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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/139

16. Wahlperiode

16.03.2017

 

139. Sitzung

Düsseldorf, Donnerstag, 16. März 2017

Mitteilungen der Präsidentin. 14593

1   Maßnahmen der Landesregierung im Fall Wendt

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Lehren aus der Causa Wendt ziehen – ungerechtfertigte Freistellungspraxis zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für Gewerkschafter beenden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14387

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14509. 14593

Minister Ralf Jäger 14593

Peter Biesenbach (CDU) 14595

Thomas Stotko (SPD) 14600

Marc Lürbke (FDP) 14602

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 14605

Torsten Sommer (PIRATEN) 14607

Gerd Stüttgen (fraktionslos) 14609

Daniel Schwerd (fraktionslos) 14610

Minister Ralf Jäger 14611

Hans-Willi Körfges (SPD) 14613

Monika Düker (GRÜNE) 14615

Frank Herrmann (PIRATEN) 14616

Ergebnis. 14617

2   Unbesetzte Stellen können nicht unterrichten, für Sicherheit sorgen oder Steuerbescheide erstellen – Missmanagement und Intransparenz der Landesregierung bei der Besetzung von offenen Stellen im Landesdienst müssen ein Ende haben!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14399. 14617

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 14617

Heike Gebhard (SPD) 14620

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 14622

Ralf Witzel (FDP) 14624

Nicolaus Kern (PIRATEN) 14626

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 14627

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 14630

Ergebnis. 14630

3   Attraktiver ÖPNV braucht attraktive Arbeitsplätze: Dumpinglöhne im ÖPNV verhindern, Entscheidungshoheit der Aufgabenträger erhalten und Bestand der kommunalen Verkehrsunternehmen sichern – Neues Personenbeförderungsgesetz braucht zeitnahe Zustimmung des Bundestages

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14394

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14511. 14630

Andreas Becker (SPD) 14630

Arndt Klocke (GRÜNE) 14631

Henning Rehbaum (CDU) 14632

Christof Rasche (FDP) 14633

Oliver Bayer (PIRATEN) 14633

Minister Michael Groschek. 14634

Ergebnis. 14635

4   Ideologische Blockaden dürfen den Wirtschaftsstandort NRW nicht länger beschädigen – Landesregierung muss endlich Impulse für Wachstum und Beschäftigung setzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14389. 14635

Dietmar Brockes (FDP) 14635

Michael Hübner (SPD) 14636

Josef Hovenjürgen (CDU) 14637

Wibke Brems (GRÜNE) 14638

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14640

Minister Johannes Remmel 14641

Ergebnis. 14643

5   Gesetz zur Harmonisierung und Stärkung des Informationsfreiheitsrechts und Zugang zu maschinenlesbaren Daten (OpenData-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14379 (Neudruck)

erste Lesung. 14643

Frank Herrmann (PIRATEN) 14643

Guido van den Berg (SPD) 14644

Robert Stein (CDU) 14645

Matthi Bolte (GRÜNE) 14646

Dirk Wedel (FDP) 14646

Minister Ralf Jäger 14647

Ergebnis. 14648

6   Studiengebühren bleiben abgeschafft – Studierende und ihre Familien haben klare Aussagen verdient

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14392

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14501

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14508. 14648

Dietmar Bell (SPD) 14648

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 14649

Dr. Stefan Berger (CDU) 14651

Angela Freimuth (FDP) 14652

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14653

Ministerin Svenja Schulze. 14654

Ergebnis. 14655

Namentliche Abstimmung
siehe Anlage

7   Links blinken, aber rechts fahren? Landesregierung zeigt Doppelmoral bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14402. 14656

Werner Lohn (CDU) 14656

Stefan Zimkeit (SPD) 14657

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 14658

Ralf Witzel (FDP) 14659

Nicolaus Kern (PIRATEN) 14660

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 14661

Ergebnis. 14663

8   HPV-Impfung auch für Jungen und Männer – besserer Schutz für alle Menschen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14390. 14663

Susanne Schneider (FDP) 14663

Angela Lück (SPD) 14664

Walter Kern (CDU) 14665

Arif Ünal (GRÜNE) 14666

Daniel Düngel (PIRATEN) 14667

Ministerin Barbara Steffens. 14667

Ergebnis. 14668

9   Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung der Forschung sind unverzichtbar und elementar für NRW und weltweit

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14393. 14669

Karl Schultheis (SPD) 14669

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 14670

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14671

Dr. Stefan Berger (CDU) 14671

Angela Freimuth (FDP) 14674

Ministerin Svenja Schulze. 14676

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14677

Ergebnis. 14677

10 Schlussbericht
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 24.04.2013
Drucksache 16/2618 – Neudruck

Drucksache 16/14300

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14516. 14678

Christian Haardt (CDU) 14678

Stefan Zimkeit (SPD) 14681

Ina Scharrenbach (CDU) 14683

Gudrun Zentis (GRÜNE) 14685

Angela Freimuth (FDP) 14686

Nicolaus Kern (PIRATEN) 14688

Ina Scharrenbach (CDU) 14690

Nicolaus Kern (PIRATEN) 14691

Ergebnis. 14691

11 Fortschritt durch Industrie 4.0 für NRW gestalten – Investitionen und Innovation für gute Arbeit fördern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/12853

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/14418

Entschließungsantrag
des Abgeordneten Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/12906

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14521. 14691

Guido van den Berg (SPD) 14691

Robert Stein (CDU) 14692

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 14694

Ralph Bombis (FDP) 14695

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 14696

Daniel Schwerd (fraktionslos) 14697

Minister Garrelt Duin. 14698

Ergebnis. 14699

12 Neujustierung der Hochschulpolitik für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14404

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14502. 14699

Der Tagesordnungspunkt entfällt (Antrag Drucksache 16/14404 wurde zurückgezogen) 14699

13 Beim Umgang mit Fake News darf die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland nicht eingeschränkt werden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14384. 14700

Nicolaus Kern (PIRATEN) 14700

Alexander Vogt (SPD) 14700

Robert Stein (CDU) 14702

Oliver Keymis (GRÜNE) 14703

Thomas Nückel (FDP) 14705

Daniel Schwerd (fraktionslos) 14706

Minister Ralf Jäger 14706

Ergebnis. 14707

14 Digitale Verkehrswende in NRW durch den Kauf von 100.000 Fahrerlosen Fahrzeugen für den öffentlichen Nahverkehr einleiten

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13028

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/14042. 14707

Andreas Becker (SPD) 14707

Henning Rehbaum (CDU) 14707

Arndt Klocke (GRÜNE) 14707

Christof Rasche (FDP) 14708

Minister Michael Groschek. 14709

Oliver Bayer (PIRATEN) 14709

Ergebnis. 14711

15 Eigentumsförderung stärken – mehr Fairness bei der Förderung von Wohneigentum für Familien

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14397. 14711

Vertagung. 14711

16 Bus und Bahn fahrscheinfrei – Modellprojekt zum Bürgerticket durchführen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14383. 14711

Vertagung. 14711

17 Open-Data eröffnet neue Wege im Öffentlichen Nahverkehr: Die sofortige Freigabe von Live-Fahrplandaten und Mobilitätsinformationen erspart uns viel Lebens- und Wartezeit

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14386. 14711

Oliver Bayer (PIRATEN) 14712

Carsten Löcker (SPD) 14713

Henning Rehbaum (CDU) 14713

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 14713

Christof Rasche (FDP) 14714

Minister Michael Groschek. 14714

Ergebnis. 14714

Anlage  14715

Namentliche Abstimmung zu TOP 6 – Studiengebühren bleiben abgeschafft – Studierende und ihre Familien haben klare Aussagen verdient – Drucksache 16/14392

 


 

Entschuldigt waren:

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD)

Minister Michael Groschek       
(von 16 bis 19 Uhr)

Ministerin Christina Kampmann

Minister Franz-Josef Lersch-Mense

Ministerin Sylvia Löhrmann

Minister Johannes Remmel      
(ab 17:45 Uhr)

Minister Rainer Schmeltzer (SPD)

Ministerin Svenja Schulze (SPD)          
(ab 19 Uhr)

Ministerin Barbara Steffens      
(ab 17 Uhr)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans      
(ab 17 Uhr)

Eva Steininger-Bludau (SPD)    
(ab 11:40 Uhr)

Wolfgang Große Brömer (SPD)

Andreas Kossiski (SPD)

Hubertus Kramer (SPD)

Lisa Steinmann (SPD)

Astrid Birkhahn (CDU)

Ursula Doppmeier (CDU)

Theo Kruse (CDU)

Friedhelm Ortgies (CDU)

Ina Scharrenbach (CDU)          
(ab 18 Uhr)

Hendrik Schmitz (CDU)

Ulla Thönnissen (CDU) 
(ab 14:30 Uhr)

Andrea Asch (GRÜNE)
(ab 18:30 Uhr)

Horst Becker (GRÜNE)
(bis 11:30 Uhr)

Rolf Beu (GRÜNE)

Herbert Franz Goldmann (GRÜNE)      
(von 15:15 bis 15:45 Uhr)

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)     
(ab 19 Uhr)

Hans Christian Markert (GRÜNE)         
(ab 18 Uhr)

Ulrich Alda (FDP)         
(ab 15:30 Uhr)

Christian Lindner (FDP)
(ab 16 Uhr)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Dietmar Schulz (FRAKTIONSLOS)

 

 

Beginn: 10:04 Uhr

Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle zu unserer heutigen, 139. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Ich grüße auch unsere Gäste auf der Zuschauertribüne sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 14 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wie Sie gerade schon an den Glückwünschen, die persönlich ausgesprochen werden, und an den Präsenten, die überreicht werden, bemerken, haben wir heute ein Geburtstags-“Kind“. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion feiert heute einen besonderen Geburtstag. Lieber Kollege Römer, lieber Norbert, ganz herzlichen Glückwunsch im Namen des Hohen Hauses, auch wenn dessen Mitglieder noch nicht ganz so zahlreich vertreten sind!

(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Wir wünschen Glück und Gesundheit. Wir wissen: Wir haben gemeinsam wieder einen langen Plenartag vor uns und daher viel Zeit, die Glückwünsche auch noch mal persönlich auszusprechen.

Mit diesen fröhlichen Vorbemerkungen treten wir in die Bearbeitung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1  Maßnahmen der Landesregierung im Fall Wendt

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Lehren aus der Causa Wendt ziehen – ungerechtfertigte Freistellungspraxis zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für Gewerkschafter beenden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14387

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14509

Der Entschließungsantrag der Piraten Drucksache 16/14509 wurde gerade eingereicht. Er wird im Moment gedruckt und im Anschluss verteilt werden, sodass wir am Ende der Unterrichtung einen Antrag und einen Entschließungsantrag zu bescheiden haben.

Zur Unterrichtung hat jetzt Herr Minister Jäger für die Landesregierung das Wort. Bitte schön.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser Unterrichtung werden wir als Landesregierung darstellen, welche Maßnahmen wir im Fall Wendt ergriffen haben. Unser Ziel ist dabei klar formuliert: Wir wollen den Fall so zügig und so gründlich wie möglich aufklären.

Fest steht schon jetzt, meine Damen und Herren: Einen solchen Fall hätte es in dieser Form niemals geben dürfen, und so einen Fall darf es auch in Zukunft nie mehr geben. Da hat sich etwas verselbständigt; da wurden im Laufe der Zeit immer stärker Freiräume ausgenutzt. Das werde ich gleich noch ausführlich darstellen, meine Damen und Herren.

Zuvor möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, etwas Grundsätzliches hervorzuheben, und zwar die Bedeutung, die diese Landesregierung der Mitbestimmung ihrer Beschäftigten beimisst. Diese Bedeutung ist für uns unverändert hoch. Wir legen auch weiterhin großen Wert darauf, dass die Interessen unserer Beschäftigten bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Für uns ist die Mitbestimmung vor Ort durch die Personalvertretung in den Behörden selbst der erste und unmittelbarste Weg, um gute Entscheidungen zu treffen – Entscheidungen, die im Sinne der Beschäftigten sind und von ihnen mitgetragen werden.

Bei unserer Novellierung des Landespersonalvertretungsgesetzes im Jahre 2011 sind diese Überzeugungen wie folgt umgesetzt worden:

Wir haben uns von der Idee leiten lassen, dass es sinnvoll und richtig ist, die Herausforderungen auf dem Weg hin zu einem modernen, zukunftsfähigen öffentlichen Dienst nicht auf dem Rücken der Beschäftigten, sondern im Dialog mit den Beschäftigten zu meistern. Das war ein anderer Weg, als ihn uns CDU und FDP 2007 aufgezeigt haben. Ich bin davon überzeugt, dass unser Weg immer noch der richtige ist.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die zweite Säule, die das Land Nordrhein-Westfalen zum Mitbestimmungsland Nummer eins macht, ist neben der Personalratsarbeit die starke Rolle unserer Gewerkschaften. Das hat bei uns in Nordrhein-Westfalen eine lange Tradition, die bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht, als das Montan-Mitbestimmungsgesetz vor allem auf Druck der Gewerkschaften verabschiedet wurde. Seitdem haben nahezu alle Landesregierungen hier in Nordrhein-Westfalen erkannt, dass starke Gewerkschaften auch Ausdruck der Stärke unseres Landes sind.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir legen großen Wert darauf, dass diese starke Rolle erhalten bleibt. Daran haben wir als Landesregierung weiterhin ein großes Interesse.

(Beifall von der SPD)

Seit 2010 haben wir den engen Dialog mit den Gewerkschaften gesucht. Wir waren nicht immer derselben Meinung, aber wir haben konstruktiv miteinander gesprochen und verhandelt. In vielen Bereichen, in denen die Aufgabenstellung lautet, Nordrhein-Westfalen neu auszurichten, haben wir Gewerkschaften an den Tisch geholt. Wir haben das getan, weil für uns feststeht: Die Meinungen derjenigen, die die Interessen von Beschäftigten vertreten, sind Meinungen, die sich auch in Gesetzen, Initiativen und Reformen wiederfinden müssen.

Insofern sind die Erfolge dieser Landesregierung auch Erfolge, die auf der Beteiligung der Gewerkschaften in diesem Prozess beruhen. Dafür ist die Landesregierung den Gewerkschaften außerordentlich dankbar, meine Damen und Herren.

Nicht nur wir als Landesregierung sind auf die Expertise unserer Gewerkschaften angewiesen. In unzähligen Ausschussberatungen des Landtages werden Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften von Fraktionen als Experten eingeladen. Auch in öffentlichen Diskussionen hat die Stimme der Gewerkschaften Gewicht.

Zu erwarten, dass Gewerkschaften das alles in ihrer Freizeit – nach ihrem Feierabend, also zusätzlich zu einer bestehenden Vollbeschäftigung – leisten, ist lebensfern, meine Damen und Herren. Deshalb steht für diese Landesregierung fest: Wir unternehmen alles, damit der Fall Wendt kein schlechtes Licht auf die gute und wichtige Arbeit wirft, die zahlreiche Gewerkschafter leisten. Wir stellen diese Arbeit jetzt und in Zukunft nicht infrage, sondern setzen uns dafür ein, den Gewerkschaften auch in Zukunft die Möglichkeiten zu geben, ihre Arbeit im Sinne der von ihnen vertretenen Berufsgruppen auszuüben.

Meine Damen und Herren, im Bereich der Polizei haben wir in Nordrhein-Westfalen eine besondere Situation. Neben einem sehr großen Berufsverband, der Gewerkschaft der Polizei, existieren noch zwei weitere, kleinere Verbände, die Deutsche Polizeigewerkschaft und der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Auch ihr Beitrag ist für uns wichtig; denn wir wollen bei unserer Meinungsbildung die Position und die Haltung einer möglichst breiten Mitarbeiterschaft in der Polizei erfahren.

Im Innenministerium existiert dazu seit den 90er-Jahren eine Verwaltungspraxis, die regelt, wie mit Dienstbefreiung der ehrenamtlichen Landesvorsitzenden umzugehen ist. Ihnen soll erlaubt werden, ihren ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Verpflichtungen im Rahmen des dienstlich Vertretbaren nachzukommen. Bei dieser Praxis hat man sich von der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Grundgesetz und von der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 45 Beamtenstatusgesetz leiten lassen.

Die Praxis soll hier einen Ausgleich zwischen beiden Interessen – nämlich den dienstlichen Erfordernissen auf der einen Seite und dem Interesse von Öffentlichkeit, Parlament und Landesregierung an funktionierenden Berufsverbänden auf der anderen Seite – schaffen, soweit dem Rechnung getragen werden kann.

Es handelt sich hierbei ausdrücklich nicht um eine vollständige Befreiung vom Dienst. Vielmehr erfolgt die Entlastung anlassbezogen.

Aus aktuellem Anlass haben wir mit beiden Landesvorsitzenden, Herrn Rettinghaus von der DPolG und Herrn Fiedler vom BDK, das Gespräch gesucht. Wir haben sichergestellt, dass beiden auch zukünftig die ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit im Rahmen des dienstlich Vertretbaren ermöglicht bleibt. Dies gilt für die Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse stehen, wie zum Beispiel die Beratung der Landesregierung und des Landtags sowie die Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren. Darüber hinaus gilt für beide die Freistellungs- und Urlaubsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen wie für alle anderen Beamtinnen und Beamten des Landes auch.

Meine Damen und Herren, ich will nun auf den Fall Wendt eingehen. Die bislang vorliegenden Erkenntnisse beruhen im Wesentlichen auf der uns vorliegenden Personalakte. Bevor ich kurz seinen dienstlichen Werdegang skizziere, vorweg noch einmal – ich habe dies schon im Innenausschuss gesagt – in aller Klarheit: Ich selbst habe keine Entscheidung zur Besoldung oder Freistellung von Herrn Wendt getroffen. Auch habe ich zu keinem Zeitpunkt mit ihm darüber geredet. Erstmals bin ich am 24. Februar 2017 darüber informiert worden, dass Herr Wendt eine Teilzeitbeschäftigung beim Land hat, ohne tatsächlich Dienst zu verrichten.

Jetzt zum Werdegang von Herrn Wendt: 1997 wurde Herr Wendt Landesvorsitzender der DPolG. Damals war er beim Polizeipräsidium Duisburg als Wachdienstführer tätig. Zum 1. Januar 2001 erfolgte die Reduzierung seiner wöchentlichen Arbeitszeit auf 28,5 Stunden. Von Freistellung ist weder im Antrag noch in der Genehmigung die Rede – im Gegenteil. Herr Wendt begründet die Reduzierung seiner Dienstzeit explizit damit, außerhalb des Dienstes ehrenamtlich mehr Zeit für seine Gewerkschaftsarbeit haben zu wollen. Er nennt dabei selbst den Begriff „Teilzeit“.

Es handelt sich dabei also nicht um eine vollständige Freistellung von Herrn Wendt, wie er behauptet, dass er sie seit 2000 innehabe.

Seine Besoldung ist zum Zeitpunkt seiner Stundenreduzierung ebenfalls entsprechend reduziert worden. Daran hätte auch seine damalige Tätigkeit im Personalrat nichts geändert.

2006 erfolgte der Wechsel zum PP Mönchengladbach. Während seiner Zeit dort ist Herr Wendt im Jahre 2007 Bundesvorsitzender der DPolG geworden.

Im Jahre 2010 erfolgte schließlich die Versetzung zum LZPD. Einen Monat später wurde er dort zum Polizeihauptkommissar befördert.

Nach Aktenlage war Herr Wendt in allen diesen Verwendungen teilzeitbeschäftigt mit 28,5 Wochenstunden.

Der Akte lässt sich nicht entnehmen, ab wann und auf welcher Grundlage Herr Wendt nicht mehr seinem Dienst nachgegangen ist. Offensichtlich hat seine gewerkschaftliche Arbeit im Laufe der Jahre immer mehr Zeit in Anspruch genommen.

Wenn jemand über Jahre hinweg überhaupt keine Arbeitsleistung mehr erbringt, dann ist das ein Problem, meine Damen und Herren. Damit konterkartiert er den Sinn und Zweck der jahrzehntealten Verwaltungspraxis.

In seiner Personalakte befindet sich kein Hinweis auf eine dauerhafte und vollständige Befreiung vom Dienst.

Es gibt immer noch viele Widersprüche zwischen den öffentlichen Aussagen von Herrn Wendt, den bisher geführten ersten Gesprächen und der Aktenlage. Die Widersprüche werfen zusätzliche Fragen auf. Sie fordern insbesondere eine Aufklärung über seine Zeit im Polizeipräsidium Mönchengladbach ab dem Jahre 2006 sowie die Umstände seiner Versetzung zum LZPD im Januar 2010 und seiner Beförderung dort nur einen Monat später.

Die Widersprüche aufzuklären, ist Aufgabe des Verwaltungsermittlungsverfahrens. Wir wollen wissen, wann Herr Wendt seine Arbeit für die Polizei in Nordrhein-Westfalen vollständig eingestellt hat. Wir wollen wissen, welche Nebeneinkünfte Herr Wendt aus Tätigkeiten in verschiedenen Aufsichtsräten erzielt hat – Nebeneinkünfte, die das Gehalt eines Polizeihauptkommissars mit 28,5 Wochenstunden deutlich übersteigen. Diese Nebeneinkünfte hat Herr Wendt nicht angezeigt. In der Personalakte finden sich zwar vereinzelte Hinweise auf Nebentätigkeiten von Herrn Wendt, die angezeigt und auch genehmigt wurden. Diese bewegen sich allerdings in einer deutlich niedrigeren finanziellen Größenordnung.

Außerdem wurde die letzte in der Personalakte enthaltene Genehmigung nur bis zum Jahre 2008 erteilt. Für den Zeitraum danach liegen weder Anzeigen noch Genehmigungen vor. Auch eine Aufstellung erzielter Nebeneinkünfte existiert nicht.

Laut Medienberichten hat Herr Wendt die Tätigkeit für die besagte Versicherungsgesellschaft eingeräumt. Aufgrund dessen haben wir ergänzend ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

Jetzt stellt sich der Fall wie folgt dar: Herr Wendt hat sich im Laufe der Jahre immer mehr Raum geschaffen, um seine gewerkschaftlichen Tätigkeiten auszuüben. Herr Wendt hat irgendwann vor Jahren seinen Dienst für unsere Polizei vollständig eingestellt. Der genaue Zeitpunkt wird noch untersucht. Jedenfalls liegt nach der vorläufigen Einschätzung auf der Grundlage der ersten geführten Gespräche der Eindruck nahe, dass sich Herr Wendt spätestens ab dem Jahr 2006 weitestgehend nicht mehr seinem Dienst gewidmet hat.

Er hat eine Nebentätigkeit ausgeübt, die er nicht angezeigt hat, obwohl er dazu verpflichtet war, und er hat aus dieser Tätigkeit Nebeneinkünfte erhalten, die seine Besoldung deutlich übersteigen, vermutlich 77.000 €. Sollten sich diese Vorwürfe bestätigen, dann wäre der Fall Wendt ein beispielloser Fall.

Wer unter dem Schutzmantel des rechtschaffenen Gewerkschafters eine Verwaltungspraxis ausnutzt und dadurch ad absurdum führt, dass er aufgrund hoher Nebenverdienste überhaupt nicht darauf angewiesen ist, der beschädigt das Ansehen aller Gewerkschafter.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, einen Fall Wendt darf es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr geben. Ich habe im Innenausschuss letzte Woche durchaus wahrgenommen, dass in allen Fraktionen die Bereitschaft besteht, das Thema in der nächsten Legislaturperiode anzugehen, auch und gerade, um den Gewerkschaften selbst eine stärkere Rechtssicherheit zu geben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister, für die Unterrichtung. – Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Biesenbach für die CDU-Fraktion das Wort.

Peter Biesenbach (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister ist gerade verschwunden.

(Minister Ralf Jäger: Ich war nur etwas trinken!)

– Dann ist es okay. Da ist er wieder.

(Zurufe von der SPD: Er taucht sofort wieder auf! – Das ist so billig!)

– Ist ja gut. – Herr Minister, wir stimmen darin überein, dass es eine Gemeinsamkeit gibt, die ich gleich zu Beginn betonen will. Auch wir unterstreichen die Bedeutung der Gewerkschaftsarbeit.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Hört, hört!)

Auch wir unterstreichen, dass es wichtig ist, dass die Vorsitzenden kleiner Gewerkschaften voll funktionsfähig arbeiten können.

Allerdings gibt es noch keine Lösung, wie wir das künftig regeln wollen. Dazu haben Sie hier auch noch keine klaren Aussagen gemacht. Und das ist gut so. Denn das Problem ist rechtlich schwierig. Wir dürfen die reine Gewerkschaftsarbeit eben nicht öffentlich alimentieren.

Bei der Personalratstätigkeit ist das etwas anderes. Deswegen haben wir auch angeboten, zu Beginn der neuen Legislaturperiode gemeinsam eine Lösung zu finden. Es gibt Beispiele; es gibt Vorbilder. Diese will ich hier aber nicht anführen, weil das heute nicht die entscheidende Frage ist. Wir sagen also zu, gemeinsam eine Lösung zu suchen, zu finden und umzusetzen, die es auch den kleineren Gewerkschaften ermöglicht, voll funktionsfähig dabei zu sein. Denn es wäre ja schade, wenn uns der Sachverstand verloren ginge.

Herr Minister, Sie haben heute in Ihrer Erklärung deutlich gemacht, dass es noch viele Fragen und viele Widersprüche gibt. Ich hätte aber sehr gerne von Ihnen auch eine Antwort gehört; denn die Fragen haben wir Ihnen alle bereits im Innenausschuss gestellt. Zu dieser Situation kam heute kein einziges Wort von Ihnen.

Ich will zu Beginn aber auch betonen, dass die Causa Wendt Nordrhein-Westfalen wieder einmal bundesweit in die Schlagzeilen bringt. Erstaunlicherweise ist es immer dieser Minister, der dafür sorgt, dass wir durch die Schlagzeilen laufen.

(Lachen von Nadja Lüders [SPD] – Marc Herter [SPD]: Ja, wir laufen durch die Schlagzeilen!)

Die Historie ist simpel. Ich will sie nur ganz kurz ansprechen, Herr Herter, damit Sie sie nicht vergessen.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Ja, sicher! Alles klar! – Weitere Zurufe von der SPD)

Es begann mit der Loveparade. Es ging weiter bei Hogesa.

(Ibrahim Yetim [SPD]: Unterste Schublade, Herr Biesenbach!)

Frau Präsidentin, ich habe nur die Bitte, dass mir die Zeit, die ich hier nicht reden kann, nicht angerechnet wird. Dann haben wir Zeit genug.

(Beifall von der CDU)

Also: Loveparade, Hogesa, SEK-Skandal in Köln, die Kölner Silvesternacht, Amri und jetzt die Causa Wendt. Der Minister ist schon richtig gut darin, solche Skandale zu schaffen. Aber sie stören uns bei der Arbeit und schaden dem Ruf dieses Landes.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Das Traurige dabei ist aber, dass ich hier von einem „System Jäger“ sprechen muss; denn die Verteidigungslinie ist immer dieselbe. Fast wörtlich sagt der Minister: Ich habe nie von etwas gewusst, ich habe von nichts gehört, und ich habe auch nichts entschieden.

Nur der Satz im Nachhinein „So etwas hätte es nicht geben dürfen“ hilft nicht; denn er ist das Eingeständnis, dass eben schlecht gearbeitet wurde, wenn überhaupt gearbeitet wurde, in der Leitungsetage.

Herr Minister, viele Fragen beschäftigen sich heute mit Ihnen. Darum will ich Sie hier einmal ein wenig in den Mittelpunkt stellen. Auch wenn Herr Wendt erklärt, dass Sie zeitnah bereits alles gewusst hätten, bleiben Sie auch heute dabei, erst am 24. Februar dieses Jahres etwas von der Regelung erfahren zu haben. Das ist eine klare Aussage. Wir werden einmal sehen, wie sie sich in den nächsten Wochen halten lässt.

Alles, was Sie nicht wussten, haben Sie übernommen; es ist Ihnen quasi von anderen Ministern zugeflossen. Infrage kommen Ihre früheren Kollegen Behrens und Wolf. Sie dementieren aber ebenfalls Wissen und Entscheidungen. Es ist also wieder ein großes Rätsel: Wie kann denn so etwas überhaupt entstanden sein?

Sie sagen, es habe sich etwas verselbständigt. War da niemand aus der Leitung des Ministeriums beteiligt? Haben Sie nie etwas davon gewusst?

Wer Abläufe in Ministerien kennt, der weiß, dass das nicht nachvollziehbar ist. Sie treffen Herrn Wendt x-mal. Sie sitzen in Talkshows zusammen. Sie erleben von ihm Beiträge zu ungezählten Anhörungen. Sie erleben von ihm jede Menge Kommentare zu Landesthemen, auch nach seinem Umzug nach Berlin. Haben Sie sich nie gefragt: Wie schafft er das Ganze? Wie schafft er das alles?

(Zurufe von der SPD)

– Wenn Sie dort diskutieren wollen, sagen Sie ruhig Bescheid; dann mache ich so lange Pause.

Entscheidend – und das wird auch für Sie entscheidend – ist das Jahr 2012. Bis dahin war Herr Wendt Mitglied des Hauptpersonalrats. Bis dahin mag ja vieles erklärbar sein. Aber dann wechselt Herr Wendt vom Land zum Bund. Er wird Bundesvorsitzender. Er scheidet aus dem Hauptpersonalrat aus. Er zieht für seine Tätigkeit nach Berlin – und er wohnt in München. Das ist doch toll.

(Marc Herter [SPD]: Das passierte 2007!)

Aber, lieber Herr Herter, die Besoldung läuft weiter. Die Stelle im LZPD bleibt erhalten, obwohl Herr Wendt nichts mehr mit NRW zu tun hat.

Und jetzt gibt es plötzlich zwei Freistellungen für die DPolG, nämlich für Herrn Rettinghaus und für Herrn Wendt, also auch für den Bundesvorsitzenden. Ist das nie im Ministerium besprochen worden? Seine Stelle war im LZPD, ganz nah bei dem Minister. Ist das alles gelaufen, ohne dass sich jemals jemand darum gekümmert hat?

(Zuruf von den PIRATEN: 2007!)

– Wir sind bei 2012. – Hat das alles Ihr Leiter der Abteilung 4 entschieden?

Meine Damen und Herren, wir haben von Herrn Jäger bis jetzt noch nicht gehört – und jetzt wird es zum ersten Mal spannend –, dass der damalige Behördenleiter des LZPD, der heutige Kölner Polizeipräsident, Herr Mathies, als Herr Wendt ausschied und Bundesvorsitzender wurde, im Ministerium den Vorgang vorgetragen hat – mit der Bitte, man möge ihm sagen, wie er sich verhalten solle. Wir haben noch keine Unterlagen und noch nicht herausgefunden, wer ihm das gesagt hat. Jedenfalls ist Herrn Mathies im und aus dem Ministerium mitgeteilt worden, er solle alles so weiterlaufen lassen.

Das haben wir bisher noch nicht gehört. Wenn das nicht in der Personalabteilung ist …

(Zurufe von der SPD)

– Ganz einfach: Sie sagen, Sie haben es auch nicht gehört. Prima. So viel zur Transparenz! Aber ich ganz sicher, Herr Körfges, dass auf der Journalistenbank jemand sitzt, der heute Herrn Mathies befragen wird, und ich bin ganz sicher, dass auch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf sich einmal dafür zu interessieren beginnt. Denn die Frage taucht ganz einfach auf: Herr Mathies war Behördenleiter; Herr Mathies hatte eine Vermögensfürsorgepflicht. Und es taucht weiter die nächste Frage auf: Wird er denn riskieren, nachher selbst ins Kreuzfeuer zu gehen, weil er es hat laufen lassen? Denn er wusste es 2012. Er hat 2012 gefragt, und ihm ist aus dem MIK gesagt worden: Lass es laufen.

Das wollen wir wissen. Wir kriegen es nicht heraus, weil wir keine Akteneinsicht haben. Aber diese Fragen sind zu stellen. Deswegen bringe ich sie heute ganz einfach hierhin.

(Beifall von der CDU)

Ich bin ganz sicher: Herr Mathies wird dazu eine Erklärung geben und nicht bereit sein, den Kopf für etwas hinzuhalten, was er selber nicht zu verantworten hat.

Aber das ist ja noch nicht alles. Ein Jahr später, 2013, wird die Sache aus meiner Sicht zu einer Schmierenkomödie. Warum? Herr Wendt ist 1973 als Polizeibeamter in den Landesdienst eingetreten. 40 Jahre später, 2013, feiert er sein 40-jähriges Dienstjubiläum.

(Mehrdad Mostofizadeh: Das ist ja sensationell!)

Herr Mostofizadeh, jetzt fragen Sie bitte einmal, wo er das gefeiert hat. Das hat er nämlich nicht etwa in Berlin gemacht. Nein, er hat es im LZPD in Düsseldorf gefeiert. Das ist doch die Situation: Er war in Berlin. Er tut nichts mehr für das Land Nordrhein-Westfalen. Er wird aber von diesem Land besoldet. Er ist ganz einfach in Berlin, kommt dann wieder und lässt sich feiern.

(Zurufe von der SPD)

Hier taucht doch folgende Frage auf: Üblicherweise bekommt man bei einem Jubiläum ja eine Urkunde übergeben. Wer hat denn die Urkunde übergeben?

(Michael Hübner [SPD]: Wenn Sie eingeladen gewesen wären, hätten Sie das erzählen können!)

Nach meiner Kenntnis war es der Behördenleiter. Das war wieder Herr Mathies. War der anwesend? – Frage, Herr Minister: Waren Sie oder war der Abteilungsleiter anwesend? Ich kann mir nicht vorstellen, dass keiner aus der Leitungsebene dabei ist, wenn ein so bedeutender Mann 40 Jahre Dienstjubiläum feiert.

Was haben sich denn die Beamten gefragt, die an der kleinen Feier teilgenommen haben? Denen war doch allen klar, dass Herr Wendt nicht eine Stunde lang im LZPD gesessen hat. Denen war klar, dass er nicht eine Stunde lang Dienst für das Land machte, aber besoldet wurde.

(Beifall von der CDU)

Und das soll niemandem aufgefallen sein? Das soll niemand thematisiert haben? Das können Sie wirklich erzählen, wem Sie wollen. Für so naiv halten Sie uns bitte nicht!

(Lachen von der SPD)

Herr Minister, Sie haben gleich die Möglichkeit, hier etwas zu erklären. Das sind die Antworten, die wir haben wollen.

Im Übrigen ist das eine Situation, zu der ich Ihnen gern den Hinweis gebe: Schauen Sie doch mal im Internet im Blog „ZEIT ONLINE“, den der Vorsitzende des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofs, Thomas Fischer,

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Guter Mann!)

bedient und schreibt. Thomas Fischer – ich darf ein paar Worte zitieren; das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – schreibt:

„Auch die Behörden, Dienststellen, Abteilungsleiter, Referatsleiter, Dienststellenleiter, die auf der Grundlage einer ‚Vereinbarung, über die keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden sind‘, eine Beamtenbesoldung ohne Rechtsgrundlage gewährten und den auf Lebenszeit von der Mühsal des Kommissarseins Freigestellten beförderten, sind so etwas von nicht verantwortlich!“

Er beantwortet sich die Frage selbst – ich zitiere weiterhin Thomas Fischer, ein bedeutender Mann im Strafrecht, Herausgeber und Bearbeiter eines der maßgeblichsten Kommentare im Strafrecht –:

„Kommt Ihnen das Modell bekannt vor? Stichwort Napoli! Blaues Meer! Stadtverwaltung! Müllabfuhr! Es arbeiten nach glaubwürdigen Berichten allein bei der neapolitanischen Post mehrere Tausend ‚dauerhaft freigestellte‘ Beamte, die, wie der Kommissar aus Duisburg, am Arbeitsplatz niemals gesehen wurden. Sie hätten dazu auch gar keine Zeit, weil sie nebenbei ein Reisebüro leiten, im Aufsichtsrat einer Versicherung schwierige versicherungsmathematische Berechnungen nachprüfen, der Maklerfirma ihres Schwagers ein bisschen unter die Arme greifen,“

(Ibrahim Yetim [SPD]: Was?)

„aus der Ernte von 250.000 Tonnen Olivenöl … 750.000 Tonnen exportieren …“

(Zuruf von der SPD: Kalt gepresstes?)

Das ist der Vergleich,

(Norbert Meesters [SPD]: Aber der hinkt! – Weitere Zurufe von der SPD)

den einer der obersten Strafrechtler in Deutschland zu diesem Fall zieht. Den sollten wir uns auf der Zunge zergehen lassen.

(Marc Herter [SPD]: Wann lädt denn die CDU Herrn Wendt wieder ein?)

Aber, Herr Minister, nichts gehört? Ist alles an Ihnen vorbeigelaufen?

Wie war das 2014? 2014 hat der Behördenleiter, bei dem Herr Fiedler beschäftigt war, darauf hingewiesen, er wolle den Zustand so nicht weiter akzeptieren.

Dann ist in Ihrem Ministerium – wir haben das von Herrn Düren im Innenausschuss gehört – ein Erlass gefertigt worden, mit dem er eine Regelung an den Behördenleiter gab, damit der wieder zufrieden war. Da muss man sich wieder fragen: Macht der Abteilungsleiter das alles ganz alleine? Ich kann mir das nicht vorstellen, weil ich nach meiner Erfahrung davon ausgehe, dass Ministerialbeamte gerade heikle Dinge – Herr Düren hat mittlerweile ein Gespür dafür gehabt – natürlich mit ihrer Hausspitze abklären.

Also: Sie wussten nichts? Auch hier werden wir es hören. Denn wenn es richtig ist, dass der Minister nichts wusste, ist Herr Düren plötzlich wieder dran. Auch er hatte eine Vermögensbetreuungspflicht. Darauf komme ich aber am Ende noch zu sprechen.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Ibrahim Yetim [SPD]: Ich dachte, Sie sind am Ende! – Weitere Zurufe)

– Sie sind noch nicht fertig. – Aufhorchen lassen auch die Vorgänge, die sich im Innenministerium zugetragen haben, nachdem Herr Wendt über den TV-Beitrag zu seiner Besoldung informiert hatte. Da bekam er vom Abteilungsleiter IV im Ministerium den Tipp: Dann beenden Sie jetzt schnell Ihren Dienst. – Was ist das denn? Hatte er wieder ein Gespür: Da passiert was? Gibt er diese Informationen nicht an den Minister weiter, weil er nicht ahnt, dass sich da etwas entwickeln könnte? Für so dumm halte ich wiederum Herrn Düren nicht. Auch er wird sich irgendwann äußern müssen, denn sonst ist er auch nachher im Kreuzfeuer wegen der von ihm zu erfüllenden Vermögensbetreuungspflicht. Wir werden also eine ganze Menge Möglichkeiten haben, mit denen wir der Wahrheit ein deutliches Stück näherkommen.

Ich finde es ein Stück aus dem Tollhaus, dass der Betroffene plötzlich merkt: „Jetzt verbrenne ich mir die Finger, vielleicht verbrenne ich mich sogar ganz“, an seinen Dienstherrn herantritt und der ihm sagt: Wir machen ganz schnell Schluss, scheide aus, erkläre den Ruhestand.

(Zuruf von Andreas Bialas [SPD])

Die nächste Frage ist doch: Wieso schweigt der Minister dann und lässt alles laufen – zehn Tage, nachdem er es weiß? Denn es liegen zehn Tage dazwischen, nachdem er dann etwas erfahren hat und das Verwaltungsermittlungsverfahren beginnt. Warum? Wieder ist doch die Antwort für einen unbefangenen Beteiligten einfach: weil nach zehn Tagen das mediale Interesse plötzlich da war. Da musste man etwas tun.

Nur vorher nicht! Warum denn nicht? Weil keiner etwas wusste, oder weil alle die Hoffnung hatten, der Deckel bleibt drauf?

(Beifall von der CDU)

Wir haben uns dann auch dafür beschimpfen lassen müssen, dass wir von möglichen Interessenkonflikten ausgegangen sind, weil wir unterstellten, Herr Wendt habe ein besonderes Treueverhältnis zu seinem Minister entwickelt. Sie haben das ja als absurd dargestellt.

(Norbert Meesters [SPD]: Ist es auch!)

Wer sich aber die Aussagen von Herrn Wendt ansieht,

(Dietmar Bell [SPD]: Herr Biesenbach, das wird doch durch Wiederholung nicht besser!)

wird merken, dass sich Herr Wendt in den letzten sieben Jahren immer wieder positiv zu den Vorhaben seines Ministers geäußert hat.

(Lachen von der SPD – Dietmar Bell [SPD]: Das ist faktenfrei! Das ist voll faktenfrei! Das ist doch Biesenbach! – Weitere Zurufe von der SPD)

– Lesen Sie es doch nach, und Sie werden es merken. – Ich will das heute nicht vertiefen.

(Dietmar Bell [SPD]: Das will man nicht vertiefen! – Achim Tüttenberg [SPD]: Das machen wir gleich, keine Sorge!)

– Nein, mich interessiert eine letzte …

(Fortgesetzt Zurufe – Glocke)

Das lassen wir heute weg, weil

(Norbert Meesters [SPD]: Weil das eine hohle Nummer ist! – Zuruf von Dietmar Bell [SPD] – Weitere Zurufe von der SPD)

noch ein anderer Punkt spannend wird. Ich will die letzten vier Minuten meiner Redezeit darauf verwenden.

Meine Damen und Herren, auch nicht allzu häufig kommt vor, dass gegen einen Minister eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue erstattet wird. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft wird das sicherlich sehr gründlich prüfen und hoffentlich – ich gehe davon aus – vor der Wahl eine Entscheidung treffen, ob ein Ermittlungsverfahren anzustrengen ist oder nicht. Sie wird es anstrengen müssen, wenn es einen Anfangsverdacht gibt.

Ich darf Sie wieder einmal auf die Kolumne von Herrn Fischer hinweisen,

(Michael Hübner [SPD]: Kalt gepresst oder nicht?)

der ganz simpel schreibt:

„Eine zehn Jahre lang immer wieder neu angeordnete Besoldung eines Beamten, für die es keine Rechtsgrundlagen gibt, sondern die auf Grundlage einer ‚mündlichen Vereinbarung, über die keine Aufzeichnungen auffindbar sind‘, gewährt wird,“

– jetzt bitte aufpassen –

(Dietmar Bell [SPD]: Das müssen Sie schon sagen, damit wir aufpassen!)

„ist so weit jenseits des geltenden Rechts, dass man als Strafrechtler Mühe hat, am objektiven Tatbestand der Untreue zu zweifeln.“

Also: Einer der profiliertesten Strafrechtler sagt: Objektiver Tatbestand der Untreue ist erfüllt. – Dann geht es darum: Wer hat denn möglicherweise gehandelt? Jetzt geht es darum: Wer könnte denn der Täter sein?

(Hans-Peter Müller [SPD]: Der Gärtner!)

Wer hat etwas getan oder unterlassen und gegen die Vermögensbetreuungspflicht verstoßen? Das kann Herr Minister Jäger sein. Das kann Herr Mathies sein. Das kann Herr Düren sein. Ich nehme nur die drei.

Jetzt taucht die nächste Frage auf: Bei wem ist die Wahrscheinlichkeit am größten? Hier muss ein Stückchen weiter gefragt werden: Liegt Vorsatz vor, bedingter Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit? Diese Frage müssen wir heute nicht entscheiden.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Überhaupt nicht!)

– Ja, aber Vorsicht, Herr Körfges. Diese Frage muss auch die Staatsanwaltschaft nicht entscheiden, denn das kann sie erst im Ermittlungsverfahren. Sie muss fragen: Besteht der Anfangsverdacht, dass der Minister, Herr Mathies oder Herr Düren ihre Vermögensbetreuungspflicht verletzt haben?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ihr lest doch wohl Zeitung!)

Jetzt wird es spannend. Wenn der Staatsanwalt sagt: „Ich habe nichts gegen Herrn Jäger“, dann muss er gegen Herrn Düren oder Herrn Mathies aktiv werden – und die beiden werden sich das nicht gefallen lassen, sondern anfangen zu reden, und dann wird es hier plötzlich spannend.

(Zurufe von der SPD)

Ich gehe aber davon aus – das dürfen Sie alle anders sehen –, dass die beiden Beispiele – Anfrage Mathies ans Ministerium, das Dienstjubiläum, der Erlass Fiedler – auch dem Staatsanwalt ausreichen werden, um zu sagen: Es ist nicht auszuschließen, dass der Minister etwas weiß. – Dann, meine Damen und Herren, wird es wirklich spannend. Dann muss der Antrag auf Aufhebung der Immunität kommen, damit gefragt werden kann: Wer war es denn wirklich?

(Dietmar Bell [SPD]: Das ist doch lächerlich!)

– Ich weiß, dass Sie all das nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Sie müssen es ja nicht von mir zur Kenntnis nehmen. Nur müssen Sie damit rechnen: Das kommt in den nächsten Tagen.

(Dietmar Bell [SPD]: Das ist auch gut so!)

Und Herr Düren wird sich genauso wie Herr Mathies – wenn sie schweigen – einen Anwalt suchen müssen, denn dann stehen sie im Fokus. Sie waren beide beteiligt. Ich bin sicher: Die werden dann, wenn es auch für sie eng wird, anfangen zu reden und deutlich machen, wie es wirklich war. Dann werden wir hören, wann der Minister was wusste, wieso er nichts getan hat. Dann kann es plötzlich wirklich eng werden.

(Inge Howe [SPD]: Sie sind doch nicht besser!)

Herr Minister, Sie haben heute hier die Chance, Klarschiff zu machen. Sie haben gleich noch einmal die Chance, wirklich zu reden. Sie haben von Fragen und Widersprüchen gesprochen – einverstanden! Zu Inhalten haben Sie nichts gesagt. Erklären Sie es heute, machen Sie reinen Tisch vor der Öffentlichkeit, dann werden wir sehen, wie wir damit umgehen.

(Beifall von der CDU)

Nur zu sagen, wir schieben alles nach vorne, reicht längst nicht mehr.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Stotko.

Thomas Stotko (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sitzen heute wegen der Causa Wendt zusammen, und ich glaube, dass dazu insbesondere sechs Punkte die Menschen umtreiben – nicht nur in diesem Land, sondern in der gesamten Bundesrepublik.

Es geht um folgende Fragen: Wie werden die Daten und Fakten gesammelt? Was ist tatsächlich wie gewesen? Was ist die Wahrheit? Was hat man geglaubt, was die Wahrheit sei? – Ich glaube schon, dass es da auch um die Frage der Unschuldsvermutung geht. Wir reden über die Frage: In welcher Art und Weise hat es denn überhaupt eine Freistellung von Herrn Wendt gegeben? Muss ein Innenminister persönlich wissen, was 44.000 Beschäftigte machen? Hat Herr Wendt bezahlte Gesinnungspolitik für die Landesregierung betrieben? Was erwarten wir als Parlament von ehrenamtlichen Gewerkschaftsvorsitzenden? Und muss es eigentlich klare Regelungen geben?

Ich komme zum ersten Punkt, zu der Frage der Unschuldsvermutung – so schwer es mir manchmal auch fällt, das hier deutlich zu formulieren: Die gilt natürlich auch für Herrn Wendt in dieser Frage. Ich bitte bei allen Wortbeiträgen auch immer zu berücksichtigen: Muss in einem Verwaltungsermittlungsverfahren und in einem Disziplinarverfahren ermittelt werden?

Die letzte Sitzung des Innenausschusses und der heutige Bericht des Innenministers sowie der Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“, der ja von Informationen des Rechtsanwalts von Herrn Wendt geprägt ist, machen eines klar: Herr Wendt hat einen bezahlten 12,5-Stunden-Job gemacht mit, vermute ich, dem Votum von 60 Stunden Arbeit seinerseits. Er hat fünf nicht angezeigte Nebentätigkeiten betrieben, für die er weder eine Freistellung noch sonst etwas bekommen hat. Und zu der Arbeit, die er für 28,5 Stunden bezahlt bekommen hat, ist er nicht erschienen.

Da will ich einmal deutlich sagen: Dass Sie, Herr Biesenbach, einen Minister in allen möglichen Punkten kritisieren, aber nicht mit einem Wort dieses Fehlverhalten eines Beamten im Land Nordrhein-Westfalen kritisieren, das finde ich unglaublich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich komme gleich gern darauf zurück.

Wir reden über einen einfachen Polizisten. Wir haben ja keinen Abteilungsleiter, keinen Behördenleiter. Da kommt ein ganz einfacher Polizeibeamter – weder in Duisburg noch in Mönchengladbach und schon gar nicht beim LZPD – regelmäßig oder irgendwann überhaupt zur Arbeit und keiner seiner direkten Dienstvorgesetzten in diesen drei Behörden, in denen er tätig war, und keiner aus dem Kollegium geht dieser Frage nach. Da warten wir wirklich gespannt auf die Ermittlungen, wie es dazu kommen konnte.

Ich will Ihnen nur sagen: Auch aus der Sicht des Beamten, desjenigen, der hier jeden Monat sein Geld für 28,5 Stunden Arbeit bekommt, wäre es doch wohl das Mindeste gewesen, die fünf Nebentätigkeiten anzuzeigen. Das ist in der Personalakte jedoch nicht enthalten

(Zuruf von der CDU: Woher kennen Sie die Personalakte?)

und wird von Ihnen hier überhaupt nicht angesprochen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann haben wir von Ihnen so etwas wie das Orakel von Delphi gehört; das haben wir ja auch im Innenausschuss schon gehört, Herr Biesenbach. Da heißt es, der Innenminister habe Bescheid gewusst. – Ja, der Wendt behauptet, das Innenministerium sei informiert gewesen – ich bitte auf die genaue Wortwahl zu achten –, nicht der Innenminister persönlich.

(Armin Laschet [CDU]: Mein Minister?)

Jetzt sagt aber Herr Behrens nein, Herr Wolf sagt nein, und Herr Jäger sagt nein. – Und mal ganz ehrlich: Die Personalakte sagt auch nein. Jetzt haben wir also viermal ein Nein, und Sie als CDU wagen zu behaupten, dass das bei Herrn Behrens und Herrn Wolf wahrscheinlich die Wahrheit ist.

Im Innenausschuss aber haben Sie wahrheitswidrig unterstellt, der Innenminister dieses Landes wisse darüber Bescheid. Da will ich Ihnen eines mitgeben, Herr Kollege Biesenbach: Da muss man doch nicht so tun bei der Frage: Wann ist eigentlich was passiert? – Sie mit Ihrem kleinen Dienstjubiläum im Jahr 2013!

Schauen wir doch einmal: Im Jahr 2006 wechselt der Herr Wendt nach Mönchengladbach, nachdem er Probleme in Duisburg gehabt hat – in Verantwortung Ihrer schwarz-gelben Landesregierung!

Im Januar 2010, nachdem er erneut Ärger gehabt hat – diesmal bei seiner Behörde in Mönchengladbach –, wechselt er zum LZPD, und viele Kolleginnen und Kollegen der Polizei werden sich fragen, wie er dann das Nächste geschafft hat: Einen Monat später wird er nämlich in seiner neuen Behörde direkt befördert, unter einem FDP-Minister und – man höre und staune: „Wolf unter Palmen“ – unter einem Staatssekretär aus Ihrer Fraktion, der – das behaupte ich hier ziemlich deutlich – das sehr gut wusste!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dass Sie dann ernsthaft an der wahren Aussage des Ministers, er habe am 24. Februar das erste Mal davon gehört, zweifeln, ist doch nur dem Wahlkampf geschuldet; das wissen Sie doch auch. Genau wie diese Geschichte, der Innenminister sei in Berlin mit Herrn Wendt bei irgendeiner Jury gewesen. – Ja, jetzt mal ganz ehrlich: Der hat 44.000 Beschäftigte,

(Armin Laschet [CDU]: Und einer lobt ihn nur!)

und einer der Kommissare und Hauptkommissare ist Herr Wendt. Jetzt trifft er den in Berlin. Glauben Sie denn ernsthaft, dass der dann sagt: Schönen guten Morgen, Herr Wendt, sind Sie heute freigestellt? Haben Sie heute einen Tag Urlaub? Haben Sie heute einen Tag Sonderurlaub?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Feiern Sie heute Ihre Überstunden ab? – Das ist doch Unsinn. Man muss sagen, dass er ernsthaft geneigt ist, zu fragen. Dann wird von Ihnen unterstellt, er hätte sich informieren müssen. Da will ich Ihnen ganz deutlich als Parlamentarier, der an die Arbeit der Gewerkschaften glaubt, etwas sagen. Wenn ein Minister, egal, welcher das ist – das kann auch eine Schulministerin sein –, sich eine Personalakte eines einfachen Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen vorlegen lassen würde, weil er Bundesvorsitzender einer Gewerkschaft geworden ist, dann könnten Sie die Medien informieren. Das wäre nämlich mal eine Nummer, wenn sich ein Minister in die gewerkschaftliche Arbeit einmischt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Glauben Sie ernsthaft, Herr Biesenbach und liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU … In 2005 und 2006, Herr Laschet, saßen Sie ja auf anderen Bänken; da haben Sie damit nichts zu tun gehabt.

(Armin Laschet [CDU] zeigt zur Regierungsbank.)

– Ja, auf der Regierungsbank. Da kommen Sie ja jetzt nicht hin; dafür kann ich auch nichts.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Ich will nur sagen, da haben Sie ja nichts … Aber der Kollege Biesenbach hat Ihren Herrn Wendt, Ihr CDU-Parteimitglied Wendt in 2005 und 2006 mehrfach als Sachverständigen in den Innenausschuss, in den Unterausschuss Personal, in den HFA eingeladen. Haben Sie da einmal gefragt, ob der den Tag frei hat, damit er zu Ihnen kommen kann?

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Es war Ihr Sachverständigen in den Jahren. Ich will das nur einmal sagen. Sie haben sich null über die Frage gekümmert, ob der eigentlich kommen kann oder in Duisburg oder in Mönchengladbach seine Arbeit machen muss. Das ist doch ein Witz der Treppengeschichte. Das will ich Ihnen einmal deutlich sagen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Sie wussten ja noch eher als der Innenminister, dass der gar nicht arbeitet. So deutlich muss man das formulieren.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Damit das klar wird: Ich unterstelle auch keinem anderen, dass er das wisse. Ich unterstelle auch dem ARD-Intendanten nicht, dass er nicht weiß, was seine 30.000 Mitarbeiter überall machen. Ich unterstelle Frau Merkel nicht, dass sie über alle ihre Mitarbeiter im Bundeskanzleramt oder dass Herr Zetsche über seine 282.000 Mitarbeiter bei Daimler informiert ist. Es ist doch ein Witz, dass Sie glauben, dass der Chef eines Unternehmens – in diesem Fall der Minister in einem Ministerium – wisse, was 44.000 einzelne Beschäftigte machen. Wir reden ja nicht über einen Spitzenmann. Das ist absurd.

Noch absurder, weil Sie es noch einmal wiederholt haben, Herr Biesenbach: Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass Herr Wendt nahegelegt hat, dass er durch die Bezahlung des Landes Nordrhein-Westfalen Gesinnungspolitik für die Landesregierung beitreibt.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Dann behaupten Sie auch noch, er habe nichts Böses gesagt. Ja, da will ich Ihnen einmal helfen.

„Neue Westfälische“, 17. Januar 2017; vor seinen schwierigen Zeiten, die er jetzt hat: NRW hat große Probleme, insbesondere in den Ballungsräumen, sagt der in NRW beschäftigte Polizeibeamte.

„Siegener Zeitung“, 9. März 2016: Die Aufklärungsrate in NRW ist beschämend. „Das Risiko, Opfer eines Einbruchs zu werden, ist in NRW sechsmal so hoch wie in Bayern.“

Erst seit dem Jahr 2016 dürfe man in NRW sagen, dass Täter kriminelle Ausländer seien. Vorher sei das untersagt worden. Da hat er nicht nur bei „Hart aber fair“ der Ministerpräsidentin – in diesem Fall dem Minister – unterstellt, man sei als Beamter gezwungen, die Wahrheit nicht zu sagen. Und das sagt einer, der bezahlt ist und Gesinnungspolitik für die NRW-Landesregierung macht? Das können Sie doch nicht ernst meinen. Jetzt mal ganz ehrlich!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Aber wenn man ein bisschen nach vorn schaut. Hätten Sie Ihren Humorvortrag andersherum gedreht – das Orakel von Delphi, Herr Biesenbach –, dann hätte ich das auch anders machen können. Aber wenn wir nach vorn schauen, finde ich zumindest Ihr Angebot auch richtig und wichtig, zu sagen: In der neuen Legislaturperiode muss sich dieses Parlament mit dieser Frage beschäftigen. Denn in einem, hoffe ich, sind wir alle im Rund des Parlaments uns einig: Auf die Sachkenntnis, die Beratung, die Mahnung, die Warnung und auch die Leitlinien von Gewerkschaften wollen wir doch ernsthaft, egal, in welchem Ministerium, in welchem Ausschuss und auch hier im Parlament, nicht verzichten. Daran will ich erinnern.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Dann sind Sie ja nicht mehr dabei!)

In über 50 Terminen im Innenausschuss, im Unterausschuss Personal und im HFA haben uns Gewerkschaftsvorsitzende hier in Anhörungen geholfen – ehrenamtlich, mit Stunden der Vor- und Nachbereitung und mit dem stundenlangen Sitzen hier im Parlament. Wer von Ihnen hat denn ernsthaft geglaubt, dass sie das alles ehrenamtlich machen und bei ihrem Arbeitgeber ständig unbezahlten Urlaub nehmen können? Wir wollen darauf nicht verzichten, wir dürfen darauf nicht verzichten, und wir müssen das klären.

Deshalb komme ich auch zum letzten Punkt: Was sollen wir denn in Zukunft machen? Ich finde wichtig, dass sich das neue Parlament damit auseinandersetzt, aber so, wie es derzeit ist – hat der Minister zu Recht gesagt –, kann es nicht weitergehen. Intransparente Regelungen, unterschiedliche Anwendungen, mangelnde Verbindlichkeiten sind alles keine Grundlagen für eine Zusammenarbeit zwischen einem Beschäftigten im öffentlichen Dienst und seinem jeweiligen Dienstherrn. Daher ist der Appell des Ministers an uns, da Regelungen zu schaffen, auch richtig, und der Gesetzgeber sollte – wie ich finde – auch zusehen, das fraktionsübergreifend zu machen.

Ich will aber auch deutlich formulieren: Wir können und wir werden Gewerkschaften nicht subventionieren – das halte ich für falsch –, aber wir müssen ihren Sachverstand nutzen, können darauf nicht verzichten, und dafür muss es Regelungen geben.

Als Letztes, Herr Biesenbach, will ich Ihnen noch mitgeben: Die CDU Schildesche – ich hatte das letzte Woche im Innenausschuss schon angedeutet, und sie hat es tatsächlich getan – hatte Herrn Wendt gestern als Gast eingeladen und hat die Veranstaltung abgesagt. Wer hätte es gedacht? Dort, bei der CDU in Schildesche, ist man weiter als Sie. Denn Sie haben heute hier nur eines getan: eine Verteidigungsrede für Herrn Wendt gehalten, für jemanden, der nach meiner festen Einschätzung, nach Meinung unserer Fraktion mit seinem Verhalten die wichtige Arbeit der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland schwer beschädigt hat, so wie Sie heute das Ansehen der CDU beschädigt haben. – Besten Dank.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stotko. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Stotko, ich fange einmal mit Ihrem letzten Satz an – der war ja auch der beste in Ihrer Rede –, in dem es darum ging, dass Herr Wendt tatsächlich einen echten Bärendienst für die gute, ehrenamtliche und wichtige Arbeit aller Polizeigewerkschaften in Nordrhein-Westfalen geleistet hat.

Ich fange mit dem Positiven an. Ich bin auch bei Ihnen, wir dürfen nicht zulassen, dass durch die nicht entschuldbaren falschen Einlassungen vor laufender Kamera und dem Verschweigen der dubiosen Nebeneinkünfte dieser medial schillernden Figur wirklich diese gute und wichtige Arbeit der Polizeigewerkschaften auch hier in Nordrhein-Westfalen in die Schmuddel-Ecke gestellt wird. Das dürfen wir nicht zulassen.

Wenn man Raum gibt für Gewerkschaftsarbeit, dann muss man das aber auch rechtlich sauber machen, und dann darf sich, Herr Minister, so etwas nicht verselbstständigen. Mich ärgert deshalb, dass Deals, fragwürdige Absprachen offenbar nicht einfach so möglich sind, sondern dann tatsächlich ohne Rechtsgrundlage erfolgten.

Ich will nicht verschweigen, was mich dabei ärgert, Herr Minister: Das ist Ihr Umgang damit, Ihre fast patentreife Strategie nach altbekanntem Muster, fast der typische Reflex, den wir bei Ihnen kennen: Wenn mal etwas schiefläuft – und es läuft sehr häufig etwas schief in Nordrhein-Westfalen in Ihrem Verantwortungsbereich –, dann zeigt man immer sofort auf andere, aber bloß nicht auf sich selbst und auf den eigenen Verantwortungsbereich. Das ist Ihr typischer Reflex.

(Beifall von der FDP)

Das war so in Köln nach der Silvesternacht. Da waren es der Polizeipräsident, die Polizeibeamten in Köln, die Bundespolizei, die Stadt Köln.

(Zuruf von der SPD: Kommen Sie zur Sache!)

Im Fall Amri waren es sofort die Berliner. Und auch in diesem Fall sind es natürlich wieder die anderen.

Das Problem ist nur, Herr Minister: a) glaubt Ihnen das keiner mehr, und b) stimmt es nun auch gar nicht. Denn mittlerweile wissen wir: Die Regelung Wendt wurde nicht etwa in Zeiten schwarz-gelber Regierung getroffen, sondern ganz offensichtlich unter der rot-grünen Regierungszeit von Wolfgang Clement und seinem Innenminister Fritz Behrens. So weit zur Klarstellung!

(Zurufe – Unruhe)

Wenn wir schon bei Reflexen sind, schaue ich einmal in Richtung der Grünen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Lürbke, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Engstfeld würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Marc Lürbke (FDP): Ich würde erst gerne fortfahren.

Präsidentin Carina Gödecke: Alles klar.

Marc Lürbke (FDP): Herr Mostofizadeh, ich würde mir wünschen, dass auch Sie Ihre Reflexe vielleicht etwas besser unter Kontrolle bekommen würden. Denn was durfte ich da lesen nach Bekanntwerden des Falles Wendt? Zitat: „Ebenfalls strafrechtlich zu prüfen wäre die Rolle des früheren NRW-Innenministers Dr. Ingo Wolf.“ Das wurde einfach von Ihnen medial herausposaunt. Offenbar ohne jegliche Information zum Sachverhalt zu haben, werden erst einmal strafrechtliche Ermittlungen gegen Herrn Dr. Wolf gefordert. Das allein ist schon schräg.

(Beifall von der FDP)

Nun wissen wir aber, dass der Sachverhalt noch viel weiter zurückreicht, nämlich vor 2005. Und nun? – Schweigen im Walde. Ich vermisse Ihre Einlassung hierzu, Herr Mostofizadeh. Die Forderung nach strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn Fritz Behrens, Innenminister a. D., muss ich irgendwo überlesen, muss ich überhört haben. Ich habe sie nicht wahrgenommen.

Sobald klar war, dass unter rot-grüner Regierungszeit Innenminister Fritz Behrens die Regelung veranlasst hatte, haben Sie sich wieder in Ihr Schneckenhaus verkrochen. Was ist denn das bitte für eine Doppelmoral? Das muss man doch einmal sagen: Gegen Innenminister mit FDP-Parteibuch möge bitte ermittelt werden, gegen Innenminister, die bei eigener Regierungsbeteiligung tatsächlich involviert waren, aber bitte nicht!

Das lässt wirklich tief blicken, ebenso übrigens Ihre Einlassung zum Thema Sozialschmarotzer, die ich lesen musste. Auch das lässt tief blicken bezüglich Ihres gespaltenen Verhältnisses zur Polizei und zu den Gewerkschaften insgesamt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ha, ha, ha!)

Aber, meine Damen und Herren, zurück zum Sachverhalt. Es ist doch wirklich schwer vorstellbar, dass so ein prominenter Fall wie der von Herrn Rainer Wendt wirklich niemandem aufgefallen ist. Herr Stotko, das ist eben nicht nur ein Polizeibeamter von den über 40.000, sondern es ist schon ein besonderer, es ist ein prominenter Fall.

Wir erleben in dieser Frage wieder das übliche Bild, Herr Minister: Sie haben nichts gewusst geschweige denn irgendetwas gemacht. Ich weiß nicht, wie oft wir das jetzt hatten: nichts gewusst, nichts gemacht. Im Prinzip könnte man Ihnen das auf ein T-Shirt drucken.

Ich habe im Innenausschuss schon einige Beispiele angeführt, warum das wirklich wenig glaubhaft sein kann oder zumindest ein erschreckender Offenbarungseid ist. Deswegen noch einmal kurz der Blick zurück.

LPVG – Landespersonalvertretungsgesetz – 2011: Bei dieser umfassenden Novelle damals 2011 war doch gerade die Erweiterung von Dienst- und Freistellungsregelungen eine zentrale Frage ebenso wie die rechtliche Absicherung dienststellenübergreifender Personalratstätigkeit. Herr Minister, Sie haben damals in Ihrer Rede betont – Zitat –: „Wir haben monatelang miteinander gesprochen und gerungen: mit den Gewerkschaften, …“

Und in der Tat, die Verhandlungen sind auch mit den Spitzen der Gewerkschaften geführt worden. Wollen Sie mir erzählen, dass bei so einem Thema wie Freistellungen, wenn Sie mit den Top-Gewerkschaftlern reden, deren eigene Freistellung – auch die von Herrn Wendt – niemals Thema war?

(Minister Ralf Jäger: Beim LPVG!)

– Ja, in den Verhandlungen, bei diesem Ringen, das Sie geschildert haben. Wir haben damals explizit abgefragt und Ihnen die Frage gestellt, wie viele Mitglieder der Personalräte derzeit anteilig oder ganz von ihrer dienstlichen Tätigkeit freigestellt sind. Ihre Antwort damals im Mai 2011: 117 freigestellte Personalräte kosten rund 5,8 Millionen € jährlich aus dem Landeshaushalt.

Das muss man sich also so vorstellen: Wir fragen, und dann macht man sich auf und sucht all diese Informationen im Ministerium zusammen. Dann hat man das aufgeschlüsselt, man hat das errechnet und im Ministerium all diese Informationen zusammengetragen. Jetzt einmal ernsthaft: Wenn man das doch alles so intensiv prüft und zusammenträgt, dann hätte man doch an dieser Stelle auf die Causa Wendt kommen müssen. Das hätte auffallen müssen.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Gleiches übrigens im Jahr 2015. Da hatte mein Kollege Dirk Wedel auch eine Kleine Anfrage gestellt, in der er genau diesen Sachverhalt – explizit den Umfang der Freistellungen nach dem Landespersonalvertretungsgesetz für den Bereich der Polizei – hinterfragte. Ihre Antwort, Herr Jäger: 122 freigestellte Personalräte bei der Polizei, fünf weitere für den Hauptpersonalrat. – Aber auch wieder kein einziges Wort zur Causa Wendt oder zu womöglich weiter reichenden Freistellungen bei den Herren Rettinghaus oder Fiedler.

(Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD)

Sie lassen das so umfangreich prüfen in Ihrem Haus, aber das fällt niemandem auf? Entweder ist das alles Kokolores, was Sie uns erzählen, oder es ist ein echter Offenbarungseid und absoluter Blindflug der Landesregierung in Sachen Personalmanagement – absoluter Blindflug der Landesregierung!

Nehmen wir einmal den Erlass für Herrn Fiedler. Im Jahr 2014 hat es den Erlass für den hochgeschätzten BDK-Landesvorsitzenden gegeben. Sie haben uns das Schreiben ja zukommen lassen.

Was aber doch nun wirklich unerklärlich ist: Wenn man so etwas macht, muss man doch im MIK auch vergleichbare Fälle geprüft haben. Das gibt es sonst gar nicht. Das geht doch in Wahrheit nicht nur über den Schreibtisch von Herrn Düren. So etwas muss doch auch über Ihren Schreibtisch gehen. Das hätte auffallen müssen. Und das soll wirklich niemand erkannt haben? Das ist wirklich schwer zu glauben.

Was aber dem Fass den Boden ausschlägt, ist, dass man selbst die Analysen Ihrer eigenen Expertenkommission um Herrn Prof. Weibler im Jahr 2015 offenbar nicht ernsthaft wahrgenommen hat oder – schlimmer noch – gar nicht ernst genommen hat.

Ich habe das im Innenausschuss schon erwähnt. Der Bericht der Expertenkommission ist sehr umfangreich. Auf Seite 236 wird auf acht Polizeivollzugsbeamte hingewiesen, die – ich zitiere – „für ein politisches Amt freigestellt sind oder andernorts eine Verwendung finden“.

„Politisches Amt“ ist soweit klar. Einige ehemalige Polizeibeamte sitzen hier auch unter uns im Plenum. Aber was ist denn mit den Polizeibeamten, die – Zitat – „andernorts eine Verwendung finden“?

Sie haben der Expertenkommission Daten zugeliefert. Da muss sich doch irgendjemand im Innenministerium gefragt haben, wer denn eigentlich diese acht Beamten sind.

Doch nicht nur das. Die Expertenkommission hat darüber hinaus dringend empfohlen, ein Verfügbarkeitssystem zu schaffen, um den Überblick darüber zurückzugewinnen, welcher Polizist an welcher Dienststelle eingesetzt ist. Geschehen ist das – man ahnt es bereits – unter Ihrer Führung, Herr Minister, natürlich bis heute auch noch nicht.

Wären alle diese genannten Punkte in den letzten Jahren nicht Anlass gewesen, den Umstand wirklich einmal zu hinterfragen und sich die Regelungen anzuschauen? Wie heißt es so schön? – Die Botschaft, ich hör sie wohl, allein mir fehlt der Glaube. – Das konnte auch diese Unterrichtung bislang nicht ändern.

Zum Abschluss bleibt festzuhalten: Die Causa Wendt und dieser Blindflug der Landesregierung haben das Ansehen besonders der kleinen Beamtengewerkschaften, wie ich finde, stark gefährdet. Wichtig ist aber nun, dass nicht noch stärker, als bisher schon geschehen, die Pluralität der Interessenvertretungen der Polizeigewerkschaften noch weiter insgesamt gefährdet wird.

Die Vielfalt ist für die Beamten, aber auch für uns als Parlament in der Vergangenheit immer elementar wichtig gewesen. Es gibt, glaube ich, keinen Innenpolitiker hier im Raum, der nicht in dieser Legislaturperiode von der Expertise der Herren Fiedler und Rettinghaus profitiert hat. Die Freistellungen sind aber nun aufgrund der Causa Wendt in ihrer jetzigen Form gestrichen worden. Das heißt, die Stimme der Polizeibeamten wird auch hierdurch in Zukunft womöglich nicht deutlicher zu hören sein. Das ist, wie ich finde, ein schlechtes Signal. Da wird die Schwäche des Landespersonalvertretungsgesetzes noch einmal allzu deutlich.

Obwohl 90 % der Kriminalbeamten bei den Personalratswahlen ihr Kreuzchen beim Bund der Deutschen Kriminalbeamten machen, entfallen auf den BDK bekanntermaßen nur zwei von 100 Freistellungen. Also, Minderheitenschutz kann man das nicht wirklich nennen.

Deswegen: Der Fall Wendt ist skandalös und restlos aufzuklären, aber lassen Sie uns bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Vielfalt der polizeilichen Interessenvertretungen unbedingt erhalten bleibt, aber das dann bitte sauber geregelt und mit einer klaren Rechtsgrundlage. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. Herr Kollege Lürbke, es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention. Deshalb muss ich Sie zum Redepult zurückbitten. – Herr Kollege Engstfeld, bitte schön.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Nachdem Sie, Herr Kollege Lürbke, meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, wundert es Sie vielleicht nicht, dass es jetzt eine Kurzintervention gibt.

Herr Lürbke, Sie haben in Ihrer Rede sehr viel von Aufklärung und Verantwortung gesprochen. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund gerne fragen, wie Sie sich erklären, dass der ehemalige Innenminister Ingo Wolf, der heute Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen ist, heute hier die Gelegenheit nicht genutzt hat, seinen Beitrag zu leisten, um die Öffentlichkeit und das Parlament aufzuklären und seiner Verantwortung gerecht zu werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Er hat keine Akteneinsicht! Das ist eine Unverschämtheit!)

Marc Lürbke (FDP): Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist: Herr Dr. Wendt war zu Beginn der Debatte hier. –Entschuldigung, Herr Dr. Wolf.

(Heiterkeit)

Herr Dr. Wolf war hier. Ich finde das sehr unredlich von Ihnen, in diese Richtung zu argumentieren.

(Widerspruch von der SPD)

Fakt ist: Die Teilzeitbeschäftigung wurde unter Rot-Grün begründet. Sie ist erkennbar bis Innenminister Jäger beibehalten worden.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja, ja!)

Wir wollen restlos aufklären, aber Ihre Fraktion hat doch gerade sofort losgeschossen, und zwar nur in eine Richtung: Schwarz-Gelb ist hier schuld. – Alles andere fällt unter den Tisch.

Greifen Sie mal eine Reihe nach vorne. Ihr Fraktionsvorsitzender sitzt dort. Fragen Sie mal nach, wie er damit umgegangen ist. Ich wäre an der Stelle ein bisschen kleinlaut. – Danke schön.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Biesenbach, ich fand das schon sehr erstaunlich. Sie haben sehr, sehr lange auf den Innenminister Jäger eingedroschen. Sie haben es nicht geschafft, auch nur ein einziges klarstellendes Wort zur Causa Wendt hier in den Raum zu stellen. Die ungeheuerlichen Vorgänge, die hier beschrieben worden sind, haben Sie mit keinem Wort einsortiert. Ich finde es schon einigermaßen schrecklich, wie Sie hier agiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Kollege Lürbke, weil Sie mich konkret angesprochen haben: Ich habe ein sehr klares Verhältnis zur Frage der Mitbestimmung in Nordrhein-Westfalen. Sie haben im Jahr 2007 die Rechte der Personalrätinnen und Personalräte beschnitten. Ich bin stolz darauf, dass Rot-Grün NRW wieder zum Mitbestimmungsland Nummer eins gemacht hat, um das einmal klarzustellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man möge sagen: Ausgerechnet Rainer Wendt! Von dem wussten wir ja, dass er als einer der schlimmsten Lautsprecher des rechtspopulistischen Populismus durch die Gegend gegangen ist. Nicht selten war er Stichwortgeber für No-go-Areas, für Verschwörungstheorien, Stichwortgeber dafür, dass diejenigen, die ins Fußballstadion gehen, sich der Lebensgefahr aussetzen, oder den Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie glauben, dass dieser Mann inhaltlich auch nur annähernd irgendetwas mit unserer Politik zu tun hat, dann muss ich das als infame Unterstellung zurückweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Diese Art und Form der Scharfmacherei war noch nie zu ertragen,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Richtig!)

aber sie passt uneingeschränkt zu dieser Person. Dieser Mann hat sich offenkundig ein eigenes Sittengemälde gemalt. Ich werde noch einmal Worte zitieren, die er aufgeschrieben hat. Diese sind echt unverschämt. Ich zitiere:

„Die Parteien haben sich die rechtsstaatliche öffentliche Verwaltung zur Beute gemacht.“

Ausgerechnet dieser Rainer Wendt, Mitglied der CDU und Direktkandidat für die Landtagswahl 2000, dieser Mann, der vereidigter Polizeibeamter war, steckt sich schamlos und leistungslos Hunderttausende öffentlicher Gelder ein. Ich finde das unerträglich!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Innenminister, ich sage es an dieser Stelle klar und deutlich: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Gewerkschaftsarbeit zu alimentieren. Da haben Sie uns ja auch eindeutig zugestimmt. Nein, im Gegenteil! Das Grundgesetz legt die Fährte sehr eindeutig. Um die Tarifautonomie zu gewährleisten, ist es gerade nicht Aufgabe des Staates, die Arbeit der Gewerkschaften zu alimentieren.

(Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

Deswegen muss dieser Maßstab auch sehr eng gefasst und für die weiteren Vorgänge, die in diesem Zusammenhang zu klären sind, angelegt werden. Herr Kollege Lürbke, es ist nicht in Ordnung, dass Sie die Alimentierung der Personalratsarbeit in unanständiger Weise mit der der Gewerkschaften vermischen. Das ist eine Nebelkerze, die in diesem Zusammenhang nichts zu suchen hat.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Wendt hat nicht nur versucht, diesen Rechtsstaat schlechtzumachen, sondern er hat auch versucht, ihn ordentlich zu melken. Viele haben es vielleicht in der Mediathek oder direkt gesehen. Dieser Herr Wendt hat offen in die Kamera gelogen und auch dort immer nur das preisgegeben, was er unmittelbar preisgeben wollte. Die erste Lüge, er habe kein Geld vom LZPD bekommen, musste er zurücknehmen. Man konnte es im Fernsehen verfolgen. Dann hat er behauptet, er würde nur so viel verdienen wie ein Hauptkommissar.

Wenige Tage später bekamen wir gesagt, dass er auch noch Aufsichtsratsmitglied der AXA ist und – Sie haben den Betrag eben genannt – offenkundig 77.000 € nicht angemeldet hat. Wer sich mit der Materie einmal beschäftigt hat, weiß, allein dieser AXA-Vorgang reicht aus, um das Vertrauensverhältnis zwischen Staat – also Behörde – und dem Beschäftigten Wendt nachhaltig zu zerrütten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auch Folgendes klarstellen – das ist in der Debatte mehrfach vorgekommen –: Er hat seiner eigenen Gewerkschaft einen Bärendienst erwiesen. Wir alle müssen aufpassen, dass wir die anderen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hier nicht in Mithaftung nehmen. – Frau Dorothea Schäfer – nur als exemplarisches Beispiel – ist auch freigestellte Gewerkschafterin; sie ist vollständig freigestellt. Sie hat das ordnungsgemäß beim Kabinett angemeldet. Die Bezüge bezahlt natürlich die Gewerkschaft. Das gilt auch für die zu entrichtenden Pensionsansprüche.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: So ist das richtig!)

Das ist völlig in Ordnung. Das ist der saubere Weg. Das hätte Herr Wendt ganz genauso machen können.

(Beifall von den GRÜNEN und Torsten Sommer [PIRATEN])

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir benötigen unabhängige Gewerkschaften. Das ist ein elementares Prinzip unseres Sozialstaates. Deswegen nehme ich ausdrücklich alle Gewerkschafterinnen in Schutz, die ihre Arbeit tun. Sie kümmern sich mit ihrem Engagement um die Sorgen und Nöte der Kolleginnen und Kollegen. Ich kann sie nur ermuntern: Machen Sie da weiter. Sie tun eine wichtige Arbeit. Sie haben unsere volle Unterstützung bei Ihrer Tätigkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Innenminister Jäger hat jetzt die Aufgabe, alles aufzuklären und Konsequenzen zu ziehen. Immerhin – Sie haben es selbst geschildert – steht der Verdacht eines schweren beamtenrechtlichen Vergehens im Raum. Neben der Rückforderung der überzahlten Bezüge aus der Besoldung stehen Rückforderungen aus den Einkünften der Nebentätigkeit und – weil es ein so schweres Vergehen ist – möglicherweise die Aberkennung von Pensionszahlungen im Raum. Das ist wahrlich keine Petitesse, über die wir heute hier reden müssen.

Ich habe den Maßstab, mit dem wir damit umgehen, deutlich gemacht. Wir benötigen keine Regelungen und Gesetze, die dies im Nachhinein irgendwie legitimieren oder nach vorne bringen wollen, Herr Kollege von der FDP. Das, was Herr Wendt gemacht hat, ist schlicht nicht statthaft. Wir werden keiner Regelung zustimmen oder eine solche mittragen, die das in irgendeiner Weise legitimieren will.

Ich verstehe den Innenminister so, dass er sehr klar auf die ohnehin schon bestehende Urlaubsregelung abzielen und klarmachen möchte, dass es nur anlassbezogen geht, wie das in vielen Bundesländern üblich ist. So kann es gehen. Aber es muss sehr sauber voneinander getrennt werden. Ich möchte Sie bitten, eine klare Regelung vorzunehmen. Wir werden es nicht mittragen, wenn Praxis ist: Wir wollen die eine oder andere Stellungnahme haben und deswegen schauen wir nicht so genau hin. – Es muss eine klare Ansage, eine klare Regelung geben. Diese werden wir Grünen dann auch mittragen.

Die spezielle Konstruktion im Falle Wendt, Herr Kollege Lürbke, fällt in die Zeit von Herrn Wolf. So hat es der Innenminister eben dargestellt. Dazu hört man von Ihnen von der FDP bis jetzt nur lautes Schweigen. Ich will es an der Stelle sehr konkret machen – sehr konkret! –, weil Sie mich angesprochen haben. Ich zitiere Herrn Wolf aus dem Bonner „General-Anzeiger“ vom 6. März 2017. Es handele sich hierbei um – Zitat –: „eine gängige Staatspraxis zur Gewährung gewerkschaftlicher Arbeit auch solchen Organisationen, die nicht von gesetzlichen Freistellungen profitieren“.

Daraus folgt, Herr Kollege, Herr Wolf wusste von diesem Vorgang. Er hatte Kenntnis davon. Er hatte nicht nur Kenntnis, sondern er hat diesen Vorgang auch für richtig befunden, da er ihn nicht geändert hat und ihn hat weiterlaufen lassen. Ihr Hinweis, dass Herr Behrens das möglicherweise auch falsch gemacht hat, hilft hier nicht weiter. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Unrecht bleibt Unrecht! Er hat die volle Verantwortung hierfür zu tragen, Herr Kollege Lürbke.

(Beifall von den GRÜNEN)

Weil Sie mir das jetzt vorwerfen wollen, sage ich eines ganz deutlich. Ich bin gefragt worden, wie ich es sehen würde, dass dem Staat eine Strafanzeige gegen Herrn Jäger vorliegt. Es ist das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes, das zu tun. Aber eines will ich Ihnen sehr deutlich sagen. Ich gehe davon aus, dass sich die Staatsanwaltschaft selbst ein klares Bild hierüber macht und das prüft, was zu prüfen ist. Damit, sich herausigeln zu wollen, weil irgendjemand anderes auch etwas falsch gemacht hat, kommen Sie nicht durch. Möglicherweise ist es verjährt. Das wird sich zeigen müssen. Da bin ich aber noch nicht sicher, weil die Tat immerhin bis heute wirkt. Das wird die Staatsanwaltschaft prüfen müssen. Aber die politische Verantwortung trägt Herr Wolf in vollem Umfang. Das hat der Bonner „General-Anzeiger“ sehr deutlich gesagt. Dafür müssen Sie geradestehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Lindner, wie ist es denn zu erklären, dass Herr Wendt in dieser Amtszeit auch noch versetzt werden konnte und befördert wurde? Auf welcher Basis, auf welcher Beurteilung wurde denn jemand befördert, der überhaupt nicht dagewesen ist? Können Sie mir das erklären, oder kann der Kollege Wolf uns das hier heute erklären? Ich kann Ihnen nur sagen: Sie träumen von einer Wiederauflage einer unsozialen Politik mit Beteiligung der FDP. Räumen Sie doch zuerst einmal die Leichen aus dem Keller, die aus Ihrer Regierungszeit hier in Nordrhein-Westfalen übriggeblieben sind.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

Herr Innenminister, Sie haben es in Ihrer Rede angekündigt: Wir tragen eine Verantwortung bis heute, bis 2017. Ich finde es schon einigermaßen merkwürdig – das will ich zugestehen –, dass man Herrn Wendt in seiner Dienststelle offensichtlich zehn Jahre lang nicht vermisst hat. Das haben Sie auch angesprochen. Es muss auch aufgeklärt werden, wer konkret in der Behörde Verantwortung dafür trägt und diesen Vorgang nicht gemeldet, sondern ihn möglicherweise zugestanden hat.

Ich will auch sehr klar sagen – da unterscheiden wir uns offensichtlich von einigen hier im Hause –: Wir machen unsere Aufklärungsarbeit nicht von politischer Kumpanei und auch nicht von Regierungszeiten abhängig. Wir wollen unabhängig von dieser Frage aufklären und haben das hier auch sehr deutlich gemacht. Sie sind weit davon entfernt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer und Zuschauerinnen auf der Tribüne und natürlich im Livestream! Herr Mostofizadeh, eine Sache möchte ich direkt sagen: Ich kann gut nachvollziehen, dass die Kollegen Herrn Wendt auf seiner Dienststelle über zehn Jahre lang nicht vermisst haben. Ich hätte den Mann auch nicht vermisst.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Als jemand, der selbst Arbeitsmarktpolitik betreibt, geht mir das hier mit Personalrat und Gewerkschaften viel zu sehr durcheinander. Dazu möchte ich ein paar klärende Worte sagen.

Ein Personalrat ist dazu da, um innerhalb einer Behörde mit dem Dienstherrn zusammen die Rechte des Personals zu vertreten. Innerhalb einer Behörde – das ist an dieser Stelle ganz wichtig –, keine Außendarstellung! Fertig! Ganz einfach!

Eine Gewerkschaft ist dafür da, die Gesamtheit ihrer Mitglieder gegenüber der Gesamtheit des Arbeitgebers zu vertreten. Das gilt aber nicht für Einzelfragen innerhalb einer Behörde. Denn genau dafür gibt es ja den Personalrat. Genau deshalb das komplett voneinander getrennt werden. Das ist extrem wichtig. Ich dachte eigentlich, dass diese Frage spätestens seit der industriellen Revolution vor 150 Jahren geklärt gewesen wäre. Aber das ist hier anscheinend nicht der Fall. Ich weiß nicht, wer da vor 150 Jahren steckengeblieben ist. Schrecklich!

Genauso wie das getrennt bleiben muss, muss auch die Finanzierung getrennt bleiben. Selbstverständlich muss der Dienstherr – in der Privatwirtschaft wäre es der Unternehmer für den Betriebsrat – alle Mittel, die der Personalrat benötigt, zur Verfügung stellen. Es muss Freistellungen geben – keine Frage. Das ist im Personalvertretungsgesetz genauso geregelt wie bei Unternehmen im Betriebsverfassungsgesetz. Das ist doch völlig unabhängig von der Gewerkschaftsarbeit zu betrachten. Das einmal vorab.

Wenn man Gewerkschaften fördert – gerade kleine Gewerkschaften –, muss man sicherstellen, dass sie ausfinanziert sind. Bei Gewerkschaften geschieht das durch Mitgliedsbeiträge, Spenden oder teilweise durch eigene wirtschaftliche Betätigung, aber niemals – niemals! – durch Geschenke, Bevorteilungen durch den Arbeitgeber oder einen Arbeitgeberverband. Das würde sich jede Gewerkschaft verbieten. Das geht einfach gar nicht!

Deshalb muss diese indirekte Subventionierung aufhören. Diesbezüglich waren wir uns aber sogar einig. Sogar Herr Innenminister Jäger sagt, wenn ich Sie richtig interpretiert habe, dass Sie zu einer etwas anderen Regelung kommen wollen. Das wäre in der freien Wirtschaft unmöglich, und das ist auch im Öffentlichen Dienst nicht richtig.

Hinzu kommt, wenn man kleinen Gewerkschaften zu Wirksamkeit verhelfen will – was dazu führt, dass sie dann mehr Mitglieder haben und über mehr finanzielle Mittel verfügen, um ihre Leute direkt zu bezahlen –, dann muss man sie bitte auch an Tarifverträgen beteiligen. Ich muss der SPD ins Stammbuch schreiben, dass das SPD-geführte Arbeitsministerium im Bund dies tatsächlich an die Wand gefahren hat. Sie haben dem „Union Busting“ vor zwei, drei Jahren nachgegeben und dieses unsägliche Tarifeinheitsgesetz in die Welt gesetzt. Meiner Meinung nach ist dies übrigens verfassungswidrig. Das Hauptsacheverfahren kommt aber noch, und darauf bin ich sehr gespannt. Das geht tatsächlich gar nicht. Auch kleine Gewerkschaften müssen wirksam sein, müssen an Tarifverträgen beteiligt sein und müssen ihre Mitglieder effektiv vertreten können. Das ist eine Förderung von kleinen Gewerkschaften. Danke!

(Beifall von den PIRATEN)

Kommen wir jetzt zur Causa Wendt. Ich glaube, die CDU-Mitgliedschaft hat er als linksautonome Tarnung gewählt.

(Heiterkeit und Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Kollege Mostofizadeh hat soeben ein paar Zitate genannt. Diese Zitate würde, glaube ich, noch nicht einmal die CDU unterschreiben. Ich befürchte, dass Sie gar keine Mauern und Zäune an unseren Grenzen bauen wollen.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das befürchte ich erst recht!)

Die offizielle Aussage der CDU dazu habe ich so nicht gehört. Das wollte aber Rainer Wendt schon 2015. Schrecklich!

Zu der Forderung nach grundsätzlicher Überwachung von allem und jedem: Ich habe von der CDU vielfach gehört, dass sie Überwachung ausweiten will. Aber alles anlasslos zu überwachen und zu kontrollieren, entspricht doch noch nicht mal Ihren Träumen. Das geht gar nicht! Gerade dieses Anlasslose geht überhaupt nicht. Sie wollen ja auch nicht jeden Bürger unter Generalverdacht stellen.

(Simone Brand [PIRATEN]: Doch!)

Herr Wendt möchte das schon. Das ist unserer Demokratie gegenüber kontraproduktiv. Unsere demokratische Gesellschaft bedarf keiner Kontrolle in Gänze durch irgendwelche Exekutiven. Es muss punktuelle Kontrollen geben, um Straftaten zu verhindern. Eine komplette Kontrolle unserer Gesellschaft darf es niemals geben. Sonst hätten wir hier keine Demokratie mehr.

(Beifall von den PIRATEN)

Letztendlich – das muss man allerdings auch zugestehen – haben diese überzogenen Forderungen vielfach dazu geführt, dass die Innenminister der Länder als auch der des Bundes sagen konnten: Da gibt es noch viel weitergehende Forderungen. Wir dampfen das alles ja schon ein bisschen ein. – Das wirkt im Nachhinein wie ein abgekartetes Spiel. Das ist nicht hilfreich. Dieser Verdacht muss ausgeräumt werden. Das geht tatsächlich gar nicht.

Herr Wendt wird das sicherlich in Absprache mit den Innenministern – egal mit welchem; ob mit seinem eigenen Dienstherrn hier oder mit irgendeinem anderen – niemals tatsächlich so ausformuliert haben: Ich mache das, und ihr könnt dann nachgehen. – Das wird es nicht gegeben haben. Das glaube ich einfach nicht. Aber die Innenminister, die eher die Grundrechte immer weiter einschränken wollen, haben davon in den letzten Jahren schon sehr profitiert. Das muss man auch deutlich benennen. Das geht so nicht weiter. Das muss sich ändern.

Insgesamt muss man aber auch sagen, dass es anscheinend System hat, Gewerkschaftsmitglieder freizustellen, nicht nur hier im Land, sondern auch in anderen Bundesländern. Für den Fall, dass sie nicht im Personalrat sind und für dessen Tätigkeiten freigestellt werden, muss man diese Freistellungspraxis beenden. Dafür muss man eine ganz andere Regelung finden. Man muss dann, wie schon gesagt, die Gewerkschaften dazu ertüchtigen, dass sie ihre Leute selbst bezahlen können. Denn nur wenn sie unabhängig vom eigentlichen Arbeitgeber handeln können, ist es ein echter Tarifpartner auf Augenhöhe. Ansonsten ist das alles abgekartet. Das geht gar nicht.

Zurück zum Fall Wendt: Was mich hier besonders ärgert, ist die übliche Salamitaktik, von der ich dachte, dass wir sie in den 90er-Jahren hinter uns gelassen hätten. Immer wenn ein kleines Stückchen herauskommt, wenn er sich wieder ein Stück verplappert oder extra verplappern will, um seinen aktuellen Dienstherrn schlecht dastehen zu lassen – das muss man unterstellen –, dann kommt das Stückchen für Stückchen. Keine dieser Nebentätigkeiten ist ja anscheinend genehmigt worden. Diese Nebentätigkeiten hätten grundsätzlich alle im Vorhinein genehmigt werden müssen. Die Gelder, die er damit verdient hat, hätten vorher angezeigt werden müssen, und sie hätten jedes Jahr im Nachhinein abgerechnet werden müssen.

Da das offenbar nicht passiert ist, möchte ich an dieser Stelle wieder Herrn Wendt zitieren, ein schönes Zitat vom 10. Januar 2017:

„Das Jahr 2017 muss ein Jahr der Strafverfolgung sein. Und zwar der konsequentesten Strafverfolgung für diejenigen, die glauben, sich nicht an die Gesetze in Deutschland halten zu müssen.“

Ich hoffe, dass wir das in dem Fall besonders konsequent durchziehen.

Was macht das für ein Bild für die Kolleginnen und Kollegen der Polizei? Jede noch so kleine Nebentätigkeit muss angezeigt und vorab genehmigt werden. Jeder Polizeibeamte, jede Polizeibeamtin weiß: Sie dürfen nicht einmal eine Currywurst annehmen, um nicht in den Verdacht zu geraten, sie wären käuflich oder man würde sie schmieren.

Mir liegt ein Fall vor, egal, aus welchem Bereich in diesem Land, da wollte ein Polizeibeamter eine Nebentätigkeit in einer Pommesbude aufnehmen, abends noch ein paar Pommes nebenbei verkaufen.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Das ist versagt worden, weil um seine Unabhängigkeit und Diensttreue gebangt wurde. 70.000 €, 80.000 €, vielleicht 120.000 € für Aufsichtsratstätigkeiten auf der einen Seite und keine Pommes verkaufen dürfen auf der anderen Seite – das ist ein Spagat, der geht gar nicht. Was ist das für eine Sendung in die Beamtenschaft ist! Unglaublich schlecht! An der Stelle hat Herr Wendt nicht nur seinen Beamtenkollegen einen Bärendienst erwiesen. Davon müssen sich alle Beamten jetzt distanzieren. Das muss sich jeder jetzt aufs Brot schmieren lassen. Das ist völlig unsäglich.

Ja, wir haben in der Polizei – wir haben das schon des Öfteren angemerkt – ein besonders hohes Niveau einzuhalten. Die Polizei in den Ländern ist der Ausgestalter der staatlichen Gewalt. Nur die Polizei hat das staatliche Gewaltmonopol zu vertreten. Selbstverständlich muss man davon ausgehen, dass jeder Beamte, jede Beamtin auch ein besonderes Maß an Sorgfalt an den Tag legt, ein besonderes Maß an Unabhängigkeit beweist, denn der einzelne Beamte ist lediglich dem Souverän und seinem Dienstherrn verpflichtet, niemandem sonst. Und daran darf niemals gezweifelt werden. Daran darf kein Zweifel aufkommen.

Wir fordern schon lange, dass wir da zu einer Unabhängigkeit, zu einer neuen Fehlerkultur kommen. Das alles wird jetzt wieder konterkariert von jemandem, der da komplett fehlgeht und gegangen ist – und das über Jahre. Es macht es nicht besser, wenn sich alle hier hinstellen und sagen: „Ihr wart’s! – Ne, ihr wart’s! Ihr habt es erfunden. Ihr habt es durchgehen lassen.“ – Das hilft den Kolleginnen und Kollegen gar nicht.

Wir müssen – ich bin gespannt, was in den nächsten Wochen passiert – bei diesem Einzelfall Tacheles reden und ihn so darstellen, wie er gelaufen ist. Hier darf es null, wirklich null Zurückhaltung geben. Ich bitte, Herrn Wendt an seinen eigenen Maßstäben zu messen und dann auch wirklich Nachforderungen zu stellen. Ansonsten machen wir uns unglaubwürdig. Wir machen das Gewaltmonopol unglaubwürdig. Das wäre das Schlimmste, was uns hier passieren könnte. Dann machen wir unseren Staat unglaubwürdig. Ich möchte nicht, dass das hier passiert. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Nun spricht der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. – Bitte schön.

Gerd Stüttgen (fraktionslos): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir waren alle überrascht, als wir vor etwa zwei Wochen von der Affäre rund um den Vorsitzenden der DPolG, Rainer Wendt, erfahren haben. Es ist in Nordrhein-Westfalen gelebte Praxis, dass die Vorsitzenden kleinerer Gewerkschaften im Rahmen des dienstlich Vertretbaren ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausüben können. Hiermit ist aber definitiv nicht gemeint, dies komplett im Sinne einer Freistellung zu tun.

Neben der Dimension der Affäre ist für mich erstaunlich, dass sich gerade diejenigen zu Wort melden und für ihren Wahlkampf nutzen wollen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass Herr Wendt diese üppige Besoldung kassieren konnte.

Es ist bereits in der letzten Innenausschusssitzung deutlich geworden, dass der Versuch unternommen werden soll, in der kommenden Legislaturperiode einen gemeinsamen Konsens zu finden, um diese Praxis zu hinterfragen und zu überdenken. Grundsätzlich – da besteht Konsens – sollte Gewerkschaftsarbeit nicht vom Arbeitgeber oder vom Dienstherrn bezahlt werden. Die Unabhängigkeit sollte gewahrt werden.

Report München: Trotz seines Beamtenverhältnisses erhält Rainer Wendt als Mitglied des Aufsichtsrates des Versicherungskonzerns AXA eine Aufwandsentschädigung von etwa 50.000 € pro Jahr. Nordrhein-Westfalen hat ein Disziplinarverfahren gegen Herrn Wendt eingeleitet. Laut „Spiegel“ erhält Herr Wendt jährlich sogar über 77.000 € brutto für verschiedene Gremienposten. Er hat diese Bezüge weder angegeben noch diese Nebentätigkeiten angezeigt. Aber zu unterstellen, die jetzige Landesregierung hätte sich mit der Quasifreistellung das Wohlverhalten von Herrn Wendt erkaufen wollen, ist lächerlich und absurd.

Herr Wendt ist seit den 1970er-Jahren Mitglied der CDU. Er berät die Landtagsfraktion der CDU, er berät die Bundestagsfraktion der CDU. Darüber hinaus war er 2000 Landtagskandidat der CDU.

Meine Damen und Herren von CDU, FDP und Piraten, Sie sehen doch sicher ohne jegliche nähere Erklärung, wer hier wessen Wohlverhalten erworben hat. Der damalige amtierende Innenminister, Dr. Ingo Wolf – wo ist der heute übrigens? –, stimmte seinerzeit der Versetzung und der Beförderung von Herrn Wendt zu.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium kam seinerzeit von der CDU, Manfred Palmen. Es muss einen, wie auch immer gearteten Deal mit Herrn Wendt gegeben haben, dass Herr Wendt beim LAFP eben keinen Dienst verrichten musste im Sinne einer De-facto-Freistellung. Dieser Deal ist nicht aktenkundig. Es konnte auch bis dato nicht ermittelt werden, wer diesen Deal mit Herrn Wendt getätigt hat.

Herr Wendt hat in der Vergangenheit keine einzige Gelegenheit ausgelassen, die Politik der inneren Sicherheit der Landesregierung zu kritisieren. Im Gegenteil! Seine stetigen regierungsfeindlichen Äußerungen hätten wohl eher einen Anlass dazu gegeben, die Umstände seiner dienstlichen Nichttätigkeit näher zu beleuchten.

Er hat stets – gefragt und ungefragt – Antworten zu Themen der inneren Sicherheit gegeben und als Rechtsausleger der deutschen Polizei sämtliche Klischees in Talkshows bedient. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er selber jegliche Glaubwürdigkeit und Integrität verloren hat, hat er in Talkshows häufig gerne auch unter der Gürtellinie agiert.

Dieser Mann, der sich immer als Moralapostel der Gesellschaft dargestellt hat, ist nun selber in eine arge Glaubwürdigkeitskrise geraten. Auf dreimalige Nachfrage des „report“-Magazins zu antworten, keine Dienstbezüge des Landes zu erhalten, sich dann zu korrigieren, das Ganze zu revidieren, dabei zu verschweigen, als PHK zusätzlich zu seinen Dienstbezügen mehrere Zigtausend Euro Gelder aus Nebentätigkeiten bezogen zu haben, die weder angezeigt noch genehmigt wurden – all das das Verhalten des sogenannten Musterpolizisten Wendt: charakterschwach und hoch verwerflich, ständig den starken Staat fordern, diesen stetig als „viel zu lasch“ zu bezeichnen, und eben von diesem Staat ohne eine Gegenleistung zu profitieren.

Zum Abschluss: Rainer Wendt leistet dem Gewerkschaftsgedanken im Allgemeinen und der Deutschen Polizeigewerkschaft sowie dem Deutschen Beamtenbund im Besonderen einen Bärendienst. Er wird als Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft nicht zu halten sein. Seine Gewerkschaft ist gut beraten, ihm um ihrer Glaubwürdigkeit willen den Rücktritt nahezulegen.

In einem Brief des NRW-Landesvorstandes der Deutschen Polizeigewerkschaft heißt es, dass man sich ja damit abgefunden habe – Zitat –, „dass Rainer Wendt uns stets mit NRW betreffenden Themen in der Presse und in den Medien unabgestimmt und ungefragt in die Parade gefahren ist.“

Soweit sich CDU und FDP hier echauffieren, ist das wegen der Verantwortung von Herrn Dr. Ingo Wolf und Co. heuchlerisch. Ihnen, meine Damen und Herren von CDU und FDP, geht es nicht um Aufklärung, sondern um billige Wahlkampfrhetorik. Aber auch damit werden Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nicht aus dem Turm der 20-%-Prognosen herauskommen.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Gerd Stüttgen (fraktionslos): … von CDU und FDP: Suchen Sie sich ein anderes Thema aus, um Wahlkampf zu machen! Ihr Niveau nimmt stetig ab. Ihre Glaubwürdigkeit leidet darunter. Sie merken das nicht einmal. Sie helfen mit Ihrer Rhetorik nur denjenigen, die wir als „gute Demokraten“ in diesem Parlament nicht sehen wollen. – Ich danke Ihnen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stüttgen. – Nun hat sich der fraktionslose Kollege Schwerd gemeldet.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Stream! Eines vorab: Betriebliche Mitbestimmung ist ein in über 100 Jahren erkämpftes Recht von Arbeitern und Angestellten. Sie berücksichtigt das Interesse der Beschäftigten, die Geschicke ihres Unternehmens auf Augenhöhe mit zu lenken.

Zu diesem Zweck gibt es Betriebsräte. Deren Freistellung ab einer bestimmten Größe des Unternehmens ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Mitbestimmung. Dafür haben sich die Betriebsräte dann auch ihrer Mitbestimmungsaufgabe im Unternehmen zu widmen. Bei der öffentlichen Verwaltung ist es der Personalrat, der diese Funktion wahrnimmt.

Im Falle Wendt aber geht es gerade nicht um betriebliche Mitbestimmung. Wendt ist gerade nicht für Personalratsarbeit freigestellt. Man zahlt ihm seit vielen Jahren ein Gehalt dafür, einer Funktionärsarbeit in seinem Gewerkschaftsverband nachzugehen.

Die Bezahlung eines Bundesvorsitzenden stellt die direkte Subvention eines Verbandes dar. Die DPolG ist dafür bekannt, aggressiv Mitglieder von anderen Gewerkschaften abzuwerben. Das lässt sie sich pro Jahr 80.000 € an Erfolgsprämien kosten. Sind das also unsere Steuern, die dafür eingesetzt werden?

Wendt hat sich in den vergangenen Jahren als innenpolitischer Scharfmacher hervorgetan. Bei jeder Gelegenheit forderte er eine Ausweitung der Überwachung und neue Gesetze. Er forderte zum Beispiel Gummigeschosse für die Polizei, Zäune an der deutschen Grenze und die Aufhebung von Privatsphäre im Internet. Mit seinen Worten: Ermittler sollen spähen, so viel es geht. – Selbst das verfassungsmäßige Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und der Polizei wollte er aufheben. Das Ganze bekommt jetzt ein besonderes Geschmäckle, wenn wir erfahren, dass er all diese Forderungen mit Steuergeldern hat erheben dürfen, und zwar mit Unterstützung durch das Innenministerium.

Ich muss wohl nicht sagen, was ich davon halte, dass Wendt als oberster DPolG-Polizist es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, als er „report München“ über den Ursprung seines Gehaltes belügen wollte. Dass er jetzt in den bezahlten Ruhestand gehen soll, finde ich persönlich unerträglich. Nicht zu vergessen: Von der besagten Versicherung erhält er als Aufsichtsrat immer noch 50.000 € im Jahr obendrauf.

Innenminister Jäger erklärte im Innenausschuss, er habe von all dem nichts gewusst und er sähe auch keine Schuld bei sich. Man finde in der Personalakte einfach keine Vereinbarung über eine Freistellung. Mir scheint, der Herr Minister hat nach sieben Jahren Ministeramt überhaupt keine Ahnung, was in seinem Arbeitsbereich los ist. Das ist fahrlässig. Ein solches Versagen passiert ja jetzt nicht zum ersten Mal. Und wieder einmal ist der Innenminister nicht bereit, dafür politische Verantwortung zu übernehmen.

Mich erinnert das an Bart Simpson, der mit seinem ständigen „Ich habe nichts gemacht“ vor dem Scherbenhaufen steht. Wer aber nichts weiß und nichts macht, der ist in seinem Job falsch. Man vergesse bitte nicht, dass Wendt als Aufsichtsrat jedes Mal in den Geschäftsberichten der Versicherung benannt wird. Es ist wenig überzeugend, dass man das nicht gewusst haben will.

Lieber Herr Innenminister, ich erwarte, dass Sie den zu Unrecht ausgezahlten Sold in voller Höhe nebst Zinsen zurückfordern. Alles andere wäre unredlich und eine Missachtung des Steuerzahlers. Diese Praxis muss auch generell sofort beendet werden.

Im Übrigen sollten Sie, Herr Minister, die politische Verantwortung für die zahlreichen Desaster in Ihrem Verantwortungsbereich übernehmen und zurücktreten. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von Oliver Bayer [PIRATEN])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist durchaus nachvollziehbar, dass 59 Tage vor der nächsten Landtagswahl die eine oder andere Diskussion hier im Hause unentspannt geführt wird – von dem einen unentspannter als von dem anderen, was nicht zuletzt mit den aktuellen Umfragewerten zu tun hat. Aber, Herr Biesenbach, das ist keine Rechtfertigung dafür, Spekulationen, Unwahrheiten, Halbwahrheiten oder Erfindungen in den Raum zu stellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Meine Mitarbeiter haben gerade noch recherchiert: Beim LZPD ist es üblich, dass Urkunden im Rahmen von Dienstjubiläen – 25 Jahre und 40 Jahre – und im Rahmen von Beförderungen einmal im Monat vom Behördenleiter ausgehändigt werden. Die von Ihnen behauptete Feier zum Anlass der 40-jährigen Dienstverwendung von Herrn Wendt – die besondere Feier von Herrn Wendt – hat nie stattgefunden. Ich bitte darum, eine solche Behauptung nicht mehr zu wiederholen und schon gar nicht zu behaupten, dass ich daran teilgenommen hätte.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Unglaublich! Unerhört!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben jetzt neben diesen in den Raum gestellten Spekulationen das getan, was man in einer solchen Situation tun muss, nämlich ein geordnetes, ein rechtlich gesichertes Verwaltungsermittlungsverfahren eingeleitet. Wir haben zwei Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter damit beauftragt – die in diesem Fall weisungsfrei gestellt worden sind –, insbesondere das aufzuarbeiten, was nicht Inhalt der Personalakte ist, die wir von der personalführenden Behörde im Ministerium beigezogen und ausgewertet haben. Danach hat es in der Vergangenheit ganz offensichtlich eine informelle Absprache, eine Übereinkunft, ein Agreement gegeben, dass Herr Wendt faktisch keinen Dienst tun musste.

Aus dieser Personalakte und den ersten Gesprächen geht hervor, dass es in der Zeit, in der Herr Wendt im Polizeipräsidium Duisburg verwendet wurde, zwischen ihm und der damaligen Behördenleitung zu erheblichen Konflikten gekommen ist – bis hin zu gegenseitig eingeleiteten Disziplinarverfahren. Es liegt der Hinweis auf dem Tisch, dass dies auch im Zusammenhang mit seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit gestanden hat.

Herr Wendt ist 2006 in das Polizeipräsidium nach Mönchengladbach versetzt worden. Derartige Konflikte sind danach aus der Personalakte nicht mehr ersichtlich. Um es deutlich zu sagen: Wir haben sehr konkrete Hinweise, dass Herr Wendt in der Zeit ab 2006 – ich habe das eingangs schon gesagt – in der Polizeibehörde Mönchengladbar überwiegend keinen Dienst mehr getan hat. Dies wurde dann im Jahr 2010 fortgesetzt, als er zum LZPD versetzt wurde und nur einen Monat später befördert worden ist.

Herr Lürbke, dass Sie das Interesse haben, den Zeitraum zwischen 2006 und 2010 in Ihrer Darstellung völlig auszublenden, kann ich nachvollziehen. Aber Herr Lürbke, ich glaube, das Ergebnis dieses Verwaltungsermittlungsverfahrens zu betrachten, wird sehr spannend sein: Wann und wo hat wer – welche Person – den Behördenleitern die Freiheit gegeben, es gebilligt oder die Anweisung gegeben, Herrn Wendt überwiegend oder nahezu vollständig von seinem Dienst freizustellen, Herr Lürbke?

(Zuruf: Genau!)

Da könnte möglicherweise auch die Zeit zwischen 2006 und 2010 deutlich in den Fokus rücken.

Ich möchte, unabhängig von der Frage, wer diese Freistellung wann wo und aus welcher Motivation heraus veranlasst hat, noch mal auf das Verhalten von Herrn Wendt eingehen:

Die Begründung seinerzeit, dass die DPolG durch das schlechte Abschneiden bei Personalratswahlen keine ausreichende Freistellung für Personalratstätigkeit – wohlgemerkt – gewonnen habe und deshalb eine Freistellung von ihm als Person gewünscht gewesen sei, um seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit nachzukommen, und dass diese Gewerkschaft ihn nicht als Vorsitzenden bezahlen könne, weil sie so klein sei, ist ad absurdum geführt, wenn man sich einmal die Nebeneinkünfte von Herrn Wendt anschaut.

Wenn Herr Wendt, wie es in anderen Gewerkschaften üblich ist, derartige Nebeneinkünfte durch Aufsichtsratstätigkeiten in entsprechenden Stiftungen den Gewerkschaften zugeführt hätte, hätte diese Gewerkschaft ihn ganz locker im Rahmen der Besoldung eines Polizeihauptkommissars bezahlen können.

Hier hat sich etwas verselbständigt. Hier ist etwas ausgenutzt worden, was jahrzehntelange Verwaltungspraxis in Nordrhein-Westfalen war und im Jahr 2014 durch mein Haus noch mal definiert worden ist, dass nämlich gewerkschaftliche Tätigkeit im dienstlich vertretbaren Maße – also wenn es der Dienst zulässt – eingeräumt werden kann. Dies ist bei Herrn Wendt deutlich überzogen und ausgenutzt worden, um nicht zu sagen, es ist zum Schaden aller Gewerkschaften in einem Maße genutzt worden, die man schlichtweg nicht mehr als sozialverträglich bezeichnen kann.

Andere Bundesländer haben andere Regelungen. Ich habe in den letzten Tagen viel mit meinen Kollegen in den anderen Bundesländern zu diesem Thema in Kontakt gestanden. Der Fall Wendt zeigt, dass gewerkschaftliche Arbeit im Zusammenhang mit einer Diensttätigkeit klar und deutlich definiert werden muss, damit da keine Grauzonen, keine Interpretationsspielräume bleiben.

Deshalb bin ich sehr dankbar – das ziehe ich als positives Fazit aus der Diskussion heute, aber auch aus der in der letzten Woche im Innenausschuss –, dass wir gemeinsam die Absicht haben, hier klare rechtliche Regelungen zu treffen, auch im Interesse der Betroffenen.

Nach meiner Vorstellung könnten in der nächsten Wahlperiode solche Regelungen so aussehen, dass den ehrenamtlichen Vorsitzenden der Landespolizeigewerkschaften oder anderer Gewerkschaften wie jedem anderen Beamten auch zum Zwecke der Teilnahme an Tagungen und Kongressen Sonderurlaub oder Freistellungsurlaub eingeräumt werden kann. Und wenn wir selbst diese Menschen in Anspruch nehmen – zum Beispiel im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren, weil wir ihre Expertise bei Anhörungen brauchen; im Übrigen sind wir gesetzlich verpflichtet, die Bundesverbände im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren anzuhören –, müssen wir anlassbezogen zu klaren Festlegungen kommen, wann und in welchem Umfang dies während des Dienstes geschehen darf.

Das wäre mein Vorschlag, damit in der nächsten Wahlperiode eine klare, deutliche Rechtsdefinition vorliegt und keine Grauzone mehr besteht. Eines ist jedenfalls klar: Einen Fall wie die Causa Wendt darf und wird es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr geben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Bitte bleiben Sie noch einen Moment hier! Es liegt eine Kurzintervention des Kollegen Biesenbach von der CDU-Fraktion vor. Bitte schön.

Peter Biesenbach*) (CDU): Herr Minister, ich kann mich nicht erinnern, von einer „besonderen Feier“ für Herrn Wendt gesprochen zu haben. Das nur zu Ihrem rhetorischen Geschick, nach dem Motto: Ich schieb‘ mal einen unter.

Mich interessiert aber – darauf sind Sie nicht eingegangen –: Wenn der Behördenleiter doch dabei war, hat der sich denn nicht gewundert? Haben Sie mal mit ihm gesprochen? Haben Sie mal versucht, die Reaktion von Herrn Mathies herauszufinden? Das interessiert uns: die Fakten, nicht Ihre rhetorische Geschicklichkeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön, Herr Minister.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Biesenbach, ich bin nicht der Einzige in diesem Plenarsaal, der deutlich vernommen hat, dass Sie in den Raum gestellt haben, es hätte eine besondere Feier für Herrn Wendt gegeben, an der ich möglicherweise sogar persönlich teilgenommen habe.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Um es deutlich zu sagen: Wenn Sie diesen Eindruck nicht haben erwecken wollen, nehme ich Ihre Entschuldigung gerne an. – Das ist das Erste.

Zweitens. Herr Biesenbach, ich habe das jetzt zweimal erläutert: im Innenausschuss und hier. Es bringt überhaupt nichts, irgendwelchen Spekulationen nachzugehen oder irgendetwas in den Raum zu stellen, sondern wir haben klare, rechtlich definierte Verfahren. Das gilt sowohl für das Verwaltungsermittlungsverfahren als auch für das Disziplinarverfahren gegen Herrn Wendt. Dort werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr sorgfältig insbesondere versuchen, die Widersprüche zwischen öffentlichen Stellungnahmen von Herrn Wendt, öffentlichen Stellungnahmen oder Gesprächen mit Behördenleitern und der tatsächlichen Aktenlage laut Personalakte aufzudecken.

Deshalb, Herr Biesenbach, müssen Sie schon erdulden, dass ich in einem solchen Verfahren nicht persönlich mit irgendwelchen Beteiligten spreche, sondern das bleibt einem rechtsstaatlichen Verfahren überlassen. Und das ist auch gut so.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat sich jetzt noch der Kollege Körfges gemeldet. Kollege Körfges, Sie haben das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf feststellen, dass sich – und das überrascht wenig angesichts der Tatsache, dass womöglich gemeinsame Not verbindet – die Argumentation der Linken und der CDU heute in manchen Punkten verblüffend ähnelt. Darüber hinaus lässt sich eine wechselseitige Bezugnahme auf strafrechtliche Vorermittlungen – die sind offensichtlich irgendwie untereinander ausgetauscht worden – ableiten.

Die Aufführung, die der Kollege Biesenbach hier vorhin abgeliefert hat, erinnert irgendwie an die Einleitung eines Inquisitionsprozesses. Denn das, was Sie, verehrter Herr Kollege, da unterstellt haben, ist entweder der Tatsache geschuldet, dass Sie sich Ihre feststehende Meinung nicht durch Fakten verwirren lassen wollen, oder aber es ist der plumpe, wahltaktisch faktenfreie Versuch, mit Spekulationen Dinge zu konstruieren, die sich allein aus den Zeitabläufen beim besten Willen nicht ableiten lassen.

Lieber Herr Kollege Biesenbach, ich erwarte von dem eingeleiteten Verfahren tatsächlich eine Klärung, und zwar insbesondere im Hinblick auf einen hier mehrfach angesprochenen Zeitraum, der eine Reihe von wesentlichen Ereignissen umfasst. Ich darf vier Ereignisse nennen, die bezogen auf den Herrn Wendt sicherlich eine Rolle spielen werden: zwei Versetzungen, eine Wahl und eine Beförderung.

Wir haben hier eben vernommen, dass es an einer Stelle offensichtlich gewisse Schwierigkeiten im Verhältnis zum unmittelbaren Vorgesetzten beim PP Duisburg gegeben hat; daraufhin ist dann versetzt worden. Dies fällt in eine Zeit, in welcher der Kollege Wolf Innenminister war.

Die zweite wichtige Nummer war dann die Versetzung zum LZPD, die genau im gleichen Zeitraum stattgefunden hat.

Und dann kommt eine Nummer, die ich wirklich bemerkenswert finde, nämlich eine Beförderung. Die muss ja irgendjemand veranlasst haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Da muss doch irgendjemand eine Beurteilung abgegeben haben, und dieser Vorgang muss auch irgendwo festgehalten worden sein.

Herr Innenminister Jäger hat vorgetragen, was sich in der Personalakte findet. Ja, ich bin auf die Ermittlungen gespannt. Und ich bin sehr gespannt darauf, was Ingo Wolf zu diesen Fakten sagen wird.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege Biesenbach, darüber hinaus habe ich bei Ihnen einen fragwürdigen kleinen Irrtum in Bezug auf die Zeitabläufe feststellen dürfen: 2007 ist Herr Wendt Bundesvorsitzender seiner Organisation geworden – 2007. Das haben Sie vorhin zeitlich auch in einen anderen Zusammenhang gebracht.

Lieber Herr Kollege Lürbke, wenn Sie Ihren derzeitigen Wahlkampfhelfer Herrn Clement ein wenig – ich sage es mal so – für die Sache mitverantwortlich machen wollen, ist das Ihr Problem. Eines aber können wir Ihnen – darauf haben verschiedene Kolleginnen und Kollegen schon hingewiesen – nicht durchgehen lassen, nämlich dass Sie den verschleiernden Versuch unternehmen, das Landespersonalvertretungsgesetz bzw. die dort getroffenen Regelungen zur Freistellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen ihrer Personalratstätigkeit – einfach nach dem Motto: Merkt schon keiner – mit dem durcheinanderzuwirbeln, womit wir uns im Zusammenhang mit Gewerkschaften und deren Arbeit beschäftigen. Daraus würde sich dann eine ganz andere Geschichte ergeben.

Lieber Herr Kollege Lürbke, ich weiß, dass die FDP mit der Mitbestimmung, mit Freistellungen und Personalratstätigkeiten ziemliche Probleme hat.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP]: Schwachsinn!)

– Das ist kein Schwachsinn! Ich kann mich an die Debatten erinnern, die wir hier mit Ihnen über das Landespersonalvertretungsgesetz geführt haben. Lieber Herr Kollege, gerade Sie von der FDP haben soeben noch versucht, die Tatsache der Freistellungen zu skandalisieren. Ich kann Ihnen sagen: Das können Sie hier nicht wettmachen!

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Eines will ich Ihnen noch ins Stammbuch schreiben: Wenn Sie so sehr an gewerkschaftlicher Arbeit interessiert sind, nehmen wir das gerne entgegen. Dann können Sie sich ja demnächst konstruktiv in die Diskussion einbringen.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP]: Wir tun das bei der Arbeit, Herr Kollege!)

Ich habe das, was damals geschah, ganz anders in Erinnerung.

Lassen wir darüber hinaus die wirklich spannende Vermutung, es könne sich bei dem Herrn Wendt um einen geheimen Sympathisanten der Landesregierung gehandelt haben, doch noch einmal auf uns wirken. Ich empfehle – das habe ich gestern Abend selbst gemacht – Folgendes: Geben Sie einfach mal bei Google „Wendt“ und „CDU“ ein. Wissen Sie, was dann passiert? Dann bekommen Sie eine Veranstaltungsliste, die jedem Tourneekünstler im Bereich der Kleinkunst zur Ehre gereichen würde. Da sind Dutzende von Veranstaltungen aufgeführt, welche die CDU mit dem Hauptredner, ihrem Parteifreund Wendt, in den letzten Monaten durchgeführt hat, und die jetzt, sofern sie in der Zukunft liegen, peinlicherweise abgesagt werden.

Darüber hinaus hat Herr Wendt unlängst noch die Öffentlichkeit wissen lassen, dass er die CDU – und vor allen Dingen die CSU – im Wahlkampf nach Kräften unterstützen werde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie kommen Sie auf das schmale Brett, uns eine Nähe zu – ich sage das mal so – einem Menschen zu unterstellen, der mit rechtspopulistischen Phrasen um sich geworfen hat wie kaum ein Zweiter in diesem Land? Ich kann das nicht nachvollziehen.

Das lässt sich durch eine Reihe von kleinen Beispielen unterlegen. Zum Beispiel ist Herr Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident, schon mal von Herrn Wendt zum Rücktritt aufgefordert worden. Zum Beispiel ist auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung schon mal von Herrn Wendt zum Rücktritt aufgefordert worden. Darüber hinaus haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in zahlreichen Anträgen hier im Landtag versucht, genau den Unsinn, den dieser Herr Wendt vorformuliert hat, zum Maßstab Ihrer Innenpolitik zu machen.

Da gibt es keine Nähe zu uns. Sie müssen sich für ihn schämen.

(Beifall von der SPD)

Zum Abschluss möchte ich dann noch – das ist der wirklich wichtige Punkt – auf die Konsequenzen zu sprechen kommen. Ja, wir waren uns über alle Fraktionen hinweg in der Innenausschusssitzung einig, dass es sinnvoll ist, gewerkschaftliche Arbeit, soweit sie mit dem Dienst zu vereinbaren ist, unter gewissen Bestimmungen auch zu fördern. Das ist ein gutes Anliegen.

Wir haben uns in diesem Zusammenhang einige Regelungen aus anderen Bundesländern angeschaut. Ich kann Ihnen nur sagen: Das alles ist noch nicht so überzeugend. Denn einen Fakt, der zu Beginn der Debatte auch schon einmal erwähnt worden ist, müssen wir sicherlich mitnehmen: Ohne die Mitarbeit der Gewerkschaften – auch der kleinen Gewerkschaften – wären wir bei der parlamentarischen Willensbildung in einer ganz schwierigen Situation.

Ich weiß nicht, wie viele Anhörungen es in den letzten Monaten und Jahren im Innenausschuss gegeben hat. Es gab kaum eine Anhörung, bei der keine Vertreter sämtlicher Polizeigewerkschaften anwesend waren. Diese Menschen müssen sich darauf auch vorbereiten. Genau solche Fakten und Sachverhalte sind nur ganz schwer in jeweils individualisierten Freistellungsregelungen abzubilden. Insoweit können wir gemeinsam den Versuch unternehmen, die bisherige und nicht missbräuchliche Praxis in eine rechtlich zulässige Form zu gießen und uns gleichzeitig ganz deutlich von dem abzugrenzen, was missbräuchlich ist.

Die kreative Dienstgestaltung des Herrn Wendt ist nicht im Sinne der Gewerkschaften, nicht im Sinne der Allgemeinheit und hat im Prinzip, wenn Sie es auf den Punkt bringen wollen, nur in einem Interesse gelegen: im persönlichen Interesse von Herrn Wendt. Ich hoffe, dass die Gewerkschaft auch entsprechende Konsequenzen ziehen wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Hans-Willi Körfges (SPD): Ja.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Sie hatten so einen langen Satz, ich kam nicht dazwischen. Es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Stotko.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ja.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.

Thomas Stotko (SPD): Herr Kollege Körfges, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr Engel das Schwadronieren der FDP über die Frage, wie man zum LPVG stehe, am 7. März 2007, als CDU und FDP in diesem Parlament das LPVG geschliffen haben, wie folgt kommentiert hat? Ich möchte ihn zitieren:

„Um die Leistungsfähigkeit der Verwaltung trotz des notwendigen Stellenabbaus … zu erhalten und zu verbessern, müssen auch die Personalvertretungen durch Verringerung der Freistellung einen Beitrag leisten.“

Das war die FDP-Meinung von 2007.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ich bin nicht nur bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, sondern ich glaube, ich habe seinerzeit sogar persönlich geredet. Ich denke, dass Herr Engel sich noch gut daran erinnern wird, was wir ihm damals ins Stammbuch geschrieben haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Düker.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich empfehle in der Causa Wendt allen Beteiligten doch etwas mehr selbstkritische Reflexion. Die habe ich heute nicht bei allen festgestellt, mahne sie aber an. Denn die Causa Wendt wirft ja ein Licht auf eine jahrelange, unter Umständen jahrzehntelange Klüngelpraxis zwischen dem Staat auf der einen Seite und den Gewerkschaften auf der anderen Seite, die sowohl die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit der Gewerkschaften in ein schlechtes Licht rückt als auch das Vertrauen in staatliches Handeln schwächt.

Vor dem Hintergrund kann ich es überhaupt nicht nachvollziehen, dass die Bundesleitung der DPolG am 9. März 2017 noch eine Presserklärung herausgegeben hat, in der steht – ich zitiere –:

„Er“

– also Rainer Wendt –

„wird deshalb auch weiterhin seine Stimme für die Beschäftigten in der Polizei erheben und deren berechtigte Forderungen formulieren.“

Ich frage die Mitglieder der Deutschen Polizeigewerkschaft: Wollen Sie wirklich von diesem Mann weiter vertreten werden? Wie glaubwürdig ist das noch, von einem Rainer Wendt vertreten zu werden?

Die DPolG muss sich fragen lassen, ob sie mit dieser Praxis, die Herr Wendt jahrelang initiiert hat, ihrem Anspruch, unabhängig arbeiten zu können, wirklich noch gerecht wird.

Alle Beteiligten hier sollten sich vielleicht auch einmal an die eigene Nase fassen. Deswegen finde ich das Instrument eines weisungsfreien Verwaltungsermittlungsverfahrens, das jetzt initiiert wurde, genau richtig. „Weisungsfrei“ heißt, den Sachverhalt ohne jeglichen Anschein irgendeiner politischen Steuerung aufzuklären. Es ist das eine, den Deal zu initiieren. Das andere ist, das Ganze zu dulden. Deswegen gehört die gesamte Zeitleiste auf den Prüfstand, so wie es der Minister formuliert hat: Wer? Wann? Wo? Warum?

Damit komme ich zu dem nächsten Zitat, das mich verwundert hat. Im WDR sagt Herr Wolf am 16. März 2017:

„Zwischen Herrn Wendt, der im Übrigen bis 2012 Hauptpersonalratsmitglied war, und mir hat es keine Absprachen zu einer Freistellung gegeben.“

Nun ja! Die Absprachen zu der Freistellung waren das eine. Das andere ist – das wissen alle, die dem Parlament schon länger angehören –: Herr Wendt hatte in Duisburg große Probleme. Er wurde nach Mönchengladbach versetzt. Einfach so? Wurden da keine Absprachen getroffen? Und da kam auch nicht das Parteibuch zum Tragen? Komischerweise hat Herr Wendt dasselbe Parteibuch wie der damalige Polizeipräsident in Mönchengladbach. Das war ein ganz normaler Versetzungsvorgang. – War es das?

Dann kam die Versetzung – er war ja dann schon komplett freigestellt – auf eine faktische Leerstelle ins LZPD inklusive einer Beförderung. Es geht ja nicht nur um die Freistellungsfrage, sondern es geht auch um Versetzungsvorgänge. Stellen und Beförderungen mussten organisiert werden. Das alles sind Vorgänge, die über die reine Freistellungsfrage hinausgehen. Und Herr Wendt war ja schon jahrelang nicht mehr da.

Da gab es keine Absprache mit dem damaligen Innenministerium, Herr Lürbke? – Diese Frage gehört doch genauso gestellt, Herr Biesenbach, wie die Fragen, die Sie zu Recht gestellt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

War das ein ganz normales Versetzungsverfahren: „Hier haben wir einen verdienten Polizeibeamten aus einer Kreispolizeibehörde, der in eine Landesoberbehörde versetzt wird“, wobei klar ist, dass er dort niemals arbeiten wird und auch schon in der alten Kreispolizeibehörde nicht gearbeitet hat? Wer macht denn solche Deals? Das läuft über die Personalabteilungen von zwei Behörden. Ist das business as usual?

Ich habe an den ganzen Abläufen sehr große Zweifel. Da gibt es viele Fragezeichen, ob es hier nicht auch – wie gesagt, das wird das Verfahren zeigen – politische Absprachen jenseits von Recht und Gesetz gab oder innerhalb eines Rechtsrahmens, die aber politisch gesteuert wurden – wie auch immer.

Das gilt es aufzuklären und nach vorne aus der Causa Wendt zu lernen. Es ist schon gesagt worden, dass eine Praxis Wendt künftig verhindert werden muss. Dafür braucht es klare Absprachen. Pauschale Freistellungen darf es nicht mehr geben.

Gewerkschaftsarbeit ist eine gesellschaftspolitisch wichtige Arbeit. Auch wir stellen uns einer Rechtsgrundlage nicht in den Weg, in der wir hier anlassbezogene Tatbestände definieren, für die es dann auch Freistellungen gibt.

Aus dem, was in der Causa Wendt aus dem Ruder gelaufen ist, gilt es aber, nach vorne zu lernen. Deswegen ist das Thema für mich mit der heutigen Debatte nicht beendet. Was da aus dem Ruder gelaufen ist und welche Verantwortlichkeiten da im Spiel sind, muss aufgeklärt werden. Deswegen ist es richtig, dass hier ein unabhängiges, weisungsfreies Verfahren gewählt wurde. – Schönen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Herrmann.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, was Sie uns bisher hier vorgelegt haben, ist und bleibt ein Skandal. Soll es wirklich wahr sein, dass es in Ihrem Ministerium möglich ist, jahrelang Geld für eine Arbeit zu bekommen, die man nie leistet? Gibt es nicht wenigstens eine Anwesenheitskontrolle?

Herr Stotko hat es eben angesprochen: 28,5 Stunden Arbeit jede Woche wurden nicht geleistet. Das ist nicht aufgefallen. Herr Stotko, ich gebe Ihnen recht: Es nicht die Aufgabe des Ministers, die Anwesenheit zu kontrollieren. Aber es ist die Verantwortung des Ministers, dass niemand anderes das macht!

Fazit des bisher Bekannten: Der aktuelle Stand der Absprachen mit Herrn Wendt ist nicht in der Personalakte dokumentiert. Man hat sogar Pensionäre angesprochen und widersprüchliche Aussagen bekommen. Mündliche Absprachen wurden nicht dokumentiert. Kurz: Das Ministerium weiß selbst nicht, was mit Herrn Wendt vereinbart wurde.

Der Minister hatte keine Ahnung. Das haben wir schon öfter gehört; das ist nichts Neues. Aber erschreckend ist, dass das Ganze anscheinend bisher niemanden interessiert hat. Gehaltszahlungen ohne Arbeitsleistung haben niemanden interessiert. Fehlende Anwesenheit am Arbeitsplatz hat niemanden in den Behörden interessiert. Falls doch einmal jemand in den letzten Jahren in die Personalakte geguckt hat – was ja theoretisch möglich ist –: Da stand nichts. Das hat aber auch niemanden interessiert.

Ich denke, dass das so nicht geht. Ich höre hier auch immer wieder den Hinweis auf die Zeit, in der jemand anderes Verantwortung hatte. Ob das Herr Behrens war, Herr Dr. Wolf war oder jetzt Herr Minister Jäger ist: Wenn man ein Ministerium übernimmt, dann muss man gucken, ob alles in Ordnung ist. Das scheint aber hier nicht passiert zu sein.

Meine Damen und Herren, bei dem Gebot der Schriftlichkeit handelt es sich um ein für die moderne Verwaltung wesentliches Prinzip. Es soll die Unpersönlichkeit und Kontrollierbarkeit der Amtsführung der Mitarbeiter und Führungskräfte gewährleisten. Das Gebot der Schriftlichkeit ist deshalb ein sinnvolles Element jeder Bürokratie.

Ich habe vor einem Jahr in einer Kleinen Anfrage gefragt, in welcher Art und Weise öffentliche Stellen in Nordrhein-Westfalen ihre Geschäftsverteilungs- und Aktenpläne allgemein zugänglich machen. Das ist nämlich seit dem Jahr 2001 eine Pflicht, die sich aus dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen ergibt.

Die durchgängige Antwort für die Dienststellen des Ministeriums für Inneres und Kommunales und alle Polizeibehörden lautet: Der Aktenplan wird derzeit überarbeitet. – Aus dem Beamtendeutsch übersetzt, heißt das wohl: Da haben wir nichts.

Herr Jäger, fühlen Sie sich auch jetzt nicht dafür zuständig, dass sich Ihre Behörde nicht an das Gesetz hält? Brauchen wir vielleicht eine Organisationsaufsicht für Ihr Ministerium?

Ich glaube das bisher über „Nichtwissen“ Gesagte nicht. Bezahlung von Personen, die so im Licht der Öffentlichkeit stehen, dabei keine Anwesenheit am Arbeitsplatz – das funktioniert doch nur, wenn jemand von ganz oben seine Hand darüber hält. Oder es herrscht wirklich das totale Chaos im Ministerium. Die weitere Aufklärung dazu werden wir ganz genau beobachten.

Noch ein Satz zum „System Wendt“: Ich denke, es ist klar, dass es hier kein Weiter-so geben kann. Die Aussagen von Herrn Wendt in Talkshows und Pressemeldungen müssen alle in einem neuen Licht betrachtet werden und haben für mich zunächst einmal den Stempel „unglaubwürdig“. Das von Herrn Wendt veröffentlichte Buch mit dem Titel „Deutschland in Gefahr: Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt“ ist durchaus nützlich für die Innenminister, um weitere Überwachungsgesetze durchzudrücken. Auch hier gilt: unglaubwürdig.

Es ist daher ein guter Schritt, dass sich der NRW-Landesvorstand der DPolG erst einmal von dem „System Wendt“ losgesagt hat, damit hier in Nordrhein-Westfalen wieder ordentliche Gewerkschaftsarbeit gemacht werden kann. Das unterstützen wir. Damit möchte ich auch schließen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Herrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit kommen wir zur Abstimmung.

Erstens stimmen über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/14387 ab. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt also dem Inhalt des Antrags zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und Herr Stüttgen, fraktionslos. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung von CDU und FDP ist der Antrag der Fraktion der Piraten mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Zweitens entscheiden wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/14509. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und Herr Stüttgen. Wer enthält sich? – Es enthält sich die FDP. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Damit haben wir beide Anträge entsprechend beschieden und kommen zu:

2  Unbesetzte Stellen können nicht unterrichten, für Sicherheit sorgen oder Steuerbescheide erstellen – Missmanagement und Intransparenz der Landesregierung bei der Besetzung von offenen Stellen im Landesdienst müssen ein Ende haben!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14399

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Kollege spricht für die CDU-Fraktion Herr Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Papier ist geduldig. Auf Papier kann man viel aufschreiben, zum Beispiel politische Programmsätze. Man kann Sätze aufschreiben, die Ziele formulieren, ohne dass man sie zunächst einmal umsetzen muss.

Die Wahrheit ist aber: Die Bürger sind meistens nicht so geduldig, wie das Papier, auf das Programmsätze geschrieben werden. Die Bürgerinnen und Bürger wollen auch sehen, dass ein politisches Programm umgesetzt wird. Dazu hatte diese Landesregierung jetzt sieben Jahre Zeit.

Aber was ist die Bilanz beim Thema „Stellen“? Was ist die Bilanz beim Thema der Besetzung von Stellen, um politische Ziele umzusetzen? Wer Tausende neue Lehrerstellen ankündigt, muss sie auch besetzen. Denn unbesetzte Lehrerstellen können nicht unterrichten. Unbesetzte Polizistenstellen können keine Einbrüche verhindern. Unbesetzte Stellen in Finanzämtern können auch keine Steuer-CDs auswerten.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Aber gestrichene Stellen noch weniger! – Heiterkeit von Stefan Zimkeit [SPD])

Das hat auch die damalige Oppositionsführerin und heutige Ministerpräsidentin im Jahr 2009 so formuliert – ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren – und an die damalige Schulministerin von der CDU/FDP-Landesregierung gerichtet:

„Sie haben sofort verkündet: NRW ist spitze. – Die Zahlen für das Jahr 2009 sehen auf den ersten Blick auch ganz gut aus. Das Problem ist nur: Das sind die Sollzahlen. Das sind sozusagen Wunschzahlen und Haushaltsansätze. Wir haben im Schuletat gelernt: Sollzahlen sind oft Fantasiezahlen. Deshalb schauen wir besser auf die Zahlen aus dem Jahr 2006. Das sind nämlich Ist-Zahlen. Das sind Daten und Fakten.“

Wir nehmen die heutige Landesregierung, die von SPD und Grünen getragen wird, auch wenn die Regierungsbank gerade im Plenum leider nicht besetzt ist,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

beim Wort dessen, was die damalige Oppositionsführerin und heutige Ministerpräsidentin gesagt hat. Wir messen Sie an Ihren eigenen Maßstäben. Denn diese Zahlen sind Ist-Zahlen.

Auch wenn die Ministerpräsidentin und alle ihre Minister offensichtlich gerade anderes zu tun haben,

(Ralf Witzel [FDP]: Hier ist kein Minister vor Ort! – Stefan Zimkeit [SPD]: Von eurer Fraktion waren gestern Abend zwei Abgeordnete da! Klappe halten! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP])

ist es so, dass diese Ist-Zahlen von ihr als die Wahrheit sowie als Zahlen, Daten und Fakten beschrieben worden sind.

Die jetzt vorliegenden Ist-Zahlen stammen aus einer Vorlage des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2017. Zu der Entstehungsgeschichte und dem Zahlendesaster werde ich nachher noch etwas sagen. Aber klar ist: Ende 2016 waren in der gesamten Landesverwaltung fast 10.000 Stellen unbesetzt. Davon sind Ende 2016 allein im Schulbereich über 4.300 Stellen unbesetzt gewesen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Ellerbrock?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ja, bitte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich. – Bitte, Herr Kollege.

Holger Ellerbrock (FDP): Ich schaue gerade auf die Ministerbank. Jetzt kommt ein Minister dazu.

(Minister Thomas Kutschaty: Ich war die ganze Zeit hier!)

Ich wollte nur wissen, an wen Sie die Rede richten. Das war mir nicht ganz klar.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Kollege Ellerbrock, ich danke Ihnen deshalb für die Zwischenfrage, weil damit deutlich wird, wie ernst diese Regierung das Parlament nimmt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die Bürgerinnen und Bürger wissen genau, dass es jetzt gerade nicht um die Sache zwischen Parteien und Fraktionen, sondern um ihre Angelegenheiten geht. Damit ist klar, dass offensichtlich die politischen Prioritäten bei den fachlich zuständigen Ministern ganz offensichtlich anders gesetzt werden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Mein Gott, muss Ihre Panik groß sein, dass Sie zu solchen Mitteln greifen! – Gegenruf von der CDU)

Es ist keine Überraschung, dass wir heute dieses Thema hier debattieren.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Unterirdisch! Panik und Angst bei der CDU! – Zuruf von Dagmar Hanses [GRÜNE])

Ich bin gespannt, welcher Minister zu welcher Uhrzeit hier auf die Reden der Abgeordneten reagieren will, wenn er die Reden selbst gar nicht gehört hat. Das kann nur vorgestanzter Quark werden. Der ist bekanntlich nicht stark, sondern nur breit.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Meine Güte! – Weitere Zurufe)

Der Kollege Zimkeit ist offensichtlich ganz irritiert, dass sein eigener Minister nicht da ist. Die Schulministerin ist auch nicht da.

(Zuruf von der Regierungsbank: Sie ist entschuldigt!)

– Ja, natürlich. Das ist in Ordnung.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sie wissen doch, wo die Ministerin ist! Unglaublich!)

Sie dürfen übrigens von der Regierungsbank nicht dazwischenrufen. Sie sind Gast im Parlament. Daher darf die zuständige Schulministerin oder der zuständige Finanzminister hier erscheinen. Ansonsten melden Sie sich bitte zu Wort. Was Sie jetzt machen, ist eine Parlamentskultur, die ich so noch nicht kennengelernt habe.

(Beifall von der CDU und der FDP – Holger Ellerbrock [FDP]: Ja, unerhört!)

Ansonsten könnte der Kollege Ellerbrock auch demnächst bei Ihnen in der Staatssekretärsbesprechung erscheinen und seinen fachlichen Beitrag einbringen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Man kann die Angst vor den Wählern bei Ihnen von der CDU förmlich riechen!)

Wie passt das alles zu Ihren Ankündigungen? Ich möchte den Finanzminister zitieren, weil er das öffentlich und in der Zeitung getan hat.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Die Angst vor dem Wähler!)

Der Finanzminister hat sich am 8. März dieses Jahres in der Zeitung mit dem Hinweis darauf zitieren lassen, dass in den Schulen jetzt weniger Stellen gebraucht würden, weil doch nicht so viele Zuwanderer wie geplant gekommen seien.

Die Ministerpräsidentin muss sich dann schon mit ihrer ganzen Landesregierung fragen lassen, ob das die neue Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger ist. Stellenabbau ist also nicht ein Ergebnis eines Besetzungsproblems von Stellen, wie wir es in den letzten Monaten auch von der Schulministerin bei der Beratung des Haushaltsplans 2017 erkennen mussten, sondern er ist politisch gewollt und gesteuert. Er ist offensichtlich nicht etwas Zufälliges, sondern man will genau das Gegenteil von dem suggerieren, was man sieben Jahre politisch erklärt hat.

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans betritt den Plenarsaal. – Zuruf von der CDU: Guten Morgen!)

Sieben Jahre lang haben Sie politisch erklärt – auch der dankenswerterweise jetzt eintreffende Finanzminister –, dass man den falschen Stellenabbau von Schwarz-Gelb aus 2005 bis 2010 rückgängig machen wolle.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Bravo!)

Jetzt erklärt man Stellenabbau und Stellennichtbesetzung im Schulbereich zum politischen Programm.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Was denn jetzt? Stellenabbau oder Nichtbesetzung? Sie kennen doch den Unterschied!)

Sie besetzen vorsätzlich – nach den Aussagen der Ministerpräsidentin – Stellen nicht, weil sie gar nicht besetzt werden müssen. Das ist eine neue Philosophie, die Sie uns einmal erklären müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Stefan Zimkeit [SPD]: Frei erfunden!)

– Das ist ein Zitat der Ministerpräsidentin aus der „Rheinischen Post“. Das kennen Sie ganz genau. Da können Sie noch so viel dazwischenrufen, Herr Kollege Zimkeit. Sie haben ja gleich die Möglichkeit, vom Redepult Ihre Sicht der Dinge darzustellen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Leider nicht!)

Als zwischenrufpolitischer Sprecher haben Sie sich hier wieder ausreichend qualifiziert.

(Beifall von der CDU)

In den Finanzämtern sind derzeit nach den Aussagen des Finanzministers über 1.000 Stellen nicht besetzt. Entsprechende Probleme haben wir auch bei der Polizei.

Da wissen wir übrigens – da gibt es keinen politischen Dissens in diesem Haus –, dass wir schon darauf achten müssen, die demografiefeste Einstellung von Beamtinnen und Beamten sicherzustellen, und dass wir ein riesiges Problem damit haben, im Arbeitsmarkt in der derzeitigen demografischen Situation ausreichend Personal auf Dauer zu finden.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das hatten wir früher gesagt! Das hätten Sie früher gewusst, wenn Sie die Demografieberichte gelesen hätten!)

– Herr Zimkeit, da Sie offensichtlich „Verbaldiarrhö“ haben, sollten Sie sich vielleicht anderswo ausleben. Vielleicht lassen Sie mich erst einmal vortragen. Sie haben nachher genug Zeit, selbst vorzutragen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Außer Beleidigungen fällt Ihnen nichts ein!)

Der Punkt ist ein anderer: Wir haben uns bei dem Thema „Zukunft der Finanzverwaltung“ darauf geeignet, einen parteiübergreifenden Konsens zu schließen – an dieser Stelle sind wir mit dem Minister auch einig –, damit junge Menschen den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen als attraktiven Arbeitgeber empfinden und wir Stellen ausreichend besetzen können, um die in Pension gehenden Beamtinnen und Beamten zu ersetzen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Ihr habt doch gar keine eingestellt!)

Deshalb ist es besonders wichtig, jetzt auch im Haushaltsvollzug darauf zu achten, dass wir diese Stellen tatsächlich besetzen können. Da ist es ein fatales Signal, larmoyant darüber hinwegzugehen, dass man im Haushaltsvollzug 10.000 Stellen nicht besetzen kann. Das ist ein riesiges Problem. Ich bin noch nicht an Punkt, Ihnen zu sagen, das sei Ihr Problem und Ihre alleinige Schuld, bin aber schon überrascht, mit welcher Larmoyanz Sie darüber hinweggehen, dass wir hier ein echtes strukturelles Problem haben. Das wird der Situation nicht gerecht.

(Beifall von der CDU)

Wenn man auf der anderen Seite schaut, wie Sie mit Personal umgehen, erkennt man, dass zur Wahrheit auch gehört: Im Jahr 2010 haben wir deutlich weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien des Landes gehabt als heute. Allein im Jahr 2016 ist die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien um 230 gewachsen, in der Summe um fast 5 %. Das zeigt, dass die Prioritäten dort offensichtlich verschoben sind.

Wenn wir also Probleme in den Schulen, bei der Polizei und anderswo haben, auf der anderen Seite aber einen Stellenwuchs um 5 % in den Ministerien, dann ist hier etwas, was die Landesregierung erklären muss. Das kann man nicht einfach mit dem Hinweis darauf abtun, dass die Abteilung 6 des Innenministeriums ja kein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz sei – was übrigens wahrscheinlich ein struktureller Fehler ist. Das kann man auch nicht damit rechtfertigen, dass man sagt: Wir haben ja immer mehr Aufgaben der Koordination.

Nein, das hängt zum Beispiel auch damit zusammen, dass sich die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pressestelle des Finanzministeriums gegenüber 2010 schlicht verdoppelt hat. Das hängt auch damit zusammen, wo man politische Schwerpunkte setzt – offensichtlich eher im Beschreiben von Papier, im Verfassen von Pressemitteilungen, im Abgeben von Pressestatements als in der harten Arbeit an der Zukunft der Finanzverwaltung, Herr Minister.

(Beifall von der CDU)

Bei der Schulpolitik ist es nicht wesentlich anders. Die CDU-Fraktion hat schon vor 2015 sehr klar gesagt: Wir glauben, dass Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben entlastet werden sollen.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Und hat dafür Lehrerstellen gestrichen!)

Wir haben das Problem mit einem Modellprojekt der Schulverwaltungsassistenten zumindest anzugehen versucht. Sie lassen das Projekt einfach auslaufen, haben aber jetzt Tausende Lehrerstellen nicht besetzt. Sie könnten Lehrer aus Verwaltungsaufgaben herausziehen und in den Unterricht zurückbringen, wenn Sie unser Projekt weitergeführt hätten.

(Beifall von der CDU)

Aber weil Sie ja 2010 nichts Besseres zu tun hatten, als die vermeintliche Episode der Landespolitik von 2005 bis 2010 radikal wie eine Damnatio memoriae rückabwickeln zu wollen, statt sich anzuschauen, was gut war und was nicht gut war, wie man das unter Profis täte, haben Sie jetzt das Problem, dass Sie das natürlich nicht wieder einführen können. Sie könnten Menschen einstellen, die Verwaltungsaufgaben erfüllen – genauso, wie Sie es bei der Polizei tun könnten, und genauso, wie wir es an anderen Stellen auch haben, beispielsweise in der Justiz.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Hendricks?

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Ich würde gern im Zusammenhang vortragen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Es wird keine Zwischenfrage zugelassen. – Bitte schön.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Sie haben in den letzten sieben Jahren die Lösung erheblicher struktureller Probleme also nicht angegangen.

Herr Finanzminister, wenn Sie dann eine Kleine Anfrage des Kollegen Stein nach vier Wochen unvollständig beantworten, wenn Sie Vorlagen mit zwei Wochen Vorlauffrist im HFA mit davon abweichenden Zahlen beantworten und wenn Sie immer wieder erklären, das sei schließlich unter hohem Zeitdruck erstellt worden, dann kann ich Ihnen nur sagen: Offensichtlich sind Sie auch beim Thema „Digitalisierung Ihrer Verwaltung“ in den letzten sieben Jahren nicht wesentlich weitergekommen.

(Beifall von der CDU)

Die Ministerpräsidentin könnte sich ihre Ausflüge nach Estland, Sie könnten sich Ihre Ausflüge nach Österreich schlichtweg noch einmal vor Augen führen. Wenn es im Nordrhein-Westfalen des 21. Jahrhunderts nicht möglich ist, auf Tastendruck festzustellen, wie viele Mitarbeiter beim Landesamt für Besoldung und Versorgung besoldet sind, wie viele Stellen im Schulministerium besetzt sind und wie viele einzuplanen sind und wie viele in der Finanzverwaltung, wie viele Menschen von uns Geld bekommen, wie viele für uns arbeiten, dann haben wir durchaus ein paralleles Problem zu dem unter dem Tagesordnungspunkt 1 behandelten.

Das sollten wir uns bitte alle vor Augen führen. Wir sollten aufhören, so zu tun, als könne man sich ständig damit herausreden, dass alle Zahlen vier Wochen später wieder völlig andere seien. Sie haben 31 Positionen Ihrer Vorlage gegenüber dem HFA neulich korrigieren müssen und dann geschrieben: Wir haben noch einmal bei den Ressorts nachgefragt und erhielten leider an 31 Stellen andere Antworten. – Sie hatten wochenlang Zeit, das entsprechend zu prüfen. Offensichtlich fehlt es an der notwendigen Sorgfalt.

Wenn in Zeiten wie diesen eine Regierung unter den Verdacht gerät, dass sie die im Amt erforderliche Sorgfalt nicht aufbringt, dass sie es zum Beispiel auch nicht schafft, rechtzeitig zum Beginn einer Debatte hier zu sein, dann ist das durchaus bezeichnend für die Zukunft des Landes. Sie machen offensichtlich lieber PR, Propaganda und Wahlkampf, als dieses Land zu regieren.

Sie haben noch bis zum 14. Mai dieses Jahres Zeit. Sie haben eine Amtspflicht. Ich bitte Sie, diese auch zu erfüllen. – Herzlichen Dank.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Uns Amtspflichtverletzungen vorzuwerfen, ist eine unerhörte Frechheit!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Optendrenk. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Gebhard.

Heike Gebhard (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es um die Frage des Ernstnehmens des Parlamentes geht, gucken Sie doch bitte auch in Ihre Reihen. Wie ich erst gestern im Laufe des Tages gesehen habe, waren bei Ihren eigenen Anträgen zum Teil nur sieben bis acht Ihrer Leute im Plenum. Man sollte nicht mit Steinen schmeißen, wenn man selbst im Glashaus sitzt.

(Beifall von der SPD – Karl Schultheis [SPD]: Dann muss man sich selbst ernst nehmen!)

Ansonsten möchte ich gerne auf eines hinweisen. Ja, in der Tat, man spürt es fast bei jedem Antrag: Wir befinden uns am Ende der Legislaturperiode.

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Gleichzeitig bedeutet das aber auch – Herr Lohn, das gilt für Sie insbesondere –: Mit wenigen Ausnahmen sind die meisten von uns mindestens fünf Jahre in den jeweiligen Fachausschüssen, also mit bestimmten wiederkehrenden Themen vertraut.

Eines dieser wiederkehrenden Themen ist das Verhältnis von Soll- zu Ist-Zahlen, insbesondere dann – das ist in der Tat Neuland für Sie –, wenn haushälterisch zusätzliche Stellen bereitgestellt werden, was Ihnen ja, wie wir aus Ihrer Legislaturperiode wissen, ein Dorn im Auge ist.

Anfang des Jahres starteten Sie – Herr Kollege Optendrenk ging zum Teil darauf ein – in der Tat mit dieser Kampagne. Sie begannen mit der Kleinen Anfrage. Ich habe Ihnen vor vier Wochen – denn damals kam der Eilantrag – schon dargelegt, wie schlecht diese Anfrage gestellt war, weil Sie nach Stichtagen gefragt haben, die für das System völlig unpassend waren.

Sie haben also im Januar dieses Jahres mit der Kleinen Anfrage angefangen. Dann haben Sie am 13. Februar 2017 den schlechten Eilantrag vorgelegt. Heute, vier Wochen später, kommen Sie schon wieder mit der gleichen Nummer – und das, obwohl wir in sämtlichen Fachausschüssen, die betroffen sind, dieses Thema im Februar und im März intensiv beraten haben.

(Beifall von der SPD)

Im Haushalts- und Finanzausschuss haben wir am 9. März, also auch erst vor wenigen Tagen, zwei ausführliche Vorlagen quer über alle Ressorts erörtern können. Danach haben wir trotz der zusätzlich bewilligten Stellen in den Nachtragshaushalten 2016 sogar schon zum 1. Januar 2017, obwohl die Stellen ja erst dann bereitstehen, eine Stellenbesetzungsquote von 96,6 %.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieses ist, wie man sieht, wenn man sich die Jahre zuvor anschaut, auch die Jahre, in der Sie regiert haben, eine völlig normale Quote, da es immer Abgänge gibt und gleichzeitig Stellen im Besetzungsverfahren sind.

Wenn man dann noch bedenkt, dass im Schulbereich insbesondere das Einstellungsdatum 1. Februar als Beginn des zweiten Schulhalbjahres üblich ist und der Schulbereich unser personalintensivster Bereich ist, dann weiß man doch, dass die Quote jetzt sogar noch deutlich besser ist. Diese Zahlen zu Beginn des Schulhalbjahres sind uns auch allen bekannt. Am 8. Februar 2017 sind sie uns allen vorgelegt worden. Denn die Landesregierung bleibt Ihnen ja keine Antwort schuldig.

Gleichwohl gibt es – das will ich hier auch gar nicht verschweigen –, Besetzungsprobleme in den Grundschulen. Dieses Thema hatten wir gestern erst. Meine Fraktionskollegin Hendricks hat Ihnen dort bereits vorgetragen, wer denn der Verursacher dieser Probleme ist: kein Geringerer als CDU und FDP. Denn es geht darauf zurück, dass Sie die Ausbildung der Grundschullehrer um zwei Jahre verlängert haben. Dass dann zwei Jahre lang auch nicht die gewohnte Zahl an Absolventen von Lehramtsstudiengängen vorhanden ist, liegt doch auf der Hand.

Das haben wir aber natürlich gewusst. Deshalb hat es auch die Entwicklung eines entsprechenden Konzepts gegeben, wie man denn diesen Zeitraum von zwei Jahren überbrücken kann. Im Schulausschuss ist dieses Konzept vorgestellt und erörtert worden. Warum nehmen Sie das nicht zur Kenntnis?

Es ist mitnichten so, dass wir einen Mangel an entsprechenden Studentinnen und Studenten hätten; es bedeutet nur, dass sie jetzt alle länger studieren. Ihre Forderungen im heutigen Antrag gehen also völlig ins Leere.

Im Übrigen haben wir in den Haushalten 2015 bis einschließlich 2017, also nur in den letzten zwei Jahren, das Stellensoll im Bereich Schule um rund 5.600 Stellen – ich wiederhole: um 5.600 Stellen – erhöht. Von einem Abbau, wie in Ihrem Antrag behauptet, kann also überhaupt keine Rede sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Kommen wir nun zum Bereich der Polizei. Auch hier stimmen Ihre Zahlen nicht. Auch hier haben wir insbesondere genau in diesen letzten zwei Jahren die Stellen um rund 1.100 erhöht. Zusätzlich haben wir bekanntermaßen die Ausbildungszahlen verdoppelt. Dies war auch dringend erforderlich. Denn ein Gutachten, das bereits zu Ihrer Regierungszeit erstellt worden ist, aber leider in der Schublade verblieb, hat aufgeführt, dass sonst demografisch bedingt die Personalstärke bei der Polizei abnehmen würde.

Da die Ausbildungszeit aber drei Jahre dauert, haben wir zusätzlich 350 Stellen für Regierungsbeschäftigte geschaffen, die auch weitgehend besetzt sind. Darüber hinaus haben wir ein Programm von 350 Stellen aufgelegt, um in diesem Umfang Polizeibeamte über ihre normale Lebensarbeitszeit hinaus im Dienst zu halten.

Für einige, die das nicht mitbekommen haben: Am letzten Dienstag hatten wir eine Anhörung mit Vertretern der beiden Polizeigewerkschaften, also der DPolG aus dem DBB und der GdP aus dem DGB, die auch genau diesen Sachverhalt mit beleuchtet. Da wurde bestätigt, dass mit diesen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, der erwartete Verlust von sonst 1.500 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten bis zum Jahr 2026 nicht eintritt, sondern stattdessen mit einem ebensolchen Zuwachs von 1.500 Polizisten zu rechnen sei.

Wenn die SPD am 14. Mai 2017 erneut den Regierungsauftrag erhält, wollen wir, wie wir bereits angekündigt haben, diesen Prozess des Aufwuchses beschleunigen, indem wir die Zahl der Polizeianwärterinnen und -anwärter um weitere 300 auf dann 2.300 pro Jahr erhöhen. Von dem Kollegen der GdP ist auch vorgerechnet worden, welchen guten Zuwachs dieses dann bedeuten würde.

Der Kollege der Deutschen Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund hat in dieser Anhörung auch darauf hingewiesen, dass die Polizeidienststellen schon jetzt am Limit seien, was die Ausbildungsmöglichkeiten in der Praxis anbetrifft, sodass die Möglichkeiten, noch weiter aufzustocken, gegenwärtig nicht realistisch seien. Das bedeutet, dass wir diese Möglichkeit des Zuwachses voll ausgereizt haben.

Auf die Justiz will ich nur ganz kurz zu sprechen kommen. Denn da ist es am allereinfachsten, es klar zu sagen. Auch hier haben wir 100 zusätzliche Stellen bewilligt, und alle – ich wiederhole: alle – sind besetzt.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Die Besetzungsquote liegt in diesem Bereich traditionell ohnehin über dem Durchschnitt des gesamten Landes über alle Ressorts hinweg. Sie beträgt deutlich über 97 %, fast 98 %.

Lassen Sie mich nun noch einen Satz zur Finanzverwaltung sagen. Auch hier gehen wir an das Limit der Ausbildungsmöglichkeiten. Mit dem Haushalt 2017 stocken wir die Ausbildung an der Fachhochschule für Finanzen um weitere 250 Plätze auf. Damit haben wir dann 887 Einstellungsermächtigungen erteilt.

Auch hier gilt: Ausbildung braucht Zeit. Darum wurde mit den Personalräten und ver.di besprochen, einen Versuch zu starten, ob man nicht auch auf kaufmännisch ausgebildetes Personal zurückgreifen könnte.

In einer halbjährigen Maßnahme sollen nun 50 Personen an die Steuerfachverwaltung herangeführt werden, und in einem weiteren Halbjahr kommt dann der Praxistest. Statt diesen Mut für diesen neuen Weg zu loben und zu unterstützen, haben Sie nichts Besseres zu tun, als zu kritisieren, dass diese 50 Personen befristet eingestellt werden.

Dass dies keine sachgrundlose Befristung ist, liegt doch auf der Hand. Eine sachgrundlose Befristung würden wir auch nicht tolerieren. Die bekämpfen wir politisch und auch im eigenen Handeln. Niemand kann aber heute verbindlich sagen, ob dieser Versuch – ich betone, es ist ein Versuch – erfolgreich ist. Wenn er aber erfolgreich ist, dann ist es doch selbstverständlich, dass diese Personen entfristet werden.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, wissen Sie, was Ihr Problem ist? Ihr Problem ist, dass wir es geschafft haben, in diesen sieben Jahren den Haushalt in Ordnung zu bringen und gleichzeitig in allen relevanten Bereichen für mehr Personal zu sorgen, während Sie immer von Ihrer Vergangenheit des Personalabbaus eingeholt werden. Das ist Ihr Problem.

(Beifall von der SPD)

Dass Sie das schmerzt, kann ich menschlich verstehen. Mein Verständnis endet aber da, wo Sie, obwohl der Sachverhalt klar ist, immer wieder die gleiche Leier spielen – allein in dieser Plenarrunde dreimal! Das ist, als würden Sie ein totes Pferd reiten. Lassen Sie es, es lohnt nicht. – Danke schön.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Gebhard. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Optendrenk, ich kann es mir nicht ersparen: Mit diesem Tiefgang können Sie auf der Düssel segeln gehen. Es ist nicht auszuhalten, wie Sie diesen Strohhalm, der Ihnen bei dem Thema Haushalt und Finanzen einzig übrig bleibt, überstrapazieren. Er ist eigentlich schon bei Ihrer Rede abgeknickt, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich will Ihnen das mit den Soll- und Ist-Zahlen von 2013, 2014, 2015 und 2016 deutlich machen. Wir hatten 2013 und 2014 – zwischen Soll und Ist – eine Stellenbesetzung von 97,6 %. Wir hatten 2014 und 2015 eine Stellenbesetzung von 98,1 %. Wir hatten einen leichten Rückgang 2016 und 2017 und sind bei einer Stellenbesetzung von 96,6 %.

Man darf daran erinnern, wie viele Nachtragshaushalte wir auf den Weg gebracht haben und was die Herausforderungen in den Jahren waren. Wir haben über 4 Milliarden € an Landesgeld bewegt in noch nicht einmal einem Haushaltsjahr. Dass die gesamten – einschließlich der zusätzlichen – Stellen, die im System sind, trotzdem zu 96,6 % besetzt worden sind, ist ein großer Erfolg. Das kann uns dennoch nicht zufriedenstellen, weil wir die Stellen, die wir als Haushaltsgesetzgeber in den Haushalt einstellen und mit Geld hinterlegen, auch besetzen wollen.

Von Ihnen haben wir dabei immer die Kritik gehört, dass das zu viel sei. In den Ausschüssen sind Sie eine Doppelstrategie gefahren, als Sie sagten, Quantität sei nicht gleich Qualität. Man verbessere nicht unbedingt das System Schule, nur indem man Lehrerinnen und Lehrer einstellt. Das alles ist in den zahlreichen Protokollen, die Herr Witzel beantragt hat, Wort für Wort nachzulesen. Hören Sie doch auf, so zu tun und sich hier so hinzustellen!

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Da darf man auch an Ihre Zeit erinnern. Sie tun immer so: Ach, das ist sieben Jahre her. – Ja, aber 2005 bis 2010 haben Sie über alle Ressorts hinweg 1,5 % Personal abgebaut.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Sie haben uns Lücken hinterlassen. Sie reden von der Demografie bei der Polizei. Sie haben sich noch nicht einmal getraut, den Demografiebericht zu veröffentlichen, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dieses Bundesland hat, von 2013 angefangen, lange Jahre als einziges Bundesland mehr Polizistinnen und Polizisten eingestellt, als in den Ruhestand gingen. Alle anderen Bundesländer haben gekürzt, auch die Innenminister aus den neuen Bundesländern, die alle von der CDU sind, mit der Konsequenz, dass wir hier eine Reihe von Bereitschaften hatten, die an den Wochenenden nur in den neuen Bundesländern in den Stiefeln standen. Dann haben Sie uns hier in den Haushaltsdebatten diese Länder auch noch als glänzendes Vorbild dargestellt. So einfach geht es nicht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Abel, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lohn?

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Ja, sehr gern.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Lohn.

Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege Abel. Sie haben gerade Ausführungen zu den Einstellungszahlen und zu der Personalentwicklung im Bereich Polizei gemacht.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es die rot-grüne Regierung war, die in den Jahren 2004 und 2005 die Einstellungszahlen von 1.100 auf faktisch 480 mehr als halbiert hat und damit im Prinzip die Ursache dafür gelegt hat, dass wir alles wiedergutmachen mussten?

(Beifall von Christian Möbius [CDU] – Zurufe von den GRÜNEN)

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Kollege Lohn, ja, ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, wenn Sie gleichzeitig bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie dann fünf Jahre Zeit gehabt hätten, diese Zahlen wieder anzuheben.

(Ralf Witzel [FDP]: Verdoppelt!)

– Diese Verdoppelung führte aber zu einem negativen Ist. Die Verdoppelung führte im Vergleich zu den Pensionen dazu, dass die Polizei Stellen verloren hatte und dass wir nicht genügend Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Vollzug hatten. Das gehört doch auch zur Wahrheit dazu.

Zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass wir die höchsten Einstellungszahlen bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen in der Geschichte dieses Landes haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wir haben doch erst vorgestern über Mehrforderungen gesprochen. Es sind sich doch nicht einmal die Gewerkschaften einig, ob wir überhaupt genügend Ausbildungskapazitäten haben, um noch mehr ausbilden zu können. Das heißt: Wir gehen da schon an das Limit. Das kann man doch jetzt nicht wegwischen, dass wir aufgestockt haben. Polizisten wachsen nicht an Bäumen, Lehrerinnen und Lehrer auch nicht. Wir müssen da ausbilden. Das, was Sie fünf Jahre verpennt haben, mussten wir aufholen, und das haben wir aufgeholt.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP]: Unverschämt!)

Jedes Mal haben Sie sich in der Haushaltsdebatte hier hingestellt und die Neuverschuldung und die zusätzlichen Stellen angeprangert.

Herr Witzel, wenn Sie hier am lautesten dazwischenbrüllen, sage ich: immer dieses Herumhacken auf der Umweltverwaltung! Gehen Sie doch einmal zu Veranstaltungen, wie zum Beispiel letzte Woche in Essen zum Informationstreffen für Tierschutzbeauftragte und Tierexperimentatoren, und hören Sie sich doch von der Wissenschaft und der Industrie das Lob an diese Landesregierung an, dass endlich beim LANUV Stellen geschaffen werden, um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Das ist für viele Unternehmen hier standortentscheidend. Sie geißeln das als Umweltbürokratie.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Was Sie fordern, ist wirtschaftsfeindlich, Herr Witzel!

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

18.400 Stellen zusätzlich im System Schule. Der Zuwachs, den wir im Bereich Schule haben, ist, gemessen an dem Zuwachs, den Sie zweifelsohne zwischen 2005 und 2010 hatten – eine Milliarde Haushaltsmittel und 1.000 zusätzliche Stellen –, viermal mehr Aufwuchs. Im Vergleich zu 2010 haben wir 18.400 zusätzliche Stellen im System Schule.

Wir haben – das haben wir schon gesagt – in NRW mehr Polizei eingestellt, als es die anderen Bundesländer und der Bund getan haben. Der Bund hat bei der Bundespolizei auch gespart.

Wir haben unsere Finanzverwaltung gestärkt. Wir haben mit dem jüngsten Haushalt erreicht, dass trotz mangelnder Umsetzung, die bei der Kfz-Steuer und bei den Zollverwaltungsämtern vor allen Dingen am Bund lag, die Finanzverwaltung einen Teil der Stellen behalten darf. Wir haben 1.100 Stellen im Saldo mehr bei der Finanzverwaltung. Wir haben 42 % mehr Betriebsprüferinnen und -prüfer, die für Steuergerechtigkeit sorgen und die dafür sorgen, dass die Einnahmen, mit denen wir wichtige Zukunftsaufgaben finanzieren, hereinkommen.

Dazu kann ich Ihnen wirklich nur sagen: Sie müssen sich schon entscheiden. Erinnern Sie sich doch einmal an die Debatte zum Haushalt 2015/2016, als sich Herr Laschet hier hingestellt und ernsthaft gefordert hat – das ist alles dokumentiert und nachzulesen –, dass wir wie das Saarland vorgehen sollen. Er hat 10 % der Stellen im öffentlichen Dienst zur Disposition gestellt.

Ich habe das noch einmal auf Ihrer Webseite gesucht, meine Damen und Herren von der CDU. Komischerweise ist dieses Haushaltskonzept nicht mehr zu finden. Ich habe nur noch eine Kopie davon. Meine ernsthafte Bitte an Sie: Ich würde mich freuen, wenn Sie uns dieses Haushaltskonzept noch einmal zustellen könnten. Wenn Sie es nicht tun, ist es auch gut, dann kann ich das wenigstens sagen. Aber diesen Zick-zack-Kurs, diese Doppelstrategie, die Sie hier über Jahre durchgezogen haben, in den Haushaltsdebatten immer die Sparer und die Mahner zu geben, aber in jedem einzelnen Fachausschuss und mit Kleinen Anfragen in jedem Bereich zu suggerieren, wir würden nicht genügend Personal einstellen, das haben die Leute wirklich durchschaut. Mit dieser Taktik offenbaren Sie eigentlich nur, wie verzweifelt Sie sind, weil die Zahlen eben stimmen, meine Damen und Herren.

Das alles haben Sie hier in den Raum gestellt trotz anderer Zahlen, die wir zwischenzeitlich von der Landesregierung bekommen haben, und obwohl die Maßnahmen der Schulministerin bereits greifen. Dass die Schulministerin heute übrigens bei der Kultusministerkonferenz ist, ist allen Parlamentarischen Geschäftsführern hier im Raum bekannt. Deswegen finde ich diesen Anwurf, der eben kam, nicht in Ordnung. Die Bildungsministerin ist bei der KMK, und sie hat am 8. Februar im Schulausschuss genau die Maßnahmen aufgelistet, die im Bereich Schule jetzt greifen.

Wenn das alles ist, was von der Opposition kommt, frage ich Sie: Was wollen Sie denn eigentlich machen? Wo waren denn Ihre Haushaltsanträge für mehr Personal? Wo waren denn Ihre Haushaltsanträge, um die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen? Wenn Sie dazu in die Historie schauen, finden Sie dazu nichts. Es gibt keine Anträge von Ihnen. Wenn Sie ernsthaft den Anspruch haben, Verantwortung für dieses Land zu übernehmen, kommen Sie mit diesem Tiefgang nicht voran. Das ist weder redlich noch bringt es das Land irgendwie weiter. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abel. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Gebhard hat gerade gesagt, man merke an der heutigen Debatte, dass die Legislaturperiode zu Ende gehe. Ich finde, Frau Kollegin, wir merken an der Diskussion heute, dass die Zeit einer rot-grünen Mehrheit in diesem Parlament dem Ende entgegengeht

(Heike Gebhard [SPD]: Vertun Sie sich da mal nicht!)

und nur noch zwei Monate dauern wird.

Das Thema, das wir heute beraten, ist ein sehr ernsthaftes. Es ist eine personalpolitische Schlussbilanz der rot-grünen Landesregierung zum Ende ihrer Amtszeit. Das hat zum einen eine finanzielle Dimension, auf die wir schon häufig hingewiesen haben. Für das, was Sie, Herr Finanzminister, an Haushaltsrechnung für das Jahr 2016 vorlegen und wofür Sie sich feiern lassen – ein vermeintlich ausgeglichener Haushaltsabschluss –, muss man schon einmal hinter die Kulissen schauen, was die Ursachen dafür sind.

Damit meine ich nicht nur die Bestbedingungen, sondern auch die Frage, wie Sie den Haushalt definiert haben, was mit hineinspielt und was nicht. Dazu gehört natürlich auch, dass man, wenn man mehrere Tausend Stellen nicht besetzt hat, entsprechend Geld spart – zusätzlich zu allen anderen Verschiebebahnhöfen, zum Beispiel, dass der BLB die Schulden des Landes aufnimmt oder Sie für den Pensionsfonds und damit für die Vorsorge des Personals in der Zukunft nicht mehr die Vorsorge treffen wollen, die politisch verabredet gewesen ist.

(Beifall von der FDP)

Ich will ausdrücklich sagen, auch bei dieser personalpolitischen Schlussbilanz der Regierung: Wir werden uns so verhalten, wie wir das die gesamte Legislaturperiode über bei Haushaltsfragen gemacht haben, nämlich sehr abwägend im Einzelfall zu schauen, welchen Maßnahmen man zustimmt, bei welchen man sich enthält und an welcher Stelle man klar die Ablehnung signalisiert. So haben wir das in jedem Haushaltsberatungsverfahren belegbar an unterschiedlichsten Stellen gemacht.

Deshalb sage ich, Frau Kollegin Gebhard – auch wenn Sie gerade offenbar anderweitig beschäftigt sind –: Wenn Sie ein vernünftiges Konzept vorlegen, die Zahl der Polizeianwärter hier zu vergrößern, wenn Sie das auch für die nächste Legislaturperiode vorhaben und die Frage beantworten, warum Sie das jetzt nicht auf den Weg gebracht haben, denke ich, dass Sie bei der FDP-Landtagsfraktion auf Unterstützung zählen können. Wir werden uns hier konstruktiv bemühen, die Weiterentwicklung, die wir brauchen, auch in der Personalausstattung der Polizei zu erreichen.

(Beifall von der FDP)

Offenbar haben Sie als Regierung aber selber keinen abschließenden Überblick, wie das mit der Stellenbesetzung bei Ihnen so aussieht. Deshalb bekommen wir alle paar Wochen wieder neue und korrigierte Zahlen zu zurückliegenden Stichtagen vorgelegt.

Weil wir das Thema sehr sachlich sehen, gestehe ich Ihnen auch zu: Es gibt überall in der Verwaltung wie auch in der Wirtschaft und bei Verbänden, da, wo Personal in großen Einheiten tätig ist, Fluktuationsquoten. Man hat es bei mehreren Hunderttausend Beschäftigten weder bei Unternehmen noch im öffentlichen Dienst immer in der Hand, sofort über Nacht jede Position wieder besetzen zu können, wenn jemand einen verlässt, was man vielleicht auch einmal bedauert. – Zugestanden.

Wir wollen auch zugestehen, dass Sie sich im Haushalt als Landesregierung Einstellungsermächtigungen beschließen lassen, um Vorsorge zu treffen. Und wenn nicht alle Sachverhalte das komplette Jahr über so eintreten, sei auch zugestanden, dass man dann im Vollzug damit sinnvoll verfährt. Alles andere wäre an dieser Stelle vielleicht auch nicht richtig.

Tatsache ist auch – das hat Kollege Abel gerade herausgearbeitet –: Es gibt Bereiche, bei denen wir ausdrücklich der Auffassung sind, dass Stellenvakanzen ein Zugewinn für unser Land sind. Insbesondere im Umweltbereich erhöht es die persönliche Freiheit von Menschen und die Produktivität von Unternehmen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Und sie warten dann ewig auf Genehmigungen!)

Es baut unsinnige Bürokratie ab, wenn Hunderte von Stellen nicht besetzt sind, wenn man bedenkt, wie sich Minister Remmel die letzten Jahre mit neuen Stellen vollgesogen hat. Das fing beim rot-grünen Amtsantritt an und ging über die Haushaltsberatungen der nächsten Jahre weiter. Der Finanzminister hat ihm mehr Stellen bewilligt. Das hat ihm immer noch nicht gereicht. Dann haben Sie als Koalitionsfraktionen noch was draufgepackt. Es ist gut, dass diese Politik des Aufwuchses der Ökobürokratie in diesem Land in zwei Monaten beendet sein wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es gibt aber – so differenziert wir die Problemfelder hier gerade gesehen haben – auch Bereiche, in denen das nicht so zu bewerten ist. Das sage ich auch ganz klar. Dort ist Personalmangel tatsächlich ein Problem für die Gesellschaft, weil Menschen das spüren und es mit Nachteilen verbunden ist. Im Bereich der inneren Sicherheit, bei Polizei und Justiz, und in der Finanzverwaltung ist es nicht gut, wenn die Austrittszahlen zu hoch und die Eintrittszahlen zu gering sind.

Frau Kollegin Gebhard hat darauf hingewiesen: Wir haben vorgestern ein sehr qualifiziertes Sachverständigengespräch mit den Fachverbänden im Bereich des Polizeipersonals gehabt. Wir müssen auch den Fragestellungen nachgehen. Warum haben wir 10 % Durchfallquote bzw. endgültiges Nichtbestehen bei der Polizeianwärterausbildung? Dadurch verlieren wir direkt wieder mehrere Hundert Leute, die im Ausbildungsbetrieb begonnen haben.

Am Dienstag ist sehr viel über die Rahmenbedingungen gesprochen worden, die für das Personal nicht immer attraktiv sind, wenn man auf die Überstundenberge schaut. Die Polizeibeamten müssen ihren Familien oftmals Wochenende für Wochenende erklären, dass sie aufgrund der Sicherheitslage doch wieder zur Verfügung stehen müssen und damit einen riesigen Überstundenberg aufbauen, obwohl sie eigentlich laut Dienstplanung frei hatten. Die Landesregierung ist nicht einmal bereit, zu sagen: Wir geben euch die Sicherheit, dass ihr jede Überstunde, die ihr leistet, auch zurückbekommt.

(Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Ihr müsst sie jetzt machen; wir bitten um Verständnis, dass die Sicherheitslage das erfordert. Aber wir als Land sind bereit, rechtssicher zuzusagen: Das ist Arbeitszeit, die wird an euch zurückgegeben! – So ein Signal wäre jetzt erforderlich, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Es gibt eine Rechtszusage!)

Sie von der Landesregierung haben den öffentlichen Dienst frustriert. Da sind wir bei den Rahmenbedingungen und bei Ihrer Tarifpolitik.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie haben den Leuten signalisiert: Es ist in Ordnung, wenn sich die Bezüge im öffentlichen Dienst anders verändern als in anderen Branchen.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie haben klar definiert, wer aus Ihrer Sicht zu den Besserverdienern gehört, die mehrere Jahre lang nicht einmal mehr einen Inflationsausgleich benötigen. Damit haben wir Sie vor dem Verfassungsgerichtshof gestoppt. Das waren keine attraktiven Rahmenbedingungen.

Was machen Sie gegenwärtig mit der Frauenquote? In manchen Ressorts herrscht objektiv Personalmangel.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Und das Landesjagdgesetz kommt dann auch noch dazu, oder? Und der Nichtraucherschutz!)

Der Finanzminister weiß das aus seiner Finanzverwaltung. Innenminister Jäger kennt die Personalbesetzungsprobleme bei der Polizei. Genau das sind die beiden Bereiche, in denen Sie die meisten Klagen Betroffener haben. Hunderte von Beförderungsstellen kommen jetzt durch die Konkurrentenklagen nicht zum Zuge, weil sich die Grünen ideologisch hinstellen und jede Veränderung blockieren.

Das sind keine attraktiven Rahmenbedingungen für den öffentlichen Dienst. An diesen Stellschrauben müssen Sie arbeiten, damit sich nicht weiterhin das, was Sie an Planstellenanstieg kommunizieren, nicht im Ist der Stellenbesetzung widerspiegelt. Das muss von Aufgabenkritik begleitet werden. Vielleicht ist auch zukünftig nicht mehr jede Aufgabe so personalintensiv zu erledigen wie bisher. Aber in den Bereichen, in denen es um die Kerntätigkeit des Staates geht, muss der Staat handlungsfähig sein, um das Vertrauen der Menschen zu erreichen. Da gibt es noch viel zu arbeiten. Das werden wir auch weiterhin in den nächsten Wochen und Monaten thematisieren. Dieser Herausforderung muss sich auch der neue Landtag stellen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Nun spricht für die Piratenfraktion Herr Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Es ist Wahlkampf. Da muss man sich bekanntlich auf einiges gefasst machen, auf unglaubwürdige Wahlversprechen, verdrehte Tatsachen und aberwitzige Argumente.

Es ist schade, dass die CDU bei einem so wichtigen Thema wie den Engpässen im Landesdienst Redlichkeit und die grundlegenden Prinzipien der Mathematik vermissen lässt. Es zeigt sich wieder einmal: Im Wahlkampf spielt Sachpolitik leider nur eine Statistenrolle. – Wenn im Zeitraum 2015 bis 2016 die Gesamtanzahl der besetzten Lehrerstellen um 340 gesunken ist, dann ist das natürlich bedauerlich; denn wir sind überzeugt, dass für eine bessere Bildung unserer Kinder weitaus mehr Lehrerinnen und Lehrer benötigt werden. Aber wie ist denn die aktuelle Situation? Das wollten wir Anfang des Jahres bereits im Ausschuss wissen.

Es gibt bekanntlich schon länger einen Engpass bei der Besetzung von Lehrerstellen, der vor allem die Grundschulen betrifft. Deswegen hat meine Kollegin Monika Pieper im Schulausschuss um die aktuellen Daten zu den Einstellungsverfahren gebeten. Ministerin Löhrmann hat diese in der Sitzung vom 8. Februar geliefert. Dort haben dann alle Fraktionen erfahren, dass zum 6. Februar noch 630 Stellen unbesetzt waren. Im vorliegenden CDU-Antrag ist aber immer noch – trotz besseren Wissens – die Rede von 4.300 unbesetzten Lehrerstellen. Wie passt das bitte zusammen?

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Gar nicht!)

Aktuelle Daten ignorieren, veraltete Zahlen herauskramen und so mit Halbwahrheiten Wind machen: So wollen Sie, liebe CDU, an die Regierung? – Zur Lösung der bestehenden Probleme bei den Lehrereinstellungen können Sie ohnehin keine wirksamen Maßnahmen vorschlagen. Jetzt kommen Sie bitte nicht mit der Reaktivierung von Pensionären. Auch das wird bereits gemacht.

Auch was die unbesetzten Stellen im Bereich der inneren Sicherheit angeht, ist die CDU mit ihrer Kritik nicht gerade glaubwürdig. Das Land hat nur die Polizisten, die es vorher eingestellt und ausgebildet hat. Die Versäumnisse der CDU-geführten Landesregierung lassen sich hier gut ablesen.

Rot-Grün hat zumindest angefangen, die Einstellungszahlen wieder anzuheben und mehr Polizisten auszubilden. Das begrüßen wir Piraten ausdrücklich. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch bedarf es noch eines weiteren Ausbaus. Im letzten Jahr gab es 2.000 Neueinstellungen. Damit ist die Polizei zum ersten Mal seit Jahren nicht kleiner geworden.

Der demografische Wandel bei der Polizei hat sich seit Jahrzehnten angekündigt, aber weder CDU noch SPD haben ernsthaft gegengesteuert und die Zahl der Neueinstellungen auf ein ausreichendes Niveau angehoben. Die Polizei kaputtzusparen und durch Kameras zu ersetzen ist keine Sicherheitspolitik, liebe Kollegen der CDU, sondern nichts anderes als Sicherheitsesoterik.

An die Adresse der „Videobeobachtungspartei“, der Grünen: Videoüberwachung bleibt Symbolpolitik, auch wenn man ein anderes Etikett daran hängt.

Die derzeitigen Probleme bei der Stellenbesetzung im Landesdienst sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommenden gravierenden Personalprobleme im gesamten öffentlichen Sektor. Nach einer aktuellen Studie steht der deutsche Staat vor den größten Personalengpässen seiner Geschichte. Bund, Länder und Kommunen werden in den nächsten Jahren massive Probleme haben, offene Stellen zu besetzen. Bis 2030 werden voraussichtlich 816.000 Stellen beim Staat unbesetzt bleiben. Bei den Verwaltungsfachkräften wird es in den nächsten anderthalb Jahrzehnten einen Engpass von rund 277.000 Stellen geben. Der Studie zufolge werden in Deutschland bald auch 194.000 Lehrer fehlen, und das in einer Zeit, in der das Bildungswesen vor der Doppelherausforderung von Integration und Inklusion steht.

Die Entgeltstrukturen bei der öffentlichen Hand sind in Zeiten des demografischen Wandels vor allem im Wettbewerb um hochqualifiziertes Personal nicht mehr attraktiv. 2030 werden im öffentlichen Dienst voraussichtlich 320.000 Akademiker fehlen. Vor allem Absolventen der sogenannten MINT-Fächer, also naturwissenschaftlich-technische Berufe, erhalten in der Privatwirtschaft wesentlich bessere Verdienste und Bedingungen als im öffentlichen Sektor. Die Auswirkungen des Mangels von Ingenieuren beim Staat machen sich schon heute schmerzhaft bemerkbar.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Trotz guter Haushaltslage können die dringend benötigten Zukunftsinvestitionen vielfach nicht getätigt werden, weil Fachleute mit Know-how zur Planung und Abrufung der Mittel bei den Kommunen und den Ländern schlichtweg nicht mehr vorhanden sind. Der Großteil der bereitgestellten Mittel kann gar nicht mehr verbaut werden, da es an baureifen Projekten fehlt. Und die wiederum fehlen, weil es im Landesdienst bzw. in den Kommunen nicht genügend Bauingenieure gibt, die entsprechende Vorhaben anschieben und genehmigen könnten.

(Ralf Witzel [FDP]: Nein, die kaufen das alles bei Planungsbüros!)

Neben dem Investitionsstau haben wir also jetzt auch noch den Planungsstau. Dieses Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen; vor allem für die Kommunen wird es immer schwieriger. Die unbesetzten Stellen in den Städten und Gemeinden, bei den Kitas und Schulen werden die Menschen in ihrem Alltag schmerzhaft zu spüren bekommen. Die jahrelange Verwaltung des personalen Notstands sowohl durch Schwarz-Gelb als auch durch Rot-Grün gefährdet im Angesicht des demografischen Wandels die Funktions- und Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Ich komme zum Schluss. Eine verantwortungsvolle Politik hätte die Ausbildungskapazitäten für den Landesdienst schon vor Jahren ausgebaut. Jetzt sind sie vollkommen erschöpft; darüber sind sich hier alle einig. Wir müssen schnellstmöglich die Ausbildungskapazitäten für Polizistinnen und Polizisten, Lehrerinnen und Lehrer sowie für die Finanzverwaltung erhöhen. Wir müssen schnellstmöglich die Entgeltstrukturen und die Besoldung des Landesdienstes verbessern. Nur so lässt sich die Pensionierungswelle im Landesdienst in den nächsten Jahren einigermaßen ausgleichen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kern. – Für die Landesregierung spricht nun der Finanzminister, Herr Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Optendrenk, ich bitte um Nachsicht, dass ich etwas später zu diesem Tagesordnungspunkt dazugestoßen bin. Er hat, wie Sie wissen, gut 20 Minuten vor der ursprünglich avisierten Zeit begonnen. Deswegen musste ich gerufen werden und habe mich dann so schnell wie möglich hierhin begeben. Sie mögen es vertreten, das als Beispiel für ein nicht sorgfältiges Handeln zu nehmen. Das spricht allerdings für sich. Das ist ungefähr so sorgfaltslos, wie wenn jemand 86 Jahre für fast 90 Jahre hält und man ihn deshalb für ganz durchgedreht hält.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Das ist im Moment offenbar Ihre Lage, mit der man leben muss.

Ich sage zu Beginn: Für mich gilt – und das sollte für uns alle gelten –, dass Stellen, die im Haushalt ausgewiesen sind, auch dazu da sind, besetzt zu werden. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich diesen Grundsatz nicht nur vertrete, sondern dass ich auch danach handele. Als ich im vergangenen Jahr die 18-monatige Stellenbesetzungssperre in der Finanzverwaltung aufgehoben habe, ist das von Ihnen nicht nur positiv begleitet worden. In den Augen von Herrn Witzel war die Aufhebung der 18-monatigen Beförderungssperre plötzlich eine Massenbeförderung.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Gleichzeitig fordern Sie auch eine attraktivere Finanzverwaltung. Was Sie bei solchen Debatten an Widersprüchen loslassen, darf man gerne sammeln und allen Interessierten zur Verfügung stellen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Es hat in der Vergangenheit ganz sicher Haushaltszwänge gegeben, die meine Vorgänger – im Übrigen einschließlich des CDU-Vorgängers – dazu veranlasst haben, mit dem Instrument von Stellenbesetzungssperren zu arbeiten. Wir haben es aufgehoben. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass ausgerechnet Sie, die überhaupt keinen Anlass gesehen haben, es aufzuheben, am lautesten schreien, sobald Sie aus der Verantwortung heraus sind. Das machen Sie aber nicht nur in diesem Punkt. Sie gehören zu denen, die nur einen Tag aus der Verantwortung sein müssen und dann mit allem, was davor war, nichts mehr zu tun haben wollen. Dann machen Sie nur noch Opposition, und machen Sie das ruhig auch weiterhin.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Gleichzeitig müssen wir sagen, dass es bei allem Einsatz für eine schnelle Besetzung – Herr Witzel, Sie haben dankenswerterweise auch darauf hingewiesen – Gründe dafür gibt, dass man Stellen nicht zu 100 % besetzen kann. Bei jedem Wechsel von einer Person zur anderen gibt es eine Phase, in der eine Stelle nicht besetzt ist. Wenn – das wissen wir auch – das Personal älter wird, dann ist die Zahl der Wechsel, die dadurch bedingt sind, dass jemand in Pension geht und jemand nachrückt, größer als üblich. Und dann ist auch die jeweilige Zeit, in der eine Stelle nicht besetzt ist, aufsummiert in einem Jahr größer als vorher.

Das müsste sogar dazu führen, dass die Stellenbesetzungsquote über die Jahre hätte leicht sinken müssen. Das hat sie aber nicht getan. Sie betrug – ich kann es noch einmal zitieren – in den Jahren 2005 96, im Jahr 2006 85, im Jahre 2007 96, 2008 95, dann 97 %. Wir können so weitermachen und werden dann feststellen: In den Jahren 2010, 2011, 2012 waren es immer 97, 98, 97 %. Jetzt hat es gerade eine leicht niedrigere Stellenbesetzungsquote gegeben. Die kann ich Ihnen auch noch einmal in anderen Zahlen darstellen. Es hat nämlich im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2010 jeweils 10.300 nichtbesetzte Stellen gegeben. In den Jahren danach bis heute sind es 6.900 nichtbesetzte Stellen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Hört, hört, hört!)

Jetzt ist für die Aufgabenerledigung nicht nur interessant, wie viele Stellen nicht besetzt sind, sondern auch, wie viele Stellen besetzt sind. Da spielt eine Rolle, dass wir – und das auch wieder gegen den großen Protest Ihrerseits – eine Menge Stellen geschaffen haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich erinnere nur – wir werden heute Nachmittag auch noch einmal über das Thema „Befristung“ reden – daran, an wie vielen Stellen wir alleine Stellen geschaffen haben, die es vorher gar nicht gab, obwohl die Menschen, die die Arbeit verrichtet haben, schon da waren, die sich aber nie sicher sein konnten, ob das Geld, das sie für ein Jahr bekamen, im nächsten Jahr auch noch kommt. Das nehmen Sie alles zum Anlass, heute zu kritisieren, obwohl Sie 2010 an dieser Stelle ein totales Chaos hinterlassen haben.

Wir redeten gerade über nichtbesetzte Stellen. Jetzt rede ich mal über besetzte Stellen. Da waren das 2007 278.000 und 2017 282.000. Das heißt, am Ende ist selbst mit einer relativ konstanten Stellenbesetzungsquote insgesamt die Zahl der Stellen größer geworden.

Sie haben hier immer das Beispiel der Lehrer und Lehrerinnen genannt. Am 1. Januar 2009 gab es 141.800 beschäftigte Lehrer. Am 1. Januar 2017 hatten wir 154.000 beschäftigte Lehrer, also 13.000 mehr, obwohl wir 200.000 Schüler weniger hatten. Das sind alles Dinge, die Sie jetzt mit Zahlen bespielen, die deutlich machen sollen: Die Versorgungsqualität habe nachgelassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das können wir jetzt für die Finanzverwaltung genauso weiterbetreiben. Heike Gebhard und Martin-Sebastian Abel haben die Zahlen schon genannt, wie viele es mehr sind im Bereich der Finanzverwaltung, wie viele es mehr sind im Bereich der Anwärter der Polizei. Sie haben eben dazwischengerufen, Sie hätten es ja verdoppelt. Ja, unsere Aufstockung von 1.100 auf 2.000 ist noch einmal fast eine Verdoppelung. Und das ist eine Verdoppelung, die in eine Größenordnung geht, in der sie spürbar wird und mit der nicht Lücken von vorher oder demografische Lücken halbwegs aufgewogen wird.

Ich bleibe bei der Aussage, dass Stellen, die nicht besetzt sind, besetzt werden müssen. Dann muss man aber auch sagen, dass nun einmal am 1. Januar – das sind ja alles Stichtagsbeobachtungen – Stellen, die kurz vorher eingerichtet worden sind, noch nicht besetzt sein können. Trotzdem müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um die Stellen, die wir ausgewiesen haben, weil wir die Versorgung bei Bildung, bei Sicherheit, in der Finanzverwaltung verstärken und verbessern wollen, zu besetzen. Dafür arbeiten wir. Da haben wir enorme Erfolge erzielt. Aber vor allen Dingen haben wir enorm viel dazugesetzt.

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass Sie vor zwei Jahren hier lautstark geschimpft haben, dass nicht 15.000 Stellen in der Verwaltung abgebaut würden. Wie leise sind Sie in den letzten Jahren geworden? Wie oft reden Sie jetzt in Einzelfällen darüber, wo es zu wenig ist? Das nennen Sie jetzt differenziert, Herr Witzel. Nur, das Differenzierte, was Sie jetzt alles verstärkt haben wollen, passt mit dem, was Sie vorher gerufen haben, als es um 15.000 weniger Stellen ging, überhaupt nicht zusammen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Insofern ist, glaube ich, alles zu diesem Thema gesagt. Es gilt, Stellen zu besetzen, dafür zu arbeiten. Es ist richtig, dass wir eine Menge Stellen geschaffen haben, dass wir dafür sorgen, nicht bloß die altersbedingten Abgänge aufzufangen, dass wir wissen, dass wir in einem Wettbewerb stehen, erst recht in wirtschaftlich guten Zeiten, mit Jobs außerhalb der öffentlichen Verwaltung. Daran arbeiten wir. Sie werden sehen, wir werden auch noch weitere Schritte tun, mit denen wir die Attraktivität dieser Verwaltung stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Seien Sie so nett, einen kleinen Augenblick am Pult zu bleiben. Der von Ihnen angesprochene Kollege Witzel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet und bekommt jetzt für 90 Sekunden das Wort. – Bitte, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Finanzminister, Sie haben mich gerade angesprochen. Ihnen ist bekannt, dass wir mehrfach im Plenum gesagt haben: Wir gönnen jedem Beamten seine Beförderung, die er sich mit Leistung verdient hat.

Das, was wir kritisiert haben, ist, dass Sie offenbar so viel Zutrauen in die Richtigkeit der neuen Frauenquote haben, dass Sie, nachdem sie beschlossen war, zwei Tage später nach alten Recht entschieden haben, in einem stark abgekürzten Verfahren binnen drei Wochen anderthalbtausend Stellen besetzen zu müssen. Wenn Sie sich doch so auf das neue Dienstrecht gefreut haben, hätten Sie ja nur alles regulär laufen lassen müssen. Dann wäre das anders ausgegangen.

Sie haben in der letzten Woche eingeräumt, dass, wenn Sie es alleine zu entscheiden gehabt hätten, Sie nicht alles eins zu eins bei der Ausgestaltung von § 19 LBG so gemacht hätten, wie das mehrheitlich in der Regierung entschieden worden ist.

Was mich aber mit Blick auf Ihre eigene Finanzverwaltung interessiert, ist der Umstand, dass Ihnen die Deutsche Steuer-Gewerkschaft ausdrücklich sagt: Es gibt ein Besetzungsproblem. Es fehlen Hunderte von Stellen. Das ist ein Risiko für Steuergerechtigkeit, für die Gleichmäßigkeit des Vollzugs von Gesetzen. – Nach den Zahlen, die Sie vorgelegt haben, ist seit dem Jahre 2010 in der Finanzverwaltung die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Besetzung noch nie so hoch gewesen wie im letzten Jahr 2016. Insbesondere im Kapitel OFD und Finanzämter ist die Anzahl der unbesetzten Stellen massiv gestiegen. Die tatsächliche Anzahl von besetzten Stellen …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ihre Redezeit, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): … ist seit dem Jahre 2010 um über 500 gesunken. Wie verträgt sich das mit den Zielen Ihrer Politik?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich fange mal mit dem Letzten an. Auch hier gilt wieder und vor allen Dingen die Frage der besetzten Stellen, wenn man in Abzug bringt, dass wir in der Zwischenzeit die Zuständigkeit für die Kraftfahrzeugsteuer abgegeben haben und damit ein Teil der Aufgaben auf die Bundesebene verlagert worden ist. Wenn man sich das vor Augen hält, dann ist auch die Zahl der besetzten Stellen gewachsen.

Dass wir es auf der anderen Seite in einer – ich sage es noch einmal – guten wirtschaftlichen Situation auf dem Arbeitsmarkt durchaus auch mit einer hohen Konkurrenz zu tun haben, das nehme ich zur Kenntnis. Wir arbeiten auch daran, dass die Attraktivität weiter gesteigert wird. Diese Landesregierung hat gerade in den letzten Haushalten die Finanzverwaltung gestärkt. Das ist im Übrigen – anders als Sie behaupten – in der Verwaltung und bei den Beamtinnen und Beamten und bei den Beschäftigten auch sehr gut angekommen.

(Lachen von Christof Rasche [FDP])

Ich weiß von vielen Stellen, bei denen Sie heute auftreten als die Wahrer der Interessen der Beamten, dass die wissen, wie die damalige Landesregierung mit Beamten umgegangen ist. Wenn ich auf der Regierungsbank sitze, höre ich ja manche Randbemerkung aus Ihrer Fraktion – nicht von Ihnen persönlich –, wenn über Beamte geredet wird. Wenn sie sich diese Zwischenrufe im Protokoll durchlesen, wissen die Beamtinnen und Beamten auch sicher, wer ihre Interessen vertritt und wer nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Noch ein Punkt zu § 19 Abs. 6: Ich habe auch im Ausschuss ganz deutlich gemacht, dass ich die Ziele dieses Paragrafen, die Ziele der Frauenförderung, absolut unterstütze. Ich habe aber genauso deutlich gemacht – dazu stehe ich auch –, dass ich die Verwerfungen, die sich durch diese übergangslose Zeit jetzt für meine Verwaltung ergeben haben, natürlich den Beamtinnen und Beamten gegenüber nicht gut finde, und alles dafür tun werde, dass ich das soweit wie möglich eindämme. Das möchte ich tun, indem ich insgesamt die Verwaltung stärke. Das möchte ich tun, indem ich bei den Zielen bleibe und diese Ziele auch gegenüber den Beamtinnen und Beamten vertrete. Das ist bis jetzt bei den vielen Besuchen, die ich vor Ort wahrgenommen habe, auch so angenommen worden und so angekommen. Jeder kritischen Diskussion darüber stelle ich mich gerne. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. Soweit die Kurzintervention und die Entgegnung darauf. – Nun hat sich für die CDU-Fraktion noch einmal Herr Kollege Dr. Optendrenk zu Wort gemeldet.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was die Kollegin Gebhard hier vorgetragen hat, war eine interessante Vermischung dessen, was wir auch ansonsten immer erleben, nämlich von Soll und Ist. Das Problem dieser ganzen Debatte – deshalb will ich Ihnen das an der Stelle noch einmal sagen – ist ganz klar das Problem von Soll und Ist.

Wir haben ein schönes Verhaltensmuster, an dem wir es an einem kleinen Baustein deutlich machen können. Der Minister hat auch wieder wortreich versucht, das ein Stück weit durch Allgemeinplätze und Willensbekundungen zu relativieren.

Die Frau Ministerpräsidentin hat von diesem Pult aus hier am 14. Januar 2016 erklärt, sie wolle mit der Landesregierung – und bitte das Parlament um beschleunigte Zustimmung – ganz schnell 500 zusätzliche Polizisten einstellen, Stichwort: Charlie Hebdo. Dann haben wir ein sehr vereinfachtes Verfahren gemacht, den Haushalt schnell zu genehmigen. Die Botschaft war: Wir wollen auch mehr Sicherheit. Wir wollen mehr Polizistinnen und Polizisten. Wir wollen die Ausbildungskapazitäten entsprechend erhöhen.

Ende 2016 ist der Status, dass wir etwa 1.600 Beamten- und Angestelltenstellen bei der Polizei unbesetzt haben und dass der gesamte Polizeibereich nicht nennenswert gestärkt ist. Von diesen 500 Stellen sind tatsächlich – und das ist die Auskunft der Landesregierung – nur 94 besetzt worden. Das heißt, 500 wurden Anfang 2016 versprochen, und am Ende des Jahres sind 94 besetzt. Wenn Sie in dem Tempo weitermachen würden, bräuchten wir zusammen die nächste Wahlperiode, damit die Ankündigung dieser 500 umgesetzt würde.

(Beifall von der CDU – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Was ist denn Ihre Lösung? Wollen Sie sich Polizisten backen oder was?)

Das ist genau der Punkt, um den es hier geht. Sie machen Luftblasen, Wolken und Ankündigungen, und die Fakten sprechen gegen Sie. Das werden die Leute auch merken. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Optendrenk. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/14399 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend –, an den Unterausschuss Personal, an den Innenausschuss, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist jeweils nicht der Fall. Die Überweisungsempfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

3  Attraktiver ÖPNV braucht attraktive Arbeitsplätze: Dumpinglöhne im ÖPNV verhindern, Entscheidungshoheit der Aufgabenträger erhalten und Bestand der kommunalen Verkehrsunternehmen sichern – Neues Personenbeförderungsgesetz braucht zeitnahe Zustimmung des Bundestages

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14394

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14511

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Becker das Wort. – Bitte schön.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 14. Dezember 2016 haben wir hier in diesem Plenarsaal das ÖPNV-Gesetz beschlossen. Das ist ein gutes Gesetz, mit dem wir Leistungen ausgeweitet haben, den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur besser gefördert haben, neue Fördertatbestände wie Barrierefreiheit oder E-Mobilität definiert und finanziell vernünftig hinterlegt haben und insgesamt den Zweckverbänden Planungssicherheit gegeben haben. Ein gutes Gesetz!

Das war möglich, weil die Landesregierung bei den Regionalisierungsmitteln gut verhandelt und zusätzliches Geld für unser Land und für den ÖPNV generiert hat.

Schon damals haben wir festgehalten: Wenn wir die soziale und finanzielle Sicherheit der Beschäftigten gewährleisten wollen, wenn wir die Entscheidungshoheit der Aufgabenträger erhalten wollen und wenn wir die Chancengleichheit der kommunalen Verkehrsunternehmen sichern wollen, dann brauchen wir über dieses gute ÖPNV-Gesetz hinaus eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes. Wir haben ja auch parallel zum ÖPNV-Gesetz die Landesregierung beauftragt, eine entsprechende Bundesratsinitiative zu ergreifen.

Der Bundesrat hat nun am 10. Februar in unserem Sinne beschlossen, und jetzt droht das Gesetz im Bundestag an der CDU-Fraktion zu scheitern. Das kann ja wohl nicht wahr sein!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie, die CDU-Landtagsfraktion, haben sich damals im Plenum bei der Abstimmung über den Antrag der Stimme enthalten, und Sie haben das damit begründet, dass die Bundesratsinitiative ja längst auf dem Weg sei. Inhaltlich waren Sie doch auf unserer Seite. Die CDU-Verkehrspolitiker aus Nordrhein-Westfalen in Berlin haben keine Möglichkeit ausgelassen, sich für die entsprechende Gesetzesänderung auszusprechen.

Im „Westfälischen Anzeiger“ vom 20. August 2016 ist zu lesen:

Der frühere NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke meldete sich von seinem Urlaubsort in Südfrankreich – Zitat –:

Das Thema haben wir auch in der CDU-Bundestags­fraktion auf dem Schirm. Dass private Busunternehmen über den Vorrang für den eigenwirtschaftlichen Linienbetrieb im Personenbeförderungsgesetz kommunale Busunternehmen vom Markt verdrängen möchten, das ist ein Missstand, der abgestellt gehört.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

– Vier Tage später, am 24. August – er war wohl schon aus seinem Urlaub zurück –,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das war schnell! – Michael Hübner [SPD]: Der war immer schnell!)

war in der gleichen Zeitung in einem Interview zu lesen:

Ich – also Wittke – hoffe, dass wir noch in dieser Legislaturperiode eine Veränderung des Personenbeförderungsgesetzes hinbekommen.

– Auf der Belegschaftsversammlung der Vestischen Straßenbahnen GmbH in Herten am ersten Advent – von der CDU war keiner da, aber wir waren da – hat Herr Wittke eine Solidaritätsadresse verlesen lassen, nach der er sich auch für die entsprechende Gesetzesänderung einsetzt.

Meine Damen und Herren, eine solche Doppelmoral lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sorgen Sie dafür, dass Herr Wittke und alle anderen, die sich in diesem Zusammenhang geäußert haben, Wort halten! Helfen Sie, dass die erfolgreiche Bundesratsinitiative zeitnah in den Bundestag eingebracht, beraten und beschlossen wird! Sonst verlieren Sie hier Ihren letzten Rest an verkehrspolitischer Glaubwürdigkeit. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die zweite antragstellende Fraktion, die der Grünen, spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich könnte direkt an den Kollegen Becker anschließen, würde aber gerne zu Anfang meiner Rede herzliche Genesungswünsche an den Kollegen Rolf Beu – sicherlich in Ihrer aller Namen – schicken, der jetzt möglicherweise zu Hause vor dem Stream sitzt. Der Stream wird sonst immer von den Piraten erwähnt; ich habe es nach fünf Jahren gelernt. Rolf Beu hatte leider einen schweren Unfall, einen Gartenunfall, und ist auf dem Weg der Genesung. Ich vertrete ihn heute. Denn normalerweise spricht Kollege Rolf Beu zu bahn- und ÖPNV-politischen Themen.

(Beifall von allen Fraktionen)

– Genau: Herzliche Grüße! Gute Besserung und hoffentlich bald wieder in dieser Runde!

Wir wollen mit diesem Antrag heute noch mal Schwung in Richtung Berlin geben, damit der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Viele Beschäftigte im Bereich der Verkehrsunternehmen bei den eigenwirtschaftlichen Betrieben sind betroffen; das hat Herr Kollege Becker eben deutlich gemacht. Damit unser im Dezember verabschiedetes ÖPNV-Gesetz hier im Land zur Wirkung kommen kann und die Punkte umgesetzt werden können, wäre es wichtig, dass Berlin, der Bundestag, dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet.

Wir wollen Wettbewerbsverzerrung und Lohndumping im ÖPNV verhindern. Es geht darum, soziale und finanzielle Sicherheit der Beschäftigten im ÖPNV zu gewährleisten. Wir haben die Debatte in den letzten Wochen intensiv erlebt – jedenfalls vor Ort. Es gab zahlreiche Briefe an uns als Abgeordnete und eine intensive Presseberichterstattung.

Wir haben diesen Ball aufgegriffen und wollen als Regierungsfraktionen noch mal unsere Absicht signalisieren, die Beschäftigten bei ihren berechtigten Interessen zu unterstützen und in Berlin die Bundesratsinitiative der Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und NRW zum Erfolg zu führen. Dazu wäre es wichtig und gut, dieses Signal heute noch mal vonseiten des Landtags NRW nach Berlin zu schicken. Wir laden natürlich alle herzlich ein, da mitzustimmen.

Zum Hintergrund: Der Gesetzentwurf ist deswegen notwendig, weil die Sicherung sozialer und qualitativer Standards infrage steht. Es muss frühestens 27 Monate vor Beginn der Genehmigungslaufzeit vorab bekannt gemacht werden. Diese 27 Monate werden auch benötigt, damit das Vergabe- und anschließende Genehmigungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Das führt zu diesem Zeitdruck. Deshalb muss der Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Wir bitten die regierungstragenden Fraktionen im Bundestag von NRW aus, aktiv zu werden.

Zum Abschluss meiner Rede will ich noch in Richtung unseres Koalitionspartners sagen: Solche Anträge können Sie auch in Zukunft immer mit den Grünen machen. Ob man solche Anträge mit der FDP in Regierungsverantwortung machen könnte, da habe ich so meine Zweifel.

(Lachen von Minister Michael Groschek)

Deswegen ist eine rot-grüne Koalition auch in der nächsten Legislaturperiode ein sicherer Garant,

(Zurufe von der SPD und der CDU)

damit auch in der nächsten Legislaturperiode die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen berechtigten Schutz bekommen. Dafür sind wir als Antragsteller immer zu haben. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Rehbaum das Wort.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig, der Sachverhalt der eigenwirtschaftlichen Anträge bereitet uns, bereitet den Mitgliedern sämtlicher Fraktionen Sorgen. Ich möchte das Problem in relativ einfacher Sprache darstellen. Unternehmen, die heute am Markt etabliert sind, sind in aller Regel tarifgebunden. Das sind sowohl die Kommunalen als auch die Mittelständler, die in unserem Bundesland im Einsatz sind.

Steht eine Liniengenehmigung zur Debatte, kann ein Marktneuling legal einen Antrag stellen, der auf einer Mindestlohnkalkulation beruht. Diese Marktneulinge sind in aller Regel Unternehmen aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland – nicht selten sind das Staatsunternehmen, die mit Staatsgeldern unterwegs sind –, und diese Wettbewerbsverzerrung ist nicht gut für den Markt.

Leidtragende sind die Beschäftigten, die beim Obsiegen eines eigenwirtschaftlichen Antrags mit Mindestlohnkalkulation gezwungen sind, dort einen Arbeitsvertrag zu Mindestlohnkonditionen zu unterschreiben. Leidtragende sind auch die Unternehmen, die dann ihre Konzession verloren haben sowie auf Betriebsmittel, Versorgungs-Verpflichtungen und Fahrzeugen sitzenbleiben. Denn dort gilt bekanntlich nicht § 613a HGB.

Es gibt hier also ungleiche Voraussetzungen. Wir brauchen aber Waffengleichheit im eigenwirtschaftlichen Wettbewerb.

Die CDU hat im ÖPNVG-Beratungsprozess einen Antrag eingebracht, der da lautete, dass repräsentative Tarife im Nahverkehr in den Nahverkehrsplänen vorgegeben werden sollen. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt gewesen. Diese Forderung findet sich im neuen ÖPNV-Gesetz auch wieder.

Das Problem an dieser Stelle aber ist: Wir haben die eigenwirtschaftlichen Anträge dort vielleicht abgehandelt, es gibt aber immer noch den großen Bereich der Fernlinienbusse, der Reisebusse und des freigestellten Schülerverkehrs. Dort finden sich teilweise nach wie vor menschenunwürdige Zustände mit Löhnen ganz nah am Mindestlohn und Unternehmen, die immer wieder an der Existenzgrenze kratzen.

Wir haben vonseiten der rot-grünen Landesregierung für diesen gesamten Bereich bisher keine Antwort bekommen. Das ist traurig.

Auch dieser Antrag für die PBefG-Änderung, der jetzt hier vorliegt, geht an den Problemen der privaten Busbranche – das betrifft Fernlinienverkehr, Reiseverkehr und freigestellter Schülerverkehr – vorbei. Das ist schade. Er berührt wirklich nur den gesamten Bereich Eigenwirtschaftlichkeit. Es gab auf Bundesebene einen Vorschlag des VDV, ein Kompromisspapier. Den hat die SPD in den Verhandlungen abgelehnt. Das ist schade. Man hätte dort zu einer Lösung kommen können.

Keine Lösungen haben wir also für Zigtausende Beschäftigte und mittelständische Unternehmen im Fernbus-, Reisebus- und Schulbusverkehr. Hier hilft kein rot-grünes Tariftreuegesetz, keine ÖPNVG-Novelle und keine Personenbeförderungsgesetzänderung. – Unter Rot-Grün gab es verlorene Jahre für die Beschäftigten in den privaten Busbetrieben. Und das ist schade.

(Beifall von der CDU)

Wir brauchen eine umfassende Lösung für die Branche der kommunalen Busverkehre sowie für die Branche der privatwirtschaftlich organisierten Busverkehre. Es muss ein für alle Mal Schluss sein mit der Abwärtsspirale für Beschäftigte und mittelständische Unternehmen im Busverkehr. Wir fordern die Landesregierung auf: Schieben Sie die Verantwortung nicht immer wieder nach Berlin ab. Kehren Sie endlich vor der eigenen Haustür.

(Beifall von der CDU)

Unser damaliger Arbeitsminister, Karl-Josef Laumann, hat für mehrere Branchen die Allgemeinverbindlichkeit erklärt, zum Beispiel für das Wach- und Sicherheitsgewerbe und für das Friseurhandwerk. Wir fordern: Die Landesregierung möge die Allgemeinverbindlichkeit für den Tarifvertrag für das kommunale Busgewerbe – TV-N – sowie für den des privaten Busgewerbes – NWO – erklären. Damit hätten Sie ein gutes Werk getan.

Sie können die Probleme in Nordrhein-Westfalen selber lösen. Sie immer nur nach Berlin zu schieben, ist nicht richtig. Wir können das hier alleine. Sie tun es nicht. Deswegen stellen wir diesen Antrag.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Nordrhein-Westfalen wahrlich genug Verkehrsprobleme: Rekordstaus, marode Straßen, marode Schienen, verspätete Züge. Darüber hinaus verlassen teilweise Unternehmen Nordrhein-Westfalen, weil sie gezwungen sind, ihre Produktion zu verlagern. Jetzt kommt ein Antrag der Koalition zur Verkehrspolitik, bei dem wir dachten: Hey, da kommen neue Lösungsansätze bzw. neue Ideen, wie wir diese Probleme lösen können. Mitnichten! Erneut waren Bürger, Pendler und Unternehmen von der Verkehrspolitik dieser Koalition enttäuscht, denn es geht um ein Thema, das in Nordrhein-Westfalen längst abgearbeitet worden ist.

Es gab am 7. Dezember 2016 – das wurde schon gesagt – von NRW, Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema. Der Bundesrat hat am 10. Februar dieses Jahres zugestimmt und die Initiative zur Beratung an den Deutschen Bundestag weitergereicht. Also Nordrhein-Westfalen ist da, was den Antrag von SPD und Grünen betrifft, jetzt raus. Die Aufgabe der SPD wäre es jetzt gewesen, in der Großen Koalition das Thema aufzugreifen und es zu einem vernünftigen Ergebnis zu bringen. Das scheint aus irgendwelchen Gründen nicht zu klappen, oder man hat es nicht versucht. Das aber zwei Monate vor der Wahl in dieses Plenum hineinzubringen, ist doch – das ist klar – reines Wahlkampfgetöse und sonst nichts.

Ich will noch einmal die Position der FDP darstellen, die Herr Klocke nicht inhaltlich beschrieben hat. Er hat davon gesprochen, dass es da gewisse Unterschiede gibt, und da hat er Recht.

Die FDP will im ÖPNV einen fairen Wettbewerb zwischen kommunalen Unternehmen auf der einen Seite und privaten Unternehmen auf der anderen Seite. Dazu gehört eine sachgerechte Entlohnung – das ist doch klar – sowie ein sparsamer und wirtschaftlicher ÖPNV. Auch das sollte selbstverständlich sein.

(Beifall von der FDP)

Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit gehört – das wissen Sie – für die FDP dazu.

Meine Damen und Herren, es gibt in der Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen sehr viele politische Baustellen. Damit sollte sich die Koalition bzw. dieses Hohe Haus beschäftigen – nicht mit längst erledigten Vorgängen.

Noch ein abschließendes Wort zum Kollegen Klocke: Er hat auf einen Antrag hingewiesen, mit dem nach seinen Worten SPD und Grüne gleiche Interessen in der Verkehrspolitik verfolgen. Meine Damen und Herren, ich finde diesen Hinweis absolut berechtigt; denn gleiche Interessen verfolgen SPD und Grüne in der Verkehrspolitik ganz selten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Rasche. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrtes Fahrpersonal! Sehr geehrte Fahrgäste am Stream! Wir haben eigentlich schon alles zum Thema besprochen. Im Dezember haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen ganz ähnlichen Antrag eingebracht, dem wir damals auch zustimmen konnten. Das haben wir auch deshalb getan, weil wir nicht wollen, dass die Interessen von Fahrgästen und Fahrpersonal gegeneinander ausgespielt werden.

Guter öffentlicher Verkehr ohne gute Arbeitsplätze geht nicht. Es ist egal, ob die Verkehrsleistung von einem öffentlichen oder einem privaten Unternehmen erbracht wird, und es ist egal, ob es sich an der Stelle um eine sogenannte eigenwirtschaftliche oder bezuschusste Verkehrsleistung handelt: Kundinnen und Kunden sowie Fahrpersonal gegeneinander in Stellung zu bringen und Ausschreibungen nur aufgrund von schlechten Arbeitsbedingungen oder schlechter Bezahlung zu gewinnen, geht nicht.

Hier werden sie außerdem noch missbraucht, um die Arbeitsstandards an anderer Stelle zu untergraben, was dauerhaft zu einem Unterbietungswettbewerb führt. Daran kann – da schließe ich mich Herrn Klocke an – eigentlich nur die FDP Spaß haben.

Wir wollen Wettbewerb. Der darf aber nicht auf dem Rücken der arbeitenden Menschen ausgetragen werden, sondern es muss um Qualität gehen. Wir machen uns stark für faire und auskömmliche Arbeitsplätze überall auf der Welt. Wir wollen, dass Menschen – egal, wo sie leben, und egal, in welcher Branche sie arbeiten – von ihrer Arbeit leben können, am besten sogar gut leben können. Das alles ist eigentlich so selbstverständlich, dass dahinter auch kein Aber kommen darf.

Gleichwohl gehört dieser Antrag in die Rubrik „Was soll das?“. Es gibt die Entscheidung des Bundesrats zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zur Sicherung von Qualitäts- und Sozialstandards im öffentlichen Personenverkehr. Dieser Gesetzentwurf ist auch auf Initiative Nordrhein-Westfalens erstellt worden. Er wird nun im Bundestag beraten und dort zur Entscheidung gebracht.

Glauben jetzt die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen tatsächlich, dass die Landesregierung gegen ihre eigene Initiative agiert und den Deutschen Bundestag einfach machen lässt? Wahrscheinlich nicht. So viel Realitätsnähe dürfen wir vermuten.

Was also soll der Antrag? Die Opposition prüfen? Nach der Rede von Herrn Becker bin ich davon ausgegangen: Alleiniger Grund könnte sein, die CDU hier zur Zustimmung zu bewegen, damit die Bundes-CDU dann auch entsprechend zustimmt. Das wäre aber doch – auch wenn sich der Antrag an die Landesregierung richtet – arg mutig in der Hoffnung, dass es klappt, und doof, wenn nicht.

Im Grundsatz haben wir einen ziemlich überflüssigen Antrag vorliegen, aber zumindest benennt er die richtigen Dinge. Ich empfehle daher natürlich die Zustimmung.

Wir haben auch noch einen Entschließungsantrag der CDU. – Herr Rehbaum, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie Ihre Rede noch abändern müssen. In § 613 HGB geht es um die Haftungsbeschränkung für kleine Schiffe.

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Aber im BGB sieht es schon besser aus.

Der Antrag ist ansonsten gut und trifft die richtigen Aussagen. Die Tarifgebundenheit als Ausschreibungskriterium ist eine wichtige Sache. Deshalb würde ich empfehlen, auch diesem Antrag zuzustimmen.

Bevor ich es vergesse, noch eine Sache: Es wäre natürlich komplett unangemessen, schlechte Arbeitsbedingungen nur bei den eigenwirtschaftlichen und überwiegend privat erbrachten Verkehrsleistungen zu vermuten. Die sich im öffentlichen Besitz befindlichen Verkehrsunternehmen tun sich ebenfalls schwer, gute Arbeitsplätze anzubieten. Häufig genug werden sie von den Kommunen dazu genötigt, eine Kostenbezogenheit zu etablieren, die beinahe zulasten der Beschäftigten gehen muss.

Hier ist zum Beispiel die EVAG in Essen zu nennen, die zwar ihren beiden Chefs gerne einen ganz großen Extraschluck aus der Pulle gegönnt hätte, aber gleichzeitig nicht in der Lage ist, den Kolleginnen und Kollegen in den Bussen und Bahnen entfristete Jobs anzubieten. Am Ende musste sie sogar einen Notfahrplan aufstellen, weil sie aufgrund einer verfehlten Personalpolitik nicht genügend Fahrerinnen und Fahrer zur Verfügung hatte.

Wir wissen, das gibt es auch im SPNV, zumindest bei privaten Unternehmen. Das hat nichts mit dem Antrag von Rot-Grün zu tun, aber viel mit der Wirklichkeit, an der die Räte aller Farben Schuld haben. Deshalb bitte ich auch hier, da Sie ja nicht nur im Bund Einfluss haben, sondern vielleicht auch im kommunalen Bereich, um Ihr Wirken. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Herr Kollege Bayer, und erteile für die Landesregierung Herr Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zwei Vorbemerkungen, eine gerichtet an den Kollegen Beu: Lieber Rolf, steig demnächst lieber aufs Motorrad statt auf die Leiter; du wirst gesünder durchs Leben kommen.

(Henning Rehbaum [CDU]: Aber nur mit Biodiesel!)

Zweite Bemerkung: Als Generalsekretär weiß ich, dass Stimmungen und Stimmen zwei Paar Schuhe sind. Deshalb waren manche Hinweise sozusagen sehr früh am Tag. Ich habe den Beitrag des Kollegen Christof Rasche als Hinweis darauf empfunden, was denkbar ist. Denkbar ist die Fortsetzung einer erfolgreichen Politik, auch bei diesem Beispiel.

Wir haben Rot-Grün in der Frage des Schutzes der eigenwirtschaftlichen Verkehre kommunaler Verkehrsunternehmen positioniert. Im Wettbewerb durch die Europäische Union gab es eine zehnjährige Übergangsfrist, die sehr viele Unternehmen genutzt haben. Diese läuft in 2019 aus. Zur Vorbereitung der Ausschreibung ist es zwingend, den Prozess im September dieses Jahres zu beginnen. Das Recht, das im September dieses Jahres gilt, bestimmt die Spielregeln für die Vergabe.

Die Spielregeln gestatten heute Sozialdumping statt Sozialstandards. Das wollen wir verhindern, das wollen wir vermeiden. Es gab dazu eine Übereinkunft in der Großen Koalition. Aber der Großen Koalition in Berlin muss man hier Beine machen. Die Zeit wird kurz, der 24. September 2017 rückt näher. Wir brauchen aber noch in dieser Wahlperiode des Bundes die Klarstellung, die der Bundesrat gefordert hat. Deshalb ist es gut und richtig, wenn der Landtag die Landesregierung auffordert, erneut tätig zu werden und sich an die Verantwortlichen auf Bundesebene – in Bundesregierung und Bundestag – zu wenden, um dieses Gesetzgebungsvorhaben zu priorisieren.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen große Unternehmen, die glauben, geschützt zu sein: BOGESTRA, KVB, Dortmunder Stadtwerke. Da ist der vermeintliche Schutz durch die Straßenbahnlinien gewährleistet, die als vergabekritisch für dumpingbegehrende Unternehmen gesehen werden.

Es gibt aber auch viele andere Unternehmen – lassen wir einmal dahingestellt, ob dieser Schutz so wirksam ist –, die „Straßenbahn“ im Namen tragen, aber gar keine Straßenbahnen mehr haben. Die Straßenbahnbetriebe Herne-Castrop-Rauxel fahren nur mit Bussen. Im Vestischen oder in Hagen nennen sich die Unternehmen „Straßenbahnbetrieb“, fahren aber nur mit Bussen. Sie sind konkret bedroht durch unfaire Wettbewerbsbedingungen.

Deshalb sollten wir entlang der Linie „Kein ‚Privat vor Staat‘ – ‚Privat vor Stadt‘ zu unlauterem Wettbewerb“ einen Antrag verabschieden, der eine deutliche Positionierung des Landtags vornimmt und verhindert, dass sich die CDU zu billig aus der Verantwortung stiehlt.

(Beifall von der SPD)

Herr Rehbaum, Sie haben doch eine klare Positionierung: Sie haben die Katholische Arbeiterbewegung – Sozialausschüsse statt Verdrängungswettbewerb – positioniert. Warum ziehen Sie sich jetzt von dieser Position zurück? Zeigen Sie doch hier ganz konkret soziale Verantwortung!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nehmen Sie die wahr, dann kommen wir zueinander in diesem Punkt, und allen Beschäftigten der kommunalen Betriebe wäre geholfen. Ich fände es gut, wenn diese Beschlussfassung einvernehmlich stattfinden könnte. – Vielen Dank!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar stimmen wir erstens ab über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14394, weil die antragstellenden Fraktionen die direkte Abstimmung beantragt haben, also Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen: Wer ist dafür? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schwerd. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. – Gibt es Enthaltungen? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14394 angenommen.

Zweitens stimmen wir ab über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/14511. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? – Das sind die CDU-Fraktion und die Piratenfraktion. – Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen. – Wer enthält sich? – FDP-Fraktion und der fraktionslose Kollege Schwerd. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/14511 abgelehnt.

Bevor wir in den Tagesordnungspunkt 4 eintreten, darf ich Ihnen den Hinweis geben, dass die CDU-Fraktion ihren Antrag Drucksache 16/14404 „Neujustierung der Hochschulpolitik für Nordrhein-Westfalen“, den wir unter Tagesordnungspunkt 12 debattieren wollten, zurückgezogen hat. Der Tagesordnungspunkt 12 entfällt.

Ich kann die allgemeine Enttäuschung derjenigen nachvollziehen, die sich auf die Debatte heute zu vorgerückter Stunde gefreut hätten. Aber mit dieser Enttäuschung werden wir alle leben müssen. Also bitte in die Fraktionen weiterleiten, wo das noch nicht geschehen ist: Tagesordnungspunkt 12 entfällt.

Wir kommen zu:

4  Ideologische Blockaden dürfen den Wirtschaftsstandort NRW nicht länger beschädigen – Landesregierung muss endlich Impulse für Wachstum und Beschäftigung setzen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14389

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstes dem Redner für die antragstellende FDP-Fraktion, Herrn Kollegen Brockes, das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Brockes!

Dietmar Brockes (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Januar dieses Jahres hat die Bezirksregierung Münster die Betriebserlaubnis für das Kraftwerk Datteln 4 erteilt. Jetzt könnte man meinen, dass mit der Entscheidung ein gut und gerne zehnjähriger Planungs- und Genehmigungszeitraum zu einem Abschluss gefunden hätte, doch dem ist mitnichten so.

Erinnern wir uns: Im Landtagswahlkampf 2010 kam der frühere Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin nach Datteln, um zu verkünden: Jeder, der mit den Grünen koalieren will, muss sich darauf einstellen, dass dieses Investment nicht zu Ende gebaut wird. – So wird er in der „FAZ“ zitiert.

Getreu dieser Ansage hat Umweltminister Remmel in den vergangenen sieben Jahren unentwegt die gesamte Maschinerie seines Ministeriums und der nachgeordneten Behörden eingesetzt, um die Verwirklichung des Projekts zu verhindern. Über Jahre drohte deswegen eines der modernsten und umweltfreundlichsten Steinkohlekraftwerke der Welt zur größten Industrieruine Europas zu werden.

Und nun, kurz vor der Vollendung, haben die Grünen ein neues Verhinderungsinstrument gefunden: Auf Anweisung des Umweltministeriums wurden Emissionswerte für Quecksilber festgelegt, die sehr viel strenger sind als die künftigen, durchaus ambitionierten gesetzlichen Grenzwerte. Sie sind so gewählt, dass sie im Betrieb wohl kaum einzuhalten sein werden.

Lassen Sie mich ganz klar sagen – damit wir nicht falsch verstanden werden –: Der Gesundheitsschutz steht an erster Stelle, und Quecksilberemissionen müssen selbstverständlich gesenkt werden – aber doch bitte auf fachlicher und seriöser Grundlage!

Ich weiß, dass dies den Kollegen von den Grünen schwerfällt. Deshalb hören Sie gut zu: Sie fordern bei diesem Thema stets, die amerikanischen Grenzwerte zu übernehmen, wohl wissend, dass die Werte mit anderen Reinigungsverfahren bei uns nicht eins zu eins umgesetzt werden können, und wohl wissend, dass das Gutachten, auf das sich die Genehmigung bezieht, auch in diesem Punkt fehlerhaft ist.

Aber, meine Damen und Herren, Datteln 4 ist kein Einzelfall. Es ist vielmehr nichts anderes als ein Symbol für die grüne Industriepolitik. Der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Arndt Kirchhoff fragte kürzlich: Soll Nordrhein-Westfalen Industrieland bleiben oder Naturschutzreservat werden? NRW brauche ein neues Grundempfinden für Wirtschaft. – Recht hat er! Und wenn Sie heute die Mitteilung des Bundesverbands Mittelständischer Wirtschaft lesen, dann stellt man fest: Dort wird das genauso eingefordert.

Bleiben wir aber zunächst in Datteln und bei der Blutgrätsche von Minister Remmel, Herr Kollege Müller. Das landwirtschaftliche Vorkaufsrecht sollte instrumentalisiert werden, um das von den Ideologen bekämpfte newPark-Projekt nach vielen Anläufen im letzten Moment doch noch zum Scheitern zu bringen. Dieses Kunstgriffs bedarf es heute übrigens nicht mehr: Mit dem neuen Naturschutzgesetz haben die Grünen ein Vorkaufsrecht für die Stiftungen der Naturschutzverbände geschaffen; das Verhindern von Investitionen wurde auf diese Weise von Rot-Grün gesetzlich geregelt.

Ganz ähnlich wurde die von den Grünen erzwungene Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler mit der Leitentscheidung besiegelt. Zu Recht warnt Verkehrsminister Groschek allenthalben vor der „Durchgrünung“ der Gesellschaft, die der für unser Land lebensnotwendigen Infrastruktur immer neue Hürden auferlegt. Wirtschaftsminister Duin sprach derweil von „grünen Verhinderern“. In der Zeitung konnte man ihn mit den Worten lesen, man müsse Genehmigungsverfahren entgrünen, entschlacken und verkürzen.

Die Realität dieser Landesregierung sieht jedoch anders aus –

(Zuruf von Kai Schmalenbach [PIRATEN])

sei es bei den Veröffentlichungspflichten im Internet, bei Beschränkungen im neuen Landesentwicklungsplan, beim Klimaschutzgesetz oder bei Grenzwerten wie bei Datteln, die weit über die gesetzlichen Maximalstandards hinausgehen.

Damit muss endlich Schluss sein! Hier muss endlich gegengesteuert werden. Deshalb bitte ich um Unterstützung für unseren Antrag. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Für die SPD-Fraktion spricht als nächster Redner Herr Kollege Hübner.

Michael Hübner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brockes, das war ein wirklich fulminanter – wie haben Sie das vor einigen Jahren mal genannt? – Entfesselungsimpuls, den Sie hier zum Besten gegeben haben. Wirklich fulminant!

(Heiterkeit von Torsten Sommer [PIRATEN] und Minister Johannes Remmel)

Falls Sie sich an den Entfesselungsimpuls nicht mehr erinnern, frische ich Ihre Erinnerung ein wenig auf: Das war Ihr Vorschlag zur Wirtschaftspolitik. Ihre Partei hat seinerzeit gesagt: Wir müssen eine Ausgabe in den Haushalt einstellen und die Wirtschaft so richtig entfesseln. – An diesen Impuls habe ich mich gerade erinnert gefühlt.

Im Titel Ihres Antrag heißt es: „Ideologische Blockaden dürfen den Wirtschaftsstandort NRW nicht länger beschädigen“. Dazu haben Sie sich ein Beispiel herausgesucht.

Ich fange aber erst einmal mit Folgendem an: Sie haben gerade von der „Blutgrätsche von Herrn Remmel“ gesprochen. Richtig wäre gewesen: „an Herrn Remmel“. Denn die Blutgrätsche – da muss ich meinen Kollegen Hans-Peter Müller ausdrücklich in Schutz nehmen – hat er ausgesprochen.

(Beifall von Dietmar Brockes [FDP])

– Da applaudiert Ihre Fraktion jetzt sehr bescheiden, wie ich finde.

(Heiterkeit von der SPD)

Wir haben die eine oder andere Diskussion mit dem Kollegen Müller darüber gehabt. Ich sage ganz offen: Auch der Kollege Müller erkennt an, dass sich diese Landesregierung auf den Weg gemacht hat, das in der Tat modernste Steinkohlekraftwerk, das aktuell leider keinen Bahnstrom produzieren kann, zu genehmigen. Die vorherige Landesregierung hat das allenfalls behauptet. Auch E.ON hat sich allenfalls auf mündliche Zusagen von der damaligen Landeswirtschaftsministerin verlassen. Das war die Sachlage, vor der wir 2010 gestanden haben. Wir hatten keinen vernünftigen Landesentwicklungsplan, der ermöglicht hätte, ein Kraftwerk mit dieser Kapazität und in dieser Größenordnung zu genehmigen.

Wir haben seitdem sehr aufwendig – der Kollege Ellerbrock weiß, wie schwierig es ist, die Ausgleiche anzustellen –

(Zustimmung von Holger Ellerbrock [FDP])

und sehr intensiv geschaut, wie wir ein Zielabweichungsverfahren – das ist die technische Art und Weise, wie man so etwas auf den Weg bringt – durchführen können. Dazu gehörte übrigens auch, dass wir die Gespräche – ich beziehe den Kollegen Hovenjürgen ein – auch beim RVR darüber geführt haben; das ist mittlerweile die zuständige Planungsbehörde, die sich früher in Münster befand. Das macht darüber hinaus deutlich, dass das ein sehr schwieriges Verfahren ist. Dass man sich nicht auf mündliche Zusagen verlassen kann, sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Dieser Landesregierung und auch Herrn Remmel gebührt großer Respekt, sich dieses Themas angenommen zu haben. Das hat nichts mit ideologischen Scheuklappen zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, dass wir anerkennen, dass wir in dieser Region große Stromproduzenten brauchen – insbesondere auch für die Lieferung von Bahnstrom. Das will ich ausdrücklich sagen. Die Landesregierung ist hier einen richtigen Weg gegangen.

Wenn wir uns dieser Region nähern – das wäre bei allen ideologischen Scheuklappen, die Sie früher bei „Privat vor Staat“ gern vor sich hergetragen haben –,

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wie eine Monstranz!)

wäre es sinnvoll, dass Sie sich zunächst in der Region anschauen, was darüber hinaus notwendig ist.

Lieber Herr Kollege Hovenjürgen, dazu gehört auch, dass wir die Infrastrukturmaßnahmen in der Region auf den Weg bringen. Dazu gehört die B474n. Eingeleitet wurde die Planfeststellung für Teilbereiche der B474n. Das ist ein richtiger Weg. Wir brauchen die Infrastruktur, um newPark zu ermöglichen. Auch da wird, ideologisch gefärbt, gesagt, die Landesregierung sei gar nicht so sehr dafür. – Wir haben andere Probleme, die sich auch aus der Landesplanung ergeben – im Zusammenhang mit Datteln 4, aber auch mit anderen Emittenten aus der Region. Auch da werden wir einen nachvollziehbaren Weg beschreiten, um zu ermöglichen, dass in dieser Region auch weiterhin großindustrielle Ansiedlungen möglich sind.

Dazu gehört – das ist keine Frage – Datteln 4 als einer der Standorte. Dazu gehört übrigens auch – das wird gerne vergessen – die Fernwärmeversorgung von großen Teilen des nördlichen Ruhrgebiets. Wir sind froh, dass wir die Initiative gestartet haben, um die Fernwärmeversorgung im gesamten Ruhrgebiet auf den Weg zu bringen. Wir sind da einen richtigen Weg gegangen.

Das alles hat mit ganz vielen Aspekten zu tun. Das hat vor allen Dingen damit zu tun, dass wir sorgfältige, abgewogene Arbeit machen. Ideologische Scheuklappenarbeit haben Sie vorher geleistet, indem Sie leichtfertig irgendwelche Zusagen gemacht haben, die in keiner Art und Weise durch Arbeit belegt worden sind. Wir haben die Arbeit geleistet. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Herr Kollege Hübner, und erteile für die CDU-Fraktion als nächstem Redner Herrn Kollegen Hovenjürgen das Wort.

Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Hübner, da haben Sie Ihrem Ruf als Schönredner Ihrer Fraktion alle Ehre gemacht. Was Sie gerade an Herrn Remmel gelobt haben – und das aus dem Mund eines Sozialdemokraten. Wenn Sie sich mit den Fakten auseinandersetzen, dann wissen Sie, dass Herr Remmel schon jetzt wieder den Knackpunkt in die Genehmigung hat hineinschreiben lassen.

Sie wissen, dass der Quecksilber-Grenzwert für Neubauten von Kraftwerken bei 0,01 mg/m3 liegt. Herr Remmel hat jetzt veranlasst, dass in die Genehmigung der Wert von 0,002 mg/m3 hineingeschrieben werden soll. Das ist eine fünffache Unterschreitung dieses Grenzwerts, die mit dem Minimierungsgebot begründet wird.

Man kann vielleicht so vorgehen, und es hat ja auch Gespräche mit dem Unternehmen Uniper gegeben. Man hat dort gesehen: Wir wollen uns anstrengen. Wir wollen den Grenzwert von 0,01 mg/m3 unterschreiten. Wir sehen uns in der Lage, den Wert von 0,004 mg/m3 erreichen zu können. – Nichts da! Sie schreiben 0,002 mg/m3 hinein, wohl wissend, dass dieser Wert so gut wie nicht erreichbar sein wird.

Das ist Verhinderungsplanung par excellence!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und Sie, Herr Hübner, sind der Steigbügelhalter einer solchen Politik, liebe Freundinnen, liebe Freunde, oder vielmehr: liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Entschuldigung – ich wollte Sie nicht alle zu Freunden erklären; das wäre an der Stelle auch nicht angemessen.

Die B474n hat Herr Hübner ebenfalls angesprochen. Wenn Sie wissen, dass die B474n von den Menschen in Datteln und Waltrop dringend benötigt wird, und wenn Sie wissen, dass die Menschen in Waltrop bei einer Abstimmung über diese Straße, diese Verkehrsader, die errichtet werden muss, bei einer Wahlbeteiligung von 68 % mit 78 % für die Straße gestimmt haben, dann muss man sagen: Es ist unsäglich, welchen Prozess diese Verkehrsplanung durchlaufen muss.

Ebenso ist es unsäglich, dass schon heute klar ist: Selbst wenn ein positives Urteil ergeht, wird der BUND mittels Grunderwerbs durch Herrn Dr. Thomas Krämerkämper dafür sorgen, dass er die Trassenführung weiterhin blockieren kann und im Rahmen von Normenkontrollverfahren so gut es geht unmöglich macht.

Das ist Wirtschaftspolitik „par excellence“, wie sie zurzeit von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen betrieben wird. Deswegen noch einmal: Herr Hübner, dass Sie bei dem, was Sie hier von „gelungener Wirtschaftspolitik“ erzählen, nicht rot werden! – Aber rot sind Sie schon, das können Sie also nicht mehr werden.

Fakt ist: Wir konstatieren bei Herrn Remmel permanent den Versuch, infrastrukturelle Maßnahmen und Infrastruktur überhaupt zu untergraben und zu unterminieren. Wir sind inzwischen so weit, dass der Außenbereich auch infolge des neuen Naturschutzgesetzes kaum noch nutzbar ist. Wir haben die Situation, dass wir im Innenbereich wegen des geltenden Baurechts so gut wie nicht agieren können.

Herr Hübner, seit 2010 haben wir in Nordrhein-Westfalen 3.800 Hektar Industrie- und Gewerbefläche verloren. Das wird weniger, die sind weg, die sind nicht mehr da! Und warum? – Weil wir eben ein Baurecht vorhalten, das dazu führt, dass Wohnen und Arbeit nicht mehr zusammengehen. Früher sind die Menschen zur Arbeit gezogen, haben sich dort niedergelassen; so ist das Ruhrgebiet entstanden. Mit dem heutigen Baurecht ginge das gar nicht mehr.

Aber was machen wir? Wir lassen es so bestehen. Im politischen Raum wird niemand dazu bereit sein, das Bundes-Immissionsschutzgesetz zugunsten von Industrieansiedlungen im Verhältnis zur Wohnbebauung zu ändern. Im politischen Raum wird niemand bereit sein, den Abstandserlass des Landes Nordrhein-Westfalen zugunsten von Industrieansiedlungen und zulasten von Abständen zur Wohnbebauung zu ändern.

Also bleibt es erst einmal bei diesem negativen Weg – es sei denn, man wäre bereit, den Bestandsschutz für Unternehmen im Ballungsraum nicht nur auf das Unternehmen selbst, sondern auch auf die Fläche, auf dem es sich befindet, zu erweitern. Diesen Versuch haben die Großkoalitionäre in Berlin unternommen. Wer hat es abgelehnt? – Die Sozialdemokraten. Das ist doch eine Doppelzüngigkeit! Sie reden von Arbeitsmarkt, von Wirtschaftspolitik und machen gerade für unsere Region das Gegenteil. Das ist doch ein Armutszeugnis!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, die Menschen in unserem Land merken das. Wenn Sie im Bereich Emscher-Lippe-Region – nicht ganz zu Unrecht – einen sozialen Arbeitsmarkt fordern, dann kann man das tun; das ist die eine Perspektive. Sie ist für mich aber nicht die maßgebliche Perspektive; die maßgebliche Perspektive für Menschen in Nordrhein-Westfalen muss Arbeit im Ersten Arbeitsmarkt sein.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie müssen die Chance haben, mit eigener Arbeit, in einem festen Arbeitsverhältnis mit guten Arbeitsbedingungen ihr Leben selbst zu gestalten. Dazu leisten Sie in dieser Koalition keinen Beitrag. Es wird Zeit, dass das beendet wird!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion der Grünen erteile ich Frau Kollegin Brems das Wort.

(Michael Hübner [SPD]: Ihr hättet das längst auf den Weg bringen können! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihr seid sieben Jahre lang in der Regierung! Ihr habt es doch in Berlin abgelehnt!)

Wibke Brems (GRÜNE): Wir warten noch einen Augenblick?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Fangen Sie ruhig an, Frau Kollegin. Die Debatte im Plenum wird sich beruhigen.

Wibke Brems (GRÜNE): Ich wollte diese Diskussion im Plenum nicht unterbrechen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Machen Sie es ruhig!

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Damen und Herren! Der Hinweis von der FDP auf das Nullwachstum der NRW-Wirtschaft ist, ehrlich gesagt, längst nicht mehr aktuell.

(Christof Rasche [FDP]: In der Industrieproduktion ist das immer noch so!)

In der Rede haben Sie es deswegen auch gar nicht mehr angebracht, sondern Sie sind nur auf einzelne Aspekte eingegangen.

Wenn wir uns das einmal genau anschauen, stellen wir fest: Im ersten Halbjahr 2016 betrug das BIP in Nordrhein-Westfalen 2,1 % und lag damit annähernd auf Bundesniveau. Ein Fünftel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts wird in Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet. Ich könnte noch weitere Aspekte bringen.

Es geht darum, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen jetzt mit 9,7 Millionen Erwerbstätigen so viele Menschen in Arbeit haben wie nie zuvor. Wir sind spitze, was das Thema „gewerbliche Existenzgründungen“ angeht.

(Beifall von den GRÜNEN und des Abgeordneten Hübner [SPD])

Das heißt nicht, dass es nicht noch besser ginge. Diese Zahlen zeigen jedoch ganz klar: Es gab hier in Nordrhein-Westfalen in den letzten sieben Jahren rot-grüner Regierung keine ideologische Blockadepolitik.

Sie sprechen die Infrastruktur an. Bei der Straßeninfrastruktur haben wir die Planungskapazitäten und auch die Mittel des Landesbetriebs Straßen.NRW für externe Ingenieurleistungen massiv erhöht. Der eingeschlagene Weg, Straßenerhalt vor Straßenneubau zu stellen, muss weiter konsequent beschritten werden; das ist eine ganz klare Linie.

Zur Infrastruktur gehören aber nicht nur Steine und Beton, sondern dazu gehört auch die digitale Infrastruktur. Wir investieren bis 2018 bis zu 500 Millionen € in den Breitbandausbau, damit wir auch weiterhin die Nummer eins unter den bundesdeutschen Flächenländern bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN und des Abgeordneten Hübner [SPD])

Ich hätte erwartet, dass Sie auf solche Punkte eingehen, wenn Sie einen Antrag mit einer solchen Überschrift einbringen. Sie aber haben in dem Antrag zum einen nur Halbwahrheiten aus einer einseitigen Sichtweise verbreitet und machen zum anderen – auch im Antrag kommt das immer wieder vor und ist entlarvend – die Lage der Wirtschaft von einem fehlgeplanten Kraftwerk abhängig. Das ist so was von lächerlich!

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Sie holen hier ein Thema wieder aus der Mottenkiste, das Sie am Anfang der Legislaturperiode rauf und runter gespielt haben.

Zum Kraftwerk Datteln und Ihren Behauptungen im Antrag: Nur, weil das Kraftwerk schon so gut wie fertig gebaut ist, heißt das noch lange nicht, dass man Grenzwerte und die Gegebenheiten vor Ort einfach außen vor lassen kann. So sind zum Beispiel die Quecksilberwerte in der Region hoch, und das Kraftwerk Datteln wurde nun einmal neben einem FFH-Gebiet gebaut, das besonderen Schutzcharakter verdient.

(Herbert Franz Goldmann [GRÜNE]: Das habt ihr auch genehmigt!)

Auch wir Menschen müssen vor Quecksilber geschützt werden; denn Quecksilber ist ein Schwermetall, das sich bei uns allen im Körper ansammelt, vor allen Dingen aber bei Schwangeren bzw. deren ungeborenen Kindern zu extremen Schäden, beispielsweise am Gehirn, führen kann.

Es gibt eine Technik, mit der die Quecksilberemissionen reduziert werden können. Diese Technik wurde in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Sie wird in den USA längst eingesetzt – und das soll hier nicht gehen? Das soll mir bitte einer erklären!

Sie gehen dann weiter auf Quecksilber und auch auf Garzweiler ein. Liebe FDP – Herr Hovenjürgen, Sie waren gerade bei Ihren Äußerungen auch nicht viel besser –, dass Sie es nicht so mit dem Schutz der Umwelt und dem Schutz der Menschen haben, ist ja keine Neuigkeit. Doch ich frage mich ganz ernsthaft: Was wollen Sie eigentlich atmen, essen und trinken, wenn Sie mit Ihrer ideologischen Wirtschaftspolitik unsere Lebensgrundlage kaputt gewirtschaftet haben?

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir brauchen doch eine Wirtschaftspolitik, bei der nicht Wachstum über allem steht, sondern Menschen und Umwelt ebenfalls wichtig sind. Dann haben wir es wirklich mit Nachhaltigkeit zu tun, und die Zukunftsfähigkeit von uns, zukünftigen Generationen und unserer Wirtschaft kann gesichert werden. Sie sind da komplett anderer Meinung.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie.

Wibke Brems (GRÜNE): Ich bin beim letzten Satz.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ja, ich ahnte es. Deshalb würde ich Ihnen gerne noch mitteilen, dass Herr Kollege Hovenjürgen Ihnen sehr gerne eine Frage stellen möchte.

Wibke Brems (GRÜNE): Eine Kurz-vor-Ende-Frage. Bitte schön.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Wie auch immer. – Herr Kollege, bitte.

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Kollegin Brems und Herr Präsident, herzlichen Dank dafür, dass diese Zwischenfrage möglich ist. – Frau Kollegin Brems, ich hatte in meiner Rede ausgeführt, dass der Grenzwert für neue Kraftwerke 0,01 mg/m³ beträgt und Uniper in Gesprächen mit dem Ministerium angeboten hat, einen Wert von 0,004 mg/m³, also eine deutliche Unterschreitung dieses Grenzwerts, zu liefern. Trotzdem hat das Ministerium auf einem Wert von 0,002 mg/m³ bestanden.

Insofern ist das ein deutlicher Hinweis des Unternehmens gewesen, alle Anstrengungen zu unternehmen. Trotzdem unterläuft man noch einmal den Ansatz. Ich finde das im Umgang – das gilt auch für das, was Sie jetzt hier ausgeführt haben – nicht ganz fair.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das interpretieren wir jetzt einmal als Frage.

Josef Hovenjürgen (CDU): Als Frage. Entschuldigung. Zum Schluss stand ein Fragezeichen, Herr Präsident. Sie haben vollkommen recht.

Wibke Brems (GRÜNE): Okay. Ich habe die Frage schon irgendwie gehört. Aber ich will an dieser Stelle noch einen Punkt deutlich machen. Man muss dann in einer Region nicht nur das eine Kraftwerk betrachten, sondern die Region an sich

(Michael Hübner [SPD]: Das hat er doch gerade gesagt!)

mit weiteren Kraftwerken in der Umgebung und allem, was da sonst noch ist. Ehrlich gesagt, war ich bei Gesprächen mit dem Unternehmen nicht dabei. Ich kann hier nicht für das Ministerium sprechen. Das werden Sie mir sicherlich zugestehen.

Sie haben aber an meinen Ausführungen eben gemerkt, dass wir hier auf keinen Fall zusammenkommen. Deswegen lehnen wir natürlich Ihren Antrag ab. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Dieser Antrag der FDP ist in mancherlei Hinsicht durchaus bemerkenswert. Im Titel und auch weiter im Text ist von ideologischen Blockaden die Rede. Das ist ein deutlicher Ausdruck einer eher postfaktischen Empörung, was im Folgenden zu begründen sein wird.

(Michael Hübner [SPD]: Danke!)

In der wirtschaftspolitischen Rationalität und Argumentationslogik der FDP gelangt eine ausgeprägte Nähe zur neoklassischen Wirtschaftstheorie zum Ausdruck –

(Heiterkeit von Michael Hübner [SPD])

zugegeben mit gelegentlichen kleineren Abmilderungen, die dann aber an Schwammigkeit in den Aussagen nichts zu wünschen übrig lassen.

(Beifall von den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Ich referenziere hier konkret auf einen Beitrag in „DIE ZEIT“ vom 6. Januar 2017 mit dem Titel „Lindners Weg ins Ungefähre“. So ziemlich das Einzige, was nicht ungefähr ist, ist die Ausrichtung der FDP an der Neoklassik. Das hat sie mit dem SVR, den Sachverständigen aus dem Wirtschafts-Waisen-Haus, gemeinsam. Gewissermaßen als Adepten, also als Individuen, denen im Spätmittelalter in der Alchemie unterstellt wurde, den Stein der Weisen gefunden zu haben und somit die Herstellung von Gold zu beherrschen, interpretieren die FDPler die neoklassische Schule der Volkswirtschaftslehre als wissenschaftlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lieber Herr Brockes, einmal eine Frage: Ist Ihnen folgende Zahl bekannt?

(Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)

5,974 x 1024. Das ist die Masse unserer Erde in Kilogramm – natürlich mit Ihnen und Herrn Lindner darauf und mit allem Drum und Dran. Zugegeben: Die Zahl ist sehr groß. Aber sie ist eben endlich, und sie ist auch die Marke für eine Grenze.

(Heiterkeit von Michael Hübner [SPD] – Dietmar Brockes [FDP]: Mit Piraten oder ohne?)

– Auch. – Solche Grenzen kennt die Neoklassik aber nicht. Denn es heißt: Oh, Vater unser; Wachstum, Wachstum, Wachstum.

Obwohl – das muss man zugestehen –: Die Ökonomik war verführt von den Erfolgen der Naturwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Erfolgen von Physik und Chemie. Und sie trat an mit dem Ziel, eine Art Physik der Wirtschaft zu etablieren – ein Triumph der Messbarkeit und Vorhersagbarkeit für die Ökonomie. Was herauskam, war ein verkürztes System von Vorausannahmen, von sogenannten Axiomen, deren Hinterfragung man sich bis heute konsequent verweigert.

Hier sind einmal fünf herausgegriffen: Erstens der Homo oeconomicus, das wirtschaftlich rational handelnde Individuum, mit zweitens voller Information über einen drittens idealen freien Markt, viertens das marktwirtschaftliche Gleichgewicht eines idealen Marktes und fünftens die Substitution. Geht ein Rohstoff zu Ende, wird substituiert. Es gibt einen neuen Stoff, wo auch immer.

Ich frage mich, wie Sie in Zukunft in 19 Jahren zum Beispiel Silber ersetzen wollen. Dann ist das nämlich vorbei.

Der Homo oeconomicus mutierte zu einem Homo postfacticus, dessen Verhalten in der soziologischen Gruppe selbst den Pavianhügel übertrifft. Die Information unterliegt dem Overload. Man kann ja von einer Rosine schließlich nicht erwarten, dass sie die volle Information über den Kuchen besitzt. Und der freie Markt ist eine Fiktion.

Die Naturwissenschaft sagt heute, dass 99,9 % der Realität – das heißt gerade für die Ökonomie, dass letztlich immer alles an materielle Prozesse gekoppelt ist – einer Nichtlinearität, einer Nichtgleichgewichtsthermodynamik gehorcht.

Wir wissen heute: Die Natur kennt keine Deals. Sie ist weder bösartig noch gnädig, weil das gar nicht ihre Kategorien sind.

Die neoklassische Theorie entpuppt sich damit als eine schlechte Heilslehre, die es zudem noch nicht einmal geschafft hat, die Brücke zur Mikroökonomie, zur Spieltheorie, diesem Schnick-Schnack-Schnuck für Ökonomen, zu schließen.

Das wäre sie also, die Begründung für die postfaktische Empörung der FDP. Und die wissenschaftliche Rationalität der FDP löst sich in ein Logik-Wölkchen auf: Huhu, 42! – Aber ich mag euch von der FDP. Ihr seid manchmal einfach schnucklig.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!)

Ich schließe mit einem fröhlichen „quod erat demonstrandum“ und bin durchaus bereit, der FDP als Partei eine deutlich größere Kompetenz als uns Piraten zuzugestehen, und zwar in Glaubensfragen. Also: Gute Nacht – oder besser: Live long and prosper, wenn ihr gelassen werdet!

Liebe Piratenfraktion, Antrag ablehnen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben mit dieser Debatte und insbesondere mit diesem Antrag der FDP-Fraktion sozusagen die Endmoräne einer Strategie der Opposition, die glaubte, die Landesregierung für bestimmte wirtschaftliche Daten verantwortlich machen zu können, die zwischenzeitlich die öffentliche Debatte geprägt haben.

Das hat vielleicht im letzten oder vorletzten Jahr noch öffentlichen Anklang gefunden. Jetzt ist das allerdings der letzte Rest an Suppe, der noch übrig ist und hier zubereitet wird – ein bisschen nach dem Motto: Smörrebröd, Smörrebröd, röm, pöm, pöm, pöm. Alles wird durcheinandergeschmissen, und dann einmal in die Luft! Am besten, es bleibt viel beim politischen Gegner hängen. Das ist die Strategie zwei Monate vor der Landtagswahl, einen solchen Antrag mit einer solchen Begründung zu stellen.

Sie trauen sich ja noch nicht einmal, die Einführung Ihres Antrages so, wie Sie ihn schriftlich niedergelegt haben, hier in irgendeiner Weise zu begründen, nämlich einen Zusammenhang herzustellen zwischen der wirtschaftlichen Situation und bestimmten umwelt- oder wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Landesregierung, weil – das ist ganz klar – die Fakten einfach gegen Sie sprechen. Das müssen Sie dann, bitte schön, auch zur Kenntnis nehmen.

Die Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen ist zurzeit eine andere. Wir brauchen da gar nicht Institute zu zitieren, die vielleicht nicht so weit von uns entfernt sind, sondern können uns auch auf Wirtschaftsinstitute und Verbandsorgane berufen, die der Landesregierung normalerweise nicht so nahe stehen. Alle malen ein gutes Bild von der Wirtschaft in hellen und leuchtenden Farben, wie man es selber nicht besser machen könnte.

Der ifo-Geschäftsklimaindex der gewerblichen Wirtschaft Nordrhein-Westfalen ist im Februar 2017 auf seinem höchsten Wert der letzten zweieinhalb Jahre. Er liegt damit exakt auf dem gleichen Niveau wie in Gesamtdeutschland.

Die gute Stimmung in der Wirtschaft bestätigen auch die aktuellen Umfragen der IHKs in Nordrhein-Westfalen sowie des Handwerks. Die rheinische Wirtschaft schreibt: Große Stabilität prägt die regionale Wirtschaft. – Der Bericht der Ruhrkonjunktur titelt: Konsum treibt die Wirtschaft an; Konjunktur zeigt sich in Topform. – Die IHK Nord Westfalen gibt in ihrem Bericht zum Besten: Wirtschaft bleibt auf Wachstumskurs. – Der Westdeutsche Handwerkskammertag titelt: Gute Konjunktur bringt Umsatzzuwächse und Beschäftigungsaufwuchs im Handwerk.

Besser könnte es in Nordrhein-Westfalen nicht laufen. Für 2017 stehen die Zeichen wirklich gut – auch für einen weiteren konjunkturellen Aufschwung. Die Zahlen sind positiv.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hätten Sie hier an dieser Stelle würdigen müssen, bevor Sie vielleicht das eine oder andere Haar in der Suppe finden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen, nämlich zu dem Punkt, dass es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen. Die gute Konjunktur führt dazu, dass die Lage am Arbeitsmarkt positiv ist. Als ein Bereich, in dem wir uns insbesondere als Landesregierung engagiert haben, ist hier der Bereich der Umweltwirtschaft mit 346.000 Arbeitsplätzen hervorzuheben. Im letzten Jahr waren es gut 20.000 Arbeitsplätze mehr als 2013. Hier hat es eine massive positive Entwicklung gegeben.

Insofern frage ich mich, wie Sie eigentlich darauf kommen, dass wir in einer schlechten Situation leben.

Wenn Sie schon ein Projekt wie das Kraftwerk Datteln 4 ausgraben, hätte ich erwartet, dass Sie, bevor Sie es thematisieren, erst einmal ein Büßergewand anziehen und Asche über Ihr Haupt kippen. Und dann hätten wir vielleicht darüber diskutieren müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

– Nein, dann lassen Sie uns doch einmal in die Vergangenheit blicken. Wer hat denn dieses Kraftwerk genehmigt? Das war Ihre neoliberale Regierung mit dem Ansatz: Egal, was das Recht sagt; wir biegen uns das schon irgendwie zurecht.

Das haben Ihnen die Gerichte ins Stammbuch geschrieben, und zwar klar und deutlich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Sie haben nämlich geschrieben: Das, was bei Datteln 4 durch die Genehmigungsbehörden und gedeckt durch die Regierung stattgefunden hat, war nahezu abwägungsfrei. Abwägungsfrei! Sie haben die Menschen und die Umwelt einfach ohne Abwägung dem Projekt ausgesetzt. Das ist das Ergebnis Ihrer Regierung.

Wir mussten die Karre wieder aus dem Dreck ziehen –

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

bei einem Projekt und einer Genehmigungsfrage, die in der Tat höchst kompliziert ist. Höchst kompliziert! Ein schon gebautes Kraftwerk zu genehmigen, ist keine einfache Sache. Insofern ist höchste rechtliche Sorgfalt geboten. Das war das, was diese Landesregierung angetrieben hat.

Dabei ging es bis hin zu der Frage, ob das Kraftwerk überhaupt genehmigt werden kann. Denn wenn Sie das Thema „Quecksilber“ betrachten, müssen Sie aufgrund aller Daten, die wir haben, feststellen: Eigentlich dürfte gar kein Quecksilber mehr in die Umwelt eingeleitet werden. Alles ist viel zu viel. Wir haben zu viel Quecksilber in der Biota, im Wasser. Eigentlich dürfte gar nichts mehr dazukommen. Deshalb ist es umweltpolitisch und rechtlich geboten, den höchsten technischen Standard zu fordern.

Das Irre an der Geschichte ist, dass dieser technische Standard und die technischen Möglichkeiten hier in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden sind. Wir bauen die Technik. Wir liefern sie in andere Länder. Nur hier gilt die technische Anforderung im Gesetz noch nicht. Trotzdem gibt es die gesetzliche Vorgabe, den Stand der Technik zur Vorgabe von Genehmigungen zu machen.

Nichts anderes haben wir getan. Insofern gehen wir davon aus, dass die Genehmigung rechtssicher ist und gerichtlichen Anforderungen standhält. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Remmel, Herr Kollege Ellerbrock hätte Ihnen gern eine Zwischenfrage gestellt.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr gern.

Präsidentin Carina Gödecke: Dann machen wir das jetzt als Abschlussfrage.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister, Sie haben eben mit vehementen Worten die Genehmigungsproblematik angesprochen und das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidungen zutreffend dargestellt.

Sind Sie aber mit mir auch der Meinung, dass diese Genehmigung so erteilt worden ist, wie es Jahre vorher bei anderen Kraftwerken üblich war, auch im Planungsrecht üblich war, und dass es hier – ich drücke es einmal so aus – eine gewisse Rechtsfortbildung gegeben hat, die dann zu diesen Entscheidungen geführt hat?

Es gehört auch zur Wahrheit dazu, zu sagen, dass es da eine Änderung in der rechtlichen Beurteilung gegeben hat.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Wenn Sie die Rechtspraxis in den vergangenen Jahren davor als Landrecht bezeichnen würden, würde ich Ihnen recht geben.

Hier ist jenseits von rechtlichen Vorgaben – sowohl planungsrechtlichen als auch umwelt- und immissionsrechtlichen Vorgaben – eine Entscheidung getroffen worden. Dieser Standort hätte grundsätzlich eigentlich nie genehmigt werden dürfen, wenn nicht vorher das Zielabweichungsverfahren gemacht worden wäre. Das musste komplizierterweise nachgeholt werden.

Jetzt haben sich in der Tat – auch durch weitere Rechtsentwicklungen, durch Gerichtsentscheidungen; Sie wissen, dass das OVG Münster entsprechend entschieden hat – neue Sachverhalte bezogen auf FFH-Schutz ergeben, die sauber abgeprüft worden sind.

Alles das hat vorher nicht stattgefunden. Das haben diese Landesregierung und diese Behörden gemacht. Deshalb gehen wir davon aus, dass das Verfahren auch rechtssicher ist und vor Gericht Bestand haben wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD –Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der FDP hat direkte Abstimmung über den Inhalt des Antrages beantragt. Wer dem Antrag mit der Drucksache 16/14389 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die FDP-Fraktion und die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Piraten. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag der FDP mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt.

Ich rufe auf:

5  Gesetz zur Harmonisierung und Stärkung des Informationsfreiheitsrechts und Zugang zu maschinenlesbaren Daten (OpenData-Gesetz)

Gesetzentwurf
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14379 (Neudruck)

erste Lesung

Herr Kollege Herrmann hat für die Piratenfraktion jetzt das Wort.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause. Liebe Kolleginnen und Kollegen! So kurz vor Ende der Legislaturperiode haben wir noch einen Gesetzentwurf vorgelegt.

(Zuruf)

– Ja, weil es notwendig ist. Es gab ja einige Versuche, die Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen in dieser Legislaturperiode weiterzuentwickeln. Aus unterschiedlichsten Gründen hat das aber nicht richtig funktioniert.

Man kann jetzt auch viel darüber spekulieren, wie das im zukünftigen Landtag möglich sein wird. Keiner kennt seine Konstellation; keiner weiß, wie er sich zusammensetzen wird.

Deswegen sollten wir hier noch einen Versuch machen. Die Zeit ist günstig. Vier der hier vertretenen Fraktionen haben vor ungefähr 16 Jahren das IFG Nordrhein-Westfalen verabschiedet, und zwar einstimmig. Wir waren damals nicht dabei. Wir wären aber auf jeden Fall auch dafür gewesen. Insofern möchte ich Sie bitten, sich mit unserem Gesetzentwurf zu beschäftigen. Denn ich glaube, dass die Situation günstig ist, diese Änderungen jetzt noch vorzunehmen.

Es sind genau drei Änderungsvorschläge zum IFG, die wir machen wollen. Ich möchte sie Ihnen jetzt kurz vorstellen.

Zum einen geht es um eine Ausweitung des Kreises der Antragsberechtigten für eine Information auch auf juristische Personen. Das sind Firmen, aber auch Bürgerinitiativen und Vereine. Alle anderen Bundesländer, die ein Informationsfreiheitsgesetz haben, erteilen die Auskunft auch an juristische Personen. Dort dürfen also auch juristische Personen anfragen. Das macht auch keine Probleme. Man muss jetzt keine Angst haben, dass man dann von Anfragen überrollt wird. Man kann sich ja die Erfahrungen der anderen Bundesländer, die das bereits machen, ansehen. Warum sollen wir das hier in Nordrhein-Westfalen nicht auch einführen? So schaffen wir ein allgemeines Informationszugangsrecht. Das wäre dann auch ganz im Sinne einer Entschließung der Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten vom 2. Dezember 2016, die genau dieses allgemeine Informationszugangsrecht gerne hätten.

Der zweite Punkt ist der Zugang zu Daten auch in maschinenlesbarer Form. Eigentlich ist diese Ergänzung dringend notwendig. Man kann so, wie das Gesetz im Moment formuliert ist, auch herauslesen, dass das alles jetzt schon möglich ist. Hier geht es letztlich um eine Klarstellung, indem man in das Gesetz schreibt, dass eine Informationsweitergabe in maschinenlesbarer Form möglich ist. Das sollte gewünscht sein, denke ich – ganz im Sinne der Open-Data-Strategie der Landesregierung und des Open-Data-Gesetzes der Bundesregierung. Nein, es ist kein zusätzlicher Aufwand; denn es geht immer um vorhandene Daten und die Übermittlung in maschinenlesbarer Form. Es müssen also keine neuen Daten konstruiert werden, weil es immer nur um das Vorhandene geht.

Beim dritten Punkt handelt es sich um eine Kleinigkeit, die aber möglicherweise zu einer großen Arbeitserleichterung für die auskunftspflichtigen Behörden führt. Denn bisher ist die schriftliche Bescheidung bei der Ablehnung oder Einschränkung einer Anfrage zwingend vorgegeben. Das macht im Hinblick auf mögliche Klagen für den Anfragenden Sinn. Es mag aber vielleicht auch gar nicht der Grund sein, dass er klagen möchte. Für mündliche Anfragen gibt es nämlich eine Ausnahme. Hier kann der Anfragende wählen, ob er seine Ablehnung noch einmal schriftlich erhalten will. Meines Erachtens sollte man diese Wahlmöglichkeit auch für elektronische Anfragen, also Anfragen per E-Mail, einführen. Das würde es zumindest den Behörden erleichtern, nicht jede elektronische Anfrage schriftlich beantworten zu müssen. Es ist auch keine Einschränkung von irgendwelchen Rechten, weil der Anfragende immer die Möglichkeit hat, auf der schriftlichen Beantwortung zu bestehen.

Das war es schon. Es sind drei einzelne Änderungen. Sie würden die Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen auch ein Stückchen voranbringen.

Ich sage schon vorab: Wir werden keine Anhörung von Sachverständigen beantragen. Das liegt nicht nur an den engen Zeitvorgaben, die das schwer möglich machen. Denn ich glaube auch, dass wir diese drei Dinge hier im Ausschuss mit unserem eigenen Sachverstand besprochen bekommen.

Ich freue mich auf die Beratung und auf Ihre Meinung zu diesem Gesetzentwurf. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege van den Berg.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Herrmann, dass in dieser Wahlperiode beim Thema „Open Data – Open Government“ nichts passiert, ist eine Wahrnehmung, die niemand hier im Saal haben kann, glaube ich – gerade dann nicht, wenn man bei einigen der Veranstaltungen gewesen ist und zum Schluss noch gesehen hat, wie auch Kommunen eingebunden worden sind. Bei allem Verständnis dafür, dass Wahltermine anstehen, habe ich die herzliche Bitte, eine solche Pauschalisierung sein zu lassen.

Sie versuchen jetzt, in einem Aufschlag ein Open-Data-Gesetz schaffen, und meinen, das mit drei textlichen Änderungen im Informationsfreiheitsgesetz NRW hinzubekommen.

Zu Ihrem ersten Änderungsvorschlag in Art. 1 Nr. 1, der Ausweitung des Kreises der Antragsteller auf juristische Personen, schreiben Sie in Ihrem Antrag, im Augenblick sei das alles unzureichend, und zwar aus folgendem Grund: „Dadurch werden potenzielle Nutzer, zum Beispiel „Medienhäuser, aber auch Vereine und Bürgerinitiativen von dem Zugang zu Informationen und Akten der öffentlichen Hand abgeschnitten“.

Ich vermute, dass Sie sich diesbezüglich wenig mit der Praxis beschäftigt haben; denn sowohl die vorhin von Ihnen zitierte Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, die in diesem Zusammenhang die Aufsichtsbehörde nach § 13 IFG ist, als auch alle Rechtsprechungen von Verwaltungsgerichten haben bislang regelmäßig und in allen Fällen dies für zulässig erachtet. Dass wir an dieser Stelle ein riesiges Problem haben, sagen also weder die Aufsichtsbehörde noch die Verwaltungsgerichte.

Das IFG – das ist Ihre grundfalsche Annahme – ist kein Open-Data-Gesetz, sondern verfolgt im Kern einen bürgerschaftlichen Ansatz.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege van den Berg, Entschuldigung, dass ich unterbreche. Herr Kollege Hermann von den Piraten möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Guido van den Berg (SPD): Ja.

Frank Herrmann (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Mich hat das, was Sie sagen, gerade ein bisschen irritiert. Warum kommen Sie zu der Annahme, dass Verwaltungsgerichte Medienhäusern jetzt regelmäßig ein Antragsrecht auf Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen gewährt haben? Das ist ausdrücklich ausgeschlossen, weil nur natürliche Personen antragsberechtigt sind. Das sagt der Gesetzestext ganz klar.

Ich selbst prozessiere gerade gegen die Landesregierung, weil ich als Abgeordneter nicht als natürliche Person gelte, sondern als juristische Person angesehen werde. Ich bekomme auch keine Auskunft nach IFG. Wie kommen Sie zu dieser eben gemachten Aussage?

Guido van den Berg (SPD): Ich habe Ihnen ja gesagt, dass die Formulierung aus Ihrem eigenen Antrag stammt. Sie haben gesagt, sie seien „abgeschnitten“. Ich habe Ihnen dargestellt, wie die Aufsichtsbehörde – das ist in diesem Fall die Landesdatenschutzbeauftragte, die Sie selbst zitiert haben – dies im Augenblick einschätzt. Sie sagt sehr deutlich, dass bis jetzt regelmäßig auch Anfragen von juristischen Personen als zulässig beurteilt wurden. Daher gibt es das Regelungsproblem in der Praxis einfach nicht.

Ich sehe das Kernproblem, dass Sie nicht anerkennen, dass das IFG im Kern eigentlich einen anderen Zweck verfolgt. Es hat einen bürgerschaftlichen Ansatz. Es geht darum, nicht Auskunftsrechte von Institutionen zu stärken, sondern die Auskunftsrechte ganz normaler Bürgerinnen und Bürger. Diese Auskunftsersuchen und Veröffentlichungspflichten nach § 12 IFG drehen sich im Kern und in der Praxis um Dokumente und nicht um offene Datensätze.

Die Frage, wie man damit umgeht, wollen Sie in Art. 1 Nr. 2 Ihres Änderungsantrags aufgreifen. Sie sagen: Jetzt brauchen wir ein Recht auf elektronische, maschinenlesbare Dateien.

Meine Damen und Herren, § 5 Abs. 1 Satz 5 des IFG gewährt schon heute dem Antragsteller das Recht, gewünschte Informationen auch in elektronischer Form zu erhalten. Sie haben vorhin selbst eingeräumt, das sei heute irgendwie auch schon möglich. Man muss aber hier noch einmal betonen: Im Kern geht es an dieser Stelle um Dokumente und maschinenlesbare Bereitstellung von Dateien.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Vorhandene! Nur vorhandene!)

Die maschinenlesbare Bereitstellung von Daten der öffentlichen Verwaltung wird grundsätzlich nach § 16 des E-Government-Gesetzes behandelt und näher bestimmt. Man kann natürlich darüber diskutieren, dass hier noch keine umfassenden Bereitstellungspflichten vorhanden sind. Aber wir alle wissen, dass gerade das intensiv mit Bund und Ländern diskutiert wird. Gerade im Rahmen der Open-Government-Strategie befindet sich dies in der Diskussion.

Meine Damen und Herren, der dritte Punkt betrifft Art. 1 Nr. 3 Ihres Antrags. Er sagt, dass wir hier eine nicht zeitgemäße und bürokratische Schriftform hätten. Lieber Herr Herrmann, ich glaube, diese Formulierung und auch der Hinweis, das sei eine unnötige Belastung der öffentlichen Verwaltung, verkennen im Kern, dass es eben nicht nur darum geht, wie E-Mails bearbeitet werden; denn in der öffentlichen Verwaltung geht es vor allen Dingen auch darum, Rechtssicherheit herzustellen.

Bei einer Eingabe, die per E-Mail kommt, ist es ganz häufig so – das erzählen uns die Leute aus der Praxis –, dass eben nicht zweifelsfrei zu identifizieren ist, wer eigentlich der Petent ist. Gerade wenn es um einen negativen Bescheid geht, hat die öffentliche Verwaltung ein hohes Interesse, dass sie einen Bescheid ausstellen kann, in dem zweifelsfrei die Person identifiziert ist und die Rechtsbehelfe usw. zweifelsfrei ihren Empfänger finden, damit Klagen vor Verwaltungsgerichten etc. in richtiger Form behandelt werden können.

Meine Damen und Herren, ich verstehe ja, dass man wenige Monate vor einer Landtagswahl in der Bredouille steckt, noch schnell etwas vorweisen zu müssen. Aber dass man glaubt, ein Open-Data-Gesetz im Hopplahopp-Verfahren durchbringen zu können, löst bei uns viele Fragezeichen aus.

Natürlich ist es kollegialer Brauch, einen solchen Antrag an den zuständigen Fachausschuss zu überweisen. Aber auch Ihre Ankündigung, dass wir dafür keinen externen Sachverstand benötigen, sondern es einfach so beraten, hat mich überrascht.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir betreuen das Thema „Open Data – Open Government“ jetzt seit fünf Jahren in diesem Land sehr intensiv. Ich habe Ihnen dargestellt, wie die Strategie entstanden ist und wie es vorangegangen ist. Jetzt zu sagen: Das interessiert uns alles nicht, ist völlig kontraproduktiv zu diesem Prozess.

Insofern werden Sie sich auf die sachliche Auseinandersetzung im Ausschuss einstellen und gefasst machen müssen. Anders kann man mit diesem Gesetzentwurf nicht umgehen. – Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Die Möglichkeit, staatliches Handeln kontrollieren zu können, gehört natürlich zu den wesentlichen Merkmalen eines Rechtsstaates. Es ist wahrscheinlich auch eines der wichtigsten Bürgerrechte, Entscheidungsprozesse in Staat und Verwaltung informativ, kritisch und konstruktiv hinterfragen zu können.

Um in diesem Zusammenhang dann die Transparenz im Zuge der Verwaltungsmodernisierung zu stärken, ist am 1. Januar 2002 das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen in Kraft getreten.

Wie Sie auch in Ihrem Antrag erwähnt haben, Herr Herrmann, hat sich das Informationsfreiheitsgesetz für unser Bundesland bereits bewährt und etabliert.

Ihr Gesetzentwurf sieht jetzt drei Veränderungen für Open Data vor, die wir sehr gerne ausführlich inhaltlich mit Ihnen besprochen hätten. Da muss ich mich jetzt der Kritik meines Vorredners anschließen. Üblicherweise finden zu Gesetzentwürfen auch Anhörungen mit Experten im Ausschuss statt. Eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf ist leider wohl nicht mehr möglich, da der Innenausschuss nur noch einmal in dieser Legislaturperiode tagen wird und in der letzten Sitzung des Innenausschusses bereits eine Beschlussempfehlung abgegeben werden muss. Eine Auswertung der Anhörung kann also nicht mehr seriös erfolgen.

Hätten Sie bei diesem durchaus sehr wichtigen Thema – das ist ja unstrittig – ernsthaft eine gesetzliche Regelung schaffen wollen, hätten Sie deutlich früher aktiv werden müssen. Was Sie letzten Endes daran gehindert hat, ist für uns nicht nachvollziehbar,

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

zumal es sich hier doch um eines Ihrer Kernthemen handeln sollte.

Ein geordnetes parlamentarisches Verfahren ist so leider nicht mehr möglich. Das hat mein Vorredner festgestellt, und das stelle ich hier fest.

Ich schließe mich auch den Worten meines Vorredners an: Natürlich stimmen wir der Überweisung an den Innenausschuss der Form halber zu, weil es gute Gepflogenheit ist. Ich glaube aber nicht, dass dort wirklich eine konstruktive und vielversprechende Beratung stattfinden kann.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Zeit ist wertvoll, und mehr muss man dazu nicht sagen.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Kollege Bolte.

Matthi Bolte (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich tue heute zwei ungewöhnliche Dinge: Ich beschäftige mich nämlich erstens ausschließlich mit dem Gesetzentwurf und zweitens versuche ich mich kurzzufassen.

Lieber Kollege Herrmann, in Ihrem Antrag stellen Sie unter dem ersten Punkt die Frage nach natürlichen versus juristischen Personen als Antragsberechtigte im IFG. Mir ist ehrlich gesagt die Praxisrelevanz nicht wirklich klar geworden, weil es letzten Endes beispielsweise dem Vorsitzenden eines Vereins zuzumuten ist, in seiner Eigenschaft als natürliche Person einen IFG-Antrag zu stellen. Warum es einen Mehrwert bringt, dass er in Person des Vereins einen solchen IFG-Antrag stellt, hat sich mir nicht erschlossen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Weil man den Bedarf einklagen kann! Das ist der Mehrwert!)

Lieber Kollege Herrmann, dass Sie behaupten, Sie dürften als Abgeordneter keine IFG-Anfragen stellen, stimmt nicht. Sie dürfen als Frank Herrmann – der Sie neben ihrer Existenz als Abgeordneter auch noch sind – natürlich jede IFG-Anfrage stellen, die Sie stellen möchten.

Zu dem zweiten Punkt, den Daten, die in maschinenlesbarer Form vorliegen. Sofern Daten vorliegen – Sie beziehen sich ja ausschließlich auf vorliegende Daten –,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wie das IFG, ja!)

ist der Antragsteller bzw. die Antragstellerin frei darin, zu wählen, in welcher Form er/sie die Daten abfragen möchte. Kollege van den Berg hat ausführlich dargestellt, wie der Rechtsrahmen in Nordrhein-Westfalen durch das auch bundesweit vorbildliche E-Government-Gesetz gestaltet ist. Ergänzend dazu sorgen wir mit der Open.NRW-Strategie dafür, dass es in Zukunft noch mehr maschinenlesbare Daten geben wird.

In Bezug auf den dritten Punkt habe ich mich gewundert, warum das aus Ihrer Sicht ein Thema ist. Ich habe diese Regelung immer so verstanden, dass es eigentlich eher einen Schutz für die Betroffenen darstellen soll, im Zweifelsfall zu klagen. Warum man diese Schutzfunktion abbauen soll – so habe ich das verstanden –, kann man in der Ausschussdebatte noch klären.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Nein, das ist eine Auswahlmöglichkeit!)

Das hat sich mir nicht erschlossen. Sie haben im Ausschuss die Chance, uns Ihre Punkte noch einmal darzulegen.

Ich muss sagen, dass ich mich über das Verfahren gewundert habe. Herr Kollege Herrmann, Sie haben im Innenausschuss bisher immer darauf bestanden, dass wir zu jedem Thema, das Sie eingebracht haben, mindestens eine Anhörung durchführen. Sie haben uns völlig unabhängig davon, ob es inhaltlich geboten oder gar im Sinne der Betroffenen war, mit Verfahrensfragen zum Teil wirklich malträtiert. Warum Sie kurz vor Toresschluss noch mit einem Gesetzentwurf um die Ecke kommen, von dem Sie wissen, dass er kein ordentlich parlamentarisches Verfahren mehr bekommen kann, wird Ihr Geheimnis bleiben.

Ab damit in den Ausschuss, und dort diskutieren wir weiter. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegenstand des zu beratenden Gesetzentwurfs der Piraten sind drei punktuelle Änderungen des Informationsfreiheitsgesetzes NRW, deren Zielrichtung für die FDP-Fraktion grundsätzlich nachvollziehbar erscheint. Allerdings lässt der Gesetzentwurf eine gründliche Auseinandersetzung mit den dabei zu berücksichtigenden Rechtsfragen vermissen.

Da wäre zum Ersten die Frage nach der Ausweitung der Anspruchsberechtigung auf juristische Personen. Zutreffend ist, dass die Beschränkung der Antragsberechtigung auf natürliche Personen in § 4 Abs. 1 IFG NRW im Vergleich von Bund und Ländern besonders restriktiv ist. Da könnten wir Freien Demokraten uns durchaus eine Weiterentwicklung vorstellen.

Weshalb dann allerdings die Formulierung „jede natürliche und juristische Person“ favorisiert wird, die ansonsten nur Schleswig-Holstein verwendet, erscheint wenig nachvollziehbar, vor allem vor dem Hintergrund, dass Sie Bürgerinitiativen die Anspruchsberechtigung doch ausdrücklich zuerkennen wollen, diese aber in der Regel gerade keine juristischen Personen, sondern nur teilrechtsfähig sind.

(Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE])

Der von Ihnen beschriebene Zweck würde mit der Änderung also gar nicht erreicht.

Im Übrigen: Weshalb soll nicht die schlanke Formulierung des IFG Bund „jeder“ übernommen werden? Auch dazu verhält sich der Gesetzentwurf einschließlich seiner Begründung nicht.

Die Frage nach der Anspruchsberechtigung nimmt beispielsweise im Kommentar von Schoch zum IFG Bund – 2. Auflage 2016 – ganze 15 Seiten in Anspruch. Ich habe die Ahnung, dass es mir von manchem Kollegen positiv angerechnet werden könnte, wenn ich an dieser Stelle auf eine Vertiefung verzichte.

(Heiterkeit und Beifall von der FDP, der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Vor einer Gesetzesänderung müsste aber natürlich eine vertiefte Beratung erfolgen. Dafür kommen Sie mit dem Gesetzentwurf zwei Monate vor der Landtagswahl aber schlicht zu spät. Hinsichtlich der beiden weiteren von Ihnen beantragten Änderungen erscheint mir jedenfalls die Kongruenz zwischen Änderungsbefehl und Begründung zweifelhaft.

Meine Damen und Herren, die von den Piraten in dem Gesetzentwurf in Bezug genommene Entschließung der Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten in Deutschland vom 2. Dezember 2016 stellt aber eigentlich einen ganz anderen Gegenstand in den Vordergrund, wie bereits aus dem Titel der Entschließung „Nicht bei OpenData stehen bleiben: Jetzt auch Transparenzgesetze in Bund und Ländern schaffen!“ deutlich wird. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern werden aufgefordert, Transparenzgesetze zu schaffen, welche den individuellen, antragsgebundenen Informationszugangsanspruch mit der Verpflichtung öffentlicher Stellen verbinden, bestimmte Informationen aktiv auf Informationsplattformen im Internet zu veröffentlichen.

Wir Freien Demokraten haben uns bereits frühzeitig dafür ausgesprochen, aus der Holschuld der Bürger eine Bringschuld der Verwaltung zu machen, haben aber die Fallstricke – beispielsweise das Konnexitätsprinzip im Falle der Einbeziehung der Kommunen – von vornherein auf dem Schirm gehabt. Wie Anfang des Monats in der Presse zu lesen war, wird es mit Rot-Grün aber kein Transparenzgesetz geben, obwohl dies im Koalitionsvertrag für die laufende Wahlperiode vereinbart worden ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Ja, leider!)

Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

„Wir werden die Veröffentlichungspflichten der öffentlichen Stellen deutlich ausweiten und damit das Informationsfreiheitsgesetz hin zu einem Transparenzgesetz weiterentwickeln.“

Auch kann von einer Ausweitung der Veröffentlichungspflichten nicht die Rede sein, da es den Ressorts im Rahmen des Projekts Open.NRW freisteht, sich am Portal zu beteiligen und zu entscheiden, welche Daten publik gemacht werden. Rot-Grün ist also – an den eigenen Ansprüchen gemessen – kläglich gescheitert.

(Beifall von Frank Herrmann [PIRATEN])

Wir Freien Demokraten erneuern den bereits im Rahmen der Beratung des Gesetzentwurfs der Piraten für ein Transparenzgesetz unterbreiteten Vorschlag, zunächst mit einem kurzen, prägnanten und rechtsklaren Katalog an Veröffentlichungspflichten zu beginnen und Erfahrungswerte zu sammeln, die eine spätere Fortentwicklung und Ausweitung auf weitere Tatbestände ermöglicht. Open Data darf nicht an Maximalforderungen scheitern.

Der Überweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuss stimmen wir natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vieles haben meine Vorredner schon festgestellt. Ich will mich auf drei Punkte aus dem Gesetzentwurf, Herr Herrmann, beschränken.

Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein Gesetz, das in erster Linie unseren Bürgerinnen und Bürgern nutzen soll. Es geht darum, zwischen Mensch und Verwaltung Vertrauen und Transparenz herzustellen. Deshalb ist es kein Versehen, sondern eine eindeutige Absicht, dass natürliche und nicht juristische Personen dort begünstigt werden.

Beim zweiten Punkt, was Ihren Gesetzentwurf angeht, werden bereits jetzt Daten im IFG elektronisch zur Verfügung gestellt. Die Verabschiedung eines Bundesgesetzes ist in Planung. Danach werden die Länder Open-Data-Gesetze in ihrem Zuständigkeitsbereich erfassen und, soweit noch nicht geschehen, angepasst.

Beim dritten Punkt, Herr Herrmann, haben wir in der Tat Bedenken. Wir sehen dies kritisch. Es ist gerade wichtig für die Rechtssicherheit der Bürgerinnen und Bürger, dass Bescheide schriftlich-förmlich zugestellt werden,

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Es soll eine Wahlmöglichkeit sein, steht deutlich drin!)

um fristwahrend möglicherweise gegen eine solche Entscheidung vorgehen zu gehen.

Ansonsten verweise auch ich auf die Ausschussberatung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Damit schieße ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 5.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt, wie Sie jetzt schon mehrfach gehört haben, die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/14379 – Neudruck – an den Innenausschuss. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Nein. Sich enthalten? – Auch nicht. Damit haben wir die Überweisungsempfehlung angenommen.

Ich rufe auf:

6  Studiengebühren bleiben abgeschafft – Studierende und ihre Familien haben klare Aussagen verdient

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/14392

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14501

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14508

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion Herr Kollege Bell das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in diesem Land erwarten von Politik in zentralen Politikfeldern klare Aussagen. Eines der zentralen Politikfelder in diesem Land ist die Hochschulpolitik, weil von ihr unter anderem nicht nur die Beschäftigten an den Hochschulen, sondern auch 770.000 Studierende und ihre Familien unmittelbar betroffen sind.

Deswegen war es ein guter Tag, als Rot-Grün am 24.02.2011 die Zusage, die im Wahlkampf 2010 gemacht worden ist, die Studiengebühren in diesem Land abzuschaffen, eingehalten hat und diese Studiengebühren letztlich abgeschafft worden sind.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Nun sind wir vor Landtagswahlen. Natürlich haben die Menschen erneut einen Anspruch darauf, zu wissen: Wofür stehen die Parteien und die Fraktionen in diesem Hohen Haus, wenn es um ein solches zentrales Politikfeld geht?

Bei der FDP ist die Frage völlig klar und entschieden. Sie waren und Sie sind Befürworter von Studiengebühren. Das wird auch durch den entsprechenden Entschließungsantrag deutlich. Das ist klar. Das ist kein Geheimnis. Das ist aus meiner Sicht ein Alleinstellungsmerkmal in diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch!

Bei der CDU ist die Lage völlig anders. Am 5. Dezember gibt der Spitzenkandidat, der Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende Armin Laschet, der „Rheinischen Post“ ein Interview. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin.

Auf die Frage „Würden Sie Studiengebühren wieder einführen?“ antwortet Laschet:

„In der alten Form sind Studiengebühren kein Thema. Aber ich halte es für ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, mindestens über Modelle nachzudenken. Dass Pfleger für ihre Ausbildung zahlen und Ärzte nicht, ist schräg.“

Es gehe darum,

„diejenigen finanziell an der akademischen Ausbildung zu beteiligen, die später nachweislich mehr verdienen.“

– So Armin Laschet. – Nicht nur, dass er die Wiedereinführung von Studiengebühren politisch völlig überhöht und als ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit bezeichnet – wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten glauben nicht, dass es sozial gerecht ist, wenn es allen schlecht geht, meine sehr verehrten Damen und Herren –,

(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])

sondern er legt sich hiermit eindeutig als Spitzenkandidat fest. Dann kommt dieser sagenhafte Leitantrag des Landesvorstands für den 39. Landesparteitag unter dem Oberbegriff „Zuhören – Entscheiden – Handeln“.

(Zuruf von Ralf Nettelstroth [CDU])

Da steht dann drin – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Für die Studierenden wollen wir einen kostenfreien Zugang zur Hochschulbildung sicherstellen.“

Ein kostenfreier Zugang zur Hochschulbildung bedeutet: keine Aufnahmegebühr, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist, ehrlich gesagt, der reine Etikettenschwindel, der hier unterminieren, der hier darstellen soll, dass man möglicherweise doch nicht für Studiengebühren ist, es aber komplett offen lässt.

Dann kommt heute der Entschließungsantrag der Union, in dem es heißt:

„Nochmal: Die CDU lehnt die Einführung von Studiengebühren ab!“

Sie verweisen auf den Entwurf Ihres Regierungsprogramms – dazu habe ich etwas gesagt – und auf den entsprechenden Antrag „Neujustierung der Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen“ Drucksache 16/14404, zu dem Sie sagen, da hätten Sie doch klar erklärt, Sie seien gegen Studiengebühren.

Mein lieber Herr Dr. Berger, Sie haben diesen Antrag doch gerade zurückgezogen.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Sie haben ihn zurückgezogen. Sie haben nicht gesagt: Wir geben die Reden zu Protokoll.

(Ralf Nettelstroth [CDU]: Wir haben einen Entschließungsantrag. Da steht das alles drin!)

– Den habe ich noch nicht. – Dieser Antrag ist zurückgezogen. Was Sie hier machen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das völlige Chaos in einem zentralen Politikfeld. Geben Sie den Familien, den Studierenden endlich eine klare Antwort, ob Sie für Studiengebühren sind, ja oder nein!

Ich kann nur sagen: Das, was Ihr Spitzenkandidat abzieht, erinnert doch sehr stark an Norbert Röttgen 2012, der auch kurz vor der Wahl schlichtweg den Turnaround bei der Frage der Studiengebühren durchgeführt hat. Ich habe nicht den Eindruck, dass das eine wirklich inhaltlich getragene Position ist. Es ist der reine Opportunismus nach Umfragen.

Im Dezember haben Sie noch geglaubt, Sie könnten mit der FDP eine Mehrheit bilden, und haben deswegen im Interview gesagt, Sie seien für Studiengebühren als Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Nachdem das nicht mehr abbildbar ist, probieren Sie, unter eine andere Bettdecke zu schlüpfen. Das ist reiner Opportunismus. Werden Sie endlich ehrlich gegenüber den Menschen in diesem Land! Klarheit in dieser Frage! Sie bekommen gleich die Möglichkeit, in einer namentlichen Abstimmung hier darzulegen, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dietmar Bell (SPD): … wie Sie wirklich zu dieser Frage stehen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bell. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die anstehende Wahl in Nordrhein-Westfalen entscheidet auch darüber, ob mehr als 770.000 junge Menschen bzw. deren Eltern für eine akademische Ausbildung tief in die Tasche greifen müssen. Herr Berger, sie entscheidet darüber, ob wir ein Land bleiben, das Bildungsgerechtigkeit großschreibt, oder ob Bildung wieder vom Geldbeutel der Eltern abhängen wird.

Wir haben 2011 die Studiengebühren abgeschafft. Da fragt man sich nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, nachdem alle Bundesländer unserem Beispiel gefolgt sind: Was haben Sie eigentlich für eine Motivation, sich im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, wieder an die Spitze der Befürworter für ein Bezahlstudium zu stellen? Und mit Blick auf die CDU, Herr Berger: Was soll man Ihnen denn jetzt glauben oder nicht?

Im Programm der FDP zur NRW-Landtagswahl 2017 heißt es – das muss man sich auch wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen –:

„Wir wollen dafür sorgen, dass die Hochschulen wieder die Möglichkeit erhalten, Studienbeiträge einzuführen. Die Hochschulen sollen daher eigenständig darüber entscheiden können, ob sie mit Studierenden sogenannte Studienverträge abschließen. In den Studienverträgen sichern die Hochschulen den Studierenden exzellente Studienbedingungen und verbindliche Förderangebote zu.“

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Das heißt also: Sie wollen mit jedem einzelnen Studierenden Verträge abschließen. Wie bürokratisch ist das denn? Ich sage nur: Bürokratiemonster, Studiengebühren, FDP. – Es kommt noch besser. Ich zitiere weiter aus Ihrem Programm:

„Nach dem erfolgreichen Studium entrichten die Absolventinnen und Absolventen eine zu vereinbarende Erfolgsprämie an die Hochschule. … Dabei darf die Erfolgsprämie einen Beitrag von 500 € je abgeschlossenem Studiensemester nicht überschreiten.“

Okay, eine Erfolgsprämie – eine Erfolgsprämie, die ein Studierender nach erfolgreichem Abschluss an die Hochschule entrichtet, also: Leistung gegen Kohle.

(Zuruf von der FDP: Ja!)

Und was ist, wenn ich ohne Abschluss das Studium beende? Zahle ich dann nichts? Das wäre ja ein interessanter Ansatz.

Mit den Erfolgsprämien wollen Sie dann ja offensichtlich die Qualitätsverbesserungsmittel abschaffen, wie Sie es bereits seit Jahren fordern. Herauskommen würde aber dann ein Nullsummenspiel, wenn nicht gar ein Verlustgeschäft. Am Ende würden die Hochschulen unter der FDP schlechter dastehen als zuvor – und erst recht die Studierenden, die außerdem noch dafür bezahlen müssen.

(Zuruf von der FDP: Quatsch! Besser stehen die da!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann auch das Gefasel in Ihrem Entschließungsantrag, wir seien am Ende der Qualität wegen der hohen Betreuungsrelation, eigentlich nicht mehr ertragen. Als ob das der einzige Parameter für eine gute Lehre ist!

Rot-Grün investiert 2017 über 1,6 Milliarden € Landesmittel und eine Milliarde € Bundesmittel mehr in den Wissenschaftsetat als Schwarz-Gelb 2010.

(Zuruf von der FDP: Wahnsinn!)

Das ist ein Anstieg um 44 %.

(Zuruf von der FDP: Wahnsinn!)

Alleine auf die Hochschulen bezogen sind es gar 66 %. Ja, ich gebe Ihnen recht. Das ist echt Wahnsinn.

Die Hochschulpaktmittel werden im Gegensatz zu schwarz-gelben Zeiten von uns übrigens voll ausgeschöpft. Wir verstetigen bis 2020 Teile der Landesmittel für den Hochschulpakt. Es wäre nur fair, wenn der Bund hier nachziehen würde. Die anderen Bundesländer stehen auch hinter dieser Meinung.

Im Übrigen: Gucken Sie sich die Statistiken an! Die Statistiken über Abschlüsse und Forschungsergebnisse machen doch sehr deutlich, dass wir exzellente Lehre und Forschung an unseren Hochschulen haben. Das lassen wir uns von Ihnen und hier an dieser Stelle nicht schlechtreden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Fassen wir mal zusammen, was alles an der Studiengebührenfront in den vergangenen Jahren passiert ist! März 2006: Die Fraktionen von CDU und FDP führen in NRW Studiengebühren ein. Februar 2011: Die Fraktionen von SPD und Grünen schaffen Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen ab. Oktober 2011: Die Fraktion der CDU kritisiert die Abschaffung der Studiengebühren. „Rheinische Post“ im April 2012: Der CDU-Spitzenkandidat zur Landtagswahl Röttgen will nach der Wahl Studiengebühren nicht wieder einführen. „Rheinische Post“ vom Oktober 2012: Der Fraktionsvorsitzende der CDU Laumann hingegen fordert die Wiedereinführung der Studiengebühren. November 2013: Auch bei der Haushaltskonsolidierung spricht sich die CDU-Fraktion dafür aus, Studiengebühren wieder einzuführen, und zwar – Sie erinnern sich – im sogenannten Sanierungskonzept der CDU-Fraktion. Dezember 2014: Die CDU-Fraktion fordert, nachgelagerte Nutzerbeiträge, also Studiengebühren, einzuführen. Dezember 2016: Der CDU-Spitzenkandidat zur Landtagswahl Laschet will nach der Wahl Studiengebühren in neuer Form einführen.

Mit anderen Worten: Die CDU windet und wendet sich.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Wenn es in den Wahlkampf geht, dann sagt sie, sie wolle keine Studiengebühren, und wenn die Wahlen gelaufen sind, fordert sie wieder Studiengebühren. Jetzt sind wir gerade wieder am Anfang des Kreislaufs.

Ich zitiere die „Rheinische Post“ …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): … vom 3. Februar 2017:

„Zwar hält die CDU Studiengebühren für sinnvoll, doch in der Form, wie sie in NRW einmal bestanden haben, soll es sie nicht mehr geben. Einzelheiten sind noch unklar. Die Unionspolitiker wissen, dass sie sich damit im Wahlkampf unbeliebt machen würden.“

Das ist doch auch genau der Punkt, warum Sie jetzt hier an dieser Stelle so hin- und herjonglieren.

Sie fordern in Ihrem Antrag zur Neujustierung der Hochschulpolitik, …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, die Redezeit ist wirklich beendet.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): … den wir ja jetzt nicht mehr debattieren werden, Herr Berger, die Hochschulfinanzierung neu aufzustellen, ohne die Studiengebühren wieder einzuführen, machen aber keine konkreten Vorschläge. Da fragt man sich:

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, das geht jetzt …

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Ich komme zum Ende. – Ist die CDU-Fraktion so planlos oder tut sie nur so? Und wenn sie nur so tut, führt sie die Wählerinnen und Wähler an der Nase herum.

Mit Ihrem Schlingerkurs haben Sie sich ordentlich verfahren. Das werden die Leute im Land sicherlich auch merken. Daran ändert auch Ihr aktueller Entschließungsantrag nichts. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. Das war eine erhebliche Überschreitung der Redezeit. – Herr Dr. Berger, Sie haben jetzt für die CDU-Fraktion das Wort und selbstverständlich dieselbe Großzügigkeit bei der Redezeit.

Dr. Stefan Berger (CDU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rot-Grün hat diesen Antrag heute mit dem einzigen Ziel der Klärung der Position zum Thema „Studiengebühren“ in dieses Haus eingebracht.

(Zuruf von der SPD: Genau! – Zuruf von den GRÜNEN)

Vorweg, damit in Nordrhein-Westfalen kein Missverständnis besteht, sage ich es Ihnen ganz klar: Die CDU lehnt Studiengebühren ab.

(Zuruf von der SPD: Herr Laschet auch?)

Wir lehnen sie vor dem Studium, während des Studiums und nach dem Studium ab.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: He! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das geht auch aus unserem Entschließungsantrag Drucksache 16/14508 hervor.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Dr. Berger, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Lüders würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte schön.

Präsidentin Carina Gödecke: Bitte schön.

Nadja Lüders (SPD): Herzlichen Dank, Herr Dr. Berger, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Können Sie mir die Frage beantworten, warum dann eine CDU-Kandidatin aus Dortmund auf Facebook und Twitter verbreitet, dass sie für die Wiedereinführung der Studiengebühren sei,

(Zuruf von der CDU)

um den Haushalt zu entlasten, um die Forschung zu stärken, und das käme auch den Studierenden zugute.

(Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der SPD)

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Lüders, der entscheidende Punkt ist: Heute wird dieses Thema geklärt. Sie wollen heute eine Beantwortung, warum irgendwelche Menschen für die CDU irgendwo was erklären. Das kann ich nicht überblicken.

(Nadja Lüders [SPD]: Kandidatin zur Landtagswahl!)

Sie wollen ja eine Aussage der CDU-Landtagsfraktion in diesem Haus. Ich spreche hier für die CDU-Landtagsfraktion und sage es Ihnen noch einmal klar: Wir schließen Studiengebühren aus – vor dem Studium, während des Studiums und nach dem Studium.

(Beifall von der CDU – Zuruf von der SPD: Und nach der Wahl?)

Vielleicht noch ein Wort zu Ihren Argumentationen. Sie argumentieren ja immer mit Bildungsgerechtigkeit. Aber wenn man sich Nordrhein-Westfalen ansieht, haben wir im Hochschulbereich nach sieben Jahren Rot-Grün die unfairste und ungerechteste Situation in der gesamten Bundesrepublik.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Nordrhein-Westfalen liegt bei den Ausgaben pro Studierendem im Ländervergleich bei den FHs auf Platz 14, bei den Universitäten auf dem letzten Platz. Das ist unfair und ungerecht.

Nordrhein-Westfalen gibt ca. 5.300 € pro Studierendem aus, Baden-Württemberg 8.400 €, Thüringen 9.000 €. Der Bundesdurchschnitt liegt bei fast 7.000 €. Wir liegen weit unter dem Bundesdurchschnitt. Das ist unfair und ungerecht.

Laut Statistischem Bundesamt hat Nordrhein-Westfalen mit 25,8 die bundesweit schlechteste Betreuungsquote. Das ist unfair und ungerecht.

(Beifall von der CDU)

Und bei uns brechen immer noch viel zu viele Studierende ihr Studium ab:

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

fast ein Drittel, wie Untersuchungen zeigen. Das ist unfair und ungerecht.

(Beifall von der CDU)

Wir sind also in vielen Hochschulbereichen Schlusslicht. Rot-Grün hat seit 2010 keine eigenen positiven Akzente im Hochschulbereich setzen können.

(Zurufe von den GRÜNEN: Och!)

Im Gegenteil: Alle messbaren Eckdaten haben sich verschlechtert.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Dabei gibt der Bund so viel Geld wie noch nie nach Nordrhein-Westfalen. 2010, im letzten Jahr der schwarz-gelben Regierung und im letzten Jahr des großen Wissenschaftsministers Pinkwart,

(Lachen von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

sind 50 Millionen € aus Berlin nach Düsseldorf überwiesen worden. 2017 werden es fast 700 Millionen sein, und trotzdem landen Sie mit diesem System überall auf den letzten Plätzen.

Also, meine Damen und Herren, nach der Regierungsübernahme werden wir neue Rahmenbedingungen setzen, die die Hochschulen stärken werden.

(Zuruf von der SPD: 2070!)

Wir werden die Hochschulen besser finanzieren, und wir werden dazu keine Studiengebühren benötigen.

Herr Bell, ich darf Sie einladen, sich unsere Broschüre, die im Eingang unserer Fraktion liegt, noch mal zu Gemüte zu führen. Für Sie hat sie auch viele Bilder.

(Zuruf von der SPD: Unzulässige Wahlwerbung ist das! – Weitere Zurufe von der SPD)

In diesem Sinne ist die Debatte jetzt geklärt. Sie wissen Bescheid. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war gerade schon bemerkenswert.

(Lachen von Dietmar Bell [SPD])

Ich erlaube mir einfach nur den Hinweis – Kollege Bell war schon so freundlich, es zu erwähnen –, dass es nicht die FDP ist, die derzeit für Verunsicherung bei Studierenden und Wissenschaftlern im Land Nordrhein-Westfalen sorgt.

(Beifall von der FDP)

Ich will mir eine kleine Bemerkung zu der Kollegin Dr. Seidl gestatten, und zwar zu dem, was ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg unternehmen, wo Theresa Bauer von den Grünen Wissenschaftsministerin ist. Dort werden gerade Studiengebühren explizit für ausländische Studierende eingeführt – einen schönen Gruß an die Internationalisierung unseres Wissenschaftsstandortes –, und diese Mittel, die von den Studierenden erhoben werden, werden nicht etwa für Qualitätsverbesserungen verwandt, sondern, man höre und staune, zur Sanierung des Landeshaushalts herangezogen.

(Zuruf von der FDP: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, die Frage der Konsistenz einer Argumentation, liebe Kollegen von den Grünen, sollten Sie vielleicht intern miteinander abstimmen.

Aber das hatten wir ja auch schon mal in Nordrhein-Westfalen:

(Beifall von der FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

Auch hier in Nordrhein-Westfalen hat Rot-Grün Studierende im Zweitstudium und Langzeitstudierende zur Kasse gebeten, um den maroden Landeshaushalt zu sanieren. Es ist trotzdem nicht gelungen.

(Beifall von der FDP)

Gleichwohl legen sich SPD und Grüne mit dem vorliegenden Antrag politisch fest, und unsere Haltung ist an der Stelle auch klar.

Zu den Kollegen der Union: Ja, was soll ich dazu sagen?

(Zuruf von der SPD: Das müssen Sie doch wissen! – Heiterkeit – Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Ich würde sagen: Warten wir mal ab, was nächste Woche in der „Rheinischen Post“ oder anderswo für ein Interview gegeben wird. Dem Kollegen Laschet kann ich nur Folgendes sagen, weil das Interview in der „Rheinischen Post“ ja im Zusammenhang mit seinen Umfrage- und Beliebtheitswerten stand: Ich glaube, Herr Laschet, daran liegt es nicht.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Freimuth, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Klocke würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Angela Freimuth (FDP): Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen, Herr Kollege. Vielleicht erübrigt sich dann auch die eine oder andere Nachfrage.

Wir Freien Demokraten haben die Frage von Studienbeiträgen nie ideologisch diskutiert,

(Lachen von den PIRATEN)

aber wir haben sehr wohl – daraus haben wir auch nie ein Geheimnis gemacht – die Erhebung von Studienbeiträgen für die Verbesserung von Studienbedingungen als vertretbar erachtet und unser Konzept insofern weiterentwickelt, als wir vorgeschlagen haben, dass die Hochschulen die Beiträge nachgelagert – das war ja durchaus einer der Punkte, der kontrovers diskutiert wurde –, einkommensabhängig rückzahlbar und auf 500 € pro Semester begrenzt ausgestalten können. Details dazu finden Sie auch in unserem Entschließungsantrag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum wollen wir Freie Demokraten nun eigentlich den Hochschulen wieder die Möglichkeit eröffnen, Studienbeiträge zu erheben? – Wir wollen das, weil wir bis 2011 zweifelsohne gute Erfahrungen mit ihnen gemacht haben: Es gab mehr Tutorien, mehr Übungen und mehr Bücher. Die Qualität der Lehre ist nachweislich besser geworden. – Das mussten ja auch SPD und Grüne anerkennen, denn sonst hätten sie ja nicht die sogenannten Kompensationsmittel für das Verbot der Studienbeiträge eingestellt.

Sie hatten damals versprochen, dass die zusätzlichen Angebote weiterlaufen würden. Doch was damals schon absehbar war, ist dann – leider – auch eingetreten: Die Mittel kompensieren nicht. Da die Zahl der Studierenden ist weiter angestiegen, die zur Verfügung gestellten Mittel aber nicht. – Wir müssen erleben, dass die Angebote von Jahr zu Jahr reduziert werden; und die Qualität der Lehre leidet immer mehr.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Wir Freie Demokraten wollen, dass in den Bibliotheken wieder die neuesten Bücher ausliegen, damit sich jeder bestens auf eine Klausur vorbereiten oder eine herausragende Seminararbeit schreiben kann. Das soll nämlich nicht nur denjenigen vorbehalten bleiben, die sich die Bücher im Geschäft selber kaufen können. Das verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit.

(Beifall von der FDP)

Auch Tutorien helfen doch gerade den Studierenden, die sich sonst alleine durch den Dschungel kämpfen müssten und denen das akademische Leben von Hause aus weniger oder gänzlich unbekannt ist. Auch das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, ich muss Sie leider ein zweites Mal unterbrechen, weil ich Sie fragen muss, ob Sie jetzt eine Zwischenfrage von Frau Dr. Seidl zulassen.

Angela Freimuth (FDP): Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.

Wir wollen die Studierenden nicht schröpfen, um den Landeshaushalt à la Baden-Württemberg zu sanieren. Im Übrigen habe ich die Internationalisierung der Wissenschaft schon angesprochen. Darüber werden wir uns gleich noch einmal unterhalten.

Wir wollen eine bessere Bildung und Ausbildung an den Hochschulen ermöglichen und gemeinsam mit den Studierenden in deren Zukunft investieren. Durch eine nachgelagerte Zahlung in Abhängigkeit …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): … von der Einkommenshöhe im späteren Beruf wird niemand – das ist uns ein Anliegen – aus finanziellen Gründen abgehalten, ein Studium aufzunehmen und erfolgreich zu absolvieren. Diese rot-grüne Gruselgeschichte gehört in die Mottenkiste. Vielmehr besteht durch die verbesserten Studienbedingungen doch die Möglichkeit, die durch überfüllte Seminare oder auch fehlende Bücher entstehenden Mehrkosten auch durch Studienverzögerungen zu vermeiden.

Haben Sie sich im Übrigen einmal angeschaut, wie die Entwicklung im privaten Hochschulsektor ist? Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht ignorieren, dass die Attraktivität unserer Hochschulen durch hervorragende Studienbedingungen steigt. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag für ein intelligentes und sozial gerecht ausgestaltetes Studienbeitragsmodell, …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten.

Angela Freimuth (FDP): … welches beitragen kann, das Studium in Nordrhein-Westfalen attraktiver, lehrreicher und besser zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Also, das ist schon irgendwie krass hier. Um es gleich einmal vorweg zu sagen: Wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir sind froh, dass die Studiengebühren in den bildungspolitischen Diskussionen deutschlandweit laufend an Relevanz verlieren, auch wenn die neoliberale FDP mit ihrem Entschließungsantrag wieder einmal eine Blendgranate zündet, indem von nachgelagerten, sozial gerechten Studienbeiträgen schwadroniert wird.

Es darf – Dank an Frau Freimuth – natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass Herr Kretschmann in Baden-Württemberg, der sich in einer schwarz-grünen Koalition befindet, ausländische Studierende zur Kasse bitten möchte. Herr Berger, vielleicht möchten Sie umziehen. Sie sind ja eigentlich auch für Studiengebühren. Es muss Ihnen ja – das kann ich mir vorstellen – wehtun, hier vorne gegen Studiengebühren zu sprechen. – Aber sei es drum. Wir Piraten wollen eine gebührenfreie Bildung von der Kita über die Hochschule bis zur beruflichen Weiterbildung.

Ich werde mich im Folgenden grundsätzlich an der Argumentation des „Krefelder Aufrufs“ – des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren aus dem Jahr 1999 – entlanghangeln; denn dort ist in selten klarer Sprache ausgeführt, was es eigentlich mit Studiengebühren auf sich hat:

„Studiengebühren sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Sie lösen kein einziges Problem, sondern verschärfen“

– im Gegenteil –

„die Krise des Bildungssystems.“

„1. Studiengebühren befördern die Privatisierung sozialer Risiken. Bildung wird nicht mehr als ein öffentliches Gut“

– vielmehr als Ware –

„gesehen, dessen Nutzung als allgemeines Recht gilt, sondern“

– eher –

„als zu erwerbende und zu bezahlende Dienstleistung, mit der jedeR Einzelne in sein/ihr ‚Humankapital‘ investiert.

In diesem Sinne sind Studiengebühren integraler Bestandteil des neoliberalen Politikmodells, dessen Ziel es ist, außer Bildung auch z. B. Beschäftigung, Gesundheit und Altersvorsorge sowie andere gesellschaftliche Aufgaben auf den/die einzelne/n abzuwälzen.

Deswegen betrifft die Studiengebührendebatte eben nicht nur Studierende. Sie hat vielmehr eine gesellschaftliche Stellvertreterfunktion, um die Akzeptanz einer generellen privaten Kostenbeteiligung für alle weiterführenden Bildungswege … durchzusetzen.

2. Die sozialen Wirkungen und Steuerungseffekte von Studiengebühren sind gesellschaftlich schädlich.

Studiengebühren fördern ein antisoziales und entsolidarisierendes,“

– eher auf Konkurrenz ausgerichtetes –

„persönliches Bildungsverhalten und verstärken die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit des Wissenschaftssystems.“ Sogenannte bildungsferne Schichten werden noch stärker von weiterführender Bildung abgeschreckt.

3. Sozialverträgliche Studiengebühren kann es nicht geben!

Das ist ein Widerspruch in sich. Jede Verkoppelung von Bildungschancen mit der – strukturell ungleichen – privaten Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft reproduziert die entsprechende Ungleichheit in der Bildung.“

– Und Bildung ist ein Grundrecht, das wissen wir alle.  –

(Ralf Witzel [FDP]: Was ist denn mit der PTA-Schülerin?)

„4. Die Behauptung, Studiengebühren würden die Entscheidungsposition von Studierenden innerhalb der Institution Hochschule stärken, ist falsch.

Das Gegenteil ist der Fall. Studiengebühren ersetzen Rechts-, Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche durch ein privates Marktverhältnis zwischen Verkäufern und Kunden. Die neue Freiheit der Studierenden wäre daher lediglich negativer Natur. Sie würde sich auf die Möglichkeit beschränken, zwischen Angeboten wählen zu können, auf deren Zustandekommen sie nicht den geringsten Einfluß haben.“

Dem wäre insoweit nichts hinzuzufügen.

Zu den Entschließungsanträgen: Den der FDP könnt ihr sowieso vergessen; das wisst ihr. In dem Antrag der Union wird sehr deutlich, dass sie zum Thema „Studiengebühren“ aktuell „Nachlaufen mit sich selbst“ spielt.

Ich bitte meine Fraktion, beide Anträge abzulehnen. Im Folgenden möchte ich mit euch zusammen wieder zu wichtigen Themen kommen. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN – Karlheinz Busen [FDP]: Aber das dauert nicht mehr lange!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 21 Milliarden € sind eine beeindruckende Zahl. Das sind 45 % des Landeshaushalts von Nordrhein-Westfalen, und das gibt Nordrhein-Westfalen für Bildung aus. Das ist deutlich mehr als in jedem anderen Flächenland in Deutschland und keine Selbstverständlichkeit.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es ist übrigens auch kein Geld vom Bund, sondern hier wurde eine bewusste politische Entscheidung getroffen. Diese Landesregierung setzt ganz klar auf Bildung.

Warum machen wir das? – Wir wollen natürlich, dass alle Talente in unserem Land eine Chance haben, ihren Lebensweg selber zu gestalten, selber zu bestimmen, wo sie hinwollen. Dafür ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems absolut entscheidend. Wir sorgen dafür, dass das System durchlässiger wird und dass die Talente, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, hier wirklich eine Zukunft haben.

Deswegen ist es uns so wichtig, dass wir Hindernisse abbauen, die es immer noch im Bildungssystem gibt. Studiengebühren sind solche Hindernisse. Sie hindern Leute daran, ihren Weg zu gehen. Das ist das Gegenteil von sozial gerecht. Es ist immer noch viel zu sehr so, dass die Herkunft darüber entscheidet, welche Zukunft Kinder haben. Das darf nicht länger der Fall sein. Deswegen war es absolut richtig, die Studiengebühren abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, deswegen ist es auch richtig, dass wir weiter an dem Thema bleiben. Unser 14-Punkte-Programm „Erfolgreich studieren“ definiert genau, in welchen Phasen wir aufpassen müssen, wo wir die jungen Leute nicht verlieren dürfen, wo wir mit Talent-Scouting, mit Diversity Management helfen können.

Dass Studiengebühren nicht sozial gerecht sind, ist eindeutig. Die Begriffe „Studiengebühren“ und „sozial gerecht“ gehen nur in einem einzigen Satz zusammen: Studiengebühren sind nicht sozial gerecht und werden es auch niemals sein, in welcher Konstruktion auch immer.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, dass Sie uns das vielleicht nicht glauben, das mag so sein. Ich kann Ihnen den dritten Bildungsbericht der KMK und des BMBF empfehlen, die, glaube ich, nicht im Verdacht stehen, sozialdemokratische Vorfeldorganisationen zu sein. Der Bericht sagt eindeutig, dass zwei Drittel derjenigen, die nicht den akademischen Bildungsweg wählen, obwohl sie das von ihren Vorbedingungen her könnten, das nicht tun wegen Finanzierungsproblemen bzw. der Angst vor Schulden. Das Geld ist also ganz entscheidend dafür, ob man ein Studium aufnimmt oder nicht. Deswegen müssen wir weiter Hürden abbauen und nicht aufbauen. Deswegen sind Studiengebühren der falsche Weg.

Herr Berger, Sie haben eben erklärt, das System in NRW sei nicht attraktiv.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Es ist ungerecht!)

Das ist eine absolute Unverschämtheit. Ich weise das hier in aller Deutlichkeit zurück. 760.000 junge Menschen entscheiden sich dafür, in Nordrhein-Westfalen zu studieren, weil es hier attraktiv ist, weil wir hier so hervorragende Hochschulen haben. Wir räumen einen Forschungspreis nach dem nächsten ab, und Sie sagen, das sei kein attraktives System. In welcher Welt leben Sie denn? Es ist attraktiv, in Nordrhein-Westfalen zu studieren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Karlheinz Busen [FDP])

Wenn Sie ehrlich sind, dann wissen Sie doch auch, dass wir den MINT-Nachwuchs für ganz Deutschland ausbilden. Sie kennen die Zahlen: Im Durchschnitt sind es 63 Absolventen pro 1.000 MINT-Akademikern. Bei uns sind es deutlich über 70. Hier wird der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebildet. Die kommen doch nicht hierher, weil es so unattraktiv ist, sondern es ist ein attraktives System, und das wird auch ohne Studiengebühren so bleiben.

Meine Damen und Herren, ganz gleich, für welche Ausbildung man sich entscheidet: Wir sorgen in Nordrhein-Westfalen dafür, dass junge Leute auf ihren Weg kommen, sowohl in der klassischen dualen Ausbildung als auch in einem Studium. Wir fördern alle Optionen und spielen sie nicht gegeneinander aus. Das ist ganz wichtig. Uns geht es darum, dass alle Bildungswege kosten- und gebührenfrei sind.

Liebe Frau Freimuth, wenn Sie dann in der Bibliothek das neueste Buch nicht im Regal finden, dann liegt das daran, dass es als E-Book vorhanden ist. Sie müssen einfach an einer anderen Stelle suchen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Diese Regierung steht dafür, dass Bildung kosten- und gebührenfrei ist. Dafür haben wir uns eingesetzt, und das werden wir auch in Zukunft tun. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/14392. Die antragstellenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben direkte und gemäß § 44 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung beantragt. Nach Abs. 2 dieses Paragrafen erfolgt die namentliche Abstimmung durch den Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben bei Namensaufruf mit Ja oder Nein zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten.

Ich bitte nun den Herrn Abgeordneten Terhaag, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf erfolgt [Abstimmungsliste siehe Anlage].)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben alle Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? – Es gibt Nachmeldungen.

(Der Namensaufruf wird fortgesetzt [Abstimmungsliste siehe Anlage].)

Ich frage noch einmal, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Haben alle ihre Stimme abgegeben? – Das ist der Fall. Es gibt keine weiteren Nachmeldungen.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Auszählung vorzunehmen.

(Die Auszählung erfolgt.)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe Ihnen nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Ihre Stimme haben abgegeben 209 Abgeordnete, mit Ja haben gestimmt 132 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 77, und es hat sich kein Abgeordneter der Stimme enthalten. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14392 angenommen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben jetzt aber noch zwei weitere Abstimmungen vorzunehmen. –

Es geht zunächst um den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP. Das ist die Drucksache 16/14501. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. – Wer stimmt mit Nein? – Wer enthält sich? – Bei Zustimmung der FDP-Fraktion haben sich alle anderen Fraktionen gegen den Antrag ausgesprochen. Damit hat der Entschließungsantrag Drucksache 16/14501 keine Mehrheit bekommen und ist abgelehnt.

Wir kommen drittens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU. Das ist die Drucksache 16/14508. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag der Fraktion der CDU mit den Stimmen von der SPD, der Fraktion Die Grünen, der FDP und der Piraten gegen die Stimmen der Fraktion der CDU abgelehnt. Damit ist der Entschließungsantrag 16/14508 ebenfalls abgelehnt.

Ich rufe auf:

7  Links blinken, aber rechts fahren? Landesregierung zeigt Doppelmoral bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14402

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Kollegen Werner Lohn das Wort.

Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Volksmund sagt man: Lügen haben kurze Beine. Parlamentarisch korrekt ausgedrückt, müsste es wohl eher heißen, dass Unwahrheiten meistens viel schneller ans Licht kommen, als kurze Beine laufen können.

Deswegen sollten wir im Landtag dem verbreiteten Vorurteil, dass Politiker grundsätzlich nicht halten, was sie vor den Wahlen versprechen, geschlossen und entschlossen entgegentreten. Denn alles andere wäre Wasser auf die Mühlen von plumpen Politikkritikern.

(Beifall von der CDU)

Das gilt natürlich auch bei dem Thema „befristete Arbeitsverhältnisse“, um das es hier geht. Gerade bei diesem Thema tut sich der aktuelle SPD-Kanzlerkandidat Schulz unter der Überschrift „Soziale Gerechtigkeit“ gern mit markanten Forderungen hervor.

Unsere Ministerpräsidentin Frau Kraft meinte kürzlich, es ihm im TV bei „Maischberger“ gleichtun zu müssen. Frau Kraft kritisierte unter anderem, dass junge Menschen von Arbeitgebern durch befristete Beschäftigungsverhältnisse, die – wörtlich – „ein großes Übel“ seien, geradezu – wieder wörtlich – „abgespeist“ würden.

Im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen für die laufende Legislaturperiode klingt das etwas moderater. Dort heißt es:

„Wir werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen, dass befristete Beschäftigungsverhältnisse (…) stärker als bisher reglementiert werden. So sollte, außer bei Existenzgründungen, die sachgrundlose Befristung abgeschafft werden (…).“

Dazu noch einmal Frau Ministerpräsidentin Kraft in ihrer Regierungserklärung vom September 2012 – wörtlich – mit Blick auf die Landesbehörden:

„Ebenso wollen wir die verschiedenen Formen von prekärer Beschäftigung zurückdrängen. Das unbefristete Normalarbeitsverhältnis muss die Regel sein!“

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das verkündete Ziel, sachgrundlose Befristungen grundsätzlich zu reduzieren, ist richtig und findet, so glaube ich, hier auch die Mehrheit.

Tatsächlich ist es so: Wenn unser öffentlicher Dienst im Kampf um die besten Köpfe nicht noch weiter zurückfallen soll, müssen wir jungen Nachwuchskräften als Anreiz mindestens einen unbefristeten, sicheren Arbeitsplatz anbieten können. Denn, wenn wir ehrlich sind: Mit den vergleichsweise geringen Gehältern für Fachkräfte im öffentlichen Dienst des Landes können wir heute keinen Wettbewerb mehr gewinnen.

Aber leider sieht das tatsächliche Regierungshandeln von Frau Kraft und ihrer SPD – wie so oft – ganz anders aus, als zuvor verkündet. Im TV bei „Maischberger“ wurde Frau Kraft live mit der Tatsache konfrontiert, dass sie selbst ganz aktuell 50 junge Menschen mit der Ausschreibung von befristeten Arbeitsverhältnissen – nach ihren Worten – abspeisen will.

Der Widerspruch zwischen Reden und tatsächlichem Tun von Frau Kraft konnte kaum deutlicher dargestellt werden. Auch der dann folgende, eher hilflose Versuch, einen anwesenden kritischen Experten mit der Behauptung abzubügeln, dass er vom öffentlichen Dienst wohl keine Ahnung habe, half da nicht mehr. Im Endeffekt war klar: Frau Kraft war übel ertappt. Ihre Aussagen sind als Sozialplauderei mit Doppelmoral entlarvt worden.

(Beifall von der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bezeichnenderweise hat dieselbe Frau Kraft – sie ist jetzt leider nicht da – dem damaligen Ministerpräsidenten Rüttgers in einer Debatte vorgeworfen, sozial daherzureden. Tatsächlich hieß es hinterher: „Im Gegenteil, Sie blinken links, Sie fahren aber nach rechts“. Diese Aussage von Frau Kraft damals und der ungerechtfertigte Vorwurf an Herrn Rüttgers klingen heute wie blanker Hohn.

Zu dem eklatanten Widerspruch zwischen Reden und Tun passt auch, dass es drei Jahre nach der Regierungsübernahme von SPD und Grünen im Jahr 2013 nicht weniger, sondern tatsächlich 1.331 mehr befristete Arbeitsverhältnisse gab als 2010. Insgesamt wurde damals ein Höchststand von 16.194 Fällen erreicht.

Zum Motto „Links blinken, aber rechts fahren“ von Frau Kraft passt auch, dass Mitte 2015 von 82.000 Angestellten im Land fast 13.000, also rund jeder Sechste, befristet angestellt war. Nach den Worten von Frau Kraft wurden diese Beschäftigten also von ihrer eigenen Landesregierung „sachgrundlos und übel abgespeist“. Zeitgleich gab es übrigens Ende 2015 etwa 5.400 freie Stellen für unbefristete Arbeitsverhältnisse, die nicht genutzt wurden.

Finanzminister Walter-Borjans wird gleich sicherlich behaupten, dass nur 5 % Arbeitsverhältnisse der Arbeitsverhältnisse befristet seien. – Herr Minister, Sie hören aufmerksam zu, das finde ich gut. – Das ist natürlich eine bewusst irreführende Berechnung; denn Sie haben in diese Vergleichszahlen alle Beamten – 250.000 an der Zahl – mit eingerechnet. Und Beamte, das ist sicher allen bekannt, können nicht befristet beschäftigt werden. Von daher ist dieser Vergleich unseriös und bewusst irreführend.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit ist beendet.

Werner Lohn (CDU): Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. – Heute, im Jahr 2017 haben wir faktisch 15,7 % befristete Arbeitsverträge. Im letzten Jahr kamen noch 1.645 dazu.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege!

Werner Lohn (CDU): Von einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, wie es im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen festgelegt wurde, ist nicht die Spur zu sehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit jetzt wirklich um eine Minute überschritten. Ich möchte freundlich darauf hinweisen.

Werner Lohn (CDU): Die Redezeit ist zu Ende. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Und die sieben Jahre, die Frau Kraft Zeit hatte, diesen Umstand zu ändern, sind auch zu Ende. – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die SPD spricht Herr Kollege Zimkeit.

Stefan Zimkeit (SPD): Es würde jetzt naheliegen, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Bemerkung über die Länge der Beine von Herrn Lohn zu machen, aber das wäre dann wahrscheinlich unparlamentarisch. Deswegen verkneife ich es mir.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Das können Sie nachher in der Kaffeeklappe machen.

Stefan Zimkeit (SPD): Gibt es jetzt auch Zwischenrufe vom Präsidenten? – Das ist neu. Aber auch gerne gleich in der Kaffeeklappe.

Klar ist auf jeden Fall, dass hier bewusst falsche Behauptungen aufgestellt wurden und dass es wieder an klaren Positionierungen gemangelt hat. Eines ist vollkommen klar: Die 50 Stellen, die hier in Rede stehen, sind nicht sachgrundlos befristet. Es handelt sich um eine Befristung von einem Jahr wegen einer halbjährigen Ausbildungsphase und einer sich anschließenden halbjährigen normalen Probephase. Das ist mit Betriebsräten, mit Gewerkschaften – also mit den Arbeitnehmervertretern – vereinbart, um die Finanzverwaltung zu stärken. Dass Sie daraus entgegen der Aussagen der Gewerkschaften diesen Popanz aufbauen, zeigt eigentlich nur Ihre politische Panik aufgrund von aktuellen Umfragen.

Sie sollten einmal hingehen und glaubwürdig versuchen, bei dem zu bleiben, was Sie sagen. Herr Optendrenk ist leider nicht da. Wir haben sehr viel gemeinsam auf den Weg gebracht, um die Finanzverwaltung in NRW im Kampf gegen Steuerhinterziehung zu stärken. Ein Punkt dabei war die zusätzliche Schaffung von Angestelltenstellen zur Umsetzung dieses Vorhabens. Sie fallen jetzt aus parteitaktischen Gründen diesem gemeinsamen Vorgehen der Finanzpolitiker im HFA in den Rücken. Aber das wird Ihnen nicht gelingen.

Sie haben auch mit falschen Zahlen gearbeitet. Seitdem wir in der Regierung sind, haben wir die Zahl der befristeten Stellen um 14 % abgebaut. Das nennen Sie „keinen nennenswerten Abbau“? – Ich kann mir das nur so erklären, dass Sie sich schon mal auf die Statements am Wahlabend vorbereiten, in denen Sie sich selbst erklären wollen, dass Verluste in dieser Höhe nicht nennenswert seien. – Wir haben jedenfalls klar gehandelt und Befristungen abgebaut.

Wir haben das zumindest Seite an Seite mit den Gewerkschaften getan. Es gibt Pressemeldungen gemeinsam mit ver.di zum Abbau befristeter Stellen beim BLB. Hier haben Sie zu Ihren Regierungszeiten die Zahl der befristeten Stellen massiv ausgeweitet und auf diese Weise so getan, als würden Sie Personal abbauen. Wir haben das beendet und erhalten dafür das Lob der Gewerkschaften.

700 befristete Stellen haben Sie alleine im Justizbereich hinterlassen, die Herr Kutschaty auch im engen Dialog mit den Gewerkschaften abgebaut hat. Auch hierzu gab es das Lob von ver.di. Wir sind gegen diese befristeten Stellen, und wir handeln hier gemeinsam mit den Gewerkschaften – ganz im Gegensatz zu Ihnen, die Sie nur geredet und die Befristung massiv ausgebaut haben. Dass Sie nun hingehen und sich plötzlich zum Beschützer der Arbeitnehmerinteressen machen, ist schon mehr als merkwürdig. Sie wollen das Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen und damit Lohndumping Tür und Tor öffnen.

(Ralf Witzel [FDP]: Bundeseinheitliche Standards!)

Sie haben das Landespersonalvertretungsgesetz geschliffen und die Mitbestimmung bei den Gewerkschaften eingeschränkt. Auch das mussten wir wieder beenden. Wenn Sie sich dann hierhinstellen und sich plötzlich zum Schutzpatron der Arbeitnehmer erklären, wird Ihnen keiner glauben, insbesondere die Gewerkschaften nicht. Aber Sie haben sich zumindest kurz positioniert und gesagt, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wäre gar keine schlechte Idee. – Ja, dann handeln Sie doch!

Wir sind sofort bereit, auf Bundesebene mit Ihnen ein Gesetz zu machen, womit die sachgrundlose Befristung abgeschafft wird. Die CDU in Berlin steht doch auf der Bremse und verhindert diese Maßnahme zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie wollen in Berlin die sachgrundlose Befristung beibehalten. Das ist das Übel an der Geschichte. Wir werden erstens dafür sorgen, dass das abgeschafft wird, sobald es andere Mehrheiten in Berlin gibt, und wir werden zweitens hier in Nordrhein-Westfalen konsequent den Weg weitergehen, die befristete Beschäftigung zurückzufahren.

Eine kurze Antwort, Herr Lohn, auf Ihre Falschbehauptung, die Sie vorhin aufgestellt haben: Natürlich sind Beamte nicht befristet beschäftigt. Aber jeder, der sich ein bisschen auskennt – und Sie wissen es ja auch besser –, weiß, dass zum Beispiel im Lehrerbereich Beamte durchaus durch Angestellte vertreten werden können, und dass das der Grund dafür eine Befristung gewesen sein kann. Insofern behaupten Sie hier wider besseren Wissens die Unwahrheit, womit wir wieder bei der Länge Ihrer Beine wären. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU, Sie könnten einmal einen sinnvollen Beitrag zur Reduzierung von Befristungen leisten. Wir haben einen Bereich im Land, in dem 90 % der Beschäftigungsverhältnisse befristet sind. Das ist der Hochschulbereich. Man muss natürlich genau hinschauen, weil das unter anderem auch Qualifizierungsphasen, zum Beispiel bei Doktorandinnen und Doktoranden, betrifft. Wir haben aber auch viele dauerhaft dort Angestellte, beispielsweise in der Verwaltung der Hochschulen, die seit Jahren auch in diesem Bundesland darauf warten, dass unsere Bundesratsinitiative zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht länger von der CDU im Deutschen Bundestag blockiert wird. Fangen wir doch einmal da an, wenn es Ihnen mit der Reduktion von Befristungen ernst ist!

(Beifall von den GRÜNEN)

Zu diesen 50 zusätzlichen Stellen bei der Finanzverwaltung offenbaren Ihre Leute in Berlin auch noch vor einem zahlenmäßig nicht geringen Fernsehpublikum, dass sie von dem öffentlichen Dienst und dem Zugang zum öffentlichen Dienst überhaupt keine Ahnung haben. Die Ministerpräsidentin hat das völlig zu Recht in dieser erwähnten Sendung gesagt. Das ist nun wirklich der Wahnsinn in Tüten, was Sie hier um die 50 Angestellten aufführen, die unsere Finanzbeamtinnen und -beamten entlasten sollen, meine Damen und Herren.

Wir hatten hier vor ziemlich genau einem Jahr eine Debatte zu dem Antrag der Piraten auf zusätzliche Betriebsprüferinnen und -prüfer. Wir haben in der Finanzverwaltung inzwischen 1.100 zusätzliche Stellen. Wir haben auch die Anzahl der Betriebsprüferinnen und -prüfer deutlich angehoben. Wir wissen aber auch, dass wir es bei der Finanzverwaltung mit sehr stark steigenden Pensionierungszahlen zu tun haben. Während wir 2010 noch 7.000 Pensionierungen im Jahr hatten, wird die Zahl bis zum Jahr 2020 auf fast 10.000 Pensionierungen im Jahr ansteigen. Vor diesem Hintergrund halten wir als Grüne unsere Forderung nach 2.000 zusätzlichen Stellen bei der Finanzverwaltung nach wie vor aufrecht.

Wir haben damals hier am Pult gesagt und dies auch im Dialog mit den Gewerkschaften durchgesetzt, dass auch Tarifbeschäftigte unsere Finanzbeamtinnen und -beamten entlasten. Jetzt sind die 50 Stellen inzwischen zu 100 % besetzt, glaube ich. Das kann der Finanzminister gleich sagen. Das Thema hatten wir hier heute auch schon. Jetzt sind die 50 Stellen da. Das wird von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft und auch von ver.di begrüßt.

Wie bekommen wir die Personen, die wir jetzt gefunden haben, in die Laufbahn? Das gelingt, indem sie eine halbjährige Probezeit haben und, wenn sie sich bewähren, eine halbjährige Qualifizierungsphase erhalten, um dann, wenn sie aus verwandten Berufsfeldern kommen, die Steuerverwaltung zu entlasten und in den öffentlichen Dienst bei der Finanzverwaltung eintreten.

Sie wollen ernsthaft behaupten, das sei ein Beleg dafür, dass wir es mit Befristungen nicht ernst meinten? Fordern Sie denn jetzt, dass wir diese 50 Stellen nicht schaffen? Oder was wollen Sie jetzt? Das müssen Sie hier einmal klar sagen. Denn ich verstehe nicht, was für einen Popanz Sie aufführen. Eigentlich sollten Sie mit uns gemeinsam die Verbesserung bei der Finanzverwaltung begrüßen, wie es eigentlich auch im Ausschuss diskutiert wurde.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist ein wichtiger Schritt, meine Damen und Herren.

Ich bin dafür, dass wir – egal, wie sich der neue Landtag nach dem 14. Mai 2017 zusammensetzt – dafür eintreten, solche Wege in den öffentlichen Dienst und auch das Dienstrecht flexibler zu gestalten, um gut qualifizierten Leuten, die entweder schon einmal im Landesdienst waren und dorthin zurückwollen oder aber mit anderen Qualifikationen in den Landesdienst eintreten möchten, den Weg zu öffnen. Da müssen wir flexibler werden und auch über das Eintrittsalter und über Verbeamtung reden. Das wird sicherlich ein großer Prozess.

Hören Sie aber auf, hier sinnvolle Maßnahmen zu diskreditieren – das zeigt ja auch Ihre Verzweiflung –, von denen die Gewerkschaften und die Finanzverwaltung selbst sagen: Es ist gut, wie ihr das macht. – Wie gesagt, zeigt das, wie verzweifelt Sie sind. Wir sollten uns hier wirklich den wichtigen Sachthemen widmen.

In einem solchen Landesbereich mit 90 % Befristungen sind wir auf Bundesregelungen angewiesen. Dort blockieren Sie dann, wenn es darauf ankommt. Das zu ändern, wäre hier ein wichtiger Beitrag zur Debatte. Wenn Sie das machten, würden wir das begrüßen. Sie haben noch Zeit bis September. Der Antrag dieses Bundeslandes ist im Bundesrat gestellt. Die grüne Bundestagsfraktion hat das ebenfalls mehrfach beantragt. Lassen Sie uns das jetzt endlich machen. Geben Sie Ihre Blockadehaltung auf. Sorgen wir für bessere Arbeitsbedingungen und für eine Attraktivierung unserer Hochschulen, meine Damen und Herren! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Abel. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema des heute hier vorliegenden Antrags bedarf einer differenzierten Betrachtung. Man kann nicht jeden Sachverhalt über ein und denselben Kamm scheren. Der Grundsatz ist sicherlich für uns alle – das ist auch bei allen Vorrednern hier deutlich geworden – die unbefristete Anstellung, insbesondere im öffentlichen Dienst. Sicherlich ist es aber auch die Idealvorstellung für die sonstige private Wirtschaft.

Zugleich gilt: Es gibt im Einzelfall gute Gründe für Befristungen. Das ist auch der Grund, warum wir uns im Haushalts- und Finanzausschuss in der letzten Woche näher von den Ressorts haben darlegen lassen, in welchen Konstellationen es zu Befristungen kommt. Das können Fälle sein, in denen das zum Beispiel schwangerschaftsbedingt ist, in denen Probezeiten angesprochen sind, in denen Ausbildungsabschnitte betroffen sind oder in denen es um eine Abdeckung von vorübergehenden Personalengpässen geht. Es geht bis hin zu Fragen der Anwärterübernahme, wenn man das Ziel hat, sich in bestimmten Bereichen personell verstärken zu wollen, eine anwärtergestützte Ausbildung aber einen zeitlichen Vorlauf hat und in der Zwischenphase Lösungen benötigt werden, um direkt etwas für den entsprechenden Bereich in dem Ressort zu tun.

Das gilt zum Beispiel auf dem Feld der inneren Sicherheit bei der Polizei. Dort ist es, auch wenn das vielleicht nicht der Idealfall der Ausbildung und der Rekrutierung ist, trotzdem hilfreich, für die Überbrückungszeit andere, flexible Instrumente zu wählen, bis eine steigende Anzahl von Polizeikommissarsanwärtern nach abgeschlossener Ausbildung im Dienst angekommen ist, damit eine Entlastung in akuten Arbeitssituationen gegeben ist. Deshalb bietet sich hier eine differenzierte Betrachtung an.

Klar von den nachvollziehbaren Befristungen zu unterscheiden sind aber ausdrücklich Konstellationen, die von der Sache her nicht geboten sind und die es, wie man zugeben muss, wenn man ehrlich ist, die letzten Jahre natürlich im öffentlichen Dienst auch gegeben hat. Wie so häufig, wurden hier auch historische Beispiele genannt. Das ist ein Sachverhalt gewesen, den wir, von Rot-Grün hinterlassen, 2005 auch in schwarz-gelber Regierungszeit vorgefunden haben.

Dabei handelt es sich beispielsweise um das damals sehr intensiv diskutierte Phänomen von immer neuen Kettenverträgen im Schulbereich. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat bewusst gesagt: Wenn man sich die Demografie im Lehrerbereich und die Prognose der Schülerzahlen für die nächsten Jahre anschaut, ist es doch nur sachgerecht, mindestens in dem Umfang, in dem man in jedem Fall neue Lehrkräfte im System benötigt, aus immer wieder neu und teilweise nur auf Schulhalbjahre befristeten Kettenverträgen auszusteigen und daraus reguläre Planstellen zu machen. Das hat die schwarz-gelbe Landesregierung in der 14. Legislaturperiode auch getan und für mehrere Tausend Stellen reguläre Planstellen eingerichtet.

Da kann es auch kein Grund sein – so wie das damals begründet worden ist –, über die Sommerpause die Lehrkräfte einzusparen. Sie mussten dann zur Arbeitsagentur gehen, um im neuen Schuljahr auf Basis eines neuen befristeten Vertrags wieder angestellt zu werden.

Mit den Bediensteten auf Dauer und über Jahre solche Lösungen zu praktizieren, ist würdelos. Deshalb muss das in den Bereichen, in denen es von der Sache her nicht erforderlich ist, unterbleiben. Wir haben an den Stellen, an denen wir das konnten, unseren Beitrag dazu geleistet.

Das gilt für die studentischen Beschäftigungen und für Tätigkeiten im Hochschulbereich an sich, die auch schon Thema dieser Debatte gewesen sind.

In der Praxis bekommen die Betroffenen laut ihren eigenen Beschreibungen von ihren Professoren oftmals wenige Wochen vor Ablauf einer Beschäftigung auf Zuruf noch einmal für ein Semester eine Vertragsverlängerung, weil dann gerade noch Mittel da sind. Dann setzt das große Windhundrennen der Lehrstühle ein, und es muss möglichst schnell die Tinte unter die Verträge, um diese bei den jeweiligen Verwaltungsstellen einzureichen und nach Düsseldorf zu schicken, weil man gerade noch rechtzeitig an bestimmten Sonderprogrammen partizipieren möchte. Wer dabei zwei Tage zu spät ist, der hat das Nachsehen.

Diese Instrumente müssen wir in unserem Land nicht praktizieren. Daran sollten wir arbeiten.

Das darf keine Generalkritik daran sein, sich im Einzelfall flexible Möglichkeiten zur Eröffnung befristeter Verträge offenzuhalten. Das, was wir für den öffentlichen Dienst in Anspruch nehmen, müssen wir natürlich auch umso mehr der privaten Wirtschaft zugestehen, die nicht auf einer solchen Absicherungsbasis operieren kann, wie es dem Staat möglich ist.

Deshalb ist völlig klar: Wenn dieses Instrument im öffentlichen Dienst in Anspruch genommen wird, darf man gegen den einen oder anderen privaten Unternehmer, der sich ebenfalls für dieses Modell entscheidet, auch nicht den Zeigefinger heben, wenn diese Entscheidung im Einzelfall nachvollziehbar ist.

In diesem Sinne sollten wir an der Fragestellung auch in Bezug auf den öffentlichen Dienst weiter arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Witzel. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Kern.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Es geht um sachgrundlose Befristungen im Landesdienst. Aktuell zeigen die 50 neu ausgeschriebenen Stellen in der Finanzverwaltung mal wieder exemplarisch, dass es mit der Vorbildfunktion der Politik für die Privatwirtschaft nicht weit her ist.

Martin Schulz, der neu erkorene sozialdemokratische Messias,

(Michael Hübner [SPD]: Guter Mann!)

dessen Programm im Wesentlichen daraus besteht, anzukündigen, die unsoziale SPD-Politik der letzten Jahrzehnte zu korrigieren, wird an dieser Stelle von der sozialdemokratischen Regierungsrealität eingeholt. Ich wage einmal die Prognose, dass ihm das in nächster Zeit noch häufiger passieren wird.

Die meisten sachgrundlosen Befristungen und prekären Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor gibt es übrigens an den Hochschulen. Hier zeigt sich, wie fatal die Entscheidung des schwarz-gelben Hochschulfreiheitsgesetzes war, die Personalverantwortung für die Beschäftigten der Hochschulen auszulagern.

Da hilft auch keine rot-grüne Absichtserklärung wie der Rahmenkodex „Gute Arbeit“ für gute Beschäftigungsbedingungen, der arbeitsrechtlich leider nicht durchsetzbar ist.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Denken wir einmal gemeinsam über das Wort „Kodex“ nach!)

Wir Piraten haben in diesem Zusammenhang gefordert, im Hochschulzukunftsgesetz die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Rückführungen des Hochschulpersonals in den Landesdienst festzuschreiben.

(Beifall von den PIRATEN – Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das will kein einziger Beschäftigter! Welche Gewerkschaft fordert das?)

– Drücken Sie sich doch ein.

Denn nur wenn die Personalverantwortung beim Land liegt, lassen sich prekäre Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft verhindern.

Dann, liebe SPD, könnte man auch den Lippenbekenntnissen von Martin Schulz Taten folgen lassen. Aber – sozialdemokratische Doppelbödigkeit und politische Glaubwürdigkeit mal beiseitegelassen – wie steht denn die CDU zu sachgrundlosen Befristungen? Oder geht es mit diesem Antrag letztlich nur darum, die SPD und den Finanzminister vorzuführen?

Genauso wie das Thema „unbesetzte Stellen im Landesdienst“, das wir heute schon einmal in diesem Plenum behandelt haben, ist das Problem der flächendeckenden befristeten Beschäftigungsverhältnisse zu ernst, um es nur für Wahlkampfgeplänkel zu instrumentalisieren. Wir Piraten lehnen sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen beim Staat und in der Privatwirtschaft kategorisch ab.

Der Anteil der befristet beschäftigten Jugendlichen war noch nie so groß wie heute. Noch 1991 lag der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in dieser Altersgruppe bei 8,4 %. Im Jahr 2015 ist der Anteil der Befristungen dann auf einen Wert von 22,7 % hochgeschossen. Laut Statistischem Bundesamt liegt der Anteil der jungen Leute, die 2015 unfreiwillig eine Anstellung auf Zeit hatten und lieber eine unbefristete Stelle haben wollten, noch einmal deutlich höher, nämlich bei über 27 %. Befristete Arbeitsverträge für junge Menschen sind heute in unserem Land ein Massenphänomen.

Für die Betroffenen bedeutet das finanzielle Unsicherheiten aufgrund häufiger Arbeitsplatzwechsel – die drohende Arbeitslosigkeit immer wieder vor Augen –, Instabilität und Unsicherheit beim Start ins Berufsleben sowie eingeschränkte Perspektive und Planungssicherheit. Wie junge Menschen unter diesen Bedingungen eine Familie gründen sollen, bleibt das gut gehütete Geheimnis der Politik.

Deshalb begrüßen wir es grundsätzlich, wenn Herr Schulz sein sozialdemokratisches Gewissen wiederentdeckt und die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen kritisiert. Es wäre nur schön, wenn die sozialdemokratische Regierungsrealität diesen Lippenbekenntnissen standhalten würde. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kern. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine befristete Stelle kann ja durchaus eine Einstiegschance sein. Wie wir wissen, ist sie aber immer auch mit einer Belastung für denjenigen verbunden, der sie annimmt, weil sie einfach keine Planung für einen längeren Zeitraum – erst recht nicht für ein ganzes Leben – zulässt.

Deshalb muss die Zahl befristeter Stellen so klein wie nur eben möglich sein. Wir haben hier ja eine ganze Reihe von Beispielen gehört, in denen es möglicherweise aus Sachgründen auch einen anderen Anlass geben kann, zumindest kurzfristig oder für einen bestimmten Zeitraum eine Befristung auszusprechen. Dennoch muss gelten, dass wir die Zahl befristeter Stellen in der Verwaltung ebenso wie auch in der Wirtschaft senken müssen. Vor allen Dingen muss es unser Ziel sein, dort, wo es keinen Sachgrund gibt, so gut es geht und so schnell wie möglich auf die Zahl null zu kommen.

Wir wissen alle – das ist von Herrn Kern auch schon angesprochen worden –, dass wir gar nicht über alle einzelnen Beschäftigungsverhältnisse selbst bestimmen können. Bei den Hochschulen ist es nun einmal anders als in anderen Landesdienststellen. Deswegen ist es ja auch richtig, zu überlegen, dass man Wirtschaft und Verwaltungen auf einer gesetzlichen Basis dazu bewegt, mit Stellenbefristungen anders umzugehen als das bislang der Fall ist.

Dieses Ziel, die sachgrundlose Befristung auf null zu drücken, haben wir in der Tat auch selbst noch nicht erreicht. Es hat auch gar keinen Sinn, hier zu erklären, das sei alles erledigt. Aber man sollte daraus nicht wieder das billige Spiel machen, jemanden als absolut unglaubwürdig hinzustellen, wenn er oder sie jetzt als Kanzlerkandidat oder auch als Ministerpräsidentin das Ziel ausgibt, die Abschaffung sachgrundlos befristeter Stellen als ernst gemeintes Projekt zu betrachten, das wir gemeinsam angehen sollten.

Ich finde es interessant, wie hier gerade vonseiten der CDU agiert wird. Zwar haben Sie in dem ganzen Zusammenhang auch heute hin und wieder zwischen den Zeilen gesagt, es stimme ja, dass die Sache mit den Befristungen nicht gut ist. Sie haben aber in der gesamten öffentlichen Debatte wieder einmal das gemacht, was Sie in den letzten Wochen schon die ganze Zeit über tun – nämlich nichts anderes, als den anderen unglaubwürdig machen zu wollen, ohne selber zu erklären, wo Sie überhaupt hinwollen. Das ist von Ihnen überhaupt noch nicht gesagt worden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Haardt?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich würde das jetzt gerne erst einmal in ein paar Minuten zu Ende bringen. Dann können wir das vielleicht am Ende noch machen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Sie wollen jetzt keine Zwischenfrage zulassen. Vielen Dank.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Es gibt also noch viel zu tun. Trotzdem ist auch schon eine Menge erreicht worden. Erstens. 2016 war die Zahl der befristeten Stellen 14 % kleiner als 2010. Zweitens. Diese Zahl liegt, gemessen an allen Beschäftigten des Landes, nicht bei 5 %, sondern, wenn man die Teilzeitbeschäftigung mit einbezieht, sogar weit unter 5 %.

Jetzt kommt Herr Lohn und sagt, das dürfe man so nicht machen, weil die Beamten sowieso nicht befristet tätig sein können. Ja, in der Tat. Herr Lohn, ich gehe mit Ihnen dann gerne einmal ein Beispiel durch. Nehmen wir einmal an, wir hätten 300.000 Beamte und einen Angestellten, dessen Stelle befristet ist. Würden Sie dann in der Gegend herumlaufen und sagen, im Land seien 100 % aller Stellen befristet?

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ja, ja!)

Oder würden Sie sagen, dass eine von 300.001 Stellen befristet ist?

Man kann doch nicht den Teil, der natürlich nicht zu befristen ist, einfach herausrechnen und sich nur die Stellen anschauen, bei denen das denkbar ist.

Wenn die Art, wie Sie rechnen, richtig wäre, hätten Sie eigentlich gestern, als Sie die Ergebnisse der Forsa-Umfrage gelesen haben, die Korken knallen lassen müssen. Denn dann könnten Sie sagen: Die 74 %, die ohnehin nicht CDU-nah sind, nehmen wir einmal heraus; und von den anderen haben wir 100 %.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)

Auf die Art kann man sich immer alles schönrechnen. So haben Sie das mit den Beschäftigten des Landes gemacht. Fakt ist aber: Weit unter 5 % derjenigen, die für das Land Nordrhein-Westfalen arbeiten, sind befristet beschäftigt.

Ich könnte jetzt noch kurz – das ist ja schon ganz oft angesprochen worden – auf die 50 Stellen eingehen. Man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Wir bieten für Quereinsteiger eine Möglichkeit, die aber damit verbunden ist, dass sie eine halbjährige Ausbildung machen müssen. Vielleicht hätte man sagen sollen: Wir setzen die halbjährige Ausbildung, die wir separat anbieten, voraus und machen dann eine unbefristete Stelle mit einem halben Jahr Probezeit.

Jetzt haben wir die Ausbildung oder die Qualifizierung und das halbe Jahr Erprobung, wie das so schön heißt, zusammengepackt und sagen ganz klar: Bei bestandener Probezeit mündet das natürlich, wie in jedem anderen Fall auch, in eine dauerhafte Beschäftigung.

Sie laufen in der Gegend herum und machen solche Ausführungen – selbst Herr Brinkhaus tut das in Talkshows vor einem Millionenpublikum –, obwohl Sie ganz genau wissen, dass das überhaupt nichts mit sachgrundloser Befristung zu tun hat. Sie wollen ihr Süppchen darauf kochen.

Diese billige Polemik kommt entsprechend an. Sie merken ja, dass sich das im Moment auch in Sympathiewerten für die CDU widerspiegelt. Sie sollten aufpassen, dass Sie damit nicht wirklich das Gegenteil dessen erreichen, was Sie wollen. Bleiben Sie einfach seriös! Dann können wir uns auf diese Art auch richtig auseinandersetzen über ein Ziel, das wir eigentlich gemeinsam haben müssten. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. Bleiben Sie bitte am Pult. Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Haardt von der CDU. – Bitte schön, Herr Kollege Haardt.

Christian Haardt (CDU): Sehr geehrter Herr Minister, weil wir gerade beim Thema „seriös“ sind: Seriös wäre es, wenn man sich einmal anschauen würde, zu welchen Befristungen es denn die meiste obergerichtliche Rechtsprechung und Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes gibt. Dann stellen Sie nämlich fest, dass es die allermeiste Rechtsprechung zu den Befristungen mit Sachgrund gibt und dass komischerweise die allermeiste Rechtsprechung zu diesem Thema den öffentlichen Dienst betrifft, und zwar gerade die Finanzverwaltung.

Denn in der Praxis – das sage ich Ihnen als Fachanwalt für Arbeitsrecht – sind die Befristungen ohne Sachgrund gar nicht das Problem. Das Problem sind die Befristungen mit Sachgrund,

(Beifall von der CDU)

wenn die Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern in der Finanzverwaltung 14, 15, 16, 17, 18 Jahre immer wieder mit Sachgrund befristet werden, weil sie immer wieder zu Vertretungen von irgendeinem angeblich Kranken oder in Elternzeit Befindlichen eingesetzt werden.

Das ist für die Leute das Problem. Aber das ist ein Problem, für das wir keine Gesetzesänderung brauchen. Dafür müssen Sie nur die Praxis ändern.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Sie haben für anderthalb Minuten das Wort. Bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erstens. Natürlich ist es kein Wunder, dass ein Sachgrund eher eine Grundlage für eine gerichtliche Auseinandersetzung ist. Insofern ist es klar, dass die Sachgrundbefristungen auch Befristungen sind, bei denen man notfalls den Rechtsweg beschreitet, um prüfen zu lassen, ob das rechtens ist oder nicht.

Zweitens. Ich weiche Ihnen gar nicht aus, indem ich sage: Mit Blick auf das, was wir als Ziel haben und als Ziel ehrlich meinen und verstehen, stehen wir hier nicht und sagen, das sei alles erledigt.

Sie tun aber – das habe ich heute an einer anderen Stelle schon einmal gesagt, nämlich im Zusammenhang mit den unbesetzten Stellen – einen Tag nach der Regierungsverantwortung und erst recht in den Jahren darauf so, als hätten Sie mit all dem überhaupt nichts zu tun gehabt, und äußern sich nicht einmal klar darüber, ob Sie denn in der Wirtschaft den Sachgrund auch möglicherweise eingeschränkt sehen. Das mögen Sie als Fachanwalt für Arbeitsrecht natürlich anders sehen und handhaben. Aber ob das alle Ihre Fraktionskolleginnen und -kollegen so machen, wage ich einmal zu bezweifeln.

Deswegen kann ich nur sagen: Wenn man diese Aufgabe jetzt benennt und sagt, dass man da herangehen muss, auch indem man sich an die eigene Nase fasst, ist das alles andere als eine Grundlage dafür, wieder den billigen Versuch zu unternehmen, die Glaubwürdigkeit eines Menschen infrage zu stellen, weil man anders nicht an ihn herankommt und keine Alternative anbieten kann. Das sollten Sie einfach sein lassen. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Dr. Walter-Borjans. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Insofern haben wir jetzt eine Abstimmung vorzunehmen. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/14402 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – und mitberatend an den Unterausschuss Personal, an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt diesem Verfahren zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit ist das einstimmig so angenommen.

Wir kommen zu:

8  HPV-Impfung auch für Jungen und Männer – besserer Schutz für alle Menschen!

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14390

Ich eröffne die Aussprache. Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Impfen schützt! Das gilt auch für die Impfung gegen humane Papillomaviren, kurz HPV-Impfung. Eine Infektion mit HPV ist zwar oftmals nur lästig. Aber wir kennen eben heute den Zusammenhang zwischen HPV und der Entwicklung von Karzinomen. Und wenn wir einen Schutz vor einer lebensbedrohlichen Krebserkrankung durch die HPV-Impfung erreichen können, dann sollten wir uns alle dafür einsetzen, dass sich möglichst viele junge Menschen impfen lassen.

Circa 40 der über 150 bekannten HPV-Typen befallen den Genitalbereich. Sie werden beim sexuellen Kontakt übertragen und führen häufig zu Genitalwarzen, auch bei den Männern. Vielleicht stellen sich die männlichen Kollegen das jetzt einmal vor und überlegen dann, wie sie sich nachher zu dem Antrag verhalten. Allerdings kann es auch zu Gewebeveränderungen kommen, aus denen sich eine Krebserkrankung der betroffenen Organe entwickelt.

Dabei ist die häufigste durch HPV ausgelöste Krebserkrankung der Gebärmutterhalskrebs. Über 70 % der Fälle sind mit den Hochrisikotypen 16 und 18 verbunden.

Diese beiden HPV-Typen 16 und 18 liegen auch im Fokus aller Impfstoffe. Die Entwicklung hat inzwischen zudem Mehrfachimpfstoffe hervorgebracht, die vor weiteren krebserregenden HPV-Typen sowie vor Genitalwarzen schützen. Studien haben bereits gezeigt, dass die Impfung Krebsvorstufen am Gebärmutterhals, sogenannte CINs, deutlich reduziert. Damit ist eine Senkung der Krebsrate sehr wahrscheinlich.

Nun gibt es Kritik an den Kosten der Impfung und Horrorberichte über mögliche Impfschäden. Richtig ist aber, dass bei weltweit fast 50 Millionen verabreichten Impfdosen ein erhöhtes Auftreten von schweren Impfkomplikationen oder bleibenden Impfschäden nicht dokumentiert werden konnte. Schwere Erkrankungen liegen vielmehr im Bereich der Häufigkeiten des spontanen Auftretens.

Zu den Kosten: Der Impfstoff ist tatsächlich teuer. Aber wir sollten eben auch die andere Seite sehen. So werden nicht nur Todesfälle vermieden, sondern auch viele kostenintensive Behandlungen. Operative Eingriffe werden vielfach schon bei Krebsvorstufen vorgenommen und sind mit einer Komplikationsrate von 2 % bis 7 % verbunden.

Die Verhütung von Genitalwarzen erspart ebenfalls viele langwierige Therapien. So empfiehlt die STIKO, die Ständige Impfkommission, auch aus guten Gründen die HPV-Impfung für Mädchen möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr.

Doch was ist mit den Jungen und mit den jungen Männern? Sie sind sowohl potenzielle Virusüberträger als auch selbst von Erkrankungen betroffen. So tritt zum Beispiel das Analkarzinom vor allem bei Männern auf, die Sex mit anderen Männern haben. Diese Gruppe braucht auch unsere Aufmerksamkeit in der Gesundheitspolitik, auch über das Thema „Aidshilfe“ hinaus. Gerade im Hinblick auf die Herdenimmunität wäre hier ein umfassender Schutz durch die Impfung angezeigt. Wir müssen die vielfachen Lebenswelten sexuell aktiver Menschen in unserem Land berücksichtigen.

Die Wirksamkeit der HPV-Impfung gegen Genitalwarzen und Vorstufen des Analkarzinoms konnte in Studien eben auch bei Jungen und jungen Männern gezeigt werden. So ist zu erwarten, dass eine Impfung von Jungen nicht nur diese selbst schützt, sondern auch die Infektionskette unterbrechen würde und so ebenfalls zur Verhinderung von HPV-Infektionen bei Mädchen beitragen könnte.

Es ist daher kein Zufall, dass die HPV-Impfung von Jungen von vielen Seiten empfohlen wird. Wir haben es von Experten in der Anhörung zu unserem Antrag zur Männergesundheit gehört. Deshalb verzichtet die FDP-Fraktion hier auch auf eine weitere Anhörung, was wir zeitlich ohnehin nicht schaffen würden. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie spricht sich dafür aus. Empfehlungen gibt es auch in anderen Staaten wie Österreich, den USA und Australien.

Diesen Empfehlungen sollten wir unbedingt folgen.

(Beifall von der FDP)

Es geht dabei auch nicht nur um Bundespolitik und um eine Aufnahme in die STIKO-Empfehlungen. So gibt es in Sachsen als bisher einzigem Bundesland seit 2013 eine Empfehlung für die HPV-Impfung für Jungen und junge Männer.

NRW könnte diese Empfehlung genauso in seinen Runderlass „Öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen“ aufnehmen. Damit wäre unter anderem gewährleistet, dass bei Impfschäden eine Leistungspflicht der Versorgungsämter besteht.

Diese Argumente sollten uns zum Handeln aufrufen. Leider ist von unserer Gesundheitsministerin kein gesteigertes Engagement für die HPV-Impfung zu erwarten. Dabei brauchen wir mehr Aufklärung, um die Eigenverantwortung der Menschen zu fördern, Misstrauen gegenüber der Impfung zu reduzieren und so die Motivation zum Impfen zu steigern.

(Beifall von der FDP)

Wir sollten dabei die Ärzteschaft einbeziehen, aber auch die Krankenkassen, die an Impftermine erinnern könnten. Ebenso geht es um koordinierte Impfaktionen an Schulen im Zusammenwirken mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst.

Lassen Sie uns dafür eintreten, dass sowohl Mädchen als auch Jungen einen besseren Schutz erhalten! Denn es macht ja auch keinen Sinn, dass wir 50 % der Bevölkerung impfen und die anderen 50 % dieses Virus munter weitertragen.

Ich habe auch schon eine Fantasie, was jetzt gleich passieren wird. Wahrscheinlich wird der Antrag abgelehnt – mit der Begründung, dass noch keine STIKO-Empfehlung vorliegt. Dann würde ich mir wünschen, dass dieses bedingungslose Akzeptieren von STIKO-Empfehlungen auch einmal bei der Masernimpfung berücksichtigt würde, damit wir nicht weiter Todesfälle durch Masernerkrankungen in unserem Land hinnehmen müssen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Frau Lück.

Angela Lück (SPD): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass eine HPV-Impfung vor Krebs schützt, ist sehr wahrscheinlich, aber eben noch nicht endgültig wissenschaftlich bewiesen. Internationale Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass die Impfung auch schon bei Krebsvorstufen am Gebärmutterhals schützt. Da die Impfung aber der Krebsentstehung um einige Jahre vorausgeht, ist eine Senkung der Krebsrate auf lange Sicht sehr wahrscheinlich, jedoch zurzeit noch nicht endgültig gewährleistet.

Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt die HPV-Impfung für Mädchen möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr. Seit dem Jahr 2014 sieht sie auch dementsprechend die Impfempfehlung für Mädchen im Alter zwischen neun und 14 Jahren, anstatt vorher zwischen zwölf und 17 Jahren vor.

Eine zusätzliche Impfung von Jungen und jungen Männern, wie sie heute die FDP fordert, wird hingegen durch die STIKO-Empfehlung noch nicht berücksichtigt. Um das Ziel einer hohen Durchimpfungsrate zu erreichen, beantragt die FDP auch in Deutschland ein effizientes Impfprogramm unter Einbeziehung der Jungen und jungen Männer, und zwar entgegen der gültigen Empfehlung der Ständigen Impfkommission.

Die Forderung nach einer HPV-Impfung für Jungen und Männer gibt es schon länger, auch von verschiedenen Stellen. Die derzeit von der Ständigen Impfkommission empfohlene Praxis, lediglich Mädchen zwischen neun und 14 Jahren zu impfen, ist beispielsweise nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Urologie nicht mehr zeitgemäß: Sie berücksichtige weder die vielfachen Lebenswelten sexuell aktiver Menschen noch die niedrigen Impfquoten bei Mädchen.

Allerdings muss dagegengehalten werden, dass die Impfungen für diesen Personenkreis aufgrund der noch fehlenden Datengrundlagen nicht ganz unumstritten sind.

Informationen über HPV-Impfungen sind in ausreichender Zahl vorhanden und auch erhältlich. Ein umfangreiches Onlineangebot sowie Broschüren bietet beispielsweise der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums an. Auch die Krankenkassen informieren hier sehr ausführlich.

Die Ständige Impfkommission hingegen erstellt Impfempfehlungen auf der Basis wissenschaftlicher Daten und arbeitet absolut unabhängig. Dies ist so festgelegt, um eine Einflussnahme zu verhindern. Das ist auch gut und richtig so. Die Impfempfehlungen werden in der Regel jährlich überarbeitet und bilden den wissenschaftlichen Kenntnisstand deutlich ab.

Damit ist heute festzuhalten: Die Ständige Impfkommission prüft aktuell, ob Impfungen auch für junge Männer übernommen werden sollen. Es wird eine systematische Literaturanalyse zur Effektivität und Sicherheit der HPV-Impfung bei Jungen und Männern gemacht. Außerdem wurde das Impfziel der Reduktion der Krankheitslast durch HPV-induzierte Tumore für eine mögliche HPV-Impfung bei Jungen bereits von der STIKO aufgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich plädiere heute dafür, sich der Auffassung der Fachleute, also der Ständigen Impfkommission, anzuschließen, um weitergehende Daten, beispielsweise zur Wirksamkeit und zu weiteren Infektionsketten, zu erhalten. Wenn aber die STIKO dazu kommt, die Empfehlung auszusprechen, auch Jungen und junge Männer zu impfen, sind wir die Ersten, die dabei sind, weil es für uns wichtig ist, damit nicht nur die Gesundheit von Jungen und Männern zu stützen und zu verbessern, sondern vor allen Dingen auch die Gesundheit von jungen Frauen und Mädchen.

Deshalb – Frau Schneider, Sie haben es geahnt – werden wir diesen Antrag ablehnen und erwarten die weitere Begutachtung durch die Ständige Impfkommission. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Lück. – Für die CDU spricht Herr Kern.

Walter Kern*) (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die FDP-Landtagsfraktion wirft mit ihrem heutigen Antrag eine wichtige gesundheitliche Frage auf: Sollen HPV-Impfungen auch für Jungen und Männer genutzt werden? Bekannt ist, dass bestimmte HPV-Viren das Risiko bei Mädchen und Frauen erhöhen, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, und dass sich jeder sexuell aktive Mensch mit genitalen HPV-Viren anstecken kann.

Die Impfstoffe sind bekannterweise sicher und verträglich. Die STIKO am Robert-Koch-Institut, die eben schon erwähnt wurde, also die Ständige Impfkommission Berlin, spricht sich für die Impfung von Mädchen vor dem ersten Geschlechtsverkehr aus. Es gibt nun unter Fachleuten wie dem Bundesverband der Urologen und der Deutschen Gesellschaft für Urologie eine wichtige Entwicklung dahin gehend, wegen des umfassenden Schutzes auch die Impfung von Jungen und jungen Männern zu empfehlen. Denn die Häufigkeit von genitalen HPV-Infektionen ist bei Männern genauso groß wie bei Frauen.

Interessant ist, dass das Bundesland Sachsen, wie eben schon erwähnt, die Impfung für junge Männer bereits seit vier Jahren befürwortet. Unstreitig ist, dass mit der Impfung die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Krebsvorsorge steigt. Davon gehen die Wissenschaftler heute aus. Allerdings ist festzuhalten, dass Häufigkeit und Krankheitsverlauf von HPV-Infektionen bei Männern nicht so gründlich erforscht sind wie bei Frauen.

Unter Experten gibt es jedoch eine interessante Debatte. Ich erlaube mir, einige Positionen darzustellen:

Harald zur Hausen, deutscher Nobelpreisträger, empfiehlt, bei Jungen zwischen neun und 14 Jahren zu impfen.

Für den Kinderarzt Dr. Martin Hirte ist die Impfung allerdings zu teuer. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:

„Die HPV-Impfung verursacht immense Kosten für unser Gesundheitssystem, die an anderer Stelle eingespart werden müssen, zum Beispiel beim Krankenhauspersonal.“

Hirte, der ein Buch über HPV-Impfung geschrieben hat, spricht davon, dass Impfungen zu teuer und ineffektiv sind.

Die STIKO am Robert-Koch-Institut hält die Forschung noch nicht für abgeschlossen. Wir sollten auf jeden Fall abwarten, was ihre Kompetenz erbringt.

Hingegen kann zum Beispiel die britische Forscherin Margaret Stanley nicht verstehen, weshalb Jungen nicht systematisch geimpft werden. Damit verstärkt sie eigentlich das Thema.

Dagegen wirft Rolf Rosenstock, Professor für Gesundheitspolitik an der TU Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen, die Frage auf, wo und wann mit rund 200 Millionen € – das wäre der Kostenfaktor – die für die Krebsprävention größte gesundheitliche Wirkung zu erzielen wäre. Dann hätte – so heißt es bei ihm wörtlich – „die HPV-Impfung wahrscheinlich keinen guten Stand“.

Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz, Leiter der Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf, geht noch weiter. Er schreibt: Also scheint es hier – bei HPV-Impfungen – um etwas ganz anderes zu gehen, was trotz der extrem schlechten und komplizierten Studienlage zu der ungewöhnlich schnellen Zulassung der neuen Medikamente geführt hat. Es ist offensichtlich, dass es auch um den Verkauf eines sehr teuren Impfstoffes geht. Hier werden also offen Pharmainteressen angesprochen.

Abschließend möchte ich eine Bewertung der im Antrag der FDP vorgeschlagenen Beschlüsse machen. Ich komme zum ersten Vorschlag der FDP, die Information über die HPV-Impfung zu stärken und die Motivation zum Impfen zu steigern. – Das macht Sinn.

Zweitens wird vorgeschlagen, über die gültigen Empfehlungen der STIKO hinaus die HPV-Impfung für Jungen bzw. junge Männer in den Runderlass „Öffentliche Empfehlungen für Schutzimpfungen“ aufzunehmen. – Hier bedarf es nach unserer Ansicht weiterer Arbeit und des Abwartens, wie sich die STIKO, die sich ja sehr seriös mit diesem Thema beschäftigt, entscheiden wird.

Drittens wird verlangt, die Bundesebene aufzufordern, die HPV-Impfung für Jungen und junge Männer in die Empfehlungen der STIKO aufzunehmen. Dies kann unseres Erachtens erst nach dem Heranziehen externer Kompetenz empfohlen werden. Hier ist Gründlichkeit angesagt.

Zum vierten Vorschlag stelle ich fest: Ob Schule und der öffentliche Gesundheitsdienst mit koordinierten Aktionen zur HPV-Impfung beauftragt werden können, kann man diskutieren. Das bedarf aber ebenfalls einer breiten systematischen Fachdiskussion in den zuständigen Ausschüssen. – Ich sage dazu: Was soll Schule noch alles machen?

Die direkte Abstimmung ist also für dieses Thema heute nicht geeignet. Deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Und nun spricht für die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen Herr Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Ständige Impfkommission empfiehlt – wie meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits gesagt haben –, HPV-Impfungen nur für Mädchen, und zwar möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr, vorzunehmen. Es gibt natürlich gute Gründe, warum diese Empfehlung ausgesprochen wird.

Ich kann meine Rede sehr kurz halten, weil meine Vorrednerinnen und Vorredner fast alle wichtigen Informationen dazu ausgetauscht haben. Bevor wir über solch ein Thema diskutieren, würde ich natürlich gerne vorher im Ausschuss eine Anhörung durchführen und darüber diskutieren. Man kann also nicht pauschal eine politische Entscheidung darüber treffen. Deswegen war Ihre Ahnung richtig: Auch wir lehnen den FDP-Antrag ab; denn wir sind der Meinung, dass der Landtag nicht das richtige Gremium ist, um über diese Impfempfehlungen politisch zu entscheiden.

Sie wissen ja, meine Damen und Herren, dass wir die unabhängige Ständige Impfkommission haben. Diese Ständige Impfkommission spricht auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Impfempfehlungen aus. Dafür ist – das hat auch gute Gründe – eine wissenschaftliche Bearbeitung notwendig. Das ist bewusst so festgelegt, um eine Einflussnahme vonseiten der Politik, der Pharmaindustrie und anderer Interessengruppen – sprich: Lobbygruppen aus der Wirtschaft – gänzlich auszuschließen. Das ist auch gut so. Deswegen dürfen wir nicht politisch vorgreifen und diese Impfungen jetzt empfehlen.

Die Ständige Impfkommission hat nach meiner Kenntnis auch die Aufgabe erhalten, systematische Literaturanalysen durchzuführen und die wissenschaftlichen Diskussionen in dem Bereich zusammenzufügen, um darüber entscheiden zu können, ob man eine solche Empfehlung aussprechen kann. Wir müssen diese Empfehlung abwarten und danach eventuell eine Entscheidung treffen. So gesehen hat dieses Plenum eigentlich keine Kompetenz, diese Entscheidung zu treffen.

Was Informationen angeht: Herr Kern hat hier ja sehr viele Veröffentlichungen angesprochen. Wenn man ins Internet geht, findet man viele Institutionen, die zu dem Thema Stellung nehmen, angefangen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bis hin zur Deutschen Krebsgesellschaft. Und so weiter, und so fort. Es gibt so viele Fachgremien und Institutionen, die sehr viele Informationen herausgeben, sodass wir, glaube ich, nicht zusätzlich irgendein Informationsportal gründen sollten.

Insofern werden wir diesen Antrag heute ablehnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Ünal. – Und nun spricht für die Piratenfraktion Herr Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat heute wieder einmal das Thema „Impfen“ auf die Tagesordnung setzen lassen. Das ist – Walter Kern hat es vorhin schon gesagt – selbstverständlich ein wichtiges Thema.

Wir haben uns im Plenum und auch im zuständigen Fachausschuss bereits mehrfach in dieser Legislaturperiode mit dem Impfthema insgesamt beschäftigt. Dazu haben wir Expertenanhörungen durchgeführt, in denen jeweils auf die Wichtigkeit entsprechender Durchimpfungen hingewiesen wurde. Die Experten haben jeweils auch darauf hingewiesen, dass es an der Zeit sei, sich zu überlegen, welche neuartigen Möglichkeiten und Chancen es gibt, die uns zum Beispiel Veranstaltungen oder das Internet bieten. Auch die sollten bei Aufklärungskampagnen genutzt werden.

All das ist nach wie vor nicht zufriedenstellend umgesetzt. Diese Ausführungen betreffen die generelle Impfsituation in Nordrhein-Westfalen. Hier ist nach wie vor noch eine ganze Menge zu tun. Ich tue mich ein bisschen schwer mit dem FDP-Antrag, weil er letzten Endes wieder nur einen kleinen Teilbereich herausgreift.

(Susanne Schneider [FDP]: Männergesundheit!)

– Das verstehe ich schon. Trotz alledem hätte ich mir da einen noch größeren Aufschlag gewünscht. Dass es nicht dazu kam, ist vielleicht auch der fortgeschrittenen Zeit in dieser Legislaturperiode geschuldet. Dann wäre sicherlich eine erneute Anhörung sinnvoll gewesen.

Wir haben bei den bisherigen Beratungen Lösungsvorschläge gemacht, zum Beispiel dass man den Impfstatus beim Eintritt in die Kita überprüfen könnte, und zwar ohne Impfpflicht oder dergleichen.

In den Anhörungen war ein Ergebnis – ich habe es gerade schon angedeutet –, dass man Großveranstaltungen für die jeweilige Zielgruppe für Impfkampagnen und die Aufklärung über das Impfen nutzen könnte.

Bei durchaus vorhandener Kritik muss ich allerdings feststellen, dass die Piratenfraktion im Gegensatz zu den drei Vorrednerinnen und Vorrednern dennoch zu dem Schluss kommt, dem Antrag zuzustimmen, Frau Kollegin Schneider, weil er ein wichtiges Thema aufgreift.

Eigentlich ist wissenschaftlich zumindest hinlänglich bewiesen, dass eine Impfung auch bei Jungen und Männern hilfreich und wichtig ist. Wir haben noch nicht die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, aber als größtes Bundesland können wir auch mit einem guten Zeichen vorangehen und Vorreiter in der Gesundheitspolitik, in der Impfpolitik sein.

Wir sprechen uns also durchaus dafür aus, diesen Weg mit Ihnen gemeinsam zu gehen. Wir werden dem zustimmen. Weil es allerdings nur eine Teillösung ist, werden wir damit am Ende nicht die Welt retten, Frau Schneider. Aber immerhin ist das besser, als nichts zu tun oder sich in den Sessel fallen zu lassen. Deswegen stimmen wir dem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Für die Landesregierung hat nun Frau Ministerin Steffens das Wort.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klar ist auf jeden Fall: Wir haben in Deutschland eine relativ niedrige Impfquote bei HPV, im Durchschnitt 42,5 %. NRW liegt mit 44,9 % darüber.

In den letzten Jahren haben wir uns immer wieder dafür eingesetzt, dass es gerade für Eltern und Kinder umfassendes Infomaterial gibt. Denn wir haben gemeinsam in vielen Diskussionen, auch hier, festgestellt: Das Selbstbestimmungsrecht der Eltern und der Kinder muss bei einer solchen gesundheitlichen Entscheidung im Vordergrund stehen. Entscheiden kann man nur dann, wenn man gut aufgeklärt in eine solche Auseinandersetzung geht.

Es war uns auch immer wichtig, dass klar ist: Die HPV-Impfung ist kein Allheilmittel. Erstens schützt sie nicht vor allen HPV-Varianten. Zweitens schützt sie nicht vor jedem Unterleibskrebs. Drittens besteht bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr natürlich trotzdem die Gefahr der Übertragung anderer STIs, anderer Erkrankungen.

Die umfassenden Informationsmaterialien vom Krebsinformationsdienst, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, vom Robert-Koch-Institut, vom Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit, vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen liegen vor. Sie sind allen zugänglich, genauso wie Materialien von den Krankenkassen. Das Wesentliche daran ist: Sie sind unabhängig und nicht an irgendwelche Hersteller oder Produkte gebunden. Das ist wichtig für eine eigenständige Entscheidung.

In Nordrhein-Westfalen – da muss ich Ihnen widersprechen, Frau Schneider – übernehmen wir in sämtlichen Impfbereichen eins zu eins die Empfehlungen der STIKO. Ich halte es für richtig und wichtig, dass die Entscheidung darüber, was der Stand der Wissenschaft ist und was medizinisch indiziert ist, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen treffen und nicht Politiker und Politikerinnen. Es ist eine andere Ebene. Ob eine Impfung medizinisch angeraten ist und hilft, kann man nicht politisch entscheiden. Das wäre eine Anmaßung.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Wir legen großen Wert darauf, dass das wissenschaftliche Know-how wirklich genutzt wird. Im Moment setzt sich die STIKO mit dem Thema auseinander, und zwar auf Basis wissenschaftlicher Daten. Sie arbeitet unabhängig. Das wird hier immer ein bisschen durcheinandergebracht. In dem Redebeitrag der Piraten hieß es gerade, wissenschaftlich sei das hinlänglich bewiesen. Das wirkt ja gerade so, als ob die STIKO diese Entscheidung nicht verantwortungsbewusst träfe. Das ist eine Unterstellung, die man nicht stehen lassen kann.

Klar ist: Die STIKO entscheidet nur über das, was wissenschaftlich empfohlen wird, und zwar unabhängig davon, wie die Finanzierung am Ende aussieht. Da gibt es keine Vermengung. Denn wenn etwas laut STIKO wissenschaftlich empfohlen ist, heißt das noch nicht, dass es von den Krankenkassen übernommen wird. Die Finanzierungsentscheidung wird unabhängig davon im G-BA getroffen. Die Entscheidung der STIKO ist frei und unabhängig, sie ist überhaupt keinen Einflüssen ausgesetzt. Das ist die Hauptsache. Die Entscheidung können wir ihr nicht abnehmen, sie muss im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung getroffen werden; denn es gibt hier und da auch Wissenschaftler, die auf Zuruf sagen: Das muss jetzt umgesetzt werden.

Zu dem zweiten Irrglauben, der immer im Raum steht: Auch Sachsen hat nicht mal eben so entschieden, sondern das war eine eigene Impfkommission. Auch da ist das nicht auf Zuruf, sondern auf wissenschaftlicher Basis passiert. Es ist wichtig, das wirklich so zu betrachten.

Die STIKO ist dabei, genau dies zu prüfen. Sie setzt sich im Moment in einer Unterarbeitsgruppe mit der Aufnahme der HPV-Impfung auseinander. Wenn die STIKO dann in der Zukunft zu einer Impfempfehlung kommt, wird diese auch in Nordrhein-Westfalen eins zu eins übernommen.

Daher: Nordrhein-Westfalen setzt darauf, den Menschen in diesem Land die wissenschaftlichen Empfehlungen der STIKO eins zu eins weiterzugeben. Wir wollen nicht politisch über solche Dinge entscheiden.

Noch eins, was auch immer wieder als Irrglaube im Raum steht: Wenn Nordrhein-Westfalen eine Empfehlung aussprechen würde – wir tun das zum Beispiel bei der Grippeimpfung; im Rahmen der Pandemie damals haben wir eine flächendeckende Impfempfehlung ausgesprochen –, dann heißt das weder, dass es eine Kostenübernahme dafür gibt, noch heißt es, dass sich die Menschen deswegen mehr impfen lassen. Das Einzige, was eine separate Impfempfehlung des Landes bedeutet, ist, dass wir im Schadensfall für die Schädigungen bzw. für die Kosten aufkommen.

Frau Schneider, ich glaube, an der Stelle ist die STIKO entscheidend. Danach wird sich der G-BA damit auseinandersetzen müssen. Das sind die wesentlichen Faktoren, die auf einer wissenschaftlichen Basis für die Menschen vertretbar sind. Politik sollte sich aus diesen Entscheidungen heraushalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also stimmt dem Antrag der FDP Drucksache 16/14390 zu? – Die FDP-Fraktion sowie die Piratenfraktion, wie angekündigt. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne, CDU und Herr Stüttgen, fraktionslos, stimmen gegen diesen Antrag. Enthaltungen? – Eine Enthaltung aus der Piratenfraktion. Damit haben wir das Ergebnis eindeutig festgestellt. Der Antrag ist mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir rufen auf:

9  Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung der Forschung sind unverzichtbar und elementar für NRW und weltweit

Antrag
der Fraktion der SPD,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14393

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Schultheis das Wort.

Karl Schultheis (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten zur Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung ist eine Einladung an alle Fraktionen dieses Hauses, ein gemeinsames kräftiges Signal für Wissenschaftsfreiheit und Internationalität zu setzen.

Die dichte Forschungs- und Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens und ihre internationale Vernetzung verlangt Unterstützung, und diese Unterstützung muss der Landtag den Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch gezielt zukommen lassen. Wir müssen den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der aktuellen Situation den Rücken stärken.

Die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit und auf die internationale Zusammenarbeit haben in den letzten beiden Jahren zugenommen. Die nachfolgenden Beispiele prägen das Bild, sind allerdings nur ein Ausschnitt. Man kann eigentlich sagen: Überall dort, wo Menschenrechte, wo bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden, wird auch Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt. Das ist nicht nur ein gedanklicher Zusammenhang, das ist ein faktischer Zusammenhang, dass sich eben das Abbauen von Rechten und Wissenschaftsfreiheit immer berühren.

Ich will daher als erstes Beispiel die Türkei nennen und hier mit Genehmigung des Präsidenten auf ein Zitat zurückgreifen, das HRK-Präsident Prof. Hippler in einer Pressemitteilung der HRK so festgestellt hat. Er sagt:

„Der Druck auf die Hochschulen in der Türkei wächst seit Monaten. Schließung von 15 Universitäten, Entlassung von mehreren Tausend Hochschulmitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Verhängung von Ausreiseverboten, Verhaftung von mehreren Hundert Hochschulangehörigen, die Absetzung von frei gewählten Rektoren – die Liste der staatlichen Repressionen gegen unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen ist erschreckend lang. Ich fordere die Türkei auf, die weltweit gültigen akademischen Freiheiten wieder herzustellen.“

Das war eine Feststellung des HRK-Präsidenten am 17. November. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert; sie hat sich weiter verschlechtert. Das können wir jeden Tag den Nachrichten entnehmen. Von daher sind wir aufgerufen, hier weiter zur Wissenschaftsfreiheit unsere Stimme zu erheben.

Eine weitere Verschlechterung ist also erfolgt. Aber man darf auch sagen, dass die Entwicklung, die Wissenschaftsfreiheit in der Türkei zurückzudrängen, vor dem 17. November – auch vor dem Putschversuch – schon erkennbar war.

Der Präsident der HRK legt natürlich besonderen Wert darauf, die ganz konkreten Bereiche der Zusammenarbeit in den Fokus zu nehmen. Die türkisch-deutsche Universität in Istanbul ist ihm hier ein besonderes Anliegen. Dort kann man erkennen, wie Wissenschaftsfreiheit zurückgedrängt wurde.

Als zweites Beispiel, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich die gemeinsame Stellungnahme von HRK, DAAD, DFG, HFG – also allen Wissenschaftsorganisationen, die es in unserer Republik gibt – nennen. Daher wundere ich mich eigentlich, dass weder CDU noch FDP unserem Antrag beitreten. Alle Organisationen, die Wissenschaft vertreten, sind hier auf einer Seite, und ich glaube, es würde allemal Sinn machen, dies auch gemeinsam in diesem Landtag auszudrücken.

(Beifall von der SPD)

Ich zitiere, auch mit Genehmigung des Präsidenten. Hierzu heißt es in einer Pressemitteilung der HRK:

„Wissenschaftliche Erkenntnisse können nur in einem offenen, freien und internationalen Diskurs gewonnen werden. Hierfür ist der persönliche Austausch über akademische Disziplinen, Nationen und Kulturen hinweg notwendig. Das vom US-Präsidenten am vergangenen Freitag erlassene Dekret ist eine pauschale Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und damit ein Angriff auf die Grundwerte der Wissenschaft.“

Also: Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit in einem Staat, von dem wir das nie erwartet hätten. Das ist natürlich ein besonders erschreckendes Beispiel der Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit, die sich auch in den Vereinigten Staaten durch unterschiedlichste Maßnahmen durchsetzt. Gerade wegen der intensiven Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Nordrhein-Westfalen mit US-amerikanischen Instituten und Hochschulen ist dies ein herber Einschnitt, dem wir gemeinsam entgegentreten müssen.

Lassen Sie mich auch den Brexit nennen: Auch hier wird wegen der engen Zusammenarbeit in Europa eine Entwicklung eintreten, die uns und unsere Hochschulen betreffen wird. Großbritannien lebt in diesem Zusammenhang ganz wesentlich vom Geld der EU. Der europäische Forschungsraum finanziert ganz wesentlich Infrastruktur im Bereich Forschung und Hochschulbildung. Deshalb werden wir hier, auch wenn es um die Brexit-Verhandlungen geht, herbe Einschnitte erleben, die uns und unsere Einrichtungen ebenfalls betreffen werden.

Also: Setzen wir ein starkes Signal für Internationalisierung! Senden wir ein starkes Signal für die Zusammenarbeit der Forschungs- und Hochschuleinrichtungen! Ich darf Sie nochmals bitten, dies im Landtag von Nordrhein-Westfalen möglichst gemeinsam zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben weltweit ein Erstarken nationalistischer autoritärer und fremdenfeindlicher politischer Bewegungen. Immer länger scheint die Liste der Länder zu werden, in denen Journalistinnen und Journalisten, Andersgläubige und Andersdenkende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert, eingekerkert oder sogar getötet werden.

Dabei geraten auch die Hochschulen als Orte kritischen Denkens zunehmend unter Druck. Weltweit und auch in Europa schrumpfen die Budgets für Wissenschaft. Vielerorts sind Strömungen auf dem Vormarsch, die ihre Identität in Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsdiffamierung suchen.

Wissenschaftliche Faktenlagen wie der Klimawandel oder Ergebnisse der Genderforschung werden diskreditiert oder gar geleugnet. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen. Deutschland und die EU stehen in der Pflicht, sich mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit der Zivilgesellschaft solidarisch zu zeigen.

Für uns in Deutschland ist die grundgesetzlich verbriefte Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut. Art. 13 der Grundrechtecharta garantiert diese in der Europäischen Union. Wissenschaftsfreiheit ist die Grundbedingung für erfolgreiche Forschung und Lehre, für Kooperationen im eigenen Land und über dessen Grenzen hinaus. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, diese Freiheit zu verteidigen und denjenigen beizustehen, denen sie verwehrt wird.

Mit der Strategie zur Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung hat die Bundesregierung die Grundlage für eine stärker vernetzte internationale Zusammenarbeit gelegt. Sie hat aber versäumt, darin die Wissenschaftsfreiheit zum Markenkern zu machen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit, insbesondere mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse in der Türkei und den USA, erwarten wir, dass der Bund konkrete Maßnahmen für den weltweiten Schutz der Wissenschaftsfreiheit aufzeigt.

Insbesondere die Lage in der Türkei ist dramatisch. Wenn Teile der Opposition verhaftet sowie die Presse- und Wissenschaftsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt werden, sind das tiefe Eingriffe in die Freiheitsrechte. Die Zahl der in der Türkei entlassenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt mittlerweile bei über 5.000. Friedliche Proteste von Akademikerinnen und Akademikern an der Universität Ankara werden von der türkischen Polizei mit Tränengas und mit Gummigeschossen gewaltsam aufgelöst.

Viele der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen auf eine Zuflucht in Deutschland. Wir sollten sie mit offenen Armen empfangen, damit sie ihre Forschungen zumindest zeitweise bei uns fortsetzen können.

Internationalisierung heißt aber auch Austausch, Kooperation und Vielfalt. Deutschland gehört mit Großbritannien, Frankreich, Kanada und der Schweiz zu der Gruppe von Ländern, die nach den USA zu den wichtigsten Knotenpunkten internationaler Wissenschaftlermobilität zählen. Sie gehören sowohl zu den wichtigsten Gast- als auch zu den wichtigsten Herkunftsländern international mobiler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Vor diesem Hintergrund verheißt die aktuelle Lage in den USA nichts Gutes. Nachdem Donald Trumps Erlass für ein Einreiseverbot von der Justiz gestoppt wurde, hat er nun ein neues Dekret erlassen, das eigentlich heute in Kraft treten sollte und das erfreulicherweise erneut gerichtlich einkassiert wurde. Trumps Populismus schadet der internationalen Verständigung, dem Austausch über Kontinente hinweg und nicht zuletzt den USA selbst. Schon der erste Erlass führte dazu, dass sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Europa wandten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten von Brexit, Abschottung à la Trump und Verhaftungen à la Erdogan ist es umso mehr unsere Aufgabe, die Kooperation und den Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden weiter auszubauen. Dazu gehören die Ausweitung der Austausch- und Stipendienprogramme, aber auch bessere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten für Forschende aus Entwicklungs-, Schwellen- und Krisenländern.

Deshalb wollen wir die Landesregierung mit unserem Antrag auffordern, zusammen mit dem Bund und den anderen Ländern ein deutliches Signal für eine freie und international kooperierende Wissenschaft zu setzen – sowohl auf europäischer als auch auf darüber hinausgehender internationaler Ebene. Wir wollen mit den Hochschulen und außerhochschulischen Einrichtungen dafür werben, dass sich international tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns niederlassen, um frei und erfolgreich forschen und lehren zu können. Wir wollen prüfen, welche Unterstützung unsere Hochschulen brauchen, um geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, und wie man die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Aufenthalt bei uns verbessern kann.

(Beifall von Dietmar Bell [SPD])

Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen für eine freie Wissenschaft, für Demokratie und Meinungsfreiheit setzen und dafür einstehen, dass wissenschaftliche Fakten als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind.

Stimmen Sie in diesem Sinne alle zusammen unserem Antrag zu.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Torsten Sommer [PIRATEN])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Seidl. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN):Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – das ist ein stetiger, nie endender Prozess – weltweit an der Beantwortung der vier großen Fragen des Aufklärers Immanuel Kant – ich habe mir die Freiheit herausgenommen, dabei das „ich“ durch ein „wir“ zu ersetzen –: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?

Das geschieht zur Vermehrung des Wissens und Verstehens der Welt und von uns selbst. Diese oft sehr anstrengende und grenzenverschiebende Arbeit sollte im Dienste von uns allen geschehen, im Dienst der Gesellschaften und im Dienst aller Menschen. Dafür ist die individuelle Freiheit der wissenschaftlich Tätigen unabdingbar – im Denken und Handeln, im Erkennen und Wollen. Dazu gehört auch die Freiheit der Kommunikation. Denn Wissenschaft ist Kommunikation – einerseits innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften und andererseits zwischen diesen Gemeinschaften und den Gesellschaften auf dieser Welt.

Dieser Freiheit und der Kommunikation sind jüngst Feinde und Bedrohungen erwachsen. In der Türkei sitzen Hochschullehrer im Gefängnis. In den USA soll die Wissenschaft auf einmal zur Regierungsmeinung passend gemacht werden. In Großbritannien ist durch den Brexit die gesamte akademische Landschaft gefährdet. Denn unter den Mitgliedern der EU war die britische Wissenschaft wie keine andere von Fördermitteln aus Brüssel abhängig.

Das ist längst nicht alles. In vielen anderen Ländern der Welt gibt es ebenfalls Bedrohungen und Gängelungen für wissenschaftlich Tätige, für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt – und das zu einer Zeit, in der sich Probleme global zu Bergen aufgetürmt haben und in der wir zur Bewältigung vielleicht auf nichts so sehr angewiesen sein werden wie auf unsere wissenschaftliche Rationalität.

So diagnostiziert der Soziologe Hans-Jürgen Krysmanski in einem Werk zur Kritik der globalen Vermögensverteilung am Rande einen Wandel unseres Weltbildes, der – so sagt er – die Ausmaße der Kopernikanischen Wende erreiche. Mit dem Apollo-17-Foto des Blauen Planeten aus dem Jahr 1972 sei im kollektiven Bewusstsein ein anderes Bild von Globalität entstanden, sagt er. Und zu dem Blick ins Universum, den das Hubble-Teleskop eröffnet habe, bemerkt der Soziologe, dass er noch kaum verarbeitet sei. Er spricht hier generell eine Überforderung durch die Maschine an – hier in diesem Fall die Maschine Weltraumteleskop –, die die Reichweite unserer optischen Wahrnehmung quasi ins Unendliche ausgedehnt hat. Das führt zunächst zu einer mentalen Schockstarre, zum Schreck einer Einsamkeit kosmischen Ausmaßes, regt aber auf der anderen Seite auch positiv unsere Phantasie an.

Als Ausweg, als Weiterentwicklung, gewissermaßen als Update der Aufklärung gelangt der in England geborene US-Philosoph Stephen Toulmin zu dem Schluss, dass es einer neuen Humanisierung der Moderne bedarf. Die gegenwärtige Aufgabe bestehe darin, Wege zu finden, die von der herkömmlichen Auffassung der Moderne, die die exakten Naturwissenschaften – die scheinbar exakten – und die Geisteswissenschaften voneinander trennt, zu einer gewandelten Auffassung führen, die Philosophie und Wissenschaften befreit, indem sie wieder mit der humanistischen Hälfte der Moderne in Verbindung gesetzt wird.

Die Zukunft, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren, ist unbestimmt, aber sie ist voller Hausforderungen und Chancen. Schützen wir unsere Wissenschaft, entwickeln wir sie weiter – gemeinsam und demokratisch!

Der Landtag kann mit diesem Antrag ein deutliches Signal setzen. Bitte stimmen Sie zu. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Paul. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Berger das Wort.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über manche Anträge von Rot-Grün kann man sich nur wundern.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Weil sie so gut sind!)

Sie legen heute einen Antrag vor, in dem Sie die Wissenschaftsfreiheit global diskutieren wollen, und dazu greifen Sie in Ihrem Antrag drei Länder heraus: die Türkei, die USA und Großbritannien. Und nach Lektüre Ihres Antrags muss dem Leser wohl die Idee kommen, dass Sie die Auswahl gerade dieser Länder nach stundenlangem Zusammensitzen an irgendeinem rot-grünen Stammtisch getroffen haben müssen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Setzen Sie sich doch mal mit dem Inhalt auseinander!)

Sie führen diese Staaten nämlich auf, weil sie nach Ihrem Verständnis aktuell die größten politischen Sünder sind. Vielleicht hätten Sie die Liste noch um China, Russland und Nordkorea erweitern können – allerdings hätte das Ihren Antrag auch nicht verbessert.

(Dietmar Bell [SPD]: Unglaublich!)

Also greifen wir einmal die Türkei auf: Sie sagen, dass die Wissenschaftsfreiheit in der Türkei bedroht ist.

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie kriegen von der Welt anscheinend nichts mit!)

Das denke ich explizit auch. Es verwundert aber, dass Sie gerade dieses Thema heute aufwerfen. Es war die SPD – vor allen Dingen Günter Verheugen –, die den EU-Beitritt der Türkei vorbereitet hat. Ihr Bundeskanzlerkandidat hat den Prozess des EU-Beitritts der Türkei befördert. Und gestern wollten Sie noch türkische Staatsbürger ohne deutsche Staatsangehörigkeit dazu einladen, sich in Kommunalparlamente wählen zu lassen oder Bürgermeisterkandidaten zu stellen.

Wenn Sie also die Freiheit in der Türkei kritisieren, dann vermisse ich gerade von Ihnen ein entschiedenes Auftreten und wirksame politische Maßnahmen gegen Herrn Erdogan und seine Unterstützer hier in der Bundesrepublik.

(Dietmar Bell [SPD]: Ist das peinlich, Herr Dr. Berger! Das ist eine Unverschämtheit, was Sie da abliefern! – Norwich Rüße [GRÜNE]: Du hast jetzt aber einen schlechten Einstieg gefunden!)

Und das zweite Beispiel, das Sie heranziehen, sind die USA. Hier glauben Sie, dass es eine politische Einflussnahme auf Forschungsergebnisse geben soll.

(Norbert Meesters [SPD]: Quatsch! – Dietmar Bell [SPD]: Das ist ein Zitat von Herrn Hippler!)

Welche Entwicklungen sich in den USA vollziehen, ist bis heute nicht klar und noch nicht genau abzusehen.

(Norbert Meesters [SPD]: Bei Ihnen vollzieht sich jedenfalls keine weitere Entwicklung!)

Und von einem Exodus amerikanischer Wissenschaftler nach Nordrhein-Westfalen ist bisher nichts bekannt.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Aber die Klimadaten werden schon nach Kanada exportiert!)

Zu Ihrem dritten Beispiel – Großbritannien: Der Brexit – das ist auch klar – wird tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Finanzarchitektur und damit auch in der finanziellen Wissenschaftsförderung bewirken.

(Dietmar Bell [SPD]: Sie stellen sich gegen die Hochschulrektorenkonferenz und gegen die Wissenschaftscommunity in ganz Deutschland!)

Diese Veränderungen durch den Brexit gilt es zu begleiten. Und allein die Tatsache, dass ein Staat nicht mehr Mitglied der EU ist, heißt noch lange nicht, dass Wissenschaftler aus diesem Staat jetzt zu uns wollen. Schließlich arbeiten wir auch mit der Schweiz zusammen, und Schweizer Wissenschaftler wollen ja jetzt auch nicht in Massen nach Deutschland kommen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Ja, alles in Ordnung! Da ist ja nichts passiert, nicht?)

Sie fordern also in Ihrem Antrag, Nordrhein-Westfalen solle jetzt alles tun, um gerade Wissenschaftler aus diesen drei Staaten hier anzusiedeln.

(Zuruf von den PIRATEN: Das ist ein kluger Vorschlag!)

Warum – das ist die nächste Frage – sollen diese Wissenschaftler eigentlich nach Nordrhein-Westfalen kommen?

(Britta Altenkamp [SPD]: Das fragen die sich nach der Rede sicher auch! – Lachen von der SPD)

Nordrhein-Westfalen liegt bei der Finanzierung von Studierenden und der Fachhochschulen auf Platz 14, bei den Universitäten auf dem letzten Platz. Bei der Pro-Kopf-Finanzierung liegen wir mit 5.300 € unter dem Bundesdurchschnitt von 6.900 €.

Wir haben die schlechteste Betreuungsquote in der gesamten Bundesrepublik.

(Karl Schultheis [SPD]: Das ist nicht kleinkariert – das ist Pepita!)

Ein Drittel der Studierenden bricht das Studium ab. Diese Fakten allein führen doch dazu, dass Nordrhein-Westfalen nicht die allererste Wahl für internationale Wissenschaftler ist. Das belegen leider auch internationale Rankings. Das ist ein Ergebnis von sieben Jahren rot-grüner Wissenschaftspolitik hier in diesem Land.

(Beifall von der CDU – Lachen von der SPD – Dietmar Bell [SPD]: Das ist so peinlich! – Britta Altenkamp [SPD]: Schämen Sie sich! – Karl Schultheis [SPD]: Klatschen Sie sich ruhig mutig! Schämen sollten Sie sich!)

Als Krönung des Ganzen hätten Sie sich ja selbst als Nordrhein-Westfalen auf diese Liste setzen können, denn in keinem anderen Land wurde die Hochschulfreiheit so stark beschnitten wie in Nordrhein-Westfalen. In keinem Bundesland hat sich die Regierung so viele Eingriffsrechte genehmigt, wie dies in Nordrhein-Westfalen der Fall ist.

(Karl Schultheis [SPD]: Sie werden bestimmt nach Ankara eingeladen!)

In keinem anderen Bundesland ist das Drohpotenzial mit Rahmenvorgaben so groß wie in Nordrhein-Westfalen. In keinem anderen Bundesland gibt es eine Wissenschaftsministerin, die Wissenschaft und Forschung mit gesellschaftlichen Fragestellungen verbinden will.

(Dietmar Bell [SPD]: Das steht sogar in Ihrem Parteiprogramm, Herr Dr. Berger! Lesen Sie es doch einmal! In Ihrem eigenen Programm! – Karl Schultheis [SPD]: Das muss doch wehtun! Sie sind der „unwissenschaftliche Sprecher“ der CDU! – Dietmar Bell [SPD]: Den Auftritt, das Video, schicke ich der Hochschulrektorenkonferenz!)

Deswegen empfehle ich Ihnen: Wenn Sie Menschen aus der gesamten Welt dazu ermuntern wollen, nach Nordrhein-Westfalen zu kommen – die wir hier brauchen, um unsere Wissenschaftslandschaft positiv entwickeln zu können –, dann führen Sie die Hochschulfreiheit wieder ein. Dann kommen die Wissenschaftler, die Sie wollen, von ganz allein. Das wird am Ende auch die Strategie sein, mit der sich Nordrhein-Westfalen Schritt für Schritt wieder von den letzten Plätzen entfernt.

In diesem Sinne diskutieren wir weiter im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU – Karl Schultheis [SPD]: Ich habe Ihnen viel zugetraut, aber das ist doch das Letzte, das Allerletzte!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Berger. Herr Kollege Bas würde Ihnen gerne noch eine Frage stellen.

Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte.

Ali Bas (GRÜNE): Herr Kollege Berger! Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Ich habe zwei Anmerkungen. Zum einen bin ich gerade sehr entsetzt, welche Sachen Sie hier alles durcheinander in einen Topf werfen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Stellen Sie bitte eine Frage, Herr Kollege.

Ali Bas (GRÜNE): Ja, die kommt sofort. Die Frage lautet, Herr Berger: Haben Sie Kontakte zu türkischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die hier in Deutschland zu Gast an Universitäten sind und dort arbeiten, die Ihnen ein wenig über die Lage in der Türkei und den Befürchtungen, die sie haben, wenn sie zurückkehren, erzählen können? Mich würde interessieren, ob Sie diese Kontakte haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Hat er nicht!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Bas, vielen Dank für diese Frage. Ich habe hier explizit gesagt, dass ich zustimme, dass die Freiheit in der Türkei bedroht ist. Da gibt es überhaupt keinen Dissens, auch nicht von der CDU. Wir glauben allerdings, dass es relativ einfach und zu kurz gesprungen und etwas billig ist zu sagen: Die Freiheit in der Türkei ist bedroht, und deswegen müssen wir Wissenschaftlern jetzt den Weg hierhin eröffnen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Ja, was denn sonst?)

Ich sage Ihnen: Wenn Sie die Probleme in der Türkei ernsthaft lösen wollen, dann müssen Sie das schon auf anderen Wegen tun.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Sollen wir da Panzer hinschicken oder was?)

Dann müssen wir uns über den Türkei-Beitritt unterhalten. Da müssen wir uns auch über die Frage unterhalten, ob wir in Kommunalparlamenten türkische Politiker haben wollen. Das ist der Umgang mit der Türkei. Wenn Sie Probleme in der Türkei lösen wollen, tun Sie das jedenfalls nicht über internationalen Wissenschaftsaustausch.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das ist keine Antwort auf die Frage gewesen! Das ist eine ganz andere!)

Das ist der Standpunkt zu diesem Thema.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Lesen Sie eigentlich die Texte, bevor Sie reden oder nicht? Man, man, man! – Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank. Ihre Redezeit ist auch abgelaufen, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]:) Eine Unverschämtheit ist das!)

– Darf ich, Herr Kollege Mostofizadeh?

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Es kann nur besser werden!)

– Ich werde es mal versuchen.

Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein Grundpfeiler, auch einer freiheitlichen offenen Gesellschaft, und braucht auch internationale Kooperation. Mir will aber gleichwohl nicht in den Kopf, warum Sie diesen Antrag so formuliert haben.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Aha! Mir auch nicht!)

Ich vermisse Verhältnismäßigkeit und Augenmaß. Ihr Antrag differenziert nicht die Freiheit der Forschung,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Aha!)

die Internationalität der Forschung, die zwar durchaus in Teilen miteinander korrespondieren, aber dennoch nicht identisch sind, und der materiellen Förderung von Forschung.

Die Freiheit der Forschung ist ein unumstößliches Grundrecht.

(Karl Schultheis [SPD]: Sie sind dabei, eine Chance zu vertun!)

Niemand darf daran gehindert werden, seine Gedanken in eine bestimmte Richtung zu entwickeln, seiner Neugier und seinem Erkenntnisinteresse nachzugehen. Wenn Ansichten und Forschungsvorhaben unter Strafe gestellt werden, dann ist die Forschungsfreiheit in höchster Not. Die Entwicklung in der Türkei ist nicht nur mit Blick auf die Presse- und Meinungsfreiheit besorgniserregend, sondern wenn vermeintlich unliebsame Wissenschaftler ausgetauscht und Menschen mit kritischen Stimmen eingesperrt werden, gibt es auch einen massiven Eingriff in die Forschungsfreiheit.

Verfolgte Wissenschaftler verdienen – das will ich in aller Ausdrücklichkeit für die FDP-Fraktion hier feststellen – den Beistand und die Solidarität der internationalen Gemeinschaft. Insofern sind wir mit Ihrem Antrag völlig d’accord.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Diese politische Verfolgung allerdings mit der Situation in den USA unter der neuen Trump-Administration oder – noch gravierender – mit der aus meiner Sicht sehr bedauerlichen Entscheidung Großbritanniens zum Verlassen der EU gleichzusetzen,

(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das wird nicht gleichgesetzt! Da werden unterschiedliche Umstände aufgeführt! Mit Gleichsetzung hat das nichts zu tun!)

schlägt aber aus meiner Sicht absolut fehl. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Präsidentschaft Donald Trumps wird die Forschungsfreiheit sicherlich nicht prioritär auf ihrer Agenda führen; ist auch manchmal zu komplex für 140 Zeichen. Die angestrebte Neuausrichtung der Umweltbehörde ist sicherlich auch Bestandteil einer Politik, die die Forschung über den Klimawandel in Misskredit bringen soll. Das muss uns nicht gefallen; gefällt mir auch nicht.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Es soll eine Behörde umstrukturiert und auf die Aufgabenüberprüfung und Kontrolle beschränkt werden. Und ja, daraus ergeben sich möglicherweise auch andere Finanzierungsnotwendigkeiten für Forschung, entweder aus anderen Kapiteln des US-Haushalts oder gegebenenfalls durch Think-Tanks. Darin aber eine Beschneidung der Forschungsfreiheit zu sehen, ist aus meiner Sicht doch zu weitreichend.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Exakt! – Nadja Lüders [SPD]: Ich weiß gar nicht, von welchem Antrag Sie reden!)

Gleiches gilt im Übrigen auch für die geplanten Kürzungen im Bereich des wissenschaftlichen Fördertopfes National Endowment for the Humanities. Den Geisteswissenschaften in den USA droht der Verlust von 150 Millionen Dollar, aber doch nicht der Verlust der Forschungsfreiheit.

Unter Ihrer Regierungsverantwortung wird in Nordrhein-Westfalen bundesweit am wenigsten für Lehre und Forschung je Student ausgegeben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU – Karl Schultheis [SPD]: Das ist doch kleinkariert!)

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung betragen in Nordrhein-Westfalen gerade einmal 2 % vom BIP

(Zuruf von Heike Gebhard [SPD])

und liegen damit deutlich unter denen der USA. Es ist schon erstaunlich, welches selbstgerechte Urteil Sie hier fällen.

(Heike Gebhard [SPD]: Oh, mein Gott!)

Aufgrund dieser unzureichenden Finanzierung müssen Sie sich zwar viele Vorwürfe anhören, aber den Vorwurf einer Beschneidung der Forschungsfreiheit würde ich jedenfalls daraus nicht ableiten. Aber wenn Sie sich den Schuh selbst anziehen, dann bitte. Ich sehe keine Flüchtlingswelle US-amerikanischer Wissenschaftler nach Nordrhein-Westfalen. Oder glauben Sie ernsthaft, dass die Forschungsbedingungen in Nordrhein-Westfalen besser und attraktiver sind als in Harvard oder Yale?

(Heike Gebhard [SPD]: Das glauben wir allerdings!)

Aber völlig daneben – das will ich hier doch anmerken – ist die Einbeziehung von Großbritannien. Ja, der Brexit wird internationale Forschungskooperationen ganz sicher nicht erleichtern. Kooperationen mit britischen Wissenschaftlern haben je nach Ausgestaltung des Brexit – wir wissen da ja noch keine Details – möglicherweise die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Kooperationen mit der Schweiz, mit Japan oder auch mit australischen Wissenschaftlern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber das ist doch nicht das Ende der Forschungsfreiheit.

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

Besteht aus Ihrer Sicht nur in den EU-Mitgliedstaaten Forschungsfreiheit? Das ist doch absurd. Dieser Antrag ist auch ein Affront gegenüber dem Vereinigten Königreich.

(Beifall von der CDU und der FDP – Karl Schultheis [SPD]: Ach!)

Ich zitiere in aller Deutlichkeit aus Ihrem Antrag:

„Auch wenn die Entwicklungen für sich genommen sehr unterschiedlich sind, so richten sie sich doch alle gegen die unverzichtbare Freiheit der Wissenschaft (…).“

Meine Damen und Herren, wie groß wäre hierzulande die Empörung, wenn im britischen Unterhaus die Situation in der Türkei in einem Kontext mit den schlechten Betreuungsrelationen an unseren Hochschulen oder der Zwangseinführung von Zivilklauseln diskutiert würde.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von der SPD: Lesen Sie doch Ihren Redebeitrag!)

Deswegen können wir Freie Demokraten einem Antrag, dem es aus unserer Sicht völlig an Fingerspitzengefühl und Verhältnismäßigkeit fehlt, nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. Bleiben Sie bitte noch einen Moment am Redepult stehen. Es gibt eine Kurzintervention, für die sich Herr Kollege Bell gemeldet hat. – Bitte.

Dietmar Bell*) (SPD): Liebe Kollegin Freimuth, ich sage hier sehr deutlich auch in Richtung CDU: Das ist eine vertane Chance, dass dieser Landtag ein gemeinsames Signal für Wissenschaftsfreiheit und Internationalität setzt,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

auf das viele Wissenschaftler international, aber auch in diesem Land warten und gewartet haben.

Ich darf Ihnen zu Ihrer Kenntnis aus einem Schreiben des Rektors der Bergischen Universität an mich zitieren. Ich habe ihm den Antrag vorab zur Verfügung gestellt. Er schreibt an mich:

Lieber Herr Bell, danke für das Schriftstück. Es handelt sich meines Erachtens um ein starkes, weil präzise formuliertes und mit politischer Signalwirkung daherkommendes Plädoyer. Ohne Zweifel würde es dem NRW-Landtag gut zu Gesicht stehen, wenn es ohne langes Taktieren parteiübergreifend verabschiedet werden könnte. Nicht zuletzt die Hochschulen des eigenen Landes würden es Ihnen aufgrund ihrer vielen Partnerschaften in den betroffenen Staaten hinein danken, zumal der Zeitpunkt jetzt richtig ist. Beste Grüße, Prof. Dr. Lambert T. Koch.

Sie haben hier eine Chance vertan, ein starkes Signal aus Nordrhein-Westfalen zu setzen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

Angela Freimuth (FDP): Lieber Kollege Bell, wenn es darum geht, die Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu verteidigen und auch international der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zu Recht zu verhelfen, finden Sie die Freie Demokraten immer engagiert auf der Seite der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit.

(Karl Schultheis [SPD]: Aber heute nicht!)

Liebe Kollegen, man muss bitte auch einmal die Kirche im Dorf lassen.

(Zurufe von der SPD)

Sie vermengen hier Dinge, die in dieser Form nicht miteinander vermengt gehören.

(Beifall von der FDP und der CDU – Widerspruch von der SPD)

Ich hätte es sehr begrüßt, wenn hier tatsächlich versucht worden wäre, eine gemeinsame Position zu finden.

(Zurufe von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Frau Kollegin Freimuth. – Frau Kollegin Freimuth hat jetzt das Wort. Ich denke, es ist eine Frage des Respekts, ihr auch zuzuhören. Danke.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident – Liebe Kollegen, in der Tat haben Sie uns diesen Antragsentwurf zugeleitet. Auch wenn wir mit dem Hinweis, dass hier Dinge nicht miteinander zusammenzubringen sind, dem nicht zustimmen, möchte ich sagen: Die Situation in der Türkei ist im Augenblick grundsätzlich anders zu bewerten als die

souveräne Entscheidung – auch wenn sie mir noch so wenig gefällt – der Briten zum Verlassen der Europäischen Union.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das sind Dinge, die nicht einfach miteinander vermengt gehören.

(Karl Schultheis [SPD]: Das ist doch nicht vermengt!)

Da dürfen die Wissenschaftsfreiheit und die Forschungsfreiheit in dem Zusammenhang nicht genutzt werden, um Dinge in einen Topf zu schmeißen.

Ich stelle hier für die FDP noch einmal ganz unmissverständlich klar: Wir Freie Demokraten stehen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Die von Eingriffen und Verfolgung bedrohten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben unsere Solidarität, unsere Unterstützung und unseren Beistand, aber nicht dieser Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Soweit Kurzintervention und Entgegnung darauf.

Ich erteile das Wort für die Landesregierung Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche nicht nur im Namen der Landesregierung, wenn ich sage, dass eine freie Gesellschaft und eine freie Wissenschaft untrennbar zusammengehören. Natürlich ist unsere Gesellschaft auf Impulse, auf Antworten von freien und unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angewiesen. Umgekehrt können natürlich Wissenschaft und Forschung nur im Kontext einer freien, demokratischen Gesellschaft ihr volles Potenzial entfalten.

Deswegen begrüße ich es sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der SPD, der Grünen und der Piraten mit ihrem Antrag hier die aktuellen Entwicklungen, die uns besorgen, zusammengefasst haben. Das ist die zunehmende Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Das ist die Tendenz hin zu Isolation und Abschottung, die wir erleben. Das alles sind Dinge, die im Moment Wissenschaft beschäftigen und die auch hier bei uns im Landtag eine Rolle spielen sollten und wo wir die Hochschulen in ihren Positionierungen unterstützen sollten.

Natürlich ist die Verfolgung von Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in der Türkei etwas anderes als das, was in den USA passiert. Das ist aber im Antrag auch ganz genau beschrieben.

Sieht man sich nur einmal das Beispiel in den USA an: Wenn die Medien davon reden, dass es dort einen Krieg gegen die Wissenschaft gibt, oder wenn Forschungsergebnisse wie der Klimawandel infrage gestellt werden, wenn Einreiseverbote für Menschen, die aus vornehmlich muslimischen Ländern stammen, auch Forscherinnen und Forscher betreffen, die zu internationalen Forschungskonsortien gehören und dort als Gastwissenschaftler tätig sind, sich nicht mehr trauen, zu Konferenzen zu reisen, dann schränkt das die wissenschaftliche Diskussion ein. Das muss uns genauso besorgen, wie es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA besorgt.

Klar, besorgniserregend ist auch der Fall Großbritannien. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben schon vor dem Brexit darauf aufmerksam gemacht, was das alles bedeutet. Der berühmte Physiker Stephen Hawking hat gesagt, dass sei ein „desaster for science“. Das, was im Moment in zahlreichen Forschungsnetzwerken, in Hochschulkooperationen, in Programmen mit dem Studierendenaustausch passiert, ist besorgniserregend. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir können doch hier nicht so tun, als seien wir in Nordrhein-Westfalen in der Forschung nicht mit der ganzen Welt verbunden. Deswegen müssen wir uns auch hier damit auseinandersetzen. Ich hätte es gut gefunden, wenn das gesamte Parlament ein Signal an die Wissenschaft gesendet hätte, dass uns das beschäftigt und dass uns das berührt.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe in den vergangenen Jahren das Privileg gehabt, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland zu treffen: aus der Türkei, aus Japan, aus Israel. Ich habe hier in Nordrhein-Westfalen mit vielen internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Kontakt gehabt. Alle haben darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig Wissenschaft sein kann, wie gut man sie für Brückenschläge nutzen kann.

Schauen wir uns an, wie die Kontakte zu Israel wieder aufgebaut worden sind: Es waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die ersten Schritte der Zusammenarbeit gemacht haben. Schauen wir uns an, wie das in der Türkei war: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dort Brücken gebaut und spielen auch heute noch eine wichtige Rolle. Ich denke, dass es unverzichtbar ist, dass wir uns alle auch weiterhin mit großem Engagement für eine freie, für eine unabhängige Wissenschaft einsetzen und die Rechte von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben nicht einschränken.

Das mit dem zu vergleichen, was hier gerade in der Debatte passiert ist,

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Was denn?)

ist absolut unangemessen; das will ich noch einmal deutlich sagen.

(Beifall von der SPD – Dr. Stefan Berger [CDU]: Was ist denn passiert?)

Herr Berger, Sie wissen doch genau wie ich, wie attraktiv Nordrhein-Westfalen für zum Beispiel ausländische Studierende ist. Mit rund 86.000 Studierenden hat es noch nie so viele ausländische Studierende gegeben wie heute. Sie wissen, wie attraktiv wir für internationale Wissenschaftler sind. Schauen Sie sich an, was heute in den Medien zur gestrigen Eröffnung des DZNE zu lesen ist. Ein Drittel der Wissenschaftler stammt aus dem Ausland, und sie forschen hier sehr, sehr gerne. Das haben wir als Land hier mitfinanziert. Sie wissen, wie viel ERC Grants, wie viele Leibniz-Preisträger wir hier haben und wie viel Unterstützung wir erfahren. Sie wissen, wie international vernetzt unsere Hochschulen sind. Das alles einfach zu negieren und zu sagen, die Qualität der Hochschulen sei unzureichend, das ist nicht in Ordnung.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Sie können die politische Auseinandersetzung suchen, aber tun Sie bitte nicht so, als hätten wir eine schlechte Hochschullandschaft. Unsere Hochschulen sind hervorragend.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das können Sie hier im Parlament auch nicht wegdiskutieren. Deswegen danke ich noch einmal den Abgeordneten der Fraktionen der SPD, der Grünen und der Piraten für diesen wichtigen Antrag, der ein gutes Signal an unsere Hochschulen ist, die sich in diesen Themenfeldern sehr engagieren. Es ist ein gutes Signal, dass wir sowohl die Hochschulrektorenkonferenz als auch die Landesrektorenkonferenz in ihren Besorgnissen ernstnehmen und in ihren Stellungnahmen unterstützen. Ich hoffe, dass der Antrag eine Mehrheit bekommt. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Ministerin. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Dr. Paul zu Wort gemeldet.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich muss hier noch einmal das Wort ergreifen, weil es offensichtlich eine völlige Verkennung der Tatsachen gegeben hat.

Ich selber habe um die 90er-Jahre herum in EU-geförderten Forschungsprojekten im IT-Bereich gearbeitet. Dabei schließt man auch Freundschaften. Mir persönlich, Frau Freimuth, reicht es zur Genugtuung, dass meine Freunde Charles Taylor, Alistair Sutherland und Bob Henery vom Turing Institute in Glasgow mir für diesen Antrag persönlich Danke sagen werden.

Wenn man den Brexit als schlechtes Momentum für die Wissenschaft erwähnt, zusammen mit anderen Dingen, die so auf der Welt passieren, dann ist das zunächst einmal eine Aufzählung von unterschiedlichen Dingen und keine Gleichmacherei.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Was für eine Logik ist das denn überhaupt? – Das ist unglaublich! – Danke.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Paul. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. So verfahren wir dann auch, und zwar stimmen wir ab über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14393. Wer ist für diesen Antrag? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion sowie der fraktionslose Kollege Stüttgen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU und FDP. Enthält sich jemand der Stimme? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/14393 angenommen.

Ich rufe auf:

10 Schlussbericht
des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

gemäß § 24 UAG
zu dem Auftrag
des Landtags NRW
vom 24.04.2013
Drucksache 16/2618 – Neudruck

Drucksache 16/14300

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14516

Ich erteile zuerst dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Herrn Kollegen Haardt das Wort zu seiner mündlichen Berichterstattung. Bitte schön, Herr Kollege.

Christian Haardt (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich habe heute das Vergnügen, Ihnen den Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II vorzulesen,

(Heiterkeit)

nein, vorzustellen natürlich.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Nicht 20 Stunden, sondern 20 Minuten!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das war sehr geschickt, um die Aufmerksamkeit zu fördern.

Christian Haardt (CDU): Lassen Sie mich kurz zunächst auf die Historie eingehen. Am 24. April 2013 hat der Landtag auf Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Themenkomplex WestLB beschlossen. Am 1. Oktober 2013 hat der Landtag die Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses beschlossen.

Heute, nach insgesamt 45 Sitzungen, der Vernehmung von 71 Zeugen und der Sichtung etlicher Tausend Seiten an Unterlagen liegt Ihnen nun der Schlussbericht vor.

Trotz intensiver Bemühungen wird der Schlussbericht zwar von der ganz überwältigenden Mehrheit der Mitglieder des Untersuchungsausschusses getragen, aber nicht von allen. Gerade in diesem Zusammenhang haben sich auch Fragen ergeben, die allgemein die Arbeit von Untersuchungsausschüssen berühren, etwa die, wie umfangreich Sondervoten im Vergleich zum Bericht selbst sein dürfen, oder, anders gesagt, wie umfangreich eine Darstellung sein darf, die nach § 24 Abs. 3 PUAG NRW in gedrängter Form zulässig ist. Das ist sicher ein Punkt, über den man sich zukünftig vielleicht noch einmal Gedanken machen muss.

Kommen wir nun zum Bericht selbst. Leider konnten wir nicht alle Themenkomplexe einzeln behandeln, mit denen uns das Parlament beauftragt hat.

Der Untersuchungsausschuss konnte die Themenkomplexe „Lion Heart“, Fehlspekulationen mit Vorzugsaktien von VW, BMW und der Metro sowie Beteiligung an der Metro, Phoenix-Portfolio, Vermittlung von Zinsswaps und anderen Swapgeschäften an Städte und Gemeinden mit betrügerischer Absicht, mutmaßliche Teilnahme an Zinsabsprachen mit Bezug auf den Zinssatz „Libor“, „Euribor“ und anderen Richtzinszusammensetzungen sowie verschwundene Konten bzw. Kundendepots nicht behandeln. Einige konnten wegen anhängiger rechtlicher Verfahren, andere aus Zeitgründen nicht behandelt werden.

Verwertbare Unterlagen lagen teilweise nicht oder in nicht nutzbarer Form vor. Soweit Akten besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterliegen, andere Beweismittel aber nicht vorhanden sind, konnten die Akten für einen Bericht auch nicht ausgewertet werden. Einige Unterlagen standen zeitlich erst so spät zur Verfügung, dass eine geordnete Bearbeitung nicht mehr möglich gewesen wäre.

Deshalb werden diese Themenkomplexe nicht in jeweils einzelnen Teilbereichen behandelt. Soweit jedoch einzelne Themen in anderen Teilbereichen von Bedeutung sind, wird dort auf sie eingegangen.

Insbesondere zum Themenbereich „Phoenix“ war der Untersuchungsausschuss über Monate hinweg bemüht, einen Beweisbeschluss zu fassen. Dies war aufgrund unterschiedlicher Gegebenheiten zunächst nicht möglich. Die Einzelheiten können Sie dem Bericht entnehmen. Als die Hindernisse dann schließlich entfallen waren, reichte nach Überzeugung der großen Mehrheit im Ausschuss die verbleibende Zeit zur Übergabe und Bearbeitung dieser umfangreichen Beweisunterlagen nicht mehr aus.

Nach diesem etwas allgemeineren Vorspann möchte ich kurz auf einzelne Themenkomplexe eingehen.

Wir haben die Entwicklung der WestLB von einer Förder- und Sparkassenzentralbank zu einer internationalen Groß- und Beteiligungsbank ab Beginn der 1980er-Jahre untersucht. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal anmerken: Für die Arbeit war natürlich auch nicht ganz ohne Bedeutung, dass die zu untersuchenden Zeiträume zum Teil ganz erheblich in der Vergangenheit liegen.

Bei der Entwicklung der WestLB von einer Förder- und Sparkassenzentralbank zu einer Groß- und Beteiligungsbank kann man sich natürlich die Frage stellen, ob der Ausbau der Beteiligungen der Westdeutschen Landesbank zu den Aufgaben einer Landesbank oder zu den Aufgaben eines Landes gehört. Das kann in Abhängigkeit von der jeweiligen konkreten Beteiligung unterschiedlich beantwortet werden und bleibt letztendlich einer politischen Bewertung vorbehalten, die wir als Ausschuss nicht vorgenommen haben. Die jeweiligen Beteiligungen waren – das haben wir festgestellt – rechtlich zulässig. Von daher kann man nicht sagen, dass eine Beteiligung in irgendeiner Form illegal gewesen wäre.

Eine unmittelbare Einflussnahme der nordrhein-westfälischen Landespolitik, bezogen auf eine konkrete Beteiligung, ließ sich weder durch die Landesregierung noch durch einzelne Mitglieder der Landesregierung oder Mitglieder des Landtages feststellen. Die Landespolitik war in den jeweiligen Aufsichtsgremien vertreten und damit auch in die Entscheidungen über Beteiligungen eingebunden. Insoweit hat sie sicherlich auch Einfluss auf die Entscheidungen genommen.

Eine politische Einflussnahme auf die Besetzung des Vorstandsvorsitzes mit Herrn Neuber konnte wegen des weit zurückliegenden Zeitraumes – das war 1981 – weder festgestellt noch ausgeschlossen werden. Bei den späteren Neubesetzungen gaben nach den Feststellungen der Beweisaufnahme bankfachliche Gesichtspunkte den Ausschlag für die jeweilige Personalauswahl.

Zu Zeiten des Vorstandsvorsitzenden Neuber war dieser für die Beteiligungen zuständig, wobei es eine Doppelzuständigkeit gab, da der Zeuge Dr. Ringel ebenfalls für diesen Bereich zuständig war. Herr Neuber konnte allerdings jede Beteiligungsangelegenheit an sich ziehen. Allerdings war die Frage des Erwerbs oder der Veräußerung einer Beteiligung vom Vorstand zu entscheiden. Für diese Entscheidung galt dann das Einstimmigkeitsprinzip.

Für die konkreten Beteiligungen der WestLB gab es teilweise strukturpolitische Überlegungen. Im Vordergrund stand aber die Strategie, eine Beteiligung zu erwerben und diese nach einem längeren Zeitraum möglichst mit Gewinn wieder zu verkaufen. In der Haltezeit sollte über diese Beteiligung zusätzliches Geschäft, etwa in Form der Kreditvergabe an das Unternehmen, eingeworben werden.

Insbesondere die Kreditvergabe führte jedoch in einigen Fällen zu Folgeproblemen. So hat die Bank trotz interner Feststellung, dass die Voraussetzungen für ein Kreditengagement wegen der bestehenden Risiken eigentlich nicht vorliegen, Kredite gewährt, da bei Nichtgewährung eine Gefährdung für den Wert der eigenen Beteiligung befürchtet wurde.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass es bei der Beteiligung des Kreditausschusses Probleme sowohl mit der zeitgerechten Vorlage entscheidungsrelevanter Unterlagen als auch mit der Verständlichkeit gab. Festgestellt werden muss, dass auch die eigene interne Risikoprüfung nur unzureichend Berücksichtigung gefunden hat, was durch die Wirtschaftsprüfer kritisiert worden ist.

Vor diesem Hintergrund ist der Ausschuss der Auffassung, dass landeseigene Unternehmen grundsätzlich so aufgestellt sein sollten, dass es eine hausinterne Risikoüberwachung gibt, deren Empfehlungen mit einem hohen Verbindlichkeitsgrad Berücksichtigung finden sollten. Aufsichtsgremien müssen zudem rechtzeitig und durch verständliche Vorlagen informiert werden, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können.

Wir haben uns mit der Integration des Wohnungsbauvermögens in die WestLB beschäftigt. Bei einer abschließenden Betrachtung der Integration des Wohnungsbauvermögens in die WestLB kann zunächst festgestellt werden, dass die Folgewirkungen erheblich waren. Festzuhalten bleibt, dass insbesondere die Bank selbst, ihre Gesellschafter, aber auch die handelnden Akteure auf Landes- und später auch auf Bundesebene das Risiko einer Intervention der Europäischen Kommission unterschätzt haben.

Es zeigte sich, dass die privaten Banken die Integration der Wohnungsbauförderungsanstalt nicht widerspruchslos hinnehmen würden. So äußerten etwa die nordrhein-westfälischen Genossenschaftsverbände und die Bankenvereinigungen bereits Ende 1991 Bedenken im Hinblick auf eine geplante Eingliederung der Wohnungsbauförderungsanstalt. Die Westdeutsche Landesbank – das darf man nicht vergessen – war damals das drittgrößte deutsche Bankinstitut und stand im unmittelbaren Wettbewerb mit den großen Privatbanken.

Da die Risiken seitens der damaligen Akteure falsch eingeschätzt wurden, unterblieb der Versuch, sich im Vorfeld auf eine für alle Beteiligten akzeptable Kondition für die Integration zu verständigen, die auch von der Europäischen Kommission hätte akzeptiert werden können. Das Ziel der Integration war die Erhöhung des Eigenkapitals zur Erfüllung der europäischen Eigenkapitalvorschriften bei gleichzeitiger Erhaltung und Stärkung der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Mit der Eingliederung der Wfa schien dieses Ziel zunächst erreicht; trotz aller Bemühungen der Akteure aufseiten der Bank, der Eigentümer und der Politik reichte das aber nicht, um die negativen Folgewirkungen abzuwehren.

Ich will kurz auf das Russlandgeschäft der WestLB eingehen. Es war für den Ausschuss vollkommen nachvollziehbar – und es war wahrscheinlich auch das Gebot der Stunde –, dass sich seinerzeit deutsche Banken ebenso wie die Industrie beim Auseinanderfallen der Sowjetunion auf diesen Märkten engagiert haben, etwa um dort Rohstoffvorkommen zu erschließen.

Das gilt insoweit auch uneingeschränkt für die Westdeutsche Landesbank, die bereits vor dem Zerfall der Sowjetunion in den 60er- und 70er-Jahren die Geschäfte deutscher Kunden in Osteuropa finanzierte und begleitete. Es muss jedoch hinterfragt werden, wie die Westdeutsche Landesbank in den 90er-Jahren ihr Engagement in Russland vorangetrieben hat, zumal keineswegs sicher war, dass Russland und andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach deren Zerfall die Altschulden übernehmen und tilgen würden.

Erwähnt werden muss auch, dass das Russlandengagement der Westdeutschen Landesbank sehr stark von der West Merchant Bank betrieben wurde, die über mehrere britische Holdings der WestLB (Europa) zugeordnet war. Hier ist, um es mit den Worten eines Zeugen zu sagen, ein viel größeres Rad gedreht worden.

Davon allerdings hat man im Finanzministerium lange Zeit nichts gewusst, da diese Bank lediglich eine indirekte Beteiligung der Westdeutschen Landesbank war. Mithilfe dieser Bank bzw. über diese Bank konnte die WestLB daher Geschäfte tätigen, ohne die Aufsichtsgremien in irgendeiner Weise beteiligen zu müssen. Selbst im zentralen Kreditmanagement der Westdeutschen Landesbank mussten die Geschäfte der West Merchant Bank nicht vorgelegt werden.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Ausschuss dem Landtag, zu prüfen, ob geltende Regelungen und entsprechende Vorschriften zur Unterstützung und zur Eignung von Aufsichtsratsmitgliedern in öffentlichen Unternehmen zur Verbesserung der Effektivität der Aufsicht geändert werden müssen.

Bei der Frage nach der Aufspaltung der Westdeutschen Landesbank ist der Ausschuss zu dem Schluss gekommen, dass es zur erfolgten Neuaufstellung praktisch keine Alternative gab. Es wäre zwar theoretisch möglich gewesen, die Einstufung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung als unzulässige Beihilfe durch die EU-Kommission gerichtlich prüfen zu lassen; an einem möglichen jahrelangen Rechtsstreit hatten jedoch weder die Bundes- noch die Landesregierung Interesse. Der Bund war an guten Beziehungen zur EU interessiert, und den Ländern ging es vor allem um die Landesbanken und außerdem um die grundsätzliche Wahrung des Status der Sparkassen. Das war für Bund und Länder vorrangig von Bedeutung.

Diese unterschiedlichen Interessen und der Umstand, dass die Landesbanken hauptsächlich Landesinteressen berührten, führten dann leider teilweise dazu, dass sich vier Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Zielsetzungen und ohne ausreichende gemeinsame Kommunikation mit der Thematik befassten. Letztendlich hat die beim Bundesfinanzministerium eingerichtete Arbeitsgruppe die wesentlichen Vorarbeiten zur Einigung mit der Kommission geleistet.

Für künftige Konfliktlagen, die Länderinteressen berühren und vom Bund gegenüber der EU-Kommission vertreten werden müssen, wird seitens des Ausschusses eine bessere Koordinierung empfohlen. Insbesondere sollte die Bildung von Doppelstrukturen vermieden werden.

Ich will noch kurz auf das Thema „Gefälligkeitsreisen“ eingehen. Dazu nur so viel: Wir konnten im Zuge der Untersuchungen nicht feststellen, dass es Reiseangebote an aktive oder ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Landesbehörden, Ministerien oder sonstigen öffentlichen Stellen gegeben hat.

Ich habe jetzt ein paar Bereiche ausgelassen, die Sie im Gesamtbericht nachlesen können.

Zum Abschluss komme ich auf das Thema „Privatisierung und Fusionsbemühungen“ zu sprechen. Die Gründe für ein Scheitern der Privatisierungs- und Fusionsbemühungen waren vielschichtig. Neben der allgemein schwierigen Lage für Fusionen im Zuge der Finanzkrise von 2008 spielten auch NRW-spezifische Entwicklungen sowie die Entwicklungen im Landesbankensektor der Bundesrepublik Deutschland insgesamt eine Rolle.

Im Zuge dieser Lage wurden mehrere mögliche Landesbankenfusionen diskutiert. Die Fusionsgespräche mit der Helaba und der Bayerischen Landesbank scheiterten an bankbetrieblichen Überlegungen der Anteilseigner dieser beiden Landesbanken. Andere Modelle scheiterten am Widerstand einzelner Gesellschafter. Eine Veräußerung an die beiden letzten ernsthaften Kaufinteressenten aus dem Bereich der Private-Equity-Investoren scheiterte an der Frage nach dem übergangsweisen Verbleib im Einlagehaftungssystem der öffentlichen Banken.

Es musste letztendlich zur Abwicklung der WestLB kommen. Ursächlich dafür waren mehrere Gründe. Zum einen hatte die Bank nach der Aufspaltung kein tragfähiges und gewinnbringendes Geschäftsmodell entwickelt, durch das sie so aufgestellt gewesen wäre, dass die globale Banken- und Finanzkrise von ihr aus eigener Kraft hätte überwunden werden können. Zum anderen waren die Eigentümer der WestLB nicht bereit und wohl auch nicht in der Lage, die Bank mit ausreichendem Eigenkapital auszustatten, wie es zum Beispiel die Anteilseigner anderer Landesbanken gemacht hatten.

Am Ende gab es keine Alternative mehr zu einer geordneten Abwicklung. Wir als Ausschuss sehen an dieser Stelle von Empfehlungen ab, da nach unserer Einschätzung die Betroffenen im Prinzip nur noch reagieren und nicht mehr agieren konnten, als es schließlich zur Abwicklung kam.

Ich darf mich abschließend bei der gesamten Landtagsverwaltung, namentlich bei der wissenschaftlichen Referentin des Ausschusses Frau Kwast und der Ausschussassistentin Frau Hufschmidt, aber auch bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Fraktionen für die Unterstützung bei der Sitzungsführung, vor allem aber auch bei der Erstellung des Schlussberichtes bedanken.

Für die gute Zusammenarbeit und das gemeinsame Bemühen, einen einheitlichen Schlussbericht zu ermöglichen, möchte ich mich bei allen Ausschussmitgliedern, insbesondere aber bei den Obleuten, namentlich bei den Damen – ich bitte um Verständnis, dass ich jetzt alphabetisch vorgehe – Freimuth, Scharrenbach und Zentis sowie den Herren Kern und Zimkeit bedanken.

Ich habe jetzt nicht alle Punkte aus dem Bericht angesprochen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben ja in der Osterpause genügend Zeit. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Haardt, für Ihren Bericht. – Ich darf mich im Namen des gesamten Parlaments Ihrem Dank an alle Abgeordnetenkollegen, die sich dieser enormen Arbeit unterzogen haben, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Untersuchungsausschusses noch einmal ausdrücklich anschließen.

Wenn man allein das pure Gewicht Ihres Abschlussberichtes bewertet, dann hat man eine ungefähre Ahnung, welche Arbeit dort investiert worden ist. An alle Fraktionen gerichtet und an den Vorsitzenden noch einmal herzlichen Dank dafür!

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten in die Aussprache ein. Ich darf als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Zimkeit das Wort erteilen.

Stefan Zimkeit (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich der Danksagung gleich anschließen und möchte sehr bewusst mit dem Vorsitzenden beginnen. Zunächst möchte ich mich bedanken, dass er auf das Vorlesen des Gesamtberichtes verzichtet hat. Das hätte etwas schwierig werden können.

Nein, im Ernst, ich möchte ich mich wirklich bei dem Vorsitzenden bedanken. Er ist sozusagen ins kalte Wasser geworfen worden. Die Situation war eine sehr schwierige, nachdem Herr Biesenbach sich als erster Vorsitzender des Ausschusses entschieden hatte, den Untersuchungsausschuss zu wechseln und den Vorsitz in einem anderen PUA zu übernehmen und dabei auch noch den Referenten mit in den anderen Ausschuss zu nehmen. Dadurch sind Herr Haardt sowie die Referentin in die Situation geraten, einen Abschussbericht vorlegen zu müssen, ohne am größten Teil der Beweisaufnahme teilgenommen zu haben.

Das war eine sicherlich nicht einfache Aufgabe, die aber alles in allem gut bewerkstelligt worden ist. Für diesen Einsatz möchte ich mich ausdrücklich bedanken.

(Allgemeiner Beifall)

Wir haben dann gemeinsam eine Arbeitsweise entwickelt – ich will das ausdrücklich erwähnen; zum einen, weil es sich sowieso gehört, zum anderen aber auch wegen der besonderen Situation –, nach der die wissenschaftlichen Referenten der Fraktionen in einem gemeinsamen Arbeitsprozess daran gearbeitet haben, den Entwurf eines Ausschussberichtes vorzulegen. Dafür bedanke ich mich – die Kolleginnen und Kollegen sitzen da oben – ganz besonders herzlich. Das war wirklich eine besondere Situation. Sie ist gerade durch den großen Einsatz aus dem Bereich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeistert worden. Auch dafür vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

– Ja, das haben sie auch verdient, ruhig auch etwas lauter.

Leider – und da sind wir beim weiteren Prozess – ist aus diesem gemeinsamen Arbeiten die Piratenfraktion an einer bestimmten Stelle ausgestiegen, was ich sehr bedauert habe. Bis zu diesem Punkt hatten wir einen sehr konstruktiven Prozess, was sich auch daran zeigt, dass die Teile, die bis dahin gemeinsam erarbeitet worden sind, in der Sachverhaltsdarstellung weitestgehend gemeinsam getragen worden sind. Es wäre sicher gut gewesen, diesen Prozess auch so bis zum Ende fortzuführen. Jetzt ist es leider anders gekommen.

Eine Frage muss beantwortet werden: Wie bewertet man diesen Bericht? – Ich persönlich bewerte ihn sehr kritisch und finde ihn in weiten Teilen nicht gelungen und unzureichend. Warum ist das aus meiner Sicht so? – Wir als Fraktionen müssen selbstkritisch damit umgehen, dass wir einen Untersuchungsauftrag formuliert haben, der von Anfang an nicht abzuarbeiten war, und der einfach nicht erfüllt werden konnte, weder zeitlich – weite Teile konnten wir gar nicht behandeln – noch inhaltlich, denn auch die Teile, die behandelt worden sind, hätte man sicher noch tiefer verfolgen können.

Wenn man sich die Aktenmengen anschaut, die wir zu bewältigen hatten, stellt man fest: Es ging nicht nur um Tausende von Seiten, sondern es ging um Tausende Aktenordner, deren Bearbeitung letztlich nicht zu bewältigen war. Insofern müssen wir als Parlament daraus lernen, dass wir uns zukünftig bei der Formulierung von Untersuchungsaufträgen an etwas realistischere Maßstäbe halten und nicht ein großes „Wünsch-dir-was“ formulieren. Das war einfach nicht zu bewältigen, und das müssen wir uns selbstkritisch eingestehen.

Ich möchte noch anschließen, dass auch der Zeitrahmen, mit dem wir uns beschäftigt haben – bis zurück in die 80er-Jahre – mehr als schwierig war. Viele wichtige Zeugen waren verstorben; sie konnten sich nicht mehr dazu äußern. Andere Zeugen hatten Erinnerungslücken. An einigen Punkten hat es sicher auch politische Erinnerungslücken gegeben. Da wird jetzt sicher jeder Kollege irgendeinen Zeugen vor Augen haben, von dem er sagt: Auf den könnte das zutreffen.

Allerdings ist es natürlich auch so: Wenn wir Zeugen zu Ereignissen befragen, die sich Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre abgespielt haben, dann ist klar, dass es da wirklich Erinnerungslücken gibt. Insofern war da an manchen Stellen das eine oder andere nicht mehr zu bearbeiten.

Ich will noch einen dritten Punkt anschließen. Während zum Beispiel der PUA BLB während seiner Arbeit Verbesserungsvorschläge für ein laufendes Unternehmen machen konnte, ist es für uns sehr schwierig gewesen, irgendwelche Schlüsse für eine Landesbank zu ziehen, die es so nicht mehr gibt. Deswegen sollten wir zukünftig gemeinsam darauf achten, die Untersuchungsaufträge so formulieren, dass sie Sinn machen und auch abzuarbeiten sind.

Inhaltlich möchte ich festhalten, dass es auf die Kernfrage, wer oder was oder welche Strukturen daran schuld sind, dass es mit der WestLB so gekommen ist, wie es gekommen ist, nicht die Antwort gibt. Sicher werden – je nach politischer Gewichtung – unterschiedliche Antworten darauf gegeben.

Aber es ist klar geworden, dass es eine Überschneidung von Ursachen für die Entwicklung gegeben hat. Es hat – das ist gerade schon von Herrn Haardt angesprochen worden – eine Reihe von Managementfehlern und auch eine große Zahl von Fehlinvestitionen gegeben. Ich will das für mich einmal wie folgt zusammenfassen: Die WestLB hat sich häufig zu sehr wie eine Investmentbank und zu wenig wie eine Landesbank verhalten. Sonst wäre das eine oder andere sicher nicht passiert.

Damit im Zusammenhang steht die Organisation der Aufsicht, die an einigen Stellen schwer nachvollziehbar war. Wenn ein stellvertretendes Vorstandsmitglied – um beim Vorstand zu beginnen – bei der Frage nach den Russlandgeschäften antwortet: „Das mit dem großen Volumen ist zwar im Vorstand beschlossen worden; aber ich habe mich mit dieser Thematik nicht beschäftigt“, dann lässt das einen schon etwas ratlos zurück.

Das geht weiter mit dem Risikomanagement der Bank, die nicht immer auf der Höhe der Zeit war – um es zurückhaltend zu formulieren.

Die Aufsichtsgremien, in denen Politikvertreter saßen – das gilt es noch einmal zu betonen –, in denen aber auch Sparkassenvertreter und über weite Teile auch Vertreter der Wirtschaft waren, sind über viele Dinge auch nicht ausreichend informiert worden. Bei anderen Dingen hat es aber auch – ich formuliere es einmal so – ein bisschen an Engagement gefehlt. Wenn verschiedene Vertreter als Zeugen aussagen: „Die Ergebnisse standen ohnehin vorher nicht fest; deswegen habe ich nicht mehr nachgefragt“, hat man seine Aufsichtstätigkeit auch nicht so ernst genommen, wie man es eigentlich tun sollte.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Struktur der Gesellschaft durch die Beteiligung des Landes und der Sparkassen nicht immer ganz einfach war. Hier gab es nicht immer eine Interessenübereinstimmung. Aber man hatte vor allen Dingen auch das Problem, dass man Anteilseigner hatte, die, vorsichtig formuliert, finanziell nicht immer am besten gestellt waren und somit auch Schwierigkeiten hatten, bei Bedarf Kapital nachzuschießen.

Eine ganz entscheidende Rolle bei dieser Entwicklung hat dann die Europäische Kommission gespielt, insbesondere die Generaldirektion Wettbewerb. Sie hat ihre äußerst kritische Haltung gegenüber dem öffentlichen Bankenwesen in Deutschland am Beispiel der WestLB exekutiert, wollte hier deutlich machen, dass ihr das öffentliche Bankenwesen in Deutschland ein Dorn im Auge ist, und hat an der WestLB ein Exempel statuiert.

Ich glaube, dass das einer der Punkte ist, die wir für die weitere politische Betrachtung im Auge behalten müssen. Diese kritische Haltung gegenüber dem öffentlichen Bankenwesen in Deutschland einschließlich der Sparkassen gibt es nämlich in der EU-Kommission immer noch. Damit ist auch eine gewisse Gefährdung für die Sparkassen verbunden. Hier ist es dann notwendig, daraus zu lernen, dass wir eine gemeinsame Interessenvertretung von Land und Bund gegenüber der Europäischen Kommission brauchen, um solche Gefährdungen für die Sparkassen abzuwenden. Dies war bei der WestLB nicht immer so. Deswegen ist das eine der Lehren, die wir ziehen müssen.

Viele Fragen bleiben immer noch offen. Aus meiner politischen Sicht lautet eine dieser Fragen: Hätte es die Möglichkeit gegeben, im Zusammenhang mit der Landesbankenkonsolidierung zu einer Lösung zu kommen, die dazu geführt hätte, dass es heute noch eine Landesbank mit dem Standort Düsseldorf gemeinsam mit anderen gibt? Das war nicht abschließend zu beantworten. Insbesondere war aus meiner Sicht nicht abschließend zu beantworten, ob ein ernsthafter Einstieg in Fusionsverhandlungen mit der SüdwestLB hätte dazu führen können, dass es hier eine wirtschaftlich tragfähige Lösung für beide Länder und für beide Landesbanken gemeinsam gegeben hätte. Der Untersuchungsausschuss konnte nicht klarstellen, ob das so funktioniert hätte.

Ich will hier noch einmal daran erinnern, dass die ganze Situation, die sich dann entwickelt hat, eine Belastung für das Land, für die Steuerzahler und für die Sparkassen war, aber insbesondere für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in schwierige Situationen gekommen sind und die – das will ich ausdrücklich erwähnen – zum Teil heute noch in der EAA und in der Portigon dazu beitragen, eine Abwicklung der WestLB im geplanten wirtschaftlichen Rahmen hinzubekommen. Dafür und für ihre konstruktive Zusammenarbeit will ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einmal ganz herzlich danken. Sie waren insbesondere Leidtragende des Prozesses.

Abschließend will ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen und insbesondere bei den Obleuten, die gerade namentlich genannt worden sind, dafür bedanken, dass es zumindest im breiten Konsens gelungen ist, einen gemeinsamen Text mit einvernehmlichen Bewertungen zu formulieren. Dafür bin ich sehr dankbar.

Damit ich mich nicht noch einmal zu Wort melden muss, erlaube ich mir folgenden Hinweis: Ich finde es etwas bedauerlich, dass die FDP-Fraktion mit einem Entschließungsantrag jetzt ein Stück weit diesen gemeinsamen Weg verlassen will. Wir lehnen diesen Entschließungsantrag ab. Darin wird wieder klar die Philosophie „Privat vor Staat“ vorgetragen, die ausdrücklich aus diesem Gesamtbericht nicht herauszulesen ist. Ich kann nicht feststellen, warum man zum Beispiel die NRW.BANK jetzt privatisieren sollte. Zumindest hat der PUA dieses Ergebnis nicht geliefert. Deswegen werden wir den Entschließungsantrag ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Herzlichen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht Frau Kollegin Scharrenbach.

Ina Scharrenbach (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich zumindest den einleitenden Worten des Kollegen Zimkeit anschließen, was den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht, aber natürlich auch an die Abgeordnetenkollegen, die mit uns zusammen als Obleute über vier Jahre diesen Untersuchungsausschuss bestritten haben. Wir haben 45 Sitzungstage benötigt und 96 Zeugen gehört. Von den insgesamt 16 Themenkomplexen, mit denen uns der Landtag hier im Jahr 2013 beauftragt hat, konnten wir fünf nicht abarbeiten. Darauf hat der Kollege Zimkeit gerade schon verwiesen.

Wir haben uns insbesondere mit der Entwicklung der Westdeutschen Landesbank von einer Förder- und Sparkassenzentralbank hin zu einer internationalen Groß- und Beteiligungsbank beschäftigt. Nach der Satzung bedurften der Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen der Zustimmung des Verwaltungsrates. Mitglieder dieses Gremiums waren unter anderem immer der Wirtschafts- und der Finanzminister des Landes. Wir haben auch gehört, dass die Unterlagen für weitere Beteiligungen im Finanzministerium geprüft wurden. Wir haben aber im Rahmen des Untersuchungsausschusses keine Kenntnis darüber gewonnen, dass man sich in diesem Gremium gegen Beteiligungsabsichten des jeweiligen Vorstandes gestellt hätte.

Zusammenfassend können wir sicherlich durchaus sagen, dass in den 80er-Jahren und zumindest bis Mitte der 90er-Jahre die Bank nur noch den Weg nach oben beschritt. Fragen, ob eine solche Entwicklung den Aufgaben einer Landesbank entspricht und den Aufgaben einer Landesbank gerecht wird, sind bestenfalls am Rande gestellt worden. Insbesondere das viel zitierte Dreigestirn aus Finanzminister, Ministerpräsident und damaligem Vorstandsvorsitzenden der Westdeutschen Landesbank …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Im Bericht ist das aber nicht zitiert!)

– Aber in den Zeugenaussagen, Herr Kollege Zimkeit, die Sie sicherlich auch sehr eingehend gelesen haben, kommt durchaus vor, dass sie auch intensiv über die Frage von Beteiligungen gesprochen und entsprechend Entscheidungen der Gremien vorbereitet haben.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Außerhalb des Berichts!)

– Aber in den Niederschriften enthalten.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Aber nicht bewiesen!)

– Gut.

Herr Kollege Zimkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Anfang vom Ende – das haben wir als CDU-Fraktion immer sehr ausführlich betont – war die Integration des Wohnungsbauvermögens in die Westdeutsche Landesbank. Denn zum 1. Januar 1993 wurden die regulatorischen Eigenkapitalvorschriften deutlich verschärft. Hier hätten sich die Aufsichtsgremien eigentlich viele Fragen stellen. Insbesondere hätten sie sich auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob man denn nicht die Geschäftstätigkeit der Westdeutschen Landesbank reduziert, um dann den Regularien gerecht werden zu können.

Aber schlussendlich ging es eigentlich nur um die Frage: Wie kann man mehr Eigenkapital bekommen? Erstaunlicherweise waren die Eigentümer nicht bereit oder nicht in der Lage, entsprechende Barkapitalerhöhungen vorzunehmen, sodass man schlussendlich auf die Idee einer Sachkapitalerhöhung im Wege der Integration des Wohnungsbauvermögens in die WestLB gekommen ist – und das, obwohl es hier Warnungen aus der damaligen CDU-Landtagsfraktion, nämlich von Hartmut Schauerte, und auch von dem grünen Kollegen, dem Abgeordneten Dr. Busch, gegeben hat.

Der Ausschuss hat sehr wohl herausgearbeitet, dass es bei der Integration der Wohnungsbauförderungsanstalt in die Westdeutsche Landesbank zu handwerklichen Fehlern gekommen ist, die später zu Zeitpunkten, als es noch möglich gewesen wäre, nicht repariert wurden und letztlich insbesondere das dreigliedrige Bankensystem in der Bundesrepublik Deutschland bis heute belasten.

Die Europäische Kommission hat dann auch 1999 im gesamten Verfahren eine unzulässige Beihilfe aus der Integration des Wohnungsbauvermögens in die Westdeutsche Landesbank von 1,6 Milliarden DM festgestellt.

Aus diesem gesamten Prozess resultiert schlussendlich auch der Wegfall der Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, was für den gesamten Bankensektor in der Bundesrepublik Deutschland besonders eklatant war. Das resultiert letztendlich daraus, dass verantwortliche Entscheidungsträger die Risiken, die sich aus dem gesamten Verfahren im Zusammenhang mit der Integration des Wohnungsbauvermögens in die Westdeutsche Landesbank ergeben haben, nicht vollumfänglich betrachtet und in die eigenen Überlegungen einbezogen haben.

Wenn wir uns mit dem Themenkomplex …

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das steht alles nicht in der Bewertung, die du mit unterschrieben hast! – Zuruf von den PIRATEN)

– Doch, das steht drin. Lieber Stefan, genau dieser Punkt steht drin.

(Zuruf von den GRÜNEN: „Lieber Stefan“? Das ist wahrscheinlich gefährlich!)

– Wir sind so weit. – Genau das steht drin,

(Weitere Zurufe und Gegenrufe von der SPD und der CDU – Vereinzelt Heiterkeit)

weil wir darüber nämlich noch im Wording verhandelt haben.

(Beifall von der CDU – Weitere Zurufe und Gegenrufe von der SPD und der CDU)

– Jetzt haben wir das auch geklärt, wer sich hier wie liebt oder nicht liebt.

(Zuruf: Oh!)

– Oh; genau.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf von der CDU: Das werden noch spannende acht Minuten!)

Kommen wir zum Fazit – und das haben wir auch diskutiert –: Zu Beginn des Untersuchungszeitraums kann man sicherlich konstatieren, dass es zumindest von den relevanten Eigentümern unter dem Gesichtspunkt getrennter Wettbewerbspositionen der beiden Sparkassenverbände auf der einen Seite und der Entwicklung der Westdeutschen Landesbank auf der anderen Seite durchaus noch eine gleichgerichtete Interessenlage gegeben haben mag.

Je mehr sich aber die Westdeutsche Landesbank in Geschäftsfelder entwickelt hat und damit gleichzeitig in Konkurrenz zu den Sparkassen getreten ist, umso schwieriger wurde es – unseres Erachtens aus dem Untersuchungsausschuss heraus –, dass man in puncto Westdeutscher Landesbank innerhalb der Eigentümergemeinschaft nicht mehr unbedingt an einem Strang gezogen hat. Vielmehr wurden hier Fragen eher dahin gehend beantwortet, dass Eigentümern zum Teil das Hemd näher war als die Hose Westdeutsche Landesbank.

Ferner haben wir den Eindruck gewonnen, dass es im Rahmen der Aufsichtsgremien eher um die Betrachtung des Einzelinstituts Westdeutsche Landesbank gegangen ist als letztendlich um eine Betrachtung des Gesamtkonzerns und damit auch um eine Gesamtkonzernsteuerung.

Vor diesem Hintergrund sind auch Empfehlungen in den Abschlussbericht aufgenommen worden, was die zukünftige Qualifizierung, Ausrichtung, Ausbildung und Fortbildung von Mitgliedern in Aufsichtsgremien anbetrifft.

Wir sind uns ebenfalls einig, dass ein Controllingsystem – dabei geht es um Compliance, Controlling, Wahrnehmung von Funktionen und Überwachung – nicht in ausreichendem Maße in der Westdeutschen Landesbank aufgestellt und schlussendlich auch vollzogen wurde.

Aus der Integration der Wohnungsbauförderungsanstalt resultieren bis heute Vorbehalte der Europäischen Kommission gegen das dreigliedrige Bankensystem und insbesondere gegen den öffentlich-rechtlichen Bankensektor. Das ist dem Grunde nach, wenn man es politisch betrachtet, ein irreparabler Langzeitschaden für den gesamten öffentlich-rechtlichen Bankensektor innerhalb der Bundesrepublik. Er ist aus dieser Zeit heraus entstanden.

Mein Fazit zum Abschluss lautet: Das ehemalige Flaggschiff des Landes Nordrhein-Westfalen, die Westdeutsche Landesbank, ist untergegangen. Es gab viele Kapitäne. Das Ruder wurde mal in die eine Richtung, mal in die andere Richtung bewegt. Es gab einen Schlingerkurs sowie fehlende Kontrolle und fehlende Kontrollsysteme. Bis heute ist das Wrack nicht gehoben.

Das offenkundige Gefangenendilemma, in dem sich die Eigentümer, die über die Jahre wechselten, befunden haben, in das sie sich aber auch selbst hineinbegeben haben, sollte uns allen eine Lehre für die Zukunft sein, was den Umgang mit öffentlichen Instituten angeht.

(Beifall von der CDU)

Nun waren wir als CDU ebenfalls darüber irritiert, dass die FDP heute noch einen Entschließungsantrag eingereicht hat. Diesem Entschließungsantrag werden wir aus folgendem Grunde nicht zustimmen: Wir teilen Ihren Ansatz, dass eine rechtzeitige Privatisierung der Westdeutschen Landesbank dem Land Nordrhein-Westfalen große Teile der zu schulternden finanziellen Lasten erspart hätte, nicht, weil wir der Auffassung sind, dass eine rechtzeitig oder schnellere Privatisierung nicht möglich gewesen wäre.

Lassen Sie mich mit einem Verweis auf den Schlussbericht zum Schluss kommen. Jedem Ende wohnt bekanntermaßen auch ein Anfang inne. Mit diesem philosophischen Ende möchte ich von unserer Seite aus allen Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank für die Zusammenarbeit und für die gemeinsame Abfassung des Schlussberichtes sagen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Zentis.

Gudrun Zentis (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Das sind hauptsächlich die Referentinnen und Referenten der Fraktionen sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Den ersten Dank schicke ich jetzt einmal auf die Tribüne an die Referentinnen und Referenten, und zwar dafür, dass wir diesen Abschlussbericht zustande bekommen haben. Das war ganz viel Arbeit von allen Referentinnen und Referenten. Ich war, glaube ich, immer sehr gut darüber informiert, wie ihre Zusammenarbeit funktioniert hat.

(Beifall von der CDU und Stefan Zimkeit [SPD])

– Das haben Sie sich verdient. Es war nämlich ganz viel Arbeit. – Einen herzlichen Dank sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen, die dazu beigetragen haben, dass wir dann schließlich und endlich einen Bericht zustande bekommen haben, der von einer großen Mehrheit getragen wird.

Der Kernauftrag des Ausschusses war aus meiner Sicht, die Hintergründe des Niedergangs der WestLB zu klären und zu klären, warum diese große Landesbank abgewickelt werden musste. Des Weiteren ging es um die Frage, ob Schuldige dafür benannt werden können. Natürlich ist es aus heutiger Sicht einfacher, zu reflektieren, was eventuell falsch gelaufen ist. Aus damaliger Sicht waren – unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation bzw. des damaligen Informationsstandes – viele Entscheidungen auch richtig.

Die gewonnenen Erkenntnisse möchte ich für uns wie folgt zusammenfassen:

Erstens. Die Integration der Wohnungsbauförderungsanstalt und die dann in der Folge wegfallende Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind sicherlich ein entscheidender Grund für den Niedergang der WestLB gewesen. Die Integration an sich war bestimmt eine sinnvollere Lösung als eine etwaige Kapitalerhöhung. Ob diese jedoch unbedingt nötig gewesen wäre, um die Geschäftsbankentätigkeit der WestLB zu gewährleisten, steht auf einem anderen Blatt. Manfred Busch, unser Vertreter, hat – Frau Scharrenbach hat es eben schon erwähnt – schon Anfang der 90er-Jahre davor gewarnt und sich gegen die Entwicklung hin zu einer internationalen Großbank ausgesprochen. Auch das Kapitel der Verzinsung sahen wir damals schon äußerst kritisch. Die Wfa-Integration war das erste Kapitel einer langen Reihe von Auseinandersetzungen mit der EU.

Zweitens. Stichwort „Beihilfeproblematik“: Dass nicht das Land der direkte Ansprechpartner war, sondern der Bund, vereinfachte den Verhandlungsprozess nicht gerade. Ich erspare es mir jetzt, jedes einzelne Verfahren aufzuzählen. Herr Haardt ist auch schon darauf eingegangen. Die Aussage einer Dame vonseiten der EU ist, glaube ich, sehr bezeichnend und sehr präzise, um die Einstellungen der WestLB auf einen Punkt zu bringen. Sie sagte nämlich: The WestLB story must come to an end.

Drittens. Viele Fehlentscheidungen wurden getroffen. Die Boxclever-Investitionen sind hier nur ein sehr illustres Beispiel. Ein Zeuge schilderte anschaulich, dass dieses Geschäft sicherlich nicht angefasst worden wäre, wenn sich jemand bequemt hätte, einmal einen TV-Leasing-Laden aufzusuchen, anstatt sich nur die Papiere in der Sitzung anzusehen.

(Beifall von der CDU)

Man brauchte und wollte schnelle Gewinne. Aber es folgten hohe und weitere Verluste.

Viertens. Die Bankenkrise traf natürlich auch die WestLB und führte im Endeffekt leider dazu, dass die Versuche der Bank, den Abstieg aufzuhalten, endgültig scheiterten.

Fünftens. Weiterhin gab es ein zunehmendes Versagen in den Reihen der Bankvorstände. Die Kollegin Scharrenbach und der Kollege Zimkeit haben schon darauf hingewiesen. Niemand konnte ein tragfähiges Geschäftsmodell präsentieren und erfolgreich umsetzen. Aus heutiger Perspektive scheint es so, dass die WestLB als Ganzes nicht im Fokus stand.

Sechstens. Letztendlich muss auch die Rolle der Politik beleuchtet werden. Vielleicht hat man sich an der einen oder anderen Stelle zu wenig oder nicht energisch genug eingebracht. Möglicherweise war auch das Vertrauen an der einen oder anderen Stelle zu groß: Die Wahrnehmung der Kontroll- und Gestaltungsfunktion ist die Arbeit der Bankenvorstände; sie müssen das sinnvoll ergänzen. – Dies ist allerdings nur möglich, wenn alle Vorgänge auch transparent auf den Tisch gelegt werden. Bei solchen Großkonzernstrukturen mit ihrer Fülle an Unterfirmierungen, Tochter- und Enkelgesellschaften ist dies aber kaum möglich. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe des Vorstands. Sie liegt daher auch voll in dessen Verantwortungsbereich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den späteren Privatisierungs- und Fusionsbemühungen kam die Politik dann doch noch verstärkt ins Boot. Die Eigentümer waren gefragt – nicht nur die Sparkassenverbände, sondern auch das Land –, und zwar in besonderer Weise, um die Prozesse voranzutreiben.

Die von den Sparkassenverbänden favorisierte Lösung einer Fusion mit der LBBW scheiterte vielleicht an der damaligen Landesregierung oder wurde nicht ernsthaft genug von ihr betrieben. Andere Fusionsgespräche waren nicht erfolgreich, weil es keine Partner für die WestLB gab. Die einen wollten nicht; sie wollten eher beim Untergang zuschauen. Die anderen, auch Landesbanken, waren mit eigenen Problemen beschäftigt; manche sind noch damit beschäftigt. Einige kamen nur mit einer Finanzspritze der jeweiligen Länder wieder auf die Beine. In NRW war dies angesichts der Haushaltslage aber nicht möglich.

Was ist am Ende das Ergebnis?

Erstens: die Abwicklung und dauerhafte Auflösung der WestLB.

Zweitens: Dem Land NRW verbleibt die Förderbank NRW.BANK.

Daher sind die Erkenntnisse aus den Untersuchungen des Niedergangs der WestLB auch nur noch im übertragbaren Sinne zu nutzen. Das Land tut gut daran, für die Förderung unsere NRW.BANK als wichtigstes Instrument in den Blick zu nehmen.

Die Geschichte der WestLB wird sich nicht wiederholen; ich glaube, das steht fest. Der eine oder andere Fehler im öffentlichen und privaten Bankensektor – so ist zu befürchten – wird sich vielleicht doch noch wiederholen. Aber da seien bitte wir als Politik und auch die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft noch aufmerksamer.

Der Untersuchungsauftrag – die Vorredner haben dazu schon Stellung genommen – war zu groß gefasst. Wir haben nicht alle Komplexe erfassen können. Der eine oder andere hätte mich sicherlich noch sehr interessiert. Aber die Zeit reichte nicht aus.

Das Erinnerungsvermögen mancher Zeugen – das haben die Kollegen auch schon gesagt – war sehr beschränkt. Manchmal lag das nicht nur an dem lange zurückliegenden Zeitraum von 1980 an; es betraf auch kürzere Zeiträume.

Wir haben unsere Arbeit jetzt in einem Bericht, der mehrheitlich getragen wird, dokumentiert. Man hätte vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch mehr ergänzen können. Aber dazu fehlte die Zeit.

Ich will mich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken. Auf den letzten paar Metern haben wir gemerkt, dass Frauenpower sehr hilfreich war. Bei dem Kollegen Haardt möchte ich mich für die wirklich konstruktive Zusammenfassung aller Ereignisse bedanken.

Somit darf ich schließen. Ich nehme noch kurz Stellung zu dem FDP-Antrag, den wir so leider nicht mittragen können. Ich denke, dass man sich mit diesem Entschließungsantrag einen Bärendienst erwiesen hat. „Privat vor Staat“ geht für uns gar nicht. Das spiegelt das Standing der FDP und ihre Wahrnehmung wider. Es tut mir leid.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Zentis. – Für die FDP spricht jetzt Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kaum zu glauben, aber wahr: Nach vier Jahren beraten wir den Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II, des sogenannten WestLB-PUA. Wir haben Tausende von Akten in digitaler Form gesichtet und Zeugen befragt. Daraus haben wir Erkenntnisse gewonnen oder auch deren Fehlen diskutiert.

Ich möchte mich auch im Namen meines Stellvertreters, Ralf Witzel, dem ich herzlich für die Begleitung und Unterstützung danke, ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten aus den anderen Fraktionen und insbesondere bei den Obleuten für die konstruktive, manchmal natürlich auch kontroverse, aber immer sehr sachliche und zielorientierte Zusammenarbeit bedanken, ebenfalls bei den unterstützenden Kollegen aus den Fraktionen, den wissenschaftlichen Referenten und natürlich auch bei der Landtagsverwaltung. In meinen Dank darf ich auch die Vorsitzenden ausdrücklich einschließen.

(Beifall von der FDP)

Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Anmerkung: Bei einem so komplexen Untersuchungsauftrag ist schon allein ein Wechsel des Vorsitzenden keineswegs wünschenswert. Ein gleichzeitiger Wechsel des unterstützenden Referenten empfiehlt sich aber definitiv nicht zur Wiederholung oder Nachahmung.

(Beifall von der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Im Wesentlichen aus Zeitgründen konnten leider nicht alle Untersuchungsgegenstände bearbeitet werden, sodass auch deshalb viele Fragen ohne Antwort blieben. Erschwerend kam hinzu – es wurde schon erwähnt –, dass Zeugen behaupteten, sich an Sachverhalte nicht mehr erinnern zu können, was nur zum Teil durch die lange zurückliegenden Geschehnisse nachvollziehbar erschien.

Es gelang in einem ganz speziellen Fall – ich ahne, Frau Kollegin Zentis, dass wir vielleicht sogar denselben im Blick haben – aber auch nicht, das Gegenteil zu beweisen, obwohl ich an der Erinnerungslücke auch heute noch erhebliche Zweifel habe. Denn das gemeinsame Frühstück mit der frisch Angetrauten war sehr wohl noch erinnerlich, während das fehlende Erinnerungsvermögen zu einer Besprechung, bei der es dann doch um mehrere Hundert Arbeitsplätze ging, fröhlich behauptet wurde.

Meine Damen und Herren, der Ausschuss hat festgestellt, dass die Entwicklung der WestLB zu einer internationalen Großbank mit dem Anspruch verbunden war, mit den deutschen Privatbanken mitzuhalten – von Rechts wegen nicht zu beanstanden und auch seinerzeit politisch gewollt. Umso klarer sehe ich aber in der Ex-post-Bewertung nach der Beweisaufnahme die seit 2000 von der FDP hier im Parlament wiederholt vorgenommene ordnungspolitische Bewertung bestätigt, dass eine mit Steuergeldern immer wieder zu unterstützende Landesbank nicht mit internationalem Anspruch auf den Kapitalmärkten im Wettbewerb und mit Risiko für den Steuerzahler hätte agieren dürfen.

Wenn hier von Risiko die Rede ist: Der Zeuge Schauerte bezifferte die Haftungslast aus dem Desaster des Großbankentraums mit 21 Milliarden €. Soweit ich weiß, verwendet der amtierende Finanzminister dieses Landes immerhin die Zahl von 18 Milliarden €.

Lassen Sie mich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit zur Veranschaulichung auf einen Sachverhalt lenken, der exemplarisch belegt, dass die Landesbank im ordnungspolitischen Blindflug und in Großmannssucht die Ebene der Daseinsvorsorge verlassen hatte. Denn weder mit Daseinsvorsorge noch mit nordrhein-westfälischer Struktur- oder Industriepolitik lässt sich das seinerzeit offensichtlich von der Landesregierung und der Bank gewollte Engagement bei der Schaffung eines internationalen Touristikkonzerns in Niedersachsen begründen.

Noch weniger wäre es dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen, wenn wir die Schilderung eines Zeugen hätten unterlegen können, dass damit die SPD-Kanzlerkandidatur eines damaligen Ministerpräsidenten hätte verhindert werden sollen. Auch ein Engagement der Bank auf den Cayman Islands oder anderen Offshore-Destinationen lässt sich in keiner Weise unter Daseinsvorsorge subsumieren.

Wir alle werden immer wieder gefragt – alleine in den letzten Tagen ist es mir jedenfalls mehrfach passiert –: Wer oder was hat denn diese Westdeutsche Landesbank, die einst so stolze, mit ihren qualifizierten Mitarbeitern hier in Nordrhein-Westfalen, dem Untergang geweiht? Wer ist schuld?

Nun, eine einzige Ursache gibt es wohl nicht. Es ist eine ganze Kette von Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen, die aber eben an vielen Stellen durch viele ungenutzte Chancen zur Schadensminderung nicht unterbrochen wurde. Zu nennen wäre hier – das ist schon genannt worden – die handwerklich schlecht gemachte Integration der Wohnungsbauförderungsanstalt in Verbindung mit einem oftmals, sagen wir einmal, rustikal-selbstbewussten Auftreten mit Absolutheitsanspruch in Brüssel, was ja bis heute nachwirkt.

Zudem gelang es auch der Bank und ihren Eigentümern nach der Etablierung des sogenannten Mutter-Tochter-Modells nicht, für die neue AG ein tragfähiges Geschäftsmodell zu finden. Die Bank wurde auf der einen Seite von den großen Sparkassen und auf der anderen Seite von den internationalen Geschäftsbanken in die Zange genommen. Unkonventionelle Ideen wie zum Beispiel die Idee einer Metropol-Sparkasse bzw. die Vertikalisierung, der Zugang zum Retailgeschäft scheiterten in jedem Fall an politischen Vorgaben.

Alle Bemühungen um angedachte Fusionen im Landesbankensektor wie auch die von der FDP stets favorisierte Verwertung des Landesanteils auch unter Einbeziehung des Kapitalmarktes, also sprich der Verkauf des Landesanteils, scheiterten. Das Fehlen eines tragfähigen Geschäftsmodells war zu keinem Zeitpunkt hilfreich.

Die Beiträge der Eigentümer spielten dann ja auch eine Rolle bei der Einschätzung der Haftungskaskade der Phoenix-Ausgliederung als quotal oder disquotal, das heißt nicht im Verhältnis zum jeweiligen Anteilsbesitz an der WestLB. Einige Zeugen untermauerten den im Raum stehenden Vorwurf, die Sparkassen seien, wenngleich Mehrheitseigner, zulasten des nordrhein-westfälischen Steuerzahlers – in Anführungszeichen – zu gut weggekommen, mit guten Argumenten. Die disquotale Haftung wäre aber erst bei über fünf Milliarden € bewiesen, so dass wir im Abschlussbericht lediglich eine sachliche Beschreibung des Sachverhalts haben vornehmen können.

Beim Themenkomplex „Offshore“ zeigte sich, dass die WestLB aus ihrem internationalen Anspruch, mit in- und ausländischen Privatbanken zu konkurrieren, Maßnahmen traf, die vom heutigen Finanzminister in fast jeder Rede jedenfalls bei anderen gegeißelt werden. Mit Ausnahme der Jahre 2005 bis 2010 waren sozialdemokratische Minister in den Gremien der WestLB vertreten, die keineswegs durch kritische Äußerungen zu diesen Offshore-Aktivitäten in den Gremiensitzungen aufgefallen sind. Und nur am Rande sei mir der Hinweis gestattet, dass das – auch wenn es nicht Gegenstand des Untersuchungsauftrags war – auch in der jetzigen Verantwortungssphäre noch nicht so hundertprozentig beendet erscheint.

Verstörend war die Beobachtung bei den Zeugenbefragungen, dass die Vorstände nicht als Kollegialorgane auf Augenhöhe zu agieren schienen, sondern sich in Arglosigkeit und Devotismus dem Vorstandsvorsitzenden hingaben. Befragt nach den eigenen Verantwortungssphären der Vorstände wurden bemerkenswert oft …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin.

… Erinnerungslücken oder formaljuristische Zuständigkeiten bemüht. Nicht nur mich beschlich dort ein etwas befremdliches Gefühl. Einer der Kollegen fasste es mit der Feststellung zusammen: Sie waren Vorstand und kein Azubi!

Was also bleibt zum Schluss? – Das ist dann auch, Frau Präsidentin, meine letzte Bemerkung. – Es bleibt mir, die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II mit dem Zitat eines Zeugen zu beenden. Es ist der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident und frühere Landes- und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, der seine Erkenntnis wie folgt formulierte – ich darf zitieren –:

„Sie bezieht sich generell auf öffentliche Unternehmen. Ich bin heute der Überzeugung – auch aus der Erfahrung, nicht mit der WestLB, sondern generell aus der Erfahrung –, dass die Politik, die den Rahmen zu setzen hat, der für die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben gilt, sich tunlichst aus den Unternehmen heraushält.“

Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Das gilt auch heute für mich. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Kern.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause! Zunächst möchte ich mich auch dem Dank meiner Vorredner anschließen und mich insbesondere beim Vorsitzenden und bei den Obleuten dafür bedanken, dass sie unsere zahlreichen Beweis- und Änderungsanträge über sich haben ergehen lassen, auch wenn sie sie in der Mehrzahl abgelehnt und nur einen Teil angenommen haben,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Stimmt nicht! Die Mehrzahl haben wir angenommen!)

und auch dafür, dass sie unsere Sondervoten letztlich akzeptiert haben – wobei ich da der Ansicht bin, dass sie den Umfang nicht sprengen, sondern sich in dem Rahmen halten, der einer Oppositionsfraktion gut zu Gesicht steht.

Zur Sache: Die Erwartungen an diesen Untersuchungsausschuss waren hoch. Was wollten die Landtagsfraktionen bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses nicht alles aufklären! Doch leider kam es anders: Um sich nicht den wirklich brisanten Themen widmen zu müssen, hatten die anderen Fraktionen offenbar das Ziel ausgerufen, quasi die Gesamthistorie der WestLB zu erforschen. Man verlor sich leider im Klein-Klein und beleuchtete vor allem die Vorgänge genauestens, an denen politische Personen beteiligt waren, die längst nicht mehr im politischen Geschäft sind.

Da bot man einem Ex-Kanzler, einem diplomierten Selbstdarsteller, im Ausschuss als Zeuge eine Bühne, damit er in aller Ausführlichkeit über seine Hochzeitsreise sowie seine Erinnerungslücken zum Thema referieren und sich damit über den Untersuchungsausschuss und seine Aufklärungsbemühungen lustig machen konnte. Ein Bärendienst für den Parlamentarismus in diesem Land!

Die Vorgänge aus jüngerer Vergangenheit hingegen, an denen Personen beteiligt gewesen sein könnten, die heute noch aktiv sind, und vor allem die Geschäfte, die die letzten Sargnägel für die WestLB bildeten, wurden nicht beleuchtet – insbesondere nicht das Phoenix-Portfolio.

Auch kein Thema waren die Zinsswap-Geschäfte der WestLB, die sich äußerst negativ auf einige Kommunen in NRW und deren Haushalte auswirkten. Auch kein Thema waren die Zinsmanipulationen an Libor und Euribor, an denen die WestLB beteiligt war und die Milliardenschäden verursachten. Ebenfalls kein Thema waren die Spekulationen mit Vorzugsaktien von BMW und VW.

Stattdessen beschäftigte man sich lieber mit den Themen „Gefälligkeitsreisen“ oder „Offshore-Aktivitäten“, die für den Untergang der WestLB allerdings eher von untergeordneter Bedeutung waren.

Wenn man sich die hochbrisanten Themenfelder anschaut, die der Ausschuss nicht behandelt hat, muss man wohl eher von einem Unterlassungs- als von einem Untersuchungsausschuss sprechen.

(Heiterkeit von Lukas Lamla [PIRATEN])

Doch nun zum Untersuchungsgegenstand selbst. Die WestLB hatte zu viele Neider und Feinde und zu wenige Freunde. Auf europäischer Ebene hatte sie eine neoliberale Europäische Kommission gegen sich, die die Anstaltslast beseitigen wollte. Im Bund bot sich ein ähnliches Bild. Und auch auf Landesebene hatte man keine Verbündeten, sondern nur Konkurrenten. Dabei hätte es einer gemeinsamen Anstrengung der Länder bedurft, um gegen die Abschaffung des Landesbankenmodells zu opponieren.

Gut aufgearbeitet hat der Ausschuss das Thema der Einbringung der Wohnungsbauförderungsanstalt in die WestLB. Um den Anforderungen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen hinsichtlich der Eigenkapitalbasis der Bank zu genügen, hatte man sich am Anfang der 90er-Jahre zu dieser Sacheinlage anstelle von echtem Eigenkapital entschlossen – eine folgenreiche Fehlentscheidung, wie sich herausstellen sollte. Denn damit begann eine jahrelange Auseinandersetzung mit der EU-Kommission über die Einstufung dieser Sacheinlage als europarechtswidrige Beihilfe. Diese hat das Land NRW und die WestLB im Wesentlichen verloren – juristisch, aber vor allem auch politisch.

Gerade als die Auseinandersetzung um die Wfa ausgestanden war, erfolgte im Jahr 2008 die nächste fatale Fehlentscheidung der WestLB und der damaligen Landesregierung: die Auslagerung von toxischen Wertpapieren im Nominalwert von 23 Milliarden € in das eben schon erwähnte Phoenix-Portfolio. Diese Papiere sind letztlich in der vielzitierten Ersten Abwicklungsanstalt gelandet, der Bad Bank der WestLB. Aber es waren nicht nur diese Wertpapiere im Nominalwert von 23 Milliarden €, sondern am Ende waren es Schrottpapiere von über 200 Milliarden €, für die der Steuerzahler haften sollte. Diese erneute Staatsgarantie löste dann das nächste und letztlich vernichtende Beihilfeverfahren der EU-Kommission gegen die WestLB aus. Aber all das war leider nicht Gegenstand der Untersuchungen.

Statt sich also mit dem Hauptverdächtigen für den Untergang der WestLB zu beschäftigen, jagte man lieber einem Phantom hinterher, einem Steuerbetrugsnetzwerk im Ausland bei einer Bank, die selbst quasi kein Privatkundengeschäft unterhielt – ein ziemlich abstruser Ermittlungsansatz. Weil man diesem Phantom nachjagen wollte, blieb angeblich keine Zeit mehr für die Untersuchung der Vorgänge rund um das Phoenix-Portfolio. Eine Untersuchung haben die anderen Fraktionen mit juristischen Scheinargumenten verhindert. Der Ausschuss einschließlich des Vorsitzenden ließ sich vom Justiziar der Portigon quasi einschüchtern,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Das ist eine unglaubliche Frechheit! Sie waren doch gar nicht dabei!)

weil bei einer Herausgabe von Unterlagen an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss angeblich Schadensersatzprozesse gegen die New Yorker Tochter der WestLB verloren gehen könnten und damit Forderungen von 180 Millionen € auf das Land zukämen. Aber schon damals war absehbar, dass diese Prozesse scheitern würden. Tatsächlich wurden die Schadensersatzklagen gegenüber der WestLB-Tochter allesamt abgewiesen.

Zufälligerweise – jetzt wird es interessant – kam die Nachricht von der Portigon darüber, dass die Klage in New York rechtskräftig abgewiesen wurde und nun eine Befassung durch den Ausschuss ohne finanzielles Risiko für das Land möglich sei, just in dem Moment, als der Ausschuss beschlossen hatte, die Beweisaufnahme zu schließen. Was für ein grandioser Zufall!

(Stefan Zimkeit [SPD]: Verschwörungstheoretiker!)

Unser Resümee! Das Scheitern der WestLB hat viele Väter: einen vor Arroganz strotzenden Vorstandsvorsitzenden Neuber,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Kennen Sie den persönlich?)

Aufsichtsräte, die in den entscheidenden Sitzungen nicht die nötigen Nachfragen stellten, sondern alles abnickten, was vom Vorstand vorgelegt wurde, und die Eigentümerstruktur. Auch das wurde schon angesprochen: Die WestLB hatte mit dem Land NRW und zwei Sparkassenverbänden Eigentümer, die nicht in der Lage waren, ihre gegensätzlichen Interessen für einen vernünftigen Kompromiss zurückzustellen.

Viele Lösungsmöglichkeiten wurden nämlich verbaut, weil die Sparkassen, die am Ende die Mehrheitsgesellschafter waren, keinen Verkauf wollten. Sie wollten aber auch nicht, dass es in NRW eine vertikale Fusion der WestLB mit einer Sparkasse gibt. Das wäre wiederum nur zusätzliche, unliebsame Konkurrenz gewesen, die man nicht wollte. Erfolgreiche Beispiele aus anderen Ländern sind etwa die LBBW und die NordLB. Aber so war die WestLB zum Untergang verurteilt. Wer sich für die Details interessiert, den darf ich auf unsere zahlreichen Sondervoten verweisen.

Den FDP-Antrag werden wir ablehnen. Sie hatten vier Jahre Zeit, Ihre Überlegungen in Form von Beweisanträgen und Sondervoten in den Ausschuss einzubringen. Das haben Sie leider unterlassen. Darüber kann Ihr Entschließungsantrag auch nicht hinwegtäuschen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Jetzt hat noch einmal Frau Kollegin Scharrenbach für die CDU-Fraktion das Wort.

Ina Scharrenbach*) (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kern, Sie machen sich die Wahrheit so, wie Sie sie gern hätten in Bezug auf die Punkte, die wir verhandelt haben und die wir nicht verhandelt haben.

Fünf der 16 Themenkomplexe, die dieser Landtag beauftragt hat, wurden im Ausschuss nicht verhandelt. Das haben alle Obleute der Fraktionen deutlich angesagt. Warum wurden sie nicht besprochen? Wir haben zum einen immer noch laufende Gerichtsverfahren.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das habe ich gesagt! – Gegenruf von der SPD: Sie haben Verschwörungstheorien genannt!)

– Sie haben das vorgehalten. Sie haben gesagt, dieser Ausschuss habe sich nicht mit Euribor und Libor beschäftigt. – Nein, wir haben uns deswegen nicht damit beschäftigt, weil es anhängige Gerichtsverfahren gibt.

(Beifall von der CDU und Stefan Zimkeit [SPD])

Das war bei den kommunalen Zinsswaps damals nicht anders.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Da sind auch viele Kommunalpolitiker aktiv!)

Bei der Frage der Fehlspekulationen mit Vorzugsaktien von Metro und BMW waren ebenfalls Gerichtsverfahren anhängig.

Dann kommen wir einmal zum Phoenix-Portfolio, Herr Kern. Der Ausschuss – jedenfalls in der Reihenfolge SPD, CDU, Grüne, FDP – hat sich sehr gewissenhaft mit der Frage beschäftigt: Holen wir die Phoenix-Unterlagen und führen eine Vernehmung zum Phoenix-Auftrag durch? Oder welche Interessen des Landes haben wir dagegen abzuwägen, was mögliche Schadensersatzansprüche anbetrifft? Das haben die Fraktionen verantwortlich für sich behandelt und damals verantwortlich auch mit dem damaligen Sprecher der Piraten, Herrn Schulz, vereinbart – auch die Reihenfolge einvernehmlich vereinbart. Nur, damit Sie das einfach auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass das schlichtweg so gelaufen ist.

Wenn Sie sagen, der Ausschuss habe sich mit Nichtigkeiten wie Offshore und Gefälligkeitsreisen beschäftigt – was halten Sie dann eigentlich von dem Auftrag, den dieses Parlament dem Ausschuss erteilt hat? Das ist ein Kontrollauftrag, den der Landtag dem Ausschuss erteilt hat, und zwar auch über Gefälligkeitsreisen und auch über Offshore-Gesellschaften. Das wurde sogar nachträglich beauftragt. Das ist ein Kontrollauftrag des Parlaments, was Sie hier als Phantom- und Scheindebatten bezeichnen. Vielleicht sollten Sie einmal für sich Ihr Verhalten zu Kontrollaufträgen dieses Hohen Hauses bewerten.

(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und Stefan Zimkeit [SPD])

Gestatten Sie mir abschließend noch einen Punkt. Sie haben ja auf Ihre zahlreichen Sondervoten abgehoben. Wir haben uns in den Sitzungen auch mit Ihren Sondervoten beschäftigt und haben durchaus wolkig und blumig in aller Freundlichkeit formuliert, dass wir nicht ganz wüssten, warum und wie denn das eine oder andere Sondervotum der Piraten zustande gekommen sei. Es gibt Sondervoten, die völlig aus der bisherigen Berichterstattung des Ausschusses herausstechen. Es gibt Sondervoten, die überhaupt keine Zitate mehr enthalten und vom Inhalt her der WestLB bescheinigen, alles richtig gemacht zu haben.

(Robert Stein [CDU]: Hört, hört!)

Vielleicht sollten Sie sich einmal die Frage stellen, woher die Motivation in Ihrer Fraktion kommt, die WestLB in einen bestimmten Duktus zu rücken, was Fragestellungen insbesondere im Zusammenhang mit dem Leasinggeschäft betreffen. Gerade im Zusammenhang mit den Darstellungen, die Sie da gewählt haben, gibt es doch Journalisten, die sich ernsthaft fragen: Wie kann das denn sein? Die Piraten sind die Einzigen, die sagen: Beim Leasinggeschäft hat die WestLB aber alles richtig gemacht! – Vielleicht sollten Sie diese Frage einmal für sich klären.

Wenn Sie diese Voten – und das sage ich jetzt öffentlich – damals als Abgeordneter geschrieben hätten, hätte ich den Vorsitzenden gefragt, ob Herr Kern in diesen Fragen befangen sei. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Scharrenbach. – Sie möchten noch einmal reden? – Sie haben noch 24 Sekunden Redezeit.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist doch schon mal was!)

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): So sieht’s aus, ja. – Frau Kollegin Scharrenbach, ich finde es leicht anmaßend, wie Sie mich hier mit irgendwelchen Andeutungen angehen, ohne das konkret zu benennen. Aber sei’s drum.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Anmaßend war Ihr Vortrag! Die ganze Zeit mitgearbeitet und dann sowas!)

Ich finde es nur interessant, dass Sie sich hier ans Redepult stellen und bedauern, wie das gelaufen ist, mich aber, wenn ich das dann aus meiner Sicht darstelle, hier wie am Spieß verurteilen und in irgendeine Ecke stellen wollen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben da offensichtlich unterschiedliche Ansichten; daran kann ich nichts ändern.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Schön, dass Sie bei mir so viel genauer auf die Redezeit achten als bei der Kollegin Freimuth, aber sei’s drum. –

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich empfehle Ihnen einfach unsere Sondervoten. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Norwich Rüße [GRÜNE]: Absolut geschlafen!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Gibt es den Wunsch, weitere Redebeiträge zu halten? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich an dieser Stelle die Aussprache.

Ich stelle fest, dass der Landtag den Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB), Drucksachennummer 16/14300, zur Kenntnis genommen hat.

Der Dank an alle Beteiligten ist mehrfach ausgesprochen worden, aber ich will ihn gern noch einmal offiziell wiederholen. Das war sicherlich eine nicht ganz einfache, langwierige Arbeit.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Wir sind aber noch nicht ganz am Ende dieses Tagesordnungspunktes angelangt, da wir noch den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachennummer 16/14516 vorliegen haben. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Piraten, der fraktionslose Abgeordnete Stüttgen. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 10 und rufe auf:

11 Fortschritt durch Industrie 4.0 für NRW gestalten – Investitionen und Innovation für gute Arbeit fördern

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/12853

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Wirtschaft, Energie, Industrie,
Mittelstand und Handwerk
Drucksache 16/14418

Entschließungsantrag
des Abgeordneten Schwerd (fraktionslos)
Drucksache 16/12906

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14521

Ich möchte Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, dass der Antrag gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk mit der Maßgabe überwiesen wurde, dass Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses liegen mittlerweile vor.

Mit diesen Vorbemerkungen eröffne ich die Aussprache. Als erster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kollege van den Berg das Wort.

Guido van den Berg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser wunderschönes Bundesland Nordrhein-Westfalen hat eine Tradition in Sachen Industrie, aber vor allen Dingen auch eine Tradition in der Frage, wie industrieller Wandel passiert. Das galt für die erste industrielle Revolution mit Mechanisierung und dem Einsatz der Dampfkraft. Das galt für die zweite, bei der die Massenfertigung, Fließbänder und die elektrische Energie Treiber wurden. Das galt für die dritte, als die Elektronik und die Automatisierung die Produktion veränderten. Und wir stehen nun vor der Frage: Wie geht es weiter?

Wir können Wandel, und wir müssen jetzt führend sein bei dem, was vor uns steht, der sogenannten vierten industriellen Revolution, bei der es darum geht, intelligente, digital vernetzte Systeme mit Produktion zu vernetzen.

Es geht nicht mehr darum, einzelne Produktionsschritte zu optimieren, sondern es geht um die Betrachtung ganzer Wertschöpfungsketten und der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Im Extremfall, meine Damen und Herren, kann das heißen, dass wir über Losgrößen eins sprechen.

Die Ministerpräsidentin hat dieses Thema sehr früh erkannt und auf die politische Agenda unseres Landes gesetzt. Am 29. Januar 2005 gab es die Regierungserklärung, die dieses Thema in den Fokus unserer landespolitischen Debatte gerückt hat. Und es ist seitdem einiges passiert.

Wir alle haben hier die Entwicklung in Ostwestfalen-Lippe beraten mit dem Kompetenz-Cluster „it’s OWL“, was zu einer Marke geworden ist, die weit über unser Bundesland hinausstrahlt.

Jetzt geht es darum: Wie definieren wir, was uns in der vierten industriellen Revolution wichtig ist, und wie wollen wir sie politisch gestalten? Ich will es auf drei Kernpunkte fokussieren, die diesen politischen Gestaltungsprozess beschreiben wollen.

Der erste Punkt ist: Das Entwickeln wird wichtiger als das Wachsen. Das gilt in Zeiten des Umbruchs umso mehr. Wer Kundenwünsche künftig befriedigen will, muss digitale Kanäle bedienen können. Er muss in der Lage sein, die Chance, die sich aus diesen digitalen Strukturen ergibt, auch aufzugreifen und umzusetzen. Untersuchungen zeigen, dass gerade Mittelständler gegenüber der Digitalisierung immer noch abwartend sind. Sich nur auf Erfolgen von gestern auszuruhen, kann aber schlimme Folgen haben, meine Damen und Herren. Deswegen ist hier der erste Punkt, wo wir ansetzen und wofür wir werben müssen.

Der zweite Punkt – das galt für die vorherigen industriellen Revolutionen genauso – ist: Uns ist wichtig, die Wirtschaft dient dem Menschen, nicht umgekehrt. Flexible Arbeitswelten bieten Chancen, aber eben auch Risiken. Wir denken daher von Anfang an auch in NRW auch an Arbeit 4.0. Wir haben ein Fortschrittskolleg an den Unis in Paderborn und Bielefeld auf den Weg gebracht, und wir nehmen die Tarifpartner sehr bewusst in diesen Prozess von Anfang an mit. Das zeigt sich auch in der im April 2016 gegründeten Allianz, wo gerade die Mitbestimmung 4.0 gewährleistet werden soll.

Der dritte Punkt, den ich anführen will, ist: Wir müssen den Anspruch haben, die klügsten Produkte und die klügsten Dienstleistungen zu entwickeln. Wenn es bei 4.0 eben nicht mehr nur um einzelne Produktionsschritte geht, sondern ganze Wertschöpfungsketten betrachtet werden können, dann haben wir auch die Chance, über die ganze Wertschöpfungskette zu optimieren, das heißt, auch Themen wie eine zirkuläre Wirtschaft in den Blick zu nehmen. Die Wiederverwertbarkeit von Rohstoffen wird bei solchen Fragestellungen natürlich zentrales Thema.

Bei der Kreislaufbetrachtung rückt eben die Effektivität von Produkten ins Zentrum. Heute glauben ja ganz viele, dass es immer nur um Effizienzbetrachtungen geht und dies der entscheidende Faktor sei. Wenn wir aber ein kluges Produkt haben, bei dem die Rohstoffe wiederverwendet werden können, dann dürfen wir sogar verschwenderisch sein, dann dürfen wir davon viel produzieren, meine Damen und Herren, erst recht in einer Welt mit immer mehr erneuerbaren Energien.

Die zirkulare Wirtschaft ist daher immer ein Auftrag, Produkte auch neu zu erfinden. Sie fordert nicht Einsparung oder Verzicht, sie fordert zu neuen Ingenieurleistungen auf. Wer das radikal zu Ende denkt, entdeckt ganz neue Facetten der Rohstoff- und Energiewelt. Auch der Kohlenstoff kann zum Beispiel in diesem Zusammenhang in Kreisläufen geführt werden. Ich bin sehr froh, dass wir mit Minister Duin in der nächsten Woche hierzu einen besonderen Akzent im Bereich Closed Carbon Cycle Economy setzen werden und einen Lehrstuhl hierzu auf den Weg bringen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Guido van den Berg (SPD): Deswegen, meine Damen und Herren, werbe ich für diesen Antrag, Frau Präsidentin. Viele beschäftigen sich damit. Der VCI hat jüngst noch eine Studie dazu vorgestellt, die diese Chancen zeigt.

Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen unseren Antrag zur Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege van den Berg. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Der digitale Wandel bietet enorme Chancen für unseren Wohlstand und auch für Beschäftigung in unserem Land. Gerade die mittelständisch geprägte Industrie könnte vom digitalen Wandel enorm profitieren. Denn laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom und des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation ist ein zusätzliches jährliches Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozentpunkten durch Industrie 4.0 möglich. Das ist Wachstum, das Nordrhein-Westfalen dringend braucht.

Seit 2010 wächst die Wirtschaft an Rhein und Ruhr unterdurchschnittlich. In den Jahren 2010 bis 2015, in Ihrer Regierungszeit, lag das Wirtschaftswachstum um 39 % unter dem Bundesdurchschnitt.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Zum Thema!)

Unter Schwarz-Gelb – zum Vergleich – 2005 bis 2010 lag es dagegen knapp 14 % darüber. Einen traurigen Höhepunkt haben wir 2015 erreicht. Während die Wirtschaft in Deutschland um 1,7 % wuchs, verzeichnete die Wirtschaft in NRW null Wachstum, Platz 16 von 16, Herr Duin.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Zur Sache!)

Die Folgen des unterdurchschnittlichen Wachstums sind auf dem Arbeitsmarkt zu spüren. Nordrhein-Westfalen weist die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer auf. Seit dem Regierungswechsel 2010 ist die Arbeitslosigkeit in den übrigen Bundesländern fast dreimal so schnell gesunken wie in Nordrhein-Westfalen. Bei einer Entwicklung nur im Schnitt der übrigen Länder wären heute in Nordrhein-Westfalen 70.000 Menschen weniger arbeitslos, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

Nordrhein-Westfalen braucht daher dringend eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die Wohlstand und Arbeitsplätzen wieder Vorrang einräumt. Daher ist es wichtig für den Wachstumstreiber Digitalisierung, auch wenn einige den Sinnzusammenhang gerade für mich verständlicherweise nicht verstehen konnten, Vorrang einzuräumen. Daher ist es wichtig, für den Wachstumstreiber Digitalisierung die richtigen politischen Weichenstellungen zu setzen. Das machen Sie einfach nicht, Herr Duin.

Wir haben dieses Thema in den vergangenen fünf Jahren mit weit mehr als 20 Anträgen zum Breitbandausbau, zu Industrie 4.0, zur digitalen Bildung oder zur Start-up-Förderung immer wieder zum Gegenstand der Debatte hier in diesem Landtag gemacht. Deshalb freuen wir uns auch – das ist das Einzige, worüber wir uns im Zusammenhang mit diesem Antrag freuen –, dass zum Ende der Legislaturperiode auch SPD und Grüne endlich die Bedeutung des Themas erkennen und ihren ersten – ihren ersten! – eigenen Antrag überhaupt zu Industrie 4.0 hier zur Debatte stellen.

(Beifall von der CDU)

Wie ich schon erwähnte, ist das aber leider wirklich schon das einzig Positive, was man über Ihren Antrag sagen kann.

Statt sich ernsthaft mit den grundlegenden Rahmenbedingungen für einen gelingenden digitalen Wandel zu beschäftigen, setzen Sie auch beim Zukunftsthema Nummer eins wieder einmal Ihre ideologische Brille auf. Gute Arbeit und Kreislaufwirtschaft ist alles, was Ihnen zu Industrie 4.0 einfällt.

Damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich sind beides wichtige Themen. Aber bevor wir über gute Arbeit und Kreislaufwirtschaft im Zusammenhang mit Digitalisierung, mit Industrie 4.0 debattieren, müssen wir erst einmal die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass unsere Wirtschaft den digitalen Wandel überhaupt erfolgreich bewältigen kann.

Das heißt, wir brauchen zu allererst eine gigabitfähige Infrastruktur, Herr Duin. Jeder fünfte Haushalt im Land hat noch kein schnelles Internet. Neun von zehn Gewerbegebieten in unserem Land haben bislang noch keinen Anschluss an schnelles Internet. Der Ausbau tritt nach wie vor auf der Stelle.

Um Ihr selbstgestecktes Ziel einer flächendeckenden Versorgung mit mindestens 50 MBit/s bis 2018 zu erreichen, müssten in den verbleibenden knapp zehn Monaten dieses Jahres mehr Haushalte an das schnelle Netz angeschlossen werden als in den gesamten letzten fünf Jahren zusammen. Ich denke, diese Zahlen sprechen für sich.

Dadurch ist heute schon absehbar, dass Sie das nicht schaffen werden. Der Grund liegt auf der Hand: Sie haben es in den vergangenen sieben Jahren Ihrer Regierungszeit versäumt, ausreichend Fördermittel zur Verfügung zu stellen. Jetzt träumen Sie vom flächendeckenden Glasfaserausbau bis 2026. Aktuell verfügen lediglich 7 % alle Haushalte über einen Glasfaseranschluss.

Ihrer Vision haben Sie bisher noch keine überzeugende Ausbaustrategie folgen lassen, auch nicht in Ihrem heute zur Debatte stehenden Antrag. Ohne schlüssige Ausbaustrategie und ohne ausreichende Fördermittel wird NRW jedoch zum Verlierer des nächsten Strukturwandels. Industrie 4.0 wird so nicht gelingen.

Ihrem Antrag fehlt zudem ein Konzept, wie wir den industriellen Mittelstand für den digitalen Wandel überhaupt sensibilisieren wollen. Im Sachverständigengespräch zu Ihrem Antrag ist deutlich geworden, dass viele Unternehmen Digitalisierung immer noch als nächsten Schritt der Automation betrachten, als Hilfsmittel zur Effizienz- und Produktivitätssteigerung. Industrie 4.0 endet jedoch nicht am Werkstor, sondern beginnt dort.

Industrie und Mittelstand müssen sich deshalb Gedanken über die Veränderung ihrer Geschäftsmodelle durch den digitalen Wandel machen, damit Industrie 4.0 eine Erfolgsgeschichte hier für uns in Nordrhein-Westfalen werden kann.

Schließlich fehlt in Ihrem Antrag jede Aussage, welche fundamentalen Veränderungen in der Bildungspolitik erfolgen müssen, damit der digitale Wandel gelingt.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Robert Stein (CDU): Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin.

Der Einsatz vernetzter, intelligenter Systeme im produzierenden Gewerbe erfordert entsprechend qualifizierte Mitarbeiter. Sie müssen schon während der Berufsausbildung und in der Schule mit diesen Medien in Kontakt kommen. Wir müssen dieses ganze Thema ganzheitlich betrachten. Das passiert hier einfach nicht. Sie fokussieren auf einen ganz kleinen Ausschnitt, den Sie natürlich im Wahlkampf ideologisch in Ihr Korsett passen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Robert Stein (CDU): Das ist aber nicht die Lösung für die Probleme, die wir hier faktisch vor uns haben. Deswegen werden wir Ihren Antrag auch ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Dr. Beisheim.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es mir nicht verkneifen, zu sagen: Man merkt beim Kollegen Stein, der gerade gesprochen hat, eigentlich noch seine Sozialisation bei den Piraten.

(Zuruf von den PIRATEN: Vorsichtig, er war bei uns nie sozialisiert!)

Sie sind in Ihrer virtuellen Welt quasi noch so verhaftet, dass Sie gar nicht merken, was draußen passiert.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Deshalb haben wir ihn an die CDU abgegeben!)

Die Herausforderung ist, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen versuchen, gerade virtuelle Systeme und die reale Welt zusammenzuführen. Das ist die eigentliche Aufgabe, wenn wir über Wirtschaftspolitik und Industrie 4.0 reden.

Es ist sicherlich so, dass Sie die letzten drei, vier Jahre nicht mitverfolgt haben, als wir über Breitbandausbau und andere Dinge diskutiert haben. Denn selbst Ihr Kollege Wüst musste im Ausschuss manchmal bescheinigen, wie weit wir in Nordrhein-Westfalen vorangekommen sind gerade beim flächendeckenden Ausbau von Internet und dabei, eine Strategie für den Ausbau von Glasfaser im Bereich vor allem der Gewerbegebiete zu entwickeln.

Es ist und bleibt eine Herausforderung, weil unter dem Begriff Industrie 4.0, unter dem sich viele Leute alles Mögliche vorstellen, eines klar ist: Wir reden über digitale Fertigungstechniken.

Wir alle zusammen hatten im Wirtschaftsausschuss eine steile Lernkurve, die uns dazu gebracht hat, diese Begrifflichkeiten mittlerweile sauber zu benutzen, was dem Herrn Kollegen Stein nicht so wirklich gelungen ist.

Wenn wir über Industrie 4.0 gerade hier im Industrieland Nordrhein-Westfalen reden – in einem Land, in dem Ressourcenschutz und Energiewirtschaft eine große Rolle spielen –, kann man doch nicht ernsthaft wie Sie sagen: Es ist nicht zielführend, darüber nachzudenken, wie man Industrie 4.0 für ressourceneffizientere Produktion oder ergonomischere Produkte nutzen kann.

Gerade das ist hier in Nordrhein-Westfalen zielführend. Deshalb ist es auch Aufgabe der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen, das in Wissenschaft und Forschung zu implementieren.

Sie sagen, wir hätten etwas verpasst. Im Grunde genommen haben Sie die Diskussion darüber verpasst, dass es in vielen Teilen noch gar nicht endgültig klar ist, wohin die Reise geht.

Deswegen ist dieser Antrag auch nicht unkonkret oder enthält er andere Dinge, die uns vorgeworfen werden, sondern richtungsweisend. Er zeigt, dass wir verstanden haben, wo wir die richtigen Hebel ansetzen müssen.

Insbesondere die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen hier in Nordrhein-Westfalen – das wissen wir auch – scheuen immer noch das Internet, ganz unabhängig davon, ob wir die Infrastruktur dafür bereitgestellt haben oder nicht.

Wir wissen, Nordrhein-Westfalen ist sehr weit. Wir sind führend innerhalb der Familie. Wir sind das führende Bundesland in Deutschland in diesen Bereichen.

Oftmals ist es für uns Politikerinnen und Politiker, die mit den Unternehmern gesprochen haben – gerade mit KMU –, sehr traurig gewesen, zu sehen, welche Hemmnisse und welche Furcht es noch gibt vor digitaler Vernetzung, aber auch davor, die eigenen Daten nicht zu verlieren.

Deshalb gilt es auch für die Politik, diese Unternehmen mitzunehmen und auf die Zukunft vorzubereiten. Dafür ist es wichtig, Standards für die digitalisierte Produktion zu setzen. Gerade dafür brauchen wir die Verknüpfung zu Forschung und zu Wissenschaft.

Die Frage ist auch, welche Anlagen und welche Sicherheit wir brauchen und welche Rolle die digitalisierte Arbeitswelt für den Menschen spielt. Sie können doch nicht sagen, dass wir uns keine Gedanken über gute Arbeit der Zukunft in einer digitalisierten Welt machen müssen.

Wir werden uns natürlich damit beschäftigen müssen, wie wir zum Beispiel die Dienstleistung eines Roboters besteuern und wie wir den Kollegen Computer bzw. den Kollegen Roboter in unsere sozialen Sicherungssysteme integrieren.

Das sind Zukunftsfragen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben. Gott sei Dank sind wir dafür bereit. Wir tun es und bringen es auch gemeinsam voran, nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch zusammen mit der Wissenschaft und den Gewerkschaften, die, wie ich sagen muss, sehr weit vorgedacht haben.

Immer schnellere Innovationszyklen führen dazu, dass die Konsumgüter immer schneller auf dem Müll landen. Dafür brauchen wir eine Antwort. Dafür brauchen wir ökointelligente Produkte der Zukunft, die genau das vermeiden helfen. Im Grunde genommen wissen wir alle mittlerweile, dass wir nur diese eine Erde haben, und wir tun so, als ob wir zwei oder drei Planeten hätten.

(Beifall von den GRÜNEN, den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Es ist klar, dass die Digitalisierung, die Industrie 4.0 auch helfen muss, diese Probleme zu lösen, und zwar gemeinsam mit dem Ansatz, gute Arbeit damit zu verbinden. Das lassen wir uns und besonders ich mir nicht ausreden, dass man das zusammendenken muss. Das ist nicht nur eine Frage der Rahmenbedingungen. Das ist viel zu oberflächlich, wie Sie das hier dargestellt haben.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Deshalb sind es große Chancen und Herausforderungen, und wir werden Sie hier nutzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, den PIRATEN und Michael Hübner [SPD])

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Beisheim. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren! Die Digitalisierung, die digitale Transformation revolutioniert die gesamten Wertschöpfungsprozesse sämtlicher Unternehmen und Branchen, wie wir wissen. Und die Potenziale dieser unaufhaltsamen Entwicklung sind wirklich riesig.

Als Fabrikausrüster der Welt profitiert die deutsche Industrie ganz stark von diesem weltweiten Trend der Digitalisierung und der Vernetzung von Produkten und Dienstleistungen. Auch für Mittelstand und Handwerk sind hiermit enorme Potenziale und Chancen verbunden.

Durch die Anpassung der Produktionsprozesse, durch Produkte und Dienstleistungen können gerade diese Unternehmen von Mittelstand und Handwerk ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und ausbauen.

In der Konsequenz also profitieren die Betriebe und damit profitieren letztlich potenziell die Beschäftigten. Und durch mehr Wohlstand, mehr Freiheit und mehr Selbstbestimmung wird dies auch deutlich.

Wir als Freie Demokraten sehen vor allem die Chancen in dieser Entwicklung. Deswegen mögen wir uns auch den Klageliedern über den technologischen Fortschritt hier und an anderer Stelle nicht anschließen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Aber natürlich ist es so, dass große Herausforderungen zu schultern sind, wenn wir die Digitalisierung zu einem Gewinnerthema für Nordrhein-Westfalen machen wollen.

Zwei Stichworte dafür stehen bereits im Titel des vorliegenden Antrags: Investitionen und Innovation. – Leider sind die vergangenen fast fünf Jahre der rot-grünen Regierungszeit genau in diesen beiden Bereichen eine verlorene Zeit gewesen. Man kann sagen: Sie war ein Desaster, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit einem wirtschaftsfeindlichen Landesentwicklungsplan, mit überzogenen Alleingängen etwa beim Klimaschutz hält die Landesregierung Investitionen von Nordrhein-Westfalen eher fern, als dass sie sie fördert. Hinzuzunehmen wäre eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen wie zum Beispiel die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht. Die Atmosphäre im Wirtschaftsbereich ist eher belastet. Die Zahlen in der Wirtschaft und der Forschungsinstitute sprechen dazu eine eindeutige Sprache. Dies wird besonders deutlich, meine Damen und Herren, wenn Sie das Gespräch mit Unternehmern suchen,

(Zuruf von der SPD: Aha!)

die vielleicht nicht, weil sie gerade einen Minister vor sich sitzen haben, denken, dass es besser wäre, sich gut mit ihm zu stellen, sondern die Ihnen erzählen, welche Investitionsatmosphäre sie sich für dieses Land wünschen.

(Beifall von der FDP – Michael Hübner [SPD]: Das kostet Wohlwollen!)

Die Fakten sind, dass bei den Investitionen und bei der Industrie Nordrhein-Westfalen inzwischen das schlechteste westdeutsche Flächenland ist. Bei dem Thema „Innovation“ sieht es leider nicht sehr viel besser aus. Ich nenne beispielhaft nur das rot-grüne Hochschulgesetz, das hier ebenfalls nicht segensreich wirkt. Vor diesem Hintergrund ist dieser Antrag eine glatte Irreführung. Rot-Grün fördert Investitionen und Innovationen nicht, Rot-Grün bremst sie leider an viel zu vielen Stellen aus.

Eine weitere große Herausforderung vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 – ich füge hinzu: Mittelstand und Handwerk, also Wirtschaft 4.0 – liegt auf der Hand: Die Anforderungen und Ansprüche an die Beschäftigten von morgen und von übermorgen verändern sich dramatisch. Deshalb brauchen wir in erster Linie keine zusätzlichen runden Tische und immer mehr Prosa nach Art dieses vorliegenden Antrags. Wir brauchen mehr Fachkräfte und für diese Fachkräfte, übrigens auch für die, die bereits auf dem Spielfeld, in den Unternehmen tätig sind, neue Qualifikationsprofile, neue Weiterbildungsprofile. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungssysteme, und wir brauchen eine Weiterentwicklung und Stärkung unseres erfolgreichen Ausbildungssystems. Dazu ist leider in diesem rot-grünen Antrag nicht viel zu finden.

(Beifall von der FDP und Josef Hovenjürgen [CDU])

Das ist aber die Voraussetzung für Industrie 4.0. Wir haben gestern im Plenum zum Beispiel über die Qualität von Berufskollegs debattiert. Wir haben schon oft an dieser Stelle über die Personalausstattung an Schulen gesprochen. Wir haben gestern den Abschlussbericht der Enquetekommission zur Zukunft von Handwerk und Mittelstand vorgelegt, der ebenfalls diese Themen diskutiert. Und heute haben wir bereits Vorschläge der FDP, meiner Fraktion, besprochen, die tatsächlich Investitionen und Innovationen in der Industrie in diesem Land voranbringen will. Diese Vorschläge hat die Regierungsmehrheit leider in Bausch und Bogen abgelehnt.

Ich versichere Ihnen: Rot-Grüne Prosa ist zu wenig, um Nordrhein-Westfalen dahin zu bringen, wo das Land hingehört, nämlich zurück an die Spitze. Deshalb werden wir Ihren vorliegenden Antrag ablehnen. Den Antrag der CDU, auch wenn wir in dem ersten Punkt, den Sie zur Abstimmung stellen, noch einen differenzierten Diskussionsbedarf sehen, bewerten wir so, dass er auf jeden Fall in die richtige Richtung geht. Deswegen werden wir diesem Antrag zustimmen. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Industrie 4.0, die Idee der webbasierten vernetzten Fabrik feiert in diesem Jahr den fünften Geburtstag. Wir müssen aber leider auf fünf weitgehend verlorene Jahre zurückblicken, in denen weder die Bedeutung des Themas erkannt wurde noch die Zielgruppe von Industrie 4.0, der produzierende Mittelstand, wirklich adressiert worden ist.

Industrie 4.0, diese nur in Deutschland vorhandene Marketingsprechblase – woanders heißt es Internet of Things –, wird vornehmlich von zwei Gruppen vorangetrieben, nämlich den Fabrikausrüstern und der Forschung. Für die Fabrikausrüster ist Industrie 4.0 ein willkommenes Konjunkturprogramm, und die Forschung freut sich über Zuwendungen aus der öffentlichen Hand. Diese Protagonisten treiben in ihrer Rolle als Experten die Politik vor sich her und beeinflussen maßgeblich die Agenda und die Mittelverwendung. Hier liegt ein basaler Konstruktionsfehler der Förderung vor. Die Experten sind auch gleichzeitig die Nutznießer dieser Gelder. Es besteht zweifelsfrei ein Interessenskonflikt.

Fokussiert wird dabei lediglich die Automation. Das erzeugt wenig wirklich Innovatives. So erscheint Industrie 4.0 als eine Fortführung der Automation, die wir bereits seit 70 Jahren haben. Industrie 4.0 kommt aus der Fabrik nicht heraus. Das Denken endet am Werkstor. Dabei wird fast ausschließlich mit Effizienzgewinnen argumentiert. Fragen von Nachhaltigkeit und guter Arbeit werden allenfalls am Rand diskutiert, wobei ich mich über die Rede von Frau Dr. Beisheim gerade wirklich gefreut habe.

Industrie 4.0 spricht nur von Chancen und von Vorteilen. Gegenüber dem Mittelstand wird mit Angst vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit argumentiert und das Gefühl der Alternativlosigkeit vermittelt. Vertrauensbildung geht anders. Deshalb fühlt sich der Mittelstand von Industrie 4.0 nicht so recht angesprochen. Er ist skeptisch und abwartend.

Es ist die Rede davon, dass die Arbeit in den Fabriken hochwertiger wird und der Mitarbeiter zum Dirigenten der Wertschöpfung wird. Das ist nicht richtig. Vielmehr verschiebt sich die Macht in den Fabriken grundlegend und zum Nachteil des Mitarbeiters. Der Mitarbeiter wird seine Anweisungen künftig von Maschinen, Algorithmen oder direkt vom Material erhalten und nur noch einfache Hilfstätigkeiten ausführen. Ein eigenartiges Verständnis von Dirigententum!

Anders als heute sind die Mitarbeiter auch nicht mehr länger eingeladen, dieses System mitzugestalten. Dies wird wieder nur die alleinige Aufgabe der Ingenieure sein und ist damit ein ganz klarer Schritt in die längst überwunden geglaubte Zeit der Massenfertigung. Von guter Arbeit also keine Spur! Die Macht hat derjenige, der sich zwischen Produzent und Kunde schiebt. Dies gelingt den Internetmultis in den Sektoren wie Freizeitverhalten, Handel und Mobilität bereits jetzt hervorragend. Warum sollten sie nicht auch versuchen, die Kontrolle über die industrielle Wertschöpfung zu erlangen? Konzepte, wie dem zu begegnen ist, sucht man bei Industrie 4.0 allerdings vergebens. Stattdessen feiern sich die Protagonisten für Detaillösungen der Fabrikautomation.

Deutschlands Antwort auf diese Herausforderungen besteht im Ertüfteln von technischen Schnittstellen, während man in den USA Geschäftsmodelle entwirft. Deutschland will wissen, wie Industrie 4.0 technisch geht. Die USA will wissen, wie man damit Geld verdient.

Das Internet der Dinge ist eine Technologie, die weit über die Fabrikgrenzen hinaus unsere Welt verändern wird. Industrie 4.0 beschäftigt sich hierzulande aber nur mit der Perfektionierung des Bestehenden. Sie kommt nicht über die fabrikfixierte Nabelschau im Rahmen herkömmlicher Geschäftsmodelle mit dem ausschließlichen Ziel der Effizienzverbesserung hinaus. Es sollte Aufgabe der Industriepolitik sein, dies zu ändern. Es kann nicht darum gehen, die klassische Industrie mittels Automation zu ertüchtigen, sondern es muss darum gehen, Modelle für die Industrie der Zukunft zu entwickeln.

Wir haben mit dem Internet der Dinge eine mächtige Technologie in den Händen. Sie gibt uns die historisch einmalige Chance, zu bestimmen, wie wir zukünftig leben, wirtschaften und arbeiten wollen. Deshalb muss das Thema endlich von den Menschen und der Gesellschaft her gedacht werden. Eine gute Industriepolitik muss genau hier ansetzen.

Der Antrag von Rot-Grün enthält ein paar gute Ansätze. Wir werden uns daher bei der Abstimmung enthalten.

Der Antrag des Kollegen Schwerd enthält viele richtige Beobachtungen im Analyseteil, spricht jedoch vom Erhalt der sozialen Errungenschaften, statt von ihrer Erweiterung, was ein Piratenziel ist. Als Adresse an die Linken: Wir werden den Antrag ablehnen. Ihr springt da immer zu kurz.

Der CDU-Antrag möchte durch die Hintertür wieder einmal in Berufskollegs bestimmte Software und Hardware von Herstellern einführen. Das hatten wir hier schon einmal. Das wollen wir nicht. Auch an die Adresse der CDU: Seid ihr wirklich so schlecht aufgestellt, dass ihr den Kollegen Stein ins Rennen schicken müsst? Der ist nicht einmal im Wirtschaftsausschuss.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann nur sagen: Digitale schwarze Null! – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun spricht der fraktionslose Kollege Herr Schwerd.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren im Saal und am Bildschirm! Die regierungstragenden Fraktionen betrachten Industrie 4.0 im Wesentlichen aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsförderung. Man sieht hier zahlreiche Chancen für die heimischen Mittelständler. Das ist nicht falsch.

Zum Blickwinkel der CDU: Ich habe diesen Entschließungsantrag gelesen und konnte darin einfach nichts zu dem Thema „Industrie 4.0 und gute Arbeit“ finden.

(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Völlig am Thema vorbei, völlig ahnungslos. Traurig, traurig!

Aber zurück zum Thema. Industrie 4.0 ist jedenfalls sehr viel mehr als Wirtschaftsförderung für den Mittelstand. Der damit verbundene Wandel wirft Fragen auf, denen wir uns widmen müssen. Prof. Syska von der Hochschule Niederrhein übte in der Anhörung im Wirtschaftsausschuss daher deutliche Kritik am Antrag von SPD und Grünen. Seiner Meinung nach wolle man in dem Antrag lediglich Bestehendes perfektionieren, würde aber dem, was da kommt, kaum gerecht.

Das sind die wesentlichen Fragen: Welche Rolle spielt der Mensch in dieser schönen neuen Welt? Wird er zum Teil der Maschinerie, als defizitär begriffen und im Übrigen als entbehrlich betrachtet? Hat er sich der Skalierbarkeit der neuen Industrieproduktion mit eigener schrankenlosen Flexibilität anzupassen? Muss man – weil ja vermeintlich alles neu ist – gleich zahlreiche soziale Errungenschaften infrage stellen?

Nicht zu vergessen: Das Ganze wird sich im Dienstleistungsbereich wiederholen. Da könnte Künstliche Intelligenz zu dem werden, was Roboter bereits im Industriebereich darstellen, nämlich eine treibende Kraft der Automatisierung und damit der Rationalisierung. Hier würde es dann ganz besonders die Mittelschicht treffen.

Wir können den Rückwärtsgang nicht einlegen. Angesichts der Chancen im Postwachstum für zirkuläres Wirtschaften und Nachhaltigkeit und für die Chance der Demokratisierung der Produktion sollten wir das auch nicht tun. Aber wir sollten als Politiker die Rahmenbedingungen setzen, in denen diese Wandel ablaufen, die man als „vierte industrielle Revolution“ bezeichnet.

Nachhaltigkeit und zirkuläres Wirtschaften müssen von Anfang an in die Industrieproduktion eingebaut sein. Darauf muss man bereits im Definitionsprozess einwirken. Damit müsste man jetzt aber unmittelbar beginnen.

Mit der steigenden Flexibilisierung der Produktion kann den Bedürfnissen der Menschen Rechnung getragen werden und nicht umgekehrt mit der Flexibilisierung der Lebensverhältnisse den Bedürfnissen der Produktion. Dass Letzteres alternativlos sei, ist schlicht gelogen.

Die Idiotie, dass immer weniger Menschen immer mehr arbeiten sollen, müssen wir beenden.

(Beifall von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Wir müssen wieder über Arbeitszeitverkürzung reden. Die Rationalisierungsdividende aus Industrie 4.0 und die sie begleitenden Technologien sollten dazu Spielraum eröffnen. Wenn Arbeit weiterhin ein abnehmender Faktor in der allgemeinen Wertschöpfung ist, müssen wir die Daseinsvorsorge auf neue Füße stellen; denn diese basiert bislang zum großen Teil auf Lohnsteuern. Roboter und Algorithmen zahlen eben keine Steuern.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Noch nicht!)

Nicht zuletzt müssen wir überlegen, ob die Existenzsicherung weiterhin an das Vorhandensein einer Erwerbsarbeit geknüpft sein soll, oder ob wir eine davon unabhängige Grundsicherung brauchen.

Ich habe einen Entschließungsantrag vorgelegt, im dem einige dieser Punkte aufgezählt werden. Joachim, falls du mir zuhörst: Es geht nicht nur darum, dass Bestehendes erhalten bleiben soll,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das steht in dem Antrag!)

sondern auch darum, dass natürlich auch die Chancen genutzt werden sollen. Nach meinem Entschließungsantrag soll die Landesregierung mit dafür sorgen, dass dieser Wandel in der Arbeitswelt fair und sozial abläuft. Stimmen Sie bitte mit dafür, die Landesregierung entsprechend zu beauftragen. – Vielen herzlichen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Duin.

Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer hätte gedacht, dass wir abends nach einem so langen Plenartag zu einem solchen Thema noch einmal so viel Spaß kriegen.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich bin Herrn van den Berg und Frau Dr. Beisheim ausgesprochen dankbar, dass sie sehr sachlich an der Realität des Landes und unserer Unternehmen in Nordrhein-Westfalen

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Vorbei!)

argumentiert haben; denn das Bild, das insbesondere Herr Bombis und Herr Stein gezeichnet haben, hat mit der Realität relativ wenig zu tun.

Ich habe es Herrn Bombis gerade schon gesagt: Wenn Sie schon fünf Minuten lang einen Rundumschlag zur Wirtschaftspolitik machen und alles, was zum Repertoire der FDP gehört, nennen, ohne das Tariftreue- und Vergabegesetz angesprochen zu haben, das ist …

(Beifall von der SPD und den PIRATEN – Ralph Bombis [FDP]: Ich wollte Sie nur überraschen! Sie wissen es doch selbst!)

– Die Überraschung ist gelungen, aber ein bisschen Enttäuschung schwingt doch mit.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Und das Jagdgesetz!)

Nach dem Wortbeitrag des CDU-Abgeordneten Stein ist mir noch einmal klargeworden, warum viele Veranstalter für die Wahlkampfveranstaltungen bis hin zum Beispiel zur „WAZ“, wenn es um wirtschaftspolitische Fragestellungen geht, für die entscheidenden Foren nur noch Herrn Lindner und mich und keinen Vertreter mehr von der CDU einladen. Das wundert einen dann auch nicht mehr.

(Beifall von der SPD – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Ihnen ist auch klargeworden, warum der nicht mehr Pirat ist?)

Was ist das eigentlich für ein Weltbild? Auf der letzten Messe in Hannover vor einem Jahr hat der damalige Präsident der Vereinigten Staaten Obama drei Unternehmen besucht, um sich mit den Fragen von Industrie 4.0 intensiver auseinanderzusetzen. Wo kommen diese drei Unternehmen her? Kommen die aus Bayern, kommen die aus Baden-Württemberg, kommen die aus Hamburg? – Nein, sie kommen aus Nordrhein-Westfalen. Das sind bei dieser Entwicklung die Spitzenreiter.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Es ist etwas merkwürdig. Ich weiß gar nicht, wie Sie das machen. Erzählen Sie wirklich den Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe,

(Zurufe von der SPD: Ah!)

dass sie in den letzten fünf Jahren nichts auf die Reihe bekommen hätten? Das sind doch die Paradebeispiele in der Bundesrepublik Deutschland. Erzählen Sie eigentlich den Unternehmen in Südwestfalen oder in anderen Teilen des Landes, dass sie alle in diesem Bereich nichts können würden? Das Gegenteil ist doch der Fall. Und man kann es ablesen: Die Bundesregierung verteilt zum Beispiel Kompetenzzentren, darunter im ersten Anlauf das Kompetenzzentrum für den Mittelstand, das sich mit Fragen der Digitalisierung im Mittelstand beschäftigt. Es ist ein Kompetenzzentrum, ein Konsortium – so lassen Sie es mich nennen – aus Fachleuten aus Lemgo, aus dem Ruhrgebiet, aus Dortmund und aus Aachen. Es hat sofort den Zuschlag bekommen. Jetzt im zweiten Anlauf kam der Zuschlag für das Kompetenzzentrum Siegen.

Und da sitzen doch die gleichen Abgeordneten, die vor Ort bejubeln, dass sie so eine starke industrielle Wertschöpfungskette haben,

(Beifall von Dagmar Hanses [GRÜNE])

die sich in Kooperation mit der Wissenschaft, mit den Start-Ups, aber eben auch mit uns, mit dem Land, auf den Weg gemacht haben, diese Kompetenzen möglichst vielen im Mittelstand zugänglich zu machen.

Folgendes Bild können wir sehr realistisch zeichnen: Die Digitalisierung ist ein extremer Hochgeschwindigkeitszug. Wir dürfen aber insbesondere bei 750.000 Unternehmen, von denen die meisten mittelständisch sind, nicht den Eindruck erwecken, dass, säße man noch nicht in diesem Zug, dieser schon abgefahren sei, sondern wir müssen auch immer wieder Bahnhöfe organisieren. Es ist Aufgabe von Politik, dass auch ein Mittelständler, der sich bisher noch nicht mit allen Fragestellungen von Industrie 4.0 auseinandergesetzt hat, wieder Zugang dazu findet.

Die Kompetenzzentren, die wir über das ganze Land verteilt haben, stellen solche Bahnhöfe dar, die ermöglichen, in dieses Thema vielleicht mit ein bisschen Verzögerung wieder einzusteigen.

Es gibt kein anderes Bundesland, das so frühzeitig unter Beteiligung von Arbeitswissenschaftlern, Gewerkschaften und Arbeitgebern eine Allianz „Wirtschaft und Arbeit“ initiiert hat. Wir haben noch am Montag dieser Woche mit all diesen hochrangigsten Vertretern, die dem Land zu diesem Thema zur Verfügung stehen, wieder zusammen gesessen, um genau diese Fragestellung zu diskutieren, die in dem Antrag thematisiert wird: Wie verändert sich die Arbeitswelt? Da geht es nicht darum, dass man, lieber Herr Schwerd, den Linken-Klassiker noch einmal vorträgt, sondern es geht darum, ganz konkrete Maßnahmen für Weiterbildung und Qualifizierung von Beschäftigten beim Thema „Digitalisierung“ auf den Weg zu bringen und nicht im luftleeren Raum Diskussionen zu führen.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Man sollte nur nicht vergessen, dass dabei noch ein paar Leute rausfallen!)

Lassen Sie mich auch noch einmal das Kompetenzzentrum für zirkuläre Wertschöpfung hervorheben, das in dem Antrag genannt wird. Auch dafür haben wir bereits die Vorbereitungen getroffen und können es in Kürze in die Tat umsetzen, ebenso wie bei dem Programm „HochschulStart-up“ und beim Thema „IT und Datensicherheit“. Das sind die Hemmschuhe, die bei vielen Mittelständlern noch zu beobachten sind. Diese müssen wir gemeinsam beseitigen. Deswegen ist der Antrag von SPD und Grünen punktgenau und trifft die Realität in diesem Land. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/12853. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk empfiehlt in Drucksache 16/14418, den Antrag Drucksache 16/12853 anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/12853 selbst und nicht über die Berichterstattung. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag angenommen mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU und der FDP bei Enthaltung der Fraktion der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd.

Wir stimmen zweitens ab über den Entschließungsantrag des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd, Drucksache 16/12906. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag bei Zustimmung des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd und Ablehnung von allen Fraktionen des Landtags von Nordrhein-Westfalen abgelehnt.

Ich komme drittens zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/14521. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann das nicht? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag abgelehnt mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion der Piraten und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd bei Zustimmung der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP.

Ich rufe auf:

12 Neujustierung der Hochschulpolitik für Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14404

Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/14502

Wie bereits verkündet, hat die Fraktion der CDU mitgeteilt, dass sie den Antrag „Neujustierung der Hochschulpolitik für Nordrhein-Westfalen“ Drucksache 16/14404 zurücknimmt. Dadurch ist auch der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP „NRW zum Innovationsland Nummer 1 machen – Hochschulfreiheit konsequent weiterentwickeln!“ Drucksache 16/14502 erledigt.

Ich rufe auf:

13 Beim Umgang mit Fake News darf die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland nicht eingeschränkt werden

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14384

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der Piraten dem Kollegen Kern das Wort.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fake News – das sind gezielt gestreute falsche oder auch manipulierte Nachrichten, oftmals zur Verfolgung monetärer Interessen, aber auch, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Genau wie die artverwandte Hate Speech sind sie ein wirtschaftliches und politisch-gesellschaftliches Phänomen des digitalen Zeitalters.

Nun ist in der politischen Befassung genau das eingetreten, wovor wir Piraten immer gewarnt haben. Die Pläne von Bundesjustizminister Heiko Maas stellen massive und nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Meinungs- und sogar in die Pressefreiheit in Deutschland dar.

Es zeigt sich wieder einmal: Das Grundverständnis für digitale Kommunikationsformen und deren gesellschaftliche Auswirkungen fehlt der schwarz-roten Bundesregierung vollkommen.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Justizminister hat am vergangenen Dienstag den Entwurf zum sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgestellt. Schauen wir uns diesen Entwurf einmal an.

Erstens. Maas weitet den Begriff der sozialen Netzwerke gefährlich aus. Auf einmal geht es nicht nur um öffentliche Posts über Facebook und Twitter, sondern auch um private, im Grunde nicht öffentliche Kommunikation per Messenger-Dienst oder sogar E-Mail-Dienst. Und diese Dienste sollen jetzt den Richter spielen über rechtswidrige Inhalte ihrer Nutzer.

Zweitens. Bußgelder von bis zu 5 Millionen € und rasante Bearbeitungspflichten ohne richterliche Überprüfung sollen die Plattformbetreiber derart unter Druck setzen, dass diese am besten schon in vorauseilendem Gehorsam kritische Einträge löschen. Das wäre ein Einstieg in die privatisierte Zensur samt Rechtsprechung, mit Facebook und Twitter, die als Internetpolizei und Richter fungieren, und dem Bundesjustizministerium als übergelagerter Wahrheitskommission. Das machen wir Piraten nicht mit!

Richtig ist natürlich: Dort, wo gegen geltendes Recht verstoßen wird – zum Beispiel bei Verleumdung oder Volksverhetzung –, muss eingegriffen werden, auch mit Löschung. Was jedoch die deutsche Bundesregierung hier vorschlägt, ist das Outsourcen der Rechtsprechung im digitalen Raum.

Ich möchte hier einmal einen kommunikationstheoretischen Rückblick vornehmen. Im Zeitalter der frühen Massenmedien wurde von „Feindsendern“ und „Feindpropaganda“ gesprochen, gegen die man staatlich vorgehen müsse. Auch im Zeitalter der dezentralen Onlinekommunikation, also der Digitalen Revolution, will man gegen Feind-News vorgehen und erfindet dafür den Begriff „Fake News“, weil es den einen singulären Sender nicht gibt, den man dämonisieren kann.

Das Problem ist hausgemacht. Der grassierende Vertrauensverlust in die Mainstream-Medien schafft erst den Raum für Fake News. Was wir jetzt aber brauchen, ist ein klares und uneingeschränktes Bekenntnis zur Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland. Genau das ist der vorliegende Antrag der Piraten.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir wollen nicht unterdrücken, zensieren und mit Bußgeldern einschüchtern. Wir Piraten wollen die digitale Medienkompetenz und das Vertrauen in Qualitätsjournalismus stärken, sodass Fake News gar nicht erst Gehör finden. Gegen Zensur, für Meinungsfreiheit – machen Sie mit! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Für die Fraktion der SPD spricht der Kollege Vogt.

Alexander Vogt (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verbreitung falscher Informationen ist sicherlich ein wichtiges Thema. Zum Begriff „Fake News“ haben Sie gerade schon einiges gesagt. Sie verwenden diesen Begriff auch in Ihrem Antrag sehr häufig. Ich halte diesen Begriff aber für falsch. Dieser Begriff lässt Probleme verschwimmen, und er verharmlost. Darum lassen Sie uns doch weiterhin differenzieren und die Probleme deutlich benennen! Es gibt bereits Wörter, die diese Probleme exakter beschreiben.

Im Journalismus gibt es die klassischen Falschmeldungen – die gab es bisher auch, beispielsweise, wenn nicht genügend Sorgfalt in eine Recherche gesteckt wurde.

Wir kennen Gerüchte, also unbestätigte Informationen, die manchmal auch Propaganda sein können, und wir kennen Lügen, also unrichtige Behauptungen, die häufig dazu eingesetzt werden, einen Dritten zu schädigen.

Sie sehen: Es ist wichtig, hier eine Trennung vorzunehmen. Eine Lüge muss klar benannt werden. Eine Lüge ist eine Lüge und nicht etwa Fake News, die solche Lügen oft verharmlosen.

(Beifall von der SPD)

Aber wie gehen wir mit diesen falschen Informationen um? Welche Gegenstrategien haben wir? Meiner Meinung nach gibt es zwei große Bereiche. Wir müssen zum einen guten Journalismus stärken, und wir müssen zum anderen die Medienkompetenz verbessern.

Wenn wir den Journalismus stärken wollen, müssen wir uns zunächst damit auseinandersetzen, dass wir es rein mengenmäßig mit so vielen Informationen zu tun haben wie noch nie zuvor. Diese Masse an Informationen zu bewerten und einzuordnen, das ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten. Sie müssen gut ausgebildet und entsprechend gut bezahlt werden, sodass sie von ihrer Tätigkeit auch leben können.

Wir erleben ganz neue journalistische Initiativen. Diese gilt es zu stärken. Genau das machen wir in Nordrhein-Westfalen. In diesem Zusammenhang haben wir die Journalismusstiftung „Vor Ort NRW“ entwickelt, die staatsfern bei der Landesanstalt für Medien organisiert ist.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Staatsfern ist gut!)

Hier in NRW haben wir über die Gemeinnützigkeit von Journalismus diskutiert. Hier haben wir auch den klassischen Zeitungsmarkt in den Blick genommen. Wir werden uns morgen im Zusammenhang mit der Antwort auf eine Große Anfrage diesem Thema widmen.

Journalistische Beiträge – so gut sie auch sind – alleine werden zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht ausreichen. Wir müssen dafür die Grundlage schaffen, dass die Menschen Informationen selbstständig richtig einordnen können. Darum haben wir hier in Nordrhein-Westfalen das Thema „Medienkompetenz“ ganz nach oben gesetzt. Wir haben hier den Medienpass entwickelt, ein Instrument, das erfolgreich an Grundschulen und jetzt auch an weiterführenden Schulen eingesetzt wird.

Im Landtag haben wir dieses Thema mit dem „Tag der Medienkompetenz“ aufgegriffen. Im November letzten Jahres haben wir uns mit dem Thema „Medien extrem…“ beschäftigt. Die SPD-geführte Landesregierung hat den Diskurs „Medienvielfalt NRW 4.0“ auf den Weg gebracht.

Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen eine Reihe weiterer Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind. Die Landesanstalt für Medien bietet Schulungen und Elternabende an. Das Grimme-Institut ist in diesem Bereich tätig, ebenso der WDR, aber auch Zeitungsverlage, die in Schulen Aktionen machen.

Sie sehen: Hier ist schon ganz vieles organisiert. Ich möchte betonen, dass jetzt auch die Plattformbetreiber mit in die Pflicht genommen werden müssen. Juristisch ist bereits sehr viel möglich: Verleumdung und Volksverhetzung können strafrechtlich geahndet werden. Das Recht auf Gegendarstellung kann eingeklagt werden.

Nunmehr liegt der Gesetzentwurf vor, den Sie gerade schon angesprochen haben. Im Referentenentwurf dazu findet sich aber nichts von dem, was die Piraten in ihrem Antrag befürchten – keine neuen Straftatbestände, wie Sie sie unter Punkt III.2. des Entwurfs anführen, und keine staatlichen Faktenchecks.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Privatisierte Faktenchecks! Das ist mindestens genauso schlimm!)

Ja, der Entwurf ist recht neu. Viele dieser Themen hätten Sie nachlesen können. Es gab ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion, worauf Sie mit Ihrem Antrag schon hätten reagieren können. Sie haben heute aber nichts Neues vorgelegt, sondern Sie haben Ihren Antrag, der vor dem Gesetzentwurf gekommen ist, …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kern zulassen?

Alexander Vogt (SPD): Zum Schluss bitte. – … hier weiter aufrechterhalten.

Richtige und wahre Informationen von unrichtigen zu unterscheiden, ist weiterhin eine gesellschaftliche und politische Aufgabe. Das politische Gepolter von Leuten wie de Maizière, der vom „Abwehrzentrum gegen Desinformationskampagnen“ spricht, ist genauso wenig hilfreich wie Ihr Antrag, der Gesetzgebung mit staatlicher Kontrolle oder gar Zensur vermengt.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit.

Alexander Vogt (SPD): Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Und die Frage?

Alexander Vogt (SPD): Bitte schön.

Nicolaus Kern*) (PIRATEN): Danke schön, dass Sie die Frage zulassen. Mit dem, was Sie zum Schluss Ihrer Rede noch gesagt haben, haben Sie den Anlass für meine Frage fast beseitigt. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ihr Gesetzentwurf erst vor zwei Tagen präsentiert wurde, unser Antrag aber schon wesentlich länger im System ist, sodass wir keine Möglichkeit hatten, dies bei der Antragsentstehung zu berücksichtigen. Außerdem bin ich bei meiner Rede ja auf den Gesetzentwurf eingegangen.

Alexander Vogt (SPD): Ja, Sie sind sicherlich auf den Gesetzentwurf eingegangen, und er ist in der Tat erst seit vor zwei Tagen veröffentlicht worden. Das ist alles richtig. Genau aus dem Grund, weil er eben vorliegt, hätten wir von Ihnen erwartet, dass Sie Ihren Antrag – der ja Punkte beinhaltet, die im Gesetzentwurf gar nicht vorhanden sind, über die wir hier aber beschließen sollen – dann zurückziehen oder eine Änderung einbringen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Vogt. – Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Stein.

Robert Stein (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sogenannte Fake News und Social Bots haben in letzter Zeit einen immer größer werdenden Raum in der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der politischen Diskussion eingenommen. Dieses politisch-gesellschaftliche Phänomen stellt uns vor die schwierige demokratische und juristische Abwägung von Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Schutz unseres freiheitlichen Rechtsstaates vor Manipulation auf der anderen Seite.

Die Verbreitung von Lügen, Falschmeldungen und gezielten Desinformationskampagnen, ja Propaganda, nimmt stetig zu, wobei die Bedeutung und die Einflussnahme auf die politischen Meinungsbilder bisher wissenschaftlich nur rudimentär analysiert worden sind. Es hat vermutlich – ich glaube, da sind wir uns alle einig – eine gewisse Rolle im Präsidentschaftswahlkampf der USA gespielt, jedoch kann man den Grad dieser Einflussnahme auf die politischen Meinungsbilder bisher nicht genau benennen. Nichtsdestotrotz sind wir uns hier hoffentlich alle darüber einig, dass hier ein gewisser Handlungsbedarf besteht. Nur über die Art und Weise gibt es anscheinend unterschiedliche Auffassungen.

Liebe Piraten, in Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass die deutsche Bundesregierung gegen Fake News vornehmlich mit gesteuerten staatlichen Eingriffen, die allesamt die Meinungs- und Pressefreiheit potenziell einschränken, vorgehen will. Das ist einfach nicht wahr.

Vielmehr gilt doch: Das, was das Grundgesetz als Schranken der Meinungsfreiheit definiert, und die Maßstäbe, die nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht für die Abwägung von Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen und dem Schutz unseres Rechtsstaates auf der anderen Seite entwickelt hat, müssen auch für die Beurteilung von Aussagen in den sozialen Medien gelten.

Die Politik muss Phänomenen wie Hassreden, Cybermobbing und Fake News – oder wie auch immer wir es nennen wollen –, Propaganda und Lügen rechtlich mit Augenmaß und in Respekt vor der Bedeutung der Meinungsfreiheit entschieden begegnen.

Wir können das aber nicht so handhaben, wie Sie das offenbar fordern, so nach dem Motto: Auch erfundene falsche oder verfälsche Nachrichten, also Fake News, sind grundsätzlich von der Meinungsfreiheit abgedeckt.

(Zuruf von den PIRATEN: Ihr müsst ja auch Wahlprogramme schreiben!)

Ja, Meinungsfreiheit ist ein verdammt wichtiges Gut unserer Demokratie. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. So steht es auch in Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Aber auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Und die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und einer gezielt gesteuerten Falschmeldung, einer Lüge oder Propaganda, mit dem Ziel, die politische Stimmung zu manipulieren, verläuft dort, wo es jemandem nicht darum geht, einen Beitrag zu einer Diskussion zu leisten, sondern unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Werte an sich anzugreifen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Sie haben es nicht verstanden!)

Eine gesetzliche Regelung kann und sollte nicht die Verantwortung jedes Einzelnen ersetzen. Dieser Aussage, die wir schon bei den Vorrednern gehört haben, pflichten auch wir bei. Aus diesem Grund sind neben gesetzlichen Lösungen Dinge wie Digital- und Medienkompetenz enorm wichtig, um fundierte Informationen von bloßen Ressentiments unterscheiden und sie einordnen zu können. Entsprechende Programme in Bund, Ländern und Kommunen sollten zukünftig vermehrt gefördert werden.

Ich bin der Meinung, dass die sogenannten Fake News und Social Bots Erscheinungsmerkmale einer unregulierten digitalen Gesellschaft sind, die viele bereits bekannte Phänomene der Offlinewelt mit einem hohen desinformativen Charakter in einem nicht geahnten Ausmaß in die heutige Onlinewelt transferiert haben.

(Lachen von Frank Herrmann [PIRATEN])

Von daher halten wir es auch für richtig und wichtig, rechtsstaatlich und respektvoll zu überprüfen, wie wir unsere Werte mit Augenmaß und in Respekt vor der Bedeutung der Meinungsfreiheit schützen können.

Aus diesem Grund ist Ihr Antrag letzten Endes abzulehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Ich warte auf den Antrag zur Einführung eines Zensurministeriums!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor 40 Jahren haben wir alle nach Prag geblickt. In jener Zeit ist die Charta 77 entstanden, und der spätere Präsident Václav Havel hat einen Satz geprägt, mit dem ich meinen kleinen Beitrag eröffnen will:

„Der Nachteil der Demokratie ist, dass sie denjenigen, die es ehrlich mit ihr meinen, die Hände bindet. Aber denen, die es nicht ehrlich meinen, ermöglicht sie fast alles.“

Das ist wohl eine ziemlich wichtige und ernste Erkenntnis, mit der wir uns derzeit an vielen Stellen politisch herumschlagen, nicht nur im Zusammenhang mit Fake News. Das neuenglische Wort „Fake News“ bezeichnet etwas, was es schon immer gegeben hat, nämlich letztlich den Versuch, zu manipulieren und zu betrügen. Man kann das heute mit neuen Begriffen belegen, aber letztlich ist all das nichts Neues. Wenn man so will, war schon das Trojanische Pferd eine Art Fake News.

(Lachen von den PIRATEN)

Die Debatte, die wir jetzt mit dem Antrag zu führen haben, hat mich insofern nachdenklich gemacht, weil Sie von der Piratenfraktion von Begriffen sprechen, die wir auch bei ganz anderen Gruppierungen wiederfinden. Sie haben das eben auch getan, Herr Kollege Kern, und zum Beispiel den Begriff „Mainstream-Medien“ benutzt. Auch das ist ein Begriff, der letztlich versucht, in despektierlicher Form das, was wir bisher allgemein als öffentlich-rechtlichen Rundfunk wahrgenommen haben – als das, was uns allen in dem, was er zu melden hat, als wichtig und verbindlich erschien –, zunehmend in ein Licht zu rücken, dass man eben sagt: Das sind diese fiesen Mainstream-Medien,

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Vorsicht!)

also das, was auch lügt und betrügt.

Das ist wohl der Beginn von dem, was Sie dann auch selbst formulieren. Man hat so das Gefühl, das sich alles im Kreis dreht. Der Vertrauensverlust, der damit verbunden ist, hat für meine Begriffe etwas damit zu tun, dass man diese Medien von vornherein so bezeichnet.

Wenn Sie dann im gleichen Atemzug fordern: „Wir wollen aber Qualitätsjournalismus“, und wir dann sagen: „Der findet doch, wenn überhaupt, noch genau da statt“, dann müssten wir uns irgendwann mal verständigen, ob jetzt die bösen, verleumderischen Mainstream-Medien am Vertrauensverlust, den die Gesellschaft erleidet, schuld sind, oder ob es möglicherweise genau die Stellen sind, auf die wir setzen müssen, wenn wir von Qualitätsjournalismus reden und davon sprechen wollen, dass möglichst nah an dem, was man herausfinden kann, was dann am Ende die Wahrheit ist, recherchiert und berichtet wird.

Ich jedenfalls empfinde es gerade in den Angeboten unserer öffentlich-rechtlichen Sender jeden Tag als einen ausgesprochenen Gewinn, wenn ich Radio hören oder bestimmte Fernsehsendungen sehen darf, worin ich sehr genau über das, was uns alle beschäftigt, informiert werde, ohne den Eindruck zu haben – das ist der entscheidende Punkt, der den Unterschied macht –, dass hier bewusst – was das Wort „Fake“ ja unterstellt – mit Fälschungen gearbeitet wird, um etwas zu organisieren.

Natürlich gibt es auch in den Berichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Fehler. Darüber wird viel diskutiert – auch in den Aufsichtsgremien –, wenn es solche Fehler gibt. Aber im Prinzip ist da niemand, der dauernd versucht, Leute etwa mit falschen Unterstellungen in bestimmte Ecken zu treiben und womöglich zu diskriminieren.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Da hat auch niemand von gesprochen!)

Genau das findet da nicht statt. Deshalb ist der Schand- oder Schimpfbegriff „Mainstream-Medien“ leider Gottes ein AfD-Sprech, den man nicht verwenden sollte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nicht von ungefähr ist Stefan Körner, der Bundesvorsitzende der Piraten, am 12. August letzten Jahres in der „Jungen Freiheit“ dafür gelobt worden, dass er eine Anti-Hate-Speech-Kampagne der Bundesregierung, angedacht schon im letzten Sommer, kritisiert hat und da ordentlich draufgestiegen ist. Ich glaube, man muss, wenn man in diesem Bereich unterwegs ist, unheimlich aufpassen, an welchen Stellen man mit wem womöglich ungewollt aneckt. Und das sollten wir, meine ich, vermeiden.

Die Frage, wie wir mit den Inhalten im Internet umgehen, ist hochkomplex. Damit beschäftigen sich auch nicht nur die Piraten. Wir haben schon in viel früherer Zeit, bevor es die Piraten überhaupt gab, über diese Themen intensiv diskutiert. Ich erinnere mich an ein grünes Diskussionspapier aus dem Jahre 2003, „Freiheit, Ordnung und das World Wide Web“, in dem wir über die Frage diskutiert haben: Wenn das Internet kein rechtsfreier Raum ist, was folgt daraus, und was genau muss man damit anfangen?

Insofern ist die Diskussion über Fake News erstens nichts Neues, und zweitens glaube ich, dass wir sie nicht überhöhen dürfen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass sich einfach viele Leute auf vielen Plattformen äußern können. Das heißt aber nicht, dass all das, was da erzählt wird, automatisch richtig ist. Das ist auch sonst im Leben nicht so.

Ich glaube nicht, dass wir dem beikommen, indem wir irgendeinen Zensurversuch machen. Da sind wir wohl beieinander. Vielmehr denke ich, dass wir dem beikommen, wenn wir darauf vertrauen, was wir gerade in Deutschland an Qualitätsjournalismus kennen. Wir können stolz darauf sein, in fast allen Medien immer noch so eine breite und gute Berichterstattung vorzufinden, die versucht, sich an dem zu orientieren, was die erlebte Wahrheit ist.

Das sollten wir miteinander teilen. Das müssen wir auch politisch weiterhin unterstützen. Es kann nicht darum gehen, dieses Thema in Form Ihres Antrags zu bearbeiten, der aus meiner Sicht praktisch gesehen zu spät kommt; denn Sie fordern darin die Landesregierung zu Dingen auf, die sie jedenfalls in dieser Legislaturperiode nicht mehr leisten kann, aber, wenn ich es richtig verstanden habe, bisher auch nicht leisten will. – Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Keymis, Sie können jetzt noch ein bisschen länger reden, …

Oliver Keymis (GRÜNE): Gerne!

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: … denn es liegt eine Kurzintervention vor.

Oliver Keymis (GRÜNE): Eine Kurzintervention! Na, dann intervenieren Sie mal!

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Von daher geht das jetzt weiter, und ich gebe dem Herrn Kollegen Kern das Wort.

Oliver Keymis (GRÜNE): Ja, Herr Kern, bitte.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Der muss sich jetzt noch eben eindrücken. Er sitzt auf dem Platz von Herrn Paul.

(Zuruf von den PIRATEN: Dr. Paul!)

– Ach, es ist Herr Paul. Eben wurde mir gesagt, es sei Herr Kern. Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Lieber Herr Keymis, ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass Sie sich, wenn Sie den Begriff „Mainstream“ so verwenden, wie Sie es gerade getan haben, damit vielleicht unbewusst der AfD-Logik unterwerfen.

Denn „Mainstream“ meint im Prinzip „Quotenrenner“ und „auflagenstärkste Zeitungen“. Dazu gehört die „FAZ“ genauso wie die „TAZ“, die „ZEIT“ und andere. Und in der Scientific-Community gibt es Mainstream-Überzeugungen, wie beispielsweise in der Physik, wo man an den Urknall glaubt. Ein Fünftel der Physiker sieht das aber anders. Die sind nicht „Mainstream“, und trotzdem verträgt man sich. Die sind „Underground“. Das sind die beiden Pole. „Mainstream“ per se ist kein despektierlicher Begriff.

Auf der anderen Seite bitte ich Sie noch darum, Herrn Stein den Unterschied zwischen „Social Bots“ und „Fake News“ zu erklären. Denn da ist, glaube ich, etwas völlig durcheinandergegangen. – Danke.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege!

Oliver Keymis (GRÜNE): Ja, vielen Dank, Herr Präsident! Herr Kollege Dr. Paul, in der Begriffsdefinition von „Mainstream“ stimmen wir völlig überein. Auch ich bin der Meinung, dass der Begriff „Mainstream“ nicht das Entscheidende ist.

Der pejorative Unterton kommt dann da rein, wenn man von „Mainstream-Medien“ spricht und das sozusagen damit verbindet und in einer gewissen Weise zum Ausdruck bringt, was sie berichten. Das macht die AfD unter anderem. Sie sagt: Das ist nicht glaubwürdig, weil es ja von dieser Art Medien, nämlich von den „Mainstream-Medien“, kommt. – Das habe ich versucht, zum Ausdruck zu bringen. Ich habe Herrn Kern zitiert, der diesen Begriff – das ist ja völlig selbstverständlich – gebraucht hat, weil er eben in Gebrauch ist. Ich halte das aber für ungut.

Darüber hinaus: Was Sie Herrn Stein, der einst Ihrer Fraktion angehört hat, noch erklären müssen, müssen Sie schon selber entscheiden. Lassen Sie mich da einfach raus aus der Geschichte. Dazu habe ich jetzt eigentlich überhaupt nichts mehr zu sagen.

Wir lehnen den Antrag ab. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Nückel,

(Thomas Nückel [FDP] bewegt sich mit Unterstützung von Gehhilfen auf das Redepult zu.)

der sich schon auf den Weg gemacht hat und dem wir auch für den Rest des Weges alles Gute wünschen.

(Heiterkeit und Zurufe)

Thomas Nückel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht in eine medientheoretische Diskussion über die Fragen „Was ist Mainstream?“ und „Was sind Mainstream-Medien?“ eintreten. „Mainstream“ ist in der Tat ein Begriff, der eigentlich nicht belastet ist. Er wird leider belastet, weil er von einigen in fälschlicher Absicht verwandt wird. Darüber müssen wir uns aber, glaube ich, nicht streiten.

Das große Problem besteht darin, dass in letzter Zeit das Thema „Falschnachrichten und Hassbotschaften“ sensibel handelt wird, was ja auch richtig ist, es aber zugleich benutzt wird, um – ich nenne es einmal so – Druck in die Diskussion zu bekommen. Wir wissen, dass natürlich immer die Botschaft des anderen – das ist klar – die Falschnachricht ist.

Gerade in diesem Zusammenhang ist der Entwurf von Justizminister Maas sehr problematisch. Insofern muss man den Piraten gratulieren: Das Timing für diesen Antrag war schon ganz günstig, denn das Thema ist hochaktuell.

(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Ich möchte an zwei Beispielen klarmachen, warum es problematisch ist: Im Januar 2015 veröffentlichte „Welt-online“ im Nachgang zu dem schrecklichen Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris einen Kommentar der ehemaligen VVD-Abgeordneten und niederländisch-amerikanischen Politikerin Ayaan Hirsi Ali.

Der Titel lautete: „Doch, dieses Massaker hat mit dem Islam zu tun!“ Man muss diese Meinung nicht unbedingt teilen. Der Kommentar wurde selbstverständlich auf verschiedenen sozialen Medien wie Facebook geteilt. Es lässt sich leicht vorstellen, dass sich irgendein islamischer Prediger gefunden hätte – sicherlich hat sich ein solcher auch gefunden –, der hierin eine Beschimpfung seiner Religion vermutete. Das ist in Deutschland nach § 166 StGB strafbar. Geht es nach dem Bundesjustizminister, würde dieser Kommentar auf einen Beschwerdeklick des Predigers hin gelöscht werden müssen.

Ein anderes Beispiel: Im Januar 2012 veröffentlichte „Der Postillion“ einen Artikel über den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Der Titel lautete: „Wulff spricht 82 Millionen Deutschen auf die Mailbox, um Gerede zu unterbinden.“ Das klingt lustig. Dieser Artikel wurde natürlich fleißig in den sozialen Netzwerken geteilt.

Abgesehen davon, dass es sich bei diesem Satirebeitrag streng genommen natürlich um eine Falschnachricht – neudeutsch: Fake News – handelt, könnte auch hier eine Beschwerde beim Onlineportal eingehen. Denn mit Sicherheit hat eine Bürgerin oder ein Bürger – vielleicht sogar ein Mitglied der Jungen Union – hinter diesem Kommentar eine Verunglimpfung des Bundespräsidenten vermutet, strafbar nach § 90 StGB. Auch in diesem Fall wäre eine Löschung fällig, wenn es nach Justizminister Maas ginge. Denn mit dem Entwurf eines Fake-News-Gesetzes will Maas ja die strafrechtliche Überprüfung ihrer Inhalte den sozialen Netzwerken übertragen.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Sobald eine Beschwerde bei einem sozialen Netzwerk eingeht, trägt dieses die juristische Verantwortung für den entsprechenden Beitrag. Dabei ist der kritisierte Inhalt des Textes oder auch des Videos völlig unerheblich; denn jeder kann sich ja über alles und jeden aufregen und beschweren. Löscht das Netzwerk den Inhalt, ist es auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Löscht es ihn nicht, nimmt das Onlineportal das Risiko einer Fehleinschätzung auf sich, für die es dann ja haftet. Wohin das führt, ist klar: Im Zweifel wird immer gelöscht. Und der Anreiz, Beschwerden über unliebsame Meinungen oder schmerzhafte Wahrheiten einzureichen, steigt dadurch natürlich. Alles in allem müssen wir hier schon über eine ernsthafte Gefahr für die Meinungsfreiheit sprechen.

Ganz unabhängig von den kritischen Punkten, die ich vorgebracht habe, und die sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung beziehen – ich habe heute Nacht den Gesetzentwurf der Bundesregierung gelesen, weil mein Bein schmerzte, und ich dachte, das würde vielleicht als Schmerzmittel wirken; anschließend hatte ich aber Schluckbeschwerden –,

(Heiterkeit)

besteht aus meiner Sicht übrigens tatsächlich Handlungsbedarf beim Umgang mit sogenannten „Fake News“. Ich sehe diesen aber eher in Bezug auf Desinformationskampagnen oder Cyberangriffen vonseiten staatlich betriebener ausländischer Stellen, von denen auch Plattformen wie soziale Netzwerke oder einzelne Nutzer betroffen sind.

Doch leider nimmt der vorliegende Antrag – jetzt kommt die schlechte Nachricht für die Piraten – dazu keine Stellung. Dieses Anliegen heute zu besprechen, war sicherlich richtig, denn es ist ein aktuelles Thema – aus dem genannten Grund können wir ihm unter dem Strich aber nicht zustimmen. Wir werden uns aber huldvoll enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Nun hat der Kollege Schwerd das Wort.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Fake News, Hasspostings, Cybermobbing, Astroturfing, Social Bots – alle diese Begriffe werden in der Debatte derzeit wild durcheinandergeworfen. Der Beitrag von Robert Stein ist das beste Beispiel dafür.

Die Gefahr dieser Phänomene sollte man trotzdem nicht herunterspielen. Das kommt mir in diesem Antrag etwas zu kurz.

Der junge syrische Geflüchtete Anas Modamani zum Beispiel wurde mit Hass überzogen, nachdem ein Selfie mit Kanzlerin Merkel für die Behauptung missbraucht wurde, er sei ein Terrorist. Letztlich können Fake News, Cybermobbing und Verleumdung im Netz Existenzen vernichten sowie Gesundheit und Leben gefährden.

Doch wir müssen bei jeder Maßnahme überlegen, ob sie den vorgesehenen Zweck überhaupt erfüllt und welche schädlichen Nebenwirkungen sie hat. Im Fall gesetzlicher Regelungen gegen Fake News würde ich den Nutzen klar verneinen. Beleidigung, Verleumdung, falsche Tatsachenbehauptung, Mobbing und Stalking – alles das ist bereits jetzt verboten, im Internet wie außerhalb. Eine rechtliche Handhabe gibt es bereits. Das hält aber niemanden davon ab, solche Postings zu veröffentlichen. Daran wird ein neuer Straftatbestand jedenfalls nichts ändern. Die Täter agieren ja in aller Regel aus der vermeintlichen Anonymität heraus.

So wild die Begriffe durcheinandergeworfen werden, so schwierig dürfte es auch sein, sie klar nach außen abzugrenzen. Je nach Definition werden auch schnell mal Satire oder Ironie als Fake News eingestuft. Denken Sie an die Postings des „Postillon“, die oft genug von Lesern für echt gehalten werden.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Von der Jungen Union!)

Letztlich besteht die Gefahr, dass der Vorwurf der Fake News dazu genutzt wird, unliebsame Informationen aus dem Internet zu verdrängen. Eine staatliche oder privatwirtschaftliche Vorabkontrolle von Nachrichten jedenfalls birgt die unmittelbare Gefahr der Zensur. Diesen spiegelglatten Weg sollten wir nicht gehen.

(Beifall von den PIRATEN)

Effektiver wäre vielmehr, wenn Polizei und Justiz bei der Rechtsdurchsetzung gut ausgerüstet sind und zügig arbeiten, wenn Betroffene ernst genommen werden und unsere Solidarität erfahren.

Es ist auch wichtig, dass die Betreiber der sozialen Medien mitwirken und sich nicht hinter irgendwelchen Firmenstandards verschanzen. Jedes Unternehmen müsste eine standardisierte Möglichkeit anbieten, wie Betroffene falsche Nachrichten oder falsche Behauptungen melden können, und anschließend transparent über die weitere Bearbeitung informieren. Falls notwendig, kann man sie auch dazu verpflichten.

Nicht zuletzt muss Medienkompetenz vermittelt werden. Das umfasst gerade auch Medienkritik, eben den kritischen Umgang mit Medien und Inhalten. Das kommt derzeit viel zu kurz.

All das wäre wirksamer als irgendwelche neuen Straftatbestände und könnte sofort umgesetzt werden. Irgendwelche Gesetze nach dem Motto „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ sind jedenfalls der falsche Weg. – Vielen herzlichen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schwerd. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger in Vertretung von Herrn Minister Dr. Franz-Josef Lersch-Mense.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon eine Menge gesagt. Falschmeldungen, auch bewusste Falschmeldungen, gab es schon immer. Neu sind die vielfältigen Wege, über die in kürzester Zeit eine große Zahl von Personen mit einer Falschmeldung erreicht werden kann. Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sind hier die bekanntesten Beispiele. Neu ist auch, dass jeder und jede zum Sender von Nachrichten werden kann und dies nicht nur Journalisten vorbehalten ist.

Neu ist letztlich auch der Begriff „Fake News“, der als gezielt gestreute Falschmeldung zu verstehen ist. Das Thema „Fake News“ findet sich derzeit nahezu täglich in den Medien. Auch zahlreiche deutsche Politiker haben sich hierzu geäußert und Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen gemacht.

Bundesminister Maas hat vorgestern einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir uns genau ansehen werden. Aktuell hat Facebook in den USA damit begonnen, unglaubwürdige Artikel im Netzwerk durch unabhängige Faktenchecker kennzeichnen zu lassen. Auch für Deutschland hat Facebook die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfern angekündigt. Solche Maßnahmen – das möchte ich betonen – sind keine Zensur, schon gar keine staatliche Zensur.

Meine Damen und Herren, die Fraktion der Piraten fordert mit dem vorliegenden Antrag die Landesregierung auf, sich gegen jede Kontrolle oder Richtigkeitsprüfung von Nachrichten durch den Staat oder in dessen Auftrag einzusetzen. Ebenso wendet sie sich gegen neue Straftatbestände. Die Landesregierung soll vielmehr noch in dieser Legislaturperiode eine wissenschaftlich fundierte ganzheitliche Strategie zum Umgang mit Fake News formulieren.

Die Landesregierung hält eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Fake News“ für sehr wichtig. Gerade deshalb sollte der Antrag der Piraten abgelehnt werden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/14384. Wer ihm seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt ihm nicht zu? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion der FDP und des fraktionslosen Abgeordneten Schwerd abgelehnt.

Ich rufe auf:

14 Digitale Verkehrswende in NRW durch den Kauf von 100.000 Fahrerlosen Fahrzeugen für den öffentlichen Nahverkehr einleiten

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13028

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses
für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/14042

Ich möchte noch folgenden Hinweis geben: Dieser Antrag der Fraktion der Piraten wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b) unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr liegen mittlerweile vor.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Becker das Wort.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte es der Uhrzeit entsprechend sehr kurz machen. Der Antrag wurde ausgiebig und intensiv im Ausschuss beraten. Wir hatten dem auch ein Sachverständigengespräch vorgeschaltet.

Die Piraten denken mit ihrem Antrag in die richtige Richtung. Aber wir sind doch insgesamt erst am Anfang einer Entwicklung. Es ist aus unserer Sicht viel zu früh, sofort, wie Sie jetzt verlangen, mit dem Aufbau einer fahrerlosen Flotte von mindestens 100.000 Fahrzeugen zu beginnen. Deshalb werden wir den Antrag gleich ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Rehbaum.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die fahrerlose Technologie ist ein Megathema. Das Land darf diese Technologie nicht verschlafen. NRW muss bei diesem Thema ganz vorne mitspielen.

Deswegen fordern wir dauerhaft zunächst zwei Pilotprojekte – eins in der Stadt, eins auf dem Land. Dazu müssen aber viele rechtliche Bedingungen geklärt werden. Das betrifft die Straßenverkehrsordnung, Haftungsfragen und Sicherheitsfragen. Bis das nicht geklärt ist, ist dieses Thema noch in weiter Ferne.

100.000 Fahrzeuge sofort zu beschaffen bedeutet – wir haben einmal 20.000 € pro Fahrzeug angesetzt – eine Ausgabe von 2 Milliarden €. Das entspricht dem zweifachen Jahresetat des SPNV in Nordrhein-Westfalen. Das ist absolut an dieser Stelle unmöglich! Ich empfehle den Piraten etwas mehr Realismus. Dieser Antrag ist surreal. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Rehbaum. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Vorredner! Ich habe vom Kollegen Rolf Beu, der thematisch zuständig ist und im Krankenbett arbeiten kann, eine zehnseitige Rede vorbereitet bekommen, die ich Ihnen eigentlich zu Protokoll geben könnte.

(Heiterkeit und Beifall von der SPD – Christof Rasche [FDP]: So eine Art Spende!)

Sie ist selbstverständlich fachlich hochwertig. Da würde vielleicht sogar die FDP zustimmen können.

Die Rede beginnt wirklich damit, dass er seine politische Biografie aufschreibt. Kollege Beu schildert, wie er in den 70er-Jahren zu den Grünen gekommen ist, und stellt die Visionen dar, die man hatte. Dann kommt er zu der Mobilitätsvision.

In dem Antrag der Piraten ist ja auch eine Mobilitätsvision skizziert, die mit Blick auf die mittel- bis langfristige Zukunft durchaus einen gesellschaftlichen Sinn und Nutzen hat.

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Jetzt will ich es doch hören!)

Aber – und deswegen können wir dem Antrag eben nicht zustimmen –: Würde man jetzt das Land beauftragen, 100.000 fahrerlose Mobile für den Landesdienst zu bestellen, würde man bei dem gegenwärtigen Stand der Technik und der Forschung weit in die Zukunft greifen und sich möglicherweise hier eine Modellgeneration einhandeln, die nicht nur nicht auf dem Markt ist, sondern auch überhaupt nicht ausgereift ist.

Wir hatten ja eine durchaus interessante Anhörung im Ausschuss zum autonomen Fahren, bei der uns für die nächsten Jahre interessante Handlungsperspektiven aufgezeigt worden sind. Aber aus dem aktuellen Austausch wissen wir auch – ich hatte gestern noch die Chance, mit einem führenden Vertreter einer deutschen Automobilfirma insbesondere über die Frage des autonomen Fahrens zu sprechen –, dass die Perspektive, was Technik etc. angeht, doch eher auf die Jahre 2030 ff. gerichtet ist.

Auf Bundesebene wurde vom Bundesverkehrsminister die Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren eingerichtet.

Zum jetzigen Zeitpunkt können wir jedenfalls nicht sagen, dass sich die Technik schon so ausgereift präsentiert, dass man einen solchen Antrag beschließen könnte. Es ist eine Perspektive aufgezeigt, der wir uns auch gerne in den nächsten Legislaturperioden widmen werden. Aber dieser Antrag ist nicht ausgereift. Deswegen können wir ihn an dieser Stelle auch nicht positiv bescheiden, sondern votieren mit Nein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Kollege Klocke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oliver Trump-Bayer?

(Heiterkeit)

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident, ich würde sie zulassen – wobei mir optisch eher Herr Assange einfiel, als ich den Kollegen Bayer sah. Aber wie auch immer!

(Oliver Bayer [PIRATEN]: Das ist ja schade! Es sollte eigentlich Herrn Wilders darstellen!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Bayer, Sie haben das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Herr Klocke. – Sie haben gesagt, man könnte an die Jahre 2030 ff. denken. Nun sind ja die Nahverkehrspläne, die demnächst irgendwann einmal beginnen und jetzt konzeptioniert werden, teilweise auf 15 Jahre ausgelegt. Dann befinden wir uns ja ganz locker in diesem Bereich. Wann soll man denn anfangen, die Technik zu lenken und zu steuern, wohin es gehen soll? In den nächsten Legislaturperioden ist ja irgendwann, wie Sie sagten, der Zug dann abgefahren, und die autonomen Fahrzeuge existieren als Individualverkehr, aber nicht im ÖPNV.

Arndt Klocke (GRÜNE): Wir sollten jetzt an die Zukunft denken und sollten auch entsprechend im intensiven Austausch mit der Industrie daran mitwirken, dass die Innovationen hier marktreif werden.

Aber Ihr Antrag ist ja anders formuliert. Schon allein im Punkt 1 im Forderungskatalog gibt es ja einen direkten Handlungsauftrag an die Landesregierung. Wenn Sie uns bitten, einen solchen Antrag zu unterstützen, muss ich ganz klar sagen: Das können wir an dieser Stelle nicht machen, weil weder Technik noch Implementierung so weit fortgeschritten sind.

Ihr Antrag enthält einen durchaus visionären Teil, den wir auch interessant und richtig finden. Aber der konkrete Forderungskatalog erlaubt es uns nicht, dem Antrag zuzustimmen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Herr Rasche hat für die FDP-Fraktion das Wort.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgeschlagen wird die Anschaffung von 100.000 autonom fahrenden Fahrzeugen. Es gibt aber keinen einzigen Vorschlag zur Finanzierung, und es wird nicht einmal nachgewiesen, dass ein einziges Fahrzeug davon heute praxistauglich ist. Insofern kann man den Antrag leider nur ablehnen. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rasche. – Der letzte Redner zu diesem Punkt für heute ist, wenn sich niemand mehr meldet, was ich annehme, Herr Minister Groschek. Bitte schön.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zahl 100.000 als Perspektive ist genauso gegriffen wie die „99 Luftballons“ von Nena. Die Plausibilität ist die gleiche. 100.000 ist eine runde Zahl, hat aber nichts mit einem Technologieschub zu tun. Der Technologieschub bezieht sich nicht auf die Notwendigkeit der Fahrzeuganschaffung, sondern auf die Klarstellung der sozialen und juristischen Perspektiven, die mit Roboterfahren verbunden sind. Darauf gehen Sie in keiner Weise ein.

Daher ist das kein heute positiv zu bescheidender Antrag. Ich freue mich, dass die Ablehnung so deutlich ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Damit der Antrag auch noch richtig bekannt wird, wird er jetzt von Herrn Bayer für die Piratenfraktion vorgestellt. Ich hatte nicht registriert, dass Sie den Antrag nicht vorher vorgestellt haben und wir ein umgekehrtes Verfahren haben. Bitte schön. Sie haben das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauende und Gäste unterwegs im Stream, solange Sie die Hände nicht am Steuer haben! Sie kennen vielleicht die aus drei Bildern bestehende Serie. Mir fehlt eine PowerPoint-Präsentation. Aber Sie haben ja ein inneres Auge.

Erstes Bild: 100 Menschen in 90 Autos verstopfen die Straße.

Zweites Bild: 100 Menschen in 90 Elektroautos verstopfen die Straße.

Drittes Bild: 100 Menschen in 90 selbstfahrenden Autos verstopfen die Straße.

Das verbildlicht das unserem Antrag zugrunde liegende Problem.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nein! – Weitere Zurufe: Nein!)

Autonome Fahrzeuge werden derzeit auch von der Politik nur als Ersatz für normale Fahrzeuge gesehen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich habe das nicht verstanden!)

Soll also jeder sein eigenes autonomes Fahrzeug haben?

(Zuruf von der CDU: Welche kaufen!)

Dahin kommen wir nämlich, wenn wir jetzt nicht handeln.

(Fortgesetzt Zurufe – Gegenruf von den PIRATEN: Ruhe!)

Dann würden langfristig viele, die derzeit den ÖPNV aus Gründen der Bequemlichkeit nutzen – Lesen während der Fahrt, keine Parkplatzsuche usw. –, den ÖPNV verlassen. Weniger Fahrgäste führen aber zu einem teureren und weniger attraktiven ÖPNV für diejenigen, die ihn brauchen, und insgesamt zu weniger Fahrzeugen im ÖPNV und auch zu weniger Arbeitsplätzen.

Besser wäre ein attraktiverer ÖPNV mit mehr Fahrgästen, höherer Taktung, mehr Abdeckung und mehr Fahrzeugen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schwerd?

Oliver Bayer (PIRATEN): Aber sehr gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist prima. Danke.

Daniel Schwerd (fraktionslos): Herzlichen Dank, dass du die Frage zulässt. – Ich frage mich, warum

(Zuruf von der SPD: Das fragen sich viele!)

ihr im Antrag nicht einfach zehn Autos gefordert habt. Bei dieser Zahl würde man sagen, dass es sich um einen Versuch handelt. Das kann man ausprobieren. Über diese Summe kann man reden. Damit kann man Erfahrungen gewinnen.

(Bernhard von Grünberg [SPD]: Die haben sich vertippt! – Zuruf von der SPD: Was ist denn? 25.000!)

Warum mussten es denn direkt 100.000 sein? Das ist eine absurd hohe Zahl.

Oliver Bayer (PIRATEN): Zehn Autos würde man wahrscheinlich bekommen, wenn man irgendwo kleine Pilotprojekte macht. Dann gibt es zehn Autos bzw. zehn Fahrzeuge, die eingesetzt werden. Sie sind wahrscheinlich keine autonom fahrenden Fahrzeuge, die man von der Stange kauft. Schließlich sollen sie den ÖPNV unterstützen.

Zehn Autos sind aber doch keine Größe, mit der die Automobilindustrie arbeiten kann. Bei zehn Autos sind die Entwicklungskosten sehr hoch. Die Einführung von autonomen Fahrzeugen im ÖPNV, die wir haben wollen, wäre dann eine völlig unbezahlbare und völlig unrealistische Utopie. Damit kann man nicht arbeiten. Wir brauchen eine bezahlbare Vision von autonomen Fahrzeugen im ÖPNV.

Dafür brauchen wir eine extrem hohe Stückzahl von Fahrzeugen, die ja nicht sofort von der Landesregierung oder vom Land bezahlt werden müssen. Sie müssen auch nicht bar bezahlt werden. Diese hohe Stückzahl soll aber insgesamt bis 2035 oder bis 2040 in Aussicht gestellt werden.

100.000 Fahrzeuge für den ÖPNV müssen eine Vision sein. Ein entsprechendes Konzept muss entwickelt und vorgestellt werden. Dann wird die Automobilindustrie nicht wie derzeit Individualverkehr fördern und autonome Fahrzeuge für den Individualverkehr entwickeln, sondern sie wird umschwenken und sagen: Da ist ein Markt für 100.000 Fahrzeuge. Wir entwickeln autonome Fahrzeuge, die den ÖPNV unterstützen.

Wenn wir hier nur von zehn Fahrzeugen reden und auf der anderen Seite einen Markt für 40.000 Fahrzeuge – das ist auch wenig – im Individualverkehr haben: Was meinen Sie, wohin die Entwicklungskosten dann fließen? Dann muss nachher das Land NRW, wenn es etwas in dieser Richtung tun will und noch etwas in Bezug auf autonomes Fahren für den ÖPNV erreichen will, selbst für die Entwicklungskosten aufkommen. Dann müssen plötzlich irgendwelche Fördermittel dafür zur Verfügung gestellt, dass autonom fahrende Fahrzeuge auch für den ÖPNV entwickelt werden.

Und dann wird es richtig teuer – ganz davon abgesehen, dass dann der Zug abgefahren ist und wir in einer Welt leben werden, in der autonome Fahrzeuge, wie gerade erwähnt, die Straßen verstopfen, weil sie eben nicht in den ÖPNV integriert sind.

Deshalb haben wir in unserem Antrag bewusst die hohe Stückzahl gewählt. Sie ist uns nicht nach dem Motto passiert: Da haben wir ein paar Nullen drangehängt.

Wir brauchen autonom fahrende Fahrzeuge für den ÖPNV – für mehr Abdeckung und als Zubringer für die bisherigen Linien. Genau das können autonome Fahrzeuge im ÖPNV möglich machen – zur Verdichtung und zur Ausweitung des Netzes. Fahrzeuge mit ein bis zwei Fahrgästen will doch derzeit niemand im ÖPNV fahren lassen. Da sagt ja jeder Politiker: Das können wir nicht machen. Da sitzen doch nur ein bis zwei Fahrgäste drin. Wer soll das bezahlen? Insbesondere im ländlichen Raum rechnet sich das nicht.

Mit kleinen autonomen Gefäßen wäre das kein Problem, selbst wenn sie in den ersten Jahren nur langsam unterwegs wären. Auch kann man auf bestehenden ÖPNV-Linien mit festen Linienwegen autonomes Fahren viel besser erproben als im Individualverkehr.

Aber das passiert nicht. Solche Sachen werden von der Automobilindustrie überhaupt nicht angedacht.

Die Chance für den ÖPNV muss ergriffen werden, damit der ÖPNV zukunftsfähig bleibt. Mit entsprechend großen geplanten Stückzahlen innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre müssen die Hersteller zu entsprechenden Investitionen angetrieben werden. Damit der ÖPNV und damit die Mobilität für alle nicht verschwinden und wir keinen Verkehrsinfarkt erleiden, muss die Politik es dem ÖPNV ermöglichen, seine Vorteile zu nutzen und unmittelbar mit hohem Ressourceneinsatz in die Zukunft zu investieren.

(Zuruf von der CDU: Die Rede muss auch einmal zu Ende sein!)

Wir sind nicht zu früh dran. Mit Blick auf den Nahverkehrsplan, der die nächsten zehn bis 15 Jahren abdecken soll, sage ich: In dieser Zeit kann jede Menge passieren. In dieser Zeit kann nicht nur viel passieren, sondern in dieser Zeit wird auch viel passieren. Wollen Sie davon überrascht werden, wie viele autonom fahrende Fahrzeuge bis 2035 plötzlich außerhalb des ÖPNV das Verkehrssystem umkrempeln werden?

Ich würde darauf wetten, dass wir 2035 auch 100.000 Fahrzeuge sehen werden. Die Frage ist nur: Wo?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Was ist mit der Redezeit?)

Dass die Landesregierung das nicht sieht, dass Sie das nicht sehen, wissen wir.

(Jochen Ott [SPD]: Redezeit!)

Bei der Landesregierung hieß es 2015: Die NRW-Ministerien für Verkehr, Wirtschaft und Wissenschaft gründen zusammen eine Arbeitsgruppe für automatisiertes Fahren. – Wir haben im Verkehrsausschuss gefragt, was aus dieser Arbeitsgruppe geworden ist. Fazit: nichts, gar nichts.

(Michael Hübner [SPD]: Wir haben noch etwas!)

Es hieß nicht einmal: Wir fördern da etwas.

Nicht einmal zum regelmäßigen Kaffeetrinken trifft man sich dort. Es gibt diese Arbeitsgruppe nicht. Die Landesregierung hat da kein Konzept und auch keinen Plan. Ich habe heute gesehen: Sie auch nicht. Sie versuchen das schnell abzuhandeln; nach dem Motto: Ach, komm; in der nächsten Legislaturperiode können wir uns noch mal damit beschäftigen.

Schöne Worte und ein paar Reaktionen auf Delphi und auf Bundesprogramme helfen da nicht weiter. Dabei gibt es wichtige Fragen, die auch im Interesse der Akteure und Unternehmen in der Nahverkehrsbranche sowie der Beschäftigten, des Fahrpersonals, beantwortet werden müssen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege Bayer, jetzt sind Sie am Ende Ihrer Redezeit angekommen und kommen bitte zum Schluss.

(Beifall von der CDU und der SPD)

Oliver Bayer (PIRATEN): Ich komme zum Schluss. – Das mit dem Fahrpersonal beantworte ich dann so.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Was ist mit der Zwischenfrage? Hier gibt es eine Zwischenfrage!)

Aber zum Schluss Bild Nummer vier: 100 Menschen in acht flexibel eingesetzten und ins Nahverkehrssystem integrierten autonom fahrenden Fahrzeugen und ein attraktiver Linienbus. – Vielen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bayer. – Weitere Debattenbeiträge sind nicht angemeldet.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Entschuldigung! Wir haben doch noch eine Zwischenfrage!)

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in Drucksache 16/14042, den Antrag Drucksache 16/13028 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag selbst, nicht über die Beschlussempfehlung. Wer stimmt dem Antrag selbst zu?

(Zurufe von der SPD: Melden! – Zuruf von den Piraten: Wir stimmen zu! – Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Fraktion der Piraten stimmt zu. Wer stimmt gegen den Antrag? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Eine kurze Bemerkung zum Thema Zwischenfragen: Es gibt kein Bundesgrundrecht darauf, sondern hier oben wird dann entschieden, ob Zwischenfragen zugelassen werden, wenn die Redezeit läuft. Wenn die Redezeit abgelaufen ist, lasse ich in der Regel keine Zwischenfragen mehr zu. Das ist auch einhellige Meinung.

(Beifall von der SPD – Zuruf von der SPD: Sehr gut! – Daniel Düngel [PIRATEN]: Seit über einer Minute hatten wir sie angemeldet!)

– Der Kollege war aber noch mitten im Wort und hat in einem Zug durchgesprochen. Da wären Sie auch nicht dazwischengegangen. Das wäre Ihrem sprechenden Kollegen gegenüber unverschämt gewesen.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Widdewiddewitt und drei macht neune!)

Ich werde mich mit Ihnen auf keine Diskussion einlassen, Herr Schmalenbach. Sie sollten sich in der Art, wie Sie über das Parlament sprechen, ohnehin ein bisschen zurückhalten. In diesem Sinne lassen wir es einfach dabei. Sonst erzähle ich nämlich noch Dinge, die ich gar nicht erzählen wollte.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Wir kommen zu:

15 Eigentumsförderung stärken – mehr Fairness bei der Förderung von Wohneigentum für Familien

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/14397

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Behandlung dieses Antrags auf die Plenartage im April zu verschieben. Gibt es dagegen Widerspruch? – Nein. Dann verfahren wir so.

Nun komme ich zu:

16 Bus und Bahn fahrscheinfrei – Modellprojekt zum Bürgerticket durchführen!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14383

Auch hier haben sich die Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, die Beratung und die direkte Abstimmung über diesen Antrag in das April-Plenum zu verschieben. Damit sind wir, wenn es keinen Widerspruch gibt – einen solchen sehe ich nicht –, auch am Ende dieses Tagesordnungspunktes.

Ich rufe auf:

17 Open-Data eröffnet neue Wege im Öffentlichen Nahverkehr: Die sofortige Freigabe von Live-Fahrplandaten und Mobilitätsinformationen erspart uns viel Lebens- und Wartezeit

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/14386

Das ist ein weiser Titel.

Dann wollen wir einmal hören, ob es dazu auch etwas zu sagen gibt. Davon gehe ich aus. Es spricht für die Piratenfraktion Herr Kollege Bayer. Sie haben das Wort. Bitte schön.

(Unruhe bei der CDU – Gegenruf von den PIRATEN: Jetzt konzentrieren wir uns noch einmal auf den Tagesordnungspunkt!)

Oliver Bayer (PIRATEN): Diesmal will ich Sie auch nicht verwirren.

(Unruhe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Bayer, bitte.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass Sie sich drauf freuen. Ich freue mich auch, verehrte App-User. Am Ende meiner Rede werde ich ein Fazit für einen Neustart für Open Data gezogen haben. Zu Beginn ziehe ich ein Fazit zu Open.NRW, dem rot-grünen Vorzeigeprojekt.

Nach nur vier Jahren stehen Sie noch immer auf der Startlinie und kommen nicht vorwärts. Open.NRW braucht einen Neustart, insbesondere was meinen bzw. unseren Fachbereich „Verkehr und Nahverkehr“ angeht. Dabei ist in der Praxis viel passiert – auch wenn dies im Verkehrsministerium leider völlig unbekannt ist. Der Verkehrsminister ist auch nicht mehr da bzw. zumindest jetzt nicht hier.

Vielleicht kennen Sie die Ten Principles der Sunlight Foundation aus den USA. Gleich das erste dieser zehn Prinzipien besagt, dass „Completeness“, also die Vollständigkeit von Datensätzen, fundamental wichtig ist. Der Minister muss verstehen, dass ihm keiner eine App programmiert, wenn nicht alle Daten komplett zur Verfügung stehen.

Ich habe mir die Datenbank von Open.NRW angesehen. Das Portal und speziell der Verkehrsbereich ist für Programmierer wie ein Süßigkeitenschrank, in dem nur einige Lutschpastillen aus der Apotheke liegen. Sonst ist er nämlich komplett leer.

Fazit: NRW braucht jetzt für den Nahverkehr vollständige Datensätze und endlich eine Komplettlösung.

Die ÖPNV-Branche neigt zum Kirchturmdenken. Das wissen wir. Flickenteppiche sind Realität. Während die Open-Data-Gemeinde aktiv Politik mitgestaltet, blockiert sich die Nahverkehrsbranche dadurch selbst.

Dabei ist es doch so: Ein Hackathon bringt konkretere Ergebnisse als jede Beirats- oder Gremiensitzung des VRR. Daher brauchen wir mehr Open Data als Innovationsgrundlage.

Herr Minister, was sollen Programmierer- und Entwicklerinnen mit unvollständigen Datensätzen machen? Was sollen sie tun, wenn sie vor diesem Flickenteppich stehen? Glauben Sie, dass Ihnen jemand eine App programmiert, wenn Sie nur die Verkehrsdaten rund um das Ministerium und die Staatskanzlei zur Verfügung stellen?

(Zuruf von der CDU)

Nein, so funktioniert Open Data nicht. Aber genau diese Situation haben wir bei Bus und Bahn. Es ist oft zu mühsam oder nahezu unmöglich, auf brauchbare NRW-Datensätze zurückzugreifen. Dabei sind Innovationen, die daraus entstehen können, extrem vielfältig. Das sollten Sie sich anhören.

Es geht um Infos in den Händen der Fahrgäste, die genutzt werden für bessere Routen, flexibleres Reagieren auf Störungen im Betriebsablauf oder auch nur bei defekten Aufzügen, vor allem mit Blick auf die Barrierefreiheit.

Ohne Freigabe der Daten rauben Sie vielen Familien wertvolle Familienzeit, Zeit mit den Kindern. Und ja, ich hätte heute Morgen mehr Zeit mit meiner Fraktion verbringen können, wenn jetzt Öffi, Quixxit, Moovel oder die Rheinbahn-App bessere Live-Daten gehabt oder diese besser verwertet hätten.

Also: Alle Daten müssen frei sein, damit auch alle profitieren können. Die eine NRW-App wird es nicht geben. Es wird auch keine drei Apps oder so etwas geben, die das dann alles erfüllen.

Open Data heißt, Daten zu teilen und gemeinsam zu nutzen, damit der Nutzen für alle steigt. Deswegen müssen die Daten endlich offen, frei, digital und in Echtzeit zur Verfügung stehen.

Lassen Sie sie zur Verfügung stellen. Es ist nett, Standorte von Busparkplätzen der Stadt Bonn abzurufen oder die Informationen über Park-and-ride-Anlagen in Wuppertal für eine App nutzen zu können. Wenn Sie der Fahrzeugbestand in Kleve interessiert: Bitte sehr, das haben wir auch. Aber die interessanten Daten, die App-Entwickler wirklich interessieren, die stehen nicht im Open.NRW-Portal, schon gar nicht unter freier Lizenz.

Im Straßenverkehr oder bei Geobasisdaten funktioniert das. Es funktioniert anderswo. Wenn die Prozesse stimmen, dann laufen die Daten ein. Auch deshalb haben wir heute ein eigenes Open-Data-Gesetz in den Landtag eingebracht. Bis dahin drängen wir Piraten auf eine sofortige und verbindliche Regelung zwischen den Verkehrsbetrieben und dem Ministerium. Denn es besteht keine Holschuld der Programmierer, Start-Up-Unternehmer oder Bürger, sondern eine Bringschuld der Verwaltung. Diese muss auch für Bus und Bahn gelten.

Ein Minister, der sich häufiger in der Legislaturperiode mit Finanz- und Versicherungsvertretern zur Einführung der Maut trifft als mit Open-Data-Initiativen, ist hier auf unsere Unterstützung angewiesen. Diese neue demokratische Form einer jungen digital-begeisterten Politik mit Gestaltung von unten braucht einen besseren Startschuss als den, den Sie bisher abgegeben haben.

Offene Daten tun ja niemandem weh, und es handelt sich um eine kostenneutrale Lösung. Ich wiederhole das noch einmal in diese Richtung: kostenneutrale Lösung mit hohem Ertrag. Stimmen Sie daher für unseren Antrag für Open-Data, gern auch ich Echtzeit. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Jetzt spricht für die SPD-Fraktion Herr Löcker.

Carsten Löcker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten! Liebe Zuschauer im Stream, wahrscheinlich noch zahlreich versammelt! Ich will es zu der späten Stunde kurz und knapp halten. Respekt für Ihre sicher gute Analyse. Es gibt schlechte und ungenügende Standards zugunsten der Fahrgäste. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel.

Kommen wir zu Ihren Vorschlägen, mit denen wir uns natürlich intensiv beschäftigt haben. Sie fordern, entsprechende rechtlich mögliche Wege auszuschöpfen, Anbieter zu verpflichten, Ist-Informationen kostenfrei uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Da kann man sagen: Richtig, daran machen wir einen Haken. Sie fordern auch, finanzielle Förderung des ÖPNV durch das Land stets an die Bedingung zu knüpfen, dass die Unternehmen die Ist-Informationen auch nutzen. Auch daran machen wir einen Haken.

Was bleibt? Wir danken Ihnen für die Beschreibung der notwendigen Maßnahmen. Allerdings sehen wir heute keine Notwendigkeit, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. In diesem Sinne heute Abend Ablehnung;

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Immer schön langsam vorwärts!)

wir brauchen zunächst eine vernünftige Debatte über die Ziele. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Löcker. – Jetzt werden wir hören, wie die CDU-Fraktion die Sache einschätzt. Der Redner ist Herr Rehbaum.

Henning Rehbaum (CDU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wenn man die Reden von Herrn Bayer so hört – da sieht man, wozu ein Friseurwechsel so führt.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Der standardisierte und flächendeckende Austausch von Mobilitätsdaten im ÖPNV ist ein bedeutendes Anliegen. Das bestätigen wir.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Wer im Glashaus sitzt! Ist schon schwer!)

Eine zuverlässige perfekte Reisekette, Echtzeitinformationen für den Fahrgast sind wichtig, damit die Fahrt mit Bus und Bahn attraktiv wird und zum Umsteigen verleitet.

Für uns als CDU ist aber ganz wichtig, dass es sich hier nur um Fahrplandaten und Ist-Betriebsdaten handelt. Wir wollen nicht, dass Fahrgastzahlen veröffentlicht werden. Denn damit könnte man die Ertragskraft von Linien ausrechnen. Das sind Geschäftsgeheimnisse; die gehören nicht in die Öffentlichkeit.

Was wir auch nicht möchten, ist die Veröffentlichung von historischen Daten, weil wir uns überhaupt nicht vorstellen können, warum man das machen sollte. Das Entscheidende ist der Service für den Fahrgast im Hier und Jetzt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rehbaum. – Für die grüne Fraktion spricht Frau Dr. Beisheim.

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es auch ganz kurz machen.

(Zuruf: Warum?)

Ich hatte schon etwas Bedenken, Herr Bayer. Als Chemikerin kann ich Ihnen nur sagen, Sie sollten sich vielleicht auch einmal mit Nebenwirkungen von Färbemitteln beschäftigen.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und Marc Herter [SPD])

Aber nichtsdestotrotz: Der Antrag der Piraten ist weder inhaltlich notwendig noch rechtssicher umzusetzen. Daher ist das im Ergebnis nur abzulehnen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Alkoholmissbrauch ist auch eine eigenartige Krankheit!)

Ich denke mir, dass wir genau bei diesem Thema in Nordrhein-Westfalen wichtige Weichenstellungen durchgeführt haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion Herr Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich an die Debatte zum letzten Tagesordnungspunkt und an die Debatte jetzt gerade denke, gibt es Momente, wo ich mir Sorgen um dieses Hohe Haus mache.

Aber ich komme zum Antrag. Natürlich müssen Fahrgäste besser informiert werden. Das ist klar, da müssen wir die richtigen Wege finden.

Der Vorschlag der Piraten ist nicht praxistauglich, weil er rechtlich nicht umsetzbar ist. Deswegen lehnen wir den Antrag ab. – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rasche. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Das Ziel des Antrags ist selbstverständlich und evident. Wir brauchen so schnell wie möglich umfassende Echtzeitinformationen, weil die Informationsdefizite im Verkehrsbereich eklatant und offenbar sind. Es ist die Achillesverse vieler Verkehrssysteme, dass die Informationsgeschwindigkeit und Komplexität des Angebotes die Nachfrage bei Weitem nicht befriedigen kann. Kunden sind oft ratlos. Deshalb ist das eine Baustelle, die aufgeräumt werden muss.

Wir haben vorhandene Strukturen, an denen weitergearbeitet werden muss. Diese sind zum Teil auf die Verbünde verlagert. Der VRR hat da eine dominante Rolle. Wir gehen davon aus, dass wir noch in diesem Jahr eine Open-Data-Plattform freischalten können.

Die ZKS arbeitet daran, eine Infrastrukturanalyse vorzunehmen, damit nicht nur Fahrplaninformationen weitergegeben werden können, sondern auch der Zustand beispielsweise der Barrierefreiheit zeitnah überprüft werden kann. Das heißt, Schadensmeldungen von Aufzügen, Rolltreppen und ähnlichen barriereüberwindenden Systemen müssen viel schneller und komplexer verfügbar sein. Das ist auch ein Selbstverständnis, was Menschen haben, die in einer digitalisierenden Welt aufwachsen. Da kommen die offiziellen Informationssysteme längst nicht immer zeitnah hinterher.

Geschäftsgeheimnisse zu wahren, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber ich glaube, das muss bei dieser Diskussion nicht im Vordergrund stehen.

Es wird eine Daueraufgabe bleiben. Das jetzt so zu bescheiden, ist – ohne anmaßend zu werden – überflüssig. Aber das Thema wird uns weiterhin beschäftigen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Inhalt des Antrags der Piraten Drucksache 16/14386 zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schwerd, fraktionslos. Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und FDP stimmen dagegen. Wer enthält sich? – Es enthält sich die CDU-Fraktion. Damit ist der Antrag gleichwohl mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung.

Das Plenum berufe ich wieder ein für morgen, Freitag, den 17. März 2017, 10 Uhr.

Allen einen guten Abend!

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 20:38 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage

Namentliche Abstimmung zu TOP 6 – Studiengebühren bleiben abgeschafft – Studierende und ihre Familien haben klare Aussagen verdient – Drucksache 16/14392

 


Lfd.
Nr.


Name des Abgeordneten


Fraktion

Abstimmung


ja


nein

Stimm-
enthaltung

1

 Herr Abel

GRÜNE

X

 

 

2

 Herr Alda

FDP

 

X

 

3

 Frau Altenkamp

SPD

X

 

 

4

 Frau Andres

SPD

X

 

 

5

 Frau Asch

GRÜNE

X

 

 

6

 Herr Bas

GRÜNE

X

 

 

7

 Herr Bayer

PIRATEN

X

 

 

8

 Herr Becker, Andreas

SPD

X

 

 

9

 Herr Becker, Horst

GRÜNE

X

 

 

10

 Frau Beer

GRÜNE

X

 

 

11

 Frau Dr. Beisheim

GRÜNE

X

 

 

12

 Herr Bell

SPD

X

 

 

13

 Frau Benninghaus

SPD

X

 

 

14

 Herr van den Berg

SPD

X

 

 

15

 Herr Dr. Berger

CDU

 

X

 

16

 Herr Berghahn

SPD

X

 

 

17

 Herr Dr. Bergmann

CDU

 

X

 

18

 Herr Beu

GRÜNE

entschuldigt

19

 Herr Bialas

SPD

X

 

 

20

 Herr Biesenbach

CDU

 

X

 

21

 Frau Birkhahn

CDU

entschuldigt

22

 Herr Bischoff

SPD

X

 

 

23

 Frau Blask

SPD

X

 

 

24

 Herr Börner

SPD

X

 

 

25

 Herr Börschel

SPD

X

 

 

26

 Freifrau von Boeselager

CDU

 

X

 

27

 Herr Bolte

GRÜNE

X

 

 

28

 Herr Bombis

FDP

 

X

 

29

 Herr Prof. Dr. Bovermann

SPD

X

 

 

30

 Frau Brand

PIRATEN

X

 

 

31

 Frau Brems

GRÜNE

X

 

 

32

 Herr Brockes

FDP

 

X

 

33

 Frau Dr. Bunse

CDU

 

X

 

34

 Herr Burkert

CDU

 

X

 

35

 Herr Busen

FDP

 

X

 

36

 Herr Dahm

SPD

X

 

 

37

 Herr Deppe

CDU

 

X

 

38

 Frau van Dinther

CDU

 

X

 

39

 Frau Dmoch-Schweren

SPD

X

 

 

40

 Frau Doppmeier

CDU

entschuldigt

41

 Herr Dudas

SPD

X

 

 

42

 Frau Düker

GRÜNE

X

 

 

43

 Herr Düngel

PIRATEN

X

 

 

44

 Herr Ellerbrock

FDP

 

X

 

45

 Herr Engstfeld

GRÜNE

X

 

 

46

 Frau Fasse

CDU

 

X

 

47

 Herr Fehring

CDU

 

X

 

48

 Herr Feuß

SPD

X

 

 

49

 Herr Fortmeier

SPD

X

 

 

50

 Frau Freimuth

FDP

 

X

 

51

 Herr Fricke

PIRATEN

X

 

 

52

 Herr Ganzke

SPD

X

 

 

53

 Herr Garbrecht

SPD

X

 

 

54

 Herr Gatter

SPD

X

 

 

55

 Frau Gebauer

FDP

 

X

 

56

 Frau Gebhard

SPD

X

 

 

57

 Herr Geyer

SPD

X

 

 

58

 Frau Gödecke

SPD

X

 

 

59

 Herr Goldmann

GRÜNE

entschuldigt

60

 Herr Golland

CDU

 

X

 

61

 Frau Grochowiak-Schmieding

GRÜNE

X

 

 

62

 Herr Große Brömer

SPD

entschuldigt

63

 Herr von Grünberg

SPD

X

 

 

64

 Herr Grunendahl

CDU

entschuldigt

65

 Frau Güler

CDU

 

X

 

66

 Herr Haardt

CDU

 

X

 

67

 Herr Dr. Hachen

CDU

 

X

 

68

 Frau Hack

SPD

X

 

 

69

 Herr Hafke

FDP

 

X

 

70

 Frau Hammelrath, Gabriele

SPD

abwesend

71

 Frau Hammelrath, Helene

SPD

X

 

 

72

 Frau Hanses

GRÜNE

X

 

 

73

 Herr Hausmann

CDU

 

X

 

74

 Herr Hegemann

CDU

 

X

 

75

 Herr Heinrichs

SPD

X

 

 

76

 Frau Hendricks

SPD

X

 

 

77

 Herr Hendriks

CDU

 

X

 

78

 Herr Herrmann

PIRATEN

X

 

 

79

 Herr Herter

SPD

X

 

 

80

 Herr Hilser

SPD

X

 

 

81

 Herr Höne

FDP

abwesend

82

 Herr Hovenjürgen

CDU

 

X

 

83

 Frau Howe

SPD

X

 

 

84

 Herr Hübner

SPD

X

 

 

85

 Herr Jäger

SPD

X

 

 

86

 Herr Jahl

SPD

X

 

 

87

 Frau Jansen

SPD

X

 

 

88

 Herr Jörg

SPD

X

 

 

89

 Herr Jostmeier

CDU

 

X

 

90

 Herr Kämmerling

SPD

X

 

 

91

 Herr Kaiser

CDU

 

X

 

92

 Herr Kamieth

CDU

 

X

 

93

 Herr Dr. Kerbein

FDP

 

X

 

94

 Herr Kerkhoff

CDU

 

X

 

95

 Herr Kern, Nicolaus

PIRATEN

X

 

 

96

 Herr Kern, Walter

CDU

 

X

 

97

 Herr Keymis

GRÜNE

X

 

 

98

 Frau Kieninger

SPD

X

 

 

99

 Herr Klocke

GRÜNE

X

 

 

100

 Frau Klöpper

CDU

abwesend

101

 Herr Körfges

SPD

X

 

 

102

 Frau Kopp-Herr

SPD

X

 

 

103

 Frau Korte

CDU

 

X

 

104

 Frau Koschorreck

SPD

X

 

 

105

 Herr Kossiski

SPD

entschuldigt

106

 Frau Kraft

SPD

entschuldigt

107

 Herr Kramer

SPD

entschuldigt

108

 Herr Krick

SPD

X

 

 

109

 Herr Krückel

CDU

 

X

 

110

 Herr Krüger

GRÜNE

X

 

 

111

 Herr Kruse

CDU

entschuldigt

112

 Herr Kuper

CDU

 

X

 

113

 Herr Kutschaty

SPD

X

 

 

114

 Herr Lamla

PIRATEN

X

 

 

115

 Herr Laschet

CDU

 

X

 

116

 Herr Lienenkämper

CDU

 

X

 

117

 Herr Lindner

FDP

 

X

 

118

 Herr Löcker

SPD

X

 

 

119

 Herr Lohn

CDU

 

X

 

120

 Frau Lück

SPD

X

 

 

121

 Frau Lüders

SPD

X

 

 

122

 Herr Lürbke

FDP

 

X

 

123

 Frau Lux

SPD

X

 

 

124

 Frau Maaßen

GRÜNE

X

 

 

125

 Herr Dr. Maelzer

SPD

X

 

 

126

 Herr Markert

GRÜNE

X

 

 

127

 Herr Marquardt

SPD

X

 

 

128

 Herr Marsching

PIRATEN

abwesend

129

 Herr Meesters

SPD

X

 

 

130

 Frau Middendorf

CDU

 

X

 

131

 Frau Milz

CDU

 

X

 

132

 Herr Möbius

CDU

 

X

 

133

 Herr Moritz

CDU

 

X

 

134

 Herr Mostofizadeh

GRÜNE

X

 

 

135

 Herr Müller, Hans-Peter

SPD

X

 

 

136

 Herr Müller, Holger

CDU

 

X

 

137

 Frau Müller-Witt

SPD

X

 

 

138

 Herr Münchow

SPD

X

 

 

139

 Herr Münstermann

SPD

X

 

 

140

 Herr Nettekoven

CDU

 

X

 

141

 Herr Nettelstroth

CDU

 

X

 

142

 Herr Neumann

SPD

X

 

 

143

 Herr Nückel

FDP

 

X

 

144

 Herr Olejak

PIRATEN

X

 

 

145

 Herr Dr. Optendrenk

CDU

 

X

 

146

 Herr Ortgies

CDU

entschuldigt

147

 Herr Ott

SPD

X

 

 

148

 Herr Dr. Papke

FDP

entschuldigt

149

 Herr Dr. Paul, Joachim

PIRATEN

X

 

 

150

 Frau Paul, Josefine

GRÜNE

X

 

 

151

 Frau Philipp

SPD

X

 

 

152

 Frau Pieper

PIRATEN

X

 

 

153

 Herr Post

CDU

 

X

 

154

 Herr Preuß

CDU

 

X

 

155

 Frau Preuß-Buchholz

SPD

X

 

 

156

 Herr Priggen

GRÜNE

X

 

 

157

 Herr Rahe

SPD

X

 

 

158

 Herr Rasche

FDP

 

X

 

159

 Herr Rehbaum

CDU

 

X

 

160

 Herr Rickfelder

CDU

 

X

 

161

 Herr Römer

SPD

X

 

 

162

 Herr Rohwedder

PIRATEN

X

 

 

163

 Herr Rüße

GRÜNE

X

 

 

164

 Frau Ruhkemper

SPD

X

 

 

165

 Frau Rydlewski

PIRATEN

entschuldigt

166

 Frau Schäfer, Ute

SPD

X

 

 

167

 Frau Schäffer, Verena

GRÜNE

X

 

 

168

 Frau Scharrenbach

CDU

 

X

 

169

 Herr Schatz

PIRATEN

X

 

 

170

 Herr Scheffler

SPD

abwesend

171

 Herr Schemmer

CDU

abwesend

172

 Herr Schick

CDU

 

X

 

173

 Herr Schittges

CDU

abwesend

174

 Herr Schlömer

SPD

X

 

 

175

 Herr Schmalenbach

PIRATEN

X

 

 

176

 Herr Schmeltzer

SPD

entschuldigt

177

 Frau Schmitt-Promny

GRÜNE

X

 

 

178

 Herr Schmitz, Hendrik

CDU

entschuldigt

179

 Frau Schmitz, Ingola Stefanie

FDP

 

X

 

180

 Herr Schneider, Guntram

SPD

abwesend

181

 Herr Schneider, René

SPD

X

 

 

182

 Frau Schneider, Susanne

FDP

 

X

 

183

 Herr Schultheis

SPD

X

 

 

184

 Herr Schulz

fraktionslos

entschuldigt

185

 Frau Schulze

SPD

X

 

 

186

 Frau Schulze Föcking

CDU

 

X

 

187

 Herr Schwerd

fraktionslos

X

 

 

188

 Herr Seel

CDU

 

X

 

189

 Frau Dr. Seidl

GRÜNE

X

 

 

190

 Herr Sieveke

CDU

 

X

 

191

 Herr Solf

CDU

 

X

 

192

 Herr Sommer

PIRATEN

X

 

 

193

 Frau Spanier-Oppermann

SPD

X

 

 

194

 Herr Spiecker

CDU

 

X

 

195

 Herr Dr. Stamp

FDP

 

X

 

196

 Herr Stein

CDU

 

X

 

197

 Frau Steininger-Bludau

SPD

entschuldigt

198

 Frau Steinmann

SPD

entschuldigt

199

 Herr Prof. Dr.Dr. Sternberg

CDU

 

X

 

200

 Herr Stinka

SPD

X

 

 

201

 Herr Stotko

SPD

X

 

 

202

 Frau Stotz

SPD

X

 

 

203

 Herr Stüttgen

fraktionslos

X

 

 

204

 Herr Sundermann

SPD

X

 

 

205

 Herr Tenhumberg

CDU

 

X

 

206

 Herr Terhaag

FDP

 

X

 

207

 Herr Thiel

SPD

abwesend

208

 Frau Thönnissen

CDU

entschuldigt

209

 Frau Tillmann

SPD

X

 

 

210

 Herr Töns

SPD

X

 

 

211

 Herr Tüttenberg

SPD

X

 

 

212

 Herr Ünal

GRÜNE

X

 

 

213

 Herr Uhlenberg

CDU

 

X

 

214

 Frau Velte

GRÜNE

X

 

 

215

 Herr Vogt, Alexander

SPD

X

 

 

216

 Frau Vogt, Petra

CDU

 

X

 

217

 Frau Voigt-Küppers

SPD

X

 

 

218

 Frau Voßeler

CDU

 

X

 

219

 Herr Voussem

CDU

 

X

 

220

 Frau Wagener

SPD

X

 

 

221

 Frau Warden

SPD

X

 

 

222

 Frau Watermann-Krass

SPD

X

 

 

223

 Herr Weckmann

SPD

X

 

 

224

 Herr Wedel

FDP

 

X

 

225

 Herr Wegner

PIRATEN

X

 

 

226

 Herr Weiß

SPD

X

 

 

227

 Herr Weske

SPD

X

 

 

228

 Herr Wirtz, Axel

CDU

 

X

 

229

 Herr Wirtz, Josef

CDU

 

X

 

230

 Herr Witzel

FDP

 

X

 

231

 Herr Dr. Wolf, Ingo

FDP

abwesend

232

 Herr Wolf, Sven

SPD

X

 

 

233

 Herr Wüst

CDU

 

X

 

234

 Herr Yetim

SPD

X

 

 

235

 Herr Yüksel

SPD

X

 

 

236

 Frau Zentis

GRÜNE

X

 

 

237

 Herr Zimkeit

SPD

X

 

 

 

Ergebnis

 

132

77

0