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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/140

16. Wahlperiode

17.03.2017

 

140. Sitzung

Düsseldorf, Freitag, 17. März 2017

Mitteilungen der Präsidentin. 14725

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 14725

Änderung der Tagesordnung. 14725

Nachtrag zur Abstimmung zu TOP 15
der 138. Plenarsitzung. 14725

1   NRW steht für Freiheit, Rechtsstatt und Demokratie

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14395 – 2. Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14510

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14524. 14725

Hans-Willi Körfges (SPD) 14725

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 14727

Serap Güler (CDU) 14728

Dr. Joachim Stamp (FDP) 14729

Michele Marsching (PIRATEN) 14730

Daniel Schwerd (fraktionslos) 14731

Minister Thomas Kutschaty. 14732

Ergebnis. 14733

2   Willkommenskultur für Investitionen schaffen – Nordrhein-Westfalen braucht eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik für mehr Wohlstand und Beschäftigung

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14403. 14733

Hendrik Wüst (CDU) 14734

Frank Sundermann (SPD) 14735

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 14736

Dietmar Brockes (FDP) 14737

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14738

Minister Garrelt Duin. 14739

Ergebnis. 14742

3   Wohneigentumsbildung durch Grunderwerbsteuerfreibetrag erleichtern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14388. 14742

Holger Ellerbrock (FDP) 14742

Markus Herbert Weske (SPD) 14743

Christian Möbius (CDU) 14745

Arndt Klocke (GRÜNE) 14746

Oliver Bayer (PIRATEN) 14749

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 14750

Ergebnis. 14752

4   Lehren aus der Legislaturperiode ziehen: Der Landtag muss Grundpfeiler einer effektiven Breitbandpolitik setzen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14381

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14527. 14752

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14752

Alexander Vogt (SPD) 14753

Thorsten Schick (CDU) 14754

Matthi Bolte (GRÜNE) 14755

Ralph Bombis (FDP) 14756

Daniel Schwerd (fraktionslos) 14758

Minister Garrelt Duin. 14758

Ergebnis. 14760

5   Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14017

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für
Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/14419

zweite Lesung. 14760

Frank Börner (SPD) 14760

Rainer Deppe (CDU) 14761

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 14762

Karlheinz Busen (FDP) 14764

Oliver Bayer (PIRATEN) 14765

Minister Johannes Remmel 14766

Ergebnis. 14768

6   Situation des Zeitungsmarktes in NRW 2016 und seine digitale Entwicklung

Große Anfrage 22
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13053

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/14296. 14768

Alexander Vogt (SPD) 14768

Oliver Keymis (GRÜNE) 14769

Thorsten Schick (CDU) 14770

Thomas Nückel (FDP) 14771

Lukas Lamla (PIRATEN) 14772

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 14773

7   Massiven Bearbeitungsrückstau bei Tatortspuren unverzüglich auflösen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14398. 14775

Josef Rickfelder (CDU) 14775

Andreas Bialas (SPD) 14775

Monika Düker (GRÜNE) 14776

Dr. Joachim Stamp (FDP) 14777

Frank Herrmann (PIRATEN) 14777

Minister Ralf Jäger 14778

8   Kinder brauchen smarte Lösungen für eine gerechte Zukunft. Kindergrundsicherung vorantreiben und Kinderarmut ein Ende setzen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14382

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14500. 14779

Daniel Düngel (PIRATEN) 14779

Dr. Dennis Maelzer (SPD) 14780

Walter Kern (CDU) 14781

Andrea Asch (GRÜNE) 14783

Marcel Hafke (FDP) 14784

Minister Garrelt Duin. 14787

Ergebnis. 14788

 


 

Entschuldigt waren:

Ministerin Christina Kampmann

Minister Johannes Remmel      
(bis 12 Uhr)

Minister Rainer Schmeltzer

Ministerin Svenja Schulze

Ministerin Barbara Steffens

Andreas Kossiski (SPD)

Eva Steininger-Bludau (SPD)

Lisa Steinmann (SPD)

Ursula Doppmeier (CDU)

Kirstin Korte (CDU)      
(bis 11:45 Uhr)

Bernd Krückel (CDU)

Theo Kruse (CDU)

André Kuper (CDU)      
(ab 12 Uhr)

Claudia Middendorf (CDU)

Andrea Milz (CDU)       
(ab 13 Uhr)

Ralf Nettelstroth (CDU)
(ab 12 Uhr)

Friedhelm Ortgies (CDU)

Daniel Sieveke (CDU)

Robert Stein (CDU)

Bernhard Tenhumberg (CDU)   
(ab 13:30 Uhr)

Ulla Thönnissen (CDU)

Axel Wirtz (CDU)

Rolf Beu (GRÜNE)

Matthi Bolte (GRÜNE)  
(ab 14:30 Uhr)

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)

Reiner Priggen (GRÜNE)

Christian Lindner (FDP)
(ab 11:50 Uhr)

Marc Lürbke (FDP)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Kai Schmalenbach (PIRATEN)

Dietmar Schulz (FRAKTIONSLOS)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 140. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich bisher 21 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir dürfen heute gleich vier Kollegen zum Geburtstag gratulieren: drei Kollegen und einer Kollegin.

Ich fange mit der Kollegin an. Frau Liesel Koschorreck von der SPD-Fraktion feiert heute einen schönen Geburtstag. Wir gratulieren ganz herzlich

(Beifall von allen Fraktionen)

und wünschen alles Gute – nicht nur für heute, sondern auch für das kommende Lebensjahr!

Heute feiern außerdem folgende drei Kollegen ihren Geburtstag: Herr Daniel Düngel von der Piratenfraktion, Herr Jens Kamieth von der CDU-Fraktion und Herr Dirk Schlömer von der SPD-Fraktion. Ihnen dreien auch alles Gute, viel Glück, Gesundheit, Erfolg, Zufriedenheit,

(Beifall von allen Fraktionen)

also das, was man im Leben innerhalb, aber vor allen Dingen außerhalb des Plenarsaals braucht!

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einmal mitteilen, wie wir bereits am Mittwoch gemeinsam festgestellt haben, dass sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt haben, den ursprünglich für heute vorgesehenen Tagesordnungspunkt 1, „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“, in zweiter und dritter Lesung bereits am Mittwoch als Tagesordnungspunkt 2 zu behandeln. Das hatten wir am Mittwoch festgestellt und die Tagesordnung entsprechend verändert und behandelt.

Demzufolge ist der ursprünglich für Mittwoch vorgesehene Tagesordnungspunkt 2, „NRW steht für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie“, Drucksache 16/14395, ein Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – das war der andere Teil der Verständigung – heute als Punkt 1 auf der Tagesordnung.

Der Tausch, der diese beiden Teile enthält, führt auch heute nicht zu Widerspruch. Dann haben wir die heutige, so geänderte Tagesordnung festgestellt.

Bevor wir allerdings in die Debatte und damit in den neuen Tagesordnungspunkt 1 einsteigen, möchte ich für das Protokoll noch einmal auf das Ergebnis der am Mittwoch zu Tagesordnungspunkt 15, „Gesetz zur Änderung des Wohn- und Teilhabegesetzes“, Drucksache 16/14161, ein Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, durchgeführten Abstimmung zurückkommen.

Der Vollständigkeit halber und damit deklaratorisch ist festzustellen: Der Gesetzentwurf Drucksache 16/14161 wurde entsprechend der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales Drucksache 16/14411 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der Fraktion der Piraten und der fraktionslosen Abgeordneten Schulz und Schwerd in zweiter Lesung verabschiedet.

Damit ist das Protokoll vollständig, und es kann keine Irritationen mehr geben.

Mit diesen Vorbemerkungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, treten wir in die Bearbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1  NRW steht für Freiheit, Rechtsstatt und Demokratie

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14395 – 2. Neudruck

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14510

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14524

Ich eröffne die Aussprache, und als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Körfges das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen Punkt auf der Tagesordnung, zu dem ich bei allen vorliegenden Anträgen ein hohes Maß an grundsätzlicher Übereinstimmung sehe. Ich will, bevor ich unseren Antrag begründe, allerdings an zwei Stellen einen Hinweis auf unser Abstimmungsverhalten in der Angelegenheit geben.

Ich halte es für schwierig bis nicht nachvollziehbar, wenn die CDU mit ihrem alternativen Vorschlag kommunale Bauordnungsbehörden in die Verantwortung für die Lösung der Probleme, die wir ansprechen wollen, nehmen will. Insoweit halten wir das nicht für eine geeignete Grundlage, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Darüber hinaus hätte ich mich bei den geringen Unterschieden – in einem Punkt gibt es allerdings einen bedeutsamen Unterschied – darüber gefreut, wenn die FDP-Fraktion sich unserem Antrag angeschlossen hätte;

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

denn es geht ja hier darum, auch nach innen ein Zeichen zu vermitteln. Viele Menschen in Nordrhein-Westfalen haben ihre Wurzeln in der Türkei. Das sind Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn, Geschäftspartner, Unternehmerinnen und Unternehmer – eben Mitbürgerinnen und Mitbürger, die wertvoll für unser Land sind und unsere Gemeinschaft stärken.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Körfges, Entschuldigung, dass ich Sie jetzt schon unterbreche, aber Herr Kollege Ellerbrock würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ich möchte an der Stelle im Zusammenhang vortragen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Türkei war über viele Jahre ein beliebtes Urlaubsziel, bekannt für Gastfreundschaft, Höflichkeit, Kultur und Urlaubsfreude. Wir sind Partner in der NATO, und zwischen der EU und der Türkei bestehen viele vertragliche Beziehungen. Es geht also nicht darum, hier ein Pauschalurteil über die Menschen in der Türkei und über die, die aus der Türkei kommen, abzugeben. Vielmehr geht es darum, die richtige Antworten auf Vorfälle in der Türkei und bei uns zu finden. Und es geht auch darum, angemessen auf die aus meiner Sicht unangemessenen Provokationen des türkischen Staatspräsidenten zu reagieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass in den Medien deutlich darauf hingewiesen worden ist, dass gerade aus der Gemeinschaft der türkischstämmigen Menschen bei uns erhebliche Kritik an dem geäußert wird, was sich in der Türkei abspielt, an dem, was dieser Staatspräsident so von sich gibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ohne Meinungs- und Pressefreiheit geht nicht. Gewaltenteilung ist Grundvoraussetzung. Das bedingt eine unabhängige Justiz. Jedes Regierungshandeln ohne parlamentarische Kontrolle ist undemokratisch. All das sieht das von Herrn Erdogan angestrebte neue Regierungssystem in der Türkei nicht vor. Insoweit entlarven sich, glaube ich, Vorwürfe gegenüber demokratischen Regierungen und demokratischen Parteien, insbesondere gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und ihren Politikerinnen und Politikern, von selbst.

Der Umgang des türkischen Staatspräsidenten mit Kritik hat ja offensichtlich auch eine innenpolitische Komponente. Es geht ja eher darum, die Türkei durch verbale Provokation in eine Opferrolle zu bringen und dann dafür zu sorgen und zu werben, dass dieses von mir gerade kritisierte System bei dem angestrebten Referendum eine Mehrheit bekommt. Ich glaube, das können wir uns nicht gefallen lassen.

Wir können auch die Bespitzelung von Menschen in NRW nicht hinnehmen. Wir stehen an der Seite der zu Unrecht verhafteten, drangsalierten und ausspionierten Menschen in der Türkei. Wir wollen keinen Wahlkampf in unserem Bundesland für dieses Referendum in der Türkei, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich will deshalb gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen dafür werben: Wir bitten die Landesregierung, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, deutlich zu machen, dass Auftritte von Herrn Erdogan oder Kabinettsmitgliedern aus der Türkei nicht erwünscht sind, wenn es um Wahlwerbung für das Referendum geht. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Das gilt auch deshalb, weil wir unsere Gesellschaft und unsere Gemeinschaft mit den türkischstämmigen Menschen hier nicht durch innenpolitische Interessen eines anderen Landes in Gefahr bringen lassen wollen.

Deutschland hat – ich komme zum Abschluss – völkerrechtlich das Recht, die Einreise ausländischer Regierungsmitglieder zu unterbinden. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das ist eine Möglichkeit, die man ernsthaft in Erwägung ziehen muss.

Ich komme auf den Antrag der FDP zurück. Ich würde mir wünschen, dass das nicht nötig ist. Deshalb können wir die Absolutheit, mit der Sie Ihre Forderung aufstellen, nicht unterschreiben.

Zum Abschluss meiner Rede will ich noch einen kleinen Hinweis in Ihre Richtung loswerden: Wir sollten uns – auch in der Auseinandersetzung zwischen demokratischen Parteien innerhalb der Bundesrepublik – nicht von eigenen politischen Interessen leiten lassen, indem wir versuchen, uns an Schärfe und Härte jeweils zu überbieten.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ich glaube trotzdem, dass dies die Stunde und die Gelegenheit ist, in dieser Angelegenheit ein eindeutiges Zeichen des Landes Nordrhein-Westfalen zu setzen. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Der nächste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Mostofizadeh. – Damit kein falscher Eindruck entsteht: Herr Kollege Ellerbrock wollte sich nicht zu einer Zwischenfrage melden, sondern er ist versehentlich auf den Knopf für die Anmeldung zu einer Frage gekommen.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Das war wahrscheinlich wieder der übliche Mikrotest; aber das soll ja mal passieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschenrechtslage in der Türkei ist dramatisch. Der neueste Bericht von Amnesty International belegt: Es hat im Staatsdienst der Türkei mindestens 90.000 willkürliche Entlassungen und 40.000 willkürliche Verhaftungen gegeben. Laut „SPIEGEL“ stecken Hunderte von Journalistinnen und Journalisten in Gefängnissen, mehr als in China, Russland und im Iran zusammen, unter ihnen der „WeLT“-Korrespondent Deniz Yücel. Das ist die dramatische Situation, die wir im Moment in der Türkei zu beobachten haben.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es in den Jahren zwischen 2005 und 2010 durchaus Bemühungen der Demokratisierung in der Türkei gab – sicherlich nicht nach den Standards, wie wir sie hier gern hätten. Aber es gab eine Entwicklung. Damals war die Antwort der deutschen Bundesregierung eher, dass man einen privilegierten Rausschmiss oder eine privilegierte Nichtweiterverhandlung mit der Türkei suchte.

Seinerzeit haben wir diese Bemühungen durchaus unterstützt. Jetzt sind viele enttäuscht, weil dieser Reformeifer zerstört wurde. Auch das führt dazu, dass Menschen wie Herr Erdogan Gehör finden, die die Demokratie mit Füßen treten und nicht weiter nach vorne stellen.

(Beifall von den GRÜNEN, den PIRATEN und Marc Herter [SPD])

Ich will hier klarstellen, damit da auch kein Missverständnis aufkommt: Das Referendum, das im April dieses Jahres stattfindet, ist nicht das Ende eines Prozesses. Die Türkei ist heute schon so, wie ich es eben beschrieben habe: Oppositionelle werden drangsaliert. Dort ist man erneut auf einem Tiefpunkt. Die Türkei ist ein Unrechtsstaat mit einem Operettensultan an der Spitze, der die Gewaltenteilung bereits mit Füßen getreten hat. Den Rechtsstaat gibt es nicht mehr. Selbst in Bezug auf das Referendum muss man sich fragen, ob es überhaupt noch nach rechtsstaatlichen Gepflogenheiten in einer demokratischen Auseinandersetzung stattfindet. Ich finde, nein. Deswegen stellen wir uns heute hier so auf, wie wir es in unserem Antrag beschrieben haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich halte es, ehrlich gesagt, schon für sehr beschämend, dass die Kanzlerin nicht aufwacht, wenn die Menschen in die Knäste gehen, wenn der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird, sondern dass sie erst aufwacht, als Herr Erdogan sie selbst mit Nazivergleichen über den Tisch zieht. Erst dann wird die Kanzlerin wach. Das ist keine Situation, die wir in Deutschland akzeptieren sollten.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wir sollten uns noch einmal die Stellungnahmen der letzten Tage angucken. Wer sich mit dem Sprachgebrauch im Mittleren Osten auskennt, weiß, dass die Bezeichnung „Ihr kämpft mit Hunden“ die höchste Eskalationsstufe darstellt, die man sich vorstellen kann. Und Herr Erdogan sucht die Provokation. Er sucht die Provokation mit Deutschland; er sucht die Provokation mit Europa.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Menschen, Herr Erdogan und die Ministerinnen und Minister der türkischen Regierung, dürfen hier keinen Wahlkampf machen. Sie dürfen keinen Wahlkampf für die Durchsetzung der Autokratie machen. Das ist nicht Meinungsfreiheit, sondern Geleitschutz für Despoten. Denn die Meinungsfreiheit schützt doch nicht die Staatsgewaltigen. Sie schützt die Bürgerinnen und Bürger vor dem Staat. Es ist das Grundrecht des kleinen Mannes, vor dem Staat geschützt zu werden, und nicht andersherum, wie Herr Erdogan uns jetzt fälschlicherweise weismachen will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Kollege Laschet, Sie haben ja Herrn Erdogan zur Persona non grata erklärt,

(Armin Laschet [CDU]: Natürlich!)

auf dem Parteitag und auf verschiedenste Weise hinterher noch einmal. Sie wollen aber nicht – das dokumentieren Sie in Ihrem Antrag –, dass das hier durchgesetzt wird.

Herr Prof. Gusy hat in einem Gutachten für uns klargestellt, dass die Bundesregierung alle Mittel in der Hand hat, Herrn Erdogan und die Ministerinnen und Minister der Türkei an einer Einreise zu hindern. Der Ball liegt eindeutig bei der Bundesregierung.

Auch das Bundesverfassungsgericht – Herr Kollege Körfges hat es ja angedeutet – hat in den letzten Tagen noch einmal sehr eindeutig darauf hingewiesen, dass entweder nach dem Völkerrecht oder auch nach den Einreisebestimmungen der Bundesrepublik Deutschland zu fragen ist, warum jemand hierherkommt, und man dann auch die Einreise verhindern kann.

Der Ball liegt sehr eindeutig bei der Bundesregierung. Es ist doch auch absurd, vom Bezirksamt Köln-Porz zu verlangen, Nazivergleiche zurückzuweisen und mit den baupolizeilichen Möglichkeiten Außenpolitik zu machen. Da muss die Bundesregierung handeln. Das müssen wir hier auch erklären.

(Beifall von den GRÜNEN, Hans-Willi Körfges [SPD] und Michele Marsching [PIRATEN])

Die Bundesregierung handelt nicht nur nicht, sondern spaltet dann auch noch die Community. Das finde ich nicht in Ordnung.

Es ist ekelhaft, muss ich sagen, wenn jetzt auch noch alle diejenigen zu Erdogan-Gefolgsleuten gezählt werden, die Angst haben und sich nicht äußern wollen. Ich war in Oberhausen bei der Gegendemonstration, als Herr Yildirim seine Show abgezogen hat. Manche Menschen, die mit uns demonstriert haben, haben gesagt: Führt uns nicht vor die Kamera. Wir haben Angst, dass wir hier in Deutschland Repressionen ausgesetzt werden. Vor allem haben wir Angst, dass unsere Familien in der Türkei drangsaliert und verhaftet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Bundesland muss eine klare Ansage machen, dass wir so etwas hier nicht dulden. Wir wollen keine Bespitzelung und keine Verfolgung. Hier gelten unsere Regeln: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und Achtung der Würde des Andersdenkenden.

Deswegen fordere ich auch alle auf, die im April stimmberechtigt sind: Stimmt mit Nein! Nehmt den Menschen in der Türkei nicht das weg, was sie hier genießen können, nämlich Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Gewaltenteilung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie unserem Antrag zu. Schützen Sie die Menschen, die hier in Nordrhein-Westfalen leben; denn darum geht es. Es ist auch eine innenpolitische Auseinandersetzung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Mostofizadeh. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Güler.

Serap Güler (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungen in der Türkei sind besorgniserregend und können keinen Demokraten und vor allem auch niemanden, der sich mit der Türkei eng verbunden fühlt, in diesen Tagen kaltlassen.

Wir haben eine Spaltung innerhalb der türkischen Community nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch hier bei uns, auch ganz konkret in Nordrhein-Westfalen, was uns große Sorgen macht, und zwar nicht erst seit dem Putschversuch in der Türkei, aber ganz besonders seit dem Putschversuch in der Türkei.

Mir ist sehr daran gelegen, deutlich zu machen, dass die Debatte heute kein Türkei-Bashing ist. Wenn wir die Missstände in der Türkei kritisieren, dann tun wir das, weil wir uns um die Entwicklungen in diesem Land Sorgen machen, und nicht, weil es bei Populisten gerade en vogue ist, über die Türkei zu schimpfen, nur um die Türkei schlecht dastehen zu lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir wollen mit dieser Debatte heute etwas erreichen. Und da kommt es nicht darauf an, Herr Körfges, wer welchem Antrag zustimmt oder nicht. Wir haben hier verschiedene Anträge vorgelegt. Allen Anträgen kann man etwas abgewinnen. Das Wichtige ist, dass wir hier als Demokraten Flagge zeigen und deutlich machen,

(Beifall von der CDU)

dass die freiheitlich-demokratischen Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsrecht uns nicht nur wichtig sind, sondern dass wir, wenn nötig, auch gemeinsam bereit sind, für diese einzutreten und sie vor denjenigen zu schützen, die diese Grundrechte bei uns missbrauchen wollen, um sie woanders auszuschalten. Das ist das Ziel dieser Debatte.

Deswegen sollten wir hier nicht eine unnötige Schärfe einbauen, Herr Mostofizadeh, und nicht versuchen, die Verantwortung und die Schuld der Bundesregierung zuzuschieben. Ich sage Ihnen ganz offen: Ihr Auftritt gerade, insbesondere Ihre Kritik an der Kanzlerin, ist unverschämt,

(Beifall von der CDU)

völlig deplatziert und noch dazu falsch gewesen. Die Kanzlerin hat nicht erst nachdem sie persönlich von Herrn Erdogan beschimpft wurde, Stellung zu dem Ganzen genommen. Das hat sie schon bei ihrer letzten Türkeireise getan, als es um die Pressefreiheit ging. Deshalb: Wenn Sie versuchen, ein Bashing gegen die Kanzlerin zu betreiben,

(Zuruf von den GRÜNEN)

dann versuchen Sie ausnahmsweise einmal, bei der Wahrheit zu bleiben, und üben hier keine pauschale Kritik an der Bundesregierung oder an der Kanzlerin.

(Vereinzelter Beifall von der CDU)

Ich glaube, uns alle eint, dass wir derartige Wahlkampfauftritte in Nordrhein-Westfalen oder auch in der gesamten Bundesrepublik nicht wollen – eben weil sie dazu beitragen, die Gesellschaft zu spalten.

Als Integrationspolitikerin sage ich auch ganz deutlich: Ich bin nicht bereit, weiterhin zu akzeptieren, dass Regierungsvertreter aus der Türkei hierhin kommen und es in ihren Reden in 40, 45 Minuten tatsächlich schaffen, unsere jahrelange integrationspolitische Arbeit mit einem Auftritt zunichtezumachen.

(Beifall von der CDU)

Da müssen wir gemeinsam eine Sprache sprechen, indem wir sagen: Das wollen wir nicht. Diese Vertreter sind hier im Moment unerwünscht. Wir dulden nicht, dass sie dazu beitragen, unsere Gesellschaft weiter zu spalten – nicht nur die Gesellschaft im Sinne von Mehrheitsgesellschaft und Türkeistämmigen, sondern auch die türkische Community selbst.

Deshalb bin ich der Bundesregierung dankbar, dass sie in den letzten Tagen eine sehr, sehr deutliche Sprache spricht, dass der Kanzleramtschef, Herr Altmaier, und auch der Bundesinnenminister der Türkei gegenüber klar und deutlich signalisiert haben, dass ein Einreiseverbot vorbehalten wird, falls sie die verbalen Entgleisungen nicht unterlässt. Das bleibt an dieser Stelle richtig. Nichtsdestotrotz muss man hinzufügen, dass das Ganze für uns alle ein Dilemma ist.

Deshalb finde ich auch den FDP-Antrag nicht fair und in vielen Punkten nicht überzeugend. Von der Bundesregierung jetzt ein Einreiseverbot zu fordern, das wird, glaube ich, nicht zur Deeskalation beitragen. Ich glaube, es wird vor allem Erdogan in die Hände spielen. Und das sollten wir im Moment möglichst vermeiden, auch wenn mir durchaus klar ist, dass ein Einreiseverbot nicht nur das schärfste diplomatische Schwert ist, sondern, wenn nötig, tatsächlich auch eingesetzt werden muss. Aber das jetzt zu fordern, geht heute doch zu weit.

Wir müssen die Kommunen dabei unterstützen, derartigen Auftritten keine Bühne zu bieten. Wir delegieren die Verantwortung damit nicht an die Kommunen, Herr Mostofizadeh, wie Sie gerade sagten. In unserem Antrag steht ganz deutlich, dass alle Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten

(Zurufe von der SPD)

diese Auftritte vermeiden sollten.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Serap Güler (CDU): Das hier gegeneinander auszuspielen und eine parteipolitische Nummer daraus zu machen, wie Sie es gerade getan haben, wird der Debatte nicht gerecht. Das zeigt nach außen auch nicht das geschlossene Bild, das wir abgeben sollten. Deshalb: Ihr Auftritt gerade war ein absoluter Fehlauftritt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Körfges, Frau Güler, natürlich gibt es hier unterschiedliche Anträge, und das ist auch richtig so, weil wir offensichtlich auch unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie man mit der Propaganda der Erdogan-Administration umgehen muss.

Ich finde es sehr enttäuschend, dass wir hier drei Reden gehört haben, und keiner der Rednerinnen und Redner ist darauf eingegangen, dass unsere unmittelbaren Nachbarn, die Niederländer, Charakter gezeigt und das Einreiseverbot durchgesetzt haben. Das war das, was wir erwartet hätten und was auch seitens der Bundesregierung notwendig gewesen wäre.

(Beifall von der FDP)

Es ist gerade angesprochen worden: Es geht nicht um ein Türkei-Bashing. Wir sind mit der Türkei und mit dem türkischen Volk befreundet. Es ist ein NATO-Partner, ein Verbündeter. Ich sage auch ganz persönlich: Nachdem ich Ende der 80er-Jahre wochenlang das Land bereist habe, habe ich eine ganz besondere Beziehung zu diesem Land entwickelt. Die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft, die wir auch hier unter den Mitbürgern erleben, sind einzigartig und großartig. Deswegen ist es für uns völlig klar, dass diese Freundschaft nicht zur Disposition steht.

(Beifall von der FDP)

Aber gerade wenn es um Freundschaft geht, muss man unter Freunden auch sagen dürfen, dass bestimmte Dinge nicht gehen. Und es geht nicht, dass hier Regierungsvertreter einreisen und unsere Meinungsfreiheit dafür ausnutzen, um Rechtsstaat und Demokratie in der Türkei zu beschneiden oder kaputt zu machen.

(Beifall von der FDP)

Da hat die Bundesregierung – und das müssen die Kolleginnen und Kollegen der CDU nun leider ertragen – lange laviert, was im Übrigen auch für den Koalitionspartner gilt, die Sozialdemokraten. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung am 9. März gesagt:

„Innerhalb des bei uns geltenden Rechts und der bei uns geltenden Gesetze halten wir in der Bundesregierung deshalb auch Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland weiterhin für möglich, sofern und solange sie ordnungsgemäß, rechtzeitig und mit offenem Visier angekündigt sind und dann auch tatsächlich genehmigt werden können. Ich werde mich weiter mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass wir unsere Grundwerte so leben können und so leben, wie wir das für richtig halten, denn sie machen unsere Art und unser Leben aus.“

Meine Damen und Herren, die Auftritte türkischer Regierungsvertreter zur Abschaffung der Demokratie in der Türkei machen nicht die Art und Weise unseres Zusammenlebens hier in der Bundesrepublik aus. Das möchte ich eindeutig für die Freien Demokraten sagen.

(Beifall von der FDP)

Das hat ja das Bundesverfassungsgericht in diesen Tagen auch ausdrücklich bestätigt. Deswegen muss ich ganz ehrlich sagen: Wir möchten von dieser Stelle aus den Niederlanden unsere ausdrückliche Solidarität erklären. Mark Rutte hat Charakter gezeigt. Wir sind froh, dass die demokratischen Kräfte und auch unsere Freunde von der VVD bei den Wahlen in dieser Haltung bestätigt worden sind.

Das zeigt im Übrigen auch, wie ein souveräner Umgang mit Populisten aussieht: klar in der Sache, ohne Ressentiments, proeuropäisch und mit Blick auf die Verteidigung unserer gemeinsamen Werte.

(Beifall von der FDP und Herbert Franz Goldmann [GRÜNE])

Herr Körfges, Sie haben sich gewünscht, dass wir Ihrem Antrag beitreten. Wir hätten uns umgekehrt eine andere Klarheit gewünscht.

An die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der CDU kann ich nur sagen: Die Verantwortung an die Kommunen zu delegieren, finde ich ganz schwach.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD] und Michele Marsching [PIRATEN])

Völlig grotesk ist, dass Sie für die Erklärung, dass Herr Erdogan hier unerwünscht sei, den sozialdemokratischen Außenminister adressieren. Wenn Sie das Ihrer eigenen Bundeskanzlerin nicht mehr zutrauen, ist das fast das Hissen der weißen Fahne. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stamp. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Tribüne und zu Hause! Ich muss mit dem Wortbeitrag und dem Antrag der CDU anfangen, der leider erst heute hereinkam. Sie haben lange daran geschrieben, um Unterschiede herauszuarbeiten. Leider zeigt der Antrag, dass das Ziel nicht ist, einen vernünftigen Gegenantrag zum rot-grünen Antrag oder zum FDP-Antrag zu stellen, sondern noch einmal eine Tonalität aufzulegen, die ganz klar in Richtung einer eigenen Zielgruppe geht.

In der Rede wurde gerade gesagt, man dürfe nicht einfach nur gegen die Türkei schimpfen. Aber es kommt in einem solchen Antrag immer auf die Tonalität an. Wenn ich lese, dass jede Veranstaltung, die der Vorbereitung des Referendums dient, sorgfältig geprüft und nötigenfalls verboten werden soll, dann ersehe ich daraus, dass es die CDU nicht so mit der Meinungsfreiheit hat.

(Widerspruch von Michael-Ezzo Solf [CDU])

Denn „jede Veranstaltung“ meint auch Veranstaltungen – wir haben vorgestern darüber geredet – von eingebürgerten türkeistämmigen Deutschen, die sich zusammentun, um über dieses Referendum zu reden und auch gegen dieses Referendum zu reden. Da ist Ihr Antrag viel zu unscharf. Die Meinungsfreiheit darf nicht eingeschränkt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade wurde gesagt, man dürfe nicht, wie von der FDP gefordert, tatsächlich das Einreiseverbot für türkische Regierungsmitglieder fordern. In Ihrem Antrag steht: Der Landtag unterstützt die Bundesregierung in ihrer Haltung, dass die Einreise unerwünscht sei. – Gerade wir in Deutschland sollten wissen, dass man sich der Anfänge erwehren muss und dass man Despoten nicht darum bittet, dass sie nicht hier auftreten,

(Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

sondern dass man klare Kante zeigt und ganz klar sagt: Ihr seid und eure Auftritte sind hier nicht erwünscht. Deswegen schließen wir euch aus. – Und nicht: Wir bitten euch darum, nicht hierhin zu kommen.

(Beifall von den PIRATEN)

Deswegen muss dieser Antrag abgelehnt werden.

Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag hat uns recht gut gefallen. Er zeigt klare Kante. Nur eine Sache habe ich in dem Antrag vermisst, Herr Kollege Dr. Stamp, nämlich nur einen einzigen Satz zur Solidarität mit den in der Türkei inhaftierten Menschen.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Das ist ein bisschen wenig. So sehr ich auch die Grundrichtung verstehe, so sehr ich für die Solidarität, die einen Satz später ausgedrückt wird, mit den Niederlanden bin – wie da die Gewichtung ist und wer da wie solidarisch ist, ist immer schwer zu sagen – und so sehr ich die Tonalität gut finde, fehlt mir am Ende ein Bekenntnis dazu, warum wir das überhaupt machen und warum wir türkische Regierungsmitglieder hier nicht sprechen und auftreten lassen sollen.

Denn – ich komme noch einmal auf die CDU zurück – wir haben am Mittwoch hier gehört, dass das Problem mit den Türken hier darin bestehe, dass sie sich nicht einbürgern lassen wollten. Deswegen geben wir ihnen nicht das kommunale Wahlrecht, weil wir sonst bald die AKP hier sitzen hätten. Der wichtigste Punkt – das Signal muss von hier gesendet werden – ist: Nicht jeder Türke ist AKP-Türke, und nicht die ganze Türkei ist eine AKP-Türkei.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD, den GRÜNEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Bezeichnend ist übrigens, dass alle außer der CDU klatschen, aber sei’s drum.

(Heiterkeit von den PIRATEN – Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])

Das ist der wichtigste Hintergrund. Wenn wir über Türken reden, reden wir nicht über eine homogene Masse, sondern wir reden von Menschen, die für Erdogan sind, die gegen Erdogan sind, die das Präsidialsystem gut finden – sogar in Deutschland, wo sie unsere Vorteile der Meinungsfreiheit, des offenen Journalismus, der demokratischen Mitbestimmung usw. haben. Sogar hier können Menschen dafür sein, dass es in einem anderen Land ein anderes Regierungssystem gibt.

Ich bin – das ist der Punkt, und deswegen stimmen wir dem rot-grünen Antrag zu; übrigens, Herr Kollege Körfges muss man nicht auf jedem Antrag stehen, den man gut findet – aus der Kirche ausgetreten. Das heißt, ich muss mich nicht mehr so sehr an die christlichen Werte halten. Eine Demokratie muss nicht immer die andere Wange hinhalten, sondern kann irgendwann ganz klare Kante zeigen und sagen: So nicht! Mit euch nicht! Das ist hier unerwünscht! Werbung für ein System, das die Demokratie abschafft, ist hier unerwünscht. Wir wollen AKP-Türken nicht bei Wahlkampfauftritten in der Bundesrepublik und in unserem Land Nordrhein-Westfalen haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Schwerd, fraktionslos.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Die Türkei ist auf dem besten Wege in einen totalitären Führerstaat. Der Putschversuch im Sommer letzten Jahres wurde als letzte Legitimation genutzt, das Land gleichzuschalten. Die Massenentlassungen von Beamten, Lehrern, Professoren, Richtern, das Verbot kritischer Zeitschriften und Fernsehsendern, systematische Verhaftungen von Journalisten und Oppositionspolitikern kommen nicht von heute auf Morgen.

Dabei werden Entlassungs- und Verhaftungslisten abgearbeitet, die sehr viel länger bestehen. Das alles weckt ungute Erinnerungen aus der Zeit der Machtergreifung im Deutschland der 30er-Jahre.

(Zuruf von der FDP: Falsch! NS-Zeit!)

Die Entschließung von SPD und Grünen, über die wir heute abstimmen, enthält verurteilende Worte. Das ist gut. Gehandelt wird aber nicht. Wie auf der Bundesebene bleibt es bei einer lauen Verurteilung, die Herrn Erdogan nicht im Mindesten tangieren wird. Wo sind denn die konkreten Maßnahmen? Warum isoliert man dieses Regime nicht? Warum setzt man Verträge nicht aus? Warum stellt man Finanzhilfen nicht ein? Wie ist es denn mit befristeten Einreiseverboten oder Kontensperrungen für den Erdogan-Clan oder Regierungsmitglieder? Ich darf daran erinnern, dass diese SPD hier Mitglied der Bundesregierung ist. Sie muss die Bundesregierung hierzu nicht auffordern, sie könnte es einfach machen.

Die Unterwerfungsgesten der Bundesregierung bei der Armenien-Resolution des Bundestages und im Fall Böhmermann jedenfalls waren einfach nur peinlich. Man lässt sich mit einem unsäglichen Flüchtlingsabkommen erpressen, mit dem man Hunderttausende geflüchteter Syrer aus der EU heraushalten will, und pampert dafür das Regime mit Millionenbeträgen – noch ein Grund, dieses scheußliche Abkommen umgehend zu beenden.

Die Türkei ist im ersten Halbjahr 2016 von Platz 25 auf Platz 8 der Empfänger deutscher Rüstungsexporte aufgerückt. Damit unterstützen wir hier unmittelbar den Feldzug gegen die Kurden.

Die Deutsche Bundeswehr ist in Incirlik stationiert. Auch das ist ein Faktor, auf den sich ein Erdogan ja berufen kann. Die von den deutschen Tornados gewonnenen Aufklärungsdaten dienen auch dem Angriff auf die Kurden in der Region. Dabei dürfen wir nicht mitmachen! Die Bundeswehr muss aus Incirlik abgezogen werden.

(Zuruf von Hendrik Schmitz [CDU])

Auf EU-Ebene gibt es umfangreiche Zollerleichterungen und Millionenhilfen. Sogar über Erweiterungen soll noch verhandelt werden. All diese Signale ermutigen Erdogan doch nur, seinen eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Er muss das alles doch als implizite Zustimmung werten. Das müssen wir abstellen. Es ist Zeit, auch die konkrete Türkeipolitik grundlegend zu ändern. Von lauen Worten wird sich Erdogan jedenfalls nicht beeindrucken lassen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Kutschaty.

Thomas Kutschaty, Justizminister: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allen Differenzen, die wir heute im Detail der Debatte vernehmen konnten, ist ein Signal aus dieser Debatte doch deutlich geworden: Wir wollen und wir können die Entwicklung in der Türkei nicht wortlos verfolgen, denn wir dürfen nicht hinnehmen, dass innertürkische Konflikte hier bei uns in Nordrhein-Westfalen ausgetragen werden.

In unserem Land leben Deutsche und Türken miteinander. Mehr noch: In diesem Land leben auch Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und aus verschiedenen Regionen der Türkei friedlich miteinander, und deswegen wollen wir – Deutsche und Türken – in unserem Land auch gemeinsam dafür eintreten, dass das so bleibt.

In Nordrhein-Westfalen lebt rund eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln; sie haben dieses Land mit aufgebaut. Viele von ihnen sind als sogenannte Gastarbeiter gekommen und sind ganz bewusst hiergeblieben; Nordrhein-Westfalen ist ihre Heimat geworden. Diese Menschen sind ein Teil von uns Nordrhein-Westfalen geworden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie prägen unser Land, sind Teil unseres Landes und unserer Gesellschaft. Sie haben unser Land zu dem gemacht, was es heute ist, und dafür sollten wir uns bei diesen Menschen auch ausdrücklich bedanken.

Und weil uns diese Menschen und damit auch ihre türkischen Wurzeln so sehr am Herzen liegen, haben wir in der Vergangenheit größte Toleranz gegenüber Repräsentanten des türkischen Staates geübt, die an Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen teilnahmen. An dieser grundsätzlichen Einstellung hat sich auch nichts geändert, aber, meine Damen und Herren, wer zu uns kommen und hier über seine Politik sprechen will, muss auch akzeptieren, dass wir über ihn und seine politischen Vorstellungen und Ziele kontrovers diskutieren. Meinungsfreiheit ist eben keine Einbahnstraße, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN sowie Dr. Joachim Stamp [FDP])

Wer das nicht akzeptieren will, der will in Wahrheit Wahlkampf auf unsere Kosten machen. Das lassen wir uns aber nicht bieten. An dieser Stelle weise ich da mit aller Entschiedenheit den Vorwurf zurück, dass jeder, der anders entscheidet, als die AKP dies wünscht, Nazi-Methoden anwendet.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Wir können und werden nicht akzeptieren, dass diejenigen, die sich hier auf die freie Meinungsäußerung berufen, selbst nicht bereit sind, Grundrechte zu gewähren. Das gilt für die meiner Ansicht völlig überzogene Inhaftierung eines deutschen Journalisten in der Türkei, aber ebenso auch für die Entscheidung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die sich nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente gegen die Durchführung solcher Großveranstaltungen in ihren Kommunen entscheiden.

In der Tat: Auch ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin die Kommunen mit diesen schwierigen Fragen nicht so lange im Regen stehen lässt. Als zum Beispiel der Bürgermeister von Frechen eine schwierige und mutige Entscheidung treffen musste, hätte er die Rückendeckung der Kanzlerin gebraucht und nicht auch noch den Hinweis von dort, dass das ausschließlich kommunalpolitische Fragen beträfe. Sie wissen genau, meine Damen und Herren, dass das nicht stimmt. Das wissen wir alle.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Auf der anderen Seite machen es sich aber auch Bundesländer mit pauschalen Auftrittsverboten sehr leicht. Es ist immer leicht, Besuche im Saarland zu verbieten, wenn niemand dorthin zu Besuch kommen will.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Von dieser Form des Wahlkampfes halte ich nicht viel. Im Übrigen sehe ich hier auch die rechtliche Zuständigkeit der Länder nicht gegeben.

Eines, meine Damen und Herren, will ich aber mit aller Deutlichkeit sagen: Wir plädieren ganz klar dafür, den Dialog auch mit der türkischen Regierung gerade auch in Zeiten zu suchen, in denen man große Meinungsverschiedenheiten hat, denn in Zeiten politischer Harmonie braucht man diesen Dialog nicht. Den braucht man erst, wenn man in schwerem Fahrwasser ist, und in einer solchen Phase befinden wir uns derzeit ohne Zweifel. Deswegen bieten wir einen offenen und ehrlichen Meinungsaustausch an. Aber: Wer an meiner Meinung nicht interessiert ist, sondern nur sein Weltbild akzeptiert, der will keinen Dialog, der lädt zum Diktat – und dafür, meine Damen und Herren, stehen wir auch nicht zur Verfügung.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Armin Laschet [CDU])

Deswegen verurteilen wir auch die jüngsten Äußerungen türkischer Politiker über die Entscheidung der Regierung der Niederlande, dort keine Wahlkampfauftritte der AKP zuzulassen, auf das Allerschärfste. Die Niederländer, meine Damen und Herren, sind nicht Nachkommen der Nazis, sie sind deren Opfer.

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Viele von ihnen sind im Kampf gegen den Nationalsozialismus gestorben oder haben schwere Opfer gebracht. Es ist geschichtsvergessen und unanständig, unseren Nachbarn mit solchen Vorwürfen zu begegnen. Zum Glück sind die Niederländer nicht auf die billige Polemik hereingefallen und haben anders gewählt, als die Populisten auf beiden Seiten erwartet hatten.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Die Niederländer haben in dieser schwierigen Zeit ein Zeichen gesetzt. Dieser Landtag sollte auch heute ein Signal nach Berlin und Ankara senden, und dieses Signal lautet: Wir stehen geschlossen gegen diese Politik der Provokation. – Deswegen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie auch sehr für ein deutliches und klares Signal der Geschlossenheit.

Allerdings müssen wir mehr tun. Wir sollten auch die Stimmen dieser Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr in unsere Gesellschaft einbinden und diejenigen, die bei uns leben, einladen, mitzumachen. Denn nur wer Nordrhein-Westfalen völlig zurecht als seine Heimat ansieht und für sich selbst die Möglichkeit sieht, sich aktiv einzubringen, der ist deutlich weniger empfänglich für diejenigen, die versuchen, zu spalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Daher möchte ich auch an Sie, meine Damen und Herren von der Union, appellieren: Bitte stellen Sie sich ganz klar gegen den Flaschengeist von gestern und sprechen sich deutlich für die Beibehaltung der doppelten Staatsbürgerschaft aus.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, den PIRATEN und Dr. Joachim Stamp [FDP])

Schon Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes spricht den Menschen Abstammung, Heimat und Herkunft zu. Diese drei Begriffe widersprechen sich nicht. Sie gehören zu einem Menschen wie die Haarfarbe oder das Geschlecht. Lassen Sie uns bitte nicht hinter den Geist des Grundgesetzes zurückbleiben.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Deswegen sollten wir es auch jedem Menschen, der sich rechtstreu und aktiv in unsere Gesellschaft einbringen will, bei seiner Abstammung und bei seiner Herkunft ermöglichen, in Nordrhein-Westfalen seine Heimat zu finden. Ich appelliere daher an Sie, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns gerade in dieser schwierigen Stunde der bilateralen Verhältnisse ein Zeichen der Einladung an die Menschen senden, die für uns und unser Nordrhein-Westfalen so wichtig geworden sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Herr Minister Kutschaty hat die Redezeit um 2 Minuten 11 Sekunden überzogen. Von daher stelle ich die Frage, ob noch jemand aus den Fraktionen das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 1.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14395 in der Fassung des zweiten Neudrucks. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt, die wir jetzt auch durchführen, und zwar über den Inhalt des Antrages. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Wer stimmt dagegen? – Der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Wer möchte sich enthalten? – Das sind CDU und FDP. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung. Wir stimmen ab über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/14510. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Wer enthält sich? – Die CDU-Fraktion, die Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.

Wir kommen zur dritten und letzten Abstimmung, nämlich über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14524. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die FDP, die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag der CDU-Fraktion mit dem soeben festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Ich rufe auf:

2  Willkommenskultur für Investitionen schaffen – Nordrhein-Westfalen braucht eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik für mehr Wohlstand und Beschäftigung

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14403

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die CDU-Fraktion Herr Kollege Wüst das Wort.

Hendrik Wüst (CDU): Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Realität nach sieben Jahren Regierung von Rot-Grün, nach sieben Jahren Regierung Kraft/Löhrmann sieht wie folgt aus: so viele Kinder in Armut wie in keinem anderen westdeutschen Flächenland,

(Widerspruch von der SPD)

die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer und die niedrigste Quote sozialversicherungspflichtig Beschäftigter aller deutschen Flächenländer. Ihre Politik macht arbeitslose Eltern und arme Kinder.

(Beifall von der CDU)

Das größte Risiko für die Parolen Ihres Herrn Schulz ist die Politik von Frau Kraft.

(Lachen von der SPD)

Das größte Armutsrisiko für Kinder ist die Arbeitslosigkeit ihrer Eltern.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Traumtänzer!)

Nach dem Nullwachstum im Jahr 2015 – Platz 16 aller Bundesländer, der letzte Platz –, nachdem in den ersten beiden Quartalen des letzten Jahres der Bund um 10 % besser gewachsen ist als wir hier in Nordrhein-Westfalen, muss man feststellen, dass Sie die Grundlagen dafür, kein Kind zurückzulassen, nicht geschaffen haben. Die Bilanz Ihrer Wirtschaftspolitik aus der Sicht der Betroffenen hat Unternehmerpräsident Kirchhoff Anfang des Monats überdeutlich auf den Punkt gebracht. Er sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Wir sind heute nicht mehr so gut wie zu Beginn der Legislatur Kraft. Nordrhein-Westfalen braucht ein neues Grundempfinden für Wirtschaft. Überall kümmert man sich mehr um uns als in Nordrhein-Westfalen. Bei den Auflagen sattelt Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit dem Bund immer nur drauf. NRW darf kein Naturschutzreservat werden.

Sein Vorgänger, Horst-Werner Maier-Hunke, hatte vor einigen Jahren den flehenden Appell an die Politik gerichtet, zu einer Willkommenskultur für die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zu kommen. Wie weit muss dieses ehemals starke Industrieland abgesunken sein, dass Unternehmer flehen müssen, dass sie in Nordrhein-Westfalen wieder willkommen geheißen werden?

(Beifall von der CDU)

Geht man tiefer in die Ursachen hinein, dann sieht man, dass all Ihr Gerede vom Strukturwandel, von der Unvermeidbarkeit, dem Ausgeliefertsein der Nachfrage aus den BRIC-Staaten dummes Zeug ist. In den Jahren 2010 bis 2015, in Ihrer Regierungszeit also, ist das Wachstum fast 40 % schwächer gewesen als im Bund, fast 40 % schwächer als in allen anderen Bundesländern, die die gleiche Weltkonjunktur, die gleiche Bundesregierung und die gleiche nationale Entwicklung haben.

Bei den gleichen Rahmenbedingungen war es zu Zeiten einer anderen Regierung von 2005 bis 2010 ganz anders. Der Wert lag damals 14 % über dem Durchschnitt. Gab es da keinen Strukturwandel? Gab es da keine Schwankungen in den BRIC-Staaten? All Ihre Ausflüchte sind also durch diese Zahlen entlarvt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ihre Stagnationsverwaltung in der Wirtschaftspolitik führt zu industriellem Rückbau, Deindustrialisierung durch Desinvestitionen: Während noch 2011 zwei Drittel der Investitionen der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen wieder am eigenen Standort in Nordrhein-Westfalen stattgefunden haben, werden zehn Jahre später bestenfalls noch 50 % hier investiert. Die Unternehmen laufen Ihnen davon. Und was ist Ihre Antwort? – Sie streichen die Flächen für Gewerbe und Industrie um fast 4.000 ha im Land zusammen. Das ist Platz für über 100.000 Arbeitsplätze, wenn man es addieren würde.

Nordrhein-Westfalen benötigt nach sieben Jahren wirtschaftspolitischer Stagnationsverwaltung zwei Dekaden Vorsprung für Wachstum und Arbeitsplätze.

(Beifall von der CDU)

Wir benötigen eine Wirtschaftspolitik, die mehr darf, als die Lage schönzureden, die mehr darf, als immer nur das Schlimmste zu verhindern. Es ist ein Drama, wenn man Herrn Minister und Herrn Staatssekretär gelegentlich mit übernächtigtem Gesichtsausdruck nach offensichtlich langen Verhandlungen sieht und dann mitbekommt, was herausgekommen ist, nämlich zum Beispiel minimalste Änderungen am Tariftreuevergabegesetz im Sinne der Wirtschaft. Nordrhein-westfälische Wirtschaftspolitik muss wieder Wirtschaftspolitik machen dürfen, muss wieder das letzte Wort bei Flächenentwicklungen, bei Energiepolitik und bei anderen wesentlichen Fragen für die nordrhein-westfälische Wirtschaft haben.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Nordrhein-Westfalen benötigt eine Entlastungsoffensive, einen Bürokratieabbau und eine Absenkung der Abgabenlast. Nordrhein-Westfalen muss die innere Bergmannskapelle ein bisschen herunterdimmen, offen sein und Gehör für die Zukunftschancen insbesondere im Bereich der Digitalisierung finden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Nordrhein-Westfalen kann Gewinner der Globalisierung bleiben.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Hendrik Wüst (CDU): Nordrhein-Westfalen kann Gewinner der Digitalisierung werden. Dazu benötigt man Mut und Tempo. Ja, dieser Wandel benötigt Mut und Tempo. Ihnen fehlt beides. – Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es war der erwartete Antrag der CDU. Wir werden ihn vielleicht noch einmal erleben. Es war sicherlich auch der erwartete Inhalt.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Was für einen Inhalt?)

Nichts Neues! Die Dinge, die Sie gerade erzählt haben, Herr Wüst, sind immer dieselben. Wir wissen, warum Sie diese Reden immer und immer wieder hier halten und zum Teil auch von Ihren Fraktionskollegen halten lassen. Sie haben die Hoffnung, dass sich das Zerrbild, das Sie von unserem Land zeichnen, in den Köpfen festsetzt. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Sie können das hier tausendmal erzählen. Dieses Zerrbild wird sich nicht in den Köpfen der Menschen in Nordrhein-Westfalen verankern.

(Beifall von der SPD)

Diesmal haben Sie sozusagen als Kronzeugen die Unternehmensverbände herangezogen. Persönlich von mir: Ich habe vielleicht auch durch meine berufliche Sozialisierung immer großen Respekt vor Unternehmerpersönlichkeiten gehabt. Wenn ich jetzt allerdings feststelle, dass die Unternehmensverbände regelmäßig vor Wahlen ein wenig zu Vorfeldorganisationen ihnen geneigter Parteien werden, dann – das muss ich sagen – schwinden bei mir Respekt, Verständnis und Vertrauen. Das ist sicherlich keine gute Basis für weitere Gespräche.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle einige andere Unternehmen und Vertreter von Unternehmensverbänden zitieren. Mal sehen, wie sie dieses Land Nordrhein-Westfalen sehen, wenn sie nicht die politische Absicht haben, dieses Land ein wenig schlechtzureden.

Ich zitiere zunächst eine Pressemitteilung der IHK Nord Westfalen vom 22. Dezember 2016. Im Rückblick wird hier festgestellt:

„2016 war aus Sicht der regionalen Wirtschaft ein gutes Jahr – ‚das siebte in Folge‘,“

– also seit 2010 –

„betont Hüffer ‚eine bemerkenswert lange positive Entwicklung‘.“

Ich zitiere jetzt aus dem Konjunkturbericht der IHK Nord Westfalen zur aktuellen Lage:

„95 % der Betriebe beurteilen die aktuelle Situation zum Jahreswechsel mit gut … oder zumindest befriedigend.“

(Zurufe von der SPD)

„Besonders zufrieden sind kleinere Betriebe …“

So viel zur aktuellen Lage.

Unternehmer nrw zeichnet ein schon fast depressives Bild von Unternehmen in diesem Land. Lassen Sie uns mit den Unternehmen einen Blick nach vorne wagen. Wie sind die Geschäftsaussichten für die nächsten zwölf Monate? – Hierzu führt die IHK in ihrem Konjunkturbericht aus:

„Für die nächsten Monate sind die Unternehmen durchweg zuversichtlich.“

Zuversichtlich, meine Damen und Herren!

Lassen Sie mich als Letztes noch das Handwerk zitieren. Wir haben viel über das Handwerk gesprochen. Die sehr erfolgreiche und von Herrn Bombis geleitete Enquete hat hier wirklich Bemerkenswertes geleistet. Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal das Handwerk zitieren. Das Handwerk führt in einer Pressemitteilung vom 11. Januar dieses Jahres aus:

Das Geschäftsklima des Wirtschaftssektors Handwerk hat in den beiden Halbjahren der sieben Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 mit 90 und 91 % historische Spitzenwerte erreicht.

Historische Spitzenwerte, meine Damen und Herren – das ist das Bild, welches Unternehmen von diesem Land zeichnen, wenn sie es so zeichnen, dass sie keine politische Intendierung haben. Darauf sollte man immer und immer wieder aufmerksam machen.

(Beifall von der SPD)

Herr Wüst hat zum Schluss versucht, anhand eines Beispiels – es scheint sein Lieblingsbeispiel zu sein – darzulegen, dass die Digitalisierung und vor allen Dingen die Breitbandversorgung in diesem Land nicht funktionieren.

Lassen Sie mich aus der Erhebung des TÜV Rheinland drei Zahlen nennen, wie weit wir in den unterschiedlichen Bundesländern mit dem Ausbau auf 50 Mbit sind. Ende 2015 hatten wir in Nordrhein-Westfalen 76,2 %. Mitte 2016 waren es 77,4 % und Ende 2016 82,2 %. Das heißt, in einem halben Jahr 4,8 % mehr.

Uns ist immer vorgehalten worden, wir hätten keine Dynamik beim Breitbandausbau. Diese Dynamik haben wir aber. Relativ einfach kann man – nach Adam Riese und mit Schürmanns Rechenbuch, das sagte meine Oma immer – nachrechnen: 4 mal 4,8 plus 82,2 ergibt auf jeden Fall einen Wert von über 100. Über 100 % streben wir sicherlich nicht an, aber die 100 % werden wir an dieser Stelle auf jeden Fall so erreichen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf eine Problematik aufmerksam machen, die uns wirklich immer und immer wieder tangiert, wenn wir mit Unternehmen sprechen. Das ist nämlich der Facharbeitermangel. Dazu zitiere ich noch einmal die IHK Nord Westfalen: „Der Mangel an Fachkräften ist nach einer IHK-Umfrage inzwischen das größte Konjunkturrisiko.“

Meine Damen und Herren, auf dieses Erkennen haben wir durch die entsprechenden Maßnahmen reagiert. Wir haben ein Programm aufgelegt: „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Wir kümmern uns um die Menschen, die aus dem System fallen. Wir haben die Studiengebühren abgeschafft, damit wieder mehr Menschen studieren. Es ist in Nordrhein-Westfalen noch nie so viel Geld in Bildung investiert worden wie heute.

Wir werden an dieser Stelle weitermachen. Wir werden die Meisterausbildung kostenlos gestalten, wir werden ein Azubi-Ticket einführen, damit die Auszubildenden auch zu ihren Ausbildungsstellen kommen, und wir werden die Mittel für Weiterbildung deutlich erhöhen. Das sind die nächsten Schritte, die wir machen werden.

(Beifall von der SPD und Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land. Nordrhein-Westfalen ist ein stolzes Land, und es hat auch Bürger, die stolz sind auf dieses Land. Ich kann Ihnen nur raten: Hören Sie auf, dieses Zerrbild von diesem Land zu zeichnen. Das wird ihm nicht gerecht. Ich sage Ihnen: Schauen Sie in die Umfragen. Sie sind auch ein Ergebnis davon, dass Sie immer dieses Land schlechtreden. – In diesem Sinne Glück auf.

(Beifall von der SPD und Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Dr. Beisheim.

(Dietmar Brockes [FDP]: Frau Beisheim, schauen Sie auf die Umfragen!)

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Quasi als Kronzeugen führt die CDU hier in ihrem Bericht Mitgliederverbändevertreter an. Aber es sind zum Teil Mitglieder der CDU bzw. auch CDU-nahe Vertreter.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Aha!)

Wenn ich in den letzten zwei Jahren der Zusammenarbeit mit dem Handwerkskammerpräsidenten Ehlert eines gelernt habe in, dann ist es das, Bierzeltreden von kritischen solidarischen Dialogen zu unterscheiden, und Bierzeltreden haben Sie im Grunde als Zitate genommen.

(Norbert Meesters [SPD]: Da hat Herr Wüst nicht zugehört!)

Der Kollege der SPD hat gerade auch erklärt: Es geht dem Handwerk so gut wie noch nie. Gerade das Handwerk hat von grünen Ideen der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre profitiert. Energieeffizienz, Ressourceneffizienz, regionale Vermarktung usw. – das sind Jobmotoren für das Handwerk in Nordrhein-Westfalen geworden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Thema Flächenverbrauch. Natürlich ist es Aufgabe eines Umweltministers, die Interessen von Landwirtschaft und von Naturschutz zu vertreten. Schauen Sie sich doch das Ergebnis Ihrer Landwirtschaftspolitik auf Bundesebene an: Ausgeräumte Naturlandschaften, wo Fuchs und Hase sich nicht einmal gute Nacht sagen können, weil sie nichts mehr zu fressen finden. Artenreichtum findet nämlich woanders statt. Mittlerweile haben Sie Artenvielfalt in den Städten.

(Zuruf von Hendrik Wüst [CDU])

Dafür haben Sie gesorgt. Wenn Sie tatsächlich rückabwickeln wollen, sozusagen wieder Flächenfraß in Nordrhein-Westfalen voranbringen wollen, dann unterhalten Sie sich mal mit Ihrem Kollegen Fehring darüber, wie verzweifelt mittlerweile auch Landwirte, die naturnah wirtschaften wollen, nach bezahlbaren Flächen suchen.

(Zuruf von Christina Schulze Föcking [CDU])

Das ist der Erfolg Ihrer Landwirtschaftspolitik auf Bundesebene.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir haben deshalb den Flächenpool in Nordrhein-Westfalen eingeführt, um den Kommunen ein Instrument an die Hand zu geben – ein Instrument, um Gewerbeflächenansiedlungen, aber auch Wohnungsbau vernünftig zu regeln, und zwar auf gebrauchten Flächen, die mit Eigentumsvorbehalten zusammenhängen, aber auch mit industrieller Vorbelastung. Das sind Dinge, die wir erkannt und auf den Weg gebracht haben zum Wohle der Fläche und um hier in Nordrhein-Westfalen Wirtschaft und Natur in Einklang zu bringen.

(Beifall von den GRÜNEN – Arndt Klocke [GRÜNE]: Genau!)

Hochschulfreiheit ist auch eines Ihrer geliebten Themen. Ich fand es wirklich, sage ich mal, etwas unterkomplex, Kollege Wüst,

(Zuruf von Hendrik Wüst [CDU])

dass Sie immer Hochschulfreiheit bzw. den Erfolg von Forschung und Lehre mit den angeworbenen Drittmitteln zusammenbringen. Noch nie haben wir so viel Geld in die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gesteckt. Wir können natürlich noch mehr Geld dort hineinpumpen.

Im Grunde sind Forschung und wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden zwei Kernthemen. Aber ein drittes Kernthema ist dazugekommen, die sogenannte Third Mission. Das ist das, was wir angeregt haben durch den vermehrten Fachhochschulbau. Es geht darum, dass auch die Hochschulen vermehrt den Auftrag haben, Zivilgesellschaft und Unternehmen zu verknüpfen. Deswegen haben wir dafür die Infrastruktur geschaffen, um genau diese Ziele auf den Weg zu bringen. Das sind erfolgreiche Projekte. Gerade in den Regionen, die von Strukturwandel betroffen sind, war das eine segensreiche Investition.

Die Welt ist vielleicht etwas zu komplex geworden für die CDU. Denn gestern mussten wir uns auch schon anhören, dass Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung nicht zusammengehören. Deshalb versuche ich es vielleicht einmal in etwas einfacherer Sprache, Herr Kollege Wüst. Bei Kreislaufwirtschaft geht es darum, Abfallvermeidung zu betreiben, die Meere nicht zu vermüllen und das Verbuddeln und Verbrennen von Abfällen, die wiederverwertbar sind, zu beenden.

Das ist Schutz von Mutter Erde. Noch immer aber leben wir so, als ob es mehr als eine Erde gibt. Wir beuten nicht nur die Natur aus, sondern wir scheren uns auch einen Dreck um zukünftige Generationen. Deshalb stehen wir Grüne für eine Wirtschaft, die im Einklang ist mit Mutter Natur. Das ist keine Utopie, sondern das ist ein riesiges Konjunkturprogramm für Nordrhein-Westfalen, für die heimische Wirtschaft. Schauen Sie sich die Erfolge der Umweltwirtschaft an: große Wachstumsraten, steigende Beschäftigung, krisenfest in der Krise 2008, 2009, 2010.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wie geht es weiter? Das hängt natürlich davon ab, wie wir auf allen politischen Ebenen verhandeln. Da geht es nicht um reine Technik, da geht es auch um eine ganze Menge politischer Gestaltungsdynamik.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Und es geht um die Zeit.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Setzen Sie bei der Frage von Ressourcenverbrauch und Vermüllung klare Ziele!

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

– Ja, klare Ziele, und bekennen Sie nicht nur Ihre guten Absichten!

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Dr. Beisheim, die Redezeit ist zu Ende.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Ich komme jetzt auch zum Schluss.

Es ist an der Zeit zu erkennen, dass Sie erfolgreiche Projekte hier in Nordrhein-Westfalen stoppen wollen. Sie wollen letzten Endes ein Rollback in die Vergangenheit. Das wird dazu führen, dass Sie hier in Nordrhein-Westfalen, falls Sie die Chance dazu bekommen, die Wirtschaft zugrunde richten werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Brockes.

Dietmar Brockes*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl Nordrhein-Westfalen ein starkes Land mit tollen Menschen, mit erfolgreichen Betrieben und innovativen Start-ups ist,

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Hört, hört!)

entgehen vielen Menschen noch zu viele Chancen und Aufstiegsperspektiven; Herr Kollege Klocke, hören Sie gut zu!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Denn Nordrhein-Westfalen steht wirtschaftlich nicht gut dar. Das bestätigen sämtliche Untersuchungen und Studien, die in den vergangenen Jahren vorgelegt wurden

(Michael Hübner [SPD]: Nennen Sie doch eine IHK!)

von renommierten Wirtschaftsforschern, von Mittelstandsverbänden. Herr Kollege Hübner, hören Sie gut zu! Das ist nicht nur eine IHK. Eine IHK hat eben Ihr Kollege Sundermann zitiert; das war alles, was er hatte.

(Michael Hübner [SPD]: Nennen Sie doch eine IHK! – Weitere Zurufe von der SPD)

Selbst von Ihren eigenen Statistikbehörden wird diese desolate Lage auch beschrieben.

(Michael Hübner [SPD]: Das können Sie nicht beantworten!)

In einem Punkt sind sich nämlich sämtliche Analysen einig: Es sind nicht nur Strukturwandel und externe Faktoren, die die wirtschaftliche Flaute in unserem Land verursacht haben, es ist vielmehr die gescheiterte Wirtschaftspolitik von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, die die Wachstumsdynamik ausgebremst hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Mit zweckfreien und teuren Tariftreue- und Vergabegesetzen, Hygieneampeln, kontraproduktiven Alleingängen in der Klimapolitik und industriefeindlichen Landesentwicklungsplänen haben SPD und Grüne unser Land auf das Abstiegsgleis geführt.

(Zurufe von der SPD)

Deshalb, meine Damen und Herren, kämpfen wir für viele mittelständische Betriebe gegen die übermäßigen Belastungen und die Bürokratie.

Deshalb kommt der in Deutschland insgesamt steigende Wohlstand nicht bei den Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen an. Deshalb hat unser Land eine hohe Insolvenzquote, aber eine niedrige Selbstständigen- und Gründungsquote. Und deshalb ist in keinem westdeutschen Flächenland die Investitionstätigkeit der Industrie so gering wie hier. Meine Damen und Herren, das muss sich endlich ändern.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir begrüßen deshalb den vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion, der auch viele Aspekte aus unserem eigenen Antrag aufgreift, den wir gestern an dieser Stelle schon diskutiert haben. Denn die unterdurchschnittliche wirtschaftliche Dynamik und das Nullwachstum, mit dem Nordrhein-Westfalen 2015 sogar die rote Laterne übernommen hatte, sind nicht gottgegeben.

(Zurufe von der SPD: Oh, oh!)

Das zeigt der Blick in vergleichbare Bundesländer.

(Michael Hübner [SPD]: Das haben Sie doch schon 2015 erzählt!)

– Seit 2000, Herr Kollege Hübner, ist unser Land um satte 12 % schwächer gewachsen als Bayern und um 10 % schwächer gewachsen als Baden-Württemberg. Aber wir haben es hier nicht nur mit einem reinen Nord-Süd-Gefälle zu tun. Denn gemessen vom Jahr 2000 bis heute hat es zum Beispiel auch Niedersachsen geschafft, Nordrhein-Westfalen bei der Wirtschaftsdynamik hinter sich zu lassen.

Deshalb sind wir überzeugt: Auch hier können wir wieder in der Spitze mitspielen, wenn wir endlich eine wirtschaftspolitische Kehrtwende einleiten und die rot-grüne Politik der Bürokratisierung, Belastung und Bevormundung beenden.

Dafür benötigen wir in der Tat eine Kraftanstrengung zum Ausbau Gigabit-fähiger Glasfaserleitungen, wie es im CDU-Antrag beschrieben ist. Denn eine Gigabit-fähige digitale Infrastruktur ist die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschaft 4.0.

Wir brauchen eine bezahlbare und sichere Stromversorgung und ein Voranbringen der strukturpolitischen Entwicklung des Landes. Wir brauchen eine Willkommenskultur für Investitionen. Wir müssen mehr für unseren Mittelstand, unsere Industrie und unser Handwerk unternehmen.

(Michael Hübner [SPD]: Ausländische Direktinvestitionen!)

Dazu gehört vor allem eine Stärkung des erfolgreichen dualen Ausbildungssystems. Ich glaube, Herr Kollege Hübner, dass wir uns wenigstens in dem Punkt einig sind.

Aber Einigkeit reicht nicht aus. Wenn wir die hohe Qualität der Berufsschulen und der weiteren vielfältigen Angebote der Berufskollegs erhalten und weiterentwickeln wollen, darf die Landesregierung sie nicht so ausbluten lassen, wie sie es derzeit tut.

Meine Damen und Herren, das alles gelingt uns in der Tat nur mit einer umfassenden Kurskorrektur. Deshalb stimmen wir heute dem CDU-Antrag zu. – Vielen Dank für Ihre teilweise vorhandene Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Es ist wirklich auch eine ehrenhafte und vornehme Pflicht der Opposition, immer wieder Alternativen zur Politik der Landesregierung aufzuzeigen. Das versucht die CDU-Fraktion auch mit dem vorliegenden Antrag. Statt aber ein Feuerwerk aus 16 Punkten abzubrennen, wird daraus im Antrag billiger Theaterdonner und in der Rede schlechte Rhetorik von Herrn Wüst.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Was hier wiederholt wurde, ist die politische Debatte der 80er-Jahre: komplette Mottenkiste. Die Gegenwart hat euch längst überrollt. Ihr nährt wieder mal den alten Mythos, man könne entweder Industrie haben oder Umweltschutz. Ihr seid so gefangen in eurer Entweder-oder-Logik. Denkt doch mal „sowohl als auch“ oder „weder noch“. Das wäre vielleicht mal spannend. Aber nein, ihr klebt in diesem eindimensionalen Schema fest.

(Heiterkeit von Michael Hübner [SPD])

Die Vorstellung ist so etwas von out. Natürlich brauchen wir beides: Industrie und Umweltschutz. Und das ist auch möglich gerade durch moderne, innovative Technologien. Aber mit der Innovation hat die Union es ja nicht so.

Ich möchte die versammelten digitalen Inkompetenzen der Union einmal fragen:

(Heiterkeit von den PIRATEN und der SPD)

Wir lesen unter Punkt 2 im Forderungsteil des Antrages: „Mit Hilfe digitaler Anwendungen … Bürokratie …“. Und am Schluss steht noch etwas von „Mittelstand“. Werdet doch mal konkret. Was soll das denn sein? Faustkeile aus dem 3D-Drucker? Ernsthaft.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Da muss ich die Partei meiner Eltern wirklich fragen: Wie seid ihr aufgestellt? Müsst ihr gestern zu einem eindeutig wirtschaftspolitischen Thema jemanden ins Rennen schicken, der mit einem Schild auf der Stirn mit der Aufschrift „Ich habe mal vorgegeben, Pirat zu sein“ herumrennt und nicht mal im Wirtschaftsausschuss ist?

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Das ist doch armselig!

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Ähnliches gilt auch für die Hygieneampel oder das Tariftreue- und Vergabegesetz.

(Dietmar Bell [SPD]: Wo ist denn der Wüst?)

Hört doch einfach auf, den Leuten vorzugaukeln, der Wirtschaft ginge es spürbar besser, wenn wir niedrigere soziale oder Verbraucherschutzstandards hätten. Das ist doch Quatsch!

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das sind im 21. Jahrhundert auch nicht mehr die entscheidenden Fragen. Entscheidend sind ganz andere Indikatoren. Ich frage einmal die Landesregierung: Wie viel Prozent der Schüler bekommen heute einen guten Informatikunterricht, der junge Leute motiviert, sich mit modernen Technologien auseinanderzusetzen? – Die Antwort: zu wenige. Wie viele öffentliche Institutionen, Unternehmen und Haushalte haben Zugang zum Gigabit-Netz? – Die Antwort: zu wenige. Was tut die Landesregierung, um den täglichen Verkehrsinfarkt auf den Straßen NRWs endlich aufzulösen? – Die Antwort ist: zu wenig zu spät.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dabei haben wir Piraten längst Lösungen ausgearbeitet, die das Land voranbringen würden – Stichwort „Fahrscheinfrei“.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: 100.000 selbstfahrende Autos!)

Ihr könnt meinen Kollegen Oliver Bayer nachts um 3 Uhr wecken und entscheiden, ob ihr einen 15-minütigen Impulsvortrag oder eine zweistündige Vorlesung wollt. Das macht der stante pede.

(Zurufe von der CDU)

Welche Zukunftsindustrien und welche Forschungsabteilung hat die Landesregierung in den letzten fünf Jahren nach NRW geholt? Und ja, da muss ich versöhnlich werden – ich kriege das im Hochschulausschuss ja mit –: Da ist ein ehrliches, echtes Bemühen, das teilweise auch von Erfolg gekrönt ist, am Werk.

(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])

Ich bin aber der Auffassung, dass man noch mehr machen kann.

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Wollen wir auch!)

Und zuletzt: Wann wird die Landesregierung endlich ihre Verwaltungsabläufe digitalisieren und damit effizienter gestalten? – Die Antwort ist: bis in das Jahr 2031. Weiter kann man den Nutzen der Digitalisierung nicht in die Zukunft verschieben. Was für eine schlechte Symbolik!

Meine Damen und Herren, die letzten fünf Jahre waren durchaus auch eine Zeit der verpassten Chancen, aber mit der Hygieneampel oder der Rechtssicherheit für die vier verkaufsoffenen Sonntage hat das rein gar nichts zu tun. Wir lehnen daher den Antrag der Union ab. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur um das Bild noch etwas klarer zu zeichnen, weil man bei den Einlassungen von Herrn Wüst und Herrn Brockes …

(Dietmar Bell [SPD]: Herr Wüst ist doch gar nicht mehr da! – Arndt Klocke [GRÜNE]: Der muss draußen Interviews geben!)

– Das ist egal. Das ist nicht so entscheidend. Wir wollen nur denjenigen, die uns wirklich zuhören und die sich ein Bild von der tatsächlichen Lage in Nordrhein-Westfalen machen wollen, noch einmal ein bisschen Klarheit verschaffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten verzeichnet. Das spricht nicht dafür, dass es der Wirtschaft besonders schlecht geht, sondern dass es ihr im Gegenteil gut geht. Wir haben momentan den höchsten Stand der Beschäftigung, den wir jemals in Nordrhein-Westfalen hatten. Wir sind die Nummer eins im Vergleich aller Bundesländer bei den Gründungen. Wir sind die Nummer eins bei den Direktinvestitionen, die nach Deutschland kommen. Wir sind die Nummer eins beim Breitbandausbau.

(Zuruf von Ralf Nettelstroth [CDU])

Wir sind die Nummer eins bei den Investitionen für die Staubeseitigung, die der Kollege Groschek über den Bundesverkehrswegeplan eingeworben hat. Wir sind die Nummer eins, wenn es um die Anzahl der Studienplätze geht. Und so weiter, und so fort.

(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])

Sie beschäftigen sich mit der regionalen Vielfalt unseres Landes und sagen Herrn Sundermann, er hätte nur eine IHK zitiert. Das hat er jedoch aus guten Gründen gemacht, denn es wäre eine Wiederholung, würde man alle IHK-Berichte zitieren.

(Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Ich ergänze aber gerne noch einmal: Die Rheinische Wirtschaft, also der Zusammenschluss der Industrie- und Handelskammern aus dem Rheinland, schreibt in ihrem jüngsten Bericht: „Große Stabilität prägt die regionale Wirtschaft“, die Ruhr Wirtschaft titelt: „Die Konjunktur zeigt sich in Topform“, die IHK Nord Westfalen schreibt: „Wirtschaft bleibt auf Wachstumskurs“, und der Westdeutsche Handwerkskammertag titelt: „Gute Konjunktur führt weiter“. In diesem Sinne ist die Realität des Landes Nordrhein-Westfalens zu beschreiben und nicht mit diesen trübseligen Gesängen, die wir von Ihnen gehört haben.

(Beifall von der SPD und Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE])

Wenn Sie wirklich bei den Betrieben wären, dann würden Sie sich nicht nur mit ein, zwei Dachverbänden beschäftigen, die immer nur einen ganz kleinen Teil abdecken. Unternehmer nrw vertritt 10 % der Unternehmen in Nordrhein-Westfalen. Ich rede wahrscheinlich mit am häufigsten mit Herrn Kirchhoff. Wir tauschen uns ständig über diese Fragen aus. Wenn Sie aber in die Regionen hineingehen, nach Ostwestfalen-Lippe, ins Münsterland, nach Südwestfalen, in den Aachener Raum, ins Rheinland oder ins Ruhrgebiet, herrscht dort überall eine komplett andere Stimmung als dieses Zerrbild, das von CDU und FDP gemalt wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schauen wir uns die 16 Punkte dieses Antrags an. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen – und das bedeutet in diesen fünf oder sieben Jahren ganz große Kontinuität –: Wir haben uns ganz klar zum Ziel gesetzt, nicht das, was vergangen ist, vor der Zukunft zu schützen, sondern, in die Zukunftsthemen zu investieren. Wir als Landesregierung sorgen dafür, dass Flächen so schnell aufbereitet werden wie nie zuvor, ob in Bochum oder in Marl. Das sind gute Beispiele für investitionsfreundliche Wirtschaftspolitik. Wir machen!

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Sie haben gelacht, Sie haben es verhöhnt, als die Ministerpräsidentin im Januar 2015 von diesem Pult aus das Thema „Digitalisierung“ zu einem absoluten Schwerpunktthema der Landesregierung gemacht hat. Wir sind dabei vorangekommen.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU] – Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Wir sind das erste Bundesland, das eine digitale Strategie auf den Tisch gelegt hat. Das zahlt sich aus.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: 2026!)

Wir sind das Bundesland, das am allerstärksten von den Veränderungen der Energiewende betroffen ist. Deswegen sind wir die Landesregierung, die immer wieder deutlich macht, dass die Energiewende aus einem gleichseitigen Dreieck besteht und dass es uns darum geht, unseren Verpflichtungen zum Klimaschutz wirklich nachzukommen, aber dass wir eben gleichzeitig auch für Versorgungssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland aus Nordrhein-Westfalen heraus sorgen und dass es uns um Bezahlbarkeit geht. Das stärkt auch die Akzeptanz bei der Energiewende.

(Beifall von der SPD und Arndt Klocke [GRÜNE])

Wir sind es gewesen – Sie haben es doch im letzten Jahr mit Neid betrachtet –, die das Thema der Industriepolitik wieder in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gestellt haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das kam doch nicht von Ihnen!

Meine Damen und Herren, zum Abschluss: Wir haben am Montag als Institution im Mittelstandsbeirat mit den Vertretern der Wirtschaft, mit den Vertretern des Handwerks zu einer der wichtigsten Neuerungen wieder zusammengesessen. Wir haben resümiert, dass wir bei dem Thema „Einbindung des Mittelstandsbeirates“, der Clearingstelle und all dieser Dinge zum Thema „Bürokratieabbau“ einen wichtigen Schritt vorangekommen sind, aber natürlich noch nicht am Ende sind. Wir werden noch mehr in diesem Bereich tun müssen.

Aber am Rande solcher Veranstaltungen wird eines auch immer deutlich: Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen und ihre Repräsentanten haben den einen oder anderen Punkt, über den sie mit uns in der Diskussion und auch in harten Auseinandersetzungen mit dieser Landesregierung sind. Aber woran sie wirklich verzweifeln, das ist der Zustand der CDU und ihre wirtschaftspolitische Kompetenz. Und das bringt dieser Antrag deutlich zum Ausdruck. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, Sie müssen hierbleiben. Es ist etwas spät angekommen, aber es liegt eine Kurzintervention von Herrn Paul vor. Herr Paul, Sie haben das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Minister, ich möchte noch einmal ausdrücklich sagen: Es ist Ihnen und auch der Ministerpräsidentin im Bereich Wirtschaft durchaus gutzuschreiben und anzuerkennen, dass Sie sich im Bereich Innovation, Weiterentwicklung der Wirtschaft hier im Lande sehr stark engagiert haben.

(Beifall von der SPD)

Aber Sie haben gerade – das kann ich mir jetzt nicht verkneifen – noch einmal aus der Rede von Frau Ministerpräsidentin Kraft im Januar 2015 die sogenannte digitale Agenda erwähnt. Ich habe da immer noch dieses „MegaBits. MegaHerz. MegaStark.“ im Kopf. Können wir uns vielleicht gemeinsam für eine bessere Sachlichkeit in der politischen Sprache einsetzen? Im ersten Moment habe ich, als ich diesen Titel gesehen habe, gedacht: Was haben die Texter in der Staatskanzlei geraucht? – Danke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Dr. Paul, erstens weiß ich ziemlich sicher – ich hoffe auch, dass das Gesetz nicht geändert wird –, dass auch in der Staatskanzlei Rauchverbot herrscht.

(Beifall von der SPD)

Ich gehe mal davon aus, dass das eingehalten wird. Zweitens können wir uns natürlich über Sprachgebrauch in der Politik noch einmal an anderer Stelle vielleicht intensiv auseinandersetzen.

Was die Regierungserklärung angeht, will ich noch einmal deutlich machen: Wenn Sie sich angucken, was allein in diesen zweieinhalb Jahren – ob durch unsere eigenen Initiativen, Stichwort „digitale Hubs“, und vieles andere – schon umgesetzt worden ist und wie viel seitens des Bundes an Kompetenzzentren hier nach Nordrhein-Westfalen gegeben wurde – ob in Lemgo, in Dortmund, in Aachen, jüngst in Hagen oder Siegen oder an anderen Stellen –, dann finde ich jedenfalls, dass die Begrifflichkeit MegaStark durchaus nach wie vor ihre Berechtigung für das hat, was hier geleistet worden ist. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Minister, es liegt eine weitere Kurzintervention – Sie haben die Leute motiviert – vom Kollegen Hegemann vor.

Lothar Hegemann*) (CDU): Ich sage Ihnen mal gleich die Quelle meines Vorhalts. Das ist der SPD-Landrat von Recklinghausen, den Sie ja gut kennen. Er hat davon gesprochen, dass in Düsseldorf mehr als 60 % aller Einwohner sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, im Bund – legen Sie mich nicht auf eine Zahl fest – Ende 40 %, im strukturschwächsten Bundesland Brandenburg 29 % und im Kreis Recklinghausen 21 %.

Wollen Sie den 70.000 Menschen, die im Kreis Recklinghausen nicht vom Einkommen, sondern von Transferleistungen leben, sagen: „Besser geht es nicht, Sie sind die Nummer eins“?

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich habe gesagt, dass wir bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung den höchsten Stand haben, den wir in diesem Land je hatten. Das ist ein großer Erfolg.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das entbindet niemanden, in der Politik und in der Wirtschaftspolitik ganz besonders, sich tagtäglich darum zu kümmern, dass eben neue Arbeitsplätze über alle Qualifikationsstufen hinweg in unserem Land entstehen können, insbesondere mit Blick auf die Langzeitarbeitslosen. Deswegen ist es eben nicht so, wie Sie in Ihrem Antrag suggerieren, dass man mit ein paar Streichungen von irgendwelchen Gesetzen dafür irgendeinen Impuls setzen würde, sondern es geht ganz konkret darum, dass man zum Beispiel für Langzeitarbeitslose das Thema eines sozialen Arbeitsmarkts endlich auf die Tagesordnung gesetzt und umgesetzt hat.

(Beifall von der SPD)

Es geht zweitens darum, dass man gerade auch dann, wenn einzelne Branchen in Schwierigkeiten sind, dort punktgenau danach schaut, wie man die Situation in diesen Branchen wieder verbessern kann, damit dort eben nicht Arbeitslosigkeit entsteht.

Dann will ich noch einen Satz zu Ihrem Antrag sagen. Einen wirtschaftspolitischen Rundumschlag zu machen, ohne einmal das Wort Mitbestimmung erwähnt zu haben, das spricht auch Bände.

(Beifall und Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Gerade in diesen Branchen geht es genau darum.

Drittens geht es dann darum, Strukturpolitik zu machen, nämlich in die Regionen besonders stark hineinzugehen, die von den Effekten, von denen Sie ja zu Recht gesprochen haben, besonders betroffen sind. Wenn Sie sich zum Beispiel – ich greife das nur heraus, weil Sie auch Recklinghausen genannt haben – das Engagement dieser Landesregierung in den letzten Jahren zum Beispiel für die Emscher-Lippe-Region angucken, dann sucht das in den fünf Jahren, in denen Sie regiert haben, wirklich seinesgleichen. Wir tun etwas für die Menschen, die davon betroffen sind, und reden nicht nur.

(Anhaltender lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der CDU hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrages Drucksache 16/14403.

(Zurufe von der SPD: Wo ist Wüst?)

Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag Drucksache 16/14403 abgelehnt mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der Piraten, der fraktionslosen Abgeordneten Schwerd und Stüttgen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion.

Ich rufe auf:

3  Wohneigentumsbildung durch Grunderwerbsteuerfreibetrag erleichtern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14388

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion dem Kollegen Ellerbrock das Wort.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stichwort: Wohneigentum. Die konjunkturelle Lage in der Bundesrepublik ist stabil. In Deutschland ist sie gut, in Nordrhein-Westfalen unterdurchschnittlich. Gleichwohl sprudeln auch bei uns die Steuerquellen. Wir haben insgesamt eine niedrige Arbeitslosenzahl, von Ausnahmen, wie wir eben gehört haben, einmal abgesehen.

Derzeit befinden wir uns zudem in einer anhaltenden Niedrigzinsphase, die sich begünstigend auf den Wohnungseigentumserwerb auswirken kann – sollte, müsste! In Deutschland liegt die Eigentumsquote seit zehn Jahren bei 45,5 %. Im europäischen Vergleich bilden wir damit zwar nicht ganz Schlusslicht, aber wir liegen weit hinten. In Spanien liegt sie bei knapp 80 %, in Portugal bei 75 %, in Belgien bei mehr als 71 % und in den Niederlanden bei knapp 70 %. Und in Deutschland bei 45,5 %! Gerade bei jungen Familien und einkommensschwachen Schichten geht die Quote sogar noch zurück.

(Michael Hübner [SPD]: Also Ihrer Klientel!)

Da lag sie im Jahr 1990 noch bei 25,3 %, in 2014 lediglich noch bei 17,4 %.

Woran liegt das? – Wie Sie wissen: Bauland kostet Geld. Da könnten wir zwar das Angebot vergrößern, aber Baukostensteigerungen sind dennoch zu verzeichnen. Vor allen Dingen liegt es daran, dass die Kaufnebenkosten zu hoch sind, also das, was der Staat, was wir selbst beeinflussen können. Das betrifft nicht nur die Notargebühren; wenngleich man sicher auch darüber reden kann.

Nein, hier geht es um die Grunderwerbsteuer, deren Höhe die Bundesländer selbst festlegen. In der Regierungszeit von Rot-Grün wurde diese Grunderwerbsteuer von 3,5 % über 5 % auf 6,5 % erhöht.

(Michael Hübner [SPD]: Dann beteiligen Sie doch die Kommunen wieder, Herr Ellerbrock!)

Die Einnahmen sind infolgedessen von 1 Milliarde € auf rund 3 Milliarden € gestiegen. Für ein Haus, das 250.000 € kostet, fielen im Jahre 2010 Grunderwerbsteuerkosten …

(Zurufe von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Herr Kollege, gehen Sie doch mal zu Hause zur Toilette, schauen Sie in den Spiegel – da hört Ihnen auch jemand zu!

(Heiterkeit und Beifall von der FDP und der CDU)

Im Jahr 2010 bei 3,5 % waren es 8.700 €. Im Jahr 2014 bei 5 % waren 12.500 €, und im Jahr 2015 bei 6,5 %waren es dann schon 16.250 € Grunderwerbsteuer.

Übrigens: Ist das alles Zufall? – Nein, das ist kein Zufall. In den Niederlanden liegt die Grunderwerbsteuer bei 2 % und die Wohneigentumsquote bei knapp 70 %.

Und wir als Staat bedienen uns selber, Herr Finanzminister. Sie nehmen von den Privaten gerne die Grunderwerbsteuern ein. Wenn Portigon Grundstücke verkauft und wir im staatlichen Bereich mit unseren Gesellschaften handeln, dann befleißigen wir uns der sogenannten Share Deals, um die Grundteuer einzusparen. Den Privaten nehmen Sie es, und wir als Staat halten uns frei.

(Beifall von der FDP)

Das ist nicht richtig. Ich halte das nicht nur für nicht richtig, sondern das ist ein Skandal!

Was müssen wir tun? – Wir haben das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln damit beauftragt, zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, die Grunderwerbsteuerreform nach vorne zu bringen. Die unterschiedlichen Modelle sind durchgerechnet worden, und es hat sich gezeigt, dass ein Freibetrag für die Grunderwerbsteuer von rund 500.000 € am geeignetsten wäre, um effektiv nach vorne zu gehen.

Mit diesem Freibetrag wäre der Kauf einer Immobilie in den meisten Fällen grunderwerbsteuerfrei. Damit senken wir die nicht in die Immobilienfinanzierung einfließenden und direkt aufzubringenden Kosten erheblich. Damit geben wir jungen Menschen eine Chance, wieder Wohneigentum zu erwerben. Wohneigentum – das ist unsere tiefe Überzeugung – hat nicht nur etwas mit Eigenverantwortung und Initiative zu tun, sondern das ist ein sozialpolitisch begründeter Ansatz gegen die Altersarmut. Das ist der Grund, weswegen wir uns dafür so stark machen.

(Beifall von der FDP)

Natürlich kann man Probleme noch weiter problematisieren. Das ist am Ende einer Legislaturperiode nicht immer dienlich. Deswegen haben wir einen Antrag formuliert, der sehr allgemein gehalten ist und von dem wir uns erhoffen, dass wir mit Ihrer Zustimmung rechnen können. Dieser Antrag stellt den ersten Schritt auf einem längeren Weg dar, dass nämlich der Bund den Ländern die Kompetenz gibt, für die Grunderwerbsteuer einen Freibetrag einzuführen. Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung.

Wegen der besonderen Bedeutung der Eigentumsförderung auch im sozialpolitischen Bereich ist es notwendig, dass sich hier auch der Bund selbst engagiert. Deswegen haben wir gesagt: 3,5 % als ehemalige bundeseinheitliche Regelung ist der Maßstab. Dieser Satz wird vom Bund bei den Freibeträgen erstattet; denn für die Länder bedeutet das ja Einnahmeverluste.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist längst beendet.

Holger Ellerbrock (FDP): Danke. – Das ist ein Verlust, den die Länder hinzunehmen haben; das muss kompensiert werden. Die Länder sind im Wettbewerb gehalten, die eigene Grunderwerbsteuer zu senken, damit die Ausfälle möglichst gering bleiben.

Stimmen Sie zu! Das ist eine sozialpolitisch begründete Maßnahme. Wir lassen keine junge Familie zurück. Wir sagen Ja zur Grunderwerbsteuer mit einem Freibetrag. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Weske.

Markus Herbert Weske (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in der Vorbereitung auf diesen Tagesordnungspunkt in der Fraktion überlegt: Welcher Fachbereich soll eigentlich auf diesen FDP-Antrag reagieren – Bauen und Wohnen oder Finanzen? Ich zitiere gerne aus der Mail meiner SPD-Bauleute: Der Antrag löst lediglich eine Scheindiskussion aus, denn Eigentumserwerb für junge Familien ist entgegen der Behauptung nie leichter gewesen als heute.

(Beifall von den GRÜNEN)

Stichworte: Niedrigzinsniveau, Landesförderung – auch Eigentumserwerb ist schließlich förderfähig –, zudem Bundesförderung über KfW. Weiterhin zeigen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Bauwirtschaft, dass wir einen Boom und keine Krise haben – also ein reiner Schauantrag für die Wählerklientel, keine Sachebene.

(Zuruf von den GRÜNEN)

So weit die Bauleute.

Diese Stichworte reichen eigentlich aus; aber gerne gehe ich Ihren Antrag mit Ihnen aus finanzpolitischer Sicht noch einmal durch:

Im ersten Absatz schreiben Sie: I

„In keinem anderen Bundesland sind die Steuersätze für den Erwerb eines Eigenheims höher.“

(Ralf Witzel [FDP]: Genau! Aber in vielen niedriger!)

Sie tun so, als wäre das ein Alleinstellungsmerkmal für NRW. Sie hätten auch schreiben können: In keinem anderen Bundesland ist die Mehrwertsteuer höher als in NRW.

(Ralf Witzel [FDP]: Nein!)

Das ist auch richtig; die liegt überall bei 19 %.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ähnlich verhält es sich mit der Grunderwerbsteuer. Auch vier weitere Länder erheben 6,5 %. Nur zwei Länder – Bayern und Sachsen – nehmen die von Ihnen für so erstrebenswert gehaltenen 3,5 %. Oder genauer formuliert: In mehr als doppelt so vielen Ländern liegt die Grunderwerbsteuer bei 6,5 % statt bei 3,5 %.

(Zurufe von der FDP: Och!)

Dann weisen Sie darauf hin, dass sich die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer pro Jahr in der Zeit von 2010 bis 2016 von 1,07 Milliarden € auf fast 3 Milliarden € Jahr erhöht haben. – Damit wollen Sie den Eindruck erwecken, aufgrund sprudelnder Steuereinnahmen könnten nach der Wahl Steuern gesenkt werden.

(Ralf Witzel [FDP]: Genau so ist es!)

Die Wahrheit ist – die entsprechende Vorlage, Herr Witzel, haben Sie am 6. März dieses Jahres im Haushalts- und Finanzausschuss bekommen –,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

dass die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer

(Ralf Witzel [FDP]: Genau!)

im Januar und Februar 2017 im Vergleich zu den ersten beiden Monaten 2016 stagnieren.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Also streuen Sie den Menschen im Land keinen Sand in die Augen, und lassen Sie diese falschen Versprechungen!

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im zweiten Absatz prangern Sie dann zu Recht die Share Deals an, die Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, die Besteuerung von Wohneigentum zu umgehen. – Aber Sie ziehen die falsche Konsequenz. Die Lösung ist nicht, auch anderen die Möglichkeit zu eröffnen, weniger oder gar keine Steuern zu zahlen. Es gibt keine Gleichheit im Ungerechten.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Wir brauchen die Einnahmen, um in Bildung, die Menschen und die Infrastruktur für die Menschen zu investieren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auf der zweiten Seite Ihres Antrags lassen Sie dann allmählich die Hosen herunter und beziffern, was Sie eigentlich wollen: einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für private Ersterwerber in Höhe von 500.000 €. – Alle Achtung! Herr Ellerbrock, ein baureifes Grundstück für ein freistehendes Einfamilienhaus kostet beispielsweise in Duisburg oder in Essen in einfacher Lage laut dem Oberen Gutachterausschuss für Grundstückswerte 160 € pro m2. Sie wollen also die Steuerfreiheit für den Erwerb von bis zu 3.150 m² – mehr als ein halbes Fußballfeld –,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

um danach Ihren Palast daraufzusetzen.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Mit Verlaub, aber so etwas machen wir Sozialdemokraten nicht mit!

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wenn wir schon einmal bei den konkreten Zahlen sind, dann reden wir doch mal über die normale Situation. Eine Essener Familie beispielsweise zahlt für ein baureifes Grundstück von 250 m² in mittlerer Lage 65.000 €. Bei 6,5 % Grunderwerbsteuer kommen 4.225 € dazu.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Dann kann sich diese Familie, wenn sie denn willens ist, sich für 200.000 € ein kleines Häuschen darauf bauen.

(Ralf Witzel [FDP]: Dummes Zeug!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ellerbrock zulassen?

Markus Herbert Weske (SPD): Nein, im Moment nicht. Vielen Dank. – Dann wollen Sie uns weismachen, dass die Familie wegen der Kostensteigerung aufgrund der Grunderwerbsteuer – von 265.000 € auf 269.225 € – sagt: „Nein, das ist uns zu teuer; das lassen wir“? – Das ist doch Unsinn.

(Michael Hübner [SPD]: Genau!)

Kommen wir zu guter Letzt zu Ihrer vermeintlichen Gegenfinanzierung:

Erstens. Für 3 % der 6,5 % haben Sie überhaupt keinen Vorschlag. Gerade vor einer Wahl müssen Sie schon sagen, wo Sie die 535 Millionen € im Landeshaushalt einsparen wollen.

Zweitens. Und dann kommt der Hammer: 581 Millionen € soll der Bund übernehmen und an das Land überweisen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege.

Markus Herbert Weske (SPD): Ich komme zum Ende, vielen Dank. – Mit Verlaub, wir sind hier im Landtag Nordrhein-Westfalen. Schauen Sie nicht immer nur nach Berlin und halten die Hand auf! Wir tragen hier die Verantwortung und müssen hier die Konzepte und Lösungen erarbeiten.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Dafür steht die rot-grüne Koalition und – da Sie angesichts der Umfragen Gefühle bekommen – das wird auch so bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, wenn Sie trotz der Umfragen noch einen Moment hierbleiben würden; denn es liegt eine Kurzintervention des Kollegen Ellerbrock vor.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Weske, Sie haben sehr populistisch die Grundstückspreise in einfacher Lage dargestellt. Der allergrößte Teil der Immobilienverkäufe sind Bestandsverkäufe, bei denen das Haus mitzufinanzieren ist. Damit gerade in Verdichtungsgebieten den einkommensschwächeren Schichten die Möglichkeit erleichtert wird, Häuser zu kaufen, sind wir auf diesen Freibetrag gekommen.

Wenn Sie dem Antrag zustimmen, dann können wir uns auch darüber unterhalten, 480.000 € statt 500.000 € einzusetzen. Daran soll es nicht liegen. Nur, Ihre Taschenspielertricks, den Freibetrag lediglich auf ein riesiges Grundstück umzurechnen, sind eigentlich unwürdig.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Weske.

Markus Herbert Weske (SPD): Herr Ellerbrock – mit Verlaub –, was Sie wahrscheinlich meinen, ist doch die Situation, dass die Eltern, Mitte 50, sagen: Wir verkaufen jetzt unser Einfamilienhaus an eine junge Familie, damit die da einziehen und 20 Jahre lang ihre Kinder großziehen kann.

Sie aber wollen doch in Ihrem Antrag die Eigentumsquote erhöhen. Wenn aber die eine Familie ein Haus kauft und die andere Familie ein Haus verkauft, hat sich an der Eigentumsquote in Nordrhein-Westfalen doch überhaupt nichts geändert.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Insofern können Sie selbst feststellen, wer hier mit Taschenspielertricks arbeitet. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Weske. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Möbius.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Milchmädchenrechnung vom Kollegen Weske, die ja schon erstaunlich war, muss ich feststellen: Da wird jede Milch sauer!

(Beifall von der CDU)

Ich hätte mir gewünscht, dass vielleicht der Kollege Börschel etwas dazu gesagt hätte, der wegen der Grunderwerbsteuererhöhung

(Vereinzelt Beifall von CDU und FDP)

als finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtags­fraktion zurückgetreten ist.

Ich komme auf den Antrag der FDP-Fraktion zurück. In ihrem Antrag zur Wohnungseigentumsbildung zeigt die FDP-Fraktion auf, wie sehr sich hier in Nordrhein-Westfalen die Bedingungen zur Erlangung von Wohneigentum seit dem Jahr 2010 – also seit dem Regierungswechsel – verschlechtert haben. In keinem anderen Bundesland – das ist eben schon gesagt worden – ist die Grunderwerbsteuer höher als in Nordrhein-Westfalen. SPD und Grüne haben in zwei Schritten den Grunderwerbsteuersatz von einst 3,5 % auf nunmehr 6,5 % fast verdoppelt.

Die Erhöhung trifft vor allem diejenigen, die besonders auf die Bildung von Wohneigentum angewiesen sind, nämlich die jungen Familien mit mittlerem und geringerem Einkommen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist sowas von realitätsfremd!)

– Genau diese Gruppe sieht sich finanziell in der Klemme zwischen steigenden Miet- und Immobilienpreisen, Herr Kollege Zimkeit, den vor allem in den Ballungsgebieten beschränkten Möglichkeiten zur Eigenkapitalbildung und der Sorge vor drohender Altersarmut.

Die Grunderwerbsteuer ist ein lebendiges Beispiel dafür, dass Rot-Grün nach außen immer schön auf sozial macht, in der Praxis aber nichts anderes im Schilde führt, als den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Stefan Zimkeit [SPD]: Kitagebühren!)

Es handelt sich um ein weiteres Beispiel dafür, dass diese Regierung links blinkt und tatsächlich rechts überholt. Weitere Beispiele haben wir ja in der gestrigen Debatte gehört.

(Michael Hübner [SPD]: Haben wir! Richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer im Landeshaushalt haben sich seit 2010 – das ist eben schon gesagt worden – auf 3 Milliarden € fast verdreifacht.

Geschont werden allerdings große Firmen und internationale Investmentfonds, die sich durch die sogenannten Share Deals der Grunderwerbsteuerpflicht mit einem indirekten Immobilienerwerb entziehen können. Normale Immobilienerwerber – insbesondere junge Familien, die sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen wollen – können von dieser Möglichkeit der Steuerersparnis keinen Gebrauch machen. Sie sind durch die rot-grüne Rekordsteuer gleich doppelt getroffen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es liegt eine Frage des Kollegen Zimkeit vor.

Christian Möbius (CDU): Ich möchte jetzt im Kontext vortragen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Oh, wie schade!)

Sie sind also doppelt getroffen, und zwar zum einen, weil sie die höhere Grunderwerbsteuer zahlen müssen, und zum anderen, weil von den Kreditinstituten gefordert wird, dass die Erwerbsnebenkosten – nämlich Notar- und Gerichtskosten, aber eben auch die Grunderwerbsteuer – aus vorhandenem Eigenkapital zu bestreiten sind.

Schaut man sich die Zahlen einmal genauer an, fällt auf, dass sich vor einigen Jahren noch mehr als 25 % der einkommensschwächeren Haushalte ein Eigenheim leisten konnten. Mittlerweile sind es nur noch 17 %. Das ist ein Hinweis darauf, wie unsozial Ihre Politik in diesem Lande ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Eigentlich hätte das niedrige Zinsniveau dazu führen müssen, dass sich der Eigentumserwerb deutlich ausweitet. Das Gegenteil aber ist der Fall. Hinzu kommt noch, dass die rot-grüne Landesregierung die Förderung der Eigentumsbildung gegenüber dem Jahr 2003 um rund 97 % gekürzt hat.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Würden Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen ...?

Christian Möbius (CDU): Ich möchte die Rede im Zusammenhang vortragen, werter Herr Präsident.

(Zurufe)

Im Jahr 2016 standen – im Vergleich zu den 567 Millionen € unter der CDU-geführten Landesregierung im Jahr 2010 – nur noch 24 Millionen € zur Verfügung. Deutlich gekürzte Eigentumsförderung und stattdessen massive Erhöhung der Grunderwerbsteuer: So sieht soziale Politik von SPD und Grünen in Wirklichkeit aus.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Die Partei der Kitagebühren!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Wohnungseigentumsquote deutlich erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die CDU-Fraktion eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet, um insbesondere kleine und mittlere Einkommen in diesem Bereich zu fördern. So soll die soziale Wohnraumförderung zu einem größeren Anteil für die Eigentumsförderung genutzt werden. Familien – insbesondere Mehrkindfamilien – sollen Tilgungsnachlässe erhalten. Ferner soll ein Grunderwerbsteuerfreibetrag geschaffen werden, der den steuerfreien Erwerb eines selbstgenutzten Eigentums zum durchschnittlichen Wert eines Einfamilienhauses ermöglicht. Schließlich wollen wir Familien mit einem Baukindergeld finanziell unter die Arme greifen.

Der Antrag der FDP zielt darauf, einen Grunderwerbsteuefreibetrag einzuführen. Die Gegenfinanzierung für den entstehenden Steuerausfall – immerhin rund 600 Millionen € – soll dann der Bund kompensieren. Dies halten wir für keinen gangbaren Weg. Die FDP verfällt hier leider dem rot-grünen Duktus, ständig nach Geldern aus Berlin zu rufen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit!

Christian Möbius (CDU): Wir dagegen schlagen einen anderen Weg vor. Wir wollen die Share Deals abschaffen. Wir wollen dieses Steuerschlupfloch schließen und die so erzielbaren zusätzlichen Steuereinnahmen aus den großen Immobilientransaktionen nutzen, um unser Modell zu finanzieren. Das ist soziale Politik, das ist soziale Verantwortung. Und damit kommen wir sozialer Gerechtigkeit näher. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Möbius, das bringen auch nur Sie zustande: in Berlin zwölf Jahre in der Bundesregierung zu sein und uns hier zu erzählen, was man bundespolitisch an rechtlichen Veränderungen herbeiführen sollte.

Bei den Share Deals stimmen wir Ihnen ja durchaus zu. Sie sind der einzige Punkt, den ich in dem FDP-Antrag richtig und sinnvoll finde. Leider haben Sie es dann noch nicht mal im Beschlusstext aufgeführt. Sonst hätte man sich ja überlegen können, ob man von den vier oder fünf Forderungen wenigstens einer zustimmt. Es ist richtig, bei den Share Deals muss es eine Änderung geben.

Mein Wissensstand ist – ich vermute, dass der Finanzminister uns das gleich noch erklären wird –, dass sich eine Länderarbeitsgruppe unter Federführung von Hessen und Nordrhein-Westfalen gebildet hat, um genau an dieser Stelle zu rechtlichen Veränderungen zu kommen und sie dem Bundesgesetzgeber vorzuschlagen. Das ist richtig.

Sich aber als Vertreter der CDU – die nun seit über einer Dekade im Bund regiert – hierhinzu stellen und zu fordern, hier müsse man mal gesetzliche Änderungen herbeiführen, das ist schon ein bemerkenswertes Stück aus dem Tollhaus. Damit signalisieren Sie den Leuten: Wir haben eigentlich nichts zu sagen, aber eigentlich – wie auch immer! Also, lieber Herr Kollege Möbius, das war jetzt wirklich voll danebengegriffen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich komme nun zur grundsätzlichen Situation. Das jetzige Zinsniveau – das hat der Kollege Weske vorhin auch gesagt – ist sehr niedrig. Noch nie war der Erwerb von Eigentum so günstig wie heutzutage. Und viele Menschen machen ja auch Gebrauch davon.

Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Das ist nicht von der Hans-Böckler-Stiftung oder von der Heinrich-Böll-Stiftung, sondern vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Dabei geht es um die Erwerbsquote bei Wohneigentum in den letzten Jahren. Ich zeige das – hoffentlich mit Erlaubnis des Präsidenten – jetzt einmal.

(Der Redner hebt ein Manuskript in die Höhe.)

Wenn man sich den Kurvenverlauf in den letzten Jahren anschaut, sieht man, dass die Quote eher leicht ansteigend ist. Auf jeden Fall ist sie nicht abfallend.

(Holger Ellerbrock [FDP] nickt.)

– Kollege Ellerbrock nickt sogar. Dann wissen Sie es ja auch. Ihre Behauptung, wir hätten ein so massives Problem beim Erwerb von Wohneigentum, dass wir jetzt die Grunderwerbsteuer senken müssten, stellen wir eindeutig infrage.

Vonseiten der FDP beantworten Sie auch nicht die Frage, wie eine solche Senkung kompensiert werden soll. Die Grunderwerbsteuer ist eine der wenigen Steuern, die die Länder überhaupt erheben können. Da wird dann auf den Bund verwiesen.

Wir haben diese beiden Erhöhungsschritte doch nicht gemacht, um Leute zu drangsalieren. Als wir 2010 die Landesregierung übernommen haben, war die Neuverschuldung die höchste, die das Land Nordrhein-Westfalen je hatte. Wir lagen bei fast 7 Milliarden € zusätzlicher jährlicher Neuverschuldung. In den letzten Jahren haben wir sie heruntergeführt. Da die Grunderwerbsteuer eine der wenigen Möglichkeiten ist, den Landeshaushalt überhaupt ein wenig anzureichern, haben wir diese beiden Erhöhungsschritte gemacht. Diesen Teil der Wahrheit sollten Sie dann auch entsprechend erwähnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der Zahl der Baugenehmigungen für Wohneigentum in Nordrhein-Westfalen gibt es in den letzten 15 Jahren keinen signifikanten Unterschied. Sie liegt immer bei knapp 20.000 gebauten neuen Eigentumshäusern in Nordrhein-Westfalen; mal sind es 17.000; mal sind es 19.000. Es sind immer knapp unter 20.000. Zu sagen, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer habe dazu geführt, dass Menschen keine Eigentumshäuser mehr bauten, ist also faktisch einfach falsch, lieber Kollege Ellerbrock.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schemmer zu?

Arndt Klocke (GRÜNE): Ja, lasse ich zu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Kollege Schemmer.

Bernhard Schemmer (CDU): Herr Klocke, Sie erzählen uns gerade, wie viel Eigentum erworben wird.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Auch gebaut wird!)

– Gebaut und erworben wird. – Das mag für einen besserverdienenden Teil in Nordrhein-Westfalen durchaus auch gelten.

(Marc Herter [SPD]: Was ist das denn?)

Für die Normalverdiener in Nordrhein-Westfalen, die eigentlich auf öffentliche Förderung angewiesen sind, sowohl im Eigentumsbereich als auch im Mietwohnungsbereich, haben Sie aber die Eigentumsförderung sowohl gegenüber den rot-grünen Zahlen von 2004 als auch gegenüber den schwarz-gelben Zahlen von 2009 um 97 % reduziert – nicht auf 97 %, sondern um 97 %. Das bedeutet: Wir haben gerade noch 2,5 % der Eigentumsförderung, die wir vor sieben, aber auch vor zwölf Jahren hatten.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Und trotzdem gleichbleibende Bauleistungen!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Jetzt die Frage, bitte.

Bernhard Schemmer (CDU): Also noch einmal: Was wollen Sie tun, damit auch der Normalverdiener in der Lage ist, unter den von Ihnen verteuerten Rahmenbedingungen Grund zu erwerben und Eigentum für sich selber zu schaffen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer.

Arndt Klocke (GRÜNE): Lieber Kollege Schemmer, diese Debatte haben wir ja schon im Ausschuss geführt. Die Eigenheimzulage hat die Bundesregierung 2006 unter CDU-Führung abgeschafft. Das waren nicht die Grünen, und das war auch keine rot-grüne Regierung.

(Bernhard Schemmer [CDU]: Ich habe überhaupt nicht über die Eigenheimzulage gesprochen!)

Auf Bundesebene wird ja derzeit überlegt, ob man zum Beispiel so etwas wie ein Kinderdarlehen oder Tilgungsnachlässe für kinderreiche Familien einführt. Entsprechende Vorschläge werden gerade von Bundesbauministerin Hendricks erarbeitet. Da können wir als Bundesland schauen, ob es vonseiten der Bundesregierung solche Vorschläge gibt. Es ist auch keine Aufgabe des Landes, das einzuführen. Vielmehr ist das die Aufgabe des Bundes.

Um es aber noch einmal zu betonen: Die Eigenheimzulage ist in Ihrer Regierungszeit abgeschafft worden. Wir finden das grundsätzlich inhaltlich richtig. Aber das haben Sie als CDU zu verantworten.

Und jetzt werfen Sie mir in Ihrer Frage vor, dass wir die Rahmenbedingungen verteuert hätten? Was Sie da sagen, ist doch grundfalsch!

(Beifall von den GRÜNEN – Bernhard Schemmer [CDU]: In NRW! Davon reden wir!)

– Nein, wir reden über die Grunderwerbsteuer. Ich habe eben begründet, warum wir die Grunderwerbsteuer heraufgesetzt haben, nämlich um Möglichkeiten für Einnahmesteigerungen des Landes zu gewährleisten. Das ist in den letzten Jahren erfolgt. Aber es hat eben nicht zu dem geführt, Herr Schemmer, wovon Sie sprechen.

(Britta Altenkamp [SPD]: Herr Schemmer hat etwas im Kopf? Interessant!)

Herr Schemmer, was Sie eigentlich im Kopf haben – und das ist auch der grundsätzliche Unterschied zwischen der Regierungskoalition und der Opposition, jedenfalls der CDU –: Sie wollen wieder im ländlichen Raum auf der grünen Wiese Bauflächen ausweisen, damit die Leute dort Eigenheime bauen. Damit werden die Leute aber hinter die Fichte geführt; denn die Eigenheime, die dort entstehen, haben in 20, 30 Jahren überhaupt keinen Wert mehr. Unterhalten Sie sich doch einmal mit Vertretern der Immobilienwirtschaft. Wir haben einen großen Drang in die Metropolen und in die Städte. Das wird sich in den nächsten 30, 40 Jahren nicht ändern.

Wenn wir heute den Menschen im ländlichen Raum wieder raten – im Münsterland oder in Ostwestfalen –, auf der grünen Wiese ein Eigenheim zu bauen, dann erreichen wir damit doch überhaupt nicht das, für das Sie immer zu kämpfen vorgeben, nämlich eine Anlage in Betongold, damit die Leute eine vernünftige Altersvorsorge haben. Diese Eigenheime im ländlichen Raum haben nämlich überhaupt keinen Wert. Schon heute haben die Leute kaum eine Chance, ein Haus in Ostwestfalen oder im Münsterland zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen. In 30, 40 Jahren wird das noch schlimmer sein.

Sagen Sie den Menschen also bitte die Wahrheit. Das ist keine Geldanlage. Es ist auch keine Altersvorsorge, die hier angespart wird.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Das war die Beantwortung der Frage.

Arndt Klocke (GRÜNE): Jetzt sehe ich gerade, dass meine Redezeit auch zu Ende ist.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ja, die Redezeit ist jetzt um. Es liegt aber eine Kurzintervention vor. Das heißt, dass Sie danach noch weitersprechen können.

Arndt Klocke (GRÜNE): Dann warte ich die Kurzintervention einmal ab.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Gut. – Es liegt eine Kurzintervention von Herrn Witzel vor.

Arndt Klocke (GRÜNE): Dass ich zu dieser Ehre komme, ist schön.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Klocke, das liegt natürlich an Ihren Ausführungen, die an unterschiedlichen Stellen wenig sachkundig waren.

(Arndt Klocke [GRÜNE]: Ach so! Na ja; Sie sind ja der Spezialist für Sachkunde! Ich habe in den sieben Jahren ja erlebt, dass Sie bei Sachkunde immer ganz oben stehen! – Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

– Weil das genau so ist, weise ich Sie darauf hin, dass Ihre Ausführungen zu den finanzpolitischen Zielen völlig unzutreffend sind. Sie haben bei der letzten Stufe der Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 5 % auf 6,5 % kommuniziert, Sie bräuchten 400 Millionen € für den Landeshaushalt.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist wieder mal gelogen, Herr Witzel! Lesen Sie doch mal die Wortprotokolle, die Sie immer beantragen!)

Diese Mehreinnahme von 400 Millionen € im Vergleich zu der früheren Situation würden Sie heute erzielen, wenn Sie im Jahr 2017 auf die letzte Erhöhung um 1,5 % verzichteten. Das heißt: Sie könnten die Hälfte Ihrer Beinahe-Verdopplung sofort rückgängig machen und würden die von Ihnen artikulierten finanzpolitischen Ziele durch die laufenden Steuereinnahmen trotzdem erreichen – es sei denn, Sie wollten uns hier erzählen, dass Steuererhöhungen für die Grünen ein Selbstzweck und damit schon ein Wert an sich sind.

Bei der Frage der Zinsen handelt es sich ökonomisch um zwei Seiten einer Medaille. Genauso, wie Sie für die Kreditaufnahme weniger zahlen müssen, brauchen Sie natürlich auch länger für das Ansparen, wenn es keine Habenzinsen mehr gibt. Insofern ändert sich da unter dem Strich gar nichts – es sei denn, dass Sie an große Erbschaften denken, die direkt für den Immobilienerwerb verwendet werden. Ansonsten besteht eine Proportionalität zwischen Haben- und Sollzinsen; sie entwickeln sich immer entsprechend.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Witzel. – Bitte schön, Herr Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Witzel, für Grüne sind Steuereinnahmen nie Selbstzweck, auch wenn Ihr Spitzenkandidat das in seinen wolkigen Wahlkampfreden gerne behauptet.

Ich würde gerne zusammenfassend zu Ihrem Antrag Folgendes sagen: Wir werden ihn ablehnen. Allerdings enthält der Antrag zwei Punkte, die es wert sind, weiter diskutiert zu werden.

Der erste Punkt sind die Share Deals. Das habe ich schon erwähnt.

Der zweite Punkt ist die Frage der Erwerbsnebenkosten. Herr Ellerbrock hatte in seiner Rede eben einen Schlenker drin, den ich es wert finde, weiterzuführen; es geht um Notarkosten und andere Nebenkosten. Wer heute Wohneigentum erwerben will, ist mit einer Vielzahl von Nebenkosten konfrontiert. Darüber sollten wir grundsätzlich einmal reden und schauen, wie man sie reduzieren kann. Dann wird es wahrscheinlich noch mehr Leute geben, die in Wohneigentum investieren.

Der Antrag, den Sie stellen, springt zu kurz.

(Zuruf)

– Ja, er springt noch nicht einmal. Er soll dem Landesgesetzgeber etwas auftragen. Wenn Sie das, was Sie fordern, durchsetzen wollen, müssten Sie sich an den Bundesgesetzgeber richten, weil man für die Einführung von Freibeträgen eine Änderung des Art. 105 hinbekommen müsste. Der Landesgesetzgeber kann das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, gar nicht eigenständig durchsetzen, sondern Sie könnten uns höchstens beauftragen, eine Bundesratsinitiative zu machen. – So viel zur Sachkunde,

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit.

Arndt Klocke (GRÜNE): Wer ist eigentlich der Adressat von solchen Anträgen, das Land oder der Bund? Hier ist es der Bund. Es wäre sinnvoll gewesen, das im Antrag zu berücksichtigen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die Fraktion der Piraten spricht der Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie dürfen ja gerne ein bisschen lästern. Ich bin ja schon froh, dass Sie wieder nüchtern sind.

(Beifall von den PIRATEN – Heiterkeit)

Im Ernst: Um diese Uhrzeit kann die Würde des Hauses schon verletzt werden, wenn man einen Kapuzenpulli anzieht oder wenn man irgendwie Bilder nach außen trägt. Nach 19 Uhr riecht die Würde des Hauses leider nach Alkohol. Ich muss sagen: Ich bin für 0,0 Promille im Plenum und während der Plenartage. Das wäre mal schön.

(Zurufe von der SPD und den Grünen)

– Frau Beer, Sie schütteln den Kopf. Aber gucken Sie sich die Sachen von gestern Abend einmal an. Dann können Sie sich für die grüne Fraktion entweder persönlich bei mir entschuldigen, oder Sie ziehen Ihr Fairnessabkommen zurück, das ja eh nur PR ist; denn sonst wird es peinlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich weiß, wovon ich rede. Sie waren eben gestern nicht im Plenum.

Aber jetzt komme ich zum Antrag, apropos Fairness. Ich werde auch länger reden als Herr Rasche gestern. Das ist ja ein Wahlkampfantrag, der die Idee transportieren will, dass Menschen mit weniger Einkommen und weniger Vermögen der Zugang zu Immobilieneigentum erleichtert werden kann. Das ist erst einmal nicht unsympathisch.

Dafür soll aber über eine gestaffelte Struktur der Grunderwerbsteuer nachgedacht werden, und der Bund soll an den Mindereinnahmen beteiligt werden. Das ist erst einmal nett gedacht, aber es soll, wie eben schon bemerkt wurde – vielleicht spielt auch die Abwesenheit der FDP im Bund eine Rolle –, laut Antrag besonders schlimm sein, dass landeseigene Betriebe geltendes Recht für sich beanspruchen.

Noch schlimmer ist aus meiner Sicht, dass die FDP dies als Moralkeule gegen die rot-grüne Landesregierung schwingt. Denn dieses Steuerschlupfloch des Bundes ist ja seit Jahren bekannt und wurde hier im Haus in der Enquetekommission „Wohnungswirtschaftlicher Wandel“ thematisiert, sogar sehr breit behandelt. Sämtliche Parteien, die in den letzten Jahren in Berlin an der Regierung beteiligt waren, inklusive der FDP – also eigentlich alle außer den Piraten –, wissen um die Existenz dieses Steuerschlupflochs und tun seither nichts zu seiner Beseitigung.

Zugegeben, das ist keine einfache Aufgabe, weil Share-Deals nun mal keine Asset-Deals sind. Es mag sein, dass man an größeren Rädern drehen muss, aber daran hat die FDP, zumindest was diesen Antrag betrifft, kein Interesse. Sie macht es sich ganz billig, indem sie Bundesrecht gegen Landesrecht ausspielt.

Sie setzt noch einen drauf, indem sie den Antrag zum Anwalt des kleinen Mannes aufbauscht. Da wird der Umstand des zurückgehenden Immobilienbesitzes in den unteren Einkommensklassen mir nichts, dir nichts zum Ergebnis der Nebenkosten gemacht. Nun, sämtliche Regierungen der letzten Dekaden haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die unteren Einkommensgruppen relativ oder sogar absolut abgehängt wurden. Noch nie war da so wenig Vermögen vorhanden, und noch nie wurde dort so wenig Einkommen erzielt. Daran ist die FDP zu einem guten Stück selbst schuld.

Ich sage deutlich: Nicht der Immobilienbesitz darf die Bedingung für ein auskömmliches Ruhegeld sein, sondern die Rente hat das zu leisten. Das muss klar sein.

Nicht erst seit Schröder oder später Müntefering, sondern schon seit Kohl und den vielen längst vergessenen FDP-Ministern ist keiner Bundesregierung etwas anderes eingefallen, als das Rentenniveau immer wieder zu senken. Und jetzt kommen Sie daher und wollen uns Ihr Märchen verkaufen, dass mit einer Senkung der Grunderwerbsteuer von 6,5 auf 3,5 % das Problem der sozialen Ungleichheit, der Skandal der fortschreitenden Marginalisierung von größer werdenden Teilen der Gesellschaft und auch die Altersarmut zu beheben seien. Das ist an der Stelle sehr dreist. Da zweifele ich sogar die Wirtschaftskompetenz der FDP an. Was heißt „sogar“? Das machen wir öfter, aber an dieser Stelle besonders.

Es gibt ja einen engen Zusammenhang zwischen Zinsen und Preisen: je niedriger die Zinsen, desto höher die Preise. Gerade im Immobilienmarkt ist das evident und führt zu den steigenden Preisen, die viele Menschen einfach vom Erwerb ausschließen, und zwar trotz der niedrigen Zinsen.

Ich mache es kurz, kurz wie Rasche sozusagen: Der Antrag ist in der Praxis weder umsetzbar noch in seiner eigenen Filter Bubble logisch. Es ist an der Stelle ein Fehler, deshalb die Ablehnung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man hat den Eindruck, bei der FDP ist Vorwahlkampfhausputz. Da versucht man, alle Themen herauszuhauen, mit denen man irgendwo noch einmal auf die Pauke hauen kann.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist doch okay!)

– Natürlich ist das okay, aber man merkt das. Gestern war ja hier auch von mangelnder Sorgfalt die Rede, oder Herr Witzel weist bei anderen schon mal auf mangelnde Sachkenntnis hin. Wenn man sich den Antrag anguckt, dann sieht man, dass er schon ziemlich zusammengeschustert ist.

Einmal schreibt man mit Copy-and-paste im ersten Absatz offenbar dasselbe wie auf einer Seite weiter, etwa was die Fast-Verdoppelung des Grunderwerbsteuersatzes angeht. Man redet darüber, dass man eine Verdreifachung der Einnahmen hat, Das kann bei einer Steigerung von 3,5 auf 6,5 % ja nur mit der Menge der Grunderwerbe zu tun haben.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Herr Witzel, Sie sagen regelmäßig, damit sei der Steuerzahler noch mehr belastet worden, als man zunächst gedacht hätte.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie haben doch genug!)

Es ist schlicht ein Mengenthema. Das hat ganz offenbar die Grunderwerbsteuer, die Menge der verkauften Immobilien und vor allen Dingen die damit verbundenen Preise nicht erhöht, es hatte zumindest keinen Einfluss darauf.

(Ralf Witzel [FDP]: Dann haben Sie doch genug!)

Wenn wir uns das Zweite anschauen, stellen wir fest, dass Herr Ellerbrock beispielsweise ganz am Rand erwähnt hat, dass die Nebenkosten auch aus Notargebühren bestehen. Das ist nicht unbedingt das Thema, über das die FDP gerne redet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Moment, das wurde doch angesprochen!)

– Ja, Sie haben es in einem Nebensatz angesprochen. Sie reden auch nicht so gerne darüber, dass eine Belastung vor allen Dingen darin besteht, dass in der Niedrigzinsphase – es ist gerade schon erwähnt worden – Immobilienverkäufer natürlich enorme Preissteigerungen realisieren konnten.

Dann kommen Sie regelmäßig auf die Idee, dass man, wenn sich diejenigen, die verkaufen, eine wirtschaftliche Situation zunutze machen und wenn die Preise steigen, bitte schön die steuerliche Belastung senken soll. Das ist dasselbe wie Ihre Forderung, die Mineralölsteuer sinken muss, wenn die Mineralölkonzerne die Preise nach oben treiben.

(Ralph Bombis [FDP]: Es wäre schon okay gewesen, wenn Sie sie nicht erhöht hätten!)

Nebenbei kommen Sie auf die Idee, man könne jetzt einen Freibetrag auf die Grunderwerbsteuer einführen. Das zeigt im Übrigen auch die Sorgfalt dieses Antrags; denn hinten steht plötzlich ein Freibetrag auf die Grundsteuer.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Egal, Hauptsache Freibetrag!)

Kurz darauf heißt es noch mal „Grundsteuerfreibetrag“. Man hätte das ein bisschen genauer durchlesen und überlegen können: „Was will man denn eigentlich beantragen?“, selbst wenn man einen Schnellschuss abgeben will.

Ganz nebenbei wollen Sie auf ein paar Hundert Millionen Euro verzichten. Das passt sehr gut in Ihre Überlegungen, Steuern zu senken, weil die Quellen sprudeln und man keine Gegenfinanzierung braucht. Wenn die so gern auf Bundesebene versprochene Senkung in Höhe von 15 Milliarden € durchkäme, wäre das allein für die nordrhein-westfälischen Kommunen eine Mindereinnahme von 750 Millionen €. Wozu würde die wohl führen? Sie würde dazu führen, dass die Grundsteuerhebesätze noch einmal nach oben angepasst werden und dass am Ende die Menschen zahlen müssen, von denen Sie sagen, Sie wollten sie entlasten.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Ihr Verständnis von Sozialpolitik durch Steuern hält keiner tieferen Analyse stand.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

In der Sozialpolitik sagen Sie: Wir lassen keine junge Familie zurück und wollen deswegen einen Freibetrag von 500.000 €. – Wer das hört, der weiß, welche Vorstellungen Sie von sozialpolitisch bedrängten jungen Familien haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben es mit einer Steuer zu tun, die nicht auf 6,5 % erhöht worden ist, weil man gesagt hat: Wie weit müssen wir erhöhen, damit wir 400 Millionen € mehr einnehmen? – Das ist doch Unsinn, Herr Witzel. Damit laufen Sie schon seit über einem Jahr herum.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Gesagt worden ist, dass wir bei einer Erhöhung von 6 % auf 6,5 % damit rechnen – das ist konservativ gerechnet –, dass es 400 Millionen € mehr gibt.

(Ralf Witzel [FDP]: Ja!)

Das war der Punkt. Aber jetzt davon zu reden, dass wir, wenn mehr Menschen noch mehr und noch teurere Immobilien kaufen, die Steuerbelastung erhöht hätten, ist eine Rechenwelt, in der Sie gut zu Hause sind; das weiß ich. Aber dieser Punkt hat mit einer seriösen Auseinandersetzung nichts zu tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Erstens. Viele Belastungen, die die Grunderwerbsteuer mit sich bringt, werden gerade über die Förderung im sozialen Wohnungsbau ausgeglichen.

Zweitens. Ungerechtigkeiten, weil sich Unternehmen eine Konstruktionen zunutze machen können, die nicht in Ordnung ist, ändert man nicht, indem man den Freibetrag auf Einfamilienhäuser oder Immobilien im Wert von bis zu 500.000 € erstreckt, sondern dann ändert man die Share-Deals.

(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD])

Dazu steht in dem Antrag nichts. Es ist zwar schön in der Prosa beschrieben, aber im Auftrag steht dazu nichts. Das brauchen Sie auch nicht; denn das machen Hessen und Nordrhein-Westfalen schon gemeinsam. Wir sind auf einem guten Weg, auch mit viel Unterstützung von anderer Stelle. Es geht darum, dass genau dieses Treiben unterbunden werden muss.

Rufen Sie nicht immer dazwischen: Das machen wir doch auch. – Das machen wir nicht. Das machen Unternehmen, auch wenn sie im Landeseigentum sind.

(Ralf Witzel [FDP]: Sie sind doch Eigentümer!)

– Das ändert man nicht, indem die Landesregierung sagt, dass ein Unternehmen bitte im Management steuerliche Möglichkeiten nicht nutzen soll, sondern das ändert man, indem man im Bundesrat für eine gesetzliche Regelung sorgt, die es allen untersagt. Und das werden wir tun.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In dem Antrag stehen viele Dinge, die im Grunde genommen statistische Tatsachen beschreiben. Aber das führt uns in dieser Debatte nicht weiter, da müssen wir an anderen Punkten ansetzen. Deswegen bringt uns dieser Antrag, ehrlich gesagt, nicht weiter.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. So verfahren wir. Wir stimmen ab über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14388. Wer ist für den Antrag? – Die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion sowie die beiden fraktionslosen Kollegen Schwerd und Stüttgen. Wer enthält sich der Stimme? – Es gibt keine Enthaltung. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/14388 mit großer Mehrheit abgelehnt wurde.

Ich rufe auf:

4  Lehren aus der Legislaturperiode ziehen: Der Landtag muss Grundpfeiler einer effektiven Breitbandpolitik setzen

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14381

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14527

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Piratenfraktion Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort. Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir befinden uns in der Endphase der Legislaturperiode. Das ist eine gute Zeit, um ein Fazit zu ziehen und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Es hat kaum eine Plenarsitzung und kaum eine Wirtschaftsausschusssitzung in den letzten drei Jahren gegeben, die den Breitbandausbau nicht zum Inhalt hatten. Egal, ob politischer Antrag, Aktuelle Stunde, Haushaltsantrag oder Berichtswunsch im Ausschuss – das schnelle Internet war Ziel vieler parlamentarischer Initiativen.

Wir Piraten, aber auch die Kollegen von CDU und FDP haben es der Landesregierung nicht leicht gemacht, haben kritisch nachgefragt und immer wieder auf mehr Engagement, auf mehr Tempo gepocht. Das zeichnet eine gute Oppositionsarbeit auch aus.

Und unsere Debatten haben sich gelohnt. Auch wir Piraten haben dazugelernt und unsere Anträge weiterentwickelt, haben vor Vectoring gewarnt und echte Glasfasernetze eingefordert.

Inzwischen hat sich auch die Landesregierung zu einem Glasfaserziel bekannt, und das ist gut so. Dennoch: Die grundlegenden Herausforderungen des Breitbandbaus in Nordrhein-Westfalen sind noch immer nicht bewältigt. Sie sind im Grunde die gleichen wie zu Anfang der Legislaturperiode.

Zum einen gibt es immer noch die digitale Spaltung, also viel langsamere Netze auf dem Land als in der Stadt. Damit werden Regionen von der Digitalisierung abgehängt und damit auch von wirtschaftlichen und sozialen Teilhabechancen der modernen Wissensgesellschaft ausgeschlossen.

Zum anderen sind die sehr schnellen Gigabit-Anschlüsse für neun von zehn Haushalte, für die meisten Schulen und Unternehmen bis jetzt die absolute Ausnahme. Daran ändern leider auch die am Dienstag veröffentlichten Ausbauzahlen nichts.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und Eckpfeiler einer effektiven und ehrlichen Breitbandpolitik für die Zukunft setzen. Nur so kann der Landtag sicherstellen, dass die grundlegenden Herausforderungen auch wirklich angepackt und bewältigt werden.

Wichtig ist erstens, dass die Förderung und Regulierung auf Glasfasernetze bis ins Haus setzt. Dieses Infrastrukturziel hat sich in Brüssel noch nicht durchgesetzt und bedarf daher unser aller politischen Unterstützung.

Zweitens müssen wir von politischen Sonntagsreden wegkommen und stattdessen realistische Ziele und auch Instrumente benennen. Das geht nur, indem Zwischenziele gesetzt und überprüft werden.

Ein Beispiel: Das Ziel auszugeben, bis ins Jahr 2026 ein flächendeckendes Glasfasernetz haben zu wollen, ist das eine. Dann muss man aber auch von 25 % Versorgungsgrad im Jahr 2019 und 50 % Versorgungsgrad im Jahr 2020/21 sprechen und diese Ziele zunächst anvisieren. Da fängt das Problem an: Wie ist es möglich, innerhalb von zwei Jahren von 7 auf 25 % zu springen? Das geht nicht. Sie sehen: Zwischenziele machen eine realistische Betrachtung überhaupt erst möglich.

Drittens muss die Versorgung mit schnellem Internet als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge definiert werden, da sie einen wichtigen Baustein für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse darstellt. Anders werden vor Ort, in den Kommunen keine flächendeckenden Netze ausgerollt werden können, ist unsere Überzeugung.

Viertens brauchen die lokalen Akteure – egal ob Stadtwerke, Unternehmen oder Bürgernetze –, die Glasfaser bis in die Wohnungen bringen wollen, noch viel, viel mehr politische Unterstützung. Es muss Schluss sein mit dem Rosinenpicken gewisser Unternehmen, die mit dem Ausbau von Vectoring im Ortskern nachhaltige Glasfaserprojekte unwirtschaftlich machen.

(Beifall von den PIRATEN und Ralph Bombis [FDP])

Meine Damen und Herren, im Gigabit-Zeitalter können wir uns ein reines Durchwursteln nicht leisten. Lassen Sie uns gemeinsam Eckpfeiler einer effektiven Politik setzen, die einen echten Durchbruch im Breitbandausbau bewirken können.

Zum Entschließungsantrag der Union muss ich leider sagen, dass wir ihn ablehnen werden. Dort ist von Fördergutscheinen für Unternehmen die Rede. Das erinnert ein bisschen an Lebensmittelgutscheine nach dem Krieg. Das korrespondiert auch ein bisschen mit dem, was in Zeile 2362 des Wahlprogramms der Union steht. Darin stellt man sich nämlich vor, dass die Studenten demnächst am Eingang der Universität eine einheitliche Matrikelnummer aus dem Automaten ziehen. Das kann nicht die digitale Zukunft sein.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Er stellt ein Resümee und einen Ausblick in die Zukunft dar. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Paul, zunächst vielen Dank dafür, dass Sie das Thema heute wieder einmal auf die Tagesordnung haben setzen lassen. Dann können wir darüber sprechen, wo wir heute stehen; denn ganz aktuell liegen ja Zahlen aus dem Dobrindt-Ministerium vor, wie der Ausbaustand aller Haushalte mit 50 MBit und mehr in Deutschland ist. Nach diesen aktuellen Zahlen hat NRW seinen Spitzenplatz weiter ausgebbaut, hat eine Ausbaurate von 82,2 %. Damit liegen wir auf Platz eins aller Flächenländer Deutschlands.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Bayern – von der CDU sind jetzt gar nicht mehr so viele Abgeordnete da; die CDU hat ja eine Zeitlang immer wieder Anträge zu diesem Thema gestellt –, das immer als vermeintlicher Musterschüler genannt wurde, liegt mit 72 % Ausbaurate abgeschlagen auf Platz acht.

(Michael Hübner [SPD]: Ach, auf einmal? – Hans-Peter Müller [SPD]: Das glaube ich!)

Sie sehen, die Breitbandstrategie der nordrhein-westfälischen Landesregierung ist erfolgreich; das haben wir Ihnen vor ein paar Monaten schon gesagt. Jetzt sehen Sie es schwarz auf weiß.

Ich erinnere mich, wie Herr Wüst von der CDU – er ist gerade nicht da –

(Michael Hübner [SPD]: Nicht gerade!)

hier stand und sich, nachdem die Zahlen für NRW schon gut waren, etwas Neues ausgedacht hat. Er hat dann immer von der Ausbaudynamik gesprochen; die Ausbaudynamik sei in Bayern viel besser. Man gewann manchmal den Eindruck, Herr Wüst habe einen weiteren Nebenjob – Pressesprecher der bayerischen Staatsregierung –, so, wie er diese Ausbaudynamik anpries.

(Michael Hübner [SPD]: Nein, er hat einen anderen: Er verteilt Zeitungen!)

Wenn wir die Ausbaudynamik sehen, stellen wir fest, dass Bayern mit plus drei zu bewerten ist und Nordrhein-Westfalen mit plus fünf auch dort weit vorn liegt. Betrachten wir aber den Bundesschnitt, liegt Nordrhein-Westfalen sogar darüber. Das ist besonders bemerkenswert, weil der Aufwand für den Ausbau, wenn man schon relativ hohe Ausbauraten hat, besonders hoch und teuer ist.

Meine Damen und Herren, diesen Spitzenplatz hat Nordrhein-Westfalen nicht von allein bekommen, er ist erarbeitet worden. Minister Duin hat sehr früh zu dem „Runden Tisch Breitband“ eingeladen, hat Partner von Kommunen, Telekommunikationsunternehmen und Verbänden zusammengeholt, die hier zusammengearbeitet haben. Breitbandkoordinatoren wurden eingesetzt, die den Ausbau vor Ort organisieren. Eine finanzielle Förderung von rund einer halben Milliarde Euro wurde auf den Weg gebracht. Insbesondere Gewerbegebiete, der ländliche Raum und Schulen wurden berücksichtigt. All diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass wir heute an der Spitze aller Flächenländer stehen.

Nordrhein-Westfalen geht auch weiter voran. Minister Duin hat eine Gigabit-Strategie vorgelegt. Als erstes Bundesland hat Nordrhein-Westfalen ein Infrastrukturziel definiert: flächendeckende Ausrollung Glasfaser bis 2025.

Wenn wir uns jetzt Ihren Antrag ansehen, dann erkennen wir, dass wir uns im Ziel zwar sicherlich recht nahe sind, aber teilweise sind die Punkte, die Sie dort beschreiben, identisch mit dem, was in der Gigabit-Strategie steht.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Dann kann man ja zustimmen!)

Viele Punkte sind dort vorhanden. Ein ganzer Teil der Dinge, die Sie beschreiben, ist auch schon auf dem Weg. Sie wollen jetzt natürlich ein paar der Lorbeeren einheimsen, weil Nordrhein-Westfalen so gut dasteht und Sie zwischendurch immer darauf hingewiesen haben, wie Ihre Vorstellungen dazu aussehen, die sich teilweise mit unseren decken. Deshalb haben Sie diesen Antrag eingebracht. Er ist leider zum Teil überflüssig.

Insgesamt wollen Sie aber – und in dem Ziel sind wir uns einig – Nordrhein-Westfalen weiterhin als das bestausgebaute Flächenland positionieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und Matthi Bolte [GRÜNE])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. Bleiben Sie bitte noch einen Moment vorne; denn für die Piratenfraktion hat sich Herr Kollege Dr. Paul zu einer Kurzintervention gemeldet. – Wenn er so nett ist, den Knopf zu drücken, bekommt er jetzt für 90 Sekunden das Wort. Bitte.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Vogt, ich habe eigentlich eine Frage, wollte aber Ihre Ausführungen nicht unterbrechen. Deswegen habe ich mich zu einer Kurzintervention gemeldet.

Nach Auffassung der Piraten gibt es einen generellen Punkt. Wir sprechen immer von „Netzen in Bürgerhand“. Ich würde gerne von Ihnen als netzpolitischem Aktivisten der Sozialdemokratie wissen: Was wird zu dem Thema „Netze in Bürgerhand“ in Ihrer Partei debattiert? Gibt es dort möglicherweise Positionsentwicklungen? – Vielen Dank.

Alexander Vogt*) (SPD): Herr Dr. Paul, wenn Sie die verschiedenen Debatten verfolgen und die Positionspapiere unserer Partei sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Bund sehen, werden Sie feststellen, dass wir Breitbandausbau als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten.

Wir wollen nicht nur den geförderten Ausbau. Wir sehen die Telekommunikationsunternehmen genauso in der Pflicht wie Kommunen, wie kommunale Unternehmen. Wir sehen darin auch die Chance, den Breitbandausbau gemeinsam voranzubringen.

Bürgernetze sind natürlich ein Bestandteil der Gesamtstrategie, da wir nicht sofort ein einheitliches Netz haben werden, sondern wir werden auch die verschiedenen Formen haben: Vectoring, Kabel, Glasfaserausbau. Diese wird es auch weiterhin geben, auch wenn Sie sich noch so wünschen, möglichst alles in Bürgerhand zu haben, möglichst überall Glasfaser. Wir werden um die Unternehmen, die mithelfen müssen, diesen Ausbau voranzubringen, nicht herumkommen.

Jedes bürgerschaftliche Engagement ist aber natürlich wünschenswert und auch unterstützenswert. Daher sind wir bei diesem Punkt nicht ganz auseinander. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit die Kurzintervention und die Entgegnung darauf. Vielen Dank den beiden Kollegen. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schick das Wort.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Duin, mit einer Prophezeiung haben Sie recht behalten: Auch in dieser Plenardebatte diskutieren wir wieder über den Breitbandausbau. Eine andere Prophezeiung werden wir allerdings um Meilen verfehlen. Sie haben den Menschen bis zum Jahr 2018 – ich betone: bis 2018 – eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet versprochen.

Wenn man sich den aktuellen Ausbaustand anschaut, dann muss man feststellen: Das wird nichts – ein Wahlversprechen gebrochen! In den vergangenen fünf Jahren sind gerade einmal 14,4 % schnelle Internetanschlüsse hinzugekommen. Wenn man sich dann anschaut, dass jeder fünfte Haushalt in Nordrhein-Westfalen noch unterversorgt ist, dann erkennt man, dass das Ziel in den kommenden zehn Monaten nicht mehr erreicht werden kann.

(Beifall von der CDU und von Ralph Bombis [FDP])

Um es noch einmal zu betonen: versprochen und gebrochen!

Bei aller Selbstbeweihräucherung von Herrn Vogt, dass Nordrhein-Westfalen besser angebunden sei als jedes andere Flächenbundesland, sage ich: Wir müssen uns auf die Ursachen konzentrieren. Hier liegen einfach aufgrund der Bevölkerungsdichte ganz, ganz viele Kabelnetze. Das hat dazu geführt, dass Nordrhein-Westfalen etwas besser angebunden ist. Wenn wir aber Gleiches mit Gleichem vergleichen, beispielsweise die Anbindung der Städte, dann stellt man fest, dass die Versorgung in Bayern laut Auskunft unseres Wirtschaftsministers besser ist als in Nordrhein-Westfalen.

Auch die Piraten haben in einem Punkt recht: Wir müssen uns intensiv mit dem Glasfaserausbau beschäftigen. Sonst wird es auch 2026 nichts mit dem flächendeckenden Glasfaserausbau. Wir müssen verhindern, dass Nordrhein-Westfalen beim digitalen Strukturwandel wieder Verlierer wird. Deswegen müssen jetzt Konsequenzen gezogen werden.

Punkt eins: Ohne eigene Fördermittel des Landes geht es nicht. Bis 2015 hat Rot-Grün lediglich in geringem Umfang EFRE- und ELER-Fördermittel bereitgestellt. Das hat bei Weitem nicht ausgereicht, um eine nennenswerte Ausbaudynamik in Nordrhein-Westfalen zu erzeugen.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Fördervolumen war einfach zu klein, und die Förderprogramme passten nicht zu den Bedarfen im Land. Hier ist deutlich mehr Dynamik erforderlich.

Punkt zwei: Die Kommunen müssen besser und frühzeitiger beraten werden. Beispiel Bundesförderung: Bisher hat der Bund 1,3 Milliarden € an die Kommunen ausgeschüttet. Davon gingen bislang nur 55 Millionen € nach Nordrhein-Westfalen. Das sind gerade einmal klägliche 4,2 %. Nach Mecklenburg-Vorpommern sind 704 Millionen € gewandert, 53 % der Mittel. Woran liegt das? Liegt das nur an der Struktur, oder liegt das vielleicht daran, dass die Kommunen dort besser beraten worden sind? Wenn man sich das anschaut, stellt man fest, dass die dortige Landesregierung wesentlich früher begonnen hat,

(Beifall von der CDU)

nämlich schon im Sommer 2015, und nicht, wie Sie, erst einmal die Hände in den Schoss gelegt hat und dann im Dezember gestartet ist. Wenn es Brei regnet, dann muss man die Löffel heraushalten und nicht erst anfangen, welche zu schnitzen.

Wir müssen den Anschluss kleinerer und mittlerer Unternehmen beschleunigen. Das ist wichtig für das Wirtschaftswachstum. Das ist wichtig für die digitale Infrastruktur. Die MICUS-Studie hat gezeigt, dass wir hier erhebliche Defizite haben. Neun von zehn Gewerbegebieten hatten keinen entsprechenden Anschluss.

Auch die Familienunternehmer bemängeln, dass sich die Breitbandversorgung seit 2012 nicht nennenswert verbessert hat. Auch bestehende Förderprogramme der NRW.BANK müssen angepasst werden. Das gilt insbesondere für das Förderkreditprogramm „NRW.BANK.Breitband“. Das ist so unattraktiv, dass es in den vergangenen fünf Jahren kaum jemand angenommen hat.

Wir benötigen mehr Bürgerbeteiligung beim Netzausbau. Schleswig-Holstein arbeitet schon seit Jahren mit Bürgerbreitbandfonds. Mittlerweile sind 14 % der Haushalte mit einem Glasfaseranschluss versorgt. In Nordrhein-Westfalen sind es lediglich 7 %. Das zeigt doch, wo die Defizite liegen. Wir benötigen nach sieben Jahren Rot-Grün endlich mehr Tempo.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Sonst verpassen wir den digitalen Strukturwandel wieder einmal.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

(Zuruf von den GRÜNEN: Er muss jetzt wieder alles richtigstellen! – Gegenruf von Matthi Bolte [GRÜNE]: Das ist ein schweres Schicksal!)

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Schick, das war jetzt tatsächlich ein Musterbeispiel dafür, wie man die Torpfosten in fünf Minuten in der Hoffnung verschieben kann, dass man doch noch irgendwie einen Ball ins Netz bekommt. Aber so richtig geklappt hat das bei diesem bunten Durcheinander, das Sie hier zum Besten gegeben haben, nicht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich versuche, es ein bisschen aufzudröseln:

Erster Punkt ist die Ausbaudynamik. Sie haben immer bemängelt, dass es Ihnen nicht schnell genug vorangeht. Jetzt zeigt die Entwicklung über das letzte Jahr, dass die Breitbandversorgung in Nordrhein-Westfalen um fünf Prozentpunkte angestiegen ist. Das liegt Ihrer Meinung nach daran, dass die Kabel schon in der Erde liegen. Wenn im letzten Jahr nichts passiert wäre, wäre die Versorgungsquote nicht angestiegen. Insofern zieht dieses Argument schon einmal nicht.

Ihr zweiter Punkt betraf das Bundesprogramm und die Frage, wie viele Mittel aus dem Bundesprogramm nach Nordrhein-Westfalen fließen. Das haben wir Ihnen jetzt eigentlich schon so oft erklärt, dass ich die Hoffnung hatte, dass es möglicherweise angekommen sein könnte. Das ist es aber nicht.

Wie ist dieses Bundesprogramm gestrickt? – Es ist nicht zum Vorteil Nordrhein-Westfalens gestrickt. Es ist unter anderem deshalb nicht zum Vorteil Nordrhein-Westfalens gestrickt, weil es überproportional die Länder berücksichtigt, die eine übermäßig schwache Breitbandversorgung haben. Das heißt also, dadurch, dass wir im Ländervergleich an ganz vielen Stellen immer noch eine relativ gute Versorgung haben, haben wir damit neben den ganzen anderen Themen mit der Topografie etc. Schwierigkeiten. All das sind Punkte, die wir hier ausführlich besprochen haben. Nur, weil es Ihnen nicht passt, dass sich Nordrhein-Westfalen unter einer rot-grünen Landesregierung stetig verbessert, wird das, was Sie hier erzählen, nicht richtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wollte ich mich zu Anfang meiner Rede gerne beim Kollegen Dr. Paul bedanken. Die Legislaturperiode geht dem Ende entgegen. Sie haben uns hier Gelegenheit gegeben, Bilanz zu ziehen. Die Bilanz der letzten fünf Jahre ist eine sehr erfolgreiche. Wir haben unseren Spitzenplatz im Ländervergleich verteidigt. Wir haben an Ausbaudynamik zugelegt. Wir haben vor allem das geschafft, von dem wir immer gesagt haben, dass es passieren muss. Wir haben Bewegung ins System bekommen. Diese 5 % zusätzlich in der Ausbaudynamik sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sie kommen aus konkreten Schritten, die wir miteinander vorangebracht haben.

Ich erinnere nur an die einzelnen Maßnahmen, die wir entwickelt haben, etwa die Förderrichtlinie zur Erstellung von NGA-Konzepten und die Breitbandbeauftragten sowie die eigenen Mittel, die Nordrhein-Westfalen seit Langem bereitstellt, besonders die Mittel aus der Digitalen Dividende. Sie dienten im Übrigen für eigene Programme und nicht zur Co-Finanzierung des Bundesprogramms, um uns dem Ziel von 50 Mbit/s für alle Haushalte im Jahr 2018 zu nähern. Auch das ist etwas, was die Opposition immer wieder falsch darstellt. Wir greifen dafür auf alle Möglichkeiten zurück, die es gibt. Das ist nicht nur die Wirtschaftlichkeitslückenförderung – das wurde eben nachgefragt –, sondern das sind beispielsweise auch Genossenschaftsmodelle. Diese haben wir von Rot-Grün neu eingeführt. Sie sind aus meiner Sicht sehr, sehr zukunftsträchtig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte der Piratenfraktion an einer Stelle durchaus recht geben. Es kann nicht bei dem Ziel von 50 Mbit/s bleiben. Daraus ziehen wir aber durchaus eine unterschiedliche Konsequenz. Wir als regierungstragende Fraktionen sagen, dass es richtig ist, diesen Zwischenschritt zu gehen, weil wir damit in der Regel ein bedarfsdeckendes Angebot für die Haushalte und Endverbraucher unterbreiten. Aber natürlich müssen wir darüber hinauskommen und Mitte des nächsten Jahrzehnts flächendeckend eine Glasfaserversorgung anbieten. Das ist die Zielvorgabe. Dafür haben wir eine Gigabit-Strategie entwickelt. Diese gilt es jetzt, mit Leben zu füllen. Da ist das „Aktionsbündnis Gigabit“ des Wirtschaftsministers mit Sicherheit ein sehr guter und sehr vernünftiger erster Schritt.

Ich freue mich, dass wir hier in fünf Jahren wieder eine erfolgreiche Regierungsbilanz vorlegen können. Die Breitbandversorgung ist bei Rot-Grün in guten Händen. Das soll auch so bleiben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bombis das Wort.

Ralph Bombis (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Vor einigen Tagen hat die SPD-Fraktion in einer Pressemeldung stolz darauf verwiesen, dass ein Ausbau von 82 % mit 50 Mbit/s im Land erreicht worden sei.

(Michael Hübner [SPD]: Und ihr habt gesagt, das sind keine 100! Das stimmt! Das ist richtig!)

– Lieber Herr Hübner, als der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen 2012 geschlossen worden ist,

(Michael Hübner [SPD]: Ja!)

haben Sie den Menschen in diesem Land versprochen, dass der flächendeckende Ausbau mit 50 Mbit/s im Land bis 2018

(Michael Hübner [SPD]: Welches Jahr haben wir jetzt?)

erreicht werden wird.

(Christof Rasche [FDP]: Im Koalitionsvertrag stand so viel!)

Sie haben also in diesen fünf Jahren

(Michael Hübner [SPD]: Was ist denn 2018?)

– denn damals lag der Ausbau bereits bei 67 % bis 70 % je nach Quelle – 12 % bis 15 % geschafft. Deswegen können Sie den Menschen jetzt nicht erzählen, dass Sie in einem weiteren Jahr noch einmal die gleiche Zahl schaffen können. Und selbst dann wären Sie noch lange nicht bei 100 %. Sie haben Ihr Wort an dieser Stelle gebrochen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bombis, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hübner zulassen?

Ralph Bombis (FDP): Aber natürlich.

Michael Hübner (SPD): Herr Kollege Bombis, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Wenn Sie heute Morgen in der Debatte hier gewesen wären, hätten Sie feststellen können, dass der Kollege Sundermann auf zwei Aspekte hingewiesen hat, dass wir erstens die höchste Ausbaudynamik haben, und zweitens hat er Ihnen mit einem ganz einfachen Trick vorgerechnet, dass man bis zum Jahr 2018 bei der aktuellen Ausbaudynamik tatsächlich über 100 % erreichen kann. Über 100 % ist natürlich nicht unbedingt erstrebenswert, weil wir bei 100 % fertig wären. Wir schätzen Sie das ein, was der Kollege Sundermann heute Morgen hier vorgetragen hat? Ich halte das für gut.

(Christof Rasche [FDP]: Trickserei!)

Ralph Bombis (FDP): Herr Hübner, ich schätze das genauso ein, wie Sie es gerade gesagt haben, im Übrigen auch genauso, wie es Herr Vogt in jeder dieser Debatten hier immer wieder erzählt.

Erstens. Mit Tricksereien ist uns bei dem Breitbandausbau überhaupt nicht geholfen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie haben selbst davon gesprochen, dass Sie es mit einem Trick erreichen wollen.

Zweitens. Sie werden es bis 2018 nicht schaffen, …

(Michael Hübner [SPD]: Das war einfache Arithmetik, Herr Kollege!)

– Sie haben mich gefragt; Sie bekommen eine Antwort.

… die weißen Flecken in diesem Land verschwinden zu lassen. Damit haben Sie Ihr Wort gebrochen. Und: Herr Hübner, dass Sie auch selbst wissen, dass Sie das Wort gebrochen haben, das dokumentieren Sie, und das dokumentiert die gesamte Landes-SPD in ihrem Wahlprogramm.

(Karlheinz Busen [FDP]: Hört, hört!)

In Ihrem Wahlprogramm schreiben Sie nämlich, dass Sie bis 2018 eine flächendeckende Versorgung für Unternehmen erreichen wollen, also nicht für alle Bürgerinnen und Bürger. Ich stelle mir gerade vor, was passieren würde, wenn die FDP so etwas einmal in ihr Wahlprogramm schreiben würde.

Nachdem der Wirtschaftsminister dieses Landes an einer anderen Stelle gesagt hat, es gehe bei der Digitalisierung darum, die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen in allen Bereichen des Lebens sicherzustellen, reden Sie jetzt nur noch von Unternehmen. Sie haben Ihr Wort gebrochen, was den flächendeckenden Breitbandausbau angeht, und darüber helfen Ihnen auch Tricksereien nicht hinweg.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich sage Ihnen, dass wir als Freie Demokraten der Überzeugung sind, dass wir sowohl auf kurzfristige als auch auf langfristige Sicht einen Strategiewechsel benötigen. Natürlich müssen wir kurzfristig die weißen Flecken, die wir in Nordrhein-Westfalen immer noch haben, verschwinden lassen, damit alle Menschen von diesem Breitbandausbau profitieren.

(Michael Hübner [SPD]: Aha!)

Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass wir immer noch Gemeinden haben, in denen eine Breitbandversorgung mit 50 MBit/s im einstelligen Prozentbereich liegt. Aber vor allem müssen wir langfristig dafür sorgen …

(Michael Hübner [SPD]: Dann nennen Sie mal eine! – Christof Rasche [FDP]: Reicht doch schon, dass Sie Ihr Versprechen nicht einlösen!)

– Herr Hübner, jetzt beruhigen Sie sich doch mal bitte. Hören Sie doch einfach mal zu.

(Michael Hübner [SPD]: Sie behaupten, dass es Gemeinden gibt, aber Sie nennen keine!)

Vor allem müssen wir langfristig die Zukunftsperspektive dieses Landes in den Blick nehmen.

(Michael Hübner [SPD]: Sie haben gerade von Gemeinden gesprochen, die das nicht können! Welche Gemeinden? Nennen Sie doch mal eine!)

– Herr Hübner, vielleicht entspannen Sie sich einfach mal.

(Michael Hübner [SPD]: Ich bin ganz entspannt!)

Das wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste geht davon aus, dass die Bandbreitennachfrage in den nächsten Jahren auf 1 Gbit steigen wird. Das bedeutetet, wenn Nordrhein-Westfalen digitaler Spitzenstandort werden will, wenn wir uns als digitaler Spitzenstandort endlich vom Nullwachstum und von der roten Laterne im Bundesländervergleich – denn diesen Vergleich gibt es auch, Herr Vogt –verabschieden wollen,

(Beifall von der FDP und der CDU)

wenn wir also die besten Voraussetzungen für Wirtschaft 4.0 schaffen wollen – dazu gehören natürlich auch Handwerk und Mittelstand –,

(Michael Hübner [SPD]: Aha!)

dann müssen wir die Grundlagen für die Gigabitgesellschaft schaffen. Das gelingt nur – darüber sind wir uns zum Glück hier alle einig – mit einem flächendeckenden Glasfaserausbau. Deswegen wäre es klug gewesen, sich frühzeitig gemeinsam dazu zu bekennen und alle Anstrengungen in diese Richtung zu unternehmen.

Der hier vorliegende Antrag der Piraten – das will ich durchaus zugestehen – trifft also in der Analyse des schleppenden Breitbandausbaus und in der Analyse der Situation und der verlorenen Zeit, was die letzten fünf Jahre angeht, durchaus zu. Die Forderung nach einem flächendeckenden Breitbandausbau ist völlig richtig. Das teilen wir ausdrücklich. Ich finde es allerdings schade – das ist für mich auch die Schwäche des Antrags –, dass Sie hier keinen konkreten Vorschlag machen. Sie mahnen Zwischenziele an, Sie benennen sie nicht.

Wir waren hier schon einmal weiter, wir alle. Wir haben zum Beispiel eine „Glasfaser first“-Strategie vorgeschlagen. Wir haben gesagt, es dürfen keine Fördermittel mehr in veraltete Technologien – Stichwort Vectoring – vergraben werden. Die Einführung eines Glasfaserförderfonds haben wir vorgeschlagen, mit dem insbesondere der Ausbau im ländlichen Raum gefördert und unterstützt werden soll. Wir wollen die Bündelung der Kompetenzen für die Digitalpolitik in einem Ministerium, damit es hier keine Streitigkeiten zwischen Wirtschafts- und Umweltressort mehr gibt. Ich füge ausdrücklich hinzu: Wir sehen diese Bündelung im Wirtschaftsministerium. Dafür werden wir uns weiter einsetzen.

Weil der CDU-Antrag an dieser Stelle nach unserer Auffassung in die richtige Richtung geht, werden wir diesen unterstützen. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Nächster Redner ist der fraktionslose Kollege Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren hier im Saal und an den diversen Kabeln!

(Lachen von Karlheinz Busen [FDP])

Ich habe im Vorfeld überlegt, ob ich mich überhaupt noch einmal zum Thema „Breitband“ zu Wort melden soll. Wir haben uns in der Vergangenheit geradezu den Mund fusselig geredet. Wir haben wirklich zahlreiche Ideen geliefert, zum Beispiel das Infrastrukturziel Glasfaser, Verzicht auf Sackgassen wie Vectoring, Kompetenzbündelung in einem Ministerium usw., leider mit wenig Wirkung auf die Landesregierung. Herr Vogt, hier im Plenum hieß es sehr lange Zeit „technologieneutrale Förderung“. Es war ein sehr dickes Brett zu bohren, bis Sie das abgelegt haben.

Vielleicht müssen wir diese Legislaturperiode im Wesentlichen als verloren werten für das Ziel des flächendeckenden Breitbandausbaus mit Glasfaser. Mit dem Tempo kommen wir nie ans Ziel. Aber ich bin nicht bereit, die digitale Spaltung in diesem Land einfach so hinzunehmen.

Haben Sie Anwesenden nicht alle den Anspruch, in der kommenden Legislaturperiode zu regieren? Dann werden Sie dem gerecht und entscheiden Sie etwas mit langfristiger Wirkung, was einmal über eine Legislaturperiode hinausgeht! – Vielen herzlichen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Duin das Wort.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will die Dinge, die insbesondere Herr Vogt und Herr Bolte erwähnt haben, nicht wiederholen, aber zum Ausdruck bringen, dass ich mich Ihnen ausdrücklich anschließe. Diese Diskussion mutet manchmal schon ein bisschen merkwürdig an.

Wir sind das Bundesland unter den Flächenländern mit dem am besten ausgebauten Netz. Wenn Sie über Dynamik reden, möchte ich Ihnen die Zahlen aus den zurückliegenden Tagen einmal in Erinnerung rufen: Wir hatten Ende 2015 einen Ausbaustand von 76,2 %. Wir sind jetzt bei 82,2 %. Das ist ein Plus von 6 %. Und Herr Schick wird nicht müde, in Kenntnis dieser Zahlen in seiner Rede noch einmal auf Bayern und auf Mecklenburg-Vorpommern abzustellen.

(Michael Hübner [SPD]: Manch eine Partei wäre froh, wenn sie 6 % hätte!)

Nur damit wir das einmal vor Augen haben: Mecklenburg-Vorpommern hatte im Jahre 2016 eine Ausbaudynamik von 4,9 %, also schlechter als bei uns. Damit wir das auch in Zahlen haben: Wir sind bei einem Ausbaustand von 82,2 %. Mecklenburg-Vorpommern ist bei einem Ausbaustand von 57,4 %.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch einmal ein Gegenbeispiel!)

Da würde ich jetzt ganz vorsichtig sein, das irgendwie in irgendeiner Art als Referenzgröße oder gar vorbildlich für Nordrhein-Westfalen heranzuziehen.

Die Bayern liegen beim Ausbaustand 10 % hinter uns und haben jetzt einen Ausbaustand von 72,1 %. Mit Blick auf unseren Ausbaustand von 82,2 % sind alle Fragen beantwortet.

Was die Dynamik dort angeht, möchte ich sagen: Sie haben hier fünf Jahre lang berichtet: Bayern gibt viel mehr Geld aus. Bayern macht alles besser. Bayern ist super. – Bayern liegt 10 % hinter uns, Ausbaudynamik 3,7!

Wer liegt von allen Flächenländern – wir nehmen nur die Flächenländer; Bremen und Hamburg haben natürlich andere Werte – auf dem letzten Platz? – Bayern!

(Zurufe von der SPD – Michael Hübner [SPD]: Nein!)

Und Sie ziehen Bayern als Vorbild heran! Wenn ich als Opposition schon versuche, bei diesem Thema einen Punkt zu machen, dann würde ich mir wenigstens Argumente überlegen, die noch einer kurzen Prüfung standhalten. Das ist bei der CDU-Fraktion leider nicht der Fall.

(Michael Hübner [SPD]: Große Trickserei!)

Übersetzen wir das einmal konkret in Haushalte, weil Prozente relativ sind: Was ist im Jahr 2016 passiert? Wie viele Haushalte sind wo angeschlossen worden? Da möchte ich einfach nur zwei Zahlen nennen: Bayern 233.000 Haushalte, Nordrhein-Westfalen 520.000 Haushalte. Das ist die Dynamik im Vergleich!

(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)

Wenn sowohl die FDP-Fraktion als auch die CDU-Fraktion versuchen, im März 2017 feststellen zu können, dass man das Versprechen – im Übrigen ist es nicht nur ein rot-grünes Versprechen dieser Landesregierung, sondern genauso gleichlautend ein Versprechen der Bundesregierung, die bekanntermaßen auch aus anderen Partnern besteht –, das Ende 2018 erreicht werden soll, jetzt nicht mehr erreichen kann, ist das wirklich abenteuerlich. Denn was noch gar nicht in diesen Zahlen enthalten ist, ist das, was mit Herrn Minister Dobrindt gemeinsam von uns mit den Kommunen sauber vorbereitet und entsprechend kofinanziert auf den Weg gebracht wird.

Deswegen hat Herr Schick in ein Wort – weil er es ja besser weiß – auch so eine Betonung hineingelegt. Er hat nämlich gesagt: heute. Denn er weiß, dass in der nächsten Woche Bescheide in Berlin übergeben werden und von 21 Anträgen, die aus Nordrhein-Westfalen gekommen sind, 20 Anträge nach Kenntnis, die wir von den Kommunen und aus Berlin haben, bewilligt werden. Und dann stellt er sich hier hin und sagt, die Kommunen seien nicht gut beraten. Das Gegenteil ist doch bewiesen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, würden Sie eine Zwischenfrage des von Ihnen soeben erwähnten Abgeordneten Schick zulassen?

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Unbedingt.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann los.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. Ich habe gerade vernommen, dass Sie gesagt haben, bis Ende 2018 wollten Sie das Ziel erreichen. Sie nicken gerade, wenn auch etwas dezent und unsicher.

Sie wissen, dass ich die Internetseiten Breitband.NRW immer wieder lese. Da steht: bis 2018. Noch einmal:

„Bis 2018 sollen alle Haushalte in NRW mit schnellem Internet versorgt sein.“

(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)

„Dieses Versprechen bekräftigte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin bei der Vorstellung der jüngsten Zahlen zum Breitband-Ausbau am Dienstag (14.03.2017).“

Wenn ich sage, ich bin bis 12 Uhr bei Ihnen, und tauche dann um 12:59 Uhr auf, dann habe ich mich verspätet. Daher gehe ich davon aus, dass diese Zahl richtig ist. Oder widersprechen Sie mir da?

(Beifall von der CDU)

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Ich weiß nicht, mit welcher Uhr Sie wann wo sein wollen, Herr Schick. Das ist mir aber auch gar nicht wichtig.

(Heiterkeit von der SPD)

Ich will Sie einfach nur daran erinnern: Es ist ein gleichlautendes Ziel von Landesregierung und Bundesregierung. Diese Bundesregierung wird, wie Sie wissen, von der SPD und von der etwas größeren CDU geführt. Ich selbst war bei den Koalitionsverhandlungen dabei, auch bei diesem Thema.

Dass Sie als Partei – jedenfalls wesentlicher Bestandteil dieser Bundesregierung – jetzt so tun,

(Zuruf von der SPD: Aber unwichtiger!)

dass es irgendeine andere Verabredung geben würde, als eben in der Tat bis zum Ende 2018 die flächendeckende Versorgung mit 50 Mbit/s sicherzustellen, ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen.

(Zuruf von Thorsten Schick [CDU])

Nichts anderes ist von irgendwem irgendwo irgendwann behauptet und gesagt worden. Und genau dieses Ziel werden wir erreichen.

(Beifall von der SPD)

Im Übrigen, was die Dynamik angeht, auch da eine Korrektur Ihrer Zahl im Antrag. Wir haben seit Ende 2010 ein Plus von 24,3 %. Das ist nicht die Zahl, die Sie dort vorgelegt haben.

Einen Kronzeugen kann ich nicht auslassen. Wenn Sie heute den Pressespiegel genau gelesen haben, dann haben Sie festgestellt, dass sich Michael Hüther zum Thema „Industrie 4.0“ geäußert hat. Eine Zeitung hat das heute in Teilen wörtlich abgedruckt. Daraus können Sie dann politisch das eine oder andere ziehen. Ich nehme jetzt nur den letzten Absatz:

„Die Zahlen zeigen, dass NRWs Unternehmer schleunigst auf den fahrenden Zug aufspringen sollten, um den Anschluss nicht zu verpassen.“

Da geht es um das Thema „4.0“. Und dann kommt Herr Hüther – wörtlich –, mein Kronzeuge:

„Mit seinem im Vergleich zu anderen Bundesländern gut ausgebauten Breitbandnetz sind die Voraussetzungen … geschaffen.“

Es ist Fakt: Wir sind bei den Flächenländern Nummer eins, wir halten diese Position seit Jahren, wir bauen sie weiter aus, wir haben eine super Dynamik, und wir werden unser gemeinsam verabredetes Ziel mit den Instrumenten, die wir als Landesregierung bereitgestellt haben, definitiv erreichen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Beifall von Arif Ünal [GRÜNE])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Erstens stimmen wir über den Antrag der Piratenfraktion Drucksache 16/14381 ab. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. So verfahren wir auch. Wer ist für den Antrag der Piratenfraktion? – Das sind die Piratenfraktion sowie der fraktionslose Kollege Schwerd. Wer ist dagegen? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich der Stimme? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/14381 abgelehnt ist.

Zweitens stimmen wir über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/14527 ab. Wer ist für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Wer enthält sich der Stimme? – Der fraktionslose Kollege Schwerd enthält sich der Stimme. Damit stelle ich fest, dass auch der Entschließungsantrag Drucksache 16/14527 abgelehnt ist.

Ich schließe die Beratung und die Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 4 und rufe auf:

5  Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine NRW

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14017

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für
Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksache 16/14419

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Börner das Wort. Bitte schön.

Frank Börner*) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Offensichtlich stellen Sie diesen Antrag aus dem Off und ohne aktiven Sachbezug. Im kommenden Jahr sollte dieses Gesetz evaluiert werden. Warum können wir das nicht einfach abwarten? Okay, es gibt im kommenden Jahr keine Landtagswahl. Es geht also nicht um Tierschutz oder Schutz der Investoren, sondern es geht um Wahlkampf.

Das sind keine guten Informationen für die Tiere, aber es ist sicherlich legitim. Wie klein ist aber die Gruppe der Menschen, denen Sie mit diesem Antrag helfen wollen? Der große Anteil derer, die im Bereich der Tierhaltung investieren, ist an einem ordnungsgemäßen, am Tierwohl orientierten Handeln interessiert. Sie wollen mit diesem Antrag denen helfen, denen das wurscht ist und die Angst haben, wenn man ihnen in die Karten schaut – wahrscheinlich zu Recht. Und Sie schaden denen, die sich redlich bemühen, ordentliche und gute Stallungen zu bauen, weil sie gegenüber dem billigen Jakob nicht mehr wettbewerbsfähig sind,

(Beifall von der SPD)

gegenüber dem billigen Jakob, den Sie mit diesem Antrag als Wähler umwerben wollen.

Die Vorwürfe der CDU treffen nicht den Sachverhalt. Zum einen gab es bisher gerade einmal sechs Klagen in ganz Nordrhein-Westfalen, zum anderen stellt sich die Frage, ob die CDU das Prinzip dieses Gesetzes überhaupt wirklich verstanden hat. Dieses Gesetz verhindert nicht die Errichtung neuer Stallungen, sondern es räumt Tierschutzverbänden lediglich die Möglichkeit ein, mal ein Auge darauf zu haben und zu schauen, wie die Planungen aussehen.

Wir haben schon lange erkannt, dass der Tierschutz ein zunehmendes Anliegen der Gesellschaft ist, und deswegen haben wir diesen auch zu einem wichtigen Ziel der Landesregierung ernannt. Gerade im Bereich der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger, dass die Tierhaltung verbessert wird. Den Tieren soll künftig mehr Platz angeboten werden, und sie sollen möglichst viel Freilauf erhalten.

Selbst die sonst bei diesem Thema eher schlafende CSU in Bayern hat in der gemeinsamen Initiative mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Schmitz, der „Initiative Tierwohl“, die Dringlichkeit dieses Themas erkannt. Und nun möchte die große Schwester CDU hier in NRW ein Instrument zum weiteren Schutz der Tiere wieder abschaffen. Dies lässt zweifeln, wer hier wirklich geschützt werden soll. Augenscheinlich sind selbst die bayerischen Kollegen näher an der Realität als Sie hier in NRW.

Die Verbesserung des Tierschutzes in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung bleibt eine wichtige Grundlage für unser Ziel einer nachhaltigen umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft. Hierbei geht es insbesondere darum, das Wohlbefinden der Tiere zu verbessern, weil diese als unsere Mitgeschöpfe unserer Betreuung und Pflege in besonderer Weise anvertraut sind.

Wir wollen das Konzept der fünf Freiheiten weiter stärken und es zum Standard in Nordrhein-Westfalen erheben, die Freiheit von Hunger und Durst, die Freiheit von haltungsbedingten Beschwerden, die Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten, die Freiheit von Angst und Stress. Wir stehen Schulter an Schulter mit den Landwirten, die das Wohlergehen ihrer Tiere nicht dem wirtschaftlichen Druck opfern wollen.

Zudem setzen wir uns unter anderem für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Tierschutzverbänden und Behörden ein. Die Verbandsklage ist dabei ein zentrales Element.

Wir setzen uns über die Landesgrenzen hinaus für gesundheitsfördernde Haltungsbedingungen ein, wodurch der übermäßige Antibiotikaeinsatz reduziert werden soll, womit wiederum Antibiotikaresistenzen bei Menschen begrenzt werden.

Die Manipulation landwirtschaftlicher Nutztiere ist leider eher die Regel als die Ausnahme. Ferkeln werden die Schwänze ohne Betäubung kopiert, Geflügel werden die Schnäbel gekürzt, und trotz praxiserprobter Alternativen werden Tiere betäubungslos kastriert. Tiere sind keine Wegwerfware. Weder dürfen männliche Küken noch männliche Kälber getötet werden, weil sich deren Aufzucht nicht lohnt.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie Sie sehen, ist der pflegliche Umgang mit Tieren für uns eine ethische Verpflichtung. Unser Ziel ist eine artgerechte Tierhaltung, die Schmerz und Stressrisiken für Tiere ausschließt. Die Verbandsklage ist für uns ein wichtiges Instrument auf diesem Weg. Insofern wollen wir als SPD sie beibehalten. – Glück auf.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Börner. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Deppe das Wort.

Rainer Deppe (CDU): Meine Damen und Herren! Zur Arbeit hier im Parlament, aber vor allem auch gegenüber der Öffentlichkeit, gehört, dass man Klarheit vor der Wahl hat. Wir sagen exakt vor der Wahl, was wir danach machen werden, und damit gar keine Zweifel aufkommen, exakt mit Gesetzesformulierungen. Das haben wir heute hier beim Thema „Mitwirkungsrechte der Tierschutzverbände“, das haben wir bei dem Jagdgesetz und bei anderen Gesetzen auch gemacht.

Herr Kollege Börner, ich verstehe nicht so ganz, dass Sie auf 2018 verweisen. Sagen Sie den Menschen heute, was Sie wollen, und sagen Sie nicht: Ja, das werden wir 2018 dann mal sehen. Wir sagen es auf jeden Fall heute. Bei uns weiß man, was man hat und bekommt.

Der Minister sagt, die Tiere dürften nicht rechtlos den Interessen der Tierhalter ausgeliefert sein. Ich frage mich, Herr Remmel: Was haben Sie eigentlich für ein Bild von den vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen, die Tiere halten?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Auf jeden Fall keines, was der Realität entspricht. Und welches Bild haben Sie eigentlich von den 4.905 Tierärzten in Nordrhein-Westfalen? 727 sind sogar im öffentlichen Dienst tätig. Die Tierärzte sind diejenigen, die die Belange der Tiere seit jeher engagiert, erfolgreich und mit Sachkompetenz vertreten. Auf die Arbeit und das Urteil dieser Fachleute können sich die Tierhalter, die Verbraucher und die Öffentlichkeit verlassen. Das ist unser Anliegen.

Dass Sie jetzt genau diesen Menschen die Kontrolle durch Laien und Verbände sozusagen vor die Nase setzen, ist ein Ausdruck Ihres tiefgreifenden Misstrauens gegen die Tierärzteschaft in Nordrhein-Westfalen. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass das so zum Ausdruck gebracht wird.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was ist das denn für ein Bild vom Tierschutz?)

Guten Tierschutz, meine Damen und Herren, erreicht man durch stetige Verbesserung von Haltungsbedingungen. Man erreicht ihn durch Tierwohl-Label und durch Innovationen, durch neue, moderne Ställe, die sich naturgemäß an den neuesten Erkenntnissen orientieren. Gerade die Investitionen in den Stallbau haben sich in Nordrhein-Westfalen seit Inkrafttreten Ihres Gesetzes halbiert. Bei Ihnen – wir hatten die Debatte ja geführt – sind daran immer die anderen schuld. Aber dass Nordrhein-Westfalen auch hier schlechter abschneidet als andere Bundesländer, können Sie doch nicht den anderen in die Schuhe schieben. Das hat seine Ursachen hier in unserem Land.

Schweine, Puten, Hühner müssen jetzt länger in alten Ställen leben, als sie es ohne dieses Gesetz tun müssten. Das hat damit zu tun, dass bei jedem Gebäude, das der Unterbringung von Tieren dient, die von Ihnen anerkannten Verbände zu beteiligen sind. Die setzen sich mit den Planungen im Detail gar nicht auseinander. Die gehen ja sogar gegen Ställe vor, die nach Bioland-Richtlinien gebaut werden sollen. Dass da kein Vertrauen entsteht und Menschen sagen, dann lässt du doch besser die Finger davon, zu investieren, ist verständlich.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das passiert deshalb, weil Sie, Herr Remmel, Tierrechte-Organisationen, die die Tierhaltung in menschlicher Obhut grundsätzlich ablehnen, mit den etablierten Tierschutzverbänden gleichgestellt haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Damit, Herr Minister, tun Sie den Tierschutzverbänden und vor allem dem Anliegen des Tierschutzes überhaupt keinen Gefallen.

Wenn Sie – Herr Kollege Börner hat es eben auch wieder gemacht – auf die geringe Zahl von Klagen verweisen, dann haben Sie die Wirkung dieses Gesetzes nicht verstanden, oder Sie verschweigen sie ganz bewusst. Die Fälle sind doch nun bekannt. Da wird die Karte „Klage“ schon mal auf den Tisch gelegt

(Annette Watermann-Krass [SPD]: Wie viele denn?)

– die muss man gar nicht ziehen –, indem pauschal bei Bauvorhaben die Baubehörden angeschrieben werden und ihnen direkt die Vorhaltungen gemacht werden, dass man zum Beispiel mit der Genehmigung von Bioland-Ställen nicht einverstanden ist. Das ist doch die Wirkung, die Sie mit diesem Gesetz erzielen und, ich behaupte, auch erzielen wollen.

Zunehmend werden auch Forderungen aufgestellt, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, bei denen es darum geht, Einblick in Betriebsunterlagen zu bekommen. Das führt dazu, dass Genehmigungen verzögert werden bzw. Anträge in unserem Bundesland überhaupt nicht gestellt werden. Anders ist der Rückgang der Investitionstätigkeit gar nicht zu erklären. Aber Sie wollen das ja auch gar nicht. Nur Ihre Politik führt dazu, dass Nordrhein-Westfalen auch bei dem Thema „Tierschutz“ nach und nach auf die Schlusslichtplätze in der Bundesrepublik absackt.

(Beifall von der CDU)

Deshalb ist es an der Zeit, das Genehmigungsverfahren, wie Herr Groschek so gut gesagt hat, verkürzt werden, entschlackt werden und vor allem entgrünt werden. Heute haben Sie die Gelegenheit dazu, indem Sie diesem Gesetz zustimmen. Sie werden es nicht tun. Aber ich sage: Wahrheit und Klarheit vor der Wahl ist ja auch ein Wert. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die Fraktion der Grünen erteile ich Herrn Kollegen Abel das Wort.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Deppe, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass wir im Jahre 2017 – 15 Jahre, nachdem der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz und auch in unserer Landesverfassung verankert worden ist –, eine solche Debatte hier im Hause noch führen müssen. Das hätte ich wirklich nicht gedacht, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wie schlimm es um Ihre Fraktion bei dem Thema „Tierschutz“ bestellt ist, das zeigen diese Plenartage. Vorgestern war die Debatte um das Landesjagdgesetz. Sie wollen Totschlagfallen wieder einführen. Sie wollen, in Nordrhein-Westfalen wieder zu erlauben, dass Jäger Katzen abschießen. Und heute zeigen Sie mit diesem Gesetzentwurf ganz deutlich, dass Sie hier die „Edelkurtisane“ der Fleischindustrie sind, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Abel, auch wenn das so ein bisschen verpackt ist – ich darf Sie doch bitten, Ihre Wortwahl bei Ihren Metaphern zu durchdenken, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident, vielen Dank. Ich habe kein anderes Wort dafür gefunden, aber wenn sich irgendjemand dadurch beleidigt fühlen sollte, nehme ich das natürlich zurück und bitte um Entschuldigung. Ich glaube aber, dass ein Großteil das gar nicht verstanden hat. Okay.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich aber schon, Herr Kollege.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Meine Damen und Herren, es geht doch darum, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen – ich versuche es mal so, Herr Präsident –, denen, die Ihnen nahestehen und von denen Sie glauben, dass sie Ihre Interessen vertreten, beweisen: Wir schaffen euch die Tierschützer vom Hals.

Darum geht es Ihnen, meine Damen und Herren, dass Sie vor der Landtagswahl noch von diesen Reihen Applaus und Zustimmung organisieren. Sie sind sich nicht zu schade dafür – wie der Kollege Deppe das gemacht hat und wie auch die Kollegin Schulze Föcking das in der Vergangenheit gemacht hat –, immer wieder den Tierschützern die Kompetenz abzusprechen. Da wird dann von „Laien“ gesprochen, meine Damen und Herren. Da wird von einer „Klageflut“ gesprochen.

Schauen wir uns einmal konkrete Fälle an! Reden wir doch einmal über die Klage, die jetzt zum Beispiel im Kreis Kleve,

(Zuruf von Werner Jostmeier [CDU])

Herr Kollege, anhängig ist, wo eine Tierschutzorganisation den Kreis verklagt, weil er nicht einschreitet, obwohl nachweislich ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorliegt,

(Beifall von den GRÜNEN)

weil die Ställe zu klein sind, die Käfige zu klein sind, meine Damen und Herren.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Hovenjürgen zulassen?

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Aber immer gerne. Vielen Dank.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herzlichen Dank dafür, lieber Kollege Abel. Ist Ihnen bekannt, dass vor der Einführung der Beteiligung der Tierschutzverbände die Genehmigungsverfahren ebenfalls nach tierschutzrechtlichen Bedingungen geprüft worden sind, nämlich von den Kreisverwaltungen und den Veterinärämtern, und dass Sie mit dieser neuen Regelung letztendlich diesen Genehmigungsbehörden Ihr Misstrauen ausgesprochen haben?

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Kollege, ich will das mit einer Gegenfrage beantworten. Wer kann eigentlich etwas dagegen haben, dass juristisch überprüft wird, ob es tatsächlich zeitgemäß ist, was in unserer Tierhaltung passiert, ob das mit geltendem Recht und mit dem Sinn des Staatsziels „Tierschutz“ vereinbar ist, dass wir Tiere verstümmeln, indem wir ihnen die Schnäbel abschneiden oder die Schwänze kürzen, dass wir sie quasi an die Haltung anpassen, dass wir die Situation haben, dass es nach Angaben von Schlachthausbetreibern regelmäßig vorkommt, dass Tiere bei der Schlachtung noch bei Bewusstsein sind – beispielsweise Schweine, wenn sie in kochendes Wasser gelegt werden, um ihnen die Haut leichter abziehen zu können –, dass wir stundenlange Todeskämpfe riskieren, so wie Sie das ja mit den Totschlagfallen im Landesjagdrecht wieder einführen wollen?

Das alles wollen Sie nicht einer rechtlichen Prüfung unterziehen lassen, weil Sie genau wissen, dass die Gefahr besteht, dass die Gerichte das einkassieren. Deswegen legen Sie diesen Gesetzentwurf vor, weil Sie verhindern wollen, dass Tiere, die nicht für sich selber sprechen können, einen Anwalt bekommen. Das wollen Sie damit blockieren, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN – Karlheinz Busen [FDP]: Quatsch!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, der Herr Kollege Hovenjürgen hat sich ein weiteres Mal gemeldet.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Wenn es der Wahrheitsfindung dient.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vorsorglich weise ich darauf hin, dass die Zahl der Fragen zu einem Themenkomplex nach der Geschäftsordnung begrenzt ist. Herr Kollege Hovenjürgen, Sie haben das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herzlichen Dank für den Hinweis, Herr Präsident. Es war mir bekannt. – Herr Kollege Abel, dann darf ich die Frage stellen, wie Sie denn sicherstellen, dass die von Ihnen jetzt beteiligten Tierschutzverbände mit einer Fachlichkeit an die Sache herangehen, die belegbar ist. Oder geht es hier um Emotionalität?

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Unverschämtheit!)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ich beantworte Ihre Frage ganz konkret. Da kommen aber auch wieder Ihre Unterstellungen gegenüber dem Tierschutz zum Vorschein, gegenüber den vielen Zehntausend ehrenamtlich organisierten Menschen in diesem Land, die sich für Tiere einsetzen. Das zeigt, dass Sie emotional sind und keine Fachkenntnisse haben.

Wir machen das mal ganz konkret an dem eben erwähnten Fall im Kreis Kleve. ARIWA hat den Kreis verklagt. Besonders interessant – auch wenn Sie jetzt aufstehen, Herr Hovenjürgen – ist doch, dass die Kanzlei, die von dem Tierschutzverband beauftragt wurde, diese Klage zu führen, Röttgen & Kluge in Berlin ist. Wenn Sie hier noch alte Rechnungen mit Herrn Röttgen offen haben, meine Damen und Herren von der CDU,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

dann ziehen Sie das doch bitte nicht in dieses Thema hinein! So viel zum Thema „Fachkompetenz“, wenn da eine sehr renommierte Umweltkanzlei hineingezogen wird, die dann auch das Mandat führt. Da bin ich sehr gespannt, wie das ausgeht, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber Sie wollen ja nicht nur die Klagemöglichkeiten blockieren. Sie wollen ja auch die Mitwirkungsmöglichkeiten blockieren.

Wir haben in dem Bereich schon seit Langem sehr gute Erfahrungen. Sie finden in Nordrhein-Westfalen keinen Wissenschaftler, der sagt, dass es nicht gut ist, dass wir die Tierschutzverbände – wie es nach dem Gesetz ja auch vorgeschrieben ist – in den Kommissionen nach § 15, den Ethikkommissionen bei Tierversuchen, beteiligen.

Das führt dazu, dass alternative Methoden geprüft werden. Das führt dazu, dass ganz konkret bei Tierversuchsanträgen durch die Mitwirkung der Tierschutzverbände und auch durch die wertvolle Arbeit der Tierschutzbeauftragten bei den Forschungseinrichtungen in den Unternehmen die Zahl der Tiere gesenkt wird. Das führt dazu, dass viele Anträge noch einmal daraufhin geprüft werden, ob sie redundant sind und ob es wirklich notwendig ist, hier auf Tierversuche zurückzugreifen.

Wir haben in diesem Bereich unter Mitwirkung der Tierschutzverbände – ich nenne hier ganz besonders „Menschen für Tierrechte“ – mit dem „Centrum für Ersatzmethoden zum Tierversuch“ in Düsseldorf am Institut für Umweltmedizinische Forschung, einem Leibniz-Institut, ein Zentrum eingerichtet, das einzig dafür da ist, Ersatzmethoden zum Tierversuch zu entwickeln.

Wir haben jüngst mit der Tierschutzprofessur an der WWU Münster auch eine Professur eingerichtet, die sich alleine darum kümmert, die Belastungen der Tiere in den Versuchen zu reduzieren, und die alles, was mit Refinement und Replacement zu tun hat, in Angriff nimmt. Das ist ein wichtiges Element. Das ist ein Meilenstein für das Staatsziel Tierschutz. Das ist aber auch ein wichtiges Signal für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.

Das alles wollen Sie bei Ihrer pauschalen Kritik am Tierschutz nicht hören. Sie wollen das wegräumen. Sie sagen Ihrer Lobby, die Sie hier unterstützt: Wir schaffen euch den Tierschutz vom Hals.

Genau das Gegenteil ist bei uns Grünen der Fall. Wir stehen für einen konsequenten Tierschutz. Wir stehen dafür, dass Tiere, die nicht für sich selber sprechen können, weiterhin einen Anwalt haben, und dass man Entscheidungen zulasten der Tiere rechtlich überprüfen kann. Wir meinen, das ist der einzige Weg auch für die Zukunft der Tierhaltung: mit einer Agrarwende, aber auch mit einem anderen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen.

Deswegen ist das Jahr 2017 nicht Ihr Jahr, Herr Kollege Hovenjürgen. Ihr Jahr ist eher das Jahr 1957. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Busen das Wort.

Karlheinz Busen*) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also, Kollege Abel, bitte,so geht es nun gar nicht! Sie suggerieren hier, dass das Gesetz, um das es hier geht, etwas mit Tierschutz zu tun hat. Das hat es nun überhaupt nicht.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ach, Herr Busen! – Gegenruf von Henning Höne [FDP]: Warte doch erst mal ab!)

Die FDP-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf natürlich zustimmen. Die bisherigen Beiträge von SPD und Grünen konnten nicht überzeugen. Deshalb werden wir an unserer Auffassung festhalten. Denn eines ist klar: Das Gesetz ist total gescheitert.

(Beifall von der FDP)

Ich habe bereits bei der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass es handwerklich mit ganz heißer Nadel gestrickt wurde, und auf Versäumnisse bei den Regelungen zur Akteneinsicht aufmerksam gemacht. Auch das Ministerium von Herrn Minister Remmel ist mit dem Gesetz völlig überfordert.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

– Dazu, Herr Rüße, muss man nur die Antworten auf unsere zahlreichen Kleinen Anfragen anschauen. Sie zeigen deutlich, dass das Umweltministerium bis heute nicht in der Lage ist, die Anerkennungsvoraussetzungen für Vereine gewissenhaft zu prüfen.

(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)

Sich grundsätzlich auf die Angaben der Vereine zu verlassen und diese nur auf Plausibilität zu prüfen, halten wir angesichts der Erfahrungen mit dem Gesetz für sträflichen Leichtsinn.

(Beifall von Henning Höne [FDP])

Sie haben militante Tierrechtler und andere Vereine anerkannt, die sich damit brüsten, dass es allein im Jahr 2014, Herr Kollege Börner, nicht nur sechs, sondern 30 Fälle gab, bei denen Baugenehmigungen nicht erteilt wurden. Von wegen sechs!

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Die haben mit dem Gesetz nichts zu tun! Nur die sechs!)

– Herr Rüße, das entlarvt aber, worum es bei diesem Gesetz wirklich geht, nämlich nicht um den Tierschutz. Sonst hätte man sich ja um Verbesserungen im Rahmen der Genehmigung bemüht. Aber nein, nichts ist passiert. Es geht nur darum, die Landwirtschaft abzulehnen, zu malträtieren und zu drangsalieren,

(Zuruf von der SPD: Genau!)

und zwar aus ideologischen Gründen der Grünen. Herr Rüße, das sind Ihre ideologischen Überzeugungen, die Landwirtschaft am liebsten abzuschaffen.

(Beifall von der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

– Regen Sie sich nicht so auf! Nun warten Sie doch mal ab!

Anders lässt es sich nicht erklären, dass der Verein ARIWA Klage gegen den Kreis Kleve erhoben hat – übrigens wenige Tage, nachdem der Gesetzentwurf eingebracht wurde. Nach eigenen Worten will der Verein ARIWA mit dem Verfahren zeigen,

(Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

dass das Verbandsklagerecht unentbehrlich ist. Ein Verbandsklagerecht darf für so etwas nicht instrumentalisiert werden!

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Was? – Michele Marsching [PIRATEN]: Was? Ich habe ein Recht und darf es nicht nutzen?)

Hiermit möchte man mit einem – Zitat – „Musterverfahren“ doch nichts anderes als ein Exempel statuieren. Das Thema, um das es in diesem Verfahren geht, die Kastenstandhaltung bei Sauen, darf man nicht auf dem Rücken einer Kreisverwaltung austragen. Das müssen Sie, Herr Minister, in Berlin mit dem Bundesagrarminister klären.

Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland die schärfsten Tierschutzrechte der Welt, und im ganzen Land haben wir sachkundig abwägende und hochengagierte amtliche Tierärzte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Busen, würden Sie …

Karlheinz Busen*) (FDP): Nein, ich bin gleich fertig.

Es ist die Aufgabe der staatlichen Veterinärverwaltung, dieses Recht in der Praxis umzusetzen. Das machen die amtlichen Tierärzte traditionell sehr gut, seriös, unabhängig und unbestechlich. Ein Gesetz, das Besserwissern, die keinerlei Qualifikation vorweisen müssen,

(Zuruf von der SPD)

solche Rechte gibt, brauchen wir absolut nicht. – Danke.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Tierschutzverbände und Jäger am Stream! Liebe CDU, seit Sie Ihren Gesetzentwurf im Januar dem Plenum vorlegten,

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

gab es leider keine neuen Erkenntnisse. Sie haben auch bei der Behandlung im Ausschuss nichts Neues vorgelegt, sondern einfach nur ihre verkehrten Behauptungen wiederholt. Sie sind auch überhaupt nicht auf die von uns und den regierungstragenden Fraktionen vorgebrachten Fragen und Argumente eingegangen. Sie nehmen das offensichtlich selber nicht so ernst.

Sie wissen natürlich, dass das wichtige kollektive Bürgerrecht der Verbandsklage nicht nur auf Landesrecht basiert; es basiert auch auf Bundes- und EU-Recht. Es kann nicht nach Belieben beschnitten, zusammengestrichen oder abgeschafft werden. Deshalb scheiterten Sie ja auch in Ihrer eigenen Regierungsperiode mit allen derartigen Versuchen, und Ihre großspurigen Versprechen von Einschränkungen erwiesen sich daher auch als leere Drohungen.

Sie sagen jetzt, Sie wollen ganz konkret etwas für nach der Wahl versprechen. Falls Sie dann wieder an der Regierung sein sollten, weiß ich nicht, wie Sie das Versprechen einlösen wollen, wenn es schon allein praktisch überhaupt nicht durchführbar ist. Sie haben es doch selber gezeigt; in Ihrer eigenen Regierungszeit haben Sie an der Stelle – zum Glück, muss man sagen – versagt.

Mein Kollege Rohwedder fragte Sie im Januar-Plenum und im Ausschuss nach dem Wunsch des Landesjagdverbandes, ebenfalls ein Verbandsklagerecht zu bekommen. Der wurde in der ersten Instanz vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen abgewiesen. Wie die zweite Instanz, das Oberverwaltungsgericht Münster, entscheiden wird, wissen wir nicht.

Ich wiederhole die Frage einmal: Falls der Landesjagdverband in Münster gewinnt und der Landtag jetzt Ihrem Antrag folgt – wie stehen Sie denn dann da?

Und wie stehen Sie zu unserem Vorschlag, ein Verbandsklagerecht auch für die Jäger zu schaffen, und zwar nicht aufgrund der Klage, weil sie ein Tierschutz- oder Umweltverband wären, sondern als das, was sie sind, ein Verbandsklagerecht als Jäger, als Jagdverband. Wie stehen Sie dazu?

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Man kann auch die Metzgereiverkäuferin nehmen! – Gegenruf von Michele Marsching [PIRATEN]: Kann man machen! Wo ist das Problem?)

Das ist für Sie, die Sie gegen Bürgerrechte und gegen Bürgerbeteiligung sind, natürlich schwierig. Aber das ist Ihr Problem.

Herr Deppe, abgesehen davon, dass Sie alle Gründe, die Sie anführen, noch immer nicht bewiesen haben – sie stehen noch immer unbewiesen im Raum –, auch abgesehen vom zugrunde liegenden verwirrten Weltbild, hat die Situation, dass NRW in der Wirtschaft schlecht dasteht, was Sie eben sagten, wirklich gar nichts mit dem Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine zu tun.

Und dann bringen Sie, Herr Deppe, immer wieder das Argument der entgrünten Gesellschaft ins Spiel. Das Wort „entgrünen“ wurde von Herrn Groschek im Zusammenhang mit dem Problem gebraucht, dass Bürger- und Verbändebeteiligung angeblich der Dringlichkeit von Bauvorhaben entgegenstehen, zum Beispiel bei neuen Brücken. Dabei hat die Politik selbst die Dringlichkeit ausgelöst. Tierschutzverbände sind da an keiner Stelle verantwortlich. Weder an der maroden Infrastruktur

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

noch an der darbenden Wirtschaft in NRW sind Tierschutzverbände schuld.

(Beifall von den PIRATEN)

Tierschutzverbände verhindern auch nicht die Modernisierung und Erweiterung landwirtschaftlicher Betriebe.

Ich möchte an der Stelle ausnahmsweise einmal Herrn Abel zitieren: „Wer könnte was dagegen haben?“, hat er gefragt. Wenn alles überall in Ordnung ist, dann gibt es auch – das möchte ich hier festhalten – keinen Bedarf für dieses Abschaffungsgesetz.

Herr Busen, ich weiß nicht, was die Polarisierung – die Sie mit den Worten „militante Tierrechtler“ oder „Landwirtschaft abschaffen“ vorgenommen haben – an dieser Stelle soll. Wohin soll das führen? Wenn Sie wirklich gute Argumente gehabt hätten, dann wären die dadurch leider verdeckt worden.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Hat er aber nicht! Das ist das Problem!)

Diese Argumente haben wir auch nicht gefunden. Wir haben wirklich versucht, uns damit sachlich auseinanderzusetzen und das Für und Wider abzuwägen. Das ging aber überhaupt nicht. Es bleibt bei der Empfehlung zur Ablehnung dieses CDU-Gesetzentwurfs. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Remmel das Wort.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Der völlig verunsicherte Minister tritt ans Pult!)

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wer von Ihnen in den letzten Tagen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unterwegs war und den historischen Film von Professor Grzimek gesehen hat. Ich fand den sehr eindrucksvoll. Mich hat er sehr berührt. In ihm ging es um das Leben von Professor Grzimek, der sozusagen Vater der Tierrechte und des Tierschutzes in Deutschland ist.

Etwas hat mich daran besonders beeindruckt. Professor Grzimek war ehrenamtlicher Tierschutzbeauftragter der damaligen Bundesregierung und ist an dem damaligen Landwirtschaftsminister Ertl mehr oder minder gescheitert, als es darum ging, Tierrechte gegen Käfighaltung und Intensivtierhaltung durchzusetzen. Er hat das schon damals – in den 60-er, 70-er und 80-er-Jahren – massiv angeprangert.

Ich habe mich gefragt: Verdammt noch mal, was hat sich denn in den 40, 50 Jahren an der Argumentation verändert? Hat sich wirklich etwas Positives entwickelt? Mich beschlich der Gedanke, dass der Kampf von Professor Grzimek nicht wirklich erfolgreich war. Denn die gleichen Argumente, die ihm damals entgegengehalten worden sind und mit denen für die Nutzung bzw. Ausnutzung von Tieren argumentiert wurde, werden nach wie vor heute von den Nutzerinnen und Nutzern verwandt. Nach wie vor die gleichen Argumente!

(Karlheinz Busen [FDP]: Sie kennen die Realität gar nicht mehr! Vor 40 oder 50 Jahren sah es völlig anders aus!)

– Die Käfighaltung ist noch immer nicht abgeschafft, Herr Busen! Noch immer nicht – trotz des langen Kampfes, Herr Busen!

(Karlheinz Busen [FDP]: Die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft weltweit haben Sie vergessen!)

Dann beschlich mich aber doch der Gedanke: Ja, ein bisschen hat sich getan. Es gibt die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz. Wir haben das im Übrigen fraktionsübergreifend – ich bin dankbar für die seinerzeitigen Initiativen – in einem schwierigen Prozess in die Verfassung bekommen. Der Tierschutz steht in der Verfassung.

Ich komme jetzt aber zu dem, was wir in der Rechtssystematik nicht haben. Das müssen Sie doch einmal erklären, aber das haben Sie in der gesamten Debatte nicht getan. Auch aus Ihrer Sicht ist es doch sinnvoll, dass freilebende Tiere und Pflanzen sehr wohl über das Verbandsklagerecht im Naturschutzbereich – mittlerweile ist das auch im Bundesnaturschutzgesetz verankert – geschützt sind. Es gibt also in der ganzen Breite unserer demokratischen Verfasstheit – das betrifft nicht nur das Parlament und die Verwaltung, sondern auch die rechtliche Überprüfung – die Möglichkeit, die entsprechenden Rechte einklagen zu können. Pflanzen und Tiere können das eben nicht selber, obwohl es in der Verfassung steht. Die Frage ist, warum das für gehaltene Tiere nicht gelten soll. Die Gründe für diese Unterscheidung haben Sie bis heute dem Parlament und der Öffentlichkeit nicht dargelegt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Deppe, ich komme zum Thema Fake-News. Sie haben eben etwas zitiert. Sie müssen mir auch nachweisen, wo ich das gesagt habe. Ich soll angeblich gesagt haben, Tiere dürften nicht rechtlos den Interessen der Tierhalter ausgeliefert sein. Das habe ich nirgendwo gesagt. Ich weise das auch strikt zurück. Denn es geht nicht um die Frage der Qualifikation von Tierhalterinnen und Tierhaltern, sondern darum, dass Rechte dort durchgesetzt werden können, wo sie nicht wahrgenommen werden. Das ist der Kern der Auseinandersetzung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Selbstverständlich leisten die Veterinärinnen und Veterinäre gute Arbeit. Selbstverständlich leisten die Tierhalterinnen und Tierhalter gute Arbeit. Nur wird bisher nicht rechtlich überprüft, was verwaltungsmäßig festgesetzt wird. In jedem anderen Fall kann man das machen. Warum soll das denn in diesem Fall nicht möglich sein?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In der Tat trägt das Verbandsklagerecht nicht nur im Bereich des Naturschutzes, sondern – wir sehen das ja – auch im Bereich des Tierschutzes dann zur Rechtssicherheit bei, wenn Rechtsetzung und Normen tatsächlich auch einer Überprüfung anheimfallen.

Sie haben das Beispiel des Kastenstandes genannt. Das ist doch klassisch. Da gibt es eine Rechtsetzung. Genauso gibt es bereits eine Rechtsetzung im Bereich des Amputierens. Die Schweineschwänze müssten normalerweise dranbleiben. Es werden ständig Ausnahmen von der Regel gemacht. Genauso ist es bei den Kastenständen. Es gibt das entsprechende Gesetz bzw. die entsprechende Verordnung. Sie wird aber offensichtlich nicht eingehalten.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es die Notwendigkeit, diese rechtliche Überprüfung gegebenenfalls auch von einem Gericht vornehmen zu lassen. Es wäre natürlich besser, wenn wir längst andere Grundlagen in der Rechtsetzung hätten, um die Rechtsunsicherheit, die tatsächlich entstanden ist, zu beseitigen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einen Argumentationsfehler zurückweisen. Es ist schon grotesk, die zurückgehenden Investitionen im Bereich der Tierhaltung dem Verbandsklagerecht zuzuschreiben. Ich kann das nur so beschreiben, dass Sie von den Fehlleistungen Ihrer eigenen Politik in der Vergangenheit ablenken wollen. Wer hat denn immer gesagt: „Wachse oder weiche“? Das waren nicht die Grünen, das waren nicht die Sozialdemokraten. Es waren die CDU und die FDP, die diese Politik betrieben haben. Und jetzt sehen Sie das Ergebnis.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Milchkrise im letzten Jahr ist doch ein gutes Beweis dafür, dass es eine Fehlentwicklung gab. Es wird deshalb nicht investiert, weil es der Markt nicht hergibt. Und genauso ist es im Schweinebereich mit den Schweinepreisen. Das wissen Sie auch. Wenn alle die Tierwohl-Initiative beachten würden, dann würde auch investiert. Das liegt doch nicht am Verbandsklagerecht. Es gibt hier eine Ablenkungsdiskussion. Das hat mit dem Thema hier überhaupt nichts zu tun.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, erstens würde Herr Kollege Deppe Ihnen gerne eine Frage stellen, und zweitens darf ich Sie darauf hinweisen, dass Sie ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben. Lassen Sie die Zwischenfrage zu?

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr gerne.

Rainer Deppe (CDU): Herr Minister, ich möchte hier noch einmal auf das Kupieren der Schwänze aus Tierschutzgründen zurückkommen. Meinen Sie nicht, es wäre richtig, wenn Sie überall, wo Sie auftreten, auch nur mit einer Zunge sprechen würden? Hier beklagen Sie das und sagen, dagegen müsse endlich vorgegangen werden. Als Aufsichtsbehörde hätten Sie ja die Möglichkeit dazu. Gleichzeitig versichern Sie aber den Landwirtschaftsverbänden: Ihr könnt euch auf mich verlassen. Wir haben hier ein Übergangsprogramm vereinbart; wir haben verabredet, Versuche durchzuführen. Vorerst wird ein solches Verbot nicht kommen.

Dann sagen Sie doch bitte an beiden Stellen das Gleiche, und erwecken Sie nicht den Eindruck, dass Sie vor dem jeweiligen Publikum, vor dem Sie sprechen, immer nur das sagen, was dort am liebsten gehört wird.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Fragezeichen!)

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrter Herr Deppe, das ist offensichtlich eine Feststellung, die aber nicht zutreffend ist. Ich sage überall das Gleiche. Wir haben eine Rechtsetzung durch europäisches Recht, wonach das Amputieren von Teilen von Tieren nicht erlaubt ist. Es ist nicht erlaubt. Hiervon machen wir eine Ausnahme, weil es im Stallbau und in der Tierhaltung eine Entwicklung gibt, die wir nicht von heute auf morgen zurückdrehen können. Sie schafft aber Rechtsunsicherheit.

Ich werbe dafür, mit den Normen für eine nachhaltige Tierhaltung endlich einmal vor die Zeit zu kommen

(Beifall von den GRÜNEN)

und Standards festzulegen, die nicht ständig der gesellschaftlichen Debatte anheimfallen, sondern eine zukunftsorientierte Landwirtschaft garantieren. Wir sollten also entsprechende Rahmenbedingungen setzen, damit das in Zukunft noch möglich ist und wir nicht dauernd diese Auseinandersetzungen haben. Dafür werbe ich an jeder Stelle, sowohl hier im Landtag als auch draußen bei den Menschen.

Deshalb ist das Verbandsklagerecht auch der richtige Weg. Vielen Dank für die Unterstützung der Regierungsfraktionen und der Piraten, diesen Weg weiter zu begleiten. Es ist vorgesehen, das Gesetz 2018 zu evaluieren. Diese Zeit sollten wir uns gemeinsam nehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Das war die Beantwortung der Zwischenfrage. Der Minister hatte aber vorher schon seine Redezeit ein wenig überzogen. Gibt es den Wunsch nach Redebeiträgen aus dem Parlament? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in Drucksache 16/14419, den Gesetzentwurf Drucksache 16/14017 abzulehnen. Somit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung. Wer also dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die CDU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Gesetzentwurf Drucksache 16/14017 in zweiter Lesung abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 5 und rufe auf:

6  Situation des Zeitungsmarktes in NRW 2016 und seine digitale Entwicklung

Große Anfrage 22
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13053

Antwort
der Landesregierung
Drucksache 16/14296

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Vogt das Wort.

Alexander Vogt*) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Journalismus und Medienvielfalt sind wichtige Grundlagen unserer Demokratie. Das gilt auch in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier eine ausgeprägte Medienlandschaft. Wir haben viele große Sender. Wir haben den WDR mit sechs Hörfunkprogrammen und dem TV-Programm. Wir haben RTL. Wir haben 44 private Lokalradios. Damit haben wir eine Medienvielfalt, die wir in anderen Bundesländern so nicht vorfinden.

Ein ganz wichtiger Bestandteil dieser Medienlandschaft sind Zeitungsverlage. Um die Situation der Zeitungsverlage genauer zu betrachten, haben wir diese Große Anfrage gestellt. Wir wollten sehen, was funktioniert und welche Rahmenbedingungen wir als Politik setzen müssen, um den Zeitungsmarkt zu stärken.

Bereits in den Jahren 2003, 2006, 2008 und 2011 haben wir ähnliche Große Anfragen gestellt. Damit haben wir jetzt eine detaillierte Analysemöglichkeit geschaffen, wie sich dieser Markt entwickelt. Das gibt es auch in keinem anderen Bundesland.

Festgehalten werden kann, dass wir immer noch einen starken Zeitungsmarkt haben. Gemessen an den Verkaufszahlen gehören vier Verlage aus Nordrhein-Westfalen zu den zehn größten Deutschlands: die Funke Mediengruppe, die Verlagsgruppe DuMont, die Verlagsgruppe Ippen und die Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft.

In Bezug auf die Inhalte zeigt uns die Antwort auf diese Anfrage, dass der Seitenumfang der 40 regionalen Abo-Zeitungen, die untersucht wurden, immer noch stattlich ist. Dabei ist der Anzeigenanteil relativ gering. Der redaktionelle Anteil liegt bei 80 %, und der Lokalteil macht ungefähr ein Drittel aus.

Gleichzeitig zeigt die Beantwortung auch, dass die Auflagen zurückgehen und dass wir auch Vielfaltsverluste in Nordrhein-Westfalen beobachten können. Das Leserverhalten ändert sich natürlich. Außerdem haben die Verlage andere Strukturen geschaffen. Es gibt immer mehr Kooperationen zwischen vormals konkurrierenden Verlagen. Damit einhergehend finden wir auch einen Arbeitsplatzabbau in den Redaktionen der Print-Zeitungen.

Bei der Leserschaft haben wir die Situation, dass insbesondere die älteren Zielgruppen besonders viel Zeitung lesen. Die Gruppe der 14- bis 19-Jährigen weist mit rund 24 % die geringste Reichweite auf.

Wie haben nun die Verlage reagiert? Die Antwort auf die Anfrage zeigt uns, dass 20 NRW-Verlage bereits mit Paid-Content-Systemen arbeiten, also auch im Onlinebereich Geld verlangen. Zum Vergleich: In ganz Deutschland macht das nur rund ein Drittel der Verlage.

Wir verzeichnen in den letzten Jahren auch einen Zuwachs bei den E-Paper-Verkäufen. Mittlerweile steht dort ein Anteil von 4,8 % im Raum. Auffällig ist, dass die Preisgestaltung für E-Paper noch sehr unterschiedlich ist. Es gibt sie für monatlich zwischen 3,00 € und 14,90 € zusätzlich zum Print-Abo. Das deutet darauf hin, dass sich dort erst einmal der Markt finden muss.

Teilweise entstehen digitale Sonntagsausgaben. Beispielsweise der „Hellweger Anzeiger“ oder die „Ruhr-Nachrichten“ machen das. Die Zeitungsverleger führen zudem zahlreiche Projekte an Schulen durch, um insbesondere auch junge Leserinnen und Leser zu erreichen. Manche geben ganze Kinderseiten heraus; von manchen sogar täglich. Außerdem verzeichnen wir eine steigende Anzahl lokaler oder hyperlokaler Onlineangebote; inzwischen gibt es über 90 dieser Anbieter in Nordrhein-Westfalen.

Insgesamt ist die Vielfaltssicherung ein wichtiger Teil, der uns auch als Politik betrifft. Wir haben als Maßnahme festgelegt, dass jährlich ein Medienkonzentrationsbericht durch die Landesanstalt für Medien erstellt werden muss. Die Ministerpräsidentin hat den Diskurs „Medienvielfalt NRW 4.0“ ins Leben gerufen. Das Thema „Gemeinnützigkeit von Journalismus“ haben wir hier diskutiert. Auf europäischer Ebene wird derzeit eine Senkung der Mehrwertsteuer bei digitalen Verlagsprodukten vorbereitet, und hier in Nordrhein-Westfalen haben wir mit der Journalismus-Stiftung „NRW vor Ort“ eine Grundlage geschaffen, gerade neu entstehende journalistische Produkte zu fördern und zu stärken.

Sie sehen, meine Damen und Herren: Medienvielfalt ist uns wichtig. Wir beschäftigen uns mit diesem Thema. Wir wollen sehen, wie sich dieser Markt entwickelt und was wir an Rahmenbedingungen setzen können. Wir haben in dieser Legislaturperiode einiges hierzu auf den Weg gebracht. Diese Große Anfrage ist eine gute Bewertungsgrundlage für die nächsten Jahre, diesen Zeitungsmarkt auch hier zu stärken. – Vielen Dank!

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin! Kollege Vogt hat eine Reihe von sehr wichtigen Fakten aus dieser sehr lesenswerten Großen Anfrage schon hervorgehoben. Ich bin erst einmal – das möchte ich für meine Fraktion zum Ausdruck bringen – der Landesregierung sehr dankbar, dass sie die Große Anfrage 22 von SPD und Grünen verantwortet hat, uns vorgelegt hat, dass sie sich der Mühe unterzogen hat, all diese verschiedenen Aspekte des Zeitungsmarkts in Nordrhein-Westfalen noch einmal aufzugreifen, und dass sie hat untersuchen lassen – ich vermute mal, dass sie es nicht allein untersucht hat –, was an Fakten zu recherchieren war.

Es ist schon interessant, alles das, was wir im täglichen Leben unter Umständen nicht so bemerken, in dieser Anfrage nachlesen zu können. Es gibt, wenn man so will, eine fallende Tendenz im Bereich des Printmarkts, was unser Tageszeitungsangebot betrifft. Das ist auf der einen Seite sehr, sehr bedauerlich, weil wir alle der Meinung sind, Meinungsvielfalt und Pressevielfalt seien ein hohes Gut und sollten sich natürlich auch durch ein vielfältiges Zeitungsangebot äußern.

Auf der anderen Seite sind die Fehler, die wir nachlesen können, zum Teil hausgemacht, wie beispielsweise das Zurücknehmen von Lokalangeboten in bestimmten Bereichen, woraus dann resultiert, dass die Leute, die vor Ort eine Zeitung abonniert hatten, diese eben abbestellen, weil über die eigene Örtlichkeit nichts mehr nachzulesen ist. Das sind Entwicklungen, die sich dann selbst ein Stück weit fortschreiben, und die wir natürlich bedauern.

Die Studie enthält viele, viele interessante Fakten, und wenn man die Vergleichszahlen aus 2003, 2006, 2008, 2012 und jetzt Stand 2016 nebeneinanderlegt, dann kann man sehen, dass hier eine Entwicklung im Gange ist, die auch etwas damit zu tun hat, dass im selben Maße, wie sich Printmedien im Rückzug befinden, sich der digitale Bereich entsprechend erweitert hat. Es gibt eine lange Liste von sogenannten lokalen Onlinemedien – das ist auch in der Antwort zur Anfrage nachzulesen –, und man ist beeindruckt, wie viele Angebote es auf der digitalen Ebene gibt.

Interessant ist aber auch, dass es sich dabei um Angebote handelt, die im Schnitt zwischen 200 und 2 000 Leute erreichen. Das sind also keine Riesenangebote, sondern wirklich kleine, lokale Angebote im Netz, wo eben der einzelne Berichterstatter, die einzelne Berichterstatterin über eine lokale Situation im Netz ein kleines Portal unterhält und auf Dinge vor Ort hinweist. Das mag im Einzelnen gut funktionieren; da ist das digitale Angebot auch ein entsprechender Verbreitungsweg.

Es zeigt sich zudem, dass man mit dem Zeitungsmarkt nicht viel Geld verdienen kann. Das zeigt sich auch an so bitteren Sätzen – man kann sie nachlesen – wie dem des Deutschen Journalistenverbandes, der sagt, es gebe keinen einzigen Verlag in Nordrhein-Westfalen, der sich an die Vereinbarungen hinsichtlich der Zahlungen an Journalistinnen und Journalisten, insbesondere auch an freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, halte. Das ist, wie ich finde, eine sehr bittere Aussage in dieser Großen Anfrage.

Wörtlich heißt es hier auf der Seite 63, jedenfalls sei dem DJV, dem deutschen Journalistenverband, in NRW kein freier Journalist bekannt, der von NRW-Verlagen entsprechend der Vereinbarung bezahlt werde. Das sind natürlich sehr herbe Aussagen, die deutlich machen, dass das ein sehr hartes Geschäft ist. Wir, die wir uns immer damit befassen, wissen das natürlich. Aber allen hier im Landtag und auch außerhalb, die sich damit einmal befassen wollen, steht hier ein wirklich sehr überschaubares, aber auch sehr interessantes und lesenswertes Kompendium zur Verfügung.

Ab Seite 160 wird es, für mich jedenfalls, interessant, weil es da um die Frage geht, wie wir denn Vielfalt erhalten. Ich glaube, wir werden uns für die Zukunft – und das haben wir Grüne schon sehr lange gesagt – darüber unterhalten müssen, ob wir uns nicht auch wie in anderen Ländern Europas, wo das gang und gäbe ist, ganz konkret über vielfaltstützende Maßnahmen für die Zukunft werden unterhalten müssen.

Wir haben in Deutschland ein top staatsfern organisiertes Pressewesen; das ist gut so. Das würden wir auch gern beibehalten. Wir werden uns jedoch für die Zukunft über einige Fragen Gedanken machen müssen: wie man möglicherweise in einem etwas fantasievolleren Umgang mit der Mehrwertsteuer oder durch eine Förderung von Gemeinnützigkeit von journalistischen Angeboten – wir haben schon einmal einen Antrag der FDP dazu intensiv beraten – oder womöglich auch durch Förderung von Transport und Logistik usw., wie das in Frankreich der Fall ist, dafür sorgen kann, dass auch künftig überall im Land Zeitungen erscheinen und die Meinungsvielfalt dadurch gesichert wird, dass sie ein Stück weit auch durch die Gesellschaft gestützt wird.

In der Antwort zur Großen Anfrage findet man Hinweise darauf, dass gerade in den skandinavischen Ländern – und zwar mit Millionenbeträgen im hohen zweistelligen Bereich – durchaus eine Förderung der Zeitungslandschaft organisiert wird. Die EU lässt das auch ausdrücklich zu, wenn es dabei nicht darum geht, dass der europäische Handel dadurch in Gefahr gerät. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Aspekt, den wir für die Zukunft im Auge behalten sollten.

Die Antwort auf die Große Anfrage bietet für all das entsprechende Hinweise. Möglicherweise werden wir irgendwann neben einer bereits vorhandenen Stiftung vor Ort eine weitere Stiftung haben, die sich mit der Vielfaltssicherung befasst und in die wir mit einer Mediengebühr gemeinsam einzahlen. Auf diese Weise können wir auch künftig die Vielfalt im Zeitungsmarkt – online wie möglicherweise auch noch Print – weiter sichern. – Vielen Dank!

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis! – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Schick.

Thorsten Schick (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage zur Zeitungslandschaft in Nordrhein-Westfalen hat wenig überraschende Ergebnisse geliefert. Viele Trends haben sich fortgesetzt. Die verkaufte Gesamtmenge an regionalen Abo-Zeitungen ist zwischen 2012 und 2016 um 380.000 Exemplare gesunken. Das ist ein Rückgang um rund 13 %. Im Vergleich dazu sind E-Paper leider nur ein kleiner Lichtblick. Sie haben um 5 % zugelegt, aber auf einer sehr geringen Grundlage. Daher können Sie die gedruckte Auflage und deren Rückgänge in keiner Art und Weise kompensieren.

Immerhin ist statistisch gesehen die Anzahl der Zeitungstitel nahezu konstant geblieben. Das Gleiche gilt für die Anzahl der Hauptredaktionen. Trotzdem sind weitere Arbeitsplätze in Verlagen und Druckereien verloren gegangen.

Das Kernproblem der Zeitungslandschaft liegt generell darin, dass die Reichweite von Zeitungen mit dem Alter zunimmt. Das ist eine positive Formulierung. Dreht man das Ganze um, heißt das nichts anderes, als dass nur wenige junge Menschen bereit sind, eine Zeitung zu abonnieren. Wenn man weiß, dass junge Menschen nur in geringem Maße die Neigung haben, Zeitungen zu abonnieren, muss es eigentlich Pflicht der Politik sein, Projekte zu unterstützen, die junge Menschen mit Zeitungen und mit dem Zeitunglesen in Kontakt bringt.

Zum Glück hat die Landesregierung die gleiche Sichtweise – ich zitiere folgenden Satz von Seite 89 –:

„Die Landesregierung begrüßt das Engagement und die Initiativen von Zeitungsverlagen bei Projekten, in deren Zentrum der Einsatz von Zeitungen im Unterricht oder in der Ausbildung steht.

Früher hat die Landesregierung solche Initiativen nicht nur begrüßt, sondern sie auch finanziell unterstützt. Gemeint ist das Projekt „ZeitungsZeit“, das übrigens die bundesweit größte Initiative darstellt. Das noch von Schwarz-Gelb finanziell unterstützte Projekt – wenn auch mit EU-Geldern – hat flächendeckend Schülerinnen und Schüler im Unterricht mit Zeitungen in Kontakt gebracht. Mittlerweile ist es klammheimlich beerdigt worden.

Herr Vogt und Herr Keymis sprachen der Landesregierung auch deswegen ihren Dank aus, weil sie sehr dezidiert zu einzelnen Themen Stellung bezogen hat. Da wird es allerdings relativ dünn. Ich hätte mir doch einige Ausführungen dazu gewünscht, warum gerade dieses Projekt, das für die Zeitungslandschaft in Nordrhein-Westfalen so wichtig ist, einfach heimlich beerdigt worden ist. Wer sagt, dass Zeitungslesen für Schülerinnen und Schüler wichtig sei, darf sich an dieser Stelle nicht um eine klare Aussage herumdrücken. Das wird diesem Projekt nicht gerecht.

Stattdessen feiert man den „großen Wurf“, die Stiftung „Vor Ort NRW“. Lassen Sie mich das aber mal herunterbrechen: Pro Kopf fließen 9 Cent pro Jahr in diese Stiftung. Dann müsste man schon mehrere Jahre sparen, um sich davon überhaupt eine einzige Zeitung kaufen zu können. Das belegt, dass diese Stiftung sicherlich nicht dazu angetan ist, den ganz großen Wurf zu tun. Man muss sich verstärkt mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Das passiert mit der konvergenten Medienordnung.

Ich glaube, Herr Vogt möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich würde sie auch zulassen.

Präsidentin Carina Gödecke: Es ist wirklich nett, dass Sie das schon mal erledigen. – Dann schalte ich jetzt das Mikrofon frei, bitte schön.

Alexander Vogt*) (SPD): Herr Schick, Sie hatten gerade kritisiert, dass zu wenige finanzielle Mittel in der Lokaljournalismus-Stiftung „Vor Ort NRW“ vorhanden seien. Ich kann mich noch daran erinnern, dass gerade von Ihrer Seite und auch von der CDU-Fraktion kritisiert wurde, da fließe zu viel Geld in diese Stiftung.

Jetzt sagen Sie, das alles lohne sich nicht, weil es zu wenig Geld sei. Entspricht es denn Ihrer Position, dass mehr Geld zur Finanzierung dieser Stiftung notwendig ist und dass es Initiativen politischer Art geben sollte, diese Stiftung stärker mit finanziellen Mitteln auszustatten?

Thorsten Schick (CDU): Herr Vogt, da haben sie ein bisschen an meinen Formulierungen gedreht. Das sei Ihnen politisch natürlich zugestanden. Allerdings war meine Aussage: Es ist zu wenig Geld, um diesen großen Kranz zu flechten, den Sie der Stiftung gerne umhängen, indem Sie so tun, als könnten mit dieser Stiftung gewaltige Probleme in der Medienlandschaft in Nordrhein-Westfalen gelöst werden.

Deswegen habe ich gesagt, dass diese 1,6 Millionen € bei Weitem nicht reichen, um Trends aufzuhalten. Ich hätte mir eher gewünscht, dass man, wenn man Geld in die Hand nimmt, Zeitungsprojekte in der Schule vorantreibt. Da hätten Sie uns tatsächlich an Ihrer Seite gehabt. Da hätten wir auch etwas gemacht. Aus meiner Sicht ist es wesentlicher nachhaltiger, junge Menschen mit dem Produkt „Zeitung“ in Kontakt zu bringen, als das, was mit dieser Stiftung erreicht werden kann. So war meine Aussage zu verstehen. Das haben Sie auch so verstanden. Sie wollten nur ein bisschen politischen Honig saugen. Das sei Ihnen gegönnt.

(Beifall von der CDU)

Ich komme noch einmal zur konvergenten Medienordnung. Hierbei gilt es, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen. Denn wenn wir ehrlich sind, werden doch denjenigen die engsten Fesseln angelegt, die Qualitätsprodukte generieren. Plattformen hingegen gehen weitgehend unreguliert ihrem Geschäft nach. Da muss Wettbewerbsgleichheit erreicht werden. Das europäische Leistungsschutzrecht bietet sicherlich eine Gelegenheit dazu. Weitere Themen werden wir diskutieren, etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seine Berichterstattung im Netz und die Grenzen von Rechercheverbünden.

Gerade wurden viele kritische Bemerkungen gemacht. Ein positives Ergebnis nenne ich Ihnen noch zum Schluss: Der Umfang der durchschnittlichen Tageszeitung ist gleich geblieben. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zahl der Anzeigen zurückgeht, ist dies ein positives Signal. Wir sollten die Verlage auf Ihrem Weg unterstützen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schick. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest, dass hier die Stiftung sehr beweihräuchert wird. Dazu muss ich sagen: Ich war gegen die Stiftung, besuche aber trotzdem ihre Veranstaltungen. Dabei fällt mir auf: Vielleicht haben wir viel zu viel Geld in die Stiftung investiert.

Was die Stiftung leistet, das hätten die bestehenden Weiterbildungseinrichtungen mit ein bisschen Unterstützung auch selber meistern können. Die Selbstdegradierung im Titel, von „Stiftung Vielfalt und Partizipation“ zum lokal begrenzten „Stiftung Vor Ort NRW“, ist da nur eine Sache. Das Durchführen von Veranstaltungen nach Regierungsbezirksgrenzen ist wirklich ein bisschen antiquiert. Das war aber, glaube ich, gar nicht der Plan.

Zeitungen, Zeitschriften, Verlage und ihre Onlineangebote sind und bleiben ein Anker der Presselandschaft. Darüber sind wir uns alle einig. Die vorliegende Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zeigt für den Zeitraum 2012 bis 2016 wieder Rückgänge, etwa bei den verkauften Auflagen.

Das war in den letzten Jahren auch immer dem angesprochenen Medienkonzentrationsbericht der LfM zu entnehmen. Insofern musste man sich jetzt bei der Beantwortung vielleicht nicht ganz so viel Zeit nehmen, und gerade deshalb finde ich es bedauerlich, dass manche Antwort nicht sehr genau oder vielleicht auch schludrig ist.

Ich will feststellen: Die „Rheinische Post“ bezahlt Journalisten nach Tarif. Die Antwort der Landesregierung auf Seite 47 gibt einen anderen Eindruck wieder. Ich halte das für eine unverzeihliche Ungenauigkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Verlage, Redaktionen und Medienangebote stehen nach wie vor unter Druck. Das bleibt ein wichtiges Thema, das wird uns erhalten bleiben. Der Erhalt und die Stärkung von Pressefreiheit und -vielfalt müssen uns allen ein zentrales Anliegen sein.

(Beifall von der FDP und des Abgeordneten Josef Hovenjürgen [CDU])

Aber ich denke, es gibt auch Anlass zu Optimismus. Die Ausgangslage ist nach schwierigen Jahren des Umbruchs durchaus gut. Die Zeitungsverlage können selbstbewusst auftreten, denn sie haben die Herausforderung der Digitalisierung ganz überwiegend angenommen.

Drei Beispiele für diesen Optimismus: So hat die Zahl der Online-Angebote von Zeitungen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Aber auch die Zahl der Menschen, die kostenpflichtige Online-Angebote von Zeitungen und Zeitschriften nutzen, steigt kontinuierlich – vielleicht noch zu langsam, aber das gibt sich möglicherweise. Dass es dort vorangeht, belegt auch die einschlägige ACTA-Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach.

Ein Umstand jedoch muss uns klar sein: Eine qualitativ hochwertige und vielfältige Presse muss sich marktwirtschaftlich refinanzieren können.

(Beifall von der FDP)

Für die FDP-Fraktion steht deshalb außer Frage, dass eine vielfältige Presselandschaft langfristig nur bestehen kann, wenn die Refinanzierungsmöglichkeiten privater Angebote auch gestärkt werden. Da gäbe es drei Maßnahmen, die ich als vordringlich ansehe:

Wir müssen erstens die ideologischen Feldzüge gegen Werbung beenden. Die Werbung ist nach wie vor die zentrale Refinanzierungsquelle für Presseangebote. Aber schon jetzt sind Bürokratie, Bevormundung und Verbote allgegenwärtig. Wenn Pflichtangaben und Warnhinweise bald mehr Platz einnehmen als die Werbebotschaft selbst, wenn auch Werbung für immer mehr Produkte verboten wird, werden geschlossene Redaktionen die unvermeidbare Konsequenz sein.

Zweitens müssen wir zu fairen Bedingungen auf dem deutschen Medienmarkt zurückkehren. Schon heute bringen das staatlich garantierte Beitragsprivileg und die Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender in den Onlinebereich Wettbewerbsverzerrungen mit sich, die es kleinen Verlagen besonders schwer machen.

Die beitragsgenährte Arroganz führte gestern ganz aktuell zum Platzen der Online-Einigung der ARD mit den Verlegern. Die ARD ritualisiert diesen Konflikt schon, um die Grenzen in ihrem Sinne zu verschieben. Dass es auch anders geht, zeigt das ZDF: Es lässt diesen Konflikt nicht aufkommen, es ist online weitgehend bewegtbildorientiert, und das ist auch okay.

Nun ist leider ein Kompromiss gescheitert, der Verlagen die Chance gegeben hätte, mit ihren Angeboten über digitale Abos wettbewerbsfähig zu bleiben. Stattdessen ahmen die ARD-Sender die Textpalette der Presse nach und verzerren somit – die Rundfunkgebühr im Rücken – den Wettbewerb.

Drittens. Die FDP-Fraktion hat in dieser Legislaturperiode – das war schon 2014 – vorgeschlagen, die Anerkennung von Journalismus als gemeinnützig zu ermöglichen. Auch das wäre ein Beitrag zur Eröffnung neuer Finanzierungsquellen für Presseangebote.

(Beifall von der FDP)

Es gibt positive Signale aus allen politischen Lagern; das will ich gern unterstreichen. Aber leider verirren wir uns, glaube ich, gerade aufgrund einer gewissen Strategie von SPD und Grünen mutlos in Prüfungsexzessen. Aber ich bin sehr hoffnungsvoll, dass wir da in den kommenden Monaten doch noch weiterkommen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und Werner Jostmeier [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Lamla.

Lukas Lamla (PIRATEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und zu Hause! Wo liegt das Problem? Dass der Zeitungsmarkt rückläufig ist, dass die Auflagen von auf Totholz gedruckten Tageszeitungen immer weiter abnehmen, dass die geknechteten Verlagshäuser verzweifelt versuchen, im bösen neuen Internet zu überleben? Die aktuelle Große Anfrage gipfelt auf Seite 181 in garstigen Adblockern, die scheinbar jede – letzte – Gewinnmöglichkeit zunichtemachen. Liegt hier das Problem?

Ist die galoppierende und unaufhaltsame Digitale Revolution die Ursache? Müssen wir da irgendwelche wildgewordenen Adblocker-Nutzer in Ketten legen? Wir Piraten sagen da ganz klar Nein, denn wir glauben, die Veränderung selbst wird nur zum Problem, wenn man sich ihr nicht rechtzeitig stellt, wenn sich vor allem Politik Veränderungen nicht rechtzeitig stellt und Rahmenbedingungen zeitgemäß anpasst. Genau hier liegt das Problem.

Regelmäßig – in jeder Legislaturperiode – stellt die SPD die sinngemäß gleiche Große Anfrage: Situation des Zeitungsmarktes in NRW. – Erstmals trägt sie den Zusatz: und seine digitale Entwicklung. – Um die digitale Entwicklung ging es darin auch schon vor mehreren Legislaturperioden. Chancen aber, die die Digitalisierung mit sich gebracht hätte, werden in diesen Antworten ein bisschen zum Running Gag.

Warum beschäftigen sich Unternehmen nicht rascher mit Veränderungen? Weil sie vielleicht glauben oder hoffen, die Politik könne die Veränderungen aufhalten? Ich weiß es nicht.

In zehn Jahren ist Google tot – das versprach der Verleger Christian DuMont Schütte vor gut zehn Jahren in einem Interview mit der FAZ. Sein Haus verzeichnet seitdem deutliche Umsatzrückgänge. Heute ist er Vorsitzender des Zeitungsverlegerverbandes NRW. Der wiederum wettert gegen Adblocker, und die Landesregierung übernimmt diese Aussagen in der Antwort auf die Große Anfrage unhinterfragt, rechnet nicht einmal nach, sondern trifft auch noch technisch falsche Aussagen. Übrigens: Google geht es heute – zehn Jahre nach dieser Aussage – besser denn je.

Man fragt sich: Warum beschäftigt sich die Politik nicht rascher und gewissenhafter mit den Chancen, die in Veränderung liegen können? Weil es vielleicht Interessenskonflikte gibt? Gibt es einen Interessenskonflikt, wenn der Geschäftsführer des Zeitungsverlegerverbandes NRW Hendrik Wüst hier für die CDU im Parlament sitzt?

(Michele Marsching [PIRATEN]: Eigentlich schon – ja!)

Das möchte ich nicht bewerten.

Oder gibt es einen Interessenskonflikt, wenn die SPD im großen Stil an Druck- und Verlagshäusern beteiligt ist? Viele der jüngeren Menschen wissen vielleicht gar nicht, dass die SPD ganze Zeitungsverlage über eine Holding besitzt, so zum Beispiel 100 % vom Zeitungsverlag „Neue Westfälische“.

(Nadja Lüders [SPD]: Die Geschichte kennen Sie nicht!)

Und dann lässt die SPD das Land eine knapp zweihundertseitige Branchenstudie unter dem Deckmantel der Großen Anfrage erstellen. Hier steht dann, dass der Zeitungsverlag „Neue Westfälische“ vor zehn Jahren zehn Millionen € Jahresüberschuss hatte und es heute nur 1 Million € oder 2 Millionen € sind. Da kann dem Eigentümer schon mal bange werden. Vor allem sollte es den Bürgerinnen und Bürgern bange werden, wenn der Eigentümer gleichzeitig den Großteil der Landesregierung stellt, der diese Große Anfrage beantwortet.

(Beifall von den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, Ziel muss es sein, Interessenkonflikte aufzulösen und abzuschaffen, damit die Politik neutral und handlungsfähig im Sinne aller Menschen bleibt.

Die Große Anfrage deckt auch auf, dass es Unternehmen gibt, die sich hervorragend an Veränderungen anpassen. So liest knapp ein Drittel der Käufer das „Handelsblatt“ als E-Paper, bei der „Neuen Westfälischen“ sind es nur geringe 2 %.

Die Antworten zeigen: Es gibt keine generelle Unterversorgung mit Nachrichten, und die Mediendiversität ist nicht gefährdet. Vielleicht werden gedruckte Papierzeitungen immer weniger angefragt, aber an anderer Stelle entstehen neue Nachrichtenangebote. Geschickte Medienunternehmen haben das längst erkannt und erfolgreiche Bloggerinnen und Blogger an sich gebunden.

Ziel muss es sein, den Menschen und auch der Wirtschaft im schnellen digitalen Wandel die richtigen Rahmenbedingungen zu bieten. Schaffen Sie Rahmenbedingungen, die junge Menschen begeistern, indem sie gefördert werden, zum Beispiel in mehr Schülerzeitungsprojekten. Begeistern Sie junge Menschen auch in Projekten für Medienkompetenz und für das Interesse am Lesen journalistischer Texte. Schaffen Sie niederschwellige Weiterbildungsmöglichkeiten für journalistische Bloggerinnen und Blogger.

So schaffen Sie Rahmenbedingungen für junge Journalistinnen und Journalisten, sodass diese eigene Formate entwickeln und auch den Schritt in die Selbstständigkeit wagen können, ohne befürchten zu müssen, prekären Beschäftigungsverhältnissen bei Verlagen ausgesetzt zu werden, deren Gewinne dann womöglich ausgerechnet zurück in die Tasche der SPD fließen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wir alle wissen: Eine funktionierende Demokratie braucht unabhängige Medien. Die Zeitungen, um die es in der Großen Anfrage geht, sind ein wichtiger Teil unserer Medienlandschaft. Sie leisten einen wertvollen Beitrag für die freie Meinungsbildung.

Als Zeitungsleserinnen und -leser und als Nutzerinnen und Nutzer von Medien erleben wir alle sehr direkt den tiefgreifenden Wandel des Medienangebotes und der Mediennutzung. Digital verbreitete Medien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Neue Akteure wie die sozialen Netzwerke verändern den demokratischen Diskurs.

Die Geschäftsmodelle der Anbieter von klassischen Medien stehen überall auf der Welt unter Druck. Uns alle beschäftigt natürlich die Frage, wie wir auch in Nordrhein-Westfalen für die Zukunft eine vielfältige, eine starke und unabhängige Medienlandschaft für einen offenen demokratischen Diskurs auf der lokalen, der regionalen und natürlich auch der überregionalen Ebene sichern können.

Die Landesregierung liefert mit der vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage ein umfassendes Bild zur Situation des Zeitungsmarktes und seiner Entwicklung in Nordrhein-Westfalen. Die Antwort schreibt die Ergebnisse der vergangenen Großen Anfragen zum Zeitungsmarkt fort und legt einen neuen Schwerpunkt auf die Entwicklungen im Onlinebereich. Damit ergänzt und aktualisiert sie auch den aktuellen Medienkonzentrationsbericht der Landesanstalt für Medien, der im April 2016 veröffentlicht wurde.

Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich den beiden die Große Anfrage stellenden Fraktionen dafür danken, dass sie es damit ermöglicht haben, über mehr als ein Jahrzehnt einen sehr faktenreichen Überblick über die Entwicklung der Medienlandschaft und des Zeitungsmarktes zu liefern. Das ist – darauf ist zu Recht hingewiesen worden – bundesweit einmalig.

Die Antwort zeigt uns auch, dass die Digitalisierung die Zeitungshäuser in Nordrhein-Westfalen und bundesweit vor große Herausforderungen stellt. Die zentrale Frage für sie lautet seit Jahren, wie sie zukunftsfähige Erlösmodelle finden können, um die Zeitung in der digitalen Welt zu positionieren.

Ein wichtiges Ergebnis der Großen Anfrage ist, dass die Zeitungsunternehmen weiterhin die wichtigsten Anbieter von lokalen Informationen sind: gedruckt, als E-Paper oder auch auf Onlineportalen. Mit ihren Lokalredaktionen sind sie die Basis für den lokalen Journalismus. Zu den Ergebnissen zählt aber leider auch, dass die Nachfrage nach regionalen Abonnementzeitungen unverändert zurückgeht. Die Gesamtauflage ist von 2012 bis 2016 um 13 % gesunken.

Auch die Zeitungsvielfalt nimmt leider weiter ab. Als Folge rückläufiger Verkaufsauflagen und Werbeumsätze wurden auch in Nordrhein-Westfalen viele Lokalredaktionen geschlossen. 2015 konnten schon 46,1 %, rund 8 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr zwischen Zeitungen mit unterschiedlicher Lokalberichterstattung wählen. Im Jahre 2012 war dieser Anteil erst bei 5 Millionen Bürgerinnen und Bürgern.

Eine gute Nachricht gibt es dennoch: Die Zeitungsverlage haben ihr redaktionelles Angebot auch im Lokalteil im Vergleich zu den Vorjahren sogar, wenn auch nur leicht, ausgebaut.

Ein weiterer Lichtblick sind die zahlreichen lokaljournalistischen Onlineportale. So können die Lokalredaktionen von Zeitungen zwar nicht ersetzt werden, aber diese Onlineportale leisten einen wichtigen Beitrag für Vielfalt in der Berichterstattung. Leider fehlt den meisten dieser Angebote eine tragfähige Finanzierung, sodass sie nur kurz am Markt sind.

Die beschriebenen Veränderungen im Zeitungsmarkt machen aber deutlich, dass die Vielfalt in der lokalen und regionalen Berichterstattung in Gefahr ist. Es ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung, Medienvielfalt und unabhängigen Journalismus auch im digitalen Zeitalter zu erhalten. Sie sind substanziell für eine freie und umfassende Meinungsbildung.

Aus diesem Grund hat die Landesregierung unter dem Titel „Medienvielfalt NRW 4.0“ einen Diskurs mit den Medienschaffenden, mit dem Zeitungsverlegerverband, Vertreterinnen und Vertretern des privaten wie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und unabhängigen Onlinejournalistinnen und -journalisten, aber auch Vertretern von Gewerkschaften und Wissenschaft begonnen. Es geht uns dabei um die Frage, wie ein vielfältiges Medienangebot auch für die Zukunft sichergestellt werden kann.

Die Diskussion wollen wir in diesem Jahr fortsetzen. Die Antwort auf die Große Anfrage liefert uns dafür eine breite und aktuelle Basis.

Natürlich ist auch die Stiftung „Vor Ort NRW“ ein innovatives Instrument, das neue journalistische Formate sowie Weiter- und Fortbildungen für Journalistinnen und Journalisten fördert. Dies nun mit dem Wegfall des Projekts „ZeitungsZeit“ in einen Zusammenhang zu stellen, welches nach den neuen EFRE-Richtlinien für die nächste Förderperiode gar nicht mehr förderfähig wäre, ist ziemlich sachfremd. Die Zielsetzungen sind hier andere.

Meine Damen und Herren, wir freuen uns auf die Fortsetzung dieses spannenden Diskurses zur Medienvielfalt in Nordrhein-Westfalen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. – Der Minister hat seine Redezeit um 1:20 Minuten überzogen. Möchte jemand aus dem Parlament noch einmal das Wort ergreifen? – Das ist nicht der Fall. Dann kann ich feststellen, dass keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 6 schließen und die Große Anfrage 22 damit in ihrer Beantwortung für erledigt erklären.

Ich rufe auf:

7  Massiven Bearbeitungsrückstau bei Tatortspuren unverzüglich auflösen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14398

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Rickfelder hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Josef Rickfelder (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Antrag weisen wir auf einen weiteren Punkt der chaotischen Zustände hin, die unter Innenminister Jäger in Bezug auf die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen entstanden sind.

Viel zu viele Tatortspuren bleiben unbearbeitet. Fast die Hälfte aller 2016 an das LKA NRW übersandten Anträge zur Spurenuntersuchung, nämlich 27.712 Anträge, wurde nicht bearbeitet. Diese Zahl ist besonders bemerkenswert, wenn man sich vorstellt, dass damit eine entsprechend große Zahl von Verbrechen durch die zuständigen Behörden nicht verfolgt bzw. aufgeklärt werden kann. Man stelle sich die schlimme Situation der Opfer von Gewaltverbrechen vor, die unter der fehlenden Tataufklärung leiden müssen. Mangelnde Aufklärung ist Täterschutz!

Ein solcher Sachverhalt ist für die hart arbeitenden Polizeikollegen und besonders für die Opfer höchst deprimierend. Die Untersuchung von DNA-Tatortspuren ist zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil kriminalpolizeilicher Aufklärungsarbeit geworden. Die beabsichtigten Wirkungen, nämlich die Aufklärung von Straftaten, die Abschreckung und die damit verbundene wirksame Kriminalitätsbekämpfung, können aber nur erreicht werden, wenn alle Untersuchungen zeitnah durchgeführt und deren Ergebnisse der kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung zur Verfügung gestellt werden.

Insbesondere die DNA-Analyse hat in den vergangen Jahren dazu beigetragen, Kriminalfälle aufzuklären. Im vergangenen Jahr, also 2016, gab es so viele Treffer wie noch nie in der Analysedatei. Gerade im Bereich der nur schwer aufklärbaren Kapitaldelikte, die die Menschen in Nordrhein-Westfalen besonders verängstigen, ist es wichtig, diese Delikte aufzuklären und mögliche Wiederholungsstraftaten zu verhindern. Monatelange Wartezeiten sind an dieser Stelle nicht hinnehmbar.

In einer Zeit, in der Nordrhein-Westfalen die zunehmende Bedrohung von Terroristen spürt, ist es unabdingbar, dass Spuren so schnell wie möglich ausgewertet werden und Tatverdächtige dadurch identifiziert und verhaftet werden können.

Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Innenminister vor seinem Amtsantritt 2010 immer wieder einen großen Überhang an unbearbeiteten DNA-Spuren beklagt hatte, der dringend abzuarbeiten sei. Das hatte er sich damals auf die Fahne geschrieben. Was ist passiert? Der aktuelle Überhang ist mehr als doppelt so hoch. Wie ist es in diesem Zusammenhang zu bewerten, dass die bestehenden Überhänge bei den unbearbeiteten DNA-Spuren nach einer Presseerklärung des Ministers am 11. März 2013 abgebaut waren und wir Ende 2016 wieder von 27.712 unbearbeiteten Spuren reden müssen? Hier wird das eklatante Versagen der rot-grünen Landesregierung auch auf dem Gebiet der Kriminalitätsbekämpfung deutlich sichtbar.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU-Landtags­fraktion erwartet von der Landesregierung, unverzüglich dafür Sorge zu tragen, dass der massive Rückstand bei den DNA-Analysen abgebaut wird. Die Strafverfolgung in Nordrhein-Westfalen muss endlich wieder schneller und effektiver werden. Wir erwarten, dass der Minister in der nächsten Sitzung des Innenausschusses eine Lösung präsentiert. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Rickfelder. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sah es am Anfang aus? Welche Situation haben wir damals vorgefunden und kritisiert? Es waren ca. 11.500 unbearbeitete Fälle – ja, 11.500 unbearbeitete Fälle –, aber von 17.000. Das heißt, es gab 75 % nicht bearbeitete und abgearbeitete Anträge. 75 %! – Das war die erste Zahl.

Die zweite Zahl ist: Wir haben in diesem Bereich einen Anstieg von den genannten ca. 17.000 Anträgen auf mittlerweile ca. 60.000 Anträge. Das ist das Vierfache. Die Anzahl der Anträge sagt zunächst noch nichts über die Anzahl der tatsächlich zu untersuchenden Spurenträger aus. Hier haben wir im Durchschnitt ca. drei pro Antrag. Das heißt, in einem Jahr sind ca. 150.000 Untersuchungen zu leisten.

Um es sehr deutlich zu sagen: Wir haben hier eine ganz andere Größenordnung. Während Sie sogar noch im Bummelzug getrödelt haben, beklagen Sie sich nun über leichte Verspätungen im ICE.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Womit hat der Anstieg zu tun? Mir ist klar, dass Sie immer ganz schnell mit höheren Deliktzahlen argumentieren.

Daher will ich Ihnen sagen: Bei den Delikten gab es im Bereich der Gewaltkriminalität einen deutlichen Rückgang, 10 % weniger als in Ihrem Verantwortungszeitraum oder ca. 5.000 Fälle, damit einmal greifbar wird, was die Prozentzahlen bedeuten. Die Gesamtkriminalität hat sich in den letzten 15 Jahren wenig verändert. Und wir haben eine nach wie vor sinkende Anzahl an Diebstahlsdelikten. Das ist die derzeitige Realität bei den Delikten.

Womit hat der Anstieg also zu tun? Ja, auch mit einem Teil aus dem Bereich der Diebstähle, nämlich mit den Wohnungseinbrüchen. Man muss die Zahlen einmal nennen, die ich ja nicht nach eigenem Wohlgefallen interpretiere, sondern das sehen wir uns schon seit Jahren sehr genau und sehr kritisch an.

Aber vor allem hat der Anstieg mit zwei Faktoren zu tun: erstens mit einer deutlichen Sensibilisierung und einer deutlichen Intensivierung der Spurensuche seitens der Polizei, die in den letzten Jahren veranlasst worden ist, zweitens mit der Anzahl der Polizisten, die diese endlich auch wieder machen können, da sie tatsächlich wieder vor Ort arbeiten können.

Eines – das muss ich sagen – ist in Ihrem Antrag aber schon ein wenig unanständig. Denn Sie schreiben aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage ab, und zwar verkürzt, nämlich:

„Bei dem weit überwiegenden Anteil dieser Spuren handelt es sich um DNA-Spuren.“

Das schreiben Sie hinein, das haben Sie auch hier benannt. Vergessen haben Sie aber ganz zufällig den zweiten Halbsatz, der danach kommt. Der lautet nämlich: „… bei denen Gründe für eine vorrangige Untersuchung nicht bestehen …“

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Was sind jetzt die vorrangigen Gründe? Schwere Delikte, Sexualdelikte, Wohnungseinbrüche oder Anfragen der Staatsanwaltschaft zur beweissicheren Strafverfolgung und justiziablen Ahndung, also, wenn Täter mittels der Forensik mit den Taten in Zusammenhang gebracht werden können.

Ich darf es noch einmal formulieren: „… bei denen Gründe für eine vorrangige Untersuchung nicht bestehen …“ Das heißt, alles andere wird zeitgerecht abgearbeitet, und es gibt gerade keine Nachteile bei der beweissicheren Strafverfolgung.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Übrigens machen Sie immer wieder, wie so häufig in Ihren Anträgen, schluderige Fehler. Sie berufen sich beispielsweise sogar auf eine falsche Drucksachennummer. Ich möchte Ihnen damit nur sagen: Ich lese Ihre Anträge immer sehr sorgfältig,

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Hey!)

und ich wünschte mir, dass Sie die mit der gleichen Sorgfalt schreiben würden.

Fazit: Wieder einmal ein ziemlich untauglicher und fast schon verzweifelter Versuch oder – ich nutze einmal Ihre Worte aus dem Antrag – ein eklatantes Versagen bei Ihrem Versuch der Skandalisierung im Bereich der inneren Sicherheit. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bialas. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ging es genauso wie dem Kollegen Bialas. Als ich den Antrag las und noch einmal in die Antwort auf die Kleine Anfrage schauen wollte, habe ich das zuerst gar nicht gefunden. Sie haben sich wohl selber nicht mehr daran erinnert, Herr Rickfelder, welche Drucksachennummer es war. Aber ich habe sie nach gründlicher Recherche dann doch bei uns im System gefunden, habe mir das durchgelesen und dann mit Ihrem Antrag verglichen.

In der Tat, es ist so: Es liegen 27.712 nicht abschließend bearbeitete Anträge zur Spurensicherung vor.

„Bei dem weit überwiegenden Anteil dieser Spuren handelt es sich um DNA-Spuren.“

In Ihrem Antrag steht dahinter ein Punkt. In der Antwort auf die Kleine Anfrage steht dahinter aber ein Komma. Das Komma haben Sie hier wohl geflissentlich übersehen, um es vorsichtig zu sagen. Denn nach dem Komma geht es weiter:

„… bei denen Gründe für eine vorrangige Untersuchung nicht bestehen und Vorprüfungen in den Kreispolizeibehörden zur Spurenqualität bzw. Tatrelevanz nicht in allen Fällen umfassend erfolgt sind.“

Das, sagen wir einmal vorsichtig, ist die halbe Wahrheit; die andere Hälfte hat man einfach weggelassen.

Die andere halbe Wahrheit, die Sie weggelassen haben, betrifft Ihren Vergleich mit 2011. Da sind es gleich zwei Dinge: 2011 ist nicht nur der Anteil der unbearbeiteten Spuren wesentlich höher gewesen – das lassen Sie geflissentlich weg –, sondern auch insgesamt sind sehr viel weniger Anträge eingegangen als jetzt.

Man kann sich die Wahrheit auch so reduziert herunterdeklinieren, dass dann nachher komplett falsche Schlüsse gezogen werden. Ich sage einmal: Die andere Hälfte gehört auch zu einer redlichen Politik, Herr Rickfelder.

Sie verschweigen in Ihrem Antrag auch, wie es in der Antwort auf die Kleine Anfrage ausgeführt wird, dass man angesichts dieser Lage nicht einfach sagt: „Es ist alles in Ordnung“, sondern dass die Landesregierung reagiert und ein sogenanntes DNA-Priorisierungskonzept eingeführt hat. Auch diese Erläuterungen lassen Sie weg. Hier wurde schon gehandelt. Im Rahmen des Priorisierungskonzepts wird ein Prüfkriterium für die Kreispolizeibehörden entworfen, von denen dann noch einmal geprüft wird, ob die Spuren überhaupt weitergeleitet werden oder nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin Düker, haben Sie Zeit für eine Zwischenfrage?

Monika Düker (GRÜNE): Ich will gerade den Gedanken weiterführen. – Vielleicht am Ende, Herr Rickfelder.

Meine letzte Anmerkung zu Ihrem Antrag: Sie lassen ebenfalls die Analyse weg. Welchen Erfolg haben eigentlich unsere DNA-Analysen? Das Landeskriminalamt sagt ausweislich eines Artikels in der „WeLT“ vom 11. Januar 2017 – ich zitiere hier aus der Presseberichterstattung –:

„Bei der Untersuchung von DNA-Spuren sind die Kriminaltechniker in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr so erfolgreich gewesen wie noch nie. Mit 6548 Treffern sei ein neuer Rekord seit Einführung der DNA-Analysedatei 1998 erzielt worden, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA).

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Gute Leute!)

Das entsprach einer Steigerung von 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der bisherige Rekord war 2013 mit 6020 Treffern erzielt worden.“

Auch kann man nicht einfach sagen: Lassen wir mal die Hälfte weg, dann sieht das alles schon ganz anders aus. – Nicht nur die Zahlen gehören in einen solchen Antrag, sondern auch die Antwort auf die Frage: Warum machen wir das eigentlich, und welche Ergebnisse erzielen wir durch diese Arbeit? Die Ergebnisse lassen sich, wie gesagt, sehen. Die Treffer sind erheblich gesteigert worden, und es sind auch Maßnahmen eingeleitet worden, um den Rückstau und die Antragsflut zu kanalisieren, zu priorisieren. Insofern ist es euphemistisch ausgedrückt unredlich, so zu arbeiten. Aber ich bleibe einmal freundlich dabei. – Sie hatten noch eine Frage.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Rickfelder hat am Ende Ihrer Rede jetzt noch eine Zwischenfrage. – Bitte schön, Herr Rickfelder.

Josef Rickfelder (CDU): Frau Düker, wenn Sie mir vorwerfen, dass ich so viel weglasse, und das dann als unredlich darstellen, frage ich Sie: Wie finden Sie es denn, dass Sie etwas hinzufügen? Ich habe von 2011 nämlich gar nicht gesprochen. Ich habe von 2010 und 2013 gesprochen, aber nicht von 2011. – Danke schön.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Monika Düker (GRÜNE): 2011? Ja, kann gut sein; da haben Sie recht. Aber der Rest war eigentlich auch genug, Herr Rickfelder, um den Vorwurf der Unredlichkeit aufrechtzuerhalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Düker, Herr Kollege Bialas, angesichts der Zahlendreher, die wir in dieser Legislaturperiode aus dem Innenministerium erlebt haben, ist Ihre künstliche Aufregung bezüglich der Drucksachennummer hier, glaube ich, völlig unangebracht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, ich meine, dass die CDU-Fraktion hier ein berechtigtes Interesse vorgetragen hat. Wir werden das im Ausschuss weiter vertiefen. Deswegen stimmen wir der Überweisung zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU – Andreas Bialas [SPD]: Gute Rede!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion erhält das Wort nun Herr Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal – ein paar sind es ja – und zu Hause! Hätte nicht die Landesregierung vor einiger Zeit gesagt, dass sie DNA-Analysen zu einfachen Delikten, zum Beispiel bei Wohnungseinbruchsdiebstahl, auslagert, also an private Labore gibt, hätte es diesen Antrag der CDU wohl nicht gegeben. Ich glaube nämlich, es geht hier um Wirtschaftsförderung, um die Sicherung von Aufträgen für bestehende Labore.

Dabei hat der Landtag mit der Mehrheit der rot-grünen Fraktion schon mehrfach in den letzten Jahren den Ansatz für DNA-Analysen im Haushalt aufgestockt – und das, obwohl DNA-Spuren zum Beispiel beim Wohnungseinbruchsdiebstahl nur zu 2% zum Ermittlungserfolg beitragen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, wir haben hier einige Anhörungen von Sachverständigen aufgrund Ihrer Anträge gerade zum Wohnungseinbruchsdiebstahl durchgeführt. Dabei ist klar geworden, dass Tatortspuren bei diesen Vergehenstatbeständen – das sind sie ja – eben nicht das entscheidende Mittel sind, von Einzelfällen immer abgesehen.

Drei Viertel der ermittelten Tatverdächtigen kamen aus dem lokalen Umfeld und wurden durch Zeugenaussagen, durch die Zuordnung von sichergestelltem Diebesgut usw. erkannt. Sie malen also wieder ein düsteres Bild an die Wand – das haben andere Kollegen auch schon gesagt –, dass wir ohne mehr Geld für die Labore im Verbrechenssumpf versinken. Das ist falsch.

Mir liegt es allerdings fern, das Ministerium zu verteidigen. Denn natürlich muss sichergestellt sein, dass für Verbrechenstatbestände eine DNA-Analyse auch ohne Wartezeit durchgeführt werden kann, wenn es notwendig ist. Dazu erwarten wir, dass die Landesregierung ihre Zusage einhält, dass das gewährleistet ist.

Die Polizei kann aber auch selbst dazu beitragen, den Bearbeitungsstau abzubauen, indem nicht bei jeder erkennungsdienstlichen Behandlung ein DNA-Abgleich mit abgefragt oder freiwillig vom Verdächtigen eingeholt wird. DNA-Datenberge helfen uns nicht weiter. Es geht auch immer darum, die Ressourcen in der Kriminaltechnik smart und effizient einzusetzen.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Die Vision der CDU für eine verbrechensfreie Welt ist bekannt: Videoüberwachung an jeder Ecke, ein fest zugeordnetes Smartphone pro Person in Deutschland mit Speicherung von Position, Kontakten und Inhalten für zwei Jahre, DNA-Daten von allen Verdächtigen, also von jedermann, gespeichert in Datenbanken mit Volltextsuche und dann womöglich noch der DNA-Schnelltest vor Ort, mobil auf dem Einsatzwagen.

Wenn wir technisch so weit sind, was möglicherweise nicht mehr so lange dauert, dann werden sich aber auch die Verbrecherprofis darauf eingestellt und gelernt haben, die eine oder andere falsche Fährte zu legen. So, wie schon lange Handschuhe benutzt werden oder das Smartphone beim geplanten Verbrechen heute zu Hause bleibt – wegen der Funkzellenabfragen natürlich –, werden in Zukunft vielleicht Fake-DNA-Partikel gestreut; vielleicht Ihre, Herr Rickfelder, oder Ihre, Herr Dr. Stamp. Es wird dann spannend, wie man da als Verdächtiger wieder herauskommt.

In der Summe kann man sagen: weniger ist mehr, also weniger DNA-Proben, weniger DNA-Analysen, dafür gezielter. Weiteres besprechen wir am besten im Ausschuss. Der Überweisung stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rickfelder, Sie machen es sich in Ihrem Antrag ein bisschen zu einfach. Sie vergleichen lediglich die Zahlen zweier Jahre miteinander und ziehen daraus den falschen Schluss. Sie gehen nicht der Frage nach, wie es zu diesen Zahlen kommt und was die logische Erklärung dafür ist.

Den Bearbeitungsstau, den wir noch 2011 hatten, konnten wir 2012 fast vollständig abbauen. Wir haben aber seit 2011 die Entwicklung, dass sich das Aufkommen gesicherter DNA-Spuren extrem gesteigert hat. Allein 2014 hatten wir doppelt so viele DNA-Untersuchungsanträge wie 2011. Im letzten Jahr waren es sogar mehr als 40.000 Anträge mit mehr als 100.000 zu untersuchenden DNA-Spuren.

Das hängt mit einer deutlich intensivierten Spurensuche und -sicherung durch die Kreispolizeibehörden zusammen. Diese geht einher mit einer Initiative der Landesregierung, der sogenannten Qualitätsoffensive in der Kriminalitätsbekämpfung. Unser LKA hat für die Auswertung von DNA-Spuren ein klares Verfahren entwickelt.

Deshalb, Herr Rickfelder, nennen Sie bitte nicht den Bereich des Terrorismus und vermitteln, da würden DNA-Spuren nicht untersucht. Ganz im Gegenteil! Alle DNA-Spuren aus Verbrechen, also aus Delikten, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, und andere ausgewählte Spuren werden sofort im LKA untersucht, und zwar ohne Bearbeitungsstau. Alle übrigen Spuren vergibt das LKA an Fremdinstitute. Spuren aus Wohnungseinbrüchen und Sexualdelikten werden dabei immer priorisiert behandelt und unmittelbar für die Untersuchung übersandt.

Meine Damen und Herren, meine Vorredner haben schon einiges gesagt. Ich glaube, dass wir in den Ausschussberatungen die Gelegenheit bekommen, darüber ausführlich zu diskutieren. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/14398 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Gibt es Gegenstimmen? – Nein. Enthaltungen? – Nein. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

8  Kinder brauchen smarte Lösungen für eine gerechte Zukunft. Kindergrundsicherung vorantreiben und Kinderarmut ein Ende setzen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14382

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14500

Ich eröffne die Aussprache. – Für die Piratenfraktion erhält Herr Düngel das Wort.

Daniel Düngel (PIRATEN): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut hat uns in dieser Legislaturperiode bereits mehrfach beschäftigt. Wir haben dazu viele beunruhigende Zahlen gehört. Wir haben in der Enquetekommission zur Zukunft der Familienpolitik viel über dieses Thema gesprochen und letzten Endes Lösungsansätze in die Handlungsempfehlungen aufgenommen. Darauf komme ich gleich zu sprechen.

Fast jedes fünfte Kind in Nordrhein-Westfalen lebt in Familien, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Kinderarmut bedeutet nicht ein bisschen weniger Wohlstand, sondern sie wirkt sich negativ auf alle Lebensbereiche, auf die Entwicklung und auf die Zukunftschancen der Kinder aus.

Ich zitiere – als Pirat fällt mir das einigermaßen schwer – die Bertelsmann Stiftung:

„Je länger Kinder in Armut leben, desto negativer sind die Folgen. Verglichen mit Gleichaltrigen aus Familien mit gesicherten Einkommen sind arme Kinder häufiger sozial isoliert, materiell unterversorgt und gesundheitlich beeinträchtigt. Sie haben häufig kein eigenes Zimmer und damit keinen Rückzugsort, ernähren sich ungesünder, Monatstickets für den Nahverkehr sind kaum finanzierbar und außerschulische Bildung, Hobbies oder Urlaub ein Luxus. Außerdem haben arme Kinder einen weitaus beschwerlicheren Bildungsweg vor sich.“

Der Bildungserfolg hängt in kaum einem anderen Staat so stark von der sozialen Herkunft ab.

Ich habe den Rednerinnen und Rednern der anderen Fraktionen ein kleines Geschenk mitgebracht. Es gibt vom Deutschen Kinderhilfswerk ein wundervolles Pixi-Büchlein, das die Probleme in illustrierten Worten aufzeigt. Falls Sie meinen Ausführungen nicht folgen können, hilft Ihnen vielleicht nachher dieses Buch. Das kann man während der anderen Debattenbeiträge sehr schnell lesen. So ganz viel Text ist es nicht, denn das Problem ist nicht so wahnsinnig kompliziert, gleichwohl aber die Problemlösung.

Die Kindergrundsicherung ist der Lösungsansatz, den wir als Piraten dazu haben. Die Kindergrundsicherung haben wir von Anfang an in der soeben erwähnten Enquetekommission mitverfolgt. Wir haben es mit auf die Tagesordnung gebracht und entsprechende Anhörungen mitbeantragt. Das gilt auch für das bedingungslose Grundeinkommen, das aus meiner Sicht eine möglicherweise überfällige Weiterentwicklung der Kindergrundsicherung wäre.

Wir haben ein strukturelles Problem. Es ist ein Systemwechsel notwendig. Das kann eine Kindergrundsicherung schaffen. Ich habe gerade die Enquetekommission erwähnt, aber auch im Familienausschuss haben wir Sachverständige angehört, zwischen denen eine weitgehende Übereinstimmung darüber bestand, dass die Kindergrundsicherung diesen positiven Effekt auf die Bekämpfung der Kinderarmut haben kann und haben wird. Unser Antrag und die Tatsache, dass wir ihn noch in dieser Legislaturperiode behandeln, ist die logische Konsequenz daraus.

Kurz zum rot-grünen Entschließungsantrag. Ich finde es tatsächlich ein bisschen schade, dass er aus Ihrer Sicht erforderlich ist. Bei mir vermittelt der Antrag letzten Endes nur den Eindruck, dass die Probleme doch wieder auf die lange Bank geschoben werden sollen, statt tatsächlich dieses überfällige Instrument der Kindergrundsicherung einzuführen. Sie versuchen wieder im Klein-Klein einzelne Detailprobleme als Lösungsansätze einzubringen und die Kindergrundsicherung dort als mittel- oder langfristiges Ziel zu platzieren. Das ist falsch.

Die gesellschaftliche Mehrheit für eine Kindergrundsicherung ist längst da. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie können mit dafür sorgen, dass die politische Mehrheit für eine Kindergrundsicherung hier im Landtag und auch im Bundestag tatsächlich vorhanden ist.

Ich muss mich wundern, dass an dieser Stelle wieder „Kein Kind zurücklassen“ Einzug in den Antrag findet; denn Sie sagen im Familienausschuss immer wieder, dass „Kein Kind zurücklassen“ eben kein Projekt zur Bekämpfung von Kinderarmut ist. Jetzt taucht es wieder im Kontext der Kinderarmut auf. Ich weiß wirklich nicht, ob Sie selbst ganz genau wissen, was „Kein Kind zurücklassen“ tatsächlich bedeutet.

Wir setzen uns für eine möglichst rasche Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Wir haben in unserem Antrag dazu verschiedene Punkte festgehalten. Einige davon möchte ich kurz nennen.

Herr Präsident, ich sehe, dass die Redezeit zu Ende ist und berücksichtige dies entsprechend.

Kinder haben ein Recht auf soziale Sicherheit und einen angemessenen Lebensstandard. Das rot-grüne Hartz IV ist mitverantwortlich für die hohe Kinderarmut in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. Die Einführung einer Kindergrundsicherung ist zentraler Baustein zukunftsorientierter Familienpolitik. Die Kindergrundsicherung ist dazu geeignet, die finanzielle Situation von Kindern erheblich zu verbessern und Chancengleichheit in Bildung, Gesundheit und gesellschaftlicher Teilhabe herzustellen.

Wir wollen die Kindergrundsicherung als Mittel, um Kinderarmut und die strukturelle Benachteiligung ärmerer Kinder zu bekämpfen. Machen Sie mit! Gehen Sie mit uns diesen Weg! Der Weg für eine Kindergrundsicherung in Deutschland ist frei. Nicht labern – machen! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Und nun hat für die SPD-Fraktion Herr Dr. Maelzer das Wort.

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Thema „Kinderarmut“. Dass in einem so reichen Land Kinder noch immer überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, ist ein Skandal. Darum ist es richtig, dass wir dieses Thema immer wieder ansprechen und über Lösungswege beraten.

Heute geht es um das Instrument der Kindergrundsicherung. Hierzu hat der Landtag bereits eine Position gefunden. Der Bericht der Enquetekommission zur Familienpolitik wurde im Januar beschlossen. Dort heißt es: Wir wollen eine Kindergrundsicherung einführen,

„die alle staatlichen Leistungen der Kinderförderung (u. a. Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibetrag) sowie die SGB-II-Leistungen für Kinder zu einer einheitlichen finanziellen Leistung zusammenführt, deren Höhe eine sozio-kulturelle Teilhabe sichert und für die alle Kinder anspruchsberechtigt sind.“

Genauso klar steht da auch:

Die Kindergrundsicherung darf nicht die Leistungen für Familien in besonderen Lebenslagen wie Alleinerziehende oder Familien im SGB-II-Bezug schmälern, sondern muss im Gegenteil zu einer finanziellen Besserstellung beitragen.

Genau das ist die Position der SPD. Daran hat sich zwischen Januar und März auch nichts geändert.

Sie haben in Ihrem Antrag herausgestellt, dass die Kindergrundsicherung für die Piraten nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ist. Spätestens hier trennen sich unsere Wege.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Lassen Sie mich einen Kronzeugen aufführen, der unverdächtig ist, in sozialpolitischen Fragen immer aufseiten der SPD zu sein. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat zum bedingungslosen Grundeinkommen gesagt:

„Würde ein Grundeinkommen verwirklicht, hätten die Neoliberalen ihr Hauptziel erreicht, den Sozialstaat zerschlagen und freie Bahn für den Markt geschaffen.“

(Beifall von den GRÜNEN)

Genau das ist es, was wir nicht wollen. Sie mögen das vielleicht für Klein-Klein halten. Aber wir als SPD wissen, dass es bei der Bekämpfung von Armut eben nicht nur um Geldleistungen geht. Es geht vor allen Dingen um Teilhabe. Dafür brauchen wir einen starken und vor allen Dingen einen aktiven Sozialstaat.

Kinder sind in unserem Land arm, wenn sie bei Eltern aufwachsen, die arm sind. Deshalb müssen wir bereits hier ansetzen und die Armut von Familien bekämpfen. Wir brauchen faire Löhne – und das ist weitaus mehr als der Mindestlohn. Es geht auch darum, befristete Beschäftigung zurückzudrängen. Es geht darum, Missbrauch von Leih- und Zeitarbeit zu bekämpfen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Dass das nicht das Ziel der FDP ist, wissen wir. Und es geht darum, das Armutsrisiko von Alleinerziehenden in den Blick zu nehmen. Da ist mit der Neuregelung des Unterhaltsvorschusses ein wichtiger Schritt getan. Aber eine faire Aufteilung von Fürsorge und Erwerbsarbeit für Väter und Mütter ist ebenfalls wichtig. Dafür braucht es familiengerechte Arbeitszeitmodelle, damit Frauen nicht aus dem Erwerbsleben herausgedrängt werden.

Das Gleiche gilt für das Steuerrecht. Wir wollen das Ehegattensplitting umwandeln, die dann entstehenden Spielräume dafür nutzen, in erster Linie Familien mit Kindern zu fördern, und zwar ganz unabhängig vom Trauschein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Wolf?

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Ja, klar. Wo ist er denn? Er ist jünger geworden, okay.

Henning Höne (FDP): Ob zum Positiven oder zum Negativen, sei dann noch zu klären.

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Maelzer, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich möchte einen Punkt zurückstellen, weil Sie gerade auf den Zwischenruf des Kollegen Hafke nicht sachlich, sondern eher platt reagiert haben, als Sie befristete Verträge angesprochen haben. Inwiefern kämpft denn die Landesregierung gegen befristete Verträge im öffentlichen Dienst, insbesondere im Bereich des Finanzministers?

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Diese Landesregierung kämpft auf allen Ebenen gegen sachgrundlose Befristungen. Das macht auch der Finanzminister.

(Beifall von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Wenn Sie gestern dagewesen wären, wüssten Sie das auch!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Dr. Maelzer, würden Sie noch eine zweite Zwischenfrage von Herrn Düngel zulassen?

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Ja, klar, wo er doch heute Geburtstag hat und selber Geschenke verteilt. Immer gerne.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, lieber Dennis Maelzer, dass du mir dieses Geschenk dann auch ermöglichst, dir eine Frage zu stellen. Ob das ein Geschenk ist, weiß ich noch nicht. Gucken wir mal.

Ich habe jetzt aus deiner Argumentation herausgehört, dass du und die SPD gegen grundloses Grundeinkommen seid. Das ist mir durchaus bekannt. Gehst du aber ein Stück weit mit mir mit und würdest du mir zustimmen, dass alles, was hier in dem Feststellungs- und Beschlussteil unseres Antrags steht, nichts mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, sondern ausschließlich mit der Kindergrundsicherung zu tun hat?

Dr. Dennis Maelzer (SPD): Ich gehe mit, dass die SPD genauso wie ihr für eine Kindergrundsicherung ist. Da haben wir gar keinen Dissens. Aber unser Dissens liegt darin, dass wir die Kindergrundsicherung nicht als eierlegende Wollmilchsau betrachten, sondern als einen Bestandteil zur Bekämpfung von Armut. Wir als SPD sind da deutlich breiter aufgestellt und haben das im gemeinsamen Entschließungsantrag mit den Grünen auch so dargestellt.

Wir setzen bei Kinderarmut auch auf Vorbeugung. „Kein Kind zurücklassen“ heißt nicht, dass die Kinder von heute auf morgen mehr Geld in der Tasche haben. Aber „Kein Kind zurücklassen“ heißt, dass Armut eben nicht zum Schicksal wird, weil wir frühzeitig eingreifen und gerade diesen Kindern zusätzliche Chancen eröffnen, damit sie ihr Leben in Selbstbestimmung ausüben können.

Es ist dieses Land, das eingesprungen ist bei der Schulsozialarbeit, als sich der Bund zurückgezogen hat.

(Beifall von der SPD – Torsten Sommer [PIRATEN]: Nach langem Drängen!)

Und es ist dieses Land, in denen viele Kinder aus ärmeren Familien sind, das Kitas stärker fördert nach dem Motto: Ungleiches auch ungleich behandeln. Und dieses Prinzip werden wir auch auf die Schulen ausweiten.

Vor diesem Hintergrund, lieber Daniel Düngel: Es braucht viele Wege, um den Kampf gegen Armut aufzunehmen. Deshalb noch mal: Die SPD sagt Ja zu einer Kindergrundsicherung. Die SPD sagt aber auch Ja zu einem aktiven Sozialstaat, der Arbeit fördert. Die SPD sagt Ja zu gerechten Löhnen. Die SPD sagt Ja zu familiengerechten Arbeitszeitmodellen. Und vor allem sagt die SPD Ja, wenn es darum geht, Kinder früh zu fördern, damit jedes Kind die Chance auf ein gutes Leben in unserem Land hat. Und weil wir zu all diesen Dingen Ja sagen, lade ich dich an deinem Geburtstag herzlich ein, Ja zu diesem Entschließungsantrag zu sagen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Maelzer. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Kern.

Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nordrhein-Westfalen ist arm dran.

(Beifall von Marcel Hafke [FDP])

Die Kinderarmut liegt bei 23,6 %. Jedes vierte Kind gilt als arm. Die Kinderarmut hat unter der rot-grünen Landesregierung in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen zugenommen. Darüber gibt es hier in diesem Hohen Hause, glaube ich, Einigkeit.

Wir können dem Antrag heute nicht zustimmen, da er die derzeitige Noch-Landesregierung und die sie tragenden Regierungsfraktionen schont und ihnen per Beschluss quasi eine Umleitung auf die Bundesebene ermöglichen soll. Das gilt im Übrigen auch für den heutigen Entschließungsantrag von Rot-Grün.

Nach knapp sieben Jahren Regierungsverantwortung in Nordrhein-Westfalen bleibt festzuhalten, dass die Kraft-Regierung in der Bekämpfung der Kinderarmut versagt hat

(Beifall von der CDU und Daniel Düngel [PIRATEN])

und jedem Nachfolger eine schwere Hypothek oder Erbschaft hinterlässt. Sie lässt insbesondere mehr arme Kinder zurück. Um es deutlich zu sagen: Es ist Zeit für einen Wechsel! Eltern armer Kinder dürfen diese Regierung jedenfalls nicht wählen.

Wir haben uns in der laufenden Legislaturperiode oft und zentral über das Thema „Kinderarmut“ auseinandergesetzt. Es ist die harte Wahrheit, dass sich die Kinderarmut unter Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen verstärkt hat. Das sagen die Hans-Böckler-Stiftung und die Bertelsmann Stiftung. Das liegt an verfehlter Politik, und zwar in der Breite, in der Wirtschaftspolitik, beim Wohnungsbau, beim sozialen Wohnungsbau, bei der Beschäftigungspolitik, an schwacher Schulpolitik, schwacher Bildungspolitik und an der Qualität in den Kitas. Es gibt viele Gründe, weshalb das so ist.

(Beifall von der CDU)

Diese Landesregierung muss am Zeugnistag, am 14. Mai, verantwortlich gemacht werden.

Mit dem heutigen Antrag stellen die Piraten ein wichtiges Thema, die Kindergrundsicherung, zur Diskussion, das einer sorgfältigen Prüfung bedarf. Schnellschüsse sind hier wegen der Komplexität und Grundsätzlichkeit des Themas „Kindergrundsicherung“ nicht angesagt. Kindergrundsicherung ist nur eine von vielen Lösungsmöglichkeiten, die es zu überprüfen gilt. Die Aufgabenstellung ist hiermit vielfältig und herausfordernd.

Der aktuellen Bertelsmann-Studie „Alleinerziehende unter Druck“ zufolge ist Kinderarmut in Deutschland zur Hälfte auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen. Meine Damen und Herren, auch Familien mit mehr als drei Kindern tragen höhere Armutsrisiken. Es ist nach meiner Ansicht kein Zufall, dass sich der Verein für Kinderreiche in Nordrhein-Westfalen gegründet hat, in unserem Bundesland.

Nach Ansicht der CDU ist es geradezu ein Skandal, dass diejenigen, die durch generative Beiträge die Zukunftsfähigkeit des Gemeinwesens sichern, erhöhten Armutsrisiken ausgesetzt sind.

Es gilt: Nicht Arbeitslosigkeit muss verlängert und unterstützt werden, sondern nachhaltige Beschäftigung muss das Ziel sein, um Familien und damit auch Kinder aus dem Armutsrisiko herauszuholen und Teilhabe zu ermöglichen.

Nach dem letzten Landessozialbericht sind Kinder und Jugendliche ganz besonders von Armut betroffen. Die Bertelsmann Stiftung hält dazu fest, dass arme Kinder häufiger sozial isoliert, materiell unterversorgt und gesundheitlich beeinträchtigt sind.

Ob Kindergrundsicherung eine grundsätzliche Lösungsmöglichkeit darstellt, muss meines Erachtens geprüft werden. Ein derartiger Systemwechsel kann nicht zwischen Tür und Angel entschieden werden.

(Zuruf von der SPD)

Durch eine übereilte Einführung der Kindergrundsicherung können auch soziale Ungerechtigkeiten provoziert werden.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Schlimmer als vorher?)

Es gibt heute 156 ehe- und familienpolitische Leistungen. Für alle gab und gibt es Begründungen. Sie sind die Summe der Erfahrungen der Vergangenheit.

Zum Entschließungsantrag von Rot-Grün: Sie haben es ja noch nicht einmal geschafft, in sieben Jahren ein tragfähiges neues KiBiz zustande zu bringen. Da wollen Sie jetzt schon wieder eine neue Baustelle aufmachen?

(Lachen von der SPD)

Diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen machen gerne den zweiten Schritt vor dem ersten. Am Beispiel der schlechten Einführung der Inklusion an den Schulen kann jedermann sehen, zu wessen Lasten schlecht durchdachte, unvorbereitete und übereilte Umsetzungen gehen, zulasten der betroffenen Kinder und des pädagogischen Personals.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ist das die Rede vom letzten Parteitag?)

Die Piraten schreiben in ihrem Antrag, dass Kindergrundsicherung ein Schritt in die Richtung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen für Erwachsene ist. Dem können wir natürlich nicht entsprechen. Das ist keine Überraschung.

Ich komme zum Schluss.

(Zuruf von der SPD: Bitte!)

Ist eine bedingungslose Kindergrundsicherung, bei der jedes Kind das Gleiche vom Staat bekommt, wirklich gerecht? Entspricht das den Vorstellungen von Chancengerechtigkeit, wenn Kinder wohlhabender Eltern dann ebenfalls eine bedingungslose Grundsicherung erhalten? Ich bin sicher, eine solche Regelung ist weder solidarisch noch sozial.

Wir finden es gut, dass wir einmal über Kindergrundsicherung sprechen. Wir sollten das gründlich in der nächsten Legislaturperiode tun.

Eine direkte Abstimmung ist hier aus meiner Sicht deshalb nicht möglich, weil die Enquetekommission Handlungsempfehlungen ausspricht und eine Diskussion im Fachausschuss mit Experten hier dringend erforderlich ist. – Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: So weit sind wir noch nicht, lieber Herr Kern. Denn es gibt noch eine Kurzintervention von Herrn Düngel von der Piratenfraktion. Die wollen wir hier noch ordentlich abarbeiten, bevor wir ins Wochenende gehen.

Walter Kern (CDU): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Düngel, Sie haben das Wort.

Daniel Düngel (PIRATEN): Es tut mir leid. Ich möchte ja auch gerne an den Kuchen. Aber wir müssen uns leider noch ein bisschen gedulden.

Erstens. Lieber Walter Kern, ich bin ja bei dir, wenn du sagst, dass diese Landesregierung ganz viele Dinge nicht geschafft hat. Ich bin auch bei dir, wenn du sagst, du bezweifelst, dass die Landesregierung wirklich wichtige Schritte im Bereich der Familienpolitik auf den Weg bringen kann.

Deswegen stellen wir genau diesen Antrag, weil wir sagen: Das schieben wir lieber in die bundespolitische Verantwortung, weil es da auch tatsächlich hingehört.

Zum Zweiten: Du hast jetzt ein paar Mal gesagt, wir müssten das im Familienausschuss diskutieren, und das wäre alles nicht hinreichend mit Sachverständigengutachten etc. hinterlegt. Das ist ja schon ein bisschen weit hergeholt. Wir haben Sachverständige in der Enquetekommission dazu gehabt. Wir haben Sachverständige auch im Familienausschuss dazu gehört, genau zu diesem Thema. Das Ding ist hier landespolitisch eigentlich ausdiskutiert. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

Ansonsten: Vielleicht, lieber Walter Kern, nutzt du die Zeit und sprichst mit deinem Kollegen Bernhard Tenhumberg. Der ist ja in der Position schon ein bisschen weiter.

Walter Kern (CDU): Daniel Düngel, ich bin dir sehr dankbar, dass du mir die Möglichkeit gibst, das in einer Kurzintervention zu vertiefen. Ich will es mal sehr deutlich sagen: In dieser Legislaturperiode war das Wappentier der Landesregierung eine Schnecke, insbesondere beim KiBiz. Es hat sieben Jahre gedauert, und wir wissen heute definitiv,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

dass sich hier nichts verändern wird.

Ich habe es eben schon gesagt. Vielleicht hast du es überhört oder schon vorher deine Kurzintervention angemeldet. Eine Enquetekommission spricht Handlungsempfehlungen an das Parlament aus. Entscheidungsgremium ist nicht die Enquetekommission – sie spricht nur Empfehlungen aus –, sondern das Parlament. Das Parlament hat in aller Regel dann über Anhörungen noch einmal Fachlichkeit hinzuzuziehen. Das ist meine Antwort darauf.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Wir haben doch eine Anhörung gehabt!)

Danke schön.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Asch.

Andrea Asch*) (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen, dass ich es sehr bedaure, dass die CDU-Fraktion zum wiederholten Male statt mit uns gemeinsam über gute Konzepte für Kinder zu diskutieren und darum zu ringen, hier wieder ihr eigenes parteipolitisches Süppchen kocht und nur im eigenen Interesse Wahlkampfgetöse veranstaltet. Das ist wirklich bedauerlich. Das liegt nicht im Interesse von benachteiligten Kindern in Nordrhein-Westfalen. So viel ist klar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist besonders bedauerlich, weil Kinder, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wertvollste sind, was wir haben. Deshalb dürfen wir es nicht hinnehmen, wenn ein Teil von ihnen in den Hinterhöfen unserer reichen Gesellschaft aufwachsen muss.

Die Folgen der materiellen Armut sind hinlänglich bekannt: mangelnde Teilhabe, mangelnde Chancengleichheit. Kinder erleben es schmerzlich, wenn sie wegen fehlenden Geldes nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen können, wenn sie beim Kinoabend mit der Clique außen vor bleiben, wenn Eltern bei der Abiturfeier zu Hause bleiben müssen, weil sie nicht in der Lage sind, das Geld für die teuren Karten aufzubringen.

Diese damit verbundene Erfahrung der Ausgrenzung, der scheinbaren Minderwertigkeit prägt sich oftmals tief ins Selbstbild ein. Zu oft bestimmt sie den weiteren Lebensweg; nicht selten wird eine Spirale von vererbter Armut in Gang gesetzt. Genau das müssen wir ändern; das muss Ziel unserer gemeinsamen Politik sein.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir in NRW machen unsere Hausaufgaben, soweit es in unserer Länderkompetenz steht, nämlich unsere Hausaufgaben in Sachen Armutsprävention und Armutsfolgevermeidung.

Das sei auch noch mal in Richtung von Herrn Düngel gesagt, hier deutlich zu unterscheiden. Armutsprävention, Armutsfolgevermeidung, das ist unser Job als Landesebene. Die materielle Seite, die materielle Absicherung ist die Kompetenz der Bundesebene. – Das muss man doch langsam mal verstehen, wenn man fünf Jahre hier im Landtag gesessen hat.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Haben Sie in den Antrag reingeguckt?)

Das tun wir in Nordrhein-Westfalen. Wir machen unsere Hausaufgaben mit dem Programm „Kein Kind zurücklassen“. Das ist erwähnt worden. Das ist mittlerweile ein Best-Practice-Modell. Auch im Ausland stößt es auf Interesse und auf Nachahmung. Wir tun es mit guter Elementarbetreuung und hier vor allen Dingen mit den plusKITAs, die übrigens von der Opposition immer abgelehnt wurden. Wir tun es mit 50 Millionen € für die Schulsozialarbeit. Und wir tun es mit dem Programm „NRW hält zusammen“ und mit Vielem mehr.

Aber – ich habe es schon gesagt – bei der materiellen Stärkung der Familie liegt der Ball im Feld der Bundesebene.

(Zuruf von Michael Hübner [SPD])

Wir wissen, 150 Milliarden an Familienleistung pro Jahr werden fehlgesteuert, weil sie nichts dazu beitragen, die skandalöse Kinderarmut zu verhindern – fehlgesteuert, weil sie nach dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben, wer arm ist, muss in die Röhre gucken“ funktionieren.

Meine Damen und Herren, das ist eine schreiende Ungerechtigkeit; das ist absurd. Aber warum hat sich die Situation in den letzten Jahren eigentlich noch mal so verschärft? Da müssen wir alle miteinander selbstkritisch feststellen: Es war natürlich die Einführung der Hartz-IV-Gesetze, und es war insbesondere der Tatbestand, dass damit den armen Familien – übrigens damals auf Initiative der CDU im Bundesrat – das Kindergeld gestrichen wurde.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und ein Weiteres kam hinzu, über das viel zu wenig gesprochen wird: Bis 2007 stand den Familien im Sozialleistungsbezug das Erziehungsgeld zu. Dann wurde dieser Grundbetrag mit der Umwandlung zum Elterngeld – übrigens unter Schwarz-Gelb – gestrichen. Auch dieses Geld – es waren 300 DM Erziehungsgeld – fehlt natürlich heute im Portemonnaie der benachteiligten Familien.

Es geht jetzt darum, den Familienleistungsausgleich einem Systemwechsel zu unterziehen und ihn vom Kopf auf die Füße zu stellen. Es geht darum, das Prinzip umzusetzen, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb brauchen wir die Kindergrundsicherung. Dann reicht es aber auch nicht, liebe Piratenfraktion, einfach diese Forderung platt in den Raum zu stellen, sondern wir brauchen ein konkretes, differenziertes Konzept.

Und genau das legen wir mit unserem Entschließungsantrag vor. Wir orientieren uns an dem Bündnis Kindergrundsicherung mit dem Vorschlag der Zusammenführung von Kindergeld, Kinderfreibeträgen, SGB-II-Leistungen und Kinderzuschlag, kombiniert mit einer Abschmelzung des Ehegattensplittings. Damit wird ein am Kind orientiertes System geschaffen, das Kinder unabhängig von der Lebens- und Einkommenssituation der Eltern fördert.

Meine Damen und Herren, so ein Systemwechsel geht natürlich nicht von heute auf morgen. Bis dahin wird es noch ein Stück Weg sein. Deswegen brauchen wir zwingend Zwischenschritte. Zwischenschritt eins bedeutet, auf Bundesebene endlich einen eigenständigen, bedarfsgerechten Kinderregelsatz und zweitens ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren im SGB II einzuführen, das die Eltern vor entwürdigenden und zeitaufwändigen Gängen zum Amt bewahrt. Das ist notwendig.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich freue mich, dass die Enquete „Chancen für Kinder“ sich zumindest mehrheitlich für eine Kindergrundsicherung ausgesprochen hat. Ich würde mich sehr freuen – das darf ich sagen, weil Sie alle wissen, dass meine Zeit hier im Landtag mit dieser Legislaturperiode endet –, wenn es in einer neuen Legislaturperiode gelingen würde, über Parteigrenzen hinweg tatsächlich Konzepte für Familien, für Kinder gemeinsam zu entwickeln und dieses Thema nicht immer wieder im Parteienstreit aufgehen zu lassen – im Interesse der Zukunft unserer Kinder und damit auch der Zukunft des Landes NRW. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Asch. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute reden wir noch einmal über Kinderarmut, und das ist auch gut so. Zum Ende der Regierungszeit dieser rot-grünen Landesregierung können wir nicht oft genug Bilanz ziehen. Die Bilanz ist in diesem Fachbereich leider verheerend.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir wissen, dass Kinderarmut ein komplexes Themenfeld ist, und wir wissen auch, dass man Kinderarmut nicht von heute auf morgen besiegen kann. Aber Sie hatten nun sieben Jahre Zeit, um Akzente zu setzen. Wenn wir nach sieben Jahren Bilanz ziehen, stellen wir fest, lieber Dennis Maelzer, liebe Andrea Asch, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine verheerende Situation haben. Die Kinderarmutszahlen in Nordrhein-Westfalen sind in den letzten sieben Jahren gestiegen. Da können Sie sich nicht abfeiern lassen, was Sie alles gemacht haben. Offensichtlich sind die Programme, die Sie auf den Weg gebracht haben, gescheitert. Das muss man auch einfach anerkennen.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der FDP: So ist es!)

Da muss man sich, liebe Kollegin Andrea Asch, auch mal ehrlich machen. Wenn hier davon gesprochen wird, das Programm „Kein Kind zurücklassen“ sei so ein großes Erfolgsprojekt, kann man darüber mittlerweile nur noch lachen. Das ist eine reine PR-Nummer, die die Ministerpräsidentin gestartet hat.

(Zuruf von den PIRATEN)

Rechnen Sie mal um, was Sie dort an finanziellen Mitteln pro Kind ausgeben! In den neuen Kommunen, die in Nordrhein-Westfalen hinzugekommen sind, geben Sie pro Kind 60 Cent aus. Das ist eine Lachnummer, und es ist der Problematik, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, überhaupt nicht angemessen. Deswegen brauchen wir eine vernünftige Politik, um Kinderarmut zu bekämpfen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ein zentrales Element, um Kinderarmut zu bekämpfen, kann und muss sein, die Kindergartenpolitik in den Griff zu bekommen und eine vernünftige Situation im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Vor sieben Jahren haben Sie versprochen, eine neue Kita-Finanzierung zu organisieren. Auch damit sind Sie hier in den sieben Jahren gescheitert. Im Ergebnis ist nichts passiert. An einigen Stellschrauben haben Sie nachgedreht, aber die finanzielle Situation bei den Kitas ist so verheerend, …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Wozu haben Sie eigentlich fünf Jahre im Ausschuss gesessen, wenn Sie nichts mitgekriegt haben?)

– Herr Zimkeit, es ist immer das Gleiche: Sie schreien dazwischen, obwohl Sie gar keine Ahnung davon haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Finanzierung bei den Kitas ist eine Katastrophe. Sie haben in Ihre Koalitionsverträge 2010 und 2012 hineingeschrieben, dass Sie die Kita-Finanzierung verbessern und sogar ein neues System auf den Weg bringen wollen. Das haben Sie nicht gemacht.

Vor mehreren Jahren haben Sie gesagt, dass Sie es schaffen werden. Ministerin Schäfer und Ministerin Kampmann – sie ist heute leider nicht da – haben angekündigt, sie wollten Eckpunkte für ein neues Kita-Gesetz vorlegen. Mittlerweile ist selbst das nicht erfolgt. Ministerpräsidentin Kraft hat es angekündigt. Die Landesregierung hat es selbst in sieben Jahren nicht geschafft, Eckpunkte vorzulegen. Dazu kann ich nur sagen: Was für ein Armutszeugnis!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Dann kommt – das ist eigentlich der Gipfel der Unverschämtheit – noch obendrauf, dass Sie sagen, es sei intern in der Landesregierung gerechnet worden, was eine neue Kita-Finanzierung kosten würde. Sie sind aber nicht in der Lage, dem Parlament zu sagen, was die Regierung sich überlegt hat. Offensichtlich rechnet der Finanzminister das SPD-Wahlprogramm im eigenen Ministerium durch, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Dass in Ihrem Ministerium Parteipolitik gemacht wird, gehört sich überhaupt nicht, Frau Kollegin!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren von den regierungstragenden Fraktionen, ich empfehle Ihnen: Sie haben dieses Thema

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

– Herr Zimkeit – zum Kernthema Ihrer Regierungszeit gemacht, sind damit aber gescheitert. Bringen Sie das Thema „Kinderarmut und Finanzierung der Kitas in Nordrhein-Westfalen“ in die letzte Plenarwoche ein. Machen Sie dazu eine Regierungserklärung, damit sich Hannelore Kraft hier der Öffentlichkeit stellen und sagen kann, was Sie nach ihrer Auffassung richtig gemacht haben, und damit die Opposition auch klar sagen kann, wo die Probleme liegen. Ich meine, das wäre nur richtig und angemessen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Zimkeit?

Marcel Hafke (FDP): Gerne, dann braucht er nicht dazwischenzurufen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Eine Regierungserklärung kann ich Ihnen – Sie haben ja mich angesprochen – qua Amt leider nicht versprechen. Sie haben gerade wörtlich gesagt, diese Regierung habe für Kinder nichts gemacht. Jetzt ist es ja Fakt, dass die Summen für Kinder seit Ihrer Regierungszeit von einer Milliarde auf nun 2,8 Milliarden € gestiegen sind. Könnten Sie mir denn ausrechnen – weil Sie das ja gerade anhand eines Beispiels gemacht haben –, wie viel das pro Kind in Nordrhein-Westfalen mehr ist als während Ihrer Regierungszeit?

Marcel Hafke (FDP): Wissen Sie, Herr Zimkeit, da Sie Mitglied des Finanzausschusses sind, sollten Sie eigentlich etwas von Zahlen verstehen.

(Zurufe von der SPD)

– Ja, dann müssten Sie doch eigentlich Folgendes verstehen: Wenn die Zahl der Plätze im U3- und Ü3-Bereich steigt, müssen Sie doch als Land mehr Geld zur Verfügung stellen.

(Beifall von der FDP)

Das ist ein proportionaler Anstieg. Etwas anderes ist das nicht. Das ist die Situation.

Sie behaupten, dass hier in Nordrhein-Westfalen alles so toll sei. Wenn es so wäre, dann hätten wir doch nicht die Situation, dass in Bergisch-Gladbach Abgaben der Trägerschaft erfolgen und dass das Erzbistum Essen sagt, dass die Finanzierung der Kitas katastrophal ist und 80 % der Einrichtungen unterfinanziert sind.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das heißt, Sie müssen doch einmal eine Prioritätenänderung im Haushalt vornehmen. Sie müssen einem Kollegen Remmel nicht alles durchgehen lassen, sondern das Geld dort investieren, wo es gebraucht wird, nämlich bei den Kindern und in der Bildungspolitik. Da gehört es hin!

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Hafke, es gibt eine zweite Zwischenfrage, und zwar von Frau Altenkamp. Würden Sie die auch zulassen?

Marcel Hafke (FDP): Gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Altenkamp.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Kollege Hafke, meine Frage ist ganz einfach: Können Sie vielleicht Ihre Position zum Thema Kindergrundsicherung darstellen?

Marcel Hafke (FDP): Wissen Sie, es ist, glaube ich, nicht nur wichtig, über Kindergrundsicherung zu sprechen, Frau Kollegin Altenkamp

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– wenn Sie mich ausreden lassen würden, dann könnte ich Ihnen das erläutern –, sondern auch notwendig, über das Thema „Kinderarmut“ zu sprechen. Denn das ist einer der Punkte, wo Sie gescheitert sind und wir in Nordrhein-Westfalen dringend aktiv werden müssen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir müssen darüber sprechen, gerade für Alleinerziehende in Nordrhein-Westfalen Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, weil die am meisten von Armut betroffen sind. Dafür brauchen wir – Stichwort „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ – eine gute Kita-Landschaft. Warten Sie doch mal ab!

Wir müssen darüber sprechen, eine vernünftige Bildungslandschaft mit Ganztag auf den Weg zu bringen. Wir müssen darüber sprechen – und das ist der Unterschied, den wir zu Ihnen haben –, …

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

– Hören Sie mir doch einmal zu! Sie haben mir doch eine Frage gestellt, Frau Altenkamp. Ich probiere gerade, sie zu beantworten. – Wir müssen darüber sprechen, dass wir ein einkommensunabhängiges Kindergeld 2.0 für die Kinder in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland auf den Weg bringen und auf der anderen Seite ein liberales Bürgergeld, was tatsächlich dafür sorgt, dass den Kindern und den Familien in vernünftiger Weise Geld zur Verfügung steht.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Wissen Sie, was ich ziemlich daneben finde? Sie stellen mir eine Frage, ich antworte Ihnen, während die Mitglieder der regierungstragenden Fraktionen quatschen, und Sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Sie sollten zuhören, auch wenn Argumente kommen, die Ihnen nicht passen.

(Zurufe von der SPD)

Sie müssen sich vielleicht auch einmal mit dem Konzept, das wir zum Thema „Kinderarmut“ vorgelegt haben, beschäftigen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In den ganzen sieben Jahren hat es diese Regierung nicht geschafft, ein Konzept gegen Kinderarmut vorzulegen. Nicht ein Konzept!

(Zuruf von der SPD)

– Ich habe es doch letztens veröffentlicht. Im Gegensatz zu Ihrer Regierung habe ich es geschafft, ein Konzept zu veröffentlichen. Das ist vielleicht der große Unterschied, den wir haben.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

– Vielleicht lesen Sie das einmal. Das würde vielleicht helfen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, ich habe Ihnen jetzt klargemacht, was wir beim Thema „Kinderarmut“ an dieser Regierung auszusetzen haben und was wir anders machen würden. Deswegen ist für uns klar: Wir werden dieses Papier der Piraten ablehnen, weil wir ein eigenständiges Konzept auf den Weg gebracht haben, von dem wir der Meinung sind, dass es den Kindern und den Familien in Nordrhein-Westfalen deutlich mehr bringen würde als das, was hier vorgeschlagen wird. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hafke. – Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention, angemeldet von der Fraktion der Piraten. Herr Düngel hat sich dazu zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich muss mich vor dem gesamten Haus entschuldigen; denn ich habe zu Marcel Hafkes Rede den falschen Antrag eingereicht.

(Heiterkeit von den PIRATEN)

Wir müssen das künftig besser koordinieren. Wenn ich die Rede vorher habe, schreibe ich auch den entsprechenden Antrag dazu.

Ich finde es schon beachtlich. Du redest hier gerade von einem Konzept – Kindergeld 2.0, 3.0, 4.0; völlig egal; liberales Bürgergeld –, das die FDP in der Schublade hat. Aber dieses eigene Konzept ist es dir nicht wert, die fünf Minuten am Redepult zu nutzen und das Konzept hier vorzustellen, obwohl wir über dieses Thema sprechen. Du redest über die Kita-Finanzierung und – dieses Wort darf ich nicht sagen – darüber, dass diese Landesregierung irgendwie schlecht ist.

Das ist einfach nur lächerlich. Es zeigt doch, dass ihr von eurem eigenen Konzept überhaupt keine Ahnung habt oder nicht überzeugt seid und wir anscheinend dann doch auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall von den PIRATEN)

Marcel Hafke (FDP): Ich will mich hier nicht auf Beleidigungen einlassen, sondern den Piraten nur eines erläutern: Wenn es darum geht, Armut in diesem Land zu bekämpfen und wir das auf Landesebene machen können, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen auch wieder in Arbeit kommen, insbesondere alleinerziehende Frauen.

(Beifall von der FDP)

Um das hinzubekommen, brauchen wir Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da geht es um Kindertageseinrichtungen. Um was denn sonst? Da geht es darum, dass wir ausreichend Plätze, qualitativ hochwertige Plätze in Nordrhein-Westfalen haben und dass wir flexible Öffnungszeiten haben, damit gerade diese Menschen …

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Und Elternbeiträge!)

– Das ist genau das, was ihr nicht versteht. Elternbeiträge zahlen die sowieso nicht, weil sie kein Einkommen haben. Jemand, der kein Einkommen hat, zahlt in Nordrhein-Westfalen keinen Beitrag.

(Beifall von der FDP)

Was ihr machen wollt – die SPD hat sich dem angeschlossen –, ist, die Bezieher von mittleren und höheren Einkommen mit mittlerweile fast einer Milliarde € zu subventionieren. Das sorgt nicht dafür, dass auch nur ein Kind aus Armut befreit wird. Da ist ein Irrglaube, den ihr habt! Deswegen brauchen wir hier in Nordrhein-Westfalen eine andere Politik.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Hafke. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Duin in Vertretung für Herrn Minister Schmeltzer.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der schon angesprochene aktuelle Sozialbericht macht klar, dass Kinder und Jugendliche in besonderem Maße von Armut betroffen sind. Die Zahl derer, die in einkommensschwachen Haushalten leben, steigt bundesweit an, auch bei uns in NRW. Deshalb ist die Bekämpfung der Kinder- und Familienarmut ein besonderes Anliegen unserer Regierung.

Der Antrag der Piraten zielt ausschließlich auf die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern. Auch dieses Thema beschäftigt die Landesregierung bereits seit Jahren. Dabei darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden – der Kollege Dr. Maelzer hat schon darauf hingewiesen –, dass hierfür, für die öffentliche Fürsorge, der Bund der zuständige Gesetzgeber ist.

Der Bund hat hier auch von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, insbesondere mit dem sogenannten Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz. Genau dieses Gesetz soll nach Ansicht des Deutschen Bundestages in Zusammenhang mit der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen beitragen.

Die Länder und ganz besonders die NRW-Landesregierung haben über den Bundesrat ausdrücklich gefordert, den Regelbedarf von Kindern und Jugendlichen wissenschaftlich belastbar zu ermitteln. Der Bund hat die Regelsätze für Kinder und Jugendliche im SGB II und im SGB XII zwar zum Teil erhöht, aber die Forderungen der Länder leider nur ansatzweise aufgegriffen.

Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der Piraten durchaus nachvollziehbar. Aus unserer Sicht greift er aber zu kurz. Es reicht nicht aus, ein vollkommen neues Leistungssystem der Kindergrundsicherung einzuführen. Allein damit wird das Problem der Kinder- und Familienarmut unserer Ansicht nach nicht gelöst.

Die Bekämpfung der Kinder- und Familienarmut kann nur erfolgreich sein, wenn an mehreren Stellen angesetzt wird, nämlich durch Bekämpfung der Armut der Eltern, durch gute Arbeit und ausreichende Einkommen, durch Entlastung der Familien, durch bessere Vereinbarkeit mit dem Beruf, durch Kinderbetreuung, durch geringere oder gar keine Kitagebühren und durch Investitionen in Infrastrukturen, die den Bildungserwerb der Kinder von der sozialen Lage der Familien entkoppeln und Chancengleichheit für alle Kinder schaffen.

Die Landesregierung setzt sich deshalb seit Jahren für ausreichende und fair bezahlte Beschäftigung ein. Beispielhaft nenne ich hier nur unseren Einsatz für den gesetzlichen Mindestlohn oder gegen Missbrauch von Werkverträgen.

Viele Leistungen, die einen Beitrag zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern, der frühkindlichen Förderung oder der Bildungsbeteiligung leisten, werden in NRW inzwischen kostenlos angeboten. Ein gutes Beispiel dafür ist das beitragsfreie Kindergartenjahr.

Außerdem verweise ich auf die erheblichen Investitionen in Bildung von Anfang an, beispielsweise in den Ausbau von Kindertagesbetreuung und in die Finanzierung der Schulsozialarbeit, Letzteres mit jährlich 47 Millionen €.

Daneben haben wir mit der natürlich auch hier schon intensiv diskutierten Initiative „Kein Kind zurücklassen“ einen präventiven Politikansatz entwickelt, der allen Kindern gleiche Chancen auf ein gutes Aufwachsen, Bildung und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll.

Der Entschließungsantrag von SPD und Grünen macht daher zu Recht deutlich, dass eine umfassende Reform notwendig ist, die verschiedene Politikbereiche auf unterschiedlichen Ebenen berücksichtigt. Hier geht es nicht nur um sozialleistungsrechtliche Fragen des SGB II und des SGB XII, um das Existenzminimum für Kinder und Jugendliche armutsfest zu machen, sondern auch darum, sämtliche Bereiche der familienpolitischen Kinderförderung wie Kindergeld und Kinderzuschlag einzubeziehen, eine funktionierende Infrastruktur für die sozialen Dienstleistungen für Kinder und Familien zu schaffen und außerdem steuer- und sozialversicherungsrechtliche Fragestellungen zu lösen.

Die Arbeits- und Sozialminister haben bereits am Rande ihrer letzten Konferenz Anfang Dezember 2016 beschlossen, diese Reform mit der Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe zur Kindergrundsicherung zu begleiten. Für Nordrhein-Westfalen wird sich mein Kollege Schmeltzer selbstverständlich sehr intensiv an der Bearbeitung dieser Fragestellungen beteiligen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende!

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Duin. – Damit sind wir am Ende der Beratung dieses Antrags.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/14382 ab. Hier ist direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt also dem Inhalt des Antrags zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir stimmen zweitens über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14500 ab. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD und Grüne. Wer stimmt dagegen? – Piraten, FDP und CDU stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von Herrn Schwerd, fraktionslos, ist der Antrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Damit sind wir, meine Damen und Herren, am Ende unserer heutigen Sitzung.

Ich berufe das Plenum wieder ein für Mittwoch, den 5. April 2017, 10 Uhr.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Nachmittag und ein schönes Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 15:15 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.