Voraussetzung für die Infrastrukturgesellschaft ist. Dort wird sogar von Mechanismen geredet, die die Maut künftig wesentlich teurer werden lassen, also wesentlich mehr Maut. Die Geschichte von einer versprochenen Kompensation durch eine Senkung der Kfz-Steuer ist doch ein wahres Märchen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD.

(Beifall von der FDP und von Oliver Bayer [PIRATEN])

Wenn es wirklich Ihr Ziel sein sollte, über die Kfz-Steuer für einen Ausgleich zu sorgen, dann müssten Sie vermutlich vorher die Kfz-Steuer verdoppeln, damit es hinterher tatsächlich zu einem Ausgleich kommen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Maut wird erst praktisch in einigen Jahren eingeführt werden. Es bleibt also den vernünftigen Köpfen – dazu zähle ich CDU, SPD in diesem Hohen Haus und die anderen auch – genügend Zeit, um diese Murksmaut oder diesen Mautunsinn zu verhindern. Dafür sollten wir in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und vermutlich auch Jahren kämpfen.

Ich kann mir also als rationaler Politiker nicht vorstellen, dass die Kollegen von CDU und SPD den Antrag der FDP, dem sie inhaltlich persönlich zustimmen, hier heute Mittag ablehnen werden. Das glaube ich einfach nicht, das kann ich mir nicht vorstellen. Also stimmen Sie unserem Antrag im Sinne der Bevölkerung unseres Landes zu; denn die will diese Maut nicht! – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Maut-Opfer! Ich habe es beim Schreiben des Antrags nicht glauben wollen, ich habe es nicht wahrhaben wollen, dass CDU, SPD und die Grünen aus den Ländern heraus noch nicht einmal die Kraft haben, den Vermittlungsausschuss anzurufen.

Das unsinnigste politische Projekt Deutschlands – extrem teuer, extrem gefährlich –, diese Machtdemonstration einer rechten Regionalpartei zum Leidwesen von 18 Millionen Menschen in NRW und unseren Gästen wird nur ermöglicht, weil sich die gesamte SPD und die gesamte CDU dahinter stellen.

Thüringen mag sich billig verkauft haben, aber von den angeblich starken Landesverbänden der SPD und CDU in Nordrhein-Westfalen hätte ich erwartet, dass sie sich auf Bundesebene durchsetzen können.

(Beifall von den PIRATEN und Dietmar Brockes [FDP])

Verstecken Sie sich nicht dahinter, dass NRW bei der Abstimmung die Hand gehoben hat. Die NRW-CDU und die NRW-SPD haben dabei versagt, Mehrheiten zu organisieren – die Mehrheiten, wenigstens den Vermittlungsausschuss anzurufen und Änderungen zu erwirken. Dann hätte man hier jetzt über die Art der Änderungen debattieren können. Nur Ausnahmen für Grenzregionen hätten mir nämlich an der Stelle nicht gereicht.

Nun aber ist es noch viel, viel wichtiger, dass wir uns alle noch einmal ganz scharf gegen die Pkw-Maut aussprechen und alle kommenden Klagen argumentativ unterstützen. Die Posse muss enden!

(Beifall von den PIRATEN)

Oft ist es ja so, dass SPD und CDU im Bund ein völlig unsinniges und gefährliches Gesetz verabschieden und dann darauf hoffen können, dass die Mehrzahl der Deutschen das nicht bemerkt oder es sogar gut findet, weil die unsinnige Initiative gut verkauft oder vermarktet wird – mit Angstmacherei, falschen Versprechungen etc.

Bei der Dobrindtschen Pkw-Maut dagegen ist der Großteil der Kuriositäten durchaus breit bekannt. „Wann bekennt sich eigentlich der IS zur Pkw-Maut?“ – Solch einen Spruch kann man dazu in sozialen Netzwerken lesen, und das war nur einer der harmlosen. Man sieht, dass die Bevölkerung einer solchen Politik nur noch mit Zynismus begegnet – Zynismus und Resignation, Resignation und Wut. Politikverdrossenheit ist da eher noch ein Euphemismus.

Wie soll man auch verstehen, was Sie da veranstalten? Der Vorwand ist, mehr Geld zu benötigen. Die Nachbarn haben Geld. Also geben die Nachbarn ein paar Euro, wenn man ihre kleinen Vorgärten besucht und dort Rasen mäht. Doch ein einfacher Rasenmäher – im Mautfall wäre das eine Vignette – reicht Herrn Dobrindt dafür nicht aus. Es muss schon ein Aufsitzrasenmäher sein, oder nein, besser noch ein Trecker, und zwar kein kleiner Trecker, sondern einer mit allem Schnickschnack, einen, mit dem man alles machen kann, ein Trecker, der so vielseitig ist, dass er Unmengen an Geld kostet und riesige Reifen hat. Mit diesen Reifen fährt Herr Dobrindt dann die Vorgärten der Nachbarn zu Brei, immer noch unter dem Vorwand, dort Rasen zu mähen.

Da verwundert es nicht, dass die Nachbarn verärgert sind und dabei auch kein Euro Gewinn, aber eine Menge Kosten und Kollateralschäden entstehen. Und warum? – Weil es nicht um das Rasenmähen geht – ich hätte übrigens einen Roboterrasenmäher genommen –, sondern um die Trecker und darum, was die Trecker sonst noch alles können. Auf die Maut bezogen: Weil es nicht um die Pkw-Maut geht, sondern um den Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur.

(Beifall von den PIRATEN)

Diese Infrastruktur wird nämlich für eine so simple Pauschalmaut gar nicht gebraucht. Dafür kann sie aber allen anderen Schnickschnack. Die Gelder der Autofahrenden, die ehemals mittels Kfz-Steuer in den Haushalt flossen und dann in sinnvolle Verkehrsinfrastruktur hätten fließen können, werden nun umgeleitet, um eine Überwachungsinfrastruktur zu finanzieren, eine, mit der man ganz prima privatisierte Autobahnen abrechnen kann. Rendite für Finanzinvestoren – das passt der GroKo gut ins Konzept! Herr Rasche hat das eben schon erläutert.

Mit ihr kann man natürlich auch aus Antiterror-Gründen Autos verfolgen und Bewegungsprofile nachvollziehen. Diese Forderungen wird es geben, wenn die Infrastruktur erst einmal steht; es gibt sie teilweise jetzt schon. Und dann kommt wahrscheinlich auch noch die Vorratsbewegungsdatenspeicherung auf uns zu.

Und es geht natürlich um gezielte Wirtschaftsförderung, die Fortsetzung einer Toll-Collect-Klüngelei. Und wenn man schon einmal diese wertvollen erhobenen Daten hat, dann bekommen die Unternehmen sie wahrscheinlich auch noch für innovative Big-Data-Projekte obendrauf. Dahin wird uns die Pkw-Maut noch führen.

SPD und CDU hier in Nordrhein-Westfalen, Sie haben das mit zu verantworten! – Vielen Dank – nicht dafür, aber für das Zuhören.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit der Beitrag von Herrn Kollegen Bayer. Danke. – Für die SPD Fraktion spricht Herr Kollege Becker.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier über vergossene Milch. Für eine grundsätzliche Diskussion über die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur scheinen mir nach den beiden Beiträgen, die ich bisher gehört habe, fünf Minuten zu kurz zu sein.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Blöd, wenn man auf Argumente eingehen muss!)

Es ist so: Der Bundesrat hat entschieden, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Das ist bedauerlich.

(Beifall von der FDP und Michele Marsching [PIRATEN])

Der Bundesrat hat für den kleinen Grenzverkehr mit der Mehrheit der Länder – inklusive Nordrhein-Westfalen – Ausnahmen bei der Pkw-Maut beschlossen. Der Bundesverkehrsminister hat leider die Forderungen der Bundesländer nicht aufgegriffen. Das haben wir für falsch gehalten und halten es immer noch für falsch; denn wir wollen nicht, dass die Offenheit, die gerade wir in Nordrhein-Westfalen mit den Menschen aus den Beneluxstaaten pflegen, durch Bezahlgrenzen behindert wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb wollte die Landesregierung zu Recht den Vermittlungsausschuss anrufen. Diese Initiative hat bedauerlicherweise keine Mehrheit im Bundesrat gefunden. Der Bundesrat und damit auch die Landesregierung werden jetzt nichts mehr daran ändern können. Das ist schlecht, sehr schlecht insbesondere mit Blick auf die Grenzregion und unsere Benelux-Partner.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Aufgegeben!)

Die Debatte darüber ist aber nicht hier im Landtag Nordrhein-Westfalen zu führen. Nicht unsere Landesregierung ist umgefallen, nicht unsere Landesregierung hat sich auf einen vermeintlichen Kuhhandel eingelassen, und nicht unsere Landesregierung hat sich von Seehofer erpressen lassen.

(Christof Rasche [FDP]: Aber unterschiedlich abgestimmt! – Ministerin Sylvia Löhrmann: In den Ausschüssen! – Gegenruf von Dietmar Brockes [FDP])

Diese Debatte gehört in die Landtage der anderen Bundesländer, beispielsweise in den Landtag Thüringen. Insofern kommen die Anträge zu spät und sind deshalb auch abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Fehring das Wort.

Hubertus Fehring (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Benjamin Franklin, einer der Mitbegründer der USA, hat einmal gesagt: Ist die Zeit das kostbarste unter allem, so ist Zeitverschwendung die allergrößte Verschwendung. – Ich denke, er hatte recht. Die beiden Anträge, die wir jetzt beraten, sind völlig sinnlos und daher verschwendete Zeit. Wir beraten zwei Anträge, die etwas fordern, das gar nicht mehr erfüllt werden kann.

(Minister Michael Groschek: Richtig!)

Das ist eine Zumutung für dieses Parlament.

(Beifall von der CDU – Michele Marsching [PIRATEN]: Warum redet er dann noch? Er kann doch gehen!)

Die Pkw-Maut hat den Bundestag und den Bundesrat passiert. Sie ist beschlossen. Daher ist die Forderung von FDP und Piraten an die nordrhein-westfälische Landesregierung, die Pkw-Maut zu verhindern, sinnlos. Der Kollege Becker hat darauf schon hingewiesen.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Insofern hätten wir uns den letzten TOP schenken können!)

Die Landesregierung kann das gar nicht mehr verhindern. Das sollten Sie, liebe Kollegen von der FDP, akzeptieren. Die Piraten haben zwar ihren Antrag geändert, aber die Überschrift lautet immer noch:

„PKW-Maut von CDU, SPD und CSU durch den Bundesrat stoppen“

Die FDP fordert die Landesregierung auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Einführung der Pkw-Maut zu verhindern. Die Erfüllung beider Forderungen ist, wie wir ja wissen, seit einer Woche nicht mehr möglich.

(Christof Rasche [FDP]: Ach, das kommt wieder!)

– Hoffnung stirbt zuletzt, Christof, ja. – Daher werden wir die beiden Anträge ablehnen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind keine Mautfans. Daher setzt sich die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen seit jeher gegen jede Form einer Pkw-Maut ein. Unser Lebens- und Wirtschaftsraum Nordrhein-Westfalen bildet mit Belgien, den Niederlanden und Luxemburg den letzten mautfreien Raum Europas. Die schon geäußerte Sorge ist berechtigt, dass die Niederlande und Belgien auch eine Maut einführen. Wir halten die Pkw-Maut für ebenso falsch wie die Rente mit 63. Beide Fehlentscheidungen sind aber leider Bestandteil des Koalitionsvertrages, und den stellen wir nicht infrage.

(Andreas Becker [SPD]: Mindestlohn auch!)

– Machen wir ja auch. CDU, CSU und SPD haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt – er gilt.

(Christof Rasche [FDP]: Dann ist das auch eure Maut!)

– Lieber Christof Rasche, in Koalitionen ist das nun mal so, dass jeder Koalitionspartner die ihm wichtigen Dinge durchsetzt.

(Zuruf von der SPD)

Und in Bayern ist die Maut ein Renner, weil sich die Menschen dort verständlicherweise über die österreichische Maut ärgern.

(Zuruf von Kai Schmalenbach [PIRATEN])

Anders als bei uns ist der Ärger darüber in Bayern allerdings tief verankert.

Die CDU Nordrhein-Westfalens hat die Totalmaut auf allen Bundes-, Landes- und Kommunalstraßen beim Bund im Jahr 2014 verhindert. Diese Totalmaut ist schon lange vom Tisch. Zudem wurden unsere Forderungen bei der Einigung der Bundesregierung mit der EU am 1. Dezember 2016 erfüllt. Das heißt, eine Pkw-Maut muss erstens EU-Rechts-konform sein, darf deutsche Autofahrer zweitens nicht belasten und drittens den sogenannten Grenzverkehr mit unseren westlichen Nachbarländern Belgien, Niederlande und Luxemburg nicht erschweren.

Positiv ist ferner der Ansatz von Bundesverkehrsminister Dobrindt, die Einführung eines einheitlichen europäischen Mautsystems zu unterstützen. Damit würden wir gleiche Bedingungen für alle EU-Bürger erreichen und gleichzeitig eine Mobilitätsbarriere im europäischen Binnenmarkt beseitigen.

Wie kam es zum endgültigen Beschluss der Pkw-Maut? Heute vor zwei Wochen hat der Deutsche Bundestag die Pkw-Maut mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD beschlossen. Heute vor einer Woche hat der Bundesrat zugestimmt. Der Vermittlungsausschuss wurde nicht angerufen. Die überraschende Entscheidung Thüringens, die Pkw-Maut im Bundesrat doch nicht zu verzögern – Herr Becker wies eben schon darauf hin –, war erst nach der Zusage eines regionalen Bahnprojektes gefallen. Thüringens Ministerpräsident Ramelow hatte zugesagt, dass die Mitte-Deutschland-Verbindung zwischen Weimar und Gößnitz zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werde. Somit – fast ein bisschen Ironie – hat Rot-Grün letztlich den Weg für die Pkw-Maut freigemacht.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Hat der Rot-Grün gesagt?)

Lieber Christof Rasche, dir und deinen Parteifreunden sind Koalitionsabsprachen schließlich auch nicht fremd. Nimm unsere Ablehnung heute einfach mal sportlich!

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank Herr Kollege Fehring. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile: Herr Kollege Fehring, Sie scheiden nach drei Wahlperioden aus dem Landtag aus. Das heißt, das war gerade Ihre letzte Rede, für die ich Ihnen ebenso wie für Ihr Engagement für Nordrhein-Westfalen in all den Jahren im Landtag im Namen aller Fraktionen sehr, sehr herzlich danken möchte. Ihnen alles, alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Es kommt selten vor, dass Herr Kollege Klocke, bevor er an das Rednerpult tritt, dem Vorredner applaudiert. Bitte schön, Herr Klocke spricht für Bündnis 90/Die Grünen.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe FDP, es gab ja in dieser Wahlperiode nicht allzu viele Anlässe, wo ich bei Anträgen sehr auf Ihrer Seite war – aber bei diesem Antrag bin ich es. Da steht sehr viel Vernünftiges drin, und auch in der Rede von Christof Rasche war eben viel Vernünftiges.

Wir können dem heute nicht zustimmen, weil man das anders hätte anlegen müssen. Dem ersten Punkt des Forderungsteils könnte man noch zustimmen, die anderen beiden Punkte haben sich einfach durch die Entscheidung des Bundesrats in der letzten Woche erübrigt. Jetzt haben Sie, Herr Kollege Rasche, eben gesagt, dass es gut sein kann, dass das Thema noch mal auf die Tagesordnung kommt. Das würde uns Grüne auch freuen. Es kann gut sein, dass das nach der Bundestagswahl noch mal zum Thema wird und dass man dann entsprechend agieren kann.

(Zuruf von der SPD: So ist es in der Tat!)

Ich finde die Kritik am Landesverkehrsminister und an der Ministerpräsidentin, die vorgebracht worden ist, in dem Fall ungerecht. Denn Nordrhein-Westfalen hat letzte Woche im Bundesrat sehr klar agiert und sich dafür eingesetzt, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Es ist, das wissen wir ja alle, am Land Thüringen gescheitert, da es dem Bundesverkehrsminister mit einer Offerte für ein wichtiges Landesprojekt gelungen ist, das Land rauszukaufen. Aber es gilt erst einmal dem Landesverkehrsminister und der Landesregierung dafür zu danken, dass sie diesbezüglich im Bundesrat vernünftig agiert haben.

Lieber Kollege Fehring, jetzt scheiden Sie aus. Deswegen will ich nicht zu hart mit Ihnen und der CDU umgehen. Aber man muss doch schon feststellen: Wenn die Landes-CDU – mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden und derzeitigen Spitzenkandidaten für NRW Armin Laschet – in Berlin ein Standing hätte und Sie bei der Maut so klar aufgestellt sind, wie Sie es eben gesagt haben, dann hätten Sie doch als stärkster Landesverband in Berlin auf Bundesebene dafür sorgen müssen, dass diese Maut vom Tisch kommt, lieber Kollege Fehring.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Ich habe mich gewundert, als Sie hier eben sagten, das sei alles so ein Kompromiss gewesen. In meiner Erinnerung – und die Kollegin Sarah Philipp hat, glaube ich, eben am lautesten neben mir gelacht – bezüglich der Koalitionsverhandlungen für die Große Koalition war es doch so, dass der Vorschlag für die Einführung einer Pkw-Maut nicht von der SPD kam, sondern vonseiten der CDU. Also, wenn Sie in Nordrhein-Westfalen so klar aufgestellt wären, wie Sie das eben gesagt haben, dann hätte man doch diese Maut in Berlin verhindern müssen.

So, jetzt haben wir die Masut, und wir haben sie auf jeden Fall in der unsinnigsten Variante. Denn wenn man verkehrspolitisch diskutiert, dann könnte man ja – wenn man sagt, wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur – zu der Erkenntnis kommen: Wenn man eine Infrastrukturabgabe einführt, dann führt man sie so ein, dass alle sie zu zahlen haben, also, dass sowohl die inländischen wie auch die ausländischen Verkehrsteilnehmer sie zu zahlen haben.

(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])

– Nein, das ist eben nicht so, Herr Kollege Schemmer. Das wäre ja noch ein Vorschlag, über den man diskutieren könnte, so wie das in Frankreich beispielsweise der Fall ist oder wie in Österreich etc. Aber das, was da jetzt verabschiedet worden ist, das ist wirklich das Dümmste, was man in diesem Bereich beschließen konnte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Man hat die Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Über 80 % lehnen diese Maut ab. Man hätte doch mit einem Werben für eine vernünftige Infrastrukturabgabe angesichts all der Aufgaben, die in den nächsten Jahren anstehen, all der Sanierungsleistungen, die zu tätigen sind, das Projekt doch nicht so vor die Wand fahren dürfen, wie das jetzt passiert ist.

Alle sind jetzt auf der Zinne. Irgendwie ist es über eine politische Klüngelei gelungen, das Ding noch zu verabschieden – aber keiner weiß, wann es in Betrieb geht, und was definitiv niemand weiß: Bringt es am Ende real auch nur einen Euro in die Haushaltskasse ein? Das ist doch völlig offen.

Deswegen ist diese Pkw-Maut, so wie sie vom Bundesrat in der letzten Woche leider verabschiedet worden ist, kein Fortschritt, was unsere Infrastruktur angeht, sondern das Gegenteil. Das hat dazu geführt, dass alle Leute verunsichert sind; in der Bevölkerung herrscht eine große Verunsicherung darüber, was nun auf sie zukommt.

Die Kritik seitens der FDP an dieser Stelle ist völlig berechtigt. Ich würde mir wünschen, dass es noch eine Chance gibt, diesen Unsinn zu verhindern. Wenn es uns gelingt, in einer neuen Legislaturperiode gemeinsam zu agieren, wären wir, glaube ich, alle gut beraten, entsprechend vorzugehen.

Vonseiten Nordrhein-Westfalens ist alles unternommen worden, was man machen konnte, würde ich jedenfalls an dieser Stelle sagen. Wenn die Chance besteht, dann sollten wir in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam fraktionsübergreifend agieren. Für diesen Fall kann der FDP-Antrag erneut vorgelegt werden; wir sollten dann aber noch den Forderungsteil umschreiben. Wir können dem Antrag jedenfalls nicht zustimmen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Danke für die Aufmerksamkeit. Es war auch meine letzte Rede in dieser Legislaturperiode. Ich hoffe, in der nächsten Legislaturperiode werden weitere folgen. Auch ich danke an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit in den letzten sieben Jahren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – vereinzelter Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. Ich habe Sie aber so verstanden, dass ich Ihnen jetzt doch noch nicht für die geleistete parlamentarische Arbeit danken soll. – Gut.

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Hätte, hätte, Fahrradkette – man muss aufpassen, dass man nicht den Zeitpunkt verpasst, wo man zum Don Quijote wird, weil man nur noch Windmühlen bekämpft. In Sachen Maut ist das heute eine solche Don-Quijoterie, die da betrieben wird,

(Widerspruch von Christof Rasche [FDP])

weil die Entscheidungen im Bundesrat leider Gottes gegen unsere Interessen ausgefallen sind. Die Herleitung haben Herr Klocke und Herr Fehring gerade dargestellt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Dann sind Sie aber doch der Don Quijote!)

– Herr Brockes, nach dem Auftritt von Herrn Witzel hoffe ich, dass bei Ihnen in der Verkehrspolitik jemand gefunden wird, der auf der Höhe der Zeit bleibt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ansonsten würde ich Herrn Rasche bitten, hierzubleiben und Herrn Witzel nach Berlin zu schicken. Eine solche dinosaurierhafte Perspektive von Mobilität – und das von jemandem, der aus der Grünen Hauptstadt Essen kommt – hätte ich mir im Jahr 2017 nicht mehr vorstellen können.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Voussem, seitdem sind Sie in meiner Wertschätzung noch weiter gestiegen. Ich kann nur sagen: Uns Eifeler trennt nur eine Bundesländergrenze im Vergleich zu dem Auftritt von Herrn Witzel. Unglaublich!

(Heiterkeit von der CDU)

Aber jetzt zurück zur Maut: Herr Busen, Herr Rasche, Herr Lindner und andere werden wahrscheinlich im Deutschen Bundestag politische Verantwortung übernehmen. Sie werden dort die Diskussionen führen können. Nur, angesichts Ihrer Historie fürchte ich Schlimmeres; denn Sie werden dann die Tür öffnen zur Privatisierung von Infrastruktur. Das war das große liberale Credo, und das war im Grunde auch das Abfallprodukt der Rede von Herrn Witzel, zu sagen: „Privat vor Staat“ ist doch die überlegene Prämisse.

Das ist das Gegenteil dessen, was auch nur annähernd meine Überzeugung trifft, auch aufgrund der Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen.

(Zurufe von Dr. Joachim Stamp [FDP] und Christof Rasche [FDP])

Deshalb finde ich es wichtig, an zwei Stellen Klarheit zu haben.

Erstens. Wir brauchen eine solide Finanzierung der Infrastruktur. Diese Form von Maut ist keine solide Finanzierung. Im Haushalt landet sowieso nichts. Das ist aber auch nicht vorgesehen, weil die Mittel ja unmittelbar in die Infrastrukturgesellschaft fließen sollen.

Zweitens. Eine weitere Aufgabe wird darin bestehen, dafür zu sorgen, dass Sie nicht die Möglichkeit bekommen, in der Bundespolitik die Privatisierung der Infrastrukturgesellschaft hinzubekommen. Deshalb müssen wir jetzt grundgesetzliche Regelungen treffen, die verhindern, dass eine Bundestagsmehrheit – welche auch immer – eine Privatisierung der Infrastruktur vornehmen könnte. Staatliche öffentliche Verantwortung für Infrastruktur muss bleiben!

(Karlheinz Busen [FDP]: Funktioniert aber nicht!)

Alles andere wäre Murks. Dagegen wäre selbst die Murks-Maut eine Kleinigkeit.

Lassen Sie uns daher über die Perspektiven reden! Wir haben hier eigentlich gute Ansätze gehabt. Meine Bitte wäre nur: Herr Witzel sollte Finanzpolitiker bleiben

(Zurufe von der SPD: Nein! Davon hat er auch keine Ahnung!)

und den Verkehr anderen überlassen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Ich komme, wenn Sie einverstanden sind, zur Abstimmung.

Bevor wir abstimmen, weise ich darauf hin, dass der Abgeordnete Dr. Bergmann von der CDU-Fraktion angekündigt hat, an der Abstimmung nicht teilzunehmen. Er hat darüber hinaus dem Sitzungsvorstand gemäß § 47 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung eine kurze schriftliche Begründung zu der Abstimmung überreicht. Wie üblich, wird diese Begründung in das Plenarprotokoll aufgenommen (Anlage 1).

Somit können wir abstimmen, und zwar erstens über den FDP-Antrag Drucksache 16/14647. Die antragstellende Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. So verfahren wir dann auch. Wer ist für den Antrag der FDP-Fraktion? – Die FDP, die Piratenfraktion sowie die fraktionslosen Abgeordneten Schulz und Schwerd. Wer stimmt dagegen? – Die SPD, die CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14647 abgelehnt.

Wir stimmen zweitens über den Antrag der Piratenfraktion ab, Drucksache 16/14658 – Neudruck. Auch hier stimmen wir gemäß dem Wunsch der antragstellenden Fraktion direkt ab. Ich darf also fragen: Wer ist für den Antrag der Piratenfraktion? – Die Piratenfraktion sowie der fraktionslose Kollege Schwerd. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Die FDP-Fraktion …

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wohlwollend! – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ein bisschen sehr wohlwollend!)

.. sowie der fraktionslose Kollege Schulz enthalten sich der Stimme. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14658 – Neudruck – ebenfalls abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf:

5  Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses V (Fall Amri)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 15.02.2017
Drucksache 16/14168 – Neudruck

Drucksache 16/14550

Ich erteile zunächst dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, dem Kollegen Abgeordneten Wolf, das Wort zu seiner mündlichen Berichterstattung. – Bitte, Herr Kollege Wolf.

Sven Wolf (SPD): Herr Präsident, vielen herzlichen Dank! – Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die Aussprache gerne mit den Worten beginnen, die ich auch in der konstituierenden Sitzung an die Öffentlichkeit gerichtet habe und die ich vorab den Sprecherinnen und Sprechern zur Kenntnis gegeben habe.

„Am vergangenen Mittwoch hat das Plenum einen weiteren Untersuchungsausschuss eingesetzt und uns Abgeordnete in unsere Funktionen berufen. Ein Untersuchungsausschuss kurz vor Ende einer Wahlperiode ist eine große Herausforderung für uns Abgeordnete, aber auch für die Referentinnen und Referenten und die Landtagsverwaltung. Wir Abgeordnete stellen unsere Erfahrung und unsere Zeit, die so kurz vor einer Wahl besonders knapp ist, in den Dienst der Sache, der vornehmlichen Pflicht des Parlaments, dem Recht der Kontrolle, der Kontrolle für uns alle, den Souverän, das Volk.

Ich darf Ihnen versichern, dass meine Kolleginnen und Kollegen und ich mit aller Kraft versuchen werden, dem Auftrag soweit wie möglich gerecht zu werden. Die antragstellenden Fraktionen gehen selbst davon aus, dass bis zum Ende der Wahlperiode nicht alle Bereiche untersucht werden können. Als Vorsitzender stelle ich dabei gerne meine Erfahrung aus der Leitung zweier solcher Gremien in dieser Wahlperiode zur Verfügung.

Wir werden uns nun in den kommenden Tagen und im Anschluss im nichtöffentlichen Teil unserer Sitzung über den weiteren Gang des Verfahrens beraten und absprechen. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich heute selbstverständlich noch keine genauen Angaben zu Sitzungsterminen des Ausschusses oder möglichen Zeugen machen kann. Wir werden aber vermutlich gleich die ersten Beschlüsse zur Anforderung von Akten und Unterlagen fassen.

Ich lade die Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses gerne ein, gemeinsam und ernsthaft an der Beantwortung der offenen Fragen rund um den feigen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt zu arbeiten.“

Ich habe dann weiter ausgeführt:

„Wir sollten dabei nicht vergessen, dass dieser Anschlag kurz vor Weihnachten zwölf Menschen aus ihrem Leben riss. Es hätte jeden von uns treffen können. Die deutsche und die internationale Öffentlichkeit haben daher mit so großer Trauer und Betroffenheit reagiert.

Wir hier im Landtag Nordrhein-Westfalen sind das erste Parlament, das mit der Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss beginnen wird. Ich bin mir sicher, dass wir alle gemeinsam uns unserer besonderen Verantwortung bewusst sind. In der Plenardebatte wurde auch betont, dass wir gegenüber den Angehörigen keine falschen und zu hohen Erwartungen wecken sollten darüber, was möglich und machbar ist.

Den Untersuchungsausschuss für einen reinen parteipolitischen Schlagabtausch – von beiden Seiten – zu nutzen, wäre aus meiner Sicht völlig unangemessen. Das sind wir den Menschen schuldig, die kurz vor Weihnachten Angehörige, Freunde und geliebte Menschen verloren haben.“

Das waren damals meine einleitenden Worte an diesen Untersuchungsausschuss.

Unser gemeinsames Ansinnen muss daher eine Antwort auf die quälende Frage nach dem „Warum“ sein. Warum mussten so viele Menschen Weihnachten um ihre Angehörigen trauern, anstatt gemeinsam mit ihnen dieses besinnliche Fest feiern zu können?

Ich halte diese Frage nach dem „Warum“ für eine zutiefst menschliche Frage, die uns, glaube ich, alle umtreibt. Es ist eine Frage, die wir uns immer wieder stellen, wenn wir von Anschlägen hören, von Katastrophen lesen oder wenn uns ein persönlicher Schicksalsschlag ereilt: Warum ist das passiert? – Es ist eine Frage, die sich sicherlich auch der junge Mann aus Neuss stellt, der gemeinsam mit seiner Mutter den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz besuchte. Amri riss die Mutter dieses jungen Mannes aus dem Leben.

Eines ist wichtig, klarzustellen: Die Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist es, mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen, etwaiges Fehlverhalten zu prüfen – nicht aber die Schuldfrage. Schuld an diesem Anschlag, an dem Tod von zwölf unschuldigen Menschen ist nicht die Politik und sind nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, sondern der Täter Anis Amri.

Wir wollen weitere Fragen erörtern: Warum können sich Personen vor unseren Augen radikalisieren? Warum konnte der Anschlag nicht verhindert werden? Auf diese Fragen müssen wir gemeinsam Antworten finden. Diese Antworten müssen wir ohne politischen Schlagabtausch und ohne ein Hin- und Herschieben der politischen Verantwortung geben.

Der Chef des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen Uwe Jakob sagte bei uns im Ausschuss – ich zitiere hier aus der Presseberichterstattung – über die Reaktion seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Hoffentlich war’s nicht der Amri.“

Sie sehen also, die Frage nach dem Warum oder nach den Konsequenzen stellen sich auch die Polizisten, Staatsanwälte, Verfassungsschützer oder politisch Verantwortlichen, die mit dem Fall Amri befasst waren. Deren gute Arbeit, die in vielen Fällen zur Verhinderung von Anschlägen beigetragen hat, darf durch die Arbeit des Ausschusses nicht insgesamt schlechtgeredet werden.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden haben daher eine besonders schwere Aufgabe. Sie müssen einen Menschen bewerten und eine Prognose treffen, wie er sich künftig verhalten wird. Das fällt uns persönlich schon bei uns nahestehenden Personen sehr schwer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden müssen Personen einschätzen, die sie teilweise kaum kennen.

Hier ist die Politik gefragt. Hier muss sie gesetzliche Regelungen, technische Ausstattungen und eine behördliche Infrastruktur bereitstellen, um diese Arbeit zu unterstützen. Es gilt, im Ausschuss gemeinsam zu erarbeiten, an welchen Stellen entsprechender Handlungsbedarf besteht.

Es gibt, so finde ich, aber auch Fragen, die wir nicht stellen sollten: Wie können wir den Anschlag im Wahlkampf einem politischen Lager zuschieben? Oder die Gegenfrage: Wie können wir im Wahlkampf Antworten von einem politischen Lager fernhalten? Das wäre pietätlos und unanständig. Als Vorsitzender des Ausschusses werde ich das nicht zulassen!

(Beifall von der SPD)

Denn so verstehe ich meine überparteiliche Rolle als Vorsitzender dieses Ausschusses.

In einer Hinsicht habe ich an die Mitglieder des Ausschusses appelliert: Wir werden uns nach der Wahl wiedersehen. Manche von uns werden dann auch weiterhin miteinander arbeiten. Deshalb habe ich, was die Arbeit des Ausschusses anbelangt, jetzt ein bisschen Sorgen, dass wir uns so tiefe persönliche Verletzungen zufügen, dass dann eine Zusammenarbeit zwar nicht gänzlich unmöglich, aber doch erschwert wird. Ich habe für eine gemeinsame Aufklärungsarbeit geworben, und ich werde das auch weiterhin tun. Des Weiteren möchte ich dem großen Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses und seinen Ergebnissen gerecht werden.

Eines vorab: Bei all den sehr unterschiedlichen Positionen, die es im Ausschuss gab, waren wir uns in einem einig: Die Ermittlungen dauern an. Wir stehen erst am Anfang unserer Arbeit, und eine Beweiswürdigung vonseiten des Ausschusses wird es daher heute nicht geben. Ich gebe Ihnen daher folgenden kurzen Überblick über die bisherige Arbeit unseres Ausschusses:

Am 15. Februar dieses Jahres haben Sie uns beauftragt.

Am 17. Februar haben wir dann unsere 1. Sitzung durchgeführt. Dabei haben wir Beweisbeschlüsse zu Akten gefasst. Am gleichen Tag haben wir die Akten angefordert.

Am 3. März sind die ersten Akten bei uns im Ausschusssekretariat eingetroffen.

Am 7. März haben wir in unserer 2. Sitzung Beweisbeschlüsse zur Vernehmung von acht Zeugen gefasst.

Am 13. März haben wir in unserer 3. Sitzung mit der Vernehmung von zwei Zeugen begonnen, und wir haben Beweisbeschlüsse zu 15 weiteren Zeugen gefasst.

Am 14. März haben wir in unserer 4. Sitzung die Vernehmung eines Zeugen durchgeführt.

Am 16. März haben wir in der 5. Sitzung vier Beweisbeschlüsse zu neun Zeugen gefasst.

Am 21. März haben wir in unserer 6. Sitzung die Vernehmung von zwei Zeugen durchgeführt und vier Beweisbeschlüsse gefasst.

Am 24. März haben wir in der 7. Sitzung die Vernehmung von drei Zeugen vorgenommen und Beschlüsse zu weiteren Zeugen gefasst.

Am 27. März gab es bereits die 8. Sitzung mit der Vernehmung von fünf Zeugen.

Am Tag darauf, am 28. März, folgte die 9. Sitzung mit der Vernehmung eines Zeugen.

Am 29. März, einen Tag darauf, gab es in der 10. Sitzung die Vernehmung von drei Zeugen.

Am 31. März hatten wir schließlich unsere 11. Sitzung mit der Vernehmung von zwei Zeugen.

In den gut sieben Wochen seit der Einsetzung hat der Ausschuss Beweisbeschlüsse zur Vernehmung von 74 Zeuginnen und Zeugen gefasst und in acht öffentlichen Beweisaufnahmen 37 Stunden lang 19 Zeuginnen und Zeugen vernommen.

Wir haben jeweils sehr zeitnah die Protokolle dieser Sitzungen erhalten. Daher ist es mir ein besonderes Bedürfnis, dem Sitzungsdokumentarischen Dienst unseres Hauses für diese hervorragende Arbeit zu danken.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Vernehmung von mehr als vier bis fünf Zeugen pro Tag – da gilt es, eine Fürsorgepflicht zu beachten – war auch mit Rücksicht auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum möglich. Schon die Sitzungen, die wir von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr abends durchgeführt haben, haben uns, glaube ich, alle sehr gefordert.

Das Ganze – ich räume es ein – entspricht nicht dem Idealbild der Arbeit im PUA. Es ist aber das, was wir in der gedrängten Zeit gemeinsam erfüllen konnten. Anders hätte ich es sicherlich gehalten – die Kolleginnen und Kollegen in anderen Untersuchungsausschüssen wissen, dass ich das im Normalfall so mache –, wenn wir noch Monate Zeit gehabt hätten. Dann hätten wir zunächst einmal die Akten angefordert. Wir hätten sie gelesen, und wir hätten lange und ausführlich über Zeitpläne diskutiert.

Dann hätten wir Abschnitte gebildet, und dann hätten wir dazu die entsprechenden Zeugen geladen. Das war aber leider nicht möglich – ich habe das gerade ausgeführt –, und wird es auch künftig in der Kürze der Zeit nicht möglich sein.

Nach § 4a des Untersuchungsausschussgesetzes obliegt es mir, für den Ausschuss die verfahrensleitenden Verfügungen zu treffen. Eine anderslautende Vorgabe hat mir der Ausschuss nicht gemacht, und er hat auch nicht darüber diskutiert.

Dabei habe ich Anträge und auch Zeugenbenennungen von Mitgliedern aller Fraktionen berücksichtigt. Ich habe dem Ausschuss zunächst Termine vorgeschlagen, aber auch Rücksicht auf Anregungen der Mitglieder genommen. Die Mitglieder des Ausschusses brauchen sich nicht zu sorgen: Ich werde – das habe ich Ihnen zugesagt – hier keine einzelnen Mitglieder bloßstellen. Da gilt mein Wort.

Anschließend haben wir die ersten Zeugen – etwas anderes blieb uns eigentlich gar nicht übrig – nach deren Terminmöglichkeiten geladen. Die bisher von uns angefragten und geladenen Zeugen – einschließlich des Bundesinnenministers, des Landesinnenministers und des Generalbundesanwalts – haben dies alle sehr kurzfristig möglich gemacht. Dafür darf ich den Zeuginnen und Zeugen im Namen des Ausschusses an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Darüber hinaus habe ich das von Ihnen im Plenum mehrheitlich festgestellte öffentliche Interesse am Vorlegen eines Zwischenberichts am heutigen Tag – sieben Wochen nach Beginn unserer Arbeit – einfließen lassen. Danach habe ich die immer länger werdende Liste der Zeuginnen und Zeugen abgearbeitet. Hier habe ich aber auch Rücksicht auf das sehr hohe mediale Interesse an unserer Arbeit genommen.

Was wäre denn gewesen, wenn ich in diesem Fall zunächst die kleinsten Sachbearbeiter in die Öffentlichkeit gezerrt hätte? Dann hätte der Ausschuss vielleicht einzelnen Mitarbeitern in den Ausländerbehörden oder bei der Polizei Fehler zugeschoben, die aber in den Gesamtzusammenhang der politischen Verantwortlichen im Bund und in den Ländern eingeordnet gehören. Davon habe ich aus Fürsorge gegenüber den Zeugen abgesehen.

Bundes- oder Landesminister, der Generalbundesanwalt und Behörden- oder Abteilungsleiter können in der Öffentlichkeit stehen und halten den Druck aus. Das ist nämlich ihr Job. Die ersten Zeugen sollten uns daher aus meiner Sicht helfen, die Abläufe einzuordnen. Dabei habe ich durchaus auch einzelne konkrete Wünsche von Mitglieder des Ausschusses berücksichtigt – Herr Dr. Stamp, zum Beispiel Ihren Wunsch, Herrn Abteilungsleiter Schnieder sehr kurzfristig zu hören.

Zudem hat der Ausschuss in dieser Zeit einen Zwischenbericht erstellt und beraten. Sie wissen aus der Presseberichterstattung, dass es am 3. April hier eine Diskussion gegeben hat, in der unterschiedliche Rechtsansichten geäußert wurden. Ich möchte mit Blick auf das laufende verwaltungsgerichtliche Verfahren hier keine Einzelheiten ausführen. Ich denke, es entspricht einem guten Brauch, dass wir das dem Prozessbevollmächtigten des Ausschusses überlassen. Ich will jetzt auch nicht unzulässigerweise aus irgendeiner nichtöffentlichen Sitzung berichten.

Aber eines will ich sagen: Es war eine sachliche Diskussion, und dafür möchte ich mich bei dem Kollegen Dirk Wedel ganz herzlich bedanken. Sie haben das nämlich in Ihrer unnachahmlichen, klaren und höflichen Art gemacht. Sie haben Ihre Rechtsansicht formuliert, und ich habe, glaube ich, in dem gleichen fairen Ton meine Rechtsansicht dargestellt. Deswegen dafür noch einmal herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD und der FDP)

Auch die Klage der Kolleginnen und Kollegen von der FDP – das gestatten Sie mir als leidenschaftlichem Juristen – sehe ich nicht als Angriff auf meine Person. Wir haben hier eine Rechtsfrage, zu der es, zumindest nach meiner Kenntnis, bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt. Es gibt wenige Aufsätze – genau gesagt: Ich habe in der Literatur eigentlich gar nichts dazu gefunden. Das heißt, wir betreten tatsächlich gemeinsam Neuland. Deswegen lassen Sie uns doch einfach gemeinsam abwarten, wie die angerufenen Gerichte entscheiden.

Meine Damen und Herren, ich überreiche Ihnen hiermit den Zwischenbericht zum PUA V zum Fall Amri. Wir werden die Beweisaufnahme fortsetzen. Wir enthalten uns heute als Ausschuss jeglicher Wertung; denn ob ein Zeuge tatsächlich glaubwürdig oder ob eine Aussage glaubhaft war – das ist, wie Sie wissen, guter Brauch –, können wir erst am Ende der Beweisaufnahme erörtern. Ich gehe davon aus, dass der Ausschuss, sofern wir die Beweisaufnahme in dieser Wahlperiode nicht mehr abschließen, sicherlich eine sehr weise Entscheidung dazu treffen wird, wie er mit unseren bisherigen Erkenntnissen, die sich alle in den Protokollen wiederfinden, umgehen wird.

Von den Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses wünsche ich mir, dass wir auch weiterhin hart in der Sache, aber fair im Umgang an unserem Auftrag arbeiten; denn – das habe ich Ihnen schon einmal gesagt – wir werden uns nach dem Ende der Ausschussarbeit für diese Legislaturperiode wiedersehen, und wir wollen uns auch künftig in die Augen schauen können und uns freundlich und kollegial grüßen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wolf, für den Bericht des Ausschussvorsitzenden. – Ich eröffne sodann die Aussprache über den Bericht und die bisherige Arbeit des Ausschusses und erteile als erstem Redner in der Aussprache für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Stotko das Wort.

Thomas Stotko (SPD): Besten Dank. – Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen 175 Seiten umfassenden Zwischenbericht, dessen Abfassung dieses Parlament am 15. März von uns als Mitgliedern des Untersuchungsausschusses verlangt hat. Ich will daran erinnern, dass wir am 15. März dieses Jahres mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU beschlossen haben, in diesen drei April-Plenartagen einen Zwischenbericht vorzulegen.

Ich erinnere auch deshalb daran, weil solche Aufträge aus der Mitte des Parlaments auch uns Abgeordneten wichtig sind. Bei allen Irrungen und Wirrungen über die rechtliche Beurteilung von Zwischenberichten und über die Frage, was man hineinschreiben kann und was nicht, machen wir das, was das Parlament – hier immerhin mit sehr vielen Stimmen – von uns wollte.

Das ist auch ungewöhnlich. Ich darf das als jemand sagen, der seit 2005 in zahlreichen Untersuchungsausschüssen Mitglied gewesen ist.

Ich glaube, in den Jahrzehnten davor hat sich die Frage, einen Zwischenbericht schreiben zu wollen oder durch Beschluss zu müssen, unseren Kolleginnen und Kollegen niemals gestellt. Auch das bitte ich zu berücksichtigen, wenn man darüber nachdenkt, wie man einen solchen Zwischenbericht inhaltlich und auch von seinem Umfang her beurteilt. Wir haben ja die Diskussionen über diesen Zwischenbericht, weil es große Beschwerden über die zeitliche Dynamik dieses Untersuchungsausschusses gibt.

Dabei will ich daran erinnern, dass entgegen sonstiger Gepflogenheiten der Einsetzungsbeschluss zu dem Untersuchungsausschuss Amri nicht mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gefasst wurde, sondern dass wir uns enthalten haben. Für diejenigen, die es nicht wissen: Es ist parlamentarischer Gebrauch, dass die Regierungsfraktionen das Minderheitenvotum zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses immer durch eigene zustimmende Stimmabgabe unterstützen. In diesem Fall haben wir ausnahmsweise gesagt: „Nein, wir enthalten uns“, weil wir darauf hingewiesen haben, dass wir binnen 87 Tagen, die uns von der Einsetzung bis zum Ende der Legislaturperiode zur Verfügung stehen, diesen Anspruch nicht erfüllen können. Darauf will ich auch hinweisen.

All das, was jetzt passiert, die Klagen: „Wir haben zu wenig Zeit; das alles geht so schnell; wir können die Akten nicht genug lesen“, haben wir bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses als Problem angedeutet. Das ist ja auch unbefriedigend – nicht nur für diejenigen, die ihn als Oppositionsinstrument nutzen, sondern auch für die Abgeordneten der Regierungsfraktionen, weil wir ja gemeinsam – alle fünf Fraktionen, das gebe ich zu – den Vorfall des Attentats von Amri, der ja Verbindungen nach Nordrhein-Westfalen hatte – und nicht zu kleine –, aufklären wollen. Man muss dann wissen, dass ein Zwischenbericht und ein Abschluss dieses PUA mit dem Wissen, das wir sonst bei Untersuchungsausschüssen erlangen, schwerlich möglich sind.

Zu dem Zwischenbericht würde ich gerne noch anmerken: Der Vorsitzende hat gerade dem Ausschuss den Hinweis gegeben, wir mögen uns Gedanken machen, wie wir mit den bisherigen Erkenntnissen umgehen. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben heute beim Vorsitzenden einen Antrag eingereicht – den hat er, glaube ich, noch gar nicht gesehen –, auf jeden Fall sicherzustellen, dass alle Protokolle und Unterlagen, soweit das rechtlich und gesetzlich möglich ist, für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Es muss auch geklärt sein, dass alle Abgeordneten, die nicht Mitglieder des Untersuchungsausschusses gewesen sind, jetzt und in einer neuen Legislaturperiode Einsicht in alle Protokolle erhalten.

Damit machen wir einerseits deutlich: Für eine mögliche neue Legislaturperiode mögen diejenigen, die dann Mitglieder eines Nachfolgeuntersuchungsausschusses sind, die Chance haben, alles zu verwerten, was wir erarbeitet haben.

Andererseits muss die Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, jedes Protokoll der, wohlgemerkt, öffentlichen Sitzungen wahrzunehmen. Dadurch kann auch kontrolliert werden – das hat in den Medien eine Rolle gespielt –, ob die Wiedergabe von Zeugenaussagen in dem Zwischenbericht, der ja nur 67 der 175 Seiten umfasst, zufriedenstellend ist oder nicht, ob die Zeugenaussagen richtig oder falsch wiedergegeben wurden.

Wir haben intensiv über die Frage der Reihenfolge von Zeugen diskutiert. Es gibt manchmal den geflügelten Spruch: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. – Es gab durchaus die Möglichkeit, wie es auch sonst in Untersuchungsausschüssen die Regel ist, mit Sachbearbeitern als Zeugen anzufangen und am Ende die wichtigen, auch politisch verantwortlichen Zeugen zu befragen.

Wir haben hier dank der, wie ich finde, richtigen Auffassung des Vorsitzenden den Weg andersherum gewählt. Wir haben sehr frühzeitig all die Zeugen vernommen, die an oberster Stelle stehen: den Generalbundesanwalt, den Leiter des BAMF, den Innenminister des Bundes und den Innenminister des Landes. All diejenigen haben wir frühzeitig vernommen.

Ich sage Ihnen heute aus fester Überzeugung, dass das für die Wahrnehmung in der nordrhein-westfälischen, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit der richtige Weg gewesen ist. Damit hat das Parlament nach außen deutlich gemacht: Es gibt hier nichts zu verheimlichen. Wir setzen nicht darauf, dass prominente Zeugen nicht mehr vernommen werden können, weil der Zeitablauf eingetreten ist. Ich bleibe dabei: Auch die Zeugenreihenfolge war richtig.

Die Oppositionsfraktionen möchte ich daran erinnern, dass Sie den Antrag auf Vernehmung der Zeugen Münch, Weise und Frank von SPD und Grünen nicht nur nicht mitgestellt haben, sondern Sie haben dagegengestimmt. Wir hätten Herrn Frank, Herrn Weise und Herrn Münch bis jetzt nicht vernommen, wenn es nach den Oppositionsfraktionen gegangen wäre. Dennoch haben Sie alle aus den Befragungen durchaus auch Dinge abgeleitet. Ich glaube, dass es nicht falsch gewesen ist, diese Zeugen zu hören, wie auch immer man sie bezeichnen will, ob als sachverständige Zeugen oder anders, Herr Kollege Stamp. Ich will nur sagen, dass der Weg richtig war.

Gleiches gilt im Übrigen – auch das will ich betonen – für die Gegenstimmen von CDU und Piraten, was die Zeugen Innenminister Jäger und Ministerpräsidentin Kraft, die heute Abend vernommen wird, angeht. Ich will nur klarmachen: Es waren SPD und Grüne, die die Befragung dieser Zeugen beantragt haben.

Alle drei Oppositionsfraktionen waren dagegen, Herrn de Maizière zu vernehmen. Ich glaube auch heute noch, dass er mit dem, was er uns erläutert hat, ein wichtiger Zeuge gewesen ist. Es war richtig, dass SPD und Grüne mit „Mehrheitsbeschluss“ – in Anführungszeichen – dafür gesorgt haben.

Ich will hier noch einmal klarmachen – das gilt nach meiner Einschätzung für alle Zeugen, die wir bisher im Untersuchungsausschuss hatten –: Alle Zeugen haben große Betroffenheit signalisiert und deutlich gemacht, dass sie ihre jeweils eigenen Maßnahmen, aber auch ihr eigenes Verhalten im Fall Amri selbstkritisch und aufs Intensivste hinterfragen. Auch das ist eine wichtige Botschaft, damit die Menschen in diesem Land erkennen, dass die Verantwortungsträger bereit sind, dauerhaft und auch mit hoher Intensität zu hinterfragen, ob man alles richtig gemacht hat.

Stellvertretend möchte ich aus der Erinnerung heraus zwei Zeugen benennen, die das auch klarmachen, zum einen Herrn Frank-Jürgen Weise, der als damaliger Leiter des BAMF sinngemäß gesagt hat: Es ist nicht so gelaufen, wie es der Bürger vom Staat erwarten konnte. – Das war eine sehr ehrliche Antwort auf Fragen, die gestellt wurden. Er hätte es sich ja einfacher machen können. Das war eine Wertung seinerseits, um klarzumachen, dass die Menschen von uns allen, die wir unterschiedliche Verantwortung tragen, im Fall Amri etwas anderes erwarten konnten. Das hat er sehr profunde und sehr deutlich formuliert.

Zum anderen will ich noch einmal – der Herr Vorsitzende hat es gerade schon erwähnt – die Befragung des Zeugen Jacob, des Direktors des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, anführen. Auf meine Frage, was er als Leiter des LKA Nordrhein-Westfalen am Tag des Anschlags gedacht habe, hat er sinngemäß gesagt: Ich antworte Ihnen nicht, was ich gedacht habe. Ich sage Ihnen mal, was meine Mitarbeiter gedacht haben. Herr Wolf hat gerade darauf hingewiesen. Die Mitarbeiter haben an dem Abend des Anschlags, als noch nicht klar war, wer das war, gesagt: Hoffentlich war das nicht der Amri.

Ich sage Ihnen: Ich habe hier viele Untersuchungsausschüsse mitgemacht, beispielsweise den zum Foltermord in Siegburg, der manchem noch sehr gut in Erinnerung ist. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so betroffen gewesen zu sein wie in dem Moment, als Herr Jacob das, wie ich finde, sehr überzeugend dargestellt hat. Da hätte man im Untersuchungsausschuss eine Stecknadel fallen hören können.

Ich denke, es ist wichtig, klarzumachen: Wir haben Zeugen vernommen, die uns zumindest in dem Punkt, mehr Informationen zu bekommen, sehr geholfen haben, auch um unterschiedliche Zeugenaussagen auf Dauer bewerten zu können.

Es wird in diesem PUA leider nicht gelingen, so zu arbeiten, wie wir es aus anderen Untersuchungsausschüssen gewohnt sind. Wir haben nicht viel Zeit für Befragungen und Beweisaufnahmen, nicht viel Zeit für Auswertung und Bewertung, und wir haben am Ende auch nicht viel Zeit für den Versuch, wie es im PUA „NSU“ in vielen Bereichen gelungen ist, gemeinsam Schlussfolgerungen zu ziehen.

Damit bin ich wieder am Anfang meines Wortbeitrages: Von Beginn an, dem 15. Februar, hatten wir 87 Tage bis zum Wahltermin. Wir haben im Übrigen – das war ganz ungewöhnlich – an dem Tag, an dem wir den Einsetzungsbeschluss gefasst haben, auch sofort die Mitglieder des Untersuchungsausschusses benannt. Das ist ungewöhnlich, das haben wir noch nie so gemacht. Wir haben das Verfahren so aber beschleunigt und hatten dadurch 50 Tage bis zu dem heute vorliegenden Zwischenbericht.

Wir haben Akten nach zehn Tagen bekommen. Wir haben binnen 14 Tagen erste Zeugen gehört. Ich glaube, dass das ein sehr ambitioniertes Programm gewesen ist, das wir hier abgearbeitet haben.

Deshalb möchte ich bei aller Streiterei zwischen den Fraktionen und Parteien, was den Wahlkampf angeht, noch einmal klarmachen: Ich habe hohen Respekt vor der Arbeit des Vorsitzenden und der Schwierigkeit, als Löwendompteur in diesem Untersuchungsausschuss mitten im Wahlkampf seine Arbeit machen zu müssen. Ich habe hohen Respekt vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, des Stenografischen Dienstes, den Referenten der Fraktionen, aber auch den Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss. Ich kenne nämlich keinen PUA, der unter solchen Bedingungen arbeiten musste und sich – durchaus auch fraktionsübergreifend – so sehr bemüht hat, dem sehr komplizierten und schwierigen Anspruch gerecht zu werden, den das Parlament an uns formuliert hat.

Es gibt ein Zitat von Pierre Abélard, einem französischen Philosophen und Theologen, das ich mit Erlaubnis des Präsidenten gerne bringen möchte: „Durch Zweifeln kommen wir nämlich zur Untersuchung; in der Untersuchung erfassen wir die Wahrheit.“

Ich glaube, Zweifel haben fraktionsübergreifend alle, die in diesem Untersuchungsausschuss arbeiten. Untersuchen wollen wir alle eigentlich umfassend, aber wir wissen bereits heute, dass wir diesen Anspruch in dieser Legislaturperiode nicht erfüllen können. Die Wahrheit werden wir daher nicht erfassen.

Diese unbefriedigende Feststellung, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte jemand formulieren, der bei dem Versuch, die Wahrheit in der nächsten Legislaturperiode herauszufinden, nicht dabei sein kann. Ich wünsche aber allen Kolleginnen und Kollegen die Kraft dafür, die Muße und vielleicht auch den überfraktionellen Zusammenhalt, um die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses fortzusetzen und zu klaren Schlussfolgerungen zu kommen. – Insoweit danke ich für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. Insofern, als das möglicherweise Ihre letzte Rede im Hohen Hause war, wünsche ich Ihnen auch vom Präsidium aus alles Gute für die weitere Zukunft. – Als nächsten Redner darf ich für die CDU-Fraktion Herrn Sieveke aufrufen.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über drei Monaten passierte der größte islamistische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwölf unschuldige Menschen – auch aus Nordrhein-Westfalen – mussten ihr Leben lassen. Die Öffentlichkeit und die Opfer haben immer noch an dem zu knacken, was damals geschehen ist, und erwarten zu Recht eine Aufklärung durch die Politik oder durch wen auch immer.

Sie stellen die Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wie hätte man den Täter Anis Amri – es war ein behördenbekannter Gefährder aus Nordrhein-Westfalen – stoppen können? Hätte man damit den Anschlag verhindern können?

Diese Fragen stellen auch wir im Ausschuss. Um diese Fragen aufzuklären, arbeiten wir bis zu zwölf Stunden am Stück.

Ja, Herr Wolf, die Sicherheitsbehörden haben sich diese Fragen gestellt, auch nach Anis Amri. Aber bei aller Gemeinsamkeit, die heute durch große Worte vorgetragen wurde und die Herr Stotko eben ein wenig zu glätten versuchte, bleibt eines festzuhalten: Sie wollten diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht. Sie wollten die Klärung dieser Fragen durch das Parlament nicht. Sie haben nicht zugestimmt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben eben gesagt, die Frage der Schuld sollte nicht gestellt werden. Ja, sie sollte nicht gestellt werden, weil andere – die Landesregierung, die Staatskanzlei – die Fragen bereits für sich geklärt hatten:

Es gab in Nordrhein-Westfalen Mitte Januar keine Fehler irgendeiner Behördenabteilung. Es gab keine Schuld in Nordrhein-Westfalen, keine Zweifel. – So stelle ich persönlich mir, so stellen wir uns Aufklärung nicht vor. Wir wollen die Aufklärung durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben krampfhaft nach einem anderen Mittel der Aufklärung gesucht. Sie haben sich für einen Regierungsgutachter, für ein Gutachten auf Vorschlag der Landesregierung entschieden, ein in meinen Augen mittlerweile offenkundig falscher Weg der Aufklärung, den auch der Gutachter in der Form beschreibt, dass ihm bestimmte Mittel – Zeugenbefragungen – gar nicht zur Verfügung standen und damit wichtige Erkenntnisse nicht in sein Gutachten einfließen konnten.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Wir haben von Anfang an für einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gekämpft, übrigens nicht nur im Land Nordrhein-Westfalen, sondern auch auf der Bundesebene. Das war am Mittwoch ja auch Thema hier im Hohen Hause.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Woran scheiterte es?)

– Sie, Herr Mostofizadeh, haben damals gesagt, die CDU hätte es allein durchdrücken können. Aber die CDU ist im Bund in einer Koalition, und auch dort wollte es die SPD nicht. Deswegen können wir nur sagen: Auch andere Ebenen sollten sich der parlamentarischen Untersuchung dieses Themas stellen.

(Beifall von der CDU)

Aber noch einmal: CDU, FDP und Piraten haben sich dieser Herausforderung gestellt und den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert. Nach sechs Wochen und zwölf Sitzungen können wir mit Fug und Recht sagen, dass wir zahlreiche Erkenntnisse gewinnen durften, dass wir heute über Themen sprechen können, die im Januar scheinbar abgeräumt werden sollten.

Drei Beispiele:

In zentralen Punkten wissen wir heute mehr als nach vielen Stunden Befragungen und Antworten, die der Innenminister im Innenausschuss, auch in Sondersitzungen, vorzutragen versucht hat. Die Ministerpräsidentin und der Innenminister haben uns und der Öffentlichkeit nach dem Anschlag zu Amri gesagt: Da lagen uns keine Beweise vor, es gab nur Informationen vom Hörensagen.

Jetzt wissen wir, auch durch öffentliche Verlautbarungen in Zeitungen, dass es konkrete Anhaltspunkte, konkrete Informationen gab, die auch Ihnen bereits Anfang Januar vorlagen. Daraufhin wollten Sie uns und der Öffentlichkeit weismachen – in öffentlichen Sitzungen im Innenausschuss, auch in Sondersitzungen –, man hätte den Abschiebeerlass nicht machen können, und zwar mit dem Hinweis auf den Generalbundesanwalt – von der Ministerpräsidentin in Pressekonferenzen –, dass bestimmte Daten und Fakten nicht freigegeben worden wären.

Die Zeugenbefragung des Generalbundesanwalts lässt zumindest einen anderen Blick auf die Sache werfen. Deswegen war der Parlamentarische Untersuchungsausschuss auch an der Stelle ein wichtiger Ort der Aufklärung, um Zahlen, Daten, Fakten zu erhalten.

Selbst Ihr eigener Gutachter sagt: Mit diesen Erkenntnissen und gesammelten Verdachtsmomenten hätte eine Abschiebeanordnung durchaus erfolgreich sein können. – Er konnte es wohl nicht besser wissen, weil ihm Informationen nicht vorlagen.

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Beispiel!)

Noch eine der Öffentlichkeit vorgetragene Information war, alle wesentlichen Entscheidungen zu Amri seien im GTAZ getroffen worden. Was ist überhaupt das GTAZ? Werden dort Entscheidungen getroffen? Wie viele Behörden sind dort beteiligt? Wie oft sind sie beteiligt, und wie läuft es im GTAZ ab? Das war ein wichtiger Bestandteil der Fragen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die zu dem Ergebnis geführt haben, dass im GTAZ nicht die Entscheidungen getroffen wurden, sondern diese am Ende des Tages, wenn die Ebene Nordrhein-Westfalen angesprochen wurde, durch das Ministerium in Nordrhein-Westfalen getroffen wurden und von dort der Abschiebeerlass abgelehnt wurde.

Heute wird uns ein Zwischenergebnis, ein Zwischenbericht vorgelegt. Sie haben eben gesagt: keine Beweiswürdigung. – Wir sagen das heute auch. Wenn von über 800 Seiten Zeugenbefragungen heute 60 bis 70 Seiten vorgelegt werden,

(Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Sind alle freigegeben!)

dann ist das für uns keine Beweiswürdigung. Denn Informationen, die auf den anderen Seiten gegeben wurden, werden weggelassen. Die Anzahl der Fragen, die an eine Person bis zu einer Antwort gerichtet wurden, wird weggelassen.

Sie legen einen Zwischenbericht vor, der für Sie unter bestimmte Zeugenbefragungen quasi schon einen Schlussstrich ziehen soll, ohne an die entscheidende Ebene heranzureichen, ohne beispielsweise die Ausländerbehörde Kleve – immer wieder in aller Munde – überhaupt einmal gehört zu haben.

Sie werfen der Opposition vor, dass dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss nur aus wahlkampftechnischen Gründen eingesetzt wurde. Sie haben eben aus nichtöffentlichen Teilen das Abstimmungsverhalten zu dem Punkt zitiert, bestimmte Zeugen zu befragen oder nicht zu befragen. Hier darf man die Frage stellen, ob Sie das tun durften. Daran mache ich es aber gar nicht fest.

Was Sie verschweigen, ist: Uns ging es um den chronologischen, den sinnvollen Aufbau von Zeugenbefragungen, abzuschichten, normal vorzugehen wie jeder andere Parlamentarische Untersuchungsausschuss auch. Das sind wir den Opfern, das sind wir der Öffentlichkeit schuldig.

Sie machen es hier ähnlich wie beim Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht. Sie versuchen, Ihre Deutung hineinzugeben, letztendlich Ihre Sicht der Dinge in der Öffentlichkeit darzustellen.

(Zuruf von Sven Wolf [SPD])

Damit lassen wir Sie nicht durchkommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Herr Stotko, Sie sagten eben, Sie setzen sich dafür ein, dass die Protokolle veröffentlicht werden.

(Thomas Stotko [SPD]: Wir beantragen das sogar!)

– Sie beantragen das sogar? Wir haben darüber gesprochen, wie wir uns einen Zwischenbericht vorstellen können. Dabei ging es darum, die Protokolle zu veröffentlichen, auf die Zeugen hinzuwirken und zu fragen: Musst du die zehn Tage wirklich in Anspruch nehmen, oder können wir sie schneller veröffentlichen?

Dann haben Sie und der Vorsitzende erklärt: Im Hinblick auf die weiteren Zeugenbefragungen, im Hinblick darauf, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss am Ende der Legislaturperiode nicht beendet werden kann, sollten wir darüber nachdenken, diese Informationen nicht zu veröffentlichen, um anderen Zeugen nicht die Möglichkeit zu geben, hineinzuschauen.

Letztendlich haben Sie unseren Vorschlag abgelehnt, und heute sagen Sie: Wir wollen so vorgehen. – Wenn das Kollegialität ist, wenn das wirklich ehrliche Aufarbeitung ist, dann haben Sie der Aufklärung heute einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Sieveke, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Stotko?

Daniel Sieveke (CDU): Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke. – Bitte schön, Herr Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Besten Dank, Herr Vorsitzender. – Besten Dank, Herr Sieveke. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass zumindest ich in meiner Person nicht gesagt habe – ich glaube, auch die SPD nicht –, dass es um Zeugen geht, sondern seitens der Verwaltung durch den Vorsitzenden ist der Versuch gemacht worden, der Verpflichtung nachzukommen, alle Protokolle gegenzulesen, um festzustellen, ob aus vertraulichen Akten zitiert wird, und dass die Protokolle erst veröffentlicht werden können, wenn diese Durchsicht möglich war? Uns ist signalisiert worden: Bis zum heutigen Tag, bis zum Zwischenbericht, ist das aus Ressourcengründen – wegen der wenigen Mitarbeiter – nicht möglich.

Das ist der Hinderungsgrund gewesen, warum wir keine Protokolle veröffentlichen – bis jetzt.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Kollege Stotko, wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie den Zwischenbericht so darstellen wollten, wie Sie ihn uns vorgelegt haben, und dass Sie mit wohlfeilen Worten der Öffentlichkeit und diesem Hohen Hause suggerieren, als ob Sie an einer wirklichen Aufklärung interessiert seien.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)

– Ob etwas, was ich hier vortrage, unverschämt ist oder nicht, haben nicht Sie zu beurteilen, sondern am Ende des Tages die Öffentlichkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie, Frau Ministerpräsidentin, können Rede und Antwort stehen. Genau darum ging es auch in der Zwischenfrage des Kollegen Stotko.

(Zuruf von der SPD)

Sie haben Anfang/Mitte Januar die Operation „Licht aus, Deckel drauf“ gestartet. Sie haben von Anfang an gesagt: In Nordrhein-Westfalen ist alles richtiggemacht worden. Es gibt keine Zweifel an den Verantwortlichen in Nordrhein-Westfalen. Wir haben alles richtiggemacht. – Heute werden Sie durch die Erkenntnislagen Ihrer eigenen Sicherheitsbehörden eines Besseren belehrt. Deswegen sind Sie so nervös.

Das wird in den nächsten Tagen durch die intensive Beratung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, den Sie persönlich auch nicht wollten, weiter vorangetrieben. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Politik und durch die Politik des Innenministers: Sie wollen nicht aufklären, Sie kleben an Ihrem Stuhl. – Die Öffentlichkeit wird es Ihnen beweisen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Daran sind wir nicht nur interessiert, sondern wir kämpfen dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zwischenbericht, die Pressekonferenzen der Ministerpräsidentin und die Antworten unseres Innenministers im Ausschuss haben gezeigt: Sie haben eine voreilige Bewertung vorgenommen. – Durch den Regierungsgutachter wollten Sie den Deckel draufmachen. Das haben Sie nicht geschafft. Die ehrliche Aufklärung fällt Ihnen vor die Füße, und das ist gut so.

Das Parlament hat mit diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wirklich einen guten Dienst für die öffentliche Aufklärung geleistet. Das war bis heute so, und das wird in den nächsten Wochen und über diese Legislaturperiode hinaus weitergehen. Dafür bin ich dankbar, und daran werden wir intensiv und in vielen Sitzungen weiterarbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sieveke. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Düker.

Monika Düker*) (GRÜNE): Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In der Sitzung des sogenannten GTAZ, des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, am 2. November stellte man gemeinsam Folgendes fest – ich zitiere aus der Chronik, die auch veröffentlicht wurde –:

„Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar.“

Das war sechs Wochen vor der Tat. Die Menschen fragen sich zu Recht: Warum wurde noch am 2. November eine solche Fehleinschätzung vorgenommen? – Es war im Nachhinein ein fataler Fehler, Amri so zu unterschätzen. Genau der Frage gehen wir im Untersuchungsausschuss nach – auch alle meine Vorredner haben sie gestellt –: Warum konnte das passieren?

Herr Sieveke, um die Geschichtsklitterung, die Sie hier betreiben, nicht im Raum stehen zu lassen: Wir haben uns zum Einsetzungsbeschluss enthalten, weil die CDU-Fraktion es einfach abgelehnt hat – wo ist er? –,

(Daniel Sieveke [CDU], der auf dem Platz von Lutz Lienenkämper [CDU] sitzt, winkt.)

die meisten unserer Änderungsanträge, die den Blickwinkel erweitern, in den Einsetzungsbeschluss aufzunehmen. Zum Beispiel haben Sie die Erwähnung des Landes Berlin in der Zuständigkeit – nur in der Sachverhaltsdarstellung, noch nicht mal im Untersuchungsauftrag – abgelehnt. Außerdem enthielt Ihr Einsetzungsbeschluss massive Vorverurteilungen und Spekulationen. Daher die Enthaltung.

Das hat nichts damit zu tun – das haben wir im Ausschuss und im Plenum mehrfach deutlich gemacht –, dass ich für meine Fraktion sagen kann, dass wir uns sehr ernsthaft und sehr wohl konstruktiv an der Aufklärung beteiligen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Zur Überschrift „Scheinheiligkeit“: Herr Sieveke, Sie machen uns hier den Vorwurf einer vorgezogenen Beweiswürdigung allein aus der Tatsache heraus, dass wir einen Zwischenbericht beschlossen haben, der heute vorgelegt wird. Ihre Rede, Herr Sieveke, war eine Aneinanderreihung von Schuldzuweisungen. Sie sind es, der hier permanent Schlussstriche zieht und sagt, wer schuld ist, und das auch noch während laufender Zeugenvernehmungen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Hier bitte redlich bleiben.

Über die These, dass eine reine Zusammenfassung der Zeugenbefragung per se eine Wertung darstellt, kann man auf der ganz abstrakt-juristischen Ebene wahrscheinlich tagelang in juristischen Seminaren streiten. Aber wenn man das zu Ende denkt, diese Frage bejahen und sagen würde, ja, das ist per se schon einen Wertung, würde doch die Rechtsgrundlage für einen Zwischenbericht nach § 24 Abs. 5 Untersuchungsausschussgesetz faktisch ins Leere laufen. Politisch gesprochen hat sich Gesetzgeber doch etwas dabei gedacht. Dort heißt es:

„Der Landtag kann vom Untersuchungsausschuss jederzeit bei Vorliegen eines allgemeinen öffentlichen Interesses oder wenn ein Schlußbericht vor Ablauf der Wahlperiode nicht erstellt werden kann,“

– jetzt kommt es –

„einen Zwischenbericht über den Stand der Untersuchungen verlangen.“

Der Gesetzgeber hat sich doch irgendetwas dabei gedacht. Er hat sicher nicht gewollt, dass ein solcher Zwischenbericht bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses – das haben wir doch nun einmal – aus einer Zeugen- und Terminliste, vielleicht noch einem Aktenverzeichnis und dem Einsetzungsbeschluss besteht. Das öffentliche Interesse besteht doch darin, auch inhaltlich über die Arbeit des PUA informiert zu werden. Das möchten wir ausdrücklich. Ja, das möchten wir in der letzten Sitzung dieser Legislaturperiode dieses Landtags tun. Genau das macht der Zwischenbericht jetzt. Genau das hat der Landtag beschlossen.

Herr Sieveke, nach Abschluss der Untersuchung werden natürlich auch alle Protokolle veröffentlicht. Wir werden das heute noch einmal in den Untersuchungsausschuss einbringen und ausdrücklich durch einen Antrag bekräftigen. Sie wissen genauso gut wie alle anderen, die schon Untersuchungsausschussarbeit geleistet haben, dass solch eine Veröffentlichung immer nach Abschluss der Untersuchung erfolgt, weil dieser Vorlauf benötigt wird, um Persönlichkeitsrechte und Datenschutzaspekte zu würdigen. Selbstverständlich wird die Öffentlichkeit all diese Protokolle bekommen. Sie verschwinden eben nicht, wie Sie es darstellen, in irgendwelchen geheimen Stahlschränken des Landtages.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nenne zwei Beispiele, an denen deutlich wird, dass der immer wieder in den Raum gestellte Vorwurf eben nicht zutrifft. Gleich spricht Herr Dr. Stamp und wird sagen: Tricksen, Täuschen, Vertuschen. – Mögliche Widersprüche und unterschiedliche Einschätzungen werden sehr wohl transparent dargestellt und dokumentiert, aber nicht – wie Sie es permanent tun, Herr Sieveke – abschließend bewertet.

Erstens. Der Generalbundesanwalt hat gesagt, es wurde keine förmliche Anfrage zur Freigabe von Informationen zur Durchsetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a gestellt. Der vermeintliche Widerspruch liegt darin, dass der Zeuge Kretschmer – den Sie das im Übrigen gar nicht gefragt haben, aber das sei dahingestellt – danach gesagt hat, nach seinen Aktenkenntnissen habe sich die Siko sehr wohl entschieden, diese Freigabe zu beantragen. Das hat er sich nicht ausgedacht, sondern das weiß er aus Akten. Er geht davon aus, dass sie es auch gemacht hat.

Das steht erst einmal im Raum. Das haben wir dokumentiert. Diesen Fragen werden wir selbstverständlich weiter nachgehen.

Zweitens. Wo da die Wertung ist, frage ich Sie. Sie sind während der Zeugenbefragung hinausgegangen und haben gesagt: Dieses Gutachten ist diskreditiert, weil der Generalbundesanwalt das gesagt hat. Dieser hat recht und jener hat unrecht. Ich, Sieveke, ziehe einen Schlussstrich und fälle einen Schuldspruch. – Sie haben Vorfestlegungen gemacht, nicht wir.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben uns konstruktiv an der Zeugenbefragung beteiligt, statt draußen in den Kameras Schuldsprüche zu veröffentlichen.

Der aus meiner Sicht nächste Beleg dafür, warum wir sehr transparent auch widersprüchliche Rechtseinschätzungen dokumentiert haben, ist § 62 Sicherungshaft, besser bekannt als Abschiebungshaft. Auch hierzu haben wir zwei unterschiedliche Einschätzungen. Ich möchte hier nicht rechtlich in der Tiefe würdigen, mit welchen Begründungen sie vorgetragen wurden. Dafür reicht die Zeit nicht. Aber nach intensiven Befragungen sagen das Landesinnenministerium und der Gutachter, dass Abschiebungshaft hier nicht hätte beantragt werden können, weil die Voraussetzungen schlicht und einfach nicht vorlagen.

Ich meine, eine Behörde darf das dann auch nicht tun. Herr Dr. Stamp meint ja, wir bräuchten solche Probierbehörden, wie der Zeuge Freier sie genannt hat. Ich möchte ausdrücklich nicht, dass Behörden, die ganz klar zu der Auffassung kommen, es gibt keine Rechtsgrundlage für einen Fall, es trotzdem einmal versuchen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nein, hier hat eine Behörde entschieden. Ich möchte keinen Rechtsstaat, der aus Probierbehörden besteht. Aber da haben wir vielleicht unterschiedliche Rechtsstaatsauffassungen, Herr Dr. Stamp.

Das Landesinnenministerium sagt: Wir sahen die Rechtsgrundlage nicht. Also gab es diesen Antrag auch nicht. – Der Bundesinnenminister sagt das Gegenteil. Ja, genau das steht auch in dem Bericht. Er sagt, man hätte eine Abschiebung beantragen können, weil man Amri hätte zurechnen können, dass er sich nicht selbst an seiner Abschiebung beteiligt. Deswegen entsteht aufgrund dieser Kausalität erst gar nicht diese Dreimonatsfrist. Der Bundesinnenminister bezieht sich ausdrücklich auf diesen Kausalitätsgrundsatz.

Ich möchte das nicht vertiefen. Zwei Rechtsauffassungen wurden genannt. Wir schreiben sie in den Bericht. Herr Dr. Stamp, wir sind nicht an der Stelle, jetzt zu sagen: Dieser hat recht und jener hat unrecht. – Herr Sieveke, ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie hinausgehen und sagen: Okay, wir haben die eine Rechtsauffassung gehört. Abschiebungshaft hätte beantragt werden können. Punkt. Der Innenminister ist schuld. – Nein, an dieser Stelle sind wir nicht.

Deswegen wird noch einmal ausdrücklich an diesen zwei Beispielen belegt: Wir geben hier einen Zwischenbericht – nicht mehr und nicht weniger –, der transparent deutlich macht, an welcher Stelle der Untersuchung wir sind. Da gibt es Widersprüche. Da gibt es unterschiedliche Bewertungen. Diese dokumentieren wir hier, damit die Öffentlichkeit informiert wird; denn sie hat ein Recht darauf, über unsere Arbeit informiert zu werden.

Die Legislaturperiode endet für mich und für uns nicht am 14. Mai, sondern am 31. Mai. Bis dahin werden wir objektiv, transparent und konstruktiv den Auftrag weiterverfolgen, an der Aufarbeitung dieses Anschlags mitzuwirken. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es um Sachlichkeit gehen muss. Deswegen möchte ich einen Satz von Ihnen noch einmal deutlich unterstreichen: Wenn es hier um Schuld geht, dann liegt diese einzig und allein bei Anis Amri und bei niemandem anderen sonst.

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir wollen uns aber damit auseinandersetzen, was die Verantwortung angeht und was man möglicherweise im Vorfeld hätte tun können oder müssen, um diesen Anschlag, so wie er nachher zustande gekommen ist, zu vermeiden.

Frau Kollegin Düker, wir können nicht die Fehler in Berlin untersuchen, weil das nicht unser Zuständigkeitsbereich ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das habe ich gar nicht gesagt, Herr Dr. Stamp!)

Dementsprechend haben wir uns beim Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „NSU“ auch nicht mit Thüringen auseinandergesetzt, sondern mit Nordrhein-Westfalen.

Weil hier gerade wieder der Eindruck erweckt worden ist, wir würden, weil das Ausländerrecht in der einen oder anderen Weise nicht angewandt worden ist, aus Wahlkampfzwecken den Rücktritt von Herrn Minister Jäger fordern, möchte ich deutlich sagen: Das ist nicht richtig. Wir haben – ich wiederhole das für die Freien Demokraten gebetsmühlenartig –den Rücktritt des Ministers nicht gefordert, weil in Behörden Fehler gemacht worden sind, sondern weil von vornherein gesagt worden ist: In Nordrhein-Westfalen sind keine Fehler gemacht worden. – Ich bleibe dabei: Wenn man Fehler nicht eingesteht – und jeder hier im Haus weiß, dass Fehler gemacht worden sind –, dann ist man nicht in der Lage, eine Fehleranalyse vorzunehmen, und dann wird man Fehler wiederholen. Das ist es, was wir für unverantwortlich halten, und deshalb fordern wir die Ablösung von Ralf Jäger.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Dr. Stamp, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Düker?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ja, ich gestatte selbstverständlich die Zwischenfrage.

Monika Düker*) (GRÜNE): Danke für die Zulassung der Zwischenfrage, Herr Kollege Dr. Stamp. – Würden Sie bitte endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass sich unsere Ergänzungsanträge zum Einsetzungsbeschluss, hier auch das Land Berlin zu erwähnen, nicht auf den Untersuchungsauftrag bezogen haben, sondern allein auf die Sachverhaltsdarstellung? Und würden Sie mir zustimmen, dass in der Sachverhaltsdarstellung dieser Fall Amri sehr wohl einen Bezug zu NRW und zu Berlin hat – wie gesagt, in der Sachverhaltsdarstellung –, weil sich Amri nachweislich nach dem 18. August nur noch in Berlin aufgehalten hat?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Kollegin, mit letzterer Behauptung wäre ich ausgesprochen vorsichtig, weil mittlerweile von den Medien auch ausgesprochen infrage gestellt wird, ob das tatsächlich der Fall gewesen ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Aber in Berlin hat er sich nun einmal aufgehalten!)

Im Übrigen hat von der Opposition zu keinem Zeitpunkt irgendjemand behauptet – daran kann ich mich nicht erinnern; jedenfalls kann ich das für die Freie Demokraten sagen –, es wären keine Fehler in Berlin oder im Bund gemacht worden. Wir sind aber der Landtag von Nordrhein-Westfalen, und wir haben die Aufklärungsarbeit hier zu machen. Wir haben uns natürlich auch darüber auseinanderzusetzen, welche Probleme es an den Schnittstellen zum Bund und nach Berlin gegeben hat. Das ist selbstverständlich. Unsere Aufgabe ist es aber, in Nordrhein-Westfalen zu klären: Was ist hier schiefgelaufen?

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN – Stefan Engstfeld [GRÜNE]: Die Schnittstellen wollen Sie aber nicht benennen?)

Frau Kollegin Düker, wir sagen auch nicht, wir wollen Probierbehörden. Es ist aber auch nicht so gewesen, dass Behörden entschieden haben, sondern – und das ist keine Beweiswürdigung – es war in den Medien nachzulesen, dass der Abteilungsleiter selbst im Ausschuss eingeräumt hat, dass er allein über die Anwendung entschieden hat, ohne Rückkopplung mit anderen Abteilungsleitern und ohne Rückkopplung mit dem Minister. Wir sind der Meinung, dass da in der Sicherheitsarchitektur dieses Hauses etwas gründlich schiefläuft, und das muss thematisiert werden.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Insofern, Frau Ministerpräsidentin, bin ich auch nicht einverstanden, wenn wir heute in den Blättern des DuMont-Verlags nachlesen können, dass die Haltung der Landesregierung im Grunde schon Mitte Januar festgestanden hat, dass es da schon die Festlegung gab vom Justizministerium, vom Innenministerium, von der Staatskanzlei: In Nordrhein-Westfalen sind keine Fehler gemacht worden. – Anschließend gibt man ein Gutachten in Auftrag, das klären soll, wo Fehler geschehen sind. Das passt nicht zusammen. Insofern war von vornherein klar, dass dieses Gutachten leider nur ein Auftragsgutachten ist.

(Bernhard von Grünberg [SPD]: Mein Gott! Was für eine Logik!)

Deswegen sind Sie selbstverständlich voll mit in der Verantwortung, Frau Kraft.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Erstaunlicherweise war schon in dem Schreiben der Staatskanzlei davon die Rede, dass Meldeauflagen gar nicht möglich gewesen wären. Meldeauflagen nicht möglich! – Es ist ja selbst schon in der ersten Sitzung des Innenausschuss am 5. Januar klargewesen, dass Meldeauflagen selbstverständlich möglich gewesen wären. Man kann sich aus ermittlungstaktischen Gründen unterhalten, ob nicht oder ob doch. Dass Sie aber bei sich im Kabinett verkündet haben, dass Meldeauflagen nicht möglich gewesen sind, zeigt, dass Sie sich nicht ernsthaft mit einer Fehleranalyse beschäftigt haben und dass es umso wichtiger ist, dass wir diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss machen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den PIRATEN)

Herr Vorsitzender, wir hätten uns eine andere Herangehensweise gewünscht. Deswegen haben wir auch – Herr Kollege Stotko – bestimmten Beweisanträgen nicht zugestimmt, weil wir gesagt haben, zum jetzigen Zeitpunkt wollen wir den Bundesinnenminister, die Ministerpräsidentin und den Innenminister noch gar nicht hören,

(Thomas Stotko [SPD]: Ja, im August!)

weil wir der Meinung sind, wir müssen zunächst die Arbeitsebene hören.

Frau Kollegin Düker, vorhin ist von Ihnen wieder das GTAZ angesprochen worden. Wir haben überhaupt noch niemanden aus dem GTAZ gehört. Wir haben im Übrigen aus dieser sogenannten Sicherheitskonferenz in Nordrhein-Westfalen bisher überhaupt noch niemanden gehört. Jetzt machen wir aber einen Zwischenbericht. – Wenn die entscheidenden Stellen überhaupt noch nicht gehört worden sind, macht ein Zwischenbericht keinen Sinn.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Deswegen haben wir Freie Demokraten von Anfang an gesagt, dass es völliger Mumpitz ist, zum jetzigen Zeitpunkt einen Zwischenbericht vorzulegen.

Jetzt haben wir diesen Zwischenbericht. Wenn man Zeugenaussagen im Umfang von über 700 Seiten hat und man das auf 60 Seiten zusammenfasst, dann ist das natürlich eine Beweiswürdigung, weil Sie von dem Umfang der 700 Seiten so und so viele Bereiche weglassen müssen.

Ich mache Ihnen das an einem konkreten Beispiel klar: Wenn der Leiter der Behörde A bei uns im Ausschuss erklärt, er kennt den Leiter eines Gremiums B persönlich gar nicht, dann lässt das natürlich den Zweifel zu, ob die Sicherheitsarchitektur im Innenministerium und in unseren Sicherheitsbehörden wirklich funktioniert. Und wenn genau eine solche Passage der Zeugenaussage weggelassen wird, dann ist das natürlich eine Beweiswürdigung, und deswegen ist das, was Sie hier vorlegen, nicht rechtskonform. Deswegen braucht es dafür eine Zweidrittelmehrheit. Die haben Sie nicht bekommen, weil die Piraten, die CDU und wir das nämlich genau anders sehen.

(Beifall von der FDP, der CDU und den Piraten)

Ich habe jetzt gegen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Klage eingereicht. Wir können uns deswegen trotzdem ohne Weiteres in die Augen sehen; da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das muss jetzt rechtlich geklärt werden. Das wird sicherlich auch noch ein wenig dauern, weil das tatsächlich ein juristisches Neuland ist. Aber wir fühlen uns auch in unseren Rechten im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss verletzt – ich habe es gerade materiell dargestellt, wie wir das sehen. Die anderen rechtlichen Fragen sind zu klären.

Wir wünschen uns alternativ zu diesem Bericht eine weitere, systematische Zeugenbefragung, einen echten Aufklärungswillen und dann ein Sonderplenum im Mai, wo wir über diese Ergebnisse sprechen und zu dem Zeitpunkt einen Bericht auf den Weg bringen können. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Frau Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Herr Dr. Stamp und Herr Sieveke haben ja schon einiges inhaltlich ausgeführt, was wir kritisieren: die Festlegung auf die vollkommene Unschuld von NRW bereits am 13. Januar durch Staatskanzlei und Innenministerium, die Vorgehensweise bei den Zeugen und letztendlich auch die Frage, die jetzt sogar von den Gerichten geklärt wird: Ist dieser Zwischenbericht mit seiner zusammenfassenden Kürzung der Zeugenaussagen bewertend oder nicht bewertend?

Ich will aber noch einmal auf ein, zwei einzelne Aspekte eingehen: Es wurde eben so dargestellt, wir wären überrascht gewesen, dass jetzt auf einmal so wenig Zeit ist. Ich denke, allen Fraktionen war selbstverständlich von Anfang an klar, dass wir nur sehr, sehr wenig Zeit haben – wohlgemerkt: bis zum Ende der Legislaturperiode, zumindest aber bis zum 14. Mai. Es geht aber dann doch letztendlich darum, wie diese Zeit idealerweise genutzt wird, um maximal aufzuklären.

Wenn wir schon diverse Sitzungen des Innenausschusses im Januar hatten, wo sich mehrmals der Innenminister und andere aus dem Ministerium äußern konnten, dann ist es doch umso wichtiger, erst einmal wieder eine Basis zu schaffen für neue Fragen. Herr Stotko sagte: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. – Nein! Es ist doch so, dass man erst an die Großen herankommt, wenn man Fleisch an den Knochen gebracht hat, wenn man Zeugen aus den Behörden vernommen hat, wenn man weiß, was denn auf den Ebenen gelaufen ist, nach oben kommuniziert, weiterverteilt worden ist und wo dort die Fehler passiert sind, um dann mit diesem neuen Wissen, diesen Inhalten, diesen Kenntnissen aus diesen Zeugenbefragungen erst wieder in den Bereich des Ministeriums oder der Kanzlei zu gehen.

Das ist nicht erfolgt, obwohl entsprechende Beweisanträge von CDU, FDP und Piraten vorlagen. Aber was passiert? – Ich habe es am Mittwoch schon kurz gesagt: Es passieren so merkwürdige Sachen, dass Donnerstag dem Beweisantrag zugestimmt wird, Herrn de Maizière zu vernehmen. Ich denke, Herr de Maizière hat sicherlich den einen oder anderen Termin neben unserem Untersuchungsausschuss. Und der schafft es tatsächlich, fünf Tage später schon bei uns im Untersuchungsausschuss zur Verfügung stehen, während andere Beweisanträge von unserer Seite, wo es um die Behörden geht, zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht berücksichtigt worden sind.

Jetzt erst am Montag – auch das ist schon angesprochen worden – werden wir die Mitarbeiter der Kreisbehörde Kleve befragen. Das ist etwas, was wir zwingend ganz an den Anfang hätten stellen müssen, weil dort viele Fäden zusammengelaufen sind oder eben auch nicht zusammengelaufen sind. Darauf haben wir von Anfang an gedrungen: zum einen, dass wir gesagt haben, erst die Behörden, und dann nach oben befragen, und auf der anderen Seite überhaupt von den Behörden als erstes Kleve. – Die kommen jetzt also am Montag dran.

Dann wird dieser Zwischenbericht beantragt. Natürlich gibt es ein Interesse der Öffentlichkeit, und natürlich sollte es einen Zwischenbericht geben. Aber wenn jetzt einige Fraktionen sagen, von einer Sondersitzung sei nie die Rede gewesen und das sei ihnen ja völlig neu, dann ist das einfach nicht wahr. Es war allen bei der wenigen Zeit, die wir haben, klar, dass wir wirklich bis auf Kante, mindestens bis zur Wahl und vielleicht auch bis zum Ende der Legislaturperiode Zeugen befragen werden.

Das tun wir ja auch. Wir haben heute Abend einen Termin; wir haben Montag einen Termin, am 21. April, am 27. April, am 3. Mai, 5. Mai und optional am 18. und am 19. Mai. Da werden wir Zeugen befragen, und dann macht es doch Sinn, dass man sagt: Vielleicht nicht am 18. Mai, aber nach dem 5. Mai, wenn wir die letzten Zeugen haben, denken wir über eine Sondersitzung und einen Zwischenbericht nach. – Dahin gehört ein solcher Zwischenbericht und nicht einfach mittendrin bei der knappen Zeit, die wir sowieso nur haben!

Dieser Zwischenbericht hat einen ganzen Montag aufgefressen, wo wir mindestens vier bis fünf Zeugen aus den Behörden hätten vernehmen können. Und wenn jemand sagt: „Der kostet uns ja gar keine Zeit!“, doch, der hat uns einen ganzen wertvollen Tag zur Vernehmung von Zeugen gekostet. Ich finde, das ist bei der Kürze der Zeit sehr viel.

Das Ganze hat mich so, wie es jetzt läuft und gelaufen ist, sehr enttäuscht. Aber selbstverständlich werde ich genau wie meine Kollegen weiter arbeiten. Wir werden weiter um objektive Aufklärung bemüht sein. Sie bekommen uns an der Stelle nicht klein; wir machen weiter. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelter Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Herr Sieveke zu Wort gemeldet.

Daniel Sieveke (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur auf die Wortmeldung von Frau Düker eingehen: Sie haben eben gesagt, sie seien nicht gegen die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewesen.

(Zurufe)

– Herr Kollege Stotko, ich habe eben nicht „Sie“, also „Frau Düker“, gesagt, sondern sie hat in der Rede am Mittwoch und auch heute noch einmal darauf hingewiesen, dass Sie nicht für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss waren aufgrund der zeitlichen Dimension bis zum Wahltermin.

(Monika Düker [GRÜNE]: „Skeptisch“!)

Sie haben am Mittwoch noch einmal ausgeführt, dass Sie gegen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss waren, weil er nicht bis zum Ende die Ergebnisse mitteilen konnte. Das habe ich eben hier mitgeteilt.

Weil eben immer auf Berlin abgestellt wurde, sage ich: Berlin hat bereits Fehler zugegeben. Die unterschiedlichsten Ebenen haben gesagt: Wir haben Fehler gemacht und arbeiten jetzt schon daran, sie aufzuarbeiten und Verbesserungen und Klärungen herbeizuführen. – Das kritisieren wir in Nordrhein-Westfalen. Es geht nicht um eine Schuldfrage, sondern darum, Fehler einzugestehen, sie aufzuheben, damit es den Menschen in Nordrhein-Westfalen auch bei diesem Thema besser geht und damit sie sich sicherer fühlen.

Dieser Aufklärungsarbeit verweigern Sie sich, weil Sie permanent seit Januar damit beschäftigt sind, eine eigene Verteidigungshaltung aufzubauen. Das ist das Problem. Sie verschenken Zeit, die notwendig ist, dafür zu sorgen, dass es ein solches Attentat in Deutschland und von Nordrhein-Westfalen ausgehend nicht wieder geben kann. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Sieveke. – Nun hat sich für die SPD-Fraktion noch einmal Herr Kollege Stotko zu Wort gemeldet. Bitte schön.

Thomas Stotko (SPD): Besten Dank, Herr Präsident. – Das war eben wohl doch nicht die letzte Rede, aber gut.

Herr Kollege Sieveke, ich war der festen Auffassung, mit meinem ersten Wortbeitrag eine ziemlich breite Brücke gebaut zu haben. Sie haben sich wirklich alle Mühe gegeben, die Brücke nicht nur einzureißen, sondern klarzumachen, dass sowohl das Untersuchungsausschussgesetz als auch alle anderen Regelungen nicht für Sie gelten. Ich will das deutlich sagen.

(Widerspruch von Daniel Sieveke [CDU])

Da werfen Sie uns jetzt in Ihrem zweiten Wortbeitrag vor, wir wollten nicht aufklären, wir hätten gegen den PUA ...

(Zustimmung von Daniel Sieveke [CDU])

– Das stimmt ja gar nicht.

(Daniel Sieveke [CDU]: Pfffh!)

– Ich habe Ihnen erklärt: Wir haben uns enthalten. – Wir haben nicht gesagt: Wir stimmen dagegen. – Ich habe gesagt: Wir haben uns deshalb enthalten, weil wir das, was wir sonst von Untersuchungsausschussarbeit erwarten, nicht erzielen werden.

Machen Sie keine semantische Schweraufgabe daraus. Es bleibt dabei: Wir haben uns nur enthalten. Wir haben nicht dagegen gestimmt. Es bleibt aber auch dabei, dass aus diesem PUA zu wenig rauskommen wird, aber die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger andere sind. Das ist genau das Problem.

(Daniel Sieveke [CDU]: Lesen Sie das im Protokoll von Mittwoch nach!)

Aber das wollen Sie nicht verstehen.

Kommen wir zu den Fakten, weil Ihnen das vielleicht ein bisschen hilft. Sie haben doch nur vier Zeugen benannt.

(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Von Ihnen sind als Anregung nur vier Zeugen gekommen.

(Zuruf von den PIRATEN: Stimmt nicht!)

Alle anderen, der Großteil der Zeugen, sind von SPD und Grünen gekommen. Dem Antrag sind Sie beigesprungen.

(Daniel Sieveke [CDU]: Sie machen Wahlkampf!)

Aber wir hätten bis heute nur vier Zeugen gehört. Wie hätte dann der Zwischenbericht ausgesehen? Das ist doch wohl ein Witz.

Dann machen Sie hier den Vorwurf mit dem Sachverständigen. Ich will das nicht aufarbeiten. Die Ministerpräsidentin ist heute Abend bei uns im Untersuchungsausschuss.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nickt.)

Aber es gab doch ein klares Angebot der Landesregierung – auch fraktionsübergreifend; Parlament und Landesregierung – zu schauen: Finden wir einen Sachverständigen, der das für uns gemeinsam aufarbeitet? Das haben Sie doch kategorisch abgelehnt.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja, allerdings!)

Sich jetzt darüber zu beschweren, Sie wären nicht dabei gewesen, ergibt überhaupt keinen Sinn.

Ich komme noch einmal zum Zwischenbericht. Darum machen Sie ein riesiges Mantra. Der Vorsitzende hat anders als andere Vorsitzende Ihnen und uns allen erste Entwürfe von den ersten Seiten des Zwischenberichts am 27. März zur Verfügung gestellt. Bis heute haben Sie nicht einmal gesagt, was Ihnen nicht gefällt. Sie haben keine Anregungen geäußert, was dort hineinschreiben sollte. Es gibt von Ihnen null Mitarbeit an diesem Zwischenbericht.

(Daniel Sieveke [CDU]: Das stimmt nicht!)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Uns vorzuwerfen, wir wollten nicht, aber seit Wochen nichts außer Wahlkampfgetöse zu machen,

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

ist das Problem in diesem Parlament und in diesem Land Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Daniel Sieveke [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit! – Zuruf von den PIRATEN: Unglaublich!)

Herr Kollege Dr. Stamp, ich wollte das eigentlich nicht machen, aber nach Ihrem Wortbeitrag muss ich es einmal tun. Ich durfte heute der Presse entnehmen, dass Sie gesagt haben sollen – Sie sind hoffentlich richtig zitiert worden –, der Vermerk vom 13. Januar erinnere Sie an SED-Politbüro-Akten aus der DDR.

(Lachen von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Das mag man lustig nehmen. Das mag man als Wahlkampfgetöse auch schön finden. Aber als überzeugter Sozialdemokrat sage ich Ihnen Folgendes: Was nehmen Sie sich heraus, zu behaupten, dass eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin bei der Vergangenheit, die wir als SPD mit der SED gepflegt haben, nämlich keine … Wir haben bei der Wiedervereinigung gesagt: Wir lehnen einen Zusammenschluss von Sozialdemokratie und SED ab.

(Zuruf von Serap Güler [CDU])

Sie haben sich aber fröhlicherweise als FDP zu Ihren 65.000 Mitgliedern 1990 135.000 aus der DDR geschnappt und 6,3 Millionen DM. Da muss man sagen: Sie haben die Blockflöten genommen. Wir haben das abgelehnt. Uns ein SED-Regime vorzuwerfen, ist eine Frechheit! Das sage ich Ihnen ganz deutlich!

(Lebhafter und anhaltender Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich sage das an alle zum wiederholten Male: Warum hört dieses Wahlkampfgetöse nicht auf? Alle Journalisten, alle Bürgerinnen und Bürger sagen: Wir haben genug davon. – Warum machen Sie immer weiter?

Ich versuche es ein letztes Mal und appelliere: Hören Sie auf damit! Kehren Sie zurück zur Sacharbeit im Untersuchungsausschuss.

(Marc Lürbke [FDP]: Wir haben nie aufgehört mit der Sacharbeit! – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das ist die beste Idee. – Ich danke nochmals für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Es gibt eine von Herrn Dr. Stamp angemeldete Kurzintervention. Er hat nun das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Kollege Stotko, ich habe mich im Rahmen meiner Dissertation intensiv mit SED-Akten auseinandergesetzt. Ich habe mich intensiv auch mit LDPD-Akten und vor allen Dingen auch mit der Geschichte der LDPD auseinandergesetzt. Dass Sie die LDPD mit der SED gleichsetzen, zeigt, dass Sie das nicht getan haben.

(Zuruf: Genau! – Zuruf von der SPD: Ihr habt doch in der Volkskammer gesessen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Es geht bei meiner Äußerung an der Stelle nur darum, klarzustellen, dass es eine typische Haltung von Politbüros ist, zu sagen: „Wir haben keine Fehler gemacht. Da sind keine Fehler gemacht worden. Dort sind keine Fehler gemacht worden. Da sind keine Fehler gemacht worden.“, obwohl völlig klar ist, dass Fehler gemacht worden sind.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Tolle Entschuldigung! Ganz klasse! – Zuruf von Bernhard von Grünberg [SPD])

Das weiß jeder in diesem Haus. Deswegen ist das die Attitüde, wie ich sie in den Blättern des Politbüros gelesen habe. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Thomas Stotko (SPD): Herr Kollege Dr. Stamp, ich kann es kurz machen. Die Frage, auf welche Art und Weise die FDP mit ehemaligen und frischen Blockparteien in FDP-Nähe umgegangen ist, will ich überhaupt nicht beurteilen.

(Zurufe von der FDP)

Ich habe Ihnen aber deutlich gesagt: Wir lassen uns nicht gefallen, dass Sie uns in eine Ecke mit einem Unrechtsregime und einer Partei stellen,

(Ralph Bombis [FDP]: Hat er doch nicht! – Weitere Zurufe von der FDP)

von der wir uns als einzige Partei im Jahre 1990 abgegrenzt haben. Dabei bleibt es. Das sage ich Ihnen deutlich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Hören Sie zu, Herr Kollege!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Stotko. – Es gibt eine weitere Redeanmeldung, und zwar von der Piratenfraktion. Frau Brand möchte noch einmal sprechen. Bitte schön.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Es ist wiederholt eine Aussage getroffen worden, die ich so nicht stehenlassen möchte. Herr Stotko hat etwas von vier Zeugen gesagt, die wir benannt haben. Das ist einfach nicht wahr. Das haben Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden auch schon so verkauft. Er hat sich mit der Aussage am Mittwoch dann auch entsprechend blamiert.

80 % der Beweisanträge sind von CDU, FDP und uns gestellt worden.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP – André Kuper [CDU]: Genau! – Daniel Sieveke [CDU]: Genau, hinsetzen, sechs! – Weitere Zurufe)

Ich weiß, was unsere Referenten uns wann vorgelegt haben. Da muss man sich eben fragen, wer auf welche Beweisanträge gesprungen ist. Aber das so hier darzustellen, ist wieder einmal untragbar. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Ihr seid noch schneller, als wir gucken können. Herr Stotko hat eine Kurzintervention auf Frau Brand angemeldet. Wir haben das hier oben gerade registriert. Er hat eine Kurzintervention auf die Rede von Frau Brand angemeldet. Das soll so stattfinden, Herr Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Frau Kollegin Brand, das war letztes Mal schon falsch und es wird jetzt auch nicht besser. Ich will es noch einmal deutlich formulieren: Von 15 Beweisanträgen, die bisher durchgegangen sind, sind zehn von allen, vier von uns und einer von der Opposition getragen worden. Zu der Frage, wie viele Zeugen vernommen wurden, sagte ich gerade: Vier von den Zeugen, die wir bisher von den 16 Zeugen gehört haben, sind von Ihnen gekommen.

(Zurufe: Ja! – Ralph Bombis [FDP]: Das hört sich schon ganz anders an!)

Wir hätten also nur vier statt der 16 gehört. Dabei bleibt es doch.

(Ralph Bombis [FDP]: Da ist seine Interpretation anders als die der SPD!)

Jetzt erklären Sie mir bitte einmal: Was würde im Zwischenbericht stehen, wenn wir nur die vier Zeugen gehört hätten?

(Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Es bleibt dabei, Ihre 80 % werden nicht besser. Nehmen Sie den Zwischenbericht und lesen Sie es nach! Jede Bürgerin und jeder Bürger kann es kontrollieren.

(Zurufe von der FDP)

Ihre falschen Zahlen lassen wir so nicht stehen.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen, vielen Dank, Herr Stotko. Damit haben Sie genau das belegt, was ich kritisiert habe,

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

nämlich dass die Zeugen aus unseren Beweisanträgen erst einmal weggefallen sind und vorrangig die von Ihnen benannten Zeugen drangenommen worden sind. Genau das habe ich kritisiert. Das haben Sie damit belegt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Schluss der Aussprache.

Ich stelle fest, dass der Landtag den Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss V, „Fall Amri“, Drucksache 16/14550, zur Kenntnis genommen hat.

Ich rufe auf:

6  Abschlussbericht des Petitionsausschusses

Nach § 100 unserer Geschäftsordnung soll der Petitionsausschuss mindestens einmal jährlich dem Landtag mündlich berichten. Vorgelegt wird heute ein Bericht über die Verfahren der gesamten 16. Wahlperiode.

Ich erteile zu einem mündlichen Bericht hiermit der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, der Abgeordnetenkollegin Klöpper, das Wort. – Ich sehe sie im Moment noch nicht, aber Frau Klöpper kommt jetzt. – Ich hatte Sie schon aufgerufen, Frau Klöpper. Das Mikrofon ist Ihres.

(Rita Klöpper [CDU]: Ich muss noch meine Unterlagen holen!)

– Holen Sie bitte die Unterlagen, weil ohne Unterlagen die gesamte Legislaturperiode zusammenzufassen, ist vermutlich schwierig. – Frau Vorsitzende Klöpper, Sie haben das Wort. Bitte schön.

Rita Klöpper (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, dass Sie auf mich gewartet haben. Ich habe nämlich gar nicht damit gerechnet, dass Sie so schnell mit dem Reden fertig sind. Ich habe gedacht: danach Petitionen, das beruhigt wieder.

Ich komme zu meinen Ausführungen. In der letzten Plenarsitzung dieser Legislaturperiode freue ich mich, dass ich noch einmal das Wort an Sie richten darf. Der Petitionsausschuss richtet sich auf fünf neue Jahre ein, aber die zurückliegenden fünf Jahre sollten auch beleuchtet werden.

Am Ende der 16. Legislaturperiode werden unser Parlament 19.000 Petitionen erreicht haben. In 74 Ausschusssitzungen werden wir dann über Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern beraten und einen Beschluss gefasst haben – über 250 Eingaben pro Ausschusssitzung.

In mehr als 2.100 Eingaben haben wir in dieser Legislaturperiode ein Verfahren nach Artikel 41a der Landesverfassung beschlossen und durchgeführt. Dieses besondere Verfahren zeichnet sich bei der Petitionsarbeit in Nordrhein-Westfalen als sehr positiv aus.

Wir werden bis jetzt 24 Sprechstunden für Bürgerinnen und Bürger gehabt haben, und zwar zwölf am Sitz des Landtags und zwölf vor Ort in allen Teilen Nordrhein-Westfalens.

Alles in allem haben wir 25 Mitglieder unseres Ausschusses – und nun halten Sie sich fest – dann über 300.000 Dokumente in Petitionsakten gelesen und sind möglicherweise auch noch zu einer Besichtigung an den Ort der Petition gefahren, um uns selbst ein Bild von den Sorgen und Nöten der Menschen vor Ort zu machen. Jedes Mitglied unseres Ausschusses wird im Durchschnitt fast 800 Petitionen bearbeitet haben. Ich denke, dass das beeindruckende Zahlen sind. Das haben Sie bestimmt nicht gewusst. Das merkt man sich ja nicht. Da wird der Fleiß der Akteure widergespiegelt, und da sollten wir ruhig einmal klatschen.

(Allgemeiner Beifall)

– Danke. Die Wichtigkeit des Petitionsverfahrens wird erst deutlich, wenn ich nun über die Vielzahl der Themenfeldern berichte. – Keine Bange, ich habe sie zusammengefasst.

Die Mehrheit der Eingaben stammt nach wie vor aus dem Sozialrecht. 20 % der Petitionen, die wir erhalten – ein riesiger Batzen –, sind diesem Bereich zuzuordnen. Auch Beschwerden über die Unfallkassen wegen Ablehnung von Leistungen und Petitionen auf Entschädigung der Opfer von Gewalttaten waren zum Beispiel Themen in unserem Ausschuss.

Wenn der Eintritt in die Rente bevorsteht – das betrifft auch hier am heutigen Tag so einige –, können schnell neue Konflikte mit Behörden entstehen. Im besten Falle kommt die Verrentung freiwillig und man kann sofort in die Rente übergehen. Wenn da irgendwelche Schwierigkeiten entstehen, rate ich Ihnen – und dazu sind wir auch bereit –, sich mit dem Petitionsreferat über Möglichkeiten zu unterhalten, die man helfend anbringen kann.

Im Zusammenhang mit einem selbstbestimmten Leben in der älteren Lebensphase hat sich der Petitionsausschuss auch mehrfach mit der Frage nach der Zulässigkeit von Treppenliften – diesmal aber in Mehrfamilienhäusern – beschäftigt. Das ist einmal eine ganz andere Variation. Immer ging es um die Abwägung des Brandschutzes auf der einen Seite mit dem Selbstbestimmungsrecht und der Lebensqualität im Alter auf der anderen Seite.

Aber nicht nur der Alltag älterer Personen, sondern auch das Leben mit Kindern bringt im Umgang mit Behörden so manche Hürde mit sich, die wir ausbügeln können. Das beginnt meist schon bei der Kinderbetreuung. Immer wieder klagen Eltern in Eingaben, dass ihnen die Kommune kein passendes Betreuungsangebot gemacht hat, obwohl der Rechtsanspruch ja nun besteht, wie wir alle wissen. Hier sieht der Ausschuss noch sehr großen Handlungsbedarf bei den Kommunen. Es kann nicht sein, dass der alleinerziehende Vater seine beiden Söhne von drei und fünf Jahren in zwei verschiedenen Kindergärten mit einer Entfernung von acht Kilometern bringen muss. So etwas kann man vielleicht in Düsseldorf machen, in Köln aber nicht. – Schade, ich habe gedacht, Herr Börschel würde jetzt hochgehen.

In dieser sehr aktuellen Petition ist uns die Kommune auch noch eine Antwort schuldig geblieben. Aber ich darf Ihnen versichern – wir werden ja ausscheiden, aber es werden neue kommen, die sich darum kümmern werden –: Wir vergessen das nicht.

(Beifall von den PIRATEN – Beifall von Bernhard Tenhumberg [CDU])

– Da kommen schon die neuen Aspiranten.

In vielen Fällen erbitten Eltern auch Unterstützung, weil ihr Kind keinen Platz in der Kindertagesstätte am Wohnort, sondern in der Nähe des Arbeitsplatzes der Eltern benötigt. Die Eltern hätten dann viel mehr Möglichkeiten, mit den Kindern zusammen zu sein. Die Absage der Kommune ist für Familien meist nicht nachvollziehbar, doch eine Petition kann sich dabei lohnen.

Ähnlich verhält es sich bei Kindern mit einem besonderen Förderbedarf. Eltern sehen sich oft zwischen den verschiedenen Zuständigkeiten von Jugendamt, Schule, Sozialamt und Krankenkasse aufgerieben. Mit einem runden Tisch unter der Leitung eines Abgeordneten des Ausschusses mit allen Beteiligten lässt sich aber mancher Konflikt lösen.

Bereits im letzten Bericht wurde die steigende Anzahl an Petitionen mit Beschwerden über die Jugendämter der Kommunen und über Familiengerichte angesprochen. Hier verzeichnen wir nach wie vor eine steigende Anzahl von Eingaben. Diesen Petitionen liegen oft sehr schwierige menschliche Konflikte zwischen den Eltern zugrunde. Da einfach einmal helfend zur Seite zu stehen und durch eine Mediation wieder alle vernünftig an einen Tisch zu bekommen, ist unser Ziel.

Eingaben zu verschiedenen Krankenkassen wegen unzureichender Pflegegeldzahlungen, Beschwerden über die Begutachtungspraxis des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen und über die Versagung von Hilfsmitteln stehen alle für Einzelschicksale, die irgendwo im Sozialrecht versandet sind und sich an uns wenden und um Hilfe bitten.

Der Bereich Schule hat einen Anteil von 15 %. Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder kleine und große Wellen zu verzeichnen – das dringt ja nicht nach außen, weil alles nichtöffentlich ist –, besonders dann, wenn sich Gruppen von Petenten an uns gewandt haben. Uns erreichten Initiativen zum Themenkomplex G8/G9 und zur Inklusion und hier ganz speziell zu den Inklusionshelfern.

Eine große Schar an Unterstützern hatte eine ganz andere Sache im Sinn, und zwar ging es um den Erhalt einer Förderschule im Bergischen Land. Diese Förderschule war erst gerade aufwendig renoviert worden und sollte – zum Unverständnis der Eltern, Kinder und Lehrer – dennoch geschlossen werden. Die Schließungspläne und sinnvolle Alternativen müssen nun überprüft werden. Es kann nicht sein, dass Geld so rausgeschmissen wird.

Besonders haben wir uns auch um über 50 einzelne Petitionen einer Gruppe junger Leute an einer Förderschule gekümmert, die wegen mangelnder Zuschüsse geschlossen werden sollte. Hier konnten wir auch tätig werden, sodass die jungen Leute wenigsten ihre Schul- und Ausbildungsplätze behalten konnten.

Viele Einzelfälle betreffen – das ist die andere Seite – zum Beispiel Lehrer bei Versetzungen, Verbeamtungen oder bei dem Kampf um eine feste Stelle nach vielen Aushilfsverträgen. Fälle von Mobbing an Schulen werden uns vorgetragen. Unterrichtsausfall, Nachmittagsbetreuung und Schülerfahrtkosten sind ebenso regelmäßig wiederkehrende Sachverhalte wie die Initiativen für Winter- und Skiferien und für Schuluniformen. Hier rechnen wir künftig vermehrt auch mit Eingaben zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse von Flüchtlingen. Das fällt auch in dieses Resort.

Bauen, Wohnen, Verkehr und Umwelt: Meine Damen und Herren, Sie machen sich keine Vorstellung, welche Dinge da auf uns zukommen. – Verspargelung von Landschaften durch Windkraftanlagen und eine Vielzahl von kommunalen Planverfahren sind große Themen, die nach Ansicht der Bürger nicht richtig ausgegoren sind. Einzelne Kommunen haben tatsächlich reagiert und das Ganze nach den Planungen noch mal überdacht und geändert. Das kann man dann auch in den Bauleitplanungen sehen.

Andere Eingaben betreffen das Bauordnungsrecht. Da hat, glaube ich, jeder von uns seine Erfahrungen gemacht. Immer wieder bauen Hausherren, ohne die rechtlichen Rahmenbedingen zu bedenken: Terrassen werden überdacht, Grenzmauern hochgezogen, Garagen als Atelier umgewandelt, Carports direkt an das Nachbargrundstück gesetzt. – Und dann fragt man sich hinterher: Was ist das denn? Eine Abrissverfügung? Wieso soll ich mein Haus jetzt sofort abreißen?

Also eine Vielzahl von langen Listen, die in den einzelnen Stichworten jedes Mal ein Schicksal darstellen. Wir haben sehr viele Petitionen, und wir haben – das können Sie, die politisch und in anderen sozialen Bereichen tätig sind, sich vorstellen – sehr viele menschlich berührende Schicksalspetitionen. Viele von uns, das darf ich vielleicht beim letzten Mal auch mal betonen, gehen mit diesen Dingen einfach nach Hause und abends auch ins Bett. Sie müssen ja auch diesen Druck und dieses Mitleiden, was jeder einzelne spürt, aushalten. Da bin ich sehr stolz auf unseren Petitionsausschuss, der jetzt schon viele Jahre zusammen agiert und eine hohe Vertrauensbasis darstellt – etwas anders als in den anderen Ausschüssen, die ja entsprechend politischer Kalküle arbeiten. Also, ich bin sehr stolz auf alle Abgeordneten, die sich wirklich darauf einlassen und sagen: Wir schauen nur auf den Petenten und nicht auf unsere politischen Querelen.

(Beifall von den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)

Das ist ja nicht negativ gemeint. Man darf sich ja politisch auseinandersetzen und man muss es auch. Aber die Bürger sollten wissen, dass es eine Stelle gibt, die wir, das Parlament, gemeinsam vertreten und von der sie sagen können: Die sind für mich da. – Dadurch haben wir die Möglichkeit, das Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen.

Dafür danke ich allen, die jetzt hier sitzen und die uns immer unterstützt haben. Denn vonseiten des Parlaments haben wir nie irgendwelche Eingaben bekommen. Ich bin auch sicher, dass diejenigen Abgeordneten, die jetzt nicht hier sein können, weil sie gerade noch viel zu erledigen haben, später von dem heute hier Gesagten erfahren werden.

Ich denke, dass es uns im Petitionsausschuss stark gemacht hat, dass wir zusammengehalten haben. Wir haben immer darauf geachtet, dass wir für den Bürger da sind und ihm helfen, anstatt über irgendwelche Kanäle an die Presse zu gehen. Nein, der Bürger soll das selber entscheiden.

Das ist eine Konstellation, die mich fasziniert hat – dass das überhaupt geht. Sie müssen sich das mal vorstellen: 25 Abgeordnete haben sich damals – und da komme ich jetzt auch langsam auf mich selbst – darauf eingelassen, für fünf Jahre, die man vor sich hat, wenn man in einen solchen Landtag kommt, in der Petitionsarbeit zu bestehen. Und dieselben Abgeordneten haben sich dann in der nächsten Legislaturperiode, die ja auch Veränderungen brachte, darauf eingelassen, mich den Vorsitz im Ausschuss übernehmen zu lassen. Hierfür muss ich bei allen hier bedanken. Denn das war eine Arbeit, die befriedigt. Sie befriedigt einen, gleich ob man sich nur in Papierform damit auseinandersetzt oder ob man die Menschen, denen man in irgendeiner Form helfen will, direkt vor sich stehen hat. Ob man das jetzt in große politische Dinge kleidet, ist eine andere Sache.

Aber: Immer der Mensch oben! Darauf bin ich wirklich stolz, dass das geklappt hat. Denn Sie müssen sich vorstellen: Man hat sich darauf eingelassen, für diese etwas sensible Tätigkeit eine Rheinländerin zu nehmen. Das war für die Westfalen nicht so einfach; dort ist man ja ernsthafter. Und Sie kennen mich jetzt lange genug – zwölf Jahre gehöre ich dem Landtag an –, um zu wissen: Meine Sprache habe ich noch nicht verleugnet und ich wollte es auch nicht; ich wollte sein wie Adenauer – nein, das ist Quatsch. Aber ich meine: Man muss sich auf so etwas einlassen, und das hat der Petitionsausschuss getan. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar – jedem einzelnen, der darin mitgearbeitet hat. Wir sind ein tolles Team gewesen, und ich hoffe, dass die Petitionsausschüsse, die noch kommen, auch ein tolles Team sein werden.

Was ich aber nicht vergessen habe – und jetzt habe ich mein Redekonzept verlassen – und auch nie vergessen werde, ist diese Kombination aus Petitionsausschuss des Landtages und dem dahinter stehenden Petitionsreferat. Ein Petitionsreferat, das im Moment aus 18 Personen besteht, das von Frau Ledig geleitet wird und dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit erklären, hilfreich irgendwo miteinzuspringen. Das muss ich jetzt auch mal beklatschen, weil ich das einfach ganz toll finde.

(Allgemeiner Beifall)

Sie sitzen im Hintergrund und haben das Fachwissen. Wenn wir außerhalb Düsseldorfs unterwegs sind, sage ich immer: Da ist der geballte Sachverstand. – Mal davon abgesehen, dass es hier auch Juristen gibt, die genau wissen, wo es langgeht, handeln die meisten Abgeordneten doch aus dem Bauch heraus und aus ihrem Empfinden heraus und aufgrund ihrer Erfahrungen, um den Menschen zu helfen. Ich wollte mich im Grunde nur dafür bedanken.

Das Petitionsreferat ist heute nicht vollzählig anwesend. Das können die dort Beschäftigten auch nicht, denn sie müssen ja kräftig arbeiten.

Sie haben ja an der Anzahl der Petitionen und an meinen langen Ausführungen gemerkt: Es macht sich keiner Gedanken darüber, wie ich eben sagte, dass man die Probleme der Menschen mit nach Hause nimmt, dass man tatsächlich darüber nachdenkt, wenn man abends im Bett liegt. Oder der Partner geht an die Türe, wenn es klingelt, oder ans Telefon, und dann sagt jemand: Gib mir mein Kind zurück! – Das sind Dinge, die alle dazugehören.

Das alles möchte ich gewürdigt wissen bei diesem Ausschuss. Ich finde es toll, dass es so etwas in Nordrhein-Westfalen gibt. Andere Länder haben das in dieser Form, wie wir es hier haben, nicht und beneiden uns zum Beispiel um 41a-Termine, die wir als Mediatoren machen können. Oder sie bewundern uns dafür, dass wir diese Vertrauensbasis vor dem Hintergrund geltenden Rechts immer einstimmig hinbekommen und dass das noch nicht einmal einen Cent kostet. Das kommt dazu.

(Allgemeiner Beifall)

Damit möchte ich zum Schluss kommen. Ich muss mich natürlich nicht nur beim Parlament als Ganzes bedanken; denn dem Parlament sitzen ja auch Menschen vor. Ich bedanke mich ganz herzlich bei unserem Präsidium für die Unterstützung in einzelnen Fällen. Wir sind sehr oft an Sie herangetreten und haben gefragt: Können wir da irgendetwas machen? Ist das möglich? – Wie gesagt, immer vor dem Hintergrund geltenden Rechts. Herzlichen Dank! Das war für uns immer eine wirklich positive Sache.

Das war’s! Das waren zwölf Jahre Landtag, eine super Zeit. Ich bin wirklich dankbar, dass das – wie in meinem Fall – im vorgerückten Alter überhaupt noch einmal möglich ist, dass man solch eine Aufgabe findet. Ich fange nicht an zu heulen; das sage ich Ihnen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe sowieso gestern gedacht: Es darf nicht wahr sein. Bis jetzt hast du dich gut über Wasser gehalten, und auf einmal waren dann in der Kirche, wo es sehr schön war, die Einzelnen doch berührt.

Also: Dafür, zwölf Jahre durchzustehen und zwölf Jahre wirklich auch alles mitzumachen, herzlichen Dank! Ich werde jetzt süße 73 und darf mich einfach in den Schaukelstuhl setzen und dann von dort aus gucken, was Sie aus dem Petitionsausschuss machen.

Ein Hinweis noch: Ich weiß nicht, wie der nächste Petitionsausschuss zusammengesetzt sein wird, aber bitte versuchen Sie, wenn es irgendwie geht, nie diesen Weg zu verlassen, immer gemeinsam an einer Sache zu arbeiten! Wir sind damit prima gefahren. Wir haben uns dabei auch schätzen gelernt. Das wäre sonst vielleicht nicht der Fall gewesen. Danke schön für alles! Wunderbar!

(Allgemeiner Beifall – Die Abgeordneten der Piratenfraktion applaudieren stehend.)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Rita Klöpper, als Vorsitzende des Petitionsausschusses. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich sehr herzlich zu bedanken bei der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, bei der stellvertretenden Vorsitzenden des Petitionsausschusses, bei den 25 Abgeordneten, die in diesem Petitionsausschuss in den vergangenen fünf Jahren mitgearbeitet haben, und bei den, wie ich gerade gehört habe, 19 Mitarbeitern aus der Landtagsverwaltung, die im Petitionsreferat in den vergangenen Jahren tätig waren und von denen ein Teil bescheiden auf der Tribüne sitzt. Das war eine sehr engagierte Arbeit, die der Petitionsausschuss im Interesse von vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen geleistet hat.

Noch einmal sehr herzlichen Dank der Vorsitzenden, der stellvertretenden Vorsitzenden, den Mitarbeiterinnen und den Abgeordneten, die dort sehr engagiert tätig waren. – Ich möchte mich auch bei dir bedanken für die zwölf Jahre Parlamentszugehörigkeit. Das war, glaube ich, ein entscheidender Abschnitt in deinem Leben.

Ich möchte noch einmal um Verständnis bitten bei den Mitarbeitern des Petitionsreferates. Der Beschluss des Präsidiums zum Haus der Parlamentsgeschichte hat auch zu einer gewissen Unruhe in der Villa Horion in den vergangenen Jahren geführt. Es war zumindest am Anfang etwas umstritten. Darüber, dass das alles jetzt so gut geworden ist, freuen wir uns natürlich. Also: Es gibt heute wirklich einen Grund, danke zu sagen. Das möchte ich noch einmal deutlich unterstreichen. Dieser Dank geht an die Vorsitzende, die stellvertretende Vorsitzende und an alle, die mitgewirkt haben. Danke schön!

(Allgemeiner Beifall)

Rita Klöpper (CDU): Noch ein Satz! Die Besonderheit des Ausschusses – das können Sie immer und überall erzählen – besteht auch darin, dass wir noch eine Sitzung machen dürfen, und danach machen wir hier das Licht aus. – Tschüss zusammen!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Viel Erfolg auch bei der letzten Sitzung! – Ich möchte noch den Hinweis geben, dass der Fünfjahresbericht des Petitionsausschusses nun auch als Broschüre vorliegt.

Ich rufe auf:

System zur Akkreditierung von Studiengängen auf sichere Rechtsgrundlage stellen und weiterentwickeln

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14660

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD dem Kollegen Bell das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit dem Thema „Qualitätssicherung von Studium und Lehre“. Für die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ist es ein zentrales Thema. Wenn man in den letzten Jahren Hochschulen besucht hat, wurde man immer wieder auf das sogenannte Akkreditierungsverfahren angesprochen. Hintergrund war, dass dieses Verfahren mit der Bologna-Reform eingeführt worden war, um die Qualitätssicherung an den Hochschulen zu gewährleisten.

Die Durchführung dieses Verfahrens war allerdings auf nicht unerhebliche Kritik gestoßen. Die zentralen Kritikpunkte, die immer wieder geäußert worden sind, betrafen aus Sicht der Hochschulen die Kosten und den Aufwand zur Zulassung neuer Studiengänge und die unterschiedliche Handhabungspraxis der Gutachterinnen und Gutachter. Von den Studierenden wurde vor allem die starke Ausdifferenzierung der Bachelorstudiengänge als problematisch angesehen, weil damit die eigentlich gewünschte Mobilität zwischen den Hochschulen, welche das eigentliche Ziel der Bologna-Reform war, behindert worden ist.

Man muss konstatieren, dass es nach der Bologna-Reform schwieriger geworden ist, zwischen Hochschulen zu wechseln – auch innerhalb von Nordrhein-Westfalen. Das kann sicherlich nicht im Sinne der Studierenden sein, und es war sicherlich auch nicht im Sinne derjenigen, die diese Reform seinerzeit angedacht haben.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 2016 betrifft nicht nur NRW. Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass die Rolle der Wissenschaft in den bisherigen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht hinreichend bewertet worden ist. Dies ist in den Bundesländern nahezu identisch der Fall, sodass das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, dass jetzt auch eine länderübergreifende Absprache notwendig ist.

Diese länderübergreifende Absprache ist in einem zweistufigen Verfahren vereinbart worden. Der erste Punkt dieses zweistufigen Verfahrens ist – das ist ein wunderbarer Titel – die Reform des Studienakkreditierungsstaatsvertrags, die federführend durch Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht worden ist und nun durch die Ministerpräsidentenkonferenz am 1. Juni dieses Jahres unterzeichnet werden soll.

Dazu möchte ich einen ganz herzlichen Dank an die Frau Ministerin, den Staatssekretär und das Haus aussprechen; denn es war nicht einfach, einen Konsens zu erreichen – vor allem angesichts der Zeit; wir hatten ja auch Druck im Kessel, um es höflich zu sagen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Punkt betrifft die Umsetzung des Staatsvertrags in Landesrecht und landesspezifischen Rechtsverordnungen, die darauf aufbauend erlassen werden sollen. Ich möchte die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte noch einmal benennen, die dann unserer Meinung nach in Nordrhein-Westfalen realisiert werden müssen. Ich glaube, dass die jetzige Reform aus Sicht der Betroffenen – sowohl der Hochschulen als auch der Studierenden – gedacht werden muss. Wir müssen dringend die wichtigsten Kritikpunkte aufgreifen und dort zu vernünftigen Lösungen kommen.

Klar ist aber auch – das will ich so deutlich sagen –, dass auch die Hochschulen selbst – das ist auch in der Anhörung sehr deutlich geworden – die Akkreditierung als Ganze nicht prinzipiell infrage stellen, weil sie sagen: Wir brauchen ein gutes System der Qualitätssicherung inklusive einer Begutachtung mit externer Begleitung. Die Rolle der Akkreditierungsagenturen muss in der Perspektive aber stärker beratend sein. Die Hochschulen wünschen sich – und das würden wir auch unterstützen – eine deutliche Stärkung der Systemakkreditierung als Regelfall.

Letztlich geht es bei der Frage um die Etablierung eines zeitgemäßen und passgenauen Qualitätssicherungsinstruments für Forschung und Lehre an unseren Hochschulen. Ich finde, dass das ein Ziel ist, an dem wir alle gemeinsam arbeiten sollten.

Ich will die Gelegenheit nutzen, mich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss in den letzten fünf Jahren zu bedanken. Besonders möchte ich mich bei meiner Kollegin Ruth Seidl bedanken, die gleich zum letzten Mal hier reden wird. Ruth, es war mit dir eine schöne und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Es war wirklich prima – Danke auch ganz persönlich.

Ich will mich auch bei Joachim Paul bedanken – da wissen wir ja noch nicht, ob er wiederkommt. Es hat auch mit dir Spaß gemacht, lieber Joachim, ganz herzlichen Dank. – In diesem Sinne: Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Ich freue mich, dass Frau Kollegin Seidl spricht. Hier steht zwar „Frau Paul“, aber so ändern sich die Zeiten. – Bitte schön.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Zum Abschied komme ich gleich; zunächst fange ich mal mit dem Thema an. Der Bologna-Prozess hat das Thema „Qualitätssicherung in Lehre und Studium“ auf eine neue Grundlage gestellt: weg von der unmittelbaren staatlichen Kontrolle, hin zu mehr oder weniger unabhängigen Qualitätssicherungsprozessen über Akkreditierungsagenturen und über den bundesweiten Akkreditierungsrat.

Die bisherige Umsetzung verlief aber nicht unproblematisch. Die Hochschulen kritisierten die hohen Kosten und den extrem hohen Aufwand zur Zulassung neuer Studiengänge, vor allem aber auch die unterschiedliche Handhabungspraxis der Gutachterinnen und Gutachter. Die Studierenden beklagen die starke Ausdifferenzierung der Bachelorstudiengänge, die die Mobilität nicht nur im europäischen Hochschulraum, sondern selbst zwischen den Hochschulen im eigenen Bundesland erschwert.

Es war daher richtig, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass der Landesgesetzgeber deutlich mehr grundlegende Entscheidungen treffen muss. Wir begrüßen es, dass sich die Länder nun weitgehend gemeinsam auf einen Staatsvertrag geeinigt haben. Damit wird der notwendige länderübergreifende Rahmen geschaffen, ebenso eine rechtssichere Grundlage, ein wissenschaftsgeleitetes Verfahren, Spielraum für Innovationen an den Hochschulen, Studierbarkeit von Studiengängen als Maßstab der Akkreditierung und ein angemessener landesspezifischer Handhabungsspielraum.

Bei der Umsetzung und näheren Ausgestaltung des Staatsvertrags in Nordrhein-Westfalen wollen wir künftig stärker auf die Systemakkreditierung setzen. Die Hochschulleitungen haben uns in einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses bereits erklärt, dass sie sich auf diesen Weg machen wollen. Hierbei müssen wir sie unterstützen. Darüber hinaus soll das Akkreditierungsverfahren weiter vereinfacht und flexibler gestaltet werden. Die bisherige Arbeitsbelastung, insbesondere bei der Programmakkreditierung, ist für viele Lehrende und Beschäftigte deutlich zu hoch. Gleichzeitig müssen neue Verfahren dazu führen, auch die Kosten zu senken.

Wir erwarten, dass alle am Akkreditierungsverfahren Beteiligten ihrer Rolle entsprechend über ausreichende fachliche und didaktische Kenntnisse verfügen und dass sie die Anforderungen und Mechanismen des jeweiligen Qualitätssicherungssystems kennen.

Ebenfalls wichtig ist es uns, die Akkreditierung an den Belangen der Studierenden auszurichten. Dazu gehört, dass die Credit Points von Lehrveranstaltungen und Prüfungen künftig den studentischen Arbeitsaufwand realistisch widerspiegeln. Auch gehört dazu, dass die inhaltlichen Kriterien von Studiengängen nicht so eng gefasst werden, dass ein Hochschulwechsel erheblich erschwert oder gar verhindert wird.

Das gilt hinsichtlich der nicht Bologna-gerechten Überspezialisierung einiger Bachelorstudiengänge, insbesondere aber für den Übergang vom Bachelorstudium zum Masterstudium an einer anderen Hochschule. Ebenso gehört dazu, dass sich Veranstaltungen und Prüfungen in ihrer Form und Ausgestaltung stärker an den Lernenden orientieren; denn auch das war ein wesentlicher Anspruch des Bologna-Prozesses, der nicht immer angemessen umgesetzt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich freuen, wenn wir uns heute gemeinsam auf den Weg machen würden, ein hochschul- und studierendengerechtes Akkreditierungssystem auf den Weg zu bringen. Unser Antrag ist ein erster Schritt auf einer sicherlich noch längeren Strecke, bei der wir vor allen Dingen auch auf die Zusammenarbeit mit den Hochschulen angewiesen sind.

Ja, das ist tatsächlich meine letzte Parlamentsrede heute. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen 17 Jahren bedanken – insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen im Wissenschaftsausschuss, bei der Ministerin sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus. Denn trotz aller Meinungsverschiedenheiten in der Sache war die Auseinandersetzung hier im Parlament immer fair, und der Umgang miteinander war immer respektvoll. Das habe ich vor allen Dingen sehr geschätzt.

Ich freue mich auf spannende Herausforderungen in den kommenden Jahren und wünsche Ihnen allen ein gutes Gelingen bei der weiteren Arbeit und eine schöne Osterzeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank! – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte mich in Ihrem Namen bei Dr. Ruth Seidl sehr herzlich für die 17 Jahre im Landtag Nordrhein-Westfalen sehr herzlich bedanken. Das waren 17 engagierte Jahre hier im Parlament selber und in den verschiedenen Ausschüssen, insbesondere im Wissenschaftsbereich. Ich habe es aber auch persönlich mitbekommen im Kulturausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Daneben gab es noch die aktive Wahlkreisarbeit im Kreis Heinsberg. Vielen Dank für diesen Einsatz für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Ich wünsche Ihnen eine gute Zukunft.

Nach der Landtagswahl geht das Leben weiter. Ich empfinde das auch so. Alles Gute für die Zukunft, und noch einmal vielen Dank für den Einsatz für Nordrhein-Westfalen. – Danke schön.

(Allgemeiner Beifall)

Nun spricht für die CDU-Fraktion Dr. Stefan Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt ist es so weit – der letzte Tagesordnungspunkt dieser Wahlperiode im Wissenschaftsbereich ist aufgerufen worden. SPD und Grüne legen einen Antrag vor, mit dem das System der Akkreditierung auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt werden soll.

Der Antrag greift viele Punkte zu Recht auf. Bologna benötigt gemeinsame Standards; das sieht auch die CDU so. Der Akkreditierungsprozess, den wir in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in Nordrhein-Westfalen durchweg beobachten können, wird teilweise kritisch gesehen. Er verursacht einen hohen Kostenaufwand und wird teilweise unterschiedlich durchgeführt.

Die KMK hat nun den Entwurf für einen Staatsvertrag vorgelegt. Und genauso, wie Sie das tun, begrüßt auch die CDU, dass sich die Länder auf ein gemeinsames Konzept geeinigt haben und dass eine sichere Grundlage im Hinblick auf die Frage geschaffen werden soll, wie denn Akkreditierung hier bei uns in Nordrhein-Westfalen zukünftig vonstatten gehen soll.

Ich finde es gut, dass der Antrag den Vorrang zur Systemakkreditierung einräumt und daneben auch noch Programmakkreditierung existieren lässt. Auch finde ich gut, dass er das Thema „Flexibilität“ aufgreift.

Alles in allem geht der Antrag grundsätzlich in die richtige Richtung. Deswegen wollen wir von der CDU dem Antrag den Weg freimachen für die jetzige Abstimmung und spätere Debatten. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten.

An dieser Stelle möchte ich mich auch noch bei allen Kollegen für die intensiven Debatten bedanken, die wir in den letzten Jahren im Wissenschaftsausschuss hatten. Ich glaube, wir haben immer um die Sache gerungen, manchmal auf unterschiedlichen Niveaustufen.

(Zuruf von der SPD: Das würde ich unterschreiben, Herr Dr. Berger! – Allgemeine Heiterkeit)

Wir haben aber immer das Ziel im Auge gehabt, die Situation des größten Wissenschafts- und Forschungsraums in Europa zu stärken.

Ich bedanke mich also bei meinen Kollegen, auch bei denen von Rot-Grün, und auch für die vielen Steilvorlagen, die Sie mir gegeben haben. Aber ich bedanke mich außerdem für das nette menschliche Miteinander in diesem Ausschuss. Ich wünsche Ihnen alles Gute. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat vor etwas mehr als einem Jahr Nachbesserungen beim rechtlichen Rahmen für Akkreditierungen gefordert, die bisherige Praxis aber nicht völlig verworfen; denn sonst hätte das Gericht der Politik nicht eine großzügige Frist bis zum Ende des Jahres 2017 gesetzt, um auch tatsächlich nachbessern zu können.

Wir haben uns sehr früh auch hier im Parlament mit Fragen der Akkreditierung befasst. Auch haben wir uns mit der Notwendigkeit einer nach dem Urteil erforderlichen Neuregelung beschäftigt. Schließlich sind wir ja als Land, in dem die Akkreditierungsstiftung beheimatet ist, in besonderer Weise betroffen.

Wir hatten – das ist schon erwähnt worden – eine ausgesprochen gute und sachdienliche Anhörung im Wissenschaftsausschuss. Diese Anhörung hat sicherlich auch zu den Ergebnissen der KMK beigetragen, die seit Dezember 2016 vorliegen.

Wir Freien Demokraten können diese Ergebnisse im Wesentlichen mittragen. Das gilt auch dafür, dass die Akkreditierung künftig nicht mehr von den Akkreditierungsagenturen vorgenommen wird, sondern von dem mehrheitlich mit Professoren besetzten Akkreditierungsrat. Das erscheint uns durchaus angemessen.

Die Expertise der Agenturen bleibt auch erhalten; denn statt dass sie Entscheidungen fällen, sollen die Agenturen die Hochschulen bei der Qualitätssicherung beraten. Ebenso kann die Experimenturklausel notwendige Freiheiten bei der Gestaltung eines Studienangebots sichern, und die verfassungsrechtlichen Vorgaben werden damit aus unserer Sicht insgesamt auch erfüllt.

Ein bisschen zu kurz gekommen ist mir – das ist einer der Wermutstropfen – die Rückkopplung mit dem Parlament; denn wir wurden im Dezember letztlich vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir hatten im Parlament durchaus einen sehr breiten Konsens darüber, dass wir gemeinsam an der Ausgestaltung mitwirken. Das entsprechende Gesetz und vor allem die dazugehörigen Verordnungen werden wohl erst in der nächsten Legislaturperiode verabschiedet werden.

Wir haben allerdings das Gefühl, dass mit diesem Antrag schon einige Eckpunkte festgezurrt werden sollen, insbesondere für die Verordnung; denn im Antrag der Kollegen von SPD und Grünen gibt es nicht nur den üblichen Lobgesang auf den KMK-Beschluss, sondern auch eigene, über den KMK-Beschluss hinausgehende Zwischentöne, wie ich es einmal formulieren will.

Auffällig ist, dass in diesen Forderungen zum Beispiel die Studierbarkeit besonders herausgehoben wird. Das ist schon etwas verwunderlich; denn die Priorität beim Studium muss sein – das ist für uns nach wie vor die Priorität Nummer eins –, dass es die notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen und das notwendige Wissen vermittelt. Die Studierbarkeit herzustellen, indem die inhaltlichen und methodischen Anforderungen an ein Studium gesenkt werden, weisen wir entschieden zurück. Das ist mit uns nicht zu machen. Über die Fragen der Qualität haben wir wiederholt diskutiert.

(Zurufe von der SPD)

Schwer tue ich mich zudem mit den Passagen – der Kollege Bell hat sie gerade noch einmal ausdrücklich angesprochen –, bei denen es um die Ausdifferenzierung der Studienangebote geht. Die Ministerin beklagt diese Ausdifferenzierung ebenfalls regelmäßig. Ich sage nur: Wir wollen diese Ausdifferenzierung und diese Vielfalt nicht eindampfen. Wir wollen, dass die Hochschulen weiterhin die Möglichkeit haben, passgenaue Angebote zu machen, die auch berufsqualifizierend sind. Zum Beispiel bei den Fachhochschulstudiengängen ist die Verzahnung zwischen Studium und Berufsanschluss, also das Erlangen der Berufsfähigkeit, oftmals ein ganz wichtiges Anliegen.

Insofern wollen wir eher dafür Sorge tragen, dass den Studienanfängern bereits vor Studienbeginn bzw. mit dem Studienbeginn klar ist, in welche Richtung sie gehen und welche Möglichkeiten sie haben. Hier werden wir bei der Transparenz sicherlich noch ein bisschen nachhelfen können. Jedenfalls geht es nicht darum, die Ausdifferenzierung der Studiengänge als solche an den Pranger zu stellen. Jeder ist nämlich selbst der Experte für seine eigene Lebensgestaltung, und wir wollen dort niemandem irgendwelche Zukunftschancen verbauen und auch niemanden bevormunden.

Ich will deswegen zusammenfassend sagen, dass wir mit dem Staatsvertrag zwar grundsätzlich einverstanden sind, die Hinweise auf die kommende Verordnung jedoch nicht unsere Zustimmung finden. Deswegen werden wir uns insgesamt der Stimme enthalten.

Wenn es mir der Präsident gestattet – ich weiß, meine Redezeit ist beendet –, will ich wenigstens eine kurze Bemerkung an die Kollegin Ruth Seidl richten, die sich nach 17 Jahren gemeinsamer Parlamentsarbeit entschieden hat, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen.

Liebe Ruth Seidl, wir haben nicht nur in den letzten fünf Jahren im Wissenschaftsausschuss gut zusammengearbeitet – auch wenn du eine von den anderen warst und bist –, sondern wir hatten auch vorher schon, nämlich in der Vollzugskommission, das Vergnügen. Ich kann an dieser Stelle einfach nur sagen: Ich möchte mich bei dir für die menschlich immer gute, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit herzlich bedanken. Es hat wirklich Freude gemacht, dich als Kollegin kennenlernen zu dürfen und mit dir zusammenzuarbeiten. Ich wünsche dir alles, alles Gute, und ich hoffe, wir verlieren uns nicht ganz aus den Augen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Angela Freimuth. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Was wäre ein gutes Musikstück ohne Kontrapunkt? Der Kontrapunkt macht die Sache erst richtig rund.

Aber bevor ich dazu komme, möchte ich mich bei den Ausschusskollegen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, für die harte – teilweise sehr harte – Auseinandersetzung in den Sachen und bei Frau Ministerin und den Mitarbeitern für ihr stetes Ringen um die Transparenz der Darstellung, gerade auch was diesen Prozess angeht, ganz herzlich bedanken.

Gleichwohl sind wir Piraten der Ansicht, dass wir uns heute nur deshalb über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterhalten müssen, weil sich der Bologna-Prozess als eine der Grundursachen für die Verschulung von Studiengängen herausgestellt hat.

(Beifall von den PIRATEN)

Die im Antrag von Rot-Grün hervorgehobene Kritik der Unstudierbarkeit und der fehlenden Mobilität teilen wir ausdrücklich. Die Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem ist in keinem anderen europäischen Land so angegangen worden wie in Deutschland. Man kann jetzt sagen, das mag ein Stück weit an der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit liegen; jedoch wurde eine komplette Generation als Versuchsobjekt für feuchte neoliberale Ranking- und Messbarkeitsträume verschlissen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Überfrachtung von Studiengängen war über Jahre hinweg ein Teil der Kritik von Studierenden. Auch wenn diese Kritik leiser geworden ist, da sich die Studierenden mit dem System arrangieren mussten, ist die grundsätzliche Kritik immer noch allgegenwärtig; denn ein Studium ist immer auch ein weiterer Persönlichkeitsfindungsprozess – jetzt eben in der Adoleszenzphase eines Menschen –, und das nicht nur berufsbezogen.

Wir alle wissen das nur zu genau. Die meisten von uns Älteren haben die nötige Zeit gehabt, um ihren Horizont im Studium zu erweitern. Ob alle von uns davon Gebrauch gemacht haben, fragen Sie mich bitte nicht. Das vermag ich nicht zu beurteilen.

Wir verknappen heute diese Zeit auf Regelstudienzeiten und messen die Qualität anhand von Kriterien wie Credit Points und Employability. Das ist ein massiver innovationsfeindlicher Anschlag auf die Bildungs- und Wissenschaftsfreiheit. Wir verlangen jungen Menschen ab, dass sie sich nach drei Jahren Studium im Alter von 20 bis 21 Jahren auf so viele Erfahrungen berufen können wie Menschen, die bereits seit zehn Jahren im Beruf sind.

Wie soll das, bitte schön, funktionieren? Das ist absurd und grenzt an verordnete Bulimie, an den alten Trichter aus Nürnberg. So kommentierte Jürgen Kaube bereits 2015 in der „FAZ“ – ich zitiere:

„Heute aber verlässt nach Zahlen des Deutschen Hochschulverbandes jeder dritte Student vor dem ersten Abschluss die Universität. Zwei von fünf, die für Mathematik oder Naturwissenschaften eingeschrieben sind, bleiben ebenfalls ohne Bachelorabschluss. In den Sozialwissenschaften sowie in Jura und Ökonomie schließt jeder Vierte nicht ab. Politik bedeutet ja auch, sich auf keinen Fall mit den eigenen Entscheidungen blamieren zu wollen. Folglich mussten die Hochschulen für das Scheitern von Bologna verantwortlich gemacht werden. Man habe, heißt es seit einiger Zeit, wenn die Mängel nicht mehr weggeredet werden können, vielerorts Bologna schlecht umgesetzt. Dass die völlig überflüssigen und noch dazu teuren Akkreditierungsagenturen überall all die Studiengänge offiziell für gut und ‚studierbar‘ befunden haben, die jetzt von so vielen Studenten abgebrochen werden, passt dazu allerdings nicht.“

Und das vor dem Hintergrund, dass uns Intelligenzforscher bescheinigen, dass der durchschnittliche IQ in den letzten Jahren weiter gestiegen ist. Hier liegt für uns der Knackpunkt. Diese Agenturen sind unserer Meinung nach überflüssig. Die Qualitätssicherung kann die Wissenschaft selbst übernehmen, und zwar unter maßvoller Aufsicht des Landes.

Dass dieser Webfehler trotz – ich sag es mal so – Klatsche durch das Bundesverfassungsgericht nach unserer Auffassung jetzt nicht wirklich korrigiert worden ist, zeigt dieser Antrag. Er gehört ein bisschen in die Kategorie wie die Ihrer Haltung zu G8 und G9. Fehler können nur dann wirklich korrigiert werden, wenn man auch den Mut dazu hat.

Wir lehnen diesen Antrag ab. Befreien Sie sich doch mal und sprechen mir einfach mal nach, was viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Parlamentarier aller Fraktion seit Jahren hinter vorgehaltener Hand immer wieder sagen. Sprechen Sie mit mir mit: „Bologna ist Mist!“ – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Sie alle wissen, ist spätestens seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem vergangenen Jahr klar: Das Akkreditierungswesen wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber es muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Wir brauchen neue Rechtsgrundlagen.

Das Ziel ist, so glaube ich, ebenfalls klar. Wir brauchen eine sichere gesetzliche Grundlage zugunsten der Qualitätssicherung in der Lehre, und die muss so beschaffen sein, dass sie die Wissenschaftsfreiheit eben nicht einschränkt. Deshalb begrüßt es die Landesregierung, dass SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das hier auch noch mal zum Thema im Parlament machen.

Die Ziele, die wir in der Veränderung jetzt nach vorne bringen wollen, sind schon gemeinsame Ziele, und sie sind weitestgehend klar. Wir wollen, dass die Systemakkreditierung das bevorzugte Verfahren der Akkreditierung bleibt – oder dass sie es wird – und die Programmakkreditierung weiterhin zulässig ist. Wir wollen einfachere Akkreditierungsverfahren und die Fristen zur Reakkreditierung flexibler handhaben, um die Arbeitsbelastung an den Hochschulen zu verringern. Außerdem wollen wir die fachlichen Kriterien von den Studiengängen etwas weiter fassen, damit die Anerkennung der von anderen Hochschulen erbrachten Leistungen vereinfacht und flexibler möglich wird.

Frau Freimuth, natürlich geht es auch darum, die hohe Qualität der Studiengänge zu erhalten. Ich glaube, das ist das gemeinsame Ziel, und trotzdem muss man noch einmal auf die Organisation des Studiums schauen. Die am häufigsten geäußerte Kritik lautet, dass das Studium einfach nicht so organisiert ist, dass es auch wirklich studierbar ist. Deswegen ist die Studierbarkeit ein ganz, ganz wichtiger Faktor.

Nordrhein-Westfalen ist als Sitzland der Akkreditierungsstiftung hier für alle Bundesländer unterwegs. Es muss also ein Prozess über 16 Bundesländer organisiert werden. Das ist nicht ganz einfach; aber uns war von vornherein daran gelegen, dass das ein gemeinsamer Prozess ist. Dieser Abstimmungsprozess mit unseren Hochschulen, mit der Kultusministerkonferenz, mit dem Akkreditierungsrat und mit den anderen Bundesländern ist daher sehr früh angestoßen und jetzt auch mit großem Einvernehmen in die Entscheidung gebracht worden.

Unser Ziel als Landesregierung war und ist, die Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland mit allen Beteiligten wirklich neu zu regeln. Daran haben wir in den vergangenen Monaten gearbeitet, sodass nun auch ein Ergebnis vorliegt. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat am 16. März abschließend über den Staatsvertragsentwurf abgestimmt. Die Unterzeichnung soll Anfang Juni dieses Jahres erfolgen. Danach kommt es natürlich noch zum parlamentarischen Verfahren, auch wieder hier, im neu gebildeten Landtag.

Es gibt jetzt zusätzlich eine länderoffene Arbeitsgruppe, die im vergangenen September eingesetzt wurde. Auch da hat Nordrhein-Westfalen die Federführung. Diese Arbeitsgruppe soll eine Musterrechtsverordnung vornehmen. Sie hat ihre Arbeit bereits begonnen und zahlreiche Sachverständige angehört. Sie sehen, wir sind auf einem guten Weg.

Nordrhein-Westfalen hat dabei eine ganz besondere Rolle, weil wir eben Sitzland der Stiftung für Akkreditierung sind, weil wir die Moderation in dem KMK-Verhandlungsprozess übernommen haben und weil wir auch Impulsgeber für die Weiterentwicklung der Qualitätssicherung in Lehre und Studium an den deutschen Hochschulen sind, so wie wir es hier im Parlament gemeinsam diskutiert haben.

Meine Damen und Herren, weil das der letzte Punkt des Wissenschaftsausschusses in dieser Legislaturperiode ist, möchte ich noch die Gelegenheit nutzen, ganz, ganz herzlich Dankeschön zu sagen. Der Wissenschaftsausschuss ist geprägt durch eine engagierte, zugleich aber konstruktive Debatte, und dafür möchte ich Danke sagen. Ich glaube, uns eint alle, dass wir die Hochschulen, dass wir die Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen stärken wollen, und das ist in den Diskussionen auch immer wieder deutlich geworden.

Ich möchte ganz besonders Frau Seidl danken, die über viele, viele Jahre die Ausschussarbeit mitgeprägt hat. Vielen Dank für Ihr langjähriges und großes Engagement. Und auch vielen Dank an Herrn Paul, der den Ausschuss erfrischend belebt hat, und von dem wir ja noch nicht wissen, ob er wieder mit dabei ist.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Doch, doch!)

Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14660. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14660 angenommen mit Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der Piraten und bei Enthaltung der CDU-Fraktion und der Fraktion der FDP.

Ich rufe auf:

Engpässe in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) Büren beseitigen – Landesregierung muss Kapazitäten umgehend erweitern

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14172

Beschlussempfehlung
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/14470

Ich möchte den Hinweis geben: Der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14172 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik liegt als Drucksache vor.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden Reden zu Protokoll zu geben (Anlage 2).

Wir kommen also zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/14470, den Antrag Drucksache 16/14172 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/14172 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14172 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten gegen die Stimmen der CDU- und der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe auf:


9  Einmischen, aber richtig! Jugendpartizipation stärken!

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14666

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Jörg das Wort.

Wolfgang Jörg*) (SPD): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Ende der Legislaturperiode für den Bereich noch einen Antrag zu besprechen, den wir gemeinsam gestellt haben, ist natürlich wunderbar. Ich glaube, dass wir in den letzten fünf Jahren bei unseren Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen viel Vertrauen wiedergutgemacht haben, das über eine lange Zeit – das muss man ja sagen – verspielt war. Sie haben einige Versprechungen von Politikern bekommen, die nicht gehalten wurden. Wir haben den Jugendlichen in den letzten fünf Jahren hier aus dem Parlament die Hand gereicht haben, die sie auch angenommen haben. Heute pflegen wir eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Wir haben die Schülervertretungen, wir haben die Jugendparlamente, wir haben die Jugendverbände als Säulen von Partizipation der Jugend in unserem Land, in unserem System. Wenn ich mir die Arbeit der Verbände, die Arbeit der Schülervertretungen oder die Arbeit der Jugendparlamente genau anschaue, mache ich mir keine großen Sorgen um unsere Demokratie. Denn diese jungen Menschen bewegen sich mit Leidenschaft in diesen Gremien und werden alles dafür tun – da bin ich mir sicher –, dass unsere Gesellschaft weltoffen bleibt und weder Rechtsradikalismus noch Rechtsextremismus zulassen wird.

Daher gilt mein Dank zunächst einmal allen Jugendlichen, die sich in den Schülervertretungen, in den Jugendparlamenten und in den Jugendverbänden engagieren. Sie bzw. ihr leistet Großes für unser Land. – Herzlichen Dank dafür.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben im Laufe der fünf Jahre auch viele persönliche Dinge ausgetauscht. Man erlebt dann immer, dass in den jungen Menschen genauso viel Elan steckt wie sicherlich in vielen, die hier sitzen. Daher macht es einfach Spaß, sich auszutauschen und zu sehen, dass die jungen Menschen schon eine klare Vorstellung vom Leben haben, eine klare Perspektive für sich entwickelt haben. Gemeinsam mit ihnen darüber nachzudenken, wie sich Jugendpartizipation in diesem Land weiterentwickeln kann und verbessern lässt, ist sicherlich der richtige Weg.

Wir haben deshalb mit allen Fraktionen einen Zukunftsvertrag unterschrieben und uns selbst dazu verpflichtet – das gilt auch für die nächste Legislaturperiode, und zwar unabhängig davon, in welcher Konstellation wir hier sitzen –, die Kontakte zu den Jugendlichen zu halten und gemeinsam zu erörtern, an welchen Stellen sich Jugendpartizipation in Nordrhein-Westfalen verbessern lässt. Das war ein großartiger Erfolg. Ich möchte allen Fraktionen, allen Sprechern danken, dass wir fünf Jahre so intensiv, gut und kollegial zusammengearbeitet haben. – Herzlichen Dank dafür.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte meine Rede auch nutzen, um zwei Personen zu danken, mit denen ich zwölf Jahren gemeinsam Politik gemacht habe und die nicht mehr antreten. Ich denke, es ist ganz wichtig, hier zu schildern, wie die Zusammenarbeit mit ihnen war.

Liebe Andrea – du sprichst gleich nicht mehr, deine letzte Rede war schon gestern –, die zwölf Jahre mit dir waren kontrovers. Ich glaube, ich habe mich mit niemandem außerhalb der Gremien dieses Hohen Hauses so gestritten wie mit dir. Das haben wir sicherlich gemacht, weil du eine leidenschaftliche Kämpferin für die Interessenlagen gerade von Kindern bist. Ich werde viele deiner Auftritte nicht vergessen. Ich habe wunderbar in Erinnerung, wie das in der Oppositionszeit war. Da gab es – Bernhard, wie soll man das beschreiben? – eine innige „politische Liebe“ zwischen Andrea Asch und Armin Laschet.

(Heiterkeit – Andrea Asch [GRÜNE]: Das ist ja eine weite Interpretation!)

– Das war ironisch gemeint, Andrea. Im Ausschuss brauchtest du nur zwei, drei Stichworte zu geben, die bei Armin Laschet – das sah man ihm geradezu an – zunächst zu innerer Unruhe und irgendwann zur Explosion führten. Im Vergleich zu dem, was wir manches Mal im Ausschuss erlebt haben, war der Auftritt von vorgestern harmlos.

Es war eine wirklich gute Zeit. Man hat gesehen, dass du leidenschaftlich für deine Positionen gekämpft hast.

Unvergessen ist natürlich auch der Ballonauftritt, um zu dokumentieren, dass von Armin Laschet als Familienminister nur heiße Luft kam.

(Beifall von der SPD)

Hier im Parlament wurde ein Ballon gestartet, was zu Tumulten führte. Das war quasi das Ende des Parlamentarismus.

(Heiterkeit von der SPD)

Es waren wirklich schöne Zeiten mit dir. Trotz allen Streits, den wir gehabt haben, …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Jörg.

Wolfgang Jörg*) (SPD): … bleibt mir das unvergessen in Erinnerung.

Auch die zwölf Jahre mit Bernhard Tenhumberg waren nicht immer konfliktfrei. Wir haben uns eher, andersherum, in den Gremien gestritten, außerhalb der Gremien weniger. Diese Zeit möchte ich deshalb nicht missen, weil ich gesehen habe, dass du für deine Sache – und das ist in meinen Augen vor allen Dingen die Jugend und die Jugendpolitik; du kannst das ja gleich noch einmal korrigieren – leidenschaftlich gekämpft hast. Es gab immer ein Funkeln in Bernhard Tenhumbergs Augen, wenn er über seine eigenen Erfahrungen mit Jugendverbänden, mit seinen Fußballklubs berichtete. Dann sah man das Leuchten und die Leidenschaft für die Sache.

Du hast so sehr darum gekämpft, Bernhard, dass du – auch das bleibt unvergessen – gegen deine eigene Fraktion gestimmt hast, als du geglaubt hast, dass sie mit der Jugend nicht gut umging. Da hast du dich dagegen entschieden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Bei allem Respekt kenne ich wenige in diesem Haus, die das Kreuz haben, so etwas auch einmal gegen die eigene Fraktion durchzuziehen. Das war großartig. Daher werden mir viele Momente mit dir in Erinnerung bleiben. Das waren schöne Zeiten.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit ist bereits überschritten.

Wolfgang Jörg*) (SPD): Als dienstältester Sprecher will ich es nicht nur bei schönen Worten belassen, sondern würde den Ausschuss gleich gern in die „Kaffeklappe“ zum Rapport bitten. Denn ich müsste da noch einiges klären. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute!

(Beifall von allen Fraktionen)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Jörg. Herr Kollege Jörg, auch wenn Sie außerparlamentarische Aktionselemente für sich als bleibende Erinnerung abspeichern, sind Ballons als außerparlamentarische Elemente der Willensbekundung im Plenarsaal nicht zugelassen; sie werden es auch künftig nicht sein. Daher bitte ich, keine Werbeaktionen bei Abschiedsreden zu starten.

(Heiterkeit)

Vielen Dank für den Redebeitrag. Selbstverständlich handelt es sich um eine kurze Besprechung, zu der Herr Kollege Jörg eingeladen hat, und nicht zu irgendetwas am Rande bzw. parallel zu der Plenarsitzung.

(Heiterkeit)

Der nächste Redner ist nun Kollege Tenhumberg. Bitte schön.

(Wolfgang Jörg [SPD]: Ich bin für die Interpretation meiner Aussagen sehr dankbar!)

Bernhard Tenhumberg (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit unserem gemeinsamen Antrag wollen wir – mit „wir“ meine ich das gesamte Parlament – es ermöglichen, dass der konstruktive Dialog, den alle Fraktionen dieses Hauses gemeinsam mit dem Landesjugendring, mit der LandesschülerInnenvertretung und mit dem Kinder- und Jugendrat NRW in den letzten Jahren geführt haben, auch in der nächsten Wahlperiode fortgeführt wird.

Die CDU hat sich seit Jahren im Arbeitskreis, in der Fraktion und auch in der Partei sowie in unzähligen Gesprächen mit der Frage beschäftigt, wie verbindlichere Beteiligungsformen und Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche auf Landesebene geschaffen werden können.

Ausgangspunkt und Grundlage für unsere Vorstellungen zur Ausgestaltung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene stellt für uns das Positionspapier des Kinder- und Jugendrats NRW vom September 2012 dar, in dem es heißt – ich zitiere –:

Eine … institutionalisierte, dauerhafte und wirklich funktionsfähige Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politischen Prozessen kann aus unserer Sicht nur im Rahmen eines allgemein demokratisch legitimierten Gremiums stattfinden. Die Struktur des politischen Systems und der repräsentativen Demokratie sollte sich in der Struktur des Beteiligungsgremiums wiederspiegeln. Eine Jugendselbstvertretung als zentraler Ansprechpartner für Politik und Öffentlichkeit kann daher nicht auf Strukturen allgemeiner demokratischer Wahlen verzichten.“

Bisher wurde sowohl die Errichtung eines Landesjugendbeirats basierend auf einem Delegiertensystem als auch ein überwiegend direkt gewähltes Landesjugendparlament diskutiert. Meine Fraktion – und seit dem 1. April auch meine Partei – befürwortet ein Landesjugendparlament ausgerichtet an dem schottischen Modell.

Aber die letztendliche Entscheidung über die Form und Struktur einer modernen, zeitgemäßen Beteiligungsform sollten die Jugendlichen selber treffen.

(Beifall von der CDU)

Unser gemeinsamer Antrag schafft dafür eine gute Grundlage.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem gemeinsamen Antrag bin ich auch in der Schlussphase meiner 22-jährigen Abgeordnetentätigkeit. Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Dingen, die uns lieb sind, immer ein wenig größer. Ich habe viele Menschen durch die Abgeordnetentätigkeit kennenlernen dürfen. Von den allermeisten habe ich viel mitnehmen dürfen, habe immer wieder etwas dazugelernt, meine Position, Wolfgang, nach Diskussionen oft selbstkritisch überdenken und manchmal so entscheiden müssen, wie andere es nicht erwartet haben.

Ich danke daher allen, die ich in den letzten 22 Jahren kennenlernen durfte. Alle haben mein Leben bereichert – einige weniger, einige mehr,

(Beifall von Walter Kern [CDU])

aber per saldo ist es ein deutliches Plus geworden. Es war für mich immer eine Ehre, diesem Hohen Hause anzugehören. Ich möchte nun nach Hape Kerkeling sagen: Ich bin dann mal weg!

(Anhaltender Beifall von allen Fraktionen)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Erlauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ich jetzt „lieber Bernhard“ sage. Wir haben ja 1995 einen gemeinsamen Start in die Kinder- und Jugendpolitik von Nordrhein-Westfalen gehabt, und ich kann mich auch an viele wunderbare Situationen erinnern. Ich weiß vor allen Dingen auch, wann wir begonnen haben, uns außerhalb des Plenarsaals zu duzen. Das war eine sehr schöne Informationsreise, die uns allen weitergeholfen hat, dem gesamten Ausschuss.

(Zuruf von Wolfgang Jörg [SPD] – Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich wünsche dir im Namen des Hohen Hauses alles Gute. Bleibe einfach ein feiner Kerl, wie du es bist.

(Beifall von allen Fraktionen)

Die nächste Rednerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Frau Kollegin Hanses von Bündnis 90/Die Grünen.

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Es fällt mir nach diesen pathetischen Worten vieler Kolleginnen und Kollegen richtig schwer, etwas zur Sache zu sagen. Ich versuche es trotzdem.

Zu dem Kollegen Tenhumberg darf ich vielleicht Folgendes sagen: Viele in meiner Fraktion, die sich nicht in jedem Zipfel von Nordrhein-Westfalen so gut auskennen, behaupten, dass dein Dialekt sauerländisch sei.

(Zurufe)

Dem musste ich vehement widersprechen und erkläre meiner Fraktion gerne noch weiter die Unterschiede zwischen den nordrhein-westfälischen Dialekten. Du bist das beste Beispiel für das nördliche Münsterland ist, was wir sehr eindeutig hören.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ganz genau!)

Ich bin dir auch für diese Bereicherung hier dankbar.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz zur Jugendpartizipation, einem Herzensanliegen von vielen hier: Je mehr Kinder und Jugendliche wir heute glaubhaft verbindlich beteiligten, desto stabiler ist unsere Demokratie von morgen. Das wissen wir alle.

Die Beteiligung von Jugendlichen ist nicht nur Spaß und nettes Beiwerk, sondern Pflicht. Sie ist verankert in der UN-Kinderrechtskonvention, in der die Beteiligung eine der tragenden Säulen ist, aber auch in unserer NRW-Verfassung und im Kinder- und Jugendförderungsgesetz. Kinder und Jugendliche sind umfassend und rechtzeitig bei allen Belangen, die sie betreffen, zu beteiligen. Ich behaupte immer noch: Das ist leider das am häufigsten ignorierte Gesetz in Nordrhein-Westfalen, weil es so noch nicht stattfindet.

Wir haben in den letzten fünf bzw. in den letzten sieben Jahren einiges auf den Weg gebracht:

Wir haben die Drittelparität in den Schulkonferenzen wiederhergestellt.

Wir haben den Anteil an Partizipation im Kinder- und Jugendförderplan besser ausgestattet.

Wir haben die Servicestelle Jugendbeteiligung für Träger, Kommunen und Jugendliche eingerichtet, die beraten, wie Partizipationsprozesse vor Ort angestoßen werden können.

Die Landesregierung hat zweimal eine Jugendkonferenz durchgeführt.

All das ist sicherlich sinnvoll.

Hier im Landtag, Frau Präsidentin, findet der Jugendlandtag statt. Das ist auch ein wunderbares Planspiel.

Mit unserem Antrag wollen wir das Ergebnis eines Dialogs, eines Prozesses sichern, in den sich die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher in Workshops mit dem Landesjugendring, mit der LandesschülerInnenvertretung und mit Vertreterinnen und Vertretern des Kinder- und Jugendrates NRW begeben haben. Das war gut, das war spannend. Das war sehr auf Augenhöhe, das hat Spaß gemacht.

Diesen Prozess wollen wir sichern, damit der nächste Landtag die Instrumente auf den Weg bringen kann, um das Ganze tatsächlich umzusetzen. Denn genau bei den Instrumenten haben wir uns ein bisschen verhakt; so ehrlich müssen wir an dem letzten Plenartag auch sein:

Die CDU will in der Regel ein Kinder- und Jugendparlament als dauerhaftes Gremium, so wie ein Planspiel.

Wir sind der Auffassung: Der Instrumentenkoffer muss offen sein und darf nicht von uns vorgegeben werden. Er mag sich auch verändern. Vielleicht möchten Jugendliche nicht ausschließlich unsere „Spiele“ hier nachspielen.

Die Verpflichtung für den nächsten Landtag ist, sich das genau anzugucken.

Wir Grüne werden auch für das Wahlalter 16 weiterkämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden weiter dafür kämpfen, dass das Kinder- und Jugendförderungsgesetz das am häufigsten beachtete Gesetz in Nordrhein-Westfalen wird. – Vielen Dank. Tschüss!

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Kerbein.

Dr. Björn Kerbein (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein paar nette Worte an die Ausgeschiedenen kommen bei mir zum Schluss.

Die erste Initiative für mehr Jugendbeteiligung kam von der FDP bereits im Jahr 2011. Seit sechs Jahren wird hier im Landtag über Jugendbeteiligung gestritten, diskutiert und auch viel versprochen. Doch die Bilanz ist nach sechs Jahren nicht immer das, was wir alle uns 2011 wohl erhofft hatten.

Einen großen Fortschritt haben wir bei der Jugendbeteiligung vor Ort gemacht, indem dankenswerterweise die Initiative der FDP aufgenommen und die Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung eingerichtet wurde.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Dort wird hervorragende Arbeit geleistet. Unser Dank gilt hier den Jugendlichen und Mitarbeiterinnen, die die Idee der Jugendbeteiligung in alle Ecken unseres Landes tragen. Doch es bedarf leider vielerorts noch viel Überzeugungskraft, damit Jugendbeteiligung tatsächlich gelebt wird.

Kleine Schritte in die richtige Richtung haben wir auch auf Landesebene gemacht. Dass sich der Familienausschuss dazu verpflichtet hat, bei Expertenanhörungen zu jugendpolitischen Themen auch tatsächlich bei den Kindern und Jugendlichen Rat einzuholen, zeigt, welches Potenzial Jugendbeteiligung bei uns in NRW hat. Die dort auftretenden Jugendlichen waren selbstbewusst und eloquent, aber auch abwägend und – Sie haben es gemerkt – selbstkritisch. Für unsere Arbeit war das eine enorme Bereicherung, meine Damen und Herren.

Wir haben deshalb mit diesen Jugendlichen einen spannenden Workshop zur Kinder- und Jugendbeteiligung gestartet und sind gemeinsam der Frage nachgegangen, wie wir Kinder und Jugendliche noch besser an der Landespolitik beteiligen können. Aus Sicht der FDP-Landtagsfraktion war der Workshop zur Jugendbeteiligung zwar kein voller Erfolg, aber ein wichtiger Schritt nach vorne. Es ist zumindest klargeworden, für welche Konzepte die Parteien stehen, was die Kinder und Jugendlichen selbst gut finden und was sie ablehnen. Wir haben eine solide Basis geschaffen.

Dennoch ist das für sechs Jahre Arbeit im Sinne der Jugendbeteiligung keine wirklich beeindruckende Bilanz. Erfolge gibt es, aber noch keinen Durchbruch. Da müssen wir als Politiker auch selbstkritisch sein. Für die Kinder und Jugendlichen ist es nämlich schwierig nachzuvollziehen, warum die Prozesse so lange dauern, bis sie selbst junge Erwachsene sind.

Bedenken Sie, dass es bei den Jugendlichen andauernd den personellen Umbruch gibt, den wir am 14. Mai mit dem Ausscheiden einiger Kollegen aus dem Familienausschuss auch erleben werden. Die ursprünglich Jugendlichen aus unseren gemeinsamen Workshops sind mittlerweile fast alle aus dem entsprechenden Alter herausgewachsen. Es muss wahnsinnig frustrierend sein, ein Gremium vorzubereiten, dem man selbst niemals angehören kann.

Die zukünftigen Mitglieder des Landtags sind aus unserer Sicht gut beraten, auch in der kommenden Legislaturperiode in Sachen Jugendbeteiligung engagiert weiterzuarbeiten. Es müssen nach der Wahl zeitnah konkrete Modelle zur Jugendbeteiligung auf Landesebene vorgelegt und mit den Jugendlichen diskutiert werden. Man darf am Ende dieses Prozesses nicht Angst vor der eigenen Courage haben.

Jugendbeteiligung heißt, dass sich junge Menschen Gehör verschaffen, auch wenn es dem einen oder anderen von uns in der konkreten Sache nicht immer so richtig in den Kram passt.

Ich möchte mich stellvertretend für die gesamte FDP-Fraktion und vor allem auch im Namen von Marcel Hafke bei Andrea Asch und bei Bernhard Tenhumberg für ihre Arbeit der letzten Jahre bedanken.

Der Familienausschuss ist sicherlich ein besonders streitbarer Ausschuss. Das habe ich auch in meiner relativ kurzen Zeit mitbekommen. Sie beide haben dazu in gewisser Weise natürlich auf Ihre, wie ich fand, sympathische Art beigetragen. Das zeigt nur, dass Sie beide Kämpfer für die Kinder und Jugendlichen in NRW sind. Dafür gebührt Ihnen der Dank der FDP-Landtagsfraktion. Wir alle hoffen, dass Sie beide sich in der Zukunft, wie ich, auch ohne Mandat für die Kinder und Jugendlichen in NRW einsetzen werden. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall von der FDP – Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Kerbein. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit dem an, was Björn Kerbein gerade gesagt hat. Bei Familie, Kinder und Jugend stellen sich viele von außen vielleicht vor, dass dort in gemütlicher Runde debattiert wird. Seien Sie sich sicher: So ganz gemütlich ist es in dem Ausschuss nicht; da geht es sehr schnell hoch her.

Ich möchte mit einem Beispiel anfangen und danach in die sachliche Debatte einsteigen. Das Beispiel sind die Kollegin Andrea Asch und der Kollege Bernhard Tenhumberg, die gestern bzw. heute ihre letzte Rede gehalten haben. Wer dem Ausschuss einmal beigewohnt und ihm zugehört hat, der wusste immer, was passiert. Er wusste, wenn Andrea Asch das Wort ergreift, braucht es nicht lange, um Bernhard Tenhumberg „anzutriggern“. Die beiden sind dann sehr schnell in einen Clinch eingestiegen. Das war teilweise amüsant – auf beiden Seiten –, manchmal auch anstrengend.

Jedenfalls hat man gemerkt: Es steckte immer sehr viel Engagement dahinter. – Das ist in den Redebeiträgen zuvor auch schon gesagt worden. Ich möchte mich bei euch beiden bedanken. Ich habe in den letzten Jahren eine Menge gelernt.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN, der CDU und den GRÜNEN)

Zum eigentlichen Antrag: Der Piratenfraktion und mir als jugendpolitischem Sprecher war es wahnsinnig wichtig, diesen Antrag heute ins Plenum einzubringen. Uns allen ist klar, dass wir keine Dinge festzurren und dem nächsten Landtag ins Aufgabenheft schreiben können. Aber es ist wichtig, dass wir den erreichten Arbeitsstand nicht nur informell und extern mit den beteiligten Partnern – Landesjugendring, Kinder- und Jugendrat und LandeschülerInnenvertretung – festgehalten haben. Wir sollten uns auch die Zeit nehmen, diese Debatte zu führen und die Punkte festzuhalten mit dem Wunsch, dass der kommende Landtag die Themen wieder aufgreift und im Prinzip an der Stelle weitermachen kann, an der wir aufgehört haben.

Das Thema „Jugendbeteiligung“ hat schon einen langen Prozess hinter sich; Björn Kerbein hat es gerade gesagt. In der Tat ist es ursprünglich ein Antrag seitens der FDP-Fraktion aus 2011 gewesen. 2012 war es meine erste Rede hier, die ich zu diesem Antrag halten durfte. Damals habe ich gedacht: Das verstehe ich nicht, den Antrag gab es doch schon in der letzten Legislaturperiode.

Dann habe ich mich eingelesen und gemerkt, wie viel da schon gearbeitet wurde. Dann hatten wir die vielen überfraktionellen Treffen. Man hat einfach gemerkt: Da ist doch eine ganze Menge zu klären. Wir haben Gutachten über den Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags eingeholt. Wir haben geschaut und abgesteckt, welche Möglichkeiten wir haben, Jugendbeteiligung im Landtag umzusetzen. Es gibt durchaus immer noch strittige Punkte, wie weit wir wirklich mit einem Jugendparlament oder Jugendforum – wie immer das Ganze am Ende heißen mag – gehen können.

Ein bisschen schade fand ich, dass wir den Prozess in dieser Legislaturperiode nicht ganz zu Ende gebracht haben. Das hätten wir schaffen können, wenn wir frühzeitig ein bisschen mehr auf das Gaspedal gedrückt hätten, wenn wir vielleicht auch frühzeitiger die eigenen Strategien, die eigenen Wünsche, Ziele und Vorstellungen, die jede Fraktion für sich hat, auf den Tisch gelegt hätten. Gerade die Anfangsphase hatte sehr viel mit Taktieren zu tun. Man hat sich viel unterhalten, aber keiner hat so richtig gesagt: Das ist der Punkt, den ich haben möchte. – Wir hätten viel früher viel weiter sein können. Das bedauere ich. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir zumindest doch noch zu einem Ergebnis gekommen sind.

Für die Piratenfraktion war immer klar: Wir wollen ein Jugendparlament einführen. Ob das dann „Jugendparlament“ oder wie auch immer heißt, ist dabei vollkommen egal. Uns ist wichtig, dass dieses Gremium tatsächlich eine gewisse Entscheidungskraft entfalten kann und eben kein Planspiel ist wie der Jugendlandtag. Der Jugendlandtag ist eine tolle Sache; dazu habe ich gestern schon etwas ausgeführt.

Wir wünschen uns, dass ein Jugendparlament einmal Anträge und Gesetzentwürfe mit einem aufschiebenden Vetorecht oder etwas Ähnlichem versehen und sagen kann: Landtag, setz dich noch einmal mit diesem Gesetzentwurf auseinander. Da stimmt aus jugendlicher Sicht nicht alles, da ist etwas unklar, was wir Jugendliche uns anders vorstellen. – Ich wünsche mir, dass wir das besser umsetzen können, und sehe uns da auf einem guten Weg.

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Ich hoffe, dass wir im Sommer dieses Jahres schnell weitermachen können und diesen Weg weitergehen.

Ein Hinweis an die FDP-Fraktion und auch an die CDU-Fraktion muss noch gestattet sein: Wir reden hier über Jugendbeteiligung. Wir hatten gestern die historische Chance, etwas dafür zu tun, und zwar in Form einer ganz direkten Jugendbeteiligung; wir hätten das Wahlalter absenken können. Sie haben sich dieser Möglichkeit leider entzogen. Das bedauere ich wirklich. Mir persönlich fehlt jegliches Verständnis dafür, gerade weil ich die jugendpolitischen Sprecher anders kennengelernt habe. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um zu sehen, dass Demokratie alles andere als selbstverständlich ist, muss man gerade nicht weit schauen; das können wir direkt vor unserer Haustür sehen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass Demokratie auch gelernt werden muss und dass Demokratie vor allem möglichst früh gelernt werden muss. Von daher ist es wichtig, dass wir uns genau dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche möglichst früh in demokratische Prozesse eingebunden werden und überall da die Chance bekommen, demokratisch zu partizipieren, wo sich diese Chance ergibt.

Genau aus diesem Grund bin ich allen Fraktionen unglaublich dankbar, dass wir es in dieser Legislaturperiode an diesem letzten Tag geschafft haben, noch einmal einen Antrag zur Jugendpartizipation von allen Fraktionen hinzubekommen. Das ist ein starkes politisches Signal für die einmischende Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen, und dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wenn ich mir die Umfragewerte anschaue, dann bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es in der nächsten Legislaturperiode auch noch gelingen wird, hoffe aber sehr, dass wir eine Konstellation haben werden, in der das möglich sein wird. Wir stehen nicht nur in Nordrhein-Westfalen selbst für eine starke einmischende Jugendpolitik. Wir hatten in der letzten Woche den Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag in Düsseldorf. Dort wurde eindeutig gesagt, dass wir auch bundesweit dafür stehen, dass wir Kinder und Jugendliche überall da, wo es möglich ist, beteiligen. Ich glaube, da hat sich im Rückblick viel getan. Ich verstehe diesen Antrag aber auch als Bekenntnis dafür, dass wir in der nächsten Legislaturperiode weiter daran arbeiten, Jugendliche noch stärker einzubinden und nach meinem Wunsch auch noch viel stärker strukturell einzubinden.

Nicht nur wir stehen dafür, sondern – ich versuche jetzt einen möglichst galanten Übergang zu Herrn Tenhumberg hinzubekommen – ich glaube, auch Herr Tenhumberg hat immer dafür gestanden, dass das für ihn ein wichtiges Anliegen ist. Von Andrea Asch habe ich mich ja gestern schon verabschiedet und ihr gedankt, aber dieser Dank gebührt auch noch Ihnen, lieber Herr Tenhumberg. – Wir duzen uns noch nicht. Ich werde die Landtagspräsidentin vielleicht später noch fragen, welches Ereignis dazu notwendig ist, dass das auch uns gelingt.

(Heiterkeit)

Wir haben über die Dynamiken unseres besonderen Ausschusses schon viel gehört. Ich habe es trotzdem immer sehr genossen, weil ich finde, auch härtere Auseinandersetzungen gehören durchaus zu einer parlamentarischen Demokratie.

Ich habe mich gefragt: Was wird Herr Kern in der nächsten Legislaturperiode nur ohne Sie machen?

(Zuruf von der CDU: Das fragen wir uns auch! – Heiterkeit)

Wird er sich möglicherweise stärker in die Belange des FC Landtag einbringen, oder wird er Sie möglichst oft besuchen?

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Sie laden mich ja jedes Jahr auf unserer Weihnachtsfeier zu sich in den Wahlkreis ein, um die größtmögliche Flamingopopulation in ganz Deutschland zu besuchen. Dieser Besuch steht bis heute aus, Herr Tenhumberg. Ich hoffe, dass wir das noch hinbekommen und dass wir uns dann wiedersehen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. Um das Rätsel aufzulösen: Es war eine Dienstreise des damaligen Ausschusses für Kinder, Jugend und Familie nach Graz, Wien und Bologna. Ich kann Ihnen versichern, Herr Tenhumberg mochte Propellermaschinen überhaupt nicht leiden.

(Heiterkeit)

Wir sind am Ende des Tagesordnungspunkts 9 angelangt.

Wir kommen zur Abstimmung. Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer dem Inhalt des Antrags „Einmischen, aber richtig! Jugendpartizipation stärken!“ zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion, die CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, die Piraten und die fraktionslosen Abgeordneten Schwerd, Schulz und Stüttgen. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist einstimmig vom Hohen Haus der Antrag Drucksache 16/14666 „Einmischen, aber richtig! Jugendpartizipation stärken!“ angenommen und damit eine Selbstbindung für die kommende Legislaturperiode.

(Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 10 aufrufe, würde ich gerne zwei Nachträge von Ihnen bestätigen lassen. Zum einen wurde vorhin versäumt, bei Tagesordnungspunkt 7 das Abstimmungsverhalten von Herrn Kollegen Stüttgen festzuhalten. Bei Tagesordnungspunkt 7 haben Sie, Herr Stüttgen, mit Ja gestimmt?

(Gerd Stüttgen [fraktionslos]: Ja!)

– Das ist der Fall. Bei Tagesordnungspunkt 8 ist leider dasselbe passiert. Dort haben Sie mit Nein gestimmt?

(Gerd Stüttgen [fraktionslos]: Ja!)

– Das ist auch richtig. Damit haben wir das für das Protokoll festgehalten.

Ich rufe auf:

10 Die Game- und Netzkultur lebt mit dem Streaming: Veraltete Rundfunkkonzepte der Medienanstalten müssen für das digitale Zeitalter neu konzipiert werden!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14657

Ich eröffne die Aussprache. – Herr Kollege Lamla hat für die Piraten das Wort.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen zu Hause oder unterwegs am Stream! Wenn ich mir den Rundfunkstaatsvertrag ansehe als Mensch, der sozusagen aus dem Internet kommt, dann sieht das für mich ein bisschen, sagen wir einmal, Old School aus. Nichts gegen Old School! Ich persönlich mag alte Dinge. Ich höre gern Schallplatten und begeistere mich für die Technik der 70er- und 80er-Jahre. Schöne alte Dinge sollte man sich im Leben bewahren, denn sie erzeugen ein Gefühl für Herkunft und Geschichte. – Aber ehrlich: Brauchen wir diese Nostalgie in der Medienpolitik, einem politischen Feld, das gerade durch die Digitalisierung aktuell einen massiven Umbau erfährt? – Ich glaube nicht.

Die Spielregeln für Medien haben sich seit der Ankunft des Internets in unserer Zivilisation verändert. Ich habe den Eindruck, dass dies an manchen Stellen einfach vor lauter Nostalgie noch nicht verstanden wurde. Ein großer Teil meiner Mediennutzung findet IP-basiert statt, digital, im Internet und nicht etwa über DVB-T2 HD. Wenn ich das Wörtchen „Funk“ benutze, dann wesentlich häufiger in Verbindung mit Freifunk oder Richtfunk statt mit Rundfunk. Rundfunk, das ist das mit diesen begrenzten Frequenzen, die reguliert und verwaltet werden müssen durch Medienanstalten.

Im Internet gibt es dieses Problem nicht. Wenn ich zum Sender werden will, gehe ich gleich dort hinüber zu meinem Laptop oder an mein Smartphone, mache einen YouTube-Account auf und mache den ganzen Tag Coverversionen des Hits „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ von Jim Pandzko auf meiner Melodika aus den 80ern – weil ich es kann. Wenn mir dabei mehr als 500 Menschen zuschauen, dann müsste ich nach heutiger Gesetzeslage eine Sendelizenz beantragen.

Noch mal: YouTube und Periscope Streams und Twitch – überall sind Menschen, die selbsterstellte Inhalte produzieren und dabei mithilfe des Internets weit mehr als 500 Personen gleichzeitig erreichen. Das ist möglich in diesem Internet. Die Grenzen zwischen Sender und Empfänger verschwinden, und kluge Menschen nennen das „Medienkonvergenz“.

Aktuell gibt es einen bekannteren Streamer aus der Kölner Region, der viele, viele Zuschauerinnen und Zuschauer hat und seine Livestreams ähnlich den traditionellen Programmen zur Ansicht anbietet. Jetzt stellen wir fest oder entnehmen den Medien: Das schmeckt den regulierenden Medienanstalten nicht, und sie schwingen dann die Regulierungskeule. Das steht aber auch so im Rundfunkstaatsvertrag, dass Telemedien mit audiovisueller Liveübertragung und über 500 Menschen im Stream als Streams genehmigt werden müssen. Es muss also in jedem Fall ein Zulassungsantrag gestellt werden.

Ich möchte noch einmal wiederholen, weil das so unsinnig ist: Menschen, die auf YouTube oder Twitch Bild oder Ton live übertragen, werden jetzt genehmigungspflichtig und machen sozusagen Rundfunk, nur weil sich 500 Personen auf einmal dafür interessieren. Da jetzt eine Sendelizenz zu beantragen, ist tatsächlich nostalgisch.

Noch einmal langsam als Wiederholung: Es gibt keine begrenzten Funkfrequenzen in diesem Internet. Da muss nichts vergeben oder reguliert werden. Das Einzige, was vielleicht im Internet begrenzt ist, ist die Bandbreite. Das liegt aber daran, dass die rot-grüne Landesregierung den Glasfaserausbau in den letzten Jahren einfach verbockt hat.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Von Frequenzmangel ist da keine Spur. Ich habe das Gefühl, dass hier eine analoge Auffassung von Medien und Rundfunk und Zuschauerschaft auf die digitale Wirklichkeit prallt, und was dabei entsteht, wirkt einfach extrem deplatziert.

Meine Damen und Herren, ganz einfach: Nehmen Sie den Antrag der Piraten an und setzen Sie ein Signal, um diesen regulatorischen Irrsinn zu beenden!

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Wiedersehen!

(Beifall von den PIRATEN und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lamla, es hätte mich gewundert, wenn Sie das Thema „Breitbandausbau“ nicht auch noch in eine Rede eingebaut hätten, denn das Thema hatten wir ja in diesen Plenartagen noch nicht. Ich gehe darauf nicht näher ein, sondern wir sind ja bei dem Thema, dass die Digitalisierung Veränderungen schafft, neue Verbreitungsmöglichkeiten im Netz ermöglicht und dass wir für diese Neuerungen auch neue Regulierungen brauchen oder alte Regulierungen anpassen müssen.

Das diskutieren wir derzeit in vielen Parlamenten. Wir diskutieren das bei verschiedenen Themen, beispielsweise bei der Plattformregulierung. Hier ist unsere Landesregierung federführend.

Heute diskutieren wir das anhand der Entscheidung der Kommission für Aufsicht und Zulassung bzw. der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Kern dieser Fragestellung ist die Grundlage der beschriebenen Entscheidung, die Sie gerade genannt haben, nämlich welche Definition wir beim bisherigen Rundfunkbegriff haben, der im Staatsvertrag sehr technologieneutral niedergeschrieben ist.

Die Regelung, dass eine Lizenzierung bei Livestreaming-Angeboten im Netz unter bestimmten Voraussetzungen notwendig ist, für zeitversetzte Angebote auf Videoplattformen jedoch nicht, ist sicherlich zu diskutieren. Änderungen des Rundfunkstaatsvertrags bedürfen aber der Abstimmung zwischen den einzelnen Bundesländern, und darum besteht auch schon eine Arbeitsgruppe der Länder, die den Rundfunkbegriff diskutiert und eine zeitgemäße Definition erarbeiten soll. Sie sehen also: Diese Diskussion läuft schon, auch unabhängig von dem Beispiel, das Grundlage Ihres Antrags ist. Aus diesem Grunde werden wir Ihren Antrag gleich ablehnen.

Aber wenn wir auf die Periode zurückschauen, dann stellen wir fest, dass es durchaus den einen oder anderen Punkt gab, den wir gemeinsam angegangen haben. Daher, Herr Lamla, auch in diesem Sinne vielen Dank insbesondere für zwei ganz große Punkte, die wir hier gemeinsam angepackt haben! Einmal ist das das Thema „Netzneutralität“. Da haben wir gemeinsam dafür gestritten, dass es keine Diskriminierung im Netz geben soll, und unsere Landesregierung war hierbei die erste und diejenige in Deutschland, die am meisten auf Netzneutralität gepocht hat.

Der zweite Bereich ist das Thema „Freifunk“, das haben Sie vorhin angesprochen. Da waren wir als SPD mit Ihnen und dem Koalitionspartner der Grünen einig, dass ehrenamtliches Engagement, dass freie Zugänge zum Netz gefördert, gestärkt werden müssen. Wir haben hier gemeinsam finanzielle Unterstützung beantragt und organisiert. Die Landesregierung hat das Programm „100xW-LAN“ aufgelegt, das freie Netzzugänge im ganzen Land fördert. – Das sind positive Beispiele.

Das Landesmediengesetz, wo wir auch das Thema „Netzneutralität“ verankert haben, haben wir hier auch gemeinsam verabschiedet. Daher bei den drei Punkten herzlichen Dank und alles Gute!

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die heutige Diskussion zum Thema „Streaming“ ausdrücklich. Rein dramaturgisch ist die Debatte richtig platziert, nämlich als letzte medienpolitische Diskussion in dieser Wahlperiode.

Müssen Streaming-Angebote als Rundfunk eingestuft werden, oder passen die Rechtsbegriffe in den Rundfunkstaatsverträgen nicht mehr zur digitalen Entwicklung? – Das werden wir heute nicht mehr abschließend beantworten müssen, denn der Antrag der Piraten will das ja auch gar nicht; dort sind Prüfaufträge enthalten. Aber wir werden diese Antworten spätestens in der kommenden Wahlperiode auch hier im Landtag Nordrhein-Westfalen geben müssen.

Das Problem der fehlenden Rundfunklizenz für Streaming-Angebote ist ja nicht neu. Die letzte Entscheidung hat darauf nur noch einmal den Fokus gelegt. Schon in der Vergangenheit hatten fehlende Rundfunklizenzen dafür gesorgt, dass Sportereignisse nicht oder nur mit Ausnahmegenehmigung im Internet gestreamt werden konnten. Das letzte Beispiel, das sicherlich sehr vielen Sportfreunden noch bekannt ist, war die Übertragung der Spiele der deutschen Mannschaft bei der Handball-WM vor wenigen Wochen.

Entzündet haben sich die Diskussionen um Streaming-Angebote, weil alle Bewegtbildangebote als Rundfunk betrachtet werden, die linear, also live, verbreitet werden – das wurde gerade schon angesprochen –, wenn sie mehr als 500 Zuschauer oder User gleichzeitig sehen, redaktionell gestaltet sind und entlang eines sogenannten Sendeplans regelmäßig und wiederholt verbreitet werden.

Diese Gesetzeslage wenden die Medienanstalten nur an. Aber aus den Gesprächen mit den Landesmedienanstalten weiß ich – das wissen auch sicherlich viele andere, die sich mit dieser Thematik beschäftigen –, dass sich die Verantwortlichen darüber im Klaren sind, dass hierbei großer Reformbedarf besteht.

Statt einer Zulassungspflicht können sich die Landesmedienanstalten auch eine Anzeigepflicht vorstellen, die sich auf einige wesentliche Aspekte beschränkt, insbesondere zur Person des Anbieters. Die inhaltliche Diskussion um Streaming-Angebote ist also deutlich weiter als das, was wir heute hier diskutieren und was die Rechtslage ist. Das begrüßen wir als CDU-Fraktion ausdrücklich.

Ich wünsche mir allerdings, dass wir nicht nur mit den Rundfunkstaatsverträgen in der Realität ankommen, sondern es muss auch ein Durchbruch auf europäischer Ebene erfolgen, wo mit der AVMD-Richtlinie, also der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, der europäische Rechtsrahmen gesetzt wird. Ich hoffe, dass wir auch dabei endlich weiterkommen. Die Politik hat sich mit Recht das Ziel gesetzt, dass wir zu einer konvergenten Medienordnung kommen, die gerade auch für heimische sehr innovative Angebote sehr wichtig ist, weil sie erst damit faire Wettbewerbschancen bekommen.

Damit muss sich die Politik in der kommenden Wahlperiode beschäftigen. Man sieht also: Die Politik muss über das hinausgehen, was die Piraten in ihrem Antrag geschrieben haben. Trotzdem werden wir uns natürlich wohlwollend enthalten. Ich bin mir sicher, dass deswegen die nächste Wahlperiode in puncto Medienpolitik sehr spannend wird und dass sehr spannende Fragen auf der Tagesordnung stehen werden.

Für die eigentlich sehr harmonische Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Medien möchte ich mich bedanken genauso wie für viele sehr spannende Diskussionen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Lamla, wir haben sozusagen bei der Grundfrage, die Ihrem Antrag zugrunde liegt, keinen wirklichen Dissens. Dass der Rundfunkbegriff im Rundfunkstaatsvertrag aus einer anderen Zeit kommt, das ist völlig unbestritten.

Da ist der Antrag durchaus richtig: Jede Person kann heute zum Sender oder auch zur Senderin werden. Diese Entwicklung ist absolut zu begrüßen. Sie bringt uns durchaus weiter. Es ist gut für die Demokratie, wenn mehr Menschen ihre Meinung nicht nur haben, sondern auch äußern und verbreiten können.

Herr Lamla, Sie haben uns eben vielleicht ein bisschen mehr vom Internet erzählt, als man das hier erzählen muss, denn inzwischen wissen sehr viele Leute um die Möglichkeiten der Digitalisierung.

(Beifall von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Ich deute das einfach mal so, dass Sie ungebrochen fasziniert von den Möglichkeiten sind, die das Internet bietet.

(Heiterkeit von Lukas Lamla [PIRATEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns den Antrag anschauen – der Kollege Schick hat das gerade schon angesprochen –, dann stellen wir fest: Das ist im Wesentlichen eine Sammlung von Prüfaufträgen. Es geht darum, eine Entwicklung zu evaluieren, die schon an ganz vielen Stellen besprochen wird. Es gibt zahllose wissenschaftliche Abhandlungen zu den Veränderungen der Medienlandschaft im Zuge der Digitalisierung. Damit lassen sich inzwischen wahrscheinlich Bibliotheken gut füllen.

Es gab in den letzten Jahren zahllose Veranstaltungen und Diskussionen bei allen relevanten Treffen in der medienpolitischen Szene. Das zeigt eigentlich: Wir müssen nicht noch eine Untersuchung machen, die wir neben diese Studien und Dokumentationen ins Regal stellen.

Den zweiten Aspekt hat der Kollege Vogt angesprochen. Die Diskussion um einen zukunftsfähigen Rechtsrahmen läuft schon längst. Insbesondere die Frage, was Rundfunk in unserer Zeit eigentlich ist, ist ein ganz wichtiges Thema in dieser Kommission, die den Medienstaatsvertrag entwickeln soll. Wir wissen nicht genau, mit welchem Ergebnis das geschieht. Ich empfehle allerdings, denjenigen, der diese Frage gelöst hat, als nächstes mit der Lösung des Nahostkonflikts zu beauftragen. So ähnlich kommt es mir jedenfalls manchmal vor, wenn ich mir anschaue, wie schwierig es ist, mit rundfunkrechtlichen Staatsverträgen in den letzten Jahren voranzukommen.

Aber wir bleiben optimistisch: Ich glaube, dass wir dabei auf einem guten Weg sind, etwas zu erreichen. Für uns Grüne ist jedenfalls klar: Die deutsche Medienordnung ist noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Wir brauchen einen Rechtsrahmen, der effektiv wirkt und der diejenigen Menschen und Interessen, die geschützt werden müssen, schützt. Aber dieser Rechtsrahmen muss vor allem die Freiheit des Internets in den Mittelpunkt stellen sowie Innovationen fördern und schützen. Er muss diese Freiheiten schützen und zum Wohl unserer Gesellschaft weiterentwickeln. Das ist die Aufgabe für die kommenden Jahre. Wir sollten sie gemeinsam bewältigen, wie wir das an vielen Stellen in den letzten Jahren auch geschafft haben – in großer Gemeinsamkeit und in großem Konsens.

Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen Lamla ausdrücklich danken, weil ich wichtig finde, was Herr Kollege Vogt eben angesprochen hat, nämlich dass Sie sich sehr stark engagiert und konsensorientiert haben bei den Themen, die Ihnen am Herzen liegen, insbesondere beim Freifunk. Da haben Sie tatsächlich sehr viel vorangebracht. Gestern Abend haben wir über freie Lizenzen gesprochen. Das war das zweite große Thema in der Ausschussarbeit. Dafür ganz herzlichen Dank und Ihnen allen alles Gute.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rundfunkstaatsverträge werden plötzlich so kritisch gesehen. In der Tat ist das Verfahren antiquiert. Ich frage mich natürlich, warum dann immer den Rundfunkstaatsverträgen so jubelnd zugestimmt wird. Okay. Es gibt das Problem: Man kann nur abnicken, ändern kann man meistens nicht mehr. Das ist das Unerquickliche.

Aber manchmal hat man das Gefühl: Konvergenz und Digitalisierung sind über Nacht gekommen. Man ist aufgewacht, und plötzlich waren sie da. Das ist natürlich nicht so. Inhalte, Übertragungswege und Endgeräte wachsen zusammen und sind einfach und überall verfügbar. Bisher wurde allerdings, wie es hier erwähnt wurde, versäumt, auf diese wesentlichen Entwicklungen angemessen zu reagieren. Das gilt insbesondere für die zersplitterte deutsche Medienaufsicht, die dem modernen Medienzeitalter nun wirklich nicht mehr angemessen ist.

(Beifall von der FDP)

Man muss sich das nur einmal anschauen. So wird die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von zahlreichen anstaltsinternen Gremien wahrgenommen, aber die Aufsicht über den privaten Rundfunk von zahlreichen externen Landesmedienanstalten, die sich dann auch noch teilweise gegenseitig verklagen, weil Sender da zu wechseln versuchen. Die Aufsicht und Regulierung über die Infrastrukturen der Kommunikation werden von der Bundesnetzagentur wahrgenommen, die Konzentrationskontrolle im Rundfunkbereich von der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich – das ist schon ein Zungenbrecher – und die Konzentrationskontrolle im Bereich der Printmedien dann auch noch vom Bundeskartellamt. Sogar der Jugendmedienschutz liegt je nach Plattform in der Zuständigkeit unterschiedlicher Institutionen.

Diese Form der zersplitterten und ineffektiven Aufsicht ist nicht mehr zeitgemäß. Sie schadet auch dem Standort Deutschland und hat negative Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit in unserem Land.

Ein Beispiel haben die Antragsteller zu Recht aufgegriffen. Eine regelmäßige Liveübertragung über das Internet, die mehr als 500 Zuschauer erreicht, würde nach Rundfunkrecht eine Rundfunklizenz bedingen. Hobby-YouTuber werden also fast gleichgestellt mit Sendern wie SAT.1, RTL oder die öffentlich-rechtlichen. Diese Regelung ist in der Tat anachronistisch und wird dem Wesen der digitalen Gesellschaft nicht gerecht.

Der Antrag beginnt im Text richtig, aber im Zeilenverlauf, finde ich, landet man ein bisschen neben der Spur, weil falsch liegen die Antragsteller in der Tat dabei, dass sie die Landesanstalt für Medien in das Zentrum der Kritik stellen. Die müssen das durchführen, egal ob sie wollen oder nicht.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Sie wollen auch nicht!)

– Eigentlich wollen sie nicht, wenn man mit Verantwortlichen spricht.

Aus diesem Grund werden wir uns bei dem vorliegenden Antrag – ich sage einmal – mit einem Augenzwinkern enthalten; denn für die Landesanstalt für Medien hier oder in anderen Ländern ist nicht das grundlegende Problem, dass sie Recht einfach umsetzen muss. Das Problem ist vielmehr der fehlende Mut, das Rundfunkrecht moderner zu gestalten. Das wiederum dürfte daran liegen, dass eine mutige Reform nicht zuletzt auch eine Vereinheitlichung der Aufsicht erfordern würde und vielleicht auch Privilegien der öffentlich-rechtlichen Sender hinterfragen könnte.

Früher oder später wird man an dieser Stelle jedoch zu nachhaltigen Reformen kommen müssen, nicht zuletzt auch im Sinne der Akzeptanz des Rundfunksystems insgesamt.

Ich möchte zum Schluss meiner Ausführungen Herrn Lamla noch einmal für die interessanten, manchmal auch konfliktreichen Auseinandersetzungen im Ausschuss für Kultur und Medien danken. Ich finde zwar, dass Sie des Öfteren – na ja – in die Honigfalle von Rot-Grün gegangen sind, aber als Imker verzeihen Sie mir höchstwahrscheinlich auch diesen Hinweis. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Jetzt spricht der fraktionslose Abgeordnete Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Rundfunk, das war früher einmal das, was wir im Radio hörten oder im Fernsehen sahen. Frequenzen sind knapp. Daher war es sinnvoll, die verfügbaren Plätze auf Anbieter so zu verteilen, dass eine möglichst ausgewogene Mischung an Inhalten und Meinungen erreicht wird. Deswegen müssen sich Rundfunksender registrieren. Dies wurde im Rundfunkstaatsvertrag so festgeschrieben.

Dann kam das Internet, und der klassische Rundfunk wuchs mit Inhalten im Internet zusammen. Jetzt haben wir Sendungen, die man nach Wunsch aus Mediatheken abrufen kann, also nicht notwendigerweise linear. Wir können Anbieter aus der ganzen Welt empfangen, und wir haben das WEB 2.0. Plattformen wie YouTube oder PERISCOPE erlauben es jedermann, zum Sender zu werden. Die Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger ist heutzutage aufgehoben.

Gleichwohl wendet man den Rundfunkstaatsvertrag mit seinen nicht mehr ganz so passenden Begriffsbestimmungen auch auf linear angebotene Sendungen im Internet an. Dabei wird nicht zwischen privaten, nicht kommerziellen oder kommerziellen Diensten unterschieden. Eine Ausnahme gibt es nur für Programme mit weniger als 500 Zuschauern.

Die Landesmedienanstalten tun nun das, was das Gesetz ihnen vorschreibt. Sie haben auf die Einhaltung gesetzlicher Regelungen zu achten. Das veranlasst sie, YouTuber mit mehr als 500 Zuschauern bei Livesendungen zum Erwerb einer Lizenz anzumahnen.

Das Internet ist aber nicht knapp. Es gibt keine Frequenzen zu verteilen. Es gibt keine Programmknöpfe im Internet. Das führt dann zu absurden technischen Lösungen, wie beispielsweise die Zahl der Zuschauer auf 499 zu beschränken, so wie übrigens auch der Stream, der hier aus dem Landtag gesendet wird. Eine solche Beschränkung ist jedenfalls für die Meinungs- und Informationsfreiheit schädlicher als eine fehlende Zulassung.

Die Fragestellung, wie man die Vielfalt der Meinungen im Internet sichert, ist im Internet nicht über die Zulassung von einzelnen Sendern zu regeln, sondern über die Neutralität der Plattformbetreiber und der Zugangsanbieter. Das Zauberwort heißt „Netzneutralität“ oder besser gleich „Plattformneutralität“.

Es wird also Zeit, den Rundfunkstaatsvertrag entsprechend zu ändern. Telemediendienste mit linearen Video- und Audioangeboten brauchen keine Zulassung. Das ist anachronistisch. Stattdessen sollten die Landesmedienanstalten mit der Beobachtung von Intermediären, von Plattformen und von Zugangsanbietern beauftragt werden und hier gegebenenfalls regulierend eingreifen dürfen.

Plattformen müssen sich den Teilnehmern gegenüber fair und gerecht verhalten, sowohl gegenüber den Nutzern als auch den teilnehmenden Anbietern. Das zu sichern, wäre zeitgemäß. Darüber hinaus brauchen wir eine gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität ohne Ausnahmen. – Vielen herzlichen Dank und bis demnächst in diesem Theater.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. Es handelt sich allerdings um den Plenarsaal und nicht um ein Theater.

(Allgemeiner Beifall)

Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Lersch-Mense das Wort.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich müssen wir den Rundfunkbegriff an das digitale Zeitalter anpassen. Für eine Änderung des Rundfunkbegriffs – das wissen Sie – ist aber eine Änderung des Rundfunkstaatsvertrags erforderlich. Hierfür muss eine einheitliche Position aller Länder gefunden werden. Die Länderarbeitsgruppe „Rundfunkbegriff“ arbeitet bereits seit Längerem an einer zeitgemäßen Novellierung des Rundfunkbegriffs. Wir werden natürlich nach Abschluss dieser Arbeiten auch hier darüber berichten.

Die Landesregierung beteiligt sich intensiv an diesem Prozess, insbesondere auch deshalb, weil – darauf ist schon hingewiesen worden – ein enger Bezug zum Thema „Plattformregulierung“ besteht, für deren Novellierung Nordrhein-Westfalen im Länderkreis federführend zuständig ist. Auch hier ist die Arbeit in vollem Gange. In Kürze werden wir zu diesem Thema mit den relevanten Akteuren einen Workshop durchführen.

Der Rundfunkbegriff ist bewusst technologieneutral ausgestaltet. Daher können Livestreams grundsätzlich zulassungspflichtiger Rundfunk sein. Das heißt aber natürlich nicht, dass jetzt jeder Streamer automatisch Rundfunk macht. Auf die Kriterien, die erforderlich sind, damit der Rundfunkbegriff erfüllt wird, ist von den Vorrednern schon so oft hingewiesen worden, dass ich Sie nicht mit einer erneuten Wiederholung dieser Kriterien quälen will. Gleichwohl ist der Rundfunkbegriff vor dem Hintergrund neuer Angebote im Netz insgesamt auf seine Zukunftsfähigkeit zu prüfen.

Eine vorschnelle gänzliche Herausnahme von Livestreams – und da unterscheiden wir uns in der Einschätzung – aus der rundfunkrechtlichen Regulierung, worauf der Antrag im Ergebnis abzielt, ist aber aus Sicht der Landesregierung ebenso wenig sinnvoll wie eine Überregulierung, wie sie jetzt wahrscheinlich besteht.

Lassen Sie mich am Ende dieser Debatte einen herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit im Bereich der Medienpolitik in dieser zu Ende gehenden Legislaturperiode aussprechen. Nach der Warnung von Herrn Nückel, darf ich Ihnen, Herr Lamla, natürlich keinen Honig ums Maul schmieren,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Um den Mund meint er!)

aber trotzdem sagen, dass Sie viele interessante Anregungen in die medienpolitische Debatte eingebracht haben. Beim Thema „Freifunk“ haben wir als Land auch ein bisschen was gemeinsam auf den Weg gebracht und haben es geschafft, uns an die Spitze einer bundesweiten Bewegung zu setzen. Das war, glaube ich, gut – auch insgesamt für unser Land. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Antrag mit der Drucksachennummer 16/14657 zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Und wer möchte sich enthalten? – Die CDU, die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Antrag Drucksache 16/14657 der Piraten abgelehnt.

Ich rufe auf:


11 Kommunale Ordnungsdienste durch die Einführung eines Ausbildungsberufes qualitativ stärken – für mehr Sicherheit und Ordnung in unseren Städten!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13527

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Kommunalpolitik
Drucksache 16/14691

Der Antrag der Fraktion der CDU wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen, und zwar mit der Maßgabe, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik liegt als Drucksache 16/14691 vor.

Im Unterschied zur ausgedruckten Tagesordnung haben sich zwischenzeitlich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt, die Reden Reden zu Protokoll zu geben (Anlage 3).

Wir kommen damit sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wir stimmen über den Inhalt des Antrags ab. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag Drucksache 16/13527 mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

12 Überwachung und Datenzugriff im Bereich der Telekommunikation, Fortsetzung: Werden Funkzellenabfragen, Stille SMS und IMSI-Catcher zum Standard bei Ermittlungen nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden?

Große Anfrage 23
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13803

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/14528

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Herrmann hat für die Piraten das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer am Stream! Die Große Anfrage der Piraten zum Einsatz von Funkzellenabfragen, IMSI-Catchern, sogenannten Stillen SMS und anderen Maßnahmen aus dem digitalen Überwachungsinstrumentarium umfasst ein Themengebiet, dem wir Piraten uns immer wieder gewidmet haben – dem Schutz der Grund- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter.

Wir haben in dieser Legislaturperiode mit zwei Großen Anfragen versucht, etwas Licht in das dunkle Verlies der digitalen Überwachungs- und Kontrollabteilungen der Sicherheitsbehörden zu bringen. Die Ergebnisse sind in mehrerlei Hinsicht erschreckend, zunächst wegen der Menge der Abfragen. 7.249 nichtindividualisierte Funkzellenabfragen – das klingt zunächst nicht viel; es sind aber doppelt so viele wie bei unserer ersten Anfrage vor drei Jahren. Wie viele Menschen betroffen sind, wird leider nicht erfasst.

In Schleswig-Holstein, einem ländlich geprägten Bundesland, in dem die Piraten ähnliche Anfragen gestellt haben, betrifft eine einzelne Funkzellenabfrage im Schnitt 15.000 Menschen. Rechnet man diese sehr konservative Zahl für NRW um, hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen 108 Millionen Menschen im Land erfasst, also jeden Bürger in NRW sechsmal im Jahr. Es kann auch ein Mehrfaches davon gewesen sein, was ich vermute. Die Landesregierung erfasst dazu leider keine Informationen. Es ist ihr wohl egal. Das ist kein grundrechtsfreundliches Verhalten, wie ich finde.

Mit dem digitalen Datenstaubsauger, dem IMSI-Catcher, werden völlig wahllos und ohne jede Art von technischen Schutzeinrichtungen Personen überwacht. Die Kommunikation von Rechtsanwälten, Ärzten, Priestern, ja sogar Abgeordneten wird überwacht, friedliche Versammlungen werden überwacht. Die Antwort der Landesregierung führt nichts zu technischen oder organisatorischen Maßnahmen aus, um diese Personenkreise beim Einsatz von IMSI-Catchern zu schützen. Es gibt also keine Maßnahmen. Das Fernmeldegeheimnis ist in NRW also nichts mehr wert. Die Landesregierung erweckt nicht einmal mehr den Anschein, als gehe man sorgfältig mit dieser Digitalwaffe um.

Wenn nun also jeder Bürger in Nordrhein-Westfalen mindestens sechsmal im Jahr betroffen ist, ist das dann noch verhältnismäßig? Stichwort: Ultima Ratio. Eine Maßnahme, die als Ultima Ratio nur dann angewendet werden darf, wenn andere Ermittlungsmethoden keinen Erfolg mehr versprechen – so steht es eigentlich im Gesetz zur Anwendung der Funkzellenabfrage –, verkommt hier offensichtlich zur polizeilichen Standardmaßnahme. Gleichzeitig verletzt die Landesregierung hier wiederholt und bewusst das Recht der Betroffenen, über Eingriffe in ihre Grundrechte informiert zu werden. – Sie tut es einfach nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat kann durch keine Bombe der Welt erschüttert werden. Kein Terroranschlag vermag es, unsere Werte zu zerstören. – So heißt es immer wieder. Dabei zerstören wir gerade die Fundamente unserer Demokratie, weil wir immer mehr Instrumente zur Überwachung einsetzen, um so zu versuchen, nicht vorhersehbare Ereignisse zu verhindern.

Erschreckend dabei ist: Fakten zur Evaluierung der Wirksamkeit dieser Instrumente werden nicht erfasst. Dies haben leider beide Großen Anfragen gezeigt.

Worauf es ankommt, ist Haltung in der Politik sowie die Stärke, um den reflexhaften Rufen nach weitergehenden Maßnahmen und noch größeren Einschränkungen unserer Grundrechte zu widerstehen. Unser demokratischer und freiheitlicher Rechtsstaat muss aktiv verteidigt und geschützt werden. Die gefährliche Spirale der Anti-Grundrechts-Gesetzespakete seit 2001 muss gestoppt werden. Die Freiheit schützt man nicht, indem man sie aufgibt. Man schützt die Freiheit auch nicht, indem man sie einschnürt. Die Schlinge der Überwachungsmaßnahmen zieht sich aber leider immer weiter zu.

Meine Damen und Herren, ich richte mein Wort an all die, die in der nächsten Legislaturperiode im Landtag vertreten sind. Ich fordere Sie auf, nicht länger dem Narrativ der CDU – Sicherheit versus Freiheit – zu folgen. Die Sicherheit dient der Freiheit, und es ist die Aufgabe eines jeden den Bürgerrechten verpflichteten Rechtsstaates, diese Freiheit zu schützen und zu sichern. Das bedeutet auch, nicht alles zu tun, was technisch machbar ist, sondern sich auch bewusst Grenzen zu setzen, um Freiräume zu schützen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Hermann. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kolleginnen und Kollegen der Piraten haben sich in dieser Wahlperiode sehr intensiv dem Anliegen der informationellen Selbstbestimmung gewidmet. Ich erkenne durchaus an, dass Sie da ein ernstes Anliegen haben. Wir haben schon im Ausschuss und auch im Plenum mehrfach darüber debattiert.

Lassen Sie mich aber deutlich machen, dass das Bild, welches Sie von der Praxis in Nordrhein-Westfalen haben, nicht mit dem Bild übereinstimmt, das andere in diesem Haus davon haben. Denn Sie vergessen bei ihrer Aufzählung aus meiner Sicht zwei Dinge:

Erstens. Sie vergessen, dass es sich nicht um wahllose und unbestimmte Maßnahmen handelt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Nicht individualisierte Funkzellenabfragung!)

Ich habe mich kürzlich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 100a der Strafprozessordnung auseinandergesetzt. Ich finde, die Leitsätze sind da wirklich instruktiv und zeigen sehr schön, dass es zum einen eines tatsächlich wichtigen Anlasses bedarf und ein Richtervorbehalt benötigt wird, und dass zum anderen bei Gefahr im Vollzug die Maßnahme auch von Staatsanwaltschaften angeordnet werden kann, dies aber innerhalb einer kurzen Frist der Überprüfung unterliegt.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wieviel Zeit bleibt den Richtern, wenn sie 20 Abfragen an einem Tag bearbeiten müssen?)

Insoweit ist das nicht wahllos, sondern es unterliegt einer engen rechtsstaatlichen Kontrolle.

Dass es in diesem Bereich womöglich zu einem Abwägungsprozess kommt, ist vollkommen klar. Deshalb beschränken wir uns im Allgemeinen und insbesondere – ich sehr stolz darauf, dass der Koalitionspartner und wir hier intensiv zusammengearbeitet haben – im Bereich unseres Polizeigesetzes auch auf schwere Kriminalität. Insoweit ist eine rechtsstaatliche Kontrolle durchaus gegeben.

Zweitens. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Maßnahmen vom Grunde her nicht erfolgen, um zu überwachen. Zu den Fällen, die mich überzeugt haben, gehörte die Verhinderung möglicher Suizide sowie das Auffinden von Personen, die sich in hilfloser Lage befinden, und Ähnliches mehr.

All das hat aber noch einen weiteren Hintergrund, und da könnte leicht eine Grenze überschritten werden: Wir reden ja nicht über Kommunikationsinhalte, sondern wir reden im Wesentlichen über Kommunikationsdaten. Die sind allerdings auch schützenswert; da sind wir ganz nah bei Ihnen.

Es war verdienstvoll und wichtig, dass Sie die Diskussion immer wieder angerissen haben. Wir können uns Ihren Bedenken jedoch nicht anschließen, wenn es darum geht, die Praxis in unserem Lande zu kritisieren. Insoweit bedanke ich mich im Namen meiner Fraktion für die wertvolle Diskussionen, die wir mit Ihnen geführt haben. Im Ergebnis können wir Ihren Bedenken aber nicht beitreten. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rickfelder.

Josef Rickfelder (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Digitale Kommunikations- und Informationssysteme sowie die entsprechenden Netze werden inzwischen immer öfter zu Hilfsmitteln bei Straftaten. Eine erfolgreiche Verbrechensbekämpfung setzt daher voraus, dass auch die Strafverfolgungsbehörden diese vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzen können, um die Straftaten zu bekämpfen.

Dazu gehören auch die in der Großen Anfrage der Piraten thematisierten Funkzellenabfragen, Ortungsimpulse usw. Bei diesen strafprozessualen Möglichkeiten werden – und darauf weist die Landesregierung zu Recht hin – keine Kommunikationsinhalte erfasst. Diese Maßnahmen werden zudem ausschließlich auf der Basis eines richterlichen Beschlusses oder bei Gefahr in Verzug aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung durchgeführt. Herr Körfges hat das gerade auch schon erklärt. Diese muss dann binnen drei Tagen noch richterlich bestätigt werden.

Dies alles macht deutlich, dass der Einsatz dieser strafprozessualen Maßnahmen strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterliegt. Die von der Landesregierung mitgeteilten Fallzahlen lassen auch aus Sicht der CDU-Fraktion außerdem den Schluss zu, dass die Polizeibehörden in NRW sehr verantwortungsvoll mit diesen Möglichkeiten umgehen.

Eine darüber hinaus gehende Interpretation der von den Piraten erfragten Fallzahlen dürfte kaum möglich sein. Weshalb sich der Landtag vor diesem Hintergrund überhaupt vertieft mit dieser Thematik befassen sollte, ist aus Sicht der CDU-Fraktion nicht erkennbar.

Abschließend möchte ich gerne noch persönlich erklären – das ist mir als ehemaligem Polizeibeamten doch sehr wichtig –, dass bei Ihren politischen Aktivitäten immer wieder das Gefühl entsteht, Polizeibeamtinnen und -beamte unter einen Generalverdacht zu stellen. Das macht mich schon ein wenig betroffen. Ich weiß, dass die Polizisten in unserem Land rechtsstaatlich arbeiten. Es wäre schön, wenn Sie das endlich zur Kenntnis nähmen.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies war – wenn auch eine kurze – meine letzte Rede heute hier. Ich möchte die Gelegenheit zum Anlass nehmen, mich für die Kollegialität und den Respekt, den ich hier erfahren habe, zu bedanken. Ich wünsche Ihnen und dem Land Nordrhein-Westfalen für die Zukunft Gottes Segen. – Danke schön.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rickfelder, für Ihre Rede, aber auch für Ihre Arbeit hier im Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Parlament wünscht Ihnen – sicherlich fraktionsübergreifend – für die Zukunft alles, alles Gute! Vielen Dank!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Rickfelder, auch von meiner Seite wünsche ich Ihnen alles Gute. Vielen Dank für die Zusammenarbeit im Innenausschuss, die ja nicht ganz so einfach ist wie beispielsweise die Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Medien, der beim Tagesordnungspunkt davor eine Rolle gespielt hat.

Ich muss Ihnen aber trotzdem direkt widersprechen. Ich meine, es ist durchaus sinnvoll, dass die Piratenfraktion im Rahmen von zwei Großen Anfragen auf das Thema „Stille SMS, Funkzellenabfragen, IMSI- und WLAN-Catcher“ aufmerksam gemacht hat, weil das eben durchaus mit Grundrechtseingriffen verbunden ist. Das mögen gegenüber vielen anderen Maßnahmen, die bei den Sicherheitsbehörden auch möglich sind, für den individuell Betroffenen mildere Grundrechtseingriffe sein – das stimmt –, aber es sind eben auch viele Personen betroffen. Insofern ist es durchaus richtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Nichtsdestotrotz muss man sich dann auch jeweils die Grenzen vor Augen führen, die das Zahlenwerk, das Sie jetzt zweimal abgefragt haben, hat. Man kann nicht – wie Sie das manchmal suggerieren, Herr Kollege Herrmann – sagen: Es gibt soundso viele Funkzellenabfragen oder soundso viele Stille SMS, und das legen wir neben Ermittlungserfolge. Dadurch haben wir dann eine einfache Gleichung

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

– das kommt manchmal in Ihren Debattenbeiträgen vor –, wie angemessen, wie verhältnismäßig, wie sinnvoll das eine oder andere Mittel ist. – Das ist doch eine etwas komplexere Frage. Nichtsdestotrotz haben Sie durchaus immer wieder Anlass geboten, darüber zu diskutieren.

Ich meine, man sollte diese Debatte auch auf einer übergeordneten Ebene fortführen, wo dann diese Fragen durchaus instruktiv sein können.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann zulassen?

Matthi Bolte (GRÜNE): Gerne.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, dass wir uns im Innenausschuss mit einem eigenen Antrag zur Aufstellung einer Erhebungsmatrix zur Erfassung zusätzlicher Daten bemüht haben, Grundlagen für die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit von Funkzellenabfragen zu schaffen. Sie haben das, glaube ich, leider mit abgelehnt.

Matthi Bolte (GRÜNE): Lieber Kollege Herrmann, selbstverständlich erinnere ich mich an alle Anträge der Piratenfraktion, die wir in dieser Legislaturperiode im Innenausschuss beraten haben,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Oh, das ist schon mal gut!)

an einige lieber und an andere weniger gerne. – Jetzt konkret zur Erhebungsmatrix: Sie haben den Antrag ja schon nach dem ersten Durchgang dieser Großen Anfrage gestellt, und er ist kürzlich noch einmal aufgerufen worden. Auch das war letzten Endes wieder der Versuch – wenn auch auf einer etwas anderen Datengrundlage, zugestanden –, über quantitative Erhebungen die Wirksamkeit dieser verschiedenen Instrumente, die hier in Rede stehen, jeweils zu beleuchten. Das, glaube ich, geht tatsächlich nicht. Denn bei der Komplexität in so einem Verfahren können Sie nicht sagen: Dadurch, dass wir vielleicht nur 100 Ortungsimpulse geschickt haben, aber nicht 1.000 Ortungsimpulse geschickt haben,

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

ist das jetzt zu dem einen oder anderen Erfolg gekommen oder nicht gekommen. – Das ist einfach schwierig, zumal man die Realität nicht unter Laborbedingungen untersuchen kann und auch nie die Alternativhypothese verfolgen kann. Von daher: Auch bei anderer Erhebungsgrundlage, muss ich da einfach sagen, ist das schwierig.

Wenn wir uns jetzt die Zahlen im Einzelnen angucken, sehen wir ja auch, dass die Volatilität zum Teil in den einzelnen Bereichen sehr, sehr groß ist. Wir haben uns die Schwankungen gerade bei Funkzellenabfragen angeguckt. Da gibt es eine gewisse Zunahme vom letzten Jahr auf dieses Jahr. Die kann man aber im Grunde genommen an einem Deliktsbereich, nämlich beim Bandendiebstal, festmachen. Bei allen anderen sind die Entwicklungen einigermaßen ausgeglichen. Da bieten sich Nachfragen durchaus an.

Es gibt deutlich weniger Stille SMS. Das lässt sich möglicherweise schlicht durch Veränderungen bei anhängigen Verfahren erklären, gerade die großen Schwankungen in den großen Zahlen. Das zeigt aber nichtsdestotrotz, dass dieses Mittel durchaus verantwortungsvoll eingesetzt wird bei der nordrhein-westfälischen Polizei, dass man sich eben fragt: Bringt dieses Mittel jetzt etwas oder bringt es nichts?

Es ist ein guter Zeitpunkt, unter dem Aspekt des Datenschutzes zurückzuschauen. Die letzten fünf Jahre waren nach meiner Einschätzung gut für den Schutz der informationellen Selbstbestimmung in unserem Land. Wir haben die LDI weiter gestärkt. Wir haben im Telekommunikationsbereich Freiheiten geschützt. Wir haben an verschiedenen Stellen Klarstellungen gerade in diesem Bereich herbeigeführt. Es hat sich auch gezeigt, dass das durchaus notwendig war, was IMSI-Catcher angeht, was Bestandsdatenabfragen angeht und Ähnliches. Da haben wir die Prüfungsvoraussetzungen hochgesetzt und die Einsatzbedingungen konkretisiert. Ich glaube, das war im Großen und Ganzen durchaus im Sinne der bürgerlichen Freiheitsrechte. Das zeigt aber auch, dass es wichtig ist, diese Debatte stets weiterzuführen.

Die rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben, so glaube ich, in den letzten Jahren gezeigt, dass es auch in sicherheitspolitisch sehr, sehr schwierigen Zeiten möglich ist, einen hohen Grundrechtsschutz und die Verhältnismäßigkeit von Polizeiarbeit zu gewährleisten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wedel das Wort.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Piraten unterstellen Polizei und Strafverfolgungsbehörden in der Vorbemerkung zur Großen Anfrage einen extensiven Gebrauch von Funkzellenabfragen und IMSI-Catchern. Dabei gilt es zunächst zu unterscheiden, ob es sich um polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr nach dem Polizeigesetz NRW oder um Maßnahmen der Strafverfolgung nach der Strafprozessordnung handelt. Daneben stehen noch Maßnahmen nach dem Verfassungsschutzgesetz. Will man betrachten, wie sich die Fallzahlen entwickelt haben, muss man das auch nebeneinanderstellen, um einen Gesamtüberblick zu erhalten.

Erstens. Im Juli 2013 wurden die Paragrafen 20a und 20b in das Polizeigesetz NRW aufgenommen. Zu den Maßnahmen hat die Landesregierung dem Landtag jährlich zu berichten. Nach drei Jahren sollte eine Evaluierung erfolgen. Obwohl die Berichte der Halbjahre 2013/14 und 2014/15 jeweils vor dem 15. März des nächsten Jahres vorlagen, konnte ich den Bericht zu 2015/16 bisher nicht finden, ebenso wenig wie die fällige Evaluierung.

Die bisher bekannten Zahlen und Zwecke der Datenabfrage – weit überwiegend Vermissten- und Suizidfälle – geben bisher keinen Anlass, an der Rechtskonformität zu zweifeln. 4,1 Maßnahmen pro Tag bei 47 Kreispolizeibehörden erscheinen in der Summe noch im Rahmen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ultima Ratio war das!)

Zweitens. Zum Bereich der Strafverfolgung: Die Gesamtzahl von 258 Einsätzen von IMSI-Catchern entsprechend der gesetzlichen Vorgabe in § 100i Abs. 1 StPO ausschließlich zur Aufklärung von Straftaten von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung erscheint im Rahmen – auch wenn es hier Steigerungen gibt. Der Einsatz von sogenannten WLAN-Catchern ist verschwindend gering.

Die Zahl von fast 179.000 verschickten Stillen SMS im Jahr 2016 erscheint dagegen hoch, ist im Vergleich zu den Vorjahren jedoch deutlich geringer. Die Crux dabei: Aus der Anzahl der versandten Ortungsimpulse kann weder auf die Anzahl der von dieser Maßnahme betroffenen Mobilfunkanschlüsse noch auf die Zahl der tatsächlich aus der Versendung des Ortungsimpulses erzeugten Verkehrsdaten geschlossen werden – so das Innenministerium in der Vorauflage der Antwort.

Mangels konkreter Angaben zur Verwendungspraxis bleibt die Antwort der Landesregierung allerdings inhaltsleer. Aus Sicht der FDP-Fraktion ist es angezeigt und kann man erwarten, dass Sie die Anzahl der Beschlüsse und Tatverdächtigen sowie Straftatbestände benennen können, nach denen eine Überwachung durch Versendung von Ortungsimpulsen erfolgt. Es muss doch auch in Ihrem Interesse sein, darzulegen, dass nur eine gewisse Zahl an Tatverdächtigen entsprechender Straftaten auf klarer Rechtsgrundlage von solchen Maßnahmen betroffen ist und nicht eine breite Masse.

Nichtindividualisierte Funkzellenabfragen gab es in NRW im Jahr 2016 7.249, also knapp 20 pro Tag. Das entspricht einer Verdreifachung gegenüber 2011. Auffällig ist, dass insbesondere die Anträge wegen Bandendiebstahls massiv angewachsen sind: von 527 im Jahr 2011 auf 2.203 im Jahr 2016. – Kurz: Sie haben sich vervierfacht.

Ist die Mobilfunknummer oder die sonstige Kennung einer Zielperson noch nicht bekannt, können durch eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage die Verkehrsdaten aller Mobilfunkteilnehmer erhoben werden, die sich zu einer bestimmten Zeit im Raum einer näher bezeichneten Mobilfunkzelle aufhalten oder aufgehalten haben. Dabei werden nur aktiv gewordene Endgeräte erfasst. Durch eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage können schnell eine Vielzahl von Personen erfasst werden oder zufällig anwesende Personen in Rechtfertigungsbedarf kommen. Funkzellenabfragen unterliegen daher dem Richtervorbehalt.

Drittens. Die Zahlen für den Verfassungsschutz können Sie in Vorlagen an das PKG offen nachlesen. Überraschend ist, dass der Einsatz von IMSI-Catchern oder Stillen SMS zur Überwachung von Gefährdern sehr gering ausfällt und hier die Angaben, die bei der Strafverfolgung zu Stillen SMS fehlen, erfolgen. Im Jahr 2015 waren insgesamt 26 Personen von diesen Maßnahmen betroffen. In sieben dieser Fälle wurden zudem Maßnahmen gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 12 Verfassungsschutzgesetz NRW angeordnet. Im Rahmen von drei Maßnahmen wurden IMSI-Catcher eingesetzt, und in zwei dieser drei Maßnahmen erfolgte zusätzlich der Versand von insgesamt 25 Stillen SMS. Diese Darstellung sollte zum Vorbild genommen werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger*), Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Herrmann, Ihre Sorge, dass die nordrhein-westfälische Polizei das Land flächendeckend mit Funkzellenabfragen, Stillen SMS und sonstigen Maßnahmen überflutet, ist unbegründet. Ich hoffe, ich werde Ihnen diese Sorge mit meinen nächsten Worten nehmen.

Die Sorge ist schon deshalb unbegründet, weil die Frage, ob solche Mittel zum Einsatz kommen oder nicht, nicht alleine von der Polizei beantwortet wird. Wir haben das schon bei der Großen Anfrage 10 vor drei Jahren ausdrücklich diskutiert. Das gilt alles auch heute noch; ich werde es stichpunktartig wiederholen.

Die von Ihnen genannten Maßnahmen werden nur auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses oder bei Gefahr im Verzug durchgeführt. Wenn sie wegen der Gefahr im Verzug durchgeführt werden, muss dafür eine Eilanordnung der Staatsanwaltschaft vorliegen. Diese Eilanordnung muss wiederum innerhalb von drei Tagen richterlich bestätigt werden. Diese Anordnung ist im Übrigen, Herr Herrmann, grundsätzlich nur bei schweren Straftaten möglich. Und bei allen Maßnahmen gilt: Inhalte der Kommunikation werden nicht erfasst.

Fakt ist: Das digitale Verbrechen ersetzt peu à peu analoge Begehungsformen. Darauf müssen sich unsere Ermittlungsbehörden einstellen können. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität sind die in der Großen Anfrage genannten Maßnahmen unerlässlich, Herr Herrmann. Ein Beispiel ist für mich die Bekämpfung der Bandenkriminalität. Zur Identifizierung und Überführung von Banden, die durch NRW bzw. Deutschland reisen, um beispielsweise Einbrüche oder Diebstähle zu begehen, sind Funkzellenabfragen unerlässlich. Fast 40 % der Funkzellenabfragen wurden im Zusammenhang mit Bandenkriminalität und schwerer Bandenkriminalität angeordnet.

Wir müssen ständig mit der Zeit gehen. Die technische Entwicklung aufseiten der Kriminellen schreitet voran. Unsere Sicherheitsbehörden müssen damit Schritt halten können. Die meisten Straftäter haben von SMS-Diensten oder Internet-basierten Diensten wie WhatsApp oder Skype umgeschwenkt.

Das ist insofern ein Problem, als es bei diesen Plattformen um Daten geht, die verschlüsselt sind. Polizei und Staatsanwaltschaften haben da bisher kaum eine Handhabe. Das muss der Gesetzgeber im Bund dringend regeln. Es kann nicht sein, dass in der Online-Welt andere Gesetze gelten als in der Offline-Welt. Zukünftig sollte es möglich sein, dass Sicherheitsbehörden den notwendigen Zugriff auf Kommunikation bekommen – und das, Herr Herrmann, bevor sie verschlüsselt wird.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache und stelle fest, dass die Große Anfrage 23 der Piratenfraktion erledigt ist.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 12.

Wir kommen nun zu:

13 Gesetz zur Harmonisierung und Stärkung des Informationsfreiheitsrechts und Zugang zu maschinenlesbaren Daten (OpenData-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14379 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/14692

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen van den Berg das Wort. – Da eilt er auch schon herbei, auf verschlungenen Wegen. Hallo, Herr van den Berg!

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs der Piraten haben wir schon einige Ausführungen dazu hier im Hause gemacht und auch Bewertungen vorgenommen.

Sie konnten dem Bericht des Innenausschusses entnehmen, dass es dort nur eine sehr kurze Beratung geben konnte. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich entsprechend eingelassen und deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht dieser Gesetzentwurf entbehrlich ist. Es sind dort viele kritische Fragen gestellt worden, die nicht beantwortet werden konnten. Insbesondere ging es um die Frage, inwieweit das eigentlich nach Bürgerrecht konzipierte Informationsfreiheitsgesetz jetzt auf juristische Personen auszuweiten ist.

Die kommunalen Spitzenverbände haben ferner deutlich gemacht, dass sie die Sorge haben, dass beträchtliche Zusatzaufwände – insbesondere bei Schulungen und bei Fortbildungen – ausgelöst werden könnten. Weiter haben sie deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht die nach dem Gesetzentwurf vorgesehene Regelung der Kostenerstattung nicht hinnehmbar sei.

Hinsichtlich der elektronischen Form, die künftig für Antworten vorgesehen sein soll, haben die kommunalen Spitzenverbände – wie wir finden, völlig zu Recht – den Hinweis gegeben, dass das eigentlich ein Sachverhalt ist, der nicht in diesem Gesetzestext zu regeln wäre, sondern viel treffender in § 4 Absatz 1 des E-Government-Gesetzes.

Von daher kommen wir zu demselben Ergebnis wie bei der Einbringung: Dieses Gesetz ist nicht zustimmungsfähig. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Hegemann das Wort.

Lothar Hegemann*) (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zum Gesetz reden, dann aber auch noch ein paar Sätze darauf verwenden, dass dies nach 37 Jahren Landtag meine letzte Rede hier ist.

Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, aber nicht deshalb, weil wir ihn in Gänze für falsch halten, sondern weil es kein geregeltes Beratungsverfahren mehr gab.

Zunächst einmal stelle ich fest: Wenn das Land sagt: „Es gibt ein individuelles Informationsgesetz und kein kollektives“, dann ist mir das grundsätzlich nicht unsympathisch. Das müsste man dann aber auch bei der Verbandsklage sagen; da bin ich auch dagegen. Die Tatsache jedoch, dass in fast allen anderen Bundesländern eine andere Praxis herrscht als in Nordrhein-Westfalen, ist durchaus diskussionswürdig. Das muss doch Gründe haben. Ich empfehle dem neuen Landtag daher, mit ausreichend Zeit darüber noch einmal zu diskutieren. Ich werde nicht mehr dabei sein – aber nicht aus Desinteresse, sondern weil meine Zeit hier abgelaufen ist.

Meine Damen und Herren, ich habe hier im Landtag viele Kollegen kommen und gehen sehen. In allen Fraktionen habe ich Menschen kennengelernt, was ich nicht missen möchte. Ich habe mich gefreut, dass ich sie kennenlernen durfte. Im Umgang war ich nicht immer einfach. Das liegt unter anderem auch daran, dass ich nicht leise sprechen kann. Es war schon in der Schule mein Problem, dass ich nicht abschreiben konnte, ohne dass der Lehrer es gemerkt hat.

Ich bin jedoch der Meinung, dass Politik auch Auseinandersetzung, auch Streit sein muss. Sie darf nicht nur im Ablesen von Reden bestehen, die kluge Leute aufgeschrieben haben. Es muss das Wort und das Widerwort geben, so wie man es unten im Eingangsbereich auf der Bronzeskulptur von Ewald Mataré – „Phönix“ – lesen kann: „Um’s Wort und Widerwort und wieder Wort“.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, im Jahr 1980 habe ich gedacht: An und für sich ist die Nachkriegszeit vorbei; die großen Aufbauleistungen sind geschafft. Ich habe mich gefragt: Haben wir eigentlich noch genug Themen für die nächsten Jahre, oder haben wir nicht schon alles irgendwo geregelt und geschafft?

Ich musste feststellen, dass es heute viel mehr Themen gibt, die zu besprechen sind, als man damals absehen konnte. Es gibt einen viel höheren Regelungsbedarf. Das, was andere als Bürokratie bezeichnen, ist – das sage ich mal so – der Versuch der Politik, es vielen Menschen gerecht zu machen. Es wird sehr viel geregelt, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Das wird dann oft als Bürokratie angesehen, und man fragt: Was soll der Blödsinn?

Bei der Wiedervereinigung habe ich festgestellt, dass wir den öffentlichen Dienst dringend brauchen. Viele haben immer gesagt: Na ja, das ist alles so aufgeblasen. Brauchen wir das überhaupt? – Ich sage Ihnen: Ohne öffentlichen Dienst wäre in den neuen Bundesländern keine Verwaltung möglich gewesen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich, was das angeht, bei der Wiedervereinigung in einem hervorragenden Maße engagiert.

(Beifall von der CDU)

Wir hatten es 1980 mit Themen zu tun, an die heute kein Mensch mehr denkt. Beispielsweise haben wir seinerzeit darüber diskutiert, den Hochtemperaturreaktor in Hamm ans Netz zu bringen, dessen Kugeln Sie jetzt wiedergefunden haben, Frau Ministerin. Der ist am Ende nur 14 Tage gelaufen. Aber das damals ein riesiges Thema.

Wir haben auch darüber diskutiert, ob eine Autobahn durchs Rothaargebirge führen soll. Ich habe damals gesagt: Eine ökologisch verantwortbare Autobahn nach neuesten Erkenntnissen wäre sinnvoll. Eine Einigung hierüber war über Parteigrenzen hinweg nicht möglich. Nach der Wiedervereinigung hat man gesagt: Mensch, da fehlen 100 km Autobahn von Aachen bis Zwickau. Es wäre eine tolle Sache gewesen, wenn wir die gehabt hätten. Auch das ist heute nicht mehr machbar. – Wir haben uns über viele andere Dinge aufgeregt, über die heute kein Mensch mehr spricht.

Ich unterstelle, dass alle Kollegen ihr Bestes für dieses Land gegeben haben. Es lohnt sich, sich für dieses Land und für seine Menschen zu engagieren. Es gibt noch viel zu tun.

Ich weiß, es hat immer auch zwischenmenschliche Auseinandersetzungen gegeben; es hat tragische Geschichten gegeben. Aber irgendwie haben wir, auch wenn wir uns nicht immer in die Arme gefallen sind, zu dem Konsens gefunden, dass es sich lohnt, für diese Menschen Politik zu machen. Wir haben allerdings auch versucht, den Menschen Politik nahezubringen. Das ist für die Landespolitik am schwierigsten. Sie wird oft zwischen Kommunalpolitik und Bundespolitik zerrieben.

Ich kann nur sagen: Ich bin dankbar, dass ich in den letzten 37 Jahren meinen Teil dazu beitragen konnte. Ich wünsche diesem Land alles Gute und Gottes Segen. Was man allerdings auch noch braucht, ist ein bisschen Glück. Deshalb sage ich: „Glück, tu dich auf“, oder, wie die Bergleute sagen: Ein herzliches Glück auf!

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege Hegemann, nicht nur für Ihre sehr nachdenkliche Rede. Sie haben jetzt ein bisschen durchscheinen lassen, was Sie alles in der Politik erlebt haben.

Sie sind im Jahr 1980 zum ersten Mal in den Landtag gewählt worden – zu einem Zeitpunkt, als sich die meisten der aktuellen Abgeordneten noch nicht vorstellen konnten, einmal Abgeordnete zu werden – wenn sie sich überhaupt schon irgendetwas vorstellen konnten. Das zeigt, über welch langen Zeitraum Sie die Politik begleitet und mit wirklich großem Engagement mitgestaltet haben.

Dafür, lieber Kollege Hegemann, gebührt Ihnen partei- und fraktionsübergreifend der Dank des gesamten Landtags Nordrhein-Westfalen. Ihnen alles, alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Auch nach solchen nachdenklichen Augenblicken müssen wir in der Tagesordnung voranschreiten. So ist das Geschäft. Niemand kennt es besser als der Kollege Hegemann.

Das heißt: Nächster Redner ist für die Fraktion der Grünen Herr Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Danke schön. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hegemann, an dieser Stelle auch von meiner Seite einen ganz herzlichen Dank für die spannenden Ausführungen dazu, womit sich der Landtag in Ihrer langen Zeit in diesem Haus politisch beschäftigt hat. Der Präsident hat gerade schon ausgeführt, was für eine lange Zeitspanne das ist. Ich war noch gar nicht auf dieser Welt – wahrscheinlich war ich noch nicht einmal in Planung –, als Sie zum ersten Mal in dieses Haus eingezogen sind.

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Deswegen sage ich: Ich habe großen Respekt vor dem, was Sie in diesem Haus bewegt und geleistet haben – auch wenn ich mich nicht an viele Situationen erinnern kann, in denen wir den letzten fünf Jahren, die wir zusammen im Innenausschuss sowie im Kultur- und Medienausschuss verbracht haben, einer Meinung waren. Dennoch herzlichen Dank, alles Gute und Gottes Segen!

(Beifall von den GRÜNEN)

Von hier aus zum Thema „maschinenlesbare Daten“ zu kommen – das ist jetzt allerdings ein sehr großer Schritt.

In der ersten Lesung haben wir über die Defizite dieses Gesetzentwurfs der Piratenfraktion gesprochen und dass wir an vielen Stellen nicht ganz nachvollziehen konnten, warum es kurz vor Toresschluss noch dieses Gesetzentwurfs bedurfte und was durch ihn verbessert werden könnte.

Diese Bedenken sind durch die antragstellende Fraktion im Innenausschuss nicht ausgeräumt worden. Insofern bleibt es bei den aus der ersten Lesung bekannten Argumenten, dass wir den Gesetzentwurf in dieser Form nicht brauchen.

Ich möchte aber an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, mich ganz herzlich bei dem Kollegen Herrmann und auch seiner Fraktion für die vielen Impulse in der parlamentarischen Arbeit zu bedanken. Sie haben es uns nicht immer leicht gemacht. Ich habe eben schon gesagt, dass ich mich an sehr viele Ihrer Anträge erinnere, weil ich – zumindest gefühlt – einen großen Teil der Anträge, die aus der Piratenfraktion kamen, bearbeiten durfte und auch immer zuständig war, wenn meiner Fraktion niemand anderes einfiel. Als Netzpolitiker ist man da relativ nah dran.

Insofern vielen Dank für Ihre Impulse für unsere Arbeit und auch Ihnen alles Gute. Viele von Ihnen haben ihre Reden in den letzten Tagen mit „Auf Wiedersehen!“ beendet – möglicherweise, darüber entscheidet der Souverän in diesem Haus. Wenn nicht hier, dann mit Sicherheit an anderer Stelle. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es kurz machen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Piraten habe ich mich für die FDP-Fraktion in der ersten Lesung am 16. März dieses Jahres eingehend auseinandergesetzt. Die Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände ist erwartungsgemäß negativ ausgefallen. Die Beratung im Innenausschuss hat zu keinen neuen Erkenntnissen geführt.

Ich kann daher vollumfassend auf meine Ausführungen in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs verweisen. Der Gesetzentwurf ist in der vorliegenden Form nicht zustimmungsfähig. Die FDP-Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Das führt uns umso schneller zu Herrn Kollegen Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und im Stream! Wir Piraten wollen die Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen stärken. Das ist der Grund, warum wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben. Denn weder Rot noch Grün stehen in diesem Land für Transparenz. Beide Fraktionen haben es in den letzten fünf Jahren nicht geschafft, den Entwurf für ein Transparenzgesetz in den Landtag einzubringen.

Auch wenn die Abgeordneten von der SPD und den Grünen regelmäßig etwas anderes behaupten: Transparenz per Gesetz hat es mit Ihnen nicht gegeben. Vielfältig sind die Ausreden, mit denen Anträge und Gesetzentwürfe von uns Piraten zu mehr Transparenz, zu mehr Offenheit, zu Open Data und zu offenen Standards abgelehnt wurden. Aktuell heißt es eben, das sei zu kurzfristig.

Was es bei Rot-Grün gegeben hat, waren freiwillige und unverbindliche Angebote. Ich habe hier noch den Bericht zum „Fortschritt von Open Data in der Landesverwaltung“. Er ist ungefähr ein Jahr alt. Da ist ganz toll erzählt, was man so alles vorhat: Unter anderem steht darin, dass das Transparenzgesetz noch im ersten Halbjahr im Innenministerium beraten wird und in der Ressortabstimmung ist. Das ist dann ja leider auf der Strecke geblieben.

Das Open.NRW-Projekt: befristet bis nach der Wahl; Transparenz immer nur dann, wenn sie der Mehrheit gefällt, wenn man die eigene Arbeit gut darstellen will oder wenn man durch vermeintliche Transparenz von den eigentlichen Problemen ablenken möchte. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich Kollege Stotko heute Mittag hierhinstellt und die Veröffentlichung der Zeugenaussagen im PUA „Anis Amri“ noch vor der Beweiswürdigung und dem Schlussbericht des PUA ankündigt?

Zugleich hat man uns die sowieso jährlich zu erhebenden Zahlen von Straftaten in Verbindung mit der Videoüberwachung in der Düsseldorfer Altstadt vorenthalten, und zwar mit dem Hinweis, dass die Bekanntgabe der Zahlen der für 2018 vorgesehenen Evaluierung vorgreifen würde. Das passt irgendwie nicht zusammen.

Das ist nicht die Art von Transparenz, die wir Piraten wollen. Wir wollen Transparenz per Gesetz, verbindlich für alle Stellen und Einrichtungen, die öffentliche Aufgaben ausführen. Wir wollen ein einklagbares Recht für die Öffentlichkeit, Zugang zu Informationen, Akten und Daten der öffentlichen Hand zu erhalten.

Auch der viel gefeierte Open-Government-Pakt des Innenministers mit den Kommunen ist nicht viel mehr als eine Absichtserklärung auf freiwilliger Basis. Da hat man einen Kongress veranstaltet, da hat man Experten zu nichtöffentlichen Diskussionsrunden ins Ministerium eingeladen. Herr Minister Jäger, gibt es denn im Open-Data-Portal des Landes bis heute auch nur einen einzigen Datensatz, der von allen Kommunen eingestellt wurde? Können Sie einen nennen? – Also nein, da ist nichts. Das spricht dann auch Bände über die Qualität des Open-Government-Pakts.

([Josef Hovenjürgen [CDU]: Dafür trägt er keine Verantwortung! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Man muss auch Angebote machen, damit sie angenommen werden können. Dafür gibt es ein System!)

Weil uns all das nicht reicht, wollen wir ein Recht auf Open Data per Gesetz. Wir wollen, dass es ein verbindliches, notfalls einklagbares Recht auf Open Data gibt, auf die Bereitstellung von vorhandenen digitalen Daten der öffentlichen Hand im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes.

Nach den Bemerkungen meiner Vorredner ist mit einer Zustimmung für dieses Gesetz wohl nicht zu rechnen. Herr Kollege Hegemann, ich bedanke mich für Ihre Anmerkungen. Ich hatte fast den Eindruck: Wenn wir hier weiter zusammengearbeitet hätten, hätten wir es vielleicht doch noch gemeinsam durchgebracht. Dazu wird es nun nicht mehr kommen, aber einen Hinweis möchte ich im Zusammenhang mit Open Government/Open Data noch geben: Besonders die Konrad-Adenauer-Stiftung ist da sehr weit vorne.

Da wir hier wohl nicht mehr zusammenarbeiten können, wird es noch weiterer Anläufe bedürfen. Ganz offensichtlich ist es für Transparenz in Nordrhein-Westfalen notwendig, dass die Piraten im Landtag vertreten sind. Die werden hier gebraucht.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, einige von Ihnen wissen, dass ich nicht mehr für den nächsten Landtag kandidiere. Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken für die gute und bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr faire Zusammenarbeit.

Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich hier in der Zeit als Abgeordneter sammeln konnte, und für die Möglichkeit, die eine oder andere Anregung eingebracht zu haben. Ich weiß, dass meine Nachfragen und Berichtsanforderungen manchmal genervt haben, vor allem das Ministerium, den Minister. Aber ich finde, das muss so sein. Ich kann nur sagen: Es war nie Selbstzweck. Eigentlich waren es noch viel zu wenige; es hätten durchaus noch mehr sein können.

(Heiterkeit)

In diesem Sinne vielen Dank und auf Wiedersehen – wann und wo auch immer.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. Auch Ihnen im Namen des Hohen Hauses alles Gute für die Zukunft! – Das Wort hat die Landesregierung in Person von Herrn Minister Jäger.

Ralf Jäger*), Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag bereits in der letzten Plenarrunde diskutiert. Der Fachausschuss hat ein klares Votum getroffen. Es gibt keinen Anlass für die Landesregierung, dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen.

Herr Herrmann, es ist in der Tat richtig, dass Sie Ihr Amt, Ihr Mandat mit großem Eifer und großer Energie ausgeführt und ausgefüllt haben. Entsprechend hoch war der energetische Aufwand meines Ministeriums, die Vielzahl Ihrer Kleinen Anfragen zu beantworten und entsprechende Stellungnahmen zu diversen Anträgen im Innenausschuss zu beantworten. Aber Sie können sicher sein, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das gerne getan haben, weil es immer darum ging, mit Respekt vor diesem Parlament den Abgeordneten so zu begegnen, dass möglichst umfangreich Fragen beantwortet und Stellungnahmen ausgearbeitet werden.

Herr Hegemann, Herr Hermann, ich wünsche Ihnen persönlich für Ihre Zukunft alles Gute.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14692, den Gesetzentwurf Drucksache 16/14379 (Neudruck) abzulehnen. Wir stimmen somit über den Gesetzentwurf selbst ab und nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf also fragen, wer für den Gesetzentwurf der Piratenfraktion ist. – Das sind die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schulz. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und der fraktionslose Kollege Stüttgen. Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/14339 – Neudruck – abgelehnt ist.

Ich rufe auf:

14 Nordrhein-Westfalen smartgerecht neu bauen. Großstadt und Sonderwirtschaftszone Garzweiler

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14659

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Bayer das Wort.

Oliver Bayer*) (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Streamgäste! Erst wenn der letzte Braunkohlebagger das rheinische Revier verlassen hat, erst wenn die Folgekosten des Braunkohletagebaus mal ausgerechnet sind, werdet ihr merken, dass es nicht glücklich macht, 40 Jahre lang Wasser in ein Loch laufen zu lassen.

Ja, auch wenn Rot-Grün hier immer wieder für ein Braunkohleverstromungsschutzgebiet kämpft, anstatt über ein Braunkohleausstiegsgesetz nachzudenken, denken Sie alle natürlich darüber nach, was eigentlich nach der Braunkohle mit dem Rheinischen Revier passieren könnte, und zwar vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. Arbeitsplätze im Energiesektor und in der Logistikbranche werden da erträumt.

Wie einfallslos! Jede Region sieht ihre Zukunft in der Logistikbranche. Etwas Mutloseres und Aussichtsloseres kann ich mir eigentlich kaum vorstellen. Dieses Silicon-Valley-Feeling, das man gerne hätte, dieser Nährboden für große Kreativität, neue Ideen und Start-ups, die später zu Giganten werden – das entsteht niemals, indem man auf Nummer sicher geht, indem man kein Risiko eingeht und nichts wagt, was mit der Standardpolitik bricht.

Politiker sind keine Manager, und sie sollten auch keine Manager sein. Vor allem aber darf eine Bundeskanzlerin oder eine Ministerpräsidentin keine Verwalterin sein, die die Zukunft des Landes irgendwie im Best-Practice-Verfahren aushandelt. Vielmehr muss sie Utopien aufbauen. Denn ohne Utopien gibt es keine positive Zukunft, die als Ziel vor einem liegt oder die es zu erreichen gilt. Utopielosigkeit in der Politik führt zu Depressionen. Aus Mangel an Utopien und Perspektiven entstehen Resignation, Frust, Wut, Gewalt, Protektionismus, Abgrenzung und Krieg.

Politik heute will so allerhand Dystrophien stoppen – also den Klimawandel, die Finanzkrise, Terror, Hass, kaputte Brücken, bedrohliche Zuwanderung, wirtschaftlichen Abstieg. All das soll gestoppt werden. Wenn aber die schönste politische Vorstellung von der Zukunft die ist, dass alles nicht noch schlimmer wird, dann ist das eine politische Sackgasse. Dann überdeckt Zynismus den politischen Alltag, und jeder Schritt wird zur mühsamen Kraftanstrengung.

Dann herrscht Hoffnungslosigkeit. Wer ohne eine erstrebenswerte Zukunft lebt, lebt in Depression, egal wie gut die Alltagspolitik sein mag. Auch ein gutes Bildungsprogramm oder eine ordentliche Familienpolitik ersetzen keine Utopie. Dabei ist es völlig egal, was gerade wichtig wäre oder nicht: Utopien werden in der Politik dringend gebraucht; denn Utopien machen nicht nur Sinn, sondern sie bringen Sinn. Utopien sind das Lebenselixier jeder erfolgreichen politischen Epoche.

Idealstädte, wie in unserem Antrag beschrieben, sind erlebbare Manifestationen von Utopien. Deshalb ist es auch mit einem Stadtumbau oder einem SmartCity-Projekt nicht getan. Vergleichbare Musterstädte, die es gibt, sind durchgrünte und vor allem smartgerechte Städte, und sie alle würden locker auf eine Tagebaufläche passen.

Ich würde jetzt gerne noch die Chancen einer Stadtgründung debattieren, also Vor- und Nachteile bezüglich Energie,

(Dirk Wedel [FDP]: Ersparen Sie uns das!)

Verkehr, Zusammenleben, Durchmischung. Das Stadtklima ist ein hochinteressantes Feld dabei. Lassen Sie uns das mal später machen.

(Zuruf: Dazu wird es nicht mehr kommen!)

Die wichtigste Zeit für politische Utopien ist die Zeit zwischen den Wahlen und der ersten Plenarsitzung. In dieser Zeit, die jetzt vor uns liegt, entscheidet sich, ob die nächste Legislaturperiode einfallslos, mutlos und uninspiriert wird oder ob wir in NRW Spannendes erwarten können. Deshalb interessiere ich mich jetzt und hier für Ihre Utopie, gerne natürlich am konkreten Beispiel des Rheinischen Reviers dargestellt. Denn dazu gibt es, glaube ich, besonders viel zu erzählen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Bayer. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was soll man auf meinen Vorredner entgegnen? Soll man auf dieses Bild eingehen, dass da eine Landschaft, eine Region nur geknechtet ist von der Braunkohle und dass die da alle im tiefen Sumpf und in Löchern dahinvegetieren und bis heute Braunkohle fressen? Oder soll man auf dieses Bild eingehen, das Sie von Zynismus und Utopien haben und der Manifestation einer solchen in der Politik von Nordrhein-Westfalen? Ich glaube, beides ist nicht ergiebig.

Lassen Sie mich daher zwei Hinweise geben. Der erste ist: Die Darstellung, die Sie hier gegeben haben, ist völliger Unfug.

(Beifall von der SPD)

Als ob sich diese Region nicht längst aufgemacht hätte, einen Strukturwandel zu beschreiten! Wir haben uns übrigens parteiübergreifend in die Innovationsregion Rheinisches Revier aufgemacht und ganz viele Projekte angestoßen. Vor zwei Wochen noch haben wir den Startschuss für das erste virtuelle Kraftwerk im Rheinischen Revier gegeben.

Herr Bayer, Sie hätten sich einmal damit beschäftigen müssen. Da wird die Energiekompetenz der Region versammelt, um auch unter den Bedingungen eines Flächenkraftwerks mit 100 % erneuerbaren Energien Vorreiter in der Region sein zu können.

(Beifall von der SPD)

Sie haben gestern einen Appell des Kollegen Reiner Priggen gehört, der hier dargestellt hat, wie weit wir schon mit der StreetScooter GmbH in Aachen sind und wie diese Region davon profitieren kann, dass wir die E-Mobilität in den Fokus rücken und daraus mehr machen. Auch das sind Projekte, die für das Rheinische Revier Relevanz haben und die wir nutzen können.

Sich vor dem Hintergrund Gedanken darüber zu machen, inwieweit sich dieser Raum weiter positioniert und sich nach der Zeit der Braunkohle aufstellt, ist nicht lächerlich, sondern das ist eine Angelegenheit, die wir ernsthaft betreiben müssen und bei der in der Tat auch Utopien gefragt sind.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer planerischen Umbruchsituation. Bis jetzt gab es immer Anschlusstagebaue. Nun ist es zum ersten Mal so, dass die Tagebaue auslaufen. Daher stellt sich die Frage: Was ist mit den rund 15.000 Beschäftigten in der Braunkohle, in der Energiewirtschaft? Wie geht es mit ihnen weiter? Was ist mit den 8.700 ha wandernden Gewerbegebietes, was in der Vergangenheit Tagebaue war, jetzt aber plötzlich wegfällt? Dort entstehen im Wesentlichen Restseen. Das ist nicht unbedeutend; das sind 7.600 ha Flächen, die der Region entzogen werden.

Gleichzeitig stellen wir fest, dass wir es mit einem riesigen Wachstumsraum zu tun haben. Die Stadt Köln wird bis zum Jahr 2040 – das sagen uns die Statistiker von IT.NRW – 200.000 Einwohner dazubekommen. Mein Heimatkreis, der Rhein-Erft-Kreis, wird in der gleichen Zeit ein Plus von 37.000 Einwohner verzeichnen. Insofern macht es doch Sinn, dass sich diese Region Gedanken darüber macht, wie man das Zusammenspiel zwischen Stadt und Land gestaltet.

In der Tat: In der Innovationsregion Rheinisches Revier wird deswegen vielleicht auch über die Utopie einer neuen Stadt oder neuer Städte diskutiert.

Und ich finde das richtig so.

(Beifall von der SPD)

Wir machen das nicht, wie Sie in Ihrem Antrag, lieber Herr Bayer, nach dem Motto: „Jetzt schreiben wir auf, dass etwas für 100.000 Einwohner gebaut werden muss; dafür machen wir einen Plan in Fünfjahresschritten“, sondern wir machen das qualitativ mit den Ideen, die ich vorhin genannt habe. Es geht um die Frage von virtuellen Kraftwerken oder: Könnten das nicht Siedlungen mit moderner E-Mobilität sein? Könnte das nicht auch in der Bauwirtschaft etwas Neues sein?

Wir machen uns gerade in der Region Aachen auf, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir Recycling-Häuser hinbekommen, wie wir Baustoffe weiter verwenden können. Andere Regionen der Welt machen sich Gedanken, ob sie die Häuser künftig ausdrucken.

Dieser Aufgabe stellen wir uns. Die Lösung könnte wirklich sein, dass wir in unserer Region dem bestehenden Siedlungsdruck mit den modernsten Siedlungen der Welt begegnen.

Wir haben so etwas im Ruhrgebiet zum Beispiel im Bereich „InnovationCity Ruhr“ in Bottrop. Das ist die Überlegung, wie man aus dem Bestand moderne Siedlungsstrukturen hinbekommt. Hier hätten wir die Chance, auch im Neubau, im Recyclingbau und anderem so etwas auf den Weg zu bringen. Die Bürgermeister sind hoch innovativ. In meiner Heimatstadt Bedburg entsteht gerade die erste Brennstoffzellensiedlung der Republik. Ich glaube, es lohnt sich, diese Dinge anzupacken.

Vielleicht kommt am Schluss eine dezentrale Stadt heraus, dass wir in der Region mit vielen Bürgermeistern sagen: Wir wollen qualitativ das Hochwertigste haben. Wir haben an dieser Stelle einen hohen Entwicklungsanspruch und wollen nicht etwas in eine andere Richtung.

Der DGB hat mich jüngst zu einer Veranstaltung eingeladen und das bewusst mit einem ungewöhnlichen Flyer getan. Er hat gesagt: Lasst uns gemeinsam eine neue Stadt bauen und genau diese Fragen miteinander diskutieren – nicht so, wie Sie es in Ihrem Antrag gemacht haben, sondern unter den qualitativen Gesichtspunkten, die ich vorhin genannt habe.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Es ist, glaube ich, wie bei jeder revolutionären Idee. Sie wird am Anfang belacht, lieber Herr Bayer, dann kommt sie irgendwann in die Phase, in der sie bekämpft wird, am Schluss will jeder dabei gewesen sein, und dann ist sie selbstverständlich.

Wir haben diese Idee vorgeschlagen, und wir diskutieren darüber längst mit der Kommunalpolitik. Ihre Rede hat sehr deutlich gemacht: Wenn Sie enger in der Kommunalpolitik verwurzelt wären, hätten Sie dazu heute auch Substanzielleres liefern können. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Hachen.

Dr. Gerd Hachen (CDU): Herr Präsident! Liebe dankenswerterweise immer noch sehr zahlreich hier anwesende Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich zu Beginn sehr deutlich sagen: Dieser Antrag der Piraten zählt aus meiner Sicht zu denen der schlimmeren Sorte. Ich bedauere, dass ich das in meiner letzten Rede hier im Landtag so deutlich sagen muss. Er schürt eine Spekulation, eine Blase ohne jeden sachlich fundierten Hintergrund.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich will deshalb nur einige wenige Anmerkungen zum Antrag selbst, aber viel mehr zu den Hintergründen sagen.

Zunächst zum Antrag: Da lesen wir, die modernste Stadt Europas soll aus einem modularen Ferienpark entstehen. Wo denn, liebe Piraten? Im Restsee oder auf dem Gebiet der umliegenden Kommunen? Was ist das für eine Botschaft an Titz, Jüchen, Erkelenz, die Stadt Mönchengladbach? Das alles sind Anliegerkommunen von Garzweiler II, die sich – Kollege van den Berg hat eben darauf hingewiesen – längst auf den Weg gemacht haben, zusammen in einem Planungsverbund mit ihren Bürgern einen Weg in ihre Zukunft zu suchen. Sie kommen jetzt von außen mit einer tollen Idee, die Sie ihnen überstülpen wollen.

Auf Kosten welcher dieser Kommunen wollen Sie Ihr neues Oberzentrum aus einem Ferienpark eigentlich entwickeln? Was bedeutet das für Mönchengladbach? Aus welcher dieser Kommunen wollen Sie die dafür notwendigen 100.000 Bürger abwerben? Sie sagen in Ihrem Antrag, es sei ehrlicher, mit einem Schrumpfungsprozess in der Region umzugehen. Sie aber wollen offensichtlich nicht mit diesem Schrumpfungsprozess umgehen, sondern Sie wollen ihn für die Kommunen vor Ort noch weiter verschärfen.

(Beifall von der CDU)

Wie Sie letztlich zu der abstrusen Behauptung kommen, dass die älteren Städte von einer neuen Stadt profitieren werden, bleibt auch Ihr Geheimnis.

(Beifall von der CDU)

Darüber hinaus sind Sie gemäß Ihrem Antrag sogar bereit, für diese Schnapsidee besondere Regeln, Gesetze und Ausnahmen auf Kosten anderer zu erlassen. Das zeigt, wie weltfremd und wie abartig dieser Antrag eigentlich ist.

(Beifall von der CDU)

Interessant ist der Antrag aber in anderer Hinsicht. Jeder in der Region weiß, dass der eigentliche Motor dieser Idee der SPD-Kollege und stellvertretende Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Guido van den Berg, ist, der gerade vorher gesprochen hat. Er hat diese Idee auch zuletzt wieder in einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem DGB propagiert. – Guido, ich habe das Plakat einmal mitgebracht. Darauf sieht alles außerordentlich positiv aus, es wirkt wie Aufbruchsstimmung, die dann sozusagen von außen anderen vorgeschrieben werden soll.

Während aber in dem Flyer für die Veranstaltung – deshalb habe ich ihn mitgebracht – die Idee als Ankündigung von Ministerpräsidentin Kraft dargestellt wird, erweckt die Ministerpräsidentin in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage den Eindruck, als sei diese Idee völlig unabgestimmt und losgelöst von der Landesregierung allein aus der SPD-Fraktion gekommen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Bereits im Dezember vergangenen Jahres habe ich auf einer Revierkonferenz der Innovationsregion Rheinisches Revier Wirtschaftsminister Duin darauf angesprochen. Er hat mit dem Hinweis auf das Bemühen um Innovationsfreundlichkeit lediglich mitgeteilt, dass man – ich zitiere – auch mal den Mut haben muss, eine offensichtlich als spinnert erscheinende Idee zu verfolgen, wenn man weiterkommen wolle. – Ich lasse das mal so stehen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: War das O-Ton?)

Die Strategie der SPD ist offensichtlich: diesen Unfug schüren, aber selbst so weit wie möglich im Hintergrund bleiben, damit weder Ministerpräsidentin Kraft noch Wirtschaftsminister Duin noch der Kollege van den Berg dafür verantwortlich gemacht werden können. Der Antrag der Piraten dürfte deshalb der SPD-Strategie sehr entgegengekommen sein. Man darf noch einmal öffentlich darüber diskutieren, ohne selber Verursacher dieser Debatte zu sein. Haben sich die Piraten hier vielleicht instrumentalisieren lassen?

(Lachen bei der CDU)

Deshalb hier mein persönlicher und abschließender Hinweis, Herr Vorsitzender.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Jetzt hat er uns erwischt!)

Lieber Guido van den Berg, wir haben ausgehend von der Zusammenarbeit in der Enquetekommission zur Zukunft der chemischen Industrie eine Fülle von Dingen für die Entwicklung der Region positiv gemeinsam auf den Weg gebracht. Deshalb noch einmal mein Appell: Hör bitte auf mit diesem versteckten Verfahren, mit dem man versucht, bestimmten Bereichen in der Innovationsregion von außen die Wege vorzugeben, obwohl sie sich längst auf den Weg gemacht haben!

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das sollten wir nicht fortsetzen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, der von Ihnen angesprochene Kollege van den Berg würde Ihnen gern eine Frage stellen.

Dr. Gerd Hachen (CDU): Aber selbstverständlich.

Guido van den Berg (SPD): Lieber Herr Kollege Hachen, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich wollte einfach nachfragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich beim Thema „Braunkohle“, beim Thema „Strukturwandel“, aber auch erst recht bei dem Thema „neue Stadt“ nicht bekannt bin als jemand, der das irgendwie versteckt, sondern als jemand, sehr offensiv damit umgeht und das sogar jüngst in einer DGB-Veranstaltung mit Kollegen diskutiert hat? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Dr. Gerd Hachen (CDU): Ich nehme das gerne zur Kenntnis, auch dass das hier noch einmal dargestellt wird. Letztendlich sind aber die Signale, die von Minister Duin und der Ministerpräsidentin kommen, etwas andere. Das muss man dann auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Eine letzte Bemerkung zur Landesregierung: Die Glaubwürdigkeit dieser Landesregierung in Bezug auf das gebetsmühlenartig vorgetragene Ziel, die Regionen in ihrem Strukturwandel unterstützen zu wollen, gerät auch ins Wanken. Während sich die Region selbst über Parteigrenzen hinweg mit vielen kreativen Ideen und Prozessen längst auf den Weg gemacht hat, gibt das Kabinett der Region nicht die erhoffte Unterstützung bei der so wichtigen Bewerbung für die Regionale 2022/2025.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kollegen, mein letzter Satz, den man mir vielleicht noch zubilligt: Ich bedauere sehr, meine letzte Rede im Plenum mit einem solchen Verriss bestreiten zu müssen. Ich bedanke mich aber ausdrücklich für die vielen guten Kontakte und positiven Erfahrungen, die ich hier in drei Legislaturperioden habe machen dürfen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Zu diesen guten Kontakten zählt ausdrücklich auch Guido van den Berg. Es ist mir wichtig, das noch einmal zu sagen.

Ich wünsche allen, die weiterhin in diesem Hause tätig sein werden, alles Gute, viel Erfolg und viel Glück auf ihrem Weg. – Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, lieber Kollege Dr. Hachen für Ihre Rede, für Ihre Arbeit im Landtag Nordrhein-Westfalen in drei Wahlperioden. Wir wünschen Ihnen von ganzem Herzen für Ihre persönliche Zukunft alles Gute. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Die nächste Rednerin für die Fraktion der Grünen ist Frau Kollegin Zentis.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Da haben die Piraten eine nette Idee für Garzweiler aus FileZilla aufgenommen. Die Diskussion über Ihren Antrag in Ihrer Fraktionssitzung, so wie sie im Netz zu sehen ist, finde ich bezüglich des fachlichen Diskurses bemerkenswert.

Die Grünen gehen bereits jetzt die Zukunft des Rheinischen Reviers an, und dies nicht erst, nachdem die Folgekosten des Braunkohletagebaus ermittelt wurden, nicht erst, nachdem wir ein Braunkohleausstiegsgesetz verabschiedet haben, und nicht erst, nachdem der Tagebau Garzweiler ausgekohlt ist. Wir nehmen dabei das gesamte Rheinische Revier in den Blick, nicht nur einen kleinen Teil. Wir haben bereits mit unserem Koalitionspartner eine Vielzahl von Ideen und Projekten für die Zukunft angestoßen.

Leider kann ich hier nicht auf alle Punkte Ihres Antrags eingehen; das haben die Vorredner schon hinreichend getan. Aber damit Sie sehen, wie gut wir bereits unterwegs sind, in Kürze das, was wir wollen und was wir bereits angestoßen haben:

Industrie- und Gewerbeflächen stehen in großem Maße zur Verfügung. Da dürfen Sie nicht nur die einrechnen, die gerade entwickelt werden, sondern auch alle die, die RWE uns hinterlässt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie die Unterbrechung. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Düngel zulassen?

(Zuruf von der CDU: Das muss nicht sein, Frau Zentis!)

Gudrun Zentis (GRÜNE): Ich würde jetzt gerne vortragen, das können wir hinterher machen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Es ist Ihre Entscheidung. Okay, also nicht.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Das sind alle Betriebsflächen, insbesondere die der Kraftwerksstandorte Frimmersdorf und Niederaußem, die bereits in kurzer Zeit zur Verfügung stehen und beplant werden könnten. Hätte RWE da Entgegenkommen gezeigt, hätte die Landesregierung bereits Mittel zur Planung zur Verfügung gestellt. Industrie mit Zukunft könnte schnell entstehen, wenn RWE hier vorweggehen würde.

Daneben ist noch der Standort Weisweiler/Inden/Stolberg im Entstehen; erste Fördermittel sind auf dem Weg.

Dann gibt es noch das Projekt der Klimahülle im Rhein-Erft-Kreis, eine innovative Idee mit Potenzial zur CO2-Einsparung.

Ein Vorzeigeprojekt wird in Jülich an den Start gehen. Die Merscher Höhe wird in Kooperation mit der FH Aachen, mit dem Forschungszentrum Jülich, mit den Kommunen Titz, Jülich und Niederzier zum Green Energy Park Jülich entwickelt.

Mit dem nahe gelegenen Gelände des Altstandorts der FH Aachen in Jülich kann dort in Symbiose ein Wohngebiet entstehen, bei dem mit neuester Gebäudetechnik und wissenschaftlicher Begleitung eine optimale Energiebilanz herauskommt.

Das sind nur einige unserer Projekte. Dies wird aktuell hauptsächlich durch die IRR in der Region begleitet.

Minister Remmel sprach heute von einem Silicon Valley, das zwischen Aachen und Köln in der Mitte des Rheinischen Reviers entsteht. Hier kann bereits auf gute Strukturen gesetzt werden. Hier können bestehende Strukturen genutzt werden. Strom aus Sonne und Wind hat die größten Potenziale, die Energieeinsparungen nicht zu vergessen.

Am Standort Jülich des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums wurde im letzten Monat ein Kraftwerk mit Sonnenenergie in Betrieb genommen – „Synlight“ ein Vorzeigeprojekt weltweit.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich zur Freude meines Kollegen Priggen den Streetscooter, der in Aachen produziert wird.

(Reiner Priggen [GRÜNE] unterhält sich mit Abgeordneten der CDU.)

Jetzt hat er wohl nicht zugehört.

Die Region ist die stärkste Wissenschaftsregion in Deutschland mit Exzellenzuniversitäten in Köln und Aachen, Universitäten in Bonn und Düsseldorf, Fachhochschulen in Mönchengladbach, Aachen, Jülich, Siegburg und Köln. Aber auch eine große Anzahl von Forschungsunternehmen und das Forschungszentrum Jülich prägen die Region. 50.000 Menschen arbeiten hier in zukunftsfähigen Bereichen. 800 neue Arbeitsplätze entstehen jährlich aus Ausgründungen in diesem Bereich.

Sie rennen bei Grünen sicherlich offene Türen ein, wenn es heißt, den Verkehr in andere Bahnen zu leiten und innovative Projekte anzustoßen. Ein Ausbau des ÖPNV verbunden mit einem Umdenken des motorisierten Individualverkehrs ist erforderlich. Durch die Tagebaue ist die Verkehrsinfrastruktur stark geschädigt worden. Bahnlinien und Straßen sind teils ersatzlos weggefallen. Hier müssen wir uns noch anstrengen, verloren Gegangenes zeitgemäß zu ersetzen. In den Fokus gehören der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Düren und Aachen, allein schon um die zunehmenden Warenströme aus den ZARA-Häfen bewältigen zu können.

Die Schließung der Schienenlücke zwischen Linnich und Baal gehört ebenso dazu wie die baldige Wiederinbetriebnahme der Bördebahn und nach Beendigung der Braunkohleförderung die Anbindung und Nutzung der Grubenbahnen. Daneben benötigen wir den Ausbau eines guten Radverkehrsnetzes in der Region.

Bei der Umplanung des Tagebaus Garzweiler müssen wir unverzüglich die Ortschaften am Rand des Tagebaus in den Blick nehmen. Die Städte Mönchengladbach und Erkelenz sowie die Gemeinden Jüchen und Titz schließen sich zu einem Planungsverband zusammen. Hier muss unmittelbar und schnell gestaltet und gefördert werden, um lebenswerte Dörfer zu erhalten und den Menschen vor Ort Zukunftsaussichten zu bieten. Ein erster Plan mit innovativen Ideen und Möglichkeiten zur Freizeitnutzung sowie zum Wohnen an und im Wasser liegt bereits mit Fördermitteln des Landes vor. Dieser muss von der neuen Landesregierung unmittelbar angegangen werden.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Piraten, wir benötigen keine neue Stadt in der Region. Wir haben bereits alles, was wir benötigen, um die Region zu einer Vorzeigeregion zu machen und neu aufzustellen. Dazu bedarf es nur Ideen, Konzepte und einem Gespräch mit den Kommunen vor Ort.

Dem Kollegen Hachen – ich sehe ihn gerade nicht – meinen herzlichen Dank. Ich denke, wir werden uns zu der Innovationsregion des Rheinischen Reviers oder zu den Folgen des Bergbaus sicherlich an der einen oder anderen Stelle wiedersehen. Ich wünsche ihm alles Gute.

Allen Kolleginnen und Kollegen auch ein Auf-Wiedersehen, frohe Ostertage und vielleicht bis bald.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Zentis. Seien Sie so lieb und bleiben Sie noch einen Moment vorne; denn dieses kleine rote Display hinter Ihrem Wasserglas signalisiert Ihnen bereits, dass es eine Kurzintervention gibt. Diese kommt von Herrn Kollegen Düngel. Er hat nun bis zu 90 Sekunden Zeit. – Bitte schön.

Daniel Düngel (PIRATEN): Keine Sorge, die nutze ich nicht aus. Ich möchte das auch gar nicht in die Länge ziehen. – Mich interessiert eines: Ich habe den Eindruck, dass die Position, die Sie gerade dargestellt haben, durchaus von früheren Positionen im Landtag abweicht. Zumindest erkenne ich das teilweise an dem Abstimmungsverhalten.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie unsere Fraktionssitzung verfolgt haben. Das finde ich sehr löblich. Ich würde das bei Ihnen auch gern nachvollziehen können. Wo finde ich Ihre Fraktionssitzung im Stream? Ich finde auf Ihrer Webseite nichts.

(Zuruf: Meine Güte!)

Gudrun Zentis (GRÜNE): Es ist nicht unsere Art, Fraktionssitzungen ins Netz zu stellen. Wenn ich mir Ihre betrachte, dann möchte ich lieber nichts zu der Qualität sagen und dazu, wie Sie diesen Antrag diskutiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Noch einmal vielen Dank, Frau Kollegin Zentis.

(Zuruf)

– Nein, es gibt keine weitere Kurzintervention mehr.

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Ellerbrock das Wort.

(Holger Ellerbrock [FDP] tritt mit umfangreichen Unterlagen an das Redepult – Zuruf: Aber nicht alles vorlesen! – Weitere Zurufe)

Holger Ellerbrock (FDP): Sie möchten wohl gerne wissen, was das ist. Seiten 97 bis 133!

Meine Damen und Herren! Zur Vision „Zukunftsbild Großstadt in Garzweiler/Sonderwirtschaftszone“: Mit Visionen kenne ich mich ein bisschen aus. Ich habe selbst mal welche gehabt: „von Kalkar nach Kalkutta“, „Ijsselmeer an Rhein und Ruhr“ oder „Niederrheinische Schweiz mit Bergehalden“. Das ist aber jeweils mit einzelnen konkreten Projekten unterfüttert gewesen.

Liebe Kollegen von den Piraten, Sie sind doch diejenigen, die immer den Begriff „Transparenz“ prägen. Dann hätten Sie doch auch mindestens die Quellenangabe nennen müssen: SPD-Landtagsfraktion 2016.

Inhaltlich hat die Landesregierung selbst dergestalt dezent Abstand genommen, indem gesagt worden ist, man habe den Antrag zur Kenntnis genommen. Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer, beurteilt es als interessantes Gedankenspiel, hat aber starke Zweifel, ob es jemals Realität werden könnte.

Meine Damen und Herren, inhaltlich drücke ich es freundlich so aus: Dieser Antrag lässt großen Raum in der Frage der Sinnfälligkeit. Dabei möchte ich es belassen.

(Beifall von der FDP)

Ich habe gestern betont, dass mich der Umgang hier im Parlament manchmal bekümmert. Aber der heutige Tag hat gezeigt: Es geht doch. Im Plenum werden manche Verbalinjurien vorgebracht, in den Ausschüssen schon weniger. In den Enquetekommissionen und in den Parlamentariergruppen herrscht eine andere Zusammenarbeit. Ich kann das nur für die Parlamentariergruppen NRW-China oder NRW-Türkei sagen. Da gehen wir doch eigentlich sehr vernünftig und respektvoll miteinander um.

Man muss den politischen Mitdiskutanten nicht als Gegner und schon gar nicht als Feind sehen. Wir sollten mehr das Gemeinsame in den Vordergrund stellen, müssen dann allerdings Alternativen aufzeigen. Diese müssen sehr deutlich sein; denn wenn ich einen Kompromiss finden will, muss ich einen Maßstab haben, an dem ich ihn messe. Das können nur die Grundsatzpositionen sein.

Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Regierungsfraktionen: Stark zu sein heißt, Schwäche zeigen zu können. – Deswegen wäre es ganz gut, wenn die Regierungsfraktionen auf die Opposition zugingen, um das Gemeinsame zu betonen und auch deren Gedanken aufzunehmen.

Ich möchte mich für die Zusammenarbeit und die Diskussionen bedanken. Das habe ich gestern gemacht, aber eines haben wir meiner Meinung nach vergessen. Ich kenne aufgrund meines Berufsweges zahlreiche Verwaltungen. Ich habe noch keine Verwaltung kennengelernt, die so kundenorientiert ist, die so hilfsbereit und kompetent ist und für uns Abgeordnete manches Unmögliche möglich macht. Das fängt beim Pfortendienst an und geht über den Hausdienst, das Catering, den Stenografischen Dienst und die Beihilfestelle bis in die Leitungsebenen. Wenn man Fragen und Bitten hatte, wurden sie immer aufgegriffen und möglichst erfüllt. Ich möchte persönlich herzlichen Dank dafür sagen, dass das alles so gut geklappt hat.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und Dietmar Schulz [fraktionslos])

Für mich selbst fasse ich das so zusammen: Wer mit dieser Landtagsverwaltung Probleme hat oder nicht klarkommt, der muss sich fragen, ob er nicht selbst etwas falsch macht.

Deswegen möchte ich den Kolleginnen und Kollegen wirklich herzlichen Dank für die Mitarbeit und auch für die Streitgespräche sagen. Ich wünsche, dass wir in Nordrhein-Westfalen weiter ein lebendiges Parlament haben. Aber gehen Sie mehr aufeinander zu und greifen Sie weniger zu Verbalinjurien. – Schönen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Jetzt habe ich noch etwas dabei; Frau Beer, Sie fragten, was das ist. Ich habe einmal im Ministerium in der Arbeitsgruppe „Leitentscheidung Garzweiler II“ mitgearbeitet. Ich habe in meinen Akten nachgesehen und den Kollegen van den Berg und Dr. Hachen die Leitentscheidung aus dem Jahr 1991 kopiert, 125 Seiten. Wenn man das liest, stellt man fest: Das ist eine runde Sache. – Viele Fragen, die heute emotional gestellt werden, sind damals angedacht worden. Die Kollegen Wittmann, Maatz, der spätere Staatssekretär Dr. Ritter, Klaus Matthiesen und Herr Baedeker – wir haben uns wirklich viel Mühe gemacht.

Deswegen ist es mir schwergefallen, festzustellen, mit welcher Nonchalance man locker sagt: Wir nehmen hier soundso viele Vorräte mal eben weg. – Das hat diese Leitentscheidung so nicht verdient. Ich habe eigentlich erwartet, Klaus Matthiesen macht den Deckel auf und kommt heraus. Das hat er nicht gemacht, das ist zu spät. So eine Sache hätte es damals nicht gegeben. Deswegen habe ich für Sie, Herr van den Berg und Herr Dr. Hachen, je ein Exemplar mitgebracht.

Schönen Dank für die Zusammenarbeit. Alles Gute Ihnen persönlich! Ich wünsche mir ein Wahlergebnis, das gut für Nordrhein-Westfalen ist. – Danke schön.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. Er verteilt, wie man ihn kennt, immer noch eifrig seine Schriftstücke. Mit Holger Ellerbrock, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheidet ein Abgeordneter aus, der sich – das weiß jeder, der mit ihm zu tun hatte – mit Sachverstand, Engagement und unverwechselbarer Originalität in die Arbeit des Parlaments eingebracht hat. Dafür, lieber Holger, gebührt dir unser aller Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Und ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen: Die Ausfallwahrscheinlichkeit der Mikrofonanlage wird in Zukunft eher geringer sein, weil der übliche Funktionstest bei Anfragen an wen auch immer möglicherweise unterbleibt.

(Heiterkeit)

Alles Gute, Holger Ellerbrock, im Namen des gesamten Hohen Hauses.

(Beifall von allen Fraktionen)

Jetzt hat für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze das Wort. – Bitte schön.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rund um Garzweiler im Rheinischen Revier hat der städtebauliche Wandel, wie Sie wissen, eine jahrzehntelange Tradition. Hier werden seit jeher Orte neu geplant und gebaut, weil der Tagebau die alten verdrängt hat. Nirgendwo, außer vielleicht in den Niederlanden, hat man mehr Erfahrung mit der Verwirklichung von Städtebauprojekten nach jeweils neuestem Stand als in der Gegend westlich von Köln und Düsseldorf.

Deshalb ist der Vorschlag der Piraten – eine smartgerechte Großstadt soll bei Garzweiler entstehen – nicht besonders neu. Schon vor Monaten hat die Fraktion der SPD einen ähnlichen, allerdings deutlich anspruchsvolleren Vorschlag gemacht: die Planung einer Stadt nach neuesten energetischen, städtebaulichen und infrastrukturellen Standards, eine Idee ganz in der Tradition des Rheinischen Reviers. Diesen Vorschlag der SPD-Fraktion halten der Wirtschaftsminister, den ich heute vertrete, und die Landesregierung für deutlich weitreichender und zielgerichteter als den vorliegenden Antrag der Piraten.

Im Übrigen arbeiten wir längst in engem Schulterschluss mit den Verantwortlichen im Rheinischen Revier an konkreten Zukunftsperspektiven. Ich nenne nur einige wenige Beispiele:

Vor wenigen Tagen hat die Frau Ministerpräsidentin den Startschuss für das Projekt „Quirinus“ in Elsdorf gegeben. Bei diesem anspruchsvollen, bereits jetzt europaweit beachteten Vorhaben geht es um das regionale Energiemanagement, eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Es ist gerade schon von diesem virtuellen Kraftwerk die Rede gewesen.

Mit dem Campus Merscher Höhe und der „Klimahülle“ wollen Investoren und Kommunen im Rheinischen Revier weitere zukunftsweisende Akzente zur Energiewende setzen. Zurzeit werden die Planungs- und Bewilligungsunterlagen aufbereitet.

Wir unterstützen zusammen mit der Innovationsregion Rheinisches Revier GmbH rund 20 Gebietskörperschaften unter anderem bei der Planung von Gewerbe- und Industrieflächen, um Raum für zukunftsfeste Beschäftigung und Strukturanpassung zu schaffen. Das gilt für die Tagebauränder Inden, Garzweiler und Hambach genauso wie für das Industriedrehkreuz Weisweiler, wo das Konzept der Werkstattgespräche zur Entwicklung des Standorts vor drei Wochen den Verantwortlichen vor Ort vorgestellt wurde. Übrigens geschieht all dies vorbildlich interkommunal, zum Teil über Grenzen von Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken hinweg.

Sie haben gerade schon gehört, dass das Rheinische Revier auch eine der bedeutendsten Wissenschaftsregionen ist, mit besonders hervorragenden Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Meine Damen und Herren, eine letzte Anmerkung zu Ihrem Vorschlag, eine Sonderwirtschaftszone in der Region einzurichten: Das ist weder neu noch originell. Es ist zudem europarechtlich schlicht unzulässig. Die Gründe liegen auf der Hand: Eine Sonderwirtschaftszone führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU, der Bundesrepublik Deutschland und Nordrhein-Westfalens. Das kann niemand ernsthaft wollen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt hat sich noch einmal Herr Kollege Bayer zu Wort gemeldet.

(Zurufe von der CDU: Oh, nein! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Jetzt genießt es doch noch einmal!)

Was immer Sie uns sagen wollen, Herr Kollege, es sollte nicht länger als 45 Sekunden dauern.

Oliver Bayer*) (PIRATEN): Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glauben Sie mir, ich weiß durchaus Bescheid, was in der Innovationsregion Rheinisches Revier diskutiert wird und kenne Idealstädte sowohl aus der Theorie als auch aus der Praxis!

Ich habe daran das aufgehängt, was der Psychologe Christian Kohlross folgendermaßen beschrieb: Die Symptome von Utopielosigkeit sind die gleichen wie die einer agitierten Depression: „ängstliche Unruhe, ein gesteigertes mediales Mitteilungsbedürfnis, eine notorische Unzufrieden- und eben Hoffnungslosigkeit.“ Wir bemerken diese Symptome in NRW. Aber das hat NRW gar nicht verdient.

Lassen Sie uns also dieses Mantra der Alternativlosigkeiten abstreifen, lassen Sie uns die Utopielosigkeit der Politik in NRW beenden, …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Oliver Bayer*) (PIRATEN): … Neues wagen, Risiken erlauben und die heraufbeschworene Kultur des Scheiterns ernst nehmen – gerade in der Politik. Wir haben ja gerade gesehen …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Einen Satz bitte noch.

Oliver Bayer*) (PIRATEN): Okay. – Ich werde Ihnen das alles am besten nachher noch aufschreiben.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, das war der Satz.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende, und Sie haben nicht mehr das Wort.

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Leben in NRW braucht Utopie! Vielen herzlichen Dank! – Beifall von den PIRATEN)

So weit Herr Kollege Bayer mit seinem Beitrag. – Frau Kollegin Beer zur Geschäftsordnung.

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zugegebenermaßen geschäftsordnungsmäßig vielleicht nicht richtig, wie ich mich jetzt gemeldet habe. Aber eines darf auch nicht passieren: Ich habe mitbekommen, dass der Vizepräsident Herr Dr. Papke dem nächsten Parlament nicht mehr angehören wird. Darum möchte ich mich ganz herzlich bedanken für Ihre Arbeit, die Diskussionen und Kontroversen und auch Ihre faire Amtsführung hier. – Ich dachte, dass sollte das letzte Wort heute sein. – Danke!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen lieben Dank, Frau Kollegin Beer und Ihnen allen, meine Kolleginnen und Kollegen! Sie haben mich manches Mal sprachlos gemacht, Frau Kollegin Beer,

(Heiterkeit)

aber dieses Mal wird es mir in besonders netter Erinnerung bleiben – vielen herzlichen Dank!

Aber noch sind wir nicht ganz am Ende. Wir sind am Ende der Aussprache, aber wir haben ja noch eine Abstimmung – die wollen wir nicht unter den Tisch fallen lassen – über den gerade debattierten Antrag der Piraten.

Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen dann auch, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14659. Wer ist denn für den Antrag der Piraten? – Die Piraten. – Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die FPD-Fraktion sowie die beiden fraktionslosen Kollegen Schulz und Stüttgen. – Gibt es Enthaltungen? – Der Kollege Schwerd enthält sich der Stimme. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/14659 abgelehnt ist.

Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung und damit zugleich auch am Ende der ...

(Ralf Witzel [FDP] meldet sich)

– Herr Witzel, das kommt jetzt eigentlich zu spät. Da wir es heute Abend mit der Geschäftsordnung aber nicht so eng sehen – Herr Kollege Witzel, bitte.

(Zurufe)

Ralf Witzel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Das ist keine Selbstverständlichkeit, aber heute darf ich ausdrücklich unterstützen und unterstreichen, was die Kollegin Beer gesagt hat, und diesen Ball aufgreifen. Sie sind mir da im Verfahren zuvorgekommen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich war eher!)

Sie waren eher; Sie waren schneller; Sie waren ehrgeiziger vom Tempo her. Das sei Ihnen zugestanden. In der Sache sind wir uns natürlich völlig einig, und Sie werden mir, liebe Frau Kollegin Beer, deshalb zugestehen, dass ich Ihre Worte aufgreife und namens

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Es tut mir sehr leid, dass ich nicht so schöne Worte sagen konnte!)

der FDP-Landtagsfraktion ganz, ganz herzlich dem scheidenden Vizepräsidenten Gerhard Papke danke für die Tätigkeit als Abgeordneter in den letzten 17 Jahren. Es war eine spannende Zeit in ganz unterschiedlichen Funktionen. Jede für sich hatte ihre Herausforderung; jede für sich war spannend.

Ich möchte Ihnen deshalb – und zwar für viele von Ihnen, die in den letzten Legislaturperioden die Gelegenheit zum Dialog hatten – den allerherzlichsten Dank aussprechen und mich entschuldigen, dass ich technisch dieses Instrument wählen musste, um das am Ende dieser Plenarsitzung im Rahmen einer persönlichen Erklärung, die aber auch für alle meine Kollegen gilt, noch loszuwerden. – Vielen Dank!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, lieber Ralf Witzel! – Jetzt verspreche ich aber: Die einzige Wortmeldung, die ich jetzt noch zulasse, ist meine eigene.

(Heiterkeit)

Ich darf noch einmal sagen: Wir sind am Ende unserer Tagesordnung und am Ende unserer heutigen Sitzung, der letzten regulären Plenarsitzung in dieser Wahlperiode. Da wir uns ja so ungern voneinander trennen, ist es nicht ausgeschlossen, dass vor der Landtagswahl vielleicht noch eine Sondersitzung kommt – wir werden sehen.

Aber da es die letzte reguläre Sitzung ist und wir am Ende dieser Sitzung angekommen sind, ist auch definitiv der Augenblick gekommen, um noch einmal allen Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen – insbesondere all denen, die sich bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr dem Votum der Bürgerinnen und Bürger stellen werden – sehr, sehr herzlich für ihre engagierte Arbeit in den zurückliegenden Jahren zu danken.

(Allgemeiner Beifall)

Ich möchte mich auch in Ihrer aller Namen sehr herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, der Fraktionen und auch der einzelnen Abgeordneten für ihre Arbeit in den zurückliegenden fünf Jahren bedanken.

(Allgemeiner Beifall)

Denn wir alle wissen: Ohne diese Arbeit wäre unser Parlament schlichtweg nicht handlungsfähig und nicht funktionsfähig.

Gestatten Sie mir – wirklich zuallerletzt – noch ein kurzes persönliches Wort: Noch einmal vielen Dank, liebe Frau Kollegin Beer, lieber Ralf Witzel, für die netten Bemerkungen zu meiner eigenen Arbeit! In der Tat – Sie erleben gerade meine letzte Sitzungsleitung, denn auch ich scheide nach vier Wahlperioden, nach 17 Jahren im Landtag Nordrhein-Westfalen – darunter sieben Jahre als Fraktionsvorsitzender und fünf Jahre als Vizepräsident – aus dem Parlament aus.

Ich habe mit vielen von Ihnen zusammen bewegte Zeiten in der Landespolitik erlebt, dabei auch manche Schlacht geschlagen – das kann man wirklich sagen. Ich glaube, wir müssen weiterhin sehr selbstbewusst vertreten, dass das Parlament wirklich das wichtigste Forum unseres pluralistischen, demokratischen Gemeinwesens ist.

Hier ist der Ort, um über den besten Weg für unser Land zu debattieren – wenn es nötig ist, auch hart in der Sache. Denn wir alle wissen: Keiner von uns ist im Besitz der alleinigen Wahrheit. Unser Wissen ist begrenzt. Deswegen brauchen wir die Debatte und den Wettbewerb der Argumente, um am Ende demokratisch zu bestimmen, welchen Weg unser Land nehmen soll.

Ich habe bei aller Intensität der Debatte in den zurückliegenden 17 Jahren immer wieder die Erfahrung machen können, dass es zu den Markenzeichen unserer demokratischen Kultur in Nordrhein-Westfalen gehört, die Persönlichkeit des anderen bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassung letztlich zu respektieren.

(Allgemeiner Beifall)

Das war eine sehr positive Erfahrung. Einige erinnern sich: Ich war für unsere politischen Wettbewerber nicht immer ein angenehmer, netter Debattenredner.

(Zustimmung von Reiner Priggen [GRÜNE])

– Der Kollege Priggen nickt freundlicherweise. Wir haben manchen Strauß ausgefochten.

Ich bitte Sie alle sehr herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen – wie auch immer sich der Parlamentarismus in Nordrhein-Westfalen weiterentwickeln wird; vielleicht muss er sich sogar weiterentwickeln –: Tragen Sie alle dafür Sorge, dass dieses Wesensmerkmal unserer demokratischen Kultur in Nordrhein-Westfalen, der Respekt vor der Persönlichkeit und vor der Auffassung des anderen, auch in Zukunft wirklich erhalten bleibt. Das ist meine ganz persönliche Bitte.

(Allgemeiner Beifall)

Zuallerletzt wünsche ich unserem Land Nordrhein-Westfalen alles Gute. Das wünsche ich Ihnen für Ihre künftige politische Arbeit. Vor allem darf ich Ihnen ganz persönlich für Ihre für Zukunft von ganzem Herzen alles erdenklich Gute wünsche.

Ich schließe und beschließe diese Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen mit einem einfachen Danke schön. – Alles Gute für Sie! Vielen herzlichen Dank!

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Schluss: 18:39 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Zu TOP 4 – „Nutzlos-Maut mit allen Möglichkeiten verhindern – Schaden von Nordrhein-Westfalen abwenden“, in Verbindung mit: „PKW-Maut von CDU, SPD und CSU durch den Bundesrat stoppen“ – gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung von Dr. Günther Bergmann (CDU)

Das Thema Infrastrukturabgabe beschäftigt die Menschen im Grenzgebiet des Kreises Kleve, das stark durch die Nachbarschaft zu den Niederlanden geprägt ist, schon seit Langem.

Früh, erstmalig im Sommer 2014, bezog ich schriftlich Stellung gegen die Einführung der Infrastrukturabgabe. Den Schriftverkehr in dieser Angelegenheit, u. a. mit dem Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt, gab ich auch der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Folge dieser Eingaben war jedoch lediglich der Wegfall der Abgabe auf allen Straßen, sodass künftig nur noch Bundesautobahnen und Bundesfernstraßen erfasst werden sollen.

Die Gründe meiner Ablehnung der im Volksmund „PKW-Maut“ genannten Infrastrukturabgabe sind vielschichtig und beziehen sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:

Nationale Einzelregelungen, die wiederum neue Regelungen und Reglementierungen in Nachbarländern nach sich ziehen werden, sollte man nicht zur Regel machen, sondern EU-weite Regelungen finden.

Eine Mehrbelastung des deutschen Autofahrers mag nicht aus der Maut direkt resultieren, wird sich aber durch anschließende Regelungen in den Nachbarländern dennoch einstellen. Davon werden wieder besonders Grenzregionen wie der Kreis Kleve betroffen.

Der Erhebungsaufwand ist zu hoch und „frisst“ einen erheblichen Teil der vermuteten Einnahmen auf – ohne, dass eine unumstrittene Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht wird.

Die Personalaufstockung beim für die Bearbeitung vorgesehenen Bundesamt in Flensburg ist mit immensen zusätzlichen Personalkosten verbunden, und diese werden sich quasi als „Ewigkeitskosten“ über Generationen niederschlagen.

Niederländer, die weiterhin in ihrer alten Heimat arbeiten, aber in der Grenzregion wohnen (in einigen Ortschaften der Kommunen im Kreis Kleve sind über 20% der Einwohner niederländische Staatsbürger) und deren Fahrzeuge oft weiter in den Niederlanden gemeldet sind, müssen demnächst eine Art „Eintrittsgeld“ fürs eigene Zuhause zahlen, da sie häufig auch eine BAB nutzen, um in ihre Wohnorte zu gelangen.

Jeden Tag kommen Niederländer zu Tausenden über die Grenze, um im Kreis Kleve einzukaufen oder zu arbeiten. Sie sind für die Region somit ein Wirtschaftsfaktor erster Güte und unverzichtbar, wären aber bei BAB-Nutzung zu Zahlungen verpflichtet, was zu Einbrüchen bei den Einzelhandelsumsätzen führen dürfte, da sich vorhandene Preisvorteile durch die Maut in Kostennachteile für die deutsche Seite wandelten.

Auch der „Airport Niederrhein“ in Weeze als mit rd. 1,9 Millionen Passagieren viertgrößter Flughafen in NRW und zentrales Infrastrukturprojekt der Region Niederrhein sowie das „Wunderland Kalkar“ als ein von mehreren Hunderttausend Gästen besuchter deutsch-niederländischer Freizeitpark im ehemaligen Kernkraftwerk „Schneller Brüter“ sind stark auf niederländische Kunden angewiesen – mit all den absehbaren Maut-Folgen.

Diese Punkte führen bei mir zu großer Skepsis mit Blick auf Praktikabilität und tatsächliche finanzielle Benefits sowie zu Befürchtungen, dass es zu negativen Wirkungen im Kreis Kleve und im be-nachbarten Ausland und zu einer schlechten Signalwirkung für Europa (speziell für Grenzregionen) kommen wird.

Die beiden oben genannten Anträge der FDP und der Piraten entsprechen also in ihrer Zielrichtung meiner politischen Bewertung. Da allerdings beide Anträge m. E. obsolet sind, weil sie sich auf Inhalte einer bereits vergangene Woche stattgefundenen Bundesratssitzung beziehen, kann ich diesen Anträgen wegen ihrer dementsprechenden Sinnfreiheit (ex post-Entscheidung) nicht zustimmen. Ich werde daher von meinem Recht als Abgeordneter Gebrauch machen (§ 47 [3] GO LT NRW) und nicht an den Abstimmungen unter TOP 4 teilnehmen.

gez.

Dr. Günther Bergmann


Anlage 2

Zu TOP 8 – Engpässe in der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) Büren beseitigen – Landesregierung muss Kapazitäten umgehend erweitern – zu Protokoll gegebene Reden

Christian Dahm (SPD):

Mit ihrem Antrag möchte die CDU erreichen, dass der Landtag die Landesregierung auffordert, die Haftkapazitäten der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (UfA) in Büren kurzfristig auf die maximale Belegung von 175 auszuweiten und darüber hinaus weitere Einrichtungen zur Sicherstellung der Abschiebungshaft zu schaffen.

Lassen sie mich die Gelegenheit nutzen, um einmal etwas genauer auf die derzeitige Belegungssituation und die aktuellen Rahmenbedingungen einzugehen. Die durchschnittliche Belegungssituation in Büren im Jahr 2016 lag bei ca. 58 Untergebrachten pro Tag. Übrigens: Hierbei war jeder fünfte Fall ein Ersuchen in Amtshilfe für andere Bundesländer oder die Bundespolizei.

Zum Stichtag 01.01.2017 waren 69 Personen, darunter 11 Personen in Amtshilfe in der UfA untergebracht. Kurz darauf sind die Belegungszahlen rasant angestiegen. So waren bereits zum 08.01.2017 insgesamt 89 Personen – davon 20 in Amtshilfe – untergebracht. Am 09.01.2017 wurde ein offizieller Aufnahmestopp für Amtshilfefälle anderer Bundesländer erklärt.

Zum Stichtag 24.01.2017 waren 88 Personen untergebracht bei vier Zusagen. Hier waren neun Amtshilfefälle erfasst, von denen zwei durch die Bundespolizei und drei durch eine Zentrale Ausländerbehörde in NRW aufgegriffen worden sind. Die restlichen vier Fälle stammen aus Hamburg, Altfälle, die vor dem Aufnahmestopp untergebracht waren.

Diese Entwicklung setzt sich fort. Es gibt mittlerweile eine Vollauslastung der 100 Plätze, die Belegung wechselt ständig, Voranmeldungen sind nur in Ausnahmefällen möglich. In jedem Fall einer Haftanordnung ist seitens der zuständigen Ausländerbehörde derzeit vorab telefonisch bei der UfA Büren eine freie Kapazität zu erfragen.

Erst in den letzten ein bis zwei Wochen wurden vermehrt Plätze insbesondere in der Landeseinrichtung für Asylbegehrende und Ausreisepflichtige in Ingelheim/Rheinland-Pfalz genutzt. Diese und weitere Einrichtungen der Abschiebehaft in anderen Ländern stehen nur noch begrenzt (unabhängig von dem zusätzlichen Aufwand) zur Verfügung. Zum 08.02.2017 waren erneut 94 Personen in Büren. Zusätzlich waren fünf Zusagen erfolgt.

Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird sukzessive zunehmen. In den letzten Monaten sind die Entscheidungszahlen des BAMF deutlich angestiegen. Damit verbunden ist ein Anstieg an ausreisepflichtigen Personen mit Ablehnungsfällen. Zeitgleich werden konsequent Untergetauchte zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Nach dem Fall AMRI ist zu erwarten, dass noch häufiger Abschiebungshaft beantragt und angeordnet wird.

In diesem Zusammenhang fordert – übrigens zu Recht – auch die Landesgewerkschaft der Polizei zusätzliche Kapazitäten in der Abschiebehaft. Deshalb lassen sie mich betonen: Eine Ausweitung der Kapazitäten in 2017 steht bereits seit längerem im Raum. Auf Grund der Dringlichkeit seit Anfang des Jahres sind diese Arbeiten beschleunigt worden. Deshalb wurde mittlerweile eine Erhöhung von 100 auf 120 Haftplätze in Büren kurzfristig umgesetzt. Hierfür sind keine baulichen Maßnahmen notwendig geworden. Im Übrigen wird eine weitere Erweiterung auf insgesamt 140 Plätze vorbereitet. Mittelfristig auf sogar 175.

Zusätzliche Kapazitäten – wie von der Gewerkschaft der Polizei gefordert – bedeuten aber auch mehr Personal: Der Mehrbedarf wird durch abgeordnete Beamte aus dem Justizvollzug und privaten Sicherheitskräften gedeckt. Entsprechende Schritte sind in die Wege geleitet worden. Weiteres staatliches Personal steht ab 2018 durch eigene Nachwuchskräfte zur Verfügung. Ein weiterer Jahrgang schließt die Ausbildung in 2019 ab. Mittelfristig wird die Ausweitung auf insgesamt 175 Haftplätze geplant. Hierfür sind weitere personelle und organisatorische Maßnahmen erforderlich.

Abschließend noch zwei Sätze zum Ausreisegewahrsam: Das im August 2015 neu geschaffene Instrument des Ausreisegewahrsams nach § 62 b AufenthG wird kaum genutzt. In 2016 wurde von insgesamt 958 untergebrachten Personen in der UfA Büren in nur 30 Fällen ein Ausreisegewahrsam angeordnet. Im Jahr 2017 gibt es bislang zwei Anwendungsfälle. Somit wird im Moment ein verstärkter Bedarf zur Entlastung der UfA Büren durch Schaffung einer eigenen Einrichtung für Ausreisegewahrsam nicht gesehen.

Damit wird deutlich, dass sich der Antrag der CDU in der vorliegenden Form erledigt hat. Es gibt keine Engpässe, Maßnahmen zur Kapazitätssteigerung wurden bereits ergriffen, zusätzliche personelle Ressourcen werden zur Verfügung gestellt.

Insofern empfehle ich dem Landtag heute die Ablehnung des Antrags.

André Kuper (CDU):

Am Beispiel der fehlenden Kapazitäten der Abschiebehaftanstalt Büren zeigt sich mal wieder das typische Handeln des Innenministers – so wie es sich fortwährend bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und seiner Folgen seit nunmehr zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen darstellt. Ignoranz, die zu Notsituationen führt! Immer das gleiche Muster:

Die Landesregierung wird vor Unzulänglichkeiten gewarnt und es werden Forderungen aufgestellt, der Innenminister schlägt diese Warnungen in den Wind, relativiert und macht nichts, das Kind fällt in den Brunnen, weil sich die Warnungen bewahrheiten und anschließend gibt der Innenminister den Forderungen nach. – Genauso ist es auch im Fall Abschiebehaftanstalt Büren gelaufen.

Anfang Januar diesen Jahres forderte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei dass Nordrhein-Westfalen seine Kapazitäten für die Abschiebehaft ausbauen müsse. Der Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums aber wiegelte ab und erklärte, dass die Kapazitäten auskömmlich seien. Das Land verfüge über mehr Haftplätze, als derzeit benötigt werden. Dann mussten die ersten kommunalen Ausländerbehörden diese Ignoranz ausbaden und auf Rheinland-Pfalz ausweichen.

Im Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 20.02.2017 wurden insgesamt 28 Ausreispflichtige aus NRW in anderen Bundesländern untergebracht.

Es zeigt sich dasselbe Muster wie bereits beim Ausbau der Erstaufnahmeplätzen und Kapazitäten, wo auch die Kommunen letztlich für das Land in die Bresche springen mussten. Hier wurde monatelang gewarnt und ein Ausbau eingefordert. Erst nachdem die EAE Dortmund 5 Notschließungen veranlasste, kam – zu spät – Bewegung in die Sache.

So war es auch beim Aufbau eines regulären Aufnahmesystems: Hier haben wir bereits vor einem Jahr ein atmendes System gefordert, aber die Landesregierung baut immer noch auf und ab – Beispiel Rüthen –, plant weiterhin ein völlig überdimensioniertes Erstaufnahmezentrum in Bochum – welches sich seit Monaten verzögert – und hat nun auch noch Verträge mit Jahrzehntelanger Laufzeit an den Hacken, weil die selbstverschuldete Not keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung mehr zuließ.

Gleiches ist auch bei der Kostenerstattung der kommunalen Flüchtlingskosten sowie bei der Struktur und Organisation von Abschiebungen zu beobachten. Imme wieder wurden Warnungen außer Acht gelassen und durch Ignoranz eine Notlage befördert.

Diese Liste ließe sich unendlich lag weiter führen. Von vorausschauender und präventiver Politik ist hier nichts zu sehen. Und Büren ist ein weiteres Glied in dieser Kette des Organisationsversagens der Landesregierung.

Aber in einem so hochsensiblen Bereich wie der Abschiebehaft darf sich das nicht wiederholen: Sehr geehrter Herr Minister, schaffen Sie die Voraussetzungen, dass jeder Abschiebehäftling auch in NRW untergebracht werden kann. Lassen Sie die kommunalen Ausländerbehörden nicht im Stich! Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist es notwendig, dass diejenigen auch untergebracht werden können, für die eine Abschiebhaft angeordnet wird.

Unsere Forderung nach einem separaten Ausreisegewahrsam wurde als nicht notwendig abgelehnt – nun aber blockieren auch Plätze für den Ausreisegewahrsam Abschiebehaftplätze. Jetzt ist Handeln angesagt. Der sofortige Ausbau der Kapazitäten auf die möglichen 175 Plätze, parallel Vorbereitung der baulichen Maßnahmen zur Schaffung weiterer Plätze.

Herr Minister, Sie unterstützen doch derzeit in der Öffentlichkeit die Pläne der Bundesregierung die Voraussetzungen für Abschiebehaft zu lockern – hoffentlich auch inhaltlich und nicht nur als Verteidigungslinie im Fall Amri! Dann sind Sie doch auch in der Pflicht in NRW sicherzustellen, dass dann auch der Vollzug der Abschiebehaft sichergestellt ist.

Herbert Franz Goldmann (GRÜNE):

Wenn Sie sich einmal die „Aktuelle Bestandsliste“ der Bezirksregierung Detmold – zuständig für die UfA Büren – mit den Zu- und Abgängen für 2017 anschauen, so wird die maximal gültige Belegungsquote von 120 Plätzen nicht ein einziges Mal erreicht bzw. überschritten, wobei Anfang des Jahres 20 Haftplätze im Rahmen der Amtshilfe durch die Einrichtung in Ibbenbüren zur Verfügung gestellt wurden. Das heißt also: Die Auslastung ist nahe an der Belegungsgrenze.

Insofern hat sich die Einschätzung des Innenministeriums bislang bestätigt, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass eine Erweiterung der Kapazitäten auf bis zu 175 Plätze ohne bauliche Veränderungen möglich und im Fokus sind. Das bedeutet also, dass die aktuellen Kapazitäten auskömmlich sind.

Wenn der Landesvorsitzende der GdP Anfang Januar 2017 fordert, dass das Land mehrere Tausend Plätze für die Abschiebehaft brauche, dann kann er das tun. Wenn Sie von der CDU sich einer solchen Forderung offensichtlich anschließen, erwarte ich dagegen, dass Sie die Belastbarkeit und Grundlage einer solchen Aussage ergebnisoffen überprüfen. Ich vermag aber ob einer solchen Aussage, einen seriösen Bedarf, der einer objektiven Betrachtung standhält, nicht zu erkennen.

Die Bestimmung des § 1 des Gesetzes über die Abschiebehaft und die Auslegung des Art. 2 des GG stimmen darin überein, dass eine Abschiebehaft nur als „ultima ratio“ angewendet werden darf. Abschiebehaft – liebe Kolleginnen und Kollegen – bedeutet Freiheitsentzug, und dies häufig genug bei Menschen – oder Insassen –, die in ihrem bisherigen Leben niemals straffällig geworden sind.

Insofern hat der EuGH im Juli 2014 auch konsequenterweise entschieden, dass das Abschiebegefangene nicht mit sonstigen Strafgefangenen untergebracht werden dürfen.

Und wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in Ihrem Antrag vom 07.02. unter der Ziffer 1 fordern, dass die LR sicherstellen möge, dass alle kommunalen Ausländerbehörden abgelehnte und ausreisepflichtige Ausländer in Büren unterbringen könne, dann sollten Sie mal darüber nachdenken, dass der BGH allein 2014 mindestens ein Dutzend Mal Haftanordnungen der Amtsgerichte aufgehoben und eine Rechtswidrigkeit wegen Unzulässigkeit der Haft in der UfA bzw. JVA Büren festgestellt hat.

Es gibt nicht wenige Stimmen, die davon ausgehen, dass bis zu 80 % der beantragten und verkündeten Haftbeschlüsse rechtswidrig sind.

Schauen sie sich mal die Rechtsprechung des BGH vom 25.06.2014 an: Freiheitsentzug bleibt Freiheitsentzug.

Wir sollten uns weniger für eine ausufernde Ausweisung von Plätzen in der Abschiebeeinrichtung über den Bedarf aussprechen, sondern für qualitative und wirksame Möglichkeiten einer Haftvermeidung.

Für solche Gespräche steht meine Fraktion Ihnen gerne zur Verfügung. Ihren Antrag lehnen wir dagegen ab.

Henning Höne (FDP):

Wir alle wollen Schutz für Flüchtlinge. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Bevölkerung, denn die Aufnahmebereitschaft ist die wichtigste Ressource für die Integration von Menschen, die bei uns Schutz suchen. Diese Aufnahmebereitschaft gilt es darum unbedingt zu erhalten.

Sie wird jedoch gefährdet, wenn der Eindruck entsteht, dass die Schutzbedürftigkeit, welche die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl ist, nicht vorhanden ist oder geprüft wird. Daher muss die Regel sein, dass derjenige, der nach unseren Gesetzen ein Recht auf unseren Schutz hat, diesen bekommt. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass derjenige, der kein Recht hat, hier zu bleiben, unser Land wieder verlassen muss. Diese Unterscheidung hat der Rechtsstaat zu leisten, um einerseits die Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung zu erhalten und andererseits den Schutz von Flüchtlingen in unserem Land auch in Zukunft zu sichern.

Ich möchte in diesem Zusammenhang klarstellen, dass wir Freie Demokraten wie alle im Landtag vertretenen Parteien freiwillige Ausreisen bevorzugen. Es ist nicht unser Ziel, möglichst viele Menschen ohne Bleiberecht abzuschieben, wenn freiwillige Ausreisen möglich sind. Deswegen unterstützen wir auch ausdrücklich die bestehenden Maßnahmen, freiwillige Ausreisen zu fördern und zu bewerben. Aber gerade dafür ist es notwendig, dass dem Ausreisepflichtigen zwei Sachen klar sind: Erstens, wenn die Person die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht nutzt, wird er abgeschoben und das nicht erst in ein paar Monaten oder Jahren, sondern zeitnah. Zweitens, wenn die Person sich der Abschiebung entzieht, dann wird der Rechtsstaat Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam konsequent anwenden, um seine Ausreise sicherzustellen.

Es geht also nicht darum, möglichst viele Menschen abzuschieben oder in Haft zu nehmen. Es geht vielmehr darum, diese klare Botschaft zu senden. Damit diese glaubhaft ist, muss die notwendige Infrastruktur für Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam bereitgestellt werden und diese Infrastruktur muss auch konsequent genutzt werden.

Dass die vorhandenen Kapazitäten nicht ausreichen würden, war schon auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise klar. Während zwei Drittel der Menschen, die kamen, Recht auf unseren Schutz hatten, war damals schon bekannt, dass ein Drittel unser Land wieder wird verlassen müssen. Zu diesem Zeitpunkte zeichnete sich ab, dass nicht alle freiwillig gehen würden und man somit bei einer steigenden Anzahl von Menschen Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam konsequent wird anwenden müssen. Ein Jahr später, im Januar dieses Jahres, hat die Gewerkschaft der Polizei noch einmal eindringlich gewarnt, dass ein Engpass bei den Abschiebehaftplätzen absehbar sei. Wir fordern die Landesregierung auf, nun endlich zu handeln und ausreichend Plätze für Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam vorzuhalten.

Deswegen unterstützen wir diesen Antrag.

Frank Herrmann (PIRATEN):

Dieser Antrag der CDU-Fraktion ist für mich eine Unverschämtheit! Und er ist für mich ein massiver Rückschlag für die Integrationsbemühungen im Land.

Geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie verfolgen auch mit diesem Antrag, wie mit vielen anderen in den letzten Wochen und Monaten, offensichtlich Ihre Strategie weiter, die Bevölkerung zu verunsichern, Angst zu streuen und Geflüchtete in die Ecke von Straftätern zu stellen!

Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass durch den Anstieg der Flüchtlingszahlen proportional auch die Anzahl derjenigen, die zurückgeführt werden müssten, steigen. Wie kommen Sie dazu?

Das würde nur zutreffen, wenn es heimlich eine feste Quote für die Aufenthaltsgenehmigungen geben würde. Wir gehen aber immer noch davon aus, dass tatsächlich jeder Einzelfall geprüft wird und es völlig unerheblich ist, ob eine bestimmte Quote erreicht ist, oder nicht. Wir würden z. B. eine 100%-Anerkennung des Flüchtlingsstatus für die Menschen erwarten, die aus Syrien vor dem Krieg flüchten.

Eine proportionale Abhängigkeit der Anzahl der bei uns Hilfe suchenden Flüchtlinge zur Anzahl der Menschen, denen ein Aufenthaltsrecht verwehrt wird herzustellen, kann man so nur als blanken Populismus bezeichnen!

Aber es geht ja noch weiter: aus verschiedenen Gründen steigen die absoluten Zahlen der formal ausreisepflichtigen Menschen in unserem Land tatsächlich. Nur was hat das bitte mit der Kapazität der Abschiebehaftanstalt in Büren zu tun? – Für einen Fachpolitiker, und als solcher wollen Sie doch wohl auch bezeichnet werden, gar nichts!

Aber Sie wollen offensichtlich den Menschen im Land ziemlich deutlich zwischen den Zeilen vermitteln, das ausreisepflichtige Menschen grundsätzlich weggesperrt gehören. Das ist unseriös und populistisch!

Entlarvt wird Ihre Kampagne gegen Geflüchtete und gegen Ausreisepflichtige auch durch die parallel zu Ihrem Antrag von CDU-Abgeordneten eingereichten Kleinen Anfragen an die Landesregierung. Mit markigen Titeln wie z.B. „Abschiebehaftanstalt Büren überlastet?“ wurden am 11. Januar, am 26. Januar und am 9. Februar Kleine Anfragen zur Aufnahmekapazität der Einrichtung in Büren gestellt – keine der Antworten lag jedoch vor, als Sie Ihren Antrag am 7. Februar eingereicht haben!

Richtig gefährlich wird Ihre Kampagne aber meiner Meinung nach dadurch, wenn man sich erinnert, das zur gleichen Zeit Ende Januar/Anfang Februar jeden Tag in den Medien die vermeintliche Möglichkeit einer Abschiebehaft für den Mörder Anis Amri diskutiert wurde. Die unsäglichen „Gefährderhaft“-Vorschläge von Bundesinnenminister de Maizière und Bundesjustizminister Maas haben Sie ja auch noch im Antrag untergebracht.

Die sich daraus ergebende Assoziationskette „Flüchtlinge – möglicherweise gefährlich – wegsperren = Sicherheit“ wird an nicht wenigen Stammtischen so diskutiert worden sein und hat eine Aussage, die einmal mehr das Klima in unserem Land vergiftet. Schon Ihre „Die Stimmung kippt“-Kampagne von 2015 hat zu einer tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt und hat meiner Meinung nach auch massiv dazu beigetragen, das der rechte Bodensatz im Land wieder stärker geworden ist. Und jetzt setzen Sie noch einen drauf und rücken Flüchtlinge in die Nähe von „Gefährdern“, die man am besten wegsperren sollte. Das ist wirklich schäbig.

Ihr Konzept ist offensichtlich, erst den Menschen Angst zu machen, um dann im Wahlkampf als Partei der inneren Sicherheit aufzutreten. Das ist ein Spiel mit dem Feuer!

Geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, es gab schon einige Brandstifter, die sich nachher als Feuerwehr zum Helden machen wollten und dann den selbst gelegten Brand nicht mehr unter Kontrolle bekommen haben. Sie haben als so genannte Volkspartei auch eine Verantwortung allen Menschen gegenüber. Und dieser Verantwortung kommen Sie mit Ihren Kampagnen nicht nach – denken Sie einmal darüber nach.

Den Antrag lehnen wir selbstverständlich ab.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Der Antrag der CDU hat sich erledigt, er ist überholt. Aktuell gibt es keine Engpässe in der Unterbringungseinrichtung Büren. Das liegt daran, dass wir das Thema selbst – und zwar schon lange, bevor es die CDU Mitte Februar ins Plenum eingebracht hat – angepackt haben.

Bereits eine Woche, nachdem hier im Landtag die Überweisung des Antrags beschlossen wurde, konnten die Kapazitäten auf 120 Plätze erweitert werden – und das ohne bauliche Veränderungen. Dies war so schnell nur deshalb möglich, weil die Vorbereitungen zur weiteren Personalaufstockung schon länger liefen.

NRW verfügt über die Einrichtung mit der größten Kapazität. Die Situation in NRW hat sich durch die vorgenommenen Maßnahmen geändert. Ein Ausweichen auf Plätze in anderen Ländern ist grundsätzlich nicht notwendig.

Wir halten an der mittelfristig geplanten Erhöhung auf 175 Plätze fest. Der nächste Schritt dabei sind 140 Plätze – dafür brauchen wir dann zwingend mehr staatliches Personal.

Bereits jetzt wird die Möglichkeit der Abordnung bzw. Versetzung von Personal aus dem Justizbereich geprüft. Entsprechende Schritte sind in die Wege geleitet worden.


Anlage 3

Zu TOP 11 – Kommunale Ordnungsdienste qualitativ durch die Einführung eines Ausbildungsberufes stärken – für mehr Sicherheit und Ordnung in unseren Städten! – zu Protokoll gegebene Reden

Christian Dahm (SPD):

Zur Debatte steht ein Antrag der CDU Fraktion – Kommunale Ordnungsdienste durch die Einführung eines Ausbildungsberufes stärken –, durch den mehr Sicherheit und Ordnung in unsere Städte gebracht werden soll.

Die CDU-Fraktion fordert, die kommunalen Ordnungsdienste weiterzuentwickeln. Ihre Kompetenzen sollen in Richtung einer Vermischung Ordnungs- und Sicherheitsbehördlicher Aufgaben auf den Prüfstand, und zu diesem Zweck soll ein landesweiter Ausbildungsgang zur „Verbesserung“ der kommunalen Außendienste auf den Weg gebracht werden.

Ich will hier deutlich hervorheben, dass die kommunalen Ordnungsdienste in Nordrhein-. Westfalen eine hervorragende Arbeit leisten.

Trotz komplexer Aufgaben und zunehmender Tätigkeiten sind die Ordnungsdienste schon heute in der Lage, in allen Städten des Landes ihre Aufgaben zu bewältigen. Dabei kommt es ihnen zu Gute, dass sie in der Lage sind, individuelle Lösungen auf individuelle Probleme zu erarbeiten und umzusetzen.

Eben diese Befähigung soll ihnen nun – folgt man dem Antrag der CDU – genommen werden. Mit einem landesweiten Ausbildungsgang würden die Städten und Gemeinden ihre Kompetenz verlieren und müssten sich ihre Ordnungskräfte, überspitzt formuliert, „von der Stange kaufen“. Dies würde nicht nur dazu führen, dass sie nicht mehr flexibel auf neue Herausforderungen und Anforderungsprofile reagieren können, es würde auch einen massiven Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellen.

Kommunen müssen die Möglichkeit haben, sich aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die Befähigung, Strukturen eigenmächtig zu ändern, muss erhalten bleiben.

Diese Notwendigkeit wird besonders deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Erfordernisse von Stadt und Land, Zentrum und Peripherie anschaut: Kleinere Gemeinden sind darauf angewiesen, dass sie das Personal flexibel in verschiedenen Bereichen einsetzen können, da sie keine großen Fachabteilungen bilden können, wie das in größeren Städten der Fall ist.

Eine starke Vermischung von Ordnung und Sicherheit, wie sie hier gefordert wird, hätte darüber hinaus eine Verwässerung der Aufgabenabgrenzung zu polizeilichen Behörden zur Folge. Dies führt zu Kompetenzüberschneidungen, Verwirrung bei Bürgerinnen und Bürgern und zu Sicherheitsrisiken bei der Gefahrenabwehr, nicht zuletzt für die Ordnungskräfte selbst. Denn es ist eben nicht dasselbe, ob ein Gesetzeshüter oder eine Gesetzeshüterin mit polizeilicher Ausbildung in sicherheitsrelevanten Fragen eingreift oder Ordnungsbeamte mit Zusatzqualifikation.

Natürlich ist eine gute Koordination und Ergänzung im Interesse aller Beteiligten. Wichtig ist eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen den Ordnungsbehörden und der Polizei, aber diese funktioniert bereits – auch nach Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände – ausgesprochen gut. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Ordnungspartnerschaften. Diese gibt es bereits heute und können in den Kommunen bedarfsgerecht ins Leben gerufen werden.

Darum sage ich in aller Deutlichkeit: Wir wollen und brauchen keine Hilfspolizei! Es besteht kein Handlungsbedarf, der Vorschlag ist kontraproduktiv. Der Vorschlag wird nicht nur von den kommunalen Spitzenverbänden abgelehnt sondern auch von den übrigen Fraktionen hier im Parlament. Die CDU Fraktion steht mit ihrem Antrag daher alleine.

Daher werden wir diesen gleich ablehnen.

Henning Höne (FDP):

Am 9. Mai berichtete die Westdeutsche Zeitung, dass alle 90 Minuten ein Polizeibeamter entweder tätlich oder verbal angegriffen werde. Insgesamt seien 2015 14.000 Polizeibeamte Opfer von Angriffen gewesen, was eine Steigerung in Höhe von 41 Prozent im Vergleich zu 2014 bedeute. Wenngleich es keine Statistik zu Angriffen auf Ordnungsbeamte gibt, berichtete der Städtetag NRW in der Anhörung am 10. Februar 2017 jedoch, dass auch Mitarbeiter der Ordnungsämter zunehmend Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt seien. Insofern greifen Sie, liebe Kollegen von der CDU, ein Problem auf, um das sich Politik kümmern muss.

Allerdings ist der Schluss, den Sie daraus ziehen, aus meiner Sicht der Falsche. Denn, wie Sie selbst beschreiben, ist die Polizei zuständig für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Wir brauchen daher mehr Polizeibeamte. So sollten auch gute Realschüler wieder die Möglichkeit erhalten, den Beruf des Polizisten zu erlernen. Darüber hinaus brauchen wir eine moderne Ausstattung sowie Verwaltungsassistenten, die unsere Polizistinnen und Polizisten von administrativen Aufgaben entlasten, sodass die Beamten wieder ihren Kernaufgaben nachgehen können.

Ein eigener Ausbildungsgang, wie Sie ihn fordern, würde die notwendige Flexibilität des Personals in den Verwaltungen von ländlichen Städten und Gemeinden eindämmen. Dies stellte auch der Städte- und Gemeindebund NRW in der Anhörung deutlich heraus: „Den kleinen Kommunen ist es ein Anliegen, ihre Personalressourcen möglichst flexibel bewirtschaften zu können. Für diese Flexibilität ist es wichtig, vor allem ‚Alleskönner‘ auszubilden, die flexibel für alle möglichen Aufgaben in der Kommunalverwaltung eingesetzt werden können, unter anderem für das kommunale Ordnungsamt oder den kommunalen Ordnungsdienst“. Außerdem existieren bereits Weiterbildungsangebote, die das ermöglichen, was Sie in den Beratungen zu dem Antrag eingefordert haben.

Wir brauchen somit keine speziellen neuen Ausbildungsberufe. Wir brauchen eine Landesregierung, die ihre Prioritäten richtig setzt und die Kommunen finanziell auskömmlich ausstattet.

Torsten Sommer (PIRATEN):

Die durchgeführte Anhörung zum Antrag der CDU hat eindeutig gezeigt, dass es im Bereich der kommunalen Verantwortung Ansprechlücken außerhalb normaler Bürozeiten zu geben scheint. Hier muss immer wieder und regelmäßig die Polizei Aufgaben übernehmen, die eigentlich im kommunalen Ordnungsrecht zu verorten sind.

Die CDU schlägt hier als Lösung vor, einen neuen Ausbildungsberuf mit landesweit einheitlichen Standards zu etablieren. Die Anhörung hat aber gezeigt, dass es weniger an der fehlenden Ausbildung der kommunalen Verwaltungsmitarbeiter hapert, sondern eher an der kommunalen Organisation. Da hilft dann auch keine neue Ausbildung, denn Menschen, die nicht als Ansprechpartner bereitstehen, lösen kein Problem – egal wie passend oder unpassend ihre Ausbildung ist.

Hier muss die kommunale Familie viel mehr in die Pflicht genommen werden, Schnittstellen und Ansprechpartner auch außerhalb normaler Bürozeiten anzubieten. Hier würde sich – gerade im ländlichen Bereich – eine interkommunale Zusammenarbeit geradezu aufdrängen.

Ein weiterer Ausbildungsgang würde sich dann auch dadurch erübrigen, dass bereits jetzt gut ausgebildete Verwaltungsfachleute zur Verfügung stehen. Dazu ist die lokale Zusammenarbeit zu intensivieren. Dann kommen wir auch nicht in die Bredouille einer kommunalen Hilfspolizei.

Daher empfehle ich meiner Fraktion, den vorliegenden Antrag abzulehnen.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Wir haben bereits in der Sitzung gestern festgestellt: Den von der CDU behaupteten Rückzug der Polizei aus der Fläche gibt es nicht. Es gibt im Gegenteil die Bemühungen, die Personalstärke unserer Polizei insgesamt deutlich zu erhöhen – das sind Bemühungen dieser Landesregierung. Aktuell bilden wir 2.000 Kommissaranwärterinnen und -anwärter aus – das gab es zuletzt in den 80er Jahren.

Die meisten wissen inzwischen, dass die SPD sogar eine Erhöhung auf 2.300 in der nächsten Legislaturperiode versprochen hat – im Gegensatz zu der CDU-Fraktion, die sich in diesem Punkt überhaupt nicht festlegen will.

Da stellt sich mir die Frage: Warum nicht? Wollen Sie vielleicht wieder Personal bei unserer Polizei abbauen? Wie Sie es bereits von 2005 bis 2010 getan haben? Damals waren es 466 Planstellen, die Sie eingespart haben.

Für uns steht hingegen fest: Wir wollen die Zielmarke von 41.000 erreichen – so schnell es geht. Das käme dann allen Polizeibehörden in NRW zugute – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.

Insofern geht dieser Antrag schon von falschen Voraussetzungen aus. Er wird auch von allen kommunalen Spitzenverbänden übereinstimmend bewertet: Als überflüssig. Zum einen – es ist in der Debatte schon angeklungen – weil es ein Eingriff in die Kommunale Selbstverwaltung wäre – und zwar ein Eingriff, der völlig unnötig ist; denn die Kommunen sind schon viel weiter, wenn es darum geht, eigenes Personal zu qualifizieren, als Sie das hier darstellen. Und zum anderen, weil ein eigener Ausbildungsberuf die Verwendungsbreite – gerade in kleinen Verwaltungen – deutlich einschränkt. Insofern ist der Antrag kein Beitrag, der uns irgendwie weiterbringt.

Was den Kommunen deutlich mehr nutzt – und ich bin froh, dass die Sachverständigen das in der Anhörung noch einmal deutlich auf den Punkt gebracht haben – sind Ordnungspartnerschaften, also Kooperationen zwischen Polizei und Ordnungsbehörden. Die vor allem passgenau die Probleme anpacken, die vor Ort existieren. Die Idee für diese Ordnungspartnerschaften stammt übrigens von meinem Amtsvorgänger, Franz-Josef Kniola, der sie 1997 ins Leben gerufen hat. Ich finde, daran darf man an dieser Stelle ruhig mal erinnern. Das war eine ziemlich gute Idee.