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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/142

16. Wahlperiode

06.04.2017

 

142. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 6. April 2017

Mitteilungen des Präsidenten. 14983

1   Vorausschauende Wirtschaftspolitik fortsetzen. Starker Standort NRW!

Unterrichtung
durch die Landesregierung. 14983

Minister Garrelt Duin. 14983

Hendrik Wüst (CDU) 14987

Norbert Römer (SPD) 14991

Dietmar Brockes (FDP) 14994

Reiner Priggen (GRÜNE) 14997

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 15003

Minister Garrelt Duin. 15006

Michael Hübner (SPD) 15007

Christof Rasche (FDP) 15008

2   Koordinierung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglicht effiziente Beratungsstrukturen und stärkt Prävention

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14665. 15008

Jochen Ott (SPD) 15008

Hans Christian Markert (GRÜNE) 15009

Bernhard Tenhumberg (CDU) 15010

Ulrich Alda (FDP) 15011

Simone Brand (PIRATEN) 15012

Ministerin Christina Kampmann. 15013

Ergebnis. 15014

3   Schluss mit den falschen Versprechungen – Reform der Kita-Finanzierung transparent und ehrlich vorbereiten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14650. 15014

Bernhard Tenhumberg (CDU) 15015

Marcel Hafke (FDP) 15015

Britta Altenkamp (SPD) 15016

Andrea Asch (GRÜNE) 15018

Daniel Düngel (PIRATEN) 15019

Ministerin Christina Kampmann. 15021

Bernhard Tenhumberg (CDU) 15022

Ergebnis. 15023

4   Das Fach Informatik an allen nordrhein-westfälischen Schulen stärken!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14656

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14767. 15024

Monika Pieper (PIRATEN) 15024

Hans Feuß (SPD) 15024

Dr. Anette Bunse (CDU) 15025

Sigrid Beer (GRÜNE) 15027

Ingola Schmitz (FDP) 15029

Ministerin Sylvia Löhrmann. 15030

Monika Pieper (PIRATEN) 15031

Ergebnis. 15031

5   Keine Energiewende zulasten von Mensch und Natur – NRW muss grundlegenden Kurswechsel beim Ausbau der Windenergie einleiten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14648

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14768. 15032

Dietmar Brockes (FDP) 15032

Frank Sundermann (SPD) 15033

Hubertus Fehring (CDU) 15034

Wibke Brems (GRÜNE) 15035

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 15036

Minister Johannes Remmel 15037

Ergebnis. 15040

6   Schlussbericht
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 05.11.2014
Drucksache 16/7148 – Neudruck

Drucksache 16/14400. 15040

Sven Wolf (SPD) 15040

Andreas Kossiski (SPD) 15043

Heiko Hendriks (CDU) 15046

Verena Schäffer (GRÜNE) 15048

Yvonne Gebauer (FDP) 15050

Michele Marsching (PIRATEN) 15051

7   Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13313 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14679

zweite und dritte Lesung. 15053

Hans-Willi Körfges (SPD) 15053

Werner Jostmeier (CDU) 15054

Dagmar Hanses (GRÜNE) 15056

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15058

Daniel Düngel (PIRATEN) 15058

Dietmar Schulz (fraktionslos) 15060

Minister Ralf Jäger 15061

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15061

Erklärung von Henning Höne (FDP)
zur Abstimmung
gem. § 47 (2) GeschO
siehe Anlage 1

Ergebnis. 15063

Namentliche Abstimmung
siehe Anlage 2

8   Gesetz zur Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13113

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14681

zweite Lesung. 15064

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 15064

Werner Jostmeier (CDU) 15065

Dagmar Hanses (GRÜNE) 15065

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15066

Michele Marsching (PIRATEN) 15066

Dietmar Schulz (fraktionslos) 15067

Ergebnis. 15068

9   Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes, des Verfassungsgerichtshofgesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13312

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14682

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD
der Fraktion der CDU
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14787 (Neudruck)
Drucksache 16/14682

zweite Lesung. 15068

Marion Warden (SPD) 15068

Werner Jostmeier (CDU) 15069

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 15069

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15069

Michele Marsching (PIRATEN) 15070

Minister Ralf Jäger 15070

Ergebnis. 15070

10 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Absenkung des Eingangsquorums des Artikel 68 Landesverfassung NW

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14002 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14683

zweite und dritte Lesung. 15070

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD) 15071

Werner Jostmeier (CDU) 15071

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 15071

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15072

Michele Marsching (PIRATEN) 15072

Minister Ralf Jäger 15072

Gesetzentwurf im Verlauf der Debatte zurückgezogen  15073

11 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid – Zweites Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14006

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14684

zweite Lesung. 15073

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD) 15073

Werner Jostmeier (CDU) 15074

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 15074

Angela Freimuth (FDP) 15074

Michele Marsching (PIRATEN) 15074

Minister Ralf Jäger 15075

Ergebnis. 15075

12 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Einheitliche Quoren von 20 % in der Landesverfassung im sogenannten „parlamentarischen Betrieb“

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14380

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14685

zweite Lesung. 15075

Marion Warden (SPD) 15075

Werner Jostmeier (CDU) 15076

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 15077

Dr. Ingo Wolf (FDP) 15077

Michele Marsching (PIRATEN) 15078

Ergebnis. 15079

13 Viertes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung – Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenregel in das nordrhein-westfälische Landesrecht

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13315

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/14686

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14760 – Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktionen von CDU und FDP
Drucksache 16/14792

zweite Lesung. 15079

Stefan Zimkeit (SPD) 15079

Robert Stein (CDU) 15080

Gudrun Zentis (GRÜNE) 15081

Ralf Witzel (FDP) 15082

Nicolaus Kern (PIRATEN) 15083

Dietmar Schulz (fraktionslos) 15084

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 15085

Ergebnis. 15086

14 Landesregierung muss endlich ein Konzept zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans 2030 erstellen und der Öffentlichkeit vorstellen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14653. 15087

Klaus Voussem (CDU) 15087

Andreas Becker (SPD) 15088

Arndt Klocke (GRÜNE) 15089

Christof Rasche (FDP) 15091

Oliver Bayer (PIRATEN) 15092

Minister Michael Groschek. 15093

Ergebnis. 15094

15 „Streckungsfonds“ der Landesregierung soll steigende Energiekosten kommenden Generationen aufbürden – NRW benötigt mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik statt schuldenfinanzierte Schattenhaushalte

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13543

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie,
Industrie, Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/14687. 15094

Michael Hübner (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Josef Hovenjürgen (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Wibke Brems (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Dietmar Brockes (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Kai Schmalenbach (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Minister Garrelt Duin
zu Protokoll (siehe Anlage 3) 15094

Ergebnis. 15094

16 Eigentumsförderung stärken – mehr Fairness bei der Förderung von Wohneigentum für Familien

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14397. 15094

Bernhard Schemmer (CDU) 15095

Dieter Hilser (SPD) 15096

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 15098

Holger Ellerbrock (FDP) 15098

Oliver Bayer (PIRATEN) 15100

Minister Michael Groschek. 15101

Bernhard Schemmer (CDU) 15102

Ergebnis. 15102

17 Polizeipräsenz im ländlichen Raum stärken – System der Kräfteverteilung sachgerecht fortentwickeln!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13413

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/14688. 15102

Christian Dahm (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Kirstin Korte (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Monika Düker (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Marc Lürbke (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Dirk Schatz (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Gerd Stüttgen (FRAKTIONSLOS)
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (siehe Anlage 4) 15102

Ergebnis. 15102

18 Für die Einführung eines spartenübergreifenden Creative Commons Preises in NRW! Freien Zugang von digitalisierten Kunst- und Kulturgütern für die Zukunft absichern und die Verwendung von freien Lizenzen anregen.

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14385

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Kultur und Medien
Drucksache 16/14689. 15103

Andreas Bialas (SPD) 15103

Thorsten Schick (CDU) 15103

Matthi Bolte (GRÜNE) 15104

Thomas Nückel (FDP) 15104

Marc Olejak (PIRATEN) 15104

Ministerin Christina Kampmann. 15105

Ergebnis. 15105

Anlage 1. 15107

Zu TOP 7 – Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung von Henning Höne (FDP)

Anlage 2. 15109

Namentliche Abstimmung zu TOP 7 – Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13313 (Neudruck) zur dritten Lesung

Anlage 3. 15115

Zu TOP 15 – „Streckungsfonds“ der Landesregierung soll steigende Energiekosten kommenden Generationen aufbürden – Nordrhein-Westfalen benötigt mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik statt schuldenfinanzierte Schattenhaushalte – zu Protokoll gegebene Reden

Michael Hübner (SPD) 15115

Josef Hovenjürgen (CDU) 15115

Wibke Brems (GRÜNE) 15115

Dietmar Brockes (FDP) 15116

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 15117

Minister Garrelt Duin. 15118

Anlage 4. 15121

Zu TOP 17 – Polizeipräsenz im ländlichen Raum stärken – System der Kräfteverteilung sachgerecht fortentwickeln! – zu Protokoll gegebene Reden

Kirstin Korte (CDU) 15121

Christian Dahm (SPD) 15121

Monika Düker (GRÜNE) 15122

Marc Lürbke (FDP) 15123

Dirk Schatz (PIRATEN) 15123

Gerd Stüttgen (fraktionslos) 15124

Minister Ralf Jäger 15125


Entschuldigt waren:

 

Minister Garrelt Duin    
(von 13:30 bis 15 Uhr)

Minister Michael Groschek       
(bis 12:30 Uhr)

Minister Franz-Josef Lersch-Mense      
(bis ca. 12 Uhr)

Ministerin Svenja Schulze        
(von 17:30 bis 21 Uhr)

Manfred Krick (SPD)    
(ab 18 Uhr)

Peter Münstermann (SPD)

Lisa Steinmann (SPD)

Markus Töns (SPD)

Peter Biesenbach (CDU)

Dr. Anette Bunse (CDU)           
(ab 16:45 Uhr)

Regina van Dinther (CDU)

Wilfried Grunendahl (CDU)

Heiko Hendriks (CDU)  
(ab 16 Uhr)

Theo Kruse (CDU)

Friedhelm Ortgies (CDU)

Ina Scharrenbach (CDU)          
(ab 13:30 Uhr)

Hendrik Schmitz (CDU)
(bis 12:30 Uhr)

Michael-Ezzo Solf (CDU)

Robert Stein (CDU)      
(bis 16 Uhr)

Ulla Thönnissen (CDU) 
(von 12:30 bis 19:30 Uhr)

Axel Wirtz (CDU)         
(ab 14 Uhr)

Hendrik Wüst (CDU)    
(ab 16 Uhr)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)

Horst Becker (GRÜNE)
(ab 16 Uhr)

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE)    
(bis 11:30 Uhr)

Arndt Klocke (GRÜNE) 
(ab 18:30 Uhr)

Martina Maaßen (GRÜNE)       
(ab 17 Uhr)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE)         
(ab 17:30 Uhr)

Josefine Paul (GRÜNE)
(bis 12 Uhr)

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE)           
(ab 15 Uhr)

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE)

Henning Höne (FDP)    
(bis 12:30 Uhr und ab 16:30 Uhr)

Dr. Björn Kerbein (FDP)

Christian Lindner (FDP)
(ab 17 Uhr)

Dirk Wedel (FDP)         
(ab 18 Uhr)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Torsten Sommer (PIRATEN)    
(ab 16:30 Uhr)

Daniel Schwerd (FRAKTIONSLOS)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn sich die Reihen jetzt erst beginnen zu füllen, möchte ich Sie trotzdem schon einmal ganz herzlich zu unserer heutigen Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen begrüßen. Wir haben heute die große Freude, die 142. Sitzung unseres Parlaments miteinander zu gestalten. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich bisher zwölf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Zum Geburtstag dürfen wir heute auch gratulieren, und zwar Herrn Kollegen Hendrik Schmitz von der CDU-Fraktion, der allerdings bis heute Mittag entschuldigt ist. Die Glückwünsche werden wir dann nachholen und persönlich überbringen, sobald er wieder im Plenarsaal sein kann.

Mit diesen Vorbemerkungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, treten wir nunmehr in die heutige Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1  Vorausschauende Wirtschaftspolitik fortsetzen. Starker Standort NRW!

Unterrichtung
durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 28. März dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu dem Thema „Vorausschauende Wirtschaftspolitik fortsetzen. Starker Standort NRW!“ zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch Herrn Minister Duin.

Herr Minister Duin hat jetzt auch das Wort für die Unterrichtung.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen ist wieder auf Wachstumskurs. In der vergangenen Woche hat der Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder bekannt gegeben, dass er für das Jahr 2016 von einem Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes von 1,8 % ausgeht. Mit nur noch leichtem Abstand zum Bundesergebnis von 1,9 % können wir daher feststellen: Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist in einer guten Verfassung. 2017 wird es weiter aufwärts gehen, wie die Prognosen besagen. Im Vergleich der Bundesländer sind wir eben nicht das Schlusslicht, sondern Platz 6 und auf dem Weg nach oben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir werden sicherlich gleich, ohne dass ich es exakt vorhersagen könnte, von Rednern aus der Opposition interessante Zahlenspiele hören, wie man 0,1 irgendwie in 27,5 umrechnen kann. Besonders bemerkenswert fand ich – auch wenn er im Moment nicht da ist, möchte ich ihn trotzdem in diesem Sinne zitieren – den Abgeordneten Optendrenk. Der ist ja ausweislich seines Amtes wahrscheinlich derjenige in der CDU-Fraktion, den man für den hält, der am besten mit Zahlen umgehen kann. Er hat in der letzten Woche angesichts dieser Zahlen gesagt, das sei auch kein Wunder mit diesen Prozenten; denn man käme ja von einem niedrigen Niveau. Dann kann ich nur empfehlen, noch einmal in die Grundlagen der Prozentrechnung einzusteigen

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

und sich noch einmal vor Augen zu führen, dass wir in Nordrhein-Westfalen das mit Abstand stärkste Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland sind und dass das Wachstum eben nicht nur in Prozenten, sondern auch nominal in absoluten Zahlen ausgedrückt mit einer Steigerung von 648 Milliarden € auf 669 Milliarden € seines Gleichen im Vergleich im anderen Bundesländern sucht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist kein niedriges Niveau, sondern ein ausgesprochen hohes.

Das Schöne ist: Das Wachstum kommt bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an. Mit über 9 Millionen Erwerbstätigen und 7 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten stehen heute so viele Menschen in Lohn und Brot wie niemals zuvor in der Geschichte dieses Landes. Auch die Arbeitslosigkeit ist im Verlauf des Jahres 2016 weiter gesunken. Das ist ebenfalls ein Erfolg der Unternehmen und der Beschäftigten in unserem Land.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gleichzeitig sind auch die Reallöhne in 2016 um kräftige 1,7 % gestiegen. Der Arbeitskreis hat ebenfalls festgestellt – das sei an dieser Stelle durchaus ohne jede Selbstzufriedenheit erwähnt –, dass es das Nullwachstum, über das wir hier so heftig gestritten und gesprochen haben, tatsächlich nie gegeben hat – genauso wenig wie den Platz 16. Auch das muss zu dieser Debatte noch einmal ausdrücklich gesagt werden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nordrhein-Westfalen ist das wirtschaftliche Herzstück Deutschlands und hat auch in Europa gute Karte. Das sieht man auch im Ausland so. Ausländische Unternehmen, die in Deutschland handeln wollen, kommen vorzugsweise zu uns. Nordrhein-Westfalen ist der Investitionsstandort Nr. 1. Fast jeder dritte aus dem Ausland investierte in NRW; der Euro fließt. Wir weisen unter allen Bundesländern den größten Anteil an ausländischen Direktinvestitionen auf, fast so viel wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Kurz gesagt: Nordrhein-Westfalen ist ein Magnet für Investoren und nicht in irgendeiner schlechten Situation wie häufig behauptet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das bestätigt uns ja auch das Ranking des Magazins „fDi“. Das ist eine Tochter der britischen „Financial Times“. Diese Studie wurde nicht zu unserem Gefallen, zum Gefallen der Landesregierung gemacht, sondern sie wurde absolut unabhängig erstellt. Und die setzt NRW im europaweiten Vergleich von 481 Standorten nicht auf Platz 6, nicht auf Platz 5, nicht auf Platz 2, sondern auf Platz 1 der Zukunftsregionen in Europa. Danach sind wir die attraktivste Wirtschafts- und Investitionsregion. Das sagt doch alles!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn man sich im Land auskennt bzw. wenn man in den einzelnen Regionen präsent ist, dann ist es keine Überraschung, wenn man sieht, dass im Münsterland nahezu Vollbeschäftigung erreicht ist und dass wir Boomregionen – Ostwestfalen-Lippe oder Südwestfalen – haben. Und das Rheinland hat eine sehr gute Ausgangsposition auf sehr hohem Niveau. Nicht zuletzt haben wir auch das Ruhrgebiet, das die großen Themen dieses Landes durchaus auch immer widerspiegelt, sich aber auf den Weg zu neuen Ufern gemacht hat. Diese Regionen brauchen unsere Unterstützung. Und sie haben in diesen fünf bzw. sieben Jahren diese Unterstützung durch diese Landesregierung erhalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist in den vergangenen wirtschaftspolitischen Debatten häufig gesagt worden: Der Wirtschaftsminister macht da wieder einen runden Tisch zu dem und dem Thema. – Ja, in der Tat, ich setze auf Dialog und Plan. Und wir haben einen Plan für Nordrhein-Westfalen. Den denken wir uns nicht in irgendwelchen Hinterstübchen aus, sondern den organisieren wir eben in diesem Dialog mit den Beteiligten bzw. mit den betroffenen Unternehmen und nicht zuletzt auch mit den Gewerkschaften in unserem Land. Das will ich an dieser Stelle schon einmal vorwegschicken: Einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren auch gerade im internationalen Wettbewerb ist die gelebte Sozialpartnerschaft in Nordrhein-Westfalen. Das ist hier so wie nirgendwo anders der Fall!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will Ihnen gerne ein paar Beispiele nennen, wie erfolgreich wir diesen Dialog organisiert haben, um Neues zu schaffen, um nicht an Altem festzuhalten:

Bochum: Wir haben hier im Plenum Sondersitzungen gehabt, weil uns alle miteinander die Schließung des Opel-Werkes sehr bedrückt hat. In der Vergangenheit wäre es sicherlich oft dabei geblieben, die Solidarität mit den Beschäftigten – mit denen, die von der Schließung eines solchen Werkes betroffen sind – auszudrücken. Wir sind bei diesem Punkt eben nicht stehengeblieben, sondern wir haben – als klar war, dass es keine Alternative gibt und dass es zu einer Schließung kommen wird – die besten Leute aus der Region bzw. aus der Branche zusammengeholt: ob das Herr Kirchhoff ist, ob das Frau Thoben oder der Chef der Ruhruniversität war.

Die und noch viele andere Experten haben zusammengesessen und sich neue Gedanken gemacht. Sie haben dafür gesorgt, dass unmittelbar nach diesem bitteren Moment, als dieses Werk geschlossen wurde, die Bagger kommen konnten, um Platz für Neues zu machen. Und es gibt die ersten Investitionen auf dieser Fläche. Wer sich das dort anguckt, sieht, dass dort Neues entsteht. Dort wird nicht das Vergangene vor der Zukunft geschützt, sondern in Bochum und in der gesamten Region gibt es Aufbruch. Das ist überhaupt erst mit Hilfe der Landesregierung möglich geworden!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das alles basiert auf diesem dialogorientierten Politikansatz. Wir nennen das vorausschauende Wirtschaftspolitik, weil wir eben nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, und weil wir in Bezug auf neue Entwicklungen sehr wachsam sind.

Ich nenne ein zweites Beispiel: Die zentrale Herausforderung für unser Land ist die Digitalisierung. Es war nicht die Opposition, die hier kluge Anträge gestellt hätte, über die man hätte nachdenken müssen, sondern es war diese Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die hier mit ihrer Regierungserklärung das Thema „Digitalisierung“ für unser Land ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt hat!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Megaschwach!)

Auch da wurde nach dem gleichen Prinzip vorgegangen, das ich versuche, Ihnen zu erläutern. Es wurden die besten Köpfe zusammengeholt. Mit der Ernennung von Prof. Kollmann zum Beauftragten Digitale Wirtschaft war nur ein kleiner Baustein gesetzt. Dann ging es darum, einen Beirat zu installieren – in dem Start-ups, Wissenschaftler, Business Angels sowie auch die sogenannten Corporates, also die großen Unternehmen, und nicht zuletzt Vertreter des Mittelstandes sitzen –, um gemeinsam zu beraten: Wie kann eine solche digitale Strategie für das Land Nordrhein-Westfalen aussehen? Wir haben diese digitale Strategie vorgelegt und mit entsprechenden Mitteln unterlegt. Alle anderen Bundesländer orientieren sich an dem, was wir im Bereich der Digitalisierung schon auf den Weg gebracht haben.

Wenn Sie mir nicht glauben – so hat Herr Lindner gestern seine einzelnen Punkte immer eingeleitet –, glauben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, vielleicht dem IW, dem Institut der deutschen Wirtschaft; denn auf das beziehen Sie sich sehr häufig.

(Zuruf von der CDU)

Deswegen haben wir gesagt: Die sollen einmal untersuchen, wie der Digitalisierungsgrad in unsrem Land ist. – Die erste und wichtigste Erkenntnis ist: Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein Ecosystem geschaffen, in dem sich junge Gründerinnen und Gründer zu Hause fühlen. Die Zahl der Start-ups ist in Nordrhein-Westfalen in dem Zeitraum, in dem wir diese digitale Strategie umgesetzt haben, von 500 auf 1.500 gewachsen. Das ist ein Riesenerfolg.

(Beifall von der SPD)

Es war eben nicht so, dass wir irgendeiner Forderung der Opposition hinterher gelaufen wären,

(Zuruf von der CDU)

sondern wir haben gesagt: Wir wollen die einzelnen Zentren unseres Landes, ob im Rheinland, im Münsterland oder in anderen Regionen, stärken, um bei der Digitalisierung voranzukommen. Deswegen haben wir gesagt, wir schaffen sogenannte Digital-Hubs, digitale Zentren, in den Start-ups wachsen können, die aber vor allen Dingen eine Schnittstelle zwischen Mittelstand und Industrie bilden.

Das, was wir mit den sechs Hubs gemacht haben, wurde kritisiert. Vor Ort gehen die Abgeordneten, auch die der Opposition, gerne dorthin, schauen sich das an und sagen: Das ist super hier, alles tolle Akteure. – Hier wird dagegen erzählt, das sei ein falscher Weg gewesen. Wir hätten nicht sechs verschiedene Hubs, sondern einen großen schaffen sollen.

Sie kennen die Realität dieses Landes nicht. Wir sind dezentral organisiert.

(Beifall von der SPD)

Es ist gut, dass wir etwas in Münster, in Bonn, in Aachen, im Ruhrgebiet, in Köln und in Düsseldorf machen, dass wir uns also nicht auf einen Standort konzentrieren, sondern in die Regionen gehen. Es ist auch gut, dass wir das gemeinsam machen, zum Beispiel mit der Founders Foundation – das sind die, die das in Bielefeld organisiert haben –, mit denen aus Paderborn, die jetzt, auch in dem Bundeswettbewerb, sehr weit gekommen sind, und mit denen, die die Kompetenzzentren in Dortmund, in Lemgo, in Aachen, in Siegen und in Hagen haben: Wir sorgen gemeinsam dafür, dass die Digitalisierung auch außerhalb von Start-ups in Industrie und Mittelstand ankommt. Unser Mittelstand ist in der Lage, diese große Herausforderung zu meistern, weil wir ihn auf diesem Weg intensiv begleiten.

(Beifall von der SPD)

Natürlich spielt für die Digitalisierung auch die Infrastruktur eine große Rolle. Keine Plenarwoche und keine Ausschusssitzung sind vergangen, in denen nicht über das Thema „Breitband“ diskutiert worden wäre. Deswegen werden wir es auch heute nicht auslassen, Ihnen mitzuteilen: Wir sind das Flächenland in der Bundesrepublik Deutschland mit dem am besten ausgebauten Internet, mit den schnellsten Leitungen. Kein anderes Bundesland kann da mithalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nicht nur das: Wir haben eine doppelt so hohe Ausbaudynamik wie Bayern. Wir haben im letzten Jahr 500.000 Haushalte an das schnelle Internet angeschlossen. Durch das, was wir, indem wir die Beratung intensiviert haben, gemeinsam mit den Kommunen auf den Weg gebracht haben – im letzten Call waren 20 von 21 Bescheiden aus Berlin positiv –, werden wir in diesem und im nächsten Jahr die weißen Flecken von der Landkarte radieren. Bis Ende 2018 wird es flächendeckend schnelles Internet geben, weil wir die Mittel dafür bereitgestellt und uns so darum gekümmert haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dialog und Plan: Wenn wir uns die Wachstumszahlen ein bisschen differenzierter ansehen, stellen wir fest, dass wir ein weit über dem Bundesdurchschnitt liegendes Wachstum bei den Dienstleistungen haben: bei IT – ich habe gerade darüber gesprochen –, natürlich auch in der Logistik. Wir haben ein unterdurchschnittliches Wachstum in der Industrie. Da Nordrhein-Westfalen das Industrieland Nummer eins ist, muss man sich genau um die Voraussetzungen für mehr Wachstum in der Industrie kümmern. Es war nicht die Opposition, die dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat,

(Zurufe von der FDP)

sondern wir sind es gewesen, die in einem breit angelegten Dialog mit den Unternehmen und mit den Gewerkschaften industriepolitische Leitlinien vorgelegt haben, die eine Richtschnur sind und dafür sorgen, dass die Industrie wieder stärker wächst. Wir machen nicht den Fehler von Großbritannien oder von südeuropäischen Ländern, der Deindustrialisierung Vorschub zu leisten, sondern, im Gegenteil, wir stärken die Industrie an unserem Standort, und das wird auch zukünftig unsere Leitlinie sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Wo denn?)

Zwei wesentliche Elemente muss man in Bezug auf die Industriepolitik betrachten: Das eine ist die Energie, das andere ist die Infrastruktur. Energie: Es waren – niemand muss sich dafür warm anziehen – Herr Remmel und ich, also diese Landesregierung

(Hendrik Wüst [CDU]: Ziemlich beste Freunde! – Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

– kann man so sagen –, die in dem Moment, als klar war, dass die EU-Kommission ein Verfahren gegen das EEG in Gang setzt und es Ende 2013/Anfang 2014 eine neue Bundesregierung gibt, die sich eine Reform des EEG vornehmen wird, die Vertreter der energieintensiven Unternehmen an einen Tisch geholt und gefragt haben: Wie können wir dafür sorgen, dass es die besondere Ausgleichsregelung auch noch in Zukunft gibt; denn wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer energieintensiven Industrie bewahren und die damit verbundenen Arbeitsplätze hier halten? – Es nutzt dem Klima nicht und auch sonst niemandem, wenn diese Betriebe irgendwohin ins Ausland, wo es ganz andere Umweltstandards gibt, abwandern. Wir wollen die hier behalten. Wir haben gemeinsam dafür gesorgt, dass deren Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Es gibt ein energiepolitisches Dreieck, das gleichseitig ist. Es besteht zum einen aus dem Klimaschutz. CDU und FDP machen uns in dem Zusammenhang immer Vorwürfe. Aber gerade in der Energiepolitik und beim Klimaschutz hat diese Landesregierung überhaupt keinen Nachholbedarf. Wir halten an den Schritten fest, die bis 2020, bis 2030 und bis 2050 verabredet sind. Wir gehören im Übrigen, was den Ausbau der Windenergie angeht, zu den Profiteuren in unserem Land; denn viele Unternehmen, die sich diesem Thema verschrieben haben, profitieren davon, weil sie als Zulieferer mit im Boot sind.

Aber klar ist auch, dieses energiepolitische Dreieck hat noch zwei andere Seiten, nämlich die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit. Wir haben klare Benchmarks beim Klimaschutz. Aber ich sage das auch in Richtung Berlin: Wir werden uns darüber unterhalten müssen, dass wir genau solche Benchmarks für das Thema „Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit“ brauchen. Es kann nicht sein, dass uns bei alldem, was wir in dem einen Feld erreichen, auf der anderen Seite die Kosten um die Ohren fliegen und die Versorgungssicherheit in Deutschland, für die Nordrhein-Westfalen immer Sorge getragen hat, am Ende nicht mehr gewährleistet ist. Ich möchte nicht abhängig werden von dem Atomstrom der Nachbarn in Europa,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

sondern ich möchte, dass wir auch mit konventioneller Energie genügend vorhalten, um Versorgungssicherheit sicherzustellen.

Die zweite entscheidende Voraussetzung für einen guten Industriestandort ist eben die Infrastruktur. Es ist dem Kollegen Groschek gelungen, mit viel Unterstützung, auch überparteilich – das betonen wir immer wieder –, im Deutschen Bundestag dafür zu sorgen, dass wir allein, nur um die drängendsten Maßnahmen erledigen zu können, mit 14 Milliarden € unterstützt werden, und das wird münden und mündet in ein großes Anti-Stau-Programm in Nordrhein-Westfalen, und es ist wesentlich für den Erfolg unserer Wirtschaft, dass das jetzt umgesetzt wird. Das dokumentieren wir auch in dem Bündnis für Infrastruktur, wo wir eben wieder gemeinsam – nicht allein, gemeinsam –

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

mit den Kammern, mit der Wirtschaft, mit Gewerkschaften und mit Umweltverbänden daran arbeiten, dass es schneller vorangeht bei der Planung und schneller vorangeht bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen Sie an diesen Beispielen, es geht immer darum, dass man die Betroffenen einbindet, es geht darum, Geld und Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, damit sich dieser Wirtschaftsstandort weiter positiv entwickelt.

Wenn man am Ende einer solchen Wahlperiode auf das Land Nordrhein-Westfalen blickt, dann kann ich nur sagen: Ich blicke darauf vor allen Dingen mit Respekt vor der Leistung der hier lebenden Menschen. Ob sie Unternehmer oder ob sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, habe ich großen Respekt vor der Leistung. Denn sie haben dafür gesorgt, dass wir wieder optimistisch in die Zukunft blicken können, dass wir vom Ende der Tabelle in das obere Mittelfeld gelangt sind.

Aber ich erzähle Ihnen eben nicht, dass das alles nicht reicht, dass die Menschen in diesem Land Schlusslicht sind, sondern ich sage Ihnen, dass wir Respekt haben vor der Leistung,

(Beifall von der SPD)

wir mittlerweile auf einem guten Platz sind, aber wir damit noch nicht zufrieden sind und wir uns gemeinsam anstrengen wollen, um noch weiter in die Spitze zu kommen.

Das ist unser Politikansatz, das ist vorausschauende Wirtschaftspolitik, und die hat Erfolg. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Wirtschaftsminister für die Unterrichtung. Ich eröffne damit die Aussprache zur Unterrichtung. – Als erster Kollege hat Herr Kollege Wüst für die CDU-Fraktion das Wort.

Hendrik Wüst (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Jahreswirtschaftsbericht und auch diese Rede erinnern mich ein bisschen an das breit geschminkte Lächeln eines Harlekins, von dem jeder weiß, dass er im tiefsten Inneren eigentlich ziemlich enttäuscht ist.

(Beifall von der CDU)

Wenn Sie immer von Dialog reden, dann habe ich fast den Eindruck, das sei schon ein unterschwelliger Angriff auf Herrn Remmel und auf die Handschrift, die er Ihnen in den letzten Jahren zugemutet hat.

Nein, ich rechne nicht wie der Kollege Optendrenk – der kann das bestimmt viel besser als ich –, aber Ihre Rhetorik vom „Überholen ohne einzuholen“ ist nun auch nicht gerade von kluger Faktenfestigkeit getragen. 2015 war nicht die Ausnahme, 2015 war nicht die Delle, wie Sie uns hier weismachen wollen. Platz 15 von 16 Ländern im Jahr 2015. Das Jahr 2015 ist Teil der schlechten Gesamtbilanz Ihrer Landesregierung.

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

Seit 2010 ist Nordrhein-Westfalen 28 % schlechter gewachsen als der Bundesdurchschnitt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

– Das hat nichts mit Glauben zu tun, Herr Zimkeit, das hat etwas mit Rechnen zu tun.

(Beifall von der CDU)

Und auch 2016 war wieder unterdurchschnittlich.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Dann singen Sie hier das Hohelied der Industrie, und wir wissen doch alle: Seit Jahren haben wir Deindustriealisierung durch Desinvestition. Die neuen Investitionen liegen weit hinter den Abschreibungen zurück.

(Michael Hübner [SPD]: Sie sollten das Manuskript mal vorlesen!)

Die Metall- und Elektroindustrie hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dass man, wenn das so weitergeht, in den nächsten Jahren weniger als die Hälfte der Investitionen der nordrhein-westfälischen Firmen nicht mehr hier tätigen wird, sondern im Ausland.

Dann kommen Sie mit den FDIs, mit den Foreign Direct Investments. Ein ganz wunderbares Thema, das Sie hier immer bringen, weil es die einzige Zahl ist, die nun wirklich gut ist. Aber dann wollen wir doch einmal schauen: Was ist das für eine Zahl? – Da kaufen Chinesen deutsche Mittelständler, und dann geht diese Zahl nach oben. Hier ist keine einzige neue Anlage gebaut worden, kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen worden. Man könnte sogar sagen: Arbeitsplätze sind eher ins Risiko gestellt, wenn internationale Akteure hier zuschlagen und der deutsche Mittelständler aus seinem Unternehmen ausscheidet.

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD] – Michael Hübner [SPD]: Das muss ja ein schlechtes Unternehmen sein!)

Aber das lassen wir mal. Nur, eine gute Zahl ist das überhaupt nicht, das ist eine Nullnummer.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Der Eigentümer wechselt und sonst ist nichts passiert.

Dieser Jahreswirtschaftsbericht, die Pressekonferenz dazu und einige andere PR-Aktionen der letzten Tage machen den Versuch, auch Sie ganz persönlich, Herr Duin, von der Entwicklung im Land abzukoppeln.

Aber eine Textstelle in diesem Jahreswirtschaftsbericht, den ich mit Interesse gelesen habe, war dann schon entlarvend. Da schreiben Sie zum Tariftreue- und Vergabegesetz:

„Schließlich verdeutlicht das gute Beispiel des Tariftreue- und Vergabegesetzes, wie es der Landesregierung zuletzt gelungen ist, … die bürokratischen Belastungen für Unternehmen … deutlich zu reduzieren.“

(Heiterkeit von der CDU)

Erstens wollen wir eines feststellen: Dieses Tariftreue- und Vergabegesetz, dieses Sondervergabegesetzt Nordrhein-Westfalen, haben Sie erst eingeführt.

(Beifall von der CDU und der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: So ist es!)

Dann haben die alle gesagt: Das bringt nichts. Bei allen Anhörungen haben Ihnen alle, die das haben wollen, gesagt, sie könnten keinen Beweis liefern, dass weniger Kinderarbeit oder irgendetwas auf dieser Welt besser geworden wäre.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das werden Sie doch nie belegen können!)

– Ich war in den Anhörungen dabei, Frau Abgeordnete Kraft, die Sie dazwischenrufen,

(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])

Sie nicht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Keiner konnte uns den Beweis liefern, dass irgendwas besser geworden wäre.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Selbst nach den Änderungen haben die, die in der Wirtschaft betroffen sind, gesagt: Diese Veränderungen haben nichts gebracht.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Weit hinter den Versprechungen zurückgeblieben! Aber schön ist die Formulierung „zuletzt“. Da sieht man Ihr jahrelanges Ringen, die zähen Grabenkämpfe um diese Klitzekleinigkeit,

(Zuruf von Marc Herter [SPD])

die Sie dann am Gesetz ändern dürfen, die klitzekleinen Ecken, die Sie abfeilen durften, das zähe Ringen um diese Änderung am Tariftreue- und Vergabegesetz haben dann zuletzt am Ende doch Erfolge gezeitigt. Sie sind vor die Pumpe gelaufen bei Herrn Priggen zum Thema „Marktgesetz“. Sie haben es angekündigt, Sie durften es nicht machen. Sie sind vor die Pumpe gelaufen bei Herrn Remmel jetzt beim Thema „Spionageverordnung“ zur Veröffentlichung von Anlageplänen im Internet.

Sie hatten keine Unterstützung für einen eigenen, hier im Plenum an diesem Ort angekündigten eigenen Entwurf zur Energiewende mit nordrhein-westfälischer Handschrift – bis heute nichts vorgelegt.

Man hört ja so einiges über Ihre Zukunftspläne, was immer da dran ist. Ich wünsche Ihnen alles Gute dabei, aber eins ist klar: Die Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen braucht einen Neuanfang –

(Beifall von der CDU und der FDP)

im Übrigen nicht wegen der Zahlen, nicht wegen Statistiken, nicht wegen irgendwelcher Werte, die sich so oder so entwickeln. Wir sind es den Menschen in diesem Land schuldig. Wir sind es den Arbeitslosen schuldig. Hätte sich die Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen so entwickelt wie in den anderen Bundesländern, wären 90.000 Menschen in diesem Land weniger arbeitslos. Seit 2010 ist die Arbeitslosigkeit im übrigen Bundesgebiet dreimal so schnell zurückgegangen wie hier in Nordrhein-Westfalen. Wir sind es den Schülern schuldig, die unter Unterrichtsausfall leiden. Kein Land gibt so wenig Geld pro Schüler aus wie Nordrhein-Westfalen. Wir sind es den Kommunen schuldig.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben umverteilt von den angeblich reichen Kommunen im ländlichen Raum in die armen Städte. Das Ergebnis: Jetzt sind alle arm.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD – Zuruf von der SPD: Keine Ahnung, aber große Klappe! – Glocke)

Wir sind es den Menschen schuldig, deren Sicherheitsgefühl Sie verletzt haben mit Ihrer desaströsen Innenpolitik.

(Zurufe von der SPD)

Und wir sind es leider immer mehr armen Kindern in diesem Lande schuldig.

(Beifall von der CDU)

Wir sind es auch den Eltern schuldig, die seit Jahren auf bessere Kindergärten warten. Die Probleme all der Menschen, um die Sie sich nicht gekümmert haben, ließen sich viel einfacher lösen, wenn das Geld da wäre. Das Geld wäre da, wenn wir das Wirtschaftswachstum gehabt hätten wie die übrigen Länder.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Seit 2010 hätten wir jedes Jahr viereinhalb Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen gehabt, viereinhalb Milliarden Euro mehr pro Jahr – für das Land und für die Kommunen. Wenn man sich diese Zahl einmal vor Augen führt als das, was sie ist, eine Riesenchance, dann wird auch klar, wie sehr Sie sich mit Ihrer Wirtschaftspolitik an den Sorgen der Menschen und an den Chancen, es besser zu machen, versündigt haben in den letzten Jahren.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ihre Wirtschaftspolitik war ambitionslos, ideenlos, mutlos und deshalb am Ende auch erfolglos. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 28 % weniger Wachstum seit 2010. Und das ist nicht gottgegeben, wie Sie dann immer dazwischenrufen. Von 2005 bis 2010 hatten wir fast 15 % mehr Wachstum als der Bundesschnitt. Fast 15 % mehr Wachstum! Wo sind jetzt Ihre Zwischenrufe? Sie wissen, dass es damals so gewesen ist, meine Damen, meine Herren. Ihnen fehlte die richtige Prioritätensetzung. Ihnen war alles andere wichtiger als Wirtschaftswachstum. Das ist die Wahrheit!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie wollten Vorreiter sein beim Klimaschutz und legen damit die Axt an den Beginn unserer langen Wertschöpfungsketten, wo in der Regel energieintensive Industrien stehen. Und Gott weiß, die Energieintensiven haben es schon schwer genug, aber Sie müssen natürlich immer noch einen draufsetzen. Ist uns gedient, wenn die Stahlindustrie am Ende unser Land verlässt, wenn der Stahl demnächst nur noch aus China und Indien kommt? Da werden 38 % mehr CO2 pro Tonne Stahl ausgestoßen. Eigentor in Sachen Klimaschutz und die Jobs bei uns wären weg. Sie wollen Vorreiter sein beim Umweltschutz und nehmen den Mittelständlern in den Wachstumsregionen den notwendigen Raum für Wachstum.

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

– Bedanken Sie sich bei Herrn Remmel, wenn Sie schon dazwischenschimpfen, Frau Kraft. Bedanken Sie sich bei Herrn Remmel.

70 % der Menschen im Saarland haben gesagt, die Grünen setzen inzwischen den Umweltschutz über die Interessen der Menschen. Das haben die Grünen geschafft. Inzwischen empfinden die Menschen Umweltschutz und ihr eigenes Wohlergehen als Gegensatz. Weil Sie es übertrieben haben! Und deswegen auch solche Ergebnisse. Sie wollen, dass sich der Wolf in diesem Land wieder wohlfühlt, ich will, dass Menschen, die Arbeitsplätze schaffen, sich in diesem Land wieder wohlfühlen. Das ist der Unterschied!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir brauchen eine neue Balance zwischen Umwelt und Naturschutz auf der einen Seite und der Chance auf wirtschaftliche Stärke auf der anderen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist überhaupt kein Gegensatz, null Gegensatz!)

Sie wollen Vorreiter sein bei der Political Correctness. Sie haben sich mit Ihrer Personalpolitik einen Knoten in die Beine gegendert und sind darüber gestolpert

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Marc Herter [SPD])

Sie wollen politisch korrekte Auftragsvergaben der öffentlichen Hand und nerven in Wahrheit nur Handwerker und Kommunen.

Wir wollen Vorreiter sein beim Wirtschaftswachstum, wir wollen Vorreiter sein beim Abbau der Arbeitslosigkeit, wir wollen Vorreiter sein bei der Bekämpfung der Kinderarmut, und wir wollen Vorreiter sein bei der Digitalisierung unseres Industriestandortes. Das werden wir schaffen mit drei Antworten. Wir jammern nicht über den Strukturwandel, wir schimpfen nicht auf Berlin und Brüssel und jammern über etwas, was in Brasilien passiert. Als Erstes packt man sich mal an die eigene Nase. Das Wirtschaftsministerium muss wieder für die Themen der Wirtschaft zuständig sein – und nicht nur Bittsteller bei anderen Ministerien.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Landesplanung und Energiepolitik gehören zurück ins Wirtschaftsministerium, Innovation, Digitalisierung, Breitband dazu. Dann eine Entlastungsoffensive: Bürokratieabbau.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Sondervergabegesetz TVgG, Hygieneampel, Klimaschutz ist alles menschengemacht, alles hier entstanden und kann auch hier wieder abgeschafft werden, und wir werden es wieder abschaffen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Novelle Landesnaturschutzgesetz und Landeswassergesetz für eine faire Balance und ein faires Miteinander. Abschmelzen Wasserentnahmeentgelt, Rücknahme der Erhöhung der Grunderwerbsteuer und eine echte wirkliche Reform der Kommunalfinanzen,

(Beifall von der CDU und der FDP – Lachen von der SPD – Zurufe von der SPD)

um die Steuererhöhungsspirale bei der Grundsteuer und der Gewerbesteuer zu durchbrechen.

– Mehr, als hineinzubrüllen, fällt Ihnen nicht ein. Wenn Sie brüllen wollen, setzen Sie sich doch dort hinten hin.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Frau Kraft, höchste Steuern bei niedrigem Wachstum, das ist die falsche Antwort.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Novelle des Landesentwicklungsplans: 3.800 ha haben Sie der Wirtschaft in diesem Land entzogen – das muss zurück. Genehmigungsverfahren, Industrie- und Infrastrukturprojekte – mehr planen und mehr machen und weniger Mitspracherechte und Klagerechte für grüne Blockierer. Novelle des Mittelstandsgesetzes, eine wirkliche Stärkung der Clearingstelle. – All das sind Dinge, die wir hier ändern können und die Wirkung hätten. Das ist das Kapitel „eigene Nase“.

(Zurufe von der SPD)

Das zweite Kapitel ist, dass die Wirtschaft des Landes wieder eine Landesregierung braucht, die in Berlin eine Rolle spielen will.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf)

– Sie sind doch auch lieber in Kölner Brauhäusern, Herr Finanzminister. – Bei der Energiewende war es doch so: Der Norden hat sich schön an der Vergütung für die Windenergie bedient, und der Süden hat sich schön an der Vergütung für die Solarenergie bedient. Was wir hätten einbringen können, nämlich Versorgungssicherheit in der Energiewende, ist am Ende hinten herübergefallen, weil Sie sich innerhalb dieser Koalition nicht einig werden konnten. Das war damals die Realität in den Koalitionsverhandlungen in Berlin.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Das muss ich Ihnen sagen: Das wäre weder Clement, Steinbrück noch Jürgen Rüttgers passiert, sich so über den Tisch ziehen zu lassen. Das ist die Wahrheit.

(Zuruf von der SPD)

Man kann damit kokettieren, keine Lust auf Berlin zu haben. Damit kann man kokettieren, das mag Lieschen Müller auch gut finden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Herrn Laschet kennt in Berlin doch niemand!)

Aber Lieschen Müller bezahlt am Ende auch die höhere Stromrechnung, und das findet sie dann auch nicht mehr gut.

Zum dritten Punkt, den auch Minister Duin eben angesprochen hat, nämlich dass Sie Vorreiter der digitalen Entwicklung seien.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die digitale Agenda der Bundesregierung kommt meines Wissens aus dem Jahr 2014. Ich bin mir nicht sicher, ob man in Berlin etwas von dem zur Kenntnis genommen hat, was in dieser Mega-Regierungserklärung vorgekommen ist. Wenn ich die Kommentierung der Zeitungen damals richtig erinnere, hat sie jedenfalls keiner so richtig mega-gut gefunden, der sie hier gehört hat.

(Zuruf)

– Frau Kraft sagt gerade, sie hätte sie toll gefunden. Das ist wichtig, das ist auch gut so.

(Zuruf von der CDU: Wenigstens einer!)

Die Wahrheit ist, dass Sie sich mit diesem Thema unglaublich schwer getan haben und genau deshalb damals diese Regierungserklärung bringen mussten, während auch danach in Wahrheit nicht viel gekommen ist.

Ja, Herr Duin, wir haben darüber gestritten, ob es gut ist, beispielsweise wie in Hessen ein Haus der Digitalisierung zentral einzurichten, oder ob mehrere Hubs richtig sind. Sie haben jetzt mehrere Hubs gewählt, und ich habe nichts dagegen. Schauen wir uns einmal an, wie sie laufen. Manchmal besteht ja gute Wirtschaftspolitik von CDU auch darin, zu sagen, das haben sie Sozis richtig gemacht, machen wir mehr, machen wir es besser – geschenkt. Aber es muss dann eben auch gut laufen.

Es läuft aber nicht gut, wenn Sie sagen, wir stärken die Zentren, wenn Sie in Köln – wo wir wissen, dass die dort ganz groß im Programmieren von Games, von Spielen sind – in den Bescheid hineinschreiben, sie dürften alles machen, außer Games. Das hat nichts mit Stärken stärken zu tun, das ist wieder irgendwas anderes, dahinter steckt eine andere Philosophie – wahrscheinlich, weil irgendwelche Fördergelder nicht zusammenpassten, oder weil Sie es dem Kollegen Eumann nicht gönnen, oder was auch immer. Aber das ist nicht Stärken stärken, was Sie dort in den Bescheid geschrieben haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie Vorreiter gewesen wären, hätten Sie auch nicht erst in diesem Jahr sechs Stellen für die Digitalisierung in Ihrem Haus bekommen.

Wir sind für die Weiterentwicklung, für den Ausbau der DWNRW-Hubs zu digitalen Clustern mit Themenschwerpunkten. Wenn jeder alles macht, ist es auch nicht richtig. Ansonsten werden wir uns einmal sehr genau anschauen, ob dieses zarte Pflänzchen wirklich erfolgreich ist.

Nordrhein-Westfalen braucht weitere Anstrengungen bei der digitalen Infrastruktur. Der Kollege Schick hat eben „Ende 2018“ dazwischengerufen: Sie wollten immer bis 2018 mindestens 50 Mbit/s. Beides schaffen Sie nicht. Sie schaffen es nicht bis 2018 – geschenkt, auf ein Jahr kommt es nicht an –,

(Michael Hübner [SPD]: Wie alt waren Sie bei Ihrer Geburt? Null oder eins?)

aber diese Woche hat man Ihnen auch ins Stammbuch geschrieben – oder besser gesagt: den Telekommunikationsanbietern –, dass mit „mindestens 50 Mbit/s“ auch nicht viel her ist.

(Zuruf von der SPD)

Das weiß jeder von Ihnen, auch wenn Sie dazwischenquaken, doch genau so, von zu Hause: Mit „mindestens 50 Mbit/s“ ist nicht viel gelaufen.

Sie haben in der Kommunikation längst auf Glasfaser umgesattelt. Stand heute: 7 % in Nordrhein-Westfalen. Dann rühmen Sie sich immer, Nordrhein-Westfalen als Flächenland sei da ganz weit vorne. Ja, warum denn? – Weil die Ballungszentren hier so stark und zu 100 % erschlossen sind. In den ländlichen Gewerbegebieten, in den Wachstumsregionen, in den dezentralen Regionen ist es noch immer sehr, sehr schwierig und gar nicht so toll, wie Sie es hier beschreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Michael Hübner [SPD])

In die Statistik geht dann ein, dass der graue Kasten – von wem auch immer – am Rande des Gewerbegebiets steht. Das bedeutet: Gewerbegebiet angeschlossen. – Das ist aber nicht so.

(Nadja Lüders [SPD]: Grauer Kasten?)

– Manchmal ist er blau, bei mir ist er meistens grau, sei es drum. Das nennt sich „Kabelverzweiger“, KVz. Das ist der kleine Bruder vom HVz, dem Hauptverzweiger – jetzt wissen Sie, was ich meine, gut.

Dann ist das Glasfaserkabel am Rande des Baugebiets, und die Firmen sind noch immer nicht erschlossen. Deswegen haben wir Ihnen letztens mit dem Gutscheinantrag, eine Idee aus Großbritannien, auch dafür eine Lösung angeboten. Wir könnten viel weiter sein, wenn Sie nicht jeden der Anträge, die wir dazu gestellt haben, arrogant abgelehnt hätten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es waren auch so Dinge wie Bürgerbreitband und Ähnliches dabei, um auch die Ecken zu erschließen, die Herr Remmel längst aufgegeben hat, wenn er sagt, wir könnten nicht jeden Hof anbinden. Ja, natürlich muss der Staat hier nicht Millionensummen vergraben, aber wenn man Bürgerbreitbandförderung in ähnlicher Weise macht, wie man Bürgerradwege fördert, hätte man auch an dieser Stelle etwas erreichen können. Wir dürfen keine Region dieses Landes abschreiben, wenn es um diese Technologien geht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn Sie dann fragen, woher das Geld kommen soll, dann will ich Sie an ein Versprechen erinnern, das wir alle hier gegeben haben. Als wir aus der subventionierten Steinkohle ausgestiegen sind, sind hier von allen Reden gehalten worden, das Geld bzw. die Subventionen der Vergangenheit für die Investition in die Jobs der Zukunft verwenden zu wollen. Sie haben dieses Versprechen gebrochen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Und das aus Ihrem Munde!)

Da wäre das Geld für ein eigenes Bereitbandprogramm gewesen, mit dem man kräftig hätte Tempo aufnehmen können.

Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre war von gegenseitigem Misstrauen und Blockaden in der Regierung geprägt. Die Wirtschaftspolitik ist zu oft dem Koalitionsfrieden von Rot-Grün geopfert worden. So wurde am Ende meist nicht mehr daraus als Stagnationsverwaltung. Unser Land hat alles, um Gewinner der Globalisierung zu bleiben und Gewinner der Digitalisierung zu werden. Aber ein zentraler Punkt hat sich geändert: Dieser Wandel braucht nicht Zeit, dieser Wandel braucht Tempo, und er braucht Mut. Rot-Grün aber fehlt beides. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Römer.

Norbert Römer (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wirtschaftsminister hat uns gerade über die reale wirtschaftliche Entwicklung in Nordrhein-Westfalen berichtet, und Herr Wüst hat eine Expedition in ein düsteres Paralleluniversum vorgenommen.

(Beifall von der SPD)

Es war eine, Herr Kollege Wüst, im Wortsinn fabelhafte Geschichte aus einer Parallelwelt. Aber in die müssen Sie ja offensichtlich als CDU auch Ihren Wahlkampf verlegen, weil Ihre Kampagne in der Wirklichkeit verdampft wie ein Schluck Wasser auf einer heißen Herdplatte.

Jetzt ist es Zeit, wieder in die wirtschaftliche Realität unseres Landes zurückzukehren und vor allem in die Lebensrealität seiner Menschen. In der Wirklichkeit unseres Landes haben 6,6 Millionen Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz – 6,6 Millionen, Herr Wüst; so viele wie nie zuvor. Das Wirtschaftswachstum ist mit 1,8 % stattlich und robust. Nullwachstum hat es nie gegeben. Die Arbeitslosigkeit ist so gering wie seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr.

Für ausländische Unternehmen – ich wiederhole das immer wieder gerne – ist Nordrhein-Westfalen der attraktivste Standort in Deutschland. Unser Land – der Minister hat darauf hingewiesen – erhält mehr ausländische Direktinvestitionen als Bayern oder Baden-Württemberg, fast so viele wie die beiden zusammen, und für die britische „Financial Times“ ist Nordrhein-Westfalen die wirtschaftliche Zukunftsregion Nummer 1. – Das muss man überall erzählen; das ist die Realität.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Und ganz gleich, in welche Region man schaut: Fast ausnahmslos stehen die Zeichen auf Wachstum, auf Prosperität, und das zeigen die Konjunkturberichte der Industrie- und Handelskammern. Die Überschriften des Konjunkturberichts des IHK-Bezirks Aachen lauten zum Beispiel: „Unternehmen starten zuversichtlich ins neue Jahr“, „Aussichten bleiben überdurchschnittlich gut“, „Exporterwartungen steigen deutlich“, „Unternehmen wollen weiter mehr investieren“.

Bei der IHK Arnsberg heißt es: „Wirtschaft bleibt auf Kurs“, „Mit rückläufigen Geschäften rechnet 2017 kein einziger Wirtschaftszweig“, „Beschäftigung und Kaufkraft sind weiter gewachsen“.

Auch die IHK des Bezirks Düsseldorf schaut überaus optimistisch in die Zukunft: „Die Kaufkraft der Bürger steigt“, „Die Beschäftigungsquote erreicht Rekordhöhen“, „Die Finanzierungskosten bleiben günstig. Da die Unternehmen eher Chancen als Risiken sehen, planen alle Branchen, zusätzlich Arbeitskräfte einzustellen“.

Die IHK Ost-Westfalen jubelt geradezu: „Konjunktur läuft rund“, „Beschäftigungsplus auf breiter Front“, „Industrie überwiegend sehr zufrieden“.

Letztes Beispiel – die IHK Ruhr. Sie schreibt: „Die Ruhr-Wirtschaft präsentiert sich zum Jahresbeginn 2017 in guter Verfassung. Neun von zehn Unternehmen bewerten ihre aktuelle Geschäftslage mit gut oder befriedigend. In allen Wirtschaftsbereichen überwiegen deutlich die positiven Beurteilungen. Im Zuge der Wirtschaftsbelebung erwarten die Unternehmen einen höheren Bedarf an Arbeitskräften. Und damit bestehen Aussichten auf eine weitere konjunkturell bedingte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt.“

Ich weiß, wir wissen, dass selbstverständlich nicht alle Regionen Nordrhein-Westfalens gleich stark sind. Es gibt Boom-Regionen mit Vollbeschäftigung; es gibt Regionen, die noch immer unter relativ hoher Langzeitarbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit zu leiden haben. Das ist, das bleibt unbestritten; das hat der Wirtschaftsminister ja herausgestellt. Unbestreitbar sind aber auch die großen Erfolge dieses Landes bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, beim Ausbau der digitalen Infrastruktur und bei der Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft. Und unbestritten sind die Erfolge bei der Wiederherstellung von Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.

Die Rekordinvestitionen in Bildung, in Wissenschaft und Forschung, nicht zuletzt die enormen Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – kurzum, meine Damen und Herren, Herr Wüst, das ist das Kontrastprogramm. Beschäftigung auf einem Rekordhoch, Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief, Zukunftsinvestitionen auf Rekordniveau und mehr Familienleistungen als jemals zuvor – das ist die Realität des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahre 2017.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich füge hinzu: Bei allen Problemen, die es immer noch gibt, bei allen Herausforderungen, die vor uns liegen – nach sieben Jahren Rot-Grün ist Nordrhein-Westfalen in einer besseren wirtschaftlichen Verfassung als am Ende der schwarz-gelben Vorgängerregierung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe ja der Presse entnommen, dass Sie mit Länder-Rankings eine Plakatkampagne bestreiten wollen. Ich kann Ihnen mit ein paar Vorschlägen behilflich sein: Wirtschaftskraft mit gut 670 Milliarden € – Platz 1 aller Bundesländer; Investitionen ausländischer Unternehmen – mit gut 200 Milliarden € der Spitzenreiter, Platz 1 von 16; Ausbildung von Fachkräften für Mittelstand und Industrie – in keinem Bundesland ist die Absolventenquote von Mathematikern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern höher als in NRW, wieder Platz 1 von 16; Unternehmensgründungen – mit 1.465 Start-ups seit 2014 Platz 1 vor Berlin, vor Bayern, vor Baden-Württemberg; Breitbandversorgung – mit 82 % wieder Platz 1, und übrigens mit einer Ausbaudynamik, die im vergangenen Jahr – der Wirtschaftsminister hat darauf hingewiesen – doppelt so hoch war wie in Bayern.

Damit, meine Damen und Herren von der CDU, könnte man selbstverständlich eine Plakatkampagne machen – dumm nur, dass diese Fakten die Untergangsgeschichten widerlegen, die Sie im Wahlkampf erzählen wollen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe ja den Eindruck, meine Damen und Herren von der CDU – und die Menschen spüren das doch auch –: Je schlechter Ihre Umfragedaten sind, desto gespenstischer gerät Ihre NRW-Erzählung. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Herr Lienenkämper, dass da vielleicht ein Zusammenhang besteht? Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass sich die Menschen in Ihrem NRW-Bild nicht wiederfinden und auch gar nicht wiederfinden können? Könnte es sein, dass die Menschen Ihnen deshalb so wenig zutrauen, weil Sie über Nordrhein-Westfalen so reden wie Pinguine über den Nordpol?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lutz Lienenkämper [CDU]: Wer schreibt denn so etwas auf? Das ist doch nicht zu fassen!)

Sie haben keine Ahnung vom Land, Sie haben keine Ahnung von der Lage der Menschen.

Wir kennen die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung, dem demografischen Wandel oder der Energiewende auf Nordrhein-Westfalen zukommen. Wir wissen aber auch, wie sie zu meistern sind: durch Investitionen in wirtschaftliche Innovation, in eine moderne Infrastruktur, in Bildung, in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das sind die vier Säulen unseres Zukunftsplans für Nordrhein-Westfalen, für einen starken Standort NRW.

Die erste Säule sind Innovationen. Mit 70 Hochschulen und 60 außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat Nordrhein-Westfalen die dichteste Wissenschaftslandschaft Europas. Unsere Unternehmen sollen noch stärker von diesem Standortvorteil profitieren, damit wissenschaftliche Innovationen aus NRW noch schneller zu wirtschaftlicher Wertschöpfung in NRW werden. Deshalb machen wir Nordrhein-Westfalen zu einem internationalen Vorbild für die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft – durch regionale Innovationsnetzwerke, durch die Initiative „HochschulStart-up.NRW“ und das Förderprogramm „Mittelstandsinitiative Forschungsförderung“.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Erfolge unserer Strategie sind nicht zu übersehen. Die Industrieunternehmen in Nordrhein-Westfalen gehören zu den Vorreitern der Digitalisierung in Deutschland. Auch der NRW-Mittelstand zeichnet sich mittlerweile durch einen überdurchschnittlichen Digitalisierungsgrad aus.

Die zweite Säule unseres NRW-Plans ist die Infrastruktur. Wir investieren massiv in die Mobilität von Menschen, von Gütern, von Daten. Die Mittel für die Landesstraßen haben wir um 70 % erhöht, und in den kommenden 13 Jahren werden über 14 Milliarden € in die Modernisierung von Bundesstraßen, Autobahnen, Brücken, Bahntrassen und Datenleitungen fließen. Der Minister hat es herausgestellt: Schon Ende nächsten Jahres wird Nordrhein-Westfalen über ein flächendeckendes Breitbandnetz mit mindestens 50 Mbit/s verfügen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Stark!)

Damit nicht genug! Schon heute hat die Breitbanddichte einen deutlich positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum, und dieser Einfluss wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass Nordrhein-Westfalen in spätestens neun Jahren über ein flächendeckendes, gigabitstarkes Glasfasernetz verfügen wird. Nordrhein-Westfalen wird das Digitalland Nummer eins in Deutschland sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Wer’s glaubt!)

Dritte Säule, die Bildung: Wenn wir trotz des demografischen Wandels auch in Zukunft über ausreichend Fachkräfte für Innovation, Qualität und Ingenieurkunst verfügen wollen, müssen wir in ein leistungsstarkes und gerechtes Bildungssystem investieren. Genau das tun wir. Insgesamt haben wir seit 2010 gut 200 Milliarden € für Kitas, Schulen, Universitäten bereitgestellt – mehr als das Doppelte als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung.

Unsere Bildungspolitik ist Politik für Fachkräftenachwuchs. Sie ist eine Politik für sozialen Aufstieg. Unsere Programme „Kein Kind zurücklassen!“ und „Kein Abschluss ohne Anschluss“ sind heute Vorbilder für ähnliche Ansätze, national wie international. Wir brauchen uns nicht zu verstecken.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die vierte Säule unseres NRW-Plans ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ist ein Gebot der Gleichberechtigung, weil auch immer mehr Männer mehr Zeit für ihre Kinder und Familienangehörigen haben wollen – im Übrigen auch haben müssen. Sie ist auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft, weil unsere Unternehmen mehr denn je Frauen brauchen, deren Kompetenzen, ihre Leistungen, ihren Ehrgeiz, und zwar vom Ladenlokal bis zur Chefetage.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die vier Säulen unseres NRW-Plans sind Innovation, Infrastruktur, Bildung und Familie. Diese vier Säulen stehen auf einem gemeinsamen Fundament: auf sozialer Gerechtigkeit. Gerechtigkeit beginnt immer mit Chancengleichheit, aber sie hört damit noch nicht auf. Noch immer arbeiten 20 % aller Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen im Niedriglohnbereich. Wir wissen das, und wir arbeiten dagegen an. Für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat NRW mit Erfolg für mehr Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt gekämpft: für den Mindestlohn, für bessere und gerechtere Regeln bei der Leih- und Zeitarbeit. Nicht zuletzt für diese Beschäftigten haben wir das Tariftreue- und Vergabegesetz in Kraft gesetzt,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

denn wer für die öffentliche Hand arbeitet, darf kein Opfer von Lohn- und Sozialdumping werden. Ehrbare Unternehmer, die sich um Aufträge der öffentlichen Hand bemühen, dürfen nicht von skrupellosen Konkurrenten ausgestochen werden. Unser Gesetz ist ein großer Erfolg, und das wird bleiben.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Diese Regierung, diese Koalition steht an der Seite aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir werden uns vor die Beschäftigten stellen, wenn andere Sozialstandards, Mindestlöhne oder die Mitbestimmung angreifen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das meinen CDU und FDP doch in Wirklichkeit mit ihrer Wortleiche „Bürokratieabbau“: weniger Arbeitnehmerrechte, weniger Umweltschutz, weniger Frauenförderung.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ganz genau!)

Wir haben das immer wieder gehört. Zuweilen bringt diese kalte Privat-vor-Staat-Ideologie der Opposition programmatische Stilblüten von verstörender Pracht hervor. So fordert die FDP eine Art soziales Jahr in Unternehmen. Das muss man sich einmal vorstellen.

(Lachen von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollen junge Menschen in Betrieben schuften dürfen. Bei dem Gedanken drehen sich doch die Väter des Ordoliberalismus im Grabe um. So absurd ist das, meine Damen und Herren. Das darf man nicht zulassen.

(Beifall von der SPD)

Ich will allerdings eines einräumen. Das muss man der FDP lassen. Sie steht wenigstens noch zu ihrer neoliberalen Ideologie. Bei ihr weiß der Wähler, was er bekommt. Keine Frage! Bei der CDU ist das nicht so. Deren Wahlprogramm ist weniger ein Nachschlagewerk für Wählerinnen und Wähler als eine Examensprüfung für Juristen, für Germanisten und für Theologen. „Was möchten uns die Autoren sagen?“ fragt man sich, wenn man hineinschaut. Keine klaren Ansagen, Ausweichen, es jedem recht machen wollen! Wissen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, an was mich das erinnert? An den Wahlkampf 2012! Röttgen heißt jetzt Laschet. Geändert hat sich bei Ihnen überhaupt nichts.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im Land hat sich viel geändert. Der schwarz-gelbe Mehltau ist seit Langem weggeblasen. Keine Frage, wir erleben das überall.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Viel Zuversicht ist da.

(Henning Rehbaum [CDU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

Diese Zuversicht speist sich aus dem Selbstbewusstsein der Menschen in Nordrhein-Westfalen, aus ihrer Leistungsbereitschaft und aus ihrer Leistungskraft; denn die Menschen in Nordrhein-Westfalen wissen, was sie können, und sie tun, was sie können – jede an ihrem oder jeder an seinem Platz, ob im Handwerk oder im Mittelstand, im Handel, im Gewerbe oder in der Industrie, ob als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, ob als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer.

Diese Menschen strengen sich jeden Tag an. Sie bringen unser Land Schritt für Schritt nach vorn. Wir, meine Damen und Herren, haben Respekt vor ihrer Leistung. Wir reden diese im Gegensatz zu Ihnen nicht klein. Wir loben die Menschen dafür. Und wir bedanken uns dafür. Wir bedanken uns auch heute, weil diese Menschen in Nordrhein-Westfalen Dank, Anerkennung und Respekt für ihre Lebensleistung auch von diesem Hohen Haus erwarten dürfen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, gleich wird unser Kollege Reiner Priggen seine vermutlich letzte Rede in diesem Hohen Haus halten. 17 Jahre war er Mitglied im nordrhein-westfälischen Landtag. Weil wir über eine lange Zeit hinweg viel und ganz eng zusammengearbeitet habe, füge ich hinzu:

Erstens. Reiner, ich freue mich jetzt schon auf deine Rede.

Zweitens. Das war eine gute Zeit mit dir. Sie war gut für die Zusammenarbeit in unserer Koalition, gut für die erfolgreiche Arbeit der Landesregierung und vor allem – das ist das Wichtigste – gut für die Menschen im Land.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Um deren Alltagsprobleme haben wir uns genauso gekümmert wie um ihre Zukunftsperspektiven. Das war in unserer Koalition nicht immer reibungslos. Aber wir beide haben erfolgreich – ganz erfolgreich – einen ganz eigenen Konfliktregelungsmechanismus entwickelt. Ja, wir haben gemeinsam viel für das Land und die Menschen erreicht. Reiner, das bleibt. Darauf kannst du stolz sein. Auch dafür spende ich dir Beifall.

(Anhaltender Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren, das ist eben der Unterschied zu der Regierungszeit von Schwarz-Gelb. Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern: Sie wurden abgewählt,

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das steht Ihnen bevor!)

weil Sie in nur fünf Jahren ein kommunalpolitisches Trümmerfeld, ein schulpolitisches Chaos,

(Christof Rasche [FDP]: Aber jetzt! – Weitere Zurufe)

eine verzweifelte Kita-Landschaft und eine wirtschaftliche und soziale Perspektivlosigkeit hinterlassen haben, von der die Menschen einfach die Nase voll hatten. Die hatten die Nase voll von Ihnen. Nach fünf Jahren! So war das damals.

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, „Privat vor Staat“ hat ein für alle Mal abgewirtschaftet. Das bleibt.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Haben Sie die Rede aus 2010, oder was haben Sie da? – Henning Rehbaum [CDU]: Reine Floskeln!)

Wir dagegen machen unser Land noch stärker und noch gerechter. Wir bauen auf dem auf, was wir schon erreicht haben. Wir haben viel erreicht. Es ist noch viel zu tun. Auf uns können sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen verlassen. – Vielen Dank fürs Zuhören. Glück auf.

(Lang anhaltender Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Minister Johannes Remmel)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Reiner Priggen, da du gleich noch das Wort hast, gehe ich erst im Anschluss daran auf dich und deine Arbeit hier ein.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf die Rede des Wirtschaftsministers zu sprechen kommen; denn das war nun wirklich sozusagen ein letztes Aufbäumen nach fünf Jahren. Man hat gemerkt, dass man leider nichts erreicht hat.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD)

Herr Minister Duin, Sie haben eben bestätigt, dass Ihr ziemlich bester Freund, Minister Remmel, Sie im Kabinett über fünf Jahre ausgebremst und dafür gesorgt hat, dass es in Nordrhein-Westfalen nicht vorangeht. Während Sie durch das Land getingelt sind und runde Tische und Diskussionsrunden zu Ihren Papierchen veranstaltet haben, hat er mit Gesetzen dafür gesorgt, dass es in diesem Land nicht vorangeht und es der Wirtschaft schlechter geht als vorher.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Es geht ihr doch nicht schlechter! Was erzählen Sie da?)

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land

(Michael Hübner [SPD]: Es geht wieder besser! So ist es!)

mit tollen Menschen, erfolgreichen Betrieben und innovativen Start-ups. Schwach dagegen ist die Wirtschaftspolitik. Vielen Menschen entgehen zu viele Chancen und Aufstiegsperspektiven. Viele mittelständische Betriebe kämpfen mit übermäßigen Belastungen und Bürokratie. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern kommt der in Deutschland steigende Wohlstand dadurch nicht an. Nordrhein-Westfalen steht wirtschaftlich nicht gut da.

Da reicht es nicht, Herr Minister, jetzt ein Jahr mit nicht ganz so schlechten Zahlen nach vorne zu stellen. Eine Schwalbe macht noch lange keinen Frühling.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Denn während Deutschlands Wirtschaftskraft – hören Sie gut zu! – in den vergangenen sieben Jahren, also in Ihrer Regierungszeit, um 10,2 % zugelegt hat, bleibt Nordrhein-Westfalen mit 2,5 Prozentpunkten Abstand deutlich dahinter.

Daran, Herr Kollege Römer und Herr Minister Duin, ändern auch Ihre Falschmeldungen nichts. Wir hatten Nullwachstum. Zu Ihrer Regierungszeit in 2012 hatten wir hier in Nordrhein-Westfalen Nullwachstum.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Da ist es nicht gut, wenn Sie dann sagen, 2015 haben wir kein Nullwachstum gehabt. Ja, herzlichen Glückwunsch! Wir sind nicht mehr auf dem 16. Platz aller Bundesländer, sondern auf dem 15. Platz. Ich sage: Abstiegsplatz! Abstiegsplatz dank Ihrer Politik!

(Beifall von der FDP und der CDU – Michael Hübner [SPD]: Faktenfrei! – Unruhe)

Auch im letzten Jahr war die Dynamik unterdurchschnittlich. Das zeigen die aktuellen Daten der Wirtschaftsforscher. Meine Damen und Herren, dass es auch anders gehen kann, belegen die dort vorgelegten Zahlen. Denn in den Jahren 2007, 2008, 2009 lag Nordrhein-Westfalens Wachstum jeweils über dem Bundesschnitt. Allein dieser Umstand entlarvt auch Ihre sogenannte vorausschauende Wirtschaftspolitik. Diese Etikettierung ist nichts anderes als die Umschreibung wirtschaftspolitischen Versagens, Herr Minister.

(Unruhe)

Es läuft nichts in der Gegenwart. Aber irgendwann in der Zukunft wird schon alles besser. Das wollen Sie den Menschen einreden; aber sie glauben es Ihnen nicht.

Es ist im Übrigen auch keineswegs angezeigt, angesichts der Wachstumszahlen für 2016 in Jubelarien auszubrechen. Denn 0,1 Prozentpunkt weniger Wachstum bedeuten Folgendes:

Erstens. Das Defizit im Vergleich zum restlichen Deutschland vergrößert sich weiter. – Nordrhein-Westfalen holt somit nicht auf, Herr Römer. Im Gegenteil, der Abstand wird größer.

Zweitens. Vermeintlich geringe 0,1 % weniger Wachstum bedeuten rund 650 Millionen weniger Wirtschaftskraft, 600 Millionen weniger Bruttowertschöpfung und 330 Millionen € geringere Entgelte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande.

Meine Damen und Herren, das ist wirklich kein Grund zur Freude. Negative Entwicklungen müssen hier ebenfalls angesprochen werden, auch wenn Ihnen das keine Freude bereitet.

Damit wenden wir uns einem Sektor zu, der im Zentrum des Wohlstands, der wirtschaftlichen Strukturen, aber auch der Wachstumsschwäche in unserem Land steht – der Industrie. Eines kann dabei doch nicht unser Ziel sein, meine Damen und Herren: dass wir unseren hochinnovativen, wettbewerbsfähigen und überwiegend mittelständischen Industriebetrieben mit ihren ausgezeichneten Fachkräften weiterhin so große Steine in den Weg legen, wie es hier in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.

Die Indikatoren sind auch hier eindeutig besorgniserregend, wie etwa das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung aufgezeigt hat:

Im Vergleich mit den westdeutschen Flächenländern liegt Nordrhein-Westfalen bei der Entwicklung der industriellen Wertschöpfung auf dem letzten Platz.

(Zuruf: So ist das!)

Bei der Entwicklung der Beschäftigten in der Industrie landet Nordrhein-Westfalen auf dem vorletzten Platz.

(Unruhe)

Bei der Entwicklung der Löhne in der Industrie liegt Nordrhein-Westfalen im unteren Viertel.

Meine Damen und Herren, vor allem aber schneidet unser Land bei einem Indikator besonders schlecht ab, der bei uns allen, ehrlich gesagt, die Alarmglocken schrillen lassen müsste. Denn bei der Entwicklung der industriellen Investitionen liegt Nordrhein-Westfalen ebenfalls auf dem letzten Platz aller westdeutschen Flächenländer.

(Anhaltende Unruhe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Entschuldigung. – Ich bitte einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, die Gespräche ein Stück einzustellen – hier im Plenarsaal ist eine sehr große Unruhe –,

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

damit man dem Redner folgen kann. – Bitte schön.

Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren, an diesen Zahlen, an diesen Indikatoren, dass in Nordrhein-Westfalen seitens der Industrie nicht mehr investiert wird, wird eines leider ganz besonders deutlich: Das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort ist in den letzten sieben Jahren, in Ihrer Regierungszeit, massiv zurückgegangen. Und das muss sich dringend ändern.

Der vom Wirtschaftsminister vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht nennt durchaus Schwerpunkte, an die zur Verbesserung des Wirtschaftsklimas angeknüpft werden könnte. Aber es erstaunt, wie stark die Diskrepanz zwischen dem Bericht auf der einen Seite und der rot-grünen Politik in der Praxis auf der anderen Seite tatsächlich ausfällt.

Deshalb schauen wir uns beispielhaft einmal die sechs Schwerpunkte Ihrer Wirtschaftspolitik an, Herr Minister Duin. In jedem einzelnen Bereich handelt Rot-Grün genau in die entgegengesetzte Richtung.

Der Minister spricht von „NRW digital“, aber das für 2018 avisierte Ziel eines flächendeckenden Zugangs zu 50 Mbit wird klar verfehlt. Noch schlimmer ist es beim Glasfaserausbau. Glasfaserausbau will der Minister bis 2026 erreichen. – Meine Damen und Herren, so verschlafen wir die Digitalisierung! Das ist megaschwach.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Michele Marsching [PIRATEN]: Megaschwach!)

Ein Schwerpunkt ist „NRW Industrie“. Aber ich habe es eben gesagt: Wertschöpfung, Beschäftigung, und Investitionen in der Industrie sinken im Gegensatz zu anderen Bundesländern, weil dieser Umweltminister dafür sorgt, dass sich in diesem Land die Bedingungen deutlich verschlechtert haben.

Sie sprechen von „NRW global“. Aber Rot-Grün betätigt sich als Frontkämpfer gegen Freihandelsabkommen, und der Export ging in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 im Gegensatz zum Bundestrend zurück.

Herr Minister hat eben „NRW Energie“ angesprochen. Die Strompreise wachsen jedoch über den Kopf. Aufgrund der fortgeschrittenen Übersubventionierung und ideologischer Bevorzugung einzelner Technologien sowie der fehlenden Stimme Nordrhein-Westfalens geht das immer in die falsche Richtung und belastet den Standort immens.

„NRW regional“ soll ein Schwerpunkt Ihrer Politik sein. Siehe da: Der Pro-Kopf-Schuldenstand der Kommunen in Nordrhein-Westfalen liegt um 50 % höher als im Durchschnitt aller Flächenländer. Nun, Herr Minister, stellen Sie allen Ernstes „NRW unbürokratisch“ ins Schaufenster. Ich habe gestaunt, als ich das gesehen habe. Denn – ich kann das verstehen – angesichts der von Ihnen und Minister Groschek selbst angesprochenen durchgrünten Gesellschaft ist das, ehrlich gesagt, sehr mutig.

(Beifall von Hendrik Wüst [CDU])

Dennoch grenzt das beim Blick auf das nutzlose und teure Vergabegesetz, die bürokratische und bevormundende Hygieneampel, den industrie- und entwicklungsfeindlichen Landesentwicklungsplan oder die Übererfüllung von EU- und Bundesvorgaben wie beim Klimaschutzgesetz, ehrlich gesagt, an blanken Hohn.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Ich könnte diese Liste noch fortsetzen, wenn wir uns etwa ansehen, wie Sie die Sonntagsöffnung beim Ladenschluss verschlimmbessert haben, sodass er nirgendwo mehr stattfinden kann, oder wenn wir uns die Offenlegungspflichten bei Genehmigungsunterlagen ansehen. Da müssen jetzt sogar die Unternehmen klagen, damit Sie diesen Mist endlich rausnehmen!

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir benötigen einen grundlegenden Wechsel in der Wirtschaftspolitik, um die Stärken von Mittelstand, Industrie und Handwerk in Nordrhein-Westfalen wieder auszuspielen, um mehr Chancen auf Entwicklung und Wohlstand für alle Menschen zu schaffen und um das Vertrauen in den Standort Nordrhein-Westfalen wieder zu stärken.

Drei Bereiche möchte ich dafür ansprechen:

Erstens. Qualifikation ist die Grundlage von Chancengerechtigkeit und Wohlstand. Nordrhein-Westfalen weist die höchste Kinderarmut im Bundesvergleich auf. Statt in bessere Bildung zu investieren, hat Rot-Grün jedoch ein Schulchaos produziert. Das muss endlich geändert werden –

(Beifall von Ralph Bombis [FDP])

mit einem Sofortprogramm für höhere Qualität und bessere Ausstattung in den Schulen und Berufsbildungseinrichtungen,

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben „Gute Schule 2020“!)

mit einer Besinnung auf die Stärken des dualen Ausbildungssystems.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Hören Sie mal gut zu, Herr Rüße! Während Rot-Grün, während Sie die Berufskollegs ausgetrocknet haben und Investitionsmittel für überbetriebliche Ausbildungsstätten gekürzt haben, wollen wir Freien Demokraten die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung wieder in den Fokus rücken, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Deshalb schlagen wir einen Bund-Länder-Exzellenzpakt vor. Das heißt: mehr Ressourcen für das duale Bildungssystem, mehr Unterstützung von Spitzenleistungen in der Berufsbildung und eine Weiterentwicklung der dualen Ausbildung und der Berufsbilder. Und wir müssen Bildung insgesamt modernisieren, meine Damen und Herren. Wirtschaftskompetenzen, Programmierkenntnisse und digitale Fähigkeiten sollten in den Schulen besser vermittelt werden.

Zweitens. Unser Mittelstand benötigt bessere Bedingungen für Investitionen und Innovation. Der in Nordrhein-Westfalen einmalige Hang zur Bürokratisierung der Wirtschaft muss endlich beendet werden. Dazu gehören überflüssige Regeln ohne positive Wirkungen wie das Tariftreue- und Vergabegesetz, die Hygieneampel und all die Punkte, die ich eben genannt habe, abgeschafft.

(Beifall von der FDP)

Auch das Hochschulrecht muss wieder freiheitlicher gestaltet werden. Wir wollen die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft fördern und nicht wie Sie behindern.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir müssen Innovationen durch Gründungen stärken. Mit Start-up-Clustern, mit besserer finanzieller Unterstützung von Gründerinnen und Gründern sowie mit flexiblen Arbeitszeitregeln können wir das Gründungsklima verbessern und neue Ideen in unserem Land fördern.

Drittens brauchen wir leistungsfähige Infrastrukturen, denn sie sind das Nervensystem einer leistungsfähigen Wirtschaft, meine Damen und Herren. Aber insbesondere der Neu- und Ausbau von Straßen ist in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt worden. Deshalb benötigen wir eine Investitionsoffensive in das Landesstraßennetz. Wir müssen mehr und besser planen, auch durch externen Sachverstand, statt Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan ideologisch auszubremsen.

Mit einem Satz: NRW braucht wieder Priorität auf Infrastrukturausbau. Das ist für analoge Netze genauso wie für digitale Netze wichtig. Während die Landesregierung laut ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage über keinerlei Kenntnisse darüber verfügt, wie weit der Ausbau des Glasfasernetzes vorangekommen ist, wollen wir einen Impuls für den Ausbau gigabitfähiger Netze setzen. Dazu würden eine Glasfaser-first-Strategie für EU- und Bundesmittel und die Zusammenführung verschiedener Fördertöpfe in einem Glasfaserfonds beitragen.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen könnte viel mehr, wenn die Menschen und die Betriebe endlich von überflüssigen Fesseln befreit würden.

(Beifall von der FDP)

Mehr Wohlstand und mehr Chancen für die Zukunft schaffen wir nur mit einer starken Wirtschaft. Dafür werden wir uns einsetzen, damit es endlich wieder in Nordrhein-Westfalen vorangeht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Nun gebe ich das Wort zu seiner geplanten letzten Rede Reiner Priggen. Bitte schön.

Reiner Priggen (GRÜNE): Lieber Präsident Uhlenberg, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist tatsächlich so: nach 17 Jahren im Hohen Haus und vorher sechs Jahren Landesvorsitzender in der ersten Koalition mit Johannes Rau zum letzten Mal zu diesem Tagesordnungspunkt eine Rede. Bevor ich nachher einigen Personen danke, möchte ich Ihnen allen erst einmal einen Dank aussprechen, weil – das vielleicht auch für die Gäste, die oben sitzen: Es kommt einem immer so vor, als ob hier Gegner sitzen, Feinde, manchmal, wenn die Debatte sehr hart ist. Das ist nicht der Fall.

Wir sind Wettbewerber aus unterschiedlichen Fraktionen, aus unterschiedlichen Parteien. Wir haben unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen, und darüber ringen wir, manchmal sehr hart, aber wir sind Wettbewerber in einem demokratischen System. Wir alle kennen es auch: Es gibt nicht nur ein zweites Mal, es gibt ein drittes und viertes Mal, dass man sich sieht. Und deswegen möchte ich mich als Erstes bei Ihnen, meinen Kollegen aus allen Fraktionen, bedanken.

(Allgemeiner Beifall)

17 Jahre sind natürlich eine lange Zeit. Das sind vier Koalitionen, einmal in der Opposition, und jede Rolle hat ihren Platz in unserem Spektrum. Das darf man nicht gering schätzen. Es gibt keine gute Regierung, wenn es nicht auch eine wirklich gute Opposition gibt, die ihre Pflicht auch wahrnimmt. Und das wechselt in der Demokratie manchmal. Insofern gehört das alles zusammen. Das als Erstes und als Dankeschön. Ich komme zum Schluss noch auf ein paar einzelne Punkte.

Aber dann will ich jetzt auch in den demokratischen Wettbewerb einsteigen und mich nicht ganz zurücknehmen. Denn dann wären Sie auch enttäuscht.

(Allgemeine Heiterkeit)

Der erste Einstieg ist natürlich – lieber Herr Kollege Brockes, ganz kurz, und auch zu dem, was der CDU-Kollege gesagt hat –: Es ist ja immer spannend, wenn man sich vorbereitet und denkt: Wozu sagen die denn nichts oder wenig? – Jetzt will ich einfach nur sagen: Der Breitbandausbau war eine Zeit lang ein so intensives Hobby der CDU-Fraktion, dass wir manchmal im Wirtschaftsausschuss drei, vier Anträge gleichzeitig hatten, wo Sie uns getrieben haben. Wenn man dann aber guckte, was zu Ihrer Zeit war,

(Zuruf von der CDU)

wenn man das vergleicht: Sie hatten für den Breitbandausbau im Haushalt des verehrten Präsidenten, damals Umweltminister, eine Million pro Jahr stehen.

(Zuruf von der FDP – Zuruf von der CDU)

Und die Auslöseschwelle für den Breitbandausbau beim Bund war 2 MB.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Wir wissen alle, das ist keine hohe Geschwindigkeit, und das Netz wird ständig schneller. Aber wir haben es bei Johannes Remmel, als er das Haus Uhlenberg übernommen hat, gesteigert auf zwölf Millionen. Und dann ist dieser Etat in einer Kraftanstrengung noch mal aufgestockt worden, weil ja viele Anforderungen da sind.

Wir haben nicht nur gesagt, wir geben die Digitale Dividende – das, was wir vom Bund kriegen – weiter, sondern wir nehmen eigenes Geld in die Hand, und wir garantieren, dass nicht nur die reichen Kommunen, sondern auch die armen Kommunen, die die eigenen Mittel nicht haben, vom Land das Geld bekommen, damit niemand in die Situation kommt: Ich kann Breitband in meiner Kommune nicht ausbauen, weil ich dazu nicht in der Lage bin. Das haben wir gemacht, und jetzt liegen wir bei über 140 Millionen pro Jahr. Eine Million, zwölf Millionen, 140 Millionen, die kollegial umgesetzt werden von Herrn Duin und Herrn Remmel, ohne dass es Streit gibt, weil die das nämlich auch können!

(Zuruf von der CDU)

Das ist eine vernünftige Politik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen -– das ist gar keine Frage – ist dieser Punkt ja auch in der Aufmerksamkeitsfalle ein Stück nach hinten gegangen, weil es sich einfach nicht lohnte.

Was ich toll fand, Kollege Wüst: Sie haben eben angekündigt, die CDU werde eine echte, wirkliche Reform der Kommunalfinanzen machen.

(Zuruf von der SPD)

Seitdem laufen auf den Gebäuden der kommunalen Spitzenverbände die Alarmsirenen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die haben noch in Erinnerung, wie die letzte Reform aussah. Ich kann mich gut erinnern – ich sage nur einen Punkt –: Anteile an der Grunderwerbsteuer weggenommen.

(Zuruf von der SPD: Ja genau)

Wir haben sie zurückgegeben, und bei den Erhöhungen, die wir vorgenommen haben, hat es den kommunalen Anteil, so wie es früher der Fall war, immer gegeben. Das war nur ein Punkt, es gab viele andere Sachen. – Also, wenn die kommunalen Spitzenverbände das ernst nehmen

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

und genau wissen, so etwas kann kommen, dann wissen sie auch ganz genau, dass sie ihren Mitgliedern sagen: Bei Rot-Grün wissen wir, was wir haben, also lasst die Finger von allen Experimenten, macht lieber so weiter!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann will ich sagen: Für mich als jemand, der nun lange dabei ist, ist doch klar: Die Strategie des Schlechtredens ist gescheitert, krachend gescheitert. Man hatte ja manchmal den Eindruck, es gibt eine gewisse klammheimliche, ganz stille Freude bei Nullwachstumszahlen, und man hat auch ein Bedauern gespürt über Platz sechs beim Länderranking. Aber die Strategie ist völlig falsch. Sie sollten, wenn Sie kritisieren wollen, den Finanzminister kritisieren. Sie können sagen, der kann nicht mit Geld umgehen, der kauft zu viele CDs oder irgendwas, und dann können Sie sagen: Wir haben jemand, der kann das besser. – Sie können den Innenminister kritisieren. Bei dem ist das im Gehalt sowieso drin, er würde depressiv, wenn Sie ihn nicht mehr kritisieren. – Das können Sie alles machen.

Aber was Sie nicht machen dürfen, ist eine permanente Schlusslichtdebatte gegen unser Land!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie dürfen es nicht machen, denn es ist doch ganz einfach: Kein Firmenvorstand, kein Unternehmensvorstand würde das Produkt, was er verkaufen möchte, schlechtreden Die würden sagen: Sind wir denn verrückt?

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich kenne ja Armin Laschet auch ein bisschen und schätze ihn; er ist ein lebensbejahender, optimistischer, positiver Mensch. Und wenn es denn so wäre, dass er im Juni hier zum Ministerpräsidenten gewählt werden würde, dann weiß ich doch, dass er am nächsten Tag seine Arbeit in der Staatskanzlei antreten würde –

(Zuruf von der CDU)

ganz stolz, dass er dieses tolle, schöne Land mit seinen Menschen regieren darf. Da geht der doch nicht in einen Steinbruch, gebeugt unter der Last der Sünden,

(Zuruf von der CDU)

sondern er geht mit Freude an die Arbeit. Das ist der Grundpunkt: Wir haben ein tolles Land. Dieses Herunterreden entspricht nicht dem Lebensgefühl der Menschen in unserem Land. Und deswegen sollten wir es ganz einfach sein lassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Wenn man mich fragen würde – ich komme ja ähnlich wie Kollege Duin aus dem Norden, aus dem Emsland –: Dieses Land habe ich immer als ein ganz tief solidarisches Land erlebt, weil dieses Land eine so lange Einwanderungsgeschichte hat. Ich fühle mich in der Stadt Aachen, in der ich jetzt lebe, außergewöhnlich wohl, weil ich das Gefühl habe, dass es in der Stadt eine demokratische Bürgerkultur gibt, die, wenn von rechts Leute kommen, auch aufsteht und sich artikuliert. Und das ist ein Gefühl, was stark ist in diesem Land, dass wir alle zusammen sagen: Wir können streiten, wir können ringen, aber es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns leben, weil sie eine andere Hautfarbe, Orientierung oder sonst was haben, in diesem Land verfolgt und benachteiligt werden! Das ist eine Kulturfrage.

(Allgemeiner Beifall)

Unser Land – ich habe ja in Aachen an einer unserer besten Hochschulen Maschinenbau studieren dürfen – hat eine beeindruckende industrielle Tradition. Dafür stehen – ich habe ja in einem Teil der Firmen selber noch als Ingenieur Projekte machen dürfen – Namen wie Krupp, Klöckner, Hoesch, Thyssen, Mannesmann, Gewerkschaft Schalker Eisenhütte, Ruhrkohle, Deutzer Motorenwerke – alles das steht dafür.

NRW war der Maschinenraum Deutschlands, und Nordrhein-Westfalen war die Kraftzentrale. Wir hatten die drei größten Stromkonzerne über ganz lange Zeit. Als ich studiert habe, waren die RWE-Leute die Götter, die wussten, wie man Strom macht. Mit RWE, mit E.ON, mit der STEAG – alle drei sind mit der Kohle groß geworden, und alle drei haben die Erneuerbaren zunächst ignoriert. Sie haben sie zunächst lächerlich gemacht und bekämpft, und jetzt ringen sie um den Anschluss an die Energiewende. Deswegen ist das so wichtig.

Wir haben zwei Elemente, die unsere Wirtschaftslandschaft noch einmal ganz, ganz deutlich verändern. Das eine ist die zu Recht intensiv angesprochene Digitalisierung. Da haben wir gute Arbeit geleistet. Das andere ist die Energiewende – und die Energiewende wird nicht aus Daffke gemacht; sie wird aus Klimaschutzgründen gemacht, weil das notwendig ist, weil alle Bundesregierungen diese Ziele tragen, seit Kohl 1990 in Rio die Vereinbarung unterschrieben hat. Zuletzt hat der Bundestag einstimmig die Klimaziele, die in Paris vereinbart wurden, beschlossen.

Das heißt, die Entwicklung der Klimaziele, daraus resultierend die Energiewende, der Ausbau der Erneuerbaren und der Prozess der Digitalisierung werden die gesellschaftlichen Prozesse, aber auch die gesamte industrielle Produktion umwälzen. Sie werden neue Märkte schaffen.

Die Kernfrage ist doch, wenn das alles so weitergeht: Was haben wir in NRW davon? Wie stellen wir uns auf? Wie holen wir uns die Zukunftsmärkte, die Zukunftsprojekte, damit wir Arbeit für unsere Leute hier im Land haben? Das sind die Kernfragen dabei.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen die Energiewende also nicht nur aus Klimaschutzgründen, aus ethischen Gründen. Wir brauchen sie auch, weil diese Zukunftsmärkte kommen; sie werden besetzt werden. Wenn wir in diesen Märkten nicht vorne vorangehen und uns Teile holen, dann werden sie von allen anderen geholt. Das ist eine Wettbewerbsfrage, die auch für die Zukunft unseres Industrielandes eine ganz große Rolle spielt.

Niemand kann glauben, wenn man ernsthaft darüber diskutiert, dass wir noch 20 oder sogar 35 Jahre mit der Kohleverstromung so weitermachen können. Das wissen wir alle.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also geht es darum, diesen Prozess sozialverantwortlich und vernünftig zu gestalten und gleichzeitig nach vorne auch das, was es an Chancen gibt, zu nutzen. Denn dass wir das eine noch 30 Jahre machen und dann auf einmal wie Kai aus der Kiste kommend, die Zukunftsmärkte besetzen, das glaubt doch keiner. Das Ringen passiert jetzt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In den Wettbewerb müssen wir rein.

Die Frage ist natürlich immer: Was bedeutet das für industrielle Kernbereiche? – Dazu sage ich: Die Chance dazu, volatile Erneuerbare und industrielle Produktion zusammenzubringen, haben wir in unseren industriellen Kernbereichen.

Der beste Freund von Johannes Remmel in der Industrie ist ja bei der TRIMET. Das kriege ich immer wieder mit. Die TRIMET betreibt fünf bis sechs Aluminiumstraßen. Jede Aluminiumstraße hat tatsächlich die Fähigkeit, ein Pumpspeicherwerk zu ersetzen, indem Aluminium vorproduziert wird und dies in einer – ich übersetze das mal für die Nichttechniker – Art großen Thermoskanne aufbewahrt und dann wieder abgezogen wird. Wenn dann volatiler Strom stärker da ist, bzw. wenn wir Lastspitzen wegnehmen müssen, dann kann man das auch ein Stück weit runterfahren, ohne das Hauptziel, Aluminium herzustellen, zu beeinträchtigen.

Das heißt, wir brauchen dann keinen Pumpspeicher mit Oberbecken und Unterbecken in die Landschaft zu bauen, sondern wir können dafür einen Kernbereich unserer industriellen Produktion nutzen. Das ist die eine Chance. Die gleiche Chance besteht in der Chemieindustrie bei der PVC-Herstellung und bei der Wasserstoffherstellung. Das Spannende ist doch jetzt, genau diese Chancen festzustellen und zu nutzen, damit wir die Technik und die Anlagen auch hier haben.

Wir haben die Voraussetzungen dafür. Eines muss ich nämlich sagen, verehrte Frau Wissenschaftsministerin, liebe Svenja: Wir haben eine wirklich einzigartige Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen. Es gibt kein Bundesland mit diesen Kapazitäten. Wir haben über 700.000 Studierende. Wir bilden viel mehr aus, als nach dem Königsteiner Schlüssel vorgesehen wäre. Demnach wären das 22 %; wir aber bilden über 25 % der Studierenden aus. Das können wir mit der Hochschullandschaft hier in Nordrhein-Westfalen gut stemmen.

Ich will beschreiben, welche Auswirkungen das auf die Arbeitsplätze hat. Die TH Aachen – ich war Anfang der Woche noch dort – hat mit Prof. Malte Brettel jemanden, der spezialisiert daran arbeitet, Ausgründungen aus der Hochschule zu realisieren. Die steigern das Jahr für Jahr; in 2015 waren es 60 Ausgründungen. So haben die das hochgezogen.

Sicherlich geht da auch mal was schief. Das ist ganz normal. Im Schnitt jedoch hat jede dieser Ausgründungen nach wenigen Jahren 20 Arbeitsplätze, und das nicht nur für Akademiker. Das ist auch völlig richtig. Wir müssen ja zusehen, dass wir Arbeitsplätze für alle schaffen, nicht nur für Wissenschaftler.

In Aachen entstehen beim Bau der Streetscooter in den ehemaligen Talbot-Waggonhallen gerade Hunderte von Arbeitsplätzen für „normale“ Leute, die mit der Hand arbeiten und nicht unbedingt einen Doktortitel oder einen Titel als Diplom-Ingenieur brauchen. Das ist auf einem guten Weg. In der Summe kommen in Aachen derzeit 800 bis 1.000 Arbeitsplätze pro Jahr dazu – 800 bis 1.000, und die Tendenz ist steigend.

Das ist das Modell, das wir meiner Meinung nach auf Bochum, Dortmund und in andere Bereiche übertragen müssen. Wir machen es bereits in Richtung Fachhochschule, Forschungszentrum Jülich, und mit anderen Campi. Das ist einer der Motoren, mit denen wir das sehr, sehr gut machen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir erleben in der deutschen Automobilindustrie im Moment Prozesse, die mich an die Einführung des EEG erinnern, der Erneuerbaren. Da gibt es diesen Takt: Tesla kommt mit einem Elektroauto. Als Erstes wird das ignoriert. Dann ist es nicht mehr zu ignorieren. Dann wird es lächerlich gemacht. Dann ist es nicht mehr lächerlich zu machen. Dann wird es bekämpft. – Die unterschwellige Bekämpfung dessen, was da neu kommt, kann ich nachvollziehen; das will ich jetzt nicht ausweiten. – Dann erklärt uns Volkswagen: Wir wollen Weltmarktführer werden.

Und wo passieren in der Bundesrepublik derzeit die spannendsten Elektroautoprojekte? – Die passieren in Nordrhein-Westfalen. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, der weiß: Die Lieferfahrzeugprodukte, die von einer Ausgründung in Aachen jetzt in den Talbot-Werken gebaut werden – die wir immer unterstützt haben; die Ministerin, der Minister, die Landesregierung –, haben jetzt 2.500 Autos auf der Straße. Die bauen diese Lieferfahrzeuge, weil VW sie nicht liefern konnte oder wollte.

Jetzt geht es darum, ihnen die Fesseln zu nehmen, damit sie nicht nur 10.000 Autos im Jahr bauen. Der Markt, die Handwerker, die Kommunen brauchen davon Hunderttausende. Es geht genau darum, dafür zu sorgen, dass das Ganze in die Produktion gehen kann.

Als Nächstes sind die mit dem Pkw gekommen, und das war doch wunderschön. Sie haben ihn nicht in Frankfurt präsentiert, dort, wo bei einer Automesse am ersten Abend immer die Müsliautos kommen, von hübschen jungen Frauen vorgeführt, und am nächsten Abend dann die richtigen Autos für richtige Männer.

Da sind die Aachener nicht hingegangen. Die sind auf die CeBIT gegangen, weil die gesagt haben: Das ist genau die Verknüpfung von Digitalisierung und Pkw-Mobilität, angetrieben über die Erneuerbaren, die wir nach vorne bringen wollen. Der Wagen wird ab Anfang dieses Jahres für 14.000 € angeboten. Das ist eine Hausnummer! Der gleiche Typ von Volkswagen kostet 27.000 €. Das ist der Unterschied!

Jetzt muss doch unser Ziel sein, dass wir genau dieses Phänomen in Arbeitsplätze bei uns in der Region umsetzen. Wenn ich an die LEP-Vorrangflächen – Geilenkirchen, Lindern und andere – im rheinischen Revier denke: Da gehört jetzt die Autofertigung aus Nordrhein-Westfalen hin.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich bedaure zutiefst, dass unsere Mittelständler – allen voran Arndt Kirchhoff, einer der Wortführer –, die mitgeholfen haben, diesen Prozess anzuschieben, dann, als ihre Kunden – die Autolieferer, die Altautoindustrie – gesagt haben: „Was macht ihr da, wollt ihr ein Auto bauen in Konkurrenz zu uns?“, sich zurückgezogen haben und gesagt haben: Nein, das machen wir nicht. – Zum Glück hat die Post den Mut gehabt und macht das jetzt in Zusammenarbeit mit der Hochschule.

Wir haben also das Potenzial. Ich möchte in Richtung der Autozulieferer sagen: Mehr Mut! Macht das! – Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Chance, Produkte, die woanders rückläufig sind, neu nach vorne zu bringen. Das sollten wir alle gemeinsam tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Als disziplinierter Preuße folge ich dem Aufruf …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ich habe überhaupt nichts gemacht.

(Heiterkeit)

Das ist die letzte Rede. Von mir aus kannst du noch 10 Minuten.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

Rainer, es ist nur so – deswegen sind so viele Lampen angegangen –: Da liegt die Kurzintervention eines Abgeordneten vor. Das ist alles.

Reiner Priggen (GRÜNE): Ich vermute, dass ich weiß, woher die Kurzintervention kommt. Ich gebe zu: Ich habe die Geschäftsführerin gebeten, mich zum Schluss, wenn ich mit den Danksagungen nicht hinkomme – ich habe ja gar nicht alles sagen können –, zu fragen, ob ich mich nicht noch bei jemandem bedanken will. Wir teilen das jetzt auf.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Von ihr kommt es nicht.

Reiner Priggen (GRÜNE): Der Präsident hat gesagt, dass ich noch reden darf. Ich will keine 10 Minuten sprechen, aber ich möchte noch ein paar Danksagungen loswerden.

Ich habe eben Ihnen, euch allen gedankt. Ich weiß, dass viele von uns ausscheiden. Insgesamt kommen 50 oder 60 Abgeordnete nicht wieder zurück.

Ich möchte Danke sagen an alle, die dafür sorgen, dass dieser Parlamentsbetrieb überhaupt laufen kann.

(Allgemeiner Beifall)

Das mache ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen. Ich danke denen, die oben hinter den Scheiben sitzen, den Technikern; ebenso denen, die unten für den Betrieb sorgen, unseren Saaldienern, und schließlich denen, die die Besuchergruppen betreuen. Wir haben an solch einem Tag bis zu 3.000 Gäste. Das wird alles hervorragend und professionell betreut und gemanagt. Danke vom ganzen Haus an alle.

Ich will mich bei denjenigen bedanken, die hier hinten immer in der zweiten, dritten Reihe sitzen, die sporadisch reinkommen, egal wer an der Regierung ist: die Mitarbeiter aus den Häusern, die zuarbeiten müssen und immer unter unheimlichen Druck stehen, weil von ganz vorne schnell noch etwas gewünscht wird.

Ich will mich bei vier Frauen bedanken: bei der Präsidentin, die gerade anderweitig tätig ist, bei der Ministerpräsidentin, bei Sylvia Löhrmann und natürlich bei Sigrid Beer. Sigrid, schone dich ein bisschen mehr. Du bist so bienenfleißig und gehst immer über deine Leistungsfähigkeit. Pass ein bisschen auf dich auf!

(Heiterkeit von den GRÜNEN)

Liebe Hannelore, als wir dich zum ersten Mal zur Ministerpräsidentin gewählt haben, habe ich irgendwann in deinem Büro angerufen – ich weiß gar nicht, ob Anja am Telefon war –, da meldete sich jemand und sagte: Büro der Ministerpräsidentin. Da habe ich mich gefreut und gesagt: Das hört sich so toll an; ich lege wieder auf und rufe noch mal an.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Die muss mich für bekloppt gehalten haben.

Wer vorher diese etwas bärbeißigen, brummigen Clements und Steinbrücks erlebt hat, der hat sich nach so vielen Männern einfach gefreut, dass eine Stimme sagt: Büro der Ministerpräsidentin. – Das war ein Genuss.

Jetzt weiß ich, dass du auch mal beißen kannst. Aber ich habe wirklich immer geschätzt, dass man, wenn da etwas war und wenn es mal gerumst hat – dann kann man ja auch gegenrumsen –, immer in der Lage war, sich zu entschuldigen, wieder aufeinander zuzugehen und zu sagen: Das gehört dazu.

Niemand weiß, wie hoch die Arbeitsbelastung derjenigen wirklich ist, die hier sitzen. Da ist die 70-, 80-Stunden-Woche nichts. Das ist bei Abgeordneten ähnlich. Da, wo man als normaler Werktätiger am Freitagabend sagen kann: „Nun war’s das aber“, da fängt es bei den Parteien oft erst an, mit Veranstaltungen am Freitagabend oder samstags und sonntags. Da geht es dann weiter. Das ist bei allen so, bei der Opposition wie bei der Regierung.

Die Arbeitsbelastung – ich habe das nun 17 Jahre lang erlebt – ist immens. Das gilt nicht nur für die Regierungsmitglieder und für diejenigen, die schon lange dabei sind. Auch die Kollegen der Piraten sind in einer unglaublichen Kraftanstrengung ins Parlament eingezogen und mussten alles das, wofür wir einen langen Vorlauf hatten, nachholen und am lebenden Objekt lernen und nachholen. Das ist eine Riesenarbeit. Auch da wird es nicht mit einer 50-, 60-Stunden-Woche geregelt gewesen sein, sondern … Wir wissen ja alle, wie das ist!

An euch alle also meinen Dank! Dieser Dank geht auch an viele Kollegen, mit denen man immer wieder – bei allem Wettbewerb – in einem vernünftigen Austausch stand: an den Kollegen Rasche oder auch an Joseph von der CDU; Hubertus Fehring ist jetzt nicht da; Eckhard habe ich schon angesprochen. Auch dir, Armin, herzlichen Dank für die Gespräche!

Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich es einem noch persönlich sagen muss – er hat das eben vorgemacht; es war nicht abgesprochen –: Lieber Norbert, 17 Jahre Parlament, insgesamt 22 Jahre und vier Koalitionen waren wirklich klasse, auch die fünf Jahre mit dir als Fraktionsvorsitzendem. Zwei Jahre in der Minderheitsregierung zu erleben, hat noch einmal etwas ganz Besonderes bedeutet.

Es war eine gute Zusammenarbeit. Du warst Ansprechpartner, man konnte immer mit dir reden. Es war nicht Eitelkeit, sondern immer das Gefühl, am Wirkungsgrad orientiert zu schauen, dass alles läuft, zuhören zu können, zu sagen, wann eine Grenze erreicht ist, aber auch zu akzeptieren, wenn sie woanders lag. Im besten Sinne warst du eigentlich ein Aachener Ingenieur. Diesen Titel würde ich dir ehrenhalber verleihen.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Ganz herzlichen Dank für die Zeit und Ihnen allen alles Gute, auch für die schwierige Zeit im Wahlkampf und den Einsatz für unser Land! Von mir ein herzliches Glück auf!

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Du musst hierbleiben. – Zunächst vielen Dank. Bevor aber der Dank des Präsidenten kommt, gibt es eine Kurzintervention. Sie stammt nicht von Sigrid Beer, sondern von Armin Laschet.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Knapp daneben, also zwei Plätze!)

Armin Laschet (CDU): Herr Präsident, wir stellen heute die gesamten Regeln der Geschäftsordnung auf den Kopf. Gerade war der Bundesfinanzminister im Landtag. Ich habe ihn verlassen, weil mir jemand sagte, dass Rainer Priggen gerade seine letzte Rede hält, und da bin ich dann herbeigeeilt. Die Kurzintervention war schon vom Parlamentarischen Geschäftsführer beantragt. Wir haben eine Übertragung auf einen anderen Redner, der sich nicht angemeldet hat, erreicht.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Mal gucken, ob das möglich ist.

(Heiterkeit)

Armin Laschet (CDU): Herr Präsident, schön dass Sie das möglich machen; denn Rainer Priggen war auch für die Opposition ein vertrauenswürdiger, engagierter Abgeordneter, ein Kollege, mit dem man ringen konnte – hart in der Sache, über Braunkohle und vieles andere mehr –, wenn er jedoch eine Rede gehalten hat, ging man nachher raus und sagte: Doch, da war auch eine neue Idee dabei; da gab es etwas, worüber man noch einmal nachdenken sollte.

Deshalb, lieber Rainer Priggen: Es freut mich, dass sich das mit der Ministerpräsidentin am Telefon so schön anhört. Du hast viel dafür getan, dass Rot-Grün in diesen 17 Jahren gut funktioniert hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben viel dafür getan, oder: Irgendwie hat es funktioniert.

(Allgemeine Heiterkeit)

Wir wollen alles tun, damit das anders wird. Dennoch: Danke für diese Kollegialität, für deine Arbeit hier im Landtag. Du hast dem Land gut getan, du hast dem Landtag gut getan. Wir werden dich vermissen.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Du hast noch ein bisschen Zeit!

(Allgemeine Heiterkeit)

Sehr geehrte Abgeordnete! Lieber Reiner Priggen! Dies war offensichtlich deine letzte Rede. Ich möchte auch als amtierender Präsident den herzlichen Dank des Landtags ausdrücken für 17 Jahre intensive Arbeit in verantwortlicher Position hier in unserem nordrhein-westfälischen Landtag.

Du hast eben in deiner Rede noch gesagt, dass dies ein tolles, schönes Land ist. Das ist sicherlich die Auffassung aller Abgeordneten des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Je nachdem, ob sie sich in der Regierung oder in der Opposition befinden, wird das auch schon mal etwas anders dargestellt.

Dass es keine Feinde, sondern Wettbewerber gibt – auch das ist heute in deiner Rede deutlich geworden. Das hat auch deine parlamentarische Arbeit in den vergangenen 17 Jahren geprägt. Diesen Grundsatz hast du immer befolgt. Dafür herzlichen Dank im Namen des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich denke, wir sehen uns alle – auch wenn wir jetzt ausscheiden – in anderen Funktionen oder bei anderen Möglichkeiten wieder. Vielen Dank für deine Arbeit.

(Langanhaltender allgemeiner Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen nun in der Tagesordnung fortfahren. Es kehrt jetzt wieder ein Stück Normalität ein – nicht hinsichtlich der Bedeutung der Rede, aber generell. Deswegen hat Herr Dr. Paul von der Fraktion der Piraten das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Lieber Herr Präsident! Danke für die netten einleitenden Worte. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich hoffe, ich werde gegen Ende meiner Rede noch ein paar versöhnliche Worte finden. Ich möchte mich auch ganz persönlich bei Reiner Priggen bedanken. Damals als frischgebackener Fraktionsvorsitzender im Ältestenrat hat er es mir ein Stück weit leicht gemacht.

Die Landesregierung hat heute Auskunft darüber gegeben, wie sich Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren wirtschaftlich entwickelt hat. Der Wirtschaftsminister hat Zahlen genannt, auf Indikatoren hingewiesen, die Initiativen der Landesregierung in der Vergangenheit aufgezählt und darauf abgestellt, was man in Zukunft tun sollte.

Richtig ist, dass sich Nordrhein-Westfalen in einem Wandlungsprozess befindet – „wieder einmal“ kann man sagen, oder besser: immer noch. Denn NRW ist fast schon ein Synonym für Wandel. Es gab die Kohle- und Stahlkrise in den 60ern und 70ern, und auch die Textilindustrie hat sich aus dem Bergischen Land und anderen Regionen zurückgezogen. Auch der Fahrzeugbau, die Elektrotechnik und die Chemieindustrie haben heftige Einbrüche erlebt.

Das ist alles nicht neu. Die betroffenen Regionen leiden aber noch immer unter den verloren gegangenen Arbeitsplätzen. Und nun kommt auch noch die Digitale Revolution, die alte Qualifikationen entwertet, neue Kompetenzen einfordert und manchmal disruptiv die Strukturen im Land auf den Kopf stellt.

Richtig ist außerdem, dass die Industrieproduktion entgegen dem Bundestrend in NRW seit dem Jahr 2011 gesunken ist. Auch der Auftragseingang der Industrie ist rückläufig. Das zeigen die offiziellen Zahlen des Jahreswirtschaftsberichts 2017. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes in Nordrhein-Westfalen liegt inzwischen unter dem Bundesdurchschnitt, und damit hat unser Land zu kämpfen.

Das ist die Realität, der wir uns stellen müssen. Da hilft auch keine Schönrednerei. Das sind schmerzhafte Einsichten, aber umso wichtiger ist es, dafür Verantwortung zu übernehmen. Aber das wollen Sie anscheinend nicht. Ich sage stattdessen: Wir müssen endlich die Ärmel hochkrempeln; denn gerade in Zeiten der Digitalisierung brauchen wir dringend eine Runderneuerung der Wirtschaft. Dabei helfen ganz sicher keine megaherzigen Regierungserklärungen.

Kein anderer Wirtschaftsbereich steht besser für den Wandel als die Start-ups. Was ist da die Bilanz von Rot-Grün nach fünf Jahren? – Ich zitiere den Jahreswirtschaftsbericht 2017:

„Mehr als 400 junge Unternehmen im Bereich der Internetwirtschaft sind ein Beleg für das positive Gründerklima.“

An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, wie unterschiedlich die Zahlen bewertet werden. Sie sagen: 400 Start-ups sind gut. – Wir sagen: Wenn fast 18 Millionen Bürger gerade einmal 400 Start-ups gründen – also rechnerisch nur ein Start-up auf 40.000 Bürger kommt –, dann läuft etwas so nicht ganz richtig in unserem Land. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die tollen Menschen in Nordrhein-Westfalen noch viel mehr gute Ideen haben und das brachliegende Potential noch größer ist – aber auch, dass die Hürden größer sind als gedacht. Hier muss die zukünftige Landesregierung noch stärkere Akzente setzen als bisher.

Wenn wir schon über Wirtschaft reden, müssen wir auch über die Kreativen reden. Die Kultur- und Kreativwirtschaft erwirtschaftet eine Bruttowertschöpfung von 18,5 Milliarden € – so viel, wie der Kraftfahrzeugbau und die chemische Industrie zusammen in Nordrhein-Westfalen. Dabei sind in der Kultur- und Kreativbranche mehr Erwerbstätige beschäftigt als im Kraftfahrzeugbau, in der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft zusammengerechnet. Da ist noch sehr viel mehr möglich.

Der wichtigste Teilmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft ist die Softwareindustrie inklusive der Games-Industrie. Obwohl Nordrhein-Westfalen mit der Gamescom jedes Jahr Magnet für das internationale Fachpublikum ist, liegt das Umsatzvolumen der Branche weit unter dem Bundestrend. Das kann nicht sein, das muss sich ändern! Wir Piraten haben deshalb in der Vergangenheit Haushaltsänderungsanträge gestellt, um hier das Potenzial besser auszuschöpfen.

Meine Damen und Herren, wie gehen wir die wirtschaftspolitischen Probleme in unserem Land an? – Brauchen wir etwa möglicherweise – ich habe da so etwas läuten hören – mehr nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik? Muss der Umweltschutz zurückgeschraubt, müssen Standards gesenkt, Unternehmen entlastet werden, damit es Nordrhein-Westfalen wieder gutgeht, wie es die CDU und die FDP immer wieder suggerieren? – Die Antwort ist ein klares „Nein“. Die Lösung im Klein-Klein zwischen Landeswassergesetz und Tariftreuevergabegesetz zu suchen, geht völlig an der Realität vorbei.

Da gibt es weltweit die Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts. Die müssen von der Politik gesehen und konstruktiv umgesetzt werden – auch in Nordrhein-Westfalen.

Die politische Bildsprache auf Wahlplakaten ist ja manchmal unfreiwillig verräterisch. Ich bin vor Kurzem an einem FDP-Plakat vorbeigefahren, auf dem der Kollege Lindner frisch beflaumt und gefotoshopt so angestrengt-engagiert schräg nach links unten blickt. Ein Küchentisch-Psychologe hat einmal versucht, mir zu erklären, dass zwanghafte Ordnungsfanatiker beim Nachdenken so dreinblicken würden. Bei „Raumschiff Enterprise“ war es immer Scotty, der so geguckt hat, wenn der Warp-Antrieb kaputt war. Aber da macht Herr Lindner ein Gesicht, als hätte man ihm gerade die wirtschaftspolitische Glaskugel geklaut.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

– Es geht wirtschaftspolitisch aber nicht um Glaskugeln und Marktesotherik, lieber Kollege Brockes, sondern darum, den aktuellen Rahmenbedingungen unserer Welt auch in Nordrhein-Westfalen konstruktiv zu begegnen. Die aktuellen Rahmenbedingungen sind aktuell gut: Die Zinsen sind niedrig, der Ölpreis auch – noch. Woran es mangelt, sind Investitionen – nicht zuletzt öffentliche. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bundeswirtschaftsministerium.

Es war ein Fehler der letzten zwei Jahrzehnte, von der Substanz zu leben und nicht mehr ausreichend in die Infrastruktur zu investieren. Die Brücken bröckeln, die Schulen sind marode, Datenpakete werden durch Kupferleitungen aus den Achtzigern gepresst. Das müssen wir ändern. All diese Versäumnisse der letzten Jahre gilt es aufzuholen. Gleichzeitig muss das Land fit gemacht werden für die Digitalisierung. Das gibt es aber nicht zum Nulltarif. So ehrlich müssen wir den Menschen gegenüber schon sein.

Es gibt viele Beispiele für volkswirtschaftlich lohnende Investitionen, zum Beispiel in die Bildung, nicht zuletzt um Schulen – auch berufsbildende Schulen sowie Hochschulen – für die Digitalisierung fitzumachen. Aber auch eine wirkliche Investitionsoffensive in Glasfasernetze bringt das Land voran. Da die geförderten Netze in kommunaler Hand verbleiben, werden sie verpachtet und refinanzieren sich selbst.

So geht doch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik. Denn wie sich früher Wohlstand und Arbeitsteilung entlang der Flüsse und Handelsstraßen ausgebreitet haben, sind es heute die Datenströme, die zählen. Bislang aber durchziehen nur kleine, extrem zähfließende Datenadern das Land: Bits und Bytes auf dem Feldweg. Das muss sich ändern.

Wir Piraten haben dazu ausgiebige Vorschläge vorgelegt. Die digitale Spaltung in Stadt und Land muss überwunden werden, und es müssen ultraschnelle Glasfaserleitungen verlegt werden. Insbesondere weil NRW im Strukturwandel steht, müssen wir hier der Impulsgeber sein. Während Wirtschaftsminister Duin noch oft von marktgetriebenem Ausbau redet, ist Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur, schon weiter und drängt zur Eile. – Zitat aus der „FAZ“ vom 14. März 2017:

„Wir können den Breitbandausbau nicht vertagen, bis Nachfrage und Zahlungsbereitschaft für die Investitionen ausreichen. Dann würden wir das Kostbarste aufs Spiel setzen, was in der digitalen Welt gibt, nämlich Zeit.“

Sie sehen: Da ist ein Paradigmenwechsel notwendig. Machen Sie den Breitbandausbau zur Aufgabe einer öffentlichen Daseinsvorsorge.

Im Übrigen wurden die Kosten für ein flächendeckendes Glasfasernetz in NRW in einer Studie der NRW.Bank auf rund 8,6 Milliarden € beziffert. Das hört sich, wenn man in kurzen Zeiträumen denkt, so an, als sei das recht viel. In einem Abschreibungszeitraum von 20 Jahren sind das 2 € pro Bürger und Monat. Das ist also machbar.

Aber überall, wo wir mehr Geld fordern, muss es auch sauber zugehen. Auch der Wirtschaftsminister muss das im eigenen Haus tun und gut wirtschaften. Wir Piraten haben eine parlamentarische Initiative angestoßen, damit mit all den politischen Leuchtturmprojekten, mit unter Verschluss gehaltenen Gutachten, mit den Auftragsevaluierungen, die komischerweise immer positiv ausfallen, und mit den Rügen des Landesrechnungshofes endlich Schluss ist.

Wir wollen eine transparente Wirkungsanalyse, damit die Menschen in unserem Land sehen können, ob ihre Steuergelder sinnvoll eingesetzt wurden. Das haben Sie verhindert. Warum Ihnen die Transparenz da unangenehm ist, werden Sie wohl selbst am besten wissen. Wir verstehen das nicht.

Wir müssen also investieren – im Gegensatz zur Politik dieser Landesregierung, die nur 2,2 % der Gesamtausgaben in investive Projekte leitet und damit den vorletzten Platz im Bundesländervergleich belegt. Politik soll gestalten und Probleme lösen. Das ist unser Grundverständnis.

Wer aber den Gestaltungsspielraum der Politik im Namen einer Austeritätspolitik gefährlich einschränkt und die Schuldenbremse beschließt – das will die politische Mehrheit hier im Parlament ja heute Nachmittag machen –, der stärkt die Politikverdrossenheit und damit den Rechtspopulismus in unserem Land. Das ist unverantwortlich.

Wir sollten uns einmal ganz ehrlich anschauen, was für Töne da inzwischen auch von intelligenteren Mitbürgern angeschlagen werden. Ich zitiere einmal aus Heribert Prantls Aufsatz „Gebrauchsanweisung für Populisten“, und zwar aus einem Absatz, der mit „Die schwarze Null und die braune Kloake“ betitelt ist:

„In der Empörung über Trumps großmäuliges Versprechen, er werde der größte Job-Producer sein, den Gott je erschaffen habe, kommen viele gar nicht dazu, sich darüber zu empören, dass die Spardiktate der Europäischen Kommission, der EZB und des Internationalen Währungsfonds (IWF) der größte europäische Jobvernichter waren. Sie sind nicht von Gott, sondern vom deutschen Finanzminister Schäuble als treibende Kraft erschaffen worden, und sie werden noch immer aufrechterhalten, mittlerweile selbst gegen den Widerstand des IWF. Und die Sozialdemokratie hat sich nicht mit Protest hervorgetan, sondern mit braver Assistenz bei der Malträtierung Südeuropas, speziell Griechenlands. Deutschland stört sich weiterhin nicht an der internationalen Kritik an seiner Exportfixierung, die die europäischen Nachbarn aus dem Gleichgewicht bringt. Deutschland lässt sich nicht beirren darin, die schwarze Null als wichtigstes finanzpolitisches Ziel hochzuhalten.“

Also sagen Sie den Menschen hier einmal im Klartext, was es heißt, wenn das Land keine Schulden machen darf.

Da Bundesländer kaum Möglichkeiten haben, Steuern zu erhöhen, werden die öffentlichen Investitionen von dem heute schon niedrigen Niveau noch weiter absinken. Damit wird die Landespolitik ihrem Auftrag gegenüber den Bürgern, nämlich Vorsorge zu betreiben, zu investieren und Probleme zu lösen, nicht mehr nachkommen können. Das halten Sie vielleicht für einen Fortschritt. Ich aber sage: Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch ist das ein Rückschritt, der uns sehr, sehr teuer zu stehen kommen wird; denn das führt 2020 direkt in die Unregierbarkeit.

Bereits heute haben wir in Nordrhein-Westfalen mit einer extremen Missbalance zu kämpfen. Übrigens weist im Jahreswirtschaftsbericht 2017 auf dieses Problem auch eine Person hin, die nicht im Verdacht steht, mein wirtschaftspolitischer Freund zu sein, nämlich der Präsident der Industrie- und Handelskammern NRW, Ralf Kersting. Ich zitiere:

„In kaum einem anderen Bundesland liegen prosperierende und schrumpfende Regionen so nahe beieinander. So liegt die Landeshauptstadt Düsseldorf als Ort mit dem höchsten BIP pro Einwohner in Nordrhein-Westfalen – mit 215 % des Bundesdurchschnitts – keine 50 km entfernt von der Stadt Bottrop, die mit 63 % den niedrigsten Wert in Nordrhein-Westfalen aufweist.“

Ich muss Herrn Kersting kritisieren. Das Zitat hinkt etwas. Düsseldorf hat einen Flughafen: Ziehen wir also von den 215 % 75 % ab; trotzdem ist das immer noch wesentlich mehr als in Bottrop.

Wollen wir und können wir uns diese gesellschaftliche Disruption – diese Verwerfung – in der Zukunft weiterhin leisten? Ich sage Nein. Lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft – hier: in die digitale technologische Revolution – investieren.

Lassen Sie mich zum Abschluss ein paar persönliche Worte finden. Als ich 2015 nicht mehr für den Vorsitz meiner Fraktion angetreten bin und der Kollege Schwerd zu den ewig gestrigen Klassenkämpfern nach links gewechselt ist, wie die Jungfrau zum Kinde als Sprecher in den wirtschaftspolitischen Ausschuss gekommen. Ich möchte mich bei Ihnen allen, stellvertretend besonders bei Herrn Fortmeier, der den Vorsitz innehat, für die sehr freundliche und kollegiale Aufnahme in diesen Ausschuss bedanken.

Ich glaube, wir haben einiges voneinander gelernt. Ich hatte viel Spaß mit Ihnen; ich hoffe, Sie hatten manchmal keinen mit mir.

(Michael Hübner [SPD]: Keinen?)

Es gab auch einige unvergessene Momente. Wir haben über sehr viele spannende Themen, wie Industrie 4.0, diskutiert – auch sehr kontrovers. Wir haben auch über die Wirtschaftspolitik diskutiert, die eher angebotsorientiert sein soll.

Ein Moment wird mir in Erinnerung bleiben. Das war, als die von uns bestellte Sachverständige Frau Prof. Mechthild Schrooten aus Bremen über nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik und die Forderung danach gesprochen hat: Das Gesicht des Kollegen Brockes wurde während der Anhörung länger und länger. Das ist für mich ein unvergessener Moment. Trotzdem, lieber Dietmar, sind wir kollegial miteinander umgegangen, und wir hatten auch Spaß miteinander. Ich sage Ihnen allen noch einmal vielen Dank.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Ich werde weiterhin wirtschaftspolitische Reden halten; ich hoffe, es wird hier sein, und wenn es nicht hier ist, wird sich vielleicht Herr Duin freuen; ich weiß es nicht. Aber ich werde sie weiterhin halten, egal wo. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und von Dietmar Brockes [FDP])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Dr. Paul, vielen Dank für Ihre Rede und vielen Dank für Ihre Arbeit. Aber wer weiß, was die Wahl mit sich bringt; Sie treten ja noch einmal an. Von daher können Sie hier oder an anderer Stelle weiter wirtschaftspolitische Reden halten, was für Sie offensichtlich zu einem Lieblingsthema und zu einer besonderen Berufung geworden ist.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ja, ich habe es lieben gelernt!)

Vielen Dank also, auch für diese Rede. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will zwei, drei oder vier Punkte aufgreifen, die in der bisherigen Debatte inhaltlich eine Rolle gespielt haben, aber nicht noch einmal die ganze Zeit ausnutzen.

Erster Punkt. Herr Wüst, Sie haben über die Auslandsinvestitionen gesprochen. Sie haben gesagt, da lägen wir zwar auf Platz 1, aber das seien doch irgendwie nur Übernahmen, und damit werde gar nichts Neues geschaffen. Dazu will ich zweierlei sagen: Zum einen sind das nicht im Entferntesten nur Übernahmen. Wenn Sie sich neue Investitionen von XCMG oder den Aufbau eines Europacenters von Huawei oder von ZTE ansehen – ich könnte viele andere Beispiele nennen –, werden Sie feststellen, das hat nichts mit Übernahmen zu tun, sondern mit einer ganz bewussten Entscheidung dafür, den europäischen Markt von NRW aus zu erobern. Ich finde, das sollten wir festhalten.

Zum anderen haben wir mit den Übernahmen – das ist in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung vor einiger Zeit noch einmal herausgearbeitet worden – in der weit überwiegenden Zahl der Fälle positive Erfahrungen gemacht. Es gibt aber auch negative Erfahrungen; zwei habe ich konkret vor Augen: ein Unternehmen in Minden und ein Unternehmen in Recklinghausen. Dort sehen wir nach der Übernahme, dass es um nichts anderes ging als um die Beseitigung eines Mitbewerbers.

In den Fällen sage ich in aller Deutlichkeit: Es kann nicht angehen, dass von manchen Unternehmen die Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt werden. Komischerweise sind das nicht in erster Linie chinesische Unternehmen, sondern es sind meistens US-amerikanische Unternehmen, die sich überhaupt nicht darum kümmern, dass wir hier klare Regeln, zum Beispiel für die Mitbestimmung, haben. Dann müssen sie auf entschiedenen Widerstand in der Politik stoßen. So kann man mit den Beschäftigten in diesen Unternehmen nicht umgehen.

(Beifall von der SPD)

Es darf aber auch nicht die Botschaft sein – ich will Sie nicht missverstanden haben, Herr Wüst –, dass wir jetzt in eine Art Protektionismus verfallen und sagen: „Lieber keine Übernahmen“, sondern ich finde, es gibt im Gegenteil sehr viele gute Beispiele, in denen das am Ende zur Sanierung und zur besseren Entwicklung von Unternehmen beigetragen hat.

Wir sind stolz darauf, wenn nordrhein-westfälische Unternehmen, auch durch Zukäufe im Ausland, ihre Weltmarktposition weiter ausbauen. Umgekehrt müssen wir das auch machen. Wir brauchen eine Willkommenskultur auch für ausländische Investitionen in Nordrhein-Westfalen. Das muss unabhängig davon sein, ob uns das in dem einen oder anderen Fall selbst als Erstes eingefallen wäre. Wir brauchen dafür auch klare Regeln.

Ich erinnere einmal an den Fall Aixtron: Es muss auch möglich sein, dass man seine starke Position auf den Märkten durchsetzt und dass es nicht von dem Wohlwollen amerikanischer Präsidenten abhängig ist, ob sich diese positive wirtschaftliche Entwicklung in Kooperation mit ausländischen Investoren in Nordrhein-Westfalen fortsetzt oder nicht.

(Beifall von der SPD)

Der zweite Punkt, auf den ich gern noch einmal eingehen möchte: Sie haben gesagt, wir würden uns nicht um die Arbeitslosen kümmern. Ich habe Ihnen geschildert, dass wir einen deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit haben. Aber schauen wir uns einmal eine Region an, in der die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit eine besonders große Rolle spielt: die Emscher-Lippe-Region im nördlichen Ruhrgebiet. Wir haben nicht tatenlos zugeschaut und gesagt: „Das können wir auch nicht ändern“, sondern wir haben – genauso wie ich es vorhin beschrieben habe – wieder Akteure aus der Region eingeladen. Dazu gehörten der CEO von BP, der Arbeitsdirektor von EVONIC, der Chef der Hochschule in Gelsenkirchen, Mittelständler, der Chef der RAG, Handwerker – ein ganz bunter Mix, nicht zu groß, aber doch sehr repräsentativ für diese Region.

Dort haben wir Projekte entwickelt. Wir haben in der vergangenen Woche 14 Projekte identifiziert, die für die Emscher-Lippe-Region jetzt mit bis zu 30 Millionen € realisiert werden können und die dort eine ganz konkrete Wirkung haben. Es geht wieder darum, nicht Vergangenes noch ein bisschen zu verlängern und die Zitrone noch ein bisschen auszupressen, sondern Platz zu machen für wirkliche Innovationen in dieser Region, denn das sind die Impulse, die gerade in einer Region, die mit der härtesten Langzeitarbeitslosigkeit zu kämpfen hat, notwendig sind.

Da reden wir nicht einfach nur, sondern da wird ganz konkret in diese Projekte investiert. Wir machen dort zum Beispiel neue Dinge, nicht nur im newPark, nicht nur auf „Auguste Victoria“, sondern es geht zum Beispiel auch auf „Prosper-Haniel“ jetzt darum, dass wir ein Kompetenzzentrum für das Thema „Kreislaufwirtschaft“ errichten, noch einmal 4,5 Millionen € zu den gerade genannten 30 Millionen € obendrauf. Das sind konkrete Maßnahmen, die in dieser Region dafür wirken, dass neue Arbeit entsteht, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Dritter Punkt: die Digitalisierung. Als ob wir da ganz hintendran wären, und wir hätten ja keine Ahnung – das ist mehrfach hier gesagt worden. Nur ein Verweis: Die G20-Digitalminister tagen gerade jetzt zu dieser Stunde, und sie tagen nicht irgendwo auf der Welt, sie tagen in Düsseldorf. Nicht, weil sie uns Nachhilfe geben wollen, sondern weil sie Orientierung erlangen wollen, sind die G20-Digitalminister hier in Düsseldorf. Also, auch da wirklich gar kein Bedarf, um zu jammern, sondern um stolz darauf zu sein, was wir hier schon geschaffen haben.

Insofern glaube ich, dass wir in der Debatte noch einmal haben deutlich machen können: Nordrhein-Westfalen ist stark, und die starke Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen wird durch die Politik der Landesregierung auch entsprechend unterstützt.

Lieber Reiner Priggen – wahrscheinlich kommen Sie gleich noch einmal wieder, weil wir das an anderer Stelle auch erlebt haben –, wenn eines in der Welt nicht geht, eigentlich, dann ist das eine gute Zusammenarbeit zwischen Ostfriesen und Emsländern.

(Beifall von allen Fraktionen)

Man kann über viele Kulturen reden, Ostfriesen und Emsländer – das sind wirklich Welten. Trotzdem haben wir es irgendwie hinbekommen, erst in Ihrer Rolle als Fraktionsvorsitzender, später dann eben auch in Ihrer Rolle als wirtschaftspolitischer Sprecher. Wir haben vor jeder Plenarsitzung miteinander gefrühstückt, haben die wichtigen Dinge besprochen. Ich habe das sehr genossen, weil man mit Ihnen nicht nur über die jeweils auf der Tagesordnung stehenden Dinge sprechen kann, sondern über den Tag hinaus ein bisschen strategisch denken kann, auch über Rollenverteilungen sprechen kann. Das habe ich sehr genossen. Deswegen ganz herzlichen Dank für diese sehr kooperative Zusammenarbeit.

Wir haben auch Themen gehabt, wo wir uns noch nicht einig waren. Ich freue mich darauf, dass wir künftig – dann müssen Sie von außen meckern – das eine oder andere hier doch noch mit anschieben können.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Ganz im Ernst – ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen –: Sie sehen ja auch an meiner Anrede, wir sind nicht verbrüdert und nichts von dem. Aber Sie waren in diesen fünf Jahren hier mein Lieblingsgrüner. Hoffentlich schadet Ihnen das nicht. Vielen Dank für die Zusammenarbeit!

(Heiterkeit und Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Hübner. Aber nicht sehr lange, Herr Kollege Hübner.

(Michael Hübner [SPD]: Weiß ich schon!)

– Wissen Sie schon. Gut, Sie kennen die Wahrheit.

(Michael Hübner [SPD]: Ich kenne die Wahrheit!)

Ja dann. Auf geht es!

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident, vielen Dank! Ich will mich auch beschränken. Aber nachdem Kollege Brockes in den Raum gestellt hat, 2012 hätte es in Nordrhein-Westfalen kein Wirtschaftswachstum gegeben, habe ich mir das natürlich noch einmal angeschaut. Und in der Tat hatten wir Wirtschaftswachstum, und zwar 0,4 % in Nordrhein-Westfalen, im Bund 0,7 %, beides bereinigte Zahlen, weil gestern Kollege Lindner in der Frage da ja nicht so ganz sattelfest war.

Wir sind in einem stetigen Aufwärtstrend, Kollege Brockes, 0,4 % in 2012, 0,8 % in 2015, jetzt 1,8 %. Das macht deutlich, dass wir mit unserer vorausschauenden Wirtschaftspolitik auf dem richtigen Weg sind und die richtigen Schlüsse gezogen haben, um uns hervorragend weiterzuentwickeln.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Eines will ich Ihnen noch sagen, auch in Richtung Herrn Lindner: Die Vergleiche mit dem Saarland liegen wirklich so was von daneben. Das Saarland hat in diesem Jahr 0,0 % Wachstum. Dort den Strukturwandeln zu loben, wie das in einer Rede hier deutlich gemacht worden ist, der dazu geführt hat, dass dieses Jahr im Saarland 0,0 % Wachstum vorhanden ist, zeigt, dass unsere Wirtschaftspolitik richtig ist und Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen völlig danebenliegen. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lachen von Dietmar Brockes [FDP] – Dietmar Brockes [FDP]: Sie sind doch gar nicht aus dieser Region!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hübner. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Kurz zur Sache, dann kurz zum Reiner. – Gibt es in der Wirtschaftspolitik grüne Hebel, die Wirtschaftsminister Duin ausbremsen und dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen schaden? Um das zu betrachten, muss man ins Detail gehen. Und das will ich einmal tun beim Landeswassergesetz und dem dazugehörigen Erlass in Bezug auf den größten Produktionsstandort für Zement. Der liegt in Nordrhein-Westfalen, der liegt in Erwitte.

Da gibt es immer wieder – muss ja so kommen – Anträge für neue Steinbrüche, hier konkret von einem Zementwerk, und bisher fand da eine Abwägung zwischen unterschiedlichen Interessen statt, auch zu Wasserschutzgebieten. Da muss man abwägen und dann entscheiden.

Der neue Erlass lässt eine Abwägung nicht mehr zu, sondern zwingt die Bezirksregierung, dass sie den Abgrabungsantrag ablehnen muss.

(Dietmar Brockes [FDP]: Hört, hört!)

Es haben Gespräche stattgefunden – auch mit der SPD – seitens der Betriebsräte. Dann gab es neue Fragen und Prüfaufträge aus dem Wirtschaftsministerium mit dem Ziel, den 14. oder 15. Mai zu erreichen, damit dann entschieden werden kann, ob es eine neue Regierung gibt und ob dieser Erlass zurückgenommen werden kann. Hunderte von Malochern haben die Hoffnung, dass es am 14. Mai zu einem Regierungswechsel kommt, damit dieser völlig verrückte Erlass Geschichte wird.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das ist ein typisches Beispiel, wie der Umweltminister dem Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen elementar schadet. Die Menschen haben immerhin noch Hoffnung – das hat das Wirtschaftsministerium vor drei Wochen erreicht –, und hätten sie so nicht gehandelt mit diesen Fragen und Prüfaufträgen, wäre es mit der Hoffnung vorbei gewesen.

Kurz zum lieben Reiner. Reiner, ich mache es ganz kurz: Danke, Top-Fachwissen, Top-Verlässlichkeit, Top-Charakter – mit dir hat die Arbeit Spaß gemacht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rasche. – Weitere Wortmeldungen haben wir nicht vorliegen. Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 „Unterrichtung durch die Landesregierung“ aufgearbeitet oder auch abgearbeitet.

Wir kommen zu:


2  Koordinierung von Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglicht effiziente Beratungsstrukturen und stärkt Prävention

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14665

Die Aussprache ist eröffnet. Es beginnt für die SPD-Fraktion Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kommen wir zu einem anderen Thema. Der Sozialbericht Nordrhein-Westfalen 2016 beschreibt, dass die Anzahl der überschuldeten Menschen in unserem Land deutlich angestiegen ist. In Nordrhein-Westfalen sind 1,69 Millionen Menschen überschuldet.

Bei Überschuldung reden wir nicht davon, dass Menschen verschuldet sind, sondern so überschuldet sind, dass sie ihren Lebensstandard und die Ein- und Ausgaben im Monat nicht mehr übereinbekommen. Aber nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch bundesweit ist der Trend der gleiche.

In Nordrhein-Westfalen sind seit 2011 92.000 Menschen mehr von Überschuldung betroffen. Im Jahr 2015 sind es 11,5 % der Bevölkerung, in Städten wie Wuppertal oder Herne liegen wir bei 18 oder 17 %. Was sind die Hauptgründe? Die Hauptgründe sind Arbeitslosigkeit, Trennung bzw. Scheidung, Erkrankung und auch kleine Renten. Bei jungen Leute kommt häufig unwirtschaftliche Haushaltsführung dazu. Besonders betroffene Gruppen sind Alleinerziehende, Niedrigqualifizierte, ältere Menschen und Migranten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Instrumente haben wir, um gegen diese Zahlen vorzugehen? Zum einen ist das Thema „soziale Gerechtigkeit“ – das hat auch der Bundesvorsitzende meiner Partei in den letzten Wochen und Monaten häufig deutlich gemacht –, eine sozial gerechte Politik, die insbesondere diese Gruppen auch in den Blick nimmt, von besonderer Bedeutung. Aber: Es geht für uns auch darum, ganz konkret auch Hilfestellung zu leisten.

Neben Schuldnerberatung kommt auch die Insolvenzberatung dazu, immer dann, wenn Privatinsolvenzen eingeleitet werden. Und im Sinne einer präventiven Politik müssen wir uns doch bestimmte Fakten genauer anschauen. Wenn wir feststellen, dass von den Alleinerziehenden 80 % eine Verschuldung, eine Überschuldung von unter 10.000 € haben, dann stellt sich doch die Frage: Müssen wir nicht viel früher anfangen mit der Schuldnerberatung, viel früher unterstützende Maßnahmen leisten? Wenn wir sehen, dass viele junge Leute mit der Haushaltsführung überfordert sind, müssen wir dann auch nicht frühzeitig beraten, damit das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Staat hat in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen Finanzierungen entwickelt. Da ist zum einen der Bund, der über die Agentur für Arbeit immer dann arbeitslosen Menschen hilft, wenn die Verschuldung ein Vermittlungshemmnis ist. Das ist die Beratung, die über die Bundesagentur für Arbeit finanziert wird. Zum Zweiten finanziert das Land zum einen über das Jugendministerium die Insolvenzberatung, und zum anderen finanziert das Justizministerium die Verfahrenskosten rund um die Abwicklung solcher Insolvenzverfahren.

Last but not least ist es Aufgabe der Kommunen, im Rahmen ihrer freiwilligen Leistungen Schuldnerberatung vor Ort anzubieten. Viele Kommunen machen das auch, aber ein Zusammendenken findet bisher nicht statt. Es gibt keine klare Strategie der verschiedenen staatlichen Ebenen. Es gibt keine Koordination und kein gemeinsames Vorgehen. Die Prävention nach vorne zu stellen und zu überlegen, wie können wir dort früher tätig werden, findet nicht statt. Insofern geht es darum, Synergien neu zu heben und vor allen Dingen zu bedenken, dass jedes Verfahren, das im Insolvenzverfahren eingeleitet wird, etwa 1.500 € kostet. Und bei über 22.000 Fällen im Jahr stellt sich die Frage: Kann man dieses Geld nicht früher besser einsetzen?

Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben mit den Überlegungen insgesamt zum Verbraucherschutz, zum Verbraucherschutz im Quartier, zur Sozialraumorientierung immer wieder deutlich gemacht, dass wir kleinräumlich schauen müssen, wo wir stehen und wie wir die Menschen mit den Beratungsangeboten, die sie brauchen, begleiten können. Wir wollen, dass wir die Synergien der Angebote der Träger vor Ort nutzen können, um den Menschen zielgenauer zu helfen, sie frühzeitig zu beraten und dafür zu sorgen, die Menschen im sozialen und wirtschaftlichen Leben zu halten.

Deshalb ist dieser Antrag eine wichtige Weichenstellung, um dann in der nächsten Legislaturperiode zusammen zu denken, zu koordinieren, Qualitätsstandards zu formulieren und dafür zu sorgen, dass wir überall da, wo Verschuldung und insbesondere Überschuldung droht, frühzeitig eingreifen, damit die Menschen nicht aus dieser Gesellschaft heraus überschuldet werden, sondern eine Perspektive haben, ihr Leben selbst und eigenverantwortlich zu führen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ott. – Jetzt spricht für die grüne Fraktion Herr Markert.

Hans Christian Markert (GRÜNE): Lieber Herr Präsident, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man in diesen Tagen – aber auch schon seit einigen Jahren – unterwegs ist in dem wohlhabenden Land, in dem wir leben, in Deutschland, aber auch in Nordrhein-Westfalen, dann trifft man nicht nur die Leistungsträger und die Wohlhabenden, sondern man trifft zunehmend auch auf Menschen, denen es eben nicht gutgeht.

Egal, ob man den Armutsbericht der Bundesregierung oder den Sozialbericht NRW aufschlägt, diese auseinanderklaffende Schere kann man auch tatsächlich in Zahlen fassen. In Nordrhein-Westfalen – das ist übrigens ein Trend, den man bundesweit auch auf andere Regionen übertragen kann, um das gleich vorweg zu sagen – gibt es rd. 1,7 Millionen Menschen, die bereits überschuldet sind. Armut – eben nicht genug im Portemonnaie zu haben – ist der Beginn einer Spirale, die dann häufig zu Schulden führt und die dann hinterher auch in die Privatinsolvenz mündet. Hier gute Strukturen zu haben und die Menschen zu beraten, ist sehr wichtig.

Ich will an zwei Beispielen klarstellen, um wen es da auch geht, weil wir das auch oft verdrängen. Wir haben da unsere typischen Fälle von Menschen vor Augen, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Aber das setzt viel früher an, und es sind auch ganz andere Leute. Als Verbraucherpolitiker kennt man natürlich auch die Zahlen, die die Verbraucherberatung, die einen Teil der bisherigen Beratung übernimmt, einem immer wieder schildert, oder man kennt es aus persönlicher Anschauung.

Viele Menschen wissen eben nicht, dass 40 % der Rentnerinnen in Nordrhein-Westfalen, also im Westen Deutschlands, mit Renten von unter 450 € klarkommen müssen – übrigens: meine Mutter auch.

(Henning Rehbaum [CDU]: Mütterrente!)

– Das mit der Mütterrente ist so ein Ding. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist vielleicht nicht falsch, aber die Armut geht viel, viel weiter und geht viel, viel tiefer. Ich kann zumindest sagen, ich habe fast jede Woche Gespräche mit Frauen aus genau dieser Alterskategorie.

Zweiter Punkt. Viele junge Menschen, die sich aufmachen und eine Ausbildung machen, anschließend vielleicht sogar noch eine Weiterqualifizierung, ein Studium machen, werden mit einem entsprechenden Wohnungsmarkt konfrontiert und müssen viele Kosten aufwenden. Und die sind dann sehr häufig auch in der Verbraucherberatung, weil sie sich auch schon für die Weiterqualifizierung, für den Meister oder eben auch für das Studium, verschulden. Die nehmen einen Kredit auf, und in dem Kleingedruckten steht dann natürlich auch – da kann man sagen, das hätte man besser lesen müssen –, dass man sehr schnell diese Schulden wieder zurückzahlen muss. Auch das ist eine Schulden- und eine Insolvenzfalle.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, weil Sie ja so große Freunde von sogenannten „nachgelagerten Studiengebühren“ sind und das in diesem Wahlkampf zu einem marktradikalen Markenkern der FDP erklärt haben: Genau das ist einer der Punkte, die zu Verschuldung führen und die Menschen in die Privatinsolvenz treibt.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Darum sagen wir an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich: Auch hier wollen wir lieber die Ursachen bekämpfen und diese nachgelagerten Studiengebühren erst gar nicht wieder einführen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Armut und Verschuldung führen zu sozialer Destabilisierung. Deswegen brauchen die Menschen eine bessere Beratung und ein flächendeckendes Netz. Wir wollen mit diesem Antrag klarmachen, dass wir die Beratungsstrukturen, die es in Nordrhein-Westfalen gibt, flächendeckend zusammenführen. Wir wollen, dass im Bereich der Schuldnerberatung aus sozialpolitischer Verantwortung auch an jeder Stelle im Land ein Ansprechpartner zur Verfügung steht, wir wollen also ein landesweites Netz schaffen.

Wir Grünen haben uns im Übrigen auch besonders dafür stark gemacht, dass es eine kostenlose Beratung ist – nicht nur für die Menschen mit Leistungsbezug nach SGB II, sondern eben für alle Menschen. Ich habe eben auch die Gruppe derer, die auf dem Weg in die Verarmung sind, beschrieben; auch für die ist es wichtig, dass es eine kostenlose Beratung ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es muss klare Zuständigkeiten und klare Verantwortlichkeiten geben. Ein allgemein anerkannter Bedarfsschlüssel für ein bedarfsdeckendes Netz an Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen muss entwickelt werden. Das bestehende System ist aus unserer Sicht nicht grundsätzlich schlecht, aber es ist an der Zeit, an der einen oder anderen Stelle zur Optimierung beizutragen.

Genau dazu dient dieser Antrag, weswegen ich Sie auch bitten möchte, diesem Antrag zuzustimmen, damit wir dieses flächendeckende Netz etablieren und den Menschen ein praktisches Angebot in allen Teilen des Landes machen können. So haben wir endlich einen weiteren Baustein dazu, die Armut in unserer Gesellschaft zu einem ganz wichtigen Thema innerhalb der politischen Debatte zu machen. – Herzlichen Dank und alles Gute.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Markert. – Für die CDU spricht Herr Tenhumberg.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesen zwei Reden erinnere ich mich umso lieber an die gute Zeit vor 2010, als wir in großer Übereinstimmung mit allen Fraktionen im Landtag die Schuldner- und Insolvenzberatung diskutiert und gemeinsam auch auf Bundesebene vertreten haben.

Ich erinnere mich gerne an die Vorsitzende Annegret Krauskopf, die immer wieder mit mir zusammen die Landestagungen der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung besucht hat. Seit sieben Jahren allerdings bin ich einsam und allein in Gesprächen mit dieser Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, und ich finde auf diesen Tagungen keine weiteren Politiker.

Deshalb bin ich schon etwas überrascht, dass jetzt, ohne diese große Gemeinsamkeit, die wir bisher in dieser Frage hatten, einseitig ein Antrag auf den Tisch gelegt wird, natürlich angestoßen von den Presseverlautbarungen, dass 1,72 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen überschuldet seien. Aber das ist natürlich wieder typisch Nordrhein-Westfalen.

„Schlusslicht“, interpretiert der „Kölner Stadtanzeiger“,

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Das stimmt so nicht!)

Nordrhein-Westfalen befinde sich am unteren Ende der Liste bei der Verschuldung privater Haushalte. – Sie wissen ganz genau, woran das liegt, nämlich an einer verfehlten Politik. Das müssen wir nicht vertiefen; denn das ist heute nicht das Thema.

(Zuruf von der SPD: Das ist unter Ihrer Würde! – Weitere Zurufe)

– Liebe Kollegen, Sie haben heute schon in Punkt 1 der Tagesordnung bewiesen, dass man auch mit Lautstärke keine Diskussionen führen kann, statt dessen sollte man ein bisschen zuhören.

(Beifall von der CDU)

Herr Kollege, Sie tun ja so, als wenn das ein neuer Antrag wäre. Ich darf auf Ihren alten SPD-Antrag von 2010 verweisen, als Sie noch in der Opposition waren. Diesen Antrag haben Sie jetzt ein bisschen verschönert und umgeschrieben, um ihn hier neu einzubringen. Ich will einmal etwas aus dem Antrag von 2010 zitieren:

„Angesichts des zu erwartenden Beratungsbedarfs bei der Schuldner- und Insolvenzberatung kommt der Landesregierung eine weitere besondere Verantwortung zu. Sie muss diesen Komplex endlich koordinieren.“

Das haben Sie 2010 gefordert. Was haben Sie gemacht? Was haben Sie denn in diesen sieben Jahren gemacht? Nichts. Gar nichts haben Sie gemacht. Das Thema haben Sie jetzt, kurz vor der Wahl, wieder auf die Agenda genommen und meinen, damit punkten zu können – sieben Jahre Schlafmützigkeit.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch sagen, was Sie im Mai 2011 als Landesregierung gesagt haben. Damals haben wir gefragt, wie Sie es denn in der Finanzierungsfrage sehen würden. Dazu sagt die Landesregierung:

„Die Landesregierung strebt die Einrichtung eines Bankenfonds an, in dem analog zum vorhandenen Sparkassenfonds private Banken und genossenschaftlich organisierte Banken einen Beitrag zur Finanzierung der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung leisten.“

Was ist geschehen? Sie ahnen es: Nichts! Gar nichts!

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Tenhumberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Markert?

Bernhard Tenhumberg (CDU): Nein, die lasse ich nicht zu.

(Hans Christian Markert [GRÜNE]: Na sowas! Weil Sie die Fakten kennen?)

– Ich lasse mich von Lautstärke nicht unterbrechen. Wenn Sie mit Sachargumenten kommen würden, wäre das etwas anderes. Aber ich ahne schon, was wieder käme, nämlich nichts Sachliches.

Meine Damen und Herren. Ich darf weiter erinnern: In einer Anfrage an das Ministerium im November 2011 hatten wir zu langen Wartezeiten – die es auch heute noch gibt, darauf sind Sie gar nicht eingegangen – und der starken Beanspruchung der Beratungsstellen gefragt. Wissen Sie, was die Landesregierung dazu schreibt? – „Weiteren Handlungsbedarf bzw. weitere Handlungsmöglichkeiten sehe ich zurzeit nicht. Mit freundlichen Grüßen, Ute Schäfer“.

Jetzt kommen Sie und wiederholen all das, was wir schon gefordert haben.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, man kann 2010 nicht alles fordern, wenn man in der Opposition ist, dann sieben Jahre lang nichts machen und jetzt, wo die Regierungszeit vorbei ist, mit alten Kamellen ankommen und es erneut fordern. Das ist keine verantwortungsvolle Politik.

Meine Damen und Herren, ich will auch auf den Bericht von Februar 2015 zur Evaluierung des Gesetzes zur Ausführung der Insolvenzordnung hinweisen. Was sagt dort Ihre damalige Ministerin? Ministerin Ute Schäfer antwortet, das Anliegen bestehe natürlich darin, das Gesetz weiterzuentwickeln. Noch vor der Sommerpause werde dem Parlament ein Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser werde auf den Dingen, die angesprochen worden sind, fußen. – Das war im Februar 2015. Wo ist denn dieses Gesetz? Wo ist dieser Entwurf? Nichts ist gemacht worden. Auch hier wurde alles wieder verpennt.

Abschließend darf ich gerne noch einmal daran erinnern, was Ihnen die Freie Wohlfahrtspflege im September 2015 gesagt hat: Für die Beratungsstellen bedeute dies ein weiteres Auseinanderdriften von realen Kosten zur Refinanzierung, da seit 2011 keine ausreichende Aufstockung der Mittel erfolgt sei, um die Tarifsteigerung anteilig nachzuvollziehen.

Das, was Sie gerade hier vorgetragen haben, Herr Ott, war das, was wir vor 2010 alles schon diskutiert haben, wo die Ursachen der Verschuldung liegen und wie man das bekämpfen muss. Und wir hatten auch Top-Lösungen mit Ihrer Kollegin Annegret Krauskopf aus Dortmund. Das waren wunderbare Antworten. Aber Sie hätten in den sieben Jahren der Regierung sagen müssen: Nun setzt es endlich um! – Sie haben nichts getan, und jetzt kommen Sie mit so einer alten Kamelle! Da kann man doch nur sagen: Lächerlich, das können wir doch nicht unterstützen! – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tenhumberg. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Alda das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Vor einigen Wochen hat sich die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung mit ihren Positionen zur Landtagswahl an die Politik gewandt. Jetzt bringen die rot-grünen Koalitionsfraktionen einen Antrag mit genau diesen Forderungen ein. Sie haben also einen Monat vor der Landtagswahl die Bedeutung der Beratung für überschuldete Menschen entdeckt. Sehr früh!

(Jochen Ott [SPD]: Steht im Wahlprogramm – lesen!)

– Quatsch! Prima! Dann setzen Sie doch Ihr Wahlprogramm um und machen nicht so einen Blödsinn, den Sie sieben Jahre lang gemacht haben!

Was haben Sie eigentlich in den letzten sieben Jahren in dieser Frage getan? – Ich kann da nichts erkennen. Kollege Tenhumberg hat auch auf Ihr Schlaflager hingewiesen. Die Zuständigkeit für die Landesförderung der Verbraucherinsolvenzberatung wurde immer nur wie ein Restposten im Gemischtwarenladen des Familienministeriums behandelt, anstatt einmal die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Anliegen überschuldeter Menschen an einer Stelle zu bündeln.

So ist es auch bezeichnend, aus welchen Arbeitskreisen bei Rot-Grün die Initiatoren dieses Antrags kommen: Das sind weder die Familienpolitiker mit der Zuständigkeit für die Insolvenzberatung noch die Sozialpolitiker, die im Hinblick auf das SGB II mit der kommunalen Schuldnerberatung und ihrer Finanzierung verbunden sind. Nein! Bei Ihnen sind es vor allem die Verbraucherschützer, die vehement ihr Anliegen vortragen, aber keinerlei Verantwortung für die Finanzierung ihrer Forderungen haben.

Das passt allerdings auch, Herr Ott, in Ihr Bild. Ich habe noch nie wie bei Ihnen so ein dreidimensionales Ding gesehen, wie man Verantwortung in so einem Verschiebebahnhof verschiebt: entweder zum Bund, auf untergeordnete Ebenen und, wenn das nicht passt, auf Schwarz-Gelb.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Ich möchte mich jetzt aber mit den Inhalten dieses Antrags auseinandersetzen: Die Trennung von Schuldner- und Insolvenzberatung ist tatsächlich nicht sachgerecht, sondern beruht allein auf den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen. In der Praxis gehen beide Beratungen ineinander über und sind kaum künstlich zu trennen. Deshalb befürwortet auch die FDP einen ganzheitlichen und präventiven Beratungsansatz mit einer personellen Kontinuität in den Beratungsgesprächen.

(Jochen Ott [SPD]: Dann können Sie ja zustimmen!)

Wenn wir uns aber in diesem Ziel einig sind, dann sollten wir zunächst die rechtlichen und finanziellen Hürden für eine Zusammenführung von Schuldner- und Insolvenzberatung beseitigen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Marquardt?

Ulrich Alda (FDP): Nein, zu dem Thema heute nicht.

(Vereinzelter Beifall von der CDU)

Wir brauchen insbesondere eine ausgewogene Finanzierungsstruktur, die weder zu Mehrbelastungen der Kommunen führt noch alle Kosten durch das Land tragen lässt. Ein bedarfsgerechtes und flächendeckendes Netz an Beratungsangeboten ist ebenfalls anzustreben. Lange Wartezeiten auf einen Beratungstermin verschärfen nur die Probleme überschuldeter Menschen. Angesichts der Haushaltslage des Landes und vieler Kommunen können wir aber weder Vorgaben für erhöhte Personalschlüssel noch eine deutlich gesteigerte Förderung versprechen. Zusätzliche Mittel für die Schuldnerberatung müssen auch gegenfinaniert sein, zum Beispiel durch Einsparungen an anderer Stelle. Ihre heutigen Versprechungen, die Sie hier vorgetragen haben, werden sich nach der Wahl der Realität stellen müssen.

Eine weitere Forderung ist der kostenlose Zugang zur Beratung für alle Ratsuchenden. Ich frage mich, ob wir da wirklich eine zusätzliche landesgesetzliche Regelung brauchen. Eine kommunale Schuldnerberatung nach dem SGB II kommt nicht nur speziell für die aktuellen Leistungsbezieher in Frage, sondern auch im Sinne eines präventiven Ansatzes zur Vermeidung, Verkürzung oder Verminderung von Hilfsbedürftigkeit. Und da kann ich leider nicht so ganz den Hinweis weglassen, dass es auch eine gewisse Eigenverantwortung zum Thema „Schulden“ gibt; daran kann nicht nur die Gesellschaft schuld sein. Denn es ist davon auszugehen, dass Überschuldung sowohl ein bestehendes Arbeitsverhältnis wie auch eine Wiedereingliederung in Arbeit gefährdet. Wir sollten Kommunen bei diesem Ansatz unterstützen.

Wir hätten also durchaus sachorientiert in den Ausschüssen in den vergangenen Jahren über eine Zusammenführung von Schuldner- und Insolvenzberatung diskutieren können. Sie legen aber hier einen reinen Show-Antrag kurz vor der Wahl vor. Deshalb werden wir den Antrag auch ablehnen.

Gönnen Sie mir noch ein Wort zum Antrag selbst und der Formulierung im vorletzten Absatz auf der Seite  2, nämlich „Kostenträger*innen“. Sie gendern eine sachliche Institution und machen dann noch einen Stern dazu. Ich hoffe, dass der grüne Schwachsinn bald aufhört. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Alda. – Jetzt spricht Frau Brand für die Fraktion der Piraten.

Simone Brand (PIRATEN) ): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Alda, wenn alles, was wir jetzt im letzten Plenum direkt abstimmen, Show-Anträge sind, dann können wir uns eigentlich das komplette letzte Plenum sparen und nach Hause gehen. Denn es bleibt uns ja jetzt vor Ende der Legislaturperiode nichts anderes übrig, als direkt abzustimmen.

Mit dem vorliegenden Antrag zur besseren Beratung bei Verbraucherinsolvenzen folgen die Regierungsfraktionen einer Forderung der Verbraucherzentralen NRW. Die Zahl der verschuldeten Bürger steigt immer weiter; immer mehr Menschen rutschen in die Verbraucherinsolvenz, und die Beratungssituation im Land ist leider mehr als unsicher. Gerade diejenigen, die großen Bedarf an kostenfreier und guter Beratung haben, bekommen sie meist nicht: Studenten, Schüler und Rentner. Das sind nur drei Beispiele von Bevölkerungsgruppen, die darunter besonders zu leiden haben.

Mit dem vorliegenden Antrag soll der Landtag die Landesregierung dazu auffordern, ein Konzept zu erarbeiten, um eben diese Situation zu verbessern. Das ist ein guter Schritt, und dem können wir auch zustimmen.

Aber natürlich gibt es noch so viel mehr dazu zu sagen. Allein schon die Nennung der drei Bevölkerungsgruppen sollte die Politik aufhorchen lassen: Schüler, Studenten, Rentner. Das sind drei der Gruppen mit einer hohen Zahl an überschuldeten Menschen. Alles, was uns als Politik dazu einfällt, soll tatsächlich eine bessere Beratung sein, wenn es schon zu spät ist? Das ist, mit Verlaub, ein ziemliches Armutszeugnis. Wir brauchen dringend eine vollumfängliche Grundversorgung für alle Bürger, beginnend mit einer Kindergrundsicherung. Man kann doch Armut nicht dadurch bekämpfen, dass man den Armen sagt, wie sie sich besser organisieren. Das wird langsam zynisch.

Wir fordern eine deutliche Anhebung des Mindestlohns und eine Kindergrundsicherung im ersten Schritt, freien Zugang zu Bildung und Kultur, fahrscheinfreien ÖPNV und eine Maschinensteuer für hochautomatisierte Herstellungsprozesse. Menschen müssen an der Gesellschaft teilhaben können. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sich die berüchtigte Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet – ansonsten treiben wir diese abgehängten und alleingelassenen Menschen immer weiter in die Arme extremer Parteien. Auch Ihnen sollte klar sein, dass sich weite Teile der Bevölkerung immer weiter von dieser Politik abwenden.

Atomausstieg erst nach Fukushima, Hygieneampel nach den Nahrungsmittelskandalen und Beratung erst dann, wenn die Schulden schon da sind – das ist die Art von Politik, gegen die wir Piraten hier und überall immer wieder anrennen. Es muss proaktiv gehandelt werden und nicht immer erst dann, wenn es zu spät ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Brand. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jochen Ott hat es gerade schon gesagt: Rund 12 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen über 18 Jahre sind überschuldet, und nach Angaben des Statistischen Bundesamts leben in etwa einem Drittel der überschuldeten Haushalte auch minderjährige Kinder.

Überschuldung hat also oft ein Kindergesicht. Die Auswirkungen von Überschuldung auf die akut Betroffenen und das familiäre Umfeld sind inzwischen hinreichend wissenschaftlich belegt. Überschuldung betrifft in der Regel die gesamte Familie. Die Familie leidet mit, die Kinder leiden mit, oft mit dauerhaften Folgen für die Gesundheit und die Psyche. Wir sprechen heute also über alles andere als nüchterne Zahlen. Umso wichtiger ist es, den betroffenen Familien so schnell, aber auch so umfassend wie möglich zu helfen und sie zu unterstützen, aus der Schuldenspirale und der drohenden Perspektivlosigkeit herauszufinden. Wir alle wissen, fachlich-fundierte Beratungsangebote sind dafür unverzichtbar.

Die FDP und die CDU haben gefragt, was wir eigentlich in diesen sieben Jahren gemacht haben. Ich sage es Ihnen gerne: Wir haben schon 2011 die freiwillige Landesförderung der Verbraucherinsolvenzberatung von 5 Millionen € auf 5,5 Millionen € erhöht und damit die Kürzung aus der Vergangenheit rückgängig gemacht. Das war unbedingt notwendig. Das heißt, wir haben nach der Regierungsübernahme an dieser Stelle sehr schnell reagiert.

(Beifall von der SPD)

Häufig bieten Beratungsstellen bereits heute Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung gemeinsam an. Das ist auch sinnvoll – darüber haben wir gerade schon gesprochen –, weil die Schuldnerberatung in die Verbraucherinsolvenzberatung übergehen kann. Solche ganzheitlichen Ansätze der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung ermöglichen gute Hilfe, um aus der Schuldenspirale herauszukommen. Die Beratung nimmt die Klienten nämlich mit ihrem gesamten sozialen Umfeld in den Blick, und sie mindert die Auswirkungen familiärer Armut. Deshalb ist die engere Verzahnung von Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenzberatung auch aus Sicht der Landesregierung unbedingt geboten.

Eine Zusammenführung der bisher sehr unterschiedlich strukturierten Beratungsstellen wirft allerdings eine ganze Reihe von Fragen auf, und diese bewegen sich an den Schnittstellen von bundes- und landesrechtlichen Regelungen. Sie betreffen das Land, sie betreffen die Kommunen, aber sie betreffen auch die Träger. Diese Veränderungen sind aus meiner Sicht deshalb nicht so trivial, wie es hier von der Opposition suggeriert wird. Strukturverändernde Maßnahmen, die die bestehende Trägervielfalt und die mit dem Antrag verbundenen weitreichenden Konsequenzen berücksichtigen, können aus unserer Sicht deshalb nur mittel- und längerfristig angegangen und umgesetzt werden.

Gleichwohl begrüßen wir diesen Antrag ausdrücklich. Er gibt wichtige Anstöße, um weiter an diesen Strukturveränderungen zu arbeiten, um überschuldeten Familien die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein. Deshalb sollte dieses Thema auch in der nächsten Legislaturperiode auf die Agenda der Landesregierung gesetzt werden, damit wir daran konkret weiterarbeiten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Tenhumberg aus der CDU-Fraktion.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Herr Tenhumberg, der gerade selbst keine Frage beantworten wollte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Tenhumberg hat eine Kurzintervention angemeldet. – Bitte schön.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Frau Ministerin, ja, Sie antworten zu wenig auf konkrete Fragen. Das stimmt.

In der Bewertung des Themas „Schuldner- und Insolvenzberatung, Zusammenführung und Vernetzungsstrukturen“ stimme ich Ihnen in vielen Aussagen zu. Darum geht es aber eigentlich gar nicht.

Es geht darum, dass hier ein Antrag vorgelegt wird, der bereits 2010 gestellt worden ist, wobei ich Ihnen sage, dass Sie zu wenig getan haben bzw. gar nichts getan haben. Ich habe Ihnen gerade anhand der verschiedenen Fundstellen deutlich gemacht, was Ihre Vorgängerin dazu ausgeführt hat: keine Handlungsmöglichkeiten, keine Handlungsnotwendigkeiten und, und, und.

Sie weisen auf die Steigerung im Haushaltsplan 2010 von 5 Millionen € auf 5,5 Millionen € hin. Das deckt natürlich bei Weitem nicht die tatsächlichen Kostensteigerungen. Das hat die Freie Wohlfahrtspflege Ihnen im Ministerium in ihrem Schreiben vom September 2015 deutlich mitgeteilt: Es reicht nicht aus.

Meine abschließende Frage, Frau Ministerin, ist: Wie stehen Sie eigentlich zu der Forderung der SPD aus dem Jahr 2010? Haben Sie diese erfüllt, ja oder nein? Dort wird an die Regierung formuliert:

Zur Steigerung der Qualität der Beratung ist deshalb eine ressortübergreifende Koordination und Vernetzung aller Akteure notwendig. Diese Vernetzungstätigkeit muss Aufgabe der Landesregierung sein.

Haben Sie das seit 2010 getan, oder ist nichts geschehen – und warum nicht?

(Stefan Kämmerling [SPD]: Bisschen freundlicher!)

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Lieber Herr Tenhumberg, mir geht es nicht darum, wie häufig Anträge gestellt wurden, sondern mir geht es darum, ganz konkret an Verbesserungen zu arbeiten.

Ich habe Ihnen gerade die Ziele genannt. Allein Bayern, das diese Ziele umgesetzt hat, hat fünf Jahre daran gearbeitet.

Ich habe Ihnen auch die schwierige Schnittstellenproblematik erklärt, gerade was die rechtlichen Regelungen angeht. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Das haben wir getan.

Ich habe Ihnen auch gesagt, wir möchten dieses Thema in der neuen Legislaturperiode noch einmal ganz konkret angehen. Deshalb danke ich den regierungstragenden Fraktionen für diesen Antrag. Uns geht es darum, wirklich Verbesserungen für überschuldete Menschen, für die Familien, aber vor allem auch für die Kinder zu erreichen. Ich bin mir sicher, daran werden wir weiter gemeinsam arbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. Damit sind wir am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die beiden antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags zu? – SPD, Grüne, die Fraktion der Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Schulz und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Das sieht nach einer breiten Mehrheit aus. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist das zustande gekommen, was ich schon andeutete, nämlich eine breite Mehrheit für diesen Antrag Drucksache 16/14665. Er ist damit angenommen.

Wir rufen auf:

3  Schluss mit den falschen Versprechungen – Reform der Kita-Finanzierung transparent und ehrlich vorbereiten!

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14650

Die Aussprache ist eröffnet. Es spricht Herr Tenhumberg für die CDU-Fraktion.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dieser Tagesordnungspunkt wird etwas konkreter, damit wir verlässlichere Aussagen bekommen.

Frau Ministerin hat in der „Neue Rhein Zeitung“ am 7. März 2017 erklärt – ich zitiere –:

Im letzten Jahr wurden viele Gespräche geführt, um für ein neues Kitagesetz möglichst viele Akteure an einen Tisch zu bekommen. Wir können jetzt einige Ergebnisse präsentieren.

– Bis heute wissen wir nichts über Ergebnisse.

(Beifall von der CDU)

Ich stelle deshalb noch einmal die konkrete Frage: Welche Ergebnisse haben Sie erzielt?

Auf unsere Kleine Anfrage vom 28. März hin teilt die Landesregierung und die Ministerin mit – ich zitiere –:

„Die Landesregierung befindet sich … mit den in der Antwort zu Frage 1 genannten Partnern … in Gesprächen.“

Als Partner werden die kommunalen Spitzenverbände, die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kirchen definiert.

Mit Schreiben vom 30. März teilen uns die relevanten Beteiligten – das sind der Städtetag, der Landkreistag, der Städte- und Gemeindebund NRW, die AWO, der Caritas-Verband, die Paritätischen, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie, die Jüdischen Gemeinden, das Katholische Büro und das Evangelische Büro – mit – ich zitiere –:

In Presseveröffentlichungen entsteht bedauerlicherweise zurzeit der unzutreffende Eindruck, dass Verhandlungen zwischen dem Land und uns stattgefunden hätten.

Frau Ministerin, Sie haben immer behauptet, Sie wären mit den relevanten Beteiligten in Gesprächen. Am 30. März teilten uns alle relevanten Beteiligten mit, das sei nicht der Fall. Wer sagt hier jetzt die Unwahrheit? Ich erwarte von Ihnen heute und hier Aufklärung. Sagen Sie uns: Haben Sie diese Gespräche geführt? Mit wem haben Sie sie geführt? Wollen Sie überhaupt eine Einigung erzielen? Welche Vorstellungen haben Sie überhaupt? – Ich erwarte heute und hier eine konkrete Antwort.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tenhumberg. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sieben Jahre Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen – und die Lage bei der Elementarpädagogik in Nordrhein-Westfalen ist so schlecht wie nie zuvor. Sie haben vor sieben Jahren das Wahlversprechen gegeben, die Situation in den Kitas zu verbessern. Dieses Wahlversprechen haben Sie tatsächlich gebrochen. Wir diskutieren mittlerweile über Abgaben von Kitaträgern und über Kitaschließungen. 80 % der Kitas arbeiten defizitär. Wir haben einen extremen Personalmangel. Wir sind bundesweites Schlusslicht bei der U3-Betreuung. Das ist Ihre Bilanz. Die könnte ich noch stundenlang fortsetzen. Es ist eine extrem lange Mängelliste, die Rot-Grün der neuen Regierung am 14. Mai hinterlassen wird.

Meine Damen und Herren, die Ministerin und die koalitionstragenden Fraktionen haben am Anfang der Legislaturperiode versprochen, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Das haben sie nicht eingehalten. Dann hatte Ministerin Kampmann versprochen, Eckpunkte zu veröffentlichen. Trotz mehrfacher Nachfragen konnte die Ministerin dem Parlament bis heute nichts offenlegen, was Sie eigentlich machen wollen, um die Kitasituation vor Ort zu verbessern. Kollege Tenhumberg hat das angesprochen.

Ich finde, es hat etwas mit Arbeitsverweigerung zu tun. Wenn man nach anderthalb Jahren im Amt nicht in der Lage ist, der Öffentlichkeit, dem Parlament, den Trägern und den kommunalen Spitzenverbänden zu sagen, was man überhaupt vorhat, und der interessierten Öffentlichkeit ausschließlich das SPD-Wahlprogramm vorliest, dann kann man schon fast fragen, ob das nicht auch etwas mit Amtsmissbrauch zu tun hat, um das deutlich zu sagen.

(Beifall von der FDP, der CDU und Daniel Düngel [PIRATEN])

Ich würde erwarten – das haben wir auch in diesem Antrag geschrieben –, dass Sie veröffentlichen und darstellen, wie Sie sich vonseiten der Regierung eigentlich ein neues Kinderbildungsgesetz vorstellen. Ich würde erwarten, dass Sie uns sagen, wie Sie die Probleme mit dem Bürokratieabbau in den Griff bekommen wollen, wie Sie eine ausreichende und gute Finanzierung für alle Kindertageseinrichtungen sicherstellen möchten, wie Sie Flexibilität organisieren wollen und wie Sie eine angemessene Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern gewährleisten möchten. Was machen Sie, um 16.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land zu organisieren, um dem Beschäftigtenmangel entgegenzuwirken?

Zu diesen Fragen hören wir von der Landesregierung, von SPD und Grünen seit Monaten keinen einzigen Ton. Das macht mich nachdenklich und sehr, sehr traurig.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie müssen nicht immer nur Ihre eigenen Pressemitteilungen lesen!)

– Ja, das ist das Problem. Ich habe es gestern schon einmal gesagt. Ich spreche auch mit den Betroffenen vor Ort.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Als einziger!)

Kollege Bernhard Tenhumberg hat es auch noch einmal vorgelesen. Wenn alle relevanten Akteure im gesamten Kita-Umfeld sagen, dass sie eigentlich gar keine Gespräche mit SPD, Grünen und der Regierung geführt haben,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wo sagen sie das?)

dann frage ich mich, wer in diesem Land die Wahrheit erzählt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wo sagen sie das?)

Ich glaube den kommunalen Spitzenverbänden und den Wohlfahrtsverbänden, dass Sie hier einfach die Arbeit eingestellt haben.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wo sagen sie das denn?)

Deswegen wird es Zeit, dass es am 14. Mai einen Politikwechsel in diesem Land gibt.

(Vereinzelt Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Ministerin Kampmann, ich habe eine ganz konkrete Frage an Sie, weil ich glaube, es ist wichtig, dass Sie das Parlament und die Öffentlichkeit vor dem 14. Mai darüber informieren. Die SPD hat auf ihrem Parteitag beschlossen, eine Beitragsfreiheit einzuführen. Nach unseren Rechnungen wird das den Steuerzahler zwischen 600 Millionen und 1 Milliarde € zusätzlich kosten. Ist das etwas, was die Landesregierung schon überlegt und geprüft hat? Nach Aussage Ihrer eigenen Ministerpräsidentin hat der Finanzminister das überprüft, und eine entsprechende Zahl will er nicht veröffentlichen.

Ich frage Sie ganz konkret: Was kostet die Beitragsfreiheit in Nordrhein-Westfalen das Land? Und was möchten Sie dort auf den Weg bringen, damit die Menschen Bescheid wissen?

Die Grünen frage ich an dieser Stelle: Ist dieses Vorhaben, das Ministerin Kampmann angekündigt hat, die Beitragsfreiheit in Nordrhein-Westfalen zu realisieren, überhaupt mit dem Koalitionspartner abgestimmt?

Ansonsten würde ich schon die Frage stellen, ob Ministerin Kampmann das überhaupt von ihrem Amt her so kommunizieren darf.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie sind ja hier nicht als Parteimitglied, sondern als Regierungsmitglied tätig. Deswegen erwarte ich heute, dass Sie der interessierten Öffentlichkeit Ihre Position darstellen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, Sie haben meines Erachtens nach sieben Jahren bewiesen, dass Sie es nicht können. Sie hätten die Chance gehabt, ein neues Kinderbildungsgesetz vorzulegen. Sie haben das nicht gemacht. Deswegen hoffe ich, dass der Wähler am 14. Mai den Weg für einen Politikwechsel frei macht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Hafke. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute wieder mit einer in den düsternsten Farben geschilderten Zustandsbeschreibung der Opposition zu tun. Sie überbieten sich ja förmlich in extremen Formulierungen. Man hat den Eindruck, hier sei in den letzten Jahren in der Kitalandschaft nichts passiert. Sie wissen sehr genau, dass das nicht so ist.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erfüllt. – Wir haben 770 mehr Kitas in Nordrhein-Westfalen als bei der Regierungsübernahme im Jahre 2010.

Wir haben die Anzahl der U3-Plätze verdoppelt. – Dabei ist vielleicht zu bemerken: Wenn wir in dem Ausbautempo geblieben wären, wie Sie es geplant haben, wären wir – die Kommunen – nicht ansatzweise da, wo wir heute sind.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Immerhin stehen für das Gros der Eltern U3-Plätze für ihre Kinder zur Verfügung, und in weiten Teilen des Landes bzw. überall im Land können die angemeldeten Bedarfe auch tatsächlich beantwortet werden.

(Zuruf von der FDP: Reden Sie mal mit den Eltern!)

Wir haben die Förderung nach sozialen Kriterien eingeführt.

Wir haben endlich aus dem sogenannten Kinderbildungsgesetz ein Gesetz gemacht – mit vereinbarten Regularien für die frühkindliche Bildung.

Wir haben die Elternmitwirkung gesetzlich verankert.

Wir haben die Sprachförderung, ein wichtiges Thema, endlich vom Kopf auf die Füße gestellt und endlich kindgerecht gestaltet.

Wir haben die Herdprämie in die Kitas fließen lassen, und wir haben gemeinsam mit den Kommunen die Dynamisierung, die jährliche Anpassung, von 1,5 % auf 3 % verdoppelt.

Wir haben das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei gestellt und damit die Familien in Nordrhein-Westfalen mit 170 Millionen € pro Jahr entlastet.

Und wir haben rund 2,5 Milliarden € in die frühkindliche Bildung in Nordrhein-Westfalen gesteckt und damit die Mittel mehr als verdoppelt, die Sie uns übergeben haben.

Klar ist, niemand wird sagen, die Kitalandschaft ist wunderbar. Das wissen wir alle. Das, was wir brauchen, sind eben mehr Chancen und Teilhabe für alle Kinder.

Lieber Kollege Bernhard Tenhumberg, du hast dir ja noch ein bisschen Zeit gelassen und wirst wahrscheinlich gleich ohne Ende Gummi geben, und wir werden vielleicht die Vorschläge der CDU erfahren. Obwohl ich mir die Mühe gemacht habe, das Programm nachzulesen, habe ich sie dort ein wenig vermisst.

(Walter Kern [CDU]: Das ist aber gut das Programm!)

Zu den Punkten, die notwendig sind, um tatsächlich allen Kindern Chancen und Teilhabe zu bieten – gerade in der frühkindlichen Bildung –, haben wir bei Ihnen nichts gefunden. Auch heute haben wir wieder keine Ansätze gehört.

Das, was wir tatsächlich brauchen, ist eine Steigerung in der Qualität.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Ich sage Ihnen ganz offen, das kann mit diesem Gesetz, so wie es jetzt ist, nicht gelingen. Das, was wir wollen, ist eine grundständig andere Finanzierung, um vor allen Dingen einen besseren Personal-Kind-Schlüssel und mehr Qualität in der Kita sicherzustellen und

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

vor allen Dingen zwei Dinge zu verändern, die Sie mit verursacht haben: erstens Ihre Lüge, die sogenannte KiBiz-Lüge, und zweitens die KiBiz-Lücke, die dazu geführt hat, dass es in Nordrhein-Westfalen beinahe keinen anderen Bereich gibt, in dem die Beschäftigungsverhältnisse so unsicher sind wie im Erziehungsbereich. Das hat etwas damit zu tun, das Sie unterfinanziert in dieses Gesetz gegangen sind.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Da muss ich Ihnen sagen: Das werden wir grundständig ändern.

(Zuruf von der FDP: Wann denn?)

– Ja. – Und dazu haben wir in unserem Parteiprogramm konkrete Vorschläge gemacht.

(Christof Rasche [FDP]: Nichts habt Ihr gemacht!)

Ich will Ihnen auch noch mal sagen, was wir dafür tun werden. Wir werden ein völlig anderes Finanzierungssystem aufstellen. Das werden wir machen, und das wird auch notwendig sein.

(Christof Rasche [FDP]: Viele Jahre nichts gemacht! Unglaublich! – Gegenruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Denn mit einer Anhebung der Kindpauschale, wie Kollege Tenhumberg zur Verbesserung das gerne vorschlägt, passiert überhaupt nichts.

Jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen: Ja, Beitragsfreiheit ist für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein wichtiges Anliegen. Ich will Ihnen auch sagen warum.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Es geht nämlich nicht um Gleichmacherei, sondern darum, dass Familien hier in Nordrhein-Westfalen, die wenig Steuern zahlen, aber eine ganz hohe Abgabenlast haben. Das hat übrigens auch etwas mit Ihrer Politik auf Bundesebene zu tun hat.

Das, was wir daran ändern werden, ist: Wir werden die Eltern in Kernzeiten beitragsfrei stellen. Wissen Sie auch warum? – Das verbessert die Chancengerechtigkeit und die Zugänge für Kinder zur Bildung im Land.

(Beifall von der SPD)

Diese Eltern, die gar nicht so viel Steuern zahlen, aber möglicherweise eine hohe Abgabenlast haben, zahlen im Moment in Nordrhein-Westfalen in manchen Kommunen 7.000 bis 8.000 € Jahresbeitrag.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Das ist für diese Familien kein Pappenstiel und nicht einfach wegzuschieben.

Herr Präsident, ich habe es schon angekündigt: Da ich die Kolleginnen und Kollegen in der Debatte das letzte Mal erleben werden, will ich mich von zwei Kollegen verabschieden – trotz aller Härte, die wir der Debatte immer hatten:

Zum einen von Bernhard Tenhumberg. Mensch Bernhard, was haben wir uns die letzten zehn Jahre gekloppt, mein lieber Scholli! Hat aber Spaß gemacht, muss ich ganz ehrlich sagen. Du bist ein Zanklappen, ich bin es auch. Wir beide können nicht nachgeben. Obwohl ich finde, in deiner späten Phase bis du manchmal ein bisschen kleinkrämerisch geworden –

(Heiterkeit)

trotzdem macht es Spaß, sich mit dir auseinanderzusetzen. Deshalb, Bernhard, für das, was du vorhast: Ich weiß, dass du so bestimmt und westfälisch hart, wie du hier manchmal auftrittst, gar nicht bist. Du hast einen sehr, sehr weichen Kern und das Herz am rechten Fleck. Ich weiß, dass das, was du dir in der Zukunft vornimmst, auch wieder ganz viel mit Gefühl zu tun hat. Deshalb wünsche ich dir für deine Zukunft und für dein halbes Privatier-Dasein, was sowieso nicht passieren wird, alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Dann will ich mich – damit die Bürgerinnen und Bürger nicht das Gefühl haben, dass wir uns hier nur anschreien und ansonsten nichts passiert – auch von der Kollegin Andrea Asch verabschieden. Andrea, wir beide sind unfreiwillig zu Expertinnen eines Gesetzes geworden, das wir vom ersten Tag an, als es überhaupt in die Welt gebracht worden ist, abgelehnt haben.

Wir haben mit mehreren Revisionsschritten versucht, es zu heilen. Dass es dir und mir in dieser Legislaturperiode nicht gelungen ist, den wirklich großen Schritt zu machen, ein neues Gesetz zu machen, das bedaure ich. Ich weiß, dass du es auch bedauerst. Wir haben viel dafür getan, dass die Situation für die Kitas in Nordrhein-Westfalen trotzdem in der Überbrückungsphase, in der wir jetzt stecken, erträglich ist. Andrea, ich habe heute Grün angezogen, extra für dich, ganz ehrlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich bedauere es sehr, dass du dem nächsten Landtag nicht mehr angehören wirst. Ich weiß, wir beiden Kita-Tanten haben in der Opposition wie in der Regierungsphase trotz allem viel erreicht, wenn wir manchmal auch ein bisschen hart in der Auseinandersetzung waren. Es ist am Ende, glaube ich, so, dass man auch bei dir sagen kann: In der Achtung und in der Beachtung der Belange von Kindern gibt es kaum jemanden, der dich übertreffen kann. Du bist immer in der Sache sehr engagiert – ich weiß –, manchmal dann auch hart in der Auseinandersetzung. Du hast es auch manchmal richtig abgekriegt an einer Stelle, wo ich es vielleicht verdient hätte. Deshalb, Andrea, für deinen Lebensweg alles Gute. Ich hoffe – nein, ich weiß –, du bleibst dem Bereich verbunden. Das lässt man nicht einfach in den Kleidern. Alles Gute für dich!

Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Altenkamp, auch für die freundlichen Schlussworte. Es ist, glaube ich, immer interessant, wie es bei der Härte der Debatte auf der einen Seite dann doch zu dem menschlichen Wesen einer Demokratie gehört, dass man sich miteinander versteht – über die Dinge, die man nicht miteinander teilt, hinweg. Gut so. – Nächste Rednerin: Andrea Asch für die grüne Fraktion. Bitte schön.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz herzlichen Dank, liebe Britta, für die netten und herzlichen Worte. Zurück zu unserem Thema heute: Ich finde, wir sollten uns hier, nicht nur, weil es die letzte Debatte zu diesem Thema in dieser Legislatur ist, nicht im Klein-Klein verzetteln, wer wann wem was versprochen hat oder nicht.

Wichtig ist, dass direkt zu Beginn der nächsten Legislatur ein neues Kindergartengesetz angepackt wird von denen, die hier Verantwortung haben. Das ist dann wesentlich. Das muss sofort gemacht werden.

Wir haben als grüne Fraktion – das kann ich sagen – sowohl mit den Spitzenverbänden als auch mit allen Akteuren im Feld, mit den Erzieherinnen, mit den Eltern, intensive Gespräche geführt, und wir nehmen folgenden Auftrag mit:

Erstens. Das Kind und seine Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen.

Zweitens. Wir müssen eine nachhaltige, transparente und auskömmliche Finanzierung der Kitas sicherstellen. Das scheint optimal aus einer Mischung, aus einer Subjekt-Objekt-Finanzierungsstruktur gewährleistet zu sein, das heißt, einer Sockelfinanzierung, auf der jeweils Sondertatbestände aufgesetzt werden.

Drittens – und das ist uns besonders wichtig –: Wir brauchen eine klar definierte und verbesserte Fachkraft-Kind-Relation, um die Qualität der Betreuung in den Einrichtungen kindgerecht zu gewährleisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist so wichtig, weil Bindung jede Grundvoraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder ist: Erst wenn die Kinder verlässliche Beziehungen haben und gut gebunden sind, können sie sich der Welt und damit auch den Lerninhalten öffnen. Grundlage dafür ist es deswegen auch, den Trägern Planungssicherheit zu geben und Festanstellungen zu ermöglichen. Wir brauchen sichere Beschäftigungsverhältnisse und damit langfristige Arbeitsverträge in unseren Kindergärten, damit diese Bindungsmöglichkeit zwischen Erzieherinnen und Kindern gegeben ist.

Viertens ist die große Herausforderung der Zukunft, diejenigen Kinder mitzunehmen, deren Eltern nur ein schmales Portemonnaie haben, die nicht mit ihnen ins Museum oder ins Kindertheater gehen können. Das heißt, wir brauchen mehr Chancengerechtigkeit in der frühen Bildung. Dafür ist zwingende Voraussetzung, gute Standards überall in unserem Land zu schaffen.

Wenn man das will, dann muss man sehr kritisch mit dem Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände sein, der jetzt gerade veröffentlicht wurde, alles, was über eine Betreuungszeit von 25 Stunden hinausgeht, der Ausgestaltung der Kommunen vor Ort zu überlassen. Mit so einem Modell vergrößern wir die Armutsunterschiede innerhalb der Kommunen, statt sie zu verringern. Und das kann niemand von uns wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

All denjenigen, die in Zukunft für das neue Gesetz verantwortlich sind, möchte ich gerne mitgeben: Bitte lassen Sie nicht zu, dass Kitas zu Serviceeinrichtungen für den Arbeitsmarkt werden! Alle Forderungen nach Flexibilisierung der Öffnungszeiten müssen wir am Wohl der Kinder ausrichten und nicht an dem Bedarf des Arbeitsmarktes und von Arbeitgebern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen uns tatsächlich fragen, ob es kindgerecht ist und ob es den Bedürfnissen der Kinder entspricht, wenn es Betreuungszeiten bis spät in den Abend hinein oder gar am Wochenende und über Nacht geben soll. An dieser Stelle geht es wirklich um die Bedürfnisse der Kinder und nicht um andere, schon gar nicht um die Bedürfnisse der Wirtschaft. Wir dürfen nicht alle Lebensbereiche den Gesetzen der Ökonomie unterwerfen, schon gar nicht das Familienleben und schon gar nicht den Alltag der Kinder.

Meine Damen und Herren, Kindheit ist nicht nachholbar, das wissen wir. Wir müssen den Kindern jetzt geben, was sie brauchen: unsere Zeit, unsere Zuwendung, Schutz und Raum zur Entfaltung, und dazu gehören natürlich auch die notwendigen finanziellen Ressourcen.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei ganz vielen sehr herzlich bedanken. Für mich gehen zwölf Jahre als Abgeordnete hier im Landtag zu Ende. Der erste Dank geht an diejenigen, die dafür sorgen, dass wir wirklich eine gut aufgestellte Kindertagesbetreuung und eine gut aufgestellte frühe Bildung in Nordrhein-Westfalen haben: die Erzieherinnen und Erzieher, die Träger, die Kirchen und die vielen Menschen, die ehrenamtlich in diesem Bereich tätig sind; in Elterninitiativen, in Elternbeiräten usw.

Ich möchte mich für die gute Kooperation und die guten Fachgespräche bedanken, die wir im Ausschuss immer wieder bei Anhörungen und in vielen Sitzungen geführt haben. Natürlich möchte ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen des Fachausschusses bedanken. Es war – Britta Altenkamp hat es eben gesagt – nicht immer leicht, aber ich glaube dennoch, dass wir es geschafft haben, uns immer wieder auch auf der menschlichen Ebene zu begegnen.

Lieber Bernhard Tenhumberg, du wirst ausscheiden, genauso wie ich. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute. Bleib’ gesund; ich hoffe, dass wir uns in diesem Feld hin und wieder noch begegnen. Alles, alles Gute!

Walter Kern, auch dir! Wer weiß, was kommt. Es war oft eine harte Auseinandersetzung, wir haben uns wenig geschont, aber auch da stimmt die menschliche Ebene. Alles Gute!

Ganz herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen des AK 04 der SPD-Fraktion! Wir haben intensiv zusammengearbeitet. Wolfgang, Jörg, liebe Britta und auch an alle anderen Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir haben gemeinsam viel geschafft und viel für die frühe Bildung in Nordrhein-Westfalen erreicht. Für das gute Miteinander sage ich ein ganz herzliches Dankeschön.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

Last, but not least geht ein ganz herzlicher Dank an das Fachministerium. Liebe Christina Kampmann, lieber Bernd Neuendorf, lieber Manfred Walhorn – ich kann jetzt nicht alle nennen –: Ich möchte mich bedanken für hohe Fachlichkeit, für ein sehr gutes, ja freundschaftliches Miteinander, für freundschaftliche Kooperationen und auch dafür, dass wir miteinander so viel geleistet haben. Dafür ein großes Dankeschön!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Zum Abschluss: Ich habe es in meinen zwölf Jahren hier im Landtag immer als Privileg empfunden, als Abgeordnete im größten Landtag Deutschlands zu arbeiten. Es war eine arbeitsreiche, aber auch eine sehr bereichernde Zeit. Ich bin dankbar für diese Zeit, und ich wünsche dem zukünftigen Landtag und allen, die hier arbeiten, alles Gute. Ich hoffe, wir sehen uns zu den verschiedensten Gelegenheiten alle einmal wieder. – Tschüss, machen Sie es gut!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Asch – nicht nur für Ihre Rede, sondern im Namen des gesamten Hohen Hauses herzlichen Dank für die engagierte politische Arbeit, die Sie im Interesse unseres Landes Nordrhein-Westfalen in den zurückliegenden zwölf Jahren im Landtag geleistet haben! Herzlichen Dank, und Ihnen persönlich alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache den Anfang kurz; denn ich möchte mich in der zur Verfügung stehenden Zeit lieber mit der Debatte beschäftigen. Den ganzen Wünschen schließe ich mich natürlich an; das tun wir ja ohnehin auch noch unter vier Augen.

Wichtig ist, dass wir uns noch einmal damit beschäftigen, warum dieser Tagesordnungspunkt auf der Tagesordnung steht und warum dieser Antrag gestellt wurde. Vorweg: Wir wären als Piraten durchaus gern dem Antrag beigetreten. Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist; zumindest auf Referentenebene haben wir es noch versucht. Wie dem auch sei, uns fällt da kein Zacken aus der Krone. Wir werden natürlich – das kann ich vorwegnehmen – dem Antrag trotzdem zustimmen. Ob darauf nun „Piraten“ steht oder nicht, ist uns egal; denn uns kommt es auf die Sachpolitik an.

Zur Sachpolitik: Der Antrag enthält auch viele Vorwürfe, und in den Redebeiträgen vom Kollegen Herrn Tenhumberg und von Herrn Hafke haben wir entsprechende Vorwürfe in Richtung Landesregierung und rot-grüne Koalition gehört. Dann haben wir zwei Rednerinnen von Rot-Grün gehört. Schade ist, dass wir da nichts zu den Vorwürfen gehört haben – zumindest war das nicht viel. Das ist aber kein Problem; man gewöhnt sich ja daran, Bernhard Tenhumberg, nicht wahr? Das ist das Programm, welches Rot-Grün und die Landesregierung in den letzten Monaten im Ausschuss durchgezogen haben. Ich persönlich fand das relativ langweilig; denn es waren in jeder Ausschusssitzung einfach nur Wiederholungen.

Nein, das ist nicht ganz richtig; denn da hat sich etwas geändert. Am Anfang hieß es, Frau Ministerin Kampmann, die Eckpunkte würden Ende 2016 vorgelegt. Da dachte man noch, das sei relativ spät, aber wir könnten zumindest noch in dieser Legislaturperiode darüber reden. Dann wussten Sie, Frau Kampmann, und die Landesregierung plötzlich nichts mehr davon und haben behauptet: Nein, wir legen das bis zum Ende der Legislaturperiode vor.

Ich gebe Ihnen einen kleinen Förderhinweis: Auf Ihrer eigenen Webseite steht in der entsprechenden Mitteilung zum Thema immer noch „Dezember 2016“. Lesen Sie da vielleicht auch noch einmal nach!

(Walter Kern [CDU]: Ohne Honorar!)

– Genau, das war ein nett gemeinter Hinweis. Wir haben dann also gehört: Wir machen das zum Ende der Legislaturperiode. – Okay. Aber davon, dass es eigentlich 2016 eingebracht werden sollte, damit wir auch die Möglichkeit haben, über das Thema im Landtag zu debattieren und eventuell Verbesserungsvorschläge einzubringen, wusste man plötzlich nichts mehr.

Hannelore Kraft stellt sich dann hier hin und sagt: Nein, das machen wir in diesem Jahr nicht mehr. Das schaffen wir auch gar nicht mehr; wir werden das in der nächsten Legislaturperiode in Angriff nehmen. – Das kann man so machen, besonders gut ist es aber nicht.

Die Eckpunkte sind ja nichts, was ganz neu erarbeitet werden müsste. Rot-Grün hat dazu ja viele Punkte in den Wahlprogrammen und hatte das auch schon 2010 und 2012. Vieles, nein, das meiste davon ist nicht umgesetzt worden. Es sind Verbesserungen am KiBiz gemacht worden – am schlechten KiBiz. Wir alle wissen – ich habe das mehrfach gesagt – dass das KiBiz, das Schwarz-Gelb seinerzeit auf den Weg gebracht hat, ganz sicher ein schlechtes Gesetz war. Rot-Grün hat Verbesserungen an dem Gesetz vorgenommen.

(Walter Kern [CDU]: Die haben es ausbluten lassen!)

Als Piraten haben wir das immer anerkannt und die Verbesserungen in Abstimmungen teilweise durchaus mitgetragen. Allerdings sind uns diese Verbesserungen nie weit genug gegangen. Wir haben häufig darauf hingewiesen, wo denn die großen Probleme sind. Wir haben gestern erst wieder einen Antrag hier debattiert, bei dem es um die 2-Millionen-Finanzierungslücke geht, die unabhängig davon, wann und ob ein neues Kitagesetz kommen mag oder nicht, aktuell Stand der Dinge ist. Sie haben das abgelehnt. Die CDU-Fraktion hat sich bekanntermaßen gestern enthalten.

Das ist schwach; das ist ein schwaches Bild. Das Ende der Legislaturperiode ist einfach dann auch die Möglichkeit, mit dieser Familienpolitik der Landesregierung abzurechnen und ein Fazit zu ziehen. Dann muss man in Sachen Kinderbildung einfach sagen: Ich glaube, Britta Altenkamp, Andrea Asch und selbstverständlich auch Wolfgang Jörg, dass Sie das selber von Herzen mittragen und gerne mehr gemacht hätten. Fakt ist aber das, was auf dem Tisch liegt. Sie haben nur wenige Verbesserungen durchgeführt und eben nicht den großen Wurf geschafft.

Dieser Prozess, den Sie angestrebt haben in den Gesprächen mit den Beteiligten usw., ist ein guter Prozess. Den unterstützen wir auch teilweise. Nicht gut ist, nicht darüber zu reden, mit wem genau gesprochen wird. Nicht gut ist, es nicht anzunehmen, wenn die Wissenschaft sagt, dass sich die Wissenschaft daran nicht beteiligt fühlt. Das sind keine guten Punkte.

Wir haben darauf hingewiesen, in den Sachverständigenanhörungen wurde darauf hingewiesen. Sie ignorieren das. Sie sagen weiterhin: Wir sind da dran. – Im letzten Ausschuss haben wir festgestellt: Das Programm ist anscheinend das, was im SPD-Wahlprogramm steht. Ich finde das für eine Landesregierung schwach. Ich finde das für eine rote Ministerin, für eine SPD-Ministerin, schwach, die letzten Endes hier ja eine rot-grüne Koalition zu vertreten hat.

Ich fordere Sie noch einmal auf, in Ihrem Redebeitrag klarzustellen – ich komme dann zum Ende, Herr Präsident –, was Sie in den letzten Monaten hier an Arbeit versäumt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Düngel. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Kampmann das Wort.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Düngel, ich sage Ihnen jetzt, warum Sie noch nichts zu den Vorwürfen gehört haben. Ich sage dazu jetzt etwas. Sie haben dazu noch nichts gehört, weil es ganz einfach aus der Luft gegriffen ist.

Ich nehme da gerne einen Vorwurf von Herrn Tenhumberg, aber auch von Herrn Hafke auf, die gesagt haben, wir würden sagen, es fänden Gespräche statt, während die am System der Kindertagesbetreuung beteiligten Akteure sagen würden, es fänden keine Gespräche statt.

Es würde reichen, wenn Sie selbst zuhören würden oder, wenn Sie das nicht schaffen, vielleicht wenigstens nachlesen, was in den vergangenen Wochen passiert ist.

Ich möchte Ihnen ein Zitat aus der Anhörung zum Antrag der Piraten, den wir gestern diskutiert haben, vorlesen. Das Zitat ist von Herrn von Kraack. Die Anhörung war am 9. Februar. Herr von Kraack war für die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände da und hat gesagt:

„Seit dem Herbst haben wir uns in Gespräche begeben, die – da würde ich Ihnen jetzt keine Zahl nennen können – quasi ständig, permanent – wir treffen uns hier; wir treffen uns woanders – stattfinden, in denen wir weitgehend – das war eine weitere Frage, die Sie auch gestellt haben – übereingekommen sind in grundsätzlichen Vorstellungen hinsichtlich der Eckpunkte. Wir liegen nicht sehr weit auseinander.“

Das heißt, es würde einfach reichen, wenn Sie bei dieser Anhörung zugehört hätten oder wenn Sie das nachgelesen hätten. Dann wüssten Sie: Diese Gespräche finden statt. Wie Sie sehen, sind diese Gespräche auch auf einem guten Weg.

Aber kommen wir zum Antrag! „Reform der Kita-Finanzierung transparent und ehrlich vorbereiten!“ – So haben Sie diesen Antrag überschrieben, wenn man die Polemik einmal weglässt. Wenn man im Text weiterliest, dann wird auch schnell klar, worauf Sie im Grunde abzielen. Sie wollen nämlich von dem ablenken, was wir in den vergangenen Jahren seit dem Jahr 2010 in der Kitapolitik des Landes als Regierung gemeinsam mit den Trägern und den Kommunen und den Fraktionen erreicht haben. Ich verstehe wirklich gut, dass Sie an dieser Stelle ablenken wollen. Denn es muss tatsächlich frustrierend sein, wenn man sich diese Auflistung einmal anschaut. Britta Altenkamp hat eben schon einiges genannt.

Wir haben die finanziellen Mittel für die frühkindliche Bildung – und das ist nicht gering zu schätzen, Herr Düngel – von 1,26 auf 2,8 Milliarden € mehr als verdoppelt.

(Zuruf von Walter Kern [CDU])

Wir haben die Zahl der U3-Plätze mehr als verdoppelt – auch das ist nicht gering zu schätzen – und dabei den Rechtsanspruch für die ein- und zweijährigen Kinder auf einen Betreuungsplatz umgesetzt.

(Zuruf von Walter Kern [CDU])

– Herr Kern, hören Sie mir doch mal zu! Dann wissen Sie beim nächsten Mal auch, was wir alles erreicht haben.

Wir haben dafür gesorgt, dass auch die Zahl der Ü3-Plätze endlich wieder steigt. Auch das war ein wichtiger Schritt, weil wir wissen: Da gibt es einen steigenden Bedarf. Deshalb haben wir nicht nur im U3-Bereich ausgebaut, sondern genauso im Ü3-Bereich. Wir haben insgesamt über 100.000 zusätzliche Betreuungsplätze im Kitabereich geschaffen, und wir haben 770 Kitas neu gebaut. Die stehen insgesamt zum neuen Kitajahr zur Verfügung.

Liebe CDU und liebe FDP, wenn wir den Blick zurückwerfen in Ihre Regierungszeit, dann sehen wir: Da war Stagnation. Während sich damals andere Länder mit Volldampf auf den Weg gemacht haben, war Nordrhein-Westfalen abgehängt. Das Patent auf die rote Laterne haben deshalb Sie, das hat der verantwortliche Minister.

Wir haben mit einer beispiellosen Aufholjagd diese Entwicklung umgekehrt

(Beifall von der SPD)

und inzwischen auch wieder den Anschluss an die westdeutschen Flächenländer hergestellt.

(Beifall von der SPD)

Wir haben, Herr Hafke, ganz gezielt Familien mit kleinen Kindern entlastet. Das ist nämlich unser Verständnis von sozialer Gerechtigkeit. Wir stellen das Kind und seine Ressourcen und Stärken in den Mittelpunkt. Für all diese Maßnahmen haben wir auch viel Zuspruch und Lob bekommen.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, lassen wir uns von Ihnen nicht kleinreden. Das lassen wir auch nicht unsichtbar machen. Wir sind stolz auf das, was wir in diesem Bereich geschafft haben. Deshalb wird es Ihnen auch nicht gelingen, genau das kleinzureden, auch nicht in dieser letzten Debatte.

Wir reden dabei aber auch nichts schön. Wir wissen, es gibt noch viel zu tun, und wir wissen, wir haben ein ganz konkretes Ziel, das wir auch nicht aus den Augen verlieren werden. Denn aus Sicht der Landesregierung ist dieser Überarbeitungs- und der Veränderungsprozess des Finanzierungssystems der Kindertagesbetreuung mit all dem, was wir schon erreicht haben, noch keinesfalls abgeschlossen. Wir wollen, dass das jetzige Kinderbildungsgesetz durch ein neues Gesetz abgelöst wird, ein Gesetz, mit dem die Kitafinanzierung vollständig neu aufgestellt wird. Dafür möchten wir eine solide finanzielle Basis bereitstellen, eine Basis, die Sie im Übrigen nie geschaffen haben.

Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen mit allen Beteiligten geführt. Das habe ich eben schon erwähnt. Das haben unsere Gesprächspartner auch entsprechend bestätigt.

Richtig ist: Eine Einigung über Eckpunkte liegt noch nicht vor. Aber es gibt viele Übereinstimmungen für die vorgestellte Konzeption.

Und wenn die kommunalen Spitzenverbände ein pauschales, ein auskömmliches, transparentes und dynamisches Finanzierungssystem fordern, dann können wir an dieser Stelle auch ganz grundsätzlich mitgehen – vielleicht noch nicht in allen Punkten; da gibt es noch Unterschiede. Aber wir wollen vor allem nicht länger ein System, bei dem die Träger keinerlei finanzielle Sicherheiten haben. Denn das alleinige Abstellen auf die Belegungs- und auf die Kopfpauschalen ist aus unserer Sicht eine der größten Hürden für eine kontinuierliche qualitätsvolle Kitafinanzierung.

Die konkrete Ausgestaltung, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten wir jetzt zügig aushandeln, um anschließend einen Gesetzentwurf vorzulegen und ihn nach der Geschäftsordnung natürlich auch im vorgeschriebenen Verfahren zu beraten. Das ist unsere Vorstellung von „ehrlich und transparent“, und die wird sich in diesem Gesetzentwurf auch widerspiegeln.

Auch ich möchte jetzt zum Abschluss kommen. Wir werden morgen noch mal eine letzte Debatte führen. Herr Tenhumberg hat mir gesagt – wenn ich Sie da zitieren darf –, er möchte mit einem positiven Thema abschließen.

Ich möchte Andrea Asch auch noch einmal danken. Auch wenn wir noch nicht so lange zusammenarbeiten, liebe Andrea, habe ich dich immer als jemanden mit einem riesigen und offenen Herz für die Kinder erlebt. Du warst immer auf der Seite der Kinder und hast vor allem immer auch auf der Seite der Kinder für deine Ziele gestritten. Ich habe immer gern mit dir zusammengearbeitet, auch wenn – wir haben es jetzt schon an verschiedenen Stellen gehört – die Diskussionen im Ausschuss nicht immer einfach waren. Und du hast ja eben nicht nur mir, sondern meinem ganzen Haus gedankt. Wenn ich jetzt danke sage, dann gilt das deshalb auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in meinem Haus. Es war eine wunderbare Zeit mit dir, und ich wünsche dir alles Liebe und Gute für deine Zukunft. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Tenhumberg zu Wort gemeldet.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst mal vielen Dank für die netten Worte. Ich will nicht verheimlichen, dass mich das emotional schon berührt. Das hat es auch heute Morgen in der Andacht getan. Aber ich habe morgen noch eine Rede und deswegen komme ich auch schnell wieder zu den harten Fakten.

(Zuruf von der SPD: Das kommt aber auch überraschend!)

Liebe Britta: „Wir wollen und wir haben getan.“ – Man muss auch die tatsächliche Situation der Kindergärten und Kitas hier in Nordrhein-Westfalen betrachten. Ich könnte das jetzt aufzählen mit 64.000 fehlenden Plätzen, 20.000 fehlenden Erzieherinnen und Erziehern, Arbeitsüberlastung – will ich aber nicht. Fakt ist, und das muss jeder, der seine Besuche in den Kitas macht, feststellen: Wir stehen kurz vor dem Kollaps – sowohl bei der Belastung der Erzieherinnen wie finanziell.

(Zustimmung von der CDU)

Wer das nicht sieht, muss beide Augen verschließen. – Also, das sind die Fakten.

Meine Damen und Herren, darum ging es heute eigentlich gar nicht im Wesentlichen, sondern wir haben doch festgestellt, dass hier laufend Widersprüche auftauchen. Da wird etwas gesagt, da wird etwas veröffentlicht. Zum Beispiel habe ich hier einen Zeitungsartikel aus der „Neue Westfälische“, wo Frau Kampmann auf die Frage hin, was sie denn so alles vorhat, sagt:

„Ja, wir führen intensive Gespräche und werden bis Ende der Legislaturperiode Eckpunkte für ein neues Kitagesetz vorlegen.“

Mir geht es um die Gespräche, Frau Kampmann. Sie haben im Übrigen …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, ich unterbreche Sie ungern, aber Herr Kollege Jörg würde Ihnen gern eine Frage stellen. Lassen Sie die zu?

Bernhard Tenhumberg (CDU): Die von Herrn Jörg lasse ich zu.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Okay. – Bitte schön.

Wolfgang Jörg (SPD): Vielen Dank, lieber Herr Bernhard Tenhumberg, dass du die Frage zulässt. Meine Frage lautet: Wenn das so dramatisch ist, wenn das so wichtig ist, wenn du das so leidenschaftlich vorträgst, wie erklärst du dir, dass der Bereich Elementarbildung im Wahlprogramm der CDU überhaupt nicht auftaucht?

Bernhard Tenhumberg (CDU): Da kann ich ganz einfach antworten: Dann hast du etwas übersehen.

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von der CDU)

Lies unser Wahlprogramm vernünftig! Es steht alles umfassend drin. Alle Lebensbereiche, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, sind dort erfasst, und wir haben gute Antworten darauf.

(Zuruf von der SPD: Das kann man auch leicht übersehen!)

Nur, Wolfgang Jörg, wir sind hier nicht unter einer parteipolitischen Debatte. Wir sind heute im Landtag Nordrhein-Westfalen, wo es darum geht, die unerträgliche Situation zu verbessern,

(Zuruf von der SPD: Das musst du uns nicht sagen!)

und es geht darum, dass die Ministerin endlich – nach vielen Monaten – konkrete Antworten gibt. Deshalb darf ich an die Vereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden erinnern, wo Sie zugesagt haben – und zwar bereits 2015 im Flüchtlingsgipfel –, unverzüglich in Gespräche einzutreten, um die Kita Finanzierung zu regeln. – Bis heute haben Sie das nicht getan. Ich muss schon fragen: Wer sagt denn hier die Unwahrheit?

Der Städte-und Gemeindebund hat am 22.03.2017 schriftlich mitgeteilt: Vor dem Hintergrund der aktuell laufenden politischen Diskussion steht das Jugendministerium NRW für stattfindende Gespräche aktuell nicht mehr zur Verfügung. – Wer sagt denn hier die Unwahrheit? Sagt der Städte- und Gemeindebund die Unwahrheit?

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Was sagt denn der Landkreistag? Der Landkreistag sagt, schriftlich mitgeteilt am 30.03., dass keine Verhandlungen zwischen dem Land einerseits und den kommunalen Spitzenverbänden sowie den weiteren Trägergruppen anderseits stattgefunden haben.

(Zuruf: Hört, hört!)

Sie sagen, Sie sind in intensiven Gesprächen, und die teilen uns dies schriftlich mit. Und Sie sagen nicht mal hier am Mikrofon: Ja, es hat am Soundsovielten stattgefunden mit dem und dem Verband.

(Zuruf von der SPD)

Ich könnte Ihnen weiter den Landkreistag anführen und auch sagen, dass die Fraktionen gar nicht mehr auf Schreiben des Städte- und Gemeindebundes reagieren.

Meine Damen und Herren, es ist doch ganz selbstverständlich, dass man im Landtag als Parlamentarier im Rahmen der Kontrollfunktion der Regierung mal einige Fragen stellt. Und die sind einfach; ich bin kein Professor, ich drücke mich in der Fragestellung ganz klar aus. Da kann ich doch erwarten, dass eine zuständige Ministerin sich hier an das Pult stellt und sagt: Herr Tenhumberg, auf Ihre Frage eins antworte ich Ihnen: Nein, ich bin nicht in Gesprächen gewesen; da habe ich mich vertan. – Und auf die zweite Frage: Nein, das war ich nicht, das war mein Abteilungsleiter, der in den Gesprächen war. – Warum können Sie das dem Parlament nicht vortragen?

(Beifall von der CDU, der FDP und den PIRATEN)

Tun Sie es! Sie würden uns einen großen Gefallen tun, und wir hätten dann morgen einen noch schöneren Tag.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt. So verfahren wir dann auch‚ und zwar stimmen wir über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14650 ab. Wer ist für den Antrag von CDU und FDP? – CDU, FDP, die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der fraktionslose Kollege Stüttgen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/14650 abgelehnt ist.

Ich rufe auf:


4  Das Fach Informatik an allen nordrhein-westfälischen Schulen stärken!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14656

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14767

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende Piratenfraktion Frau Kollegin Pieper das Wort.

Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um sofort einem Missverständnis vorzubeugen: Die heutige Beschlussfassung bedeutet absolut nicht, dass wir von unserer Forderung „Pflichtfach Informatik für alle“ abrücken werden. Denn wir glauben, dass dieses Pflichtfach – Sie lachen, ja! – Informatik tatsächlich einen so großen Stellenwert hat, dass Informatik inzwischen zur Allgemeinbildung eines jedes Kindes gehört.

Wir wissen, da gibt es diesen Dissens: Wir glauben, dass dieses Thema nur in einem Fach unterrichtet werden kann, das systematisch aufeinander aufbaut und nicht fächerübergreifend, wo jeder ein paar Dinge übernimmt und man nicht garantieren kann, dass tatsächlich alle Schüler eine informatische Grundbildung erhalten.

Noch einmal zum Thema „Informatik“ allgemein. Warum ist Informatik eigentlich so wichtig? – Die Informatik ist die Bezugswissenschaft der Digitalisierung. Informatik ist dabei mehr als Programmieren: Es ist die Schule des Denkens. Themen des Informatikunterrichts sind zum Beispiel: den Unterschied zwischen Informationen und Daten erkennen, Kenntnisse zu Algorithmen erlangen und dabei die genaue Beschreibung von Handlungsschritten zur Lösung eines Problems einüben – das ist problemlösungsorientiertes Arbeiten –, Erfahrung mit formalen Sprachen und der Steuerung von Automaten machen.

Nicht zuletzt bietet der Informatikunterricht die Möglichkeit zur Reflektion der Wechselwirkung von Informatik, Individuum und Gesellschaft. Hier kann über die Rolle der Informationstechnologie in der heutigen Gesellschaft nachgedacht werden, und es kann untersucht werden, wie gesellschaftliche Entwicklungen die Informationstechnologien beeinflussen und umkehren.

Dieser Antrag war mir sehr wichtig, um das Fach Informatik an den Schulen zu stärken. Ich freue mich, dass Rot-Grün dann auf uns zugekommen ist und gesagt hat: Wir schaffen da auch etwas zusammen. – Ich sage dafür ausdrücklich „Danke“, weil ich glaube, dass ihr noch ganz wichtige Punkte hinzugefügt habt.

Wenn es uns durch diesen Antrag tatsächlich gelingt, mehr Mädchen für Informatik zu begeistern, mehr Schülerinnen und Schüler für ein Informatikstudium zu gewinnen, wenn es uns gelingt, den Informatikunterricht an den Grundschulen zu verstetigen, wenn es uns damit gelingt, mehr Studienplätze zu schaffen, mehr Lehrerfortbildungen zu erreichen und mehr Qualifizierung in der Berufsbildung zu bekommen, dann haben wir eine Menge erreicht. Das ist ein ganz wichtiger Schritt hin zum Fach Informatik – auch wenn ich glaube, dass die Unterschiede bestehen bleiben. Das macht aber nichts.

An dieser Stelle – gerade nach dem ganzen Wahlkampfgetöse, das ich gestern und auch heute hier in Teilen gehört habe – fand ich es besonders positiv – ich habe es eben gesagt –, dass es uns tatsächlich gelungen ist, etwas gemeinsam zu schaffen. Das haben wir in den fünf Jahren schon ein- bis zweimal auch an anderer Stelle geschafft.

Ich würde mir wünschen, dass Politik genau so funktioniert: sachorientiert mit gemeinsamer Lösungssuche. Ich glaube, das sind wir den Leuten hier in NRW schuldig. Wenn wir Politik dahin gehend verändern würden, dann gäbe es auch mehr Akzeptanz von Politik in der Bevölkerung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Feuß.

Hans Feuß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ursprüngliche Antrag der Piraten bezog sich nur auf die Stärken des Faches Informatik. Der gemeinsame Änderungsantrag hingegen legt auch Wert auf die Vermittlung von Kompetenzen für das Lernen in der digitalen Welt als Querschnittsaufgabe für alle Fächer.

Die Landesregierung hat dazu ein Leitbild entwickelt „Lernen im digitalen Wandel“. Ich zitiere von der Homepage:

„Der digitale Wandel führt dazu, dass mehr ‚digitale Schlüsselkompetenzen‘ und Querschnittsqualifikationen entlang der Bildungskette und in allen Fächern erworben werden. Diese ‚digitalen Schlüsselkompetenzen‘ werden neben Schreiben, Lesen, Rechnen zu einer neuen vierten Kulturtechnik. Dazu zählen insbesondere Medienkompetenz, Anwendungs-Know-how und informatorische Grundkenntnisse.“

Das ist im Grunde das, was Frau Pieper anfangs auch betont hat.

Auf der Plattform „learn:line NRW“ finden sich Materialien und Anregungen für die verschiedenen Fächer und für alle Schulstufen. Getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ gehören informatische Lerninhalte auch schon in die Grundschule.

In NRW gibt es das Projekt „Informatik an Grundschulen“. Dieses Projekt wurde in Verbindung mit den Universitäten Paderborn und Wuppertal sowie der RWTH Aachen entwickelt. Ziel dieses Projektes ist es, den Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Klasse Facetten der Informatik begreifbar zu machen und sie zu unterstützen, damit sie ein Verständnis für Informatiksysteme und die Bedeutung von Informatik im Alltag entwickeln können. Dieses Projekt soll ausgebaut und fortgeführt werden. Das ist unter anderem auch eine der Forderungen im Antrag.

Um das Fach Informatik zu stärken, werden ausgebildete Lehrer benötigt. Deshalb sollen die Hochschulen, die Standorte der Lehrerausbildung sind, ihre Kapazitäten für die Lehramtsstudiengänge im Fach Informatik ausbauen. Zur Sicherung der aktuellen Lehrerversorgung im Bereich Informatik sollen verstärkt Zertifikatskurse angeboten werden, in denen Lehrkräfte die Lehrbefähigung für Informatik erwerben können.

Ein weiterer Aspekt ist besonders zu berücksichtigen: Der Anteil der Schülerinnen im Fach Informatik ist relativ gering. Er schwankt zwischen 18 % und 25 %. Deshalb soll gezielt versucht werden, Schülerinnen für den Informatikunterricht und für ein Studium des Faches Informatik im Rahmen der Lehrerausbildung zu gewinnen.

Fazit: Der Änderungsantrag mit seinen Forderungen spricht sich für eine Stärkung des Faches Informatik und für eine Stärkung der allgemeinen digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in allen Fächern aus. Deshalb werden wir dem Änderungsantrag zustimmen.

Schlussbemerkung: Für alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Thematik interessiert sind, empfehle ich den Informatik-Biber. Klicken Sie einmal auf die Seite „www.Informatik-biber.de“. Dort finden sich Aufgaben vom Grundschulniveau bis zum Abitur. Ich selber hatte bei der Vorbereitung dieser Rede relativ viel Spaß, die dort gestellten Knobelaufgaben zu lösen. Es geht dabei wirklich nicht nur ums Programmieren, sondern es werden auch Aspekte des logischen und analytischen Denkens geschult.

Noch eine Persönliche Schlussbemerkung von mir: Ich bin nur fünf Jahre hier in diesem Landtag gewesen. Dass ich das am Ende meiner beruflichen Laufbahn fünf Jahre lang machen konnte, finde ich saucool. Es klingt jetzt vielleicht etwas komisch: Ich habe es im dritten Versuch geschafft.

Insbesondere bedanke ich mich bei der FDP, dass sie im Jahr 2012 den Haushalt abgelehnt hat.

(Vereinzelt Beifall)

So musste nämlich bei der SPD innerhalb von acht Wochen ein Kandidat aus dem Hut gezaubert werden. Da war dann der alte Kandidat der neue Kandidat, und im dritten Versuch hat es schließlich mit einem Vorsprung 1,2 % Vorsprung geklappt. Dafür Dank an die FDP, aber Dank auch an alle für ihre Unterstützung.

Alle Leute – auch die, die in anderen Berufsfeldern arbeiten – haben betont: Das sogenannte Backoffice auf allen Ebenen hier im Landtag – bei uns, bei der Partei, und auch bei der Landesverwaltung – ist top und beispielhaft.

Ich wünsche allen alles Gute. Den Wahlkampf kann ich jetzt etwas entspannter verfolgen, weil ich nicht in der ersten Reihe stehe. Als Kreisvorsitzender begleite ich das aber natürlich weiterhin positiv und hoffe, dass mein Nachfolger in der nächsten Legislaturperiode auch hier vorne stehen kann. – Ihnen alles Gute!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Feuß, für Ihre Rede und Ihre engagierte Arbeit hier im Landtag Nordrhein-Westfalen. Ich darf als jemand, der an der von Ihnen so positiv erwähnten vorzeitigen Auflösung des Parlaments nicht ganz unbeteiligt war, hinzufügen: Gerne geschehen!

(Heiterkeit)

Ihnen alles Gute für die Zukunft, lieber Herr Kollege Feuß.

Ich darf für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Bunse aufrufen.

Dr. Anette Bunse (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag trägt eindeutig die Handschrift der Piraten. Damit steht er am Ende einer sehr langen Kette von Anträgen, in denen auf die Thematik und die hohe Wichtigkeit des Faches Informatik und der Digitalisierung hingewiesen worden ist. Sie haben auch immer wieder auf das fehlende Equipment an unseren Schulen – das ist ein berechtigter Kritikpunkt – hingewiesen.

Jetzt haben Sie also – für uns ziemlich überraschend – in dieser flotten Dreierkombi zueinander gefunden und uns diesen neuen Antrag präsentiert. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Besonders neu finde ich ihn inhaltlich jedenfalls nicht. Ich wundere mich schon, Frau Pieper, wie leicht Sie doch von Ihrem sehr eindeutigen Nein abgewichen sind. Denn eigentlich war das ja immer der Punkt, über den wir gestritten und den wir auch nicht zu Ende geführt haben: die Frage, ob Informatik als ein Pflichtfach an Schulen eingeführt werden soll oder nicht.

Bei der Meinung, dass das nicht als eigenes Fach behandelt werden soll, bleiben wir auch. Da sind wir zudem nicht allein, sondern da sind wir in guter Gesellschaft vieler Expertinnen und Experten, die an den entsprechenden Anhörungen teilgenommen haben.

Sie haben sich also, was diesen Änderungsantrag angeht, zusammengefunden. Da lässt sich ein kleiner Schritt zur Einsichtigkeit dahin gehend erkennen, dass das Fach nicht als Pflichtfach eingeführt werden muss. Trotzdem ist das ein etwas heiß gestrickter Antrag.

Sie beschreiben, dass an fünf Grundschulen in NRW Informatik als ein Projekt etabliert ist. Sie führen uns nach England und zeigen, dass dort das Pflichtfach Computing in der ersten Klasse unterrichtet wird. Dann unternehmen Sie weiter einen Streifzug in die digitale Schulwelt im Sekundarbereich. Schließlich Sie teilen uns noch mit, dass nur 287 Schülerinnen das Fach Informatik als Leistungskurs belegt haben.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie! Würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Pieper zulassen!

Dr. Anette Bunse (CDU): Nein, ich führe meine Rede jetzt erst zu Ende. Sie hat mich mit ihrem Umkippen so geschockt, dass ich jetzt erst fortfahren muss. Gleich!

Sie bemängeln auch die fehlende fachliche Qualifikation einiger Lehrerinnen und Lehrer für dieses Fach. Am Ende dieses Rundumschlags fordern Sie dann, den Hochschulen anzuraten, die Kapazitäten für das Fach Informatik auszuweiten. Sie fordern weiterhin, das Projekt Informatik an Grundschulen mit dem Ziel fortzuführen, es letztendlich dort verbindlich zu etablieren.

Verehrte Antragsteller, Sie haben uns, wie gesagt, mit dieser Dreierkombi jetzt schon etwas überrascht. Wir finden aber, dass der Antrag inhaltlich gesehen nicht besonders neu und aufregend ist. Und ich glaube, dass jeder Abgeordnete hier weiß, dass noch einiges im Land der digitalinformatischen Analphabeten – so haben Sie die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer ja gerne dargestellt; wir als CDU sehen sie aber nicht so – zu tun ist.

Noch in der letzten Schulausschusssitzung haben wir den Bericht der Landesregierung verfolgt. Darin – ich darf zitieren – wird festgestellt:

„Statt den Ansatz eines Pflichtfaches Informatik zu verfolgen, geht es darum, Voraussetzungen für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt nicht von den jeweiligen Fachkompetenzen zu trennen, sondern sie als integralen Bestandteil zu begreifen und zu fördern.“

Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Wo die Liebe so hinfällt! Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht, dass Rot-Grün da auch einmal so auf die Piraten zugegangen ist. Das bleibt Ihr Geheimnis.

NRW ist also sicherlich kein digitales Schlaraffenland; aber erste kleine Schritte hin in Richtung auf einen digitalen Kurs sind erkennbar. Das ist allerdings sehr häufig den engagierten Lehrerinnen und Lehrern zu verdanken – und weniger den Impulsen dieser Landesregierung. Ein möglichst konstruktiv geprägter Streit um die Wertigkeit der Basiskompetenzen Rechnen, Schreiben und Lesen und deren Bedeutsamkeit im Vergleich zur noch jungen Kulturtechnik des digitalen Know-hows muss hier noch geführt werden. Und den möchten wir auch gerne führen.

Wir stellen also aktuell aus CDU-Sicht fest: Es gibt einige Baustellen in der Schullandschaft NRW. Auch gibt es einige Wünsche und Vorstellungen in Bezug darauf, den Fächerkanon an unseren Schulen sogar auszuweiten. Die Realität aber fordert doch zunächst einmal, den heute bereits vorgesehenen Unterricht überhaupt wie gesetzlich verankert zu erteilen und den Kindern den Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule reibungslos zu ermöglichen. Aktuell ist das offenkundig nicht der Fall.

Wir werden Ihrem Antrag daher heute nicht folgen, sondern uns enthalten, da er in der jetzigen Situation weder zielführend noch umsetzbar ist. Sie treiben nur gerade wieder ein neues kleines Tier durchs Dorf. Wir denken, dass der Antrag die wirkliche Situation an den Schulen in NRW nicht treffend widerspiegelt, sondern dass er vielmehr vom Hauptplatz des Versagens der rot-grünen Schulpolitik ablenkt.

(Beifall von der CDU)

Und die lautet ganz kurz umschrieben: Inklusions-Chaos, Unterrichtsausfall, überlastete Lehrerinnen und Lehrer sowie Kinder und Jugendliche, die – das finde ich besonders gemein – hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben müssen.

Und dann kommen Sie mit diesem neuen Antrag um die Ecke, statt erst mal die Hausaufgaben zu machen, die gemacht werden müssen. Das heißt für uns: hinschauen und vielleicht sogar das Tempo zu verlangsamen, insbesondere in Bezug auf die Inklusion.

Wir sind dafür, dass Ruhe in den Schulen einzieht, damit Lehrerinnen und Lehrer dort in Ruhe arbeiten und die Potenziale der Kinder erkennen und fördern können. Letztendlich muss das Ziel eine Qualitätssteigerung sein. Davon sind wir aber noch ziemlich weit entfernt.

Darum wundert uns dieser Antrag. Wir sind ein bisschen beleidigt, dass wir nicht mit in den Sandkasten durften und nicht zumindest mitdiskutieren konnten. Aber eigentlich ist der Antrag das Papier, auf das er geschrieben worden ist, nicht wert. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Bunse. Bleiben Sie bitte noch vorne, denn Frau Kollegin Pieper hat eine Kurzintervention angemeldet.

Dr. Anette Bunse (CDU): Frau Pieper, sind Sie beleidigt?

(Zurufe von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Nein, wieso?

Dr. Anette Bunse (CDU): Frau Pieper hat sich vorhin gemeldet, aber jetzt will sie nicht mehr. Das ist auch gut.

(Zuruf von Monika Pieper [PIRATEN])

Nehmen wir Herrn Paul.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Moment, wir haben jetzt ein kleines Missverständnis. Die Kurzintervention stammt zwar von den Piraten, aber sie wurde von Dr. Paul angemeldet. Er hat jetzt für 90 Sekunden das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen lieben Dank, Herr Präsident. – Frau Dr. Bunse, wenn ein neues Fach mit dem Titel „Informatik“ irgendwann mal eingerichtet würde – ich meine das jetzt nur hypothetisch –, würde es erst in der Praxis ausgestaltet werden können.

Was wäre denn die mögliche Position der CDU, wenn man sagte: „Das Fach Informatik“ – Mathematik, was als zweites Fach hinzukäme, liegt, weil sie sich mit der Methodenkompetenz befasst, eher quer zu den Inhaltsfächern – „würde sich mit wesentlich mehr als nur mit der digitalen Welt beschäftigen, nämlich generell mit der Frage, wie man Probleme strukturiert und zu einem Lösungsansatz kommt“? Ich würde mit Ihnen stante pede eine Stunde Informatik nur mit der Tafel, aber ohne den Computer machen. Wie würde die Union darüber denken, wenn man das Fach Informatik quasi auf den analogen Problemlösungsbereich ausweitete? – Vielen Dank.

Dr. Anette Bunse (CDU): Herr Paul, da sind Sie ja besonders pfiffig. Das ist dann nicht mehr das Fach Informatik, über das wir bisher diskutiert haben. Ich habe Ihnen gerade gesagt, wir würden …

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Doch!)

– Nein.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Doch!)

– Jetzt hören Sie mal auf, zu widersprechen! Hören Sie mal zu!

(Allgemeine Heiterkeit)

Hören Sie mir doch mal bis zum Ende zu! Das müssen Sie manchmal auch ertragen.

(Zurufe)

Ich finde es echt schon lächerlich, dass Sie gemeinsam einen Antrag machen, sich in diesem Antrag zurücknehmen und nicht mehr von dem Pflichtfach Informatik sprechen.

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Ihre Arroganz ist auch lächerlich!)

Jetzt diskutieren wir eigentlich über diesen Antrag, und da kommen Sie um die Ecke und fangen wieder mit Ihrem Pflichtfach an. Sie hätten sich vorher mal darüber austauschen müssen, über welchen Inhalt wir hier eigentlich diskutieren.

Ich habe hier gerade wortwörtlich gesagt: Wir sind bereit, diese Diskussion zu führen. – Damit haben wir angefangen; wir hatten auch entsprechende Anhörungen. Wenn das Ganze aber diese Form hat, bin ich aus den Gründen, die ich gerade skizziert habe, sind wir nicht dafür, noch ein neues Fach einzuführen.

Vorhin habe ich zufällig gelesen, man könne sicherlich darüber streiten, in welcher Form man digitale Informatikkompetenzen in den Unterricht mit einfließen lässt. Ich habe gesehen, es wird – im August vermutlich – einen neuen Erlass dazu geben. Da sind wir sicher alle auf dem Weg.

Aber ich finde, es ist eine ganz krumme Tour, uns hier einen Antrag zu präsentieren, so zu tun, als ob von einem Pflichtfach Informatik nicht mehr die Rede wäre, und dann genau dazu eine Frage zu stellen. Das müssen Sie mir mal erklären. – Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit die Antwort auf die Kurzintervention. Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Bunse. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Beer für Bündnis 90/Die Grünen.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da geht aber jetzt technisch mega etwas durcheinander. Das muss man sehr deutlich sagen.

Liebe Frau Bunse, dass Sie ein bisschen beleidigt sind, weil Sie nicht haben mitspielen können – Sie haben das selbst so gesagt –,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist okay!)

ist schade. Aber ich glaube, das war noch nicht der richtige Zeitpunkt. Ich habe die Pressemitteilung der Kollegin Vogt mit Interesse zur Kenntnis genommen. Mit dem Konzept, das Sie da auflegen mit Ihren bildungspolitischen Sprechern, sind Sie meilenweit hinter dem zurück, was in NRW längst Praxis ist. Das muss man wirklich sagen.

Wenn das die Antwort auf die Fragen der Zukunft ist, muss ich sagen: Das finde ich eher enttäuschend. Das, was von der Bundesebene, von Frau Wanka, kommen soll, steht auch noch in den Sternen. Das, was hier drinsteht, ist also ein bisschen mehr Pythia als reale Politik. – So viel zu den Einlassungen der CDU.

Ich möchte damit beginnen, mich bei Hans Feuß zu bedanken; denn seine sehr sachliche, aber immer enorm kompetente und praxisnahe Art und diese bestimmte Lässigkeit haben für viel Substanz in der Diskussion gesorgt. Herzlichen Dank!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ganz besonders möchte ich mich bei Monika Pieper für die Leidenschaft für dieses Thema bedanken, was auch in diesem Antragsentwurf noch einmal deutlich geworden ist, und für das Vorantreiben des Bewusstseins für die Bedeutung und Bedeutsamkeit dieses Themas. Das ist auch dein Verdienst.

Ich habe mich sehr gefreut, dass du uns nicht in die Zwickmühle gebracht hast, diesen Antrag ablehnen zu müssen; denn die Frage nach dem Pflichtfach Informatik war ja an erster Stelle aufgehängt. Darüber müssen wir in der Tat streiten, und wir haben es auch oft genug getan. Wir möchten es eben nicht abwälzen, sondern zu einer Aufgabe der gesamten Schulentwicklung machen wollen. Dann wird man das in dem Kanon der naturwissenschaftlichen Fächer verankern und ihm einen anderen Stellenwert geben müssen.

Aber ich glaube, wir sind sehr beieinander, wenn wir sagen: Das Leben und Lernen in der digitalen Gesellschaft wird zur klaren Leitperspektive schulischer Entwicklung, um bildungsgerecht allen Kindern und Jugendlichen Zukunftsperspektiven in der digitalen Welt zu eröffnen. Ja, informatisches Wissen und informatische Grundbildung gehören heute zum Weltwissen, und das erschließt die Welt. Deswegen muss man auch begreifen, was dahintersteckt, wenn im Internet plötzlich die Algorithmen wirken und einem alle möglichen Angebote gemacht werden, weil man einmal auf eine Seite geklickt hat.

Wir könnten das jetzt im Alltag anhand von ganz vielen Dingen durchdeklinieren; aber es ist so. Deswegen bin ich froh, dass wir zu diesem gemeinsamen Antrag gekommen sind. Wir sind uns nämlich wirklich darin einig, die Sache voranzutreiben und zu einer Schulentwicklungsaufgabe zu machen. Das muss man in der Schrittigkeit auf allen Ebenen, die in dem Antrag beschrieben sind, durchdeklinieren.

Besonders freut mich auch, dass wir noch einmal einen Schwerpunkt auf die Frage gelegt haben, wie viele Mädchen und Frauen eigentlich Zugang zu diesem Feld bekommen. Mich hat die Ausstellung im Heinz-Nixdorf-Forum zu Ada Lovelace begeistert:

(Monika Pieper [PIRATEN]: Ja!)

die Pionierin, die – man höre und staune – 1815 geboren und leider schon 1852 gestorben ist. Sie war die erste Programmiererin der Welt und hat sich auch damals schon mit einer kritischen Reflexion zu dem Thema „Maschinen“ zu Wort gemeldet. Sie hat gesagt: Mit den Maschinen muss man umgehen lernen. Man muss sie verstehen lernen, und deswegen muss man das Programmieren lernen.

In ihrer Biografie hat sie gegen sehr viele Widerstände dieses Bildungsfeld für sich erschlossen und ihren Beitrag dazu geleistet. Wenn wir es hinbekommen, dass mehr Mädchen und Frauen Ada Lovelace kennenlernen, wenn wir diese Wege öffnen und eine Begeisterung für das Feld naturwissenschaftlicher Bildung insgesamt hinbekommen, wenn nicht mehr damit kokettiert wird: „Ich kann kein Mathe, und ich kann kein Informatik“, sondern wenn diese Fächer zum wesentlichen Bestandteil unseres Weltwissens werden – und zwar schon bei den sehr jungen Kindern –, wenn altersgerecht – auch analog – das Thema „Programmieren“ gelernt und ein Verständnis dafür geschaffen wird – ich glaube, dann sind wir einen großen Schritt weiter, diese Welt zu begreifen und sie vor allen Dingen kritisch und aktiv mitgestalten zu können.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Deswegen bin ich dankbar für diesen gemeinsamen Antrag. Als Wertschätzung der Arbeit, die von dir in den letzten fünf Jahren geleistet worden ist, ganz herzlichen Dank auch für die immer konstruktiven Beiträge und für das Beharren darauf, dass es um die Sache geht. Danke, Monika!

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Schmitz das Wort.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Frau Dr. Bunse, Sie haben recht, das heutige Thema, gerade auch als Piratenantrag, ist nicht neu, aber – und da bin ich ganz bei Ihnen, werte Frau Beer – es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Es ist gut, dass schon im ursprünglichen Antrag die Piraten auf die Forderung nach einem Pflichtfach Informatik bei gleichzeitiger Streichung von Naturwissenschaften verzichtet haben.

(Monika Pieper [PIRATEN]: Hä?)

Dann hätten wir dem Antrag nämlich von Anfang an definitiv nicht zugestimmt.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Huhu!)

Erfreulicherweise wird im vorliegenden Antrag sowohl in der ursprünglichen als auch in der dann geänderten Form ebenfalls auf das sonstige Ausspielen von Informatik gegen die Einbettung digitaler Anforderungen in anderen Fächern verzichtet. Daher können wir diesem Antrag sowohl in der alten als auch in der neuen Fassung viele positive Aspekte abgewinnen.

Die Sachdarstellung ist wohl weitgehend unbestritten. Gerade im MINT-Bereich haben wir unter Rot-Grün vollkommen unzureichende Aktivitäten erleben müssen.

(Beifall von der FDP)

Ich erinnere nur an SPD-Aussagen zu unserem Antrag, die MINT-Aktivitäten deutlich zu verstärken: Da wurde doch tatsächlich davon gesprochen, die FDP-Forderungen seien – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten – „überzogen“. Was für eine Verkennung der Wirklichkeit!

Selbstverständlich besteht ein deutlicher Fachlehrermangel, und laut Prognosen wird sich dieser Mangel gerade im MINT-Bereich noch zusätzlich verstärken. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Fach Informatik. Das Schulministerium hat im Ausschuss letzte Woche den bereits heute hohen Anteil fachfremden Unterrichts an vielen Schulformen von deutlich über 50 % bis hin zu 70 %, 80 % erkennen lassen. Wer die Zukunft nicht verspielen will, muss auch hier die Anstrengungen für beste Bildung deutlich verstärken.

(Beifall von der FDP)

Der FDP ist es wichtig, dass Kindern und Jugendlichen verbindlich eine informatische Grundbildung vermittelt und möglichst mehr Informatikunterricht ermöglicht wird. Wir sehen mehr Informatik explizit nicht als Gegensatz, sondern als Ergänzung zu einem integrierten, vernetzten Ansatz digitaler Bildung in allen anderen Fächern.

Das zarte Pflänzchen des Modellversuchs „Informatik an Grundschulen“ haben wir daher immer begrüßt, aber auch frühzeitig eine Ausweitung angemahnt. Natürlich bedarf dies qualitativer Grundlagen. Daher unterstützen wir die Forderung, die verbindliche Aufnahme von Lerninhalten der informatischen Allgemeinbildung in den Unterricht der Grundschulen vorzubereiten.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir ehrlich sind, ist die Forderung nach Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen etwas überpointiert. Lediglich Münster ist nicht zulassungsfrei. Letztlich sind die Kapazitäten vorhanden, es fehlen die Studierenden.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Dennoch kann es nicht schaden, hier mit den Hochschulen in Gespräche einzutreten. Aus Sicht der FDP muss dabei klar sein, dass für Hochschulen gegebenenfalls zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Kapazitätsausweitungen dürfen nicht zulasten anderer Fächer gehen. Bei dem Punkt Lehramtszugangsverordnung ist es nun in eine Prüfung geändert worden. Das scheint uns auch sinnvoll. Hier darf natürlich nicht zulasten anderer Fächer agiert werden.

Wir wissen, dass in vielen MINT-Fächern laut Prognosen ein massiver Lehrermangel absehbar ist. Sicherlich besteht auch eine reziproke Affinität zwischen Informatik und anderen MINT-Fächern. Insofern scheint es auch uns nicht abwegig, eine solche Öffnung zu prüfen. Auch die nun nachträglich ergänzten Forderungen sind aus unserer Sicht mitzutragen.

Zusammengefasst: Der Antrag ist sicher nicht der Stein der Weisen, aber es geht in die richtige Richtung. Daher werden wir zustimmen.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Landeregierung, liebe Damen und Herren des Ministeriums, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich für die bereichernde und schöne gemeinsame Arbeit in diesem Hohen Hause und wünsche Ihnen allen von Herzen alles Gute für Ihre weitere Zukunft.

Die Arbeit mit Ihnen hat mir sehr viel Freude gemacht. Mein ganz besonderer Dank gilt auch meiner Fraktion, die meine Arbeit stets mit Fachkompetenz und im Dialog, manchmal auch in der dialektischen Auseinandersetzung tatkräftig unterstützt hat. Ihnen allen ganz herzlichen Dank. Ich verabschiede mich. Auf Wiedersehen!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Aber so schnell lassen wir Sie nicht gehen; denn Frau Kollegin Beer hatte sich noch zu einer Zwischenfrage gemeldet. Die werden Sie sicherlich zulassen.

Ingola Schmitz (FDP): Gerne.

Sigrid Beer (GRÜNE): Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage noch zulassen. Liebe Frau Schmitz, mir war es nicht bewusst, dass das jetzt Ihre letzte Rede war. Ich hoffe, Sie entschuldigen – das ist meine Frage –, dass ich das nicht auch in meiner Rede erwähnt habe.

Ich möchte mich noch persönlich bedanken für die konstruktiven Gespräche und die freundliche und gute Zusammenarbeit. Danke schön!

(Ingola Schmitz [FDP]: Danke schön! – Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Eine Antwort erübrigt sich in diesem Fall, aber nicht mein Hinweis, liebe Frau Kollegin Schmitz, dass ich Ihnen im Namen des gesamten Parlaments – wenn es auch nur eine Wahlperiode war – für Ihr großes Engagement im Landtag Nordrhein-Westfalen, das, wie ich sehr wohl weiß, aus fester Überzeugung erfolgt ist, sehr, sehr herzlich danken möchte. Auch Ihnen alles, alles Gute für die Zukunft. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da endet die schulpolitische Diskussion in dieser Legislaturperiode mit einem relativ breit getragenen Konsens zu einem Zukunftsthema. Wenn das kein gutes Omen ist für das, was wir bisher geleistet haben, und für den Blick nach vorne, was dann stattdessen! Das freut mich sehr!

Ich danke schon jetzt, damit ich es am Schluss nicht vergesse, den Kolleginnen und Kollegen, die hier nicht wieder kandidieren, die heute ihre letzten Reden gehalten haben. Das gilt auch für Sie, Frau Schmitz, da wir menschlich doch immer sehr gut miteinander ausgekommen sind und uns gewertschätzt haben. Fachlich kamen wir zwar an der einen oder anderen Stelle nicht immer überein, aber das ist ja auch in Ordnung, wenn man anständig damit umgeht.

Und was Herrn Feuß betrifft, kann ich mich dem Gesagten wirklich ausschließlich anschließen. Wir kannten uns vorher nicht; das ist halt so, wenn man hier im Parlament als heterogene Gruppe zusammenkommt. Ich kann nur unterstreichen, was Sigrid Beer eben gesagt hat: Sie haben manchmal, wenn schwierige, konfrontative Situationen da waren, in einer unnachahmlich ruhigen Art auf die Praxis hingewiesen, auf gelingende Praxis und haben damit dem Alarmismus, der in der Schulpolitik so gerne die Schlagzeilen bestimmt, etwas entgegengesetzt, und dafür bin ich Ihnen auch persönlich ausdrücklich dankbar. Das war immer eine ganz wohltuende Stimme für gute Bildung in Nordrhein-Westfalen, nicht ohne auch zu sagen, dass natürlich noch was zu tun ist. Wirklich sehr herzlichen Dank dafür.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Dass Bildung nicht nur in der Schule, sondern eigentlich immer und überall stattfindet, das haben wir, finde ich, an diesem Thema auch noch gesehen, weil Frau Pieper hier stellvertretend für die Piraten etwas deutlich gemacht hat. Sie hat am Anfang der Rede ja auch ganz klar gesagt – deswegen habe ich, Frau Dr. Bunse, Ihre Aufregung gar nicht verstanden –: Das ist unsere Maximalforderung, aber wir wollen eben auch hier konkret – unabhängig davon, ob jetzt alle uns darin folgen – trotzdem noch einen Akzent setzen, den ja offenbar alle tragen können.

Das zeigt, dass ein pragmatisches Angehen – nicht immer alles direkt umsetzen, sondern Schritt für Schritt – eine wichtige Lernerfahrung in der Politik ist; das erlaube ich mir hier festzustellen. Auch Ihnen sehr herzlichen Dank dafür, dass man, wenn man eben vorangeht, Brücken bauen muss, die für die Kinder und Jugendlichen gut sind. Also auch da möchte ich Ihnen ausdrücklich bescheinigen, dass Sie immer das Vorankommen im Blick hatten, manchmal ungeduldig waren, aber auch immer Schritte gesehen haben, die nach vorne gehen, nicht nur bei diesem Thema, sondern auch bei vielen anderen, und dass Sie zum Teil gewürdigt haben, was die Landesregierung gemacht hat. Also, ein gutes Zeichen für unser gemeinsames Agieren! Danke dafür.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, was ich jetzt sagen möchte, passt auch im Grunde zu der Debatte, die wir heute Morgen zum Thema „Wirtschaftspolitik“ hatten. Schulpolitik ist nicht nur Schulpolitik, sondern Schulpolitik ist Sozialpolitik, ist Wirtschaftspolitik, ist Integrationspolitik und Demokratiepolitik. All das ist immer mit Schule verbunden, weil es die Kinder und Jugendlichen zum Lernen befähigen soll. Wir sind das erste Bundesland, das ein solches Leitbild zum Lernen in der digitalen Welt hat. Wir gehen das systematisch an und haben wirklich schon Etliches auf den Weg gebracht. Wir können uns im Bundesländervergleich als Flächenland sehr gut sehen lassen.

Und das, was uns Frau Wanka mit 5 Milliarden versprochen hat, steht noch in keinem Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU. Herr Schäuble hat Nein gesagt, und er hat gesagt, er sehe noch keinen Anlass dazu, irgendetwas zu etatisieren. Da sind wir mit den 2 Milliarden für „Gute Schule 2020“ einen ordentlichen Schritt weitergekommen und können unsere Kommunen so auch bei der Ausstattung im Kontext Digitales unterstützen.

Ich will einen letzten Punkt ansprechen, weil Sie, Frau Schmitz, das eben erwähnt haben. Ich war gestern bei „Jugend forscht“ und habe die Landessiegerauszeichnung vorgenommen. Uns ist bescheinigt worden, dass wir systematisch die Netzwerkarbeit beim Thema „MINT“ in Nordrhein-Westfalen ausgebaut haben. Die haben wir in dem Feld ausgebaut, indem wir diese Wettbewerbe immer unterstützt haben. Die haben wir ausgebaut beim Thema „Bildungspartnerschaften“ mit Partnern außerhalb von Schule. Ob das die Gedenkstätten sind, ob das Museen sind, ob das Forschungseinrichtungen sind: Es muss klar sein, Unterricht und Lernen finden nicht nur in der Schule statt, sondern werden bereichert, wenn die Kinder und Jugendlichen rausgehen und an außerschulischen Lernorten lernen. Das ist eine sehr wichtige Zukunftsfrage. Das will ich noch einmal deutlich machen.

Ich nenne noch einmal die MINT-Netzwerke: MINT-Schulen 70, MINT-EC-Schulen 68, das Sinusprojekt NRW, die zdi-Zentren, die mit Svenja Schulze gemeinsam gestaltet werden. Da ist sehr viel systematisch angelegt worden. Zu sagen, wir hätten das vernachlässigt, kann und will ich hier einfach nicht so stehen lassen.

Und ein letzter Satz, Herr Präsident: Alle, die meinen, um den Unterrichtsausfall kümmern wir uns nicht, verweise ich auf den Bericht an den Ausschuss für Haushaltskontrolle zur Prüfung der „Einhaltung der quantitativen Vorgaben für die Unterrichtserteilung an öffentlichen Realschulen und Gymnasien“. Er wurde eben unterschrieben, geht jetzt an das Parlament. Wir machen darin ganz deutlich, dass wir auch daran gearbeitet haben und sich die Situation verbessert.

Meine Damen und Herren, alle, die im Wahlkampf auftreten und Behauptungen in die Welt setzen, sollten sich vorher diesen Bericht ganz genau anschauen. Darin machen wir nämlich deutlich, wie intensiv wir auch an diesem Thema gearbeitet haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Für die Piratenfraktion spricht Frau Kollegin Pieper noch einmal.

Monika Pieper (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Im Gegensatz zu Herrn Feuß bleibe ich halt nicht immer ruhig. Ich glaube, das ist auch bekannt.

Ich möchte noch einmal auf die Kollegin Bunse zurückkommen. Ich kapiere einfach nicht, dass Sie sich, wenn ich hier sage, unsere Meinung zum Pflichtfach Informatik habe mit diesem Antrag überhaupt gar nichts zu tun, hier hinstellen und sagen, wir kippelten. Frau Löhrmann hat es gerade noch einmal erklärt. Wenn wir in kleinen Schritten vorankommen, halte ich für selbstverständlich, dass wir das sachlich und konstruktiv mittragen.

Auf die Frage, Frau Bunse – Frau Dr. Bunse, so viel Zeit muss sein –, warum wir die CDU nicht gefragt haben, mitzumachen: Nach Ihrem Beitrag zu unserem Antrag „Bildung.4“ war mir klar, dass da Hopfen und Malz verloren ist und keinerlei Chancen bestehen, dass Sie für eine moderne Schule stehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper. – Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, sind wir damit am Ende der Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4, die ich hiermit schließe.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 16/14767. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schulz. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer möchte sich enthalten? – Die CDU-Fraktion enthält sich. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/14767 mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Wir kommen jetzt zur zweiten Abstimmung, nämlich über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/14656. Sie wissen, die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Die Abstimmung führen wir jetzt über den Inhalt des Antrags in der soeben geänderten Fassung durch. Wer dem Antrag in seiner geänderten Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piraten, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schulz. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer möchte sich enthalten? – Auch hier ist das die CDU-Fraktion.

Damit ist der Antrag Drucksache 16/14656 in der soeben geänderten Fassung mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich rufe auf:

5  Keine Energiewende zulasten von Mensch und Natur – NRW muss grundlegenden Kurswechsel beim Ausbau der Windenergie einleiten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14648


Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14768

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der FDP hat Herr Kollege Brockes das Wort.

Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Umweltminister Remmel hat es vor wenigen Wochen in einer Presseerklärung verkündet, und auch der Entschließungsantrag von SPD und Grünen bejubelt es: Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr erneut einen Ausbaurekord bei der Windkraft zu verzeichnen, Platz 1 beim Zubau unter den Binnenländern.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Das kommt natürlich nicht aus heiterem Himmel. Dazu sind in den vergangenen Jahren mit viel ideologischer Verbissenheit sämtlichen als Hindernis empfundenen Rechtsvorschriften systematisch die Zähne gezogen worden.

Zum Beispiel im Landesentwicklungsplan: Das sensible Ökosystem Wald haben Sie mit einem Federstrich den Windindustrieanlagen preisgegeben. Oder die Änderungen beim Windkrafterlass: Jetzt gelten nur noch Mindestabstände der zwei- bis dreifachen Anlagenhöhe. Das ist entschieden zu wenig und eine Zumutung für die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner und für den Landschaftsschutz.

(Beifall von der FDP)

Offen gesagt ist es auch eine ziemliche Frechheit von SPD und Grünen, zu behaupten, die unsäglichen Rechtsänderungen würden die kommunale Planungshoheit stärken – das Gegenteil ist der Fall. Sie haben die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen ausgehöhlt. Mit dem Landesentwicklungsplan geben Sie vor, dass die Kommunen bitte schön landesweit eine Fläche von rund 70.000 Fußballfeldern für Windenergievorrangflächen auszuweisen hätten.

Im Moment stehen Änderungen beim Leitfaden „Artenschutz“ an. Ich bin gespannt, ob Sie es Ihrer grünen Amtskollegin in Hessen gleichtun werden, Herr Minister Remmel. Diese hat nämlich jüngst die Mindestabstandsgrenzen von streng geschützten Fledermausarten zu Windkraftanlagen von früher einmal 5.000 m auf fast null, nämlich auf 200 m, zurückgefahren.

Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, endlich eine ideologiefreie, unabhängige Diskussion über den Ausbau von Windkraft in Nordrhein-Westfalen zu führen.

(Beifall von der FDP – Lachen von der SPD – Hans-Willi Körfges [SPD]: Das sagt der Richtige! Das ist Realsatire!)

Jahr für Jahr feiert die Landesregierung den immer weiteren Zubau unserer Natur mit Windkraftanlagen. Die Anliegen der Anwohner und der Natur sowie der Landschaftsschutz bleiben dabei zusehends auf der Strecke.

(Lachen von der SPD und den PIRATEN)

Es ist nicht zu leugnen, dass es massiv zunehmenden Widerstand im Land gibt.

(Beifall von der FDP)

Es wäre endlich an der Zeit, die Diskussion ernst zu nehmen und die Verspargelung der Landschaft zu stoppen.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Ansonsten wird die Energiewende an mangelnder Akzeptanz scheitern; denn die Rechnung für den geplanten massiven Ausbau der Windindustrie zahlen stets die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden die Bürger im Jahr 2015 mit über 2,2 Milliarden € über die EEG-Umlage zur Kasse gebeten. Da hält sich meine Freude ehrlich gesagt in Grenzen, dass 2016 „nur“ 1 Milliarde € investiert wurde.

Viele Menschen sind in großer Sorge, dass ihre hart erarbeiteten Immobilien demnächst an Wert verlieren und dass sie nicht mehr ungestört werden leben können. Dies aber scheint Rot-Grün absolut nicht zu interessieren.

Auch die Verspargelung der Landschaft nimmt massiv zu. Der notwendige Netzausbau hingegen kommt nicht voran. Im Jahr 2020 werden bundesweit so viele Windräder installiert sein, wie nach Netzausbauplanung für das Jahr 2030, also zehn Jahre später, erwartet werden. Das ist ein klares Missverhältnis.

Angesichts nicht ausreichender Transportmöglichkeiten und nicht vorhandener Speichertechnologien immer neue Windkraftanlagen zu bauen, die Strom erzeugen, der nicht abgenommen wird, ist reine Geldverbrennung. Der Ausbau der Windkraft ist ein Geschäft auf dem Rücken der Landbevölkerung sowie der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, und er erzeugt Stromspitzen in gigantischem Ausmaß, die nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommen.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Statt den planlosen Zubau unserer Natur mit neuen Windkraftanlagen zu feiern, müsste der Fokus stärker auf den Transport und die Speicherung von Energie gelegt werden.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen jetzt einen Kurswechsel, keinen zügellosen Ausbau der erneuerbaren Energien gegen die Interessen der Bevölkerung vor Ort.

Präsidentin Carina Gödecke: Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dietmar Brockes (FDP): Der Ausbau der Windenergie muss sich endlich wieder nach den Menschen richten, und nicht umgekehrt. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Sundermann das Wort.

(Michael Hübner [SPD]: Denk an Dein ökologisches Herz!)

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass ich so ein bisschen lächelnd ans Pult komme, das müssen Sie mir nachsehen. Dass Sie sich, Herr Brockes, jetzt nach all den Diskussionen, die wir hier in den letzten fünf Jahren rund um den LEP geführt haben, zum Gralshüter des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen aufspielen, wer soll das glauben? Kein Mensch glaubt Ihnen das, kein Mensch!

(Beifall von der SPD)

Das ist wirklich grotesk: Sie versuchen hier eine Stimmung gegen Windenergie, die es im Land vielleicht durchaus manchmal berechtigt aus Partikularinteressen gibt, für sich zu instrumentalisieren, um irgendwelchen Wutbürgern hinterherzulaufen, die dann vielleicht ihr Kreuz bei Ihnen machen. Das ist aus meiner Sicht ein Stück weit lächerlich und vielleicht auch peinlich.

Aber lassen Sie mich doch einmal so anfangen: Wir sind ja in diesen drei Tagen viel unterwegs und schauen uns Bilanzen an. Da würde ich gerne einmal mit der Bilanz anfangen, was wir von Ihnen, von Schwarz-Gelb, von 2005 bis 2010 vorgefunden haben: Der Ausbau der Windenergie, einer der Kernpunkte, der wichtigsten Punkte zum Ausbau der erneuerbaren Energien, ist doch von Ihnen unter dem Wittke-Motto „Kaputt machen“ im Prinzip betrieben worden. Wir hatten 2010 nur noch 90 MW, die dazugebaut worden sind. 2016 hatten wir 550 MW, das Sechsfache. Das empfinden wir als Erfolg.

Wir sind – das haben Sie auch gesagt, Herr Brockes, und das finden Sie ja scheinbar sehr unangenehm – die Nr. 1 in der Produktion von Windenergie in den Binnenländern. Wir persönlich finden das sehr gut, weil wir so die klimapolitischen Ziele, die wir uns an dieser Stelle gesetzt haben, auch erreichen werden. Und wie haben wir das erreicht? Wir haben das erreicht, indem wir 2012 einen Winderlass erlassen haben, nämlich einen Ermöglichungserlass. Wir wollen – das ist eine eindeutige Aussage – mehr Windenergie in Nordrhein-Westfalen. Wir haben diesen Ermöglichungserlass auf den Weg gebracht, haben ihn 2015 vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung und auch vor dem Hintergrund von Rechtsprechungen weiterentwickelt.

Und wichtig ist – das haben Sie ja auch ein Stück negiert an dieser Stelle –: Wir haben das immer dialogisch aufgesetzt, sowohl in der Frage, wie der Inhalt dieser Windenergieerlasse ist, als auch in der, wie das Verfahren strukturiert ist, das wir an dieser Stelle aufsetzen.

Ein Beispiel hier ist der Energiedialog NRW, der stark nachgefragt wird, um im Prozess der Aufstellung dieser entsprechenden Pläne und auch der Anlagen am Ende immer die Bevölkerung mitzunehmen. Wir haben auch im LEP verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen – auch an dieser Stelle wichtig für die Investoren, wichtig auch für die Wirtschaft, wichtig für die Industrie. Das ist das, was Sie immer wollten.

Übrigens finde ich das hochinteressant: Ich habe mir einmal Ihre Beiträge durchgelesen, die Sie zu den Befragungen zum LEP aufgesetzt haben. Sie haben uns immer gesagt, wir wollten im Prinzip die Wirtschaft hemmen, indem wir den Naturschutz ins Schaufenster stellen. Genau dasselbe haben Sie gemacht. Wie gesagt, glaubwürdig ist das an dieser Stelle überhaupt nicht.

Was mich allerdings – wenn Sie mich darauf kommen lassen – ein Stück weit überrascht und vielleicht auch enttäuscht hat, ist: Sie nehmen überhaupt nicht die wirtschaftlichen Aspekte in den Blick, die Windenergie für unser Land aktuell und auch künftig hat. 1 Milliarde € ist in Nordrhein-Westfalen für Windenergie investiert worden, und mittlerweile arbeiten 18 000 Menschen dort. Ich kann als Sozialdemokrat sagen, das sind in der Regel gute Arbeitsplätze – sozialversicherungspflichtig, auch gewerkschaftlich organisiert.

Das ist ein wichtiger Erfolg: 18 000 Menschen arbeiten dort, und wir lassen so die Wertschöpfung im Land. Und wenn wir sagen: Wir sind Energieland Nr. 1 und wollen auch weiter ein wichtiges Energieland bleiben, dann ist es natürlich auch wichtig und logisch, dass wir die erneuerbaren Energien und gerade die Windkraft in diesem Land weiter aufstocken. Das ist elementar, um eben auch Wertschöpfung in diesem Land zu generieren, und es ist eben auch wichtig, dass wir Wertschöpfung in den Regionen und in den Kommunen generieren.

Insofern ist es wichtig, dass wir auch weiterhin ermöglichen, dass Bürger-Windparks gebaut werden. Als Sozialdemokrat sage ich: Wichtig ist an dieser Stelle auch, dass eben nicht nur die Zahnärztin aus München-Bogenhausen davon profitiert, sondern eben alle in der Bevölkerung. Deswegen sind wir auch der Meinung, dass es ein gutes Modell ist, wenn sich Stadtwerke daran beteiligen, weil die Stadtwerke in der Regel den Kommunen gehören. Insofern ist das ein sehr, sehr guter Ansatz.

Herr Brockes, Sie negieren an dieser Stelle diese wirtschaftspolitischen Zusammenhänge ein Stück weit und stellen nur den Naturschutz ins Schaufenster. Ich habe Ihnen Ihre Motivationslage, glaube ich, dargestellt, und die werden Sie an dieser Stelle auch so akzeptieren. Wie gesagt, dass Sie diese wirtschaftlichen Zusammenhänge hier ein Stück weit negieren, zeigt vielleicht, dass Sie aktuell regierungswillig sind. Regierungsfähig sind Sie im Bereich der Energiepolitik damit sicherlich nicht. – Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Fehring.

Hubertus Fehring (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Halbsatz der Antragsüberschrift „Keine Energiewende zu Lasten von Mensch und Natur“ werden, lieber Dietmar, sicher alle zustimmen. Die von Ihnen, verehrte FDP-Kollegen, beschriebene Ausgangslage ist in weiten Teilen zutreffend und offenbart das gespaltene Verhältnis vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger zur Energiewende.

Warum bilden sich die Bürgerinitiativen? – Ein Mindestabstand von 400 bis 600 Metern zur Wohnbebauung ist in der Regel zu gering und führt zwangsläufig zu Konflikten. H7- oder gar H10-Vorgaben würden allerdings wie ein Baustopp wirken und die preiswerteste Stromerzeugung abwürgen. Für mich sind 1.000 Meter Abstand ein zumutbarer Mittelpunkt, zumal die künftigen Anlagen im Binnenland deutlich über 200, demnächst auch 250 Meter Gesamthöhe hinausgehen werden.

Verehrte Windkraftfreunde, aber auch -kritiker! Die bestehende Privilegierung im Außenbereich erweist sich inzwischen in vielen Fällen als konfliktträchtig und bedarf daher neuer Überlegungen. Hier benötigen unsere Kommunen vor allem Rechtssicherheit und wirkliche Handlungsfreiheit. Derzeit befinden sich etliche Stadträte und Bürgermeister in einer Sandwich-Situation. Leider stellt sich die Lage vor Ort nicht so positiv dar, wie Sie das in Ihrem Entschließungsantrag, liebe Kollegen, darstellen.

Klagen drohen von Bürgerinitiativen auf der einen und von Projektierern auf der anderen Seite. Dass der BUND und der NABU das Verbandsklagerecht inzwischen auch auf Windkraftplanungen anwenden, erleichtert den Ausbau ebenfalls nicht. Die Vorgaben des LEP verschärfen die Situation noch und führen leider nicht zu mehr Akzeptanz und Rechtsfrieden.

(Beifall von der CDU)

Die Landesregierung und der zuständige Fachminister haben einen für alle Beteiligten risikoreichen Weg eingeschlagen. Darüber sollten auch die aktuell guten Zubauraten nicht hinwegtäuschen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Liebe FDP-Kollegen, lieber Dietmar Brockes, deine Leidenschaft für Windenergieanlagen hält sich trotz der unbestreitbaren Erfolge und Fortschritte dieser Technologie immer noch in Grenzen. – Schade!

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Lachen von Frank Sundermann [SPD])

Sachlich richtig ist die Tatsache, dass der Netzausbau zu langsam ist und die Strommengen aus dem Norden den Süden und andere Verbrauchszentren nicht erreichen. Diese Sorgen bestehen schon länger, und darin sind wir uns einig. Hieraus den Schluss zu ziehen, schnellstmöglich einen Kurswechsel beim Ausbau der Windenergie einleiten zu müssen, halte ich aber für wenig innovativ und für falsch. Wo sind die Technikfreunde und Innovationskräfte der Liberalen geblieben?

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sehr gut!)

Jetzt, da sich die Stromerzeugung mittels Windkraft durch die stattgefundenen und künftigen technischen Effizienzsteigerungen zur preiswertesten Art der erneuerbaren Energien entwickelt, den Ausbau auszubremsen, kann doch nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall von der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Haben Sie vergessen, welche Möglichkeiten im Mobilitätsbereich und im Wärmesektor für die elektrische Energie bestehen,

(Michael Hübner [SPD]: Das haben Sie nie zur Kenntnis genommen, Herr Brockes!)

wo wir diese Energieformen dringend benötigen? Statt Beschränkungen zu fordern, sollten wir gemeinsam die Einsatzmöglichkeiten des Stroms im Wärmesektor durch kluge Vorgaben fördern – dazu gehören auch Speicher –, denn hier werden 40 % unserer gesamten Energie verbraucht. Inzwischen arbeiten in Nordrhein-Westfalen mehr Beschäftigte in der sogenannten sauberen Energie als bei den alten Energieträgern.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Tja!)

Ferner generieren die erneuerbaren Energien eine beachtliche lokale Wertschöpfung. In meinem Wahlkreis sind über 8.000 Photovoltaikanlagen. Diese gehören nicht nur Leuten mit sehr viel Geld, es sind auch Normalverdiener und Familien dabei, die sich freuen, über diesen Weg Geld zu generieren.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Union fordert nicht den unbegrenzten Ausbau der Windenergie, schon gar nicht dort, wo jetzt schon zu viele Anlagen stehen wie zum Beispiel im Kreis Paderborn. Vielmehr sollte der Leistungszuwachs in erster Linie durch Repowering erfolgen. Das bedeutet zum Beispiel eine Verringerung der Standorte bei gleichzeitiger Verdreifachung oder Vervierfachung der Leistung eines Windparks.

Unser Dreiklang beim Thema Energie hat sich bewährt und lautet nach wie vor „Sicher, sauber, bezahlbar“,

(Beifall von der CDU und vereinzelt von der SPD)

und dies weist der Windkraft eine bedeutende Rolle zu. Wir werden Ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen.

(Frank Sundermann [SPD]: Oh, jetzt wird es knapp!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit knapp 12 Jahren bin ich nun Mitglied dieses Hauses. Ich habe mich in dieser Zeit mit Ihnen, mit euch hier wohlgefühlt und danke allen für die angenehme Zusammenarbeit und manchen schönen Abend. Alles hat seine Zeit, und meine Zeit hier endet am 31. Mai.

Ich bin der FDP, lieber Dietmar, fast ein wenig dankbar für diesen Tagesordnungspunkt, habe ich doch so die Chance, noch einmal dazu sprechen zu dürfen.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP] und vereinzelt von der SPD – Heiterkeit von Frank Sundermann [SPD] und Michael Hübner [SPD])

An meinem gewachsenen Verständnis für die Windkraft ist natürlich der liebe Kollege Reiner Priggen nicht unschuldig. Sein Sachverstand war und ist immer wieder hilfreich. Ich freue mich als Windkraftbefürworter auch darüber, dass in meiner Fraktion mit Josef Hovenjürgen und Rainer Deppe das Thema nicht verloren geht.

Ihnen allen weiterhin eine gute Zeit!

(Allgemeiner Beifall)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Fehring, für die Rede, gleichzeitig aber auch für Ihre fast zwölfjährige Tätigkeit hier. Ich möchte mich gern im Namen des Hohen Hauses so äußern: Wir alle sind heute der FDP sehr dankbar, dass es diesen Antrag gibt, sodass wir noch einmal Ihre überaus charmante Art genießen konnten, auch fundamentale Kritik so zu formulieren, dass man miteinander gut streiten, aber auch lächeln kann. Dafür herzlichen Dank! Ihnen persönlich alles Gute, und kommen Sie immer wieder einmal vorbei! Es lohnt sich, das wissen Sie. Alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, ehrlich gesagt fällt mir bei Ihrem Antrag nur ein Wort ein: „Hohn“. Ihr Antrag ist wirklich blanker Hohn.

Sie überschreiben Ihren Antrag mit „Keine Energiewende zulasten von Mensch und Natur“

(Dietmar Brockes [FDP]: Genau richtig!)

und verhöhnen damit aber Mensch und Natur. Die Natur ist Ihnen vollkommen egal, wenn es zum Beispiel um einen Nationalpark Senne geht. Die Menschen sind Ihnen vollkommen egal, wenn Sie sich für ein Kraftwerk einsetzen, das mit all seinen Emissionen, sei es Quecksilber oder Feinstaub, näher an eine Siedlung gebaut wird, als es ein Windrad jemals dürfte. Ihr Herz für Natur- und Artenschutz ist an dieser Stelle einfach nur Show, weil Sie glauben, Sie können damit punkten. Ich finde das einfach nur verhöhnend.

(Beifall von den GRÜNEN – Norwich Rüße [GRÜNE]: Die haben gar kein Herz!)

Gleichzeitig provozieren Sie mit Ihrem Antrag Sorgen und schüren unbegründete Ängste. Recht und Gesetze geben ganz klare Vorgaben zum Schutz von Mensch und Natur, und Sie suggerieren mit Ihrem Antrag, dass dem nicht so wäre.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das ist jetzt Hohn und Spott!)

Bei allen politischen Unterschieden zwischen uns sollten wir an dieser Stelle wirklich ehrlich bleiben. Ganz klar, jede Energieform stellt einen Eingriff in die Natur dar. Sie greifen sich jetzt aber eine Energieform heraus, die Sie nicht leiden können – das hat Herr Fehring gerade schon gesagt –, die sogar noch die geringsten Auswirkungen auf uns Menschen und die Natur hat, und stellen die Probleme dar. Was aber auf der anderen Seite dazugehört und wo wirklich die Probleme liegen, das sind Tausende von Umsiedlungen und unwiderrufliche Umweltzerstörung im Braunkohlerevier, die Sie nur als notwendiges Übel darstellen. Das alles mag in Ihre Ideologie passen, aber es ist unehrlich und verhöhnt die betroffenen Menschen. Wo ist da Ihre Liebe für Mensch und Natur?

Den Zubau der Windenergie, den Sie negativ sehen, nenne ich einen Jobmotor, einen wichtigen Wirtschaftszweig, wie es für lange Zeit die Kohle in Nordrhein-Westfalen war. Sie sind aber auf diesem wirtschaftspolitischen Auge komplett blind.

Da ist Ihnen folgender Fakt wahrscheinlich auch vollkommen egal: In der Windbranche arbeiten mittlerweile 18.000 Menschen. Das sind mehr als im Bereich der Braunkohle. Nach den für die Windenergie wirklich schwierigen Zeiten haben wir ab 2010 die Weichen für mehr Windenergie gestellt. Die Erfolge sehen wir jetzt und sahen sie vor allen Dingen im letzten Jahr. Wir konnten endlich aufschließen und sind jetzt Nummer eins unter den Binnenländer beim Ausbau der Windenergie.

Liebe FDP, sonst sagen Sie wie ein Mantra immer nur: Wachstum, Wachstum, Wachstum. – Aber auf einmal passt es Ihnen an dieser Stelle dann wieder nicht. Bei der Windenergie zählen weder Rekordinvestitionen noch Arbeitsplätze. Da ist Ihnen das vollkommen egal.

(Dietmar Brockes [FDP]: Gut subventionierte!)

Dann möchte ich noch einen kleinen Ausblick wagen; denn leider droht diese positive Entwicklung der letzten Jahre, die immer noch weiter vorangeschritten ist, nun abgewürgt zu werden. Die Ausschreibungen für Windenergie und die Hürden besonders für Bürgerwindparks erschweren den Windausbau. Dabei schaffen gerade Bürgerwindprojekte Akzeptanz – die Sie hier eigentlich auch darstellen – und zudem eine dezentrale Ausrichtung der Energiewende. Davon profitieren das Klima, die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist es eben wichtig, dass auch Bürgerwindprojekte wieder eine Chance erhalten und für sie passende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Gerade in Nordrhein-Westfalen haben wir positive Voraussetzungen für die Gestaltung der Energiewende; denn das aktuelle Problem sind die falschen Rahmenbedingungen für das Wachstum der für die Energiewende relevanten Zweige. Da könnten Sie schon zuhören, was Techniker sagen. Wir müssen nicht auf den Ausbau von Netzen und Speichern warten. Bei Ihnen hört es sich fast so an, als wenn man die Windenergieanlagen mit Netzen und Speichern überflüssig machen könnte. Nein, wir müssen die Erneuerbaren und gleichzeitig die Speicher und Netze ausbauen.

Wir benötigen Anreize von der Bundesregierung für Speicherforschung, Entwicklung und Lastmanagement. Die Menschen und die Wirtschaft benötigen endlich Planungssicherheit, was den Kohleausstieg angeht.

Als Ingenieurin weiß ich, dass das alles technisch machbar ist. Als Abgeordnete dieses schönen Bundeslandes weiß ich, dass wir das Know-how und die Ideen in Nordrhein-Westfalen haben, um die Energiewende auch im Industrieland Nordrhein-Westfalen Wirklichkeit werden zu lassen. Lassen Sie uns gemeinsam die Windenergie als Wirtschaftsmotor, als Jobmotor und als Energieform der Zukunft in NRW voranbringen. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu.

Ganz zum Schluss möchte natürlich auch ich die Möglichkeit nutzen, lieber Herr Fehring, ein paar Worte an Sie zu richten. Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass Sie ein Überzeugungstäter im Bereich der erneuerbaren Energien sind. Es war immer gut, lieber Herr Fehring, mit Ihnen auf der Sachebene einen Verbündeten für die erneuerbaren Energien zu haben. Dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, und ich wünsche Ihnen alles Gute. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Schmalenbach.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Herr Brockes, ich muss meinem eigentlichen Redebeitrag leider wieder einmal meine Notizen voranstellen, weil Sie wieder ziemlich viel Zeug erzählt haben.

Sie reden von einem Ausbaurekord. Ja, für NRW ist das ein Ausbaurekord. Ich kann nur sagen: Es wird auch langsam Zeit, dass wir diesen Ausbaurekord bekommen; denn eigentlich haben wir hinterher gehangen.

Sie reden davon, dass den Hindernissen für die Windenergie die Zähne gezogen würden. Ja, das ist tatsächlich so. Der Windenergieerlass hat genau das getan. Die Politik richtet sich darauf ein, die Verluste im Bereich der fossilen Energieträger zu kompensieren und endlich den Weg in die erneuerbaren Energien zu gehen. Das ist gut so, und das ist richtig so.

Den Hindernissen werden in der Politik aber allzu oft die Zähne gezogen. Allzu oft waren auch Ihre Kollegen daran beteiligt. Wenn man heute über das Dieselgate spricht, dann spricht man im Allgemeinen über einen VW-Skandal, von dem ich nach wie vor behaupte, er ist ein Politikskandal, weil die Politik den Hindernissen der Automobilindustrie die Zähne gezogen hat. Das führt zu dem Problem, vor dem wir jetzt stehen.

Sie reden von Verspargelung und erzählen von Menschen, die sich gegen die Energieparks und die Windräder richten. Sie reden von mangelnder Akzeptanz. Dabei fördern Sie genau diese. Ihr erklärtes Ziel scheint es zu sein, die Akzeptanz der Energiewende zu brechen. Ihr erklärtes Ziel scheint es zu sein, die Energiewende abzuwürgen. Aber wenn das so ist, Herr Brockes, tun Sie uns allen den Gefallen, stellen sich hierhin und sagen: …

(Dietmar Brockes [FDP] unterhält sich mit anderen Abgeordneten)

– Herr Brockes, hören Sie mir zu?

(Dietmar Brockes [FDP]: Ja!)

… Wir wollen die Energiewende nicht. – Tun Sie das. Stellen Sie sich hierhin und sagen: Wir wollen die Energiewende nicht. – Erzählen Sie uns nicht einen vom Pferd, als ob Sie jetzt die neuen Hüter der …

(Dietmar Brockes [FDP]: So wollen wir die nicht!)

– Bitte?

(Dietmar Brockes [FDP]: So wollen wir die nicht!)

– So wollen Sie die nicht.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE] – Weitere Zurufe)

Aber erzählen Sie uns bitte nicht, dass Sie das tun, um die Natur zu schützen. Das wäre nicht nur peinlich, wie der Kollege Sundermann sagte, sondern das wäre erbärmlich. Das passt überhaupt nicht zur FDP.

Sie möchten mit Ihrem Antrag die Flächen in den Wäldern schützen. Sie möchten vom Abholzen bedrohte Wälder vor Windrädern schützen. Gleichzeitig haben Sie überhaupt kein Problem damit, dass der Hambacher Forst mal eben so der Braunkohle weichen muss. Das ist Bigotterie. Nichts anderes ist das.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie reden vom notwendigen Netzausbau. Herr Fehring sagt, der Netzausbau sei glücklicherweise allgemein akzeptiert. Ich muss leider widersprechen, Herr Fehring. Wir akzeptieren ihn so nicht. Wir sind nicht der Meinung, dass wir die großen Netze bauen sollten. Wir sind im Gegenteil der Meinung, dass wir große Netze eben nicht bauen, sondern auf kleiner Ebene ausbauen sollten. Eine Energiewende, die gelingen soll, ist immer noch dezentral. Sie ist nicht zentral. Sie sorgt nicht für die Konzentration von Energie und Verbrauchern an unterschiedlichen Orten. Am besten wäre es eigentlich, die Energie würde da produziert, wo sie verbraucht wird.

Herr Brockes, Sie sagen, der Strom wird nicht abgenommen. Welcher Strom wird denn nicht abgenommen? Der Windstrom? Ist es nicht eher so, dass die aktuellen Kraftwerke zu unflexibel sind, um auf den Windstrom zu reagieren? Das heißt, wir bekommen den Windstrom verkauft, aber wir bekommen den Braunkohlestrom nicht verkauft. Das ist das Problem.

Zu guter Letzt stellen Sie sich tatsächlich hierhin und erzählen etwas von Ideologie.

(Heiterkeit bei Michael Hübner [SPD])

Es tut mir leid, das ist wirklich wunderschön: Eine Partei, die den ganzen Tag lang nur von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum faselt, die nichts anderes im Auge hat als Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum, erzählt uns etwas von Ideologie. Das ist wirklich wunderbar. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Remmel das Wort.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe noch mal im Duden nachgeschaut. Nach der Definition des Dudens ist Populismus in der Politik eine von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, ist der vorliegende Antrag, wie ich finde, Populismus in Reinkultur – ja,

(Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

sogar noch schlimmer.

Sehr geehrter Herr Brockes, Sie sagen einfach nicht die Wahrheit, nicht das, was Sie wirklich wollen. Sie verstecken sich hinter einer Scheindebatte über die Windenergie, die tatsächlich vor Ort teilweise in einer schwierigen Situation geführt wird. Aber politisch wollen Sie etwas ganz anderes. Das ist das Unehrliche an Ihrem Antrag. Sie hätten den Antrag am Schluss noch ergänzen müssen, dass Sie der Meinung sind, die Entscheidung, die mit großer Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat gefällt worden ist, aus der Atomenergie auszusteigen, war falsch. Das ist Ihre eigentliche Auffassung.

Im Übrigen hat das Ihr Vorsitzender hier im Landtag auch erwähnt. Er hat gesagt: Die FDP hält den Atomausstieg für einen Fehler. Nur, das schreiben Sie nicht in den Antrag, weil Sie gerade in dieser Situation ein öffentliches Problem hätten zu sagen: Der Atomausstieg ist ein Fehler.

(Christof Rasche [FDP]: Wahlkampf pur!)

Dann stehen Sie doch auch dazu, anstatt solche Anträge zu stellen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der CDU und den PIRATEN)

Sie lassen uns und die Bevölkerung im Unklaren darüber, welche Haltung Sie zur Energiewende und zum Atomausstieg haben. Das ist hier im Landtag erklärt worden. Und wenn Sie Verantwortung übernehmen wollen, müssen Sie auf diese Frage eine Antwort geben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Auch einen zweiten Punkt will ich an dieser Stelle nennen. Ich bin der festen Überzeugung – so, wie ich Ihre Debatten bisher wahrgenommen habe –, dass Sie auch die Ziele des Klimaschutzes für Humbug halten. Sagen Sie das doch dann bitte auch hier! Wie wollen wir denn sonst in Deutschland, in Europa die Klimaziele erreichen, wenn wir nicht massiv in erneuerbare Energien investieren? Erklären Sie es mir an den Zahlen!

Es hat in Ihrer Fraktion mal ein Mitglied gegeben,

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– das muss dem Publikum doch erklärt werden –, das heute noch Mitglied Ihrer Fraktion ist, das den Klimawandel für eine Erfindung, eine Fiktion hält: In der Erdgeschichte hat es immer mal wieder eine Zu- oder Abnahme von Temperaturen gegeben. – So haben Sie die ganze Zeit argumentiert. Klimawandel ist von Ihrer Seite nicht von Menschen gemacht, sondern eine erdgeschichtliche Erscheinung. So gehen Sie mit dem Menschheitsthema, mit der Herausforderung, die wir zu bewältigen haben, um.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Dann lassen Sie uns doch über Zahlen diskutieren und ganz klar benennen, wo wir in Nordrhein-Westfalen stehen!

Wir sind ja beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vorne, sondern wir holen auf. Wir müssen aufholen, weil es in der Tat mal eine Regierung gegeben hat, die erneuerbare Energien in diesem Lande kaputtmachen wollte. Das ist Ihre Bilanz von fünf Jahren Regierungsbeteiligung.

(Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

90 MW Windenergieausbau 2010, jetzt eine Versechsfachung; aber auch das ist klar, wir haben noch gut 25.000 MW an fossiler Leistung installiert. Nur um die Dimension deutlich zu machen: 580 MW Ausbau pro Jahr bei Wind und noch 25.000 MW fossile Leistung. Wenn wir so weitermachen, um unsere Energieversorgung komplett auf Erneuerbare umzustellen, können Sie sich ausrechnen, wir bräuchten noch mindestens 50 Jahre. Wir sind also nicht irgendwie vorne, sondern hintendran, und wir müssen noch mehr an Tempo zulegen – gar keine Frage.

Jetzt etwas zu der Konfliktlage, damit die Menschen Klarheit darüber haben, dass wir in einer schwierigen Situation sind. Ich will die Konflikte gar nicht leugnen. Wir kommen in Standorte rein, die tatsächlich konfliktbeladen sind, weil die guten Standorte über die Zeit mittlerweile besetzt sind. Insofern wäre Ihre politische Unterstützung vonnöten zu erklären …

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Ja, man muss es den Menschen erklären, weil ansonsten die Geschäftsgrundlage nicht stimmt.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dann müssen Sie den Menschen erklären: Nein, wir setzen auf andere Energien: Wir setzen auf fossile Energien; wir setzen auf nukleare Energien. Dann ist die Debatte ehrlich. Aber so ist die Debatte unehrlich.

Man muss den Menschen klar sagen: Das ist die gemeinsame Entscheidung. Natürlich ist nicht jedes Windrad vor Ort ein gutes Windrad. Ein Windrad ist auch eine Industrieanlage – gar keine Frage. Natürlich ist es eine Veränderung auch des Landschaftsbildes, wenn an Stellen Windenergieanlagen entstehen, wo vorher keine waren.

Das ist auch eine Frage der Diskussion mit den Menschen, eine Frage des Dialogs, den wir anbieten. Es ist gar keine Frage, dass das eine schwierige Durchsetzungssituation ist, in der der Dialog gesucht werden muss. Aber man muss den Menschen auch erklären, dass wir noch ein großes Ziel vor uns haben und gerade erst am Anfang einer notwendigen Ausbausituation stehen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es ist auch fahrlässig, generell von Wald zu sprechen. Wir haben eine klare Unterscheidung, wo im Wald Windenergieanlagen gebaut werden können und wo nicht. Sie müssen schon ökologisch erklären, warum ein Monofichtenbestand ökologisch wertvoller sein soll als so manche Monofläche im Freiland, im Offenland. Da ist ökologisch durchaus eine Abwägung zu treffen.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Es wäre von Ihrer Seite richtig, mit Fachargumenten für die notwendige Klarheit zu sorgen.

Am Ende des Tages ist aber irritierend – das ist schon mehrfach angesprochen worden –, warum heute am gleichen Tag morgens von Ihnen eine Debatte mit Fingerzeig auf Umweltinteressen, die angeblich wirtschaftliche Entwicklungen behindern, geführt wird und am Nachmittag auf einmal über 18.000 Arbeitsplätze in diesem Land geredet wird: in einer Branche, die stetig wächst und in der in Nordrhein-Westfalen ein Cluster entstanden ist. Neben Norddeutschland sind wir hier ein Zentrum der Windenergie, insbesondere bei den Zulieferern. Viele, die ehemals Getriebe für den Bergbau hergestellt haben, produzieren heute für die Windenergie. Das ist eine Zukunftsperspektive unseres Industriestandortes. Warum das plötzlich schlechte Arbeitsplätze sein sollen, will mir jedenfalls nicht in den Kopf.

(Christof Rasche [FDP]: Hat kein Mensch gesagt!)

Das kann ich mir auch nicht erklären. Sie beschimpfen diese Arbeitsplätze und diese Branche,

(Christof Rasche [FDP]: Nur Sie, ausschließlich Sie!)

eine Zukunftsbranche für unser Land. Und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch von meiner Seite zum Abschluss: Sehr geehrter Hubertus Fehring, lieber Hubertus, ich weiß nicht, wie wir heute Morgen dazu gekommen sind, aber wir haben wohl gemeinsam in den Kleiderschrank geguckt. Das, was dabei herausgekommen ist, ist ähnlich. So ist es nicht nur der Schlips, der manchmal der gleiche ist, sondern ab und an haben wir auch das Gleiche im Kopf oder tragen wir das Gleiche vor.

Jetzt kann ich es ja sagen: Du bist sozusagen der Grünste in der schwarzen Fraktion. Ich schade dir ja nicht mehr. Insofern war das Zusammenarbeiten mit dir immer sehr gut und hilfreich. Wir haben uns auch auf der Fachebene regional das eine oder andere Mal gut ausgetauscht. Und mit dir wäre auch eine ganz große Koalition möglich, aber nur mit dir.

(Heiterkeit und Beifall)

Insofern alles, alles Gute!

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Wir streiten weiter für die gemeinsame Sache, nicht nur hier im Parlament, sondern auch außerhalb, und wir werden uns über den Weg laufen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Bleiben Sie bitte gleich am Rednerpult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Höne.

Henning Höne (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Minister Remmel, Sie haben insbesondere zu Beginn Ihrer Rede – ich vermute, bewusst – Beschlusslagen und Zitate der Freien Demokraten mindestens verkürzt, im Wesentlichen aber auch falsch wiedergegeben.

(Beifall von Christof Rasche [FDP])

Das kann ich hier nicht so stehenlassen. Das ist eine schäbige Art und Weise, eine Debatte zu führen.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

Anstatt solche falschen Dinge zu behaupten, hätten Sie Ihre Redezeit nutzen können, um zu erklären, wie Sie denn gleichzeitig das alles machen wollen: raus aus der Kernenergie, was ich übrigens richtig finde, Kohleausstieg, wie Ihre Partei das gleichzeitig möchte, Speicher und Netze, aber noch lange nicht da, wo Sie eigentlich sein müssen. Die ganze E-Auto-Diskussion kommt ja noch hinzu, die auch nicht so einfach ist, wie Sie es immer wieder darstellen.

Sie tun so, als könnten Sie politische Beschlusslagen des Kabinetts, Ihre eigene Meinung oder die der grünen Partei, technologische Entwicklungen über 20, 30, 40, 50 Jahre vorhersehen und dann entsprechend steuern. Das ist etwas, wo Sie Erklärungen schuldiggeblieben sind. Und das versuchen Sie, jetzt zu übertünchen, indem Sie falsche Behauptungen in den Raum stellen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall von der FDP)

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Gut, das können wir uns jetzt möglicherweise wechselseitig vorhalten. Aber das wäre eine längere Debatte.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen kein Netzproblem. Wir haben ausreichende Netzkapazitäten. Probleme haben wir bei der Durchleitung vom Norden in den Süden. Insofern reden wir hier nicht über zu viel Kapazitäten der Erneuerbaren, sondern wir haben zu wenige Kapazitäten der Erneuerbaren, um schneller diesen Weg zu gehen.

Da wäre die Debatte eher beispielsweise mit dem bayerischen Ministerpräsidenten zu führen, der zumindest durch seine Intervention dazu beigetragen hat, dass es zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung kommt, den Netzausbau in der notwendigen Dimension voranzubringen.

Wir reden darüber, dass wir dringend den Konverter in Osterath brauchen, um Windenergie vom Norden möglicherweise in andere Regionen von Europa leiten zu können. Darüber müssen wir uns unterhalten.

Wir reden darüber, dass wir den Ausbau der Grenzkuppelstellen zu unseren Nachbarn verbessern müssen. Darüber müssen wir reden.

Und – Kollege Priggen hat es heute Morgen auf den Punkt gebracht – wir haben mit unserer industriellen Situation, so wie bei uns produziert wird, natürlich die Möglichkeit, insbesondere bei Lastmanagement, Flexibilität, zum Speicherland schlechthin für diese Republik zu werden. Aber dafür brauchen wir eben auch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Ohne den wird es nicht gehen. Insofern sind Sie herzlich eingeladen, wenn Sie da konstruktiv mitmachen wollen, auch mitzuwirken. Das ist dringend notwendig. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister Remmel hat die Redezeit der Landesregierung, wenn ich den Teil der Danksagung an Herrn Fehring abziehe, um ungefähr 2:50 Minuten überzogen. Gibt es den Wunsch bei den Fraktionen, noch zu reden? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14648. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der FDP-Antrag Drucksache 16/14648 abgelehnt.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14768. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Wer stimmt dagegen? – Die CDU und die FDP. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/14768 von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen.

Ich rufe auf:

6  Schlussbericht
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III (NSU)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 05.11.2014
Drucksache 16/7148 – Neudruck

Drucksache 16/14400

Ich erteile zuerst dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, dem Abgeordneten Herrn Wolf, das Wort zu einer mündlichen Berichterstattung. – Bitte schön, Herr Kollege Wolf.

Sven Wolf (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwischen 2000 und 2006 wurden in Köln und in Dortmund die drei feigen Taten verübt, die im Mittelpunkt unseres Untersuchungsauftrags standen. Kurz vor Weihnachten im Jahr 2000 ließ ein Täter unter einem Vorwand einen Präsentkorb mit einer Stollendose in einem Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse zurück. Dieses Lebensmittelgeschäft gehörte einer iranisch-stämmigen Familie. Am Morgen des 19. Januar 2001 hob die damals 19-jährige Tochter des Ladeninhabers den Deckel der Stollendose an und löste damit die Sprengfalle aus. Durch die Detonation erlitt die junge Frau hochgradige Verbrennungen sowie Schnittverletzungen am Oberkörper.

Am 9. Juni 2004 detonierte in der Keupstraße in Köln direkt vor einem Friseurgeschäft ein Metallbehälter, der an einem Fahrrad angebracht war und der mit mehr als 700 10 cm langen Zimmermannsnägeln befüllt war. Durch die Detonation wurden 22 unschuldige Menschen teilweise schwer verletzt. Weitere Personen erlitten leichte Verletzungen. Diese Tat war ein gezielter und feiger Anschlag auf die als interkulturelles Zentrum Kölns bekannte Keupstraße.

Am 4. April 2006 wurde in der Mallinckrodtstraße in Dortmund der Inhaber eines Kiosks in seinem Geschäft kaltblütig erschossen. Seine Ermordung stellte damit den achten Fall einer bis dato ungeklärten Mordserie an Kleinunternehmern dar, die eines gemeinsam hatten: Sie hatten einen Migrationshintergrund.

Die Namen der Täter bzw. der vermeintlichen Täter dieser Taten und der weiteren Tätergruppierungen kennen Sie alle. Aber die Namen der Opfer? – Die Namen der Opfer sind nicht so präsent. Ich glaube, dass das ein sehr schweres Missverhältnis ist.

(Lebhafter Beifall von Dr. Joachim Stamp [FDP] – Beifall von der SPD)

Deshalb möchte ich die Namen der Opfer in den Mittelpunkt rücken und das gemeinsame Geleitwort des Ausschusses zitieren.

„Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michele Kiesewetter. Wir gedenken in tiefer Trauer der Menschen, die durch den NSU ermordet wurden. Unsere Gedanken sind bei den durch die Anschläge in der Probsteigasse und in der Keupstraße körperlich und seelisch Verletzten und den Angehörigen aller Opfer in der unbedingten Hoffnung, dass sie einen Weg finden, mit den schrecklichen Taten und ihren Folgen leben zu können.

Unsere Verbundenheit gilt den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Nicole Hartmann, Thomas Goretzky, Ivonne Hachtkemper, Matthias Larisch von Woitowitz und ihren Angehörigen.

Den durch die Anschläge am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn Verletzten gilt unser ganzes Mitgefühl.“

Sie merken, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es ist für uns alle ein sehr beklemmender Moment. Das haben wir in der Arbeit unseres Ausschusses immer wieder erlebt. Deshalb standen für uns gemeinsam während der gesamten Arbeit die Belange der Opfer besonders im Mittelpunkt.

(Allgemeiner Beifall)

Es handelt sich um Opfer, die unter anderem durch die fehlende Gewissheit über die Täter oder auch die Motive bis zur Selbstenttarnung des NSU bzw. bis zur Festnahme des letzten Tatverdächtigen zur Sprengfalle in Düsseldorf gelitten haben, weil sie nicht wussten, wer diese Taten begangen hat.

Unser gemeinsamer Auftrag war es, Licht in dieses Dunkel, in den Verlust eines geliebten Menschen zu bringen. Der Ausschuss hat sich daher bewusst dazu entschieden, sich bei den Besuchen in der Mallinckrodtstraße, in der Probsteigasse und in der Keupstraße ein eigenes Bild von den Tatorten zu machen.

Wir haben uns, als wir in der Keupstraße in Köln waren, mit der IG Keupstraße getroffen. Wir haben die Gelegenheit genutzt, uns mit den Kölnerinnen und Kölnern, die in der Keupstraße leben, auszutauschen und insbesondere viel zuzuhören.

Wir haben den Geschädigten des Anschlags in der Keupstraße sowie den Angehörigen von Mehmet Kubaşık aber auch die Möglichkeit gegeben, uns als Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss Ihre Eindrücke mitzugeben. Sie sollten uns schildern, was sie damals während der Ermittlungen erlebt haben; sie sollten uns aber auch ihre Erwartungen und Wünsche an unsere Arbeit mitteilen. Wir haben es aber auch akzeptiert, wenn Angehörige vor dem Untersuchungsausschuss nicht als Zeugen vernommen werden wollten.

Nach über zwei Jahren gemeinsamer und – das darf ich feststellen – sehr kollegialer Zusammenarbeit darf ich Ihnen heute den Abschlussbericht des PUA III präsentieren. In insgesamt über 42 öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzungen, durch Vernehmungen von 75 Zeuginnen und Zeugen, bei der Anhörung eines Sachverständigen, bei den Inaugenscheinnahmen der Tatorte, in weiteren über 42 nichtöffentlichen Sitzungen haben wir über die Struktur des Verfahrens und die Beweisaufnahme beraten. Wir haben viel über die Fragen des Geheimschutzes gesprochen. Wir haben über die Aktenanforderungen der Landesregierung und auch anderer Behörden gesprochen. Wir haben die Inaugenscheinnahmen beschlossen. Wir haben Sachverständige beauftragt. Und wir haben insgesamt 153 Beweisbeschlüsse gefasst. Was ich sehr bemerkenswert finde: Alle Beweisbeschlüsse waren gemeinsame Anträge aller Fraktionen.

Zur Vorbereitung der Beweisaufnahme hat der Ausschuss an sechs Sitzungsterminen in Hearings Sachverständige gehört.

Wir haben uns einen Überblick geben lassen zu den Themen Aufbau und Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden, der Justiz.

Wir haben uns über die rechte Szene informieren lassen. Wir wollten verstehen: Wie hat sich diese rechte Szene in Nordrhein-Westfalen entwickelt?

Wir haben uns damit beschäftigt, wie die Neonaziszene in den 1990er- und 2000er-Jahren organisiert war, wie gewaltbereit sie gewesen ist, wie militant auch teilweise ihre Strukturen waren.

Wir haben uns mit einem Sachverständigen intensiv damit befasst, wie die Strukturen rund um „Blood & Honour“ waren, wie die Strukturen rund um „Combat 18“ waren, welchen Einfluss rechtsradikale Musikbands haben wie „Oidoxie“ oder die „Weissen Wölfe“.

Wir haben auch einen Zeugen, der nicht erscheinen wollte, vorführen lassen. Dafür darf ich mich an dieser Stelle noch einmal für die Amtshilfe beim Innenminister und auch beim Justizminister bedanken, dass sie uns freundlicherweise diesen Zeugen hier in den Landtag gebracht haben.

Wir haben auch gemeinsam und sehr öffentlich deutlich gemacht, dass wir darauf bestehen, dass uns Unterlagen übersandt werden.

Immer dann, wenn wir zumindest rechtlich so ein bisschen an unseren Grenzen waren, haben wir uns gemeinsam öffentlich positioniert und haben zum Beispiel auf das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam Druck ausgeübt. Das hat dazu beigetragen, dass wir viele Aktenstücke beiziehen konnten.

Wir haben fast 4.800 Aktenstücke beigezogen. Wir haben einen Ermittlungsbeauftragten beauftragt, Akten zu sichten.

Wir haben insgesamt in zahlreichen Sitzungen, auch eingestuften Sitzungen, Zeugen vernommen und eingestufte Akten vorgehalten.

Wir hatten besondere Anforderungen an den Geheimschutz. Das sind bauliche Maßnahmen, die hier im Landtag getroffen worden sind. Wir haben uns intensiv mit den Fragen von Geheimhaltung, von Einstufung von Akten beschäftigt.

Wir haben auch manchmal darüber gestritten: Wie viel kann man dann in einen Abschlussbericht hineinschreiben? Aber dieser Öffentlichkeitsgrundsatz war uns, glaube ich, allen gemeinsam immer wichtig. Wir wollten Ihnen nie einen geheimen Abschlussbericht präsentieren, sondern wir haben gesagt: Wir müssen das, was wir ermittelt haben, auch an die Öffentlichkeit bringen und Ihnen präsentieren.

Wir haben uns darüber hinaus intensiv ausgetauscht, ausgetauscht mit den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag und auch in den anderen Parlamenten, die parallel in Untersuchungsausschüssen an diesem Thema arbeiten. Immer dann, wenn wir an einer Grenze waren, einer verfassungsrechtlichen Grenze der Fragen, haben wir unsere Fragen in den Deutschen Bundestag weitergegeben, und die Kolleginnen und Kollegen haben teilweise sehr unmittelbar die Fragen, die wir aus Nordrhein-Westfalen dorthin gegeben haben, den Zeuginnen und Zeugen gestellt.

Ich habe Ihnen schon ein bisschen was zum Auftrag erzählt. Wir haben diese drei schweren Verbrechen untersucht. Ich will in ganz kurzen Stichworten zu den einzelnen Taten unsere Ergebnisse zusammenfassen.

Zur Probsteigasse wissen wir auch heute noch nicht, wie die Täter dazu gekommen sind, diese kleine, unscheinbare Straße in Köln auszuwählen.

Wir haben uns intensiv mit der sogenannten Spur Johann Helfer beschäftigt. Die Frage, die im Raum stand, war: War es dieser Johann Helfer, der eventuell diese Keksdose dort abgelegt hat? – Wir waren gemeinsam der Überzeugung: Er war es nicht. – Die Frage, wer es war, kann ich Ihnen leider für den Ausschuss nicht beantworten.

Wir haben uns intensiv bei der Keupstraße mit den Ermittlungen beschäftigt. Wir haben gemerkt: Am Anfang wurde nur im Umfeld der Keupstraße ermittelt. Die Idee, dass gerade dieses interkulturelle Zentrum ein Tatort sein kann, den sich Rechtsradikale herausgesucht haben, ist der Polizei nicht gekommen.

Wir haben festgestellt, dass es aber damals schon Informationen gab, Informationen zur Art und Weise, wie Rechtsradikale Taten begehen. Wir haben Dokumente gefunden beim Verfassungsschutz, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, die teilweise nicht an die Kölner Polizei weitergegeben wurden.

Wir haben auch festgestellt, dass Scotland Yard zu ähnlichen Anschlägen, die der Täter David Copeland in London verübt hat, Informationen an die Kölner Polizei weitergab. Die Antwort der Kölner Polizei war erschütternd. Die Antwort war: David Copeland kann es ja nicht gewesen sein. Der sitzt ja im Gefängnis. Und Englisch können wir auch nicht.

Wir haben gerade bei der Tat an Herrn Kubaşık insbesondere die Ermittlungen im Umfeld des Opfers und seiner Familie kritisch begutachtet. Diese hatten zu einer unglaublichen Stigmatisierung der Familie geführt. Sie müssen sich das vorstellen: Da ist die Polizei durch die Dortmunder Nordstadt gegangen und hat gefragt: Hat Herr Kubaşık mal mit Drogen gehandelt? – Hinterher stellte sich heraus: Da war nichts dran. Aber dieser Eindruck, der vermittelt worden ist, ist geblieben.

Gut war an der Tataufarbeitung in Dortmund, dass man schnell den Zusammenhang zu der Ceska-Mordserie herstellen konnte.

Aber dann gab es noch einen weiteren Hinweis, nämlich einen Zusammenhang zwischen den Kölner Taten in der Keupstraße, Kassel und Dortmund. Diese Idee ist später von der Polizei leider wieder verworfen worden. Vielleicht hätte diese Idee dazu führen können, den NSU schneller zu finden.

Unsere weiteren Aufträge waren, uns mit dem Tod des ehemaligen V-Manns Corelli in Nordrhein-Westfalen zu beschäftigen. Herr Corelli war V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, war aufgeflogen und war dann in Nordrhein-Westfalen, in Paderborn, versteckt worden. Eines Morgens ist er dort tot aufgefunden worden, und die Frage stand im Raum: Ist er ermordet worden oder ist er an einer natürlichen Todesursache gestorben?

Wir haben uns sehr intensiv mit dem Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Paderborn beschäftigt und haben aufgrund unserer Vernehmungen im Ausschuss dazu beigetragen, dass das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen worden ist und weitere medizinische, technische und chemische Untersuchungen durchgeführt wurden. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft Paderborn nun festgestellt, dass es tatsächlich eine natürliche Todesursache bei Herrn Corelli war, ein sogenannter hyperglykämischer Schock, der dazu geführt hat, dass Herr Corelli verstarb.

Wir haben uns intensiv mit den Polizistenmorden des Michael Berger in Dortmund beschäftigt, dem schwärzesten Tag in der Geschichte der Dortmunder Polizei. Am 14. Juni 2000 erschoss dieser Rechtsextremist in Dortmund und Waltrop drei Polizeibeamte und verletzte eine Polizeibeamtin schwer. Die rechte Szene hat darauf menschenverachtend positiv reagiert. Wir haben uns intensiv mit dem Tatmotiv befasst.

Wir haben uns auch mit der Tat beschäftigt, die am 27. Juli 2000 Düsseldorf erschüttert und erschrocken hat. Gegen 15:03 Uhr explodierte am S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz, nachdem eine Gruppe von zwölf Personen aus dem überdachten Eingang am Zugang des Bahnhofs getreten war. Durch diese Explosion wurden zehn Menschen verletzt, zum Teil lebensbedrohlich. Eine Frau, die im fünften Monat schwanger war, verlor ihren ungeborenen Sohn. Alle Opfer stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen waren jüdischen Glaubens.

Wir haben uns intensiv mit der Frage befasst, wie die Motivlage damals war, wie die Ermittlungen waren. Wir haben aber auch festgestellt, dass Informationen des Verfassungsschutzes erst 2004 und dann 2012 weitergegeben wurden. Das war für die Ermittler mit Sicherheit nicht leicht, aber im Ergebnis waren das auch Informationen und Spuren, die nicht dazu geführt haben, dass der Tatverdächtige vor einigen Wochen verhaftet werden konnte.

Wir haben uns intensiv mit der rechten Szene in Nordrhein-Westfalen beschäftigt; wir haben sie seit 1990 genau in den Blick genommen. Und wir haben insbesondere festgestellt, wie gefährlich diese rechte Szene auch heute noch ist und wie einfach es Rechtsradikalen gelingt – insbesondere durch die Instrumente der rechten Musik –, junge Menschen in ihren Bann zu ziehen.

Deswegen mein leidenschaftlicher Appell an Sie: Wir müssen alle gemeinsam wachsam bleiben, denn diese rechte Szene in Nordrhein-Westfalen ist und bleibt gefährlich. Wir müssen unsere Demokratie dagegen wachsam verteidigen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den Vermittlungen und Beweisaufnahmen Licht und Schatten erlebt. Wir haben empathische Staatsanwälte, aber auch unempathische Polizeibeamte erlebt. Wir haben Erinnerungslücken erlebt. Wir haben engagierte Beamte erlebt. Wir haben aber auch Polizisten erlebt, die nur Dienst nach Vorschrift gemacht haben. Wir sind daher der Überzeugung, dass gerade der Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden deutlich verbessert werden muss. Wir müssen in anderer Art und Weise mit den Opfern umgehen. Wir müssen gerade auch die Opfer in die Ermittlungen im Umfeld einbinden.

Wir wissen heute, dass der wissenschaftliche Austausch auch beim Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen verbessert werden muss. Ich will einmal ein Beispiel nennen: Wenn ein neues Phänomen entsteht und Extremisten dieses Phänomen wahrnehmen, dann muss diese Information aus unserer Zivilgesellschaft in die Sicherheitsbehörden getragen werden und umgekehrt. Der Verfassungsschutz muss also mehr denn je zu einem Dienstleister für eine wehrhafte Demokratie werden und nicht nur derjenige sein, der die Informationen einsammelt und in seinen Stahlschränken aufhebt.

Wir müssen diese Informationen dann so aufarbeiten, dass der einfache Polizeibeamte auf der Straße mit diesen Phänomenen, mit diesen Informationen arbeiten kann und bei seinen Tatermittlungen darauf Bezug nehmen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen werden, wenn Sie die 1.200 Seiten und die Anlagen lesen, wahrscheinlich noch viele andere Aspekte einfallen, die ich mangels Zeit jetzt nicht vortragen konnte.

Bevor nun die Kolleginnen und Kolleginnen die Möglichkeit haben – das wissen sie; so habe ich das im Ausschuss auch immer gemacht –, nicht Fragen zu stellen, sondern ihre Anmerkungen zum Bericht vorzutragen, will ich mich ganz herzlich für die kollegiale und sehr leidenschaftliche Arbeit im Untersuchungsausschuss bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben, bei den Ausschussmitgliedern und insbesondere bei den Referentinnen und Referenten. Vielen herzlichen Dank dafür!

(Allgemeiner Beifall)

Namentlich will ich mich natürlich bei den Sprecherinnen und Sprechern bedanken, bei Andreas Kossiski, bei Heiko Hendriks, bei Verena Schäffer, bei Joachim Stamp und Yvonne Gebauer, bei Birgit Rydlewski, der ich – und ich hoffe, wir alle gemeinsam – gute Besserung wünsche, und bei Dirk Schatz, der eingesprungen ist. Ich danke aber auch den Fraktionen für die gute Auswahl und Referentinnen und Referenten und für die Benennung so engagierter und leidenschaftlicher Kolleginnen und Kollegen für diesen Ausschuss. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Wolf, für den Bericht. Nachdem Sie sich gerade bei den Kolleginnen und Kollegen, bei der Verwaltung und bei allen bedankt haben, die an diesem Untersuchungsausschuss mitgewirkt haben, möchte ich mich im Namen des Landtags bei Ihnen persönlich für Ihren Einsatz, für den Vorsitz, den Sie mit hoher Qualität wahrgenommen haben, bedanken. Vielen Dank für Ihre Arbeit als Vorsitzender dieses Untersuchungsausschusses!

(Allgemeiner Beifall)

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erster spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Kossiski.

Andreas Kossiski (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor elf Jahren ist in Kassel Halit Yozgat ermordet worden. Gestern vor 29 Monaten haben wir einstimmig die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror in Nordrhein-Westfalen beschlossen.

Über diesen Beschluss hinaus gab es damals auch noch eine weitere Übereinstimmung, denn die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen formulierten ihren gemeinsamen Wunsch: den Willen zur gemeinsamen Aufklärungsarbeit auf der Basis guter und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Auch in der Begründung dieses Wunsches waren sich alle einig: Wir sind dies nicht nur den Opfern der NSU-Taten und ihren Angehörigen schuldig, wir sind dies auch unserer demokratischen Gesellschaft schuldig.

Nun, 29 Monate später, kann ich hoffentlich unter Zustimmung aller Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses feststellen, dass uns diese vertrauensvolle, an der Sache orientierte Zusammenarbeit tatsächlich gelungen ist. Als SPD-Obmann möchte ich mich deshalb bei den Ausschussmitgliedern aller Fraktionen ganz persönlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich habe in dieser Zeit nicht nur eine fraktionsübergreifende Form des gegenseitigen Respekts kennengelernt, sondern vor allem auch ein gemeinsames Bemühen auf der Suche nach Antworten auf all die vielen Fragen, die uns der Einsetzungsbeschluss mit auf den Weg gegeben hat.

Einen ganz besonderen Dank möchte ich selbstverständlich den beiden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses aussprechen, der Kollegin Nadja Lüders und dem Kollegen Sven Wolf. Erstere hatte zunächst die schwierige Phase der Einarbeitung in die Materie zu leisten – also insbesondere die Frage, wie wir als Untersuchungsausschuss mit dem von Beginn an durchaus unübersichtlichen Berg an Aufgaben strukturiert umgehen. Der Kollege Wolf – das hat er eben in eindrucksvoller Weise bestätigt – hatte im Frühjahr 2015 die sicherlich nicht beneidenswerte Aufgabe, sich in extremer Kürze in die neue Aufgabe einzuarbeiten, und – Herr Präsident, Sie haben es erwähnt – er hat es aus unserer Sicht hervorragend gemacht.

(Allgemeiner Beifall)

Beide haben – das möchte ich vor allem auch gegenüber der interessierten Öffentlichkeit verdeutlichen – mit großer Bravour die vielen Klippen gemeistert, die gerade bei einem Untersuchungsausschuss zu beachten sind, der sich in einem erheblichen Maße mit Geheimschutzsachen, mit streng vertraulichen Dokumenten und vor allem auch mit Menschen – vornehmlich Menschen aus Verfassungsschutzbehörden – zu beschäftigen hatte.

In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem einen Extradank an Sven Wolf richten, der mit seiner ihm eigenen Beharrlichkeit in sehr vielen Fällen dafür gesorgt hat, dass wir öffentliche Sitzungen mit Zeugenvernehmungen durchführen konnten, auch wenn mitunter verantwortliche Stellen zunächst der Auffassung waren, dass sie für einzelne Zeugen nur dann eine Aussagegenehmigung erteilen können, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde. Auch darin waren wir uns im Untersuchungsausschuss immer alle einig: So viel Öffentlichkeit wie möglich, so wenig Nichtöffentlichkeit wie aus rechtlichen Gründen unbedingt nötig.

Mein größter Dank gilt aber denjenigen, die sozusagen hinter den Kulissen in wirklich unermüdlicher Arbeit dafür gesorgt haben, dass heute dieser Abschlussbericht vorgelegt werden kann: die Referentinnen und Referenten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Seite der Ausschussmitglieder und natürlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung. Ohne diesen hervorragenden Einsatz wäre unser Arbeitsauftrag nicht leistbar gewesen. – Vielen Dank dafür.

(Allgemeiner Beifall)

Bevor ich auf einige Aspekte unserer Arbeit aus dem Untersuchungsausschuss näher eingehe, ist es mir ein ganz persönliches Anliegen, auch heute nochmals an die vielen Opfer der von uns untersuchten Gewalttaten zu erinnern – und nicht nur an die Opfer, sondern auch an ihre Angehörigen. Ich glaube sagen zu dürfen: Unsere Arbeit war getragen vom Andenken an diese Opfer.

Meinen tiefen Dank möchte ich den Menschen ausdrücken, die selbst Opfer oder Angehörige von Opfern wurden und die sich bereit erklärt haben, ihr Leid, ihre Erlebnisse und ihre Empfindungen vor dem Untersuchungsausschuss darzulegen. Ich empfand das nicht als selbstverständlich, und ich hoffe, dass diese Menschen gespürt haben, mit welcher Ernsthaftigkeit wir uns um Aufklärung bemüht haben.

Das gilt insbesondere für die Sachverhalte, bei denen die Betroffenen nicht etwa eine Opferhilfe seitens staatlicher Stellen erfahren haben, sondern vielmehr selbst in den Strudel von Verdächtigungen geraten sind, weil die Ermittlungsbehörden immer wieder sehr schnell glaubten, von der Herkunft der Opfer auf vermeintlich damit in Verbindung zu bringende Straftaten oder Tätermilieus schließen zu müssen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen mit den Opfern und Angehörigen und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse, die der Untersuchungsausschuss dazu gewonnen hat, haben wir ein Kapitel unserer Handlungsempfehlungen dem Thema Opferschutz gewidmet – verbunden mit anderen Handlungsempfehlungen, die sich mit einer offenkundig erforderlichen Sensibilisierung der Ermittlungsbehörden im Umgang mit Opfern befassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts einer begrenzten Redezeit lässt sich die Arbeit eines Untersuchungsausschusses an dieser Stelle natürlich nicht in Gänze darstellen, selbst wenn man sich nur auf die Ergebnisse und die daraus resultierenden Konsequenzen beschränken wollte, die der Ausschuss in Form der soeben erwähnten und abgestimmten Handlungsempfehlungen einstimmig beschlossen hat. Von daher bitte ich um Verständnis, wenn ich nur einige Aspekte herausgreife, die mir besonders erwähnenswert erscheinen.

Vor wenigen Wochen erst wurde hier im Plenum der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses WestLB vorgestellt. Ich erinnere mich noch, wie sich der Kollege Zimkeit eingangs seiner Rede über das schlechte Erinnerungsvermögen von Zeugen ausgelassen hat – allerdings mit dem Teilverständnis, dass die Befragungen die 80er- und den Anfang der 90er-Jahre betrafen. Ich weiß nicht, ob es die Kolleginnen und Kollegen des Untersuchungsausschusses WestLB trösten kann, aber: Fehlendes Erinnerungsvermögen gibt es auch schon, wenn die hinterfragten Zeiträume wesentlich jüngeren Datums sind.

Wir können in unserem Untersuchungsausschuss wirklich ein Lied davon singen. Ich will nur zwei Sätze wiedergeben, die wir leider nur allzu oft in Zeugenvernehmungen hören mussten: „Ich kann mich nicht erinnern.“ – „Ich war nicht zuständig.“ – Der letztere Satz wurde in Einzelfällen mit dem Hinweis ergänzt: Der eigentlich Verantwortliche ist leider verstorben.

Ich möchte nicht missverstanden werden. Natürlich wissen wir alle, dass das Erinnerungsvermögen eine höchst fragile Eigenschaft des Menschen ist. Vielleicht hatten wir auch nur die Vorstellung, dass Polizeibeamte, Staatsanwälte oder Verfassungsschützer berufsbedingt über ein überdurchschnittliches Erinnerungsvermögen verfügen – insbesondere, wenn es sich um Ereignisse wie Bombenanschläge oder Morde mit immer derselben Waffe handelt. Leider zu oft haben wir uns mit dieser Vorstellung getäuscht.

Der Satz „Ich war nicht zuständig“ gehört nach meiner Einschätzung zu einer Erfahrung, die wir als Untersuchungsausschuss quasi als Abfallprodukt unserer Arbeit gewonnen haben. Natürlich möchte ich hier keine pauschale Kritik an den gerade erwähnten drei Berufsgruppen vortragen, aber ich komme nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass wir diesen Satz leider viel zu oft hören mussten.

Wenn wir vor dem Hintergrund von Bombenanschlägen – was zum Glück ja nun keine alltägliche Angelegenheit ist – oder vor dem Hintergrund einer Ceska-Mordserie gefragt haben, ob denn später bei den zuständigen Mitarbeitern oder einer anderen zuständigen Stelle nochmals nachgefragt wurde, wie sich die jeweilige Angelegenheit weiterentwickelt oder ob es neue Erkenntnisse gegeben hat, dann haben wir leider sehr oft die Antwort erhalten, dass man derartige Nachfragen nicht gestellt hat.

Ich wiederhole mich: Das soll keine pauschale Kritik sein, aber auffällig war es allemal, wie oft wir auf Sachverhalte gestoßen sind, die man mit der Redensart „Aus den Augen, aus dem Sinn“ umschreiben kann. Die daraus zu ziehende Konsequenz muss aus meiner Sicht Niederschlag in der Aus- und vor allen Dingen in der Fortbildung der Beschäftigten der Sicherheitsbehörden finden – ebenso wie in der entsprechenden Sensibilisierung der dort tätigen Führungskräfte.

Ein weiteres Thema, das ich hier vortragen möchte, findet sich im Abschlussbericht nur kurz an versteckter Stelle – nicht, weil es nebensächlich wäre, sondern weil selbst ein ausführlicher Abschlussbericht eine Grenze an Umfang haben muss, wenn er denn gelesen werden soll.

Wir hatten als Untersuchungsausschuss vor der Ermittlungs- und vor der Vernehmungsphase in mehreren Hearings, auf die der Vorsitzende schon hingewiesen hat, Sachverständige eingeladen, um deren Expertenwissen zum gesamten Themenkomplex zu erfahren. Dabei ging es sowohl um die Arbeit des Verfassungsschutzes wie auch um die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter untereinander, aber auch um deren Zusammenarbeit mit der Polizei und insbesondere den Staatsschutzdienststellen der Polizei.

Wie wir aus allen Erkenntnissen rund um das 13-jährige Verhandlungs- und Ermittlungsdesaster in Verbindung mit dem NSU-Terror wissen, gehört dieses Thema in den Vordergrund aller Versuche, die Arbeit der verschiedenen Sicherheitsorgane grundlegend zu verbessern. Besonders beeindruckt haben mich bei diesen Hearings die Denkanstöße von Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Bull, dem früheren Bundesbeauftragten für den Datenschutz und späteren Innenminister von Schleswig-Holstein. Abgesehen davon, dass ich Ihnen allen einen Blick ins Internet empfehle, in dem zahlreiche Vorträge oder Veröffentlichungen von Herrn Bull zu finden sind, die sich speziell auf die Rolle des Verfassungsschutzes beziehen, möchte ich hier nur kurz seine Kernaussage während des Hearings zitieren:

„Verfassungsschutz muss meiner Überzeugung nach auf eine Forschungs-, Wissenschafts- und Publikationstätigkeit reduziert werden oder, besser, als Demokratieförderung bezeichnet werden. Ein Inlandsnachrichtendienst soll sich um die Dinge kümmern, die die Polizei, damit sie nicht zum Supergeheimdienst werden muss, nicht aufklären kann – aber mit entsprechenden Restriktionen und speziellen Gesetzen.“

Diesen provokativen Denkansatz habe ich als wertvolle Anregung und Ausgangspunkt für weitere Überlegungen verstanden. Mehr denn je bin ich nach den Erfahrungen im Untersuchungsausschuss zu der Überzeugung gelangt, dass eine gesamtgesellschaftliche Innenpolitik bisherige Schnittmuster von Zuständigkeiten ablösen muss. Dazu gehört zum Beispiel auch eine bessere Verzahnung zwischen der Zivilgesellschaft und den Sicherheitsbehörden, insbesondere wenn es um Wissenstransfer geht.

Eine Lösung hierfür könnte aus meiner Sicht die Einrichtung eines wissenschaftlichen Sachverständigenbeirats für Demokratie und Sicherheit des Landes Nordrhein-Westfalen sein. Aufgabe eines solchen Beirates, den man als Thinktank definieren sollte, wäre, die Landesregierung zukunftsgerichtet in Fragen der Entwicklung von Gewaltbereitschaft und Radikalisierung, Extremismus und Demokratiefeindlichkeit in der Gesellschaft zu beraten. Dazu sollte gehören, die in der Gesellschaft beobachtbaren Entwicklungen und ihre Folgen zu begutachten und zur Prävention Handlungsempfehlungen zum Umgang mit diesen Entwicklungen zu unterbreiten. Dazu gehören auch die Bewertung neu entstehender Gefahren sowie das Ansprechen von Empfehlungen zu möglichen Gegenmaßnahmen.

Ein solcher Beirat mit interdisziplinär aufgestellten Expertinnen und Experten – zum Beispiel aus Extremismus-, Gewalt- und Vorurteilsforschung, Kriminologie, Geschichts- und Erziehungswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Stadt- und Regionalsoziologie sowie Sicherheitsforschung – könnte zur Urteilsbildung der verantwortlichen Instanzen und der Öffentlichkeit beitragen. Ziel wäre die Stärkung von Demokratie und innerer Sicherheit – nicht allein im Sinne der Verhütung von Straftaten und der Terrorabwehr, sondern auch und insbesondere vor dem Hintergrund des Erkennens von Entwicklungen in der Gesellschaft.

Ich glaube, dass der Grundsatz des Querdenkens über behördliche Zuständigkeiten hinaus, der Blick über fachliche Grenzen hinweg ein zukunftsorientierter Ansatz ist, was nach meinem Verständnis eine grundsätzliche Unabhängigkeit eines solchen Gremiums von der Landesregierung voraussetzt.

Nicht nur vor dem Hintergrund dieses Abschlussberichtes, sondern auch angesichts der Entwicklung der Sicherheitslage sollte die Zeit für einen solchen Thinktank reif sein. Es sollte Aufgabe des nächsten Landtages sein, sich mit einem solchen Denkansatz zu beschäftigen, sich damit näher auseinanderzusetzen und ihn zu entwickeln. Wir von der SPD-Fraktion werden jedenfalls entsprechende Prüfungen oder Initiativen positiv begleiten und auf den Weg bringen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kossiski. – Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Hendriks das Wort.

Heiko Hendriks (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute legen wir dem Parlament gemeinsam den Abschlussbericht eines ganz besonderen Untersuchungsausschusses vor. Dass wir dies gemeinsam machen, ist meines Erachtens nicht nur ein gutes Zeichen, sondern bei der parlamentarischen Untersuchung rechtsterroristischer Morde auch absolut notwendig.

Vorab, meine sehr verehrten Damen und Herren, gilt mein Dank insbesondere den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der CDU-Fraktion, allen voran Frau Oberstaatsanwältin a. D. Maria Auer. Sie haben einen tollen Job gemacht. Ich möchte aber auch ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der anderen Fraktionen danken, die gemeinsam mit dem Ausschusssekretariat sehr gute Arbeit geleistet und mit uns Obleuten sehr offen und sachorientiert zusammengearbeitet haben.

Mein Dank gilt selbstverständlich auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, insbesondere dem Vorsitzenden und den Obleuten der anderen Fraktionen. Insbesondere in den letzten Wochen haben wir viele Stunden miteinander verbracht, um einen gemeinsamen Bericht vorzulegen. Wir alle haben wieder einmal gelernt: Wenn Demokraten unterschiedlicher politischer Richtung fair miteinander umgehen und auf Augenhöhe miteinander reden, ergibt dies am Ende immer ein gutes Ergebnis. Das ist, meine Damen und Herren, in diesem Fall der hier vorliegende Schlussbericht des sogenannten PUA III.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das NSU-Trio war 5.018 Tage im Untergrund aktiv. Die Ermittlungsbehörden wissen mehr oder weniger, was das Trio an 37 von diesen 5.018 Tagen gemacht hat. Ich glaube, dass diese Zahlen deutlich machen, dass auch heute noch das Wissen über die Aktivitäten des sogenannten NSU alles andere als umfassend ist. Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz gaben im März 2013 bekannt, dass ihre Liste von möglichen Unterstützern des NSU 129 Personen umfasse. Die Liste enthält verschiedene Kategorien: Täter, Beschuldigte, Personen mit nachgewiesenen Kontakten zu den Tätern oder zu Beschuldigten oder auch Personen, bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie in Kontakt zu Tätern oder Beschuldigten gestanden hätten.

Mit diesem Wissen sind wir an das Thema herangegangen und haben unter anderem versucht, herauszufinden, ob das NSU-Trio direkte, also tatbeteiligte Unterstützung oder indirekte, also zuarbeitende Unterstützung aus NRW erhalten hat.

Meine Damen und Herren, auch wenn es schwer zu glauben ist, scheint nach Aktenlage das Kerntrio des NSU seine Taten in Nordrhein-Westfalen ohne die Mittäterschaft oder Unterstützung nordrhein-westfälischer Rechtsextremisten verübt zu haben. Umfangreiche Aktenauswertungen und Zeugenbefragungen haben keinen Anhaltspunkt für nähere Kontakte zum NSU oder gar für ein konspiratives Zusammenwirken von nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten, insbesondere in den Tatortstädten Köln und Dortmund, mit dem NSU ergeben.

Die in den Tatzeiträumen und danach erstellten Quellenberichte des Verfassungsschutzes NRW enthalten nicht einen – ich wiederhole: nicht einen – Hinweis darauf, dass die Taten Gegenstand von Erörterungen in der rechtsextremistischen Szene waren, obwohl die ausgesetzte Belohnung zur Ergreifung der Täter in Höhe von 300.000 € – also extrem hoch – ein enormer Anreiz für die Mitglieder der rechtsextremistischen Szene gewesen wäre, selbst vages Wissen zu den Tathintergründen oder zu den Tätern an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben. Dies ist nicht erfolgt.

Ein besonderer Fall ist aus unserer Sicht übrigens die Tat in der Probsteigasse. Hier haben nicht nur wir als CDU-Fraktion erhebliche Zweifel an der Täterschaft des NSU-Trios. Denkbar wäre es zum Beispiel auch, dass andere Rechtsextremisten diese Tat ausgeführt haben, vielleicht sogar diejenigen, die für die bis heute unaufgeklärten Bombenanschläge in Köln in den Jahren 1992 und 1993 verantwortlich sind.

Aber auch dies ist Spekulation. Auch dafür haben wir keinen Beweis. Deshalb ist es mir persönlich wichtig, noch einmal zu betonen, dass die Auswertung der uns zur Verfügung stehenden Akten sowie die Zeugenbefragungen gegen eine Unterstützung des NSU-Trios aus NRW sprechen, aber gänzlich ausschließen können auch wir dies nicht.

Grundsätzlich müssen wir uns aber auch in Deutschland dem Gedanken nähern, dass es mittlerweile vielleicht auch bei uns möglich ist, dass sich in der rechtsextremen Szene Zellen bilden, die sich irgendwann von der offenen Szene lösen, um in den Untergrund zu gehen und dann relativ isoliert nach ihrer menschenverachtenden ideologischen Gesinnung zu leben und Terroranschläge und Morde – zum Beispiel an politisch Andersdenkenden oder, wie hier geschehen, an Migrantinnen und Migranten – zu verüben. Wenn dem so sein sollte, stellt dies nicht nur die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden vor eine sehr große Herausforderung, sondern auch die gesamte Gesellschaft.

Diese durchaus beunruhigende Erkenntnis ist natürlich nicht die einzige Erkenntnis, die wir gewonnen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, hier und da stellten sich die Zeugenbefragungen im Ausschuss als durchaus schwierig dar. Wir haben bei den Zeugenbefragungen oft gehört: „Dies ist mir nicht mehr erinnerlich“, oder: „Ich weiß dies nicht“, und wir hatten, bei allem Verständnis für Erinnerungslücken, mehr als einmal das Gefühl, dass die eine oder andere bzw. der eine oder andere sich auch nicht mehr erinnern will – ganz zu schweigen von einem Oberstaatsanwalt, der zwar für politisch motivierte Straftaten zuständig war, sich selbst aber als „gänzlich unpolitisch und an politischen Sachverhalten nicht interessierter Bürger“ darstellte.

Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist – es war nicht einfach –, gemeinsame Handlungsempfehlungen auf den Weg zu bringen. Die Schlüsselworte bei den Handlungsempfehlungen sind „Kommunikation“, „Informationsaustausch“, „Grundwissen“ und „Bereitschaft, sich auf neue Kriminalitätsphänomene einzulassen“, also schlicht und einfach auch einmal querzudenken. Eine Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen – davon sind wir überzeugt – würde Deutschland in Verbindung mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen ein Stück sicherer machen. Das muss unser aller Ziel sein.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Unsere Handlungsempfehlungen bauen auf den nachfolgenden Erkenntnissen aus unserer Ausschussarbeit auf; denn zweifelsohne haben die Untersuchungen des Ausschusses eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten und Fehlern nordrhein-westfälischer Sicherheits- und Justizbehörden aufgedeckt. Dies betrifft die Beobachtung und Auswertung der Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene von Beginn der 90er-Jahre an gleichermaßen wie die Ermittlungen zu den mutmaßlich vom NSU-Trio begangenen Straftaten und zu den weiteren im Untersuchungszeitraum begangenen Verbrechen, die aus politisch-rechtsextremen Motiven begangen worden sein könnten.

Inwieweit die in der Ermittlungsarbeit aufgetretenen Mängel oder die unzureichende Zusammenarbeit der Behörden untereinander verhindert haben, dass die dem NSU zuzurechnenden Taten in Nordrhein-Westfalen vor dessen Selbstenttarnung aufgeklärt werden konnten, bleibt wiederum Spekulation.

Fakt ist allerdings: Trotz fehlender konkreter auf Täter aus dem rechtsextremistischen Milieu hinweisende Spuren hätten die Sicherheitsbehörden an den Tatorten in Köln und Dortmund – wie im Feststellungsteil dieses Berichts dargestellt – allen Grund gehabt, verstärkt auch Ermittlungen in Richtung eines politisch motivierten Delikts durchzuführen.

Beispielhaft dafür sei, den Sprengstoffanschlag in der Keupstraße betreffend, noch einmal das Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz an den Verfassungsschutz NRW vom 9. Juli 2004 genannt: der Hinweis von Scotland Yard auf die vergleichbaren Nagelbombenanschläge des David Copeland in London. In Dortmund hätten insbesondere die Aussagen einer Zeugin und auch das Ergebnis der zweiten Operativen Fallanalyse die Ermittlungsbehörden dazu veranlassen müssen, ihre Ermittlungen auf die rechtsextremistische Szene in Dortmund auszudehnen. Dieses Erfordernis haben die Ermittler entweder nicht erkannt oder falsch eingeschätzt.

Eine wesentliche Ursache für das Unterlassen der gebotenen Ermittlungen dürfte in dem nur rudimentär vorhandenen Kenntnisstand der Strafverfolgungsbehörden des Landes NRW über die rechtsextremistische Szene und deren internationales Netzwerk liegen. Weder die „Turner Diaries“, die dem NSU als eine Art Blaupause für seine Taten gedient haben könnten, noch Combat 18, noch der Name David Copeland waren den Ermittlungskommissionen bekannt. Soweit der Verfassungsschutz NRW und in Teilen auch der polizeiliche Staatsschutz die hinter den Publikationen und Maßnahmen stehende Ideologie erkannt haben, haben sie jedenfalls mit den Ermittlungsbehörden vor Ort nicht kommuniziert.

Allerdings – das muss fairerweise auch gesagt werden – haben die ermittelnden Polizeibeamte und Staatsanwälte größtenteils auch nicht proaktiv beim polizeilichen Staatsschutz oder beim Verfassungsschutz nachgefragt. Entsprechende dahin gehende Informationen wären für die Strafverfolgungsbehörden möglicherweise ein Ermittlungsansatz in Richtung eines rechtsextremistischen Motivs gewesen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus Fehlern kann und sollte man lernen.

(Beifall von der CDU)

Zukünftig darf es nicht mehr passieren, dass politisch motivierte Straftaten als solche nicht nur mit einem erheblichen Zeitverzug oder gar nicht erkannt werden und deshalb notwendige Ermittlungsmaßnahmen nicht eingeleitet werden. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Begrifflichkeiten aus dem Rechtsextremismus, die rechtsextremistischen Theorien, das Fundament der Ideologie weiter in den Strafverfolgungsbehörden und Ermittlungsbehörden verankert werden. Denn – wie gesagt – wir haben festgestellt, dass die Grundkenntnis über diese Thematik eher unterentwickelt ist.

In den Sonderabteilungen der Staatsanwaltschaften, ebenso wie in den Staatsschutzabteilungen der Polizeidienststellen, herrscht zusätzlich eine hohe Personalfluktuation, sodass erworbenes Spezialwissen in diesen Abteilungen langfristig nicht vorgehalten werden kann. Sonderwissen auf dem Gebiet des Rechtsextremismus muss ferner schnell und zuverlässig von ansonsten sachfern tätigen Beamten im Bereitschaftsdienst bei besonderen Vorkommnissen wie etwa Demonstrationen oder Gewalttätigkeiten in Fußballstadien abgerufen werden können.

Daraus ergeben sich für meine Fraktion folgende zusätzliche Handlungsempfehlungen:

Wir fordern die Einrichtung einer zentralen elektronischen Bibliothek. Die Einrichtung einer zentralen Wissensdatenbank als elektronische Bibliothek, auf die alle mit einer besonderen Zugriffsberechtigung ausgestatteten Ermittler zugreifen können, würde zahlreiche von uns im Ausschuss festgestellte Mängel beseitigen können. Neben juristischen und historischen Schlagworten und Ausarbeitungen zu speziellen Phänomenen sollte sie auch polizeiliche und nachrichtendienstliche Erkenntnisse zur Verfügung halten, ohne das Trennungsgebot zu verletzen.

Als zentrale Einrichtung des Landes NRW und Schnittstelle auf höherer Ebene zwischen staatsanwaltlicher, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit dürfte das Landeskriminalamt NRW unserer Einschätzung nach mit seiner bereits vorhandenen Kommunikationstechnik der kompetente Dienstleister für diese politisch wichtige Aufgabe sein.

Zwei Dinge dürfen bei meiner heutigen Rede selbstverständlich nicht fehlen. Zum einen sind wir eine lückenlose Aufklärung nicht nur, aber insbesondere den Opfern und den Angehörigen der Rechtsterroristen schuldig.

(Beifall von der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Ich darf allen Opfern und deren Angehörigen versichern, dass das Schicksal, das ihnen widerfahren ist, unvergessen bleibt und eine nachhaltige Mahnung darstellt. Zum anderen müssen wir alles uns Mögliche möglichst gemeinsam unternehmen, um unseren Rechtsstaat so wehrhaft aufzustellen, dass er auch dem Rechtsterrorismus die Stirn bieten kann. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hendriks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorgestern jährte sich zum elften Mal der Tag, an dem eine junge Frau in meinem Alter ihren Vater verlor. Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubaşik grausam ermordet. Er war das achte Mordopfer des rechtsterroristischen NSU.

Heute jährt sich der Todestag von Halit Yozgat. Wir werden Mehmet Kubaşik und Halit Yozgat und auch die anderen Mordopfer des NSU niemals vergessen.

(Allgemeiner Beifall)

Bereits 2001 und 2004 wurden insgesamt 23 Menschen bei Bombenanschlägen in Köln verletzt, einige von ihnen schwer. Mehmet Kubaşik und die anderen Opfer wurden deshalb ermordet und verletzt, weil sie nicht in das rassistische Weltbild der Neonazis passten. Doch erst mit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU wurde klar, wer hinter diesen Verbrechen steckte.

Es macht mich ehrlich gesagt nach wie vor fassungslos, dass eine solche Gruppierung über 13 Jahre im Untergrund agieren und morden konnte, ohne dass sie von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt und gestoppt wurde. Den Behörden ist nicht nur die Nichtermittlung des NSU vorzuwerfen, sondern vor allem auch, dass sie die Opfer jahrelang verdächtigten. Das Verhalten der Polizei führte zu einer erneuten Viktimisierung der Opfer, und deshalb spreche ich auch ganz bewusst von einem staatlichen Versagen, das beispiellos ist.

Unser Untersuchungsausschuss war der erste bundesweit, der auch den Opfern eine Stimme gegeben hat. Ich will hier auch noch einmal den Opfern aus der Keupstraße und aus Dortmund danken, dass sie vor unserem Untersuchungsausschuss ausgesagt haben. Gamze Kubaşik hat sehr eindrücklich von den Folgen der polizeilichen Ermittlungen für ihre Familie berichtet, und ich möchte sie gern zitieren.

Ich muss sagen, es ist ja schon schlimm, wenn man den Vater verliert. Aber dass man uns dann auch noch den Stolz wegnimmt, das war das Schlimmste für mich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte mich hier noch einmal für die gute Zusammenarbeit bedanken. Dieser Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, aber besonders den Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, die mich vor allem in der Mutterschutzzeit, aber auch darüber hinaus sehr unterstützt haben. Außerdem möchte ich mich bei den Referentinnen und Referenten bedanken. Vielen Dank für die großartige Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Das gemeinsame Aufklärungsinteresse aller Fraktionen im Untersuchungsausschuss ist von enormer Bedeutung. Wir konnten gemeinsam die zahlreichen Fehler der Behörden sowohl bei den Ermittlungen vor der Selbstenttarnung als auch bei den Nachermittlungen herausarbeiten.

Bei dem Anschlag in der Probsteigasse bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Mundlos und Böhnhardt die Täter waren. Es gibt zahlreiche Aspekte, die auf eine weitere Person als Mitglied oder als Unterstützer des NSU hindeuten, und dem sind die Behörden aus meiner Sicht bisher nicht ausreichend nachgegangen.

Die Ermittlungen zum Anschlag in der Keupstraße waren faktisch von einer großen Einseitigkeit geprägt. Anhaltspunkte und Hinweise, die auf einen rassistischen Tathintergrund deuteten, wurden kaum verfolgt. Die Hinweise auf Parallelen zum Anschlag in Köln mit der Anschlagserie des David Copeland in London wurden schlicht ignoriert, und auch Zeugenaussagen, die eine Verbindung zur Ceska-Mordserie herstellten, wurde nicht ausreichend nachgegangen.

Auch bei den Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubaşik in Dortmund müssen wir leider feststellen, dass es keine konkreten Ermittlungsmaßnahmen in Richtung Rechtsextremismus gab. Die Aussage einer Zeugin, die Junkies oder Nazis gesehen hatte, wurde in puncto Nazis ignoriert.

Ich finde, wir konnten ein wichtiges Ergebnis in Bezug auf Dortmund herausarbeiten. Die zeitliche und räumliche Nähe der Morde an Mehmet Kubaşik in Dortmund und Halit Yozgat in Kassel ist bemerkenswert. Wir haben hier auch die sehr enge Vernetzung und die Militanz der Neonazi-Szene in Dortmund und Kassel Mitte der 2000er-Jahre nachgewiesen. Das nährt aus grüner Sicht die These, dass es sehr wohl ein lokales Unterstützernetzwerk gegeben hat.

Am haarsträubendsten – das will ich hier noch einmal sagen – waren aus meiner Sicht die Untersuchungen zum Tod des V-Mannes Corelli. Die Verwaltungshaltung des Bundesamts für Verfassungsschutz trägt alles andere als zur Vertrauensbildung bei.

(Vereinzelt Beifall von der SPD, der FDP und den PIRATEN)

Noch schlimmer aber waren die Aussagen der Zeugen. Man wollte Corelli anonym und ohne Nachricht an die Angehörigen bestatten – ganz offenbar, um den unbequemen Fragen aus der Öffentlichkeit auszuweichen. Dazu will ich noch mal sagen, dass ich das Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz wirklich unglaublich finde.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es – und auch das ist schon deutlich geworden – bei der Bewertung der Ermittlungen eben auch Differenzen unter den Fraktionen. Dass die Ermittlungen in jedem Fall immer nach demselben Muster geführt wurden, dass trotz der verschiedenen Hinweise nicht – oder zumindest nicht ernst zu nehmend – in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde, dass man immer die Opfer als Mitglieder der organisierten Kriminalität oder verstrickt in Drogenmilieu und Schutzgelderpressung sah – und das, obwohl jegliche Ermittlungen in diese Richtung keine Ergebnisse brachten –, kann ich nicht als eine Aneinanderreihung von Fehlern, Pech, Pleiten und Pannen abtun.

Aus meiner Sicht lässt sich das eben auch nicht dadurch erklären, dass es ein mangelndes Wissen bei den Behörden über rechtsterroristische Konzepte und Organisationen gab. Nach der Definition der britischen Macpherson-Kommission kann ein institutioneller Rassismus in Einstellungen und Verhaltensweisen gesehen und aufgedeckt werden, die durch unwissentliche Vorurteile, Ignoranz und Gedankenlosigkeit zur Diskriminierung führen.

Genau dieser institutionelle Rassismus kommt aus grüner Sicht bei den Ermittlungen zu den NSU-Verbrechen zum Ausdruck. Ich bin der Meinung, dass wir dieses strukturelle Problem thematisieren müssen, damit es nie wieder zu solchen fatalen Fehleinschätzungen im Hinblick auf die Motive der Täter kommen kann.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Tatsache, dass Konsequenzen aus dem Versagen der Behörden gezogen werden müssen, eint uns. Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, 30 gemeinsame Handlungsempfehlungen zu erarbeiten – und das sehe ich wirklich als großen Wert dieses Untersuchungsausschusses. Die Handlungsempfehlungen reichen von der Unterstützung des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes bis hin zur Finanzierung der Beratungsstruktur gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode, genau diese Handlungsempfehlungen auch umzusetzen. Denn das Problem des Rechtsextremismus, des Rassismus, ist in den letzten zweieinhalb Jahren ja nicht kleiner geworden – im Gegenteil, es ist größer geworden. Ich hoffe und erwarte von uns allen hier, dass die gute Zusammenarbeit, die wir im Untersuchungsausschuss hatten, Bestand hat, und zwar über den Wahltermin hinaus, und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diese Handlungsempfehlungen umzusetzen, um gemeinsam gegen Rechtsextremismus und Rassismus auch hier in Nordrhein-Westfalen vorzugehen. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP spricht Frau Kollegin Gebauer.

Yvonne Gebauer (FDP):Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn meine Vorredner schon darauf eingegangen sind, erlauben Sie auch mir, an dieser Stelle das Wort an die Opfer und Angehörigen der NSU-Terrorserie zu richten.

Wer selber nicht das erlebt hat, was ihnen, den Opfern und Angehörigen, geschehen ist, der wird nur erahnen können, welches Leid diesen Menschen widerfahren ist: jahrelange Ermittlungen in eine völlig falsche Richtung. Sie wurden teilweise behandelt wie Täter und nicht wie Opfer. Mancher von ihnen musste erfahren, dass sich Familie und Freunde von ihnen abwendeten, weil diese Verdächtigungen gegen sie im Raum standen.

Wir als Politiker können diese schlechten Erfahrungen, die diese Menschen mit unserem Rechtsstaat machen mussten, leider nicht ungeschehen machen. Doch wir alle – und da darf ich sicher im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Untersuchungsausschusses sprechen – waren fest entschlossen, herauszufinden, was zu diesen zum Teil ungeheuerlichen Fehlleistungen geführt hat. Wie konnte es dazu kommen, dass Opfer und Angehörige plötzlich zu Tatverdächtigen wurden? Warum wurde jahrelang – zum Teil stoisch – in falsche Richtungen ermittelt?

Die Antworten, die wir Ihnen heute mit dem Untersuchungsbericht präsentieren, sind nicht wirklich in Gänze befriedigend; denn sie richten den Scheinwerfer auf grundlegende Probleme, die wir in der nordrhein-westfälischen Sicherheitsarchitektur ausgemacht haben.

Herr Kossiski hat es schon angesprochen: Es gab drei Aussagen, die wir im Ausschuss von den befragten Zeugen am häufigsten gehört haben. Zum einen: Wir hatten keine Hinweise. Zum andern: Ich kann mich nicht erinnern. Und das Dritte war: Das war nicht meine Aufgabe.

Diese Aussagen kamen von Mitarbeitern von Polizei, von Staatsanwaltschaften und vom Verfassungsschutz gleichermaßen. Wir waren im Ausschuss oft genug fassungslos, wenn sich einige Zeugen völlig desinteressiert, unmotiviert und vor allen Dingen mitunter auch völlig ahnungslos gezeigt haben.

Die wenigsten konnten beispielsweise etwas über die theoretischen Konzepte des Rechtsterrorismus aussagen. Stattdessen – so unser Eindruck – wurde und wird in Nordrhein-Westfalen immer noch an einem veralteten Terrorismusbegriff festgehalten, einem Terrorismusbegriff, der in den 70er- und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom Linksterrorismus der RAF geprägt worden ist: eine kleine Gruppe von Terroristen, die Anschlagsziele so auswählt, dass sie ihren Unterstützern vermittelbar sind. Ein weiteres wesentliches Merkmal: Zur Tat wurde sich dann immer mit einem Bekennerschreiben bekannt.

Oft genug wurde uns im Ausschuss entgegengehalten, dass es bei den Morden und Anschlägen des NSU keine Bekennerschreiben gegeben habe. Leider muss man konstatieren, dass bis heute, lange nach der Selbstenttarnung des NSU, an diesen Zeugen offenbar – zwar nicht an allen, aber an manchen – spurlos vorübergegangen ist, dass der Rechtsterrorismus eben nicht mit einem Bekennerschreiben arbeitet, sondern dass die Tat allein Bekennung genug ist.

Dieses Wissen muss bei allen Mitarbeitern von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz vollständig ankommen. In diesem Zusammenhang lautet das Stichwort: Fortbildung, Fortbildung und nochmals Fortbildung.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang gerne noch einen weiteren Punkt ausführen. Nachdem Ende 2011 klar war, dass die Morde und Anschläge auf das Konto des NSU gingen, wurde die BAO „Trio“ eingerichtet, um die Geschehnisse entsprechend aufzuarbeiten. An dieser BAO „Trio“ waren natürlich auch nordrhein-westfälische Beamte beteiligt. Unter anderem nahm man dort auch den Fall „Michael Berger“ unter die Lupe. Der Rechtsextreme Michael Berger hatte im Jahr 2000 drei Polizisten ermordet. Damals wurde nicht ermittelt, wie genau Berger in die rechte Szene verstrickt war.

Im Jahr 2012 erfolgte die erneute Überprüfung durch die BAO „Trio“. Dafür wurden aber ausgerechnet die Beamten eingesetzt, die auch schon im Jahr 2000 ermittelt hatten – die Beamten überprüften somit ihre eigene Arbeit. Damit wird jeder ernsthafte Aufklärungswille konterkariert.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Was also bleibt am Ende dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses festzuhalten? Festzuhalten bleibt, dass die Zusammenarbeit einzelner Behörden bei der Aufarbeitung der Anschläge unprofessionell bis unverantwortlich war. Es bleibt festzuhalten, dass mangelnde Kenntnisse, fehlende Erfahrungswerte im Umgang mit Rechtsterrorismus sowie Unstimmigkeiten über Zuständigkeiten dazu geführt haben, dass wichtigen Spuren und wichtigen Hinweisen bei der Aufklärung der Morde nicht mit der nötigen Sorgfalt nachgegangen wurde.

Dieser Arbeitsauftrag war kein leichter – geschuldet der Tatsache, dass es hier um Aufklärung ging und diese Aufklärung in unmittelbarem Zusammenhang von Anschlägen mit Toten und Verletzten sowie deren Angehörigen stand.

Das verlangte zum einen eine hohe Sensibilität gegenüber den Opfern, es erwartet zum anderen Hartnäckigkeit in der Sache, um dem Aufklärungsanspruch des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gerecht zu werden. Beidem ist der Ausschussvorsitzende – sind Sie, lieber Herr Wolf – stets nachgekommen. Dafür meinen persönlichen Dank an Sie, aber auch den Dank von meinem Kollegen Joachim Stamp.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Auch den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen möchte ich ausdrücklich danken – zum einen für die schon mehrfach angesprochene Kollegialität, die in diesem Ausschuss uneingeschränkt herrschte, zum anderen aber auch für die freundliche Aufnahme meiner Person, die ich ja nun doch sehr spät in die Arbeit des Ausschusses eingestiegen bin. In diesen Dank möchte ich ausdrücklich alle Referentinnen und Referenten einschließen. Sie haben gerade in der Schlussphase weit über das Normalmaß hinaus gearbeitet und Früh- und Nachtschichten eingelegt – keine Selbstverständlichkeit.

Last but not least geht mein Dank auch an das Ausschusssekretariat, allen voran Frau Soboll für ihren Einsatz, und für den Einsatz der vielen weiteren Mitarbeiter in diesem Ausschuss.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD, der CDU und den PIRATEN)

Es war mitunter bestimmt nicht immer leicht, und die Zusammenarbeit zum Ende hin vielleicht auch ein wenig holprig – vorrangig aber sicher auch der Tatsache geschuldet, dass wir alle unter einem enormen Zeitdruck standen, den Abschlussbericht noch rechtzeitig fertig zu bekommen.

Dies ist uns gelungen: Der Bericht ist fertig geworden. Unsere Arbeit, die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, ist getan, auch wenn nicht alle Fragen beantwortet werden konnten. Die Arbeit, die notwendigen Verbesserungen in den verschiedenen Sicherheitsbehörden umzusetzen, muss weiterhin vorangetrieben werden. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Gebauer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Zunächst einmal eine kurze Erklärung, auch wenn Herr Wolf es gerade schon gesagt hat: Ich darf für die Kollegin Rydlewski sprechen, die krankheitsbedingt leider nicht hier stehen kann und die mich gebeten hat, ihre Rede zu übernehmen.

Auch ich möchte mit dem auch in der fünften oder sechsten Rede obligatorischen Dank – erst einmal an Sie, Herr Wolf, für die Arbeit als Vorsitzender des Ausschusses, aber auch für die Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses – hier Herr Schatz und Frau Rydlewski. Gerade bei Frau Rydlewski möchte ich mich besonders bedanken; denn sie hat sich besonders dafür eingesetzt, dass dieser Untersuchungsausschuss überhaupt stattfinden konnte.

Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitarbeitern in der Verwaltung und bei den Mitarbeitern der Fraktionen, die es möglich gemacht haben, dass wir nun einen über tausendseitigen, sehr umfassenden Bericht auf dem Tisch liegen haben.

Die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU hat gezeigt, dass die Einsetzung dieses Ausschusses dringend notwendig und richtig war. Es gab im Zusammenhang mit den vom NSU begangenen Straftaten, bei den Ermittlungen zu den Morden von Michael Berger in Dortmund, zu dem Anschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn sowie auch dem Tod von Thomas Richter zahlreiche Fehler von Polizei, von Staatsanwaltschaft und vom Verfassungsschutz.

Der Untersuchungsausschuss konnte diese Fehler aufzeigen, teilweise den Ursachen dafür auf den Grund gehen und hat gemeinsame Handlungsempfehlungen entwickelt, damit solche Fehler – und das sollte immer die Aufgabe sein – in Zukunft möglichst nicht mehr vorkommen.

Als besonderes Versagen der Ermittlungsbehörden müssen der Umgang mit den Opfern und die Ermittlungen gegen diese genannt werden – es war nämlich unglaublich erschreckend, mit welcher Konsequenz insbesondere auch bei dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln gegen Opfer ermittelt wurde.

Über Jahre hinweg wurden diese verdächtigt: es wurde ihnen unterstellt, mehr über die Taten und über die Hintergründe zu wissen, und dieses Wissen auch noch vor der Polizei zu verheimlichen.

Den Opfern wurde vorgeworfen, dass sie selber in kriminelle Machenschaften verwickelt seien, und sie wurden oftmals wie Täterinnen und Täter und eben nicht wie Opfer behandelt. Dies erschwerte es den Opfern zusätzlich und vollkommen unnötig, mit den schrecklichen Taten und ihren Folgen zu leben. Die Anschuldigungen durch die Polizei beruhten lediglich auf vagen Verdachtsäußerungen und entbehrten jeder vernünftigen Grundlage. Auch als dies offensichtlich war, ermittelte die Polizei einfach weiter im Umfeld der Opfer.

Dabei ignorierten Polizei und Staatsanwaltschaft die zahlreichen Hinweise darauf, dass die Taten rassistisch motiviert waren. Aussagen der Opfer, operative Fallanalysen, Hinweise auf vergleichbare Taten durch andere Neonazis – all das, wir haben es gehört, wurde konsequent ignoriert und dementsprechend auch nicht in diese Richtung ermittelt.

Das Festhalten an der Ansicht, dass Opfer mit einem wie auch immer gearteten migrantischen Hintergrund selbst in die Tat verwickelt sein müssen, und das gleichzeitige Ausblenden von anderen Hintergründen für die Taten sind deutliche Zeichen für einen institutionellen Rassismus in den beteiligten Behörden. Die handelnden Personen müssen nicht einzeln und bewusst rassistisch gehandelt und gedacht haben, aber die Strukturen und die allgemeinen Handlungs- und Denkmuster innerhalb der Ermittlungsbehörden führten klar zu einer enormen Benachteiligung der Opfer nur und gerade aufgrund ihrer migrantisch geprägten Herkunft.

Leider muss festgestellt werden, dass innerhalb der Institutionen diese diskriminierenden Muster auch heute nicht als solche erkannt und auch benannt werden. Das jedoch wäre der erste, dringende und richtige Schritt, um dieses Problem endlich zu bekämpfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Doch nicht nur im Bereich von Polizei und Staatsanwaltschaft wurden im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses Missstände sichtbar. Ganz deutlich wurde auch wieder, dass der Verfassungsschutz eine so nicht mehr länger tragbare Institution darstellt. Nach Bekanntwerden des NSU konnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz so gut wie keine relevanten Informationen zur Aufarbeitung beisteuern – und das, obwohl mit großem, insbesondere auch finanziellem Aufwand zahlreiche V-Personen in der rechten Szene geführt wurden. Dadurch wird auch noch, wenn auch unbeabsichtigt, punktuell dazu beigetragen, dass mit staatlichen Geldern über die V-Leute der Aufbau der rechten Szene begünstigt wird.

Der Verfassungsschutz hat jedoch nicht nur zu wenige Informationen gesammelt und die vorhandenen Informationen unzureichend oder schlecht ausgewertet, er hat auch an anderer Stelle erhebliche Defizite: Auf keiner Ebene findet eine wirksame Kontrolle der Arbeit dieses Dienstes statt. Es wurden Personen als V-Leute geführt, die durch Waffengeschäfte aufgefallen sind. Geld aus dem Aussteigerprogramm wird zur Führung von V-Personen verwendet. Informationen werden nicht weitergegeben, und für niemand ist so richtig nachvollziehbar, was eigentlich genau dort passiert. Die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch dieses Parlament ist völlig unzureichend, denn auch das parlamentarische Kontrollgremium hat keinerlei Möglichkeiten, ernsthaft zu prüfen, ob es wirklich zeitnah und umfassend alle relevanten Informationen vorliegen hat und informiert wird.

Eine solche Institution ist meiner Meinung nach sehr bedenklich und so nicht tragbar. Der Verfassungsschutz gehört daher in der jetzigen Form abgeschafft.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch an dieser Stelle ist durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses deutlich geworden, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Insbesondere war dies durch die fraktionsübergreifende und gute kollegiale Zusammenarbeit möglich. Allen beteiligten Personen sei hiermit der Dank von Birgit Rydlewski ausgerichtet und entsprechend natürlich auch von mir.

An zu vielen Stellen konnte der Ausschuss seinem Auftrag leider jedoch nicht in dem Maß nachkommen, in dem wir uns das gewünscht hätten. Das lag auch daran, dass am Ende schlicht die Zeit gefehlt hat, um weitere Zeuginnen und Zeugen zu vernehmen und weitere Akten auszuwerten.

Es gab jedoch auch andere Gründe dafür, dass der Untersuchungsausschuss nicht weiter zur Aufklärung beitragen konnte, denn viel zu oft haben Zeuginnen und Zeugen vor dem Ausschuss angegeben, dass sie sich nicht erinnern können – auch das haben wir schon gehört –, oder sie haben erst gar keine Aussagegenehmigung bekommen. Akten wurden teilweise erst recht spät – ich würde sagen, viel zu spät – geliefert, und oftmals waren Akten auch ohne ersichtlichen Grund so eingestuft, dass eine öffentliche Thematisierung ihrer Inhalte nicht möglich war. Auch im Abschlussbericht konnten zahlreiche Inhalte aus angeblichen Geheimschutzgründen nicht dargestellt werden.

All diese Hindernisse haben bedauerlicherweise zur Folge, dass der Untersuchungsausschuss einzelnen Sachverhalten nur unzureichend nachgehen konnte bzw. die gewonnenen Erkenntnisse dann nicht öffentlich darstellen darf. Das ist schade.

Eine Untersuchung, deren Ergebnisse nicht dargestellt werden dürfen, ist wirkungslos und damit eigentlich auch sinnlos. Und außerdem entspricht es auch nicht Sinn und Zweck von Untersuchungsausschüssen, wenn die Behörden, deren Handeln eigentlich kontrolliert werden soll, am Ende zumindest mitentscheiden, welche Untersuchungsergebnisse veröffentlicht werden.

Auch nach Abschluss des Untersuchungsausschusses sind zahlreiche Fragen offen. Die Opfer, ihre Angehörigen und die Öffentlichkeit haben jedoch ein Recht darauf, dass eine weitere Aufklärung der Taten und der Strukturen, die sie ermöglicht haben, stattfindet. Dafür muss endlich viel tiefgreifender ermittelt werden, über welche Kontakte der NSU nach Nordrhein-Westfalen verfügte, ob bzw. welche Personen aus Nordrhein-Westfalen Unterstützungsleistungen erbracht haben. Die Ermittlungen dazu waren bisher völlig unzureichend.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal darauf zurückkommen, was die Taten des NSU und andere rechte Gewalttaten eigentlich so unerträglich macht: nämlich das Leid der Menschen, die von dieser Gewalt betroffen sind, weil sie nicht in das menschenverachtende Weltbild der Nazis passen. Diese Menschen jedoch verdienen gesellschaftliche Aufmerksamkeit und unsere Solidarität. Außerdem müssen wir alle diese menschenverachtende Gewalt und ihre verbale Vorboten immer und überall konsequent benennen und bekämpfen. Wehret den Anfängen! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und den GRÜNEN)

 

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Marsching! – Die Aussprache ist damit beendet, und ich stelle fest, dass der Landtag den Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III – NSU – Drucksache 16/14400 zur Kenntnis genommen hat.

Ich rufe auf:

7  Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13313 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14679

zweite und dritte Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Körfges das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle nicht wiederholen, was wir anlässlich der Einbringung und in vielen Beratungen im Rahmen der Verfassungskommission zu dem Thema gesagt haben. Ich möchte an einen Grundgedanken anschließen, an eine Handlungsmaxime, die im Oktober 1969 durch Willy Brandt für die Sozialdemokratie formuliert worden ist. Er hat bei seiner ersten Regierungserklärung gesagt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ – Gemessen an dem Anspruch, der damals artikuliert worden ist und sich auf die Überwindung verkrusteter Strukturen bezog, ist das, was wir, die antragstellenden Fraktionen, heute zur Abstimmung stellen, ein ganz geringes Wagnis.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist überhaupt kein Wagnis, wenn man Vertrauen in die Urteilsfähigkeit von 300.000 jungen Menschen hat. Wenn man Vertrauen in unsere Demokratie hat, geht man überhaupt kein Wagnis ein, dann ist keinerlei Skepsis geboten, dann muss man eigentlich auch zur Stärkung unserer eigenen Legitimation den Weg dafür freimachen, dass demnächst junge Menschen ab dem 16. Lebensjahr bei uns an Landtagswahlen teilnehmen dürfen.

(Beifall von den PIRATEN)

Eine weitere Tatsache möchte ich in den Fokus rücken. Es geht nicht darum, dass wir hier und heute aktiv beschließen, das Wahlalter tatsächlich abzusenken. Uns geht es lediglich darum – das hat auch mit dem Ablauf der Wahlperiode zu tun –, den Weg zu ebnen, diese verfassungsrechtlich vorgesehene Sperre zu beseitigen, sodass der Gesetzgeber ein Wahlrecht für junge Menschen ermöglichen kann. Das war der Kompromiss, auf den sich die Verfassungskommission hätte einigen können. Das ist mit nicht mehr und nicht weniger verbunden, als damit, eine absolut überflüssige Hürde in unserer Landesverfassung zu beseitigen.

Für alle, die sich ansonsten gern rechtliche Zweifel und rechtliche Skepsis zu eigen machen, kann ich absolute Entwarnung geben. Wir dürfen Ihnen versichern – darüber haben wir Hunderte Statements und Dutzende gutachterliche Stellungnahmen –, es ist nicht nur mit der Verfassung, mit unserer Rechtsordnung, vereinbar; es wird sogar von Leuten, die sich über unsere Demokratie Gedanken machen, ausdrücklich befürwortet. Ein Wahlrecht für junge Menschen ab 16 Jahren ist ein Plus für unsere Demokratie in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Es gibt immer wieder Schutzbehauptungen nach dem Motto: Die jungen Menschen sind noch nicht reif dafür. – Dazu können Sie jede Entwicklungspsychologin und jeden Entwicklungspsychologen befragen und bekommen ganz eindeutige Antworten. – Oder aber die Behauptung: Die jungen Leute gehen doch alle nicht wählen! – Das ist erstens total falsch. Es gibt Erhebungen darüber, dass gerade die von uns angesprochene Altersgruppe eher mehr und intensiver an Wahlen interessiert ist als darauffolgende Altersgruppen. Was für ein demokratietheoretischer Blödsinn ist es darüber hinaus, zu sagen, wir stellen das Wahlrecht für eine gewisse Gruppe infrage, weil ein Teil dieser Gruppe von dem Wahlrecht keinen Gebrauch macht?

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN] und Torsten Sommer [PIRATEN])

Ich möchte nicht darauf verweisen, dass uns alle wichtigen Jugendverbände in unserem Land eindringlich darum bitten, diese Option zu eröffnen, und dass alle Nachwuchsorganisationen der politischen Parteien … Entschuldigen Sie, nicht „alle“! Liebe Freunde von der Jungen Union, ihr müsst ja nicht wählen gehen. Bitte nehmt aber den anderen nicht das Recht, zur Wahl zu gehen!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir wollen uns an dieser Stelle vergewissern, wie wir es denn mit unseren eigenen Prinzipien halten. Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der FDP nicht wieder ihre eigene Beschlusslage, die Praxis der vielen FDP-Fraktionen in den anderen Landesparlamenten oder gar ihre Jungen Liberalen oder ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse vorhalten. Ich habe den Eindruck, dass es darum gar nicht geht. Vielleicht kommt das alles nur zu einem falschen Zeitpunkt. Wir haben an einem anderen Punkt, der sicherlich von wesentlich geringerer Bedeutung ist, kurzfristig überlegt, ob es nicht sinnvoll ist, zu breiteren Mehrheiten zu kommen und den Weg für eine große Zustimmung im Haus zu eröffnen. Wenn es nur darum geht, zu verhindern, etwas mit den falschen Mehrheiten auf den Weg zu bringen, werfen Sie bitte Ihr Herz über die Hürde!

Es geht nicht darum, ein Ampelsignal zu setzen. Es geht darum, junge Menschen mit ihren Anliegen ernst zu nehmen und ihnen die Möglichkeit zu Teilhabe und Partizipation in unserer Gesellschaft zu eröffnen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um demokratisches Selbstverständnis. Deshalb werbe ich noch einmal dafür: Stimmen Sie mit uns gemeinsam für die Möglichkeit, dass wir demnächst das Wahlalter ab 16 Jahren einführen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir sind auch für Teilhabe und Partizipation. Wir haben mit diesem und den nächsten sechs Tagesordnungspunkten, bis zum Tagesordnungspunkt 12, Themen zu behandeln, die wir bereits in der Novembersitzung, im Januarplenum und im Märzplenum behandelt haben und zweimal im Hauptausschuss, und zwar zuletzt am 23. März dieses Jahres. Wir haben dieses Thema in der Verfassungskommission lange diskutiert. – Herr Körfges, die Argumente sind in der Tat ausgetauscht worden.

Es geht nicht darum, dass wir nicht mehr Demokratie wagen wollen – im Gegenteil: Wir bieten den Jugendlichen, wo immer es möglich ist, die entsprechenden Beteiligungsmöglichkeiten an.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Pseudopartizipation!)

Was Sie aber zum Teil als wissenschaftliche Ergebnisse dargestellt haben, trifft nicht zu. Wir haben auch im Hauptausschuss mehrfach darauf hingewiesen, dass das Interesse an Politik bei den Sechzehn- und Siebzehnjährigen deutlich geringer ausfällt als bei den Achtzehn- bis Vierundzwanzigjährigen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ja, deshalb!)

Wir haben in Sachsen-Anhalt seit 1999 ein Wahlalter von 16 Jahren bei den Kommunalwahlen. Das Ergebnis kennen Sie, Herr Körfges, und das hätten Sie auch der Vollständigkeit halber sagen sollen. Ergebnis ist, dass die Wahlbeteiligung der Jugendlichen im Durchschnitt niedriger ist als die durchschnittliche Wahlbeteiligung.

Es gibt zahlreiche Studien und Umfragen mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen das Wahlrecht mit 16 Jahren mehrheitlich ablehnen. Wir haben die Shell Jugendstudie aus dem Jahre 2002. Wir haben die Umfrage Grüne Jugend Ost-Alb 2009. Wir haben die forsa-Umfrage 2010. Wir haben eine Umfrage aus Österreich aus 2011. Das Durchschnittsergebnis dieser Umfragen lautet: 52 % dieser Jugendlichen lehnen das Wahlrecht mit 16 Jahren ab. 27 % der Jugendlichen sind dafür und 22,8 % dieser Jugendlichen ist es gleichgültig.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege.

Werner Jostmeier (CDU): Wir haben einen weiteren Punkt. Darf ich den eben zu Ende bringen, Herr Präsident?

Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, bitte.

Werner Jostmeier (CDU): Wir hätten das Auseinanderfallen von aktivem und passivem Wahlrecht. Das ist keine Kleinigkeit. Dann gibt es ein Wahlrecht zweiter Klasse für die Jugendlichen, die nicht gewählt werden können, sondern die nur wählen dürfen.

Wir haben einen weiteren Punkt. Das Strafrecht zieht beim Jugendstrafrecht sehr deutlich eine Grenze bei 18 Jahren. Wir haben das BGB. Nach § 2 BGB beginnt die Volljährigkeit mit dem 18. Lebensjahr.

Herr Körfges, beim Wahlrecht mit 16 Jahren koppeln wir die Rechts- und Lebenswirklichkeit der Jugendlichen von der Institution des Wahlrechtes ab. Wir hätten eine Differenz und einen Konflikt zwischen Wahlrecht auf der einen Seite und den Bürgerrechten und den Bürgerpflichten auf der anderen Seite. In der Verfassungskommission haben wir das Thema 15-mal behandelt. Wir haben neunmal mit den Obleuten diskutiert. Wir hatten in der Verfassungskommission keine Zweidrittelmehrheit. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dann kam hinzu, dass das Wahlalter als Wunsch zur Verfassungsänderung zum Knackpunkt für ein Paket der Verfassungskommission gemacht worden ist. Daran ist es dann gescheitert. Sie wissen ganz genau, dass wir zu einer anderen Regelung hätten kommen können, um das ganze Paket zu retten. Das war von Ihnen nicht gewollt.

(Beifall von der CDU)

Deswegen lehnen wir diese Verfassungsänderung heute ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Jostmeier, ich hätte gern eine Zwischenfrage angefragt. Aber Sie wollten sie nicht, glaube ich.

Werner Jostmeier (CDU): Wenn Sie mögen …

Vizepräsident Oliver Keymis: Doch noch? Gut, also ausnahmsweise. Ich mache das immer so ungern hinterher. – Ausnahmsweise dürfen Sie noch eine Zwischenfrage stellen, Herr Körfges.

Dann bleiben Sie bitte gleich am Pult stehen, Herr Jostmeier, weil Herr Marsching von der Piratenfraktion eine Kurzintervention angemeldet hat.

Zunächst aber die Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Körfges.

Hans-Willi Körfges (SPD): Vielen Dank, Herr Jostmeier, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich habe jetzt die Möglichkeit, zwischen mehreren Frageoptionen zu wählen. Ich möchte nicht nach der Bertelsmann-Studie fragen. Ich frage nur, ob Ihnen bekannt ist, dass nach den jüngsten Erhebungen zur Wahlbeteiligung – insbesondere zur Wahl in Hamburg im Jahre 2015 – deutlich erwiesen ist, dass die Wahlbeteiligung der jungen Menschen von unter 18 Jahren um zehn Prozent höher liegt als in der nächstfolgenden Alterskohorte.

Werner Jostmeier (CDU): Ich streite nicht ab, dass der durchschnittliche Satz in den Wahlen der letzten Jahre gestiegen ist. Aber an den statistischen Ergebnissen, die ich hier vorgetragen habe, ändert das nichts.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank. – Nun die Kurzintervention von Herrn Marsching, dem Vorsitzenden der Piratenfraktion. Bitte schön, Herr Marsching, Sie haben das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Jostmeier, Sie haben gerade festgestellt, weil die Wahlbeteiligung bei den unter 18-Jährigen im Durchschnitt unter dem Gesamtdurchschnitt liegt, lehnen Sie das Wahlrecht für unter 18-Jährige ab 16 Jahren ab.

Wir möchten das gar nicht ändern. Wir möchten nur die Möglichkeit für das nächste Parlament eröffnen. Davon abgesehen frage ich mich zwei Dinge, nämlich erstens, ob die Wahlbeteiligung der Altersgruppen tatsächlich dafür herhalten sollte, wer wählen darf. Eine Studie der Bundeszentrale für politische Bildung zeigt die unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung aller unter 40 Jahren auf. Wenn ich danach gehe, muss ich sagen, jeder unter 40 Jahren darf ab jetzt nicht mehr wählen gehen. Nach Ihrer Logik müssten wir also das Wahlrecht ab 40 Jahren einführen. Dann steigt übrigens auch wieder der Durchschnitt. Damit hätten wir ein Problem.

Stimmen Sie zweitens mit mir überein, wenn ich sage, das Wahlrecht ist ein Recht und keine Pflicht und sollte nicht davon abhängig gemacht werden, ob man von diesem Recht Gebrauch macht?

(Beifall von den PIRATEN)

Werner Jostmeier (CDU): Der Frage zwei stimme ich zu. Zur Frage eins, ob die Beteiligung ein Indiz dafür sein muss: Jeder kann sich an den Wahlen so beteiligen, wie er möchte. Ich habe als Hauptargument vorgetragen, wir möchten mit dem Wahlrecht keine Differenz zu und keine Abkoppelung von den normalen Lebenswirklichkeiten und den rechtlichen Gegebenheiten, die wir unter anderem durch das BGB haben, die wir unter anderem beim Strafrecht haben, die wir unter anderem beim Führerschein haben und die wir unter anderem bei der Wehrpflicht hatten

(Zurufe)

und nun nicht mehr haben.

(Zurufe)

Das sind die Gründe.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber Sie wissen schon, wie viele 17-Jährige zum Bund gehen? Die sind auch nicht alle volljährig!)

Das sind einige der Gründe, warum wir bei unserer Meinung bleiben. Die Verfassung wollen wir aus diesem Grund nicht ändern. Sie hätten eine andere Regelung haben können, Herr Marsching. Sie haben es nicht gewollt,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Sie haben es nicht gewollt! – Michele Marsching [PIRATEN]: Welche denn?)

weil Sie die Verfassungsänderung durchdrücken wollten.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir haben allen Verfassungsänderungen zugestimmt! Allen! – Weitere Zurufe)

Danke.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Jostmeier.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das sind noch nicht einmal mehr Fake-News! Das ist weit weg von allem!)

Als nächste Rednerin kommt Frau Hanses für Bündnis 90/Die Grünen ans Pult.

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute scheint der Tag der großen Danksagungen und der pathetischen Worte zu sein. An diesem Punkt ist bei mir allerdings genau das gegenteilige Gefühl vorherrschend. Ich bin nämlich wütend, sauer, traurig, enttäuscht und entsetzt, dass das an dieser Stelle nicht möglich war.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Wir haben im Nachgang der Verfassungskommission noch einmal hart gerungen, vielleicht auch, um Unterschiede deutlich zu machen. Wir haben insbesondere zur CDU und FDP noch einmal die Hand ausgestreckt, um in diesem anderen Verfahren zu sagen: Wir nehmen das Alter aus der Verfassung heraus, um uns danach über die einfachgesetzliche Regelung im Wahlgesetz zu unterhalten. Diese Hand haben Sie ausgeschlagen, ignoriert, weggewischt – und das auf dem Rücken der Jugendlichen, die für die Zukunft von Nordrhein-Westfalen so wichtig sind. Das ist wirklich bitter.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Diese Enttäuschung, die ich gegenüber CDU und FDP habe, dass Sie das nicht zulassen konnten, müssen Sie auch den Jugendverbänden und den Jugendlichen erklären. Wir wissen, dass beispielsweise die FDP in Schleswig-Holstein eine flammende Fürsprecherin für das Wahlalter 16 ist und das auch mit umgesetzt hat. Und hier in Nordrhein-Westfalen ging da gar nichts.

Ich möchte den Jugendverbänden ausdrücklich danken für die vielen Veranstaltungen, für die Postkartenaktion des BDKJ und für die vielen kreativen Ideen, um auch Jugendliche zu beteiligen und zu animieren, sich in die Diskurse einzubringen. Das war auch für uns sehr hilfreich. Ich hoffe, dass viele von Ihnen das auch angenommen und verfolgt haben.

Deshalb bleibt zum Schluss, noch einmal alle Argumente für das Wahlalter 16 zu nennen.

Herr Jostmeier, Ihre Argumentation ist haltlos. Wir haben eindeutig die Bertelsmann-Studie vorliegen, die deutlich macht: Je früher junge Menschen an Wahlen teilnehmen, in originäre demokratische Beteiligung eingebunden werden, desto nachhaltiger wirkt sich das auf ihre Wahlbeteiligung aus.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Es fragt niemand nach der politischen Bildung der 62- bis 64-Jährigen. Es fragt niemand nach der Wahlbeteiligung der 35- bis 37-Jährigen. Niemanden interessiert das. Aber bei den 16- bis 18-Jährigen möchten Sie das zerfleddern. – Nein, laden Sie diese Menschen mit ein! Sie sind die Zukunft.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kern?

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Natürlich. Wo ist Walter?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Kern, bitte schön.

Walter Kern (CDU): Frau Kollegin, besten Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich weiß nicht, ob Sie an dem Tag gefehlt haben, an dem der Landesjugendrat in einer Anhörung verneint hat, dass das Wahlrecht für 16-Jährige …

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Nein, das haben die nicht gesagt.

Walter Kern (CDU): Sie haben das sehr deutlich gesagt. Ich wollte Sie bitten, das noch mal zu zitieren. Können Sie aus dem Protokoll zitieren, was der Landesjugendrat dort gesagt hat?

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Lieber Walter Kern, selbstverständlich weiß ich, dass sich der Kinder- und Jugendrat NRW als ein Gremium der gewählten Kinder- und Jugendparlamente vor Ort differenziert geäußert hat. Aber der Kinder- und Jugendrat ist kein Jugendverband im originären Sinne der Jugendverbandsarbeit, sondern …

(Zuruf und Widerspruch von der CDU)

– Lasst mich ausreden! – Sie sind natürlich nur ein Teil, weil wir wissen, dass es Kinder- und Jugendräte, Kinder- und Jugendparlamente leider noch nicht in allen Kommunen gibt.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Und das ist ein Wahlrecht, ein mögliches, liebe Freunde!)

Ich würde alle bitten, in Ihren Kommunen dafür zu werben, demokratische Prozesse anzustoßen, damit es mehr Kinder- und Jugendparlamente, mehr Kinder- und Jugendräte und andere Formen der Beteiligung gibt.

Wir wissen aber auch, dass der Vorstand im Kinder- und Jugendrat bunt zusammengesetzt ist und auch politische Positionen vertritt, wie ich es beispielsweise bei den klassischen großen Verbänden der Verbandsarbeit so nicht sehe. Deshalb ist mir deren Stimme auch besonders wichtig. Die Stimme der Jugendverbandsarbeit, die Stimme der Jugendsozialarbeit oder die Stimme der offenen Kinder- und Jugendarbeit ist da sehr eindeutig. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Hanses, vielen Dank. – Wollen Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Körfges annehmen?

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Ja, sehr gern, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Körfges, Sie haben das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ich habe mich erst mal zu bedanken, dass die Zwischenfrage zugelassen wird. – Ich will Sie fragen, ob Ihnen die Stellungnahme des Landesjugendrings NRW zur Anhörung „Rechte von Kindern und Jugendlichen in NRW“ bekannt ist, in der ausdrücklich ausgesagt wird – ich zitiere wörtlich –:

„Die Absenkung des Wahlalters bleibt darüber hinaus deutliche Forderung aller Jugendverbände in NRW und des Landesjugendrings NRW. Wir bedauern ausdrücklich, dass es zurzeit wenig Anlass gibt auf eine entsprechende Änderung zu hoffen.“

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Ja, lieber Kollege Körfges, selbstverständlich ist mir die Stellungnahme bekannt. Ich hatte darauf auch schon hingewiesen.

Ich möchte aber noch ergänzen, dass einige Jugendverbände sogar noch weitergehen. Wahlalter 16 wäre für viele gar nicht weit genug, gar nicht konsequent genug. Wir wissen, dass jetzt viele das Wahlalter 14 und auch wieder neu über das Wahlalter null diskutieren.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Richtig! Ab Geburt!)

Das finde ich spannend.

Deshalb wäre es ein Leichtes gewesen, Herr Witzel, wenn Sie hier dem Wahlalter 16 zugestimmt hätten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Pacta sunt servanda“, in diesem Sinne haben wir vor einigen Monaten das gemeinsam beschlossen, was mit den entsprechenden Mehrheiten zu beschließen war. Ich freue mich sehr, lieber Herr Körfges, dass wir das, was in diesen Teilen enthalten war, am Ende zu 100 % umsetzen.

Es ist nicht gelungen, darüber hinaus Einigung zu erzielen. Es gibt wohl wenige, die das so bedauern wie ich, weil es insgesamt noch ein weiteres und besseres Ergebnis hätte geben können. Dazu gehörte auch das Thema „Wahlalter 16“. Da sind Fakten ausgetauscht worden, und es ist völlig klar, dass man da unterschiedlicher Meinung sein kann. Man kann das politisch wollen. Es gibt aber auch – das ist dargestellt worden – Argumente dagegen.

Das schlechteste Argument ist natürlich, der FDP vorzuwerfen, dass sie an dieser Stelle an irgendeinem Punkte auch schon mal für das Wahlalter 16 war, lieber Herr Körfges.

(Hans-Willi Körfges [SPD] telefoniert.)

Sehr geehrter Herr Körfges! Aber – er hört mir zu! – es gäbe wahrscheinlich auch unzählige Fälle aus meinem 17-jährigen Leben hier im Parlament, bei denen ich festgestellt habe, dass die SPD in Nordrhein-Westfalen etwas ganz anderes beschlossen hat als in anderen Bundesländern und im Übrigen ihre Auffassung auch nicht immer stringent über 16 Bundesländer durchhält.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Das heißt, das ist kein Argument für uns.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir hätten bis zum Schluss, lieber Herr Körfges, gerne das Gesamtpaket verabschiedet. Damit hätten Sie auch Ihr Anliegen verwirklichen können.

(Beifall von Werner Jostmeier [CDU])

Das ist uns leider nicht gelungen. Es wären – ich darf das nur noch mal sagen – im Gesamtpaket spannende Fragen enthalten gewesen, die wir heute noch mal abarbeiten, wie etwa die Individualverfassungsbeschwerde, wie die Schuldenbremse, wie auch die Absenkung der Quoren. All das im Paket wäre sicherlich vernünftigerweise zu regeln gewesen. So ist es schade, dass es nicht zu der Einigung kommt und an dieser Stelle auch nicht zur Einigung bei diesem Thema. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident, Hallo! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche mal, die Meinungen von CDU und FDP irgendwie zusammenzufassen: Alte weiße Männer – verzeihen Sie mir bitte, Herr Jostmeier und auch Herr Dr. Wolf – erklären uns gerade, warum junge Menschen nicht wählen gehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Das finde ich schade, und das finde ich ausgrenzend. Ich finde das ausgrenzend für junge Menschen. Wir wollen genau das Gegenteil erreichen. Wir wollen junge Menschen an Politik teilhaben lassen, wir wollen junge Menschen in die Politik bringen. Und dazu – das muss ich auch ganz klar sagen – reicht es nicht, wenn wir heute einfach sagen würden: Wir nehmen das Wahlalter raus, oder wir senken auf ein Wahlalter 16 ab. Damit ist es ja nicht getan. Das haben wir in der ersten Debatte zu diesem Thema auch schon erwähnt. Dazu gehören weitere Schritte, die gemacht werden müssen. Wir brauchen eine stärkere, eine verbesserte politische Bildung in dem Bereich usw. usf.

Und das, lieber Walter Kern, ist das, worauf sich der Kinder- und Jugendrat bezogen hat. Sie sagen ganz einfach: Natürlich fehlt auf der einen Seite politische Bildung. Aber dahinter können wir uns doch nicht verstecken.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir können doch nicht sagen: Da fehlt irgendwie was, und deswegen geben wir denen nicht das Recht, die heute schon wählen können. Das, lieber Walter Kern, ist an der Stelle tatsächlich inkonsequent.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Düngel, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Haardt?

Daniel Düngel (PIRATEN): Ja, selbstverständlich gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich. – Bitte schön, Herr Haardt.

Christian Haardt (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich habe mit Erstaunen den Eingang Ihrer Rede gehört. Halten Sie altersdiskriminierende Äußerungen für ein gebotenes Stilmittel in der Politik?

(Beifall von der CDU – Zurufe von den PIRATEN)

Daniel Düngel (PIRATEN): Ich sage es mal so, Herr Kollege Haardt: großartige Frage, die Sie mir da stellen. Ne, genau, die finde ich schlimm. Altersdiskriminierung ist schlimm. Und Sie betreiben hier Altersdiskriminierung. Sie wollen nämlich nicht, dass junge Menschen wählen gehen dürfen.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Um es rund zu machen, dass alte weiße Männer … Ich habe das bereits gerade in dem Beitrag gesagt Lieber Kollege Jostmeier, lieber Herr Dr. Wolf, ich bitte das ausdrücklich nicht persönlich zu werten. Das sollte nur darstellen, welche Problematik hier an der Stelle tatsächlich gerade vorliegt.

Herr Jostmeier, dann kommen wieder Begründungen: Geschäftsfähigkeit, Strafmündigkeit, aktives/passives Wahlrecht. Da wird immer alles schön in einen Topf geschmissen, einmal kräftig durchgerührt, und am Ende kommt raus: Ja, die CDU ist gegen Wahlalter 16. – Das macht nur keinen Sinn, ist auch nicht irgendwie argumentativ belegt. Demokratie bedeutet eine gleichberechtigte Mitbestimmung für alle. Und das tun Sie nicht.

Sie haben weder in der Verfassungskommission noch in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf oder heute irgendein stichhaltiges Argument vorgelegt, warum das Wahlalter 16 schlecht ist – kein einziges.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage von Herrn Jostmeier. Würden Sie die zulassen?

Daniel Düngel (PIRATEN): Ja, selbstverständlich, gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Dafür vielen Dank, Herr Düngel. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kollege Dr. Wolf, weißhaarig, dass ich, Jahrgang 1950, ebenfalls weißhaarig, wie Sie das da genannt haben – ob ich das persönlich nehmen muss, weiß ich nicht, ich nehme das mal kollegial, leger, wie Sie es vielleicht gemeint haben – …

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich sehr viele Jahre in der Jugendarbeit tätig war und bin und dass ich mir unter anderem auch als Vater von vier Söhnen durchaus erlauben kann, zu bewerten, ob man ein Argument bei der Frage, Wahlalter 16 ja oder nein, als sachgerecht oder als nicht sachgerecht vortragen darf? Das hat mit meiner Haarfarbe nichts zu tun. Ich darf um Nachsicht bitten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Daniel Düngel (PIRATEN): Ja, das beantworte ich Ihnen gerne. Vielen Dank für die Frage, Herr Kollege Jostmeier.

Zunächst: Ich habe nicht die Haarfarbe oder gar das Alter in Verbindung gebracht mit der fehlenden Argumentation. Sie haben einfach keine Argumentation gegen das Wahlalter 16. Das ist doch nicht mein Problem. Das ist doch Ihr Problem. Das ist Ihr Parteiproblem. Sie haben zwar eine Position gegen das Wahlalter 16, Argumente gleichwohl haben Sie dafür nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Der andere Punkt ist: Ich habe großen Respekt vor jeglichem Engagement. Wer auch immer in Vereinen, in Jugendverbänden oder sonst was macht, das finde ich großartig. Dafür möchte ich Ihnen sehr herzlich danken und bitte Sie auch, das fortzusetzen. Aber sprechen Sie doch weiter mit den Kindern und Jugendlichen, wie die das Thema tatsächlich sehen. Vielleicht nehmen Sie auch mal jemanden mit in so eine Diskussionsrunde mit, der eine andere Position vertritt.

Meine Erfahrung ist die von Podiumsdiskussionen, von Gesprächen mit Jugendlichen, auch mit Kolleginnen und Kollegen, die die Wahlalterabsenkung eben schlecht finden: Am Ende sind wir meistens bei einer sehr progressiven Herangehensweise, dass dann am Ende alle an einem Tisch sitzen und sagen: Ein Wahlalter 16 oder vielleicht sogar 14 ist eigentlich eine ganz gute Sache.

Der letzte Hinweis: Ich kenne Ihre Kinder persönlich nicht, Herr Jostmeier. Vielleicht können wir uns ja mal an einen Tisch zusammensetzen. Mich würde die Meinung Ihrer Kinder sehr interessieren. Die Möglichkeit hatte ich bislang nicht.

Dann wird immer gesagt – ich habe es vorhin schon ausgeführt –, politische Bildung muss natürlich gestärkt werden. Gar keine Frage. Dann wird immer gesagt: Jugendliche sind ja nicht reif zum Wählen. – Ich will mal eines sagen: Die Jugendlichen, die jungen Menschen sind nicht diejenigen, die Nazis in die Parlamente wählen. Da scheint das Begreifen von Politik manchmal viel ausgeweiteter zu sein als bei vielen Menschen, die über 18 Jahre alt sind.

Dann wird immer auf dem Alter 16 herumgeritten. Ich habe das in meiner ersten Rede schon gesagt. Der durchschnittliche Erstwähler, wenn wir das Wahlalter auf 16 Jahre herabsenken, wird dann 18,5 Jahre alt sein. Es ist nicht so, dass dann plötzlich nur noch 16-Jährige wählen, die das erste Mal an die Wahlurne treten dürfen. Das Durchschnittsalter würde von 20,5 auf 18,5 gesenkt werden. Herr Körfges hat es passend gesagt: Mehr Demokratie wagen, ohne eigentlich was zu wagen. – Denn es ist gar kein Risiko, das wir hier eingehen. Da passiert überhaupt nichts. Ganz im Gegenteil: Wir eröffnen großartige Möglichkeiten für junge Menschen, sich wirklich an Politik zu beteiligen.

Und wir sehen das doch immer wieder. Wir haben hier im Landtag das hervorragende Konzept eines Jugendlandtags, nur ist der Jugendlandtag weiß Gott kein Instrument wirklicher politischer Beteiligung. Nichtsdestotrotz: Beim Jugendlandtag sind es immer drei großartige Tage. Ich habe in den letzten Jahren immer versucht, sehr viel Zeit mit den Jugendlichen meiner bzw. unserer Fraktion zu verbringen. Die politischen Diskussionen, die da geführt werden, waren häufig deutlich besser, als ich sie teilweise hier in den Ausschüssen erlebt habe,

(Beifall von den PIRATEN)

weil da viel sachorientierter, viel objektiver diskutiert wird, und am Ende wird eine Entscheidung getroffen. Wenn Sie sich diesen Jugendlandtag einmal anschauen, dann stellen Sie fest: Da entscheiden samstags in der Plenarsitzung FDP-Vertreter mit Grünen, mit Piraten, und sie finden dann noch bei einem Teil der SPD Jugendliche bzw. junge Menschen, die zu einer Mehrheit beitragen, um letztendlich ein Thema zu verabschieden. – Das ist Politik, wie ich sie mir vorstelle, das ist sachorientierte, objektive Politik. Das ist Politik, wie wir Piraten uns das vorstellen.

(Zuruf von der CDU)

Deswegen haben wir uns heute explizit dafür eingesetzt, dass wir namentlich abstimmen. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die Gelegenheit geben, die wenigen Stimmen beizutragen, die dieser wichtige Verfassungsgesetzentwurf noch braucht. Das dürften zwölf, 13 Stimmen sein, die aus Ihren Reihen noch benötigt werden. Geben Sie sich selber einen Ruck, stimmen Sie für diesen Gesetzentwurf! Machen Sie einfach das, was viele von Ihnen draußen bei Podiumsdiskussionen mit jungen Menschen sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Nun spricht Herr Schulz, fraktionslos.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Danke schön. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuschauerinnen und Zuschauer, insbesondere die ganz jungen hier im Saal! Die Öffnung durch dieses Verfassungsänderungsgesetz ist zugleich eine Öffnung als Gegengewicht zum demografischen Wandel. Es ist nicht für oder gegen Altersfragen. Das sollte hier, zumindest was die älteren Semester angeht, überhaupt kein Thema sein. Es geht hier ja um die jungen Menschen.

Die Grundüberlegung des Verfassungsänderungsentwurfs ist begrüßenswert. Der Vorstoß – Herr Kollege Körfges hat das eben schon gesagt – wagt aber nichts. Das hat einen Grund, denn er soll ja mit der einfachgesetzlichen Regelung später einmal auf das Wahlalter 16 heruntergebrochen werden, sodass hier nur unterstützenswert sein kann, die Verfassung in der Form zu ändern, wie es hier vorgesehen ist.

Dazu bedarf es keines Mutes, aber es bedarf vielleicht des politischen Mutes oder des parlamentarischen Mutes Einiger hier im Hause, einfach mal den Weg nach vorne zu beschreiten, der gerade auch durch die jungen Menschen im Lande beschritten wird. Ich erinnere nur an die Brexit-Geschichte, bei der wir alle wissen, dass die jungen Menschen für Europa waren und die älteren dagegen. Nehmen Sie das nur einmal als Beispiel.

Herr Kollege Jostmeier, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich bin erstaunt über die Argumentation, die Sie hier angebracht haben, insbesondere zwei Punkte betreffend. Erstens. Es sei ein geringes Politikinteresse bei den jungen Menschen, insbesondere bei denen zwischen 16 Jahren und 17 Jahren und elf Monaten, vorhanden. Alle, die wir hier sitzen, kennen den Jugendlandtag. Er wird bejubelt und bestaunt, und alle äußern sich voll des Lobes über die jungen Menschen zwischen 16 und 18 Jahren, die aktiv am politischen Leben in diesem Hause teilnehmen, und zwar in der Rolle von Abgeordneten. Das wäre die Frage des passiven Wahlrechts. Sie haben darüber hinaus unterschieden und gesagt, das gehe ja nicht, ein aktives Wahlrecht mit 16, aber dann kein passives Wahlrecht mit. Schauen Sie doch einmal in die Kommunen, in denen Sie alle in den Räten sitzen. Sie lassen sich doch alle in den Kommunen von 16-Jährigen mit in die Räte wählen!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Warum sollte auf Landesebene etwas anderes gelten als das, was in den Kommunen von Ihnen sehr wohl begrüßt wird. Ich bin da ganz bei der Werbung des Kollegen Daniel Düngel: Vielleicht sollte der eine oder andere von Ihnen einmal über den eigenen Schatten springen und das Auseinanderfallen von aktivem und passivem Wahlrecht durchaus vor dem Hintergrund Ihrer kommunalen Verankerung ins Kalkül nehmen.

Wir wissen doch alle: Landtag und Kommunen arbeiten verschränkt miteinander – zusammen, nicht gegeneinander. Es spricht doch alles dafür, dieselben Menschen, die in den Kommunen wählen, auch auf Landesebene wählen zu lassen.

Abgesehen davon, als letztes Wort: Ja, die jungen Menschen mit 16 und 17 wählen zu lassen, wäre auch – und das zeigen zahlreiche Erhebungen – ein deutliches Signal gegen Rechts! Das sollten Sie bitte auch bei Ihren Überlegungen berücksichtigen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Wir haben keine Meldung mehr, Herr Dr. Wolf. Sie wollen noch einmal sprechen? Die Gelegenheit hätten Sie jetzt.

(Dr. Ingo Wolf [FDP]: Nach dem Minister!)

– Nach dem Minister möchten Sie reden? Dann wären Sie am Schluss dran. Wenn Sie das wollen, können wir das gerne machen.

Zunächst spricht für die Landesregierung der Innenminister Ralf Jäger. Dann hat sich Herr Dr. Wolf für die FDP-Fraktion noch einmal zu Wort gemeldet. – Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumente sind ausgetauscht. Das Parlament hat heute eine sehr seltene Gelegenheit: Politik zu machen – mal nicht abstrakt, mal nicht verklausuliert, mal nicht kompliziert, mal nicht unverständlich, sondern ganz konkret und ganz unmittelbar, und zwar zur Frage: Erlauben wir Menschen ab 16 Jahren, bei der Landtagswahl wählen zu gehen, oder erlauben wir es ihnen nicht?

Die Fraktionen von SPD, Grünen und Piraten sagen: Ja. Ich finde, aus gutem Grund! Der beste Grund lautet: Die Absenkung ist der ausdrückliche und nachdrückliche Wunsch der Mehrheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen. Es gibt für dieses Vorhaben eine breite Unterstützung; das hat auch der Bericht der Verfassungskommission festgestellt.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ein weiterer Grund ist: Junge Menschen sind heute einfach weiter als die meisten von uns in unserer eigenen Jugend,

(Zurufe von der CDU)

gerade dann, wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, sich eine Meinung zu bilden und diese Meinung auch selbstbewusst zu vertreten. Aus eigener familiärer Erfahrung kann ich berichten, meine Damen und Herren: Das ist so. Das kann auch sehr anstrengend sein.

Weitere Gründe, meine Damen und Herren, sind, dass wir die Grenze von 16 Jahren bereits bei den Kommunalwahlen haben und damit gute Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen gemacht haben, oder aber, dass andere Bundesländer bei Landtagswahlen bereits weiter sind als wir hier in Nordrhein-Westfalen.

Ich weiß, dass in der Verfassungskommission von Kritikern die Auffassung vertreten wurde, das Interesse der Altersgruppe sei nur gering. Diese Auffassung kann man haben. Aber genauso gut, meine Damen und Herren, kann man sich fragen: Woran liegt das eigentlich? Vielleicht daran, dass diese Personengruppe überhaupt keinen Grund hat, sich mit den Themen der Landespolitik zu beschäftigen, weil sie faktisch ausgeschlossen ist, daran aktiv teilzunehmen?

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, Sie haben heute die Chance, diesen Menschen eine aktive Teilhabe an der Demokratie in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen. Deshalb sollten Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Nun spricht für die FDP noch einmal Herr Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte zunächst die Hoffnung, dass wir das in einem etwas kürzeren Verfahren durchkriegen, weil die Abstimmungsmehrheiten ja von vorneherein klar waren. Es ist aber noch einmal zu einer intensiveren Debatte gekommen. Deswegen will ich noch einmal sagen: Es ist nicht so, dass man nicht hätte zu einer Einigung kommen können auch noch einmal in den letzten Wochen und Monaten, und zwar über das Gesamtpaket. Dann wären, glaube ich, alle Beteiligten in der Lage gewesen, auch an dieser Stelle über die Hürde zu springen, weil ja jeder an irgendeinem Punkte auch etwas noch im Skat hatte. Das ist nun leider nicht geschehen.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist doch genau die Art der Politik, die die Leute nervt, Herr Wolf!)

– Als ob Sie nicht seit vielen Jahren wüssten, wie das Geschäft läuft, dass man natürlich Mehrheiten haben muss und dass das eben auch aus Geben und Nehmen besteht. Insofern ist es traurig.

(Jochen Ott [SPD]: Es geht doch um junge Leute und nicht um Geben und Nehmen!)

– Wenn Sie noch Redezeit hätten, könnten Sie auch sprechen.

In der Sache selber will ich einfach nur noch einmal sagen – ich habe es ja klargemacht –: Man kann dem politisch nähertreten. Es gibt aber auch gute Gründe, den Gleichklang von Pflichten und Rechten, so wie er vorgesehen ist, beizubehalten, dass derjenige, der 18 Jahre alt ist und erst dann entsprechende Pflichten hat, auch dann erst Rechte bekommt. Wenn man das trennen will, dann muss das politisch eben mehrheitsfähig sein. Das ist hier nicht der Fall.

Lassen Sie uns an dieser Stelle sagen, dass wir trotzdem in der Verfassungskommission ein beachtliches Ergebnis hinbekommen haben. Es hätte natürlich noch ein bisschen schöner werden können. Aber hierfür sind die Mehrheiten eben jetzt nicht zu bekommen. Dann muss das auch so abgestimmt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. Das parlamentarische Leben ist bunt. Es gibt zwei angemeldete Kurzinterventionen, Herr Dr. Wolf, zu Ihrem Redebeitrag. Sie sehen, so ist das auch nach 17 Jahren noch. Es ist immer was los.

Herr Sommer von den Piraten hat für seine Kurzintervention das Wort.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Um das noch einmal etwas deutlicher zu sagen, was Sie gerade sehr verklausuliert gesagt haben, Herr Dr. Wolf: „Das Eine geht nur mit dem Anderen“ meint, Sie würden einer Absenkung des Wahlalters nur dann zustimmen, wenn hier die anderen Fraktionen einer besonderen Stellung der Schuldenbremse in der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und weiterer gesetzlicher Ausgestaltung zustimmen würden. Mit anderen Worten: Wir tauschen hier die Schuldenbremse mit dem Wahlrecht, was eigentlich jeder ab 16 hier haben dürfte. Das ist unsäglich! Das ist keine Politik, wie wir sie hier in diesem Land machen wollen! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Dr. Ingo Wolf (FDP): Auch wenn ich nur schwerlich eine Frage darin entdecken kann, will ich gerne trotzdem dazu Stellung nehmen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist eine Kurzintervention! Da muss man keine Frage stellen!)

Wir haben über mehrere Jahre in der Verfassungskommission gearbeitet. Mit dem gleichen Impetus, mit dem Sie jetzt beklagen, dass es nicht zum Wahlrecht mit 16 kommt, könnte ich hier auch sagen, dass das rechtsstaatliche Instrument der Individualverfassungsbeschwerde auch nicht kommen wird,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wir stimmen zu!)

weil eben mit den gleichen Argumenten SPD und Grüne dies ablehnen, weil es nicht im Korb vereinbart ist. So ist das Leben. Ich sehe die Zustimmung vom Kollegen Lienenkämper. Ich weiß, wir haben alle in stundenlangen Verhandlungen gesagt: Wir haben einen politischen Korb mit im Wesentlichen vier großen Punkten, die im Übrigen, Herr Sommer,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Aber den haben wir jetzt nicht mehr! Es gibt keinen Korb mehr!)

alle auch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun haben. Wie die Frage mit dem Wahlrecht mit Demokratie zusammenhängt, hängen auch die anderen Dinge mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zusammen. Alle vier Sachen gemeinsam, nicht isoliert die Schuldenbremse, nicht isoliert die Quorenveränderung, sondern alles zusammen sollte in einen Korb. Es ist letztendlich an der Frage gescheitert, wann die einfachgesetzliche Regelung Wahlalter 16 denn möglicherweise zu einer Umsetzung kommen könnte. Das ist letztendlich von Ihnen, Herr Körfges, und auch von den Grünen so entschieden worden. Das respektiere ich, dass Sie das damals so nicht wollten. Damit ist es nicht gekommen. Ein politischer Korb aus vier Punkten

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

ist deswegen nicht zu einer Umsetzung gekommen, und es ist bedauerlich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Wolf, die zweite Kurzintervention ist von Herrn Körfges von der SPD-Fraktion angemeldet worden. – Bitte schön.

Hans-Willi Körfges (SPD): Lieber Herr Kollege Dr. Wolf, ich bin einigermaßen entsetzt darüber, dass Sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass wir an der Stelle ganz genau diese unsägliche – ich hätte beinahe etwas Schlimmeres gesagt – Verknüpfung, die zum Scheitern wesentlicher Inhalte geführt hat, aufheben wollen. Wir wollen jetzt genau das tun,

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Michele Marsching [PIRATEN])

was Sie von uns verlangt haben und was nachher dann – ich will hier keine Geschichtsklitterung durchgehen lassen – an Ihnen gescheitert ist. Wir wollen jetzt nur die Möglichkeit eröffnen, dass es einfachgesetzlich geregelt werden kann.

Dann will ich noch mit ein paar anderen Dingen aufräumen. Sie haben eben „Strafmündigkeit“ gesagt. Ich sage Ihnen nur einfach mal so von Kollege zu Kollege: Die beginnt bei uns mit 14 Jahren. Wir verlangen Menschen mit 16 Jahren wesentliche Entscheidungen für ihr weiteres Leben ab. Die Menschen mit 16 Jahren dürfen bei Kommunalwahlen an den Wahlen teilnehmen. Wir verhindern an der Stelle mehr demokratische Legitimation, mehr Partizipation, und das alles nur, weil Sie meinen, Sie als FDP hätten nicht genügend Gegenleistung bekommen.

Ich darf Ihnen noch eins mit auf den Weg geben: Ich glaube, dass das gar nicht an der Verknüpfung hängt. Nach meiner tiefen Überzeugung hängt es daran, dass die FDP es im Augenblick aus taktischen Gründen nicht über das Herz bringen kann, auch einmal etwas gegen die CDU zur Abstimmung zu bringen; denn ansonsten wäre ihr internes programmatisches Verhalten und ihr tatsächliches Verhalten hier nicht miteinander in Einklang zu bringen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Dr. Wolf, Sie haben das Wort.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Hochgeschätzter Kollege Körfges, zunächst einmal darf ich festhalten, dass ich das Wort „Strafmündigkeit“ gar nicht in den Mund genommen habe.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Es wird nicht besser!)

Das hat der Kollege Jostmeier vorhin gesagt.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das sagt Kollege Lindner ständig!)

Ich könnte allerdings darauf antworten, dass wir als Juristen trotz der sehr frühzeitigen Strafmündigkeit in praxi wissen, dass selbst bei Tätern zwischen 18 und 21 gerne noch das Jugendstrafrecht angewandt wird und kein Erwachsenenstrafrecht.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Angewandt werden kann!)

Aber diese Fachdiskussion gehört sicherlich nicht hierher. Glauben Sie mir bitte eins – und ich habe vorhin das Wort „Pacta sunt servanda“ an den Anfang gestellt –: Es ging zu jeder Zeit um ein Gesamtpaket.

(Jochen Ott [SPD]: Billige Flucht aus der Verantwortung!)

Das ist keine Frage der Eigenständigkeit von Parteien, sondern es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der Personen

(Zuruf von der SPD: Eben!)

und auch der Glaubhaftigkeit von Aussagen. Wir haben von Anfang an gesagt: wenn, dann alles. – Und dazu waren wir bis zum letzten Moment bereit. Dazu ist es leider nicht gekommen.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Politik zum Abgewöhnen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Kuhhandel!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in der Drucksache 16/14679, den Gesetzentwurf Drucksache 16/13313 Neudruck unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung in der zweiten Lesung über den Gesetzentwurf mit der Drucksache 16/13313 Neudruck selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf noch darauf hinweisen, dass für die Annahme des Gesetzentwurfs in zweiter Lesung gemäß § 43 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, aber auch ausreichend ist. Das Quorum der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder des Landtags gemäß Art. 69 Abs. 2 unserer Landesverfassung ist erst für eine Annahme des Gesetzentwurfs in dritter Lesung erforderlich.

Also stimmen wir in zweiter Lesung ab so wie gerade vorgetragen. Wer stimmt dieser Drucksache, dem Gesetzentwurf selbst zu? – SPD, Grüne, die Fraktion der Piraten und Herr Schulz, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf in der Drucksache 16/13313 Neudruck in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.

Die Fraktionen haben nun vereinbart, die dritte Lesung durchzuführen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Den sehe ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf die dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der Piraten. Nochmals: Es geht um die Drucksache 16/13313 Neudruck „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“. Ich darf auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Hauptausschusses Drucksache 16/14679 zur zweiten Lesung hinweisen. Eine Aussprache ist in der dritten Lesung nicht vorgesehen. Kommen wir also unmittelbar zur Abstimmung. Ich weise vor der Abstimmung darauf hin, dass der Abgeordnete Höne der Fraktion der FDP gemäß § 47 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung dem Sitzungsvorstand eine kurze schriftliche Begründung zu der Abstimmung überreicht hat. Dies wird in das Plenarprotokoll aufgenommen.

Nun stimmen wir ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/13313 Neudruck in der Fassung nach der zweiten Lesung. Da das Beratungsverfahren hiermit abgeschlossen wird, handelt es sich um eine Schlussabstimmung nach § 76 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung. An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass nach Art. 69 Abs. 2 unserer Verfassung für eine Verfassungsänderung die Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder des Landtags, also von mindestens 158 Abgeordneten, erforderlich ist.

Die Fraktion der Piraten hat gemäß § 44 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung zu dem Gesetzentwurf beantragt. Nach Abs. 2 dieses Paragrafen erfolgt die namentliche Abstimmung durch Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben bei Namensaufruf mit „Ja“ oder „Nein“ zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten.

Ich darf nun Herrn Kollegen Nückel bitten, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf erfolgt. [Abstimmungsliste siehe Anlage 2])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wir haben noch einige offene Voten. Deshalb ist Herr Kollege Nückel so nett und ruft die Namen der Kollegen, deren Votum wir noch nicht haben erfassen können, noch einmal auf. – Bitte, Herr Kollege.

(Die betreffenden Abgeordneten werden noch einmal aufgerufen.)

Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob ein Kollege seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich bitte um Entschuldigung, dass sich das Ganze etwas verzögert. Ein Teil des Problems ist, dass nicht alle entschuldigten Kollegen auch in den Listen der Schriftführer enthalten sind. Deshalb fragen wir im Zweifel lieber noch einmal nach.

Ich hoffe, dass wir jetzt alle Voten haben aufnehmen können. Dennoch frage ich der guten Ordnung halber, ob irgendein Kollege die Befürchtung hat, dass sein Votum noch nicht registriert worden ist. – Dem ist offenbar nicht so. Auch wir sind der Auffassung, dass alle Voten ordnungsgemäß notiert worden sind. Deshalb schließe ich die Abstimmung, und ich bitte die Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen.

(Die Auszählung erfolgt.)

Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekanntgeben. Ihre Stimme abgegeben haben 206 Abgeordnete. Mit Ja votierten 135 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein 71. Kein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten.

Im Einvernehmen mit den Schriftführern stelle ich gemäß § 46 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung ausdrücklich fest, dass nicht die erforderlichen zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder des Landtags dem Gesetzentwurf Drucksache 16/13313 – Neudruck – in der Fassung nach der zweiten Lesung zugestimmt haben. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/13313 – Neudruck – in dritter Lesung abgelehnt.

Ich schließe die Beratung zu TOP 7 und rufe auf:

8  Gesetz zur Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13113

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14681

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Müller-Witt das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als zweitem der übrig gebliebenen Themen aus der Verfassungskommission befassen wir uns in dieser Plenarsitzung mit einem Gesetzentwurf der FDP zur Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen.

Welche Bedeutung diesem Thema in der Verfassungskommission beigemessen wurde, ist aus der Tatsache abzulesen, dass hierzu ein Symposium stattgefunden hat. Das Symposium hatte den Untertitel „Schließung einer Rechtsschutzlücke oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – Perspektiven der Landesverfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen“. Allein der Untertitel weist schon auf mögliche Pro- und Kontra-Positionen hin.

Es liegt auf der Hand, angesichts der durch die Föderalismusreform gewachsenen Kompetenzen der Länder darüber nachzudenken, ob aufgrund der erweiterten überschießenden Grundrechte eine Individualverfassungsbeschwerde auch in Nordrhein-Westfalen eingeführt werden sollte. Dies wurde auch von Prof. Sachs zum Ausdruck gebracht, der allenfalls ein Bedürfnis mit Blick auf die im Grundgesetz nicht vorgesehenen Grundrechte unserer Landesverfassung sieht. Diese sind in Nordrhein-Westfalen im Gegensatz zu Bayern im Wesentlichen auf einen überschaubaren Bereich begrenzt.

So stellt sich also die Frage, ob es notwendig ist, hierfür eine Individualverfassungsbeschwerde einzuführen. Im Endeffekt muss die Frage gestellt werden, ob eine Rechtsschutzlücke besteht oder nicht.

Wie schon mein Kollege Sven Wolf im November vergangenen Jahres bei der Einbringung des Gesetzentwurfs betont hat, gibt es natürlich auch jetzt schon die Möglichkeit, dass sich die Bürger, die sich durch eine Entscheidung dieses Hohen Hauses in ihren Grundrechten verletzt fühlen, an Karlsruhe oder auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Außerdem sind alle Richterinnen und Richter und alle Fachgerichte unseres Landes generell verpflichtet, Grundrechtsfragen zu berücksichtigen.

Was spricht nun für die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde und was dagegen? Dafür spricht – wie schon ausgeführt –, dass zusätzlich zu den aus dem Grundgesetz übernommenen Grundrechten die nordrhein-westfälische Verfassung über einen Katalog dem Recht des Landesverfassungsgebers entsprechend erweitert worden ist. Dagegen lässt sich anführen, dass gegenwärtig keine Rechtsschutzlücke besteht, aber auch, dass es durch die Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zu Doppelstrukturen kommen kann. Zusätzlich kann die Frage aufgeworfen werden, ob die Individualverfassungsbeschwerde zu einer Verdrängung von Rechtswegen führt oder ob man vielmehr eine frühzeitige Rechtswege-Erschöpfung mit dem neu implementierten Rechtsmittel erzeugt.

Schließlich – und auch das wurde im Rahmen des Symposiums thematisiert – ist es auch recht und billig, die Frage nach dem zusätzlich verursachten Aufwand in der Justiz durch das neue Rechtsmittel zu stellen. So wurde mehrfach betont, dass das Landesverfassungsgericht in seiner jetzigen Form kaum in der Lage sein würde, die zu erwartende Zahl an Individualbeschwerden ohne eine Anpassung an die neue Situation zu bewältigen. Dieser Aufwand muss dem vom Beschwerdeführer erzielbaren Nutzen gegenübergestellt werden.

Schlussendlich kommt die SPD-Fraktion zu dem Ergebnis: Die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde ist nicht grundsätzlich abzulehnen, aber es sollte darüber nachgedacht werden, die Zugangsvoraussetzungen so wie beispielsweise in Baden-Württemberg und beim Bundesverfassungsgericht auszugestalten. Dies ist im Gesetzentwurf nicht vollständig und nicht konsequent umgesetzt worden.

Danach würde die Landesverfassungsbeschwerdebefugnis entfallen, wenn parallel Bundesverfassungsbeschwerde erhoben worden ist oder während der Anhängigkeit der Landesverfassungsbeschwerde noch erhoben wird. Ohne diese Einschränkungen ist nach unserer Auffassung die Individualverfassungsbeschwerde nicht einzuführen. Außerdem sollte sie nicht einfachgesetzlich, sondern über eine Verfassungsänderung implementiert werden.

Deswegen lehnen wir den FDP-Gesetzentwurf ab.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Jostmeier das Wort.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vieles von dem, was gerade von der Kollegin vorgetragen wurde, könnte ich, was die Rechtszusammenhänge betrifft, wiederholen.

Eine Rechtsschutzlücke besteht in der Tat nicht, weil nach Artikel 93 Abs. 1 des Grundgesetzes die Individualmöglichkeit vorhanden ist. Wir hatten in der Diskussion vorher deutlich gemacht, dass es uns ganz wichtig ist, dass wir eine klare, formale und saubere Abgrenzung zwischen den Landes- und den Bundesverfassungsbeschwerden hinbekommen und vor allen Dingen bei den zulässigen Prüfungsgegenständen die Subsidiarität sauber definiert wird. Das scheint mir nicht in einem Maße gewährleistet zu sein, dass wir dem zustimmen könnten.

Wir werden uns hier als CDU enthalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Hanses.

Dagmar Hanses*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns schon bei der Einbringung ausgetauscht und signalisiert: Wir wären da offen gewesen. Es gibt durchaus gute Gründe, zu sagen: Wenn es denn dazu beiträgt, dass die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit Nordrhein-Westfalen und damit auch mit der Verfassung von Nordrhein-Westfalen gestärkt wird, dann hätte man zusammenkommen können.

Bei der Einbringung haben wir aber auch schon deutlich gemacht, dass Sie selbstverständlich definieren müssen, was denn die überschießenden Rechte im Verhältnis zum Grundgesetz sind. Sie hätten die Rechtsfolgen definieren müssen, und vor allen Dingen: Sie hätten mit uns sprechen sollen.

Das, was Herr Kollege Dr. Wolf eben zum Wahlalter gesagt hat, war für mich schon schwer zu ertragen.

(Dr. Ingo Wolf [FDP]: Was denn?)

Sie haben es so dargestellt, als sei das ein Angebot gewesen. Es war aber keins, wenn überhaupt, war es ist ein vergiftetes Angebot. Alle Sachverständigen in der Verfassungskommission haben sich weitgehend skeptisch zur Einführung der Individualverfassungsbeschwerde geäußert. Wir haben trotzdem Gesprächsbereitschaft signalisiert; es ist aber nichts umgesetzt worden. Das ist wirklich schade.

Tatsächlich besteht keine Rechtsschutzlücke; denn wir haben den umfassenden Rechtsschutz, die Grundrechte, im Grundgesetz verankert. Da gibt es die individuelle Beschwerdemöglichkeit beim Bundesverfassungsgericht. Wir haben also einen grundsätzlichen Rechtsschutz für alle Bürgerinnen und Bürger. Wenn Sie einen neuen Schritt gewollt hätten, hätten Sie auf uns zugehen sollen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Wolf das Wort.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn das Plädoyer der Vorredner von SPD und Grünen nur halbwegs so engagiert gewesen wäre wie beim Punkt „Wahlalter 16“, hätte ich mich gefreut.

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Hier geht es um einen Rechtsbehelf für alle Bürgerinnen und Bürger, nicht nur ausschließlich für eine Gruppe. Das heißt, das ist ein Rechtsbehelf, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten absolut wichtig und richtig ist.

(Beifall von der FDP und den Piraten)

Für den Kollegen Körfges, der ja immer gerne darauf verweist, wie es denn woanders gehandhabt wird, darf ich ganz unauffällig darauf hinweisen, dass elf von 16 Bundesländern eine solche Individualverfassungsbeschwerde haben. Es ist also nicht so, dass wir mit dieser Entscheidung allein auf weiter Flur wären – im Gegenteil.

Die Frage nach der Rechtsschutzlücke haben Sie in minimalistischer Weise zu beantworten versucht. Ganz evidentermaßen, liebe Frau Hanses, ist das Thema „Wahlrechtsüberprüfung“ an dieser Stelle nicht vom Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Das wäre in der Tat eine Rechtsschutzlücke, die wir hier haben. Wir haben aber darüber hinaus auch gesagt, einem großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen stünde es gerade auch im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut an, Grundrechtsverstöße durch Landesrecht hier überprüfen zu lassen.

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Wir haben keine uferlose Individualverfassungsbeschwerde vorgeschlagen, sondern eine, die sehr wohl auf Rechtsverstöße begrenzt ist, die durch Landesrecht ins Spiel gebracht werden können.

Wir haben darüber hinaus das Thema „Subsidiarität“, das die Kollegin von der SPD angesprochen hat, natürlich auch gesehen. Wenn Sie in da einen Änderungsantrag zu einer noch stringenteren Subsidiarität hätten stellen mögen, wären wir sicherlich offen gewesen.

Wir haben zudem – auch um die Belastungsfragen, Herr Körfges, in Grenzen zu halten –, sehr wohl gesagt: Wenn, dann muss ein ordentliches Vorprüfungsverfahren vorgeschaltet werden. Der Vergleich mit anderen Bundesländern zeigt, dass es keine Überschwemmung mit solchen Individualverfassungsbeschwerden gibt. Das zeigt die Erfahrung.

Ich halte dafür, dass wir diese Möglichkeit auch in unserem Bundesland eröffnen, sehe aber natürlich auch, dass die Mehrheiten hierfür aufgrund der Theorie „Alles hängt mit allem zusammen“ und „Der Korb wird nicht geschlossen“ nicht gefunden werden können.

Ich bedaure das, genauso wie Sie an anderer Stelle andere Dinge bedauert haben. Jeder hat sicherlich ein eigenes Thema, das für ihn ganz besonders wichtig ist – dies war unseres. Ich bin sehr traurig, dass es nicht zur Umsetzung gelangt. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Kollege Dr. Wolf. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Es ist schwierig, jetzt nach Ihnen zu sprechen, Herr Dr. Wolf. Mit Blick auf den letzten Tagesordnungspunkt erinnere ich daran, dass Sie es waren, der damals gesagt hat, alles hänge mit allem zusammen.

Damit und auch mit der Argumentation zum letzten Tagesordnungspunkt verhindern Sie, dass wir jetzt über einzelne Punkte reden können, so gerne ich es auch gesehen hätte, dass wir die Dinge, bei denen wir unstrittig sind – gleich kommen ja noch ein paar –, vernünftig einzeln beraten können. Dadurch, dass Sie eingeführt haben, dass alles mit allem zusammenhänge, wird jedoch verhindert, dass die unstrittigen Punkte einzeln abgestimmt werden können. Schade eigentlich.

Habe ich eigentlich schon den Präsidenten gegrüßt? Im Zweifel mache ich es noch einmal.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann machen Sie es im Zweifel noch mal.

Michele Marsching (PIRATEN): Dann mache ich es im Zweifel noch mal.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bürgerrechte waren und sind für uns Piraten mit das wichtigste Thema. „Freiheit“ ist ein Schlagwort, das von allen Parteien gerne und oft in Interviews, Talkshows und vor allem im Wahlkampf genutzt wird. Freiheit ist im Staat und in der Gesellschaft jedoch leider immer gefährdet, und sie muss täglich neu – vor allem von uns Politikern, von der Regierung und von den Bürgern – beachtet, beherzigt und verteidigt werden.

Letztlich muss sie rechtlich gewährleistet werden. Wir müssen sie institutionell sichern. Die rechtliche Gewährleistung und die institutionelle Sicherung sind zwei Seiten derselben Medaille „Bürgerrechte“. Die Landesverfassung garantiert Bürgerrechte. Sie sagt in Art. 4 Abs. 1, der die Grundrechte des Grundgesetzes übernimmt, aber auch in den nachfolgenden Bestimmungen einiges darüber aus.

Dagegen aber sticht ins Auge, dass es keine institutionelle Sicherung der Grundrechte bei Bürgerfreiheiten in Nordrhein-Westfalen gibt. Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen ist ein Staatsgerichtshof, der ganz überwiegend mit Klagen der Gemeinden sowie mit Klagen der Abgeordneten und Fraktionen des Landtags befasst ist.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in dieser Wahlperiode hinlänglich mit der Frage der Einführung der Individualverfassungsbeschwerde befasst. Wir Piraten haben dieses Thema bereits bei der Einsetzung der Verfassungskommission auf die Agenda setzen lassen. Der Kollege Sommer und ich haben in den Beratungen und in der Debatte kein überzeugendes Argument vernehmen können, warum man den Bürgerinnen und Bürgern hier dieses Recht verweigert, sich vor dem Verfassungsgerichtshof gegen mögliche Verletzungen der eigenen Grundrechte zu wehren.

Ich möchte vor allen Dingen noch einmal daran erinnern, dass wir vor Kurzem das 70. Landesjubiläum in Nordrhein-Westfalen gefeiert haben. Nordrhein-Westfalen ist ein Teilstaat der Bundesrepublik mit eigener Gesetzgebung, eigener Exekutive und eben auch eigener Rechtsprechung. Das Bild eines eigenständigen Teilstaats aber ist leider unvollkommen, wenn Nordrhein-Westfalen über keine vollwertige Verfassungsrechtsprechung verfügt. Daher unterstützt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der FDP und wird ihm zustimmen.

Sehr schade finde ich – damit komme ich auf meine Eingangsworte zurück –, dass ich jetzt weder von der SPD noch von den Grünen gehört habe, dass man so ganz dagegen sei. Man ist auch nicht ganz dafür. Smartgerechte Politik wäre gewesen, zu sagen: Wir machen einen Änderungsantrag, und wir machen diesen Antrag so, dass wir ganz dafür sein können. Dann hätten wir diese Änderung hier durchbringen können. Leider ist das von Rot-Grün in diesem Fall nicht gewollt.

Ein allerletzter Punkt, auch mit der Drohung einer namentlichen Abstimmung im Raum. Mir ist es schon bei anderen Themen aufgefallen – mit Ausnahme des Punktes „Wahlalter 16“ –: Wir reden hier über Themen aus der Verfassungskommission, und ich finde es sehr schade, dass das Interesse daran so gering ist, dass diese Themen immer nur mit sehr kurzen Redezeiten abgehandelt werden. Natürlich ist uns allen klar, wie die Abstimmung am Ende ausgeht. Aber wenn man in einer Rede von gefühlt 30 Sekunden Länge mal eben so eine Individualverfassungsbeschwerde vom Tisch wischt, dann ist das dem Thema meiner Meinung nach nicht angemessen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Nächster Redner ist der fraktionslose Kollege Schulz.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon gehört, wie es hier ausgehen wird. Dennoch glaube ich, dass man der Sache gerecht wird, wenn man ein paar Aspekte zur inhaltlichen Fragestellung des Antrags anspricht.

Unsere Landesverfassung enthält eine nicht geringe Anzahl von Landesgrundrechten; ein Blick in die Art. 4 ff. der Landesverfassung reicht. Der besonderen, exponierten Bedeutung dieser Rechte entsprechend, verdienen sie auch in Nordrhein-Westfalen endlich einen dem demokratischen Rechtsstaat entsprechenden Schutz, so wie es auch in elf anderen Bundesländern der Fall ist.

Es ist eine Frage effektiven und auch angemessenen Rechtsschutzes, und damit auch Ausdruck des Justizgewährungsanspruchs nach dem Grundgesetz, dass die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen als Rechtsträger die dritte Gewalt im Staat, nämlich das Verfassungsgericht in Nordrhein-Westfalen, anrufen können sollten. Allein die Individualverfassungsbeschwerde stellt die Symmetrie zwischen materiellem Recht auf der einen und prozessualem Recht auf der anderen Seite her.

Es ist keineswegs so, dass die Menschen im Land angesichts der Landesgrundrechte schutzlos wären: Die Fachgerichte sind selbstverständlich auch verpflichtet, die Landesgrundrechte im Rahmen ihrer jeweiligen fachgerichtlichen Befassung zu beachten und ihre Einhaltung zum Beispiel auch durch Verwaltungsentscheidungen auf den Prüfstand zu stellen.

Abgesehen davon gibt es dennoch kraft der Rezeptionsklauseln in Art. 4 Abs. 1 Landesverfassung die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich etwaiger Fragen der Verletzung von Grundrechten anzurufen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass vermittels Art. 4 Abs. 2 ff. in der Landesverfassung ein darüber hinaus gehender landesspezifischer Schutz fehlt, weswegen dieses Vakuum eben dadurch aufgelöst werden müsste, dass die Individualverfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen eingeführt wird.

Hinzu kommt, dass einerseits die Wahrnehmung des Rechtsstaats durch die Bürgerinnen und Bürger in Zeiten der notwendigen Stärkung von Partizipation durch eine erweiterte Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts gestärkt werden könnte. Andererseits erhielte der Landesverfassungsgerichtshof die Möglichkeit, aus dem Schatten des Bundesverfassungsgerichts herauszutreten und seine eigene Verfassungskultur zu stärken.

Nicht zuletzt darf man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Möglichkeit der Bürger, ihre Landesgrundrechte im Wege der Individualverfassungsbeschwerde einzuklagen, insgesamt zu einem für das Gemeinwohl sinn- und identitätsstiftenden Gewinn für den Rechtsstaat und das Rechtsstaatsempfinden der Menschen in Nordrhein-Westfalen führen würde.

Aus diesem Grund werbe ich an dieser Stelle als fraktionsloser Abgeordneter für eine Zustimmung zum Antrag der FDP. Zudem möchte ich noch einmal daran erinnern, dass es auch jetzt noch möglich ist – ohne Paketlösung und ohne Körbe – einfach über den Schatten zu springen und vielleicht doch zuzustimmen. – Danke!

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Schulz! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14681, den Gesetzentwurf Drucksache 16/13113 abzulehnen. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussfassung des Ausschusses. Ich darf also fragen, wer dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zustimmen möchte. – Das sind die Fraktion der FDP, die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schulz. – Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die CDU-Fraktion.

Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/13113 abgelehnt.

Ich rufe auf:

9  Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes, des Verfassungsgerichtshofgesetzes und weiterer Gesetze

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13312


Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14682

Änderungsantrag
der Fraktion der SPD
der Fraktion der CDU
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
der Fraktion der FDP und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14787 (Neudruck)
Drucksache 16/14682

zweite Lesung

Ich darf die Debatte eröffnen. Erste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Warden – bitte schön!

Marion Warden (SPD): Vielen Dank! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp drei Jahre – das haben wir jetzt schon öfter diskutiert – haben wir gemeinsam in der Verfassungskommission sehr intensiv und unter Hinzuziehung zahlreicher Sachverständiger über verschiedene Themenbereiche diskutiert und beraten.

Es ging um Themen wie Parlamentarismus und Landesregierung, um Partizipation, Schuldenbremse, um unsere Kommunen und den Verfassungsgerichtshof. Wir waren uns bei unseren Beratungen fraktionsübergreifend einig, dass der Prozess – das hörten wir eben auch schon – ergebnisoffen zu betrachten sei, aber auch alle Punkte – und das war eben so ein bisschen das Problem – in ihrer Abhängigkeit zueinander diskutiert und bewertet werden mussten. Daher ließen wir uns zwar nicht in allen Punkten auf eine Verständigung miteinander ein, haben aber dennoch im Oktober 2016 im Landtag NRW mit deutlicher Mehrheit eine Änderung der Landesverfassung beraten und beschlossen.

Auf der Grundlage des Berichts der Verfassungskommission vom Juli 2016 und eines daran anknüpfenden Gesetzentwurfs von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der FDP hat der Landtag im Oktober 2016 mit breiter Mehrheit das Gesetz über die Änderung der Landesverfassung beraten und beschlossen.

Gegenstand der Änderung sind zum Beispiel der Wegfall der Ministeranklage in Art. 63 und neue Regelungen über die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs in Artikel 76 der Landesverfassung. Aufgrund der beschriebenen Änderungen müssen nun weitere Gesetze angepasst werden wie zum Beispiel das Landeswahlgesetz, das Landesministergesetz oder auch das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof.

Hierauf würde ich gerne näher eingehen; denn mit der Regelung gibt es einen erheblichen Unterschied zur bisherigen Berufungsregelung: Künftig sollen der Präsident, der Vizepräsident, die weiteren Mitglieder und Stellvertreter in geheimer Wahl ohne Aussprache mit Zweidrittelmehrheit für die Dauer von zehn Jahren gewählt werden. Eine Wiederwahl der sieben Mitglieder wird es nicht mehr geben.

Vorbildlich sind dabei die Regelungen über die Verfassungsrichterbestimmung auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern. Bisher waren der jeweilige Präsident des Oberverwaltungsgerichts und die beiden lebensältesten Oberlandesgerichtspräsidenten sogenannte geborene Mitglieder, und genau das wird es in Zukunft nicht mehr geben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Für die Amtszeit der bisherigen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs gelten selbstverständlich die bisherigen Regeln.

Besonders erfreulich finde ich an dieser Stelle, dass es heute einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen geben wird, worin wir uns darüber verständigen konnten, dass es in Zukunft keine Altersgrenze mehr geben wird. Die generelle Altersgrenze von 68 Jahren werden wir aufheben. Wir werden diesem Antrag folgen, und wir werden dieser Aufhebung der Altersgrenze genauso zustimmen wie auch der künftigen Möglichkeit zur Abgabe von Sondervoten einzelner Richter.

An der Stelle gilt: Wenn man wirklich miteinander redet und diskutiert, kommt man häufig am Ende doch noch zu überraschenden, gemeinsamen Lösungen. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, heute im Laufe des Tages immer wieder über den aktuellen Stand des Änderungsantrags informiert zu werden. Ich habe irgendwann gesagt: Ich ändere meine Rede jetzt nicht mehr, sondern es ist ein gemeinsamer Antrag, und das ist auch gut so. – Vielen Dank!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Warden. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir jetzt behandeln, den wir jetzt zum x-ten Mal behandeln, dient im Grunde der Umsetzung der Vorschläge der Verfassungskommission in die normale Gesetzgebung.

Wir hätten uns normalerweise hier enthalten, weil in den Gesprächen der Obleute in der Verfassungskommission vereinbart worden ist, dass die Altersgrenze für die Richter von 68 Jahren abgeschafft werden sollte. In Wirklichkeit ist sie dann nach dem bisher vorliegenden Entwurf von 68 Jahre auf 70 Jahre erhöht worden.

Unter diesen Umständen hätte sich die CDU-Fraktion enthalten. Seitdem wir seit heute Nachmittag den gemeinsamen Änderungsantrag 16/14787 vorliegen haben, wissen wir: Wir haben wir einen Konsens gefunden, und dem stimmen wir natürlich zu.

Wenn ich das, Herr Kollege Marsching, jetzt wieder ziemlich knapp gemacht habe, dann liegt das nicht daran, dass ich es nicht für wichtig hielte – weil Sie vorhin sagten: in 20 Sekunden abgehandelt –, sondern wir haben es im November-Plenum behandelt, wir haben es im Januar-Plenum behandelt, wir haben es im März-Plenum und zweimal im Hauptausschuss behandelt, wir behandeln es heute wieder. An die vielen Sitzungen der Verfassungskommission mag ich gar nicht mehr erinnern.

Wir haben es jetzt wirklich ausführlich hin und her diskutiert. Wir kommen zu einem Ergebnis: Wir stimmen mit allen Fraktionen zu, und dieses Ergebnis ist auch klasse. – Danke schön.

(Beifall von der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die GRÜNEN spricht Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben dargestellt, worum es geht: das Ergebnis der Verfassungskommission, die Verfassungsänderung, jetzt in einfachgesetzliche Regelungen zu überführen. Ich muss dem nichts weiter hinzufügen. Wir stimmen natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Sache sind die Dinge sicherlich ausgetauscht. Wir hatten vereinbart, einen politischen Korb zu verabreden. Wir haben ihn verabredet, und ein Teil davon war die einfachgesetzliche Umsetzung dessen, was noch vonnöten war.

Ich möchte herzlich Dank dafür sagen, dass dieser gemeinsame Antrag zustande gekommen ist. Dieser Dank geht in erster Linie an die Regierungsfraktionen, weil wir uns auf der Oppositionsseite ja im Kern schon einig waren. Wir hatten dies als Teil des Pakets und quasi als Grundlage für die Zustimmung im Rahmen der Verfassungsänderung.

Die Sinnhaftigkeit dieser beiden Regelungen erschließt sich von selbst: Wenn man die Verfassungsrichter wählt, lieber Herr Körfges, hat man an dieser Stelle schon den entscheidenden Hebel, sich sozusagen über die Persönlichkeit und auch die persönlichen Lebensumstände Gedanken zu machen. Auf diese Weise bereitet es kein Problem, wenn jemand am Ende seiner Amtszeit meinetwegen auch 71,5 Jahre alt ist.

Beim Thema „Sondervotum“ kann man sich an das anlehnen, was das Bundesverfassungsgericht schon seit vielen Jahren kennt. Das ist eine gute Rechtspraxis, die es gerade für diejenigen, die auf der Mehrheitsseite stehen, notwendig macht, ihre Entscheidung sehr sorgfältig zu begründen. Daher ist es eine rechtsstaatlich sehr saubere Lösung.

Die FDP wird dem zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wolf. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe einige Seiten Rede vorbereitet – und ich gehe direkt zur letzten Seite. Herr Kollege Jostmeier, da mache ich es Ihnen nach. Wenn man nichts mehr zu debattieren hat, muss man natürlich nicht mehr ausschweifend reden.

Wir haben ein, zwei kleinere Punkte, bei denen wir mit den Zähnen geknirscht haben. Besonders hervorzuheben ist die Regelung, nach der es möglich wäre, dass einige Verfassungsrichter länger als zehn Jahre im Amt sind. Wir haben aber am Ende gesagt: Wir werden keiner Modernisierung der Verfassung und der entsprechend gefassten Beschlüsse in der Verfassungskommission im Wege stehen.

Daher werden auch wir diesem Antrag zustimmen, vor allem da wir nun den gemeinsamen Änderungsantrag haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein guter Änderungsantrag – die Landesregierung empfiehlt Zustimmung.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herzlichen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den bereits mehrfach benannten Änderungsantrag aller fünf im Landtag vertretenen Fraktionen in der Drucksache 16/14787 (Neudruck). Wer möchte diesem Änderungsantrag aller Fraktionen zustimmen? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag Drucksache 16/14787 – Neudruck – mit den Stimmen aller Fraktionen einstimmig angenommen.

Zweitens stimmen wir ab über den Gesetzentwurf Drucksache 16/13312. Der Hautpausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14682, den Gesetzentwurf Drucksache 16/13312 unverändert anzunehmen. Allerdings hat der Landtag Nordrhein-Westfalen den Gesetzentwurf soeben verändert.

Wir stimmen also ab über den Gesetzentwurf als solchen, Drucksache 16/13312, in der soeben geänderten Fassung. – Wer dem Gesetzentwurf in der soeben geänderten Fassung zustimmen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/13312 in der soeben geänderten Fassung vom Landtag Nordrhein-Westfalen einstimmig angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet ist.

Ich rufe auf:

10 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Absenkung des Eingangsquorums des Artikel 68 Landesverfassung NW

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14002 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14683

zweite und dritte Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Prof. Dr. Bovermann das Wort. – Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich bei diesem Punkt relativ kurz fassen, Herr Marsching.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP] – Michele Marsching [PIRATEN]: Sehr gern!)

Das hat nichts mit der Wertigkeit zu tun, sondern wir haben auch diesen Punkt ausführlich in der Verfassungskommission diskutiert. Ich erinnere mich noch an die Anhörung im September 2014 – es ist schon etwas länger her –, bei der sich die Befürworter und die Kritiker einer Absenkung des Eingangsquorums bei Volksbegehren die Waage hielten. Ich erspare uns die Wiederholung der Argumentationslinien. Diese sind in den Protokollen der Verfassungskommission, die ja öffentlich sind, nachlesbar.

Letztendlich landete auch dieser Punkt zusammen mit der Wahlalter- und Wahlrechtsfrage, den Parlamentsquoren, der Individualverfassungsbeschwerde und der Schuldenbremse in dem heute schon häufig zitierten politischen Korb. In den verschiedenen Spitzengesprächen zwischen den Fraktionsvorsitzenden und den Obleuten wurde immer wieder versucht, nach Kompromissen zu suchen. Hier wurde am Ende ein Papier von SPD und Grünen vorgelegt – übrigens der einzige konstruktive schriftliche Vorschlag, der in dieser Verhandlungsphase vorgelegt wurde. Trotzdem war allen Beteiligten klar, dass es nur eine Gesamtlösung geben könne.

Insofern kann man also nicht, liebe Piraten, wie in eurem Gesetzentwurf davon sprechen, es habe einen Kompromiss in der Frage der Absenkung der Eingangsquoren gegeben, mit dem alle Fraktionen einverstanden waren. Die Piraten selbst hatten zeitweilig auch für eine Absenkung oder sogar komplette Streichung der Quoren votiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gerade bei Tagesordnungspunkt 7 erlebt, dass auch der letzte Versuch einer Lösung für den gesamten politischen Korb an der Frage des Wahlalters gescheitert ist. CDU und FDP mochten – die einen aus wahltaktischen Gründen, die anderen aus koalitionspolitischen Gründen – nicht einmal ihrem eigenen Angebot zustimmen, das Wahlalter aus der Verfassung herauszunehmen und in der neuen Wahlperiode einfachgesetzlich zu regeln.

Damit gibt es leider auch keine verfassungsändernden Mehrheiten für die anderen Punkte aus dem politischen Korb. Wir werden daher dem isoliert gestellten Gesetzentwurf der Piraten wie schon im Hauptausschuss nicht zustimmen. Das ändert natürlich nichts daran, dass sich die SPD weiter dafür einsetzen wird, mehr repräsentative und mehr direkte Demokratie zu wagen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herzlichen Dank, Herr Kollege Prof. Bovermann. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren in der Tat, wie Herr Prof. Bovermann gerade vorgetragen hat, einem Konsens sehr nahe. Aber der Konsens hat aus den bekannten Gründen des gemeinsamen Paketes nicht stattgefunden. Herr Dr. Wolf hat das beim Tagesordnungspunkt 7 hinsichtlich der Historie und vor allen Dingen der Auswirkungen ausführlich dargestellt. Ich könnte das jetzt noch weiter begründen.

Die Senkung der Eingangsquoren bei Volksbegehren von 8 % auf 5 % kann man vornehmen. Meine Damen und Herren, ich war im Jahre 2003/2004 seinerzeit federführend mit den Grünen beteiligt, als wir die Quoren von 15 % auf 8 % gesenkt haben. Es ist nicht in jedem Fall ein Segen, wenn man die Quoren von Volksbegehren und Volksentscheid senkt. Wie gesagt, wir hätten es in diesem Fall machen können. Das Paket ist nicht zustande gekommen. Deswegen stimmt die CDU-Fraktion aus Gründen des Gesamtzusammenhangs mit dem Paket nicht zu. – Danke schön.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Grünen sind prinzipiell natürlich für die Senkung des Eingangsquorums bei Volksbegehren. Sie haben in Ihrem Antrag richtig beschrieben, es war in diesem politischen Korb. In diesem politischen Korb gab es einen Kompromiss auf 5 %. Ausgangslage war, die Piratenfraktion wollte eine Komplettstreichung. Die CDU wollte gar nicht. Die FDP lag zwischen 4 % und 6 %. Wir hatten uns mit dem Koalitionspartner auf ungefähr 4 % verständigt. Unser Ziel war es eigentlich immer, das Eingangsquorum von 8 % auf 2 % zu senken. Man muss bei dieser Senkung des Quorums einen merklichen Schritt tun, um zum Erfolg zu kommen.

Wir hätten uns zähneknirschend auf 5 % eingelassen, wenn es diesen politischen Korb gegeben hätte. Ihn gibt es aber leider nicht. Deswegen werden wir weiter dafür antreten, dass das Eingangsquorum auf 2 % gesenkt wird. Das wird ein neuer Anlauf und wird etwas für ein Programm der nächsten Legislaturperiode sein. Weil das ein Kompromiss gewesen wäre, den wir nur zähneknirschend mitgemacht hätten, den es aber nun nicht gibt, werden wir auch 5 % ablehnen und weiter für 2 % kämpfen. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf*) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich auch kurz fassen, da die Argumente ausgetauscht sind. Es hat im gesamten Paket nicht gereicht. Alles hängt mit allem zusammen. Es hat leider Gottes nicht gereicht. Wir stimmen der Vorlage nicht zu.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Verfassungskommission hat sich intensiv mit der Frage der Quoren bei Volksbegehren und Volksentscheiden beschäftigt. Am Ende hatten wir in der – übrigens von Ihnen gewünschten – Runde der Vorsitzenden Einigkeit und sind als Kompromiss auf 5 % gekommen. Wie so vieles hängt es wieder an dem unsäglichen Satz, alles hinge mit allem zusammen. Das stimmt einfach nicht. Das muss ich immer wiederholen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Aber einige glauben das hier. Dass das jetzt nicht beschlossen wird, hat am Ende tatsächlich mit Machtkalkül zu tun. Der Gesetzentwurf hätte die letzte Gelegenheit geboten, mehr direkte Demokratie zu schaffen; denn unsere Demokratie hat ein zentrales Defizit. Die Bürgerinnen und Bürger haben theoretisch die Möglichkeit, über Gesetze zu entscheiden. Praktisch haben sie das leider nicht. In anderen repräsentativen Demokratien finden punktuell solche Volksabstimmungen zu Fragen statt, an denen Bürgerinnen und Bürger erhebliches Interesse haben.

(Zuruf von der CDU: Wie viele Einwohner haben die?)

Wir müssen uns eigentlich fragen: Warum haben wir bzw. die seit Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen regierenden Parteien diese direkte Demokratie bis jetzt immer verweigert? – Behauptet wird teilweise in Deutschland, historisch betrachtet gäbe es schlechte Erfahrungen mit der direkten Demokratie. Allerdings ist genau das Gegenteil der Fall. Wenn überhaupt, dann haben wir schlechte Erfahrungen mit fehlender oder mangelhafter direkter Demokratie. Dass man das den Menschen weismachen möchte, ist allerdings Teil des politischen Spiels.

Jetzt komme ich noch einmal in abgewandelter Form auf meine Kritik von vorhin zurück. Nichts gegen den Herrn Kollegen Jostmeier. Ich verstehe auch hier einen kurzen Wortbeitrag. Was ich nicht verstehe, ist, dass wir über eine Verfassungsänderung reden. Ich schaue mich kurz um: Ich komme nicht auf 129 Leute. Das heißt, dieser Antrag hat allein durch Nichtanwesenheit keine Chance, angenommen zu werden. Dann ziehe ich ihn hiermit offiziell zurück.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

(Minister Ralf Jäger: Der ist zurückgezogen! – Michele Marsching [PIRATEN]: Ich habe den Antrag zurückgezogen! Es muss keiner mehr reden! Danke!)

– So einfach geht es nicht.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Doch, ja! Sie können ja noch widersprechen! Entschuldigung!)

Das ist ein Antrag der Piratenfraktion. Der ist jetzt zuerst einmal im Verfahren. Deshalb erteile ich zunächst einmal für die Landesregierung Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Sie haben natürlich recht. Aber da es ansteht, dass dieser Antrag doch am Ende des Verfahrens zurückgezogen wird, werde ich nicht weiter plädieren. – Herzlichen Dank.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Danke!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Damit wir das auch formal ganz sauber hinbekommen, stelle ich fest:

(Michele Marsching [PIRATEN]: Nach § 84 Abs. 2!)

Es gibt in der Tat für eine antragstellende Fraktion die Möglichkeit, einen Antrag zurückzuziehen.

Ich gebe hiermit zu Protokoll, dass Herr Kollege Marsching für die Piratenfraktion den Gesetzentwurf der Piratenfraktion Drucksache 16/14002 – Neudruck – zurückgezogen hat und dass wir deshalb nach Ende der Aussprache nicht mehr zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kommen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Wenn dem keiner widerspricht!)

Regt sich dagegen Widerspruch? – Es gibt eine Wortmeldung seitens der CDU. Bitte.

Lutz Lienenkämper (CDU): Ich weise zur vollständigen formalen Richtigkeit des Ablaufes auf § 84 Abs. 2 hin.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Eben deshalb, lieber Herr Kollege, habe ich die Frage gestellt, ob es Widerspruch dagegen gibt. Genau darauf bezog sich meine Frage.

Ich frage also noch mal: Gibt es inzwischen Widerspruch gegen die Rücknahme des Gesetzentwurfs? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Ich stelle also noch mal fest, dass der Gesetzentwurf der Piratenfraktion Drucksache 16/14002 – Neudruck – von der antragstellenden Fraktion nach Beendigung der Aussprache zurückgezogen wird und der Landtag aus diesem Grund dazu keine Beschlussfassung mehr vornimmt.

Wir sind somit am Ende von Tagesordnungspunkt 10.

Ich rufe auf:

11 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid – Zweites Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14006

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14684

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion erneut Herrn Kollegen Prof. Bovermann das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Rainer Bovermann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Unterschied zu dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt ist die Frage der Erleichterung von Volksbegehren in der Verfassungskommission nur am Rande behandelt worden. In der schon angeführten Anhörung von 2014 waren die Sachverständigen gebeten worden, sonstige Hürden für die Durchführung direktdemokratischer Verfahren zu benennen. Nur ein Sachverständiger hat damals eine Verlängerung der Eintragungsfristen gefordert. Auch in den nachfolgenden Verhandlungen war dieser Punkt kein Thema mehr.

Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Piraten hat der Hauptausschuss ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt. Dabei wurde von den Sachverständigen und den kommunalen Spitzenverbänden insbesondere auf den hohen Verwaltungsaufwand für die Kommunen hingewiesen. Die Kommunen müssten zusätzlich Räumlichkeiten und Personal bereitstellen, wenn die Frist für die amtliche Listenauslegung auf zwölf Monate verlängert wird.

Insgesamt wurde kein Handlungsbedarf für eine Gesetzesänderung gesehen. Selbst der Verein Mehr Demokratie – sonst immer glühender Befürworter direkter Demokratie – hat in seiner Stellungnahme keine weiteren Proargumente angeführt und sieht andere Erleichterungen für wichtiger an.

Außerdem gibt es keine empirischen Belege für die These, dass es sich bei der bisherigen Frist für die amtliche Listenauslegung um eine Hürde für das Zustandekommen eines Volksbegehrens handelt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass interessierte Bürger eher am Anfang der Unterschriftensammlung unterschreiben, wenn das Thema aktuell ist.

Zudem ist die freie Unterschriftensammlung, die ja erst mit dem Ersten Gesetz zur Erleichterung von Volksbegehren 2011 eingeführt wurde, das mobilisierende Instrument, das auch dem Grundgedanken direkter Demokratie entspricht. Auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen dürften die Bürger eher anzusprechen sein, während der Gang zum Rathaus schon einen gewissen Aufwand erfordert.

Um weitere Erfahrungen zu sammeln, sollte das aktuelle Volksbegehren abgewartet und ausgewertet werden. Das von den Piraten gewünschte sofortige Inkrafttreten der neuen Fristen würde ohnehin in ein laufendes Volksbegehren eingreifen, und die Stelle müsste im Gesetzentwurf entsprechend geändert werden.

Schließlich zeigt auch der vergleichende Blick auf andere Bundesländer, dass die Regelung in Nordrhein-Westfalen ausreicht und eine Änderung nicht notwendig ist. In den meisten Ländern gibt es entweder eine freie Unterschriftensammlung oder eine amtliche Listenauslegung. Nur wenige Länder sehen beide Möglichkeiten mit gleicher Dauer vor. Ein statistischer Zusammenhang von Fristen und dem Zustandekommen von Volksbegehren ist nicht erkennbar.

Nordrhein-Westfalen hat mit zwölf Monaten die längste Frist für die freie Unterschriftensammlung. Das ist demokratie- und bürgerfreundlich.

Zusammenfassend zitiere ich den Sachverständigen Prof. Morlok aus seiner Stellungnahme:

„Insgesamt scheint somit die vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht erforderlich.“

Zitat Ende.

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer der Aussage, dass die SPD diesem Gesetzentwurf wie schon im Hauptausschuss nicht zustimmen wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Bovermann. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in Wahlkampfzeiten. Spätestens wenn das Plenum heute oder morgen vorbei ist, werden die Wahlkampfmethoden noch stärker werden. Aber mir fällt es schwer, der Darstellung von Prof. Bovermann, wie die Diskussion im Hauptausschuss abgelaufen ist und wie die Debatten im vergangenen halben Jahr und auch in der Verfassungskommission stattgefunden haben, etwas entgegenzusetzen und zu sagen, das sei falsch gewesen.

Meine Damen und Herren, die schriftliche Sachverständigenanhörung, die wir im Hauptausschuss durchgeführt haben, hat in der Tat dazu geführt, dass die Sachverständigen sagten: Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ist nicht notwendig. Die bisherige Rechtslage rechtfertigt keine Änderung, weil der Aufwand der Kommunen in dieser Weise begrenzt ist.

Was für uns noch wichtig ist und was ich vielleicht hinzufügen kann, ist, dass vor allem die kommunalen Spitzenverbände dafür plädiert haben, diese Regelung beizubehalten. Und nicht zuletzt kommt hinzu: Wir haben ja zurzeit das laufende Volksbegehren G8/G9. Vielleicht warten wir da ab, in welcher Weise das durchläuft, um dann möglicherweise in der kommenden Wahlperiode die entsprechenden Schlüsse daraus zu ziehen und ggf. Änderungsvorschläge zu machen. – Herzlichen Dank. Das heißt, die CDU stimmt auch diesem Vorschlag der Piraten nicht zu.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir werden heute ablehnen. Der Verlauf ist schon beschrieben worden. Ich glaube auch, es gibt wirklich wichtigere Sachen in diesem Bereich, die man dringlicher regeln müsste. Nichtsdestotrotz waren wir offen in der Einführungsdebatte, Herr Kollege Marsching, das hatte ich Ihnen auch gesagt.

Es gibt ein paar offene Fragestellungen immer noch für uns, etwa: Wie verhindern wir, dass wir so eine Regelung oder so eine Verfassungsänderung jetzt beschließen? Was ist mit den laufenden Geschichten wie G9 zum Beispiel? Wie beeinflusst das? Und natürlich haben wir – das ist auch in der Anhörung dargestellt worden – Verwaltungsmehraufwand. Das sind natürlich gewichtige Argumente, die derzeit dagegen sprechen.

Es ist am Ende des Tages noch nicht so perfekt, dass wir sagen: Ja, wir heben unsere Hand, das müssen wir unbedingt machen. – Deswegen heute unsere Ablehnung. Aber in der nächsten Legislaturperiode kann man vielleicht diesen Punkt noch einmal angehen und gucken,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Machen wir!)

wie man den Verwaltungsaufwand in den Griff kriegen kann. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorredner haben schon zur Genese und Behandlung, insbesondere zum Inhalt der Sachverständigenanhörung im Hauptausschuss, hinreichend vorgetragen. Ich erlaube mir nur eine ganz kurze Ergänzung. Ansonsten bin ich auch mit den Darstellungen des Vorsitzenden des Hauptausschusses völlig d’accord.

Die Anhörung hat eindeutig belegt, dass die von den Piraten angestrebte Gesetzesänderung nicht nur nicht notwendig ist, sondern dass sie auch nicht sinnvoll ist. Und im Übrigen sind auch noch eine ganze Reihe handwerklicher Fehler in diesem Gesetzentwurf. Das ist, glaube ich, an dieser Stelle heute nicht mehr im Einzelfall und auch nicht von der förmlichen Seite her zu diskutieren. Fest steht einfach: Dieser Gesetzentwurf ist in keiner Weise ein sinnvoller Vorschlag. Deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Mein heutiger Marathon! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Piraten war und ist die Ausübung direkter Demokratie eines der wichtigsten politischen Ziele. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollten wir ein Handicap bei der Durchführung von Volksbegehren beseitigen, nämlich das der zu kurzen Auslegungsfristen bei der amtlichen Listenauslegung.

Eigentlich müssten wir uns darüber unterhalten, dass Unterschriften auch signiert übers Netz abgegeben werden könnten, aber das ist noch einmal ein ganz anderes Thema.

Die Gespräche in den letzten Tagen haben gezeigt, dass die Realität dann doch leider eher so aussieht, dass die öffentliche Auslegung dann in irgendeinem Büro des jeweiligen Bürgeramtes bzw. Rathauses stattfindet. Das scheint die Realität zu sein. Von daher hilft uns auch die Fristverlängerung nicht so viel weiter.

Einiges zu schriftlichen Anhörung: Es wurde gerade auch gesagt, dass es dort einhellig die Meinung leider war, dass eine einfache Verlängerung der Auslegungsfrist nicht zielführend ist.

Fehler zuzugeben, halte ich persönlich für eine Stärke. Anscheinend – das hat auch die Debatte gerade nochmal gezeigt – haben wir niemanden von dieser Idee überzeugen können. Niemand ist auf uns zugekommen mit Änderungswünschen. Am Ende muss ich gestehen: Wir müssen an diesem Gesetzentwurf noch einmal arbeiten. Wir werden in der nächsten Legislatur mit einem neuen Gesetzentwurf in dieser Richtung kommen. Ich habe meiner Fraktion keine Abstimmungsempfehlung zu geben und werde selber dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. – Danke.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Möchte für die Landesregierung Herr Minister Jäger das Wort an uns richten?

(Minister Ralf Jäger: Lieber Präsident, ich habe darauf gewartet, dass Sie mich aufrufen.)

 – Das tue ich hiermit sehr gerne. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Danke sehr. – Wir sind gerade mitten in einem zweiten Bürgerentscheidverfahren seit 1978 in diesem Bundesland. Die Landesregierung würde nicht empfehlen, während des Verfahrens die Auslegefristen zu verändern. Wir würden anbieten, das jetzige Verfahren zu evaluieren und dazu einen Bericht dem Parlament vorzulegen. Aber wir empfehlen nicht, dieser Veränderung zuzustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe somit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14684, den Gesetzentwurf Drucksache 16/14006 abzulehnen. Wir kommen somit wie üblich zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf fragen, wer dem vorliegenden Gesetzentwurf der Piratenfraktion zustimmen möchte? – Niemand. Das ist ein Novum. Wer stimmt dagegen? – Mmh.

(Heiterkeit)

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen. Dementsprechend kann es eigentlich keine Enthaltungen mehr geben. Ich frage aber dennoch: Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/14006 vom Landtag Nordrhein-Westfalen einstimmig abgelehnt worden ist.

Ich muss zugeben, dass ich mich in meiner fünften Wahlperiode an ein solches Abstimmungsergebnis nicht erinnern kann. Sei es drum! Es ist ein überaus klares Votum.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 11 und rufe auf:

12 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Einheitliche Quoren von 20 % in der Landesverfassung im sogenannten „parlamentarischen Betrieb“

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14380

Beschlussempfehlung und Bericht
des Hauptausschusses
Drucksache 16/14685

zweite Lesung

Die eröffne ich hiermit gerne und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Warden das Wort.

Marion Warden (SPD): Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt bin ich mal gespannt, mit welchem Abstimmungsergebnis wir dann gleich hier durch diesen Tagesordnungspunkt kommen werden.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Da bin ich auch mal gespannt!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie sehen, Herr Kollege Marsching, welche Erwartungshaltung Sie jetzt geschürt haben.

(Allgemeine Heiterkeit)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Warden, fahren Sie bitte fort.

Marion Warden (SPD): Wir haben diesen Gesetzesentwurf bereits im Hauptausschuss beraten, und es geht eben darum, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf beantragen, die Landesverfassung dahin gehend zu ändern, dass die sogenannten Quoren bei der Einberufung von Sondersitzungen und bei der abstrakten Normenkontrollklage einheitlich auf 20 % – das entspräche einem Fünftel der Mitglieder des Landtages – in der Verfassung festgelegt werden sollen.

Nach der Einbringung in das letzte Plenum haben wir den Antrag auch im Hauptausschuss intensiv beraten, und dort habe ich für die SPD-Fraktion schon deutlich gemacht, dass wir dem nicht zustimmen werden – nicht, weil wir uns einem solchen Anliegen nicht unbedingt nähern könnten, sondern weil wir das intensiv in den Diskussionen der Verfassungskommission behandelt und damals festgestellt hatten, dass wir uns eben nicht auf ein gemeinsames Ergebnis einigen konnten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Alles hängt mit allem zusammen!)

Wir befassen uns heute mit dem Thema und finden, dass dieses wichtige Thema nicht einfach zum Ende der Legislaturperiode durchentschieden werden kann; denn diese Frage der Quoren war mit den Punkten Wahlrecht, direkte Demokratie, Schuldenbremse und auch Individualverfassungsbeschwerde verknüpft. In der Diskussion haben wir auch gemerkt, dass wir nicht unbedingt konsensfähig gewesen sind. Aber ohne den erforderlichen Konsens in einer Gesamtlösung – unter Berücksichtigung der Absenkung der Quoren – können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Es tut uns sehr leid, aber es ist ein wichtiges Thema, und ich kann wirklich nur hoffen, dass der nächste Landtag klug genug ist, dieses Thema noch einmal aufzugreifen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank Frau Kollegin Warden. Für die CDU-Fraktion spricht einmal mehr Herr Kollege Jostmeier.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gefechtslage und die Diskussionslage ist genau wie bei Tagesordnungspunkt 10. Wir als CDU würden aus den bekannten Gründen wegen der Paketlösung, wenn es denn zur Abstimmung kommt, dem auch nicht zustimmen. Ich gebe zu, Herr Präsident: Ich darf seit 22 Jahren in diesem Parlament bei Plenarabstimmungen dabei sein, aber dass der Antragsteller dem eigenen Antrag nicht zustimmt, habe ich auch noch nicht erlebt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich vielleicht die sechs Tagesordnungspunkte, die wir jetzt behandelt haben, bzw. den, den wir jetzt noch behandeln, in folgender Weise mal zusammenfassen: Der Tenor sämtlicher Anträge, die wir hier beraten und über die wir hier abgestimmt haben, war und ist, egal von welcher Partei die Argumente vorgetragen worden sind, dass man die Demokratie stärken will, dass man die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger stärken will, dass man den Landtag stärken will und dass man das Land Nordrhein-Westfalen stärken will.

Meine Damen und Herren, ich stehe hier nach 22 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Landtag von Nordrhein-Westfalen letztmalig als Mandatsträger vor Ihnen, und ich durfte davon 17 Jahre als Sprecher beziehungsweise als Vorsitzender im Hauptausschuss hier mitgestalten und tätig sein. Von daher habe ich mich bei diesem Thema im Hauptausschuss zu Hause gefühlt.

Ich möchte für die nächste Wahlperiode eine Bitte an den Landtag formulieren:

Meine Damen und Herren, seit dem 23. Mai 1949 – dem Tag des Grundgesetzes – haben wir in Deutschland 53 oder 54 Grundgesetz- bzw. Verfassungsänderungen gehabt, die in das Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern – in dreiviertel der Fälle zugunsten des Bundes und zum Nachteil der Länderkompetenzen – eingegriffen haben. Man hat in der Verfassungskommission 2 vor – wann war es? – 6 bis 8 Jahren beispielsweise die Länder hinsichtlich des Jagdrechts gestärkt. Insgesamt aber sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Landesparlamente geschwächt worden. Ich habe deshalb auch die Bitte, dass Sie dafür sorgen, dass in den nächsten Jahren die Landesparlamente – darum geht es mir vor allen Dingen – nicht weiter geschwächt werden.

Ich möchte dafür zwei Beispiele nennen, zunächst ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte:

Meine Damen und Herren, man stärkt die Landtage und das föderale System nicht dadurch, indem man bei ureigensten Kompetenzen der Länder immer nach dem Bund ruft, wenn man Geld braucht oder er es mitfinanzieren soll. Ich halte es bei den gegebenen Zuständigkeitsverteilungen und auch bei der Festlegung der Finanzierung für sehr wichtig, dass die Bürger wissen: Wer bestellt, der bezahlt auch und ist dafür zuständig.

Das Zweite: Der Verfassungsvertrag von Lissabon hat ein neues Institut vorgesehen, nämlich das sogenannte Frühwarnsystem bei den Subsidiaritätsrügen. Die süddeutschen Bundesländer haben in den letzten Jahren mehrfach daran teilgenommen. – Das Land Nordrhein-Westfalen hat bei den Subsidiaritätsrügen und bei dem Frühwarnsystem nicht teilgenommen. Wir haben im Jahr 2008 bei den Versuchsstadien an zwei Verfahren teilgenommen, und zwar mit sehr viel Erfolg; denn das, was Nordrhein-Westfalen seinerzeit vorgeschlagen hat, wurde sogar mit in den endgültigen Text der Europäischen Union aufgenommen.

Das wäre meine Bitte an den neu zu wählenden Landtag, von dieser Kompetenzmehrung, die die europäische Union den Bundesländern gibt, auch entsprechend Gebrauch zu machen.

Meine Damen und Herren, ich bin dankbar für das, was ich hier über 22 Jahre im Landtag mitgestalten durfte. Ich bin vor allen Dingen dankbar für die Sonderaufgaben, die mir zugetraut worden sind. Ich durfte die deutsch-baltische Parlamentariergruppe gründen und sie zehn Jahre lang leiten, ich durfte die deutsch-polnische Parlamentariergruppe sieben Jahre leiten. Ich war und bin der Beauftragte für Flüchtlinge, Vertriebene und Spätaussiedler. Ich sage Ihnen, jedem Kollegen und jeder Kollegin, ein herzliches Dankeschön für die letzten 22 Jahre, die mir sehr viel Freude gemacht haben und die ich nicht nur als Beruf, sondern als Berufung verstanden habe.

Ich bedanke mich auch bei all denen, die nebenher dazu beigetragen haben, den Stenografen und dem Besucherdienst. Wenn ich das richtig überschlage, dann habe ich in den letzten 22 Jahren – ich habe es nicht genau gezählt – etwa 13.500 Besucher und Besucherinnen hier im Landtag haben dürfen.

Meine Damen und Herren, Ihnen und euch allen persönlich für die nächste Zeit und für die Zukunft alles Gute!

Für den 14. Mai wünsche ich jedem Kandidaten und jeder Kandidatin und jeder Partei den Erfolg, den er oder sie verdient, und ein Wahlergebnis, das jeder von Ihnen verdient. Wenn der liebe Gott danach seinen Beitrag leistet, dass jeder das Wahlergebnis bekommt, das er verdient, dann mache ich mir als CDU-Mann für den 14. Mai keine Sorgen.

Ich bedanke mich herzlich. Ihnen alles Gute!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Lieber Herr Kollege Jostmeier, vielen herzlichen Dank für Ihre Rede und vor allem – das darf ich im Namen des gesamten Hohen Hauses sagen – für Ihre 22-jährige Tätigkeit hier im Landtag Nordrhein-Westfalen, für Ihr großartiges Engagement nicht nur für Ihren Wahlkreis, sondern auch in den Grundfragen unserer demokratischen Organisation und auch in der wichtigen Außenrepräsentanz des Landtags Nordrhein-Westfalen durch die Parlamentariergruppen. Sie haben in all den Jahren Großartiges geleistet hier in Ihrer parlamentarischen Arbeit und dafür danken Ihnen sicherlich alle Fraktionen sehr, sehr herzlich. Für Sie persönlich alles Gute für die Zukunft!

(Allgemeiner Beifall)

Dennoch geht es weiter mit der Debatte. Herr Engstfeld ahnt es schon. Nächster Redner für die Fraktion der Grünen ist nicht zur allgemeinen Überraschung Herr Kollege Engstfeld.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Werner, auch von meiner Seite ganz persönlich vielen Dank! Du warst 22 Jahre hier im Parlament. Sieben Jahre davon sind wir zusammen hier gewesen, im Hauptausschuss, im Europaausschuss, in verschiedenen Parlamentariergruppen. Es war menschlich immer angenehm. Der Diskurs war immer gut. Ich kann dir auch nur alle Daumen drücken und gute Gesundheit für alles das wünschen, was jetzt vor dir liegt. Also: Toi, toi, toi!

(Allgemeiner Beifall)

Zur Sache schließe ich mich deinem Redebeitrag an. Es ist eigentlich alles gesagt. Wir werden auch ablehnen aus den genannten Gründen. Das war eine Kompromisslösung, letztendlich auch wieder zähneknirschend von uns, eine Vereinheitlichung der Quoren. Wir wollen da eigentlich ein bisschen mehr. Deswegen reicht uns das so nicht. Deswegen werden wir einfach ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Wolf.

Dr. Ingo Wolf (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inhaltlich ist an dieser Stelle in der Tat nichts mehr hinzuzufügen. Die Frage der Korblösung ist hinreichend beleuchtet worden. Die Sinnhaftigkeit einer Entscheidung in dieser Angelegenheit ist auch klar. Aber es ist nicht zum Konsens gekommen.

Lassen Sie mich aber an dieser Stelle auch dem Kollegen Jostmeier, der ja heute seine letzte Rede gehalten hat, sehr herzlich Dank sagen für die Kooperation in den vielen Jahren.

Weil er sich verabschiedet hat, will ich an dieser Stelle sagen: Ich verabschiede mich auch. Ich halte auch heute meine letzte Rede hier.

(Nadja Lüders [SPD]: Deswegen?)

– Nicht weil er ausscheidet, nein.

(Heiterkeit)

Wir sind ja eigenständige Parteien und treffen eigenständige Entscheidungen. Das habe ich ja vorhin schon einmal erläutert.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Hans-Willi Körfges [SPD]: Aber nicht in jeder Frage!)

Deswegen besteht da überhaupt kein Zusammenhang. Aber ich möchte natürlich auch nicht scheiden, ohne auch den hier heute vertretenen Parlamentariern herzlich Dank zu sagen. Es war eine spannende 17-jährige Zeit. 2000 in den Landtag gewählt, bin ich 2000 auch noch einmal in den Bundestag gewählt worden und war zeitgleich Mitglied des Landtages und des Bundestages. Ich habe mich dann für den Landtag entschieden und diese Entscheidung auch nie bereut.

Es ist mir ein Anliegen gewesen in all diesen Jahren, in vielen Fachgebieten auch Politik zu machen, angefangen vom Haushalts- und Finanzausschuss, vom Kommunalausschuss, später dann auch über meine Funktion als Innenminister im Bereich Innen und Sport. All das hat am Ende dann in den Europaausschuss gemündet, nachdem ich das Fachgebiet gewechselt habe. Ich sehe hier einige Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich viele Jahre zusammengearbeitet habe, zum Schluss noch zwei Jahre als Vorsitzender des Rechtsausschusses. Das war eine bunte Mischung von Rechtsgebieten, Politikgebieten, Fachgebieten, die mir immer Spaß gemacht haben.

Weil wir aber heute ja diesen Verfassungsmarathon hatten, ist es mir ein besonderes Anliegen, auch dazu noch einmal Stellung zu nehmen. Ich glaube, diese Arbeit der Verfassungskommission – auch wenn nicht in allen Dingen alles gelungen ist – war eine Sternstunde der Politik, weil wir wirklich unter der Leitung – man kann schon fast sagen: Führung – unseres bewährten Prof. Bovermann doch ein ganz hervorragendes Miteinander gepflegt haben und wirklich in einer sehr umfänglichen Art und Weise uns mit Verfassungsfragen auseinandergesetzt haben, wie man es sich häufig wünschen würde, dass andere Dinge auch in der Tiefe beleuchtet würden. Das kann man natürlich nicht immer. Das wissen wir im Politbetrieb. Aber das war hier wirklich sehr, sehr gut.

Es ist am Ende auch etwas herausgekommen, auf das wir durchaus stolz sein können. Dass wir einige Punkte heute in die nächste Legislaturperiode vertagt haben, gehört auch zum politischen Geschäft. Ich bin ganz sicher, dass die hier angesprochenen Fragen nicht aus der Welt sein werden. Dazu sind sie zu wichtig und auch vom unterschiedlichen Temperament der Fraktionen ja sicherlich auch getragen.

Ich möchte Ihnen jedenfalls alles erdenklich Gute wünschen. Halten Sie in der Tat den Föderalismus hoch! Der Landtag gerade in Nordrhein-Westfalen ist eine gewichtige Stimme in Deutschland und das soll auch so bleiben. Dafür werden diejenigen, die im nächsten Landtag vertreten sein werden, sicherlich arbeiten. Ihnen alles Gute in diesem Zusammenhang und Gottes Segen! – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, lieber Kollege Dr. Wolf. Sie haben es gesagt. 17 Jahre im Landtag Nordrhein-Westfalen gehen für Sie persönlich zu Ende, 17 Jahre, in denen Sie teilweise in wirklich herausgehobenen Funktionen für unser Parlament, für unser Land Nordrhein-Westfalen haben arbeiten können, als Fraktionsvorsitzender, als Innenminister unseres Landes.

Sie haben an dem parteiübergreifenden Beifall aller Fraktionen gesehen, dass, unabhängig von den politischen Differenzen, die zum Selbstverständnis eines demokratischen Parlaments gehören, alle Parteien, alle Fraktionen des Hohen Hauses Ihnen für Ihr Engagement, Ihre großartige Leistung für Nordrhein-Westfalen sehr, sehr herzlich danken und Ihnen ganz persönlich für die Zukunft alles Gute wünschen. Vielen herzlichen Dank im Namen des gesamten Landtags Nordrhein-Westfalen!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Kollege Marsching das Wort. Wir sind alle so gespannt, Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Ich könnte noch kurz etwas trinken gehen, damit das länger anhält.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das würde die Geschäftsordnung nicht vorsehen. Sie haben das Wort.

(Nadja Lüders [SPD]: Die können wir ja auch noch ändern!)

Michele Marsching (PIRATEN): Das wäre ja meine Uhr, die dann liefe.

Ich kündige an, dass wir diesen Antrag weder zurückziehen noch gegen ihn stimmen werden, denn er ist sehr gut.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Liberale Gesellschaften sind durch einen wachsenden Meinungspluralismus gekennzeichnet, und das drückt sich nun mal auch im Parteienspektrum aus. Über Jahrzehnte gab es hier im Landtag nur drei Fraktionen, dann vier, jetzt haben wir fünf Fraktionen. In den nächsten Landtag könnten sieben oder acht Fraktionen einziehen. Das alles verändert die politischen Verhältnisse, und dem müsste auch parlamentsrechtlich Rechnung getragen werden, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, dass im Landtag Mehrheiten entscheiden.

Bei der Einsetzung Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gibt es bereits ein Quorum von 20 %. Es wäre daher konsequent, dieses Quorum auch beim Recht auf Einberufung des Landtags und bei der Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle anzuwenden. Der Kollege Jostmeier hat es gerade gesagt: Man sollte Länderparlamente stärken. – Und das heißt, Minderheitenrechte zu stärken, denn sie sind in den Parlamenten ein wichtiges Instrumentarium.

Auch hier gab es einen Kompromiss; darauf haben schon einige hingewiesen. Auch hier hängen wir leider an dem leidigen Satz, alles hinge mit allem zusammen. Eine Einigung ist dann dem politischen Spiel der großen Fraktionen zum Opfer gefallen. Herr Dr. Wolf hat es gerade noch einmal gesagt: Die Sinnhaftigkeit ist unbestritten. – Und wir Piraten geben ja die Hoffnung auf das Gute nie auf: Das Gleiche könnte auch heute hier im Parlament gelten.

Schön wäre, wenn die Menschlichkeit und der menschliche Umgang, den wir gerade in Bezug auf die letzten Reden von Kolleginnen und Kollegen gesehen haben, tatsächlich auch am Ende zu Lösungen führen würden. Herr Jostmeier, Herr Dr. Wolf, alles Gute auch von mir für die Zukunft. Wir haben gerade am gemeinsamen Applaus gesehen, dass sich das alle Fraktionen wünschen. Diesen gemeinsamen Wunsch und das dann auch in die Tat umzusetzen, würde ich mir auch für unseren Antrag wünschen. – In diesem Sinne, vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14685, den Gesetzentwurf Drucksache 16/14380 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung in zweiter Lesung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Ich darf darauf hinweisen, dass, weil es sich um ein verfassungsänderndes Gesetz handelt, für die Annahme des Gesetzentwurfs in zweiter Lesung gemäß § 43 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, aber in der zweiten Lesung auch ausreichend ist. Das Quorum der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder des Landtags gemäß Art. 69 Abs. 2 unserer Landesverfassung ist erst für eine Annahme des Gesetzentwurfs in dritter Lesung erforderlich.

Dies gewärtig darf ich Sie um Ihr Votum bitten. Wer stimmt für den Gesetzentwurf der Piraten Drucksache 16/14380? – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP-Fraktion.

(Christian Möbius [CDU]: Das wird aber knapp!)

Wer enthält sich der Stimme? – Der fraktionslose Kollege Schulz enthält sich der Stimme. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/14380 in zweiter Lesung abgelehnt.

Durch die Ablehnung des Gesetzentwurfs sind logischerweise alle wesentlichen Teile der Gesetzesvorlage abgelehnt. Gemäß § 77 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung unterbleibt damit jede weitere Beratung und Abstimmung, das heißt, auch eine dritte Lesung.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 12 und rufe auf:

13 Viertes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung – Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenregel in das nordrhein-westfälische Landesrecht

Gesetzentwurf
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13315

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/14686

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14760 – Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktionen von CDU und FDP
Drucksache 16/14792

zweite Lesung

Wir treten in die Aussprache ein. Ich erteile dem bereits geduldig wartenden Kollegen Zimkeit von der SPD-Fraktion das Wort. – Bitte, Herr Kollege.

Stefan Zimkeit (SPD): Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde in der letzten Zeit nur noch sehr selten über die Einhaltung der Schuldenbremse in Nordrhein-Westfalen diskutiert. Das liegt wahrscheinlich daran, dass auch die Oppositionsfraktionen es aufgegeben haben, das falsche Schreckgespenst von der Nichteinhaltung in Nordrhein-Westfalen an die Wand zu malen.

Wir wären bereit gewesen, die Schuldenbremse in NRW auch verfassungsrechtlich zu regeln. Dies ist leider nicht zustande gekommen. Das ist alles schon sehr ausführlich diskutiert worden. Die FDP-Fraktion wollte ja diese Schuldenbremse in der Verfassung und auch die Absenkung des Wahlrechts in der Verfassung und hat es dann geschafft, so zu taktieren, dass sie beides nicht bekommen hat. „Chapeau“ muss ich dazu sagen.

In der Anhörung waren sich alle Experten einig, dass, wenn keine verfassungsrechtliche Regelung zustande kommt – die uns ja auch nicht vorgelegt worden ist –, dann eine einfachgesetzliche Regelung notwendig ist. Die haben wir vorgelegt. Wir haben sie aufgrund der Anhörung noch einmal geändert, indem wir sie an der einen oder anderen Stelle verschärft und insbesondere die Mitwirkungsrechte des Parlaments gestärkt haben.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Witzig!)

Insofern liegt jetzt eine flexible und tragbare Lösung vor, und ich würde Sie bitten, dem zuzustimmen.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Nein!)

Den Entschließungsantrag lehnen wir ab, weil es müßig ist, über die grundgesetzliche Schuldenbremse auf Bundesebene, die sowieso wirkt, zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zimkeit, Ihre Analysefähigkeiten bezüglich des Oppositionsverhaltens scheinen nicht sehr ausgeprägt zu sein. Ich zeige Ihnen im Folgenden auch, warum.

Die Schuldenbremse ist deutlich kein Selbstzweck. Sie konkretisiert vielmehr das Prinzip der finanziellen Nachhaltigkeit. Ziel ist es doch, dass Bund und Länder die wahrzunehmenden Aufgaben künftig ohne neue Schulden stemmen und finanzieren können. Denn die Schulden von heute – das haben wir immer wieder betont und gesagt – bestimmen die Zinsausgaben und Steuersätze von morgen und haben somit einen großen Einfluss auf die Entwicklungschancen und Gestaltungsspielräume unserer Kinder und Enkel. Die Verschuldung unseres Landes hat insofern eben nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine moralische Dimension, die von der rot-grünen Schuldenkoalition seit Jahren bestritten wird.

Nordrhein-Westfalen hat seit 1973 – Herr Finanzminister, dafür sind Sie ein Stück weit mitverantwortlich – einen fast 144 Milliarden € hohen Schuldenberg angehäuft. Dafür mussten bis heute fast 139 Milliarden € Zinsen ohne Tilgung an die Banken gezahlt werden. Da sieht man, dass netto quasi nur 5 Milliarden € investiert worden sind. Das sind etwas über 3 % des Schuldenbergs.

(Michael Hübner [SPD]: 1973 ist doch schon Quatsch!)

Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der impliziten Staatsverschuldung durch die in den nächsten Jahren stark steigenden Versorgungsausgaben, die Sie ja auch immer so gerne vertuschen wollen, ist eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik so wichtig. Wir brauchen deshalb jetzt einen Mentalitäts- und Paradigmenwechsel.

Der nordrhein-westfälische Landtag hat sich in der Vergangenheit mehrfach mit den landesrechtlichen Umsetzungen beschäftigt. Bereits Ende der 14. Legislaturperiode und auch in der 15. Legislaturperiode haben wir zwei Gesetzesvorstöße zur Aufnahme einer Schuldenbremse in die Landesverfassung vorgelegt, und Sie dürfen raten: Beide wurden natürlich von Rot-Grün abgelehnt.

In dieser Legislaturperiode sollte die Verfassungskommission, die am 11. Juli 2013 eingesetzt wurde, die Einführung einer Schuldenbremse einschließlich gegebenenfalls geeigneter Sanktionsinstrumente prüfen. Rot-Grün war jedoch nur daran interessiert, Umgehungstatbestände in die Verfassung aufzunehmen. Ein konkretes Beispiel: Die Koalition wollte den Bau- und Liegenschaftsbetrieb mit einer generellen Kreditermächtigung von 5 Milliarden € ausstatten und zu einem Schattenhaushalt ausweiten. Das haben die Union und die FDP aber erfolgreich verhindern können.

(Zuruf von den PIRATEN)

Heute will diese Koalition nun die einfachgesetzliche Schuldenbremse verabschieden. Dieses Gesetz ist jedoch ein schlechter PR-Gag. Auf dem Papier kommt es harmlos daher, tatsächlich ist das aber keine Lösung. Denn eine einfachgesetzliche Regelung kann von jeder neuen Regierung leicht geändert werden, die Landesverfassung aber nicht. Das weiß auch die rot-grüne Schuldenkoalition. Das wissen auch Sie, Herr Finanzminister.

In der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf wurde dieser von den meisten Sachverständigen inhaltlich scharf kritisiert. Ihre auf der Zielgraden vorgenommenen Änderungen betreffen nur einzelne, sehr kleine Kritikpunkte. Allein hieran kann man feststellen, wie handwerklich schlecht die rot-grüne Koalition gearbeitet hat.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wie viele Änderungsanträge haben Sie denn eingebracht?)

Größter Spielraum bleibt der Landesregierung durch Umgehung erhalten. So ist es zum Beispiel möglich, die Schuldenbremse durch eine Verlagerung von Krediten auf rechtlich ausgegliederte Bereiche zu umgehen. Diese Option wird vom vorliegenden Gesetzentwurf von Rot-Grün nicht ausdrücklich unterbunden.

Die einfachgesetzliche Lösung – das habe ich gerade erwähnt – führt auch dazu, dass die Opposition hinsichtlich der Einhaltung der Schuldenbremse keine Überprüfungsmöglichkeiten mehr hat. Dafür müsste die Schuldenbremse nämlich in der Landesverfassung verankert werden. Dann könnte man vor dem Verfassungsgerichtshof entsprechend tätig werden. Das verhindern Sie mit Ihrem Gesetzentwurf aber deutlich und wollen dadurch natürlich auch den Handlungsspielraum der Opposition einschränken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eine Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof muss unbedingt auch in Zukunft gewährleistet werden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Dann hätten Sie den Vorschlägen zustimmen müssen!)

Dafür stehen wir als CDU. Dafür stehen auch die Kollegen von der FDP. Denn dass das notwendig ist, haben wir in dieser Legislaturperiode erlebt. Die Regierung Kraft hat bereits drei verfassungswidrige Haushalte vorgelegt. Es bestehen also gute Gründe dafür, eine Schuldenbremse in der Landesverfassung zu verankern.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist ja vollkommener Blödsinn jetzt!)

Herr Zimkeit, hören Sie zu! – In acht Bundesländern ist es auch schon möglich, dass die Schuldenbremse in der Landesverfassung verankert wird. Hier soll es aber offensichtlich nicht möglich sein. Ihr Wille dazu ist nicht zu erkennen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Sie haben es doch verhindert!)

Ihr Wille ist ein anderer. Sie wollen eine einfachgesetzliche Lösung. Wir haben Vorschläge eingebracht. Diese Vorschläge tragen Sie nicht mit. Die CDU wie auch die FDP will eine ehrliche und wirksame Schuldenbremse in unserer Landesverfassung verankern, die ihren Namen auch verdient, und nicht diese Scheinheiligkeit, die Sie uns hier präsentieren.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Nur diese wird auch dauerhaft dazu führen, dass unser Land Nordrhein-Westfalen, welches Sie zum Schuldenland Nummer eins in Deutschland gemacht haben – das ist nun einmal Fakt –, endlich nachhaltig wirtschaftet und das Potential ausschöpfen kann, das es zweifelsohne verdient.

Vor diesem Hintergrund ist Ihr Gesetzentwurf einfach abzulehnen, unserem Antrag ist zuzustimmen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion der Grünen spricht Frau Kollegin Zentis.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unwahrheiten werden nicht wahrer, je öfter man sie wiederholt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Vorgängerrede war wirklich ein leuchtendes Beispiel für das, was hier heute – auch schon an anderer Stelle – stattgefunden hat. Manches war reif für eine Theateraufführung.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir nun die Schuldenbremse auf Landesebene. Im Grundgesetz steht sie bereits, und sie gilt damit ausnahmslos für alle Länder. Bis spätestens 2020 muss Nordrhein-Westfalen seinen Haushalt ausgleichen, und entgegen dem, was die Opposition hier immer vorgebracht hat, stehen wir sehr gut da. Wir werden die Schuldenbremse dauerhaft einhalten.

(Robert Stein [CDU]: Sie profitieren von den niedrigen Zinsen!)

Das Horrorszenario, das Sie am Beispiel von Berlin in Ihrem Entschließungsantrag aufmachen, zeugt von einem Kurzzeitgedächtnis. Die CDU ist dort nämlich 2016 aus der Regierungsverantwortung ausgeschieden und mitverantwortlich für den hinterlassenen Schuldenberg. Nunmehr wird investiert, wie es jedes gute Unternehmen auch machen würde, das am Markt bestehen möchte.

Diese rot-grüne Landesregierung hat die Neuverschuldung seit Regierungsübernahme um 6,8 Milliarden € gesenkt und gleichzeitig die Investitionen in Kitas, in Bildung und in unsere Kommunen zum Beispiel durch den Stärkungspakt ausgebaut – anders als der Bund, der die Belastungen durch Gesetzesänderungen an die Kommunen weiterreicht und somit auch zur höheren Verschuldung der Kommunen aufgrund höherer Sozialausgaben beiträgt.

Hören Sie doch bitte auf mit den Märchen und dem Schlechtreden unseres Landes. Erstmals seit 43 Jahren ist es gelungen, dass NRW einen Überschuss von 200 Millionen € erwirtschaftet und Schulden zurückgezahlt hat, anstatt neue aufzunehmen. Das haben wir auch den Einsparungen zu verdanken, die diese Landesregierung getätigt hat: 150 Millionen € durch die Umstellung von Förderprogrammen auf Darlehen, 50 Millionen € im Bereich der Landesgesellschaften und 10 Millionen € durch die Fusion der Oberfinanzdirektionen. Das macht zusammen 200 Millionen € aus.

Wir Grüne befürworten diese einfachgesetzliche Regelung der Schuldenbremse. Ihre Aufnahme in die Verfassung ist ja auch nur gescheitert, weil sich die Opposition mit uns in der Verfassungskommission nicht auf ein Gesamtpaket einigen konnte. Das haben wir hier ja heute schon zigmal diskutiert. Daher müssen wir die Schuldenbremse nun durch ein einfaches Gesetz regeln; denn wir brauchen eine landesgesetzliche Regelung, damit auch NRW die Spielräume, welche die Schuldenbremse bietet, im Sinne einer nachhaltigen Haushaltspolitik und ganz einfach aus Gründen der Generationengerechtigkeit zum Wohle der Menschen nutzen kann.

Eine praxisnahe Schuldenbremse zu schaffen, die gegebenenfalls mit einfacher Mehrheit angepasst werden kann und mit der Fehlentwicklungen korrigiert werden können, das ist unser Ziel. Der Sachverständige Prof. Gusy hat in der Anhörung, in der auch Sie zugegen waren, noch einmal aufgeführt, dass der Gesetzentwurf den rechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes entspricht, dass er verfassungspolitisch sinnvoll ist und dass kein Verfassungsvorbehalt gegen eine einfachgesetzliche Regelung besteht. – Dem kommen wir nach Ihrer Verweigerung in der Verfassungskommission nun nach.

Die Finanzierungs- und Investitionstätigkeit des Staates darf man vielleicht einschränken, sie darf aber auf keinen Fall unmöglich gemacht werden. Auch nicht getätigte Investitionen sind ein Vermächtnis, das wir kommenden Generationen hinterlassen – genauso wie ein übergroßer Schuldenberg.

Art. 115 Grundgesetz, der die zentrale Regelung der Schuldenbremse für den Bund enthält, liegt unserem Gesetzentwurf zugrunde. Deshalb ist in Art. 1 zu § 18 Abs. 1 eine Regelung zur symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen von ökonomischen Auf- und Abschwüngen enthalten, also eine konjunkturelle Komponente, wodurch antizyklische Kreditaufnahmen im Abschwung ermöglicht werden. Sie werden durch ein Kontrollkonto und einen festgeschriebenen konjunkturellen Tilgungsplan sichergestellt. Es ist gut an der vorhandenen Regelung, dass auch ermöglicht wird, bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notlagen sofort zu reagieren. Das sollte zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger in NRW für uns selbstverständlich sein.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die Redezeit.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – In unserem Änderungsantrag haben wir nun auch noch die Anregungen der Sachverständigen der Opposition aufgenommen, indem wir den Schwellenwert des Kontrollkontos auf 1 % abgesenkt haben und als Grundlage unmissverständlich das Bruttoinlandsprodukt NRW benennen.

Darüber hinaus haben die Rechte des Landtages gestärkt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Ja. – Das sollte eigentlich auch auf Ihre Zustimmung stoßen können. Ihrem Entschließungsantrag können wir uns nicht anschließen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Zentis. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ausführungen meiner Vorrednerin waren bezeichnend. Sie verdeutlichen an dieser Stelle, wo die Unterschiede in der Debatte liegen.

Sie haben auf eine interessante Expertenanhörung verwiesen. Ja, die hat es in der Tat gegeben. Jetzt greifen Sie sich diejenigen heraus, die als Kritiker von Schuldenbremsen bekannt sind, und sagen: Von denen haben wir Lob bekommen. – Die hätten Sie dafür gelobt, dass die Regelung, die Sie hier vorlegen, so weich ist, dass Sie die jederzeit abändern können. Es ist von Experten bei der Anhörung klar festgestellt worden, dass Sie sich im unteren Spektrum der Möglichkeiten bewegen. Umgekehrt haben Sie verschwiegen, dass die Befürworter von Schuldengrenzen diesen Gesetzentwurf ausdrücklich kritisiert und fachlich im Einzelnen dargelegt haben, dass er völlig wirkungslos ist und es einen Etikettenschwindel darstellt, hier das Wort „Schuldenbremse“ zu verwenden.

Wir als FDP-Landtagsfraktion wollen unverändert und in Fortsetzung aller bisherigen Debatten zu diesem Thema eine Regelung, die auch tatsächlich als Schuldenbremse greift. Das setzt eben das Vorhandensein verschiedener Bestandsmerkmale voraus. Das ist auch zugleich der Grund, Herr Kollege Zimkeit, warum wir Ihre Frage, weshalb wir keine Änderungsanträge zu diesem Gesetzentwurf gestellt haben, ganz einfach beantworten können: Das ist so, weil wir es nicht für ausreichend halten, im Rahmen einer einfachgesetzlichen Regelung Verabredungen zu treffen, die jederzeit mit jeder einfachen politischen Mehrheit wieder abänderbar sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir brauchen keine Änderungsanträge zu diesem einfachrechtlichen Gesetz, sondern wir brauchen eine Regelung in der Verfassung, die Bestandskraft hat und die eben nicht von einfachen Mehrheiten abänderbar ist – je nachdem, wie es der Zweckopportunismus gerade als sachdienlich erscheinen lässt. Es sollte vielmehr mindestens qualifizierte Mehrheiten geben, dass also Änderungen von breiten Kreisen des Hauses getragen sein müssen.

Ihre Ausgestaltung sorgt dafür, dass jedes aktuelle Gesetz, jedes aktuelle Haushaltsgesetz gegen diese Vorschriften in der Landeshaushaltsordnung verstoßen kann, indem sie einfach geändert werden. Dann wird natürlich die aktuellere Beschlusslage gelten. Das wird dann im Rahmen eines Haushaltsbegleitgesetzes – so wie Sie vieles andere im Haushaltsgesetzgebungsverfahren auch ändern – mal eben einfach mit erledigt. Damit werden die Vorschriften, die einem nicht mehr passen, außer Kraft gesetzt oder abgeändert.

Das Zweite ist: Es muss neben der Verankerung in der Verfassung klare Sanktionen geben, die tatsächlich dafür sorgen, dass hart eingefordert, hart reagiert wird, wenn sich aufgrund der finanziellen Entwicklung Verstöße offenbaren.

(Beifall von der FDP)

Das Dritte – was auch ganz zentral ist – ist die Klagebefugnis vor dem Verfassungsgerichtshof. Das haben Sie nicht gerne, weil Sie da mehrfach Niederlagen kassiert haben. Auch die Amtszeit unseres Finanzministers hat mit einer sehr spektakulären Niederlage vor dem Verfassungsgerichtshof begonnen. Da haben wir verfassungsrechtlich Neuland betreten, bis hin zur einstweiligen Anordnung, mit der Ihnen untersagt worden ist, so zu verfahren, wie Sie das vorhatten und es von den Regierungsfraktionen im Parlament auch getragen worden ist. Gerade diese praktischen Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, dass diese Klagemöglichkeit besteht.

Jetzt muss man mit der unsinnigsten Legende aufräumen, die seit Wochen hier erzählt wird, nämlich: Die Oppositionsfraktionen in diesem Haus – jedenfalls soweit CDU und FDP angesprochen worden sind – hätten eine Verfassungsregelung der Schuldenbremse nicht gewollt. Das ist wirklich vollkommener Unsinn – um nicht neudeutsch von Fake News zu sprechen.

(Beifall von der FDP)

Wenn man eine wirksame Schuldenbremse für eine generationengerechte Politik will, dann verständigt man sich auch zwischen den Fraktionen auf einen solchen Gegenstand. Aber wenn Sie das so definieren und sagen: „Wir machen zur Voraussetzung für alle Gespräche über eine Schuldengrenze in der Verfassung, dass die Forderung nach dem Wahlalter ab 16 Jahren und andere Forderungen erfüllt werden“, und dann, wenn das Paket als Gesamtes nicht zustande kommt, erklären, CDU und FDP hätten keine Verfassungsverankerung der Schuldenbremse gewollt, ist das nun wirklich kompletter Unsinn. Das ist intellektuell völlig unredlich.

(Beifall von der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Wer hat denn das gesagt? Wieder einmal gelogen, Herr Witzel! Wie immer!)

Der Grund ist, dass Sie in der Landesverfassung keine harte Regelung einer Schuldenbremse wollen. Wenn das kein Streitpunkt wäre und wenn es für diese Regelung einer Schuldenbremse in der Verfassung in diesem Hause in seiner jetzigen Zusammensetzung eine verfassungsändernde Mehrheit geben würde, wäre auch eine Regelung zustande gekommen. Sie waren es, die das nicht gewollt haben.

(Beifall von der FDP)

Wir können über eine Schuldenbremse auch losgelöst von völlig anderen, sachfremden Gesichtspunkten entscheiden.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Losgelöst von allem!)

Deshalb wird uns das Thema in der nächsten Legislaturperiode, wenn es neue Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus gibt, erneut beschäftigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden jetzt Zeuge eines äußerst seltenen Vorgangs werden. Ich werde als Pirat die Worte eines CDU-Politikers loben. Das Zitat bezieht sich auf die Einführung der Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz und lautet:

„Die CDU-Fraktion ist mit allen anderen Fraktionen … darin einig, dass ein derartiges Verbot nicht im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für die Länder … normiert werden kann. Landtagspräsident … hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Föderalismuskommission verabsäumt wurde, den Ländern eigene steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen.“

Weiter:

„Können die Landtage jedoch bei den Einnahmen nichts bewirken, dann kann der Bund uns auf der Ausgabeseite auch keine restriktiven Vorgaben machen. Alles andere liefe … auf eine Kastration der Landtage hinaus.“

Erst hier endet das Zitat. Dies ist ein Zitat des schleswig-holsteinischen Fraktionsvorsitzenden der CDU aus einer Landtagsdebatte von 2009. Dem stimmte damals auch der Fraktionsvorsitzende der SPD, ein gewisser Ralf Stegner, zu. In derselben Debatte sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Kubicki – Zitat –:

„Erstens darf die Ausgestaltung des Schuldenverbots nicht zu starr sein. Das heißt, eine Verschuldung für Investitionen muss aus der Sicht der FDP-Fraktion möglich sein.“

In der Debatte über den Antrag stimmten übrigens alle Fraktionen, auch die Grünen, darin überein, dass eine im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse unzulässig in die Souveränität des Landes eingreift und daher verfassungswidrig ist.

(Beifall von den PIRATEN)

Alle Argumente gelten auch in der hier und heute stattfindenden Diskussion über die Schuldenbremse in NRW. Doch davon wollen Sie alle nichts wissen. Sie, liebe Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP überlassen ab dem Jahr 2020 wichtige Investitionsentscheidungen lieber den Finanzinvestoren und Renditejägern; denn die durch die Schuldenbremse entstehende Investitionslücke kann doch nur durch renditegetriebene Privatinvestoren gefüllt werden. Die Einführung der Schuldenbremse im Bund und Ländern wirkt somit wie ein Gaspedal für Privatisierungen und ÖPP-Projekte. Dabei machen wir Piraten nicht mit.

(Beifall von den PIRATEN – Stefan Zimkeit [SPD]: Wenn es in der Verfassung steht!)

Was dabei herauskommt, hat der Bundesrechnungshof bereits ausführlich dokumentiert: Der Bürger zahlt immer drauf – immer.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wir haben einen großen Fehler im Grundgesetz!)

Mit ÖPP wird es immer teurer – teurer, als wenn die öffentliche Hand direkt investiert. Ich sage Ihnen voraus, dass die ÖPP-Projekte das Missmanagement beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW noch in den Schatten stellen werden. Wie beim BLB wird dem Landtag nur noch übrig bleiben, mittels Untersuchungsausschüssen dem Missmanagement hinterherzuräumen. Vom Primat der Politik wird dann nicht mehr viel übrig bleiben.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das gehört dazu!)

Die Schuldenbremse ist daher nichts anderes als parlamentarische Untreue am Staatsvermögen.

(Zuruf von der CDU: So ein Blödsinn!)

Nichtstun ist Machtmissbrauch, sagt die FDP. Ich sage: Selbstentmachtung ist Landesverrat.

(Beifall von den PIRATEN – Stefan Zimkeit [SPD]: Da will einer unbedingt zum Schluss noch in die Zeitung kommen!)

Es wird gerne behauptet, man müsse aufgrund der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse diese auch auf der Landesebene regeln, um noch einen haushaltspolitischen Spielraum in Notsituationen zu haben. Tatsache ist, Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz ist einer der größten verfassungsrechtlichen Fehlgriffe des Bundesgesetzgebers. Die Eigenständigkeit der Länder ist vor Zugriffen des Bundes durch das Prinzip der Bundesstaatlichkeit geschützt. Es kann auch nicht mit einer Zweidrittelmehrheit ausgehebelt werden.

Somit hat die Schuldenbremse im Grundgesetz für NRW auch keine Geltung. Darum ist es den Befürwortern der Schuldenbremse ja auch so immens wichtig, sie in der Landesverfassung zu verankern. Aber keine Sorge: So, wie die politischen Mehrheiten hier sind, wird auch eine einfachgesetzliche Verankerung über Jahre in NRW Bestand haben. Wenn es der SPD tatsächlich um soziale Gerechtigkeit ginge, dann würde sie gegen die Schuldenbremse in Karlsruhe klagen. Aber so landet die soziale Gerechtigkeit mit der SPD und dem Schulz-Zug mal wieder auf dem Abstellgleis.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Ich komme zum Schluss. Mit dem heutigen Beschluss unterschreiben Sie Ihr eigenes Entlassungsschreiben und stellen sich ein politisches Armutszeugnis aus. Wir Piraten lehnen als einzige Fraktion die Schuldenbremse grundsätzlich ab.

(Christian Möbius [CDU]: Die ist aber da!)

Die Begründung können Interessierte gern noch einmal ausführlich in unserem Entschließungsantrag Drucksache 16/14760 nachlesen. Wir werden Ihr Gesetz ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun hat sich der fraktionslose Abgeordnete Herr Schulz gemeldet.

(Michael Hübner [SPD]: Da kommt der lahme Schulz!)

Dietmar Schulz (fraktionslos): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister! Es ist nicht der Schulz-Zug, sondern es ist nur der Schulz hier aus dem Landtag.

(Michael Hübner [SPD]: Der geht auch Richtung Berlin, der Schulz!)

Ich freue mich sehr, zum 196. Mal in dieser Legislaturperiode an dieses Pult treten zu dürfen und eine haushalts- oder finanzpolitische Rede halten zu dürfen, und das wird dann wahrscheinlich in diesem Themenbereich voraussichtlich meine letzte in dieser Legislaturperiode sein.

Über das, was hier in den letzten – ich sage mal – anderthalb, zwei Stunden gelaufen ist im Zusammenhang mit verfassungsändernden Gesetzesvorhaben, möchte ich jetzt gar kein Wort mehr verlieren und deswegen nur in aller Kürze einmal noch zur Sache reden. Schuldenbremse in drei Minuten – jetzt sind es nur noch 2:10 Minuten –: ein Ding der Unmöglichkeit; kannst du einfach vergessen. Selbst die fünf Minuten reichen nicht aus.

Aber lieber Kollege Nico Kern – ich sage Ihnen das einmal hier im Hause –, auch wenn ich den Entschließungsantrag nun weiß Gott nicht in allen Punkten teile – wir haben eben auch noch einmal darüber gesprochen –, aber mit dem, was du hier vorgetragen hast, liegst du nicht ganz falsch.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Ich habe den Finanzminister beobachtet. Der hat ganz schön die Backen aufgepustet bei dem, was Nico Kern gesagt hat, und hat möglicherweise auch einmal in die Richtung gedacht, ob sich eventuell das Land Nordrhein-Westfalen von der Situation, in der es sich befindet, auch und trotz der Regelungen in Art. 109 Grundgesetz zwar nicht auf irgendeine Weise generell befreien kann, aber ob vielleicht darüber nachgedacht werden kann, die Diskussion auf Bundesebene oder zumindest auf Landesebene noch einmal neu anzustoßen.

Denn das waren auch meine Überlegungen. Ich habe auch gegen Parteien, gegen die Piratenpartei und auch innerhalb der Fraktion immer gekämpft dafür, nicht zu sagen „Schuldenbremse weg“, sondern auch im Hinblick auf gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Fragestellungen die Schuldenbremse wenigstens aus NRW heraus anstoßend einmal grundsätzlich infrage zu stellen und dann auf Bundesebene, vielleicht aber auch auf Europaebene eine neue Diskussion über diese Strangulationsmechanismen, die damit verbunden sind, anzustoßen.

Deswegen finde ich den Antrag der Piraten grundsätzlich spannend, werde mich dazu aber aus den genannten Gründen enthalten.

Was den Antrag der regierungstragenden Fraktionen angeht – ehrlich gesagt, ein bisschen verwundert mich schon, dass das nicht aus der Landesregierung heraus kam, sondern von den regierungstragenden Fraktionen –, nämlich diese Gesetzesinitiative, teile ich grundsätzlich die Auffassung deshalb, weil ich immer auch der Meinung war: Solange wir auf bundesgesetzlicher Ebene keine Änderung des Art. 109 herbeigeführt haben, sollte das Land Nordrhein-Westfalen die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, die das Grundgesetz bietet, als Minimalansatz dessen, was möglich ist.

Dass das nicht ausreichen kann, dazu haben wir schon viel diskutiert und einiges gehört. Deswegen werde ich mich auch bei diesem Antrag allerdings enthalten. Denn ich bin genauso wie die FDP der Auffassung, dass wir hier eine Verfassungsänderung brauchen, um eben auch die oppositionellen Rechte

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

weitergehend als durch die einfachgesetzliche Regelung tatsächlich aufrechtzuerhalten, auch mit einem möglichen Gang zum Verfassungsgerichtshof.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Herr Präsident, ich komme an dieser Stelle auch zum Schluss. Wie auch immer, ich habe mein Abstimmungsverhalten genannt und die Begründungen dafür genannt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit in all den bisherigen 196 Reden von dieser Stelle und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz, auch für die 196 Reden. Aber Sie haben ja in Aussicht gestellt, dass Sie in anderen Themenbereichen möglicherweise noch sprechen.

Nun hat der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Walter-Borjans, das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es heute noch eines Beweises bedurft hätte, dass CDU und FDP nicht nur nicht regieren sollten, sondern ganz offensichtlich auch nicht regieren wollen,

(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

dann haben wir das heute hiermit erledigt.

(Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen auch sagen, warum. Nordrhein-Westfalen ist das Land mit den zweitniedrigsten Ausgaben pro Kopf aller Bundesländer. Nordrhein-Westfalen hat – das wissen wir alle – eine ganze Reihe von Investitionsvorhaben vor der Brust, egal ob es Infrastruktur oder Bildung ist, und zwar in allen Bereichen: Beton, Asphalt, Breitband, ganz viele Dinge, die für die Zukunft des Landes absolut notwendig sind.

Nordrhein-Westfalen hat trotz dieser Herausforderungen seine Nettokreditaufnahme im Ist schon auf null heruntergefahren. Im Soll streben wir es an; 2020 wird es erreicht und dauerhaft eingehalten oder unterschritten.

In dieser Situation kommen CDU und FDP auf Bundesebene mit Steuersenkungen von 15 bis 30 Milliarden €, die den Landeshaushalt schon alleine bei 15 Milliarden € mit 1 Milliarde € belasten werden und die Kommunen noch einmal mit 750 Millionen € dazu.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Wie, bitte schön, möchten Sie denn, falls Sie mal in Regierungsverantwortung kommen, dann, wenn es auch noch konjunkturelle Schwankungen gibt, in der Lage sein, Ihre Aufgaben für dieses Land zu erfüllen?

(Zuruf von Achim Tüttenberg [SPD])

Da kann ich nur sagen: Bei der FDP habe ich ja noch ein gewisses Verständnis – da gilt „Privat vor Staat“; im Prinzip wollen die gar keinen handlungsfähigen Staat. Bei der CDU kann ich es nicht verstehen.

(Beifall von der SPD und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Was ist jetzt die Ausgangslage des Grundgesetzes? In Nordrhein-Westfalen gilt ab 2020 die Schuldenbremse, der Zwang zum Ausgleich des Haushalts mit null Krediten,

(Zuruf: Falsch!)

und zwar völlig unabhängig davon, welches Gesetz hier beschlossen

(Zuruf: Falsch!)

oder nicht beschlossen wird. Das steht im Grundgesetz. Das gilt ohne Wenn und Aber für Nordrhein-Westfalen. Aber das Grundgesetz hat auch ein Aber. Und dieses Aber haben schon elf Länder in gesetzliche Regelungen übertragen. Da hat auch die Opposition mitgemacht. Sie haben es in einen Verfassungsrang gesetzt. Da ging es darum – und das ist doch gerade das Ziel –, die vollkommen bedingungslose Härte der Schuldenregelung auf sinnvolle Weise tatsächlich aufzuweiten,

(Zuruf von der CDU: Ja, aufweiten!)

und zwar, damit Naturkatastrophen und unvorhergesehene außergewöhnlichen Notsituationen begegnet werden kann. Das ist Punkt eins. Und Punkt zwei ist –

(Zuruf von den PIRATEN: Verkehr ist keine Naturkatastrophe!)

und darauf müssten Sie, wenn Sie jemals Interesse hätten, handlungsfähig Regierungsarbeit leisten zu wollen, einen großen Wert legen –: Es muss möglich sein, dass ein Land investitionsfähig bleibt. Da kann ich wieder sagen: Wenn die FDP meint, dass das ausreichend geregelt ist, wenn alles mit PPP läuft, dann mag das ja für Sie in Ordnung sein.

(Zuruf von der CDU)

Meine Meinung ist, dass wir uns dem auf keinen Fall ausliefern sollten. Da gebe ich auch Herrn Kern absolut recht.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

PPP kann als Alternative gerne da stehen, aber ich muss die Möglichkeit haben, es auch anders regeln zu können. Und jetzt geht es darum, dass man sich noch einmal verdeutlichen muss: Was ist denn ein strukturell und nachhaltig ausgeglichener Haushalt?

(Zuruf von der CDU – Gegenruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Das ist einer, der natürlich auch Lasten auf Jahre verschieben darf, wenn diesen Lasten Nutzen für diese Jahre gegenüberstehen. Das gilt für Straßen, das gilt für das, was wir mit „Gute Schule 2020“ machen, das gilt möglicherweise auch in anderen Bereichen. Deswegen wird man Wert darauf legen müssen – wenn ein Staat handlungsfähig bleiben will –, dass die Schuldenbremse so eingehalten wird, wie sie gemeint ist, nämlich: dass wir nicht zulasten der zukünftigen Generationen leben.

(Zuruf von der CDU)

Das tun wir nicht, wenn wir jetzt Schulen reparieren und der Nutzen dieser reparierten Schulen für mehrere Jahre dann zu jährlichen Lasten im Landeshaushalt führt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die müssen wir ausgleichen. Das wird mit diesem Gesetz geregelt. Es wäre schön gewesen, Sie hätten nicht aus anderen Gründen in der Verfassungskommission am Ende der Änderung nicht zugestimmt. Denn die Schuldenregel war am Ende ja gar nicht der Punkt. Das machen Sie jetzt genauso, wie Sie in der Welt rumlaufen und erzählen, weil es hier noch keine gesetzliche Regelung gebe, gebe es überhaupt keine Schuldenregel für Nordrhein-Westfalen. Das ist doch erkennbar eine Irreführung, die Sie vorhaben. Das, was hier gemacht wird, ist eine gesetzliche Regelung, die Schuldenregel so anzuwenden, wie sie gedacht ist, aber nicht zur Strangulierung der Tätigkeit dieses Staates.

(Zuruf von der CDU)

Das möchten Sie offenbar, und deswegen können Sie nicht regieren, dürfen Sie nicht regieren, wollen aber offenbar auch nicht regieren. Das stellen wir hiermit dann auch einmal fest. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Ende der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Gesetzentwurf, das ist die Drucksache 16/13315. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14686, den Gesetzentwurf Drucksache 16/13315 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen.

Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/14686 und nicht über den Gesetzentwurf. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU, der FDP, der Piraten und bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Schulz angenommen und damit der Gesetzentwurf Drucksache 16/13315 in der Fassung der Beschlussempfehlung in zweiter Lesung verabschiedet.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten, das ist die Drucksache 16/14760. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/14760 mit den Stimmen von SPD, CDU, Grünen und der Fraktion der FDP, bei Zustimmung der Fraktion der Piraten und bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Schulz abgelehnt.

(Zuruf von den PIRATEN: Viel Feind, viel Ehr!)

Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP, das ist die Drucksache 16/14792. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt dem nicht zu? – Das sind die anderen Fraktionen. Wer enthält sich? – Der fraktionslose Abgeordnete Schulz. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 16/14792 mit Stimmen von SPD, Grünen und den Piraten, bei Enthaltung des fraktionslosen Abgeordneten Schulz und bei Zustimmung der Fraktionen von CDU und FDP abgelehnt.

Ich rufe auf:

14 Landesregierung muss endlich ein Konzept zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans 2030 erstellen und der Öffentlichkeit vorstellen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14653

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Voussem das Wort.

(Jochen Ott [SPD]: Herr Kollege, jetzt können Sie heute mal variieren!)

Klaus Voussem (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie gewünscht, ein Sprichwort: Gelegenheiten ergeben sich nicht, sie sind stets vorhanden.

(Allgemeine Heiterkeit)

Seit dem 16. März 2016 bietet sich der rot-grünen Landesregierung die Gelegenheit, ein Konzept für den Bundesverkehrswegeplan zu erarbeiten. Diese Gelegenheit wurde allerdings bis heute nicht genutzt. Dies ist erstaunlich, wenn man sich vor Augen hält, welche Bedeutung der Bundesverkehrswegeplan für Nordrhein-Westfalen hat. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 ist das größte Investitionsprogramm für die Infrastruktur, das es je gegeben hat. Der auf dem Bundesverkehrswegeplan aufsetzende und vom Bundestag im Dezember beschlossene Bedarfsplan ist die Grundlage für die Entwicklung der Bundesfernstraßen bis 2030.

Das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ ist richtig. Dies hat die CDU-geführte Landesregierung im Übrigen bereits beim Landesstraßenbau im Jahr 2008 so eingeführt. Seit dem 16. März 2016 ist bekannt, dass nahezu 14 Milliarden € im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2030 nach Nordrhein-Westfalen fließen können. Denn mit den Rekordmitteln gibt es zum ersten Mal eine klare und realistische Finanzierungsperspektive. Das gab es beim alten Bundesverkehrswegeplan so nicht. Der alte Plan war hoffnungslos überzeichnet. Er war in der Tat eine Wünsch-dir-was-Liste.

Trotz allem gibt es jedoch keinen Automatismus, dass die 14 Milliarden €, die uns zustehen, auch zu uns fließen. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 ist ja kein Finanzierungsplan. Die Bundesstraßen werden in Auftragsverwaltung von den einzelnen Bundesländern geplant. Nur wenn Nordrhein-Westfalen genügend Bundesfernstraßenprojekte zügig bis zur Baureife plant, kann das NRW-Paket auch vollumfänglich umgesetzt werden.

Die Landesregierung ist nun am Zug. Sie muss unverzüglich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Bundesmittel auch zeitnah und vollständig verbaut werden können.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, nicht nur die Finanzen, die wir bekommen können, sind bekannt – seit März 2016 wissen wir auch, welche Bundesfernstraßenprojekte im vordringlichen Bedarf sind. Daher muss jetzt umgehend ein Konzept zur Umsetzung der Bundesverkehrswegeplanprojekte in Nordrhein-Westfalen erarbeitet werden. Bislang jedoch fehlt ein solches Konzept.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister Groschek, seit über einem Jahr haben Sie Gewissheit, dass mindestens 13,8 Milliarden € zur Verfügung stehen, aber bis heute gibt es keinen Plan, wie diese Rekordsumme verbaut werden soll. Bis heute gibt es keinen Plan, welche Lücken in Nordrhein-Westfalen im Autobahnsystem als Erstes geschlossen werden.

(Jochen Ott [SPD]: In welcher Welt leben Sie denn?)

Es ist völlig klar, dass nicht 125 Projekte gleichzeitig mit der gleichen Kraft betrieben werden können. Es geht schließlich um einen Zeitraum von 13 Jahren. Da ist es nur zu logisch, dass es Straßen gibt, die erst einmal hinten anstehen müssen. Aber bis heute gibt es keinerlei Prioritäten in Nordrhein-Westfalen, das heißt, was am dringlichsten ist und was noch warten muss.

Scheuen Sie sich etwa, vor der Wahl zu bekennen, was zuerst und was zuletzt kommen soll? Herr Minister, Sie sind planlos. Sie gehen als Minister ohne Plan in den anstehenden Wahlkampf. Wenn Sie so weitermachen – besser gesagt: nichts weitermachen –, dann gehen Sie auch als Minister ohne Plan in die Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Wie lange, meine sehr verehrten Damen und Herren, soll diese Planlosigkeit denn noch anhalten? Wie lange wollen Sie noch warten? Wie lange wollen Sie noch überlegen?

(Zuruf von der SPD: Du meine Güte!)

Nehmen Sie sich ein Beispiel an Baden-Württemberg.

(Lachen von der Regierungsbank)

In Baden-Württemberg hat der grüne Verkehrsminister Hermann bereits Anfang März 2017 der Öffentlichkeit seine Überlegungen zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans vorgestellt.

(Demonstrativer Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE] – Zuruf von der SPD)

Auf so etwas wartet Nordrhein-Westfalen bis heute leider vergeblich.

(Beifall von der CDU)

Dabei trat Minister Hermann den Grünen bei, als diese noch forderten, überhaupt keine Autobahnen mehr zu bauen – das war im Jahr 1982. Ausgerechnet er zeigt Ihnen, Herr Minister Groschek, wie es geht und wie man Autobahnen zügig plant.

Meine Damen und Herren, früher gab es auch das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern. Dabei wurde immer wieder gesagt, dass die Länder gerne Straßen bauen würden, aber es würden das Geld, die Perspektive und die Zusage vom Bund fehlen. Da haben Sie auch mitgespielt, Herr Minister Groschek.

Die CDU-geführte Bundesregierung hat mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan dieses Spiel beendet. Das Geld ist da trotz der schwarzen Null beim Bund.

(Jochen Ott [SPD]: Das war aber keine Leistung der NRW-CDU!)

Aber die Länder und vor allem das verkehrsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen müssen jetzt liefern.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Verkehrsminister Alexander Dobrindt:

(Zurufe von der SPD: Oho!)

„Das Nadelöhr sind heute nicht mehr die Finanzen, sondern es sind die Planungen.“ – Dieses Nadelöhr gilt es zu beseitigen. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Nach dieser lebhaften Debatte dürfte das selbstverständlich sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der SPD: Dafür, dass Sie heute mit nur fünf Leuten dort sitzen, sind Sie aber ganz schön laut! – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Voussem. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Becker.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie beginnen ja jede Rede mit einem Zitat, Herr Voussem. Der Antrag erinnert auch ein bisschen an die Abteilung „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Nur, anders als der Film bleibt Ihr Antrag so überflüssig wie ein Kropf, weil Sie aus den zig Debatten im Ausschuss natürlich wissen, dass die Landesregierung mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW längst dabei ist, ein entsprechendes Programm unter Berücksichtigung der Prioritäten und der Vorgaben des Bundes aufzustellen. Sie hat auch zugesichert, es zu entsprechender Zeit bei uns im Ausschuss vorzustellen.

Dennoch bin ich dankbar für den Antrag, gibt er mir doch Gelegenheit – nach Ihrer Rede glaube ich auch, dass es notwendig ist –, auf die verkehrspolitische Bilanz dieser Landesregierung einzugehen. Da haben Sie wohl einiges nicht mitbekommen. Es waren diese Landesregierung, es war dieser Verkehrsminister, der durch die Sperrung der Leverkusener Brücke den Zustand der Infrastruktur in unserem Land auf die politische Agenda gesetzt hat.

(Beifall von der SPD)

Damit hat der Minister allen den Zustand der Infrastruktur deutlicher vor Augen geführt, als es zig Kommissionen und zig Gutachten je vermochten. Am Ende der Legislatur, am Ende des Tages, stelle ich die Frage: Wo stehen wir denn heute? 40 % aller Sofortmaßnahmen zur Staubeseitigung finden in Nordrhein-Westfalen statt. 14 Milliarden € werden für Bundesfernstraßen ausgegeben. Wir haben einen Rekordumsatz bei Bundesfernstraßen von 1,1 Milliarden €. Wir haben neue Maßnahmen für 1,43 Milliarden € geplant, freigegeben und finanziert. Wir haben in den letzten drei Jahren 137 Millionen € mehr Bundesfernstraßenmittel ausgegeben, als uns zugewiesen wurden. Und wir wollen auch nicht vergessen, dass wir erstmals seit 2007 mehr als 1.600 Ingenieure bei Straßen.NRW – an der Schüppe, hätte ist fast gesagt – am Schreibtisch haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir geben 95 % mehr für externe Planungen aus, als wir es 2010 getan haben. Wir haben seit 2010 für den Erhalt der Landesstraßen 68 % mehr Geld zur Verfügung gestellt. – Von Ihnen brauchen wir keine Belehrungen, was das Kümmern um die Infrastruktur in unserem Land angeht.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! – Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Weil heute so ein bisschen der Tag der Abschiede ist, will ich angesichts dieser Bilanz einmal sagen: Ich freue mich darauf, diese Arbeit in den nächsten fünf Jahren – ich hoffe, gemeinsam mit dem Verkehrsminister und mit einer rot-grünen Landesregierung – fortzusetzen. Das wird zukunftssicher sein, Sie werden dabei keine Rolle spielen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Nun spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe CDU! Es wäre ja bemerkenswert gewesen, wenn wir am Ende unserer Plenarzeit nicht noch einen Antrag zum Bundesverkehrswegeplan bekommen hätten, auch mit Zitaten von Herrn Voussem, wie wir das gewöhnt sind.

Ich muss ehrlich sagen: Sie haben mich ein bisschen enttäuscht, aber wiederum auch erfreut. Es gibt einen Satz, den ich gerne aus Ihrem Antrag zitieren möchte – ich habe extra mein iPad mit nach vorne genommen; papierloses Büro ist nach fünf Jahren Piraten im Landtag jetzt auch bei uns eingezogen

(Zuruf)

– Nein, nein, ich hatte das einfach nicht ausgedruckt. Das tut mir leid; das hat auch nichts mit den Piraten zu tun.

Dieser Satz steht auf Seite 2. Wir haben in den letzten fünf Jahren intensiv über Verkehrspolitik gestritten und insbesondere über die Straßenpriorisierung, die 2011 vom damaligen Landesverkehrsminister Fuchsberger und seinem grünen Staatssekretär Becker vorgenommen worden ist. Das wurde von Ihrer Seite – insbesondere von der CDU, aber gerne auch von der FDP – immer kritisiert.

Die Idee dieser Straßenpriorisierung bestand darin, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die aufgrund der Finanzlage und der Stellensituation bei Straßen.NRW wirklich umsetzbar, realisierbar, machbar und auch dringend notwendig sind. Jetzt lese ich im CDU-Antrag folgenden Satz:

„Jetzt muss entschieden werden, mit welchem der vielen vordringlichen Projekte begonnen und in welcher Reihenfolge weitergemacht wird. Dabei ist völlig klar, dass nicht 125 Projekte gleichzeitig mit der gleichen Kraft betrieben werden können.“

(Zuruf: Ach nee!)

„Dafür muss die Landesregierung ein Konzept vorlegen.“

Lieber Herr Voussem, dass Sie uns den Gefallen tun, mit diesem Antrag im Nachhinein die Straßenpriorisierung der rot-grünen Koalition doch noch zu unterstützen, nachdem Sie das so lange kritisiert haben – das ist wirklich ein Entgegenkommen, da haben wir uns jetzt endlich doch durchgesetzt.

Denn das war – und das ist auch gar nicht ironisch gemeint – der Hintergrund, warum wir das Manöver damals gemacht haben: Die Straßen, die es nötig haben, die Straßen, die dringend sanierungsbedürftig sind, die Umgehungsstraßen, die dringend gebaut werden müssen, priorisieren wir, und die Projekte, die nicht notwendig sind, stellen wir zurück und machen das zu einem späteren Zeitpunkt. – Dass Sie uns nachträglich noch recht geben, ist natürlich ein großer Erfolg.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Klocke, der Herr Kollege Schemmer hat sich für eine Zwischenfrage gemeldet.

Arndt Klocke (GRÜNE): Es hätte mich auch wirklich geärgert, wenn ich das hier nicht noch erlebt hätte. Die lasse ich natürlich zu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Bernhard Schemmer (CDU): Schönen Dank! Erklären Sie uns dann mal bitte – wenn das alles so stattgefunden hätte, wie Sie es gerade vorgetragen haben –, warum sich bei der Straßenpriorisierung, bei der wir seinerzeit massiv die Begründung für jede einzelne Straße nachgefragt haben, die Landesregierung immer geweigert hat, uns für die einzelnen betroffenen Straßen eine Begründung zu geben.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Kollege Schemmer, da muss ich zugeben – ich bin ja nicht Teil der Regierung, sondern Abgeordneter wie Sie selber –: Ich kann jetzt auch nicht für jede Straße die Begründung nachliefern.

Mit meiner Rede eben habe ich deutlich gemacht, was das Grundprinzip der Straßenpriorisierung war: Es gibt vordringliche Maßnahmen; es gibt Dinge, die unbedingt umgesetzt werden müssen, wofür auch Geld und Personal vorhanden sind, und es gibt andere Dinge, die zurückstehen können.

Die Begründung seitens des Verkehrsministeriums im Detail kann ich Ihnen als Abgeordneter leider auch nicht nachliefern.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Es gibt eine weitere Frage. Würden Sie die zulassen? Sie ist vom Kollegen Voussem.

Arndt Klocke (GRÜNE): Hui! Ja, machen wir auch!

Klaus Voussem (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege Klocke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Würden Sie denn auch zur Kenntnis nehmen, dass es Projekte in der von Ihnen als Prioritätenliste bezeichneten Streichliste 2011 gegeben hat, die im Bundesverkehrswegeplan 2030 im vordringlichen Bedarf auftauchen, und dass dadurch jetzt über sechs Jahre lang Planungszeit verloren worden ist? Wie erklären Sie sich das, und wie wollen Sie das insbesondere den Bürgerinnen und Bürgern erklären, die auf diese Projekte dringend warten?

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Kollege, da unterscheiden wir uns allein schon im Vokabular. Das ist keine Streichliste gewesen, sondern eine Priorisierungsliste, und alle Projekte sind natürlich im planerischen Bereich geblieben. Sie sind zurückgestellt worden und können jetzt auch entsprechend planerisch vorangetrieben werden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es sind übrigens Projekte, die jetzt im Bundesverkehrswegeplan wieder auftauchen. Wir haben damals gesagt: Wir konzentrieren uns auf das, was jetzt dringend notwendig ist, und bringen das voran. – Da sind ja auch viele Projekte entsprechend prioritär vorangetrieben worden.

Jetzt komme ich zur FDP, lieber Kollege Rasche. Das richtet sich jetzt mehr an Herrn Lindner, aber da muss ich sagen: Kann man machen. Ist ein bisschen unredlich, aber es ist ja auch Wahlkampf.

Gestern hat er zur rot-grünen Regierungsbilanz sowohl als Landes- als auch Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat auf allen Ebenen, die wir gerade zu wählen haben, den Vorwurf geäußert: Beim Straßenbau hat diese Landesregierung von 60 Millionen € auf 32 Millionen € heruntergekürzt. Das zeigt, wie wenig dieser Landesregierung der Straßenbau und die Infrastruktur wert sind.

Das taucht heute sogar in einigen Artikeln auf. Da kann man sich auch sagen: „Na, die Journalisten recherchieren teilweise auch nicht mehr so richtig“, denn wir haben im gleichen Zeitraum die Summe für Straßensanierungen von 55 Millionen € auf 127 Millionen € heraufgesetzt.

(Beifall von der SPD)

Vorhin hat der Kollege Becker ja auch von den 68 % gesprochen. Der Etatansatz ist mehr als verdoppelt worden. Sie selbst sprechen von Sanierung und Erhalt von Neubau – das ist, finde ich, weiterhin die richtige Maxime, auch mit Blick auf den neuen Bundesverkehrswegeplan.

Es wäre redlich von Herrn Lindner gewesen, wenn er gesagt hätte: „Okay, wir setzen mehr auf Straßenneubau; da ist gekürzt worden. Diese Landesregierung hat den Straßensanierungsetat mehr als verdoppelt, und das begrüßen wir.“ – Das wäre gut gewesen.

Ansonsten unterscheidet uns – jetzt komme ich noch zu den Kollegen der SPD –, dass wir als Grüne den Bundesverkehrswegeplan nicht so bejubelt haben wie das die Kollegen Koalitionspartner. Allerdings haben wir in Berlin in der Bundesregierung auch nicht daran mitgearbeitet. Wir hätten auf einen Bundesverkehrswegeplan gesetzt, der bis 2030 gilt, und der stärker die Trends und die modernen Erfordernisse von Verkehrspolitik aufnimmt.

Heute ist ein großer WDR5-Thementag zum Thema „Verkehr in NRW“. Ich konnte heute Morgen noch eine knappe Stunde beim Programm zuhören. Da wurden viele Bürgerinnen und Bürger befragt, und in fast allen Gesprächen wurde gesagt: Wir setzen auf einen Mobilitätsmix. Wir lassen auch mal das Auto stehen; dafür muss es gute Angebote geben. Wir wollen Multimodalität, aber dafür brauchen wir Umsteigemöglichkeiten. Wir setzen auch auf Carsharing, aber dafür braucht es ein gutes Angebot. Wir sind auch bereit, auf das Fahrrad umzusteigen.

Das ist die Politik, die diese rot-grüne Landesregierung fünf Jahre gemacht hat und die sie auch gerne weiterführt, wenn die Wählerinnen und Wähler so entscheiden. Das alles fehlt in dem Bundesverkehrswegeplan aus Berlin. Er trägt die alte Handschrift von Bundesverkehrswegeplänen: viel Straßenbau, ein Stück Schiene, alte Finanzierungskonzepte etc. – Uns fehlt der moderne Ansatz im Bereich Multimodalität.

Am Ende kommt nun doch noch ein Lob.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– Ich weiß, ich muss gleich meine Rede beenden.

Eine Sache ist allerdings erreicht worden, und da können wir uns alle gegenseitig auf die Schulter klopfen: Es gibt mehr Geld für Nordrhein-Westfalen. Das ist parteiübergreifend, fraktionsübergreifend in Berlin erkämpft worden.

Ein Dank gilt auch den Kollegen der CDU dafür, dass wir mehr Mittel nach Nordrhein-Westfalen bekommen, dass wir mehr Projekte umsetzen können, dass es jetzt mehr Geld gibt für Straßensanierung, für Straßenneubau und auch für Radschnellwegebau – immerhin 25 Millionen €. Das ist zwar ein kleiner Betrag; eigentlich müsste da dringend noch etwas dazugegeben werden.

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

Es ist aber ein Erfolg, den wir in den letzten fünf Jahren miteinander erkämpft haben. Es gibt mehr Mittel für Nordrhein-Westfalen – und da können uns alle einig sein, dass das ein Erfolg ist. Da gibt es, glaube ich, auch keinen Streit unter den Fraktionen, –

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Sie haben bereits eine Minute überzogen!

Arndt Klocke (GRÜNE): – sondern das ist unser gemeinsamer Erfolg. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Christof Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Bundesverkehrswegeplan mit seinen Maßnahmen bis zum Jahr 2030 wirklich umsetzen wollen, wird es eine Mammutaufgabe werden, dafür die Voraussetzungen zu schaffen, nämlich Planungsende, Baureife, abgeschlossene Planfeststellungsverfahren.

Um diese Mammutaufgabe zu erledigen, gibt es in der Tat noch kein Konzept. Alle Fachleute sagen, dass die Kapazitäten von Straßen.NRW und DEGES gemeinsam dazu nicht ausreichen werden. Insofern müssen wir weiterdenken und Lösungen erarbeiten, vermutlich in der nächsten Legislaturperiode. Bis heute sind diese Lösungen noch nicht erarbeitet. Ich bin mir aber sicher, dass wir alle solche Lösungen erreichen wollen. Daher müssen wir uns noch einiges einfallen lassen.

Ich komme zum Bundesverkehrswegeplan. Das ist ein Bedarfsplan, in dem der Bedarf zusammengeschrieben wird. Darüber hinaus gibt es jährliche Bauprogramme, in denen es um die Finanzierung geht. Die Finanzierung aller Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans ist mitnichten gesichert.

Ich darf einen Verkehrsminister zitieren, der seinerzeit sagte: Dieser Bundesverkehrswegeplan unterscheidet sich ganz wesentlich von seinen Vorgängern; denn es ist der erste, der durchfinanziert ist. – Das war Axel Horstmann im Jahre 2003, hier am Rednerpult, SPD-Verkehrsminister. Wir alle haben hinterher erlebt, dass das mitnichten der Fall war: Auch der Verkehrswegeplan 2003 war nicht durchfinanziert.

Genauso ist es, wenn Sie ehrlich sind – SPD und CDU –, auch beim Bundesverkehrswegeplan 2030. Ob er demnächst durchfinanziert sein wird, werden wir vermutlich erst 2031 wissen, wenn wir in der Rückschau sehen, was abgearbeitet worden ist.

Der Planungsstopp von 78 Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans im vordringlichen Bedarf im Jahr 2011 wurde von SPD und GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen beschlossen, und zwar willkürlich. Eine Begründung wurde nie geliefert, da hat Herr Schemmer recht. Wir wissen aber alle, was der wahre Grund war: Es ging um Gegenden, wo erstens Umgehungsstraßen geplant waren und zweitens die Grünen vor Ort sehr stark waren. Das war die einzige Begründung für den Planungsstopp bei 78 Maßnahmen in Nordrhein-Westfalen – und das war Willkür pur.

(Beifall von der FDP und der CDU – Ralf Witzel [FDP]: Jawohl! Richtig, so ist es!)

Noch einmal das Stichwort „Bundesverkehrswegeplan“: Natürlich schneidet Nordrhein-Westfalen zum Teil schlecht ab, insbesondere im Bereich „Schiene“. Es fehlt eben der Eiserne Rhein, es fehlt Münster-Lünen, es fehlt Aachen-Düren – reihenweise fehlen da die Maßnahmen. Da kommen andere Länder besser weg. – Herr Klocke, ob man da unbedingt grüne Ansätze unterbringen muss wie zum Beispiel das Autofasten – ich bin da anderer Meinung; das gehört da nicht hinein.

(Beifall von der FDP – Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist nicht von den Grünen, aber das verstehen Sie nicht! Das ist von der Kirche!)

Herr Klocke hat gerade kritisiert, was Christian Lindner in seiner Gesamtrede zu Landesstraßen formuliert habe und was nicht – natürlich war seine Redezeit beschränkt. – Herr Klocke hat einen Passus herausgenommen, der den Neubau von Landesstraßen betrifft, und der war richtig. Mehr hat er dazu nicht gesagt.

Wenn Sie sagen, das sei einseitig gewesen, dann weise ich auf die Debattenbeiträge der Grünen von gestern hin, was die Finanzpolitik betrifft. Sie haben der schwarz-gelben Koalition vorgeworfen, sie hätte in den Jahren von 2008 bis 2010 erhebliche Kredite aufgenommen und unsolide gewirtschaftet. Sie haben aber mit keinem Wort gesagt, dass wir damals eine weltweite Banken-, Wirtschafts- und Finanzkrise hatten. Das war einseitig und unseriös, meine Damen und Herren von den Grünen!

(Beifall von der FDP– Vereinzelt Beifall von der CDU)

Abschließend: Der Kollege Becker von der SPD hat dazu aufgerufen, am 14. Mai Rot-Grün fortzusetzen. Herr Becker kann denken, was er will, ich jedenfalls teile seine Auffassung nicht. Da bin ich eher bei Herrn Groschek und Herrn Duin. Beide haben ausdrücklich und mehrfach vor einer Durchgrünung dieses Landes gewarnt. Ich glaube, diese beiden haben recht.

(Beifall von der FDP und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Aber Rasche bekommt tobenden Applaus von Herrn Schemmer! – Holger Ellerbrock [FDP]: Da hat er recht!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Verkehrsteilnehmende! Zu Beginn dieser Legislaturperiode war in NRW die Infrastruktur noch marode. Eine über Jahrzehnte falsche Verkehrspolitik hatte einen Sanierungsstau geschaffen, und NRW war ein Stau-Land voller Autos.

Bis heute hat sich an dieser Situation nichts verändert, und der Bundesverkehrswegeplan zementiert, ja asphaltiert diese Situation geradezu. Der Bundesverkehrswegeplan steht für immer mehr Stau, und damit kommt NRW nicht voran. Wer diesen Plan umsetzt und damit die Zukunft baut, der baut an einer Verkehrswende und an einer positiven Zukunft vorbei.

Sagen Sie nicht, dass Sie keine Wahl hätten. Ich habe hier fünf Jahre lang bessere Optionen dargelegt. Wir haben auch behandelt, was man zu einem Bundesverkehrswegeplan einreichen müsste. Bedenken Sie allein die Risiken, die Sie politisch zu verantworten haben: mehr als zwei Millionen Unfälle, jedes Jahr weit mehr als 3.000 Verkehrstote! Dazu kommen noch 50.000 weitere Verkehrstote jährlich allein durch eine hohe Feinstaubbelastung. Das sind Fakten, die dabei völlig untergehen.

Wir brauchen eine smartgerechte Verkehrswende, und zwar dringend. Sie alle bauen aber weiter vornehmlich Straßen. Schlimmer: Sie sind absurderweise auch noch stolz darauf, dass wir NRW weiter zuasphaltieren.

Ich sage: Schande über solch eine ideologische Verkehrspolitik! Schande über diese stadt- und menschenfeindliche Invasion von Teer, Gummi und fossilen Brennstoffen, die jeden Tag mit ihren Blechlawinen dorthin rollt, wo wir leben und atmen! Schande auch über die Politik, die uns weiter in diese Stauhölle hineinführt!

(Beifall von den PIRATEN)

Dabei liegen uns doch die Erkenntnisse, die davon wegführen, längst vor. Mittlerweile ist mehrfach bewiesen, was Hans-Jochen Vogel schon 1972 wusste. Zitate sprechen ja Wahres: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“

Der Ausbau des Straßennetzes führt dazu, dass der Autoverkehr innerhalb von zehn Jahren in gleicher Stärke zunimmt wie der Ausbau. Mit den geplanten Investitionen in Straßen kündigen Sie also mit jedem neuen Kilometer Straße dauerhaft ebenso viele neue Staukilometer an. Die Medienmeldungen über Staus, die hier so gerne zitiert werden, würden auf ewig weitergehen und damit auch immer wiederkehrende Plenaranträge zu Staus und Problemen mit der Verkehrsinfrastruktur. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich?

Das Jahrzehnt der Baustellen, dem dann ein Zeitalter des freien Autofahrens folgt, ist ein Märchen. Es ist eine ganz, ganz billige Ausrede, um so weiterzumachen wie bisher. Mittlerweile glaube ich, dass wir gar keinen Paradigmenwechsel in der Verkehrspolitik benötigen; denn dieser müsste ja von den beteiligten Akteuren ausgehen. Nein, wir benötigen eine Revolution, und zwar selbstverständlich – ich schaue zu Herrn Rehbaum – mit Bus und Bahn fahrscheinfrei und dem massiven Ausbau des ÖPNV mit der frühen Einbindung von fahrerlosen Fahrzeugen im öffentlichen Nahverkehr.

Digital und fahrscheinfrei sind zwei Elemente für die Verkehrsrevolution. Es fehlt noch ein drittes Element: ein neuer Verkehrsminister oder eine Verkehrsministerin mit einer echten, realen Vision und der Vorstellung von einem Weg dahin.

(Jochen Ott [SPD]: Aber die hat der Minister doch!)

– Mit einer Vision für Menschen, die keine Lust auf Stau und Zeitverschwendung haben, egal – das ist der Unterschied –, ob Auto- oder Bahnfahrende.

(Henning Rehbaum [CDU]: Surreal! – Jochen Ott [SPD]: Er hat deutliche Visionen! Haben Sie nicht zugehört, Herr Bayer? – Weitere Zurufe)

Die Farbe ist mir an der Stelle zuerst mal egal. Hier tut sich zumindest bei den vier Parteien sowieso nichts, was einen Unterschied bringen könnte.

Ein Wort zu Straßen.NRW: Natürlich benötigen wir dort Fachpersonal, schon alleine, um den Erhalt der Straßen zu gewährleisten. Kompetenz wird selbstverständlich bei Straßen.NRW benötigt, aber eben nicht bei Privaten und nur zweitrangig bei einer Bundesautobahngesellschaft. Das gilt allerdings völlig unabhängig davon, ob es um große Straßenneubauprojekte geht oder nicht.

Sie wissen, ich setze mich mit der Piratenfraktion seit 2012 für die moderne digitale Verkehrswende mit fahrscheinfreiem Nahverkehr und einem in den ÖPNV integrierten autonomen Fahren ein. Ich arbeite an mehr Lebensqualität in der Zukunft Nordrhein-Westfalens. Sie aber lieben die 60er- und 70er-Jahre und die autogerechten Städte. Ich frage mich da wirklich, wer dann eigentlich der realitätsferne Romantiker ist.

Das Geld des Bundesverkehrswegeplans muss in sinnvolle, nachhaltige und zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur und Mobilität investiert werden. Der bestehende Bundesverkehrswegeplan setzt die falschen Prioritäten und hilft uns da nicht weiter. Wir benötigen die smartgerechte Verkehrswende, und wir brauchen entsprechende Visionen.

Ich könnte mir vorstellen, dass Minister Groschek uns vielleicht jetzt seine Visionen bekannt gibt. Es wäre aber etwas Neues. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Gegen Stau hilft Bau.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb bauen wir, dass die Schwarte kracht. Wir lassen Bagger rollen. Ich habe mich gefreut, der erste Verkehrsminister dieses Landes gewesen zu sein, der gleich 13 Bagger bei der Firma HEITKAMP getauft hat.

(Zuruf: Wie heißen sie denn? – Vereinzelt Heiterkeit von der SPD)

Das ist ein Mentalitätswechsel, der dem Land gut tut.

(Jochen Ott [SPD]: Sehr gut! Bravo!)

Warum? Weil wir das Land entlang der Schienen und Autobahnen in einem Jahrzehnt der Baustelle umgraben. Das ist kein Widerspruch zu dem von uns angestrebten Modell der integrierten Mobilität, sondern Voraussetzung dafür, dass Menschen und Güter von A nach B transportiert werden können; denn Stau ist das umweltunverträglichste Verkehrsmittel, das man sich vorstellen kann.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Deshalb müssen wir die Menschen und die Güter mobil machen. Wir können keine Autobahnen neu bauen, die in der Vergangenheit nicht gebaut wurden. Aber wir können vorhandene Infrastruktur durch Ausbau, durch Engpassbeseitigung, durch Lückenschluss und durch Digitalisierung leistungsfähiger machen. Wir benötigen so etwas wie Blockverdichtung auf Schiene und Straße, um vorhandene Infrastruktur optimiert zu nutzen.

Der Bund hat endlich geliefert. An Geld ist kein Mangel bei Schiene und Straße, wenn man – damit wir das nicht wiederkäuen müssen – von Münster–Lünen und dem Eisernen Rhein absieht.

Die Planung läuft auf Hochtouren. Wir haben in 2016 über 1 Milliarde € an Baureife produziert. Wir haben in 2016 ein Allzeithoch von 1,1 Milliarden € Umsatz mit dem Landesbetrieb Straßen.NRW gemacht. Dort leistet man mit der Hälfte Personals, das in Bayern eingesetzt wurde, mindestens so gute Arbeit wie die Bayern selbst; denn in Bayern gab es nie den Privat-vor-Staat-Irrtum. Die bayerische Straßenbauverwaltung hat eine preußische Struktur. Da gibt es kein Ausgliedern, keine AöR, keine GmbH und keine Aktiengesellschaft, sondern nur den Beamtenapparat. Wir müssen das mit 50 % des bayerischen Niveaus schaffen, und wir sind mindestens genauso gut.

(Beifall von der SPD – Jochen Ott [SPD]: So ist das! Bravo!)

Lassen Sie uns also gemeinsam arbeiten.

Jetzt zu dem Planungsprozess: Das Planungsprogramm ist in Arbeit; das ist eine Binsenweisheit. Wir werden es im Sommer vorlegen. Im Übrigen ist Baden-Württemberg ausdrücklich kein Vorbild dabei. Kein Vorbild!

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Erstens ist die Fahrleistung in Nordrhein-Westfalen per anno doppelt so hoch. Zweitens müssen wir 14 Milliarden € verbauen; Baden-Württemberg dagegen gerade einmal 6 Milliarden €. Deshalb haben wir in der Perspektive ganz klare Priorisierungen, die rein funktional von Mobilitätsgewinnen abhängig sind. Die oberste Priorität haben die vier herausragenden VBE-Projekte: Das ist der Ausbau der A3. Das ist der Ausbau der A45. Das ist der Ausbau der A42. Das ist die Brücke Godorf mit den Anschlussmöglichkeiten, die notwendig sind, um sie in das Netz einzupassen.

(Jochen Ott [SPD]: Ganz wichtig!)

Dann gibt es natürlich den weiteren Bedarf. Da gibt es die Notwendigkeit von Lückenschlüssen. Da gibt es die Notwendigkeiten der Beseitigung von Verkehrsengpässen und Unfallgefahrenstellen. Und wir dürfen unsere Bröckelbrücken nicht vergessen. Die haben allerhöchste Priorität im Ersatzneubau. Denn außer der Godorfer Brücke bauen wir keine Brücke neu, sondern wir ersetzen nur alt gegen neu.

Was die Visionen angeht, ist es kein Widerspruch, zu sagen: Die autogerechte Stadt gehört der Vergangenheit an. – Das machen uns jetzt die Amerikaner vor. Ich bedaure nichts mehr, als dass Bocholt und Münster die einzigen nordrhein-westfälischen Städte sind, die eine anspruchsvolle Zweiradmobilität gewährleisten. Es ist völlig unverständlich, warum Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund nicht dazu sind in der Lage sind, die Zeichen der Zeit in praktische kommunale Verkehrskonzepte zu überführen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich finde es unverständlich, warum dem Rad so wenig Raum eingeräumt und so wenig Infrastruktur gegönnt wird, während die Abstellfläche für das Auto Priorität genießt. In den Städten muss gelten: Platz da für Roller und Rollatoren! In den Städten muss gelten: Schluss mit der Platzvergeudung für abgestellte Autos!

Mobilität von Menschen, Begegnung von Menschen muss in der Prioritätenliste nach oben gehen, und das Automobil muss in der Prioritätenliste weit hinten landen. Das hat zunächst nichts damit zu tun, ob es elektrisch oder mit Verbrennungsmotor angetrieben wird, sondern damit, dass die Menschen ihre Füße und zwei Räder als Mobilitätsvehikel entdecken müssen.

Deshalb waren wir wohl gut beraten, im Gegensatz zum Bund die Spartenperspektive des Verkehrs zu überwinden, integrierte Mobilität zum Leitbild zu nehmen, und das haben wir unter der Überschrift „NRW mobil 2030“ beim Fraunhofer Institut beauftragt. Ich freue mich mit Ihnen gemeinsam, diesen Prozess bis 2030 zu begleiten. In diesem Sinne: Glück auf!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Yeah!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Die Landesregierung hat ihre Redezeit um eine Minute und zwölf Sekunden überzogen. Aber die anderen Fraktionen hatten vorher ihre Redezeit auch schon überzogen – mit Ausnahme der SPD-Fraktion –, sodass ich im Moment nicht von weiteren Wortmeldungen ausgehe.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14653. Wer dem seine Zustimmung geben kann, bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14653 mit den Stimmen von SPD, Grünen, der Piratenfaktion und des fraktionslosen Abgeordneten Stüttgen abgelehnt. Zugestimmt haben die CDU-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Schulz.

Ich rufe auf:

15 „Streckungsfonds“ der Landesregierung soll steigende Energiekosten kommenden Generationen aufbürden – NRW benötigt mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik statt schuldenfinanzierte Schattenhaushalte

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13543

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie,
Industrie, Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/14687

Ich möchte noch einen Hinweis geben. Der Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/13543 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk mit der Maßgabe überwiesen, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage der Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk liegen mit Drucksache 16/14687 vor.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben (Anlage 3).

Wir kommen somit zur beantragten direkten Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk empfiehlt in Drucksache 16/14687, den Antrag Drucksache 16/13543 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/13543 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Die FDP stimmt zu. Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/13543 mit den Stimmen von SPD, Grünen, der Piratenfraktion und des fraktionslosen Abgeordneten Stüttgen bei Enthaltung der CDU-Fraktion abgelehnt. – Ich höre gerade, Herr Schulz hat sich auch enthalten. Ich habe nicht gesehen, dass er wieder da ist. Er ging vorhin raus. – Danke schön.

Ich rufe auf:

16 Eigentumsförderung stärken – mehr Fairness bei der Förderung von Wohneigentum für Familien

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14397

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Schemmer das Wort.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nordrhein-Westfalen hat 8,9 Millionen Wohnungen, aber es fehlt an Wohnraum, und zwar insbesondere in den Wachstumsregionen und in den Universitätsstädten. Andersherum gesagt: Da, wo wir Leerstandsquoten von unter 3,5 % haben, fehlen Wohnungen – nicht in Gelsenkirchen oder in Wuppertal, dafür aber in den Bereichen Köln, Düsseldorf, Bonn sowie entlang der gesamten Rheinschiene, in weiten Teilen des Münsterlandes und in den Kreisen Paderborn und Gütersloh.

Wir wissen: Jährlich fallen 40.000 Wohnungen weg, die ersetzt werden müssen. Aus der Zuwanderung der letzten Jahre bräuchten wir in wenigen Jahren eigentlich 480.000 Wohnungen; durch Aktivierung der Leerstände sind es noch 400.000. Wenn man das auf die einzelnen Jahre umrechnet, brauchen wir jedes Jahr 120.000 Wohnungen: 80.000 plus 40.000 als Ersatz. Ich glaube, das müsste auch mal bei den Regierungskoalitionen ankommen und umgesetzt werden.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Da stellt man sich die Frage: Was ist in den letzten Jahren denn passiert? Also mit der Mietpreisbremse ist nichts mehr gebaut worden.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Mit 140 Millionen € Tilgungsnachlässen für Wohnungskonzerne ist den einzelnen Menschen auch nicht geholfen worden. Wir haben einen Landesentwicklungsplan, in dem zu wenig Flächen ausgewiesen sind, eine viel zu hohe Grunderwerbsteuer und keine Förderung für die Familien.

Wenn ich mir vorstelle, eine Familie möchte ein Haus erwerben für 250.000 €, dann kriegt die Familie die 60 % von der Bank problemlos. Die Eigenleistung ist hier auch problemlos zu erbringen. Was denn dann fehlt, sind die 70.000 € Wohnraumförderung, um das Ganze erträglich zu machen.

Nun gibt es viele in den Reihen der SPD, hier insbesondere, die sagen: Familien, die selber bauen, das muss gar nicht sein. Das trifft dann für die nordrhein-westfälische SPD hier im Landtag zu. Die Bundesministerin – beim Baugeld für Familien lasse ich nicht locker – sieht das völlig anders. Sie sagt genau das Gegenteil von dem, was hier gesagt wird.

(Jochen Ott [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf, Herr Schemmer?)

Also statt Mietpreisbremse: bauen, bauen, bauen!

Gucken wir uns noch an, was denn in den letzten Jahren gebaut worden ist. Wir waren ja in Österreich. – Übrigens: Für Nordrhein-Westfalen liegt die Statistik über die Fertigstellungen noch nicht vor. Sie sind ja im letzten Jahr auch erst im Oktober vorgelegt worden. In Griechenland liegen die auch noch nicht vor. Der Vergleich ist sicherlich dort angebracht.

(Beifall von der CDU – Heiterkeit)

Wien hat ein Zehntel der Bevölkerung von NRW. 10.000 Wohnungen, das würde hier heißen 100.000. Bayern hat im letzten Jahr – sie haben auch die Statistik schon fertig – 77.300 neue Wohnungen gebaut. Umgerechnet auf Nordrhein-Westfalen wären das 107.500.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Schemmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hübner?

(Bernhard Schemmer [CDU]: Gerne!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. Bitte schön, Herr Hübner!

Michael Hübner (SPD): Herr Schemmer, vielen Dank, dass Sie die Frage zum Abschied zugelassen haben. Ich habe mich gerade sehr gewundert, weil ich versucht habe, Ihnen zu folgen. Sie haben die Mietpreisbremse in den Zusammenhang bei selbstgenutztem Eigentum gestellt. Diesen Zusammenhang hätte ich gerne noch einmal erläutert, weil mir nicht einleuchtet, wie man bei selbst genutztem Eigentum bestimmte Mietpreise dann nicht mehr gegenüber sich selbst vollziehen kann.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Bernhard Schemmer (CDU): Jetzt noch einmal, gerne, die letzte Frage.

Michael Hübner (SPD): Sie haben nicht zugehört? Es ging um den Zusammenhang, den Sie gerade hergestellt haben, zwischen der Mietpreisbremse und selbst genutztem Eigentum. Da ist mir nicht klar geworden – ich habe es einfach nicht nachvollziehen können –, wie Sie das selbstgenutzte Eigentum selber vermieten können und die Mietpreisbremse zur Wirkung verhelfen können. Das habe ich nicht nachvollziehen können. Vielleicht können Sie mir jetzt nach dieser Zwischenfrage das noch einmal erläutern.

Bernhard Schemmer (CDU): Das will ich Ihnen gerne erläutern. Wenn wir die Mietpreisbremse nicht hätten, hätten wir wesentlich mehr Neubau. Und wenn wir nicht die einseitige Benachteiligung bei den Eigentumsmaßnahmen in Nordrhein-Westfalen hätten, hätten wir auch wesentlich mehr Neubau. So wären wir dann nicht im letzten Jahr bei rund 53.000, 55.000 – noch nicht genau definiert – Neubaumaßnahmen, Neubauwohnungen in NRW, sondern bei dem Doppelten, wie das Bayern erstellt hätte. Dann hätten wir die ganzen Fragen nicht.

(Zurufe von der SPD)

Entscheidend ist, glaube ich, die Frage der Tilgungsnachlässe, warum Sie den großen Konzernen die Tilgungsnachlässe erteilen und dem kleinen Bauherren, dem Facharbeiter nicht. Das ist dann Ihr Problem. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Hilser.

(Beifall von der SPD)

Dieter Hilser (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mal mit dem Thema „Grunderwerbsteuer“ an. Dann räumen wir das heute Abend ein für allemal ab.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

– Jetzt warte doch erst mal ab!

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie bringen immer Grunderwerbsteuer in Verbindung mit Familienförderung. Da sollten Sie vorsichtig sein. Als die Grunderwerbsteuer bei Ihnen bei 3 % lag, haben Sie Studiengebühren eingeführt, die für eine Familie mit zwei Kindern deutlich familienfeindlicher waren als das, was wir mit der Grunderwerbsteuer gemacht haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Zweiter Punkt: Zu Zeiten von Schwarz-Gelb lagen die Baukredite bei 6 %, heute bei 2,7 %, 2,8 %. Das heißt, innerhalb von zwei Jahren bei einer Kreditaufnahme von 100.000 € ist der Verlust durch die erhöhte Grunderwerbsteuer längst wieder ausgeglichen, also überhaupt kein Hindernis für den Erwerb von Eigentum und für den Bau von Eigentum.

(Zurufe von der CDU)

Jetzt kommt der Punkt, warum wir die Grunderwerbsteuer gemeinsam abräumen. Es gibt drei Bundesländer mit 6,5 % Grunderwerbsteuer: Das ist Schleswig-Holstein – Rot-Grün –, das ist Brandenburg – Rot –, und das ist das Saarland. Und im Saarland regiert doch die „erfolgreichste Ministerpräsidentin aller Zeiten“ – so CDU-Jargon. Dann schließe ich daraus aber: Überall da, wo erfolgreiche Ministerpräsidenten regieren, liegt die Grunderwerbsteuer bei 6,5 %.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann kommen wir zum von Bernhard Schemmer angesprochenen Bedarf an Eigentum. Wir haben im Jahre 2015 40 % der ausgebrachten Fördermittel tatsächlich ausgegeben. Sie wurden tatsächlich abgerufen. 2016 – da ist der Antrag schon falsch – waren 90 Millionen € ausgebracht. Es wurden aber nur 24 Millionen € abgerufen. Das heißt, es gibt – Kollegin Sarah Philipp hat mehrfach darauf hingewiesen – überhaupt keinen Bedarf zum Abrufen dieser Fördermittel. Man kann es auch anders sagen: Sie fördern Leute, die gar nicht gefördert werden wollen.

(Beifall von der SPD)

Dann – jetzt weiß ich nicht, ob Wackel-Dackel hier erlaubt ist oder nicht, deshalb lasse ich das mal weg

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Einfach sagen!)

und sage einfach nur: Ihr Hin und Her in der Wohnungspolitik wird an zwei Dingen deutlich. Sie haben im Juni 2016 einen Antrag zum Thema „Bauen für Mehrkindfamilien“ gestellt. Jetzt sage ich Ihnen einmal drei Beispiele. Juni 2016: Eigentumsförderung verdoppeln. Mai 2017: Eigentumsförderung anheben. – Ja, was denn nun? Verdoppeln? Anheben? Um wie viel anheben? Was auch immer!

(Holger Ellerbrock [FDP]: Anheben ist doch verdoppeln!)

Juni 2016 – es geht weiter –: Tilgungsnachlässe für Mehrkindfamilien. März 2017: Tilgungsnachlässe für alle Familien.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Richtig!)

Ja, was denn nun – mit der Gießkanne oder gezielt?

(Holger Ellerbrock [FDP]: Gezielt für eine Familie!)

Drittes Beispiel. Juni 2016: Rücknahme der Erhöhung der Grunderwerbsteuer. März 2017: Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass ein Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer eingeführt wird. – Ja, was denn nun? Absenken oder Grundfreibetrag?

Das sind drei Beispiele, die zeigen: nur Hin und Her. Man kann da nur sagen: Keine Richtung, kein Plan! Gott sei Dank wird es dann im Mai eine Entscheidung geben, die für Rot-Grün ausfallen wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Hilser – auch weil es so schön ist –, es gibt noch eine Frage, die wir gerne zulassen würden. Sie doch auch, oder?

Dieter Hilser (SPD): Von wem?

Vizepräsident Oliver Keymis: Vom Herrn Kollegen Kern.

Dieter Hilser (SPD): Das habe ich mir gedacht.

Walter Kern (CDU): Danke schön, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir ausrechnen können, was 6,5 % von 250.000 € für den Erwerb eines gebrauchten Hauses bedeuten. Wie viel Geld ist das für die Familie? Könnten Sie mir das bitte kurz sagen und dann auch sagen, wo da die soziale Kompetenz der SPD steckt?

Dieter Hilser (SPD): Wenn Ihre Rechnung stimmt, sind das 16.250 €.

(Beifall von der SPD – Walter Kern [CDU]: Und sozial? Das war der zweite Teil der Frage! – Du hast nur eine!)

Wenn ich die Differenz von 3,5 auf 6,5 bei Ihnen nehme, dann bin ich bei 7.500 €. Studiengebühren sind 8.000 € bei zwei Kindern, das sind 500 € mehr.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hilser. – Das ist für alle anderen übrigens auch ein Erlebnis; denn in der Fraktion wird richtig gerechnet.

(Heiterkeit von der SPD)

Ob immer richtig, weiß ich nicht, aber es wird gerechnet. – Es gibt eine Kurzintervention, Herr Kollege Hilser, und zwar angemeldet von dem Abgeordneten Herrn Ott. – Herr Ott, Sie haben die Möglichkeit zu intervenieren.

Jochen Ott (SPD): Herr Hilser, diese enormen Mathematikfähigkeiten waren uns bisher verborgen geblieben. Die sind ja echt beeindruckend.

Ich wollte aber eigentlich Folgendes nachfragen. Uns sind hier vertrauliche Dokumente zugespielt worden, dass Sie zu den Mitbegründern des sogenannten Hiller Kreises gehören, und dass dieser Kreis in Wahrheit im Hintergrund die politischen Strippen in der SPD-Fraktion gezogen hat. Das hat auch in der Regierung schon Auswirkungen gehabt. Könnten Sie uns bitte Ihr konkretes Verhältnis zum Hiller Kreis und vor allem die Aufnahmebedingungen schildern?

(Heiterkeit von der SPD)

Denn für uns jüngere Abgeordnete wäre das interessant zu wissen, damit man weiß, was man für die Zukunft von Ihnen lernen kann.

(Oskar Burkert [CDU]: Du musst Kopfrechnen können! – Heiterkeit)

Dieter Hilser (SPD): Vielen Dank für die Kurzintervention.

Vizepräsident Oliver Keymis: Wir nennen das eine Kurzzwischenfrage; denn es war als Intervention zu kurz und als Zwischenfrage wäre es ein bisschen zu lang. Also war es eine Kurzzwischenfrage.

(Heiterkeit)

– Wir haben ein technisches Problem, das muss ich eben erklären. Wir sind ja ein Parlament und wollen das ernsthaft abhandeln. Die Kurzintervention aus der eigenen Fraktion ist unzulässig. Das können wir formal also nicht machen. Ich hatte das leider nicht im Kopf. Ich habe zwar die Geschäftsordnung im Kopf, § 94 Abs. 8 könnte ich zum Beispiel erläutern, aber das wusste ich gerade nicht. Herr Hilser, seien Sie so gnädig und beantworten einfach diese kurze Zwischenfrage des Abgeordneten Ott. – Vielen Dank.

Das Protokoll nimmt das entsprechend auf, und dann sind auch alle wieder zufrieden, Frau Bauer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieter Hilser (SPD): Herr Präsident, vielen Dank. – Ich habe bei Ihnen auch ein Fragezeichen in den Augen gesehen.

Auf die konkrete Frage eine kurze Antwort: Der Hiller Kreis ist eine fahrradtechnische Untergrundorganisation, die ungefähr zweimal im Jahr drei Tage lang Fahrradtouren macht und Wahlkreise in Nordrhein-Westfalen aufsucht. Wir kommen damit der Vision des Verkehrsministers schon sehr, sehr nahe, indem wir zweimal im Jahr mit dem Fahrrad unterwegs sind. Die Kollegin Ingrid Hack, die da ebenfalls beteiligt ist, nickt bereits. Es ist daher eine Organisation, die bei unseren Besuchen in den Wahlkreisen Visionen in das Land trägt.

Ich bedanke mich für die Frage vom Kollegen Ott. Und wenn ich das noch ganz kurz sagen darf – es ist schließlich meine letzte Rede heute –: Ich möchte mich bei den Kollegen aller Fraktionen für die gemeinsame Arbeit in den letzten Jahren bedanken; insbesondere mit Blick auf die letzten fünf Jahre, in denen ich Vorsitzender des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr sein durfte. Sie haben es mir im Ausschuss manchmal leicht gemacht, öfters auch sehr leicht. Dafür möchte ich mich auch bedanken. Ich konnte in dieser Zeit fraktionsübergreifend wirklich viele Menschen kennenlernen, mit denen ich interessante Gespräche führen durfte, die mir auch neue Perspektiven eröffnet haben. Es war immer eine angenehme Atmosphäre. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bei allen Kollegen hier im Saal bedanken. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, lieber Herr Kollege Hilser. – Ich kann mich dem anschließen und möchte auch persönlich sagen: Ich bedanke mich ebenfalls für eine gute Zusammenarbeit. Wir waren viele Jahre lang gemeinsam im Verkehrsausschuss; ich weiß daher, worüber ich da rede. Ich weiß auch, dass dort immer eine gute Atmosphäre war. In diesem Sinne: Alles Gute an Dieter Hilser für seine weitere Zukunft und vielen Dank auch von uns vom Präsidium für die gemeinsame Arbeit!

Damit kommen wir zur nächsten Rednerin. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird vertreten durch Frau Dr. Beisheim.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Präsident! Anlässlich der beiden Redner vor mir möchte ich es eigentlich kurz machen. Ich möchte auch noch einmal sagen: Zuweilen habe ich auch, Herr Kollege Schemmer, Ihre Analysen geteilt, die Sie auch durch Ihre Kenntnisse aus dem Bereich Bauen und Wohnen häufig sehr detailliert vorgetragen haben. Aber nachdem wir alle dem Kollegen Hilser zugehört haben, denke ich, wissen wir, wo die tatsächliche Fachkompetenz im Bereich Bauen und Wohnen in Nordrhein-Westfalen liegt, nämlich bei Rot-Grün.

(Beifall von der SPD)

Damit möchte ich schließen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Ellerbrock das Wort.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Kollege Hilser, Sie haben eben in der Argumentation im Zusammenhang mit der Grunderwerbsteuer gesagt: Das war ein Zirkelschluss. – Ein Zirkelschluss schließt aber auch einen Zirkelfehlschluss ein. Dass Sie einen Zirkelfehlschluss gemacht haben, bestätigen wir Ihnen. Sie haben nämlich vergessen, dass die Erhöhung der Grunderwerbsteuer ja nicht kreditfinanziert werden kann und auch nicht förderungsfähig ist. In dem Zusammenhang ist der Hebel viel größer. Aber wir wollen uns hier nicht mit sachlichen Details der Wahrnehmung der Realität auseinandersetzen.

Meine Damen und Herren, im Ausschuss hat uns ja geeinigt, dass wir sagen: Jawohl, wir wollen preiswerteres Mieten, preiswerteres Bauen hinbekommen. – Der einfache von uns immer wieder vorgebrachte Vorschlag ist, Bauland zu mobilisieren und auch privates Kapital zu mobilisieren, indem wir eine degressive Abschreibung einbringen.

Wir müssen allerdings feststellen, dass diejenigen, die preiswertes Wohnen fordern, genau diejenigen sind, die es verteuern. Nicht nur die Grunderwerbsteuer, sondern auch die Grundsteuer wird nach oben getrieben. Wir haben die Baunebenkosten mit erhöhten Anforderungen in vielfältiger Art; ich nenne nur EnEV. Wir haben Gängelungen wie die Mietpreisbremse, auf die ja mein Kollege Bernhard Schemmer schon hingewiesen hat, die Kappungsgrenzenverordnung, die Zweckentfremdungsverordnung usw. Alles das macht das Mieten wesentlich teurer.

Jetzt sind wir nämlich noch nicht um Schmitz Ecke, an der Grunderwerbsteuer vorbei. Wir haben in der letzten Plenarsitzung ja gefordert, dass wir zumindest den Bund ermächtigen, Freigrenzen einzuführen.

(Beifall von der FDP)

Das hat allerdings, Bernhard, muss ich sagen, nicht nur bei den Piraten, der SPD und den Grünen – das war ja zu erwarten –, sondern auch bei euch zu einer Ablehnung geführt.

Jetzt müssen wir auch ehrlicherweise sagen: Der Mensch ist gut, hilfreich und edel, allerdings für das tägliche Leben dann selten zu gebrauchen. – Euer Antrag, Bernhard, muss ich sagen, ist auch ein bisschen ein Sammelsurium. Denn er spricht von Wohnbauförderung, Eigentumsförderung, Tilgungsnachlässe, Grunderwerbsteuer senken, Baukindergeld usw. Die letzte Baukindergeldgrößenordnung auf Bundesebene waren ungefähr 30 Milliarden, wenn ich das richtig weiß. Aber die ansonsten dich immer auszeichnende Gegenfinanzierung, die Solidität, konkrete Handlungsschritte – in diesem Antrag fehlen sie. Ich muss leider sagen: Das Gegenteil von gut ist ja nicht schlecht, sondern gut gemeint. Euer Antrag war gut gemeint, aber zustimmen können wir dem nicht.

Allerdings muss man, liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen: Dieser Antrag ist ein sehr weitsichtiger Antrag vom Grundsatz her gewesen. Sonst würde er ja auch nicht von Bernhard Schemmer kommen. Denn wir haben ja jetzt Möglichkeit, in ca. sechs Wochen diesen Antrag in Koalitionsverhandlungen zu konkretisieren, um dann unsere beiden Anträge in ein geschlossenes Ganzes zu überführen.

(Beifall von der CDU)

Deswegen müssen wir das jetzt zwar ablehnen. Aber wir werden das dann machen.

Meine Damen und Herren, Kollege Hilser scheidet ja aus und war Vorsitzender unseres Ausschusses. Wenn man bedenkt, dass er ein strammer Parteisoldat ist, hat er unter diesem Gesichtspunkt den Ausschuss sogar gut geleitet mit Humor und Ironie. Das muss man ihm einfach zugestehen.

Bernhard Schemmer haben wir ja im Ausschuss kennengelernt als jemanden, der uns feinfühlig, differenziert und in der ihm eigenen zurückhaltenden Art das Münsterland gespiegelt hat. Sämtliche Problemstellungen der Wohnraumförderung, der Landes-Straßenkreuzungsverordnung oder auch der Radwegeplanung konnte er am Beispiel des Münsterlandes, insbesondere aus dem Sprengel Borken, Bocholt, Dülmen und Coesfeld darstellen. Wer von uns kannte vor fünf Jahren Orte wie Reken, Klein Reken, Groß Reken, Maria Veen, Bahnhof Reken und Hülsten? Wer kannte das? Bernhard Schemmer hat uns das nahegebracht,

(Beifall von der CDU)

die Welt darauf reduziert – und immer mit praxisorientierten Beispielen. Bernhard, wir danken dir!

(Beifall von der FDP, der SPD und der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie klatschen ja zu recht. Stellen Sie sich doch mal vor: Bernhard Schemmer im Sportdress – nicht auf dem Motorrad wie wir beide – auf dem Fahrrad. Da sitzt der Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat von Reken und hat dafür Sorge getragen, dass Reken zur fahrradfreundlichsten Stadt geworden ist. Kollege Klocke, wollten Sie nicht lieber umziehen von Köln in Richtung Reken? Das wäre doch was.

(Beifall von der CDU)

Kollege Hilser, das wäre doch auch eine Aufforderung für Ihren Fahrradkreis – den Hilser-Kreis –, mal Reken zu besuchen und Wirtschaftsförderung im wahrsten Sinne des Wortes vor Ort zu betreiben. Hilser und Schemmer auf dem Fahrrad in Reken auf dem Weg zur Gaststätte – das ist doch ein tolles Bild.

Meine Damen und Herren, auf Bernhard bezogen: Hinter einem starken, feinfühligen Mann steht natürlich immer eine noch stärkere Frau. Deswegen ist ja auch Bernhard immer gerne länger hier geblieben, weil er seiner Frau „Schöner Wohnen“ ermöglicht

(Beifall und Heiterkeit)

und sich hier bei uns wohlgefühlt hat.

Meine Damen und Herren, bei unterschiedlichen politischen Zielsetzungen konnten wir uns im Rahmen der wohnungsbaupolitischen Sprecher – ich gucke Frau Philipp an und ich gucke den Kollegen Klocke an – auch unter Einhaltung mitteleuropäischer Umgangsformen austauschen.

Mit Schrecken allerdings denke ich daran, dass es auch einen Kollegen gab, der Sprecher für einen bestimmten Sachbereich war, der mehrfach, und das auch noch nach mehrfacher Aufforderung, Fragen einfach nicht beantwortete und sagte: Das will ich nicht beantworten. – Das war schon eine intellektuelle Zumutung. Das wird mir auch in Erinnerung bleiben. Sowas darf es eigentlich nicht geben.

Ich komme zum Minister. Das einigt die beiden ja, diese poetische Darstellung von irgendwelchen Sachzusammenhängen, ganz fein ausziseliert in ruhiger, bildreich dargebotener Sprache, immer auf das Gegenüber eingehend. Das ist der Minister. Der Minister hat mit der ihm eigenen Art oftmals auch verfahrenserleichternde Vorschläge gemacht, über die man dann kurz lachen konnte. Er hat sich selbst auch manchmal den Spiegel vorgehalten. Selbstironie fand ich bei Ihnen immer sehr angenehm. Das hat die Arbeit und auch das Arbeitsklima im Ausschuss ausgesprochen befruchtet, und das hat Spaß gemacht.

Wenn ich jemandem auf die Füße getreten bin, war es sicherlich notwendig. Das tut mir nicht in jedem Falle leid. Trotzdem habe ich gerne mitgearbeitet.

Ich muss mein Zimmer noch aufräumen. Sie, Herr Minister, haben ja Leute, die Ihr Büro aufräumen. Im Juni müssen wir aber noch einmal gemeinsam Moped fahren. Ihr Staatssekretär hat sich auch angemeldet und gesagt: Das können wir doch zu dritt machen. – Mit zwei SPD-Leuten ist der Lustgewinn vielleicht etwas eingeschränkt, das kriegen wir aber schon hin. Dann sind Sie als Minister der neutrale Dritte?

Meine Damen und Herren, hätte ich am Schluss noch einen Wunsch frei, würde ich Folgendes tun: Im Gegensatz zur Mitte der 80er Jahre – damals war ich hier Fraktionsreferent – hat mich die Sprache untereinander und die Geschwindigkeit, mit der man einen anderen als Lügner bezeichnet und verbale Verletzungen beifügt, beschwert. Wenn ich die Möglichkeit hätte, in der nächsten Legislaturperiode verfahrensleitend etwas zu gestalten, dann würde ich der Präsidentin oder dem Präsidenten empfehlen, den Ausschüssen die Verpflichtung aufzuerlegen, in den ersten vier Monaten eine Ausschussreise in der Länge von mindestens drei oder vier Tagen zu veranstalten, damit man sein Gegenüber als Mensch akzeptiert und damit emotionale Spitzen abbaut. Ich glaube, dass das jedem Ausschuss guttun würde. Das wäre mein Wunsch. – Schönen Dank, machen Sie es gut!

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ellerbrock. Auch von uns hier oben alles Gute für Ihre Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Parlament. Sie haben uns auch noch einen Wunsch mitgegeben. Ich werde ihn selbstverständlich an die amtierende Präsidentin weiterleiten, die sich darüber möglicherweise Gedanken macht, sollte sie wieder Präsidentin werden. Dann wird sie sich überlegen, ob man in dieser Richtung etwas unternehmen kann.

Es ist ein wichtiger Hinweis, ab und zu einmal miteinander zu sprechen und nicht nur übereinander zu schimpfen. Das hilft in jedem Fall. Danke für diesen Hinweis.

Sie haben die Zeit erheblich überzogen, aber ich glaube, dass niemand deshalb ganz böse ist. Wir lassen das so stehen.

Jetzt spricht für die Piratenfraktion – im Rahmen seiner vorgegebenen Zeit von fünf Minuten, wie ich annehmen darf – Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Familien und auch die, die es werden wollen! Herr Ellerbrock, an Ihnen sieht man, dass Geografen nicht nur Meister der Allgemeinbildung sind und selbstverständlich alles können – und vor allem auch perfekte Abgeordnete sind –, sondern sie können auch noch brillant und unterhaltsam – da wird mir wahrscheinlich auch niemand widersprechen – reden. Ich hoffe, dass Sie das Talent auch weiterhin anderswo einsetzen können.

Herr Hilser – da muss ich gar nicht viel sagen –, Ihre Souveränität haben Sie eben eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das kann ich gar nicht in Worte fassen, also erübrigt sich das an dieser Stelle.

Herr Schemmer, ich möchte Ihnen meine Anerkennung für Ihr Engagement zollen, indem ich Ihren Antrag, den Sie vorgestellt haben, einmal ernst nehme. Deshalb werde ich auch noch etwas zu dem Antrag sagen.

Wir stellen fest, dass die Mittel der Wohnraumförderung nur weggehen, weil sie derzeit verschenkt werden. Erst seit es Tilgungsnachlässe, also Geldgeschenke gibt, werden die großzügig bereitgestellten Mittel wieder besser angenommen als vorher. Wir stellen auch fest, dass es dabei keine regionale Streuung gibt. Mittel werden nicht nur dort abgerufen und verteilt, wo die Wohnungsmärkte heiß gelaufen sind, sondern auch dort, wo der Begriff „Wohnungsmangel“ eher unbekannt ist.

Die Zahlen des Ministeriums zeigen, dass das Geld auch in die lahmende Peripherie des Landes geht. Dagegen ist im Grundsatz eigentlich auch nichts zu sagen, wenn man dahinter eine Strukturförderungspolitik des Landes vermuten könnte. Aber das entpuppt sich dann auf den zweiten Blick als haltlos.

Die rot-grüne Landesregierung hat zwar einen Landesentwicklungsplan vorgelegt, lässt aber ansonsten die Gelegenheit aus, ausgleichende Politik zu betreiben. An dieser Stelle gibt es auch nicht das leiseste Indiz einer Strukturförderungspolitik, die versuchen würde, die überhitzten Regionen zu entlasten oder andererseits die darbenden Regionen zu fördern. Das müsste sich in einer Förderkulisse niederschlagen, die es aber an dieser Stelle nicht gibt.

Also gilt dort das Prinzip „Gießkanne“, und man gefällt sich in großen Zahlen. Und die großen Zahlen kommen natürlich, wenn man professionellen, also renditegetriebenen Wohnungsmarktakteuren das Geld hinterherschmeißt. Dann geht das Geld natürlich auch weg.

Natürlich ist das besser, als gar nichts für den Wohnungsbau zu tun. Und natürlich sehen wir die blanke Not, die sich angesichts niedriger Zinsen ergibt – geschenkt! Aber sind Geschenke an Investoren, die mit der Vermietung von Wohnraum an Menschen Geld verdienen, wirklich das einzig vorstellbare Mittel, um diesem Dilemma zu entkommen? Da sage ich Nein. Da teilen wir zum Teil die Positionen der CDU. Eigentumsförderung kann punktuell helfen, aber Eigentumsförderung als Argument gegen Armut, gegen Altersarmut zu verwenden, ist dann doch schon ziemlich schräg. Das hat schon in den 80er-Jahren in Großbritannien nicht funktioniert.

Wohnungspolitik ist Wohnungspolitik, und Rentenpolitik ist Rentenpolitik. Und wer sein Leben lang gearbeitet hat, sollte eine Rente bekommen, die zum Leben, zum guten Leben reicht – egal, ob er oder sie das Glück hatte, Wohneigentum zu bilden oder eben nicht. Gleichwohl finde ich das sozialdemokratische Argument der CDU sympathisch, dass nicht nur Investoren und Konzerne von der Wohnraumförderung profitieren sollen, sondern eben auch Familien.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

An der Stelle spare ich Ihnen jetzt einmal den Exkurs, welches Familienbild dem zugrunde liegen sollte.

Zum Antrag: Wir finden die Idee durchaus schlüssig, dass die Grunderwerbsteuer gestaffelt wird bzw. erst ab einem festzulegenden Freibetrag zu zahlen ist. Wo der Antrag Tilgungsnachlässe für Familien fordert, unterstütze ich ihn auch, ebenfalls dort, wo er Initiativen beim Bund fordert, die Grunderwerbsteuer zu modifizieren. Das Baukindergeld würden wir gerne als Baugruppengeld oder Share-Economy-Geld verkaufen.

Deshalb mein Fazit für den Antrag: Ich empfehle nicht die Ablehnung, weil er wichtige Punkte aufgreift und die Landesregierung zu Recht kritisiert. Ich empfehle aber auch nicht die Zustimmung, weil er dann doch zu sehr einem unreflektierten Familienbild hinterherhinkt und es der CDU auch ein weiteres Mal leider nicht gelingt, die Förderung von Mietwohnungen und die Förderung von Eigentum nicht gegeneinander auszuspielen.

Ich gebe an dieser Stelle natürlich Herrn Ellerbrock Recht: Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass dieser wohl letzte Antrag, den wir zu diesem Thema im Plenum haben, alles Mögliche miteinander vereint, so ist er doch ein Sammelsurium.

Ich empfehle die Enthaltung und bedanke mich bei Ihnen für die vielen wohnungspolitischen Diskussionen in dieser Legislaturperiode. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bayer. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das Gute an dem Antrag ist, dass er Bernhard Schemmer die Gelegenheit gegeben hat, noch einmal laut und deutlich zu uns zu sprechen. Das soll aber kein Votum sein, ihm zuzustimmen.

Die Diskussionen zu diesem Antrag haben wir vielfältig geführt. Deshalb will ich nur auf einen Punkt verweisen: Das Bündnis für Wohnen ist im Grunde die adäquate und sehr erfolgreiche Antwort, die wir gemeinsam gegeben haben. Das ist eine Allianz der Willigen, um mehr bezahlbaren Wohnraum in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Alexander Richter würde sicherlich bezeugen, dass die großen Verbände sehr zufrieden mit den Förderkulissen und -konditionen sind und wir deshalb auf einem guten Weg sind. Das heißt aber nicht, dass wir dem politischen Streit aus dem Weg gehen sollten.

Deshalb habe ich die Gesichter der übrigen Kabinettsmitglieder verfolgt. Die haben voller Neid darauf geschaut, welch tollen Ausschussvorsitzenden und welch profilierte Oppositionssprecher wir hatten.

(Beifall von der SPD)

Das ist wirklich ein Privileg unseres Ausschusses gewesen. Dafür möchte ich danken. Ich habe mich bei den drei freiwillig Ausscheidenden schon anlässlich des kleinen Empfangs, den wir organisiert hatten, bedankt. Aber ich möchte das jetzt noch einmal tun.

Lieber Dieter, gerade hast du bewiesen, dass das, was über dich erzählt wurde, wahr ist: Du bist in der Tat ein laufendes Kompendium der Wohnungsbaupolitik dieses Landes und im Grunde der Große Brockhaus unser Wohnungsbaupolitik.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Du bist also die Digitalisierung und Menschwerdung des Brockhauses in diesem Fach. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf dich zurückkommen.

Bei Bernhard Schemmer habe ich mich bedankt – bedankt dafür, dass er immer Profil gezeigt hat, dass er nicht zu den gescheitelten Aktenkofferträgern gehört, die windschnittig jede Wendung ihrer Parteitage mitmachen, sondern dass er mit Beharrlichkeit eigene Überzeugungen vertreten hat, auch wenn manchmal das Stirnrunzeln der eigenen Fraktion größer war als das der regierungstragenden Fraktionen.

Holger Ellerbrock ist jemand, der gerne formuliert und sich auch selbst mit diesen rhetorischen Kabinettstückchen begeistern kann.

Ich möchte aber allen dreien laut und deutlich attestieren, dass sie das genaue Gegenteil der verzerrten Abziehbilder und Prügelknabenpolitiker sind, die im Netz mit Hass, aber auch in vielen Diskussionen mit Häme verfolgt werden. Sie drei waren beispielgebend für das, was ein Parlamentarier leisten können muss und leistet. Sie haben die Interessen derjenigen, die Sie vertreten, mit Bravour zum Ausdruck gebracht. Sie haben versucht, für Ihre Positionen zu werben und Mehrheiten zu organisieren. Sie haben demokratische Auseinandersetzungen wirklich mit großer Leidenschaft und viel Sachverstand geführt. Dafür danke ich Ihnen stellvertretend. Die Wählerinnen und Wähler, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes können stolz auf Abgeordnete wie Sie sein. Das ist meine tiefe Überzeugung und meine Erkenntnis durch fünfjährige Zusammenarbeit mit Ihnen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich finde, wenn ich als Nichtmitglied des Landtags einen solchen Hinweis geben darf, dass wir gemeinsam zu Beginn der nächsten Wahlperiode, wenn ich dann hier an diesem Pult noch reden und mitdiskutieren darf, darüber nachdenken sollten, wie wir Diskussionsformen und -foren finden – auch im parlamentarischen Raum –, die viel häufiger heute im nichtparlamentarischen Raum möglich sind.

Mit dem Bündnis für Wohnen haben wir erreicht, dass Menschen unterschiedlicher ideologischer Prägungen und unterschiedlicher Interessenwahrnehmungen dazu in der Lage sind, gemeinsam im Sinne des Wohnungsbaus zu agieren. Wenn wir im parlamentarischen Raum ein wenig Loslösung von zu starker parteipolitischer Fußfessel hinbekämen, wäre das ein großer Gewinn an demokratischer Auseinandersetzung. Das wäre meine große Bitte in Richtung der nächsten Wahlperiode.

Jetzt will ich schließen, weil ich weiß, dass Dieter Hilser oft dafür bestaunt wird, dass er auch an der Theke seinen Mann stehen kann, und dann viele überrascht sind, wenn die zweite Luft kommt. Dieter, ich weiß nicht, ob wir heute so lange zusammenstehen, aber zwei, drei Biere werden wir gleich trinken.

Ihnen alles Gute, vielen Dank für die gute Zusammenarbeit, der Opposition für die Anstrengung im Dialog. Wir sollten uns wiedertreffen. Ich würde mich freuen, Sie in der gleichen Rolle begrüßen zu dürfen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Es hat sich für die CDU-Fraktion noch einmal Herr Kollege Schemmer zu Wort gemeldet.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt ist keine Zeit, auf alles, was gesagt worden ist, einzugehen. Da war auch vieles falsch, aber ich erkläre es einmal an einem ganz simplen Beispiel. Wenn wir – jetzt nehme ich das Beispiel Münster – im Mietwohnungsbaubereich eine Förderung von 168.000 € und bei Eigentum von 138.000 € haben, aber auf diese Förderung von 168.000 € der Großinvestor noch einen Zuschuss von 42.000 € erhält, während der kleine Mann dort nichts bekommt, dann muss ich sagen, dass das die eigentliche Ursache für die schlechte Entwicklung im Eigentumsbereich ist.

(Beifall von der CDU)

Ich glaube, dass darauf überhaupt nicht eingegangen wird, und das ist ein bisschen das Problem.

Ich habe mir eben alle Beiträge angehört und dann versucht, noch einmal zu rekapitulieren. Dabei ist mir Folgendes durch den Kopf gegangen: Du hast das zu Recht angesprochen, lieber Dieter Hilser. Ich habe, wie du weißt, deine Meinung nicht immer geteilt. Wir haben aber, glaube ich, ordentlich zusammengearbeitet, und das war auch gut so. Nun scheidest du freiwillig aus.

Etwas Ähnliches – das ist aber trotzdem etwas anderes – kann ich in Bezug auf den Kollegen Ellerbrock sagen: Wir haben immer sehr gut und konstruktiv zusammengearbeitet. Wenn die anderen das, was wir erarbeitet hatten, immer übernommen hätten, wäre es noch viel besser gewesen. Dir sage ich also noch einmal schönen Dank für die Zusammenarbeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich habe dann eben noch einige weitere Wortbeiträge – von wem auch immer – gehört. Die will ich jetzt nicht alle ansprechen. Ich habe dann aber so bei mir gedacht: Wer von denen wird denn demnächst im Landtag sitzen oder der nächsten Landesregierung angehören? Ich habe Ihrem letzten Satz, Herr Minister Groschek, doch glatt entnommen, dass vielleicht sogar ein kleines Interesse vorhanden wäre, es zu tun. Da wir aber wissen, dass Rot-Grün im Mai – Gott sei Dank! – zugunsten des Landes ein Ende haben wird, sollten wir dann gemeinsam in den parlamentarischen Ruhestand treten. Wenn dann die Tätigkeit als Minister nicht mehr ansteht, ist das vielleicht auch ein guter Ausgleich für den Kollegen Groschek. – Einen schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schemmer. Auch Ihnen alles Gute für den weiteren Weg. – Damit sind wir am Ende der Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zur Abstimmung. Die CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Also stimmen wir über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/14397 ab. Wer stimmt dem zu? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne sowie die FDP-Fraktion stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Piratenfraktion ist der Antrag Drucksache 16/14397 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:

17 Polizeipräsenz im ländlichen Raum stärken – System der Kräfteverteilung sachgerecht fortentwickeln!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13413

Beschlussempfehlung und Bericht
des Innenausschusses
Drucksache 16/14688

Der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/13413 gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Innenausschuss mit der Maßgabe überwiesen, dass eine Aussprache und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben (Anlage 4).

Somit kommen wir direkt zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14688, den Antrag Drucksache 16/13413 abzulehnen. Wer also stimmt dem Inhalt des Antrags – nicht der Beschlussempfehlung – zu? – Die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD und Grüne stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthält sich die Piratenfraktion. Damit ist der Antrag Drucksache 16/13413 mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe auf:


18 Für die Einführung eines spartenübergreifenden Creative Commons Preises in NRW! Freien Zugang von digitalisierten Kunst- und Kulturgütern für die Zukunft absichern und die Verwendung von freien Lizenzen anregen.

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14385

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Kultur und Medien
Drucksache 16/14689

Der Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/14385 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Kultur und Medien mit der Maßgabe überwiesen, dass Aussprache und Abstimmung nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen.

Die Aussprache ist eröffnet. Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Bialas das Wort.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel, dass mehr kreative Menschen diese alternativen Lizenzen kennenlernen, ist gut. Wir hatten auch bereits im Ausschuss darüber gesprochen, warum das so ist. Wir glauben, dass das durchaus einen Beitrag zur Künstlerinnen- und Künstlerförderung darstellt.

Es ist die Frage, inwieweit Künstler hierdurch anderweitige Darstellungsmöglichkeiten haben, inwieweit sie an die Öffentlichkeit gelangen können und inwieweit dadurch die Wirtschaftlichkeit erhöht werden kann. Vor allen Dingen geht es aber auch darum, die Handlungsmöglichkeiten am Markt zu verbessern. Weiterhin geht es darum, inwieweit Künstlerinnen und Künstler durch die Kenntnis der alternativen Lizenzen ein Stück weit mehr in die Realitätsnähe rücken, was die Wahrnehmung ihres künstlerischen Daseins angeht.

Lizenzen müssen allerdings kennengelernt werden. Sie müssen verständlich sein. Auch müssen sie, was ihre Form angeht, handlungssicher wahrgenommen werden. Ich glaube, da fehlt noch einiges. Insoweit ist es, glaube ich, richtig und wichtig, wenn wir sagen: Es ist nicht unklug, das in den Bereich der Künstlerinnen- und Künstlerförderung hineinzunehmen, was – ohne dass ich etwas Großartiges verrate – vermutlich im nächsten Kulturförderplan ein Schwerpunkt sein wird, beispielsweise im Hinblick auf die Darstellung von Ausbildungsinhalten an Kunsthochschulen, Musikhochschulen und anderweitigen Ausbildungsinstituten, aber genauso reingehen in den Bereich Beratung durch Verbände. Insoweit glaube ich – wir haben auch inhaltlich darauf Bezug genommen –, dass wir keinen Preis dafür positiv bewerten werden. Wir werden den Antrag diesbezüglich ablehnen.

Ihre Forderung aber im dritten Punkt unter III. – dabei geht es um die Aufforderung des Landtags an die Landesregierung, die Bekanntheit alternativer Lizenzierungsmodelle in der Kunst- und Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens durch weitere Maßnahmen zu fördern – werden wir als Auftrag in die Diskussion mitnehmen. Das wird, wie gesagt, bei der Beratung des Kulturförderplans im Bereich der Künstlerinnen- und Künstlerförderung geschehen. – Insoweit darf ich Ihnen danken, und Ihnen ebenfalls.

 (Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Schick.

(Beifall von der CDU)

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in der Bewertung von Creative-Commons-Lizenzen sind wir uns einig. Sie sind ein wichtiges Mittel, um der Allgemeinheit Kunst- und Kulturgüter zugänglich zu machen. Denn Creative-Commons-Lizenzen ermöglichen es Künstlerinnen und Künstler, ihre Arbeit unter den von ihnen festgelegten Bedingungen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund erfreuen sie sich immer größerer Beliebtheit. Ich glaube, da sind wir uns vollkommen einig.

Wie immer vor einer Plenardebatte schaut man ein bisschen ins Netz. Ich bin auf der Seite creativecommons.de auf einen Link gestoßen. Dort heißt es:

„Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Plakatdatenbank des „Archivs für Christlich-Demokratische Politik“ neu gelauncht. Sehr lobenswert ist, dass alle Plakate jetzt unter Creative Commons BY-SA-Lizenz stehen und damit auch in der Wikipedia genutzt werden können.“

(Beifall von der CDU)

„Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich Archive ans digitale Zeitalter anpassen und ihre Bestände nutzbar machen.“

Am Ende heißt es:

„Wir würden uns freuen, wenn die anderen politischen Stiftungen diesem Beispiel folgen würden.“

(Beifall von der CDU)

Der erste Creative Commons Preis geht also an die Union.

Trotzdem werden wir jetzt nicht für den Antrag den Creative Commons Preis betreffend stimmen, denn die Adenauer-Stiftung hat diesen Schritt bereits 2012 vollzogen,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das war ein schönes Plädoyer!)

und die Stiftungen der übrigen Parteien sind gefolgt. Wir sind viereinhalb Jahre weiter. Es ist schön, wenn die Union wieder an der Spitze der digitalen Bewegung steht,

(Zurufe von den PIRATEN)

aber mittlerweile haben wir viele, die diesem Beispiel gefolgt sind. Wir brauchen diesen Preis zur Steigerung der Attraktivität und der Bekanntheit nicht.

Wir lehnen den Antrag ab, weil sich viele wie wir auf den Weg gemacht haben, wenn auch nach uns. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die grüne Fraktion hat nun Herr Kollege Bolte das Wort.

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Schick, wenn Sie sagen, dass die Union bei digitalen Themen in irgendeiner Form an der Spitze sei, habe ich immer das Problem, darauf nicht mit einem ungefähr dreistündigen Koreferat darüber, wo die Union nicht in der digitalen Realität angekommen ist, zu antworten.

Ich will es an der Stelle lassen und mich stattdessen dem Antrag zuwenden, weil es für die Piratenfraktion – das hat uns die ganze Legislaturperiode hindurch begleitet –ein wichtiges Anliegen war, auf die Relevanz von Creative-Commons-Lizenzen hinzuweisen. Das hat uns an vielen Stellen und in vielen Kontexten beschäftigt, und wir Grüne haben immer darauf hingewiesen, wie wichtig dieses Thema für uns ist. Ich habe mich natürlich danach umgeschaut, welche grünen Erzeugnisse jeweils unter Creative-Commons-Lizenzen stehen. Davon gibt es einige.

Die Frage ist: Brauchen wir einen solchen Förderpreis bzw. ist der Preis tatsächlich das richtige Mittel? – Ich habe versucht, mir zu vergegenwärtigen, was für Kulturpreise es gibt. Es gibt Preise, die für Sparten oder Themen oder Werkstoffe oder Genres – wie auch immer – vergeben werden, aber ich finde, Lizenz und Preis beißen sich ein Stück weit. Außerdem frage ich mich – da muss ich dem Kollegen Schick tatsächlich auch einmal Recht geben –:

(Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

Sind Creative-Commons-Lizenzen etwas so Exotisches, dass man Förderpreise dafür vergeben muss? – Ich glaube, das sind sie nicht mehr. Ich sage gerne: Gott sei Dank sind sie das nicht mehr.

Das Thema muss natürlich an vielen Stellen noch unterstützt werden, in der Künstlerausbildung, bei Fortbildungen und auch im Rahmen des Kulturförderplans. Das ist völlig klar. Aber diese Form des Preises brauchen wir nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Ich glaube, der Einsatz von Creative-Commons-Lizenzen hat sich bei allen Kultur- und Medienformen durchgesetzt. Jeder ist höchstwahrscheinlich schon einmal in Kontakt damit gekommen und hat sie genutzt, zum Beispiel beim Benutzen von YouTube, Wikipedia oder Flickr. Insofern sind sie bekannt. Auf Antrag der FDP-Fraktion haben wir damals auch den Vertreter einer entsprechenden Initiative, Herrn Michalke, in den Kultur- und Medienausschuss eingeladen. Insofern ist das in der Tat ein wichtiges Thema.

Aber – zweitens – bitte nicht noch einen Förderpreis! Wir haben bereits zu viele Förderpreise. Die meisten – oder viele – gibt es zwar noch irgendwie, sie sterben aber einen stillen Tod durch Nichtbeachtung oder weil man sie gar nicht mehr vergibt. Gerade im Kulturbereich sollte man da ein bisschen aufpassen.

Insofern lehnen wir als FDP-Fraktion diesen Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Olejak das Wort.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Ich fange sozusagen als letzter Redner für diesen Antrag damit an, das Feld von hinten aufzurollen. Herr Nückel, „nicht noch einen Förderpreis“ haben Sie gesagt. Dann können wir – das haben wir auch im Ausschuss schon einmal kurz gesagt – prinzipiell alle Kunst- und Kultur-, aber auch alle Familienförderpreise, alle Sportförderpreise und überhaupt alle Preisausschreibungen des Landes einmal auf den Prüfstand stellen

(Zuruf von den PIRATEN: Das würde Herrn Nückel gefallen!)

und uns anschauen, was dann an Geldern übrig bleibt, um andere Möglichkeiten als einen solchen Preis finanziell zu fördern.

Nichtsdestotrotz ist es so: Man muss vielleicht ein bisschen über die Beispiele hinausdenken, die von Ihnen hier eben angegeben wurden. In Bezug auf die Creative Commons – dies lässt sich sogar noch viel weiter ausrollen, nicht nur auf die Bereiche der Kunst und der Kultur und der einzelnen Medienbausteine bezogen – werden wir immer wieder feststellen, dass es neue Technologien, wie den 3D-Druck, gibt, dass genau in diesen Bereichen neue Technologien neue Lizensierungsmodelle ermöglichen und dass auch hier eine neue Form von Kunst geschaffen werden kann, die sogar schon industriellen Charakter haben kann.

Herr Schick, was neue Industrien und neue Techniken betrifft, fällt mir gerade noch ein: Sie haben gesagt, die Konrad-Adenauer-Stiftung habe – was ich sehr löblich finde – seit 2012 ihre Inhalte unter CC-Lizenz veröffentlicht. Das finde ich sehr schön.

(Zuruf von den PIRATEN: Die Wahlplakate!)

Die Piraten als Partei veröffentlichen seit ihrer Gründung 2006 ihre Inhalte unter einer CC-Lizenz. Von daher glaube ich, uns gebührt der Preis, was diesen Bereich der politischen Veröffentlichung betrifft.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Bialas, ich bin Ihnen sogar persönlich dankbar, dass Sie von vornherein etwas mehr die Möglichkeiten eines solchen Kunst- und Kulturförderpreises in Betracht gezogen haben. Genau darum ging es hier für mich und wird es auch weiterhin gehen: Ideen in den Köpfen zu platzieren, für Ideen zu werben und den bürgerlichen Lobbyismus von draußen hier hineinzutragen.

Von daher sage ich in der kurzen Zeit, die mir als Parlamentarier heute an diesem Mikrofon verbleibt: Vielleicht habe ich es ja doch geschafft, Sie jetzt noch einmal umzustimmen. Denn letztlich geht es gar nicht um die Einführung eines solchen Preises. Denn wenn Sie alle den Antrag wirklich gelesen hätten, dann wüssten Sie – und Sie wissen es eigentlich –, die Landesregierung möge bitte evaluieren und sich selbst überlegen, welche Bereiche für einen solchen Preis überhaupt in Betracht kommen könnten und wie ein solcher Preis überhaupt ausgestaltet werden kann.

Was Sie hier gerade noch einmal tun, ist eine gute Idee dahingehend abzulehnen, dass Sie es noch nicht einmal der Landesregierung ermöglichen, sich selbst Gedanken darüber zu machen. – Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Vielen Dank für das, was ich mit Ihnen hier bisher habe lernen dürfen. Und wir sehen uns wieder.


(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Antragsteller! Die Landesregierung ist durchaus in der Lage, sich eigene Gedanken zu dem Thema zu machen,

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Da sind wir aber froh!)

schließt sich aber dennoch den Vorrednern, abgesehen vom Antragsteller, an. Auch wir bewerten Creative-Commons-Lizenzen durchaus als positiv, glauben aber auch nicht, dass wir dafür einen Preis brauchen. Wir glauben vielmehr, um das Ziel zu erreichen, nämlich mehr Menschen einen freien Zugang zu Kunst- und Kulturgütern zu ermöglichen, brauchen wir rechtlich verbindliche Möglichkeiten.

Wir haben uns im Übrigen bereits im Bundesrat für ein modernes und vor allem für ein zeitgemäßes Urheberrecht starkgemacht, um das im entsprechenden EU-Richtlinienentwurf durchzusetzen. Diesen Weg werden wir auch weitergehen. Wie gesagt, einen Preis brauchen wir dafür unserer Meinung nach nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in der Drucksache 16/14689, den Antrag abzulehnen. Wir kommen also zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Herr Schulz, fraktionslos, enthält sich. Damit ist das Ergebnis eindeutig: Der Antrag Drucksache 16/14689 ist mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.

Das Plenum wird für morgen wieder einberufen, und zwar für Freitag, den 7. April 2017, 10 Uhr.


Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und bedanke mich bei allen Beteiligten.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:55 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

Zu TOP 7 – Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – gem. § 47 Abs. 2 GeschO zu Protokoll gegebene Erklärung von Henning Höne (FDP)

Für und Wider zur Absenkung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl sind in der Verfassungskommission ausführlich diskutiert und beleuchtet worden. Nachvollziehbare Argumente sind auf beiden Seiten vorhanden.

Schon zu meiner aktiven Zeit bei den Jungen Liberalen habe ich mich für die Absenkung des Wahlalters stark gemacht. Ich persönlich traue jungen Menschen viel zu und bin davon überzeugt, dass auch der Gesetzgeber dieses Vertrauen in die junge Generation investieren sollte. Gerade als jüngstes Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen in der 16. Legislaturperiode war und ist es mir ein wichtiges Anliegen, Kinder und Jugendliche früh an Politik heranzuführen und sie zum aktiven Mitmachen zu ermuntern.

Ein großer Schritt in die richtige Richtung wäre die Streichung von Artikel 31 (2) aus der nordrhein-westfälischen Landesverfassung gewesen. Die Regelung des Wahlalters auf der gesetzlichen Ebene hätte der Diskussion in der 17. Legislaturperiode eine neue Dynamik gegeben und eine große Chance eröffnet. Ich bedauere bis heute, dass die Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen ausgeschlagen haben, diese Streichung gemeinsam mit der Verankerung einer Individualverfassungsklage vorzunehmen.

Dass am heutigen Tage die Abstimmung ohne Aussicht auf Erfolg trotzdem von SPD, Bündnis90/Die Grünen und den Piraten herbeigeführt wird, ist dem Wahlkampf geschuldet. Durch diese politische Inszenierung entfernen wir uns von dem Ziel, den 16- und 17-Jährigen in unserem Land mehr Verantwortung zuzutrauen. Die Absenkung des Wahlalters halte ich weiterhin für richtig. Einer dem Ziel schädlichen Inszenierung aber kann ich nicht folgen. Ich lehne den Gesetzentwurf darum ab.

gez.

Henning Höne

 

Anlage 2

Namentliche Abstimmung zu TOP 7 – Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/13313 (Neudruck) zur dritten Lesung

 

 


Lfd.
Nr.


Name des Abgeordneten


Fraktion

Abstimmung


ja


nein

Stimm-
ent-
haltung

1

 Herr Abel

GRÜNE

entschuldigt

2

 Herr Alda

FDP

 

X

 

3

 Frau Altenkamp

SPD

X

 

 

4

 Frau Andres

SPD

X

 

 

5

 Frau Asch

GRÜNE

X

 

 

6

 Herr Bas

GRÜNE

X

 

 

7

 Herr Bayer

PIRATEN

X

 

 

8

 Herr Becker, Andreas

SPD

X

 

 

9

 Herr Becker, Horst

GRÜNE

entschuldigt

10

 Frau Beer

GRÜNE

X

 

 

11

 Frau Dr. Beisheim

GRÜNE

X

 

 

12

 Herr Bell

SPD

X

 

 

13

 Frau Benninghaus

SPD

X

 

 

14

 Herr van den Berg

SPD

abwesend

15

 Herr Dr. Berger

CDU

 

X

 

16

 Herr Berghahn

SPD

X

 

 

17

 Herr Dr. Bergmann

CDU

 

X

 

18

 Herr Beu

GRÜNE

X

 

 

19

 Herr Bialas

SPD

X

 

 

20

 Herr Biesenbach

CDU

entschuldigt

21

 Frau Birkhahn

CDU

 

X

 

22

 Herr Bischoff

SPD

X

 

 

23

 Frau Blask

SPD

X

 

 

24

 Herr Börner

SPD

X

 

 

25

 Herr Börschel

SPD

X

 

 

26

 Freifrau von Boeselager

CDU

 

X

 

27

 Herr Bolte

GRÜNE

X

 

 

28

 Herr Bombis

FDP

abwesend

29

 Herr Prof. Dr. Bovermann

SPD

X

 

 

30

 Frau Brand

PIRATEN

X

 

 

31

 Frau Brems

GRÜNE

X

 

 

32

 Herr Brockes

FDP

 

X

 

33

 Frau Dr. Bunse

CDU

entschuldigt

34

 Herr Burkert

CDU

 

X

 

35

 Herr Busen

FDP

abwesend

36

 Herr Dahm

SPD

X

 

 

37

 Herr Deppe

CDU

 

X

 

38

 Frau van Dinther

CDU

entschuldigt

39

 Frau Dmoch-Schweren

SPD

X

 

 

40

 Frau Doppmeier

CDU

 

X

 

41

 Herr Dudas

SPD

X

 

 

42

 Frau Düker

GRÜNE

X

 

 

43

 Herr Düngel

PIRATEN

X

 

 

44

 Herr Ellerbrock

FDP

 

X

 

45

 Herr Engstfeld

GRÜNE

X

 

 

46

 Frau Fasse

CDU

 

X

 

47

 Herr Fehring

CDU

 

X

 

48

 Herr Feuß

SPD

X

 

 

49

 Herr Fortmeier

SPD

X

 

 

50

 Frau Freimuth

FDP

 

X

 

51

 Herr Fricke

PIRATEN

X

 

 

52

 Herr Ganzke

SPD

X

 

 

53

 Herr Garbrecht

SPD

X

 

 

54

 Herr Gatter

SPD

X

 

 

55

 Frau Gebauer

FDP

abwesend

56

 Frau Gebhard

SPD

X

 

 

57

 Herr Geyer

SPD

X

 

 

58

 Frau Gödecke

SPD

X

 

 

59

 Herr Goldmann

GRÜNE

X

 

 

60

 Herr Golland

CDU

 

X

 

61

 Frau Grochowiak-Schmieding

GRÜNE

X

 

 

62

 Herr Große Brömer

SPD

X

 

 

63

 Herr von Grünberg

SPD

X

 

 

64

 Herr Grunendahl

CDU

entschuldigt

65

 Frau Güler

CDU

 

X

 

66

 Herr Haardt

CDU

 

X

 

67

 Herr Dr. Hachen

CDU

 

X

 

68

 Frau Hack

SPD

X

 

 

69

 Herr Hafke

FDP

 

X

 

70

 Frau Hammelrath, Gabriele

SPD

X

 

 

71

 Frau Hammelrath, Helene

SPD

X

 

 

72

 Frau Hanses

GRÜNE

X

 

 

73

 Herr Hausmann

CDU

 

X

 

74

 Herr Hegemann

CDU

 

X

 

75

 Herr Heinrichs

SPD

X

 

 

76

 Frau Hendricks

SPD

X

 

 

77

 Herr Hendriks

CDU

entschuldigt

78

 Herr Herrmann

PIRATEN

X

 

 

79

 Herr Herter

SPD

X

 

 

80

 Herr Hilser

SPD

X

 

 

81

 Herr Höne

FDP

 

X

 

82

 Herr Hovenjürgen

CDU

 

X

 

83

 Frau Howe

SPD

X

 

 

84

 Herr Hübner

SPD

X

 

 

85

 Herr Jäger

SPD

X

 

 

86

 Herr Jahl

SPD

X

 

 

87

 Frau Jansen

SPD

X

 

 

88

 Herr Jörg

SPD

X

 

 

89

 Herr Jostmeier

CDU

 

X

 

90

 Herr Kämmerling

SPD

X

 

 

91

 Herr Kaiser

CDU

 

X

 

92

 Herr Kamieth

CDU

 

X

 

93

 Herr Dr. Kerbein

FDP

entschuldigt

94

 Herr Kerkhoff

CDU

 

X

 

95

 Herr Kern, Nicolaus

PIRATEN

X

 

 

96

 Herr Kern, Walter

CDU

 

X

 

97

 Herr Keymis

GRÜNE

X

 

 

98

 Frau Kieninger

SPD

X

 

 

99

 Herr Klocke

GRÜNE

X

 

 

100

 Frau Klöpper

CDU

 

X

 

101

 Herr Körfges

SPD

X

 

 

102

 Frau Kopp-Herr

SPD

X

 

 

103

 Frau Korte

CDU

 

X

 

104

 Frau Koschorreck

SPD

X

 

 

105

 Herr Kossiski

SPD

X

 

 

106

 Frau Kraft

SPD

X

 

 

107

 Herr Kramer

SPD

X

 

 

108

 Herr Krick

SPD

X

 

 

109

 Herr Krückel

CDU

 

X

 

110

 Herr Krüger

GRÜNE

X

 

 

111

 Herr Kruse

CDU

entschuldigt

112

 Herr Kuper

CDU

 

X

 

113

 Herr Kutschaty

SPD

X

 

 

114

 Herr Lamla

PIRATEN

X

 

 

115

 Herr Laschet

CDU

 

X

 

116

 Herr Lienenkämper

CDU

 

X

 

117

 Herr Lindner

FDP

 

X

 

118

 Herr Löcker

SPD

X

 

 

119

 Herr Lohn

CDU

abwesend

120

 Frau Lück

SPD

X

 

 

121

 Frau Lüders

SPD

X

 

 

122

 Herr Lürbke

FDP

 

X

 

123

 Frau Lux

SPD

X

 

 

124

 Frau Maaßen

GRÜNE

entschuldigt

125

 Herr Dr. Maelzer

SPD

X

 

 

126

 Herr Markert

GRÜNE

X

 

 

127

 Herr Marquardt

SPD

X

 

 

128

 Herr Marsching

PIRATEN

X

 

 

129

 Herr Meesters

SPD

X

 

 

130

 Frau Middendorf

CDU

 

X

 

131

 Frau Milz

CDU

 

X

 

132

 Herr Möbius

CDU

 

X

 

133

 Herr Moritz

CDU

 

X

 

134

 Herr Mostofizadeh

GRÜNE

X

 

 

135

 Herr Müller, Hans-Peter

SPD

X

 

 

136

 Herr Müller, Holger

CDU

 

X

 

137

 Frau Müller-Witt

SPD

X

 

 

138

 Herr Münchow

SPD

X

 

 

139

 Herr Münstermann

SPD

entschuldigt

140

 Herr Nettekoven

CDU

 

X

 

141

 Herr Nettelstroth

CDU

 

X

 

142

 Herr Neumann

SPD

X

 

 

143

 Herr Nückel

FDP

 

X

 

144

 Herr Olejak

PIRATEN

X

 

 

145

 Herr Dr. Optendrenk

CDU

 

X

 

146

 Herr Ortgies

CDU

entschuldigt

147

 Herr Ott

SPD

X

 

 

148

 Herr Dr. Papke

FDP

 

X

 

149

 Herr Dr. Paul, Joachim

PIRATEN

X

 

 

150

 Frau Paul, Josefine

GRÜNE

X

 

 

151

 Frau Philipp

SPD

X

 

 

152

 Frau Pieper

PIRATEN

X

 

 

153

 Herr Post

CDU

 

X

 

154

 Herr Preuß

CDU

 

X

 

155

 Frau Preuß-Buchholz

SPD

X

 

 

156

 Herr Priggen

GRÜNE

X

 

 

157

 Herr Rahe

SPD

X

 

 

158

 Herr Rasche

FDP

 

X

 

159

 Herr Rehbaum

CDU

 

X

 

160

 Herr Rickfelder

CDU

 

X

 

161

 Herr Römer

SPD

X

 

 

162

 Herr Rohwedder

PIRATEN

X

 

 

163

 Herr Rüße

GRÜNE

X

 

 

164

 Frau Ruhkemper

SPD

X

 

 

165

 Frau Rydlewski

PIRATEN

entschuldigt

166

 Frau Schäfer, Ute

SPD

X

 

 

167

 Frau Schäffer, Verena

GRÜNE

X

 

 

168

 Frau Scharrenbach

CDU

entschuldigt

169

 Herr Schatz

PIRATEN

X

 

 

170

 Herr Scheffler

SPD

X

 

 

171

 Herr Schemmer

CDU

 

X

 

172

 Herr Schick

CDU

 

X

 

173

 Herr Schittges

CDU

 

X

 

174

 Herr Schlömer

SPD

X

 

 

175

 Herr Schmalenbach

PIRATEN

X

 

 

176

 Herr Schmeltzer

SPD

X

 

 

177

 Frau Schmitt-Promny

GRÜNE

entschuldigt

178

 Herr Schmitz, Hendrik

CDU

 

X

 

179

 Frau Schmitz, Ingola Stefanie

FDP

 

X

 

180

 Herr Schneider, Guntram

SPD

X

 

 

181

 Herr Schneider, René

SPD

X

 

 

182

 Frau Schneider, Susanne

FDP

 

X

 

183

 Herr Schultheis

SPD

X

 

 

184

 Herr Schulz

fraktionslos

X

 

 

185

 Frau Schulze

SPD

X

 

 

186

 Frau Schulze Föcking

CDU

 

X

 

187

 Herr Schwerd

fraktionslos

entschuldigt

188

 Herr Seel

CDU

 

X

 

189

 Frau Dr. Seidl

GRÜNE

entschuldigt

190

 Herr Sieveke

CDU

 

X

 

191

 Herr Solf

CDU

entschuldigt

192

 Herr Sommer

PIRATEN

X

 

 

193

 Frau Spanier-Oppermann

SPD

X

 

 

194

 Herr Spiecker

CDU

 

X

 

195

 Herr Dr. Stamp

FDP

abwesend

196

 Herr Stein

CDU

abwesend

197

 Frau Steininger-Bludau

SPD

X

 

 

198

 Frau Steinmann

SPD

entschuldigt

199

 Herr Prof. Dr.Dr. Sternberg

CDU

 

X

 

200

 Herr Stinka

SPD

X

 

 

201

 Herr Stotko

SPD

X

 

 

202

 Frau Stotz

SPD

X

 

 

203

 Herr Stüttgen

fraktionslos

X

 

 

204

 Herr Sundermann

SPD

X

 

 

205

 Herr Tenhumberg

CDU

 

X

 

206

 Herr Terhaag

FDP

 

X

 

207

 Herr Thiel

SPD

X

 

 

208

 Frau Thönnissen

CDU

entschuldigt

209

 Frau Tillmann

SPD

entschuldigt

210

 Herr Töns

SPD

entschuldigt

211

 Herr Tüttenberg

SPD

X

 

 

212

 Herr Ünal

GRÜNE

X

 

 

213

 Herr Uhlenberg

CDU

 

X

 

214

 Frau Velte

GRÜNE

X

 

 

215

 Herr Vogt, Alexander

SPD

X

 

 

216

 Frau Vogt, Petra

CDU

 

X

 

217

 Frau Voigt-Küppers

SPD

X

 

 

218

 Frau Voßeler

CDU

 

X

 

219

 Herr Voussem

CDU

 

X

 

220

 Frau Wagener

SPD

X

 

 

221

 Frau Warden

SPD

X

 

 

222

 Frau Watermann-Krass

SPD

X

 

 

223

 Herr Weckmann

SPD

X

 

 

224

 Herr Wedel

FDP

 

X

 

225

 Herr Wegner

PIRATEN

X

 

 

226

 Herr Weiß

SPD

X

 

 

227

 Herr Weske

SPD

X

 

 

228

 Herr Wirtz, Axel

CDU

entschuldigt

229

 Herr Wirtz, Josef

CDU

 

X

 

230

 Herr Witzel

FDP

 

X

 

231

 Herr Dr. Wolf, Ingo

FDP

 

X

 

232

 Herr Wolf, Sven

SPD

X

 

 

233

 Herr Wüst

CDU

entschuldigt

234

 Herr Yetim

SPD

X

 

 

235

 Herr Yüksel

SPD

X

 

 

236

 Frau Zentis

GRÜNE

X

 

 

237

 Herr Zimkeit

SPD

X

 

 

 

Ergebnis

 

135

71

0

 

 

Anlage 3

Zu TOP 15 – „Streckungsfonds“ der Landesregierung soll steigende Energiekosten kommenden Generationen aufbürden – Nordrhein-Westfalen benötigt mehr Marktwirtschaft in der Energiepolitik statt schuldenfinanzierte Schattenhaushalte – zu Protokoll gegebene Reden

Michael Hübner (SPD):

Ich sage Ihnen direkt zu Beginn: wir lehnen Ihren Antrag ab und weisen Ihre Äußerung, der Streckungsfonds sei nichts anderes als ein schuldenfinanzierter Schattenhaushalt, entschieden zurück.

Auch nach intensiver Auswertung der Anhörung der Sachverständigen bleiben wir bei unserem Kurs; denn der Streckungsfonds zur Begrenzung der EEG-Umlage findet große Unterstützung bei Industrieunternehmen und Gewerkschaften. Sie unterstellen uns das Ziel, die Kosten für die Subventionierung der Erneuerbaren Energien verschleiern und zeitlich strecken zu wollen. Ich sage Ihnen, das genaue Gegenteil ist der Fall und darum ist unser Vorhaben auch richtig und gut.

Der Streckungsfonds soll eine rasche und wirksame Deckelung der EEG-Umlage bewirken. Und er soll die Finanzierung der für die künftige Generation so wertvollen Technologieentwicklung bei den Erneuerbaren Energien gerecht verteilen. Zudem wollen wir schnell eine Entlastung bei den Energiekosten für unsere heimische Industrie und die privaten Haushalte in unserem Land erzielen, aber zugleich bei der Energiewende den Kurs halten.

Wir lehnen Ihren Antrag ab, denn er würde uns vom Kurs abbringen.

Josef Hovenjürgen (CDU):

Der Antrag der FDP-Fraktion greift vier Forderungen auf, auf die ich kurz eingehen möchte.

Die im Ausschuss erfolgte Zuziehung von Sachverständigen hat gezeigt, dass es erhebliche und berechtigte Bedenken gegen den sogenannten Streckungsfonds für die EEG-Umlage gibt. Zum einen besteht die Gefahr, dass das Refinanzierungssystem des Fonds in Schieflage geraten wird, sobald die EE-Differenzkosten steigen. Zweitens würde der Fonds den Druck nehmen, die Anlagenfinanzierung günstig zu gestalten. Damit würde der EE-Ausbau im Ergebnis noch teurer werden.

Zudem stellt sich die Gerechtigkeitsfrage – Generationengerechtigkeit –, wenn die Kosten für die EE-Anlagen über die technische Lebensdauer hinaus finanziert werden müssen.

Daher ist es für mich zumindest nicht nachvollziehbar, warum der Wirtschaftsminister an dieser Idee festhält.

Wir wollen wie die FDP-Fraktion, dass die Gespräche über den Streckungsfonds aus den vorgenannten Gründen beendet werden. Es müssen in der kommenden Legislatur bessere und vor allem geeignete Lösungen gefunden werden, wie die Strompreise bezahlbar bleiben können.

Bei der zweiten Forderung des Antrags, den Stopp der Subventionierung der EE durch das EEG einzuleiten, können wir allerdings nicht mitgehen, ebenso nicht bei der Forderung nach einer sofortigen Absenkung der Stromsteuer. Hier springt der Antrag zu kurz.

Es gilt auch hier: In der kommenden Legislatur müssen geeignete Lösungskonzepte für das gesamte Strompreissystem gefunden werden. Losgelöste Einzelschritte sind dabei kontraproduktiv und lösen die gegenwärtigen Probleme unseres Energiesystems nicht.

Die Schaffung eines Europäischen Energiebinnenmarktes unterstützen wir selbstverständlich; denn auch beim Strom ist Deutschland keine Insel und wir brauchen unsere europäischen Nachbarn ebenso wie sie uns.

Wir werden uns zu diesem Antrag insgesamt enthalten.

Wibke Brems (GRÜNE):

Wieder haben wir einen ideologiebeladenen Antrag der FDP zur Energiepolitik vorliegen.

Die FDP vergleicht gerne Äpfel mit Birnen. Sie kommt dann zu dem Ergebnis, dass die Birnen nicht so rund sind wie die Äpfel und dass deshalb die Birnen genauso zurecht geschnitten werden sollen, damit sie aussehen wie Äpfel. Und dann beschweren sich die FDP hinterher, dass die Birnen aber nicht wie Äpfel schmecken.

Die FDP vergleicht Fossile Energien mit Erneuerbaren Energien und kommt zu dem Ergebnis, dass die Erneuerbaren Energien anders sind: Sie sagt, sie seien zu teuer und sollten sich ohne jegliche Unterstützung im Strommarkt behaupten, der für fossile Kraftwerke geschaffen wurden. Aber Birnen sind nun mal keine Äpfel und Erneuerbare Energien sind keine fossilen Kraftwerke.

In der Anhörung wurde darauf hingewiesen, dass es eben kein so genanntes Level playing field für Erneuerbare Energien gibt. Die Erneuerbaren Energien haben nicht die gleichen Voraussetzungen wie fossile.

Nehmen wir nur mal die Preise: Die Erneuerbaren Energien haben als einziger Energieträger ein Preisschild, das wir alle auf unserer Stromrechnung sehen. Dieses Preisschild ist die EEG-Umlage. Abgesehen davon, dass in diesem Preisschild noch mehr als die reinen Kosten für Erneuerbare Energien enthalten sind, erweckt die EEG-Umlage den Eindruck, als wenn uns nur die Erneuerbaren Energien etwas kosten würden.

Das Gegenteil ist der Fall: Fossile Energieträger werden durch den Klimawandel und die Verbreitung von Schadstoffen – wie z.B. Feinstaub und Quecksilber – auch für Deutschland weitreichende Konsequenzen haben. Diese Auswirkungen bezahlen wir alle nicht mit unserer Stromrechnung sondern beispielsweise durch Steuermittel, Krankenkassenbeiträge. Würde man analog zur EEG-Umlage eine Koventionelle-Energien-Umlage einführen, läge diese bei ca. 11 Cent/ kWh. Darüber hinaus wird die Atomkraft auch nach ihrem Ende noch Milliarden an Steuern für die Endlagerung verschlingen.

Weiterhin wies z.B. auch der Experte Dr. Matschoss darauf hin, dass die EEG-Umlage ein schlechter Indikator für die Kosten der EE sei. „Ein besserer Indikator wäre die Summe des Börsenstrompreises und der EEG-Umlage. Diese Summe ist über die letzten Jahre relativ konstant geblieben.“

Das Erneuerbaren-Energien-Gesetz hat für eine äußerst erfolgreiche Markteinführung der Erneuerbaren Energien geführt. Die aktuell hohen Summen im EEG-Konto stammen vor allem aus den Jahren 2011 und 2012. Zu dieser Zeit hat die Schwarz-Gelbe Koalition im Bund durch ihre über viele Monate gehenden Debatten zur Änderung des EEGs für massive Unsicherheit in der Erneuerbaren-Energien-Branche, besonders im Solarbereich, gesorgt. Dies führte dazu, dass Photovoltaikanlagen auf einen Schlag massiv ausgebaut wurden, um vor der Änderung des EEGs noch die Anlagen ans Netz zu bringen. Durch dieses Planungschaos und die Unsicherheit wurde nicht nur das EEG-Konto massiv belastet, sondern wie zu erwarten kam der Einbruch und viele Arbeitsplätze gingen verloren. Die Kosten dieser Unsicherheit tragen wir noch heute mit uns.

Ein Streckungsfonds könnte die Belastungen durch den Strombezug vor allem für Menschen mit geringem Einkommen verringern, denn hier sind die Stromkosten prozentual besonders hoch. Auch deshalb wollen wir die Idee, die Herr Töpfer ursprünglich in die Debatte eingebracht hat, genau prüfen. Denn auch für uns ist klar, dass es in einem sich wandelnden Strommarkt Änderungen – aber auch Planungssicherheit – geben muss.

Die Erneuerbaren Energien sind nun bei einem Stromanteil von einem Drittel über die Markteinführung hinaus. Damit ist klar, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickelt werden muss. Die Erneuerbaren Energien brauchen das besagte Level playing field, damit sie unter fairen Bedingungen am Markt teilnehmen können und ihr Wachstum nicht weiter gehemmt wird. Denn dann haben Windenergie- und Photovoltaikanlagen echte Chancen. Schließlich können sie schon heute günstiger Strom erzeugen als Kohlekraftwerke.

Die einseitige Sichtweise des FDP-Antrags teilen wir Grüne absolut nicht und lehnen daher dieser Antrag ab.

Dietmar Brockes (FDP):

Derzeit verhandelt die Landesregierung mit den anderen Bundesländern über die Einführung eines Streckungsfonds. Es handelt sich bei dem Streckungsfonds jedoch um eine Mogelpackung. Er setzt auf einen schuldenfinanzierten Fonds, mit dem die immer weiter ansteigenden Kosten der planlosen Subventionierungen Erneuerbarer Energien gestreckt und getarnt werden sollen. Aus diesem Fonds sollen dann Teile der EEG-Umlage finanziert werden.

Zusätzlich zur EEG-Umlage werden Wirtschaft und Verbraucher auch für die Zinsen des kreditfinanzierten Fonds zur Kasse gebeten. Im Ergebnis macht der Fonds die Energiewende also noch teurer als sie jetzt bereits ist.

Insbesondere mittelständische Unternehmen sind dabei massiven Belastungen ausgesetzt. Sachverständige aus unterschiedlichen Branchen und Industrien haben das im Wirtschaftsausschuss bereits bestätigt.

Mit dem Streckungsfonds versucht die SPD die Symptome des gescheiterten EEG zu bekämpfen. Den tatsächlichen Ursachen möchte sie sich nicht stellen. Das würde nämlich erfordern, das EEG endlich abzuschaffen, so wie wir Freien Demokraten es schon lange fordern.

Die Übersubventionierung erneuerbarer Energien durch das EEG ist schon längst nicht mehr hinnehmbar! Für das Industrie- und Energieland Nordrhein-Westfalen gilt das umso mehr. Unser Mittelstand und die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sind durch die steigenden Energiepreise bereits enormen Belastungen ausgesetzt.

Um diese Belastungen einzudämmen, fordern wir Freie Demokraten schon lange eine Stromsteuersenkung. Auch die SPD spricht sich neuerdings für eine solche Senkung aus – was übrigens zu Beginn dieser Legislatur noch anders aussah. Unseren Antrag, genau diese Maßnahme umzusetzen, lehnte sie im Ausschuss allerdings trotz einer Einzelabstimmung ab. Ihre vorgeschobenen Bemühen die Bürgerinnen und Bürger des Landes durch eine Stromsteuersenkung zu entlasten, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, ist somit leider nur scheinheilig.

Anstatt den überfälligen Ausstieg aus dem EEG und dem Einstieg in eine marktwirtschaftliche Energiepolitik endlich einzuleiten, streuen Sie den Menschen aber lieber Sand in die Augen und wollen das für Wirtschaft und Verbraucher zerstörerische EEG-System immer weiter ausbauen.

Der Schaffung eines europäischen Energiebinnenmarktes, den – wie sich die Kolleginnen und Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss sicherlich erinnern – übrigens auch die Sachverständigen der Wirtschaft forderten, stellen Sie sich leider nach wie vor entgegen. Sie verhindern so eine effiziente, bezahlbare und generationengerechte Energiepolitik.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bei dem Streckungsfonds handelt es sich um nichts anderes als einen schuldenfinanzierten Schattenhaushalt. Die Kosten werden den kommenden Generationen – unseren Kindern und Enkeln – auferlegt. Hinzu kommt, dass das Ausmaß dieser Kosten noch nicht einmal absehbar ist. Sie täuschen also bewusst die Verbraucher von morgen über die wahre Höhe ihrer Belastungen. Der Streckungsfonds ist somit eine Kapitulation unserer Landesregierung vor einer gescheiterten Energiepolitik.

Meine Damen und Herren, liebe Abgeordnete: Es wird Zeit für einen Neustart und einen Einstieg in eine marktwirtschaftliche, effiziente und generationengerechte Energiepolitik.

Kai Schmalenbach (PIRATEN):

Zum Abschluss der Legislaturperiode zieht die FDP noch einmal gegen die Energiewende zu Felde, heute gleich mit zwei Anträgen. Den Ersten haben wir bereits abgehandelt und auch für den Zweiten gilt: Hätten Sie doch besser geschwiegen, denn zur Sache, im positiven Sinn, findet man wieder einmal nichts in dem vorliegenden Antrag.

Ich möchte, besser, ich muss wohl leider dennoch auf einige Punkte eingehen:

Im Antrag heißt es sinngemäß:

    „Die Subventionierung bestimmter Energieerzeugungsformen führt zu einer erheblichen Umverteilung etwa von Mietern kleiner Wohnungen zu Großinvestoren in erneuerbare Energien.“

Die FDP gegen Umverteilung von unten nach oben? Wie unglaubwürdig ist das denn? Die FDP macht sich zum Robin Hood der „kleinen Mieter“?

2008 hat genau diese FDP gemeinsam mit der CDU den Verkauf der LEG mit ihren rund 100.000 Wohnungen an einen Großinvestor beschlossen. Der Großinvestor heißt Goldman Sachs. Größer geht es kaum noch. Umverteilung der gesamten Gewinne aus den Mieten von unten nach oben ist okay.

Nur bei den Energiekosten spielen sie den Robin Hood. Dabei sind gerade bei den Erneuerbaren die echten Großinvestoren eher die Ausnahme als die Regel. Es gibt eine Vielzahl von Investoren, Einzelpersonen, Genossenschaften, kleine Gesellschaften und auch kommunalen Versorgern. Allein daher passt der Antrag nicht.

Die Interessen der über 200.000 „kleinen Mieter“ waren Ihnen beim Verkauf der landeseigenen Wohnungsbestände scheißegal – nein, ich entschuldige mich; sagen wir „gleichgültig“. Nur beim Geschäft mit der Energie, da entdeckt die FDP immer wieder den „kleinen Mann“ – Da darf man wohl annehmen, dass es in Wahrheit nur um den Kampf gegen die Energiewende geht.

Okay, Glaubwürdigkeit war nie Ihre Stärke. Wozu auch als Klientelpartei. Die waren Sie, die sind Sie und die werden Sie auch nach den Wahlen bleiben.

Kommen wir zur Energiepolitik: Ihr Antrag ist der x-te Angriff auf die Energiewende. Zählen lohnt nicht mehr. Die FDP stellt sich gegen die Energiewende. Sie ist gegen den Schutz des Klimas. Wer in den USA Trump wählt, der würde FDP in NRW wählen – oder gleich die AfD, umindest, wenn es um Energiepolitik geht.

Sie hätten sich wenigstens einmal auseinandersetzen können mit der Idee eines „Streckungsfonds“. Denn die ist weder neu noch schlecht.

Der ehemalige Bundesumweltminister Töpfer hatte schon 2014 eine Fondslösung zur teilweisen Finanzierung der Energiewende ins Gespräch gebracht. Weiterverfolgt wurde die Idee von der bayerischen Wirtschaftsministerin Aigner und von Minister Duin.

Grundsätzlich kann ein solcher Fonds einiges bewirken: Die Kosten können über einen längeren Zeitraum verteilt werden, bei einer teilweisen Refinanzierung aus Steuermitteln kann prinzipiell die Verteilung der finanziellen Lasten gerechter gestaltet werden und es können andere Sektoren des Energiemarktes, Verkehr und Wärme, miteinbezogen werden. Demgegenüber steht je nach Gestaltung des Fonds ein Weniger an Transparenz und eventuell höhere Kosten durch die anfallenden Zinsen.

Es gilt die Vorteile gegen die Nachteile abzuwägen und aus unserer Sicht spricht grundsätzlich mehr für als gegen eine Fondsmodell.

Um Ihren Antrag abzulehnen muss man jedoch nicht viel abwägen: Sie fordern den Stopp der Subventionierung der Erneuerbaren durch das EEG ohne eine Alternative zu nennen. Damit wollen Sie nicht weniger als die Energiewende stoppen. – Wir stehen zur Energiewende.

Sie fordern mehr Markt auf europäischer Ebene. Dabei wissen Sie genau, auch das bremst die Energiewende aus. Das ist der Grund ihrer Forderung. – Wir wollen die Energiewende beschleunigen.

Sie wollen die Stromsteuer absenken. – Wir wollen sie sinnvoll umgestalten.

Sie sind gegen den Klimaschutz. – Wir sind dafür.

Deshalb lehnen wir Ihren Antrag in allen Punkten ab.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk:

Der im Herbst letzten Jahres von der bayerischen Wirtschaftsministerin und mir eingebrachte Vorschlag eines Streckungsfonds setzt ein deutliches Signal, die EEG-Umlage zu dämpfen. Ein Signal zur richtigen Zeit.

Damit ist sicherlich nicht das Problem der steigenden Strompreise und der Finanzierung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zu lösen. Aber der Vorschlag zeigt, dass wir die Energiewende in die richtige Bahn lenken.

Denn sie wird deutlich an Akzeptanz verlieren, wenn wir der Welt durch explodierende Energiepreise und Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft das Signal geben, das energiepolitische Dreieck mit den drei gleichen langen Seiten „sicher, bezahlbar und umweltverträglich“ aus den Augen zu verlieren.

Die Mehrheit der Deutschen – 79 % – finden die Ziele der Energiewende richtig. Das ergab eine repräsentative YouGov-Umfrage im Herbst letzten Jahres. Dass der Strom aber immer teurer wird, gefällt ihnen wohl eher weniger.

Nordrhein-Westfalen als Industrie- und Energieland hat unbestritten eine große Klimaschutzverantwortung, denn hier werden etwa ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands verursacht. Wir haben uns für die Energiewende entschieden und stehen natürlich nach wie vor dahinter.

Für mich ist wichtig, einen energie- und industriepolitisch gangbaren Weg zu beschreiten. Die Experten in der letzten Ausschusssitzung haben zwar grundsätzliche Bedenken gegen das derzeitige Finanzierungssystems erhoben, aber sie bestätigten unserem Vorschlag weitgehend, dass er praktikabel sei. Für die Wirtschaft sind kurzfristige und pragmatische Lösungen wichtig, weil sie Planungssicherheit und stabile Strompreise bieten.

Inzwischen haben die Erneuerbaren Energien einen Anteil am deutschen Stromverbrauch von mehr als 30 Prozent. Auch in NRW kommen wir voran. Hier im Kraftzentrum der Versorgungssicherheit ganz Deutschlands haben wir den aus Erneuerbaren Energien erzeugten Strom in zehn Jahren verdoppelt. Bis 2025 soll hier gut ein Drittel des Stroms aus Erneuerbaren Energien gewonnen werden.

Aber die Förderung kostet mittlerweile pro Jahr 23 Milliarden € – das macht 6,88 Cent extra für jede Kilowattstunde (kWh) Strom. Der rasante Ausbau hat die Kosten der EEG-Umlage in den zurückliegenden zehn Jahren versechsfacht.

Die Erneuerbaren Energien können derzeit ihre Kosten nicht über den Börsenstrompreis decken. Ein „Stopp der Subventionierung der Erneuerbaren Energien“, wie es die FDP in ihrem Antrag fordert, würde zu einem abrupten Abbruch des Ausbaus führen. Die Landesregierung hat sich in diversen Stellungnahmen zum Strommarkt wie mit dem Grün- und Weißbuch sowie mit dem Strommarktgesetz beim Bundeswirtschaftsministerium für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien ausgesprochen – aber: Im Rahmen der gesetzlichen Ausbaupfade. Das energiewirtschaftliche Umfeld bewegt sich heftig. Umso mehr gilt es, eine große Aufgabe gemeinsam zu meistern und einen gangbaren Weg in der Energie- und Industriepolitik zu finden.

Als Wirtschafts- und Energieminister kann ich es nicht oft genug sagen: Wir haben ein besonders starkes Interesse an einem verlässlichen und international wettbewerbsfähigen energiewirtschaftlichen Rahmen. Dies gilt insbesondere für ein Industrie- und Energieland wie NRW. Vorrang hat dabei die Sicherung von Arbeitsplätzen und Wohlstand für ganz Deutschland.

Bei einem gesamtgesellschaftlichen Projekt wie der Energiewende muss man auch über andere Finanzierungsgrundlagen nachdenken dürfen. Ich unterstütze daher den Gedanken, die unmittelbaren Belastungen durch die EEG-Umlage mit einem Fonds-Modell abzusenken und die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien insgesamt gerechter zu verteilen. Aber auch das geht nicht zum Nulltarif.

Zwar hängt die Höhe der EEG-Umlage von vielen Faktoren ab. Aber der wichtigste ist der Strompreis, dessen Entwicklung schlecht über längere Zeit vorhersehbar ist. Ich sehe diese Unsicherheiten mit Sorge, da die Industrie auf planbare Stromkosten angewiesen ist. Mit der Diskussion um weitere Steigerungen der EEG-Umlage ist auch die Frage zur Finanzierung der aufgelaufen Zahlungsverpflichtungen aus dem EE-Ausbau wieder aktuell.

Wir müssen verhindern, dass die Höhe der EEG-Umlage die unkalkulierbare Größe in den Wirtschaftsplänen unserer Unternehmen bleibt. Denn neben den besonders energieintensiven Unternehmen, die von einer reduzierten EEG-Umlage profitieren, sind auch die weniger energieintensiven und mittelständischen Unternehmen auf wettbewerbsfähige Energiepreise in Deutschland angewiesen.

Der vorgestellte Streckungsfonds führt zu stabileren Kosten und dämpft den ständig steigenden Strompreis. Wir können daher mit dem Fonds dazu beitragen, der Wirtschaft und speziell der energieintensiven Industrie wieder Planungssicherheit zu verschaffen. Dies haben auch die Experten in der Anhörung deutlich gemacht. .

Die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien resultieren zu einem großen Teil aus den Entwicklungs- und Einführungskosten neuer Technologien. Diese Kosten lasten derzeit voll auf der heutigen Generation. Die Vorteile der Energiewende kommen aber erst späteren Generationen zugute. Daher ist es nur gerecht, darüber nachzudenken, sie an den Energiewendekosten zu beteiligen.

Der Fonds kann auch mit anderen Vorschlägen zur Neustrukturierung der EEG-Umlage kombiniert werden, wie sie derzeit diskutiert werden, auch wenn aus meiner Sicht nur wenige wirklich umsetzbar sind und sich rechnen.

Wir dürfen aber nicht aus dem Blick verlieren, dass es sich bei der EEG-Umlage nur um einen Teil der höheren Kosten handelt, die mit der Energiewende zusammenhängen.

Wir dürfen die Kosten des Netzausbaus, der Nachsteuerung der Kraftwerke, der Haftungsumlage für fehlende Netzanbindung von Offshore-Windparks und weitere staatliche Belastungen nicht außer Acht lassen. Einen Großteil dieser Kosten tragen überproportional wir in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen nicht ein, dass NRW der Zahlmeister der Energiewende bleibt. Deshalb verlangen wir von allen beteiligten, mitzuhelfen, die Kosten in den Griff zu bekommen.

Das Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie mit Professor Haucap bezifferte im Herbst vorigen Jahres die Kosten für die Energiewende bis zum Jahr 2025 mit 520 Milliarden €. Für eine vierköpfige Familie bedeutet das eine Belastung von mehr als 25.000 €. Davon kommt ein Großteil – 18.000 € – erst noch auf sie zu. Zwischenzeitlich hat sich daher auch die Verbraucherzentrale für ein Fondsmodell ausgesprochen, um die zukünftig erwartbaren Belastungen der Verbraucher zu reduzieren. Das zeigt, dass wir mit unseren Überlegungen nicht so verkehrt liegen

Wir haben das Bundeswirtschaftsministerium gebeten, Fonds-Modelle auf ihre Machbarkeit zu prüfen. Eine Festlegung der Landesregierung ist damit nicht verbunden. Ich bin mir aber sicher, dass ein Streckungsfonds hilft, die Preise zu stabilisieren und wir so die Energiewende weiter auf einem guten Weg unterstützen.

 

Anlage 4

Zu TOP 17 – Polizeipräsenz im ländlichen Raum stärken – System der Kräfteverteilung sachgerecht fortentwickeln! – zu Protokoll gegebene Reden

Kirstin Korte (CDU):

Kriminalität endet nicht an den Stadtmauern von Großstädten. Aber genau das könnte man meinen, wenn man sich die Zahlen aus unserem vorliegenden Antrag ansieht.

Die derzeitige Systematik der belastungsbezogenen Kräfteverteilung hat nachweislich dazu geführt, dass die Zuweisung von Polizeikräften an die 29 Kreispolizeibehörden in den vergangenen Jahren ganz erheblich reduziert wurde. Die Zuweisung von Polizeikräften an die 18 Polizeipräsidien der Großstädte ist allerdings kontinuierlich erhöht worden.

Zur Verdeutlichung ein Zahlenbeispiel aus meiner Heimat, dem Kreis Minden-Lübbecke mit rund 310.000 Einwohnern: seit dem Jahr 2000 hat sich die Personalstärke von 437 auf 393 Stellen verringert. Ein Minus von 44 Personen. Nur am Rande: Das Durchschnittsalter unserer Beamten beträgt 49,9! Jahre. Von den 33 abgeschafften Fahrzeugen sprechen wir hier gar nicht.

Und, meine Damen und Herren, die Beamten fehlen an allen Ecken und Enden. Aktuell werden die Öffnungszeiten von Wachen eingeschränkt, speziell nachts und an Wochenenden. Bürgerinnen und Bürger, die ein Anliegen an die Polizei haben, stehen vor einer Sprechanlage, die mit der Wache in der Kreisstadt verbunden ist. Sicherlich kein Einzelfall! Dass die Technik Störungen unterlieg, lassen wir auch mal weg.

Das Sicherheitsgefühl unserer Bürgerinnen und Bürger leidet mit der sinkenden Polizeipräsenz vor Ort massiv. Können wir uns das leisten? Schauen wir in die Kriminalstatistik. Es reicht eine einzige Spalte: Wohnungseinbruchdiebstahl! Die Zahlen explodieren förmlich.

Der Landrat des Kreises Mettmann Thomas Hendele bescheinigte in der Expertenanhörung des Innenausschusses am 07.02.2017 eine ungerechte Kräfteverteilung. Diese führt seiner Meinung nach – da sind wir als CDU-Landtagsfraktion ganz bei ihm – dazu, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen eine schlechtere polizeiliche Versorgung hat. Er sieht eine systemimmanente Benachteiligung.

Für die Chefs der Landratsbehörden ist klar, dass erst die Organisationsform optimiert wird, bevor Personalmangel „nach oben“ gemeldet wird. Der Warendorfer Landrat Dr. Olaf Gericke sieht es folgendermaßen: Er hat von 2006 bis 2016 25 Stellen verloren, Spielräume genutzt und z. B. Kommissariate zusammengelegt – Spielraum Ende.

Wenn man sich dann im Ausschuss von politischen Mitbewerbern anhören muss, dass Wachschließungen alleinige Schuld des Landrats sind, fehlen mir dafür schlicht die Worte.

Um diese Entwicklung zu stoppen, ist es dringend erforderlich, das System der Kräfteverteilung dahingehend zu verändern, dass neben dem Kriminalitäts- und Verkehrsunfallaufkommen auch ein sachgerechter Flächenansatz ausreichend Berücksichtigung findet. Dies ist für die ländlichen Gebiete mit den entsprechenden Fahrtzeiten unabdingbar. MI-LK z. B. hat eine Fläche von rund 1150 qkm!

Bei der Ermittlung des Verteilschlüssels für das im Nachersatzverfahren zu verteilende Personal müssen die geografischen und topografischen Besonderheiten endlich berücksichtigt werden, wenn Teile Nordrhein-Westfalens nicht weiter abgehängt werden sollen.

Das bedeutet keinesfalls, meine Damen und Herren, dass wir Polizei aus Großstädten und von Kriminalitätsschwerpunkten abziehen möchten.

Es bedeutet, dass wir nicht zulassen können, dass Flächengebiete personell und materiell weiter ausbluten.

Kurz gesagt: es fehlt an Personal auf dem Land und in der Stadt.

Die Änderung der belastungsbezogenen Kräfteverteilung kann nur ein Teilaspekt bei der Lösung des gesamten Problems sein. Der ländliche Raum soll sich nicht zu Lasten von Kriminalitätsschwerpunkten bereichern, wie wir es uns im Ausschuss vorwerfen lassen mussten, aber alle Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben ein Recht darauf, in Sicherheit zu leben.

Daher werden wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses ablehnen. Unserem Antrag stimmen wir selbstverständlich zu.

Christian Dahm (SPD):

Als ich Ihren Antrag gelesen habe, die Polizeipräsenz im ländlichen Raum zu stärken und das System der Kräfteverteilung sachgerecht fortzuentwickeln, habe ich gedacht, jetzt macht die CDU endlich einmal einen kreativen Vorschlag.

Wenn man sich dann den Antrag durchliest, wird man nicht nur enttäuscht sondern findet ein Potpourri von Dingen, die mit dieser Überschrift und dem Antrag überhaupt nichts zu tun haben. Da sprechen Sie von der Polizeiverteilung, Sie sprechen von der Kölner Silvesternacht, von Überstunden, Fahrzeugabbau und besonderen Einsätzen in Düren, Mettmann und im Rhein-Erft-Kreis.

Ich will hier nur knapp auf einen Punkt eingehen:

Im Nachgang zur Kölner Silvesternacht haben wir ein 15-Punkte-Programm zur Inneren Sicherheit verabschiedet. Die Einstellungszahlen bei der Polizei wurden daraufhin auf 1.920 Komissaranwärterinnen und -anwärter erhöht und es wurden zusätzliche 350 Tarifbeschäftigte bewilligt. 250 Beschäftigte sind an die acht Brennpunktbehörden in NRW gegangen, die übrigen 100 Stellen auf unsere Initiative in alle anderen Behörden.

Und dadurch wird auch eines klar: Keine der Polizeibehörden im Land ist bei diesem 15-Punkte-Plan leer ausgegangen. Und damit, meine Damen und Herren der CDU Fraktion, läuft Ihre Behauptung, dass durch dieses Maßnahmenpaket der ländliche Raum künftig weiter ausgedünnt wird, ins Leere.

Mit dem Antrag fordern Sie, bei der Systematik zur Verteilung der Polizeibeamtinnen und Beamten im Land neben den bekannten Kriterien die Fläche einer jeden KPB mit einzubeziehen. Würde man Ihrem Vorschlag folgen, würde es zu einer dramatischen Verschiebung von Stellen aus den größeren Behörden und Präsidien in den Kreisangehörigen Raum kommen.

Übrigens: In Niedersachsen hat man neben dem Flächenansatz einen Zuschlag für größere Behörden vorgenommen. Das zeigt, dass sich diese Berechnung offenbar nicht bewährt hat.

Ich will an dieser Stelle einmal LR Hendele aus Mettmann zitieren, den ich im Übrigen für einen ausgewiesenen Polizeiexperten halte: „ein reiner ‚Flächenansatz… würde zu dramatischen Verlagerungen aus den Großstädten zu den LR Behörden führen. Ich bezweifle, dass das der alleinig richtige Ansatz ist.“ So LR Hendele in der Anhörung im Februar dieses Jahres.

Selbst bei nur geringer anteiliger Anrechnung der Fläche käme es zu enormen Verschiebungen. Das Problem lässt sich nicht durch bloße Personalverschiebungen von einer zur anderen Behörde lösen. Das wird einen Effekt auslösen, der so nicht gewollt sein kann.

Wir werden daher nicht den Ballungsraum und den kreisangehörigen Raum gegeneinander ausspielen. Das ist mit uns nicht zu machen.

Der bisherige Grundsatz ist richtig, dass das Personal dem Bedarf folgt. Dies erfolgt im Übrigen nicht durch Abzug von Personal. Die Steuerung erfolgt bei der jährlichen Zuteilung der neu ausgebildeten Polizeikräfte.

Und schon heute berücksichtigt das Verteilsystem Besonderheiten der jeweiligen Behörden im Personalbestand und bei den besonderen Aufgaben. So erhalten einige Behörden eine sogenannte Grundsicherung, davon u. a. ein Polizeipräsidium. Und einzelne Behörden haben beispielsweise einen Stellenzuschlag für Objektschutzaufgaben erhalten. Wir halten es daher für richtig die BKV ständig fortzuentwickeln.

Sollte es einen konkreten Alternativvorschlag zu dem seit 20 Jahren bestehenden Verteilschlüssel geben, der sowohl von allen 47 Personalvertretungen als auch allen Gewerkschaften mitgetragen wird, wird die SPD-Fraktion diesem offen gegenüberstehen

Ich will es kurz zusammenfassen. Die Decke ist zu kurz; hätten Sie von der CDU Fraktion ähnliche Anstrengungen bei den Einstellungen unternommen, wie wir es zur Zeit tun, hätten wir heute 2000 Polizisten mehr auf der Straße.

Wir werden daher unseren eingeschlagenen Weg fortsetzen und die Einstellungszahlen im kommenden Jahr auf 2.300 Stellen erhöhen – übrigens anders als die CDU-Fraktion, die das offenbar nur nach Kassenlage machen möchte. Davon wird dann auch der kreisangehörige Raum profitieren. Und unser Ziel muss sein, die Polizei weiter von Aufgaben zu entlasten und die Strukturen zu optimieren.

Wir werden daher Ihren Antrag ablehnen.

Monika Düker (GRÜNE):

Die bestehenden Kriterien der Verteilung der Polizeistellen auf die Kreispolizeibehörde nach der Belastungsbezogenen Kräfteverteilung – kurz BKV – sind aus unserer Sicht sachgerecht. Sie vernachlässigen auch in keiner Weise die Versorgung der ländlichen Regionen mit Polizeikräften, denn das Verteilsystem orientiert sich vor allem an der Kriminalitätsbelastung und an der Verkehrsunfallstatistik; das heißt an den konkreten Belastungen vor Ort.

Hinzu kommt, dass mit einer Grundsicherung größere Brüche bei der Verteilung abgefedert werden. An den Einsatzreaktionszeiten ist abzulesen, dass es auch keinerlei belastbare Belege dafür gibt, dass die Polizei länger in den ländlichen Regionen braucht, bis sie beim Einsatzort eintreffen. Im Gegenteil: Die Zahlen zeigen, dass es etliche Kreispolizeibehörden in ländlichen Regionen gibt, die kürzere Reaktionszeiten vorweisen können als beispielsweise Köln oder Dortmund. Die von der CDU vorgeschlagene Einführung eines Flächenansatzes würde eher zu einer nicht zielführenden Verzerrung führen, da Landkreise mit kleinerer Fläche trotz hoher Kriminalitätsbelastung weniger Personal bekommen würden. Daher lehnen wir den Antrag ab.

Marc Lürbke (FDP):

Rot-Grün hat in sieben Jahren Regierung dafür gesorgt, dass im ländlichen Raum nur noch Mindestsicherheit gewährleistet wird. Das hat der Abteilungsleiter Polizei im MIK Herr Düren im Untersuchungsausschuss IV klar formuliert. Wir fordern eine Trendwende durch deutlich mehr Polizei vor Ort und bestmögliche Sicherheit für die Bürger und Beamten.

Wir haben als FDP-Fraktion immer davor gewarnt, dass Personalabbau im ländlichen Raum spürbar zu Lasten der Sicherheit der Bürger und der eingesetzten Beamten geht.

Einbrecherbanden, Straßenkriminalität, Bankautomatensprengungen, Rocker- und Familienclans, Tumultdelikte und Massenschlägereien, Solidarisierungen bei Kontrollen gegen Polizeibeamte, Verkehrssicherheit – das sind nur einige Problemthemen, die auch den ländlichen Raum in NRW immer häufiger heimsuchen – und Polizeibehörden mit notgedrungen zusammengestrichenen Funktionsbesetzungs- und Schichtplänen in Not und eingesetzte Beamte in Gefahr bringen.

Vom Wochenende gibt es wieder ein Beispiel mehr: 660 Fußballfans – darunter auch Hooligans – landen nach einem Auswärtsspiel gegen 22 Uhr mit einem Sonderzug in Bielefeld und treffen auf fünf Bundespolizisten und zwei Landespolizisten. Die stark alkoholisierten gewaltbereiten Anhänger sehen das offenbar als Einladung, mal die Sau rauszulassen und Polizeibeamte brutal anzugreifen. Polizeibeamte wurden unvermittelt mit Flaschen, Außenbestuhlungen und sonstigen Gegenständen beworfen. Die Bilanz: sieben verletzte Beamte, davon drei Bundespolizisten dienstunfähig. Wir können unsere Beamten auch im ländlichen Raum doch nicht weiter in Unterzahl spielen lassen sondern müssen sie besser unterstützen.

Die derzeitige Systematik der BKV hat nachweislich dazu geführt, dass die Zuweisung von Polizeikräften an die 29 Kreispolizeibehörden im ländlichen Raum (Landratsbehörden) in den vergangenen Jahren ganz erheblich reduziert wurde. Die Zuweisung von Polizeikräften an die 18 als Polizeipräsidien organisierten Kreispolizeibehörden der Großstädte ist demgegenüber kontinuierlich erhöht worden.

Der Antrag weist darauf hin, dass demnach bei den 29 landratsgeführten Kreispolizeibehörden im Jahr 2000 noch ein Personalsollbestand von 13.230 Personen zu verzeichnen war. Im Jahr 2016 lag der Personalbestand gemäß BKV hingegen bei nur noch 12.509 Planstellen. Dies entspricht einem Rückgang der Polizeisollstärke im ländlichen Raum um 5,4 % bzw. um 721 Stellen im Vergleich zum Jahr 2000. Demgegenüber ist die Zielsollstärke im Bereich der Polizeipräsidien im gleichen Zeitraum von 23.393 auf 24.990 Planstellen gestiegen. Sie liegt damit um 6,8 % bzw. 1.597 Stellen über dem Wert des Jahres 2000.

Wir als FDP werden sicherstellen, dass alle Bürger auch im ländlichen Raum in NRW sich darauf verlassen können, dass wir uns für deutlich mehr Polizei einsetzen werden, um mehr Präsenz und Sicherheit durch Sichtbarkeit zu erreichen und damit jede Wache und jeder Streifenwagen vor Ort – die für uns ein Wert an sich sind – künftig personell ausreichend stark vorhanden sind. Auch sollen Bürger auf Notrufe durch gute Einsatzreaktionszeiten sowie ausreichend Ermittler vor Ort schnelle polizeiliche Hilfe erhalten, Streifenwagen in Notbesetzung und zusammengestrichene Schichtpläne sollen überall in NRW der Vergangenheit angehören.

Weiterhin müssen überall in NRW – auch im Ländlichen Raum – Straftäter im Wege des besonders beschleunigten Verfahrens endlich konsequent in Haft und vor Gericht kommen und es müssen gegen Einbrecherbanden, kriminelle Gruppen und Angsträume sowie Brennpunkte auch im ländlichen Raum durch ausreichende Unterstützungskontingente der Bereitschaftspolizei zu relevanten Einsatzzeiten nachhaltige Präsenzkonzepte und Schwerpunktkontrollen realisiert werden können.

NRW ist unter dieser rot-grünen Regierung und Innenminister Jäger brutaler, radikaler, und unsicherer geworden – und der ländliche Raum vielfach polizeiärmer oder gar temporär polizeifrei. Dem stellen wir uns als FDP-Fraktion entscheiden entgegen.

Dass angesichts der steigenden Kriminalitätsbelastung in Nordrhein-Westfalen auch im ländlichen Raum großer Bedarf an einer ausreichenden Anzahl von Polizeivollzugsbeamten besteht, verdeutlichten viele Ereignisse in der Vergangenheit. Die FDP-Fraktion hat immer betont, dass man einen Abbau von Polizeikräften, Schließung von Wachen oder Reduzierung von Streifen und Funktionsbesetzungsplänen bzw. Senkung der Polizeidichte im ländlichen Raum ablehnt, da die Polizei auch weiterhin in der Fläche präsent sein muss.

Wir als FDP-Fraktion gewähren nicht nur wie Rot-Grün Mindestsicherheit im ländlichen Raum, sondern fordern bestmögliche Sicherheit.

Dirk Schatz (PIRATEN):

In Anbetracht der fortgeschrittenen Uhrzeit möchte ich mich kurz fassen, zumal das Meiste von meinen Vorredner bereits gesagt wurde. Der Antrag der CDU-Fraktion beschäftigt sich im Kern in der Tat mit einem wichtigen Anliegen, dem wir uns im Grundsatz nicht verschließen dürfen.

Die Ursache dieses Problems liegt aber nicht darin, dass, wie es der Antrag suggeriert, quasi eine vorsätzliche Schlechterstellung des ländlichen Raumes vorliegt, die durch eine einfache Veränderung bei der Belastungsbezogenen Kräfteverteilung (BKV) behoben werden könnte.

Im Gegenteil hat die Anhörung zu diesem Antrag eindeutig ergeben – und da waren sich die Sachverständigen durchweg einig –, dass eine Änderung der BKV, so wie von der CDU-Fraktion vorgeschlagen, nicht nur zu keiner Verbesserung führen, sondern den Gesamtvorgang sogar noch verkomplizieren würde. So gab es beispielweise bereits Bundesländer, die es auf diese Weise versuchten. Diese Bundesländer, so die Sachverständigen, seien jedoch alle wieder zum alten System zurückgekehrt.

Das Problem dabei liegt nämlich darin, dass eine Verteilung nach Fläche zu Verzerrungen insbesondere in den städtischen Bereichen führt. Um diese Verzerrungen auszugleichen, müsste es wiederrum eine Art von Sockelstellen für die städtischen Regionen geben, so dass sich unterm Strich eigentlich überhaupt nichts verändert hätte.

Dass die BKV sicherlich verbesserungsbedürftig und in keiner Weise perfekt ist, ist bereits lange bekannt. Genau die Diskussion, die wir heute führen, wird genauso oder in ähnlicher Art und Weise, bereits geführt, seit es die BKV gibt. Das Problem ist nur: So unvorteilhaft die BKV an manchen Stellen auch ist, so hat es bis heute noch niemand geschafft, ein adäquates System zu entwickeln, dass sämtlichen Belangen der Polizeibehörden in derselben Weise gerecht werden kann.

Das Grundproblem bei der Frage, die wir heute diskutieren, liegt ganz woanders. Nämlich schlicht und einfach in der Tatsache, dass wir ganz allgemein zu wenig Polizeibeamte haben. Und deshalb bringt es auch nichts, jetzt einfach nur den Proporz zu ändern und zu glauben, damit sei das Problem gelöst. Sie können nicht umverteilen, was sie nicht haben. Was sie hinten dranhängen, müssen sie vorne zuerst wegnehmen und dann fehlt es dort.

Und dass die Situation so ist, wie sie ist, daran – und das habe ich auch schon bei mehreren Gelegenheiten erwähnt – sind, außer uns Piraten, alle hier im Landtag vertretenen Fraktionen Schuld. Ich weiß: Ihre Lieblingsbeschäftigung besteht darin, sich gegenseitig vorzuwerfen, dass der jeweils andere Schuld daran ist, dass seinerzeit weniger Polizeibeamte eingestellt wurden. Fakt ist, dass Sie alle ihren Anteil daran haben. Wir können daran nicht beteiligt gewesen sein, weil wir zu dem Zeitpunkt, als dies relevant war und noch hätte abgewendet werden können, noch gar nicht im Landtag vertreten waren.

Aber wie dem auch sei, können wir dem Antrag der CDU-Fraktion, schon aufgrund des Ergebnisses der Anhörung, heute nicht zustimmen. Da sie im Kern jedoch ein durchaus wichtiges Problem ansprechen, werden wir uns enthalten.

Gerd Stüttgen (fraktionslos):

Der Staat muss die innere Sicherheit gewährleisten. Die Polizei ist hierfür primär verantwortlich, die Politik setzt die Rahmenbedingungen dafür. Eine leistungsfähige, motivierte und gut ausgerüstete Polizei ist dabei ebenso eine Verpflichtung wie eine Politik, die an den Wurzeln von Kriminalität und Gewalt ansetzt.

Die Abwehr von Gefahren und die Bewältigung großer Einsatzlagen sind polizeiliche Aufgaben an Land, auf dem Wasser und in der Luft. Hinzu kommen Kriminalitätsbekämpfung und Straßenverkehr als zwei weitere sehr umfangreiche Aufgabenbereiche.

Gewaltbereitschaft – politisch und nicht politisch motiviert –, fehlende soziale Bindungen und Arbeitslosigkeit verändern die Gesellschaft ebenso wie die rasante technische Entwicklung. Diesen Entwicklungen müssen Politik und Polizei begegnen.

Die Schwerpunkte des MIK und der 47 KPBs in NRW liegt in den Bereichen „konsequente Kriminalitätsbekämpfung“, „Vorbeugung und Gefahrenabwehr“ sowie „Opferschutz und Opferhilfe“. Polizei und Kommunen bringen zudem vor Ort die zuständigen Behörden, Verbände, Vereine und engagierte Bürgerinnen und Bürger an einen Tisch.

Beispiele sind Initiativen wie „Ordnungspartnerschaften für mehr Sicherheit in Städten und Gemeinden“ und „Kriminalpräventive Räte“.

Vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus, aber auch vor dem Hintergrund der zugenommenen Gewalt von rechts und links ist die Frage nach der Sicherheit eine zentrale Frage und von fundamentaler Bedeutung.

Aufgrund der Tatsache, dass Angriffe und Anschläge auf Menschen in unserem Land zunehmen, müssen und mussten selbstverständlich die Sicherheitsvorkehrungen erweitert werden.

Hochachtung und Respekt gilt den über 40.000 Polizeibeamtinnen und -beamten in NRW, die ihr unermüdliches und vorbildliches Engagement zu jeder Tages- und Nachtzeit eindrucksvoll zeigen.

Gleichzeitig ist es aber auch die Pflicht der Politik, Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten soweit möglich zu verhindern und für ihren Schutz zu sorgen.

Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Umgebung unsicherer geworden ist und dass sich die Situation in ihren Stadtteilen verschlechtert hat. Aber in NRW gibt es keine No-Go-Areas.

In 2016 haben 1.920 Anwärterinnen und Anwärter ihre Ausbildung für den Polizeidienst begonnen. Dieses Jahr kommen 2.000 hinzu – so viele wie nie zuvor und überdies die meisten bundesweit. In den Jahren 2011 bis einschließlich 2016 konnten in NRW insgesamt fast 11.600 Einstellungsermächtigungen genutzt werden. Das ist fast doppelt so viel wie in den Jahren 2005 bis 2010, als CDU und FDP Regierungsverantwortung getragen haben.

Seit 2010 wurden sowohl Einstellungen bei der Polizei als auch der Personalkörper der Polizei insgesamt kontinuierlich ausgeweitet. In den nächsten Jahren soll die Zahl der Polizistinnen und Polizisten in NRW auf 41.000 angehoben werden.

Zum Abschluss: Der CDU geht es wieder einmal darum, das Gefühl von Unsicherheit zu schüren, um so billige Wahlkampfrhetorik zu betreiben. Sie selbst haben beim Thema Innere Sicherheit zwischen 2005 und 2010 kläglich versagt. Fakt ist, dass die Einsatzreaktionszeiten im ländlichen Raum sehr gut und zumeist viel besser als im Landesdurchschnitt sind. Gerade da, wo die CDU Unsicherheit suggerieren will, ist die Polizei am schnellsten vor Ort. Die Sicherheit im ländlichen Raum ist gewährleistet.

Eine Verlagerung von Kräften zu Lasten der PPen hin zu den Landratsbehörden könnte dazu führen, dass gerade in den Zentren neue Sicherheitsprobleme entstünden.

Das heißt, dass es aktuell kein besseres Modell als die bestehende BKV gibt.

Die BKV hat sich insgesamt bewährt, was aber künftige Weiterentwicklungen natürlich nicht ausschließt.

Schließlich wird die Erhöhung der Anzahl der Polizeibeamtinnen und -beamten in NRW auch dem ländlichen Raum zu Gute kommen.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Ich will es mal auf den Punkt bringen: Sie kritisieren mit Ihrem Antrag ein System, bei dem Sie es ganze 5 lange Jahre selbst in der Hand hatten, es zu ändern oder zu ersetzen. Ich frage mich ernsthaft: Wenn Ihnen das System der BKV so ungerecht erscheint, warum haben Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit von 2005 bis 2010 nichts daran verändert?

Ihr Handeln beschränkte sich einzig und allein darauf, die belastungsbezogene Berechnung ab dem Jahr 2006 für den Rest Ihrer Regierungszeit komplett auf Eis zu legen Das ist nicht kreativ, das ist Ausdruck völliger Ahnungs- und Hilflosigkeit.

Und ich stelle mir auch die Frage: Warum kommen Sie erst Ende 2016 – wenige Monate vor der Landtagswahl – auf die glorreiche Idee, eine aus Ihrer Sicht seit Jahren bestehende Benachteiligung des ländlichen Raums zu bemängeln?

Ich sage es Ihnen: weil der Wahlkampf der CDU in NRW alleine darauf aufgebaut ist, alles in diesem Land so schlecht zu reden, wie es nur geht! Sie schüren damit Verunsicherung bei der Bevölkerung und ich habe große Zweifel, ob diese Taktik am Ende aufgeht.

Bezogen auf Ihren Antrag steht jedenfalls fest: Es gibt in NRW keine gezielte Schwächung der Polizeibehörden auf dem Land. Dieser Vorwurf geht an der Realität vorbei. Das belegen die Zahlen.

Ein paar Beispiele: Im Vergleich zum Jahr 2010 gibt es auch Polizeipräsidien, die rückläufige Personalzahlen aufweisen, wie z. B. Oberhausen, Krefeld und Bochum. Umgekehrt gibt es zum Beispiel den Rhein-Erft-Kreis, den Rheinisch-Bergischen-Kreis oder den Rhein-Kreis Neuss, die alle im Vergleich steigende Personalzahlen haben. Das ist so, weil das Personal dem Bedarf folgt.

Die Verteilung auf die einzelnen Behörden richtet sich insbesondere nach der Entwicklung bei Verkehrsunfällen und der Kriminalität – egal ob auf dem Land oder in der Stadt. Das sind objektive Kriterien, die nicht danach unterscheiden, ob es sich um eine ländliche oder eine städtische Behörde handelt.

Unterstellen wir mal, Ihre Behauptung wäre wahr, und der ländliche Raum würde wirklich bewusst schlechter gestellt. Dann müsste sich das ja auch in Zahlen ablesen lassen. Die Polizei müsste größere Schwierigkeiten haben, zeitnah bei Einsätzen zu sein, als in der Stadt. Wenn ich mir den Vergleich der Einsatzreaktionszeiten angucke, dann lässt sich das aber gerade nicht erkennen.

Sie nennen in Ihrem Antrag selbst die KPB Hochsauerlandkreis – die Einsatzreaktionszeiten im Hochsauerlandkreis sind deutlich besser als der Landesschnitt und auch deutlich besser als die Zeiten vieler städtischer Behörden, zum Beispiel der Polizeipräsidien Köln und Dortmund. So sieht es auch bei anderen ländlichen Behörden aus.

Sie lenken mit diesem Antrag doch von dem eigentlichen Problem ab, das Ihre Regierung 2010 hinterlassen hat: Und das ist der massive Abbau von Stellen bei der Polizei in NRW.

Die Zahlen sind doch eindeutig: minus 466 Planstellen unter der CDU- und FDP-geführten Landesregierung – plus 1.236 Planstellen unter dieser Landesregierung.