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Landtag

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Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/126

16. Wahlperiode

09.11.2016

 

126. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 9. November 2016

Mitteilungen des Ersten Vizepräsidenten. 13029

Vor Eintritt in die Tagesordnung. 13029

Änderung der Tagesordnung. 13029

1   Gedenken an die Opfer des 9. November 1938 ist Mahnung für die Zukunft!

Resolution
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP,
der Fraktion der PIRATEN,
des Abgeordneten Schulz (fraktionslos),
des Abgeordneten Schwerd (fraktionslos) und
des Abgeordneten Stüttgen (fraktionslos)
Drucksache 16/13405 – Neudruck. 13029

Ergebnis. 13030

2   Ergebnisse der Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Kein Blankoscheck für eine ‚Infrastrukturgesellschaft Verkehr‘ – NRW muss drohender Privatisierung der Autobahnen jetzt einen Riegel vorschieben!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13304

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13408

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13411 – Neudruck. 13030

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 13030

Armin Laschet (CDU) 13034

Stefan Zimkeit (SPD) 13036

Ralf Witzel (FDP) 13037

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 13039

Nicolaus Kern (PIRATEN) 13041

Dietmar Schulz (fraktionslos) 13043

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 13044

Dr. Marcus Optendrenk (CDU) 13047

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 13049

Andreas Becker (SPD) 13050

Christof Rasche (FDP) 13051

Arndt Klocke (GRÜNE) 13052

Oliver Bayer (PIRATEN) 13054

Minister Michael Groschek. 13055

Nicolaus Kern (PIRATEN) 13057

Ergebnis. 13057

3   Schluss mit der Schönrechnerei – Landesregierung muss endlich die Zielmarke von 3000 geförderten Familienzentren erfüllen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13306. 13058

Bernhard Tenhumberg (CDU) 13058

Britta Altenkamp (SPD) 13059

Andrea Asch (GRÜNE) 13059

Marcel Hafke (FDP) 13061

Daniel Düngel (PIRATEN) 13062

Ministerin Christina Kampmann. 13063

Bernhard Tenhumberg (CDU) 13065

Ergebnis. 13065

4   Dienstrechtsreform darf nicht zu einer jahrelangen Beförderungsblockade führen – Landesregierung muss Kurskorrektur bei Frauenquote einleiten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13298. 13066

Ralf Witzel (FDP) 13066

Daniela Jansen (SPD) 13067

Werner Lohn (CDU) 13069

Josefine Paul (GRÜNE) 13070

Marc Olejak (PIRATEN) 13072

Ministerin Svenja Schulze. 13072

Ergebnis. 13074

5   Gesetz zum Schutz der Natur in Nordrhein-Westfalen und zur Änderung anderer Vorschriften (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11154 – Neudruck

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13410

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksachen 16/13323 und 16/13404

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13407

zweite Lesung. 13074

Manfred Krick (SPD) 13075

Rainer Deppe (CDU) 13076

Norwich Rüße (GRÜNE) 13078

Henning Höne (FDP) 13080

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 13082

Minister Johannes Remmel 13083

Norbert Meesters (SPD) 13086

Rainer Deppe (CDU) 13088

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN) 13088

Ergebnis. 13089

6   Praxissemester entlohnen und Lehrerausbildung optimieren

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13302. 13090

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 13090

Gabriele Hammelrath (SPD) 13091

Klaus Kaiser (CDU) 13092

Ali Bas (GRÜNE) 13093

Angela Freimuth (FDP) 13093

Ministerin Sylvia Löhrmann. 13094

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 13095

Ergebnis. 13096

7   Auskömmlichen Wohnraum schneller schaffen – Bearbeitungszeiten von Bauanträgen verkürzen – verlässliche Fristen einführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10295

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/13219 – Neudruck. 13096

Sarah Philipp (SPD) 13096

Wilhelm Hausmann (CDU) 13097

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE) 13098

Holger Ellerbrock (FDP) 13099

Oliver Bayer (PIRATEN) 13101

Minister Michael Groschek. 13101

Ergebnis. 13102

8   Gesundheit von Männern durch bessere Inanspruchnahme von Prostatakrebs-Früherkennung stärken

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13310. 13103

Susanne Schneider (FDP) 13103

Serdar Yüksel (SPD) 13104

Walter Kern (CDU) 13105

Arif Ünal (GRÜNE) 13105

Daniel Düngel (PIRATEN) 13107

Ministerin Barbara Steffens. 13107

Ergebnis. 13108

9   Gesetz zur Einführung einer dritten Stufe des Stärkungspaktes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12785

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Kommunalpolitik
Drucksache 16/13324

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13412

zweite Lesung. 13109

Christian Dahm (SPD) 13109

Ralf Nettelstroth (CDU) 13110

Mario Krüger (GRÜNE) 13111

Henning Höne (FDP) 13112

Torsten Sommer (PIRATEN) 13114

Ministerin Svenja Schulze. 13115

Ergebnis. 13115

10 Aufnahme und echter Schutz für syrische Flüchtlinge!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13303. 13115

Simone Brand (PIRATEN) 13115

Hans-Willi Körfges (SPD) 13116

Serap Güler (CDU) 13117

Monika Düker (GRÜNE) 13119

Dr. Joachim Stamp (FDP) 13120

Ministerin Svenja Schulze. 13121

Ergebnis. 13121

11 Beteiligung der WestLB an Cum-Ex-Geschäften umgehend lückenlos aufklären – Eigentümer Land muss zeitnah Offenlegung des umstrittenen angeblich entlastenden Prüfberichts von Ernst & Young vornehmen und sein Aufklärungshandeln darlegen

Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13390. 13121

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 16/13417. 13121

Ralf Witzel (FDP) 13122

Stefan Zimkeit (SPD) 13123

Christian Möbius (CDU) 13124

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 13125

Nicolaus Kern (PIRATEN) 13125

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 13127

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 13128

Ergebnis. 13128

12 Fragestunde

Drucksache 16/13330. 13128

Mündliche Anfrage 86

des Abgeordneten Andreas Terhaag (FDP)

Spielbanken in Nordrhein-Westfalen – Welche Maßnahmen hat der Finanzminister in Reaktion auf die Kritik des Landesrechnungshofs nun endlich eingeleitet?. 13128

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 13129

13 Für eine Erprobung von Distanzelektroimpulsgeräten (Taser) bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13309. 13132

Marc Lürbke (FDP) 13132

Andreas Kossiski (SPD) 13133

Gregor Golland (CDU) 13134

Verena Schäffer (GRÜNE) 13135

Dirk Schatz (PIRATEN) 13136

Ministerin Svenja Schulze. 13137

Ergebnis. 13137

14 Zweites Gesetz zur Änderung des Beitreibungserleichterungsgesetzes/ Kfz-Zulassung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12783

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/13325

zweite Lesung. 13137

Andreas Becker (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Klaus Voussem (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Arndt Klocke (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Christof Rasche (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Oliver Bayer (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Minister Michael Groschek
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 13137

Ergebnis. 13138

15 Erstes Gesetz zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12784

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/13326

zweite Lesung. 13138

Angela Lück (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 13138

Norbert Post (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 13138

Arif Ünal (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 13138

Susanne Schneider (FDP)
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 13138

Ministerin Barbara Steffens
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 13138

Ergebnis. 13138

16 Neuntes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/13260

erste Lesung. 13138

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll
(siehe Anlage 3)

Ergebnis. 13138

17 Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Freien Berufe in Nordrhein-Westfalen anerkennen und fördern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13307 – Neudruck. 13138

Ergebnis. 13138

18 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 2. Quartal des Haushaltsjahres 2016

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2 LV
Vorlage 16/4254

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/13082. 13138

Ergebnis. 13138

19 Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) – Liegenschaft in Siegburg

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß § 64 Absatz 2 LHO
Vorlage 16/4361

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/13327. 13139

Ergebnis. 13139

20 Organstreitverfahren der PIRATEN-Partei im Landtag Nordrhein-Westfalen gegen den Landtag Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit als politische Partei und auf Gleichheit der Wahl durch Einführung der 2,5-vom-Hundert-Sperrklausel für die Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten sowie den Kreistagen

VerfGH 11/16
Vorlage 16/4326

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/13213. 13139

Ergebnis. 13139

21 Nachwahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13328. 13139

Ergebnis. 13139

22 Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13329. 13139

Ergebnis. 13139

23 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 46
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/13331. 13140

Ergebnis. 13140

24 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/48. 13140

Ergebnis. 13140

Anlage 1. 13141

Zu TOP 14 – Zweites Gesetz zur Änderung des Beitreibungserleichterungsgesetzes/Kfz-Zulassung – zu Protokoll gegebene Reden

Andreas Becker (SPD) 13141

Klaus Voussem (CDU) 13141

Arndt Klocke (GRÜNE) 13141

Christof Rasche (FDP) 13141

Oliver Bayer (PIRATEN) 13142

Minister Michael Groschek. 13142

Anlage 2. 13143

Zu TOP 15 – Erstes Gesetz zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Lück (SPD) 13143

Norbert Post (CDU) 13143

Arif Ünal (GRÜNE) 13143

Susanne Schneider (FDP) 13144

Ministerin Barbara Steffens. 13145

Anlage 3. 13147

Zu TOP 16 – Neuntes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 13147

Entschuldigt waren:

Minister Garrelt Duin    
(bis 13 Uhr)

Minister Ralf Jäger

Minister Thomas Kutschaty

Minister Franz-Josef Lersch-Mense      
(bis 12 Uhr und ab 18 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann       
(ab 17:30 Uhr)

Minister Johannes Remmel      
(bis 13:30 Uhr)

Ministerin Barbara Steffens      
(bis 13 Uhr)

Brigitte Dmoch-Schweren (SPD)

Josef Neumann (SPD)

Guntram Schneider (SPD)

Eva Steininger-Bludau (SPD)

Tanja Wagener (SPD)   
(ab 15 Uhr)

Lothar Hegemann (CDU)

Theo Kruse (CDU)

Claudia Middendorf (CDU)       
(ab 15 Uhr)

Andrea Milz (CDU)

Ina Scharrenbach (CDU)           
(ab 16 Uhr)

Michael-Ezzo Solf (CDU)         
(bis 13 Uhr)

Axel Wirtz (CDU)

Sigrid Beer (GRÜNE)   
(ab 16 Uhr)

Matthi Bolte (GRÜNE)  
(ab 16:30 Uhr)

Stefan Engstfeld (GRÜNE)      
(bis 13 Uhr)

Manuela Grochowiak-Schmieding (GRÜNE)

Martina Maaßen (GRÜNE)        
(ab 18:30 Uhr)

Karin Schmitt-Promny (GRÜNE)
(bis 12:30 Uhr)

Arif Ünal (GRÜNE)       
(ab 18 Uhr)

Stefan Fricke (PIRATEN)

Michele Marsching (PIRATEN)

Birgit Rydlewski (PIRATEN)

Olaf Wegner (PIRATEN)

Daniel Schwerd (fraktionslos)   
(vormittags)

Gerd Stüttgen (fraktionslos)

 

 

Beginn: 10:03 Uhr

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, 126. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte auch, Platz zu nehmen. – Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen zwischenzeitlich darauf verständigt, die heutige Tagesordnung um den neuen Tagesordnungspunkt 1 „Gedenken an die Opfer des 9. November 1938 ist Mahnung für die Zukunft!“, Drucksache 16/13405 – Neudruck –, eine Resolution aller Mitglieder des Landtags, zu ergänzen. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend.

Des Weiteren haben die Fraktionen beschlossen, die für Freitag geplante Plenarsitzung entfallen zu lassen. Die dafür vorgesehenen Tagesordnungspunkte sollen wie folgt verlegt werden:

Der für Freitag geplante Tagesordnungspunkt 1 „Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und Kommunalpolitiker vor Übergriffen schützen!“, Drucksache 16/13308, ein Antrag der Fraktion der CDU, soll in einer Plenarsitzung im Dezember aufgerufen werden.

Der für Freitag geplante Tagesordnungspunkt 2 „Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung verbessern!“, Drucksache 16/13318, ein Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, soll in die Tagesordnung des morgigen Donnerstags als neuer Tagesordnungspunkt 17 aufgenommen werden.

Schließlich soll der für Freitag vorgesehene Tagesordnungspunkt 3 „Rasenmäher statt RasenmäherIn – unsere Sprache nicht verrenken!“, Drucksache 16/13311, ein Antrag der Fraktion der FDP, in die Tagesordnung des morgigen Donnerstags als neuer Tagesordnungspunkt 18 aufgenommen werden.

Ich sehe, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gegen diese Vorgehensweise gibt es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Gedenken an die Opfer des 9. November 1938 ist Mahnung für die Zukunft!

Resolution
der Fraktion der SPD,
der Fraktion der CDU,
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der Fraktion der FDP,
der Fraktion der PIRATEN,
des Abgeordneten Schulz (fraktionslos),
des Abgeordneten Schwerd (fraktionslos) und
des Abgeordneten Stüttgen (fraktionslos)
Drucksache 16/13405 – Neudruck

(Vizepräsident Eckhard Uhlenberg tritt ans Redepult.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zu Beginn dieser Plenarsitzung einige Worte zur Bedeutung des 9. November in Deutschland.

Der 9. November gehört in Deutschland zu den Tagen, an denen Freude und Leid, Jubel und Scham unmittelbar zusammentreffen. Wie unermesslich groß waren Glück und Freude, als am 9. November 1989 die Mauer fiel und die Menschen aus Ost und West sich nach Jahrzehnten schmerzlicher Trennung in die Arme fielen.

Ein halbes Jahrhundert zuvor markierte der 9. November 1938 hingegen einen Tiefpunkt im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Als Tag der Schande und als unerklärliche Verirrung eines Kulturvolkes in Mord und Lynchjustiz hat der Historiker Hans Mommsen den von den Nazis initiierten Massenpogrom treffend bezeichnet – eine Schande, die mit dem Boykott jüdischer Geschäfte 1933 ihren Anfang nahm. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der Juden zur systematischen Verfolgung, die bald darauf in den Holocaust mündete – mit sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die deutsche Bevölkerung auf die Probe gestellt. Die übergroße Mehrheit versagte kläglich. Sie alle hätten an diesem 9. November 1938 die Chance gehabt, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten und eine Rückkehr zu einem zivilisierten Miteinander von Juden und Nichtjuden in Deutschland zu ermöglichen. – Wie wir wissen, geschah genau das Gegenteil.

So hat der unvergessene Paul Spiegel, der deutsche Patriot mit westfälischen Wurzeln, an diesem Tag geschrieben:

Alle Erklärungsversuche sind unzulänglich, zumal der Terror unter den Augen der Öffentlichkeit stattfand. Vielleicht war es neben Vorurteilen, Ignoranz und Angst die provozierende Demonstration missbrauchter staatlicher Macht, die zu einem weitgehenden Totalausfall in der Gesellschaft führte. Wo Protest notwendig gewesen wäre, griffen Verstummen und Verschweigen Platz.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, der 9. November ist in unserer deutschen Geschichte Jahr für Jahr und auf Dauer ein Tag der Erinnerung. So findet heute Morgen parallel eine Kranzniederlegung am Gedenkstein der in der Pogromnacht zerstörten Synagoge und anschließend eine Gedenkstunde im Rathaus der Landeshauptstadt Düsseldorf statt, an der unsere Landtagspräsidentin teilnimmt.

Der 9. November ist als Gedenktag zugleich Mahnung für den kompromisslosen Eintritt für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie für ein mutiges Nein gegen jede Form von Antisemitismus, Willkür und Diskriminierung.

Ich bin den Fraktionen dankbar, dass sie sich auf die vorliegende gemeinsame Resolution verständigt haben. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall von allen Fraktionen – Vizepräsident Eckhard Uhlenberg begibt sich auf den Präsidentenplatz.)

Da keine Aussprache vorgesehen ist, kommen wir zur Abstimmung über den Inhalt der Resolution Drucksache 16/13405 – Neudruck. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Ich stelle fest, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Resolution Drucksache 16/13405Neudruck – einstimmig angenommen worden ist. Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Nun rufe ich auf:

2   Ergebnisse der Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen

Unterrichtung
durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Kein Blankoscheck für eine ‚Infrastrukturgesellschaft Verkehr‘ – NRW muss drohender Privatisierung der Autobahnen jetzt einen Riegel vorschieben!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13304

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13408

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13411 – Neudruck

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, zu den Ergebnissen der Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch die Frau Ministerpräsidentin. Hiermit erteile ich der Frau Ministerpräsidentin das Wort. Bitte schön.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Vielen Dank. – Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Worte zum 9. November.

Ich finde, wir können die Debatten heute nicht eröffnen, ohne ein Wort über das zu verlieren, was wir heute Nacht und heute Vormittag erleben durften, ohne also über den Ausgang der Wahl in den USA zu sprechen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass es für mich wie für viele andere in diesem Land ein Schock ist, dass ein solcher Hasswahlkampf erfolgreich war. Er hat ein zutiefst gespaltenes Land hervorgebracht. Es ist nun die Aufgabe des neuen Präsidenten, diese Spaltung zu überwinden, die Gräben wieder zuzuschütten. Man kann nur hoffen, dass dies gelingt.

Nach der Brexit-Entscheidung muss dies für uns die Warnung sein, eine solche von Schmutz und Wut geprägte Auseinandersetzung bei uns nicht zuzulassen. Zum politischen Wettstreit muss immer auch der Respekt vor der Meinung und auch vor der Person des anderen gehören. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

(Beifall von allen Fraktionen)

Was die Wahl für das deutsch-amerikanische, für das europäisch-amerikanische Verhältnis bedeuten wird, kann, glaube ich, niemand von uns absehen. Es ist – so habe ich es vorhin gesagt – meine große Sorge, dass der neue Präsident das zurzeit selbst nicht weiß, denn eine substanziell-inhaltliche Positionierung haben wir im Wahlkampf nicht vernehmen können. Wir haben keine Orientierung. Wir alle stellen uns die Frage, wie berechenbar die USA unter dem Präsidenten Trump noch sind, und das in Zeiten, in denen die politische Lage in der Welt unüberschaubarer, instabiler und auch gefährlicher ist.

Die Amerikaner haben eine demokratische Entscheidung getroffen. Das ist zu respektieren. Ich hoffe sehr – ich sage es noch einmal –, dass es gelingt, dieses extrem gespaltene Land zu einen. Es bleibt die Sorge, dass wir vor schwierigen Zeiten stehen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt schwer, die Brücke zu dem nun anstehenden Tagesordnungspunkt zu schlagen. Ich denke, es gibt eine Brücke, wenn wir darauf schauen, wie transparent eigentlich das Handeln von Politik ist, wie es uns gelingt, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Das war unter anderem ein wichtiger Diskussionspunkt im Rahmen der Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzen.

Wir waren immer der Überzeugung, dass unser Föderalismus mehr Transparenz braucht. Wir alle in der Politik müssen den Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbar erläutern können, was mit der hier erwirtschafteten Finanzkraft passiert. Das haben wir aus nordrhein-westfälischer Sicht erreicht.

Die Ausgangslage dafür – daran darf ich gerne erinnern – war nicht ganz einfach. Es ging um die Abschaffung des sogenannten Umsatzsteuervorwegausgleichs. Das war keine einfache Ausgangssituation. Nordrhein-Westfalen stand am Anfang gegen alle anderen Bundesländer und auch gegen den Bund. Es war ein beharrliches Insistieren erforderlich, damit es am Ende zu diesem für die Transparenz notwendigen Ergebnis kommt.

Ich kann heute sagen, dass wir unsere wesentlichen Ziele in den Verhandlungen erreicht haben. Das Erste war die Transparenz. Der Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form wird abgeschafft. Das ist ein großer Schritt zu mehr Transparenz im Finanzgeflecht von Bund und Ländern.

Das zweite wesentliche Ziel war es, mehr von dem zu behalten, was hier erwirtschaftet wird, und ich kann sagen: Ab 2020 stehen uns – und dieser Betrag wird dann dynamisch aufwachsen – im Vergleich zum alten System zunächst rund 1,4 Milliarden € mehr zur Verfügung, mehr Geld für wichtige Investitionen in Bildung, in Infrastruktur und andere wichtige Vorhaben in diesem Land. Darüber freue ich mich.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Diese Verhandlungen haben sich über knapp drei Jahre gezogen, und Ende letzten Jahres gab es dann eine Einigung der Länder untereinander. Dann gab es noch einmal einen ganz neuen Vorschlag vonseiten des Bundes. Es war also ein ständiges Hin und Her. Ich habe gar nicht gezählt, in wie vielen Verhandlungsrunden ich gesessen habe. Als die Länder sich geeinigt hatten, waren wir eigentlich der Auffassung: Jetzt sind wir so gut wie durch. – Dann hat der Bund allerdings noch einmal eine ganz neue Position auf den Tisch gelegt.

Letztendlich ist es uns aber jetzt in harten Sitzungen, auch Nachtsitzungen, gelungen, dass die Struktur des lange verhandelten und hart erarbeiteten Modells der Ministerpräsidentenkonferenz mit einem Startgesamtbetrag von 9,5 Milliarden € auch vom Bund akzeptiert worden ist.

Damit ist die bisher vom Bund geforderte Verrechnung von gut einer Milliarde € mit dem Umsatzsteuerfestbetrag für die Abfinanzierung des Fonds Deutsche Einheit vom Tisch. Die Gesamtauswirkungen und die horizontale Verteilung der Einigung entsprechen exakt dem sogenannten MPK-Modell, dem Modell der Ministerpräsidentenkonferenz.

Aber Verhandlungen werden nur zum Erfolg geführt – und das ist das Wesen einer parlamentarischen Demokratie –, wenn man Kompromisse macht. Es geschieht äußerst selten, und es ist häufig auch nicht sinnvoll, dass sich eine Seite zu hundert Prozent durchsetzt. Deshalb galt es auch, einen Kompromiss zu finden.

Ein Teil des Kompromisses drückt sich in der Frage aus: Inwieweit wird dieser Betrag, der 2020 sozusagen feststeht, dynamisch aufwachsen?

Wir haben einen Kompromiss gefunden. Es werden nicht 100 % dynamisiert, aber die übertragene Umsatzsteuer wird in einem Festbetrag von 2,6 Milliarden € festgelegt. Der dynamisierte Teil beträgt 1,42 Milliarden €. Das ist ein Kompromiss, mit dem auch Nordrhein-Westfalen am Ende leben kann.

Zudem legte der Bund kurz vor der letzten Verhandlungsrunde noch einen dicken Forderungskatalog auf den Tisch. Es waren am Ende rund 20 Forderungen, von denen – und das ist in solchen Verhandlungen häufig so – die meisten mit dem eigentlichen, engeren Länderfinanzausgleich im engeren Sinne nichts zu tun hatten. Es ging darum, an einigen Stellen noch einmal Kompromisse auszuloten.

Von diesen knapp 20 Punkten sind letztendlich sechs Punkte übrig geblieben. Es waren, gelinde gesagt, übertriebene Forderungen. Es gab auch die Vorstellung, das ganze Beschlussverhalten im Bundesrat oder das allgemeine Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Ländern zu ändern. Daraufhin habe ich gesagt, ich würde den Föderalismus nicht an der Tür abgeben. Diesen Vorschlag haben wir sofort vom Tisch genommen, und wir waren auch nicht ansatzweise bereit, darüber zu diskutieren.

Ich denke, wir können in diesem Land stolz auf unsere föderale Struktur sein. Diese gilt es zu bewahren, weil sie auch mit der Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zu tun hat.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir müssen aber bei den anstehenden Verhandlungen über die weitere Ausgestaltung – das sage ich vorab – auf der Hut sein, denn in manchen Punkten haben wir uns nur auf Grundsätze verständigt. Da steckt der Teufel zum Teil im Detail. Ich werde gleich auf einige dieser Punkte eingehen. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich darauf verlassen, dass wir in den Verhandlungen eine harte Position einnehmen werden, und zwar immer mit Blick auf die Frage: Was ist gut für dieses Land?

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu sprechen kommen. Den wichtigsten Punkt habe ich erwähnt, nämlich den Wegfall des Umsatzsteuervorwegausgleichs und der grundsätzlichen Verteilung nach Einwohnerzahlen. Dadurch wird von uns die geforderte Transparenz geschaffen. Das Ganze wird durch Zu- und Abschläge entsprechend der Finanzkraft der Länder modifiziert.

Dieser Punkt ist mir ganz wichtig; denn eine Abkehr vom alten System – das habe ich hier in diesem Hause von vornherein gesagt – darf nicht dazu führen, dass wir nicht mehr solidarisch mit den Ländern sind, denen es nicht so gut geht wie uns. Das haben wir am Ende auch durchgehalten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Im Ergebnis erfolgt ein Ausgleich der Finanzkraft künftig im Wesentlichen bereits im Rahmen der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer. Wäre uns nicht die substanzielle Verringerung des nordrhein-westfälischen Beitrags gelungen, bekäme NRW nach dem neuen System einen unterdurchschnittlichen Pro-Kopf-Anteil an der Umsatzsteuer. Auch das ist wichtig zu wissen.

Durch die Korrektur wird Nordrhein-Westfalen künftig gemäß seiner relativen durchschnittlichen Finanzkraft behandelt, erhält also in etwa einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Betrag von der Umsatzsteuer.

Andere Länder konnten bei den Verhandlungen andere Punkte, die ihnen wichtig waren, durchsetzen. Das ist so, denn wir wollen auch solidarisch sein. Ich nenne in diesem Zusammenhang die besondere Problematik beispielweise des Saarlandes und Bremens sowie die Interessen der Länder im Osten Deutschlands. Das ist alles in dem neuen System berücksichtigt.

Die Entflechtungsmittel nach dem Entflechtungsgesetz fallen zukünftig weg. Sie werden über die vertikale Umsatzsteuerverteilung vom Bund an die Länder gegeben. Und das Bundesprogramm GVFG, Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, wird dauerhaft fortgeführt. Das sind wichtige Punkte für Nordrhein-Westfalen, in denen wir Erfolge verbuchen können.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Mit der Umsetzung der beschriebenen Elemente im Rahmen einer Gesamteinigung werden die Länder in beträchtlichem Umfang finanziell entlastet. Dabei wird auch den Belangen der finanzschwachen Länder Rechnung getragen. Durch die Neuordnung steht kein Land finanziell schlechter da als ohne die Neuordnung.

Künftig soll der Stabilitätsrat auch die Einhaltung der Schuldenbremse durch Bund und Länder überwachen. Mit der Ausweitung der Zuständigkeiten wird der Stabilitätsrat auch mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet, die er für diese Aufgabenerfüllung braucht. Ich glaube, das macht auch Sinn.

Die Analyse erfolgt dabei – das war uns wichtig – anhand einer vergleichbaren Datenbasis. Wir dürfen nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern wir brauchen eine vergleichbare Datenbasis, die sich an europäischen Vorgaben und Verfahren orientiert, und das finde ich auch absolut in Ordnung.

Ich würde jetzt gern auf die weiteren sechs konkreten Punkte zurückkommen, auf die wir uns mit dem Bund im Folgenden noch geeinigt haben. Mit diesen Punkten können die Länder, wie gesagt, grundsätzlich leben, weil es sich um einen Kompromiss handelt.

Aber wir müssen bei den folgenden Gesprächen und Verhandlungen sehr auf die Details achten. Deshalb gibt es keinen Blankoscheck, sondern es sind klare Richtungen vereinbart, und es wird am Ende auch um die Frage gehen: Wer trägt welche finanziellen Lasten aus der beabsichtigten Veränderung? Ich komme auf diese Punkte zurück.

Das Erste, was hier, auch im Antrag der Piraten, eine Rolle gespielt hat, ist die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“. Hier geht es um eine Reform der Bundesauftragsverwaltung. Viele wissen gar nicht, dass wir in diesem Bereich nicht selbst tätig sind, sondern jetzt schon Bundesauftragsverwaltung sind, mit Fokus auf Bundesautobahnen und Übernahme in die Bundesverwaltung.

Da gibt es einen Klammerzusatz: Für übrige Bundesfernstraßen soll es ein Opt-out geben. Das ist ein Punkt, wie wir noch einmal genau schauen müssen: Was macht eigentlich Sinn, was macht keinen Sinn? Es soll eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft eingesetzt werden. Jetzt kommt der für mich wichtige Satz: Gleichzeitig wird das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das heißt: Schluss mit der Privatisierung. Jeder, der sich das vorgenommen hat, weiß: Es wird grundgesetzlich festgeschrieben, dass das nicht mehr möglich wird. Der Weg dazu ist auch klar; es soll über Art. 90 des Grundgesetzes gehen.

Die Eckpunkte – so steht es im Beschluss – für die Ausgestaltung sind festzulegen. Da geht es um den Zeitplan, da geht es um Regelungen der Übergangsphase, auch um den Übergang von Personal-, Pensions- und Sachmitteln. Dann kommt ein Satz, der für mich ganz wichtig war, weil wir, wie wir alle wissen, dort gerade neues Personal einstellen. Bei der Lage, die wir im Augenblick haben, weil wir in dieses Feld investieren, können wir alles gebrauchen, aber keine Verunsicherung der Beschäftigten.

(Beifall von der SPD)

Deshalb war mir wichtig, dass wir hier die Interessen der Beschäftigten hinsichtlich Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort beachten werden und die Personalvertretungen einzubinden sind. Das ist ein ganz wichtiger Teil des Beschlusses, und den haben auch wir aus Nordrhein-Westfalen mit in diese Verhandlungen eingebracht.

(Beifall von der SPD)

Der zweite Punkt war die Digitalisierung. Der Bund hat ein Interesse daran, dass es ein zentrales Bürgerportal gibt, über das auch die Länder ihre Online-Dienstleistungen bereitstellen können. Das wird Bürgerinnen und Bürgern und Wirtschaft ermöglichen, über ein Portal auf die Dienstleistungen der Länder und des Bundes zuzugreifen. Ich glaube, dass das bürgerfreundlich sein wird, und es ist zu begrüßen.

Aber auch da liegt der Teufel im Detail: Wie geht das mit dem gegenseitigen Zurverfügungstellen? Wie werden die Schnittstellen definiert? Aber wir haben in diesem Feld schon eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass das am Ende zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger auch zum Erfolg geführt werden kann.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Der dritte Punkt ist auch einer, der Nordrhein-Westfalen im positiven Sinne treffen wird. Es ist vereinbart, dass es eine Mitfinanzierungskompetenz des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur für finanzschwache Kommunen geben wird. Damit ist festgelegt, es soll eine Orientierung an dem schon laufenden Bundesprogramm geben. Das ist etwas, wozu wir sagen können: Mit dem, was wir mit „Gute Schule 2020“ angelegt haben, wird der Bund in diesem Bereich noch weiter investieren können. Er will das offenkundig. Hier gilt es, die Möglichkeiten verfassungsrechtlich zu schaffen.

Die Überschrift über diesem Punkt war eigentlich „Kooperationsverbot aufheben“. Das war leider in der Koalition in Berlin nicht möglich. Gerade die Interessen von CDU und CSU standen dagegen. Insofern ist es gut, dass wir jetzt trotzdem verfassungsrechtlich absichern werden, dass es für diesen Zweck, für Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen, auch in Zukunft stärkere Möglichkeiten des Bundes geben soll, hier zu investieren. Das ist zum Wohle unserer Städte und Gemeinden in diesem Land, und darüber freue ich mich sehr.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dann kommt Punkt vier: Kontrollrechte bei der Mitfinanzierung von Länderaufgaben. Wir haben Mischfinanzierungstatbestände, wo der Bund beklagt hat, dass er gar nicht kontrollieren kann, ob wir Länder das Geld auch dafür ausgeben. Deshalb haben wir hier eine Verankerung von Erhebungsrechten des Bundesrechnungshofs beschlossen, aber nur im Benehmen mit dem jeweiligen Landesrechnungshof in der Landesverwaltung, und das auch nur bei den Mischfinanzierungstatbeständen. Ich glaube, das ist verkraftbar, und es ist nachvollziehbar, dass der Bund hier stärker sehen will, was mit dem Geld, das er gibt, geschieht.

Auch hier liegt bei der Umsetzung der Teufel im Detail. Uns, den Ländern, war wichtig – das kann ich aus den Verhandlungen sagen –, dass jetzt nicht x Prüfer sozusagen vor Ort erscheinen, sondern dass es einen Prüfer gibt. Das muss der Grundsatz sein, und das muss in Absprache auch mit den Landesrechnungshöfen passieren.

Der fünfte Punkt: Stärkung der Rechte des Bundes in der Steuerverwaltung. Dort wurde dem Bund partiell ein größeres Mitbestimmungsrecht eingeräumt, allerdings nur mit Zustimmung des betroffenen Landes oder der Ländermehrheit. Letztendlich geht das nicht weit über das hinaus, was der Bund heute schon kann. Aber es war für die Bundesseite wichtig, auch diesen Punkt in den Verhandlungsbereich hineinzubringen.

Der sechste Punkt – auch der wurde in der Öffentlichkeit schon sehr diskutiert –: Bund und Länder haben sich darauf verständigt, beim Unterhaltsvorschuss ab dem 1. Januar 2017 die Altersgrenze von zwölf auf 18 Jahre anzuheben und die Bezugsdauergrenze aufzuheben.

(Beifall von der SPD)

Das ist ein wichtiges Signal für die Alleinerziehenden in diesem Land.

Wer, wie wir alle, viel im Land unterwegs ist, der weiß, dass es kein gutes System ist, dass nur bis zum zwölften Jahr bezahlt wird, und das auch nur für eine begrenzte Dauer. Wir sprechen hier viel über Kinderarmut. Wir sprechen darüber, dass die Situation der Alleinerziehenden zu verbessern ist. Hier wollen wir – Bund und Länder – uns auf den Weg machen. Aber auch da ist die Krux im Detail. Es muss nämlich noch geregelt werden, wer die entstehenden Mehrkosten am Ende des Tages auch finanziert.

Hier beginnen erst die Verhandlungen. Die erste Runde der Chefs der Staatskanzleien mit dem Bundesminister des Kanzleramtes hat gerade begonnen. Man versucht jetzt, eine gemeinsame Datenbasis zu finden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir das bis zum 1. Januar schaffen. Ich höre auch aus der kommunalen Landschaft, dass denen das viel zu früh ist. Ich denke, wir werden jetzt in den Diskussionsprozess einsteigen. Aber die Richtung stimmt, und es ist gut, dass wir für die Alleinerziehenden in diesem Land etwas tun. Darüber freue ich mich sehr.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wie geht es weiter? Die Verhandlungen laufen jetzt. Der Bundesfinanzminister plant, alle notwendigen Grundgesetzänderungen und Einzelheiten in einem Gesetzespaket abzuhandeln. Das Gesetzespaket soll möglichst noch dieses Jahr auf den Weg gebracht und bis zur Osterpause verabschiedet werden. Bis dahin ist noch einiges zu tun. Wir werden wachsam sein, dass die beschlossenen Punkte in unserem Sinne, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, konkretisiert werden.

Ich sage zusammenfassend: Das ist ein großer Erfolg für Nordrhein-Westfalen. Noch einmal: Am Anfang standen wir gegen alle anderen Bundesländer und gegen den Bund. Wir haben unsere beiden Hauptforderungen durchgesetzt. Darauf können wir alle miteinander stolz sein. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Minister Rainer Schmeltzer)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Armin Laschet das Wort.

Armin Laschet (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Länderfinanzausgleich ist ein wichtiges und unverzichtbares Instrument, um die Finanzkraft der Länder, die sehr unterschiedlich ist, solidarisch auszugleichen. Zur Wahrheit gehört auch: Er zeichnet sich aktuell durch mangelnde Transparenz aus. Deshalb war es wichtig, dass mehr Transparenz in das System hineinkommt und politische Verantwortung nicht verwischt wird.

Eine Folge dieses Wirrwarrs waren regelmäßig politische Neiddebatten und gegenseitige Vorwürfe – bis hin zu Drohungen insbesondere der Geberländer, zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Die einen wurden als nicht leistungsbereit und die anderen als nicht solidarisch beschimpft.

Die Konflikte – das wissen wir – verliefen dabei nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen Geber- und Nehmerländern, zwischen Flächen- und Stadtstaaten, zwischen alten und neuen Bundesländern. Deshalb war diese Reform wichtig.

Bund und Länder haben nun die von Ihnen beschriebene Paketlösung geschnürt. Vereinfachend kann man sagen: Die Finanzhilfen des Bundes an die Länder steigen und werden teilweise dynamisiert. Der Bund erhält dafür mehr Kompetenzen.

Diese neuen Kompetenzen für den Bund wurden unter dem vielversprechenden Titel „Maßnahmen für die Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat“ zusammengefasst: Stärkung des Stabilitätsrats, der die Schuldenbremse überwacht, Einführung einer Infrastrukturgesellschaft, Steuerungsrechte des Bundes bei Finanzhilfen, Kontrollrechte für den Bundesrechnungshof.

Ich erinnere noch einmal an die Worte, die an diesem Pult anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Landtags Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, gesagt hat: Es wäre hilfreich – ich zitiere –,

„wenn Landesregierungen und Landtage noch tapferer der Versuchung widerständen, die Aussicht auf eine finanzielle Beteiligung des Bundes für noch interessanter zu halten als die Wahrnehmung eigener Zuständigkeiten.“

(Beifall von der CDU und Nicolaus Kern [PIRATEN])

Das war jetzt Lammert-Deutsch.

(Heiterkeit)

Das heißt – kurz gesagt –: Die Länder müssen aufpassen, dass sie nicht immer mehr Kompetenzen abgeben und der Bund das mit Geld bezahlt.

Deshalb sage ich: Das hier ist jetzt noch in Ordnung. Aber für die Zukunft dürfen wir nicht weitere Kompetenzen der Länder an den Bund abgeben, nur weil die Finanzlage in einigen Ländern schlechter ist. Das muss das Prinzip in der Zukunft werden.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Nicolaus Kern [PIRATEN])

Deshalb haben wir bei Ihren Verhandlungen gesagt: Wir tragen das mit. – Wir haben eine gemeinsame Resolution gefasst. Wir haben bereits 2013 eine Resolution eingebracht. Dann haben Sie Ihre gehabt. Wir haben jedenfalls am Ende vor der Verhandlungen zusammen gesagt: Wir teilen diese Richtung. Das ist richtig.

Aber es kommt umgekehrt darauf an, an unseren Hausaufgaben, an der Stärkung unserer Wirtschafts- und Steuerkraft, weiterzuarbeiten.

(Zuruf von der SPD: Das tun wir doch auch!)

Durch noch so ausgeklügelte Systeme, wie demnächst das Geld verteilt wird, ändern wir nicht unser Problem, dass unsere Wirtschafts- und Steuerkraft in Nordrhein-Westfalen zu niedrig ist. Das müssen wir uns jetzt vornehmen.

(Beifall von der CDU)

Nun gibt es diese Lösung. Sie haben den Unterhaltsvorschuss gerade als ein Thema angesprochen. Ja, es ist eine wichtige Frage insbesondere für Alleinerziehende, wie vom zwölften bis zum 18. Lebensjahr das Geld erhoben wird. Nur: So, wie Sie es jetzt verhandelt haben, geht es wieder zulasten der Kommunen in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU – Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das stimmt doch gar nicht!)

Wir haben nämlich Länder in Deutschland – Bayern, Brandenburg, Schleswig-Holstein –, die diesen Anteil komplett tragen. Deshalb ist es da relativ einfach. Bei uns tragen aber die Kommunen einen Großteil dieser Mehrkosten. Ihnen zu sagen: Ab 1. Januar müsst ihr das machen …

Sie haben zwar gerade angedeutet, dass man über das Datum noch einmal sprechen kann. Bei uns tragen aber die Kommunen einen Großteil. Durch diesen Kompromiss ist eine Belastung in Höhe von 100 Millionen € zustande gekommen. Deshalb brauchen wir hier eine Lösung. Sie können das nicht auf die Kommunen abwälzen. Das ist die wichtige Frage, die sich stellt.

(Beifall von der CDU)

Jetzt ist die Frage: Sind wir denn vom Ergebnis und von den Zahlen her erfolgreich gewesen? Wenn man mit der Verteilung der Finanzmittel pro Kopf rechnet – Sie sagen ja bei anderen Statistiken immer, man müsse pro Kopf rechnen –, heißt das: im Bundesschnitt 116 € pro Kopf, in Nordrhein-Westfalen 80 € pro Kopf.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sollen wir das Bremen wegnehmen? Sollen wir das dem Osten wegnehmen? Sollen wir das Sachsen wegnehmen oder Thüringen?)

– Lieber Herr Mostofizadeh, es klang gerade hier am Pult so, als sei Nordrhein-Westfalen der ganz große Gewinner

(Zuruf von der SPD: Ist es auch!)

dank des besonderen Verhandlungsgeschicks der Frau Ministerpräsidentin.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Ich will Ihnen nur sagen: Wir sind Vorletzter bei den Pro-Kopf-Ausgaben. Das ist immer unser Platz.

(Zuruf)

– Gut; dann sind wir uns ja einig.

(Beifall von der CDU)

Als Zweites stellt sich die Frage: Geber- oder Nehmerland? Herr Mostofizadeh, es war der Hauptantrieb, mit einem neuen Berechnungssystem dazu zu kommen, dass wir nicht mehr Nehmerland sind. Das wurde mit viel PR-Rhetorik begründet.

Jetzt ist die Frage: Haben wir dieses Ziel eigentlich erreicht? Die Ministerpräsidentin sagt in den „Ruhr-Nachrichten“ vom 15. Oktober 2016: „Künftig ist klar erkennbar, dass NRW ein Geberland ist und bleibt.“ Frau Kraft sagt: Wir sind ein Geberland.

Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, erfährt man, dass aus der Umsatzsteuerumverteilung in Zukunft weiterhin ein Zuschlag von 113 Millionen € nach Nordrhein-Westfalen überwiesen wird. Wir sind nach den Zahlen, die heute vorliegen, weiterhin Nehmerland.

Jetzt kommt der besonders PR-begabte Finanzminister und sagt: Eigentlich gibt es gar keine Geber- und Nehmerländer mehr. – Vielleicht können Sie sich, wo Sie gerade drei Plätze auseinander sitzen, einmal einigen! Gibt es Geberländer, oder gibt es keine Geberländer? Und wenn es sie gibt: Sind wir Nehmerland, oder sind wir Geberland? Diese Sprachverwirrung ist eine …

(Beifall von der CDU)

Wie der „Rheinischen Post“ zu entnehmen ist, sagt der Finanzminister: Nach dem ab dem Jahr 2020 gültigen neuen Regelwerk gibt keine Geber und Nehmer mehr. – Frau Kraft sagt: Wir sind endlich wieder Geber.

Das passt doch nicht zusammen. Sie verstricken sich in Ihrer eigenen PR-Rhetorik, wie Sie das auch bei anderen Dingen machen.

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD)

Sie sagen: Seit dem Jahr 2010 haben wir allein 170 Milliarden € für Kinder, Familien und Bildung ausgegeben. – Das wird immer wiederholt. Jetzt kommt heraus: 33 Milliarden € sind für pensionierte Lehrer.

(Minister Dr. Norbert Walter-Borjans: Ja, natürlich!)

Pensionierte Lehrer kommen aber nicht Kindern zugute. Das ist in Ordnung; das muss man bezahlen. Aber Ihre PR-Rhetorik täuscht die Menschen, wenn Sie so tun, als würden Sie mehr Geld für Kinder ausgeben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie täuschen mit PR-Tricks.

Nächstes Beispiel: Hannelore Kraft erklärt in der „WAZ“: Wir haben heute im Ruhrgebiet mit 2,3 Millionen Menschen genauso viele Beschäftigte wie in den Hochzeiten von Kohle und Stahl. – Überprüft man das, stellt man fest, dass es 1,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind. Daraufhin bessert die Staatskanzlei nach und sagt, die Ministerpräsidentin – ehemalige Unternehmensberaterin, Diplom-Kauffrau – habe den Begriff „im juristisch-technischen Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV“ gemeint.

Die Menschen interessiert aber, ob es mehr Arbeit gibt oder nicht. Und es gibt nicht mehr Arbeit im Ruhrgebiet. Das ist die simple Logik.

(Beifall von der CDU)

Das betrifft auch wieder unsere Steuer- und Finanzkraft. Damit hängt das ganz eng zusammen. Seit Ihrem Amtsantritt am 1. Juli 2010 ist die Arbeitslosigkeit im Bund um 22,7 % zurückgegangen und in Nordrhein-Westfalen um 9,7 %. Hätten wir den gleichen Rückgang der Arbeitslosigkeit wie ganz Deutschland, hätten wir 100.000 mehr Menschen in Beschäftigung, 100.000 Kinder weniger in Armutsgefahr, 100.000 mehr Steuerzahler in unseren Finanzausgleich. So ist die Logik.

(Beifall von der CDU)

Wenn es dann um diese Arbeitsplätze geht, insbesondere im Ruhrgebiet, in der Stahlindustrie, in der Chemieindustrie, in der Aluminiumindustrie, aber auch bei der Energiegewinnung durch Braunkohle, dann macht Ihre Bundesumweltministerin eine Deindustrialisierungspolitik mit immer mehr Auflagen.

Wir widersprechen dem. Ich erlebe im Präsidium der CDU, dass die Ministerpräsidenten von Sachsen, von Sachsen-Anhalt und auch von Brandenburg für ihre Arbeitnehmer kämpfen.

Von Ihnen hören wir nichts. Es musste gestern der Bundeswirtschaftsminister diese Maßnahmen, die Frau Hendricks, die von Ihnen ins Kabinett entsandt wurde, gegen das Land Nordrhein-Westfalen durchführt, stoppen. Da könnten Sie für Arbeitsplätze eintreten, widersprechen und für unser Industrieland werben!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir reden alle in den letzten Wochen mit der IG BCE, mit ver.di und mit den Unternehmen. Sie beschreiben exakt, was da angestellt wird. Warum schweigen Sie dazu? Warum sagen Sie nicht in Berlin: „Ich kämpfe für die Interessen meines Landes;

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Warum hören Sie nicht zu?)

ich mache nicht nur Spatenstiche bei thyssenkrupp, sondern kämpfe auch dafür, dass da in Zukunft gearbeitet wird“? Das wäre Ihre Aufgabe gewesen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir erleben also viel PR. Ein drittes Beispiel kann ich auch noch nennen: Juncker-Plan. Sie haben hier im Plenum des Landtags in Ihrer letzten Regierungserklärung aus dem Jahr 2015 ausgeführt, darüber hinaus habe Nordrhein-Westfalen von den 315 Milliarden € des Juncker-Plans 3,7 Milliarden € gemeldet. Diese Meldung möchte ich gerne einmal sehen. Das Einzige, was gemeldet ist, ist eine einzige Initiative der NRW.BANK. Da gibt es 30 Millionen €. Das ist 1 % von den 3,7 Milliarden €, die Sie eigentlich gemeldet haben. Es wird also mit PR Politik gemacht, aber es wird an der Substanz nichts geändert.

(Beifall von der CDU)

Deshalb sage ich: Wir müssen in der eigenen Steuer- und Wirtschaftskraft stärker werden. Der Kompromiss ist ein guter unter den 16 Ländern. Aber er lässt uns in der Nehmerrolle. Wir wollen jedoch, dass Nordrhein-Westfalen demnächst wieder Geberland ist, mehr Steuern, Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze hat und wieder in die Spitze der deutschen Länder kommt. Das ist die Aufgabe, die Sie auch weiterhin haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Laschet. – Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Zimkeit.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Laschet, der letzte Teil Ihrer Ausführungen gerade war ja ziemlich am Thema vorbei. Das kann man nur als Versuch bewerten, vom eigentlichen Thema abzulenken, weil Sie sich nicht getraut haben, hier zuzugestehen, dass Hannelore Kraft in den Verhandlungen einen Erfolg erzielt hat. Das hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden, Herr Laschet.

(Beifall von der SPD)

Wir sind ja von Ihnen gewöhnt, dass Sie in politischen Positionierungen relativ schnell inhaltliche Wenden herbeiführen. Ich kann mich erinnern, dass Sie den MPK-Beschluss, der Grundlage der jetzigen Beschlusslage ist, noch scharf kritisiert haben. Das hörte sich gerade, zumindest teilweise, so an. Aber dieses Mal haben Sie es sogar geschafft, in einer Rede sehr schnell unterschiedliche Positionen zu beziehen, indem Sie am Anfang gesagt haben, dass Sie zustimmen, aber nachher ausgeführt haben, eigentlich sei alles falsch. Das ist typisch Herr Laschet! Er nimmt möglichst alle Positionen ein – in der Hoffnung, dass er Zustimmung findet.

Sie haben unter anderem das Klagelied angestimmt, das wir vermutlich von der FDP gleich noch deutlicher hören werden: Dabei ist zu wenig Geld für NRW herausgekommen.

Ich glaube, das entstammt einer falschen Wahrnehmung dieses Landes Nordrhein-Westfalen. Sie reden sich selber ein, Nordrhein-Westfalen sei ein schwaches Land und brauche deswegen die Unterstützung anderer.

Fakt ist aber etwas anderes. Da könnten wir jetzt Frau Merkel zitieren. Fakt ist: Nordrhein-Westfalen ist ein starkes Land. Deswegen können wir auch in diesem Finanzausgleich solidarisch mit schwächeren Ländern sein. Das sind die Tatsachen hier.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Länder haben, allen Unkenrufen zum Trotz, das durchgesetzt, was sie im Kern beschlossen haben – auch in diesem Haus. Insbesondere von der Opposition ist immer bezweifelt worden, dass das gegen den Bund durchsetzbar sei. Im Kern ist es durchgesetzt worden. Das ist auch richtig so.

Ich frage mich aber – Sie haben gerade die Rolle von Hannelore Kraft auf Bundesebene angesprochen –: Wo waren Sie eigentlich in der ganzen Debatte, als Herr Schäuble diesen Kompromiss zerschießen wollte? Sie waren wie immer, wenn es bundespolitisch kritisch ist, abgetaucht, Herr Laschet. Das ist ja das, was bei Ihnen auffällt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das gilt auch für ein Thema, bei dem ich Ihnen inhaltlich vollkommen zustimme, nämlich die Einschätzung, dass die Forderungen des Bundes in der Form, wie sie auf dem Tisch lagen und dann wegverhandelt worden sind, was Durchgriffmöglichkeiten auf die Länder angeht, schädlich für den Föderalismus wären. Da haben Sie recht. Aber das ist doch ein Angriff von Herrn Schäuble. Herr Laschet, stoppen Sie ihn doch innerhalb Ihrer Partei! Dann brauchen wir hier nicht weiter darüber zu diskutieren.

Ich glaube, der Kern ist dargestellt worden. Wir haben, was den Kern des Länderfinanzausgleichs angeht, die Kernziele, die wir auch gemeinsam hier in einer Resolution – CDU, Grüne und SPD – beschlossen haben, in den Verhandlungen durchgesetzt. Das ist auch gut für NRW.

Einer Extrabewertung sind die sechs Punkte, die bereits angesprochen worden sind, zu unterziehen. Zur Infrastrukturgesellschaft Verkehr wird es noch eine Debatte geben. Dazu wird der Kollege Becker noch etwas sagen. Von hier aus nur so viel: Die Wünsche des Bundes nach mehr Einfluss dürfen nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen und bei Straßen.NRW ausgetragen werden. Dafür stehen wir als SPD.

(Beifall von der SPD)

Was den Bereich der Digitalisierung angeht, so ist er im Kern für uns unproblematisch. Es darf nur nicht dazu führen, dass gute Dinge, die in NRW laufen, zurückgeschraubt werden müssen und wir uns bei einer Angleichung an den Bund im Niveau verschlechtern.

Der Punkt der öffentlichen Investitionen in Bildung ist bereits angesprochen worden. Dies ist zu begrüßen und war auch immer schon Teil unserer Forderung.

Kontrollrechte bei der Mitfinanzierung der Länderaufgaben sind für uns unproblematisch. NRW hat da – entgegen manchen Behauptungen anderswo – nichts zu verbergen. Wir können offenlegen, dass wir vernünftig mit Bundesmitteln umgehen.

Der Punkt der Stärkung der Steuerverwaltung ist aus finanzpolitischer Sicht von besonderer Bedeutung. Ich glaube, wir müssen in diesen Verhandlungen sehr darauf achten, dass insbesondere bei der Steuerprüfung und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung Standards von Nordrhein-Westfalen gelten, die für Steuergerechtigkeit wichtig und richtig sind, und keine schlechten Standards aus Bayern. Hier darf sich die Situation nicht verschlechtern. Auch zukünftig muss die Steuerverwaltung so organisiert werden, dass eine Bekämpfung von Steuerkriminalität möglich ist und möglich bleibt.

Der letzte Punkt ist der Unterhaltsvorschuss. Inhaltlich sind wir uns hoffentlich einig, dass dies ein wichtiger Teil zur Bekämpfung der Armut gerade von Kindern und zur Stärkung von Alleinerziehenden ist. Herr Laschet, Sie haben es eben so dargestellt, als stehe die Belastung für die Kommunen schon fest. Da sind Sie wohl besser informiert. Die Verhandlungen laufen jetzt. Es ist richtig, dass hier ein vernünftiger Kompromiss im Sinne der Kommunen und Länder erzielt werden kann.

Herr Laschet, auch hier fordere ich Sie noch einmal auf: Tauchen Sie nicht wieder ab, sondern unterstützen Sie das Land NRW beim Auftreten gegenüber dem Bund, damit es hier zu einer vernünftigen Lösung, insbesondere für die Kommunen, kommt.

Wir haben in den Verhandlungen das durchgesetzt, was wir hier im Landtag gemeinsam beschlossen haben. Wir haben mehr Transparenz geschaffen. Wir haben mehr für NRW herausgeholt. NRW wird weiter Solidarität mit den schwachen Länden üben. Das ist eine gute Lösung.

Meines Erachtens ist an diesem Kompromiss wirklich wichtig – da möchte ich auch einen kurzen Blick auf die letzte Nacht werfen –, dass die deutsche Demokratie und der deutsche Föderalismus gezeigt haben, dass sie auch im Umgang mit dem Bund auf dem Kompromissweg schwierige Probleme lösen können. Ich glaube, dass das ein wichtiger Schritt für unsere Demokratie ist, um auch zu verhindern, dass Rechtspopulisten in Deutschland eine Chance bekommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die Fraktion der FDP spricht Herr Abgeordneter Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal Frau Ministerpräsidentin Kraft danken. Ich fand das sehr richtig und wichtig, was Sie zu Beginn der heutigen Debatte des heutigen Tages hier im Hohen Haus gesagt haben. Das korrespondiert mit den mahnenden, erinnernden Worten des Landtagspräsidenten und nimmt Bezug auf aktuelle Ereignisse.

Genauso ist es richtig, wenn klar ist, dass man dem politischen Wettbewerber abnimmt, dass auch er nach seinem Verständnis das Beste für das Land erreichen will und sich nach seinem Verständnis darum bemüht. Wenn man mit menschlichem Respekt unterschiedliche Standpunkte austauscht, darf man auch in der Sache die Unterschiede umso klarer ansprechen, weil man das nicht persönlich nimmt. Das will ich auch ausdrücklich in dieser Debatte so praktizieren.

(Beifall von der FDP)

Deshalb verstehen Sie, Frau Ministerpräsidentin Kraft – weil Sie das in den letzten Tagen auch an anderer Stelle öffentlich gesagt haben –, dass wir eine andere Bewertung dessen vornehmen, was Sie im Dezember letzten Jahres hier vorgetragen haben, und in unserer Bewertungsskala auch andere Schwerpunkte anlegen als die, die Sie uns heute in Fortsetzung Ihrer damaligen Ausführungen präsentiert haben.

Wir halten vieles nicht für so vorteilhaft für das Land Nordrhein-Westfalen, wie Sie es dargestellt haben. Wir sehen, dass es bei den Vereinbarungen, die geschlossen worden sind, viele Verlierer gibt.

Verlierer sind für uns zum einen die Bürger, weil Sie es unterlassen haben, bei einer grundlegenden Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch Fragen der Entlastungen in diesem Kontext mit zu klären. Was wäre es für ein starkes Signal gewesen, zu verabreden, dass 30 Jahre nach der Deutschen Einheit auch einmal die Solidaritätszuschlagszahlungen auslaufen!

(Beifall von der FDP)

In Zeiten, in denen Jahr für Jahr Mehrbelastungen entstanden sind, in denen auch Ihr Finanzminister hier in Nordrhein-Westfalen mit dafür gesorgt hat, dass die kalte Progression nicht zeitnah immer in vollem Umfang beseitigt worden ist – Ihr Finanzminister konnte sich ja bis heute nicht dazu durchringen, mit uns für eine Dynamisierung und einen Tarif auf Rädern bei der Einkommensteuer einzutreten, der automatisch dafür sorgt, dass Mehrbelastungen vermieden werden –, und bei Mehrheiten in diesem Land, die mit SPD und Grünen nahezu eine Verdoppelung der Grunderwerbsteuer beschlossen haben, muss ich leider sagen: Chance vertan!

Zum Zweiten ist für uns auch der Gesamtstaat Verlierer. Denn es gibt auch zukünftig den Fortbestand etlicher Fehlanreize, die dafür sorgen, dass die Strukturreformen, die in einzelnen Ländern dringend notwendig sind, unterbleiben, weil es eben auch den Druck für Reformen nicht gibt und deshalb des Weiteren auch unverändert eine immense Intransparenz der Zahlungsströme vorliegt. Es gibt mehr zentralstaatliche Steuerung statt mehr Wettbewerbsföderalismus. Da hätten wir andere Erwartungen gehabt.

Zum Dritten ist aus unserer Sicht auch das Land Nordrhein-Westfalen Verlierer – mein Vorredner hat ja bereits angekündigt, dass wir diesen Punkt hier auch vortragen –, da Nordrhein-Westfalen klar unterdurchschnittlich am warmen Regen des Bundes mit seinen zusätzlichen Finanzmitteln partizipiert. Der Finanzminister hat zu Beginn der Verhandlungen selber groß angekündigt, er wolle jetzt seehofern und södern; dabei solle dann auch einmal richtig etwas für Nordrhein-Westfalen herauskommen.

Wenn man dann sieht, dass Nordrhein-Westfalen im Bundesländervergleich am Ende der Tabelle liegt, was die Pro-Kopf-Verbesserungen in der zusätzlichen Finanzausstattung angeht, muss man sagen, dass sich das für Nordrhein-Westfalen nicht ausgezahlt hat. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass Nordrhein-Westfalen einen so geringen Schuldenstand hätte, so solide wirtschaften würde und so wenig Bedarf für Nettokreditaufnahme hätte, dass man hier quasi die Bestbedingungen bundesweit vorfinden würde, die diese Position rechtfertigen würden.

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, deshalb ist für uns natürlich die Frage entscheidend: Was kommt, wenn man 9,5 Milliarden € von Bundesseite oben in den Trichter hineingibt, die dann die Stufen des Wasserfalls durchlaufen, am Ende in Nordrhein-Westfalen wirklich netto mehr an? Wenn Sie die 1,4 Milliarden € zu anderen Verteilungsrelationen, die wir kennen, wie den Königsteiner Schlüssel in Bezug setzen,

(Zuruf von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

dann schneidet Nordrhein-Westfalen gemessen an der Einwohnerzahl und den Haushaltsproblemen hier schon erkennbar unterdurchschnittlich ab.

Ein anreizfeindliches und kompliziertes altes System wird also von einem neuen, ebenfalls anreizfeindlichen und auch komplizierten System abgelöst. Ein großer Wurf, meine sehr geehrten Damen und Herren, sieht anders aus. Aber der hätte eigentlich das Ziel der Reformbestrebungen gewesen sein müssen.

Das Verhandlungsergebnis ist ein Sammelsurium von Partikularinteressen und hat das große Ganze aus dem Blick verloren oder erst gar nicht in den Blick genommen. Es fehlen beispielsweise sämtliche Anreize zu einem stärkeren Fiskalföderalismus, der Länder zu eigenen Anstrengungen zwingt.

Heute rächt sich bitter, dass es der Landesregierung primär nicht um das finanziell für das Land Nordrhein-Westfalen beste Verhandlungsergebnis gegangen ist, sondern insbesondere um die verbale kosmetische Korrektur bei der Begrifflichkeit „Nehmerland“ im Zusammenhang mit dem vorgelagerten Umsatzsteuervorwegausgleich.

Wir kennen die Konzentration auf Haushaltskosmetik beim amtierenden Finanzminister nur allzu gut – auch in anderen Zusammenhängen, über die wir uns ja bei Haushaltsdebatten regelmäßig unterhalten, mit allen seinen Verschiebebahnhöfen zwischen Landeshaushalt und BLB, NRW.BANK, Versorgungsfonds etc.

Nun gilt: Der Umsatzsteuervorwegausgleich ist tot. Es lebe der Umsatzsteuerausgleich.

Zugleich zeigen erste Projektionsrechnungen, dass Nordrhein-Westfalen mit Beginn des neuen Länderfinanzausgleichs im Jahr 2020 erneut als Nehmerland dastehen dürfte – jedenfalls auf Basis der heutigen Steuerschätzungen –, und zwar aufgrund der unterdurchschnittlichen Steuerkraft, wenn notwendige Reformen in Nordrhein-Westfalen bis dahin weiter unterbleiben.

Mehr Übersichtlichkeit und Gerechtigkeit ergeben sich ganz ausdrücklich nicht. Das Saarland und Bremen erhalten Sanierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen €. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen werden fortgesetzt für überdurchschnittlich hohe Kosten der politischen Führung in kleinen Bundesländern und für strukturelle Arbeitslosigkeit. Finanzierungshilfen zur Abgeltung der Hafenlasten werden fortgeführt. Brandenburg erhält sogar systemwidrig zusätzlich einen Aufschlag, obwohl es ausdrücklich nicht das kleinste Bundesland ist.

Im Ergebnis bedeutet das: Zehn von 16 Bundesländern erhalten Zusatzmittel. Hier wird also gerade die Ausnahme zur Regel gemacht. Einfacher wird es dadurch nicht.

Die Einwohnerveredelung für die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen bleibt unverändert bestehen. Sie als Landesregierung wollten sie ja nach allem, was Sie uns dazu auch regelmäßig vorgetragen haben, ausdrücklich abschaffen. Ebenfalls bleibt sie bei Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bestehen. Die Finanzkraft der betroffenen Länder wird hierdurch künstlich verringert.

Gesamtstaatlich hat die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen keine ersichtlichen Vorteile.

Kritisiert wurde immer wieder die fehlende Transparenz. Das nun beschlossene Modell spart jedoch in keiner Weise mit Komplexität. Weiterhin wird es nur Fachleuten möglich sein, dieses System mit all seinen Wirkungen und Wechselwirkungen im Detail zu verstehen.

Eine wirklich ernsthafte Systemreform sieht anders aus, als einfach mehr Geld vom Bund einzufordern und ein im Wesentlichen ähnlich angelegtes Verteilungssystem dann neu aufzusetzen und auch als neu zu verkaufen.

Was eigentlich hätte passieren sollen, wäre etwas anderes gewesen, nämlich mehr Wettbewerbsföderalismus, sinnvolle Anreizeffekte zur Strukturverbesserung und mehr Transparenz. Das Ländermodell spart aber jegliche Art von Wettbewerbsföderalismus aus. Es gibt keine zusätzliche Steuereinnahmekompetenz. Lediglich Einfluss abgeben dürfen und müssen die Länder an den Bund. Dafür haben sie Milliarden an zusätzlichen Zuweisungen erhalten.

Die Länder hängen mit dieser Operation letztlich stärker am Tropf des Bundes.

Das System wird im Ergebnis zwar verändert, grundlegende Verbesserungen sind aber nicht zu erkennen. Das neue System verliert an einigen Stellen etwas an Komplexität, das ist zugegebenermaßen der Fall beim Wegfall des Umsatzsteuervorwegausgleichs. Es behält die Komplexität aber an anderen Stellen ausdrücklich auch zukünftig dauerhaft bei, wie bei nachgelagerten Bundesergänzungszuweisungen sowie zu geringer Finanzkraft und baut neue Probleme in das System ein, wie die Sanierungshilfen sowie den neuen Umsatzsteuerausgleich.

Im Jahr 2019 erhält Nordrhein-Westfalen nach heutigen Berechnungen mit 80 € pro Kopf so ziemlich den geringsten Vorteil aller Länder, wohingegen Bayern 106 € erhalten wird. Die neuen Bundesländer und Stadtstaaten sowie Länder mit einer besonders geringen Finanzkraft schneiden noch besser ab. Rot-Grün ist hier mit einem wichtigen Vorhaben dieser Legislaturperiode gescheitert; denn die Nachwirkungen werden sich noch mindestens bis 2030 hinziehen und damit auch die zukünftigen Landtage und Landesregierungen binden.

Sie haben kosmetische Korrekturen in der verbalen Darstellung der Zahlungsströme erreicht und kleine Reformen auf den Weg gebracht, die grundlegenden Strukturprobleme damit aber nicht gelöst, sondern auf Dauer fortgeschrieben. Insbesondere das, was Sie für die Finanzinteressen Nordrhein-Westfalens herausholen wollten, hatten wir ambitionierter verstanden. Deshalb sehen wir hier noch großen Nachbesserungsbedarf. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An diesem Morgen sind viele auf der Suche nach guten Nachrichten. Fangen wir mal so an: Es ist gut, dass nach so langen Verhandlungen endlich überhaupt ein Ergebnis herausgekommen ist. Es ist gut, dass der Bundesfinanzminister sich an entscheidenden Stellen nicht durchsetzen konnte und es somit möglich ist, dass mehr von dem, was in Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet wird, im Lande verbleibt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Der uns vorliegende Kompromiss sieht vor, dass der horizontale Länderfinanzausgleich zwischen den Ländern, wie wir ihn bisher kennen, abgeschafft wird. Bislang gab es eine Umverteilung zwischen den Geberländern und den Nehmerländern. Vor Beginn dieser alten Umverteilung zwischen den Bundesländern – nach Ihrer Rede, Herr Laschet, finde ich es besonders wichtig, das zu erwähnen, aber auch nach dem, was Sie, Herr Witzel, hier präsentiert haben – lagen wir bei den Pro-Kopf-Einnahmen auf Platz fünf. Nach dem Umsatzsteuervorwegausgleich ist Nordrhein-Westfalen Letzter.

Wir haben in den Debatten immer darauf verwiesen und auch mit dem von Ihnen erwähnten Antrag von SPD, CDU und den Grünen diesbezüglich ein einvernehmliches Signal ausgesendet. Und das war ein wichtiges Signal. Wir haben gesagt: Im Grunde können wir machen, was wir wollen – solange Nordrhein-Westfalen überproportional viel in dieses System reinpumpt, werden wir es nicht schaffen, mehr von dem durch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erwirtschafteten Geld bei uns zu behalten. – Es bedeutet einen wichtigen Erfolg, dass diese Tatsache endlich geswitcht wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir Grüne haben im Zusammenhang mit den Verhandlungen immer wieder deutlich gemacht, dass wir das durch die Verfassung verbriefte Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet anerkennen und nicht infrage stellen, so wie andere es tun. Wir akzeptieren daher auch den Vorschlag, dass die Regelung zur Einwohnerveredelung in den Stadtstaaten zugunsten der Stadtstaaten beibehalten wird und ebenso, dass die stärkere Einbeziehung der Finanzkraft der Kommunen nicht nur uns, sondern auch den neuen Bundesländern zugutekommt.

Herr Witzel, ich finde es immer wieder bemerkenswert, dass Sie so tun, als wäre das in den Verhandlungen alles ganz einfach. Ich möchte gerne mal erleben, wie Sie Ihrer Kollegin Frau Suding in Hamburg gegenübertreten und ihr, wie Sie es hier gemacht haben, sagen: Wir wollen die Einwohnerveredelung in Hamburg zugunsten von Nordrhein-Westfalen kippen. – Das möchte ich wirklich gerne mal sehen. Sagen Sie bitte Bescheid, wenn es so weit ist. Ich bin mir sicher, dass sie Ihnen antworten wird: Wenn wir dafür Kompensation an anderer Stelle bekommen, sehr gerne, aber ansonsten nicht.

So ist es eben: Wenn man eine Einigung mit 16:0 erzielt, muss es Kompromisse geben, und insofern ist auch dieser Kompromiss richtig.

(Zuruf Ralf Witzel [FDP] – Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen allerdings sagen: Der Konkretisierungsgrad bei vielen Punkten der Einigung lässt Raum für Spekulationen. Es gibt viele offene Fragen, die uns als Landesparlamentarier beschäftigen müssen, allen voran die Schaffung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft für die Planung und den Bau von Autobahnen, die in Bundesverantwortung übergehen soll. Fest steht, dass diese Gesellschaft privatrechtlich organisiert sein soll. Dazu wird unser Verkehrsexperte Arndt Klocke gleich noch ausführlich Stellung nehmen.

Darüber hinaus sind noch viele weitere Fragen offen, zum Beispiel in Bezug auf die Digitalisierungsoffensive und die Einrichtung eines zentralen Bürgerportals für die Onlineanwendung der öffentlichen Verwaltung. Wir können viele Beispiele aus der Vergangenheit aufrufen – aus dem Hochschulbereich, aber auch aus dem Bereich der Finanzverwaltung –, bei denen es sehr lange gedauert hat und wo Prozesse bis heute andauern. Zum Teil haben wir immer noch keine gemeinsamen Datenmasken mit dem Bund. So stockt beispielsweise bei der Kfz-Steuer die Zusammenarbeit zwischen den Länderfinanzbehörden und dem Zoll. Da kann keine Rede davon sein, dass das reibungslos funktioniert.

Es wäre wünschenswert, dass das richtige Ziel, das in dem Kompromiss gefunden wurde, von Anfang an gemeinsam mit den Ländern erarbeitet wird und dass es nicht in Arbeitsgruppen ausgelagert wird, an denen die Länder nicht mehr beteiligt werden. Gerade in Bezug auf den Bereich „Digitalisierung“ haben wir in Nordrhein-Westfalen wichtige Fortschritte erzielt, wo wir anderen Bundesländern weit voraus sind. Ich nenne nur einmal die Bereiche „E-Government“ und „Open Data“. Es ist wichtig, dass hier die Länder unterstützt werden und dass nicht durch Vorgaben des Bundes alle Prozesse wieder auf null gesetzt werden.

Mehrere Punkte betreffen die Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern. Der Bund soll mehr Steuerungsrechte bei Finanzhilfen bekommen und im Bildungsbereich zukünftig direkt Geld an finanzschwache Kommunen geben können. Dadurch wird ausdrücklich der Weg freigemacht, um dem Bund Investitionen in die Schulinfrastruktur zu ermöglichen. Auch das ist ein wichtiger Erfolg, eine wichtige Botschaft für unsere Kommunen.

Richtig ist aber auch, was die Ministerpräsidentin gesagt hat und was wir Grünen schon seit vielen Jahren fordern:

Es muss endlich ein Ende des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern im Bereich der Bildung geben. Das ist der nächste Schritt, den es zu erreichen gilt. Auch wenn das Ganze jetzt gegenüber dem Status quo ein Fortschritt ist, so bleibt unsere Forderung: Das Kooperationsverbot muss weg!

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn wir schon beim Thema „Bildung“ sind, dann gilt es auch, über nach wie vor bestehende Ungleichgewichte zu sprechen, die im Rahmen der weiteren Gespräche und der weiteren Ausgestaltung des Kompromisses eine Rolle spielen.

Im Königsteiner Schlüssel aus dem Königsteiner Staatsabkommen von 1949 ist geregelt, dass die Länder ihren Anteil gemessen nach Steuerkraft und Bevölkerungsanzahl erhalten. Da liegt Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 18 Millionen EinwohnerInnen seit Jahrzehnten bei gut 21 %.

Abweichend von diesem Schlüssel erhalten wir jedoch in vielen Bereichen weniger, als uns zusteht. Wenn man in den Hochschulbereich schaut, dann muss man festhalten, dass Nordrhein-Westfalen hier Herausragendes leistet. Kein anderes Bundesland gibt, gemessen am Gesamthaushalt, so viel Geld in die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Innovation wie Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat sechs Hochschulstandorte unter den Top Ten der größten Universitäten Deutschlands. Wir erhalten im Bereich des Hochschulneubaus aber nur 15 % vom Bund.

Wenn wir uns dann noch einmal vergegenwärtigen, dass wir derzeit mehr als 25 % – ich meine, es sind aktuell 27,2 % – aller AbsolventInnen in Deutschland ausbilden, zugleich für Investitionen in die Infrastruktur unserer Hochschulen aber nur 15 % vom Bund bekommen, dann liegt da ein Ungleichgewicht vor. Hier muss nach wie vor die Forderung erhoben werden, dass wir gemessen an unseren Leistungen vergütet werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ein letzter Punkt. Es ist gut, dass es nach so langen Verhandlungen überhaupt zu einer Einigung kam. Damit haben Bund und Länder für die nächsten Jahre Planungssicherheit, und der Grundsatzstreit kann an vielen Punkten beiseitegelegt werden. Gemessen an seinen Zielen hat der Bundesfinanzminister gegenüber den Ländern nicht viel durchsetzen können. Die neue Finanzordnung ist besser, als wir es noch vor gut einem Jahr hätten erwarten können.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, diese Punkte jetzt auch umzusetzen, damit dieser Kompromiss die letzten Hindernisse nimmt. Vielleicht gelingt es trotz des Wahlkampfes, dass wir uns – ähnlich, wie wir es damals mit dem gemeinsamen Antrag gemacht haben – dann an den entscheidenden Punkten zusammen als Nordrhein-Westfalen im Interesse unseres Landes aufstellen können. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Abel! – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer hier im Saal und zu Hause!

Am 14. Oktober 2016 haben sich der Bund und die Länder also auf einen neuen Länderfinanzausgleich für die Zeit ab 2020 geeinigt. Im Wesentlichen hat die Neuordnung eine Abschaffung des horizontalen Finanzausgleichs zur Folge. Durch ihn wurde bislang – das haben wir schon gehört – ca. ein Viertel der Einnahmen aus der Umsatzsteuer von den reichen an die armen Länder verschoben und der Rest anhand der jeweiligen Bevölkerungsanzahl verteilt. Damit entfällt nun auch der Umsatzsteuervorwegausgleich, und somit wird eine zentrale Forderung von NRW erfüllt.

Es ist nämlich so, dass NRW seit 2014 fast 2,3 Milliarden € zum Umsatzsteuervorwegausgleich beisteuerte und beim nachgeschalteten Länderfinanzausgleich nur gut 900 Millionen € zurückerhielt. Mit der Neuregelung gewinnt unser Land also ab 2020 voraussichtlich 1,4 Milliarden € dazu.

Für sich alleine genommen ist dieser Teil der Einigung aus finanzieller Perspektive durchaus zu begrüßen. Außerdem ist NRW endlich die Negativbezeichnung „Nehmerland“ los. Das ist gut für die verletzte Eitelkeit der rot-grünen Landesregierung – aber wie hoch ist der Preis für diese punktuelle Genugtuung? Alle Bundesländer werden nun finanziell entlastet, da der Bund künftig rund 9,5 Milliarden € in das neue System einspeist.

Somit ist die finanzielle Besserstellung Nordrhein-Westfalens nicht auf das individuelle Verhandlungsgeschick der Landesregierung zurückzuführen, sondern es war praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, am Ende der Verhandlungen nicht mit mehr Geld in der Landeskasse dazustehen, Frau Kraft; da haben meine Vorredner recht.

(Beifall von den PIRATEN)

Ob das neue System so, wie es angepriesen wird, tatsächlich viel transparenter und nachvollziehbarer für die Öffentlichkeit ist, bleibt erst einmal abzuwarten. Das alte System der Bund-Länder-Finanzbeziehungen war maximal intransparent und kompliziert – das stimmt. In Deutschland haben es vielleicht 20 Menschen in seiner Komplexität völlig verstanden. Ein Blick in die Pressemitteilung der Bundesregierung zu der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs lässt aber nicht gerade auf einen Transparenzgewinn hoffen.

Bei der Einigung zwischen Bund und Ländern ging es jedoch nicht nur um den Finanzausgleich; das haben Sie auch so dargestellt. Vielmehr handelt es sich um ein kaum nachvollziehbares, alles miteinander vermischendes Verhandlungspaket. Es ist, um es ganz klar zu sagen, ein fauler Deal, der die Neuordnung von Finanzströmen mit der Verlagerung von Kompetenzen der Länder auf den Bund verknüpft.

Frau Ministerpräsidentin, ich stimme Ihnen zu, dass eine Ausweitung des Unterhaltsvorschusses dringend notwendig ist – aber das kann und sollte man auch tun, ohne gleichzeitig die Autobahnen zu privatisieren. Das geht!

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Das habe ich doch gesagt, wie das gehen soll!)

– Ja, ja. – Das ist unser Hauptkritikpunkt. Die Bundesländer haben einen zu hohen Preis für ihre finanzielle Besserstellung gezahlt, nämlich die Abgabe zahlreicher Gestaltungskompetenzen an den Bund – oder anders gesagt: Kohle gegen Kompetenz. Das ist eine schlecht Nachricht für das Land NRW!

(Beifall von den PIRATEN)

So werden unsere Demokratie und unser Föderalismus in finanzielle Geiselhaft genommen. Die Politik der schwarzen Null führt dazu, dass der Bund den Ländern und Kommunen nicht genügend Haushaltsmittel zur Bewältigung ihrer steigenden Aufgaben bereitstellt. Die Infrastruktur in unserem Land, die Schulen und Straßen zerfallen, während Schäuble im Bund das Geld zusammenhält.

Gleichzeitig wird im Bundestagswahlkampf schon mal mit Steuersenkungsversprechen gewedelt. Ist das die Generationengerechtigkeit, von der Sie sprechen?

Hat man die unteren Ebenen des föderalen Systems durch diese finanzielle Austrocknungspolitik erst mal ausreichend in Haushaltsnotlage gebracht, steigt zwangsläufig die Bereitschaft der Länder, für zusätzliche finanzielle Mittel weitere Gestaltungskompetenzen an den Bund abzugeben – und das alles bei einer immer stärker drückenden Schuldenbremse.

Herr Laschet, wie Sie das mit den Worten Ihres Parteikollegen Herrn Lammert in Einklang bringen und hier loben können, ist mir schleierhaft. Das bekommt von der Logik her kein normaler Mensch übereinander.

(Beifall von den PIRATEN)

Die finanziellen Zugeständnisse der Bundesregierung im Zuge der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs sind daher kein Ausdruck von Großzügigkeit – im Gegenteil. Die Einigung ist kein guter Deal für die Länder. Mit der Abgabe von immer mehr Kompetenzen an den Bund stirbt jedes Mal ein Stückchen Föderalismus in Deutschland. Wenn Sie so weitermachen, fällt bald der letzte Vorhang für die föderale Demokratie. Frau Kraft, das ist das genaue Gegenteil Ihrer Ankündigung von vorhin, die föderale Struktur bewahren zu wollen.

Meine Damen und Herren, schwerwiegende Folgen für die Menschen in NRW wird die Neustrukturierung des Länderfinanzausgleichs im Bereich „Verkehr“ haben. Es ist wie bei Ihren Handyverträgen: Das Wichtigste steht im Kleingedruckten.

Zentraler Bestandteil des Finanzausgleichs ist die Schaffung einer Bundesautobahngesellschaft oder „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, wie es im Text heißt. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Autolobby liebäugeln seit Langem mit dem Zugriff auf die Kompetenzen der Bundesfernstraßenverwaltung. Was heute noch in Länderhand ist, soll nun laut Beschluss vom 14. Oktober 2016 auf Bundesebene zentralisiert werden.

Das heißt, die Infrastrukturgesellschaft würde die Zuständigkeit für alle Bundesautobahnen und potenziell auch für die übrigen Fernstraßen für Pflege, Planung, Bau, Sanierung und Finanzierung übertragen bekommen. Die 6.000 Mitarbeiter von Straßen.NRW – der größte Landesbetrieb seiner Art in Deutschland – stehen dann selber auf der Straße.

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Quatsch!)

Die Abgabe von Gestaltungskompetenzen an den Bund hat also unmittelbar drastische Konsequenzen für die Landesbediensteten in NRW. Das ist nicht im Landesinteresse. Viel dramatischer ist eine Bundesautobahngesellschaft,

(Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Das ist Populismus!)

die der Voll- oder Teilprivatisierung der Autobahnen Tür und Tor öffnet. Im Beschluss vom 14. Oktober 2016 ist eindeutig festgelegt, dass die Infrastrukturgesellschaft privatrechtlich organisiert sein wird; das hat der Kollege von den Grünen sogar selbst hier angeführt.

Im Klartext heißt das: Es läuft entweder auf eine AG oder eine GmbH und gerade nicht auf eine Anstalt öffentlichen Rechts hinaus, bei der der Staat immer zu 100 % Eigentümer wäre.

Anders, als Sigmar Gabriel und auch die Ministerpräsidentin hier behaupten, wird eine Privatisierung der Autobahnen auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass man im gleichen Atemzug – ich zitiere – „das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festschreiben will“; denn bezieht man dies auf den privatrechtlichen Eigentumsbegriff, hieße das lediglich, dass der Bund zwar noch formal als Eigentümer im Grundbuch steht, aber, wie gesagt, können Planung, Bau, Finanzierung und Erhalt der Bundesfernstraßen trotzdem komplett an private Investoren übertragen werden.

Das ist kein Widerspruch. Deswegen ist da auch keine Grenze von Ihnen eingezogen worden.

Um eine Privatisierung der Autobahnen in Deutschland auszuschließen, müsste die Infrastrukturgesellschaft zu 100 % im Eigentum des Bundes bleiben. Der Bund kann aber problemlos 100 % der Gesellschaftsanteile an private Investoren verkaufen. Mit bewusst schwammigen Passagen im Beschluss-text – das haben Sie selbst eingestanden – wird ein zukünftiger Verkauf der Anteile an der Infrastrukturgesellschaft durch den Bund erst ermöglicht. Da reicht es nicht, Frau Ministerpräsidentin, dass man sich den Text der Vereinbarung im Nachhinein noch mal genauer anschauen und prüfen möchte. Das muss man bitte schön vorher machen, bevor man eine Vereinbarung unterschreibt!

(Beifall von den PIRATEN)

Sie ärgern sich über SANIFAIR an deutschen Raststätten? Warten Sie ab, bis die Investoren Gebühren für die Autobahnparkplätze an den Raststätten verlangen werden. Dann wird es lustig! Heuschrecken und Renditejäger werden zu Asphaltjunkies. Dann leben wir bald auch in einer SANIFAIR-Demokratie.

(Beifall von den PIRATEN)

Herr Finanzminister, ich frage Sie: Warum hat sich nicht auch NRW gegen eine drohende Autobahnprivatisierung gestemmt, wie es zum Beispiel Thüringen ausweislich der Protokollerklärung getan hat? Es ist entscheidend, schon jetzt den Verhandlungskorridor an akzeptablen Verhandlungslinien festzulegen. Es darf nicht sein, dass NRW einen Blankoscheck für Privatisierungen der Autobahnen erteilt. Genau das aber besagt die Vereinbarung, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.

Wir wissen doch alle: Die Einrichtung einer privatrechtlich organisierten Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ist auch ein Vehikel zur Finanzierung der Auftragsverwaltung für die Bundesfernstraßen über den Kapitalmarkt. Für Hedgefonds, Großbanken oder Versicherungskonzerne werden neue, attraktive Investitionsmöglichkeiten geschaffen. Alle anderen müssen mit dem Nullzinsdiktat der EZB leben, samt Negativzinsen auf ihrem Tagesgeldkonto und Gebühren am Geldautomaten. Wann hat dieser Privatisierungswahn endlich ein Ende?

Das sind alles Hirngespinste, sagen Sie? Auf keinen Fall. Der Abnicker der EU-Kommission zur Dobrindt-Maut zeigt es doch: Die Autobahnprivatisierung ist näher denn je. Alles, was in Sachen Privatisierung und Liberalisierung des Allgemeinwesens irgendwie rechtlich möglich ist, wird über kurz oder lang auch durchgesetzt. Verlassen Sie sich darauf.

Bald droht nicht nur die staatliche Pkw-Maut, sondern auch Wegzoll privater Investoren. Dabei wird sich die fehlende soziale Komponente bei einer Investorenmaut noch gravierender auswirken. Sie muss einkommensunabhängig gezahlt werden. Jeder, unabhängig von seiner Einkommenslage und seinen Vermögensverhältnissen, wird voll zur Kasse gebeten. Das führt zu einer weiteren gesellschaftlichen Spaltung. Das ist ein weiterer Schritt weg vom Grundrecht auf Mobilität. Nicht mit uns Piraten, nicht in unserem Namen!

(Beifall von den PIRATEN)

Hier schließt sich der Kreis. Zuerst wird durch die Politik der schwarzen Null und der Schuldenbremse die Infrastruktur in unserem Land kaputtgespart. Dann kauft der Bund den Ländern mit dem neuen Länderfinanzausgleich elementare Gestaltungskompetenzen ab. Bald werden wir erleben, dass der Bund diese neuen Kompetenzen an private Investoren in Form einer ÖPP-Konstruktion weiterreicht.

Begründung: Es gebe ja nicht ausreichend öffentliche Mittel, die Infrastruktur instand zu halten. Für dieses perfide Konstrukt wurde einst der Begriff „Kuhhandel“ erfunden.

Ich komme zum Schluss. Wir Piraten fordern in unserem Antrag, dass die Landesregierung jetzt einer drohenden Privatisierung der Autobahnen einen Riegel vorschieben muss. Es darf keinen Blankoscheck für eine „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ geben. Die Landesregierung muss den vollumfänglichen Fortbestand des Landesbetriebes Straßen.NRW mit seinen 6.000 Mitarbeitern garantieren. Genau das besagt unser Antrag. Stimmen Sie ihm zu! Er ist sehr gut. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun spricht der fraktionslose Kollege Schulz. Bitte schön.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen im Saal und daheim! Jetzt könnte man fast sagen: Eigentlich ist alles gesagt.

(Zurufe)

Frau Ministerpräsidentin, aus meiner Sicht hat der Kollege Kern die wesentlichen Aspekte, was nämlich den „Kuhhandel“ im Rahmen des neu geschaffenen Länderfinanzausgleiches angeht, gerade auseinandergenommen.

Die Unterrichtung vom heutigen Tage befasst sich von der Überschrift her mit dem Länderfinanzausgleich und den Möglichkeiten, die Nordrhein-Westfalen – Frau Ministerpräsidentin hat das eben besonders betont – ab 2020 durch das Mehr an Einnahmen in Höhe von 1,4 Milliarden € zur Aufgabenerfüllung zur Verfügung steht. Betrachten wir das doch einmal genauer: Was ist dieses Mehr, nämlich diese 1,4 Milliarden €, tatsächlich wert angesichts der Tatsache, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit 140 Milliarden € verschuldet ist?

Wir leben momentan in einer absoluten Niedrigzinssituation, bei der es, folgt man den Wirtschaftsweisen und -instituten sowie Banken in ihren Analysen, jedoch nicht bleiben wird. Sehr bald wird es also zu einer Zinsanhebung kommen. Selbst wenn wir nur von einem Prozentpunkt Zinsanhebung reden, wären die 1,4 Milliarden €, Herr Finanzminister, einfach futsch, weil die dann nämlich vom Land Nordrhein-Westfalen an Zinsen gezahlt werden müssen. – So viel dazu.

Was den Föderalismus angeht, den Frau Ministerpräsidentin hier durch die Neuregelung, durch diesen Kompromiss, als gestärkt ansieht, folge ich auch an dieser Stelle den Ausführungen des Kollegen Kern im Hinblick darauf, dass das Land Nordrhein-Westfalen und mit ihm alle Bundesländer mehr oder weniger wesentliche Kompetenzen an den Bund abgegeben haben.

Kommen wir einmal auf die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, die heute schon mehrfach im Fokus stand. Frau Ministerpräsidentin, es mag ja sein, dass das Eigentum des Bundes an den Bundesautobahnen im Grundgesetz festgeschrieben wird. Das allein reicht selbstverständlich nicht; das hat der Kollege Kern hervorragend hier ausgeführt. Besser kann man es nicht machen.

Jetzt kommt noch ein Punkt hinzu: Es muss natürlich nichts verkauft werden; das Eigentum bleibt beim Bund – alles schön und gut. Die wirtschaftlichen Verwertungsrechte werden dann möglicherweise aufgrund der finanziellen Zwänge in privater Hand liegen. Auch das ist angesichts der derzeitigen Infrastruktur nicht unbedingt ein Nachteil. Möglicherweise kann ein Privater gerade im Bereich der Infrastruktur Aufgaben, die von der öffentlichen Hand zu erfüllen sind, besser regeln. Möglicherweise stehen dann auch vonseiten der Investoren erhöhte finanzielle Mittel zur Verfügung, die wiederum besser ausgegeben werden können.

Was bleibt an dieser Stelle zu sagen? Es wird natürlich dazu kommen – diese Gespräche existieren seit Jahren auf verschiedenen Ebenen: auf Bundesebene, auf Landesebene und auch auf den Ebenen der privaten Wirtschaft –, dass es weitere Bestrebungen zur Privatisierung von Autobahnen gibt. Das ist schon seit dem Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands im Gespräch – damals im Zusammenhang mit dem Autobahnnetz der ehemaligen DDR, im Zusammenhang mit der Errichtung von Raststätten und Tankstellen an den dort befindlichen Autobahnen und im Zusammenhang mit dem weiteren Autobahnausbau im Osten der Bundesrepublik Deutschland. Seit diesem Zeitpunkt laufen solche Bestrebungen bereits.

Was nun seit über 20 Jahren diskutiert und beratschlagt wird, wird irgendwann – wie hier in dem Kompromiss hervorgehoben – zu einem positiven Ergebnis führen, Frau Ministerpräsidentin. Sie haben gesagt, dieser Kompromiss sei ein gutes Ergebnis für Nordrhein-Westfalen. Dieses Ergebnis ist aber auch ein guter Kompromiss zugunsten von privaten Investoren. Wäre ich Anlageberater, müsste ich empfehlen: Leute, investiert in solche Unternehmungen, die potenziell dazu in der Lage sein werden, die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ quasi in ihre Geschäftsmodelle zu inkorporieren.

Was darüber hinaus die Neuordnung angeht, ist alles Wesentliche bereits gesagt. Der Finanzminister hat zwar eben lächelnd mit dem Kopf genickt, dass diese Mehreinnahmen sehr wohl für die Aufgabenerfüllung in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen werden und eben nicht durch etwaige Zinsmehrausgaben aufgefressen werden. Ich bleibe allerdings dabei, dass Letzteres der Fall sein wird.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Ja, ich habe leider keine Anzeige.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ja, es sind aber jetzt schon gut fünf Minuten herum.

Dietmar Schulz (fraktionslos): Gut. Vielen Dank für den Hinweis, Herr Präsident. Ich komme deswegen auch zum Schluss.

Beiden Anträgen im Zusammenhang mit der „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ – sowohl von den Piraten als auch von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – werde ich jedenfalls zustimmen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, dass das Ergebnis, das die Ministerpräsidentin im Ringen mit Bund und anderen Ländern erzielt hat, von der Opposition in dieser Weise dargestellt wird. Man hat immer den Eindruck: Es geht gar nicht um die Frage, was da erreicht worden ist, sondern es geht darum, noch einmal zu sagen, was man immer schon einmal sagen wollte, unabhängig davon, ob es viel mit dem zu tun hat, worüber wir eigentlich reden wollten.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

– Herr Laschet, dass Sie im Präsidium der CDU sind, haben Sie hier dem staunenden Publikum noch einmal dargestellt. Es wäre schön, wenn man das an anderer Stelle auch merken würde, nicht nur dann, wenn Sie selber darauf hinweisen.

Sie sollten vielleicht auch einmal sagen, dass dieses Land enorme Leistungen im Kreis der Länder insgesamt erbringt, und vor allen Dingen, was es an besonderen Herausforderungen zu bewältigen hat. Sie sollten sich nicht hinstellen und immer wieder, wie man das an vielen Stellen merkt, Vergleiche anstellen – etwa mit den anderen Flächenländern – und dabei all diese Dinge, die Nordrhein-Westfalen und seinen Strukturwandel ausmachen, unberücksichtigt lassen.

Ich habe mehrfach schon moniert, dass Nordrhein-Westfalen mit den Flächenländern verglichen wird, in Wirklichkeit aber zu einem Drittel ein riesiger Stadtstaat ist: Die anderen Flächenländer haben insgesamt elf Städte mit einer Viertelmillion Einwohnern oder mehr und Nordrhein-Westfalen alleine zwölf. Daran sieht man vielleicht, dass es ein paar Dinge in der Sozialstruktur und in der Wirtschaftsstruktur gibt, die die anderen nicht so haben.

(Armin Laschet [CDU]: Das war immer schon so!)

– Ja, das war immer so. Deswegen nur eine Zahl: Die Steuerkraft des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2005 lag bei 110 % des Durchschnitts und 2010 bei 100 % des Durchschnitts. Was haben Sie denn in den fünf Jahren gemacht?

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielleicht sollte man sich auch einmal an die eigene Nase packen und sagen, dass da eine Menge Dinge zu tun sind, die man nicht von heute auf Morgen machen kann, dass der Strukturwandel hervorragende Ergebnisse im Vergleich zu anderen altindustrialisierten Regionen erbracht hat, aber dass das trotz des Erfolgs bedeutet, dass viele Menschen diesem Strukturwandel so nicht folgen konnten und wir in diesen Regionen einen wesentlich höheren Anteil an Menschen haben, die keine Steuern zahlen, sondern Transferempfänger sind und deswegen das Durchschnittssteueraufkommen des Landes pro Kopf nach unten ziehen.

Das sind Probleme, die andere Länder nicht haben und die wir auch nicht verschweigen. Aber die darf man doch nicht als Misserfolg hinstellen, sondern sie sind eine Herausforderung, etwas zu tun.

Die Frage ist jetzt: Was wollten wir als Nordrhein-Westfalen, und was hat die Ministerpräsidentin erreicht? Wir wollten eines nicht, trotz der Ankündigung, zu der ich stehe, dass wir gesagt haben: Wir wollen an einigen Stellen durchaus auch einmal „seehofern“ und „södern“, nämlich wenn es darum geht, dass andere erkennbar Nordrhein-Westfalen als die große Melkkuh über den Tisch ziehen wollten. Das wollten wir nicht sein.

Wir wollten aber auch nicht in Siegerpose vom Platz gehen und sagen: Wir haben mehr erreicht als das, was uns gerechterweise zusteht, sondern wir wollten auch Solidarität üben. Wir stehen zu dieser Solidarität, und das zeigen wir auch.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Wir wollten eine gerechte Lösung, die die Herausforderungen des Landes Nordrhein-Westfalen ehrlich abbildet und die das, was abgebildet wird und was an Ergebnis erzielt wird, auch öffentlich ausweist, damit es jeder nachvollziehen kann.

Nordrhein-Westfalen ist mit seiner Finanzkraft das fünftstärkste Land. Es liegt aber trotzdem im Durchschnitt der Finanzkraft knapp unter 100 %, weil es ein, zwei Länder – vor allen Dingen Bayern – mit einem erheblich höheren Pro-Kopf-Steuereinkommen gibt. Wer sich einmal ansieht, aufgrund welcher Strukturen und aufgrund welcher nicht vorhandenen Probleme das so ist, wird sich nicht hier hinstellen können und das alles mit einem Lobgesang auf die Bayerische Staatsregierung verbinden können, sondern der wird sagen, dass es auch unterschiedliche Voraussetzungen gibt, denen die Länder gegenüberstehen.

Wir wollten also so behandelt werden, wie wir stehen. Ich habe das eben schon gesagt: Wir sind jetzt bei rund 97 % der durchschnittlichen Steuerkraft der Länder. Wir waren einmal bei 110 %. Wir waren 2010 bei 100 % und sind 2015 bei 97 %.

Da ist es nicht mehr als recht, dass Nordrhein-Westfalen in der Endabrechnung dann auch so dasteht und behandelt wird – und nicht so, wie das im Moment der Fall ist, dass nämlich Nordrhein-Westfalen bei 97 % gemessen am Durchschnitt dasteht, als wenn es 1 Milliarde € bekäme, obwohl es in Wirklichkeit aber 1 Milliarde € gibt.

Deswegen stellt sich auch überhaupt nicht die Frage, ob Nordrhein-Westfalen Nehmerland bleibt. Es ist nicht Nehmerland. Nach der jetzigen Regelung, der ungerechten Regelung, die wir haben, geben wir jedes Jahr mehr als1 Milliarde € ab, bekommen aber jedes Jahr 1 Milliarde € auf dem Papier. Und das wird dann draußen hingehängt. Das ist aber nur 1 Milliarde €, die wir zurückbekommen, bei über 2 Milliarden €, die wir vorher gegeben haben.

Das, was wir uns jetzt für das Jahr 2020 ansehen, basiert auf den Berechnungen der Steuerschätzung für die Jahre 2019/2020. Da würden wir in der Tat mit dem Pro-Kopf-Anteil, den Nordrhein-Westfalen bekäme, nicht nur in der Darstellung, sondern auch in Wirklichkeit um 1,4 Milliarden € besser stehen. Die wirken sich natürlich aus. Wenn wir im Durchschnitt der Länder sind, sollten wir auch im Durchschnitt der Länder behandelt werden. Das heißt unter dem Strich in etwa: Nichtgeber und Nichtnehmer. Es ist ja nicht das Ziel, Geberland zu werden.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Doch, das ist das Ziel!)

– Ja, wenn es das Ziel wäre, Geberland zu sein, dann hätte die Ministerpräsidentin schlechter verhandeln müssen. Dann hätte sie weniger herausgeholt, und dann wären wir sicher Geberland.

(Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])

– Das ist eine schöne Forderung. Wenn das alles, was Sie sagen, wenn Sie mit Ihren Pro-Kopf-Zahlen kommen, nicht ausreicht, ja, dann müssen Sie fordern, dass Nordrhein-Westfalen in einem viel höheren Maß Nehmerland wird, obwohl es das von seiner Finanzkraft gar nicht vertreten kann.

(Zurufe von der CDU)

– Das ist eine sehr interessante Debatte. Darüber können wir uns gerne noch etwas länger unterhalten.

Ich sage jetzt nur: Es stimmt, Herr Witzel, nach der gegenwärtigen Steuerschätzung ist der Umsatzsteuervorwegausgleich abgeschafft. Aber es lebe nicht der Umsatzsteuervorwegausgleich, sondern es lebe der Ausgleich.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ja!)

Die einzige Größe ist jetzt der Ausgleich über die Umsatzsteuer – und nicht mehr, mit einer versteckten und einer sichtbaren Seite etwas zu machen.

So, jetzt sehen wir uns einmal an, wozu das führt und wer diejenigen sind, die wirklich profitieren:

Das Land Sachsen bekommt dann zu der Umsatzsteuer, die es gemessen am Bevölkerungsanteil eigentlich erhalten müsste, aus diesem Ausgleich 52,8 % zusätzlich dazu. Das heißt: Am Ende kommt ein Drittel der gesamten Einnahmen, die das Land Sachsen hat, aus der Alimentation von draußen.

(Armin Laschet [CDU]: Hört, hört!)

Sachsen-Anhalt bekommt sogar zu dem, was es an eigenem Aufkommen hätte, 66,5 % dazu. Selbst Niedersachsen im Westen bekäme noch 14 % und Rheinland-Pfalz 5,2 % dazu.

Wir reden jetzt gerade über die Frage, wo wir stehen, weil nach der Rechnung der gegenwärtigen Steuerschätzung Nordrhein-Westfalen 0,45 % mehr bekäme als nach dem Bevölkerungsanteil. Und jetzt fangen wir an zu basteln: Ist das jetzt Sieg oder Niederlage? –

Für mich ist das die richtige Darstellung der Position Nordrhein-Westfalens in der Finanzkraft der Länder.

Wenn Sie jetzt anfangen, mit den Pro-Kopf-Veränderungen zu rechnen, kann man fragen: Woher kommen die denn? – Die kommen daher, dass Nordrhein-Westfalen, Bayern und andere von ihren Beiträgen zur Umsatzsteuer entlastet worden sind und der Bund in die Bresche springt.

Dabei kann man sich über zwei Sachverhalte ärgern – das tue ich auch –:

Erstens. Der Bund macht das, weil sich Bayern ein ganzes Stück aus der Solidarität verabschiedet hat. Das, was die durchsetzen wollen, ist nicht, der Finanzkraft entsprechend richtig dargestellt zu werden, sondern weniger geben zu müssen. – Seit die Bayern Geber sind, haben sie immer diese Position vertreten. Als sie noch Nehmer waren – 34 Jahre lang –, sah das anders aus.

Zweitens. Den ostdeutschen Ländern ist es zum Teil gelungen, dem Bund mehr als die Kompensation dessen abzuluchsen, was wir am Ende an gerechtfertigter Besserstellung haben. Darüber ärgere ich mich auch. Das ist aber ein Teil, der nun mal zu einer Kompromissfindung dazugehört, wenn die Alternative ist, dass alles beim Alten bleibt und wir dann unsere Finanzkraft nicht im Land behalten dürfen.

Das Ergebnis ist Folgendes:

Wir wollten gerecht eingestuft werden. – Nach dem Ergebnis, das die Ministerpräsidentin mit nach Hause gebracht hat, wird Nordrhein-Westfalen gerecht eingestuft.

Wir wollten, dass das sichtbar wird. – Nach dem mitgebrachten Ergebnis wird es sichtbar.

Wir wollten Vergleichbarkeit mit anderen. – Das Ergebnis ist: Es ist künftig vergleichbar.

Wir wollten und wollen, dass Sonderlasten des Landes auch in anderen Programmen gerecht berücksichtigt werden und nicht mit 15 % bei gut 21 % Bevölkerungsanteil. – Das ist nicht Teil dieser Verhandlungen gewesen, wird aber Teil der Verhandlungen sein, die wir in den nächsten Jahren mit Sicherheit weiterhin führen müssen. Denn da ist Nordrhein-Westfalen weiter unterrepräsentiert. Die Berücksichtigung von Sonderlasten muss mehr auf die eben von mir besonders beschriebenen Strukturen Nordrhein-Westfalens zugeschnitten werden.

Wenn man dann sagt: „Na ja, all das ist immer nur Kosmetik“, müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht mit den Zahlen, mit denen Sie jetzt spielen, nur Kosmetik machen. Dazu gehört beispielsweise das Thema, in 200 Milliarden für die Bildung seien auch Pensionen enthalten. In jedem normalen Rechenwerk, bei dem es nicht um Beamte, sondern um gewerblich Beschäftigte geht, ist der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung natürlich auch Teil der Leistungen, die man erbringt. Bei Beamten ist es nun mal die Pension; den Arbeitgeberbeitrag gibt es nicht.

Wir können aber gerne, wenn Sie das für richtig halten, diesen Teil mal herausrechnen. Zum Vergleich: Bis jetzt hat die Landesregierung in ihrer Regierungszeit 200 Milliarden gegeben, und in der Zeit von Schwarz-Gelb waren es 95 Milliarden. Wenn man das auf beiden Seiten herausrechnet – das können wir gerne tun –, sieht die Rechnung alles andere als schlechter aus.

Bei der Zinsfrage, Herr Schulz, tun Sie so, als würde dann, wenn morgen das Zinsniveau um 1 % steigt, die Belastung des Landeshaushalts um 1,4 Milliarden steigen, weil der Kreditbestand 140 Milliarden beträgt.

Sie müssten aber sehen, wie viele Kreditgeber des Landes im Moment Wert darauf legen, zu niedrigsten Zinsen Anleihen für 30 Jahre zu finanzieren. Damit kann ich sagen, bei allem Optimismus, was die eigene Amtszeit angeht: Es wird mit Sicherheit noch Nachfolger, Nach-Nachfolger und Nach-Nach-Nachfolger geben,

(Lachen von Jochen Ott [SPD])

die viel davon haben, dass wir diese Zinsen so festgelegt haben. Ein 1%iger Zinsanstieg wird sicherlich nicht das auslösen, was Sie an die Wand malen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mein Hauptproblem ist: Wenn wir zusammen die Interessen des Landes vertreten – hier im Landtag und erst recht gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit –, sollten Opposition und Regierung sich bitte nicht so verstehen, dass die Regierung sich für die Interessen des Landes einsetzt und die Opposition das schlechtmacht, sondern dass wir diese Interessen gemeinsam vertreten.

Von mir aus könnte die Opposition auch fordern, dass irgendwo nachgeschärft werden muss. Aber wir sollten nach draußen das machen, was andere Länder auch tun: Regierung und Opposition treten für die Interessen ihres Landes ein und lassen die Erfolge, die das Land erzielt, auch als solche erkennbar werden und würdigen sie. Dann wäre uns an vielen Stellen geholfen, nicht nur bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Optendrenk.

Dr. Marcus Optendrenk (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister, Ihr ganzes jahrelanges Kommunikationskonzept zum Thema „Länderfinanzausgleich“ ist, wie Sie gerade wortreich geschildert haben oder versucht haben zu verschleiern, gescheitert. Sie waren es, die monatelang als Regierung gesagt haben: Wir wollen endlich wieder Geberland im Länderfinanzausgleich sein.

(Vereinzelt Lachen von der SPD)

Sie waren das – schauen Sie mal in die Presseschau! –, nicht wir. Derjenige, der dann sagt: „ Sie haben das gesagt“, ist auf einmal derjenige, der die böse Botschaft bringt, frei nach dem Motto: „Des Kaisers neue Kleider“. Das kleine Kind, das sagt: „Der Kaiser ist nackt“, ist auf einmal schuld. Aber alle sehen, Sie stehen an der Stelle mit ziemlich gerissener Hose dar.

(Beifall von der CDU)

Minutenlang ist hier erklärt worden, was denn alles ganz ordentlich gelaufen ist und warum es eigentlich ein großer Erfolg ist. Das passt nicht so ganz zu den Fakten. Offensichtlich wollte der Finanzminister anstelle der Ministerpräsidentin im zweiten Durchgang als Sandmännchen auftreten: uns einerseits Sand in die Augen streuen und andererseits möglichst alle schön in die Mittagspause entlassen. Das passt nicht; dafür ist dieses Thema zu wichtig.

Frau Ministerpräsidentin, Sie haben richtig gesagt, der Föderalismus muss uns viel wert sein, nicht nur in der aktuellen politischen Lage anderswo, sondern generell hier in diesem Landtag. Dazu hat unser Fraktionsvorsitzender das passende Zitat von Norbert Lammert gebracht.

Wenn man sich aber genau anschaut, was jetzt wieder passiert, dass Sie an allen Stellen außerhalb dieser Verhandlungen nach mehr Geld vom Bund rufen und sich dafür feiern, dass jetzt der Bund mehr bezahlt,

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Unter anderem für die Kommunen!)

dann hätten Sie allerdings wissen müssen, dass das, was seit Jahren vom Bund eingefordert wird, nämlich eine Revisionsklausel bei der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, irgendwann in den Verhandlungen noch mal auf den Tisch kommt.

Sich darüber überrascht zu zeigen, dass die 20 Punkte auch das Thema „Infrastrukturgesellschaft“ enthalten, und dann zu sagen: „Das hat uns alle furchtbar überrascht, dass das alles in den letzten Tagen so gekommen ist; es war so schwer, das wegzuverhandeln; das ging nicht“ – das geht einfach nicht.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Bleiben Sie bei den Fakten! – Zurufe von der SPD)

Frau Ministerpräsidentin, das geht nicht!

Wir haben hier im Mai 2015 eine Debatte darüber geführt, wie in Zukunft in Nordrhein-Westfalen die Infrastrukturgesellschaft aussehen könnte. Die CDU hat dazu einen Antrag vorgestellt. Wir haben darüber in den Ausschüssen debattiert. Der Antrag ist mit den Stimmen von Rot und Grün im März 2016 abgelehnt worden. Der Verkehrsminister hat sich darauf verlassen, dass alle Verkehrsminister lieber ihre eigene Landesverwaltung haben möchten, 16:0-Beschluss der Verkehrsministerkonferenz im März 2016.

Das ist auch alles nachvollziehbar. Natürlich will man es eher im eigenen Haus haben. Aber Sie haben sich als Gesamtlandesregierung überhaupt nicht ernsthaft mit der Forderung auseinandergesetzt. Das Paket mit der MPK-Einigung – 9,7 Milliarden € wollten Sie damals haben – ist nicht zu haben, wenn man dem Bund bei der Entflechtung und Verlagerung von Aufgaben nicht entgegenkommt. Das ist der Vorwurf, den man Ihnen politisch machen muss. Sie waren blauäugig oder Sie waren faul.

(Beifall von der CDU)

Nicht nur der Bundesfinanzminister hat mehrfach öffentlich erklärt, dass es an der Stelle um mehr geht als um die Frage, wie viel Geld er noch oben auf den Pott drauflegt. Ob es nach den 8,5 Milliarden, die er eine Zeit lang unter Anrechnungen konzediert hat, eine Milliarde mehr oder weniger ist – Sie als Landesregierung hätten es wissen können, Sie hätten es wissen müssen, Sie hätten sich darauf vorbereiten müssen. Es ist schon ein besonderes Beispiel dafür, dass Sie nicht gearbeitet und sich nicht vorbereitet haben. Sie sind wahrscheinlich sogar von den Einigungsmöglichkeiten auf Bundesebene überrascht worden, die sich im Herbst auf einmal aus ganz anderen Gründen ergaben.

Es ist schon typisch, dass man dann sagt: Wie kann man darauf eigentlich reagieren? Das kann doch eigentlich nicht sein. Dann machen wir lieber nichts und verlassen uns darauf, dass die Verkehrsministerkonferenz schon hinreichend dynamisch agiert hat.

Das funktioniert so nicht. So geht man übrigens mit einem starken Mandat, das Ihnen die Koalitionsfraktionen und die CDU-Landtagsfraktion in einem Entschließungsantrag zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gegeben haben, nicht um,

(Stefan Zimkeit [SPD]: Warum verabschieden Sie sich jetzt von diesem Mandat?)

wobei wir genau das, was Sie, Herr Finanzminister, am Schluss beschrieben haben, gesagt haben: Hier geht das Landesinteresse vor dem Interesse von Fraktionen und Parteien. – Ich muss an dieser Stelle sagen: Sie haben dieses Mandat nicht gut genutzt.

(Beifall von der CDU)

Sie haben sich auf den Lorbeeren von vermeintlich tollen Positionen ausgeruht. Das passt insgesamt in das Bild.

Herr Finanzminister, Sie haben eben wieder die Gründungslegende der Sozialdemokraten über das Land Nordrhein-Westfalen wortreich vorgetragen. Sie haben das erzählt, was Bodo Hombach erfunden hat, was Sie damals als Regierungssprecher von Johannes Rau schon immer vertreten haben: Eigentlich sei das ein ganz tolles Land im Strukturwandel. Der Strukturwandel brauche eben Zeit. Die Jahrzehnte, die wir als Strukturwandel gehabt hätten, wären doch eigentlich ganz toll. Und am besten habe man immer Sozialdemokraten an der Spitze einer Regierung. – Das war die Gründungslegende der Sozialdemokraten.

(Beifall von der SPD – Stefan Zimkeit [SPD]: Bravo! Erster vernünftiger Satz!)

Bei dieser Gründungslegende vergessen Sie nur: Erstens ist sie nicht wahr, denn die Gründungslegende Nordrhein-Westfalens lautet nicht, dass der erste Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens ein Sozialdemokrat war. Zweitens. Sie haben als Regierung in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren bis zu Wolfgang Clement keinen Strukturwandel begleitet, sondern Strukturen konserviert. Sie haben Geld über alles drübergeschüttet, damit es keinen Strukturwandel gibt.

(Michael Hübner [SPD]: Was ist das denn für ein Unsinn? – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Es gibt viele Beispiele dafür, wo Innovation eben nicht stattgefunden hat. Wolfgang Clement hat Ihnen das vorgehalten. Ich erinnere mich noch genau an den Regierungswechsel innerhalb der SPD, als Wolfgang Clement Ministerpräsident wurde. Damals hat er wie Roman Herzog gesagt: Es muss ein Ruck durch dieses Bundesland gehen. Wir müssen diese Strukturen aufbrechen, damit wir Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder haben. – Genau das machen Sie seit sieben Jahren wieder nicht mehr. Das Absinken der Finanzkraft ist ja nur ein Spiegel des Absinkens der Wirtschaftskraft. Es ist unfair gegenüber unseren Kindern und Enkeln und gegenüber den Menschen in diesem Land.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Eine Führung durch das Ruhrgebiet gefällig?)

Das Gleiche passiert bei dem Thema „Autobahngesellschaft“. Jetzt bauen Sie wieder einen Popanz auf. Die Ministerpräsidentin war die Einzige, die für das Land Nordrhein-Westfalen verhandeln konnte. Es konnte Ihnen überhaupt kein Parlamentarier Rückendeckung geben, weil das mehr oder minder eine sehr schnell im kleinen Kreis durchgeführte Verhandlung war.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ihr Vorsitzender hat keinen Einfluss in Berlin!)

Diese Verhandlung, die Sie geführt haben, haben Sie in Bezug auf die Infrastrukturgesellschaft mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass – wörtlich – die Reform der Bundesauftragsverwaltung mit Fokus auf Bundesautobahnen und Übernahme in die Bundesverwaltung stattfindet. Es soll eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr eingesetzt und – Zitat – das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Im Grundgesetz festgeschrieben werden!

Und dann kommt dieser Popanz mit dem Entschließungsantrag von Rot-Grün, wo im Nachgang auf einmal gesagt wird: Wir müssen aber auf so viele Sachen aufpassen. – Die Würfel sind gefallen. Sie reden jetzt noch über Details. Bei allem Respekt für Ihren Chef der Staatskanzlei – auch der wird nur noch über Details reden. Sie tun so, nachdem der ICE abgefahren ist, als wäre der leider zu früh gefahren. Sie haben es verpasst! Sie hätten sich trotz der 16:0-Entscheidung der Verkehrsminister entschlossen vorbereiten können. Dann hätten Sie eine Lösung, die Ihnen noch besser gefällt.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Welche denn? Butter bei die Fische! – Zurufe von der SPD)

– Sie hätten eine Lösung, wären Sie vorbereitet gewesen. Sie waren es aber nicht. Sie waren nicht vorbereitet!

(Beifall von der CDU)

Die Forderungen des Bundes kamen offensichtlich für Sie genauso überraschend wie demnächst Weihnachten.

(Beifall von der CDU)

Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Das finde ich eigentlich noch unglaublicher. Sie stimmen als Ministerpräsidentin dieses Landes einer Regelung zu, dass die Kommunen ab dem 1. Januar 2017 etwas umsetzen sollen, obwohl Ihr Finanzminister sonst immer sagt: Steuergesetze, die am 15. Dezember im Vermittlungsausschuss herauskommen, kann man doch zum 1. Januar nicht umsetzen. – Sie sagen das auch, auch von diesem Mikrofon aus haben Sie so etwas schon gesagt. Trotzdem stimmen Sie einer solchen Regelung beim Unterhaltsvorschussgesetz zu. Die Ziele sind alle respektiert; dazu hat unser zukünftiger Ministerpräsident alles gesagt.

(Lachen von der SPD)

Aber wie wollen Sie den Kommunen in Nordrhein-Westfalen denn erklären, dass sie das Personal zur Verfügung stellen, um diese Ausgabenausweitung und Aufgabenausweitung zu leisten? Das kann nicht funktionieren. Sie haben auch an dieser Stelle schlecht verhandelt.

(Beifall von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Nur zwei klatschen!)

Was als eine Unterrichtung des Landtags daherkam, in der Sie große Erfolge verkünden wollten – das haben Sie beide gerade eindrucksvoll gezeigt –, sind eigentlich reine Beschwichtigungsversuche. Im Nachhinein werden Sie sich sagen: Hätten wir diese Unterrichtung besser gar nicht beantragt, dann wären wir hier nicht so untergegangen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU – Stefan Zimkeit [SPD]: Realitätsverlust, Herr Kollege!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Optendrenk. – Für die Landesregierung hat sich die Frau Ministerpräsidentin gemeldet. – Bitte schön, Frau Kraft.

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin: Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das kann ich hier nicht so im Raum stehen lassen. Herr Optendrenk, ich bitte Sie, bei den Fakten zu bleiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde, was Sie hier dargestellt haben, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Sie müssen einmal eines berücksichtigen: Wenn Sie von Ihrem Fraktionsvorsitzenden sprechen, dann müssen Sie auch darüber reden, welchen Einfluss der auf die CDU in Berlin hat.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Null! Null! Schwarze Null!)

Sie können nicht alles Negative und alle Kompromisse, die man in Verhandlungen eingehen muss, bei uns abladen. Ihre Fraktionskollegen in Berlin und Ihr Fraktionspartner, die CSU, haben diese Dinge schließlich auf den Tisch gelegt und ein noch viel schnelleres Inkrafttreten gefordert. Wenn Sie das alles vorher abgeräumt hätten, dann wäre das Ergebnis ein anderes gewesen. Sie machen sich hier einen schlanken Fuß, und das gehört sich nicht. Es gehört sich einfach nicht!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ja, jetzt grinst er, weil er mich aus der Reserve gelockt hat. Das sind die politischen Spielchen, die die Leute dort oben auf der Tribüne leid sind. Die wollen, dass wir bei Daten und Fakten bleiben. Hier geht es um Demokratie,

(Zurufe von der CDU)

und wer das heute nicht verstanden hat, der hat die Demokratie und den Föderalismus nicht verstanden, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Jochen Ott [SPD]: Bravo!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerpräsidentin. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Becker das Wort.

Andreas Becker (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Worten der Ministerpräsidentin ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von CDU und FDP)

Die Nachricht, die von der Rede des Herrn Optendrenk übrig bleiben wird, ist die, dass bei seiner Aussage, der nächste Ministerpräsident hieße Laschet, betretenes Schweigen in den Reihen der CDU anzutreffen war.

(Beifall von der SPD)

Ich möchte aber, weil es in der Tat wichtig ist, die Fakten zu nennen, auf den Teil zu sprechen kommen, der in Zukunft mit Verhandlungen konkretisiert werden und noch ein entsprechendes Gesicht bekommen muss. Vielleicht hätte man sich diesen Teil heute auch sparen können, bis wir etwas Konkreteres auf dem Tisch liegen haben.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Ja!)

Allerdings möchte ich für meine Fraktion schon einige Leitplanken setzen, an denen sich die Verhandlungen und Gespräche zur Bundesfernstraßengesellschaft orientieren sollten.

Wir halten das für erforderlich, weil die Piraten einen Antrag zum Thema „Bundesfernstraßengesellschaft“ gestellt haben, den wir Sozialdemokraten, wie alle vernünftigen Menschen, gleich ablehnen werden, weil er schon mit der ersten Forderung den Kompromiss infrage stellt. Das wollen wir ausdrücklich nicht.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum wir das heute tun müssen. Ich habe selten – jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht unparlamentarisch werde – einen größeren Unsinn gehört als gerade, als Herrn Kern sagte, dass er die 6.000 Beschäftigten des Landesbetriebs Straßenbau schon auf der Straße sehen würde. Es ist unverantwortlich, solche Geschichten hier zu erzählen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Jochen Ott [SPD] – Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das ist Populismus! Das ist die Basis!)

Für uns Sozialdemokraten ist wichtig: Erstens. Am Ende muss unser aller Infrastruktur in öffentlicher Hand bleiben und darf nicht zum Spekulationsobjekt wirtschaftlicher Interessen werden.

(Beifall von der SPD)

Die Geschichte zeigt doch: Der Privatisierungswahnsinn bei Bahn und Wohnungswirtschaft hat den Menschen in unserem Land nicht geholfen. Im Gegenteil: Wir sind, insbesondere was die Wohnungswirtschaft angeht, mit der Beseitigung der Kollateralschäden sehr beschäftigt.

Vor diesem Hintergrund muss die gefundene textliche Kompromissformel, wie schon im Beschluss beschrieben, nämlich dass es weiterer intensiver und konstruktiver Diskussionen bedürfe, juristisch dahin gehend geprüft und gesichert werden, dass sie diesen Versprechen auch standhält.

Zweitens. Wir in Nordrhein-Westfalen haben überhaupt keinen Anlass ängstlich in diese Verhandlung zu gehen. Im Gegenteil: Wir haben jeden Grund, uns mit breiter Brust dieser Herausforderung zu stellen. Diese Landesregierung, insbesondere der Verkehrsminister Mike Groschek, haben aus einem Landesbetrieb, der 2010 vor die Wand gefahren war und am Boden lag,

(Zuruf von der CDU: Was?)

bis heute einen leistungsfähigen und kompetenten Straßenbaubetrieb geschaffen,

(Beifall von der SPD – Zuruf von der CDU)

einen Betrieb, der 2013 noch Millionen an Bundesmitteln zurückgeben musste, 2014 und 2015 aber schon dreistellige Millionenbeträge mehr abgerufen hat als vorgesehen und der heute in der Lage ist, bis zu 1,25 Milliarden € pro Jahr baulich umzusetzen und wieder Planungsvorräte anzulegen.

(Karlheinz Busen [FDP]: Schlimmer geht immer!)

– Ja, Sie können erzählen, was Sie wollen. Sie müssen einmal mit den Menschen reden. Sie müssen einmal mit den Beschäftigten reden.

(Zuruf von der FDP)

Wenn Sie denen sagen, dass Sie die Interessen der Beschäftigten wahren wollen, liegen die vor Lachen auf dem Boden – nach dem, was Sie 2005 bis 2010 mit diesem Landesbetrieb angestellt haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ausschlaggebend dafür, dass der Landesbetrieb heute so dasteht, wie er dasteht, waren die Aufhebung des Einstellungsstopps und Neueinstellungen, die Erhöhung der Mittel für Fremdvergaben und der Einstieg in die DEGES, aber eben auch eine Umstrukturierung und eine Umorganisation des Landesbetriebs, mit der allein bis zu 150 Dienstposten für Planen, Bauen und Erhalten bereitgestellt werden können.

Das hinzukriegen war nicht einfach. Das bekommt man nur hin, wenn man die Betroffenen mitnimmt und sie an diesem Prozess beteiligt. Damit sind wir bei meinem dritten Punkt angelangt. Genau das, nämlich dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitgenommen und beteiligt werden, erwarten wir jetzt auch bei den Verhandlungen zur Bundesfernstraßengesellschaft.

(Beifall von der SPD)

Ich komme zum vierten und letzten wichtigen Punkt. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass es für die Beschäftigten des Landesbetriebs Straßenbau NRW eine Arbeitsplatzgarantie gibt. Und nicht nur das: Wir gehen davon aus, dass sich diese Arbeitsplatzgarantie auch in der jeweiligen Region umsetzen lässt.

Das sind die Punkte, die uns wichtig sind: keine Privatisierung der Infrastruktur, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen und beteiligen sowie eine Arbeitsplatzgarantie, und diese Arbeitsplatzgarantie in der jeweiligen Region.

Das sind die Leitplanken; das sind die Ziele. Und die – das sage ich Ihnen nach der Debatte ganz offen – wissen wir bei der Landesregierung in guten Händen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Rasche.

Christof Rasche (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier übrigens einen Präsidenten mit westfälischen Wurzeln. Das wollte ich noch einmal betonen. Das hörte sich vorhin in der Rede sehr gut an, lieber Herr Präsident.

Infrastruktur, Gesellschaft, Verkehr – unter dem Strich ist das doch nichts Böses. Entscheidend ist: Was steht am Ende darin, und wie wird es organisiert? Dann können wir bewerten, ob es ein erfolgreiches Produkt ist oder ob es ein Produkt ist, das seine Ziele vielleicht erneut nicht erreicht.

Wir hätten uns schon lange mit den Inhalten einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft beschäftigen können. Die Verkehrsminister der Länder, darunter auch Mike Groschek, haben sich aber monatelang hinter einer Prinzipienforderung verbarrikadiert, die die Dobrindt-Kommission formuliert hat – wohl wissend um die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Ministerpräsidenten am Ende einknicken und diese Strukturdiskussion dann in aller Kürze auf uns zukommt. Ich sage Ihnen: Wir sind schlecht vorbereitet.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was war denn das Motiv für den Bund, mehr Straßenbauplanung an sich zu ziehen?

Erstens gab es das Ziel und das Selbstverständnis, dass für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für Arbeitsplätze in Deutschland eine bedarfsgerechte Infrastruktur elementar ist, dass die Infrastruktur aber nicht nur kaputtgeht, sondern auch in vielen Bereichen ihre Engpässe erreicht und dass insofern saniert und gebaut werden muss.

Zweitens misstraut der Bund vielen Ländern. Der Bund traut vielen Ländern nicht zu, für eine bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur zu sorgen, weil die Planungen nicht in dem Zeitraum abgewickelt werden, in dem sie abgewickelt werden müssten. Der Bund misstraut nicht der Auftragsverwaltung, also der Verwaltung bei uns in Nordrhein-Westfalen, sondern er misstraut der Regierung und dieser Opposition, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Minister Michael Groschek)

Nordrhein-Westfalen hat unter Rot-Grün zwischen 1995 und 2005 fast in jedem Jahr zweistellige Millionenbeträge an den Bund zurückgeben müssen, weil nicht geplant worden ist. Minister Groschek ist 2013 das Gleiche passiert. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Frechheit besessen, einen Planungsstopp über Dutzende von Maßnahmen zu verhängen, obwohl der Bund gesetzlich den vordringlichen Bedarf festgestellt hat.

(Karlheinz Busen [FDP]: Hört, hört!)

Als Minister Dobrindt in diesem Jahr ein Investitionspaket über 2 Milliarden € aufgelegt hat, hat er allen Bundesländern gesagt: Nennt mir eure baureifen Projekte. – Wie viele Projekte konnte Nordrhein-Westfalen melden? Null baureife Projekte. Mit dieser Bilanz kann sich also niemand rühmen.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Dann kommt es wieder zu diesem Vorwurf vom Kollegen Becker, den wir natürlich ansonsten sehr schätzen. Dabei hat Ministerpräsidentin Kraft eben noch von der CDU gefordert, man solle sich doch an Fakten halten. Genau das hat Herr Becker nicht getan.

(Andreas Becker [SPD]: Ach!)

Wahr ist nämlich, dass unter Schwarz-Gelb zwar Stellen abgebaut worden sind, aber parallel dazu Drittmittel für Ingenieurleistungen ausgeweitet worden sind. Unter dem Strich wurde die Ingenieurleistung nicht reduziert.

(Lachen von Arndt Klocke [GRÜNE])

– Herr Klocke, Sie haben doch dafür gesorgt.

Im Jahre 2010 haben SPD und Grüne die Regierung übernommen. Es wurden weiterhin in gleichem Maße Stellen abgebaut. Parallel dazu wurden die Drittmittel für Ingenieurbüros radikal reduziert.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Das war die erste Regierung in dieser Zeit, die die Ingenieurleistungen unter dem Strich erheblich reduziert hat.

Lieber Herr Becker, bleiben Sie bei den Fakten. Und dann lassen Sie vielleicht bei der nächsten Diskussion diese blödsinnige Argumentation, die mit Fakten nämlich überhaupt nichts zu tun hat.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben in Nordrhein-Westfalen viel zu viel Stau und zu wenig Bau. Gründe dafür sind der verhängte Planungsstopp und kaum Planfeststellungsbeschlüsse. Das hängt natürlich an der Blockade – das ist auch kein Geheimnis – der Kollegen der Grünen.

Mike Groschek hat zum Beispiel bei der Handwerkskammer in Düsseldorf das Wort „grün“ in den Mund genommen. Er macht das ja nicht, weil Grün auf einmal seine Lieblingsfarbe geworden ist,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

sondern, weil er sieht, wie sein grüner Koalitionspartner verschiedene Planfeststellungsverfahren ganz geschickt blockiert.

Sie von Rot und Grün reden in Ihrem Antrag heute von Transparenz bei Straßen.NRW oder in der Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist genau das Gegenteil.

Viele Umgehungsstraßen warten seit 20, 30, 40 Jahren in Nordrhein-Westfalen auf einen Planfeststellungsbeschluss. Das ist auch ein kompliziertes Feld. Aber die Leute vor Ort, auch die Bürgermeister und die Verwaltungen, hätten gerne gewusst, warum sie denn so lange warten müssen. Sie würden es wissen, wenn es diese Transparenz geben würde. Aber diese Transparenz gibt es nicht.

Wir brauchen also ein anderes Verfahren. Wir brauchen konkrete Vereinbarungen über Teilabschnitte, um bei Planfeststellungsverfahren ein Stück weiterzukommen. Da muss nach drei Monaten berichtet werden, öffentlich und transparent: Welche Teilabschnitte wurden eingehalten, und bei welchen Teilabschnitten hat das nicht geklappt, und warum hat das nicht geklappt? Und dann werden die nächsten Zielvereinbarungen geschlossen. So würde man Transparenz erreichen und der Bevölkerung wieder glaubhaft machen, dass man tatsächlich Planfeststellungsbeschlüsse in Nordrhein-Westfalen erreichen will. Im Moment ist das Gegenteil der Fall.

(Beifall von der FDP und Lutz Lienenkämper [CDU])

Lieber Herr Minister, Sie können uns ja gleich in Ihrer Rede einmal berichten, wie viele Planfeststellungsbeschlüsse denn noch bis zur Landtagswahl am 14. Mai 2017 erfolgen sollen. Nach unserer Vorstellung sollten es schon fünf bis zehn Planfeststellungsbeschlüsse sein, damit wir demnächst nicht wieder Mittel verschenken. Man hört hinter den Kulissen, zwei Planfeststellungsbeschlüsse – unter anderem die Leverkusener Brücke – ließen die Grünen zu. Der Rest wird wieder blockiert.

Ich würde mir neben der Leverkusener Brücke einen Planfeststellungsbeschluss im Januar, im Februar einen zweiten, im März einen dritten, im April einen vierten und im Mai einen fünften wünschen, lieber Herr Kollege Groschek.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Das wäre gut. Dann würden Sie eben nicht nur ankündigen, sondern Sie würden auch liefern.

Meine Damen und Herren, in Wahrheit werden wir auf die meisten Planfeststellungsbeschlüsse bis zum 14. Mai 2017 warten müssen. Dann wird sich entscheiden, ob es in der Infrastrukturpolitik in Nordrhein-Westfalen zu einem Politikwechsel kommt.

Ich glaube, ein Punkt ist wichtig, um diesen Politikwechsel zu erreichen – lieber Herr Kollege Arndt Klocke, du bist ja gleich dran –: Die FDP wird vor den Grünen liegen müssen. Sonst kriegen wir diesen Politikwechsel nicht hin. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Rasche. – Nun spricht, wie schon angekündigt, Herr Kollege Klocke für die grüne Fraktion. Bitte schön.

Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Christof Rasche, das hier ist keine FDP-Wahlkampfveranstaltung.

(Beifall von den GRÜNEN und Jochen Ott [SPD])

Sie lassen wirklich keinen Anlass und keine Podiumsdiskussion dafür aus. Man bekommt das immer erzählt, wenn man selbst nicht da. Fakten werden nicht erwähnt, aber das Hauptthema von Christof Rasche – egal, ob er beim DGB oder bei irgendwelchen Spediteursverbänden redet – ist, gegen die Grünen zu sein.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Diese Masche ist 2000 von Möllemann genauso genutzt worden – auch faktenfrei.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Das macht Herr Groschek aber auch!)

– Nein, nein, nein. Herr Groschek argumentiert schon inhaltlich.

(Lachen von Hendrik Schmitz [CDU] – Zuruf von der FDP: Rot-Grün und so!)

– Nein, nein, nein, da geht kein Blatt Papier dazwischen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Michael Groschek)

Wir ärgern uns zwar auch manchmal. Aber wenn ich zwischen Rasche und Groschek zu entscheiden hätte, wüsste ich mich schon klar zu entscheiden, wen ich da als Verkehrsminister oder verkehrspolitischen Sprecher gut fände.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nun habe ich aber das Wort. Christof Rasche war ja eben dran. Jetzt will ich gerne zu Herrn Optendrenk kommen. Man kann ja so eine Rede halten, wie Sie das eben hier gemacht haben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Muss man aber nicht!)

Aber jegliche Position zu dieser Frage „Bundesautobahn- oder Infrastrukturgesellschaft“ vonseiten der CDU nicht zu erwähnen …

(Zustimmung von Minister Michael Groschek)

Wie sieht die CDU das denn?

Jetzt kommen wir einmal zu dem – das will ich gerne ansprechen –, was eigentlich gerade gespielt wird, und zwar vor allen Dingen in Berlin. Dafür braucht es auch gar keine FDP – weder im Bundestag noch in der Bundesregierung.

(Minister Michael Groschek: Richtig!)

Das schafft die Große Koalition schon alleine.

(Beifall von Horst Becker [GRÜNE] und Achim Tüttenberg [SPD] – Zurufe von der FDP)

– Jetzt hört doch einfach einmal zu, Leute. – Es gab vom Bundeswirtschaftsminister die externe Vergabe eines Gutachtens an Herrn Fratzscher vom DIW. Er hat ein großes Gutachten zur Infrastrukturfinanzierung vorgelegt. Der wichtigste Vorschlag war: Wir schaffen eine Bundesinfrastrukturgesellschaft. Wir privatisieren Bundeseigentum. Wir schaffen Anlagemöglichkeiten für Versicherungen und andere große Konzerne, damit sie in der Null- oder Niedrigzinsphase eine Möglichkeit haben, in Infrastruktur zu investieren. Dafür müssen wir aber den Ländern die Verkehrsinfrastruktur entreißen. – Das ist der Tenor des Berichts der Fratzscher-Kommission.

(Minister Michael Groschek: Genau!)

Die Länderverkehrsminister haben klug gehandelt und danach diesen Bericht eben nicht angenommen, sondern mit der Bodewig-II-Kommission eine eigene Linie vorgelegt.

Teil dieser Bund-Länder-Einigung, die wir grundsätzlich begrüßen, ist, dass die Tür für eine sogenannte Bundesverkehrsgesellschaft aufgemacht wurde. Ich bin der Ministerpräsidentin sehr dankbar dafür, dass sie eben darauf hingewiesen hat, dass die näheren Regelungen noch nicht festgelegt sind. Wie das organisiert wird, ist also noch nicht in dem Beschluss der Ministerpräsidenten festgelegt. Festgelegt ist nur, dass eine solche Bundesinfrastrukturgesellschaft kommen soll.

Das können wir auch von grüner Seite und als regierungstragende Fraktion mittragen. Es stellt sich aber eine grundsätzliche Frage der Staatsorientierung. Die Haltung der FDP ist mir klar. Aber die Meinung der CDU würde mich einmal interessieren. Will die CDU den Weg mitgehen, dass unsere Verkehrsinfrastruktur – unsere Autobahnen, unsere Bundesstraßen, unsere Landesstraßen – in Deutschland privatisiert werden soll? Soll sie von einer Infrastrukturgesellschaft, die privatrechtlich organisiert und von Versicherungskonzernen finanziert wird, verwaltet werden? Wir sagen an der Stelle ganz klar Nein. Da sind wir von SPD und Grünen sehr klar.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn wir meinen, dass Verkehrsplanung auch öffentliche Aufgabe ist. Wir wollen Parlamente damit befassen, wie die Schwerpunkte gelegt werden. Wir wollen auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine klare Perspektive haben, und zwar in einer öffentlich-rechtlich organisierten Gesellschaft. Deswegen haben wir diesen Entschließungsantrag vorgelegt.

Lieber Christof Rasche – auch wenn er sich gerade unterhält –, man kann ja immer auf die Verkehrspolitik der Landesregierung einprügeln oder sie scharf kritisieren, wie das auch gemacht wird. Aber zur Wahrheit gehört genauso, dass keine Landesregierung vorher so viel Geld für die Sanierung unserer Verkehrsinfrastruktur in die Hand genommen hat wie diese rot-grüne Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Michael Groschek)

Das waren in diesem Haushalt 115 Millionen €. Wir setzen mit dem Haushalt 2017 da noch eins drauf und legen nochmals mindestens 10 Millionen € zusätzlich drauf.

Das ist doch das, was Sie fordern und was auch die Industrie fordert. Sie wollen intakte Verkehrswege. Sie wollen intakte Brücken und intakte Straßen. Da geht es doch nicht immer um den Ausbau von irgendeiner Ortsumgehung in Borken oder in Ostwestfalen, sondern es geht darum, dass unsere Straßen und unsere Brücken saniert werden.

Keine Landesregierung vorher hat so viel Geld dafür die Hand genommen und so viele vernünftige Planungen geleistet wie diese Landesregierung. Die FDP und Sie, lieber Herr Rasche, ignorieren das an jeder Stelle und reden bei allen Veranstaltungen, bei denen Sie auftreten, falsch Zeugnis.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Sie erzählen da nicht die Wahrheit.

(Widerspruch von der FDP)

Es sind jetzt 115 Millionen €. Im letzten schwarz-gelben Haushalt waren es 60 Millionen €. Wir haben das fast verdoppelt, lieber Herr Rasche und auch liebe CDU.

(Christof Rasche [FDP]: Völliger Quatsch!)

– Das ist nicht völliger Quatsch. Das sind die Zahlen, die im Haushalt stehen. Damit sollte man sich beschäftigen.

(Christof Rasche [FDP]: Sie dürfen nicht nur ein einziges Jahr nehmen – erst recht nicht zur Finanzkrise!)

– Im Jahr davor waren es 100 Millionen €. Das waren auch 40 Millionen € mehr als unter Schwarz-Gelb.

Und zu der Rechnerei, die eben gemacht worden ist, was Straßen.NRW angeht, sage ich Ihnen: Sie haben jedes Jahr 1,8 % der Stellen abgebaut. Die Vorgabe des Finanzministers waren 1,5 %.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Michael Groschek)

Bei Straßen.NRW waren es zusätzlich 0,3 %.

(Christof Rasche [FDP]: Was haben die Kollegen Becker und Voigtsberger gemacht?)

– Das ist zunächst weitergeführt und dann gestoppt worden.

(Christof Rasche [FDP]: Genau! Es ist gestoppt worden!)

– Ja, es ist gestoppt worden; ganz genau.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Arndt Klocke (GRÜNE): Wir sind danach der DEGES beigetreten.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Lieber Herr Kollege Rasche, Sie können mir ja eine Zwischenfrage stellen, wenn es nötig ist. Aber unterbrechen Sie mich bitte nicht immer. Das ist doch nicht fair.

(Lachen von der FDP)

Wir kommen jetzt zum eigentlichen Antrag. Die Debatte, die in den nächsten Wochen und Monaten ansteht, bezieht sich auf die Frage, wie diese Bundesinfrastrukturgesellschaft aufgestellt werden soll. Wir sagen von rot-grüner Seite sehr klar: Sie soll öffentlich-rechtlich organisiert sein – und wenn der Bund die Straßen aus Berlin verwaltet.

Dabei frage ich mich immer – deshalb wundere ich mich auch über die Opposition hier –, ob beispielsweise die Bahn, also die DB Netz AG, oder die Wasser- und Schifffahrtsstraßenverwaltung, von denen in Deutschland Verkehrswege aus Berlin zentral organisiert, gesteuert und geplant werden, die Best-Practice-Beispiele sind, die dafürsprechen, dass die Straßen in Zukunft auch aus Berlin organisiert werden sollen. Das müsste doch erst einmal von Ihrer Seite belegt werden.

Wenn man das jetzt in Zukunft macht, gilt für uns ganz klar: Es muss eine Garantie geben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine vernünftige Arbeitsplatzperspektive haben. Es muss eine Garantie dafür geben, dass es weiterhin eine öffentlich-rechtliche Mitsprache auch der Parlamente gibt. Außerdem muss es eine öffentlich-rechtliche Organisationsform geben.

Das sind die Punkte, die wir in diesem Entschließungsantrag formulieren. Deswegen haben wir ihn vorgelegt. Uns würde wirklich brennend interessieren, wie die CDU zu den vorgebrachten Punkten steht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Geht die CDU mit in Richtung Straßenprivatisierung? Oder sind für die CDU Straßen und Infrastruktur weiterhin öffentliches Eigentum? Sie sollten heute die Gelegenheit nutzen, das hier klarzustellen. Dann wäre die Debatte wirklich sinnvoll gewesen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Klocke. – Für die Piratenfraktion hat nun Herr Bayer das Wort.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Verkehrsinfrastrukturgesellschaft erst etwas zu unterzeichnen und nachher zu prüfen, ob das wirklich Autobahnprivatisierung heißt bzw. überhaupt dafür gedacht ist, ist nicht nachvollziehbar. Dass Frau Kraft hier eben die CDU angeschrien hat, nachdem sie erst gesagt hat, alles wäre toll, und Sie seien für den Dings – Mist darf ich nicht sagen – verantwortlich, zeigt, dass das Ganze ja wohl ein großer Fehler war.

Was bedeutet diese Autobahngesellschaft des Bundes? Sie ist doch nur für die Privatisierung da. Ansonsten braucht man sie überhaupt nicht.

(Beifall von den PIRATEN)

Es gibt doch ein Gesamtkonzept mit der Pkw-Maut. Die Pkw-Maut, die ansonsten keine Einnahmen bringt, macht doch nur Sinn, wenn man nachher die Infrastruktur nutzt, um entsprechend abrechnen zu können. Das ist ein Gesamtkonzept, das der Infrastruktur nicht zugutekommt, sondern, wie Herr Klocke schon gesagt hat, dem Finanzmarkt.

Denn als Fazit der Bodewig-II-Kommission, die auch erwähnt wurde, kam heraus, dass die Privatisierung an sich und die Finanzmittel, die man damit erzielen kann, völlig irrelevant sind, um die Infrastruktur zu erhalten bzw. auszubauen. Das macht man mit anderen Mitteln.

Die Fratzscher-Kommission wiederum hat gesagt: Die Finanzmärkte brauchen das, weil sie Anlagemöglichkeiten benötigen, um entsprechende Renditen mit wenig Risiko zu erzielen.

Das ist der Grund der ganzen Sache. Insofern kann man nicht sagen: Die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes machen wir einmal so, und dann gucken wir nachher, was wir genau damit machen und ob überhaupt die Kompetenz innerhalb dieser Bundesgesellschaft entstehen kann. – Denn wir wissen alle: Straßen.NRW hat ein Problem, überhaupt entsprechende Ingenieure zu finden. Wie soll das denn die Bundesgesellschaft machen, wenn sie nicht unsere Ingenieure auch noch abzieht? Das geht natürlich zu weit. So etwas darf nicht passieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Abgesehen von der Privatisierung, ist es natürlich auch verkehrspolitisch völlig daneben, die Autobahn aus dem Straßengesamtnetz und damit auch aus dem Gesamtnetz aller Verkehrsmittel herauszuziehen und in eine eigene Gesellschaft zu packen. Das geht doch völlig entgegen der Richtung, die wir eigentlich einschlagen sollten, nämlich regional zu prüfen, wie das Verkehrsnetz insgesamt aufgebaut ist, und zu gucken, wie die Verkehrssysteme ineinandergreifen.

Jetzt werden sogar bei den Straßen in NRW – und das ist besonders katastrophal, weil die Autobahnen auch für die Pendler wichtig sind und nicht nur für den Fernverkehr nach München oder nach Kiel – die Autobahnen aus dem Straßennetz herausgezogen. Das ist verkehrspolitisch völlig ungeschickt.

Herr Klocke hat auch recht, wenn er auf die Bahn verweist und sagt, das sei kein Best-Practice-Beispiel und zeige nicht gerade, dass ein Bundesunternehmen genau das tut, was man verkehrspolitisch gerne erreichen möchte.

Alle vier Parteien – das muss man an dieser Stelle sagen – haben Straßen.NRW personell geschwächt. Aber sie haben auch die Infrastruktur hier so an die Wand gefahren, dass wir jetzt dieses Problem haben, nämlich eine zerfallene Infrastruktur, bei der wir nicht daran gedacht haben, dass wir sie noch instand halten müssen, nachdem wir sie jahrzehntelang einfach nur gebaut haben. Das wird jetzt mit dieser Autobahngesellschaft auch noch zementiert.

Herr Rasche, Sie haben gesagt, es gehe darum, möglichst schnell baureife Projekte zu schaffen, um sie in der Schublade zu haben, wenn plötzlich irgendwo einmal Geld da ist. Man kann zwar nachvollziehen, dass man an diese Geldtöpfe heranwill. Natürlich muss NRW da auch etwas tun. Aber man sollte sich verkehrspolitisch auch nicht Bayern als Vorbild nehmen und sagen: Wir müssen nur irgendetwas bauen; Hauptsache, das Geld wird verbaut.

Immer nur zu gucken, ob plötzlich irgendwo Geld auftaucht, weil man politisch einmal ein Zeichen setzen möchte und irgendwo einen Leuchtturm hinsetzen möchte, den man dann ganz schnell bauen muss, führt doch nicht dazu, dass wir nachher eine gute Infrastruktur haben. Das ist mit Blick auf die Verkehrspolitik also ein ganz falscher Weg. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bayer. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Groschek das Wort.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Herr Kern, Sie sollten noch einmal überlegen, ob Ihre gewählten Worte wirklich abgewogen waren. Sie haben einen politischen Kompromiss als Kuhhandel rhetorisch verunglimpft. Ein politischer Kompromiss ist im Grunde die Seele der parlamentarischen Demokratie. Ein Kuhhandel ist das Hin- und Herschieben von Bierdeckeln durch einen bierbeseelten Stammtisch. Dieser Vergleich hinkt also; denn damit diffamiert man parlamentarisch einen guten Kompromiss zwischen Bund und Ländern als rhetorische Wirtshausschlägerei.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb: Nehmen Sie sich an dieser Stelle einfach ein Stück zurück.

Jetzt zu den Diskussionen selbst: Warum gelingt es uns nicht, zumindest ein Mal eine Phase einzulegen, in der wir uns gegenseitig in aller Öffentlichkeit auf die Schulter klopfen und als Verkehrs- und Infrastrukturpolitiker „Gut gemacht!“ sagen? Wir haben drei, vier sehr gute Jahre für die Infrastruktur hinter uns. So viel Infrastrukturfinanzierung, die in und für Nordrhein-Westfalen erkämpft wurde, war historisch noch nie für Nordrhein-Westfalen da.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Ministerpräsidentin hat noch bei Herrn Ramsauer 1,45 Milliarden € für die Betuwelijn erkämpft. Wir haben 2,6 Milliarden € RRX-Finanzierung erzielt. Wir haben einen historisch hohen Grad an Regionalisierungsmitteln. Wir haben endlich „Erhalt vor Neubau“ so platziert, dass der Landesrechnungshof Mühe hat, mit seinen Mahnungen nachzukommen.

Alles das machen Sie jetzt durch politische Blasiertheit, die in Windbeutelschmeißen endet, zunichte, indem Sie glauben, ein taktischer Vorteil bestünde darin, hier das rhetorisch wiederzukäuen, was wir in den Ausschüssen längst miteinander ausgetragen haben.

Es macht keinen Sinn – auch nicht mit Blick auf den 14. Mai 2017 –, zurückblickend den Tanz der Schwarzen Peter wieder aufzuführen. Das interessiert die Leute nicht.

(Beifall von Marc Herter [SPD])

Die Leute interessiert: Was passiert morgen? Was ist heute, morgen und übermorgen Wirklichkeit? Darum müssen wir ringen. Das sollten wir dann auch inhaltlich tun.

(Beifall von der SPD)

Nordrhein-Westfalen hat mit Unterstützung der Opposition und nicht gegen die Opposition im Bodewig-Prozess eine prägende Rolle gehabt. Wir haben doch die entsprechenden Protagonisten hier gehabt, erst Dr. Karl-Heinz Daehre, dann Kurt Bodewig. Wir haben doch gemeinsam die Richtung geprägt, der dann 15 andere Verkehrsminister der Länder gefolgt sind.

Wir haben erfolgreich mit dem Bund gerungen. Nun gab es eine historische Weichenstellung im Rahmen des großen Kompromisses der Bund-Länder-Vereinbarung.

Jetzt kommt es doch darauf an, dass wir im Interesse unseres Bundeslandes und nicht abstrakt der Bundesländer den Zug aufs richtige Gleis setzen. Was heißt das?

Das heißt erstens, dass wir, bitte schön, gemeinsam einmal laut und deutlich sagen: Respekt und Anerkennung! Wir stärken den Beschäftigten des Landesbetriebs Straßen.NRW den Rücken, und wir fallen ihnen nie mehr in den Rücken. Denn sie wurden politisch gerupft und ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Jetzt sind sie wieder verunsichert. Warum? Weil natürlich durch das, was der Bund bisher als Katze aus dem Sack gelassen hat, der Eindruck entsteht, ihnen könnte ein Schicksal als Pendler bevorstehen. Deshalb muss so schnell wie möglich Klarheit geschaffen werden: Der Status bleibt erhalten. Der Arbeitsplatz bleibt erhalten. Der Arbeitsort muss erhalten bleiben. Wir brauchen keine neue Pendlerkarawane nach Berlin, indem Planfeststeller gezwungen werden, sich in Berlin niederzulassen. Diese Zentralisierungsperspektive wäre absurd. Wir brauchen also Sicherheit für die Beschäftigten als Voraussetzung für Sicherheit unserer weiteren Infrastrukturentwicklung.

Dann kommt die Frage: Worüber reden wir? Wir reden über 2.200 km Autobahn, über 4.500 km Bundesstraße und über 13.000 km Landstraße in Nordrhein-Westfalen. Jetzt ist beschlossene Sache, dass 2.200 km Bundesautobahn separiert werden. Das ist entschieden.

Wir müssen darauf achten, dass die Vorfahrt der nordrhein-westfälischen Ausbaumaßnahmen im Bundesautobahnbereich gewahrt bleibt. Fast 40 % Sofortmaßnahmen zur Staubeseitigung müssen hierbleiben, auch wenn der Bund künftig alleine verantwortlich ist.

Kommen wir zu den Bundesstraßen: Viele Länder drängen sich danach und sagen: Alle Bundesstraßen her! – Ja, es spricht manches dafür. Aber wir dürfen die Bundesstraßen nicht wie eine Katze im Sack kaufen, sondern wir brauchen eine Paketlösung. Die 4.000 km Bundesstraße müssen dauerhaft durch den Bund finanziert bleiben. Wir brauchen so etwas wie ein zweites Regionalisierungsgesetz. Denn wir haben ja die ersten großen Brückenschäden auf den Bundesstraßen, die im Eigentum der Bundesrepublik und nicht des Landes sind – B55, Erwitte. Das haben wir gemeinsam mit dem Landesbetrieb toll gemeistert.

Man muss also, bitte schön, prophylaktisch klären, dass sich der Bund weiter finanziell zuständig erklärt für weitere Schäden, die auftauchen werden und aufgrund der Konstruktionsmerkmale gar nicht abwendbar sind. Das heißt, dass man ein Paket schnüren muss, bevor das Grundgesetz geändert wird. Dann übernehmen wir gerne die Bundesstraßen und machen sie zu Landesstraßen. Dann haben wir ein komplettiertes Netz und können noch besser Betriebsorganisation betreiben.

Nächster Punkt: Wie gehen wir mit dem Stichwort „Privatisierung“ um? Sie müssen uns von Rot-Grün doch nicht darüber belehren, dass Privat vor Staat gescheitert ist. Sie sind doch die Gescheiterten. Sie sind doch nicht die Gescheiten in der Verkehrspolitik gewesen, was das Privatisieren angeht.

Also muss man doch dadurch reüssieren, dass man sagt: Die Privatisierungswünsche von Teilen des Wirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums dürfen nicht Wirklichkeit werden, weil öffentliche Verantwortung gewahrt bleiben muss. – Das kommt in dem Beschluss zum Ausdruck, und das muss konkretisiert werden.

Jetzt kann man sich so konzeptlos zeigen – wenn es mir auch schwerfällt, zu begreifen, warum die CDU das tut –, dass man nur sagt: Die anderen hätten schon längst ein anderes Konzept aufschreiben sollen; das haben wir schon immer gesagt. – Aber man muss es nicht tun. Vielmehr müssen wir jetzt dafür sorgen, dass im Rahmen der Neugründung der Bund endlich seine Vorstellungen konkretisiert. Der Bund muss endlich konkretisieren, wie die Organisationsform ist.

Denn wir haben ein Modell entwickelt. Wir haben als Länder gesagt: Wir können uns gut vorstellen, neben eine schlanke Finanzierungsgesellschaft des Bundes eine genauso schlanke Managementgesellschaft des Bundes zu setzen. Der Bund braucht keinen volkseigenen Mammutbetrieb, zentralisiert in Berlin. Der Bund muss nur endlich seine Auftraggeberfunktion professionell wahrnehmen. Dann kommen wir gemeinsam weiter.

Also lassen Sie uns beharrlich weiterarbeiten. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass vor der Grundgesetzänderung, die notwendig ist, alle Einzelheiten geklärt werden. Denn wenn das Grundgesetz einmal umgeschrieben sein sollte, wird der Bund uns bei allen anstehenden Forderungen am Nasenring durch die Manege führen. Das sollten wir uns gemeinsam ersparen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Minister Groschek. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Kern zu Wort gemeldet.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie müssen gut zugehört haben, um festzustellen, dass weder der Finanzminister noch der Verkehrsminister noch die Minderpräsidentin in der Sache die Anwürfe hier widerlegen konnte, sondern nach wie vor im Raum steht – das wurde sogar vom Koalitionspartner, den Grünen, bestätigt –, dass über das Gleis schon entschieden ist. Der Waggon fährt in Richtung Privatisierungsgesellschaft. Denn sonst wäre es überhaupt nicht nötig gewesen, eine private Rechtsform zu wählen. Das konnte hier überhaupt nicht entkräftet werden.

Der verbale Ausfall hier von Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, zeugt eigentlich auch nur davon, dass Sie in der Sache falsch spielen und die Argumente nicht entkräften können.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Da ging es um etwas ganz anderes!)

Das haben Sie hier auch noch an genau dem Tag abgelassen, an dem in den USA gewählt wurde. Außerdem leben wir in Zeiten des Brexit. Wenn Sie trotz der Tatsache, dass in denen in mehreren Landesparlamente tatsächlich Rechtspopulisten eingezogen sind, ausgerechnet uns als Ihren politischen Gegner für Populismus und Sonstiges identifizieren, kann man nur noch fragen: Wo ist bitte Ihre politische Zielrichtung? Wo ist da Ihre Zielvorrichtung? Sie scheint nicht mehr zu funktionieren.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Wer behauptet, dass die Leute auf der Straße stehen, ist populistisch!)

Das, was Sie gesagt haben, kann man nur noch als rhetorische Inkontinenz abtun.

(Zurufe)

Damit sollten Sie lieber zu Sanifair gehen und nicht hier in den Landtag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Zurufe)

Vizepräsident Oliver Keymis: Nicht jeder Beitrag ist dazu angetan, die Dinge in dem Sinne zu befrieden, wie er es selber anstrebt, Herr Kern. Insofern war das gerade an der Grenze dessen, was wir hier miteinander richtig finden.

(Beifall von der SPD)

Aber wir sind in einem freien Redeparlament. Da wird vieles frei ausgesprochen.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit kommen wir zur Abstimmung. Wir haben jetzt sechs Abstimmungen vor uns, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/13304. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung beantragt sowie Einzelabstimmungen. Nach § 42 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung findet eine Einzelabstimmung dann statt, wenn die antragstellende Fraktion dies beantragt.

Also stimmen wir nunmehr ab, zunächst in der Einzelabstimmung. Ziffer 1 des Forderungskatalogs steht zur Abstimmung. Es geht um die drei Ziffern, die sich unter III. im Antrag der Piraten befinden. Also stimmen wir zunächst ab über die Ziffer 1 dieses Antrags unter III, „Der Landtag beschließt:“. Wer stimmt dieser Ziffer 1 des Forderungskataloges hier im Landtag zu? – Die Fraktion der Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schulz. Wer stimmt gegen diese Ziffer 1? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen im Hohen Hause? – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist die Ziffer 1 des Forderungskatalogs bei Zustimmung der Piraten und von Herrn Schulz von allen übrigen Fraktionen abgelehnt.

Wir rufen Ziffer 2 des Forderungskatalogs auf. Wer stimmt dieser Ziffer 2 zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schulz (fraktionslos). Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist hier ebenso entschieden worden wie bei der Ziffer 1: Die Ziffer 2 des Forderungskatalogs ist abgelehnt.

Ich rufe auf die Ziffer 3 des Forderungskatalogs. Wer stimmt dieser Ziffer 3 zu? – Die Fraktion der Piraten und Herr Schulz (fraktionslos). Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sind nicht zu sehen. Damit ist auch Ziffer 3 des Forderungskatalogs mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir kommen zur vierten Abstimmung, nämlich zur Gesamtabstimmung über den unveränderten Inhalt des Antrags der Piratenfraktion mit der Drucksachennummer 16/13304. Wer stimmt diesem Antrag so zu? – Die Piratenfraktion und Herr Schulz (fraktionslos). Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne, CDU und FDP stimmen dagegen. Gibt es Enthaltungen? – Enthaltungen sehen wir hier nicht. Also ist damit dieser Antrag Drucksache 16/13304 mit breiter Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir stimmen zum Zweiten ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksachennummer 16/13408. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – SPD und Grüne und Herr Schulz (fraktionslos). Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der Piraten, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 16/13408 mit der Mehrheit von Rot-Grün plus fraktionslosem Abgeordneten Schulz angenommen.

Wir stimmen jetzt drittens ab über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksachennummer 16/13411 – Neudruck. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – CDU und FDP, was zu vermuten war, plus Herr Schulz (fraktionslos). Wer stimmt dagegen? – SPD, Grüne und die Fraktion der Piraten. Wer enthält sich? – Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist dieser Entschließungsantrag Drucksache 16/13411Neudruck – mit der Mehrheit von Rot-Grün abgelehnt.

Wir sind am Ende der Beratung zu diesem Punkt, sprich der Unterrichtung und der Beratung über die Anträge, und kommen zu:

3   Schluss mit der Schönrechnerei – Landesregierung muss endlich die Zielmarke von 3000 geförderten Familienzentren erfüllen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13306

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Kollegen Tenhumberg das Wort.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 2006 haben wir als CDU zusammen mit unserem Familienminister Armin Laschet unser Ziel erklärt, dass die Familienzentren zu Leitstellen für soziale Gestaltungsprozesse im Stadtteil werden sollen. Mit der Bündelung der vorhandenen Angebote wollen wir die Möglichkeiten präventiven Handelns verbessern und für alle Familien frühzeitig Hilfe und Beratung anbieten. Wichtig ist dabei auch, Familien mit Zuwanderungsgeschichte, sozial Benachteiligte sowie bildungsferne Schichten zu erreichen und ihnen die Angebote leichter zugänglich zu machen.

Damit war Nordrhein-Westfalen auf Initiative der CDU das erste Bundesland in Deutschland, das solche Familienzentren eingerichtet hat.

(Beifall von der CDU)

Nordrhein-Westfalen war in der Regierungszeit der CDU Vorreiter bei der Förderung der Familien in Deutschland. Die Familienzentren sind trotz der rot-grünen Widerstände zu einem Erfolgsmodell geworden. Der flächendeckende Ausbau der Familienzentren wurde von allen Akteuren mitgetragen.

Der Ausbau der Familienzentren in Nordrhein-Westfalen startete mit einer hohen Ausbaudynamik: 2006 direkt mit 261 Familienzentren gestartet, waren es 2010 bereits 2.000 Familienzentren in Tageseinrichtungen. Weitere 800 Kitas haben sich als Verbundlösung diesen Familienzentren angeschlossen.

Was sagte seinerzeit eigentlich die damalige Opposition, zum Beispiel im Rahmen der Haushaltsdebatte 2009? – Die SPD forderte die Verdoppelung der finanziellen Mittel für die Familienzentren, da diese nicht annähernd finanziell ausgestattet seien. Die Grünen forderten 2009 wegen der Unterfinanzierung eine Erhöhung der finanziellen Mittel um 57 % und eine Verdoppelung des monatlichen Zuschusses für soziale Brennpunkte. Darüber hinaus sagten die Grünen, dass die Kapazitäten in den Erziehungsberatungsstellen nicht ausreichend seien.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Feststellung der damaligen Opposition – ich zitiere –: Sie sind dran! Sie haben die Verantwortung und Sie haben die Möglichkeit, die Konzepte zu optimieren! – Nachdem Sie 2010 den Wählerauftrag bekommen haben und seit sechs Jahren versuchen, hier zu regieren, frage ich Sie deshalb heute:

Erstens. Warum haben Sie die Ausbaudynamik gestoppt? Die CDU/FDP-Landesregierung hat es in fünf Jahren auf 2.000 Familienzentren gebracht, also durchschnittlich 400 pro Jahr. SPD und Grüne, seit sechs Jahren in der Verantwortung, haben insgesamt 450 Zentren geschafft, das sind weniger als 100 Familienzentren pro Jahr. Das ist ein Rückgang der Ausbaudynamik um 77 %!

Zweitens. Warum haben Sie den flächendeckenden Ausbau gestoppt?

Drittens. Warum sind trotz der Schwerpunktbildung nur 28 % der Familienzentren in Gebieten mit besonderem Unterstützungsbedarf vorhanden? Warum lassen Sie tagtäglich im ganzen Land Kinder und Familien zurück?

Viertens. Wenn die Familienministerin die Familienzentren zum Herzstück der Prävention erklärt, dann frage ich Sie: Warum tun Sie nicht mehr? „Kein Kind zurücklassen“ – das ist in diesem Zusammenhang doch eine Farce!

Unser Antrag muss, wenn ich Ihre bisherigen Äußerungen ernst nehmen soll, Ihre volle Unterstützung erfahren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Tenhumberg. – Für die SPD-Fraktion hat nun Frau Kollegin Altenkamp das Wort.

Britta Altenkamp (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist schon eine sehr interessante Vorgehensweise – ob sie allerdings politisch wirklich klug ist, steht auf einem anderen Blatt.

Es bleibt doch festzuhalten, dass es nur sehr wenige Aspekte gibt – dazu gehören die Familienzentren –, die in dem Kinderbildungsgesetz von Schwarz-Gelb eine sinnvolle Initiative dargestellt haben. Seinerzeit hatte der Familienminister die Parole ausgegeben – das werde ich mein Lebtag nicht vergessen –: Alle Kitas sollen Familienzentren werden, aber zunächst einmal wollen wir 3.000 Kitas zu Familienzentren machen.

Dagegen haben wir uns damals in der Tat gewandt, weil wir gesagt haben: Der Orientierungspunkt, von dem der Familienminister damals ausgegangen war, bestand in der Initiative des Bundes hinsichtlich der Mehrgenerationenhäuser. Diese Initiative war finanziell deutlich besser ausgestattet als das, was die Familienzentren bieten sollten. Dennoch können wir heute konstatieren, dass die Familienzentren eine sinnvolle Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen gewesen sind, weil sie niedrigschwellig Familienhilfen sowie Erziehungs- und Familienberatung vermitteln.

(Zuruf von der CDU)

Sie beraten Mütter und Väter in Erziehungsfragen. Sie sind eben ein wichtiger Anlaufpunkt im Quartier.

Zurzeit arbeiten 3.400 Kitas in NRW als Familienzentren. Ja, davon arbeiten viele im Verbund. Gerade das halten wir von Rot-Grün für eine besondere Qualität; denn ein Verbundsystem bietet tatsächlich Hinweise darauf, dass wir es mit einer vernetzten Arbeit im Quartier und im Stadtteil zu tun haben.

Ab dem Kitajahr 2017/18 werden weitere 100 Kitas zu Familienzentren. Unmittelbar mit dem ersten KiBiz-Änderungsgesetz haben wir seinerzeit die Beträge für die Förderung von Kitas, die Familienzentren werden wollen, angehoben, und zwar auf 14.000 € in besonders anspruchsvollen Quartieren. Für alle anderen Familienzentren haben wir den Betrag auf 13.000 € angehoben.

Man könnte vielleicht meinen, dass Ihr Vorgehen ein bisschen mit dem anstehenden Wahlkampf zu tun hat. Sie versuchen, mit dieser Initiative eine der wenigen Geschichten, die im Kinderbildungsgesetz nicht so umstritten war wie alles andere, über die Strecke zu retten. Ob Sie damit wirklich gut beraten sind, können wir dann im Ausschuss miteinander diskutieren. Der Unterschied zwischen Ihrem damals geplanten Vorgehen und unserem Vorgehen besteht darin, dass wir Ungleiches ungleich behandeln wollen. Wir wollen den Ausbau der Familienzentren insbesondere in belasteten Quartieren vorantreiben und setzen auf einen schrittweisen Ausbau der Familienzentren.

Wir haben nicht etwa den Ausbau der Familienzentren gestoppt oder verschleppt, sondern wir haben gesagt: Wir setzen auf Qualität und eben nicht auf Quantität. Es geht nicht darum, ein Label oder, wie eine Freundin von mir immer sagt, eine Kachel an die Tür zu hängen, sondern es geht darum, qualitativ die geforderten Angebote in einer Kita, die zugleich Familienzentrum ist, leisten zu können. Außerdem geht es darum, dass die Familien die qualitativ guten Angebote in den Kitas erhalten können. Die Kitas, die Familienzentren sind, sollen im Quartier gut vernetzt sein, professionell im Zugang zu den Familien und komplett im Angebot.

Wir werden der Überweisung Ihres Antrags zustimmen, wir werden Ihrem Antrag in der Sache jedoch eben nicht zustimmen, wie Sie es möglicherweise erhofft haben, weil wir einen anderen Weg verfolgen. Das wissen Sie. Aber ich glaube gar nicht, dass Sie das ernsthaft geglaubt haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Altenkamp. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Kollegin Asch.

Andrea Asch (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Familie zu leben, Kinder zu erziehen und ihnen einen guten Start in ihr Leben zu geben, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe –eine Aufgabe, die größte Wertschätzung verdient und die größtmögliche Unterstützung von allen Teilen der Gesellschaft und der Politik benötigt.

Viele Eltern sind heute in ihrer Rolle verunsichert. Sie sind zerrissen zwischen den Aufgaben, einerseits den Kindern und der Familie und andererseits den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, die sich heute aus dem Beruf, aus unregelmäßigen, atypischen Arbeitszeiten und der materiellen Sicherung der Familie ergeben. Dieses Spannungsfeld und zum Teil auch die Überforderung, mit der sich die Eltern konfrontiert sehen, hat der Familienbericht Nordrhein-Westfalen übrigens sehr eindrücklich gezeigt.

Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir in Nordrhein-Westfalen die Eltern mit einer sehr gut ausgebauten Kinderbetreuung und auch mit den Familienzentren unterstützen. Das will ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich sagen. Innerhalb der ziemlich katastrophalen Familienpolitik der Rüttgers-Regierung und des damaligen Familienministers Armin Laschet stellt die Einführung der Familienzentren immerhin einen Lichtblick dar.

(Zuruf von der CDU)

– Hören Sie zu, jetzt kommt das Lob! – Es war gut und richtig, dass hier das umgesetzt und finanziell gefördert wurde, was in vielen Konzepten schon angelegt war.

Der Landschaftsverband Rheinland hat schon vor 15 Jahren das Modell „Haus für Kinder“ entwickelt. Die rot-grüne Bundesregierung hat 2002 das Projekt der Eltern-Kind-Zentren ins Leben gerufen.

Grundsätzlich geht es bei all diesen Konzepten um eins, nämlich den niedrigschwelligen Zugang, also den guten und schnellen Zugang, der mit der Kindertagesbetreuung gegeben ist, für die Familien nutzbar zu machen. Die Eltern gehen jeden Morgen und jeden Abend durch diese Tür. Die Zentren sind gut erreichbar. Genau darum geht es bei den Familienzentren: diese Möglichkeiten zu nutzen, um Beratungs- und Unterstützungsleistungen zugänglich zu machen.

Diese Nierdrigschwelligkeit ist besonders wichtig – das ist für uns als Rot-Grün ein ganz wesentlicher Punkt – für bildungsferne und benachteiligte Familien.

Wir wissen, dass wir diese Familien mit den Beratungen der Familienbildung oft nicht gut genug erreichen. Die Zugangsschwelle zu diesen Angeboten ist zum Teil schlichtweg zu hoch. Wenn man genau diese Familien unterstützen möchte, dann müssen die Zentren und die Angebote für sie natürlich genau in den Quartieren vorgehalten werden, wo die Bedarfslagen besonders groß sind.

Genau das haben wir getan. Wir haben mit Rot-Grün ab 2010 umgesteuert, weil wir bei unserer Regierungsübernahme nämlich feststellen mussten, dass sich lediglich 8,6 % der Familienzentren in benachteiligten Quartieren befunden haben. Das war eine klassische Fehlsteuerung, die wir als Rot-Grün korrigiert haben.

(Beifall von den GRÜNEN und Britta Altenkamp [SPD] – Zuruf von Walter Kern [CDU])

Wir wissen: Wenn wir Armut vorbeugen und Armutsfolgen wirksam verhindern wollen, dürfen wir nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgehen, sondern wir müssen genau dort Schwerpunkte setzen, wo der Bedarf der Familien am höchsten ist.

Wir haben zur Förderung der Familienzentren unter Rot-Grün insgesamt drei Maßnahmen ergriffen:

Erstens. Wir haben die Finanzierung für alle Zentren angehoben – die Kollegin Altenkamp hat es bereits dargestellt.

Zweitens. Wir haben die Angebote der Familienbildung und -beratung finanziell besser ausgestattet. So haben wir den berühmten Zufließvermerk, den Schwarz-Gelb eingeführt hatte und der den Trägern keine Planungssicherheit geboten hat, finanziell verankert: 3,4 Millionen € mehr für Angebote der Familienunterstützung – das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann.

Drittens. Wir bauen wir die Familienzentren tatsächlich in den benachteiligten Quartieren aus, und sie bekommen noch einen besonderen Zuschuss.

Seit 2010 haben wir insgesamt 11 Millionen € mehr in die Hand genommen und damit die Familienzentren deutlich gestärkt.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Immer die gleiche Leier! Das ist so langweilig!)

Ich kann mich übrigens an keinen substanziellen Haushaltsantrag von der Opposition erinnern, in dem Sie etwas Ähnliches gefordert hätten. Sicher, es gibt schönklingende Anträge, aber wenn es darum geht, das Geld tatsächlich im Haushalt zu verankern, ist nichts festzustellen – Tabula rasa.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir freuen uns, dass wir 2017 insgesamt 3.400 Familienzentren am Start haben werden. Die von Ihnen aufgemachte Scheinrechnung ist nicht faktengestützt. Es gibt keinen Grund, im Sinne der Bildungsgerechtigkeit von diesem erfolgreichen Weg abzurücken. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Asch. – Und nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das hier ist eine hochspannende und interessante Debatte. Es geht um die Zukunft der Kinder in Nordrhein-Westfalen. Wir müssen feststellen, dass im Zusammenhang mit den Familienzentren – im Haus besteht darüber Einigkeit, dass dies ein Erfolgskonzept ist – sehr wenig in Nordrhein-Westfalen passiert ist.

Die Landesregierung rühmt sich damit, dass sie die Familienzentren ausgebaut hätte. Wenn man aber einen Blick auf die tatsächlichen Zahlen wirft, dann stellt man fest, dass wir in Nordrhein-Westfalen aktuell 2.413 geförderte Familienzentren haben. Eigentlich müsste man die Zahl 3.000 in Angriff nehmen. Da könnte man vorsichtig davon sprechen, dass das etwas mit Täuschung zu tun hat.

(Beifall von der FDP und der CDU)

In den letzten Jahren ist in diesem Bereich extrem wenig passiert. Die Kollegin Asch hat aufgeführt, was sich angeblich alles geändert hätte. In den letzten fünf Jahren wurde die finanzielle Ausstattung der Familienzentren jedoch nicht angefasst, obwohl dort die Kostensteigerungen genauso hoch waren wie in allen anderen Bereichen. Sie haben die Familienzentren im Stich gelassen.

Sie sprechen immer davon, Ungleiches ungleich zu fördern, und haben insbesondere darauf hingewiesen – Frau Kollegin Asch hat das gerade ausgeführt –, dass Sie Familienzentren in sozialen Brennpunkten nach vorne bringen möchten. Das ist ein richtiges Ziel, aber Sie sind dafür gewählt, Politik für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen zu machen.

(Zuruf Andrea Asch [GRÜNE])

Sie jedoch lassen seit Jahren im ganzen Land Nordrhein-Westfalen die Familienzentren links liegen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jeder Mensch in Nordrhein-Westfalen, jede Familie hat das Recht, ein Familienzentrum in der Nähe zu haben.

(Zuruf Andrea Asch [GRÜNE])

Mit der von Ihnen auf den Weg gebrachten Förderung schlagen Sie leider den vollkommen falschen Weg ein. Überall in Nordrhein-Westfalen ist das wichtig!

Ich will Ihnen auch erklären, warum das so wichtig ist: weil Familienzentren einen wichtigen Beitrag in Form eines niederschwelligen Angebots für Sprachförderung, Betreuung und Information leisten. Das betrifft einerseits Familien, die im SGB-II-Bezug sind, und Kinder und Jugendliche, bei denen die Schulabschlussquoten nicht entsprechend sind. Da bin ich ganz bei Ihnen. Das betrifft aber genauso auch die anderen Familien in diesem Land. Für diese müssen Sie ebenfalls solche Angebote schaffen.

Diese Landesregierung stellt sich hin und sagt, sie wolle kein Kind zurücklassen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Keinen Cent zurücklassen! – Zuruf Andrea Asch [GRÜNE])

Sie legt ein Riesenprogramm auf – KeKiz – und betreibt seit Jahren damit Wahlkampf. Nun ist Folgendes wieder klar geworden – der Kollege Wolfgang Jörg, der der Debatte wahrscheinlich wieder nicht beiwohnt, hat es klar im Ausschuss gesagt –: KeKiz ist kein Programm, um Kinderarmut zu verhindern. – Was soll denn dann so ein Programm? Hier haben Sie eine ganz konkrete Maßnahme, um Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen anzugehen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Frau Kollegin Altenkamp, da können Sie sich so viel auf die Stirn hauen, wie Sie wollen: Familienzentren sind ein relevanter Beitrag, um Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen zu bekämpfen; das ist einfach so.

(Beifall von der FDP und der CDU)

KeKiz, so schreiben Sie es sich groß auf die Fahne, hätte etwas mit Prävention und Vernetzung vor Ort zu tun.

(Andrea Asch [GRÜNE]: Ja, richtig!)

Das machen Familienzentren, seitdem wir sie eingeführt haben!

(Beifall von der FDP und der CDU – Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist das!)

Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, das zu unterstützen, und nicht im Wahlkampf irgendwelche Parolen groß an die Wand zu werfen. Sie hätten diese Bereiche nach vorne bringen sollen. Das wäre ein fairer und ehrlicher Ansatz gewesen.

(Zurufe von der SPD – Britta Altenkamp [SPD]: Wenn jede Prävention zu spät ist!)

Wissen Sie, was die eigentliche Sauerei seitens der Landesregierung ist? – Sie stellt sich in der Pressekonferenz hin, nimmt irgendwelche Zahlen aus der Zeit, bevor es „Kein Kind zurücklassen – KeKiz“ gab, die ihnen aus den Kommunen zugeliefert wurden, und meint, das dann als Erfolg abfeiern zu können. Die Kommunen haben das schon längst vorher gemacht; KeKiz hat da keinerlei Auswirkungen – und hier wird sich einfach abgefeiert! Das hat etwas mit Wählertäuschung zu tun, und das werden wir nicht durchgehen lassen.

(Beifall von der FDP)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Wenn Sie wirklich etwas gegen Kinderarmut tun wollen, wenn Sie Prävention nach vorne bringen und allen Menschen in Nordrhein-Westfalen etwas Gutes tun wollen, dann bringen Sie Familienzentren nach vorne, statten Sie sie finanziell sauber aus – das heißt, jährlich eine entsprechende Dynamik, weil die Kosten dort steigen –, und sorgen Sie dafür, dass wir in Nordrhein-Westfalen überall Familienzentren bekommen, wo sie benötigt werden!

Darüber haben wir nicht hier im Landtag zu entscheiden, sondern das geschieht durch die Bedarfe vor Ort. Das jedenfalls kann ich mir von Ihnen in jeder Ausschusssitzung anhören. Deshalb sollten Sie sich mal an Ihre eigene Nase packen und dafür sorgen, dass das Ganze vor Ort entsprechend umgesetzt wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Hafke. – „Sauereien“ werden hier natürlich nicht veranstaltet, auch nicht von der Landesregierung. – Als nächster Redner spricht für die Piratenfraktion Herr Düngel.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident, um an Ihre Worte anzuknüpfen: Da bin ich außerordentlich froh, dass wir genau das hier nicht tun.

Meine Damen und Herren! Ich greife zunächst das auf, was Marcel Hafke gerade gesagt hat: Ja, Familienzentren sind selbstverständlich ein gutes Mittel, das hier im Land weiter gefördert werden sollte. Aber wenn wir hier über Kinderarmut reden, dann brauchen wir eine Kindergrundsicherung. Das wäre ein ernsthafter Beitrag, den wir leisten könnten, um der Kinderarmut in unserem Land entgegenzuwirken.

(Vereinzelt Zustimmung von der SPD)

Wenn wir hier über Kinderarmut reden, dann sollten wir uns darüber hinaus auch über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unterhalten. Dazu hatten wir zuletzt bei uns im Ausschuss eine sehr spannende Anhörung.

Kommen wir zum CDU-Antrag: Lieber Bernhard Tenhumberg, lieber Walter Kern, erst einmal danke für den Antrag. Familienzentren – das habt ihr gut gemacht; das ist auch in den Beiträgen der Vorrednerinnen und Vorredner so gesagt worden. Da habt ihr ein gutes Konzept auf den Weg gebracht.

Insofern muss ich mich den Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün anschließen und festhalten: Das ist ja schon fast eine abschließende Aufzählung, wenn wir über das KiBiz und alles drumherum reden. Wenn wir uns über die guten Bestandteile in dem Antrag austauschen, dann haben wir da die Familienzentren, und dann wird es auch schon knapp bei dem Versuch, noch mehr aufzuzählen.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Nichtsdestotrotz geht der Antrag natürlich in die richtige Richtung. Wir werden gleich ein paar Ausführungen von Frau Ministerin Kampmann dazu hören. Aber die berechtigte Frage ist schon – das hat Marcel Hafke eben schon erwähnt –, was denn die Landesregierung gegen Kinderarmut unternimmt. Auch hierzu haben wir im Ausschuss schon mehrfach thematisiert, dass das aus unserer Sicht in Bezug auf die Familienzentren noch nicht genug ist.

Wir haben vorhin schon wieder diese magische Zahl 100 gehört: 100 weitere Familienzentren. Was bedeutet das denn, Frau Ministerin Kampmann? Das ist doch die spannende Frage, die wir uns hier stellen müssen. 100 Familienzentren? 100 Kitas, die als Familienzentrum arbeiten, was in einem Verbundsystem – in Anführungszeichen – „nur“ 20 Familienzentren entspricht? Dazu würde ich Sie um ein paar deutliche und konkrete Ausführungen bitten.

Ich persönlich halte das für zu wenig. Wir haben gerade mehrfach gehört, wie gut die Familienzentren sind. Wir wollen die Familienzentren doch möglichst breit in die Fläche bringen, und dann ist ein Ausbau um 100 Familienzentren oder 100 Kitas, die als Familienzentren arbeiten, tatsächlich ein bisschen mager. So wären wir noch sehr viele Jahre damit beschäftigt, die Familienzentren tatsächlich in die Fläche zu bringen.

Der CDU-Antrag greift hier durchaus richtige Punkte auf. Andrea Asch hat vorhin die magische Frage nach einem Haushaltsantrag gestellt. Ja, mein Gott – diese Diskussion hatten wir hier doch auch schon zigfach. Wir stellen Haushaltsanträge, und dann werden die trotzdem abgelehnt. Ich bin ja bei Ihnen, Frau Kollegin Asch, dass man einen solchen Antrag auch haushalterisch hinterlegen muss, sich jedoch argumentativ immer dahinter zu verstecken, das ist meines Erachtens in keiner Weise zielführend.

(Zuruf von Andrea Asch [GRÜNE])

Da sollten wir uns doch besser mit den Inhalten des Antrages beschäftigen und schauen, was zu tun ist.

Lieber Bernhard Tenhumberg, im Mittelteil des Prosatextes Ihres Antrags steht ein bisschen was zum ländlichen Raum; da bin ich dabei, und da können wir durchaus in diese Richtung gehen. Ich denke aber nicht, dass es da eine Prioritätenverschiebung geben soll oder geben darf. Wenn wir schon über einen weiteren Ausbau der Familienzentren reden, sollten wir in irgendeiner Form bei den sozial Benachteiligten anfangen. Das wird auch ein Ergebnis der Diskussionen in der Enquetekommission zur Zukunft der Familienpolitik sein.

Ich bin gespannt auf die Ausführungen von Frau Ministerin Kampmann, wie sie sich das weiterhin vorstellt. Mich würde nicht nur der jährliche Zuwachs interessieren, sondern auch, ob diese Landesregierung ein Ziel hat, auf das sie hinarbeitet. 3.000 Familienzentren, 3.500 Familienzentren – welche Zahlen sind da tatsächlich interessant?

Vor allem würde ich von Ihnen, Frau Ministerin, gerne noch eine Sache wissen. Frau Kollegin Altenkamp hat vorhin ausgeführt, dass gerade dieses Verbundsystem eine besondere Qualität besäße. Das hätte ich gerne noch einmal erläutert; denn gerade im Verbundsystem – das ich persönlich gar nicht so schlecht finde – habe ich doch den Nachteil gegenüber dem Einzelfamilienzentrum, dass ich da viel weitere Wegstrecken zurücklegen muss. Da von einer Qualitätsverbesserung zu reden, finde ich mindestens zweifelhaft. Vielleicht könnten Sie das noch einmal darstellen.

Ansonsten bedanke ich mich, vor allem beim Präsidenten für seine Geduld. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Nun spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Kampmann.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Erstes beantworte ich kurz die Frage, die Sie zuletzt gestellt haben, Herr Düngel. Frau Altenkamp hat eigentlich schon gesagt, warum gerade diese Verbundsysteme besonders erfolgreich sind: weil sie eben den sozialräumlichen Ansatz und den Ansatz im Quartier, den wir gerade mit den Familienzentren fördern wollen, noch einmal verstärken.

Außerdem werden in den Verbünden besondere Leistungen vorgehalten, die dann auch allen Kitas gebündelt angeboten werden.

Das heißt, sie können damit sogar noch effizienter arbeiten. Ich glaube, das zeigt, dass auch die Verbundsysteme gerade in diesem Konzept besonders erfolgreich sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Herr Tenhumberg – wo immer Sie jetzt gerade hingehen –, zunächst einmal freut es mich zu hören, dass wir das, was wir offensichtlich vor vielen Jahren in der Opposition gefordert haben, auch umgesetzt haben. Sie haben es gerade so wunderbar zitiert: Wir hätten gesagt, wir wollten die Familienzentren optimieren. – Genau das haben wir getan. Wir haben die Rahmenbedingungen verbessert.

Sie haben auch gesagt, wir hätten damals gesagt, wir brauchten eine bessere Finanzierung der Familienzentren. – Genau das haben wir auch getan. Das heißt: Was wir damals in der Opposition gefordert haben, haben wir als Landesregierung umgesetzt. Ich glaube, das konnten Sie an vielen Stellen damals nicht von sich sagen.

(Beifall von der SPD)

Es ist gerade ein paar Tage her, dass wir in Essen einen großen Kongress zu den Familienzentren veranstaltet haben. Da ist noch einmal deutlich geworden, wie stark sich die Familienzentren gerade auch in unserer Regierungszeit weiterentwickelt haben.

Nordrhein-Westfalen ist inzwischen Vorreiter bei den Familienzentren. Wir fördern die meisten Familienzentren aus allen Bundesländern. Wir sind selbst international inzwischen ein Erfolgsmodell. Regionen wie Vorarlberg und die Steiermark in Österreich waren schon bei uns, weil sie genau das planen, was wir hier umgesetzt haben. Das ist auch ein gutes Zeichen für die gute Arbeit der Landesregierung an dieser Stelle.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie reden über Kinderarmut. Herr Hafke, Herr Düngel, das haben Sie heute auch wieder getan. Wir tun etwas dagegen, Kinder langfristig aus dem Teufelskreis von vererbter Armut herauszuholen. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, suggerieren, dass andere Familien zu kurz kämen, wenn wir diese Kinder besonders unterstützen.

Sie fordern Chancengerechtigkeit und Sie glauben, dass man das durch eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip erreichen könnte. Ich sage Ihnen: Damit führen Sie diese Debatte auf dem Rücken der Kinder, die es am schwersten haben. Das werden wir nicht akzeptieren und da werden wir gegenhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Das Familienzentrum – Sie haben mich eben zitiert, Herr Tenhumberg; und ich finde, das ist genau richtig – ist zum Herzstück unserer Präventionspolitik geworden. Wir haben in diesem Kindergartenjahr 3.400 Kitas, die als Familienzentrum arbeiten. Damit haben wir in Nordrhein-Westfalen ein dichtes Netz früher Hilfen und frühzeitiger Förderung geschaffen. Das ist genau der richtige Weg. Den werden wir in naher Zukunft auch weitergehen.

Ich freue mich über die weitere Diskussion darüber im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wenn Sie freundlicherweise noch einen Moment am Rednerpult verweilen, Frau Ministerin: Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Tenhumberg zu einer Kurzintervention gemeldet. Er erhält für 90 Sekunden das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie haben gesagt, Sie hätten das umgesetzt, was wir als Erfolgsmodell eingeführt haben: Familienzentren. Sind Sie mit mir der Meinung, wenn Sie es umgesetzt hätten, hätten wir heute deutlich mehr als 3.000 Familienzentren plus Verbundlösungen? Das beschönigen Sie ja.

Sind Sie mit mir der Meinung, dass das Ziel, 3.000 Familienzentren 2012 zu erreichen, wie es ursprünglich angedacht war, von Ihnen nicht erreicht worden ist? Oder wie wollen Sie erklären, dass Sie es umgesetzt haben?

Zweite Anmerkung: In der Debatte wird immer wieder gesagt, Sie hätten den Familienzentren 1.000 € mehr gegeben. Glauben Sie in Anbetracht der Kostenentwicklungen, dass damit die Auskömmlichkeit für die Familienzentren gegeben ist? Kostensteigerung, höhere Bedarfe – die Bedarfslagen haben sich ja auch geändert.

Dritte Anmerkung: Sie haben die Ausbaudynamik nicht angesprochen. Sie sind es gewesen, die 2010 nach der Regierungsübernahme diese Ausbaudynamik gestoppt haben. Wir wären heute wesentlich weiter mit dem Ausbau in den Brennpunkten, auch in den sozialen Brennpunkten. Sie haben heute nur 28 % der Familienzentren in Brennpunkten.

Glauben Sie mit mir, dass wir heute, wenn die Ausbaudynamik weiterhin angehalten hätte, mindestens über 100.000 Kinder und Familien mehr durch Hilfestellung und Beratung erreichen könnten und damit das Land sozialer gestalten könnten?

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sie haben das Thema Verbünde noch einmal angesprochen. Ich sage Ihnen, dass ich davon überzeugt bin: Es kommt nicht formalistisch darauf an, wie viele Verbünde wir haben, sondern es kommt darauf an, wie viele Kitas heute als Familienzentrum arbeiten. Und das sind mehr, als Sie damals in Aussicht gestellt haben. Deshalb glaube ich, dass wir da schon einmal auf einem guten Weg sind.

Das beste Beispiel, dass wir mehr geschafft haben, als Sie sich als Landesregierung damals auf die Fahnen geschrieben haben, ist Ihr Wahlkreis Borken II, Herr Tenhumberg. Sie haben damals gesagt, dort soll es eine Endausbaustufe von insgesamt 38 Familienzentren geben. Inzwischen haben wir bei Ihnen 48 Kitas, die als Familienzentrum arbeiten.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Hört, hört!)

Ich glaube, das zeigt: Wir sind auf einem guten Weg, Herr Tenhumberg.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Frau Ministerin, ich war nicht schnell genug, um Sie zu bitten, noch einen Moment vorne zu bleiben. Denn innerhalb des regulären Zeitablaufs hatte sich Herr Kollege Düngel für die Piratenfraktion auch mit einer weiteren Kurzintervention gemeldet. – Bitte, Herr Kollege, für 90 Sekunden haben Sie das Wort.

Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Es tut mir leid, dass Sie jetzt noch einmal extra nach vorne kommen müssen.

(Ministerin Christina Kampmann: Kein Problem!)

Aber wir schaffen das. – Ich hatte vorhin drei konkrete Punkte erwähnt und auch drei konkrete Fragen gestellt.

Den einen Punkt haben Sie gerade versucht zu beantworten, was den Sozialraumbezug und zum Beispiel diese Drei-Kilometer-Regelung angeht.

Sie sprechen davon, dass diese Verbundlösung eine qualitative Verbesserung ist. In Wahrheit ist es eine quantitative Optimierung oder Verbesserung. Denn drei Kilometer – im Kontext Sozialraumbezug – Entfernung zu einer Einrichtung sind gerade für eine junge Familie eben nicht mehr fußläufig. Das ist völliger Unsinn.

Es ist natürlich besser als nichts und besser, als die Kitas isoliert dastehen zu haben. Deswegen rede ich gar nicht gegen die Verbundlösung. Aber ich wehre mich dagegen, dass es eine qualitative Steigerung ist.

Der zweite Punkt: Kinderarmut. Sie stehen hier und sagen, wir redeten nur über Kinderarmut. Aber danach kommt nichts – wirklich rein gar nichts. Sie reden darüber, dass Sie langfristig mit „KeKiz“ usw. das Ganze wissenschaftlich begleitet irgendwie voranbringen wollen. Die aktuelle Generation und auch die nächste Generation lassen Sie dabei letzten Endes außen vor. Wer hier tatsächlich in Sachen Kinderarmut nur redet, das ist diese Landesregierung.

Der letzte Punkt war auch eine konkrete Frage: Ich hatte danach gefragt, wie Ihre Vorstellung zum Ausbauziel der Familienzentren ist. Ich zumindest habe nichts gehört.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ich habe zu allen drei Fragen etwas gesagt. Der qualitative Ausbau wird weitergehen. Das hängt auch mit Ihrer dritten Frage zusammen. Aber wir setzen nicht nur auf die Verbundlösung, sondern wir wollen darüber hinaus die Familienzentren weiter angehen. In diesem Jahr werden 100 neue dazukommen; das Ziel haben wir uns auch für die weiteren Jahre gesetzt. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz.

Sie sind noch einmal auf das Thema „Kinderarmut“ eingegangen. Ich habe Ihnen gesagt, wie ich in meinem Ressort daran arbeite, dass Kinder mittel- und langfristig aus der Kinderarmut herauskommen. Ich glaube, dass wir mit KeKiz, aber auch mit den Familienzentren weiterkommen. Im Gegensatz zu Ihrer Aussage, ich hätte zu den Familienzentren nichts gesagt, habe ich ausgeführt: Die Familienzentren sind ein wesentlicher Baustein zur langfristigen Bekämpfung von Kinderarmut.

Das sind die Mittel, die wir in meinem Bereich dafür einsetzen, um Kinderarmut mittel- und langfristig zu verhindern. Sie wissen genauso gut wie ich, dass Kinderarmut sehr viel mit Erwerbsarmut zu tun hat. Auch daran arbeiten wir insgesamt als Landesregierung. Da muss aber auch der Bund mit ins Spiel kommen. Ich bin mir sicher, wir schaffen es, die Kinderarmut in diesem Land zu reduzieren. Alles andere wäre für uns alle ein Armutszeugnis. Aber ich glaube, da sind wir zusammen mit dem Bund auf einem guten Weg. Im Ausschuss werden wir auch noch einmal über das Thema „Unterhaltsvorschuss“ sprechen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin Kampmann. – Für die nächste reguläre Runde hat sich in der ihm noch zu Verfügung stehenden Redezeit noch einmal Herr Kollege Tenhumberg zu Wort gemeldet.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Walter Kern sagte gerade: Träumen mit Frau Kampmann. – Wenn man hört, was hier erzählt wird, klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander, meine Damen und Herren. Das geht auch aus der Rede der Ministerpräsidentin von September hervor.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Die Ministerpräsidentin hat gesagt, 3.400 Familienzentren seien vorhanden. – Das ist einfach nicht wahr. Sie haben auch gesagt, Sie hätten unsere Ausbauziele weiterentwickelt. Das ist doch nicht wahr, Frau Kampmann!

(Ingrid Hack [SPD]: Wieso?)

Da sagen Sie glatt die Unwahrheit.

2012 haben wir gesagt: 3.000 Familienzentren plus Verbundlösung. 2010 haben wir Ihnen 2.000 Familienzentren plus 800 Verbundlösungen überlassen. Das sind 2.800. Wie Sie zu einer Verdopplung kommen, ist mir völlig schleierhaft. Lassen Sie sich bitte mal vernünftige Zahlen geben! Aus der Antwort Ihres Ministeriums gehen die wirklichen Zahlen eindeutig hervor. Konzentrieren Sie sich auf die Wahrheit!

(Beifall von der CDU – Widerspruch von den GRÜNEN)

Im Übrigen können Sie die genauen Zahlen in den Publikationen Ihres eigenen Ministeriums nachlesen. Deshalb wundert mich, dass Sie immer diese Mär erzählen, Sie hätten verdoppelt oder wären unwahrscheinlich gut. Das sind Sie eben nicht. An dieser Stelle sind Sie miserabel; das muss ich Ihnen deutlich sagen.

Das sagt Ihnen auch Prof. Rauschenbach. Er sagt Ihnen ganz klar, was Sie zu tun haben. Er hat doch zu Ihnen gesagt: Da ist noch viel Nachholbedarf. – Diese Aussage hat er in der Konferenz in Essen wiederholt und gesagt, dass Sie noch lange nicht am Ende angelangt sind.

Liebe Kollegin Britta Altenkamp, ich lese Ihre Rede aus 2005 sehr gerne, in der Sie ein Zehn-Punkte-Programm bezüglich der Familienzentren dargelegt haben. Der überwiegende Teil dieser zehn Punkte gilt auch heute noch.

Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident. Ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende ist.

Frau Kollegin Altenkamp, wenn wir auf dieser Basis weiterhin konstruktiv arbeiten könnten, wäre das sehr gut. Ich bitte Sie aber auch, Ihre Ministerpräsidentin und ihre Ministerin über die tatsächlichen Realitäten aufzuklären. Dann kommen wir sicherlich sehr schnell zu einer vernünftigen Lösung auf der Basis, die Sie 2005 sachorientiert dargelegt haben.

(Beifall von der CDU)

Insofern wünsche ich mir eine fachliche und sachliche Auseinandersetzung im Fachausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Tenhumberg. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/13306 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Dienstrechtsreform darf nicht zu einer jahrelangen Beförderungsblockade führen – Landesregierung muss Kurskorrektur bei Frauenquote einleiten

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13298

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende FDP-Fraktion als erstem Redner Herrn Kollegen Witzel das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rückmeldungen vieler Betroffener aus der Praxis zeigen es: Das Desaster zur Frauenquote in Nordrhein-Westfalen wird wöchentlich größer. Rot-Grün hat gegen den Rat der Gewerkschaften eine massiv verschärfte Frauenquote beschlossen, nach der sogar innerhalb bestimmter Bandbreiten schlechter qualifizierte Frauen den besser qualifizierten Männern vorgezogen werden müssen.

Einigen SPD-Ministern ist das von Anfang an unheimlich gewesen. Mit groß angelegten Beförderungswellen haben der Finanzminister mit 1.500 Stellen und der Innenminister mit 2.200 Stellen versucht, Hunderte von Klagen benachteiligter Männer wegzukaufen. Aus verschiedenen Behörden haben Beamte berichtet, wie sie unter Hinweis auf persönliche Nachteile dazu angehalten worden sind, von Klagen abzusehen.

Dieses Vorgehen ist eines Rechtsstaats unwürdig. Wir haben den Innenminister aufgefordert, den Hinweisen, die öffentlich bekannt geworden sind, nachzugehen. Er hat sich bis heute geweigert, das zu tun. Denn er sagt: Er will Ross und Reiter kennen. Er will den Namen des Beamten wissen. Der bloße Hinweis, in welchen Behörden was geschehen sein soll, reicht nicht aus, dass sich die Landesregierung für diese Fragestellung interessiert. Ich halte diese konsequente Weigerung für absolut nicht hinnehmbar.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dennoch haben bereits 70 Männer Rechtsmittel eingelegt. Rot-Grün hat bislang alle Verfahren vor dem Verwaltungsgericht verloren. Die Gerichte haben die Verfassungswidrigkeit der Norm festgestellt und den Verstoß gegen das Leistungsprinzip sowie die Bedeutung für das öffentliche Interesse an der besten Nachwuchsgewinnung artikuliert.

In der Konsequenz sind dann etliche Beförderungslisten gesperrt worden. Da die Landesregierung davon ausgeht, auch etliche weitere Verfahren vor Gericht zu verlieren, erkennt sie daher mittlerweile im einstweiligen Rechtsschutz sofort Einwendungen von Beamten an und vollzieht strittige Beförderungen erst gar nicht mehr.

Dem puren Zufall unterliegt nicht nur die Frage, wie groß in einer Behörde der eingeräumte Leistungsrabatt für eine Beamtin ist, sondern auch, in welcher Dienststelle jemand arbeitet. Wenn nicht Leistung über Aufstiegsperspektiven entscheidet, sondern purer Zufall oder das Geschlecht, dann liegt in unserem Land eine Beförderungswillkür vor, die nicht länger hinnehmbar ist.

(Beifall von der FDP)

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, spricht ja auch die Deutsche Steuer-Gewerkschaft auf ihrer Homepage längst von einer Kampfansage an die Beamten. Aus bloßen Gründen der Gesichtswahrung und zum Zweck der Zeitgewinnung über den Landtagswahltermin hinaus hat Justizminister Kutschaty angekündigt, durch alle Instanzen bis zum EuGH durchzuprozessieren, auch wenn jeder weiß, dass das locker fünf Jahre dauert.

Die Gewerkschaften prophezeien deshalb heute: Schon bald nach der Landtagswahl folgt die große Ernüchterung bei den Beamten, wenn dann ein Großteil der Beförderungslisten bei der Finanzverwaltung und der Polizei dicht ist und gar niemand mehr befördert wird, kein Mann und keine Frau.

Bis Mai 2017 will Rot-Grün sich durchtricksen, wie in vielen anderen Politikfeldern auch. Als Neuestes werden nun immer mehr Männer zu Härtefällen erklärt, in den letzten Wochen alleine beim Finanzminister und Innenminister 86-mal, damit bei festgestellten deutlichen Unterschieden zugunsten eines männlichen Bewerbers dieser überhaupt noch befördert werden kann.

Das einzig Naheliegende machen Sie allerdings nicht, nämlich die Abschaffung dieser hochumstrittenen Frauenquote, um sich all dieser Probleme auf einen Schlag zu entledigen. – Im Gegenteil: Rot-Grün gießt weiter Öl ins Feuer. Sie heizen die Debatte an, indem Sie zukünftig auch noch öffentliche Unternehmen, allen voran die Sparkassen, die LBS und die NRW.BANK, der Frauenquote unterwerfen wollen. Die Sparkassen sind in heller Aufregung und entsetzt, beklagen diesen Wettbewerbsnachteil und sehen große Probleme, auch wie die BaFin dann mit Personalentscheidungen umgehen soll.

Wie verschiedene Gewerkschaften berichten, haben SPD-Minister die Probleme längst eingesehen und wären auch zu einer Kurskorrektur bereit. Jede vernünftige Lösung wird aber demnach in der Koalition kategorisch von den Grünen blockiert.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Das Ergebnis ist: Jahrelang erfahrene Beamte gehen in die innere Kündigung, und immer weniger leistungsbereite junge Männer interessieren sich für einen Berufseinstieg, wenn danach keine Aufstiegsperspektiven mehr bestehen.

Deshalb fordert die Deutsche Steuer-Gewerkschaft auch umgehende Schadensbegrenzung und eine Revision des § 19 Abs. 6 des Landesbeamtengesetzes. Der sinnvollste Weg wäre, dass der Landtag dieses Signal heute klar an die Betroffenen aussendet.

Sollte er die Chance verpassen, das heute zu machen, darf ich noch einmal eindringlich an die Kollegen von CDU und Piraten appellieren, sich unserer Initiative anzuschließen, dass wir gemeinsam eine Verfassungsklage einbringen. Dann haben wir innerhalb weniger Monate eine Klärung für den gesamten Bereich der Beamtenschaft und nicht ein fünfjähriges Verfahren bis zum Europäischen Gerichtshof, wie diese Landesregierung es angelegt hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Jansen.

Daniela Jansen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Witzel, Sie haben in Ihrem Antrag ja eine von vielen Forderungen aufgeschrieben, die lautet: Die Landesregierung soll die gerichtlichen Beschlüsse hinsichtlich der Regelung im Dienstrechtsmodernisierungsgesetz akzeptieren, die für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten wird. Dieses Verwaltungsgericht spricht dem Land sozusagen die Gesetzeskompetenz ab.

Ich kann gut verstehen, dass Sie mir oder unserer Fraktion und unserem Sachverstand vielleicht nicht glauben. Deswegen würde ich Ihnen gerne ein Zitat von Prof. Battis aus der Anhörung zum Landesgleichstellungsgesetz am 7. September nahelegen. Mit der Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich:

„Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat einen ganz alten Hut herausgezogen.“

Denn vor 26 Jahren hat er die damalige Landesregierung schon vertreten, und zwar vor dem Bundesverfassungsgericht zur Verteidigung des Frauenförderungsgesetzes. Wiederum ein Zitat:

„Damals war das erste Argument, das Land hat keine Gesetzgebungskompetenz. Genau derselbe Unsinn kommt jetzt wieder.“

Meine Damen und Herren, worüber sprechen wir eigentlich? Wir haben bislang 75 Fälle, in denen Rechtsschutz von Männern beantragt wurde. Stattgegeben wurden bislang fünf dieser Verfahren. Also, es gibt fünf stattgegebene Beschlüsse von Verwaltungsgerichten.

(Ralf Witzel [FDP]: Alle, die entschieden worden sind!)

– Die entschieden worden sind, natürlich.

(Ralf Witzel [FDP]: 100 % entschiedene Verfahren!)

Aber das ist der jetzige Stand, über den wir momentan auch reden können. Wir sehen jedoch schon angesichts dieser Summe, dass die FDP hier Ängste schürt, Ressentiments, dass massenhaft Männer benachteiligt werden, obwohl sie besser qualifiziert sind als Frauen, die jetzt vorgezogen werden. Aber das trifft nicht zu, Herr Kollege Witzel, denn bei Beförderungsentscheidungen ist der Qualifikationsgleichstand entscheidend.

(Ralf Witzel [FDP]: Nein, ist er nicht!)

Die Bewertung entscheidet sich nur in Nuancen. Im Gesetz steht „gleichwertiges Gesamturteil“. Lesen Sie es gerne noch einmal nach. Deswegen gebe ich Ihnen erneut ein Zitat von Prof. Battis zur Kenntnis – es geht ja um diese Beurteilungspraxis und um die Gleichbewertung –:

„Denn wir alle wissen doch: Man kann so lange vergleichen, bis man irgendeinen Grund dafür findet, dass einer doch gleicher ist als der andere. … Dieses Immer-weiter-Ausschärfen, um … irgendwann noch irgendeinen Unterschied zu finden, soll in Zukunft verhindert werden. … Es soll der Missbrauch des Beurteilungswesens, den es natürlich gibt, verhindert werden und nicht mehr.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die rot-grüne Landesregierung und mit ihr selbstverständlich auch die rot-grünen Regierungsfraktionen haben das Ziel einer Gleichstellung von Frauen durch die Beseitigung bestehender Nachteile. Gestützt werden wir in diesem Ziel übrigens durch das Gutachten des renommierten ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Prof. Papier, der uns den Ausgleich zweier gleichrangiger Staatsziele ins Stammbuch schreibt: die Beseitigung bestehender Nachteile und das Prinzip der Bestenauslese.

Sie haben gerade auch die Gewerkschaften angesprochen, die angeblich sehr unzufrieden damit sind, wie es läuft. Ich möchte Ihnen da gerne ein Zitat von Arnold Plickert geben, dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei. Er äußert die Befürchtung, dass selbst hervorragend qualifizierte Frauen behördenintern unter Rechtfertigungsdruck geraten, weil – Zitat –:

„Keine Kollegin will befördert werden, nur weil sie eine Frau ist.“

Meine Damen und Herren, abgesehen davon, dass ich diesen Satz bis aufs Äußerste chauvinistisch und falsch finde, muss man vielleicht auch noch dazusagen, dass ich noch nie einen Mann gehört habe, der sich für seine Beförderung in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen musste. Dabei ist es egal, ob das in einem Bereich war, wo Frauen in der Überzahl sind und somit der Mann hier den Vorzug bekommen hat, oder in anderen Führungspositionen.

Das ist vielleicht ein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Die Frauen haben immer noch das Gefühl, sie müssten sich überhaupt für irgendeine Position, die sie erreichen möchten, rechtfertigen.

Aber was Männer und Frauen eint: Alle wollen aufgrund ihres Könnens und ihrer Leistung befördert werden. Dort, wo das noch nicht entsprechend erfolgt ist, geht Rot-Grün diesen Weg vor. Genau das ist der Sinn dieses Gesetzes, dieser Dienstrechtsmodernisierung. Diesen Weg werden wir weiter gehen. Insofern müssen wir Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Jansen. Seien Sie doch so nett, noch einen Augenblick vorne zu verweilen. Sie haben Herrn Kollegen Witzel motiviert, die Debatte über eine Kurzintervention weiterzuführen. Er hat jetzt 90 Sekunden Zeit. – Bitte schön.

Ralf Witzel (FDP): Frau Kollegin Jansen, ich hatte bei Ihren Ausführungen zwischenzeitlich den Eindruck, dass Ihnen der Unterschied zwischen der alten und der neuen Rechtslage nicht ganz klar ist, was mich wundert, weil Sie in dem Bereich ja sehr aktiv sind.

Wir haben seit vielen Jahren eine Frauenquote, die schon vor dem 1. Juli 2016 sichergestellt hat, dass bei gleicher Qualifikation die Frau und nicht der Mann als Regelfall befördert worden ist. Genau der Umstand, dass dies geändert wurde, dass eben seit dem 1. Juli nicht mehr nur die gleich qualifizierte Frau vorgezogen wird, sondern – nicht beliebig, aber innerhalb einer Bandbreite, die auch mehrere Punkte der Leistungsbeurteilung betreffen kann – auch ausdrücklich die schlechter qualifizierte Frau zukünftig vorgezogen wird, scheint Ihnen entgangen zu sein.

Und all die Fälle, über die entschieden worden ist, sind ja die, wo die Frau mit 41 Punkten in der Leistungsbewertung dem Mann mit 44 Punkten vorgezogen wurde, der dann dagegen geklagt hat. Mir scheint, Ihnen ist entgangen, dass sich da seit dem 1. Juli etwas geändert hat.

In den Beurteilungssystemen der Ministerien repräsentiert oftmals ein Punkt ein Jahr guter Leistung. Dann kriegen sie eben wieder einen Punkt in der Wertsumme mehr. Dahinter stecken also oftmals mehrere Jahre beruflicher Leistung. Das wischen Sie mal eben vom Tisch, als sei das alles unerheblich. Die Beförderung schlechter qualifizierter Frauen ist ja genau der Grund, warum die Gerichte in ihren Beschlussbegründungen sagen, der Staat selber tue sich keinen Gefallen damit, wenn er durch dieses System schlechter Qualifizierte auf Positionen setzt, obwohl er bessere im Dienst hätte. Sind Ihnen diese Urteile, die Begründungstexte und das, was da rechtlich passiert ist, gar nicht bekannt?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Jansen, bitte.

Daniela Jansen (SPD): Lieber Herr Kollege Witzel, ich glaube, ich habe es bereits ausgeführt: Im Gesetz ist natürlich keinesfalls festgehalten, dass die schlechter qualifizierten Frauen befördert oder sozusagen bevorzugt werden

(Ralf Witzel [FDP]: Natürlich!)

– lesen Sie es noch einmal nach! –, sondern es steht drin: bei im Wesentlichen gleicher Beurteilung, Befähigung etc.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist doch der Euphemismus!)

Ich habe, glaube ich, in meinem Redebeitrag deutlich machen können, dass es an dieser Beurteilungspraxis durchaus Zweifel gibt, und zwar nicht von irgendjemandem, sondern beispielsweise auch von Herrn Prof. Battis. Ich weiß nicht genau, ob Sie in der Anhörung zum Landesgleichstellungsgesetz gewesen sind.

(Ralf Witzel [FDP]: Dienstrecht!)

– Zum Dienstrecht. – In der anderen Anhörung, aus der ich gerade zitiert habe, wurde das sehr deutlich. Das wurde im Übrigen beispielsweise von dem Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes bestätigt, angeregt von einer Nachfrage des Herrn Kollegen Olejak in der dortigen Anhörung. Es wurde nämlich gefragt: Wer beurteilt eigentlich die Beurteiler? Dabei ist herausgekommen: Es ist sozusagen ein selbstreferentielles System, bei dem der Missbrauch sozusagen Tür und Tor geöffnet ist.

(Werner Lohn [CDU]: Dann müssen Sie das ändern!)

Da ich noch 30 Sekunden Zeit habe, kann ich das gerne noch anbringen: Bemängelt wird ja, dass die jahrelangen Beurteilungslisten, nach denen Beamte befördert werden sollen, durch die Frauenquote durcheinandergewirbelt werden. Ganz genau das war unser Ziel. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: So weit Kurzintervention und Entgegnung darauf. – Wir fahren mit dem Wortbeitrag vom Herrn Kollegen Lohn für die CDU-Fraktion fort. Bitte schön.

Werner Lohn (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In immer kürzer werdenden Abständen müssen wir uns hier mit dem verkorksten Versuch einer Frauenförderung durch SPD und Grüne beschäftigen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Müssen wir eigentlich nicht!)

Ich kann Ihnen versprechen: Wenn Sie nicht ganz kurzfristig die Richtung wechseln und korrigieren, dann werden wir uns in regelmäßigen Abständen bis zur Landtagswahl mit diesem Thema beschäftigen, denn das, was Sie da geleistet haben, ist absolut verheerend.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Wie kann es denn sein, dass bereits innerhalb von vier Monaten nach Gesetzeskraft 70 Fälle bei den Verwaltungsgerichten liegen, wo bereits 100 % der entschiedenen Fälle gegen Sie entschieden worden sind?

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Sie wiederholen gebetsmühlenartig, es gebe keine Benachteiligungen. Dann müssen alle Verwaltungsrichter dumm sein. Die müssten ihr Geschäft nicht verstanden haben. Sie wiederholen gebetsmühlenartig das Falsche. Hier wird faktisch die Beförderung von schlechter qualifizierten Personen ermöglicht. Und das ist nicht hinnehmbar.

(Ralf Witzel [FDP]: Nicht nur ermöglicht, auch forciert!)

Ich kann nur hoffen, dass wir bald – das wird wahrscheinlich im Frühjahr 2017 der Fall sein – ein Oberverwaltungsgerichtsurteil bekommen werden. Spätestens dann müsste der Druck auf SPD und Grüne und auch auf die Ministerien so groß sein, dass man zu einer Kurskorrektur gezwungen wird. Denn es muss weggehen von Ideologie, weg von Verfassungsbruch,

(Beifall von der FDP)

und es muss auch Schluss sein mit Beratungsresistenz.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Chaos, das Sie seit dem 1. Juli angerichtet haben, führt zu riesigen Ungerechtigkeiten und hilft niemandem. Das hilft weder den Frauen noch den Männern.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Im Gegenteil: Durch die unzähligen Beförderungsstopps, die faktisch ausgesprochen wurden, schadet es allen. Es schadet Frauen und Männern. Sie erreichen genau das Gegenteil von dem, was Sie eigentlich, vielleicht sogar gut, gewollt haben.

Die Beamtenfamilien, die jahrelang auf eine verdiente Beförderung gewartet haben, gucken nun alle in die Röhre, weil Sie falsch entschieden und falsche Gesetze gemacht haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Es sind schon einige Zitate vorgetragen worden, einige werde ich noch anfügen. Wut, Kampfbereitschaft, aber auch Klagebereitschaft werden in den Gewerkschaftszeitungen deutlich dargestellt. Die Gewerkschaft der Polizei titelt in der November-Ausgabe:

„Wo geklagt wird, setzt das Land den Vollzug von Beförderungsentscheidungen aus.“

Prof. Battis, der eben von Frau Jansen genannt wurde, sagt dazu, dass der Eingriff während eines laufenden Beurteilungszeitraums ein fataler Fehler des Gesetzgebers war. Ich füge hinzu: Mit Gesetzgeber kann er ja nur SPD und Grüne gemeint haben, denn alle anderen in diesem Haus haben dagegen gestimmt.

Der Deutsche Beamtenbund schreibt:

„Frauenförderung: Gutes Ziel – Falscher Weg.“

Weiter schreibt er: Regelungen zur Frauenförderung sind schon jetzt in einer Sackgasse.

Der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Manfred Lehmann, normalerweise eher ein Vertrauter der Landesregierung, fordert vom Finanzminister gar Schadensersatz in Millionenhöhe. Von der „Rheinischen Post“ wird er wie folgt zitiert:

„Die Vorstellungen der Landesregierung zur Frauenförderung richten sich so auch gegen unsere weiblichen Beschäftigten.“

Ich bin noch nicht am Ende. Für den Bund Deutscher Kriminalbeamter schreibt ein SPD-Mitglied, nämlich Sebastian Fiedler, den ich als Vorsitzenden sehr schätze: Falsch verstandene Frauenförderung, die Zweite. Das erwartete Chaos ist da. – Er führt weiter aus: Im Ergebnis kann zurzeit eigentlich niemand befördert werden. – Noch etwas weiter heißt es: Landesregierung und Landtag – hier füge ich wieder ein: mit „Landtag“ können nur SPD und Grüne gemeint sein, weil alle anderen dagegen gestimmt haben – haben sich selbst, der Polizei und den Frauen sehenden Auges einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall von der FDP)

Sie als Landesregierung sind laut Sebastian Fiedler jetzt aufgefordert, diesen Fehler zu korrigieren und zeitnah eine verfassungskonforme Regelung vorzulegen, die den Erfordernissen einer tatsächlichen Frauenförderung Rechnung trägt.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sebastian Fiedler hat recht. Man muss auch SPD-Leuten mal recht geben können. Aber Sie nehmen das gar nicht zur Kenntnis, verehrte Vertreter der Regierungskoalition. Wenn Sie umkehren wollen und heraus aus der Sackgasse wollen, müssen Sie anders an das Thema herangehen.

Wir als CDU-Fraktion haben bereits bei der Verabschiedung zur Dienstrechtsreform einen umfassenden Entschließungsantrag vorgelegt. Darin steht ganz genau, dass wir uns den Ursachen für die Benachteiligung der Frauen zuwenden müssen und nicht mit verfassungswidrigen Methoden versuchen dürfen, das Ergebnis zu kaschieren.

Wie wir bereits am 16. September 2016 hier gesagt haben, sollten Sie die jetzige Regelung sofort außer Kraft setzen und den alten Rechtszustand wiederherstellen, damit auch kein Beförderungsstopp erforderlich ist, wie ihn die FDP damals kurzfristig angedacht hatte, und parallel an einem neuen Gesetzentwurf arbeiten, der sowohl wirkungsvoll als auch verfassungskonform ist.

Sie haben aber leider nichts getan. Im Gegenteil – damit komme ich auch zum Schluss –: 86 leistungsstarke Beamte, die befördert werden, müssen von der Landesregierung als Härtefälle tituliert werden, damit sie überhaupt in den Genuss einer Beförderung kommen.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Ich sage Ihnen: Die Härtefälle sind der Finanzminister Walter-Borjans und der Innenminister Jäger. Das sind politische Härtefälle; denn sie sind völlig beratungsresistent.

(Beifall von der FDP)

Sie verhalten sich hier wie verantwortungslose Verfassungshasardeure. Das ist mit uns nicht zu machen.

Ich freue mich, dass die FDP den Antrag hier vorgelegt hat. Wir werden ihm zustimmen – mit der Maßgabe, dass sie sich nicht gänzlich gegen die Frauenquote aussprechen. Ich interpretiere es so, dass sie gegen jede Form von verfassungswidriger Frauenquote sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP – Daniela Jansen [SPD]: Das steht da doch! – Josefine Paul [GRÜNE]: Das steht da!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lohn. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Paul das Wort.

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohn, diesen Appell muss ich Ihnen leider gleich wieder wegnehmen; denn der Antrag ist nicht anders zu lesen als entsprechend der Forderung, die die FDP-Fraktion formuliert hat, nämlich, zukünftig eine wirksame Frauenförderung ohne das Instrument einer Frauenquote sicherzustellen. Das heißt nichts anderes als: Die FDP-Fraktion will keinerlei Frauenquote.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Infrage steht dann allerdings nach wie vor, was sie eigentlich mit der wirksamen Frauenförderung meint. Wir wissen alle – das haben mittlerweile auch Politikerinnen und Politiker anderer Parteien wie beispielsweise Frau von der Leyen erkannt –: Alles, was nicht eine Quote ist, ist weiße Salbe, weil es eben nicht wirksam ist.

Die Landesregierung hat dieses …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Lohn zulassen?

Josefine Paul (GRÜNE): Sehr gerne.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Herr Kollege.

Werner Lohn (CDU): Vielen Dank, Frau Paul. – Ich möchte nur einer Fehlinterpretation vorzubeugen. Ich sehe mich nicht unbedingt in der Pflicht, den FDP-Antrag zu verteidigen. Aber aus der Begründung des FDP-Antrages geht ganz genau hervor, dass es eben nicht das Ansinnen ist, gegen jegliche Frauenquote zu sein; denn es heißt dort klipp und klar:

„Nicht akzeptabel sind aber Frauenquotenregelungen, die gegen die Verfassungsgrundsätze der Beförderung nach Eignung, Leistung und Befähigung sowie Europarecht verstoßen …“

(Zuruf von der SPD: Wo ist die Frage?)

Dagegen wendet man sich also und nicht gegen eine Frauenquote an sich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das war zwar keine Frage, Herr Kollege; aber gut. – Möchten Sie dazu etwas sagen, Frau Kollegin Paul?

Werner Lohn (CDU): Ich kann die Frage gern anschließen: Haben Sie das verstanden?

Josefine Paul (GRÜNE): Das habe ich verstanden. Allerdings müssen Sie dann tatsächlich auch den ganzen Antrag lesen; denn das, was ich gerade vorgetragen habe, ist ein wörtliches Zitat aus dem Antrag. Darin steht wörtlich:

„… zukünftig eine wirksame Förderung ohne das Instrument einer Frauenquote sicherzustellen; …“

Meiner Ansicht nach lässt diese Formulierung keinerlei Interpretationsspielraum, um welche Art von Frauenquote es sich handelt. Dort steht schlicht und ergreifend: Die FDP-Fraktion will keine Frauenquote. – Das sage ich an dieser Stelle noch einmal zur Klarstellung.

Wenn wir schon bei der Frage der Wirksamkeit und der Verfassungsmäßigkeit sind, sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion: Die Landesregierung hat ein solches wirksames Instrument vorgelegt, das aus unserer Sicht auch verfassungsrechtlich so geboten ist. Und das ist die Frauenquote.

Die Notwendigkeit einer solchen Frauenquote, Herr Witzel, leitet sich nachgerade aus Ihrer eigenen Feststellung in Ihrem Antrag ab. Sie fordern nämlich eine diskriminierungsfrei agierende Landesregierung. Da sage ich Ihnen: Eine diskriminierungsbewusste Landesregierung handelt dann verantwortlich, wenn sie die Augen nicht vor Benachteiligung verschließt, sondern wirksame Maßnahmen gegen den Abbau dieser Benachteiligung ergreift.

(Ralf Witzel [FDP]: Geisterfahrer!)

Das haben Sie doch in Ihrem Antrag eingefordert. Und das haben wir auch eingelöst.

(Vereinzelt Beifall von der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Geisterfahrer!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, klar ist doch, dass der Frauenanteil trotz hoher Zahl in den Eingangsämtern mit zunehmender Hierarchiestufe systematisch abnimmt. Wenn wir also sehen, dass es eine systematische Abnahme gibt, dann ist doch nur festzustellen, dass diese Abnahme strukturell begründet ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine strukturelle Benachteiligung von Frauen verstößt gegen das Gleichstellungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, auch wenn Ihnen dieses Gebot nach wie vor nicht bekannt zu sein scheint.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Es ist also verfassungsrechtlich nachgerade geboten, hier auf einen Ausgleich zwischen der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz, die Sie richtigerweise einfordern, und dem Staatsziel der Gleichstellung der Frau durch die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken bzw. diesem Ziel nachzukommen. Und Sie wissen genau, dass das nicht meine Worte sind.

(Ingrid Hack [SPD]: Zuhören!)

Das sind vielmehr die Schlussfolgerungen von Herrn Prof. Papier. Aus unserer Sicht erfüllt die Quote genau diese Schlussfolgerungen.

(Ralf Witzel [FDP]: 15 % davon sind verfassungswidrig!)

– Nein, das ist so nicht gesagt. Das unterstellen Sie, und es wird auch nicht dadurch richtiger, indem Sie immer wieder faktenfreie Dinge hier wiederholen. Dadurch wird es doch nicht besser und auch nicht richtiger.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Sie schreiben des Weiteren in Ihrem Antrag, die Landesregierung habe eine ungewöhnliche Rechtsauffassung. Dazu möchte ich Ihnen noch einmal ganz deutlich Folgendes sagen, auch wenn ich das schon hundertmal gemacht habe:

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Was Sie als ungewöhnliche Rechtauffassung beschreiben, ist aus unserer Sicht die Umsetzung eines Verfassungsgebotes, lieber Herr Witzel. Das sollten auch Sie vielleicht endlich einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine ähnliche Debatte haben wir doch schon bei der Regelung geführt, die bis zum 30. Juni 2016 in Kraft war. Die vorher gültige Regelung wurde nämlich genauso debattiert wie die jetzige Regelung. Dort wurde auch über die Regelungskompetenz gestritten. Dort wurde über die Verfassungsmäßigkeit der Regelung gestritten; sie wurde in Zweifel gezogen. Trotzdem müssen wir feststellen, dass im Endeffekt diese Regelung damals einer Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof standgehalten hat.

Es ist daher doch nur konsequent, wenn die Landesregierung jetzt richtigerweise ankündigt, diesen Weg auch diesmal beschreiten zu wollen, wenn dies notwendig ist, auch wenn die FDP das nicht hören möchte.

Ich will mich da noch einmal der Frauenministerin Steffens, die von Ihnen ja auch im Antrag zitiert worden ist, anschließen. Denn Sie haben es gerade schon wieder gemacht. Und die Behauptung wird doch nicht dadurch wahrer, dass Sie sie gebetsmühlenartig hier vortragen.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Die Behauptung, schlechter qualifizierte Frauen würden besser qualifizierten Männern vorgezogen, ist faktisch nicht richtig. Das wissen Sie. Trotzdem formulieren Sie das jedes Mal wieder so. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht aller qualifizierten Frauen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Diese Polemik, die Sie gegen die Formulierung „im Wesentlichen gleicher Eignung“, also der Vergleichbarkeit und der Gleichwertigkeit der Gesamtbeurteilung, aufbauen,

(Ralf Witzel [FDP])

reiht sich doch in eine ganze Abfolge von Anträgen ein, die Sie hier gestellt haben, die die bestehende Benachteiligung von Frauen negieren.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wir werden morgen hier noch ein ganz besonderes Kleinod Ihres Feldzugs gegen Genderwahn usw. haben. Da frage ich mich allen Ernstes: Quo vadis, Bürgerrechtspartei?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Frau Kollegin Paul. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Olejak.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause und hier im Saal! Vielen Dank, Frau Paul. Sie haben mehr oder weniger auch für mich abschließend alle sinnvollen Argumente gegen den FDP-Antrag noch einmal schön zusammengefasst. Da ich selbst immer dazu neige, die Dinge nicht noch einmal zu wiederholen, möchte ich nur einen Teilaspekt noch herausstellen. Die Anhörung vom 7. September dieses Jahres wurde ja bereits erwähnt.

Herr Witzel, Sie hatten gerade ausgeführt, dass sich die Sparkassen hier im freien Wettbewerb mit den Banken befinden. Das gilt wohl auch, wenn es um die Quote und um die Dienstrechtsmodernisierung geht. In diesem Zusammenhang würde ich fast sagen: Die Sparkassen haben hier ihren eigentlichen Auftrag und ihr Ziel definitiv vergessen. Denn Frauen sind nun einmal selbst Bestandteil einer Sparkassenstruktur und haben sich dementsprechend diesen gesetzlichen Regelungen auch ganz einfach zu unterwerfen, wenn sie denn weiterhin Verfassungsbestand haben werden.

Die Verfassungsmäßigkeit, die Sie permanent infrage stellen, kann ich auch nachvollziehen. Aber dann hören Sie doch einfach auf, dies sozusagen auf diesen untersten Ebenen immer wieder anzuprangern. Gehen Sie doch einfach hin, wie Sie es angekündigt haben, klagen verfassungsrechtlich und ziehen das einmal durch.

Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich meine Einschätzung in dieser Angelegenheit – Herr Wedel wird es Ihnen vielleicht bestätigen können –: Auch wenn es bisweilen bis in die EU-Ebene geht, werden Sie spätestens vor dem entsprechenden Verfassungsgericht mit Ihrem Ansinnen scheitern.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Es wird also wohl nicht gelingen, den mutigen Schritt zu machen, hier tatsächlich, wie es gerade gesagt wurde, die Landschaft einmal ein bisschen durcheinanderzuwirbeln. Vielleicht können und müssen wir auf ministerieller Ebene einmal schauen, inwieweit das den Beförderungen zugrunde liegende Bewertungssystem und mögliche innerbehördliche Willkür bei den Beförderungsmaßnahmen noch einmal auf den Prüfstand zu stellen sind. So hatte ich es selber auch einmal formuliert und gefragt: Who watches the watchmen? Wer bewertet die Bewertenden? Denn wir alle werden ja letztlich von den Wählerinnen und Wählern da draußen bewertet.

Insofern können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen. Wir wünschen Ihnen also viel Erfolg vor dem Verfassungsgericht. Ich selber sage: Sie werden scheitern. – Schönen Tag noch!

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Olejak. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung des Innenministers Frau Ministerin Schulze. Bitte.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Witzel und Herr Lohn, ich glaube, viele Frauen im öffentlichen Dienst hätten es zu schätzen gewusst, wenn Sie denselben Einsatz, den Sie jetzt an den Tag legen, um sich hier für die Männer ins Feuer zu werfen, in Ihrer eigenen Regierungszeit auch einmal für die Frauen gezeigt hätten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde es wirklich bemerkenswert, Herr Witzel, wie sehr Ihre Fraktion

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

das eigentliche Problem unter den Tisch fallen lässt. Für Sie lautet das Problem: Beförderungsblockade. Für Sie stehen hier ein Mann und dort eine Frau. Der Mann wird aus Ihrer Sicht gegenüber der Frau benachteiligt,

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

weil er nicht befördert wird. Er wird zu Unrecht überholt. Das ist Ihre Wahrnehmung.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Das eigentliche Problem – nämlich, dass Frauen seit Jahrzehnten abgehangen werden, dass sie im selben Einstiegsamt starten wie die Männer, aber nur sehr selten in Führungsämtern landen – lassen Sie komplett außen vor. Darüber haben Sie kein Wort verloren.

(Zuruf von Werner Lohn [CDU])

Das nehmen Sie kein bisschen zur Kenntnis.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ehrlich gesagt, habe ich in der Debatte auch nicht den Eindruck gewonnen, dass Sie dieses Problem überhaupt angehen wollen und da etwas verändern wollen.

Innenminister Ralf Jäger, den ich heute hier vertrete, hat in der letzten Plenardebatte zu demselben Thema zu Recht darauf hingewiesen, dass Ihre Fraktion überhaupt nicht an einer sachlichen Debatte darüber interessiert ist, was eigentlich das Problem ist. Sonst hätten Sie auch nicht, wie beim letzten Mal, den Antrag hier direkt zur Abstimmung gestellt, sondern Sie hätten sich vielleicht auch einmal der Diskussion in den Ausschüssen gestellt.

(Christof Rasche [FDP]: Das war doch klar!)

Was ist denn bitte der Lösungsvorschlag von der FDP, und was ist der Lösungsvorschlag von der CDU, um das Problem zu lösen, und zwar in absehbarer Zeit und nicht in 100 Jahren?

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Wo ist der Beitrag, um die Beteiligung von Frauen zu ermöglichen, um die Benachteiligung zu bekämpfen?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, entschuldigen Sie. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Lohn zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Nein.

(Zurufe von der CDU)

– Nein. Das ist nicht mein Thema. Ich will das hier im Zusammenhang vorstellen. – Wo ist denn Ihr Beitrag zu dem, was im Grundgesetz steht, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und wir das natürlich auch in der öffentlichen Verwaltung nach vorne bringen müssen? Ich bin ganz Ohr, wenn Sie da Vorschläge haben.

Was mich wirklich ärgert, ist, dass Sie das Problem komplett ignorieren. Mich ärgert, dass Sie die Regelung, die im Gesetz getroffen wurde, hier vollkommen falsch darstellen. Es geht nicht um einen „Leistungsrabatt“ für Frauen. Die Frauenförderung greift erst beim Gleichstand der Bewerberinnen und Bewerber. Erst bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt. Das ist der Kern des Gesetzes, den Sie offensichtlich immer noch nicht wahrnehmen wollen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das führt auch nicht zu einer vollständigen Beförderungsblockade. Das haben die Gerichte doch auch entschieden.

Herr Witzel, wenn Sie hier die Steuergewerkschaft zitieren, wäre es ganz gut, auch einmal zu sagen, was denn der DGB zu unserer Regelung gesagt hat. Das möchte ich gerne zitieren:

„Dienstrechtsmodernisierungsgesetz war mutiger Schritt in die richtige Richtung.“

Diesen Mut haben wir an den Tag gelegt, als wir den Gesetzentwurf eingebracht haben. Den Mut werden wir auch haben, wenn es darum geht, dieses Gesetz notfalls vor dem Verfassungsgericht oder vor dem Europäischen Gerichtshof zu verteidigen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Bitte seien Sie so nett, noch einen Augenblick am Rednerpult zu verweilen; denn Herr Kollege Witzel hat eine Kurzintervention angemeldet und bekommt wie üblich für 90 Sekunden das Wort. Bitte.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Schulze, wir sollten einige der Aspekte, die Sie angesprochen haben, hier noch einmal vertiefen. Freundlicherweise hat der Finanzminister für den Bereich der Finanzverwaltung die Zahlen transparent gemacht und auf den Tisch gelegt. Sein Ressort ist ja stark von den Klageaktivitäten betroffen.

Über Nacht sind zum 1. Juli dieses Jahres 700 Leute auf der Beförderungsliste zurückgestuft worden – teilweise um mehrere Hundert Plätze. Vor Männern, die 44 Punkte in einer standardisierten Leistungsbewertung hatten, stehen jetzt Frauen mit 41 Punkten.

Zugleich zeigen die Zahlen des Finanzministers, dass in Bereichen, in denen der Frauenanteil 30 % beträgt, trotzdem nach altem Recht schon 40 % der Beförderungsstellen an Frauen gegangen sind. Das ist gemessen an der Personalstruktur ein überproportional hoher Anteil. Wenn 40 % der Beförderungsstellen an Frauen gehen und ihr Anteil im Bestand bei 30 % in verschiedenen Funktionen und Laufbahnen liegt, frage ich Sie: Wo erkennen Sie da eine Benachteiligung von Frauen?

Und was sagen Sie dem Mann, der alles so macht, wie er es sollte und wie es ihm in Zielvereinbarungen aufgegeben worden ist, der nichts an seiner Leistung geändert hat und trotzdem über Nacht mehrere Hundert Plätze auf der Liste nach unten rauscht, weil er mit einer um mehrere Punkte höheren Punktzahl jetzt unterhalb etlicher Frauen rangiert, die mit niedrigerer Punktzahl an ihm vorbeigezogen sind?

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte, Frau Ministerin.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Witzel, Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass wir im öffentlichen Bereich wie in vielen anderen Bereichen auch den Fakt haben, dass Frauen seit Jahrzehnten abgehängt wurden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Gehen Sie doch einmal auf die Frage ein!)

In erster Linie wurden Männer befördert.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wieder nichts Konkretes!)

Frauen haben beim gleichen Eingangsamt nicht die gleichen Chancen, auf eine Führungsposition zu kommen, wie Männer sie haben.

(Dietmar Brockes [FDP]: Wieder nichts Konkretes!)

Sie können sich in wissenschaftlichen Untersuchungen an vielen Stellen anschauen, woran das liegt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Gehen Sie doch einmal auf die Frage ein!)

Man nennt das – wenn Sie die genaue wissenschaftliche Bezeichnung wissen wollen – homosoziale Kooptation. Danach werden immer die gleichen Personen befördert, nämlich diejenigen, die einem scheinbar ähnlich sind. Um dagegen vorzugehen, brauchen wir Quoten.

Es ist nicht so, sehr geehrte FDP, dass Frauen befördert werden, die schlechter als Männer sind.

(Dietmar Brockes [FDP]: Das haben wir doch eben am Beispiel gehört!)

Ich habe manchmal den Eindruck, dass für Sie nur eine Frau auf eine Stelle befördert werden darf, wenn sie mindestens doppelt so gut wie der Mann ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)

Auch das können wir im öffentlichen Bereich bieten. Die Frauenförderung, die wir im Dienstrechtsmodernisierungsgesetz festgelegt haben, greift erst beim Gleichstand der Bewerberinnen und Bewerber,

(Werner Lohn [CDU]: Das stimmt ja nicht!)

bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation.

(Werner Lohn [CDU]: „Im Wesentlichen“!)

Sie können hundertmal das Gegenteil behaupten. Aber ich sage Ihnen: Das ist im Gesetzentwurf festgelegt. Es geht darum, dass bei im Wesentlichen gleicher Qualifikation Frauen befördert werden.

(Dietmar Brockes [FDP]: Die Gerichte haben gesagt, dass genau das nicht richtig ist!)

Das ist genau richtig so, um die strukturellen Benachteiligungen endlich zu überwinden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen zu Reden oder Meldungen zu Kurzinterventionen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/13298 beantragt. Wer für den FDP-Antrag stimmt, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/13298 vom Landtag abgelehnt worden ist.

Ich rufe auf:

5   Gesetz zum Schutz der Natur in Nordrhein-Westfalen und zur Änderung anderer Vorschriften (Landesnaturschutzgesetz – LNatSchG NRW)

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11154 – Neudruck

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Drucksachen 16/13323 und 16/13404

Änderungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13410

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/13407

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Krick das Wort. Bitte schön.

Manfred Krick (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter Lesung mit dem Entwurf eines neuen Landesnaturschutzgesetzes über einen Gesetzentwurf, der zweifellos für die weitere positive Entwicklung unserer Heimat von großer Bedeutung ist.

Das Landesnaturschutzgesetz ersetzt das 1974 unter Ministerpräsident Heinz Kühn erarbeitete Landschaftsgesetz.

Die über Jahrzehnte bewährten und etablierten Regelungen und Verfahrensweisen des Landschaftsgesetzes werden dabei zum größten Teil auch in das Landesnaturschutzgesetz übernommen.

Ein Änderungsbedarf ergibt sich im Wesentlichen durch das neue Bundesnaturschutzgesetz von 2010 und durch ein Problem, das in den vergangenen 20 Jahren zuerst erkannt worden ist und dann immer stärker auch in die öffentliche Diskussion gekommen ist, nämlich den Verlust an Biodiversität oder, anders ausgedrückt, den Verlust der Artenvielfalt.

Die Artenvielfalt zu sichern, ist dabei nicht nur eine moralische, eine ethische Verpflichtung; die Artenvielfalt bietet durch ihren evolutionär entstandenen Genpool auch ein unersetzliches ökonomisches Potenzial für zukünftige Entwicklungen. Auch das ist ein wichtiger Grund, sich um den Erhalt der Artenvielfalt zu kümmern.

Aber die Artenvielfalt ist nicht nur im tropischen Regenwald gefährdet. Sie ist auch bei uns in unseren Kulturlandschaften gefährdet. Unsere offenen Kulturlandschaften sind auch durch die Arbeit des Menschen in diesen Kulturlandschaften Lebensraum für eine unzählige Anzahl von Arten geworden. Diese Artenvielfalt ist heute leider massiv bedroht. Das gilt ganz besonders für die intensiv landwirtschaftlich genutzten Bereiche unseres Landes. Belege dafür finden sich leider unzählige, zum Beispiel der Rückgang der Populationen der Rebhühner, der Feldlerchen oder des Feldhasens. Das sind typische Bewohner der offenen Kulturlandschaft.

Fast noch eklatanter ist der Rückgang im Bereich der Insekten und der Kleinstlebewesen. Ich will das an einem praktischen Beispiel verdeutlichen. Früher war nach einer schnellen Autofahrt die Windschutzscheibe voll mit toten Insekten. Heute benutzen wir den Insektenschwamm fast gar nicht mehr. Forscher sprechen davon, dass der quantitative Rückgang von Insekten, verglichen mit dem Zeitraum vor den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bis zu 80 % beträgt.

Insekten und Kleinstlebewesen sind aber in den Nahrungsketten der Natur auch für andere Populationen wichtig, zum Beispiel für Singvögel oder auch für Säugetiere. So hängt in der Natur alles miteinander zusammen und steht in gegenseitiger Abhängigkeit.

Das Ziel der Regierungskoalition ist, die Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft zu sichern. Dabei sind wir davon überzeugt, dass die Artenvielfalt gerade auch in der Fläche gesichert werden muss und nicht nur in ausgewiesenen Schutzgebieten.

Dies wird durch das neue Landesnaturschutzgesetz ermöglicht. Dort, wo wir als Landesgesetzgeber die Möglichkeit zur Regelungskompetenz besitzen, nutzen wir diese deshalb konsequent für den Erhalt der Artenvielfalt. So setzen wir dem feststellbaren Trend zu immer ausgedehnteren Ackerflächen den Schutz der Landschaftselemente wie Hecken, Feldrain und Feldgehölzen entgegen. Wir stellen für Nordrhein-Westfalen typische kleinteilige Biotoptypen unter Schutz, und wir definieren Vorgaben für eine Vernetzung der Lebensräume durch einen Biotopverbund.

Um das auch praktisch umsetzbar zu machen, führen wir die Pflicht zur Aufstellung von Landschaftsplänen für den gesamten Außenbereich wieder ein. Die Landschaftspläne der kreisfreien Städte und der Kreise sind das zentrale Instrument, um im gesellschaftlichen Diskurs, in dem gesellschaftlichen Austausch vor Ort die weitere Entwicklung unserer Landschaft und der Artenvielfalt im Blick zu behalten.

Um noch weitere bürgerschaftliche Organisationen in den Schutz der Artenvielfalt einzubeziehen, erweitern wir das im Bundesnaturschutzgesetz bereits vorhandene Vorkaufsrecht zugunsten von öffentlichen Stiftungen auch auf private Stiftungen. Insbesondere haben wir hierbei natürlich unsere eigene NRW-Stiftung im Blick, aber auch die privaten Stiftungen der Landwirtschaftsverbände im Rheinland und in Westfalen und natürlich auch die Stiftungen der Naturschutzverbände. Sie alle können dazu beitragen, das wertvolle Naturerbe unserer Heimat für zukünftige Generationen und für den Erhalt der Artenvielfalt zu sichern.

Im Rahmen unseres Änderungsantrages wollen wir auch die erfolgreiche Arbeit der bisherigen Landschaftsbeiräte – zukünftig Naturschutzbeiräte – nicht gefährden. Deshalb beinhaltet unser Änderungsantrag auch die Beibehaltung der bisherigen Anzahl von 16 Sitzen. Dadurch, dass die Naturschutzbeiräte nunmehr auch wieder ein Einspruchsrecht für die Erteilung von Befreiungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz erhalten, stärken wir im Übrigen auch wieder die Beratungsfunktion dieser ehrenamtlichen Gremien.

Mit unserem Entschließungsantrag schärfen wir noch einmal die Ausrichtung des Gesetzes auf den Erhalt der Artenvielfalt. Durch die gewünschte Information des Landtags über die Entwicklung der Biodiversität und des Biotopverbundes im Land werden wir einen kontinuierlichen Überblick erhalten.

Mit der Förderung des bereits heute schon bestehenden, aber zu erweiternden Förderprogramms für Landschaftselemente wollen wir auch dort, wo solche Landschaftselemente durch die Intensivierung der Landwirtschaft heute nicht mehr bestehen, erreichen, dass wieder Kulturlandschaften entstehen, die Lebensraum für eine vielfältige Flora und Fauna bieten.

Ich danke allen, die sich im Gesetzgebungsverfahren in die Diskussion eingebracht haben und dadurch dazu beigetragen haben, dass wir heute ein Landesnaturschutzgesetz beraten können, das einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der Artenvielfalt in unserer Heimat leisten wird, ein Gesetz, das die künftige Lebensqualität in unserer Heimat sichert und damit auch ein Stück Generationsgerechtigkeit ist.

Deshalb bitte ich auch die anderen Fraktionen um Zustimmung zum Landesnaturschutzgesetz, zu unserem Änderungsantrag und zu unserem Entschließungsantrag. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Krick. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Deppe das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Rainer Deppe (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Heute wird das neue Naturschutzgesetz verabschiedet.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

– Klatschen Sie nicht zu früh. Das ist ein rabenschwarzer Tag für den Naturschutz in Nordrhein-Westfalen; ich sage es Ihnen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Mit diesem Gesetz werden Sie am Ende nicht mehr, sondern weniger Naturschutz für unser Land bewirken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Naturschutz passiert nämlich nicht am warmen Schreibtisch im Ministerium, sondern draußen in der Landschaft. Und mit Ihrem rein ideologischen Gesetz haben Sie genau diejenigen, die Sie draußen in der Landschaft brauchen, dermaßen verärgert, dass Sie am Ende weniger erreichen werden als mit dem bisherigen Gesetz.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie haben es geschafft, dass ausgerechnet diejenigen sich verweigern,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Stimmt doch alles nicht!)

die Tag für Tag, deren Familien zum Teil schon seit vielen Generationen in der Natur und mit der Natur arbeiten, die unsere Landschaft pflegen, die für Biodiversität sorgen. Wer diese Menschen unter Generalverdacht stellt, so wie Sie, Herr Remmel, es seit ihrem Amtsantritt tun, darf sich nicht wundern, dass immer weniger Menschen bereit sind, geschützte Tierarten zu melden oder sich an Umweltprogrammen zu beteiligen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Statt die Bewirtschafter mitzunehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen, bauen Sie einen Gegensatz zwischen den sogenannten „guten Schützern“ und den sogenannten „bösen Nutzern“ auf.

(Norbert Meesters [SPD]: Nur Sie machen das, sonst macht das niemand!)

Sie missachten deren Arbeit, deren Eigentum und denken sich stattdessen immer neue Verbote aus; obendrein schicken Sie den Menschen Kontrolleure auf den Hals.

(Beifall von der CDU und der FDP)

16 Verbände des ländlichen Raums mit durchaus unterschiedlichen Interessen, deren 600.000 Mitglieder Sie alle brauchen, wenn Sie in der Natur wirklich etwas Positives erreichen wollen, haben es klar und deutlich formuliert: Naturschutz braucht eine Kultur des Vertrauens und der Verlässlichkeit, sowohl im behördlichen Handeln wie für private Initiativen. Genau daran mangelt es Ihrem Gesetz: Vertrauen und Verlässlichkeit – das ist das Wichtigste, das man in der Politik und im Umgang mit der Natur braucht. Und gerade das kommt bei Ihnen nicht vor.

Das Gesetz ist auch ein Beleg dafür, dass Sie Ihren eigenen Behördenstrukturen nicht trauen, ja sogar den Unteren Naturschutzbehörden die Fachexpertise absprechen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Deppe, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Rüße würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Rainer Deppe (CDU): Ich würde jetzt gerne erst mal reden. Meine Stimme ist ja auch etwas angegriffen.

(Jochen Ott [SPD]: Da wäre eine Pause gerade recht!)

Sie misstrauen Ihren eigenen Behörden; man kann die schon vollzogene behördliche Kompetenzverschiebung hin zu den Bezirksregierungen und den Naturschutzverbänden nicht anders verstehen.

Aber, meine Damen und Herren, wir üben nicht nur Kritik an dem Gesetz, sondern wir sagen auch, was wir wollen. Deshalb hat die CDU-Fraktion 60 ausformulierte Änderungsanträge vorgelegt. Für uns steht ganz oben – das ist der Leitgedanke des Gesetzes –: Wir bringen die Menschen und die unterschiedlichen Interessen zusammen und hetzen sie nicht gegeneinander auf.

(Beifall von der CDU)

Naturschutz wird nur dann erfolgreich sein, wenn man ihn mit den Betroffenen macht und nicht gegen sie. Wir wollen Landwirte, Waldbesitzer, Gärtner, Jäger, Angler, Imker für den Naturschutz gewinnen. Wir vertrauen denjenigen, die Tag für Tag in der Natur und mit der Natur arbeiten.

Wir wollen landwirtschaftlich und forstwirtschaftlich bewirtschaftbare Fläche erhalten. Deshalb wollen wir weiterhin die sogenannte Eins-zu-eins-Regelung beibehalten. Sie hingegen wollen sie abschaffen. Wir wollen Ausgleich durch mehr Qualität statt durch sture Inanspruchnahme immer weiterer landwirtschaftlicher Flächen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Norbert Meesters [SPD]: Dann haben Sie das Gesetz nicht gelesen!)

Wenn diese schon herhalten müssen, um Wohnraum für Menschen zu schaffen, um Arbeitsplätze zu erhalten oder um den Verkehrsinfarkt in Nordrhein-Westfalen abzuwenden, dann darf nicht noch für Ausgleichsmaßnahmen ein Mehrfaches an Fläche der freien Bewirtschaftung entzogen werden. Wo immer möglich, muss es einen quantitativen Ausgleich geben; über Ökokonten muss ganz gezielt die ökologische Verbesserung vorhandener landschaftlicher Strukturen vorangebracht werden.

Ein weiterer Punkt: Landwirtschaftliche Flächen gehören zuerst in die Hand der Bewirtschafter.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wenn der Staat im Ausnahmefalle das Vorkaufsrecht ausübt, dann soll das ausdrücklich nur dann möglich sein, soweit es zur Umsetzung von Naturschutzzielen absolut erforderlich ist, zum Beispiel zur Umsetzung des Landschaftsplans.

(Norbert Meesters [SPD]: Warum denn sonst? Wer will das denn was anders?)

Die meisten Dinge kann man vertraglich regeln. Dafür muss man nicht, so wie Sie es wollen, den Leuten durch die Naturschutzverbände sozusagen das Land unter den Füßen wegkaufen lassen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt wollen Sie sogar noch an die Kleinstflächen unter 1 ha heran. So gewinnt man kein Vertrauen, sondern so säen Sie nach wie vor Misstrauen.

(Beifall von der CDU – Norwich Rüße [GRÜNE]: Unfassbar!)

Einige weitere Punkte: Beim Hochwasserschutz müssen wir schneller als bisher vorankommen. Die Anlage von Deichen, Dämmen und Hochwasserschutzeinrichtungen dient dem Umweltschutz und ist kein Eingriff in die Natur.

Wir haben Vertrauen in die Kommunen. Sie sind vor Ort die entscheidenden Partner bei der Umsetzung des Naturschutzes. Folgerichtig sieht der Antrag der CDU eine deutliche Stärkung der Kommunen vor. Sie brauchen mehr Handlungsfreiheit und nicht immer neue Bürokratie.

Ich will Ihnen, liebe Kollegen, nur ein Beispiel aus dem Änderungsantrag der SPD und Grünen nennen, damit Sie sehen, was Ihr Bürokratiewahn inzwischen für Blüten treibt. Wer jetzt beispielsweise das hochgiftige Jakobskreuzkraut auf geschütztem Grünland bekämpfen will,

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Die Terrorpflanze!)

muss für jeden Einzelfall eine Genehmigung bei der Naturschutzbehörde beantragen. Haben Sie denn wirklich keine anderen Sorgen hier in Nordrhein-Westfalen?

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir stärken die Kommunen durch unseren Änderungsantrag auch bei der Landschaftsplanung. Da, wo etwas zu schützen ist, wird es geschützt – gleich das ganze Land mit der Planung zu überziehen, das geht jedoch zu weit.

Naturschutzverbände sind wichtige und freiwillige Zusammenschlüsse, aber sie haben nicht die Oberaufsicht über die Kommunen.

(Beifall von der CDU)

Der Naturschutzbeirat wird nach unserem Vorschlag zu einem echten Beratungsgremium für die jeweilige Untere Naturschutzbehörde umgestaltet. Wir wollen alle an der Landschaft beteiligten Verbände einbeziehen. Deshalb wird ihre Zahl erhöht. Übrigens wollen wir auch, dass mehr Verbände als bisher und wie im Gesetz vorgesehen, als Naturschutzverbände die Chance haben, anerkannt zu werden.

Wir wollen überall biologische Stationen einrichten, die von Kommunen, Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam getragen werden. Was gute landwirtschaftliche und forstliche Praxis ist, wird nach neuesten wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen umgesetzt. Für Sonderregelungen und Sonderverbote auf Landesebene ist da kein Platz – erst recht nicht, wenn diese rein ideologisch von einem Schreibtisch aus erlassen werden.

Wir stärken den Landtag gegenüber der Landesregierung. Wenn es überhaupt einen weiteren Nationalpark geben sollte, dann hat nach unserer Meinung darüber nicht die Landesregierung zu entscheiden, sondern der Landtag mit einem eigenen Nationalparkgesetz.

(Beifall von der CDU)

SPD und Grüne meinen offenbar, wenn sie den Naturschutzverbänden ein Gesetz zum Geburtstag schenken – so hat es der Minister am 23. April 2016 in Königswinter beim NABU ausgedrückt –, dann hätten sie etwas für die Natur erreicht. In Wahrheit haben sie neue Verbote, neue Bürokratie, neue Eingriffe in das Eigentum in die Welt gesetzt – das ist der Geist dieses zweifelhaften Geschenks.

Herr Minister, wenn Ihre dramatischen Worte vom Formatieren der Festplatte, die Sie ja immer wieder bringen, stimmen, dann stünde es am Ende der jetzt bald siebenjährigen Regierungszeit der Regierung Kraft um die Natur in Nordrhein-Westfalen schlechter als zum Ende der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers. Sieben Jahre lang ein grüner Umweltminister – und der Natur in Nordrhein-Westfalen geht es nach Ihren ständigen Verlautbarungen schlechter als zuvor.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Ist Nordrhein-Westfalen beim Zustand der Natur jetzt auf Platz 16 von 16 angekommen? In anderen Bereichen kennen wir das ja schon.

(Minister Johannes Remmel: Das hätten Sie gerne!)

Das ist eine traurige Bilanz, meine Damen und Herren, und einen wichtigeren Grund für die Ablösung dieses Umweltministers kann es ja kaum geben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wer für die Natur wirklich etwas erreichen will, muss alle mitnehmen. Augenhöhe, Gleichberechtigung und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse – darauf kommt es an. Das ist ein echter, nachhaltiger Politikansatz. Das ist unsere Position.

Im Naturschutz ist es nicht anders als sonst im Leben. Wer die Menschen begeistert, ihre Herzen für die Schönheit und den Schutz der Natur gewinnt, der erreicht etwas für die Natur. Aber mit Ihrer Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün, erreichen Sie genau das Gegenteil.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Rüße.

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Keine Ideologie, Herr Kollege!)

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das passt ganz schön: Heute Abend wird hier im Landtag eine Fotoausstellung eröffnet. Vielleicht haben einige von Ihnen auch schon die Bilder gesehen, die im Foyer zwischen den Fraktionssälen von Grünen und FDP hängen. Sie sind von Dr. Niepagenkemper; einige kennen ihn sicherlich vom Landesfischereiverband.

Wenn man sich diese Fotos anschaut, dann erkennt man, welche Schönheit und welche Vielfalt die Natur zu bieten hat. Allein die Schönheit, die wir auf diesen Bildern präsentiert bekommen, könnte schon ein Beweggrund sein, dass wir heute alle gemeinsam das neue Landesnaturschutzgesetz verabschieden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Beim Erhalt der Natur es geht aber nicht um die Ästhetik. Es geht darum – das wissen wir eigentlich alle zusammen –, dass die Artenvielfalt, die Biodiversität unserer Natur ein Netz ist, ein Netz der Arten, das uns alle zusammen trägt und das uns eine Existenz hier auf dieser Erde ermöglicht. Jede einzelne Art ist in diesem Netz ein Knotenpunkt. Mit jeder Art, die wir auslöschen, die ausstirbt, verlieren wir einen Knotenpunkt in diesem Netz, das uns trägt.

Wenn wir dann wissen, dass in Nordrhein-Westfalen 45 % der Arten gefährdet, vom Aussterben bedroht oder längst ausgestorben sind, dann sollte uns das zu denken geben. Vielleicht sollten wir auch, was die Artenvielfalt angeht, in puncto Polemik etwas abrüsten und stattdessen zusehen, dass wir gemeinsam vorankommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es lohnt sich, an dieser Stelle immer wieder einmal an Johan Rockström zu erinnern, der mit seinem Forscherteam einen Bericht zur Belastbarkeit unseres Planeten veröffentlicht hat. Er hat darin drei Bereiche festgestellt, in denen wir auf diesem Planeten große Probleme haben. Ein Bereich ist der Klimawandel; darüber diskutieren wir immer wieder. Das ist auch richtig so.

Die Forscher machen jedoch zwei Bereiche aus, in denen die Belastung noch höher ist.

Der eine Bereich ist der Stickstoffkreislauf. Dazu haben wir in den letzten Tagen ebenfalls einiges hören dürfen.

Der andere Bereich aber – das zeigt noch einmal die ganze Dramatik – ist die Artenvielfalt. Die Forscher sagen, die Artenvielfalt sei der Bereich, den wir kaum noch in den Griff kriegen können. Beim Klimawandel können wir es schaffen, wenn wir uns wirklich bemühen. Bei der Artenvielfalt wird es jedoch extrem schwierig, weil eben schon so viele Arten längst verschwunden sind, weil unser Netz der Artenvielfalt schon so löchrig ist. Dies alleine rechtfertigt schon unseren Versuch, mit diesem Gesetzentwurf im Naturschutz weiter voranzukommen.

Herr Deppe, und da muss man von den Naturnutzern Eingeständnisse und Kompromissbereitschaft erwarten. Die ist ja auch vorhanden. Ich verstehe gar nicht, was Sie gerade gesagt haben. Sie haben so geredet, als ob Sie die ganze Debatte, die wir dazu geführt haben, gar nicht mitbekommen hätten.

(Zuruf von der SPD: Wahrscheinlich war das so!)

Sie reden von 600.000 Menschen, die in den Verbänden organisiert sind. Dazu sage ich Ihnen: Im ländlichen Raum leben noch ein paar mehr Menschen; dort lebt ein Drittel unserer Bevölkerung. Und von den 600.000, die Sie erwähnen, waren anlässlich einer Demonstration gegen das Landesnaturschutzgesetz gerade mal 60 hier vor Ort. 60 von 600.000!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das zeigt doch, dass die überwiegende Mehrheit das, was Sie meinen, da an Problemen festzustellen, gar nicht teilt.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir machen mit diesem Gesetz eine Menge guter …

(Zurufe)

– Ihr Protest zeigt, dass wir ins Schwarze getroffen haben.

Wir liefern mit diesem Gesetz viele gute neue Regelungen. Wir schaffen die Voraussetzungen für einen wirksamen Biotopverbund, um so wieder ein Rückgrat für eine intakte Natur zu bilden. Wir sichern die wertvollen letzten Grünlandflächen, die wir überhaupt noch haben.

Wir schaffen – das haben Sie besonders bekämpft – mit den Wildnisgebieten neue Schutzräume im Wald und sichern diese auch ab. Ich sage Ihnen an dieser Stelle noch einmal: Sie haben das Konzept der Wildnisgebiete überhaupt nicht verstanden; sonst würden Sie nicht darüber diskutieren, ob man das im Erbfall irgendwie wieder rückabwickeln kann. Das ist eine völlig irrige Vorstellung.

In Ihrem Antrag fand ich besonders lustig, wie Sie sich zu den Biologischen Stationen äußerten, und dass Sie diese in Ihrer Zeit doch so schön abgesichert hätten. Ich kann mich erinnern: Ich habe seinerzeit im Kreistag gesessen und gemeinsam mit der Kreistagsfraktion der CDU dafür gesorgt, dass die ausfallenden Landesmittel für die Biologischen Stationen ersetzt worden sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben die Biologischen Stationen im Land Nordrhein-Westfalen gefährdet! Wir sichern sie jetzt ab!

Wir geben auch den Naturschutzbeiräten wieder mehr Mitsprachemöglichkeit. Gleichzeitig haben wir gesagt – das zeigt, wie viel Kompromiss in diesem Gesetzentwurf steckt –: Wir bleiben bei der Parität. Das jedoch, was Sie in Ihrem Vorschlag unterbreitet haben – nämlich noch jede Menge weiterer Verbände aufzunehmen und das Gremium völlig aufzublasen, bis es überhaupt nicht mehr diskussionsfähig ist –, können Sie nicht wirklich ernst gemeint haben.

Wir haben den Prozess der Beratung über einen langen Zeitraum geführt. Dabei wurden viele Gespräche geführt, manchmal zusammen mit dem Kollegen Meesters, manchmal auch nur SPD und Grüne. Es hat eine Anhörung gegeben aus der wir viele Anregungen aufgenommen haben. Im Laufe dieses langen Beratungsprozesses haben wir sehr viel aufgenommen und im Sinne der Nutzer und der Schützer jeweils etliche Nachbesserungen im Gesetz vorgenommen.

Ich greife einmal ein Beispiel heraus: die wildschonende Mahd. Der Rheinische Bauernverband hat gefragt: Kann man das Ganze nicht noch etwas näher an der Praxis ausrichten? Kann man das für die Hanglagen, wo es gefährlich wird und man mit dem Trecker umstürzen kann, wenn man so mäht, wie ihr es vorgeschrieben habt, nicht anders regeln? – Darauf sind wir natürlich eingegangen und haben gesagt: Jawohl, wir nehmen eure Vorschläge auf. Das machen wir so. – Da haben wir der Landwirtschaft konkret ein Angebot gemacht.

Es gibt ein weiteres Beispiel. Wenn Sie die „LZ“ aufmerksam gelesen haben, Herr Deppe, dann fällt Ihre ganze Rede von heute wie ein Soufflé in sich zusammen. Wir bekommen höchstes Lob von einer Zeitung, die uns nicht so oft lobt, aber an dieser Stelle tut sie es. Die Vereinbarung zu den Streuobstwiesen ist hervorragend. Wir machen viel möglich. Wir geben viel Spielraum für die Landwirte als Flächenbesitzer und die Naturschützer, die zusammen etwas erreichen sollen. Wir kombinieren Freiwilligkeit mit einer gesetzlichen Regelung, die greift, wenn das Ganze freiwillig nicht funktionieren sollte.

Meine Damen und Herren, ich konnte hoffentlich ein wenig verdeutlichen, dass dieser Gesetzentwurf Augenmaß pur ist. Was Sie von uns immer erwarten, das haben wir umgesetzt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie wollten mit Ihrem Änderungsantrag einen ganz anderen Weg gehen. Ich kann Ihren Änderungsantrag nur so verstehen, dass Sie sich bei Ihren Nutzerverbänden einschmeicheln wollten; denn Sinn und Verstand stecken da aus meiner Sicht nicht dahinter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie das 1-ha-Vorkaufsrecht erwähnen, fallen Sie hinter die Regelung des Bundesgesetzes zurück, das Ihre eigene Fraktion 2010 im Bundestag novelliert hat. Da müssen Sie zwischen Ihren beiden Fraktionen erst mal Deckungsgleichheit erzielen.

Sie missachten übergeordnete Rechtsvorschriften bei Ihrer Eins-zu-Eins-Ausgleichsregelung, die Sie immer wie ein Mantra wiederholen. Die Bundeskompensationsordnung lässt das nicht zu, also hören Sie doch auf, hier solche Vorschläge zu unterbreiten!

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Norwich Rüße (GRÜNE): Was Sie gemacht haben, ist Ihr naturschutzpolitischer Offenbarungseid. Wir haben hier ein gutes Gesetz vorgelegt. Wir werden damit etwas für den Naturschutz in diesem Bundesland erreichen – mehr Artenvielfalt, mehr Artenschutz. Das ist ein guter Tag für den Naturschutz und für die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen, die die Natur schätzen und lieben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rüße. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Höne.

Henning Höne (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Rüße, abgesehen davon, dass es schon ein etwas komisches Demokratieverständnis war, das Sie da in Bezug auf die Demonstration im Zusammenhang mit unserer Ausschusssitzung haben zeigen lassen, können wir doch eines festhalten: So sehr ich auch erwartet hätte, dass ein paar mehr Menschen zum Demonstrieren kommen,

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie haben nicht einmal die Fünf-Promille-Grenze geschafft!)

so haben gegen das Gesetz immerhin 60 Menschen demonstriert, Herr Kollege Rüße, und für das Gesetz null.

(Beifall von der FDP)

Übrigens ist es schon spannend, Herr Kollege Rüße, dass Sie überhaupt wissen wollen, wie viele Leute denn da waren. Sie selbst waren ja nicht bei der Demonstration. Sie sind hier im Warmen geblieben und haben sich gar nicht getraut, sich der Diskussion zu stellen,

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

im Gegensatz zum Kollegen Meesters. Das müssen wir doch zuerst einmal festhalten.

(Zurufe)

Wir haben es während des gesamten Diskussionsverfahrens gesagt und wir bleiben dabei; denn auch diese kleinen Änderungen, die Rot-Grün jetzt im Ausschuss vorgestellt hat, ändern nichts daran: Diesem Gesetz fehlt es bei den neu vorgeschlagenen Maßnahmen an einer Messbarkeit. Es fehlt an Respekt; es fehlt an Vertrauen.

Darauf gehe ich gerne noch mal im Einzelnen ein. Herr Kollege, Sie haben vorhin den Biotopverbund nach § 35 angesprochen. Wir haben das viel diskutiert: 10 %, 15 %, mindestens 10 %, mindestens 15 %. – Es bleibt aber bei einem grundsätzlichen Unterschied. Sie sagen, seit Jahren werde im Bereich Naturschutz/Artenvielfalt alles immer schlimmer. Ihre Antwort darauf lautet seit Jahren: Viel hilft viel.

Wir haben von Ihnen bei der ersten Lesung und schon bei der Vorstellung des ersten Referentenentwurfs die Aussage eingefordert: Mit welchen positiven Auswirkungen rechnen Sie denn konkret? – Die Antwort darauf sind Sie jetzt über ein Jahr lang schuldig geblieben. Wir haben gesagt: Lassen Sie uns mehr über die Qualität statt über die Quantität sprechen. Lassen Sie uns das Ganze über die Qualität definieren. – Diese Antworten sind Sie schuldig geblieben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Sie haben nicht einen qualitativen Vorschlag gemacht!)

Dabei gibt es Ansätze, zum Beispiel auf Seite 81 des Entwurfs des Landesentwicklungsplans, Vorlage 16/4116. Dort findet sich eine Karte, und dort bestünde die Möglichkeiten, sich zu überlegen, wo Verknüpfungen fehlen, wo es zwischen den einzelnen Schutzgebieten an Trittsteinen mangelt. Aber auch da sind Sie im vorliegenden Gesetzentwurf am Ende unkonkret geblieben. Das ist schade.

Ein weiterer Punkt: Respekt. Wenn es nach Ihnen geht, können in der Fläche eigentlich gar nicht genug Verbände an entsprechenden Entscheidungen beteiligt werden. Herr Kollege Rüße, Sie haben es gerade als Zugeständnis an die Nutzerverbände dargestellt, dass Sie den Landschaftsbeirat nicht erweitert haben. Ich glaube, das hat doch viel mehr damit zu tun, dass Sie selbst intern gar nicht mit den Gegensätzen klarkommen, die sich zum Teil zwischen den erneuerbaren Energien und dem Artenschutz aufmachen. Das fechten Sie ja auch intern aus.

(Beifall von der FDP)

Es können gar nicht genug Menschen beteiligt werden. Eine Gruppe aber vergessen Sie, und das sind die Eigentümer. Sie blenden das Eigentum aus, Sie werten das Eigentum auch ab, und – noch viel schlimmer, weil Sie spätestens daran auch ein Interesse haben müssten – Sie würdigen das Fachwissen und die Erfahrungen, die über Jahrzehnte und über Generationen in sehr vielen Familienbetrieben aufgebaut wurden, nicht eines Blickes.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Wir meinen – ein weiterer Unterschied –, dass wir uns diesen Ausschluss von Wissen und Erfahrungen ob der Situation gar nicht leisten können.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Es wird ja noch schlimmer bei § 66 Abs. 1, dem Beteiligungs- und Klagerecht. Herr Krick hat es vorhin auch schon gesagt. Das wurde von Ihnen mehrfach in Diskussionen verharmlost, nach dem Motto: Wir machen doch eigentlich nur das, was sowieso schon da ist; wir haben das nur noch ein bisschen ausgeführt. – Nein, wahr ist das, was der Kollege Krick gesagt hat: Sie erweitern das Ganze. Bei Beteiligungs- und Klagerechten gehen Sie über das hinaus, was europa- und bundesrechtlich gilt.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Höne …

Henning Höne (FDP): Bei den Diskussionen mit betroffenen Verbänden haben Sie dann immer gesagt: Ja, die Erweiterung auf private Stiftungen – da haben wir doch nur die NRW-Stiftung im Hinterkopf, und da sind doch auch Kolleginnen und Kollegen der Union in den entsprechenden Gremien, da haben Sie doch gar nichts zu befürchten.

Jetzt, in der abschließenden Lesung, wird auf einmal der wahre Hintergrund ein bisschen deutlicher, Herr Kollege Krick. Da war es zwar auch die NRW-Stiftung, aber alle anderen Stiftungen bis hin zu den Naturschutzverbänden haben Sie gerade auch schon genannt. Genau das war doch ein großer Sorgenpunkt der Nutzerverbände aus dem Aktionsbündnis. Das haben Sie dort immer weggewischt. Das ist schlicht und ergreifend unredlich.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Höne, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Rüße würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Henning Höne (FDP): Bitte schön.

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie das zulassen. – Ich muss auf Folgendes zurückkommen: In puncto Beirat haben Sie, wenn ich das richtig verstanden habe, festgestellt, wir würden die Kompetenz der Bewirtschafter, der Eigentümer der Flächen ausschließen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Frage!)

Da würde ich gerne von Ihnen wissen, ob Sie meinen oder irgendwo gelesen haben, dass wir die Landwirtschaftsverbände und die Waldbauern zukünftig nicht mehr im Naturschutzbeirat beteiligen.

Henning Höne (FDP): Nein, Herr Kollege Rüße, Sie schließen diese nicht aus, wenngleich ich Ihnen auch zutrauen würde, dass das eigentlich Ihr heimliches Ziel gewesen war.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Eigentlich ist der Punkt ein anderer, und daher kommt nämlich auch die Abwertung: Sie erweitern Beteiligungs- und Klagerechte für sehr viele Gruppen – außer bei den Eigentümern. Das ist der Punkt, wo ich von einer Abwertung spreche, nicht in dem Sinne, dass Sie diese komplett ausschließen, wenngleich – dazu komme ich gleich vielleicht noch mal – zum Beispiel bei der Erarbeitung der Biodiversitätsstrategie, auf der dieses Gesetz fußt, die Eigentümer, die Nutzerverbände vor verschlossenen Türen gestanden und Sie das intern mit sich ausgemacht haben. Auch das ist übrigens ein sehr spannender Punkt.

Dritter Punkt: Vertrauen. Wir Freien Demokraten glauben, dass Menschen Vertrauen insbesondere von der Politik verdient haben. Das unterscheidet uns, weil Ihr Vertrauen stets nur so weit geht wie Ihre eigenen Kontrollmöglichkeiten. Dieses Misstrauen zeigt sich dann zum Beispiel bei einseitigen Eingriffen in die gute fachliche Praxis.

Nehmen wir als Beispiel das Umbruchverbot bei Dauergrünland. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden dort das erleben, was wir schon bei den Streuobstwiesen erlebt haben. Solange im Entwurf der absolute Schutz enthalten war, haben viele Landwirte überlegt, diese Streuobstwiesen abzuschaffen. Das werden wir beim Thema „Dauergrünland“ sicher ähnlich erleben. Kurz bevor Grünland Dauergrünland wird, werden viele Betriebe überlegen – und auch überlegen müssen, um sich eine gewisse Flexibilität zu erhalten –, ob das nicht doch umgebrochen wird.

Wenn ich heute die Chance habe, eine gewisse Fläche außen vor zu lassen und das freiwillig tue, dann ist das positiv. Aber die Leute können sich doch nicht auf alle Ewigkeit verpflichten, weil sie noch gar nicht wissen, wie sich ihre wirtschaftliche Situation in fünf, in zehn oder in 15 Jahren darstellt.

Da kommen wir genau an den Punkt, den der Kollege Deppe eben schon angesprochen hat: Durch solche Vorfestlegungen nehmen Sie den Menschen ihre Flexibilität. Sie glauben, damit etwas Gutes zu erreichen, kommen aber genau zum Gegenteil. Vor lauter Aktionismus erreichen Sie das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Sie misstrauen der Land- und Forstwirtschaft. Und darum misstraut die Land- und Forstwirtschaft auch Ihnen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Das alles wiegt umso schwerer, als es in der Tat zahlreiche Herausforderungen im Naturschutz bei der Artenvielfalt gibt. Wir können sicherlich über viele Dinge im Detail streiten, auch über den einen oder anderen Weg, aber eines steht unumstößlich fest: Gegen die Eigentümer, gegen die Nutzer werden Sie nicht zum Erfolg kommen. Da sind Sie zum Scheitern verurteilt.

Jetzt haben Sie im Verfahren einige Aspekte verändert. Die freiwillige Vereinbarung zu den Streuobstwiesen ist angesprochen worden, auch die Regelung zum Totholz.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

– Ja, dass es jetzt eine freiwillige Vereinbarung gibt, finde ich gut. Herr Rüße, Sie haben sich ja im Ausschuss ein Lob von uns zum Punkt „Mahd von innen nach außen“ gewünscht. Das habe ich Ihnen hiermit ausgesprochen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE]: Danke schön!)

– Damit hört es aber auch auf. Das geht nur bei diesen ein, zwei Punkten; viel weiter geht es leider nicht.

Die Frage ist doch nur: Warum haben Sie nicht von Anfang an darauf gesetzt? Sie haben doch gerade in Kombination mit dem Jagdgesetz, dem Wassergesetz und den weiteren Verordnungen viel Vertrauen bei den Betroffenen verspielt. Der vorgelegte Entschließungsantrag schlägt jetzt dem Fass den Boden aus.

Da steht – ich zitiere –: Dialog und Verständigung zwischen Politik, Landnutzern und Naturschützern, Gesellschaft und Wissenschaft wollen Sie intensivieren.

Zum Abschluss dieses monatelangen Verfahrens wollen Sie also den Dialog intensivieren. Ich sage Ihnen: Das ist, und zwar mit Anlauf, ein Schlag ins Gesicht der Eigentümer, der Nutzerverbände, die, wie eben schon gesagt, bei der Erstellung der Biodervisitätsstrategie vor verschlossenen Türen standen, und zwar von außen, weil Sie die gar nicht dabeihaben wollten. Herr Minister, im ländlichen Raum sind Sie der Elefant im Porzellanladen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Für Sie gilt Ordnungsrecht vor Kooperation; für uns gilt das umgekehrt. Sie wollen die Natur vor den Menschen schützen; wir wollen die Natur für den Menschen schützen.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE]: Ihnen ist doch die Natur egal!)

Für Sie gilt: Viel hilft viel; für uns gilt: Qualität statt Quantität.

Und wenn Ihnen, Herr Kollege Rüße, nichts anderes einfällt außer zu sagen: „Das ist Ihnen doch egal“, dann sagt das extrem viel über die bisherige Debatte und auch über Ihr Verständnis davon aus.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurft hätte, dass Sie den ländlichen Raum mit Ihrer Politik spalten, dann finden Sie ihn in diesem Gesetz.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! In Nordrhein-Westfalen gab es bisher kein Landesnaturschutzgesetz. Dass sich dieser Zustand jetzt zum Besseren ändert, begrüßen wir.

Es wird auch höchste Zeit, denn 22 % des Landes sind als Siedlungs- und Verkehrsflächen versiegelt. Immer noch werden täglich 10 ha verbraucht. 45 % der Wirbeltiere in Nordrhein-Westfalen sind ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Um 80 % ist die Biomasse von Insekten und Vögeln zurückgegangen.

Endlich wird das veraltete Landschaftsgesetz von 1974 – also fast ein halbes Jahrhundert alt – abgelöst von einem Landesnaturschutzgesetz mit dem Anspruch, den Rahmen des Bundesnaturschutzgesetzes nicht nur auszufüllen, sondern womöglich zu übertreffen.

Das ist, zugegeben, kein leichtes Ziel in unserem dicht besiedelten Bundesland mit hohem Druck auf die Fläche und auch hoher Konkurrenz um die Fläche. Das spiegelt sich teilweise im Gesetzentwurf wider an den Stellen, wo die Regierung zu kurz springt, wo sie sich zu sehr auf Kompromisse eingelassen hat.

Wir hatten bisher das generelle Problem, dass die Biodiversität der Arten, die Biodiversität der Habitate, die Biodiversität der Genpools, der einzelnen Arten nicht gesichert werden konnten, denn es gab zu wenig Schutzinseln, die nicht ausreichend verbunden waren.

Wie kann man jetzt den vorliegenden Entwurf bewerten? Welche Änderungen gab es im Verlauf der Beratungen? Was ist gut, was ist unzureichend?

Ein paar Beispiele: Zunächst einmal gibt es mehr Rechtssicherheit, weil mehr Übereinstimmung zwischen Bundes- und Landesrecht hergestellt wird. Auch die geänderten Regelungen zum Vorkaufsrecht halten wir für zielführend. Damit steht die Selbstverpflichtung der öffentlichen Hand für ihre Flächen konkludent in Verbindung.

Positiv ist ebenfalls die Einführung von Biosphärenregionen und Naturparks, auch wenn deren Schutzcharakter überschaubar ist, ebenso die Einführung von Wildnisentwicklungsgebieten, die Erweiterung der gesetzlich geschützten Biotope, die Erweiterung der Mitwirkungsrechte und Klagemöglichkeiten der anerkannten Naturschutzverbände. Die Totholzregelung möchte ich auch nicht unerwähnt lassen.

Um auch einmal eine Entschärfung zu loben: Die Regelungen für Reiter waren in der Ursprungsfassung über das Ziel hinausgeschossen, und das wurde behoben. Da wurde einmal ein guter Kompromiss gefunden, der keinem schadet und allen nützt.

Wir begrüßen, dass jetzt 15 % statt 10 % für die Biotopverbünde ausgewiesen sind. Wir bezweifeln aber, dass das reichen wird angesichts der bereits aufgetretenen massiven Verluste an Arten und Biomasse. Es ist also nur ein Anfang. Es ist schade, dass den Anregungen der Naturschutzverbände in der Anhörung auf eine Erweiterung nicht gefolgt wurde.

Die zu den Streuobstwiesen hier vorliegenden geänderten Formulierungen bringen in unseren Augen keine wirkliche Verbesserung als geschützte Biotope im Verhältnis zum Erstentwurf.

Wir bemängeln auch das Fehlen ausführlicher Vorschriften für die Flächenrenaturierung.

Das Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten auf Grünland ist auch so ein Kompromiss. Das tritt erst 2022 in Kraft – und auch danach gibt es Ausnahmeregelungen.

Ambitionierte Ziele und effektive Instrumente zu Problemlösungen sehen wir durchaus, zumindest teilweise. Es gibt für uns keinen Grund, gegen dieses Gesetz zu stimmen.

Es gibt aber auch keine Aussage zum Fracking. Das fällt schwer ins Gewicht, und zwar negativ. Die im Bund im Sommer geänderten Gesetze machen es nötig, ein solches Verbot überall ins Landesrecht zu schreiben, wo es inhaltlich hineinpasst. Sie haben das hier schon beim Wasserrecht verweigert und tun das jetzt auch hier beim Naturschutz.

Der Landesentwicklungsplan reicht uns nicht. Die Anhörung zum Landesentwicklungsplan am Montag hat das einmal wieder klargemacht. Da hat man die Möglichkeit, das Frackingverbot im Landesentwicklungsplan durch Zielabweichungsverfahren auszuhebeln. Das ist ein Weg, den Sie schon im alten Landesentwicklungsplan gingen bei den Versuchen, den illegalen Schwarzbau Datteln 4 nachträglich zu legalisieren – übrigens mit den Stimmen der Grünen im Regionalrat Münsterland.

Mit diesem Manko können wir dem Gesetz auch nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten.

Zu den Entschließungsanträgen! Dem Antrag der Regierungsfraktionen stimmen wir zu. Er enthält Forderungen, die wir und andere auch schon länger gestellt hatten. Wenn das durchgeführt wird, was dort gefordert ist, dann ist das nicht nur eine weitere konkrete Verbesserung, sondern es wird auch eine validere Datengrundlage zur Evaluation geschaffen.

Den Antrag der CDU-Fraktion lehnen wir ab. Er konterkariert die Versuche der Landesregierung, einen verbesserten Naturschutz durchzusetzen. Wir haben auch den Eindruck, dass Sie ihn selbst nicht so ernst meinen, wenn Sie einen so umfangreichen Antrag so kurzfristig einbringen, wie Sie es auch schon in der letzten Ausschusssitzung getan haben. Vielleicht wollen Sie sich damit einfach nur ein Fleißkärtchen bei Ihren Lobbyisten abholen. Das passt in unser generelles Bild zu Ihrer Arbeit im Naturschutzbereich. Sie sind dort zu selten und insgesamt kaum ernst zu nehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Koalition, diese Landesregierung hat sich vorgenommen, das Landschaftsgesetz zu einem umfassenden Landesnaturschutzgesetz weiterzuentwickeln.

Es geht um unsere Antwort hier in Nordrhein-Westfalen auf den drohenden Burn-out der weltweiten Artenvielfalt. Dieser Burn-out ist auch in unserem Bundesland längst spürbar. Die Zahlen sind eben schon genannt worden: 45 % der Tiere und Pflanzen stehen auf der Roten Liste, sind also gefährdet, vom Aussterben bedroht oder schon ausgestorben. Das ist die Problemlage, die auf dem Tisch liegt, und die erfordert eine Antwort.

Deshalb ist es unser Ziel, vielleicht etwas abstrakt ausgedrückt, die Biosphäre zu schützen. Einfacher und verständlicher geht es um die Bewahrung der Schöpfung für die kommenden Generationen.

Der Weg dahin geht über den Erhalt wertvoller Lebensräume, die Unterstützung des privaten Naturschutzes, die Sicherung von Naturschutzgebieten, den Schutz der Urwälder von morgen, die Stärkung unseres ländlichen Raums und natürlich das bürgerschaftliche Engagement.

Dieses Gesetz, dass das zusammenfasst, steht heute zur Verabschiedung an. In der Tat, der Weg dahin war lang. Die Gespräche und Diskussionen waren umfassend und intensiv. Ich sage das an dieser Stelle wie fast bei keinem anderen Gesetzesvorhaben. Wir haben uns viel Zeit gelassen, mit allen Beteiligten ins Gespräch und dann auch zu Veränderungen zu kommen.

Im Zuge der Beratungen bei der Beibehaltung dieser Zielsetzungen hat es vielfach Modifikationen gegeben. Ich nenne hier die Regelungen zum Totholz, das Vorkaufsrecht, die Frage der Mitwirkung der Naturschutzverbände, den Naturschutzbeirat, die Frage, wie mit dem Biotopverbund umzugehen ist, und zum Schluss natürlich die Frage nach dem Biotopschutz von Streuobstwiesen.

Deshalb ist es entgegen aller Behauptungen absurd, festzustellen, es habe keinen konstruktiven Dialog gegeben. Im Gegenteil: Das, was heute vor Ihnen liegt, ist das Ergebnis eines solchen Dialogprozesses.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an alle Beteiligten, die daran konstruktiv mitgewirkt haben, die kritisch begleitet haben, die auch kritisiert haben – auch das hat geholfen –, um zu besseren Lösungen zu finden! Das Ergebnis kann sich, wie ich finde, sehen lassen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb ist das, was hier im Raum steht und immer wieder beschworen wird, das vermeintliche Gegeneinander von sogenannten Naturschützern und Naturnutzern, nichts anderes als eine politische Halluzination, eine Figur, die gebraucht wird, um die politische Existenzberechtigung nicht zu verlieren.

(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wenn es wirklich so eine Figur gäbe, hätte ja mal eine Alternative im Gesetzgebungsverfahren auftauchen müssen, eine andere Antwort auf die Fragestellung, auf die Problemlage, die auf dem Tisch liegt. Aber weil man sie nicht hat, braucht man eine Figur, um politischen Klamauk zu machen. Das zeugt von inhaltlicher Lehre und mangelnden Antworten auf die Probleme, die vor uns liegen, und das, was wir gestalten müssen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich bin der CDU-Fraktion im Übrigen ausgesprochen dankbar, dass sie einen 60-Punkte-Katalog vorgelegt hat, weil daran erkennbar ist, dass wir ein grundlegend anderes Verständnis von Naturschutz in unserem Rechtsstaat haben.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Wohl wahr!)

Das ist nicht nur – ich finde das bemerkenswert – die Rückkehr zu einer Zeit, in der das jetzige Gesetz entstanden ist, also die Rückkehr zu Schwarz-Gelb, es ist nicht nur die Rückkehr zu der Zeit vor 2005, sondern es ist die Rückkehr zu einer Zeit, in der der Naturschutz noch nicht in der Verfassung stand. Insofern ist das, was Sie vorschlagen, im Grunde genommen verfassungswidrig, meine sehr geehrten Damen und Herren der CDU. Aber es wird deutlich, wohin Sie mit dem Naturschutz und der Artenvielfalt in unserem Land wollen.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Der Kern der Aufnahme des Naturschutzes, des Schutzes unserer Lebensgrundlage in die Verfassung ist eben nicht, dass es sich um ein abgeleitetes Recht handelt, so wie Sie offensichtlich Naturschutz verstehen, zugegebenermaßen zugespitzt formuliert als „Gutsherrennaturschutz“, sozusagen als Wohltat, als Barmherzigkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nein, in der Verfassung steht ausdrücklich, dass die Natur sui generis – aus sich selbst heraus – zu schützen ist, weil es unsere Lebensgrundlage ist. Das kommt in Ihren Vorschlägen eben nicht zum Tragen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Sie fordern sozusagen sogar noch zum Verfassungsbruch auf.

(Hendrik Schmitz [CDU]: Das ist doch lächerlich! Das ist Quatsch!)

– Ja, selbstverständlich: indem Sie wieder die Einführung der Eins-zu-eins-Regelung vorschlagen. Die ist rechtswidrig, das wurde mehrfach festgestellt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie sind maßlos!)

Sie wollen, dass dieser Landtag rechtswidrige Beschlüsse fasst. Unmöglich, ein solcher Vorschlag!

(Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Das will die Landesregierung sonst aber auch immer!)

Dann wollen Sie weniger Naturschutz, indem Sie hier den Vorschlag machen, auf 10 % der Biotopfläche zu gehen – 10 %! Wir haben schon über 12 % unter Schutz gestellt, die Bezirksregierungen und Regionalräte haben schon 15 % im Regionalplan abgesichert. 10 % würde Entwidmung von Naturschutzflächen bedeuten. Das bedeutet Rückschritt, Rückschritt in die 50er- und 60er-Jahre.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das wollen die ja auch! – Zurufe von der CDU)

Rückschritt in die 50er- und 60er-Jahre, das ist der Vorschlag, der heute von Ihnen gemacht wird.

Das Vorkaufsrecht ist geübte Praxis in allen kommunalen Beschlusslagen zur Bebauung und in allen öffentlichen Anliegen, wenn es darum geht, öffentliche Anliegen auch durchzusetzen.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber nicht für die Umweltverbände!)

Das als Eingriff in das Eigentum zu diskreditieren, ist schon sehr weit hergeholt.

Es geht an dieser Stelle ausschließlich um Naturschutzflächen, es geht ausschließlich darum, dass, wenn verkauft wird, die öffentliche Hand die Option hat, einzugreifen und diese Flächen zu erwerben. Ich finde, dass es das mildeste Mittel ist, um den Biotopverbund und Naturschutzflächen dauerhaft zu sichern. Am Ende des Tages – davon bin ich überzeugt – ist es auch billiger für die öffentliche Hand.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es schon im Ausschuss betont und will es an dieser Stelle noch mal tun: Es ist leider die Krux bei Gesetzgebungsverfahren, dass dabei nicht das Positive, das die Menschen und Nutzerinnen und Nutzer leisten, irgendwie gesetzlich abgebildet werden kann.

Deshalb sage ich es noch einmal, wenn das bisher in der Debatte zu wenig gesagt worden ist: Es ist auch eine großartige Leistung der Generationen, derjenigen, die unser Land bewirtschaftet haben und heute unser Land bewirtschaften, dass wir eine Kulturlandschaft haben, in der Natur geschützt wird und wertvolle Bestandteile erhalten geblieben sind.

Aber wir haben heute eine veränderte Bewirtschaftung in vielen Bereichen. Denken Sie daran, dass 40 % unseres Grünlandes seit 1970 verschwunden sind. Das ist nicht irgendeine Zahl. Wenn man der Meinung ist, dass Grünland eine wertvolle Grundlage für viele Lebewesen und Lebensraum für unsere Artenvielfalt ist, muss man es auch schützen wollen. Wenn es so dramatisch schwindet, muss man darauf auch eine Antwort geben. Mit diesem Gesetz geben wir eine Antwort – mit dem Dank an all diejenigen, die die Lebensgrundlagen über Generationen geschützt haben.

Der Gesetzentwurf stellt in vielerlei Hinsicht auch einen Kompromiss dar. Ich nenne an dieser Stelle ausdrücklich die positiven Vereinbarungen, die wir geschlossen haben. Das zeigt, dass wir auf kooperativen Naturschutz setzen. Gemeinsam mit den Landwirtschaftsverbänden und der Landwirtschaftskammer haben wir eine Rahmenvereinbarung zur Förderung der Biodiversität getroffen. Wir haben in einer Rahmenvereinbarung die Möglichkeit eröffnet, dickstämmiges Totholz zu schützen. Wir wollen den Streuobstbestand halten und ausbauen. Deshalb bin ich froh, dass die Vereinbarung zustande gekommen ist.

All das unterstreicht: Es geht uns nicht in erster Linie um gesetzliche Lösungen im Ordnungsrecht, sondern wir wollen das, wenn es irgendwie geht, mit freiwilligen Vereinbarungen erreichen. Aber da, wo die Grenzen überschritten sind und es nur noch eine Möglichkeit gibt, muss auch ordnungsrechtlich eingegriffen werden können, denn es geht letztlich um den Schutz des Verbliebenen für die zukünftigen Generationen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Also: Kooperative Ansätze – Ja. Aber da, wo es nicht anders geht, muss das Gesetz angewandt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir schützen die Natur um ihrer selbst willen, das ist Kern unserer Verfassung. Wir schützen sie aber auch um der Menschen willen – ich füge hinzu, vielleicht hört sich das ungewöhnlich an –, und wir schützen sie auch um unserer Industrie und Wirtschaft willen.

Was in Diskussionen – auch heute – außer Frage stand und für mich auch außer Frage steht: Das Industrieland Nordrhein-Westfalen ist auf eine graue Infrastruktur angewiesen – auf ordentliche Straßen, auf funktionierende Brücken, auf einen effizienten und schienengebundenen Güterverkehr und auch auf Straßenverkehr. Dagegen dürfte sich kaum Widerstand erheben.

Aber genauso wichtig ist die grüne Infrastruktur, ist das, was ich so beschreiben möchte: intakte Naturräume, attraktive Kulturlandschaften, gesundes Wasser, saubere Luft, ein Boden, der noch funktioniert und Artenvielfalt erlaubt, eine Luft, die wir noch atmen können. Natur ist also kein romantisches Konstrukt, kein Nice-to-have, sondern Natur ist auch Standortfaktor in diesem Land.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wohin ziehen die Menschen? Was begründet die Attraktivität einer Stadt, einer Region, eines Landes? Die Antwort brauchen Sie nicht von mir entgegenzunehmen, sondern das sagen die Menschen, aber auch die Wirtschaftsakteure selbst.

 

So wird zum Beispiel in der Schrift der RAG-Stiftung, in der es um die Zukunft des Ruhrgebiets geht, ausgeführt: Umweltschutz hat für die Attraktivität des Ballungsraums höchste Priorität. – Nicht umsonst ist Essen im Jahre 2017 die grüne Hauptstadt Europas. Damit drückt sich aus, dass Umweltschutz von existenzieller Bedeutung ist.

Menschen suchen attraktive Lebensräume. Sie schauen genau hin, wo sie mit ihren Familien ihre Zelte aufschlagen. Lässt es sich in dieser Region gut leben? Gibt es neben Arbeit, Bildung, Gesundheit und Kultur auch lebenswerte Naturräume und Kulturlandschaften?

Machen Sie bitte einmal die Probe aufs Exempel! Was sind oder waren jeweils Ihre persönlichen Kriterien bei der Wahl Ihres Wohnorts? Das muss nicht so weit gehen: Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Das ist kein Biedermeier, sondern es ist in vielen Herzen und Köpfen der Menschen vorhanden, in Regionen leben zu wollen, in denen unsere Natur und die Naturräume intakt sind. Starke Industrieregionen im Grünen sind also unser Leitbild in Nordrhein-Westfalen. Denken Sie daran, dass auch „it’s OWL“ als Wirtschaftsregion nicht so stark sein könnte, wenn es nicht ein natürlich gutes Umfeld gäbe.

Auch das drückt die IHK Dortmund prägnant aus: „Ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein kann ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb sein.“ Etwa im Wettbewerb um Köpfe. Deshalb passt es so gar nicht, wenn in den Verbandsschriften von unternehmer nrw Naturschutz als das degradiert wird, das nur noch dann möglich ist, wenn es sich wirtschaftlich rechnet. – Nein, im Gegenteil, es geht darum, Natur als wirtschaftliche Grundlage zu sichern.

Das ist nicht besser auszudrücken, als es Pavam Sukhdev, Ökonom und Leiter der 2007 initiierten Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität“, erklärt hat. Ich will das gerne noch mal fürs Protokoll festhalten:

„Die Investition in den Schutz der biologischen Vielfalt ist ein ausgezeichnetes Geschäft. Es wird erst richtig teuer für uns, wenn wir so weitermachen wie bisher.“

Diese Koalition und diese Landesregierung haben sich darauf festgelegt: Weiter wie bisher – geht nicht. Wir nehmen die Schutzbelange von Natur und Umwelt ernst, den Wunsch der Menschen nach einem guten Leben in einer lebenswerten Welt, in der ökologische Interessen und Natur zusammenpassen. Bausteine grüner Infrastruktur, ökologische Systemdienstleistungen – das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ökologisches Handeln aus purer ökonomischer Vernunft. Das ist der Kern auch dieses Naturschutzgesetzes.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nicht ohne die Natur, schon gar nicht gegen die Natur, sondern nur mit der Natur sind wir auf Dauer auch ökonomisch stark. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Meesters.

Norbert Meesters (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das ist das erste Mal in der Wahlperiode, dass ich mal nach dem Minister spreche. Das ist mal etwas Neues und liegt an Block II.

Minister Groschek hat heute in einer anderen Diskussion in Richtung der Opposition gesagt: Sie schmeißen mit Windbeuteln. – Dieses Wort möchte ich gerne aufgreifen. Herr Deppe, Sie haben vorhin auch einen Windbeutel geworfen und davon gesprochen, dass heute für den Naturschutz ein rabenschwarzer Tag wäre. Ich glaube, das kann man nur so sehen, wenn man in der Dunkelkammer der eigenen Ideologie steckt und wirklich nicht betrachtet hat, was wir mit diesem Gesetz betreiben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Heute ist nämlich ein guter Tag für den Naturschutz in Nordrhein-Westfalen. Mit diesem Gesetz setzen wir das richtige Signal für die Natur in Nordrhein-Westfalen. Ich muss noch einmal festhalten: Wir haben dieses Gesetz im Dialog mit den Nutzern des ländlichen Raums erarbeitet. Es zeigt, Herr Höne, den nötigen Respekt vor dem Eigentum in dem Rahmen, den die Verfassung setzt. Es setzt Regeln zum Schutz der Natur, wo nötig, und setzt auf kooperative Elemente, wo möglich.

Auf den Dialog will ich kurz eingehen. Sie wissen – es ist schon mehrfach gesagt worden –, es gab viele Gespräche und Anhörungen mit den betroffenen Verbänden aus der Landwirtschaft, dem Naturschutz, den Kommunen oder der Wirtschaft. Wir haben darauf reagiert. Das haben auch die Vorredner schon festgestellt. Es hat Anfang des Jahres den Brief des Ministers gegeben, der schon etliche Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf beinhaltete, und auch später hat es, wie Sie wissen, im Nachgang zahlreiche Änderungen gegeben, damit das Gesetz praxistauglicher und besser wird.

Ich habe die kooperativen Elemente angesprochen. Auf die Streuobstwiesenvereinbarung bin ich besonders stolz, weil sie im Vorfeld des Gesetzes in der Zusammenarbeit von Naturschützern und Landnutzern, nämlich den Landwirten, regelt, dass wir die Streuobstwiesen in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Stand halten und nach Möglichkeit sogar noch ausweiten. Das Gesetz wird erst dann in Kraft treten, wenn dies nicht gelingt. Vorher steht die Kooperation.

Genauso ermöglichen wir im Gesetz eine solche Vereinbarung zum Totholz mit den Waldbauern. Auch dort ist die Kooperation mit angelegt.

Aber all das ignorieren Sie in Ihren Wortbeiträgen und Ihrer Wahlkampagne. Sie machen Wahlkampf, indem Sie etliche Regelungen dieses Gesetzes in der Öffentlichkeit völlig verzerrt darstellen.

Die Dinge zum Vorkaufsrecht sind schon angesprochen worden. Das Vorkaufsrecht für Naturschutzflächen ist ja schon so von Schwarz und Gelb im Bundesnaturschutzgesetz geregelt worden. Dort ist die Gebietskulisse sogar noch viel schärfer als bei uns in Nordrhein-Westfalen.

Auch die Regelung zum Wegfall der Ein-Hektar-Regelung, die Sie ja auch angesprochen haben, entspricht den Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes. Auf der einen Seite sagen Sie immer: „Machen Sie es doch so wie im Bundesnaturschutzgesetz“, aber wenn wir es so machen, dann ist es auch nicht richtig. Das liegt daran, dass Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen, dass Sie nur Opposition machen und keine ordentliche Auseinandersetzung mit diesem Gesetzentwurf wollen.

(Beifall von der SPD)

Die Regelungen bezüglich der Wildnisgebiete – das ist angesprochen worden – gelten nur für den Staatswald. Kein privater Eigentümer wird gezwungen, so etwas zu machen, wenn er es nicht will. Wenn er es will, kann er das natürlich machen, wird er entsprechend unterstützt. Das ist im Vorfeld mit den Waldbauern so geregelt worden. Davon zu sprechen, wir ignorierten die, da gäbe es kein Vertrauen, ist doch völlig an der Sache vorbei.

Der wichtigste Punkt im Gesetzentwurf ist mehrfach angesprochen worden, aber ich will ihn noch einmal erwähnen, nämlich den Biotopverbund. Da wollen Sie ja so wenig wie möglich. Aber er ist ganz besonders wichtig für das gesamte Gesetz. Wir wollen den Biotopverbund, weil er ein wichtiges, auch präventiv wirkendes Instrument zum Erhalt und der Verbesserung der Artenvielfalt, der Biodiversität ist. Ich habe ein schönes Zitat gefunden, das das bekräftigt:

„Schnellstraßen, Neukultivierungen, Drahtzäune, Talsperren und andere Konstruktionen ergreifen Besitz von den Lebensräumen, und manchmal zersplittern sie diese derart, dass die Tierpopulationen nicht mehr wandern, noch frei pendeln können, so dass einige Arten vom Aussterben bedroht sind. Es gibt Alternativen – wie die Schaffung von biologischen Korridoren –, welche die Wirkung dieser Bauten zumindest abschwächen, doch eine solche Umsicht und Vorsorge ist nur in wenigen Ländern zu bemerken.“

– Bei Ihnen übrigens auch nicht. Das steht nicht in unserem Entschließungsantrag, auch nicht in der Koalitionsvereinbarung, sondern in der Enzyklika Laudato Si‘ von Papst Franziskus. Da Ihre Partei ja das „C“ im Namen trägt und eine Enzyklika des Papstes für Sie vielleicht mehr gilt als der rot-grüne Koalitionsvertrag, habe ich dieses wichtige und gute Zitat für Sie ausgewählt. Ich empfehle Ihnen, diesen Text einmal intensiv zu lesen. Daraus können Sie etwas lernen – Sie bestimmt, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Was nach allen Ausführungen und Wortbeiträgen hier für mich feststellbar war: In Wahrheit haben Sie sich mit diesem Gesetzentwurf gar nicht wirklich auseinandergesetzt. – Wir haben das getan. Was für einen Unterschied gegen Ihre Tiraden war der wohltuend sachliche Beitrag meines Kollegen Krick, der zur Sache gesprochen und ausgeführt hat, was dieses Gesetz bedeutet und was wir gemacht haben. – Ja, auch Herr Rüße! Die wissen, wovon sie reden.

Sie jedoch führen die Menschen im Land an der Nase herum. Sie stellen dieses Gesetz und sein Zustandekommen als eine völlig verzerrte Karikatur dar. Die Sache selber – diesen Eindruck habe ich jedenfalls in der Debatte gewonnen – scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren, Hauptsache Wahlkampf.

Deshalb noch einmal: Worüber reden wir? – Wir reden über Biodiversität, über die notwendigen Regeln und Vereinbarungen, die uns helfen, diese Biodiversität in unserem Bundesland zu erhalten, zu sichern und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus reden wir über Eigentum. Das ist richtig. Denn Eigentum verpflichtet nach unserer Verfassung. Die Grundeigentümer tragen traditionell zu einer artenreichen Kulturlandschaft in ihren vielen Ausprägungen und Facetten bei.

Aber ohne Regeln ging es nie und geht es auch zukünftig nicht. Diese Regeln passen wir mit diesem Gesetz den heutigen Erfordernissen an. Das ist keine Drangsalierung von Eigentümern, das ist verantwortungsvolle Politik für die Schöpfung, für deren Erhalt wir Politiker Sorge tragen müssen.

Wir jedenfalls machen keine einseitige Klientelpolitik für einige besondere Zielgruppen, wie ich das bei Ihnen in den letzten Wochen erlebe. Wir machen Politik für 18 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Und ich sage Ihnen: Der Anspruch dieser 18 Millionen an gute Politik sind sauberes Wasser, eine intakte, artenreiche Natur und eine Landwirtschaft, die gesunde Lebensmittel so produziert, dass Wasser und Natur keinen Schaden leiden. Das ist jedenfalls meine starke Erfahrung in den vielen Versammlungen, die ich besuche, und bei den Vorträgen, die ich halte.

Wir kümmern uns deshalb um die Angelegenheiten und Bedürfnisse aller Menschen im ländlichen Raum und in den Ballungszentren. Der ländliche Raum ist vielfältiger in seiner Bevölkerung und deren Interessen, als Sie mit Ihren ideologischen Scheuklappen wahrnehmen.

(Beifall von Norwich Rüße [GRÜNE] – Christof Rasche [FDP]: Wahlkampf!)

– Mehr als „Wahlkampf“ fällt Ihnen zu dem Thema ja nicht ein. Das zeigen Sie ja hier dauernd.

Unsere Aufgabe ist es, den ländlichen Raum ganzheitlich zu betrachten, ihn modern und nachhaltig zu entwickeln, damit auch in Zukunft Wohnen und Leben, Gewerbe und Landwirtschaft, Natur und Kultur dort gedeihen.

Was die Natur angeht, ist dieses Gesetz mit dem heute von uns vorgelegten Entschließungsantrag wichtig und richtig für ein schönes und artenreiches Nordrhein-Westfalen, in dem wir alle gerne leben und wohnen. Ich freue mich sehr, dass wir es heute beschließen, und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Meesters. – Für die CDU-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Deppe.

Rainer Deppe (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Meesters, da war es wieder: Eigentum kennen Sie immer nur im Zusammenhang mit den Worten „Eigentum verpflichtet“.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Nicht nur, aber auch! Sie kennen es gar nicht!)

In der Anhörung wurde es ja deutlich. Max Freiherr von Elverfeldt sagte:

„Wenn ich mir dieses Gesetz anschaue, dann sage ich: Die Sozialpflichtigkeit des Grund- und Privateigentümers ist langsam überreizt.“

(Beifall von der CDU)

Das ist das Hauptproblem, das Sie haben.

Nun möchte ich mich kurz mit Herrn Remmel beschäftigen. Herr Remmel, was müssen Ihre Nerven blankliegen! Warum verbreiten Sie hier Falschaussagen zu unserem Änderungsantrag? Sie sagen, wir wollten die Biotopverbundfläche reduzieren. In dem Antrag steht, wir wollen, wie es im Bundesrecht vorgesehen ist und im aktuellen Gesetz steht, mindestens 10 % Biotopverbundfläche. Da steht kein Wort von Reduzierung.

(Minister Johannes Remmel: Das ist die Verzwergung des Naturschutzes!)

Herr Remmel, Sie sollten schon bei den Tatsachen bleiben.

Und dann zur Verfassung: Sie stellen sich hierhin und sagen, das sei verfassungswidrig. In der Verfassung steht – ich habe das einmal herausgesucht –: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere …“ Dort steht nicht: Der Staat schützt die Naturschutzbürokratie. – Das ist doch die Auseinandersetzung, die wir hier haben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Die kommunalen Spitzenverbände haben sich in der Anhörung doch entsprechend geäußert. Sie haben Ihnen hierzu gesagt:

„Es ist fast schon ein gewisses mangelndes Grundvertrauen in die fachliche Qualität der unteren Landschaftsbehörden, das dieser Gesetzentwurf atmet.“

Das ist ein Zitat vom Landkreistag NRW.

Der Städtetag NRW äußert sich wie folgt:

„Unsere unteren Naturschutzbehörden sagen, dass sie schon den Eindruck haben, dass hier eine Menge Misstrauen auch gegenüber der Arbeit der unteren Naturschutzbehörden zum Ausdruck kommt.“

Das haben wir aufgegriffen und entsprechend in unsere Änderungsanträge aufgenommen.

Dann möchte ich Ihnen noch eines sagen, und zwar, wie man Naturschutz macht. Darin brauche ich wirklich keinen Nachhilfeunterricht, schon gar nicht von Ihnen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Jetzt sind wir gespannt! Jetzt bin ich gespannt!)

Am 30. September 2016 – Herr Kollege Becker war dabei – hat es im Bergischen Land, und zwar im Rheinisch-Bergischen Kreis und im Oberbergischen Kreis, also in meinen Heimatkreisen – nicht bei Ihnen in Steinfurt; da kriegen Sie so etwas nicht hin –, …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Rainer Deppe (CDU): … im Rahmen des Projektes „Modellregion Landwirtschaft und Naturschutz“ eine Vereinbarung gegeben. Daran waren die Naturschutzverbände und die Landwirtschaftsverbände beteiligt. Alle haben unter der Führung der Biologischen Station, nämlich paritätisch geführt von Landwirtschaft, Naturschutz und Kommune, diese Vereinbarung unterschrieben.

Sie, Herr Becker, waren immerhin dabei und haben gesagt, das sei gut. So macht man Naturschutz – und nicht in Form des Gegeneinanders, das Sie betreiben.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Deppe. – Als letzter Redner hat für die Piraten Herr Kollege Rohwedder das Wort.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): Noch einmal vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte kurz auf ein paar Punkte eingehen, die die anderen beiden Oppositionsfraktionen hier vorgetragen haben.

Herr Deppe von der CDU behauptete in seiner Eingangsrede, man würde diejenigen verärgern, die sich seit Generationen in der Landschaftspflege einsetzen. Nein, mein Eindruck ist vielmehr, dass jetzt diejenigen verärgert werden, die wesentlich zu dem jetzigen traurigen Zustand und den dramatischen Verschlechterungen der letzten Jahrzehnte beigetragen haben und mit dafür verantwortlich sind. Und das ist gut so.

Deiche und Dämme, Herr Deppe, sind nicht die alleinige Lösung für Hochwasserschutz. An vielen Stellen müssen sie zurückverlegt werden. Es müssen Überschwemmungsgebiete geschaffen werden. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe; denn damit schaffen wir mehr Biodiversität und Hochwasserschutz.

Die Entscheidung, ob und wo zusätzliche Nationalparks eingerichtet werden, sehen wir am ehesten bei der Bevölkerung aufgehoben. Statt danach zu fragen, ob der Landtag, also wir hier, oder die Landesregierung entscheiden soll, ob und wo solche Parks eingerichtet werden sollen, sollte es Volksabstimmungen über das Einrichten von Nationalparks geben. Direkte Demokratie ist das Stichwort. Wir sind zuversichtlich, dass der Naturschutz dabei gewinnt.

Mit Ihren Vorschlägen zu Ausgleichsflächen und Kompensationen – das hat Herr Rüße bereits ausgeführt – verstoßen Sie gegen Bundes- und EU-Recht. Sie stehen gegen Ihre eigene Position auf Bundesebene. In dieser Hinsicht ist Ihr Antrag überhaupt nicht konsistent, und es ist nicht ganz klar, warum Sie ihn gestellt haben.

Herr Höne von der FDP, Sie haben zur Frage der Klagerechte – ich muss es so sagen – Unsinn vorgetragen.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Das Klagerecht von direkt Betroffenen, also Nutzern und Eigentümern, ist ein Rechtsstaatsprinzip, das unverändert weiterbesteht. Das individuelle, persönliche Klagerecht lässt sich durch die Naturschutzgesetzgebung auch nicht aushebeln. Das ist auch gut so. Sie vermischen das hier mit dem Verbandsklagerecht, das vor Jahrzehnten extra zusätzlich als kollektives Bürgerrecht eingeführt wurde.

Ich finde es persönlich wichtig, dass ich, wenn ich kein Eigentümer von Landflächen bin, mich aber von irgendwelchen Planungen betroffen fühle, die Möglichkeit habe, über meine Verbände BUND und NABU, in denen ich Mitglied bin, zu klagen.

Sie verwechseln diese beiden Dinge und vermischen sie mit Absicht. Das ist unredlich. Eine Erweiterung der Klagerechte bei den Verbänden hat keinen Einfluss auf das persönliche Klagerecht …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit, Herr Kollege Rohwedder.

Hanns-Jörg Rohwedder (PIRATEN): … von betroffenen Eigentümern und Nutzern auf der anderen Seite. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Rohwedder. – An dieser Stelle liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. – Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung. Zum Tagesordnungspunkt 5 haben wir insgesamt drei Abstimmungen durchzuführen.

Wir stimmen erstens über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/13410 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Demzufolge enthält sich die FDP-Fraktion. – Jawohl. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis ist der Änderungsantrag Drucksache 16/13410 der Fraktion der CDU abgelehnt.

Wir kommen zur zweiten Abstimmung, und zwar über den Gesetzentwurf Drucksache 16/11154 – Neudruck. Der Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in Drucksache 16/13323, den Gesetzentwurf in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und nicht über den Gesetzentwurf selbst.

Wer der Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Enthaltungen gibt es demzufolge von der Piratenfraktion. – Jawohl. Mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis sind die Beschlussempfehlung Drucksache 16/13323 und zugleich der Gesetzentwurf Drucksache 16/11154Neudruckangenommen.

Wir kommen zur dritten Abstimmung, nämlich über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/13407. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten. Wer stimmt dagegen? – CDU und FDP. Gibt es im Haus Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag Drucksache 16/13407 angenommen.

Wir sind am Ende von Tagesordnungspunkt 5, den ich damit schließe.

Ich rufe auf:

6   Praxissemester entlohnen und Lehrerausbildung optimieren

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13302

Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Dr. Paul jetzt das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Wir befassen uns jetzt mit einem Sachverhalt, der insbesondere aus der Sicht der betroffenen Lehramtsstudierenden eine politische Obszönität ersten Ranges darstellt.

Überall wird von den regierungstragenden Fraktionen das Prinzip der guten Arbeit quasi wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Aber bei den eigenen Lehrkräften und den Menschen, die in der Ausbildung für diesen gesellschaftlich so extrem wichtigen Beruf sind, wird der Geldhahn mutwillig zugedreht.

Uns sind die Lehramtsstudierenden wichtig. Dazu gehört selbstverständlich auch die ordentliche Bezahlung während des Pflichtpraxissemesters.

Auf der einen Seite wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass wir gut ausgebildete und motivierte Lehrkräfte haben wollen. Auf der anderen Seite werden die Studierenden dann im Regen stehen gelassen. Wie dies in Zeiten eines gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns für Praktika zu erklären ist, hätten wir Piraten gerne einmal genauer gewusst.

Wir sind der Auffassung – das haben wir auch bei der Novelle des Lehrerausbildungsgesetzes deutlich gemacht –, dass die Reduzierung des Vorbereitungsdienstes von 24 Monaten auf 18 Monate eine politisch gewollte Kürzungsmaßnahme war und wieder geändert werden muss.

Der gesamte Bereich der Praxissemester muss überarbeitet werden. Eine Harmonisierung der drei praktischen Ausbildungsteile der nordrhein-westfälischen Lehrerausbildung – also Orientierungspraktikum, Praxissemester und Vorbereitungsdienst – fehlt völlig. Dies muss daher komplett neu gedacht werden.

Hierbei sind insbesondere die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung von elementarer Wichtigkeit. Uns ist berichtet worden, dass eine Neustrukturierung der ZfsL dringend benötigt wird, damit auch die Kapazitäten bezogen auf das Praxissemester im ländlichen Raum mit ausgeschöpft werden und auf diese Weise Fahrwege reguliert werden können.

Schließlich kann es nicht sein, dass Studierende für ein Praxissemester bis zu vier Stunden Fahrweg pro Tag auf sich nehmen müssen. Wann, bitte schön, soll dann das Gelernte noch vor- und nachbereitet werden? Und wann sind Sie, liebe Kollegen, das letzte Mal zu Rushhourzeiten in der 2. Klasse eines Regionalexpress gefahren? Um in Ruhe lernen und lesen zu können, brauchen Sie da schon so etwas wie eine Hyperraumblase. Von der Bestreitung des Lebensunterhalts im Praxissemester rede ich da noch gar nicht.

Der Lehrerberuf muss attraktiver werden! Das sagen unisono alle damit befassten Politiker, Gewerkschaften, Verbände und Ministerinnen. Diese fünf Wörter reichen alleine nicht aus.

Die Studierendengenerationen im Bachelor-/Master-Lehramtsversuchslabor müssen die Politikfehler auf allen Ebenen ausbaden. Sie machen den Lehrerberuf noch unattraktiver, als Ihnen selbst das lieb sein kann.

Lassen Sie uns daher lieber über Qualität, digitale Bildung und Inklusion in der Lehrerausbildung reden. Das werden wir auch. Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören der administrative Rahmen für die Durchführung der Lehrerausbildung sowie die finanzielle Sicherheit für Studierende.

Die personellen Kapazitäten der ZfsL für die Bewältigung des Praxissemesters müssen deutlich erhöht werden. Außerdem muss ein schlüssiges Konzept zur Optimierung des Praxissemesters gemeinsam mit den Hochschulen, den ZfsL und den beteiligten Schulen entwickelt und uns hier im Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Im Haushaltsverfahren werden wir die benötigten Änderungsanträge für die Bezahlung der Lehramtsstudierenden im Praxissemester stellen. Natürlich wird dann wieder kommen: Ach, Geld – usw. usf. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal: Wir sind eine der reichsten Gesellschaften der Welt. Und wenn Sie mir sagen, wo die Kohle geblieben ist, dann sage ich Ihnen, wie wir das finanzieren.

(Beifall von den PIRATEN)

Angesichts der gewaltigen Zukunftsaufgaben, die vor der nordrhein-westfälischen Lehrerschaft liegen, ist dieser Kürzungsvorgang in der Lehrerausbildung unerhört. Zusätzlich muss man die ausbildenden Schulen für die Durchführung des Praxissemesters in der Lehramtsausbildung finanziell und personell aufstocken sowie die dazu benötigte Infrastruktur schaffen.

Trotzdem freuen wir uns auf eine fruchtbare Beratung in den Fachausschüssen. – Vielen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Hammelrath.

Gabriele Hammelrath (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der soeben vorgestellte Antrag zeigt einmal mehr, dass die Piraten, um im Bild zu bleiben, ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das kann man immer sagen!)

Aber lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen. Der Lehrerberuf wird in der Tat immer anspruchsvoller. Deshalb haben wir einen gestiegenen Bedarf an gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern.

Hier hören unsere Übereinstimmungen aber schon auf. Denn wie passt das mit Ihrer Klage einer „überfrachteten Lehrerausbildung“ zusammen? Meinen Sie, überfrachtet durch die Heranführung an Themen wie Inklusion oder Heterogenität? Sollen wir etwa auf diese Herausforderungen nicht vorbereiten? Oder meinen Sie, überfrachtet durch das Thema „digitale Bildung“? Gerade Sie bestehen doch immer darauf, dass dies zum Kanon der Zukunftsthemen gehören muss.

Welches Bild haben Sie eigentlich von den Studierenden, dass Sie diese als ständig überlastet beschreiben?

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Wir leben mit denen!)

Und welches Bild haben Sie von der späteren Berufstätigkeit, in der unsere Lehrerinnen und Lehrer in der überwiegenden Mehrzahl die sicherlich nicht geringen Herausforderungen großartig bewältigen, aber eben auch die notwendigen Qualifikationen brauchen, um die Herausforderungen bewältigen zu können?

Kommen wir zu den einzelnen Forderungen. Ihnen liegen völlig falsche Annahmen zugrunde.

Erstens beziehe ich mich auf die von Ihnen postulierte Beanspruchung der Studierenden durch Unterricht im Praxissemester. Das trifft nicht zu; denn dort findet noch kein selbstständiger Unterricht statt. Auch den von Ihnen angeführten berufsqualifizierenden Abschluss haben die Studierenden während des Bachelor-Studiums noch gar nicht.

Klar wird auch, dass Sie den Sinn des Praxissemesters nicht begriffen haben. Dieses ist eng in die wissenschaftliche Ausbildung eingebunden und bietet einen reflektierten Einblick in die Praxis. Es ist allerdings kein Praktikum und deshalb auch nicht mit den regulären Praktika zu vergleichen.

Zugleich ist das Praxissemester auch in anderen Studiengängen State of the Art, etwa bei den Medizinern oder in den Naturwissenschaften. Auch dort gehört eine solche nicht bezahlte Praxiserfahrung immer mit zum Studium.

Zweitens komme ich auf die von Ihnen behauptete Überlastung der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung zu sprechen. Haben wir nicht gemeinsam zusammen in der Anhörung gesessen, in der zum Beispiel Herr Cox und Herr Oeing eine eindeutig positive Bilanz der ersten durchgeführten Praxissemester zogen? Spannenderweise sind beide in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung tätig.

Dann bleibe ich doch gleich einmal bei diesem Punkt. Ihrer Meinung nach sollen diese ja ein Sparmodell sein. Nein! Von 2013 bis heute haben wir die im Haushalt vorgesehenen Stellen für Lehrkräfte als Fachbereichsleiterinnen und Fachbereichsleiter um mehr als 300 erhöht. Dieser Ausbau wird auch weitergehen.

Damit haben wir nicht gespart, sondern in eine noch bessere Ausbildung unserer zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer investiert.

Da also Ihre einzelnen Einlassungen auf falschen Annahmen beruhen oder schlecht recherchiert sind und vor allem bereits in der Debatte um das Lehrerausbildungsgesetz alle schon einmal diskutiert wurden, ist die Frage: Woher kommt dann dieser Antrag? Das ist leicht erklärbar. Vermutlich haben Studierende bei Ihnen vorgesprochen

(Marc Olejak [PIRATEN]: Sogar öffentlich!)

und Ihnen diese vermeintlichen Schwierigkeiten geschildert. Diese Studierenden waren selbstverständlich auch bei uns oder bei mir.

Aber genau hier fängt verantwortungsvolle Politik an – nämlich nicht einzelne Meinungen populistisch aufzugreifen und daraus pauschale Abqualifizierungen zu konstruieren, sondern über Nachfragen und Nachforschen bei unterschiedlichen Beteiligten zu versuchen, die Realität zu erfassen.

Da bestätigt sich nicht das von Ihnen gezeichnete Bild, sondern wird deutlich, dass in sehr verantwortungsvoller Weise, zum Beispiel in den Bezirksregierungen, gehandelt wird. Das betrifft sowohl die Absprache mit den Schulen, um hier einer Überbelastung vorzubeugen, als auch die Optimierung der Zuweisungen für die Studierenden, um lange Anfahrtswege, die Sie ja noch darstellen, zu vermeiden.

Selbstverständlich haben wir auch beim Praxissemester eine Evaluation vorgesehen, deren Ergebnisse bald vorliegen werden. Meine Gespräche mit an der Untersuchung beteiligten Prodekanen für Lehre lassen sehr positive Ergebnisse erwarten. Darauf dürfen wir alle gespannt sein.

Sicherlich werden wir nach der Veröffentlichung Gelegenheit haben, über diese Ergebnisse und die daraus entstehenden Folgerungen zu diskutieren – und dies dann auf einer sehr wissenschaftlich fundierten Grundlage und nicht auf Grundlage von sehr erstaunlichen Vermutungen, Abqualifizierungen und pauschalen Urteilen. – Danke.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Hammelrath. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Klaus Kaiser.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, das Gute am Antrag der Piraten ist, dass man sich Gedanken um die Lehrerausbildung macht. Meine Vorrednerin hat es schon richtig angesprochen. Es geht darum, dass wir die besten Lehrerinnen und Lehrer bekommen.

Das ist auch der Hintergrund, warum in der Lehrerausbildung schon unter Schwarz-Gelb die Praxisanteile und die Praktika erhöht worden sind. Denn wir wussten eines: Es ist einfach fatal, wenn Lehrerinnen und Lehrer zum ersten Mal auf Klassen stoßen, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben.

Das war der Hintergrund, zu sagen: Wir brauchen verschiedene Formen von Praktika, und wir brauchen auch das Praxissemester, um Qualität abzusichern und Lehrerinnen und Lehrer oder Studierende, die das Lehramt später ausüben wollen, davon zu überzeugen, dass das der richtige Job für sie ist. Denn der Beruf des Lehrers oder der Lehrerin ist sehr anspruchsvoll. Er verlangt eine hohe Fachlichkeit und hohe Flexibilität. Je sicherer man ist, wenn man sich auf diesen Beruf einlässt, desto besser ist es für unser gesamtes Schulsystem.

Deshalb ist die Einführung des Praxissemesters vor dem Hintergrund zu sehen, mehr Sicherheit bei der Berufswahl zu geben und diejenigen, die sagen, das sei nichts für sie, vielleicht früh genug auf Alternativen aufmerksam zu machen.

Wer jetzt hingeht und sagt, wir müssten das Praxissemester bezahlen, verkennt den Charakter dieses Semesters. Außerdem verkennt er, dass es vielleicht auch noch BAföG-Empfänger gibt. Vielleicht sind sie nicht überall gleich stark vertreten.

Aber eine Frage können wir, Herr Paul, natürlich innerhalb der Beratungen demnächst im Fachausschuss behandeln. Wenn berichtet wird, dass diejenigen, die ihr Studium – nicht nur das Praxissemester – ohnehin durch einen Nebenjob, zum Beispiel an einer offenen Ganztagsschule, teilweise oder komplett finanzieren, sagen, sie müssten das wegen des Praxissemesters aufgeben, dann macht es Sinn, genauer hinzuschauen. Das ist aber etwas ganz anderes, auch vom Grundverständnis her, als zu sagen, man müsse das entlohnen. Das ist keine Arbeitnehmerschaft im üblichen Sinn. Das muss auch klar und offen gesagt werden.

Wenn die Piraten jetzt fordern, die Verkürzung des Referendariats solle zurückgenommen werden, dann verkennen sie die bildungspolitische Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen. Es gibt genug an dem zu kritisieren, was das Schulministerium veranstaltet und macht. Doch eines ist klar: Der Bedarf an qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern wird in den nächsten Jahren steigen. Er wird zunehmen. Er wird gesteigert werden.

Das heißt: Wir müssen alles tun, damit wir möglichst schnell möglichst viele möglichst gut qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung haben. Es wird ohnehin schwer genug, dann alle Stellen zu besetzen.

Weiter zur Verkürzung des Referendariats: Ich kenne keinen, der im Moment im Referendariat ist, der erzählt hat, das sei zu kurz. Manche sagen eher, 18 Monate seien schon lang genug. Das heißt: Die Kombination zwischen Praxissemester und 18-monatigem Vorbereitungsdienst ist genau richtig und zeitlich angemessen, um möglichst schnell dafür zu sorgen, dass diese Referendare dem Schuldienst zur Verfügung stehen. Dahin muss man kommen.

Was man vielleicht genauer ins Auge nehmen kann – insoweit ist es richtig, dass man dieses Thema behandelt –, ist die Frage, ob wir nicht noch weiter dafür sorgen können, dass zum Beispiel Übergangszeiten zwischen Abschluss des Referendariats und Antreten einer Planstelle bzw. Übernahme in den Dienst weiter optimiert werden können. Das ist jeden Blick in der Sache selber wert. Das müssen wir uns in der Beratung sicherlich auch genau ansehen.

Zu Ihren Hinweisen für die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung: Ich halte es für sinnvoll, weiterhin – auch im Rahmen der Evaluation – zu überlegen: Gibt es nicht gute Chancen, wenn wir die Zentren und die Universitäten noch näher zusammenbringen?

Pauschale Personalforderungen kann man immer aufstellen. Wenn man sich aber eine Situation an diesen Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung genauer ansehen will, dann muss man vielleicht auf eine Ungerechtigkeit blicken, nämlich zwischen den Fachleitern für den Sek-I- und den Sek-II-Bereich, die unterschiedlich besoldet sind und bei denen es auch unterschiedliche Personalrekrutierungen gibt. Das ist es allemal wert, dass wir da genauer hinschauen. Das habe ich jedoch in Ihrem Antrag vermisst.

Kurz und gut: Wer dreimal mehr Geld fordert und nicht in Wahlkampfverdacht kommen will, sollte dann das Geld mitliefern,

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Der Verdacht ist okay!)

weil man dann konkreter darüber reden kann, wie man es umsetzt. Ansonsten können wir gemeinsam diskutieren und schauen, ob man konkret etwas verbessern kann. Aber dieses Antrags in dieser Gänze hätte es nicht bedurft. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Kaiser. – Für die Fraktion der Grünen spricht Herr Kollege Bas.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie einige von Ihnen sicherlich wissen, bin ich selber ausgebildeter Lehrer für die Fächer Englisch und Sozialwissenschaften für die Sekundarstufen I und II.

(Zuruf von der CDU: Oh je!)

2004 habe ich die erste Phase der Ausbildung an der Universität Münster abgeschlossen. Damals gab es noch die klassische Aufteilung in Grund- und Hauptstudium. Darin waren ein Tages- und ein Blockpraktikum in einer Schule eingefügt. Ersteres dauerte im Grundstudium genau eine Woche, während das zweite Praktikum im Hauptstudium immerhin vier Wochen in Anspruch nahm. Zu verfassen war jeweils ein Praktikumsbericht, in dem das eine oder andere Unterrichtsprojekt analysiert wurde.

Damit war dann der Praxisteil im Studium für mich als angehendem Lehrer beendet. Das war zu wenig, wie ich später im Referendariat feststellen musste.

In den letzten Jahren wurde die Lehrerausbildung weiter den gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Vorhin wurde die Digitalisierung genannt. Aber auch sprachliche Heterogenität in der Schülerschaft oder Inklusion gehören dazu. Dabei wurde auch der Praxisteil für die Lehramtsstudierenden seit 2009 deutlich erhöht.

Neben dem neu strukturierten Orientierungspraktikum und dem Berufsfeldpraktikum in der Bachelorphase spielte das Praxissemester, das im zweiten oder dritten Semester des Masterstudiums absolviert wird, eine bedeutende Rolle.

Zentraler Lernort in diesem besonderen Semester ist der zukünftige Berufsort Schule, an dem die meiste Zeit in der fünfmonatigen Praktikumsphase verbracht wird. Hier sollen die Studierenden pädagogische und fachliche Fragestellungen in Form von Projekten und begleiteten Unterrichtsvorhaben reflektieren und vor allem sich ausprobieren.

In einer jüngsten Evaluation des Praxissemesters bei den beteiligten Institutionen der Lehrerbildung und den Studierenden selbst ergab sich eine hohe Zufriedenheit mit der Durchführung und vor allen Dingen auch mit dem Erfahrungsgewinn.

Der Antrag der Piratenfraktion zum Praxissemester erweckt den Eindruck, als ob diese Praktikumsphasen einzeln voneinander getrennt stünden und die Hochschulen, Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung nicht aufeinander abgestimmt arbeiten würden.

Gespräche mit den Zentren für Lehrerbildung zeigten mir, dass diese Zusammenarbeit weitgehend gut läuft – was nicht ausschließt, dass sich die Vermittlung von wohnortnahen Praktikumsplätzen in Einzelfällen schwierig gestalten kann. Hier sind die Hochschulen und die Bezirksregierungen immer dabei, den Betroffenen zu helfen.

Die Forderung nach einer Entlohnung des Praxissemesters kann ich nicht nachvollziehen, zumal im Praxissemester weder bedarfsdeckender Unterricht wie im Referendariat stattfindet noch die Studierenden hier schon komplette Aufgaben von ausgebildeten Lehrkräften übernehmen.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der Vorwurf, mit der Verkürzung des Referendariats habe das Land einfach Sparmaßnahmen durchgeführt. Wer die Diskussion um die Reform der Lehrerausbildung hier im Landtag verfolgt hat, weiß, dass das Gegenteil der Fall ist.

Dieser Vorwurf übersieht, dass durch die Erweiterung der Praxisphasen im Lehramtsstudium an den Hochschulen Zentren für Lehrerausbildung mit dem entsprechenden Personal entstanden sind, die bis 2021 weiter ausgebaut werden. Ebenso verhält es sich bei den zusätzlichen Aufgaben und Ausbildungsstellen für die Förderpädagogik. Auch werden die Schulen für die Betreuung dieser Studierenden pro Halbjahr mit Stundenanteilen entlastet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Piratenfraktion stellt ein verzerrtes Bild der Lehrerausbildung in unserem Land dar. Die grüne Fraktion kann ihm so nicht zustimmen. Ich freue mich trotzdem auf eine angemessene und anregende Diskussion im Ausschuss zu diesem wichtigen Thema. Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir natürlich zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bas. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Piraten weisen in ihrem Antrag sicherlich zutreffend darauf hin, dass bei der Neustrukturierung der Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung und bei der Betreuung an den Hochschulen noch Handlungsbedarf besteht.

Ich erinnere nur einmal an den rot-grünen Umgang mit den Fachleitern im Zuge der Novellierung der Lehrerausbildung vor einigen Monaten.

(Zuruf von Ministerin Sylvia Löhrmann)

Auch sehen wir manche Entwicklungen auch bei den Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung mit Sorge.

Wir haben uns gewundert, wie wenig die Kritik zum Beispiel die 220 Stellen für die vorherige Entlastung der Schulen für das Eignungspraktikum hervorgerufen haben.

Ganz ohne Zweifel ist auch ein schlechtes Zeugnis für die Landesregierung, dass der „Bildungsmonitor 2016“ oder auch ganz aktuell das Statistische Bundesamt Nordrhein-Westfalen schon wieder die schlechteste Betreuungsrelation an Hochschulen in ganz Deutschland bescheinigt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch sehen wir den Piratenantrag kritisch. Die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf 18 Monate und die Einbindung intensiver frühzeitiger Praxisphasen in die Lehramts-, in die Lehrerausbildung

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Die erste Phase der Lehrerausbildung meinen Sie!)

– wunderbar; danke – für die Lehramtsstudierenden sind richtig.

Wenn allerdings die Kollegen der Piraten in ihrem Antrag frei nach dem Motto „Wünsch dir was“ verfahren, gilt wieder einmal: Wir versprechen jetzt allen alles, und im Himmel ist Jahrmarkt.

Wir haben sicherlich alle die Schreiben zur Bezahlung der Studierenden im Praxissemester bekommen. Alle haben bestimmt individuelle Gespräche geführt. Individuell gesehen sind die Wünsche auch begründbar und nachvollziehbar. Aber es ist nicht sachdienlich, sie generell wie von den Piraten gefordert zu beantworten, und das ist auch nicht gerecht.

Ich will gar keine Debatte darüber beginnen, wie die Lastenverteilung erfolgt und ob zum Beispiel diejenigen, die einen beruflichen Bildungsgang durchlaufen haben, die akademische Bildung mitfinanzieren und wie sie sie mitfinanzieren. Aber es kommt doch ganz entscheidend auf den Charakter und auf die Aufgaben während des Praxissemesters an. Hierauf hat der Kollege Bas gerade zutreffend hingewiesen.

Außerdem: Die Notwendigkeit einer finanziellen Organisation pflichtiger Praxisanteile finden wir auch in anderen Studiengängen. Sollen diese Kosten dann auch von der Gesellschaft übernommen werden? Das wäre doch sonst eine Ungleichbehandlung. Und auch im Rahmen von Berufsausbildung können Auszubildenden auch umfängliche Kosten entstehen. Soll man diese unterschiedlichen Ausbildungsgänge bei den jungen Menschen ungleich behandeln? –

Das können wir noch einmal vertiefter diskutieren. Die Beratungen im Ausschuss geben dafür Gelegenheit.

Allerdings sehen wir neben dem skizzierten und hier aufgegriffenen Problemfeld auch in der Ausgestaltung des Praxissemesters Veränderungsbedarf. Das können wir dann in den Beratungen noch detailliert aufgreifen. Da sind zum Beispiel die verlängerten Anfahrtswege.

Aus unserer Sicht ist unstrittig, dass alle Schulen Ausbildungsschulen sein sollen. Es könnte dann zielführend sein, darüber zu diskutieren, ob beispielsweise freiere Gestaltungsmöglichkeiten im Einzugsbereich der Bezirksregierungen sinnvoll wären.

In diesem Zusammenhang könnte man abwägen, ob die Möglichkeit des Tauschs von Plätzen unter den Studierenden einen gangbaren Weg darstellt. So könnte das Verfahren einfacher und für die Studierenden handhabbar gestaltet werden.

Solche Vorschläge sind aus unserer Sicht diskussionswürdiger, als pauschal allen – frei nach dem Motto: „Im Himmel ist Jahrmarkt“ – mehr Geld zu versprechen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst gerne einiges geraderücken. Da sich auch die Vertreter von CDU und FDP nicht wirklich davon haben leiten lassen, was alles geleistet wurde, auch in der Lehrerausbildung, möchte ich Sie, Herr Kaiser, daran erinnern, dass es zu den guten Taten meinerseits gezählt hat, statt einer Absenkung der Referendarzeit auf 12 Monate im Gesetz 18 Monate festgeschrieben zu haben. Da habe ich nämlich etwas anders vorgefunden.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ferner möchte ich daran erinnern, dass wir es durchgesetzt haben, die Zahl der Plätze für die Referendarinnen und Referendare auf 9.000 festzuschreiben; denn auch da waren Kürzungen vorgesehen. Wir hätten heute viel größere Schwierigkeiten, die Lehrerstellen, die wir mit diesem Haushalt in hoher Zahl schaffen, auch zu besetzen. Wenn Sie meinen, Sie müssten etwas kritisieren, dann erlaube ich mir, auch darauf hinzuweisen.

Es gibt keinen auf die Lehrerbildung in Nordrhein-Westfalen bezogenen Kürzungsvorgang, lieber Herr Paul. Ich habe gerade noch die Kollegin Schulze gefragt: Der Etat 06 ist im Bereich der Hochschule seit 2010 um 46 % angewachsen. Der Haushalt des Schulressorts, den ich verantworte, ist einschließlich der Ergänzungsvorlage um 28 % gestiegen. Also, von Kürzung kann hier nicht die Rede sein.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Liebe Frau Freimuth, was die Frage der Fachleiter angeht: Ich habe hier überhaupt erst Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit hergestellt. Der Bereich der Fachleitung war nämlich unterfinanziert, und das haben wir erst mal wieder in Ordnung gebracht. Es ist mir wichtig, dies hier deutlich zu machen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Das kann man nicht oft genug sagen!)

Was die Piraten betrifft: Irrtümer in Ihrem Antrag sollten sich nicht festsetzen. Daher folgende Klarstellungen:

Erstens. Das Praxissemester – das ist schon angesprochen worden – ist nach unserem Lehrerausbildungsgesetz ein reguläres Hochschulsemester im Rahmen des Studiums und liegt in der Durchführungsverantwortung der Universitäten. Ihr Antrag verkennt, dass Lehramtsstudierende in dieser Phase keineswegs in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Sie erbringen keine Dienstleistung für einen Arbeitgeber und somit keine Beiträge zur Unterrichtsversorgung. Sie wirken in der Schule mit, aber das ist nicht zu vergleichen mit dem bedarfsdeckenden Unterricht im Referendariat.

Entgegen Ihrer Annahme verfügen die Studierenden mit dem Bachelor zu diesem Zeitpunkt auch nicht über einen für das Lehramt berufsqualifizierenden Abschluss. Diesen erwerben sie erst mit der Staatsprüfung im Anschluss an den Vorbereitungsdienst, zu dem der Master of Education den Zugang eröffnet. Deswegen kann das Praxissemester auch nicht mit Vergütungsansprüchen verbunden werden.

Zweitens. Die Landesregierung hat erhebliche finanzielle Mittel für diesen Ausbildungsabschnitt investiert. Im Vollausbau entsprechen die 566 zusätzlichen Stellen für die ausbildungsfachliche Betreuung und die Praxisberatung der Studierenden rund 28,3 Millionen € – von Sparen und Einschneiden keine Spur. Auch hinsichtlich des Betreuungsverhältnisses und der fachlichen Qualität stellt das Praxissemester eine wesentliche Investition des Landes dar. Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung erhalten pro Studierendem jeweils zwei Anrechnungsstunden für ihre Aufgaben im Rahmen der Ausbildung.

Die hohe fachliche Qualität des Praxissemesters möchte ich in diesem Zusammenhang deutlich hervorheben. Ich freue mich, dass ich heute schon auf die bestätigenden und ermutigenden Ergebnisse der standortübergreifenden Evaluation verweisen kann. Sie wurde auf der Grundlage einer standardisierenden landesweiten Studierendenbefragung aller lehrerausbildenden Hochschulen in NRW im Frühjahr dieses Jahres durchgeführt.

Der Abschlussbericht ist fertiggestellt, und die zentralen Aussagen sind wirklich sehr erfreulich. So wird die Begleitung und Unterstützung durch Schulen und Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung von deutlich über 90 % der Studierenden als sehr positiv wahrgenommen; insbesondere die eigene professionelle Kompetenzentwicklung beschreiben 85 % als „besonders großen Gewinn“. Wo Optimierungen im Praxissemester sinnvoll und nötig sind, haben Schul- und Hochschulseite ergänzende Vereinbarungen geschlossen.

Ich finde es bedauerlich, dass Sie das Praxissemester in dieser Art und Weise pauschal schlechtreden; denn die Ergebnisse der Evaluation, hinter der alle lehrerausbildenden Universitäten stehen, zeigen ein völlig anderes Bild. Ich hoffe, dass die Ausschussberatungen dazu beitragen, die verschiedenen Sichtweisen, die wirklich falsch sind, der Realität anzupassen. Es lohnt sich, darüber im Ausschuss zu sprechen.

Nordrhein-Westfalen kann froh sein, dass es über eine derart innovativ aufgestellte Lehrerausbildung verfügt, mit Deutsch als Zweitsprache als Pflichtmodul, mit Inklusion als Teil der Lehrerbildung schon heute, mit Digitalisierung eingewebt in die Lehrerausbildung. Damit sind wir auf der Höhe der Zeit, und das ist gut, weil gute Lehrerinnen und Lehrer natürlich wichtig sind für gute Schulen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Dr. Paul hat sich noch für einen kurzen Beitrag gemeldet.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich muss hier wohl noch ein bisschen geraderücken. Zunächst einmal herzlichen Dank für die sachlichen Anteile in Ihren Beiträgen. Ich habe sehr aufmerksam zugehört und weiß das durchaus wertzuschätzen.

Frau Ministerin, wenn man immer auf einen gestiegenen Globalhaushalt verweist – das kann man rhetorisch machen –, ist das nach meiner Auffassung nicht ganz koscher.

Liebe Frau Hammelrath, Sie haben uns vorgeworfen, wir würden dort Populismus betreiben. – Ich muss dann wirklich die Frage stellen, in welchem politischen Wolkenkuckucksheim Sie leben, wenn uns doch die Studierenden und die Mitarbeiter der Zentren für Lehrerausbildung genau das erzählen. Das kann doch nur irgendein Wolkenkuckucksheim sein, neudeutsch: Hyperraumblase.

Wir reden doch mit diesen Menschen. Ich habe noch heute Morgen einen Hinweis bekommen, dass es gerade, was die Wissenschaftsanbindung der Zentren für Lehrerausbildung zur Hochschule angeht, gewaltig knirscht. Da muss noch nachgebessert werden. Wir freuen uns auf die Debatten im Ausschuss. – Danke.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen mehr. Wir sind am Schluss der Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/13302 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung – federführend – sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer kann dem nicht seine Zustimmung geben? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

7   Auskömmlichen Wohnraum schneller schaffen – Bearbeitungszeiten von Bauanträgen verkürzen – verlässliche Fristen einführen

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/10295

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/13219 – Neudruck

Ich möchte noch einen Hinweis geben. Der Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 16/10295 wurde gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr überwiesen mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr liegen als Drucksache 16/13219  – Neudruck – vor.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Philipp das Wort.

Sarah Philipp (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ja, der nordrhein-westfälische Wohnungsmarkt steht vor massiven Herausforderungen. Es ist in der Tat erforderlich, so wie Sie das heute fordern, dass wir schnell auskömmlichen Wohnraum schaffen. Und weil wir das wissen, ist bereits eine ganze Menge auf den Weg gebracht worden.

Wir haben Förderbedingungen geschaffen, die so gut sind wie nie und die bereits heute Wirkung zeigen. Die Kurve beim sozialen Wohnungsbau steigt steil nach oben. Sozialer Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen ist endlich wieder attraktiv. Baugenehmigungen werden erteilt, und es wird endlich wieder gebaut.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Dieser Ansicht waren übrigens auch die Expertinnen und Experten, die wir in einer Anhörung zum vorliegenden Antrag im Mai dieses Jahres gehört haben. Sie können sich an das Ergebnis sicherlich noch erinnern.

Laut Ihres Antrags soll nun ein Hemmnis des Wohnungsbaus in den langen Bearbeitungszeiten von Bauanträgen liegen. Sie fordern demzufolge, die Bearbeitungszeiten von Bauanträgen deutlich zu verkürzen und feste Fristen einzuführen. Darüber hinaus fordern Sie ein einheitliches System zur Einreichung von Bauanträgen in digitaler Form. – So weit, so gut.

Die Forderungen klingen zunächst einmal, zumindest in Teilen, nachvollziehbar und sinnvoll. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass Ihr Antrag das Problem zum einen falsch adressiert und zum anderen Dinge einfordert, die schon längst auf den Weg gebracht sind.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Ja, aus der Anhörung kann als Ergebnis festgehalten werden, dass es bei der Bearbeitung von Baugenehmigungen oftmals zu Verzögerungen kommt. Doch warum ist das eigentlich so? Ein bekanntes Problem – und das schon seit Jahren – ist die Personalstärke in den Kommunen.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Wir wissen: In den letzten Jahren ist sehr viel Personal in den Ämtern abgebaut worden. Das hängt zum einen mit mangelnder Bautätigkeit zusammen, zum anderen aber sicher auch mit dem Credo „Privat vor Staat“ aus Ihrer Regierungszeit, liebe Opposition, und der Verschlankung des öffentlichen Sektors.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

In der jetzt Gott sei Dank stattfindenden Boom-Phase fällt es den Kommunen entsprechend schwer, qualifiziertes Personal zu finden und wieder einzustellen. Das geht einfach nicht so schnell. Auch an dieser Stelle fällt Ihnen Ihre Politik der vergangenen Tage wieder auf die Füße, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ellerbrock zulassen?

Sarah Philipp (SPD): Ich möchte erst mal weitermachen. – Den Kommunen nun Fristen setzen zu wollen, obwohl Sie ganz genau wissen, dass dieser Zustand überall vorhanden ist und spätestens seit der Anhörung auch bekannt ist, das ist schlicht absurd und das macht einfach keinen Sinn.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Sie fordern in Ihrem Antrag des Weiteren ein einheitliches System zur Einreichung von Bauanträgen in digitaler Form. – Es ist richtig, dass digitale Anträge die Verwaltungsverfahren durchaus beschleunigen können; deshalb machen einige Kommunen schon heute davon Gebrauch. Auch die Landesregierung hat die Potenziale der Nutzung von digitalen Antragsverfahren bereits erkannt und will dazu beitragen, dass Kommunen, kommunale Spitzenverbände, Kammern, Bauwirtschaft etc. sich über diese Best-Practice-Beispiele austauschen können und dass die Online- und Digitalisierungsverfahren weiter vorangebracht werden. Ich bin mir sicher, der Minister kann das gleich noch weiter ausführen.

Eines bleibt jedoch festzuhalten: Wichtigster Baustein zur Beschleunigung der Verfahren bleibt die personelle Ausstattung in den Bauaufsichtsbehörden, da die Anträge am Ende immer noch – egal ob digital oder nicht digital – von Menschen geprüft werden müssen. Und hier ist es trotz der skizzierten Schwierigkeiten gelungen, im ersten Halbjahr 2016 mehr als 31.400 Wohnungen zum Bau freizugeben. Das ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Plus von 41 %, mit dem wir hier in Nordrhein-Westfalen den positiven Bundestrend von 30 % sogar noch deutlich übertreffen können.

Diesen Weg unserer Förderpolitik werden wir auf allen Ebenen konsequent fortsetzen; denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis für die Menschen, und es gehört zum Kern unserer sozialdemokratischen Wohnungspolitik hier in Nordrhein-Westfalen, dort anzusetzen.

Ihre Schwarzmalerei, die Sie in Ihrem Antrag betreiben, ist weder zutreffend noch förderlich. Am Ende diskreditiert sie sogar die gute Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen, und das ist einfach nicht in Ordnung. All dies führt am Ende dazu, dass wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen können. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Hausmann.

Wilhelm Hausmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, das ist sicherlich eine der notwendigsten Aufgaben, die wir zurzeit bewältigen müssen. Es gilt, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen für Familien, für ältere Menschen, für diejenigen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, die asylsuchend sind, aber auch für diejenigen, die in den großen Städten Arbeitsplätze oder Ausbildungsplätze suchen und darauf angewiesen sind, dass ihnen Wohnraum zur Verfügung gestellt wird, den sie mit ihrem Einkommen auch bestreiten können.

Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen ist angespannt. Es gibt eine hohe Anzahl von Bauwilligen und von Bauanträgen. Das haben Sie richtig gesagt.

Ich zweifle aber ein bisschen daran, ob das allein an Ihren Bemühungen liegt oder nicht doch eher daran, dass für Geld im Bankensektor momentan wenig zu bekommen ist, sodass das Betongeld in den Vordergrund gerückt ist. Daher erklärt sich natürlich eine große Investitionsbereitschaft.

Nur, was machen wir aus dieser Investitionsbereitschaft? – Wir lassen sie derzeit an den Klippen der Bürokratie zerschellen. Die Menschen brauchen ihre Kreativität an den Stellen auf, wo sie eigentlich nicht hingehört, nämlich im Kampf mit den Behörden, und nicht da, wo sie umgesetzt werden soll, damit wir an den Wohnraum kommen, den wir dringend brauchen.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister Groschek, Sie haben Ihre Ankündigung vom vergangenen Herbst, den Bürokratiedschungel zu lichten, nicht in die Tat umgesetzt. Keine einzige sinnlose Vorschrift wurde abgeschafft. Soviel ich weiß, liegen dafür noch nicht einmal Pläne vor.

Dabei hatten alle, die am Wohnungsbau beteiligt sind, große Hoffnungen auch in die Novelle der Landesbauordnung gesetzt. Die Vorlage war leider enttäuschend, und schlimmer noch: Die geplante Novellierung führt zu noch mehr Bürokratie und hat auch keine Bremse für die Baukostensteigerung angelegt. Noch mehr Bürokratie bedeutet schlicht und einfach noch mehr Arbeit für die Bauämter, und das angesichts der prekären Personalsituation, wie sie auch von Frau Philipp beschrieben wurde.

Die Bearbeitungszeiten von Bauanträgen werden nicht verkürzt und Baugenehmigungsverfahren werden nicht erleichtert. Mein lieber Herr Minister Groschek, Sie reden von immer mehr Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen. Die Antwort jedoch, wie das möglich gemacht werden soll und worin der eigene Beitrag der Landesregierung zu diesem Thema besteht, bleiben Sie uns schuldig.

(Beifall von der CDU)

Wir wollen heute anhand von konkreten Beispielen vorführen, worum es geht und wie man in diesem System durch sorgfältiges Ausarbeiten Verbesserungen erzielen kann. Diese Vorschläge möchte ich im Folgenden erläutern.

Erstens: die Pflicht, dass Bauanträge in einer vorgegebenen verlässlichen Zeit bearbeitet werden. Hier irren Sie, Frau Philipp; denn es ist nicht absurd, den Ämtern eine Zeit vorzugeben. Es gibt ja bereits eine Zeitvorgabe, nämlich drei Monate. Diese drei Monate sind jedoch, sage ich mal, aus der Zeit gefallen. Wir wissen, dass die Bauanträge die meiste Zeit über gar nicht bearbeitet werden, sondern herumliegen und von einem Amt zum anderen getragen werden.

(Beifall von der CDU)

Hier könnten wir uns eine Vorgabe von zwei Monaten vorstellen. Das ist nicht zu knapp bemessen.

Zweitens: Wann wird denn ein vollständiger Bauantrag sozusagen bearbeitungsreif?

(Jochen Ott [SPD]: Wer regiert denn in vielen Städten?)

Sie bleiben auch in der Landesbauordnung die Antwort auf die Frage schuldig: Was ist ein vollständiger Bauantrag? – Sie bleiben auch die Antwort auf die Frage schuldig, wann die Vollständigkeit der Bauanträge erklärt wird.

Auch dafür schlagen wir eine Frist vor, und zwar acht Tage, in denen die Behörde vorprüfen kann – dafür haben sich auch die Verbände bei der Anhörung ausgesprochen –, um so verbindlich ein Testat zu bekommen: Jawohl, das Ganze ist vollständig. Auf diese Weise erfährt man nicht erst nach Monaten, dass noch die eine oder andere Anlage fehlt.

(Beifall von der CDU)

Wir brauchen eine Willkommenskultur für Wohnungsbauer; wir brauchen aber keine Behördenwand, an der diese Bauwilligkeit zerschellt.

Wie können wir es mit dem vorhandenen Personal schaffen, das alles schneller zu bearbeiten? Dazu haben wir gesagt: Was in vielen anderen Bereichen in unserem Land bereits möglich ist, nämlich die digitale Bearbeitung – alle am Bau Beteiligten praktizieren das sowieso schon –, muss auch hier eingeführt werden. Wenn Bauanträge digital bearbeitet werden können, führt das in den Ämtern bei dem vorhandenen Personal zu einer gewaltigen Zeitersparnis, die wiederum zu einer höheren Produktivität und damit auch zu einer schnelleren Bearbeitung führt.

Wir wissen genau wie Sie, dass zusätzliches Personal zwar wünschenswert wäre, aber weder aufgrund der Finanzlage der Kommunen noch aufgrund der Möglichkeiten am Arbeitsmarkt schnell genug beschafft werden kann.

(Jochen Ott [SPD]: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Es gibt kein Geld für Personal! Das soll schneller werden? Ist das ein Witz? Das funktioniert doch nicht!)

Deshalb müssen wir die Möglichkeiten ausnutzen, die uns derzeit zur Verfügung stehen, und die ich hier beschrieben habe.

Das Ganze muss durch die Gemeindeprüfungsanstalt geprüft und nach außen transparent gemacht werden. Die Einhaltung der Bearbeitungsfristen muss in das Kennzahlentableau der Kommunalaufsicht eingearbeitet werden. Klare, transparente Vorgänge müssen in allen Kommunen gleich existieren, damit in Nordrhein-Westfalen ein gutes Klima für die Bauwilligen entsteht. Was Sie derzeit praktizieren, ist die Trittbrettfahrerei auf einer guten Konjunktur, die die Versäumnisse in Ihrer administrativen Arbeit nur etwas verschleiert. Das wird nicht ewig so bleiben.

(Jochen Ott [SPD]: Die CDU regiert ja auch nirgendwo in Nordrhein-Westfalen in den Kommunen! Warum macht ihr es dann nicht? Das ist erstaunlich!)

Deshalb müssen Sie ran an die Arbeit und dürfen sich nicht weiter mit den anderen Dingen herausreden. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Hausmann. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Dr. Beisheim.

(Jochen Ott [SPD]: Best Practice wäre doch interessant! Wie bei Olaf Scholz in Hamburg zum Beispiel!)

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Sendung „hart aber fair“ gibt es ja diesen Faktencheck. Ich befürchte, ich kriege das jetzt nicht so schnell hin, in fünf Minuten alle Fakten zu widerlegen, die der Kollege Hausmann hier in irgendeiner Form verdreht hat.

Ich möchte mit dem Fakt beginnen, dass die Förderbedingungen für den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen noch nie so gut waren wie im Augenblick.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist einhellige Meinung. An dieser Stelle sind wir sehr weit vorne, auch im bei Ihnen so beliebten Ranking des Vergleichs der Bundesländer.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Jochen Ott [SPD]: Sehr richtig!)

Frau Kollegin Philipp hat es schon gesagt. Ja, beim ersten Hinhören stimmt es; die Bearbeitungszeiten sind zu lang. Aber wenn Sie genau hingehört hätten, wäre Ihnen aufgefallen: Wir reden nicht über den normalen Wohnungsbau – damit sind wir eigentlich zufrieden –, sondern es wurde darauf hingewiesen, dass gerade nicht um den Standardbau geht, bei dem man sich Beschleunigung wünscht.

Dazu gehört auch, dass im Zusammenhang mit der Novelle der Landesbauordnung immer wieder über die Abstellung der Freistellungsverfahren diskutiert worden ist.

Da möchte ich Sie auch noch einmal daran erinnern, wie Sie, aber auch Teile der FDP, immer wieder damit gehadert und gefragt haben, warum wir das abschaffen müssen, weil Sie einfach nicht verstanden haben, dass es richtig ist, dieses Verfahren im Zuge der Novelle herauszunehmen.

Alle außer Ihnen waren sich einig, dass dies einen Beitrag zu mehr Klarheit und zur Vereinfachung von Baugenehmigungsverfahren leisten kann. Das ist für uns ein wesentlicher Beitrag, den Sie bis heute leider nicht verstanden haben.

Wenn Sie den kommunalen Ämtern vor Ort immer wieder das Organisationsverfahren vor die Nase halten – da verstehe ich die Aufregung von Herrn Ott sehr gut –, dann möchte ich Sie daran erinnern, dass in den meisten dieser Kommunen Ihre Leute regieren. Wenn Sie meinen, dass es Effizienzsteigerungen vor Ort geben kann – bitte!

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Wir sind bereit, mit diesen Leuten zu reden, und mit Ihrer Unterstützung kommen wir da sicher schneller voran.

(Jochen Ott [SPD]: Führung zeigen, CDU!)

Wir haben vor der Sommerpause im Plenum beschlossen, bei den kommunalen Spitzenverbänden die Anfertigung einer repräsentativen Studie anzuregen, um zu erfahren, wo der Personalbedarf eigentlich liegt, damit zukunftsgerechtes Bauen in Verbindung mit sozialgerechter Bodennutzung tatsächlich schnell umgesetzt werden kann.

Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle mit diesen ständigen pauschalen Vorwürfen, es würde zu langsam genehmigt, wirklich vorsichtig. Das deckt sich nun einmal nicht mit dem Ergebnis – darüber haben wir auch schon oft gestritten –, dass unsere Baugenehmigungen selbstverständlich auf einem extrem hohen Niveau liegen. Das heißt, die Leistungsfähigkeit dieser Ämter, der Frauen und Männer vor Ort, ist grundsätzlich gut, aber natürlich ist alles verbesserungswürdig. Das bestreiten wir gar nicht.

Ich möchte zum Schluss noch einmal auf den Punkt „Digitalisierung“ zu sprechen kommen. Das wird immer so salopp als die einzige Möglichkeit gesehen, schnell effizienter zu werden. Wir geben Ihnen im Prinzip auch darin recht, dass wir vorankommen müssen.

An dieser Stelle ist es aber so, dass wir auch die Hierarchien und die Verantwortung im Blick haben müssen; denn eine Digitalisierung würde bedeuten, dass die Bürgermeister und Landräte im Rahmen ihrer Personal- und Organisationshoheit darüber befinden müssen, mit welchen technischen und personellen Ausstattungen sie ihre gesetzlichen Anforderungen erfüllen.

Das bedeutet andersherum: Ja, wir wollen sie gerne unterstützen; dazu müssen sie aber auch aktiv auf die Landesregierung zukommen. – Ich denke mir, Minister Groschek wird sich hier sicher nicht verweigern, sondern er wird sagen: Wir unterstützen euch. – Das ist ganz klar. Aber grundsätzlich liegt das in der Verantwortungshoheit der einzelnen Kreise vor Ort bzw. der kreisfreien Städte.

Zum Schluss nehme ich noch einen weiteren Punkt aus Ihrem Antrag heraus. Sie sagen, Sie wollen die Gemeindeprüfungsanstalt irgendwie einbeziehen. Ich möchte Ihnen da – an dieser Stelle vielleicht ein wenig naseweis anmutend – auf den Weg geben:

Die Gemeindeprüfungsanstalt ist dafür zuständig, wirtschaftliche Ergebnisse festzustellen und nicht dafür, sich an der Evaluierung einzelner Prozessabläufe zu beteiligen. Das ist für uns der letzte Punkt, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Dr. Beisheim. – Für die FDP-Fraktion spricht der Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der SPD und von den Grünen haben ja lange suchen müssen, ob sie bei dem Antrag noch ein Haar in der Suppe finden. Wir machen im Endeffekt das, was der Minister fordert: Bauen, bauen, baggern, baggern. Deswegen bin ich überzeugt, dass dieser Minister unserem Antrag durchaus positiv gegenüberstehen wird.

Es geht ja darum, Bauen schneller zu ermöglichen und die Investitionsbereitschaft potenzieller Bauherren zu fördern. Jetzt schauen wir mal, welche Größen da vorhanden sind. Frau Philipp, Sie haben recht: Die Zahl der Baugenehmigungen hat zugenommen. Seit 2000 tragen Sie nun die Verantwortung. Da müssen wir doch mal schauen, was die NRW.BANK sagt. Die NRW.BANK prognostiziert einen jährlichen Neubaubedarf von 100.000 Wohnungen bis 2020; 100.000 mal vier ergibt 400.000 Wohnungen.

IT.NRW ist keine Vorfeldorganisation der FDP, sondern das ist das Statistische Landesamt. IT.NRW stellt fest: Zwischen 2012 und 2015, also innerhalb von vier Jahren, sind 145.000 Wohnungen gebaut worden. 400.000 Wohnungen benötigen wir innerhalb von vier Jahren; 145.000 Wohnungen sind gebaut worden. Das ist ein Delta von 250.000 Wohnungen. 250.000 dividiert durch vier bedeutet: In den letzten Jahren sind unter Ihrer Regierung jährlich 65.000 Wohnungen zu wenig gebaut worden. Das sage ich, um klarzustellen, von welcher Größenordnung wir reden.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD]: Da ist ja absurd!)

Der Minister bedauert außerordentlich, dass Baugenehmigungen zu lange dauern. Sie haben aber keinen Überblick. Wir haben eine Kleine Anfrage gestellt. Sie haben bei der Antwort das Beispiel Düsseldorf genommen. Allein bei der Stadt Düsseldorf sind nur 16 % der Bauanträge vollständig. Aber was ist eigentlich „unvollständig“? Das ist leider nirgendwo definiert. Da müssen wir etwas tun. Das ist eine schlimme Zahl. Das verzögert die Vorgänge, und da muss etwas geändert werden. Wir sagen deswegen: Die Vollständigkeitsprüfung muss innerhalb von acht Arbeitstagen, also innerhalb einer guten Woche, festgestellt werden.

Danach muss klar sein: Erstens. Was ist Vollständigkeit? Zweitens. Ist es vollständig? – Dann können die Prüffristen laufen.

Wir haben ein weiteres Problem: Wie lange dauern denn die Verfahren? – Frau Philipp, stellen Sie die Äußerungen des Ministers eigentlich infrage? Der Minister selbst hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage gesagt: Im vereinfachten Verfahren dauert es 172 Tage, bis die Baugenehmigung erteilt wird; im Normalverfahren dauert es 264 Tage. Das hat er selbst bedauert. Also ist es doch falsch, jetzt zu sagen: Das geht alles schnell genug. – Das kann so nicht richtig sein.

(Sarah Philipp [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)

Im Übrigen sagen Sie auch immer: Das ist ja Schwarz-Gelb. – Schwarz-Gelb war von 2005 bis 2010. Duisburg wäre eine Stadt, die wir als Musterbeispiel nehmen könnten. Was hat die Stadt Duisburg oder was haben andere Städte in dieser Zeit an Personal abgebaut? Was hat Duisburg seit Ihrer Regierungszeit aufgestockt? Das wäre ja nur mal so eine Frage. – Da sehen Sie schlecht aus. Sie haben vorhin ja auch verhindert, dass ich da nachfragen konnte. Alles klar.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Nächster Punkt. Wir fordern: acht Tage für die Vollständigkeitsprüfung, einen Monat bis zur Entscheidung im beschleunigten Verfahren und zwei Monate im Normalverfahren. Das kann noch beschleunigt werden, so wie wir es vorhin ausgeführt haben: Vollständigkeitsprüfung, Einsatz von Technik, Digitalisierung.

Frau Richter vom BDB hat in der Anhörung deutlich gemacht: Das gilt nicht nur mit Blick auf das Land. Es reicht nicht aus, einfach nichts dagegen zu tun. Wir sind vielmehr aufgefordert, das Ganze schneller selbst voranzutreiben. – Ich glaube, das ist auch eine Aufforderung, die der Minister gerne aufgreifen wird.

Dann noch eine Sache: Vorsicht an der Bahnsteigkante. Die Kommunen sind oftmals in prekären Haushaltssituationen.

Es scheint nicht unbedingt die Regel zu sein, aber es ist eine gefährliche Tendenz, dass unvollständige Bauanträge kostenpflichtig zurückgewiesen werden, weil manch Kämmerer sagt: Das ist eine Einnahmeregelung. – Das machen die Kommunen nicht unbedingt aus Lustgewinn, sondern aus purer Not. Da müssen wir als Land aber zusehen, dass wir in solchen Sachen einen Riegel vorschieben.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

Bei der Anhörung hat Herr Fliescher von Haus und Grund gesagt: Man kann nur von Glück reden, wenn eine Baubehörde wegen eines unvollständigen Antrages bei dem Bauherrn anruft und sagt: Das und das fehlt. – Ich selbst weiß, wovon ich rede. Ich habe darunter gelitten, weil die Baubehörde sechs Wochen gar nichts gemacht hat, nur weil auf einer Zeile, die nicht groß genug war, „und zwei Garagen“ fehlte. Aber das ist eine andere Sache. Man kann also von Glück reden, wenn die Baugenehmigungsbehörde aktiv wird.

Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Antrag folgen, dann sind Sie ein Glücksschmied für den Bauherrn, dass dieser seinen Bauantrag schneller und qualifiziert beschieden bekommt, dann sind Sie mit uns zusammen Glücksschmied, dass wir hier potenzielle Bauherrn dazu bewegen, mehr zu bauen. Stimmen Sie dem Minister zu, der sagt: Bauen, bauen, bauen – baggern, baggern, baggern. – Und wo er Recht hat, hat er Recht. Damit habe ich doch kein Problem.

(Minister Michael Groschek: Die ganze Vorgeschichte wäre eigentlich … Doch egal! – Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Herr Minister, ich freue mich …

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Deutlich überzogen, Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Gut.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, deutlich überzogen. Mit „Bauen, bauen“ und „Baggern, baggern“ ist die Zeit noch weiter überzogen. – Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Piraten spricht Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bauantragstellenden! Der Antrag stellt im Wesentlichen zwei Forderungen: Erstens sollen Bauanträge nicht mehr in Papierform, sondern auch digital eingereicht werden dürfen. An der Stelle hätte ich jetzt eigentlich die schöne Geschichte von Herrn Hausmann mit dem Ausdrucken erwartet, mit Schubkarre zum Amt, komplizierte Verteilung, mit Schubkarre zurück und alles wieder einscannen.

(Wilhelm Hausmann [CDU]: Ich habe zu wenig Zeit!)

– Ja, zu wenig Zeit. – Vielleicht überzieht der Minister, dann könnten Sie noch einmal ran.

Ansonsten: Ja, ein digitales Standardverfahren, das macht Sinn. Und Kompetenzen und Ressourcen vom Land – das dann auch umzusetzen, damit das nicht jeder alleine und mit anderen Mitteln machen muss, macht auch Sinn.

Zweitens zu den Bearbeitungszeiten: Weder dem Antragsteller noch in den Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen liegen valide Zahlen vor, mit denen man so richtig arbeiten kann. Insofern sind dies erst einmal Behauptungen, die sich aber durch Einzelfälle durchaus belegen lassen. Gerne würde ich da insgesamt etwas mehr Substanz sehen.

Schon heute gibt es in der Bauordnung – sowohl in der geltenden als auch in der demnächst wohl in Kraft tretenden Fassung – Aussagen, wie lange es maximal dauern soll, bis ein Antrag beschieden ist.

Es ist nicht falsch, über klarere Formulierungen und höhere Rechts- und Planungssicherheit zu sprechen und diese herzustellen. Wenn es aber heute zu längeren Bearbeitungszeiten im Genehmigungsverfahren kommt, dann ist dafür kaum ein Mangel an Vorschriften verantwortlich, sondern vor allem die Unterbesetzung der entsprechenden Stellen, und zwar auch von qualifiziertem Personal an dieser Stelle. Der zunehmende Altersdurchschnitt in den Behörden infolge von Nichtbesetzung freiwerdender Stellen führt in diesen Behörden auch nicht gerade zu mehr Leistungsfähigkeit insgesamt.

Mit einer gesetzlichen Verpflichtung würde also nichts gewonnen, außer dass vielleicht mehr Prozesse geführt würden. Da Genehmigungsverfahren vor allem aber auch kommunikative Prozesse beinhalten und Aushandlungen entsprechend notwendig sind, dürfte auch die Lust der Bauherrn, fristgerechte Genehmigungen gerichtlich durchzusetzen, eher beschränkt sein.

Übrigens reden wir ja hier nicht von Bauanträgen, die an einer Stelle unvollständig sind, sondern die Frist beginnt, wie schon, glaube ich, angedeutet wurde, immer erst mit dem Vorliegen des vollständigen, korrekten Bauantrags. Das scheint in der Praxis ein deutlich größeres Problem zu sein. Architekten und Bauträger reichen unvollständige Bauanträge ein und warten auf die Nachforderungen der Baubehörde, die auf diese Weise mit weiteren Aufgaben belastet wird. Nach Aussagen von Mitarbeitern einer Bauaufsichtsbehörde einer größeren Ruhrgebietskommune nimmt die Zahl dieser falschen und unvollständig eingereichten Bauanträge – warum auch immer – deutlich zu. Auch die Zahl der notwendigen Nachbesserungen nimmt demnach zu.

Die Frage ist: Hilft an dieser Stelle wirklich allein eine weitere Achttagefrist oder vielleicht eher eine Kombination aus mehr qualifizierterem Personal und klareren Prozessen, die dann auch zu einer Kultur des vollständigen Bauantrags führen und diesen ermöglichen?

Weiterhin hängt die Genehmigungsdauer wesentlich von der Zahl der zu prüfenden Gegenstände ab. Damit haben wir aber das Problem vom Genehmigungsverfahren auf die zugrunde liegenden Vorschriften, also Gesetze, Richtlinien, Erlasse, verlagert. An dieser Stelle gibt es tatsächlich Grund aufzuräumen. Zum Teil geschieht dies vermutlich auch in der neuen Landesbauordnung; wir haben sie ja noch nicht verabschiedet. Aber ob das ausreicht, wird sich zeigen und darf ein bisschen bezweifelt werden.

Herr Uhing sagte in der Anhörung, die wir durchgeführt haben: Wir meinen, es ist eigentlich nicht unbedingt ein Thema der Fristen, sondern eher der Inhalte. Wir müssen einfach sehen, dass sich das Baunebenrecht in den letzten zehn, 15 Jahren derartig erweitert hat, dass man darüber nachdenken muss, ob man an dieser Stelle nicht Vereinfachung einführen muss. – Zitat Ende.

Kurz: Der Antrag greift zum Teil relevante Aspekte auf, verkürzt allerdings Zusammenhänge und entwickelt Lösungen, die nicht durchgängig und allein zielführend sind. Das heißt auch: Die Ausgangsbehauptung, dass mit den geforderten Maßnahmen mehr Wohnungen gebaut werden, ist zumindest erst einmal gewagt. Wir hatten eine gute Diskussion und führen sie mit der Landesbauordnung weiter. Ich empfehle an dieser Stelle die Enthaltung für diesen Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Bayer. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Groschek.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Hört man Herrn Hausmann zu, weiß man, wie das postfaktische Jahrhundert klingt.

(Beifall von der SPD – Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Gabriel reicht!)

– Darüber könnten wir jetzt lange diskutieren. Ich finde, Deutschland hätte eine Chance verdient, mit Gabriel als Bundeskanzler eine politische Gestaltungsmehrheit zu gewinnen, damit dieses Land nicht nur auf der Stelle tritt, wie im Trommeltakt, sondern sich endlich nach vorne bewegt. Darüber zu diskutieren, lohnt auch im Landtag. Sie müssen nur einen entsprechenden Tagesordnungspunkt einreichen. Dann kommen wir gerne darauf zurück.

(Beifall von der SPD)

Jetzt von Sigmar Gabriel zum postfaktischen Zeitalter der Opposition! Ich kann nur davor warnen, diesem Antrag zu folgen, weil er keine Problemlösungsperspektive bringt, sondern nur Beschwörungsformeln – nicht Verschwörungs-, sondern Beschwörungsformeln – in die Welt setzt. Die helfen niemandem.

Jetzt kommen wir einmal zu dem Prinzip von Landesregierung und Landesregierung tragender Parlamentsmehrheit. Wir stehen zu dem Dreisatz: schneller, höher, weiter bauen. Nur dieser Dreisatz wird unser Wohnungsbauproblem angemessen lösen.

Wir planen weiter mit einem tollen Masterplanwettbewerb der Regionalisierung, der Kooperation zwischen Kernstädten und Umland. Die Ergebnisse werden wir bald präsentieren. Sie werden staunen, wie toll und intelligent unsere Kommunen sein können, wenn sie gefordert werden.

Zweiter Punkt: Wir bauen höher. Die Förderkonditionen sind entsprechend ausgestaltet. Wir kämpfen dafür, dass wir auch dichter bauen können. Urbane Mischgebiete werden nur durch Initiative von Hamburg und Nordrhein-Westfalen überhaupt bundesgesetzliche Wirklichkeit – also auch da messbare Erfolge.

Dritter Punkt: schneller bauen. Während die Opposition noch dabei ist, den Computer hochzufahren, befassen wir uns mit dem Update.

(Zuruf von der CDU)

– Herr Hausmann, Sie reden über einen Teilausschnitt. Wir reden über den Querschnitt. Die deutsche Bauindustrie ist leider Gottes Nachzügler bei der Digitalisierung. Keine Branche ist so weit hinter dem Stand der Technik wie die Bauwirtschaft.

Was machen wir? Wir puschen deshalb BIM – Building Information Modelling. Das muss Maßstab der Bauwirtschaft in unserem Land und Maßstab der Bauadministration in unserem Land werden, und zwar in Kommune wie auf Landesebene.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen im Haushalt 2017 50.000 € für einen Fortschritts- und Innovationspreis etatisiert, der hoffentlich vom Landtag abgesegnet wird, damit wir BIM-Projekte in Nordrhein-Westfalen prämieren können und nicht neidisch nach Stuttgart gucken müssen, wo nämlich familiengeführte Bauunternehmen schon so weit sind, wie unsere möglichst schnell werden müssen.

(Beifall von Norbert Römer [SPD])

Building Information Modelling – das beschreibt die Zukunft eines schnelleren, verlässlicheren und kostengünstigeren Bauens. Da sind wir Spitze.

Ich selbst durfte Schirmherr der Gründungsveranstaltung von Fachhochschule und RWTH Aachen sein, wo sich ein Expertenteam mit BIM befasst. IHK, 28 Partnerunternehmen und die beiden wissenschaftlichen Einrichtungen sind Innovationsträger für unser Land. Dazu kommt das Institut der Wuppertaler Universität – nicht das Wuppertal Institut Ökologie, sondern das Institut BIM der Wuppertaler Universität.

Dazu führen wir Workshops und eine Fachveranstaltung mit allen Experten durch, zu der ich Sie herzlich einladen darf, am 15. Dezember in Düsseldorf mit dem Titel „Digitalisierung der Baubranche – BIM in NRW“. Ich glaube, alle die, die sich in diesem Hohen Haus mit dem Bauen befassen, wären gut beraten, da zu sein. Dann müssten Sie nämlich auch bei Ihren Wahlkampfveranstaltungen nicht ausweichen auf das postfaktische Parolenbrechen, sondern könnten mit Argumenten punkten. Das wäre ein Gewinn für die gesamte politische Kultur in unserem Land. Ansonsten heiße ich wie immer alle herzlich willkommen, die mitmachen wollen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Es gibt noch eine Zwischenfrage, Herr Minister. Wollen Sie die noch beantworten?

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr: Herr Ellerbrock, Ihr Schlusssatz war so genial. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. – Danke.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in der Drucksache 16/13219 – Neudruck –, den Antrag Drucksache 16/10295 abzulehnen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/10295 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer will dem Antrag zustimmen? – Die CDU und die FDP. – Wer stimmt dem Antrag nicht zu? – SPD und Grüne stimmen nicht zu. – Wer enthält sich? – Es enthält sich, wie schon angekündigt, die Piratenfraktion. Sehe ich fraktionslose Abgeordnete? – Nein, auch ohne Brille nicht. Damit ist der Antrag Drucksache 16/10295 mit Mehrheit des Hohen Hauses, Rot-Grün, abgelehnt.

Ich rufe auf:

8   Gesundheit von Männern durch bessere Inanspruchnahme von Prostatakrebs-Früherkennung stärken

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13310

Ich eröffne die Aussprache. Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort Frau Kollegin Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben vielleicht schon einmal vom „Movember“ gehört. Falls nicht: „Movember“ ist ein Kofferwort aus dem Wort November und aus dem Wort Moustache.

„Movember“ ist auch eine Bewegung, die 2003 in Australien entstanden ist und sich inzwischen in viele Länder verbreitet hat. Dabei lassen sich Männer im November einen Schnurrbart – einen Moustache – wachsen, um Aufmerksamkeit auf die Gesundheit von Männern zu lenken und um Spenden einzusammeln.

Der Schwerpunkt dabei liegt auf Forschungsprojekten bei Prostata- und Hodenkrebs sowie psychischen Störungen. In Deutschland arbeitet die internationale „Movember-Foundation“ mit dem Förderverein „Hilfe bei Prostatakrebs e. V.“ zusammen.

Ich selbst kann mir zwar keinen Moustache – keinen Schnurrbart – wachsen lassen, aber mich mit der FDP-Landtagsfraktion mit dem vorliegenden Antrag für die Gesundheit von Männern einsetzen. Wir wollen die Früherkennung bei Prostatakrebs verbessern und somit die Männergesundheit stärker in den Fokus der gesellschaftlichen Diskussion stellen.

(Beifall von der FDP)

Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung von Männern in Deutschland. Pro Jahr werden bundesweit über 60.000 Neuerkrankungen diagnostiziert – 60.000 pro Jahr. Das Prostatakarzinom steht damit hinter Lungen- und Darmkrebs an dritter Stelle der zum Tode führenden Krebserkrankungen. Jährlich sterben rund 12.000 Männer an Prostatakrebs, einem Krebs, der im Frühstadium aber gut behandelbar wäre.

Wie sieht diese Behandlung aus? Entweder wird die Prostata operativ entfernt oder/und eine Strahlentherapie durchgeführt. Es kann aber auch ein abwartendes Beobachten angezeigt sein, das heißt, solange aufgrund des Tumorwachstums eine Ausbreitung über die Prostata hinaus und die Bildung von Metastasen nicht zu befürchten und zu erwarten ist.

Es gilt aber dennoch: Je früher ein Tumor erkannt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht gestreut hat und deshalb heilbar ist. Dies zeigt, dass es sich lohnt, sich für eine bessere Früherkennung einzusetzen.

(Beifall von der FDP)

Natürlich kenne ich auch die kontroverse Diskussion um die Aussagekraft der Früherkennung bei Prostatakrebs. Ein Teil der Fachleute spricht sich für eine Kombination von Tastuntersuchung – der sogenannten digital-rektalen Untersuchung – und dem PSA-Test aus, der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens.

Andererseits sind die Aussagen und Studienergebnisse zu Nutzen und Risiken des PSA-Tests widersprüchlich. So wurde er auch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss seinen Nutzen nicht bestätigt sah. Mit unserem Antrag wollen wir deshalb auch nicht über die Aufnahme des PSA-Tests als Kassenleistung diskutieren.

(Beifall von der FDP)

Als FDP-Fraktion konzentrieren wir uns in dem Antrag vielmehr auf die Tastuntersuchung als Teil des gesetzlichen Krebsfrüherkennungsprogramms. Zwar können so nur oberflächlich gelegene oder größere Tumore gefunden werden, aber Tumore bilden sich auch häufig in der äußeren Region der Vorsteherdrüse und sind dann gut zu tasten. Deshalb sollten wir die Möglichkeit dieser Früherkennungsuntersuchung nutzen, solange wir noch kein besseres Verfahren mithilfe spezifischer Tumormarker entwickelt haben.

(Beifall von der FDP)

Diese Forschung muss unbedingt gefördert werden, und hier ist auch das Land in der Pflicht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir wollen so mithilfe einer gezielten Ansprache von Männern die Aufklärung über Prostatakrebs stärken und zur Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen motivieren.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir wissen, dass sich das Gesundheitsverhalten von Männern und Frauen deutlich unterscheidet. Männer nehmen Angebote der Gesundheitsförderung, Früherkennung und Prävention weniger häufig wahr und nutzen die medizinischen Versorgungsstrukturen oft erst dann, wenn eine Behandlung aufgrund erheblicher Beschwerden unumgänglich ist. Einfach ausgedrückt: Frauen betreiben Vorsorgemedizin. Männer betreiben Reparaturmedizin.

Gerade weil Männer in der Regel weniger auf ihre Gesundheit achten, wollen wir Verbesserungen bei der Krebsfrüherkennung erreichen. Auch in der Anhörung zu einem unserer früheren Anträge zur Männergesundheit wurde vonseiten der Experten darauf hingewiesen, dass ein Erinnerungs- oder ein koordiniertes Einladungssystem – vergleichbar dem Mammografie-Screening für Frauen – sinnvoll sein könnte, um die Inanspruchnahme der Prostatakrebsfrüherkennung zu steigern.

(Beifall von der FDP)

Diese Anregung haben wir gerne aufgegriffen. Lassen Sie uns doch gemeinsam die Gesundheit von Männern in diesem Sinne stärken! Bei den Frauen schaffen wir das schließlich auch. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schneider. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Yüksel.

Serdar Yüksel (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die von der FDP angesprochene Problematik bezüglich der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Inanspruchnahme von Vorsorgeleistungen und sonstigen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen ist nicht neu und durch viele Studien und Berichte hinlänglich bekannt. Gerade vor dem Hintergrund, dass wir uns in dem entsprechenden Ausschuss explizit mit dieser Problematik auseinandersetzen, erscheint dieser FDP-Antrag völlig rätselhaft.

Natürlich teilen wir, liebe Frau Schneider, die Besorgnis in Ihrem Antrag, dass Männer in der Regel weniger auf Gesundheitsvorsorge achten als Frauen. Natürlich müssen wir weiter daran arbeiten, Männern den Zugang zu diesen Themen zu erleichtern. Das heißt jedoch nicht, dass dieses Problem von den einzelnen Krankheiten her zu lösen wäre. Statt krankheitsspezifische Anträge zu stellen, geht es vielmehr darum, dieses Problem in seiner Gesamtheit zu betrachten.

(Beifall von Inge Howe [SPD])

Das Problem liegt nicht allein darin, dass Männer zu wenig über Prostatakrebs wissen, sondern dass sie sich in der Regel nicht genug um ihre Gesundheit sorgen oder sich nicht genug informieren.

Ich frage Sie daher: Wieso stellen Sie einen Antrag zur Prostatakrebsfrüherkennung und nicht zur Früherkennung von Lungen- und Darmkrebs? In Ihrem Antrag schreiben Sie nämlich selbst, dass Prostatakrebs hinter Lungen- und Darmkrebs erst an dritter Stelle bei den zum Tode führenden Krebserkrankungen bei Männern steht.

Allein diese Frage zeigt uns doch, dass Sie das Pferd von hinten aufzäumen möchten und sich damit im Klein-Klein verlieren, statt das Problem in seiner Gänze zu betrachten.

(Susanne Schneider [FDP]: Frauen bekommen keinen Prostatakrebs!)

Es geht nämlich darum, Strukturen zu schaffen, in denen wir es erreichen können, dass Männer ihre Gesundheit allgemein ernster nehmen. Doch damit müssen wir uns mit den Menschen selbst auseinandersetzen und genau hinhören.

Ich zitiere daher die Sachverständige von der Stiftung Männergesundheit aus dem Protokoll des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 7. September 2016:

„Wir müssen wahrscheinlich noch präziser ermitteln, was Männer eigentlich brauchen, wofür wir sie kriegen können, welche Altersgruppen das sind und welche Berufs- und sozialen Gruppen dabei eine Rolle spielen.“

Sie sollten auf die Experten zum Thema Männergesundheit hören. Es geht also darum, alters-, berufs- und sozialspezifische Angebote zu schaffen, um die Menschen zu erreichen. Mit einer krankheitsspezifischen Denkweise, die Sie gerade in Ihrer Rede noch mal dargestellt haben, die die Menschen übergeht, die Sie eigentlich ansprechen wollen, werden Sie aus meiner Sicht nichts erreichen.

Statt von einzelnen Problemen auszugehen, denken wir sowohl von der ganzen Problematik als auch vom Menschen her. Dies zeigt die Antwort des Ministeriums auf Ihre Anfrage zu Beginn des Jahres. Dort können Sie nachlesen, dass die Landesregierung in verschiedene Forschungsprojekte investiert, um herauszufinden, mit welchen Menschen wir es zu tun haben und mit welchen Konzepten diese Menschen angesprochen werden können.

Gleiches tun wir im Ausschuss, indem wir den Menschen zuhören, statt sie bloß zu übergehen. So schafft man Fakten und verliert sich nicht im Klein-Klein.

Da das Thema in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales überwiesen werden soll, haben wir noch Gelegenheit, weiterführend darüber zu reden. Wir freuen uns auf die Ausschussberatung und werden der Überweisungsempfehlung zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Kern.

Walter Kern (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Zur Männergesundheit hat die Politik viel zu lange geschwiegen. Deshalb bin ich Susanne Schneider sehr dankbar, dass sie dieses Thema immer wieder hebt. Ich glaube, das ist gut. Es steht zweifelsfrei fest, dass wir die Gesundheitsdiskussion über Männer nicht ausreichend im Blick hatten.

Die Wahrheit ist: Männer neigen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht, zur Selbstüberschätzung, und Männer verhalten sich in eigenen Gesundheitsfragen anders. Das ist schon angesprochen worden; Sie kennen den Spruch: Ein Indianer kennt keinen Schmerz.

Meine Damen und Herren, Prostatakrebs ist die dritthäufigste Todesursache bei männlichen Krebserkrankungen. Fest steht, gerade dieser Krebs ist, wenn früh und rechtzeitig erkannt, gut heilbar. Je älter die Männer sind, umso höher ist dort ihr Krebsrisiko. Deshalb lohnt es sich, die Zeit für die Untersuchung zu investieren. Jede Inanspruchnahme von Prostatakrebsfrüherkennung ist zugleich der Versuch, das Risiko des Krebses zu vermindern und die Lebenszeit des Mannes zu erhöhen. Sie wissen, dass Männer eine etwa fünf Jahre kürzere Lebenserwartung haben als Frauen.

Die Forderungen des Antrags sind ersichtlich und verständlich. Wir sagen: Ja, wir müssen die Aufklärung über Prostatakrebs stärken und ausbauen. Ja, die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen muss gesteigert werden. Ja, ein systematisches Erinnerungs- und Einladungsschreiben durch die Krankenkassen zur Früherkennung kann helfen, dass Männer mehr für ihre persönliche Gesundheit tun. Ja, insbesondere weitere Forschung auf dem Gebiet der Prostatakrebsfrüherkennung macht Sinn.

Eines muss festgehalten werden: Keine Vorsorgeuntersuchung kann Krebs verhindern, aber sie kann eine rechtzeitige Behandlung ermöglichen. Es bleibt festzustellen, dass sich nicht jeder Prostatakrebs negativ entwickelt. Viele Krebsknoten werden entdeckt, die nie zu Beschwerden führen. Deshalb müssen Überdiagnosen und möglicherweise unnötige Behandlungen vermieden werden. Bekannterweise besteht bei den weiteren notwendigen Untersuchungen und Behandlungen auch die Gefahr von Nebenwirkungen, zum Beispiel bei Gewebeentnahmen, welche die Gefahr von Entzündungen oder Inkontinenz mit sich bringen.

Es ist ein Abwägungsprozess von Risiko und Chance. Auch wenn es widersprüchliche Aussagen zum Erfolg von PSA-Tests gibt – die Früherkennung ist eine echte Chance für jeden Mann. Damit mehr Prognosesicherheit erreicht wird, ist die Erforschung spezifischer Tumormarker wichtig. Darum, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist kontinuierliche Forschung in Fragen der Erkennung und Behandlung sinnvoll.

Transparenz über die Ergebnisse und Erkenntnisse der Forschungsarbeit sind wichtig. Nur so können widersprüchliche Informationen vermieden werden, die zögernde Männer in ihrer Entscheidung für oder gegen die Teilnahme beeinflussen. Männer sollten sich nicht gedrängt fühlen, zur Früherkennung zu gehen, sondern sie sollten vom persönlichen Nutzen der Früherkennung überzeugt sein.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Was muss der Mann investieren? – Erstens Zeit für die Untersuchung, zweitens kleines Geld – 15 bis 20 Euro; das ist heute eine IGeL-Leistung –, drittens die Bereitschaft, sich auf weitere notwendige Untersuchungen einzulassen. Was erhält der Mann dafür? – Sicherheit in Fragen der persönlichen Gesundheit.

Welche Fragen müssen wir also klären? – Erstens: Wie investieren wir in die Männergesundheitsforschung? Zweitens: Wie erreichen wir bei Männern mehr Motivation zu mehr Eigenverantwortung in Gesundheitsfragen? Drittens: Wie verbessern wir die Etablierung und den Ausbau der Männermedizin? Viertens: Wie erreichen wir die Reduzierung männerspezifischer Gesundheitsrisiken? Die Verbesserung der Inanspruchnahme von Prostatafrüherkennungsmaßnahmen ist dazu ein sehr wichtiger Teilschritt.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen – ich spreche die Männer an –: Seid keine Weicheier, geht zur Vorsorge! – Danke schön.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Nun spricht für die grüne Fraktion Herr Kollege Ünal.

Arif Ünal (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass unterschiedliche Verhaltensweisen von Frauen und Männern, was die Gesundheitsvorsorge angeht, ausreichend erläutert worden sind. Deshalb erlauben Sie mir, mich mit diesen Vorsorgeuntersuchungen ein bisschen auseinanderzusetzen.

Es stimmt: Prostatakrebs stellt bei den Männern die häufigste Krebserkrankung nach Lungen- und Darmkrebs dar. Darüber gibt es sehr viele Veröffentlichungen. Das ist eine Tatsache. Deswegen spielt die Vorsorgeuntersuchung bei der Krebsfrüherkennung eine sehr wichtige Rolle, und deswegen können auch Männer ab 45 Jahre einmal im Jahr eine Vorsorgeuntersuchung als Kassenleistung in Anspruch nehmen, bei der die Prostata digital-rektal abgetastet wird.

Eine andere Möglichkeit der Früherkennung ist die prostataspezifische Antigenbestimmung, die PSA-Bestimmung. Der PSA-Test ist eine sogenannte IGeL-Leistung, das heißt, dass die Patienten selber bezahlen müssen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss diese Leistungen nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen hat. Dafür gibt es genug Gründe.

Der von der FDP vorgelegte Antrag verfolgt insbesondere das Ziel, die Teilnehmerraten bei der Früherkennungsuntersuchung zu steigern. So weit, so gut. Aber was ist, wenn der PSA-Test alles andere als zuverlässig ist?

(Angela Freimuth [FDP]: Das hat sie doch gesagt!)

Was, wenn die Männer aufgrund einer positiven PSA-Bestimmung eine Krebstherapie über sich ergehen lassen, obwohl keine lebensbedrohende Krebserkrankung vorhanden war? Was ist, wenn Untersuchungen und Therapien weitaus mehr schädigen als zu nutzen?

So sprechen zum Beispiel neue Empfehlungsrichtlinien der ACP – American College of Physicians – und andere Fachgesellschaften inzwischen davon, vollständig von dem PSA-Test bei Männern unter 50 und über 70 abzuraten.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schneider?

Arif Ünal (GRÜNE): Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Frau Schneider.

Susanne Schneider (FDP): Sehr geehrter Herr Ünal, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich weiß ja nicht, ob Sie während meiner Rede bereits im Raum waren oder ob Sie zugehört haben. Auf jeden Fall habe ich mehrfach in dieser Rede gesagt, dass ich nicht für den PSA-Test werbe, dass es bekannt ist, dass der Gemeinsame Bundesausschuss ihn ablehnt und dass es eine IGeL-Leistung ist.

Sie dürfen jetzt gerne weiter fortfahren, aber ich wollte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen?

(Zuruf von der SPD: Das ist doch keine Frage!)

Arif Ünal (GRÜNE): Ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Ich habe auch Ihren Antrag gelesen. Sie haben sich auf anderthalb Seiten mit dem PSA-Test auseinandergesetzt. Deswegen möchte ich auch über die wissenschaftliche Diskussion über PSA-Tests vortragen – nicht mehr und nicht weniger.

Ich glaube, dass diese Empfehlungen der Fachgesellschaften ganz eindeutig sind: Sie schlagen die Tests überhaupt nicht vor. Damit bleibt natürlich nur die digital-rektale Untersuchung, die auch eine Kassenleistung ist. Sowohl die Prostatazentren – wir haben ja in NRW 22 Prostatazentren – als auch unterschiedliche Fachgesellschaften werben immer wieder in diesem Bereich. Trotzdem können wir die Beteiligung der Menschen an der Vorsorgeuntersuchung nicht erhöhen.

Die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung sind ja allen bekannt. Neben den Nebenwirkungen der Chemotherapie und der Bestrahlung gibt es auch unterschiedliche Nebenwirkungen bei den chirurgischen Eingriffen, die sehr, sehr kompliziert verlaufen können.

Die derzeitige wissenschaftliche Datenlage und die Erkenntnisse erlauben somit keine eindeutige Empfehlung für eine Teilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung auf Prostatakrebs. Zugleich gibt es viele negative Effekte, zum Beispiel Überdiagnosen und -behandlungen.

Darüber hinaus gibt es im Moment sehr viele wissenschaftliche Untersuchungen, weil man die Behandlungsmöglichkeiten bei Prostatakrebs auch verbessern möchte. Im Antrag steht, dass man Forschung unterstützen soll. Allein in diesem Jahr gibt es mindestens 15 Forschungsprojekte, um sowohl die Früherkennung als auch die Behandlungsmöglichkeiten bei Prostatakrebs zu verbessern.

Als Beispiel nenne ich eine neue Methode. Man hat festgestellt, dass nicht nur Androgene, sondern auch weibliche Hormone, Östrogene, bei der Entstehung von Prostatakrebs eine Rolle spielen. Deswegen versucht man derzeit in der Bundesrepublik, Östrogenrezeptoren zu benutzen, damit man die Entstehung von Prostatakrebs verhindern kann.

So gesehen, gibt es bereits sehr viele Untersuchungen und Forschungen. Ohne diese Forschungen zu evaluieren und davon zu profitieren, weitere Forschungen zu verlangen, finde ich nicht in Ordnung.

Allerdings besteht natürlich sehr hoher Bedarf an einer Verbesserung der diagnostischen Verfahren, was den Prostatakrebs angeht. Daher werden wir der Überweisung des Antrags in den Fachausschuss zustimmen. Ich bin sehr gespannt auf die Ausschussberatungen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Ünal. – Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Düngel das Wort.

Daniel Düngel (PIRATEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schneider, herzlichen Dank für den Antrag. Insgesamt ist er ja relativ dünn.

(Susanne Schneider [FDP]: Dann überfordert er auch nicht!)

– Das ist gut. Das überfordert dann nicht. Das ist schon einmal sehr rücksichtsvoll.

Gleichwohl hätte man das Thema sicherlich auch so in den Ausschuss einbringen können. Es ist ja schon in der Vergangenheit dort Thema gewesen. Wie dem auch sei. Es ist gut, dass wir über diese Themen hier diskutieren. Ich fände aber den umgekehrten Weg sinnvoller, nämlich dass wir uns im Ausschuss darüber unterhalten, ob wirklich Handlungsbedarf besteht und welchen Handlungsbedarf es gibt. Dann hätten wir vielleicht genug Fleisch für einen Antrag, um plenar etwas gemeinschaftlich zu machen. Wie dem auch sei.

Ich möchte es nicht so sehr in die Länge ziehen, sondern mich einfach mit den vier Forderungspunkten auseinandersetzen.

Ein Hinweis allerdings noch vorweg, was den PSA-Test angeht: Sie haben in Ihrer Rede ausgeführt, dass Sie ausdrücklich nicht den meinen. Gleichwohl ist es aber so, wie es auch Herr Kollege Ünal gerade erwähnt hat. In Ihrem Antrag nimmt dieser Test halt doch einen recht großen Anteil ein. Da stellt sich schon die Frage, wie es dazu kommt, welchen Hintergrund das hat. Ich weiß ja nicht, wer letzten Endes den Antrag geschrieben hat bzw. aus welcher Feder er stammt. Aber offenbar bestand schon ein gewisses Interesse, dass in dem Antrag über den PSA-Test geschrieben wird.

(Zuruf von Susanne Schneider [FDP])

Ich möchte mich nun auf die vier einzelnen Forderungspunkte konzentrieren und beginne mit dem ersten Punkt, Aufklärung über Prostatakrebs zu stärken und Wissenslücken zu schließen sowie das Bewusstsein dieser Erkrankung zu fördern. Hier gehen wir natürlich mit. Das ist eine gute Sache. Gar keine Frage.

Ich mache weiter mit dem letzten Punkt, den Forschungsprojekten. Ja, auch diesen Punkt kann man so weit mittragen. Natürlich muss man sehen, was bereits von der Landesregierung gemacht wird. Da sind wir ja zumindest nicht bei null. Aber es ist durchaus ein Punkt, den man aufgreifen kann.

Punkt 3 Ihres Forderungskatalogs betrifft ein Erinnerungs- und Einladungssystem. Das finde ich im Prinzip nicht schlecht – aber ganz sicher nicht als Insellösung für Prostatakrebs- bzw. entsprechende Früherkennungsuntersuchungen. Wenn wir uns hier über ein generelles Erinnerungs- und Einladungssystem unterhalten und so etwas in Richtung Bund bzw. Krankenkassen anregen würden, dann könnte ich das durchaus nachvollziehen. Das fände ich gut. Hier hat es aber ein bisschen den Anschein, als gehe es nur um die Prostatakrebsfrüherkennung, die es da irgendwie zu priorisieren gilt. Insofern kann ich diesen Punkt nicht ganz nachvollziehen.

Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, ist der Punkt 2 in Ihrem Forderungsteil, nämlich die gezielten Werbemaßnahmen. Das haben wir schon bei verschiedenen Anhörungen in unserem Ausschuss durchgekaut. Mit gezielten Werbemaßnahmen, also damit, irgendwo im Bus, in der Bahn oder sonst wo ein Plakat aufzuhängen oder in Arztpraxen einen Flyer auszulegen, ist es nicht getan. Wir brauchen eine vernünftige Aufklärungsarbeit. Dieser Forderungspunkt, den Sie in Ihren Antrag aufgenommen haben, macht zumindest für mich die Ernsthaftigkeit Ihres Antrags ein bisschen kaputt. Damit ist überhaupt nichts gewonnen.

Wie dem auch sei. Wir beraten den Antrag im Ausschuss. Wir werden natürlich zustimmen, dass wir das so tun. Dann schauen wir einmal, wie es damit weitergeht. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und Arif Ünal [GRÜNE])

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Düngel. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Steffens.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Krebs ist ein weit verbreitetes Leiden. Jeder Zweite bekommt einmal in seinem Leben die Diagnose Krebs gestellt. Deswegen ist es wichtig, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen, wie Risiken minimiert werden können und wie durch Früherkennung Menschen geholfen werden kann.

Früherkennungen scheinen oft für Menschen die einzige Möglichkeit zu sein, die Schwere der Erkrankung zu reduzieren und Todesfälle zu vermeiden. Trotzdem ist es extrem wichtig, genau dahinter zu schauen, welche Früherkennungen und welche Methoden es gibt.

Hier ist heute schon breit darüber diskutiert worden: Bei den Prostatakarzinomen gibt es zwei verschiedene Früherkennungsverfahren, die Tastuntersuchung und den PSA-Test.

Die Kassen übernehmen – das ist auch eben schon gesagt worden – für jährliche Tastuntersuchungen die Kosten, für den PSA-Test aber nicht. Das ist in der Regel eine Selbstzahlerleistung.

Wenn man im Parlament irgendwelche Beschlüsse dazu fassen will, was ausgeweitet oder wie auch immer definiert werden soll, dann ist es erst einmal wichtig, zu prüfen: Wie ist der wirkliche Nutzen der einzelnen Untersuchung?

Insbesondere bei Prostatakrebs haben wir eine besondere Situation. Erstens ist es eine Krebsart, die meistens erst sehr spät im Leben, nämlich im 71. Lebensjahr, auftritt. Es handelt sich also um eine sehr späte Erkrankung und um einen sehr langsam wachsenden Krebs. Wir wissen, dass zehn Jahre nach Diagnosestellung – verglichen mit Nichterkrankten – noch 91 % der Menschen leben. Prostatakrebs ist somit ein nicht so aggressiver und nicht so schnell wachsender Krebs.

Deshalb müssen wir uns fragen, wie das im Verhältnis zu der Früherkennungsuntersuchung steht. Können wir mit diesen Früherkennungen wirklich Leid ersparen, oder führt die Früherkennung eher dazu, dass wir Leid produzieren? Genau diese Frage müssen wir uns bei der Prostatauntersuchung stellen.

Gerade ist unter anderem von Frau Schneider gesagt worden, der PSA-Test sei nicht so entscheidend für Sie, auch wenn er im Antrag eine große Rolle spielt. Ja, der PSA-Test ist nicht G-BA-zugelassen und wird auch nicht von den Kassen refinanziert. Denn von 1.000 Menschen, bei denen der PSA-Test die Diagnose Krebs ergeben hat, haben 800 bis 830 Menschen gar keinen Krebs. In diesen Fällen handelt es sich also um eine falsch positive Testung.

Frau Schneider sagte nun auch, um diesen Test gehe es ihr nicht, sondern es gehe ihr um die rektale Untersuchung. Bei der rektalen Untersuchung ist das Ergebnis jedoch fast vergleichbar niederschmetternd. Von 1.000 Männern, die nach dieser rektalen Untersuchung den Befund bekommen, sie hätten Krebs, sind 720 Männer gesund. Diese 720 Männer gehen also mit einer solchen Diagnose nach Hause und lassen weitere Untersuchungen oder Behandlungen durchführen – zum Beispiel eine Stanzbiopsie, eine medikamentöse Behandlung oder eine Bestrahlung –, ohne dass sie erkrankt sind. Das bedeutet: Diese Untersuchung ist sehr defizitär.

Daher besteht ein enormes Risikopotenzial, Männer pauschal zu dieser Untersuchung zu schicken. Ich würde keinem Menschen sagen: „Sie müssen alle diese Vorsorgeuntersuchung in Anspruch nehmen“, weil das Risiko einer falsch positiven Befundung extrem hoch ist.

Andersherum müssen wir aber auch sagen: Unter 1.000 Männern, die nach Hause gehen und die Diagnose bekommen, nicht an Krebs erkrankt zu sein, gibt es immer noch zehn Männer, die einen positiven Befund hätten bekommen müssen. Es gibt somit einen hohen Anteil von sowohl falsch negativen als auch falsch positiven Befundungen.

Deswegen ist es wichtig, differenziert an die Sache heranzugehen und zu fragen: Für wen ist es denn die richtige Behandlung? Das können aber nur Ärzte und Ärztinnen entscheiden. Es ist keine politische Entscheidung, wo wir Menschen zu einer solchen Untersuchung raten müssen. Deswegen halte ich diesen Antrag für hoch problematisch und würde jederzeit dazu raten, ihn abzulehnen.

Es ist natürlich wichtig, sich mit Forschung auseinanderzusetzen. Aber gerade zu dieser Frage gibt es enorm viele Untersuchungen. Wir haben auch eine aktuelle Studienlage. Es liegt wohl auf der Hand, dass ein Bundesland nicht dafür verantwortlich ist, Forschungen zu einzelnen Wirksamkeiten von Methoden und Untersuchungen in Auftrag zu geben.

Wir sind als Ministerium gerne dazu bereit, auch Ihnen von der FDP-Fraktion die Studienlage anhand von Studien, die uns bekannt sind, im Ausschuss darzustellen und sie Ihnen zu vermitteln.

An dieser Stelle kann man aber nur klar das Fazit ziehen: Wir müssen viel für Prävention für Männer tun. Wir müssen geschlechterspezifische Ansätze viel breiter in unserem Gesundheitssystem verankern und implementieren. Wir müssen Männer zu einer gesunden und positiven Lebenshaltung und Lebensführung ermuntern und ermutigen.

Männer zu Vorsorgeuntersuchungen zu schicken, durch die sie am Ende des Tages mehr Leid als Nutzen erfahren, ist aber keine politische Aufgabe. Das wäre ethisch und moralisch nicht vertretbar.

Deswegen bin ich dieses Mal froh darüber, dass wir das im Ausschuss beraten können, damit auch diejenigen, die die Dimension dieser Untersuchung bis heute nicht in Fakten auf dem Tisch liegen haben, sich damit auseinandersetzen können. – Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/13310 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Abstimmung erfolgt dort in öffentlicher Sitzung. Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

9   Gesetz zur Einführung einer dritten Stufe des Stärkungspaktes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12785

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Kommunalpolitik
Drucksache 16/13324

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/13412

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Dahm das Wort.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen gleich die dritte Stufe des Stärkungspaktes in zweiter Lesung, nachdem der Landtag das Gesetz im September 2016 bereits an unseren Ausschuss für Kommunalpolitik überwiesen hat. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt. Wie ich finde, gibt uns das eine weitere Bestätigung für die Fortsetzung des Stärkungspakts.

Damit möchte ich gleich auf den Entschließungsantrag zu sprechen kommen, den die CDU-Fraktion uns heute Vormittag auf den Tisch gelegt hat. Herr Kuper und Herr Nettelstroth, ich habe in der Debatte und auch in der Anhörung zum Stärkungspakt einen anderen Eindruck gehabt als Sie. In diesem Zusammenhang möchte ich die kommunalen Spitzenverbände zitieren, die sehr deutlich gemacht haben, dass der Stärkungspakt alternativlos ist. Das bestärkt uns darin, hier eine dritte Stufe einzuführen.

Wir schreiben damit unseren erfolgreichen Kurs zur finanziellen Stärkung der hoch verschuldeten Kommunen fort. Warum wollen wir dieses Erfolgsmodell fortsetzen? Ganz einfach: Weil uns die beiden Evaluierungsberichte zum ersten und zweiten Stärkungspakt sowie der bisherige Verlauf Mut machen, genau das Richtige zu tun bzw. in die Wege geleitet zu haben.

Ich teile nicht die Auffassung, Herr Nettelstroth, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag vertreten, dass wir hier eine grundlegende Reform durchführen sollten. Das steht nämlich gerade nicht in dem Evaluierungsbericht. Darin steht vielmehr eindeutig, dass der Kurs entsprechend fortzusetzen ist.

Wie Sie wissen, liegen die Evaluierungsberichte der Stufen 1 und 2 – ich habe es gerade angerissen – dem Landtag vor. Zu den aktuellen Entwicklungen im Jahr 2015 möchte ich noch Folgendes ergänzen:

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist der Jahresfehlbetrag der am Stärkungspakt teilnehmenden Gemeinden 2015 nur etwa halb so hoch ausgefallen wie im Vorjahr und zudem deutlich besser als geplant.

Bezogen auf die 59 Stärkungspaktgemeinden – für zwei Kommunen liegen uns die Werte noch nicht vor – belief sich das Defizit nur auf 425 Millionen €. Im Vorjahr 2014 lag der Fehlbetrag noch doppelt so hoch, nämlich bei annähernd 900 Millionen €.

Ursächlich für diese positive Einnahmeentwicklung und Ergebnisentwicklung sind vor allem – das erfreut uns natürlich alle – die wiedererstarkten Steuermehreinnahmen sowie die stark gestiegenen Kostenbeiträge von Bund und Land.

Erstmals seit 1999 sind die Verbindlichkeiten zur Liquiditätssicherung der Stärkungspaktgemeinden nahezu unverändert geblieben. In den beiden Vorjahren waren die entsprechenden Verbindlichkeiten noch um 700 Millionen € angestiegen.

Meine Damen und Herren, was soll jetzt konkret in der dritten Stufe passieren, und wer kann teilnehmen? Bewerben können sich wieder – ähnlich wie in der zweiten Stufe – auf freiwilliger Basis Kommunen, die bis einschließlich des Haushaltsjahres 2015 überschuldet sind und dies durch den Jahresabschluss 2014 oder die Haushaltsdaten 2015 nachweisen können.

Ich teile nicht die Auffassung der Opposition hier im Landtag, dass wir den Maßstab an die Kassenkredite anlegen sollten. Das ist – das nehmen wir auch aus den Anhörungen der Sachverständigen mit – der falsche Maßstab, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion.

(Beifall von der SPD)

Nach bisherigem Kenntnisstand kommen hier offenbar fünf Kommunen in Betracht – vermutlich Alsdorf, Heiligenhaus, Laer und Lünen und ganz bestimmt Mülheim an der Ruhr –, die mit 31 Millionen € den größten Batzen abschöpfen werden. Die Teilnehmer müssen den Haushaltsausgleich mit Konsolidierungshilfe im Jahr 2020 und ohne Konsolidierungshilfe im Jahr 2023 erreichen.

Die Gesamtsumme der frei werdenden Mittel beläuft sich nach den derzeitigen Planungen des Stärkungspakts bis 2020 auf mehr als 1 Milliarde €. Ob diese Planzahlen – das räume ich ein; das schreiben Sie auch in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren der CDU – tatsächlich erreicht werden, ist von vielen Faktoren abhängig und natürlich ungewiss.

Ich will noch kurz auf den Entschließungsantrag eingehen, den die CDU-Fraktion hier vorgelegt hat. Sie kritisieren nach wie vor, dass die abundanten Kommunen sich mit 70 Millionen € beteiligen sollen. Wir halten es nach wie vor für richtig, dass sich alle Kommunen beteiligen und nicht nur die, die Zuweisungen aus dem GFG bekommen.

Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen: 70 Millionen € sind angesichts Ihrer „KomPAsS-Forderung ein kleiner Beitrag. Sie wollten die Komplettbefrachtung von 800 Millionen € auf alle Kommunen ausrichten. Ich glaube, da ist das gerechtfertigt, was wir hier vornehmen.

Zweiter Aspekt: Ihre Argumentation, der Stärkungspakt sei ein Steuererhöhungsprogramm, ist schlichtweg falsch. Das sagen alle Kommunen. Das sagen auch die Berichte.

(Beifall von der SPD)

Nur 29 % der Maßnahmen betreffen nämlich ausschließlich Steuererhöhungen. Die übrigen sind eigene Kraftanstrengungen und Konsolidierungsmaßnahmen der Städte und Kommunen.

Ich bin ein wenig erstaunt, wenn Sie die hohen Altschulden ansprechen. Ja, ich werbe für einen Altschuldenfonds, meine Damen und Herren.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Da sind wir ganz nah beieinander. Aber schauen wir einmal nach Berlin. Wer hat das verweigert? Wer entzieht sich hier den Gesprächen? Das ist an dieser Stelle die CDU in der Bundesregierung.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Der letzte Punkt, den Sie anreißen, ist der Part der Integrationsaufgaben. Da empfehle ich Ihnen einmal einen Blick in die Bund-Länder-Verhandlungen. Schauen Sie sich einmal an, was hier ausgehandelt worden ist und wie der konkrete Passus lautet. Darin steht eindeutig: Die Mittel werden den Ländern für ihre Integrationsaufgaben und Integrationsleistungen zugewiesen. – Ich glaube, das ist abschließend.

Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, wir werden heute diesem Gesetzentwurf natürlich zustimmen. Damit setzen wir unseren Kurs weiter fort. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Dahm. – Jetzt schreitet Herr Kollege Nettelstroth für die CDU-Fraktion ans Pult. Sie haben das Wort. Bitte schön.

Ralf Nettelstroth (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Stärkungspakt in der dritten Stufe werden wir als CDU-Fraktion heute natürlich nicht zustimmen.

(Michael Hübner [SPD]: Warum auch?)

Wir haben mit unserem Entschließungsantrag hierzu entsprechende Alternativen angeboten, auf die ich gleich eingehen möchte.

Lieber Kollege Dahm, bei Ihrer Darstellung eben haben Sie natürlich einiges hinten herunterfallen lassen, und zwar die Tatsache, dass der Stärkungspakt mittlerweile von den Kommunen auch selbst finanziert wird, nämlich zu gut 40 %, und die Tatsache, dass dieser Stärkungspakt leider auch dazu führt, dass die Kommunen immer mehr zu einer Steuererhöhungsspirale aufgefordert werden. Denn wir haben bei den Kommunen, die im Stärkungspakt sind, die Situation, dass gut ein Drittel die Grundsteuer B erhöhen mussten und gut 20 % auch die Gewerbesteuer um mehr als 10 % erhöhen mussten –

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

und das in einer Situation, in der gerade diese Kommunen strukturell äußerste Schwierigkeiten haben, den Ausgleich herbeizuführen. In Klammern: Letztendlich müssen sie ja auch aus irgendwelchen Gründen in die Situation gekommen sein, dass sie zum Haushaltsausgleich der Unterstützung bedürfen.

Auf der anderen Seite gehen Sie aber an den entscheidenden Kriterien vorbei. Das sind die Tatsachen, die uns nach wie vor bewegen. Die Kommunen werden nämlich weiterhin mit zusätzlichen Aufgaben befrachtet, während leider das Geld nicht hinzukommt.

Wir haben unter anderem heute Morgen über die Frage des Unterhaltsvorschusses geredet. Dabei handelt es sich um eine Leistung, die die Kommunen zu erbringen haben. Wenn das demnächst auch für Kinder von zwölf bis 18 Jahren gilt, dann mag das zwar für die Alleinerziehende eine große Hilfe sein; aber die Kommunen brauchen hier einen Refinanzierungsvorschlag.

Gleiches gilt für die Hygieneampel oder für die Inklusion oder für das letzte von Ihnen angesprochene Thema „Flüchtlinge“. Wo wird denn die Integrationsarbeit geleistet? Sie wird doch bei den Kommunen geleistet. Deshalb ist es nicht verständlich, dass in diesem Jahr die entsprechenden Beträge zur Konsolidierung des Landeshaushalts verwendet werden.

(Beifall von der CDU)

Im Übrigen: Wenn wir uns heute über die dritte Stufe des Stärkungspakts unterhalten, dann müssen wir uns noch einmal anschauen, welches Kriterium dafür maßgeblich ist, dass eine Kommune im Jahr 2014/2015 strukturell überschuldet ist. In Klammern: Diese Situation ist rechtlich eigentlich vollkommen unzulässig und dürfte gar nicht eintreten. Sie fangen also an, demjenigen, der fast kaum noch Luft bekommt, zu helfen, anstatt schon früher zu beginnen und zu sagen: Wir müssen da ansetzen, wo strukturelle Probleme auftauchen.

An dieser Stelle kommt unser Entschließungsantrag ins Spiel, nämlich bei der Fragestellung: Welche Kriterien muss ich heranziehen, um eine problematische Situation für eine Kommune erkennen zu können? Dazu gehören die Sozialhilfeaufwendungen, die exorbitant zugenommen haben – vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2015 um allein 60 %. Dazu gehören Kassenkredite. Dazu gehören aber auch Anleihen, die mittlerweile gerade von größeren Kommunen aufgenommen werden und in den Statistiken eben nicht erfasst sind. Wenn sie erfasst würden, gäbe es auch da weiterhin einen entsprechenden Anstieg.

Vor diesem Hintergrund muss sich auch niemand wundern, dass, obwohl es den Kommunen landauf, landab viel besser geht, in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015 noch 500 Millionen € Defizit erwirtschaftet worden sind.

Vor diesem Hintergrund sind wir der Auffassung, dass dieser Stärkungspakt nicht funktionieren wird. Er wird dazu führen, dass Steuern weiter erhöht werden. Er wird dazu führen, dass die Strukturen für die jeweiligen Kommunen weiterhin schwieriger werden und sie sich nicht nachhaltig werden entschulden können. Schon gar nicht werden sie langfristig die schwarze Null erreichen oder gar positive Erträge erwirtschaften können.

Genau da setzt unser Entschließungsantrag an. Sie haben einige Punkte angesprochen. Ich will hier nur auf wenige eingehen.

Diese Kommunen brauchen wirtschaftliche Entwicklungsimpulse und keine Impulse, Steuern zu erhöhen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das sind alles nur hohle Sprüche!)

Das kann man nur machen, indem man sie strukturell dabei unterstützt, den Haushalt auszugleichen, aber auch am Markt zu bestehen. Denn sonst entsteht eine Spirale des Abwärtstrends, die sich immer weiter fortsetzt, weil die Kommunen, die sowieso schon Probleme haben, durch entsprechende Befrachtung der Grundsteuer und der Gewerbesteuer immer unattraktiver werden. Sie haben dann keine Perspektive mehr, sich selber aus dem Sumpf herauszuziehen. Vor diesem Hintergrund brauchen sie da konkrete Hilfe.

Vor diesem Hintergrund muss auch der Stärkungspakt refinanziert bzw. neu finanziert werden. Es kann nicht sein, dass die Kommunen diesen Stärkungspakt selber zu 40 % zu refinanzieren haben.

Sie haben das Thema angesprochen, dass wir natürlich auch die Altschulden im Auge haben müssen. Wir haben Gott sei Dank eine Situation – Sie haben es erwähnt – sprudelnder Steuereinnahmen und – jetzt kommt es – ganz geringer Zinssätze. Das führt dazu, dass das Thema „Altschulden“ vielleicht im Moment nicht ganz so virulent ist. Spätestens wenn diese Zinssätze ansteigen, werden sie zu erheblichen strukturellen Belastungen der Kommunen führen.

Das heißt: Wir müssen uns auch dieser Aufgabe zuwenden. Sonst werden wir nicht zu einem nachhaltigen Ergebnis kommen, das langfristig dazu führt, dass unsere Kommunen leistungsfähig sind.

Langer Rede kurzer Sinn: Unsere Aufgabe muss es sein, unsere Kommunen mit Aufgaben nur dann zu befrachten, wenn wir ihnen nach dem Konnexitätsprinzip die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Denn sonst wird es immer wieder zu strukturellen Defiziten führen. Da hilft es auch nicht, wenn man einmalig eine Hilfe unterbringt. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Nettelstroth. – Für die grüne Fraktion spricht nun Herr Krüger.

Mario Krüger (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Nettelstroth, ich frage mich, nachdem ich Ihre Ausführungen gehört habe: Wo waren Sie eigentlich, als wir uns beispielsweise auf der Bundesebene zum Thema „Schuldenfonds und Altschuldenhilfe“ für eine Regelung eingesetzt haben, als auf Bundesebene aufgrund zurückgehender Ausgaben im Rahmen des Solidarpakts Ost ein entsprechender Schuldenfonds aufgestellt werden sollten, um den Kommunen Hilfestellung zu geben? Da waren Sie völlig weg. Sie sind abgetaucht. Sie haben Ihre Möglichkeiten nicht genutzt, um entsprechend tätig zu werden.

Wenn Sie die Berichte, die vorhin vom Kollegen Dahm vorgetragen worden sind, nicht wahrhaben wollen, sollten Sie einmal einen Blick über die Landesgrenzen werfen und schauen, wie in anderen Bundesländern das Thema „kommunale Entschuldungsfonds“ angegangen wird.

(Ralf Nettelstroth [CDU]: Länderprogramme in Hessen oder Niedersachsen!)

– Zum Beispiel gibt es im Bundesland Hessen einen sogenannten kommunalen Schutzschirm, der mit 95,17 Millionen € pro Jahr ausgestattet ist und komplett aus dem Landeshaushalt finanziert wird.

Dem stelle ich unsere Zahlen gegenüber. Wir zahlen insgesamt 5,76 Milliarden €. Es sind etwa 560 Millionen € pro Jahr. Davon fließen etwa 400 Millionen € direkt aus dem Landeshaushalt.

Mecklenburg-Vorpommern spricht von einem kommunalen Haushaltskonsolidierungsfonds. 24,5 Millionen € davon bringen sie ein. 60 % werden über Befrachtungen finanziert. 40 % oder 10 Millionen € stammen aus dem Landeshaushalt.

Niedersachsen spricht von einem Zukunftsvertrag Entschuldungsfonds, der mit 70 Millionen € pro Jahr ausgestattet ist. Davon stammen 50 % aus dem Landeshaushalt und 50 % aus einer kommunalen Sonderumlage.

Wir liegen, wie gesagt, bei etwa 560 Millionen € pro Jahr.

Selbst in Rheinland-Pfalz mit seinem kommunalen Entschuldungsfonds in Höhe von 255 Millionen € stammen ein Drittel aus dem Landeshaushalt – sprich: etwa 80 Millionen € –, ein Drittel aus Befrachtungen im Gemeindefinanzierungsgesetz und ein Drittel aus einem Fonds, der von den notleidenden Kommunen zu finanzieren ist.

In diesem Vergleich stellt sich NRW auf. Dieser Vergleich zeigt: NRW ist gut aufgestellt. Oder anders formuliert: Wenn es darum geht, den notleidenden Kommunen Hilfestellung zu geben, ist Nordrhein-Westfalen gut dabei. Das wird insbesondere deutlich, wenn man einen Blick über die Landesgrenzen hinweg wirft. – Das zum Ersten.

Zum Zweiten möchte ich mich gerne nicht direkt mit diesem Entschließungsantrag beschäftigen.

(André Kuper [CDU]: Oh!)

Ich schaue mir lieber die Papiere an, die Sie früher geschrieben haben.

(Ralf Nettelstroth [CDU]: Die stehen aber heute nicht zur Abstimmung!)

Da gab es einmal ein Positionspapier vom 26. Oktober 2010. Es ist also rund sechs Jahre alt und stammt aus der Zeit, als Sie kurz vorher die Mehrheit im Landtag verloren hatten. Sie nannten dieses Positionspapier „Kommunalfinanzen in NRW – Perspektive und Alternative statt Schulden“ oder abgekürzt „KomPAsS“. Darin sprachen Sie davon, dass Sie 500 Millionen € bereitstellen wollten, und zwar 400 Millionen € aus dem Landeshaushalt. Zur Finanzierung haben Sie ausgeführt, dass das aus Einsparungen oder aus Steuermehreinnahmen erzielt werden sollte, aber, bitte schön, nicht dazu beitragen sollte, dass in diesem Zusammenhang die Nettoneuverschuldung ansteigt.

Zur Frage der Herausnahme der Befrachtungen haben Sie gar nichts gesagt – oder anders herum formuliert: Was Sie an Befrachtungen im Gemeindefinanzierungsgesetz gehabt haben – damals waren es 166 Millionen € –, bleibt bestehen.

Natürlich sollte auch keine Einbeziehung der Kommunen bei der Grunderwerbsteuer erfolgen. Das kann man zumindest Ihrem Positionspapier entnehmen.

100 Millionen € sollten von den betroffenen Kommunen selbst finanziert werden. – Das waren Ihre Vorschläge.

Dann gab es noch einen sehr interessanten Satz, in dem Sie ausführen: Es sollte geprüft werden, inwieweit Kommunen, die durch zusätzliche Bundesmittel Einnahmen über den strukturellen Haushaltsbericht erzielt werden, daran beteiligt werden.

Hintergrund war, dass Sie gesagt haben: Der Bund muss auch etwas tun. Er soll bei der Finanzierung der Sozialausgaben seinen Beitrag leisten. Wenn die Kommunen zusätzliche Bundesmittel erzielen, sollen sie sich hier entsprechend beteiligen. – Andere sprechen möglicherweise von einer Solidarumlage, die hier eingebracht werden kann.

Letzte Aussage in diesem Zusammenhang: Es geht ja immer darum, inwieweit NRW bezüglich der Finanzausstattung der Kommunen wirklich gut beraten ist. Da haben Sie 2010 geschrieben:

„Das Gemeindefinanzierungsgesetz bleibt mit einer Verbundsatzquote von 23 Prozent“

– Klammer auf: abzüglich Befrachtungen, abzüglich Grunderwerbsteuer; Klammer zu –

„als verlässliche Grundlage der kommunalen Finanzausstattung bestehen.“

Das waren Ihre Ansagen. So sind Sie herangegangen. Insofern ist das, was Sie hier in diesem Zusammenhang vortragen, überhaupt nicht ernst zu nehmen.

Wir halten an unserem Kurs fest. Wir werden weiterhin dazu beitragen, dass die Kommunen ihren Konsolidierungskurs fahren. Wir sind da erfolgreich, wie die Berichte zeigen. Demnächst werden wir einen weiteren Bericht bekommen. Dann wird sich das noch einmal konkretisieren.

Wenn wir fünf Jahre so weitermachen, werden Sie auch eine Vielzahl von Kommunen feststellen, die ihre Hausaufgaben gemacht haben bzw. einen Haushaltsausgleich erzielt haben. Möglicherweise haben sie dann, wie Duisburg im letzten Jahr, bereits Überschüsse erzielt. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Krüger. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Höne.

Henning Höne (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Den Stärkungspakt Stadtfinanzen überhaupt auf den Weg zu bringen, war ein großer Erfolg, an dem wir Liberale gerne mitgearbeitet haben.

Dazu hatte der Landtag in einem ersten Schritt Landesmittel von jährlich 350 Millionen € über einen Zeitraum von zehn Jahren zur Unterstützung von damals 34 Kommunen zur Verfügung gestellt, weil diesen Kommunen die Überschuldung drohte und weil diesen Kommunen eine realistische Perspektive zum Ausbruch aus der Schuldenspirale fehlte. Deswegen war der erste Stärkungspakt Stadtfinanzen gut und richtig, auch in der Rückwärtsbetrachtung, wenngleich, Herr Kollege Dahm, …

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

– Vielen Dank, Herr Kollege Hübner. –… ich mich immer schwer damit tue, Dinge gerade im Politischen als „vollkommen alternativlos“ zu bezeichnen, so richtig und so gut es war. Alternativlos erscheinen mir in Deutschland der Tod und die Steuer-ID, darüber hinaus relativ wenig.

Von den beteiligten Kommunen haben bislang lediglich zwei keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. So sehr dort – sowohl vor Ort als auch bei uns, beim Land – möglicherweise noch etwas zu tun ist, kann und sollte dies den Erfolg des Stärkungspaktes nicht schmälern – ein Erfolg, den SPD und Grüne gerne ausschließlich für sich reklamieren.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Nein!)

Zur Wahrheit gehört aber auch, wie der Kollege Nettelstroth es gerade angesprochen hatte, dass die beteiligten Kommunen die Unterstützung des Landes auch nicht zum Nulltarif bekommen haben. Neben der Solidarumlage gab es auch große Kraftanstrengungen in den Verwaltungen, in den Stadt- und Gemeinderäten, außerdem sehr viele unbequeme Debatten – unbequem, aber gleichzeitig sicherlich auch notwendig.

Eines mir an dieser Stelle auch noch wichtig zu sagen, auch wenn wir möglicherweise noch auf aktuelle Zahlen für den einen oder anderen Zeitraum warten: Der Stärkungspakt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, war und ist mehr als ein reines Programm zur Steuererhöhung. Herr Kollege Nettelstroth, Sie haben eben Zahlen genannt, zum Beispiel zur Grundsteuererhöhung in den vom Stärkungspakt betroffenen Kommunen.

Wenn ich das richtig im Kopf habe – ich müsste das noch einmal genau nachsehen –, haben in den letzten zehn Jahren über 90 % der Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Grundsteuern zum Teil spürbar erhöht. Von diesen 90 % sind die meisten Kommunen nicht im Stärkungspakt. Das heißt nicht, dass wir an dieser Stelle kein Problem hätten, verstehen Sie mich da bitte nicht falsch, es zeigt aber, dass zumindest der Hinweis, das läge alles am Stärkungspakt, so nicht ganz zutreffen kann.

(Beifall von der FDP und von Michael Hübner [SPD])

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Kommunen bei den Sozialkosten erhebliche Entlastungen durch den Bund erfahren haben, dass wir nach wie vor eine sehr positive wirtschaftliche Entwicklung haben, und – das ist eben schon angeklungen – dass im Moment das Geld aufgrund der historisch niedrigen Zinsen für die Kommunen nahezu umsonst, in manchen Bereichen zum Teil schon zu Negativzinsen, zur Verfügung steht.

All das zeigt, dass wir uns nicht ausruhen und uns nicht in falscher Sicherheit wähnen dürfen, sondern dass da große Risiken schlummern. Diese Situation ist umso mehr eine Aufgabe für die Landespolitik; denn es könnte ganz schnell alles ganz anders aussehen, da die kommunale Finanzdecke in Nordrhein-Westfalen insgesamt weiterhin zu kurz ist.

Carl Georg Müller vom Städte- und Gemeindebund sprach in der Anhörung von einer strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Ich sage aber selbstbewusst: Ohne den Stärkungspakt wäre die Decke noch kürzer und noch dünner.

Mit der Einführung des Stärkungspakts II wurden dann vermeintlich finanziell gesunde Kommunen an der Finanzierung beteiligt. Das war für uns Freie Demokraten der Moment, aus der Unterstützung auszusteigen. Manch ein Kollege der SPD sieht das vor Ort auch etwas anders, als das hier so kommuniziert wird. Der Kollege Thiel hat zum Beispiel kürzlich noch im Kreistag des Rheinkreises Neuss für eine niedrige Kreisumlage geworben, weil die vielen Kommunen im Rheinkreis Neuss doch finanziell so stark angeschlagen wären und durch den Kreis nicht zusätzlich belastet werden sollten.

Gleichzeitig sind viele von diesen Kommunen über die Abundanzumlage als vermeintlich finanziell gut aufgestellt eingeordnet worden und werden jetzt an der Finanzierung des Stärkungspakts beteiligt. Da steht für uns fest, dass man den Schwachen nicht helfen kann, indem man die Starken schwächt. Das hat Potenzial, um einen Keil in die kommunale Familie zu treiben. An dieser Stelle und in diesen Punkten sind wir übrigens auch nah beim Entschließungsantrag der CDU-Fraktion, den wir aber nicht bis ins letzte Detail teilen. Darum sage ich, dass wir uns an dieser Stelle enthalten werden.

Mit der dritten Stufe werden maximal fünf weitere Kommunen Hilfe erfahren können. Wenn ich das eben richtig verstanden habe, hat der Kollege Dahm unter anderem von der Kommune Leer gesprochen. Wenn ich mich recht erinnere und nicht täusche, liegt Leer in Niedersachsen. Sie meinten wahrscheinlich die Gemeinde Laer, geschrieben mit ae, dem westfälischen Dehnungs-E – schöne Grüße aus dem Münsterland. Das soll aber an unserem Abstimmungsverhalten weder in die eine noch in die andere Richtung etwas ändern. Aufgrund der Abundanzumlage und der Mitfinanzierung durch die Kommunen lehnen wir auch die dritte Stufe ab.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Höne. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Sommer das Wort.

Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal und natürlich auch im Livestream! Wir reden über die dritte Stufe des Stärkungspaktes im Zusammenhang mit dem Kommunalfinanzierungsgesetz. Dabei geht es darum, dass wir ganz viele Kommunen in NRW haben, die nicht nur ver-, sondern auch überschuldet sind. Deshalb gibt es den Stärkungspakt I, II und III. Das ist hier vielfach schon ausgeführt worden.

Heute reden wir nur über den Stärkungspakt III. Dieser Stärkungspakt III soll Kommunen helfen, aus ihrer Schuldenfalle ein wenig herauszukommen und handlungsfähig zu bleiben. Passiert das? – Aus der Schuldenfalle herauskommen werden sie damit nicht. Sie werden damit Zeit kaufen können. Obwohl sie hoch verschuldet sind, werden sie handlungsfähig bleiben.

Warum kaufen wir also Zeit über ein derart komplexes System? – Das machen wir deshalb, weil wir hoffen, dass die Zinsen niedrig bleiben – das haben die Kollegen Nettelstroth und Höhne auch schon gesagt – und dass die Steuereinnahmen weiter steigen, um es auf diesem Weg zu schaffen, dass die Kommunen ihre Haushalte ein bisschen ausgleichen können. Ob das wirklich so eintritt, wird sich zeigen. Es ist ja hauptsächlich Hoffnung, die da mitschwingt.

Es ist eben auch schon gesagt worden: Die eigenen Steuereinnahmen können kaum noch weiter erhöht werden, auch wenn bei vielen Kommunen rechnerisch das Ende noch nicht erreicht ist. Aber es gibt ja einen Unterschied zwischen dem rechnerisch Erreichbaren und dem Durchsetzbaren in der Gemeinde oder der Kommune. Dort sind wir vielfach bereits am Ende einer durchsetzbaren Erhöhung der Gewerbe- und Grundsteuern angelangt.

Warum die Hoffnung, dass die Zeit das heilen wird, eventuell auch trügerisch ist, kann ich Ihnen sagen: Wir hatten heute Morgen ja diese Diskussion zum Thema „steigende Zinsen“. Herr Walter-Borjans hat den Kollegen Schulz dahin gehend korrigiert, dass Bund und Länder eben kein Problem damit hätten, wenn Zinsen steigen würden, weil sie dann lange anlegen könnten, also Verträge wie zum Beispiel 30-jährige Anleihen laufen lassen können.

Das ist für die Länder und für den Bund eine gute Sache, aber – Herr Nettelstroth wies eben darauf hin – Kommunen haben diese Möglichkeit eben nicht. Die Kommunen stehen vor dem Problem, dass es diese große Verschuldung, diese Überschuldung eigentlich gar nicht geben darf. Dementsprechend dürfen Kommunen derartige Anleihen über solch lange Zeiträume gar nicht tätigen.

Kommt es auch nur zu einer Erhöhung der Zinsen um 1 %, schlägt das bei den Kommunen relativ schnell durch. Dann haben wir ein richtiges Problem. Dann müssen wir nicht mehr über den Stärkungspakt I, II oder III reden, sondern über das grundsätzliche Problem, nämlich die auskömmliche Finanzierung von Kommunen.

Da fehlt uns ganz viel, angefangen bei der Transparenz. Die Kommunen haben sehr viele Aufgaben, sogenannte Pflichtaufgaben, die sie auf der Grundlage von Landesgesetzen und Bundesgesetzen erledigen müssen. Ob die Kommunen auskömmlich finanziert sind, kann mir oftmals noch einmal der Kämmerer wirklich genau sagen, weil das alles so volatil ist und in jedem Jahr von so vielen Faktoren abhängt, dass es nicht ganz klar ist, ob die Zuschüsse aus den oberen Gliederungen, also vom Land oder vom Bund, für die einzelnen Pflichtaufgaben wirklich reichen.

Das ist ein Ansatzpunkt, der hier vielfach vergessen wird. Es muss zunächst mal eine vollkommene Transparenz der Geldflüsse und auch der Leistungen hergestellt werden. Dann muss man auch so ehrlich sein, zu sagen, dass wir die Kommunen nicht so einfach werden vergleichen können, auch wenn wir das mit dem neuen kommunalen Finanzmanagement immer vorhaben. Das wird nicht möglich sein. Eine Kommune im Ruhrgebiet wird anders zu bewerten sein, bzw. die Aufgaben werden andere sein als beispielsweise die von Kommunen im Münsterland.

Da müssen wir zu objektiven Betrachtungsweisen kommen. Dazu kommen wir derzeit nicht, und das behebt auch der Stärkungspakt III nicht.

Der Entschließungsantrag der CDU geht meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Mir fehlt dabei aber noch etwas. Deshalb empfehle ich meiner Fraktion, sich beim Entschließungsantrag zu enthalten. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir diesen Entschließungsantrag früher in der Beratungsphase gehabt hätten. Dann hätten wir über die einzelnen Dinge noch intensiver beraten können. Das wäre sinnvoller gewesen.

Insgesamt muss man sagen, dass auch dieser Stärkungspakt III, selbst wenn es jetzt fünf Kommunen betrifft, diesen fünf Kommunen vielleicht ein bisschen Zeit erkauft, am grundsätzlichen Problem der kommunalen Unterfinanzierung in Nordrhein-Westfalen jedoch nichts ändert. Daher kann ich meiner Fraktion nur empfehlen, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht in Vertretung von Minister Jäger Frau Ministerin Schulze. Bitte.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stärkungspakt ist die Antwort dieses Landes auf die tiefe Finanzkrise, in der sich unsere Kommunen 2010 befanden.

In 2010, also in dem Jahr, bevor der Stärkungspakt aufgelegt wurde, betrug das Haushaltsdefizit der heute am Stärkungspakt teilnehmenden Gemeinden rund 2,2 Milliarden €. Im vergangenen Jahr waren es nur noch rund 450 Millionen €. Das ist ein Rückgang von 80 %. In 2010 haben die heutigen Stärkungspaktgemeinden zusammen für 1,6 Milliarden € neue Liquiditätskredite aufgenommen. In 2015 ist dieser Betrag um fast 400 Millionen € gesunken. Das ist der erste Schuldenrückgang seit dem Jahr 1999.

Die Tatsache, dass in diesem und in den nächsten zwei Jahren Gemeinden einen Haushaltsausgleich erzielen, der in den vergangenen Jahren selbst bei niedrigen Zinsen oder guten Steuereinnahmen undenkbar war, lässt sich nicht wegdiskutieren und ist sicherlich auch ein Verdienst der Aktivitäten des Landes.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Der Stärkungspakt allein kann aber keine dauerhafte Trendwende bewirken. Der Bund muss seiner Verantwortung für die Soziallasten ebenfalls gerecht werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag, der Wirkung zeigt.

Die dritte und letzte Stufe des Stärkungspaktes war und ist bereits im Gesetz angelegt. Die ersten Konsolidierungshilfen dieser dritten Stufe werden im nächsten Jahr zum ersten Mal gezahlt. Die Teilnahme erfolgt freiwillig. Bewerben können sich die Gemeinden, die bis einschließlich 2015 überschuldet waren und dies durch den Jahresabschluss 2014 oder die Haushaltsdaten von 2015 nachweisen können. Die Höhe der Konsolidierungshilfe richtet sich nach dem durchschnittlichen Ergebnis der laufenden Verwaltungstätigkeit der Jahresabschlüsse 2013 und 2014. Von diesem Wert erhalten die Gemeinden, dem bisherigen Wert entsprechend, 29,38 %. Zusätzlich erhält jede Kommune, wie auch bei den Stufen I und II, 25,89 € pro Einwohner.

Die Teilnehmer müssen den Haushaltsausgleich spätestens 2020 erreichen, die Konsolidierungshilfe nach dem erstmaligen Erreichen des Ausgleiches schrittweise abbauen und den Haushaltsausgleich ohne Konsolidierungshilfe spätestens im Jahr 2023 erreichen.

Das ist ein gutes Gesetz, und ich hoffe auf Ihre breite Zustimmung! – Ganz herzlichen Dank!

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin! – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Gesetzentwurf Drucksache 16/12785. Der Ausschuss für Kommunalpolitik empfiehlt in Drucksache 16/13324, den Gesetzentwurf Drucksache 16/12785 unverändert anzunehmen. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Ich darf fragen, wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte. Den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP, die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schwerd. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann darf ich feststellen, dass damit der Gesetzentwurf Drucksache 16/12785 angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/13412. Wer ist für den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion? – Die CDU-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Es gibt eine gewisse Zögerlichkeit, aber jetzt sieht es so aus, als ob SPD und Bündnis 90/Die Grünen dagegen stimmen. Gibt es Enthaltungen? – Das sind FDP, Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schwerd. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/13412 abgelehnt.

Ich rufe auf:

10 Aufnahme und echter Schutz für syrische Flüchtlinge!

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13303

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende Piratenfraktion Frau Kollegin Brand das Wort. Bitte, Frau Brand.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Rennen Sie nicht alle raus, es geht um Menschenleben! Ich möchte heute mit einem Zitat von Tucholsky beginnen:

„Recht kann man nur in bedrohten Lagen erkennen. Wenn es da nicht gilt, dann taugt es nichts. Im Alltag, wo nichts vor sich geht, kann jeder ein Rechtsbewahrer sein.“

Genau das erleben wir gerade. Rechte werden gebeugt und so weit verstümmelt, dass sie faktisch nicht mehr gelten. Insbesondere unser Asylrecht wurde in den letzten Jahren so oft geändert und verschärft, dass sich jetzt nur noch wenige Experten mit dem Schutz für Asylsuchende auskennen.

Mittlerweile sind wir so weit, dass wir nicht einmal mehr politisch Verfolgten Asyl nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz gewähren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns hier und heute im Landtag von Nordrhein-Westfalen diesem Anliegen widmen und uns mit echtem Schutz für politisch Verfolgte beschäftigen.

Sie können Ihr Totschlagargument ruhig in der Schublade lassen: Dieses Thema läuft auf Bundesebene, das gehört nicht auf Landesebene. Zeitgleich mit uns bringen die rot-grünen Kollegen von Ihnen in Schleswig-Holstein einen ähnlichen Antrag ein, weil auch sie, genau wie wir, erkannt haben, wie wichtig es ist, dass man sich auf allen Ebenen gegen dieses Unrecht einsetzt.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren wurde eine zweijährige Wartefrist für den Familienzuzug für subsidiär geschützte Menschen eingeführt. Damals hieß es vonseiten der SPD, dass diese Neuregelung nur ganz wenige Menschen betreffen würde. Wir Piraten lehnten das gesamte sogenannte Asylpaket II ab. Es ist inhuman, und es bedeutet eine Pervertierung des Asylrechts.

Das machten wir auch hier im Landtag deutlich. Sie erinnern sich sicherlich an die Debatte. Insbesondere die rot-grünen Abgeordneten beteuerten, dass sie das Asylpaket II ebenfalls in großen Teilen ablehnen würden, aber doch leider nichts machen könnten, da es sich bei dem Gesetz lediglich um ein Einspruchsgesetz handle.

Seit Inkrafttreten des Gesetzes gewähren die Entscheider des BAMF Tausenden Schutzsuchenden aus Eritrea, dem Irak und Syrien nicht mehr den vollen, sondern nur noch den subsidiären Flüchtlingsschutz. 2015 wurde noch bei nahezu 100 % der syrischen Geflüchteten eine echte Flüchtlingseigenschaft anerkannt, im April 2016 noch bei 84 %, im Juni bei 54 %, im August nur noch bei 30 %. 30 % der syrischen Flüchtlinge – das heißt, 70 % können ihre Familien nicht nachholen.

Was steckt denn hinter dieser nackten Zahl? Das sind doch Menschen! Viele von uns wissen, wie Menschen in Flüchtlingslagern außerhalb von Europa untergebracht sind, und über diejenigen, die sich in Kriegsgebieten aufhalten – davon gibt es sehr viele –, möchte ich gar nicht nachdenken. Sie sitzen nämlich nicht mit einem Schirmchen-Drink in der Hand in Tanga am Strand und warten darauf, dass sie geholt werden, sondern sie befinden sich in lebensbedrohlichen Situationen, in Todesgefahr – und das jeden Tag. Und diese Menschen lassen wir jetzt schön zwei Jahre warten. Genau davor haben wir damals schon gewarnt.

Meine Damen und Herren, Sie beteuern, Sie können dafür nichts, es war ja kein Gesetz, bei dem eine Entscheidung des Bundesrats gewollt war, nur ein Einspruchsgesetz, weil es sich angeblich nicht auf die Länder auswirkt. Wir sehen: Das ist Quatsch. Und Sie haben noch nicht mal Einspruch erhoben; dafür sollten Sie sich schämen!

Jetzt schlagen sich unsere Verwaltungsgerichte mit den Tausenden von Klagen von verzweifelten Syrern rum, allein 700 Klagen sind beim Verwaltungsgericht Münster anhängig. Die Verwaltungsgerichte geben den Menschen recht und erkennen den grundsätzlichen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an, zumal viele von ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien auch mit politischer Verfolgung durch das Assad-Regime rechnen müssen.

Das Bundesinnenministerium musste im Oktober 2016 bekannt geben, dass ca. 19.500 Klagen von Syrerinnen und Syrern bei den Verwaltungsgerichten eingegangen seien. Bisher wurden erst rund 1.900 Entscheidungen bei den Gerichten getroffen; davon bekamen 1.400 Kläger recht. Die aktuellen Zahlen von heute aus Berlin zeigen: Die Gerichte werden auf Jahre hin komplett blockiert sein, weil sie Entscheidungen zu treffen haben und nicht hinterherkommen – und das alles wegen diesem unsäglichen

(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)

– ich komme zum Ende – § 104 Abs. 13 des Aufenthaltsgesetzes. Deshalb bitte ich Sie: Setzen Sie sich mit uns auch auf dieser Ebene dafür ein, diese unselige Vorschrift abzuschaffen! – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brand. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Körfges das Wort.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Brand, Ihr Engagement für eine humanitäre Flüchtlingspolitik ehrt Sie sicherlich. Ich fange aber genau mit dem an, was Sie befürchtet haben, nämlich mit der formellen Sicht der Dinge. Diese Sicht ist hier jedoch zu berücksichtigen.

Weder im legislativen noch im exekutiven Bereich liegt hier bei den Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Status der schutzsuchenden Menschen politisch und verwaltungsmäßig ergeben, eine Angelegenheit vor, für die wir zuständig wären. Diese Angelegenheiten liegen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Bundes.

Selbstverständlich – das ist Ihr gutes parlamentarisches Recht – können Sie diese Probleme hier ansprechen und politisch diskutieren. Ohne jeden Zweifel jedoch fällt der § 104 Abs. 13 des Aufenthaltsgesetzes nicht in unsere Regelungskompetenz.

Sie haben ja zu Recht darauf hingewiesen, dass wir es hier mit einem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz zu tun haben. Insoweit ist die Frage, was man mit einer politischen Initiative seitens eines Landesparlaments bewirken kann, wenn man das Bewirken für notwendig hält, eine Frage, die man sicherlich stellen muss.

Die Regelung, über die wir hier reden, betrifft den Familiennachzug von Menschen, denen ein subsidiärer Schutz als Bürgerkriegsflüchtling vom BAMF zuerkannt wird, und gilt – die zeitliche Befristung haben Sie, glaube ich, nicht angesprochen – bis zum 16. März 2018. Diese Aussetzung – das räume ich absolut ein – ist weder politisch noch juristisch unumstritten.

Ich erlaube mir da auch einen kleinen Hinweis auf eine Fundstelle. Zum Beispiel hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages im Zusammenhang mit der Frage der Vereinbarkeit einer Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen auseinandergesetzt und kommt zu einer sehr kritischen Bewertung.

Die Gefährdung durch Bürgerkriegssituationen kann nach Meinung der Bundesregierung zur geltenden Rechtslage auch einen nur subsidiären Schutz begründen. Doch das wird – auch das ist angesprochen worden – von den Gerichten im Einzelfall jeweils anders beurteilt. Davon machen die Gerichte ausführlich Gebrauch. Sie erkennen nämlich nach den Umständen des Einzelfalls weitergehenden Flüchtlingsschutz zu.

Ich bin sehr zufrieden damit, dass unser Rechtsstaat insoweit funktioniert. Der vom BAMF angestrebten obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Klärung wird nicht nur von mir mit Spannung entgegengesehen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ vom 18. Oktober 2016 berichtet, dass die Verwaltungsgerichte im Augenblick mit einer erheblichen Belastung zu tun haben, weil immer mehr Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland nur noch eingeschränkten Flüchtlingsschutz erhalten. Sie haben die Zahl genannt: In den ersten acht Monaten dieses Jahres gab es mehr als 17.000 Verfahren. Bemerkenswert finde ich auch, dass von den abgeschlossenen Verfahren bis jetzt 90 % zugunsten der Flüchtlinge und mit Bezug auf die Anwendbarkeit der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden wurden.

Das sehen wir alles ein. Ich denke auch, dass diese Frage klärungsbedürftig ist. Nach meinem Verständnis muss das allerdings höchstrichterlich geklärt werden. Wir haben hier keine Klärungsbefugnis.

Darüber hinaus will ich auch die Frage nach dem Anwendungsbereich des Art. 6 Grundgesetz insgesamt – das ist ein ganz interessanter juristischer Punkt – noch einmal in Erwägung bringen.

Nur – jetzt komme ich zu meinem Schuss, der sich von Ihrem unterscheidet –: Auf der einen Seite lehnen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Asylpaket II nicht ab. Es ist auf Bundesebene so beschlossen worden, und wie das bei Kompromissen so ist, muss man nicht jeden einzelnen Punkt gut finden und mittragen. Der von Ihnen angesprochene Punkt gehört zum Beispiel zu denen, die ich persönlich nicht besonders gut gefunden habe. Das habe ich auch sehr deutlich gesagt.

Nur auf der anderen Seite bringt das Asylpaket II eine maßgebliche Entlastung, zum Beispiel für unsere Kommunen. Das muss man, wenn man hier über Kompromisse redet, sicherlich auch mit berücksichtigen. Aus diesem Grund vertrauen wir darauf, dass die erforderliche Klärung durch das zuständige Gericht, durch die Obergerichte, erfolgen wird.

Wir können Ihrem Antrag deshalb nicht zustimmen, weil wir schließlich Teil des Kompromisses zum Asylpaket II waren. Ich glaube, ich habe hinlänglich klargemacht, dass ich durchaus auch einige kritische Aspekte sehe und nachvollziehen kann.

Nicht nachvollziehen kann ich allerdings das, was Sie im zweiten Teil Ihres Antrages angesprochen haben. Richtig ist, dass bisher nur sehr wenige Menschen im Rahmen des Aufnahmeabkommens von 2015 tatsächlich in Deutschland angekommen sind. Wie Sie diese Tatsache aber durch das Angebot von Aufnahmekapazitäten bekämpfen wollen, erschließt sich nicht automatisch.

Insoweit werden wir beide Teile Ihres Antrages ablehnen, aber, wie gesagt, was die Kritik an der Grundsache angeht, auch seitens der Rechtsprechung, können wir durchaus das eine oder andere unterstützen. Wir werden Ihrem Antrag aber trotzdem nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Körfges. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Güler das Wort.

Serap Güler (CDU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Simone Brand, als ich Sie hier reden hörte, hatte ich teilweise das Gefühl, dass wir nicht in Deutschland, sondern in Ungarn leben. Ich weiß nicht, ob ich Sie daran erinnern muss, dass dieses Land letztes Jahr knapp 900.000 Menschen aufgenommen hat.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie sprechen hier so, als würden hier in Deutschland – letztes Jahr oder auch aktuell – mehr Menschen abgewiesen als aufgenommen. Ich habe gleich ein paar Zahlen für Sie. Wenn Sie die Zahlen wirklich kennen würden, dann würden Sie anders sprechen.

(Simone Brand [PIRATEN]: Nein!)

Wenn Sie die Zahlen kennen und trotzdem so sprechen, dann muss man an dieser Stelle sagen: Wie viele Ihrer Anträge, ist auch dieser Antrag sicherlich gut gemeint – das räume ich ein –, aber zum Teil inhaltlich einfach nicht richtig, zum Teil schießt er auch über das Ziel hinaus.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Einigkeit besteht darin, dass wir sagen: Syrische Flüchtlinge sollten aufgenommen werden, und ihnen muss Schutz geboten werden. – Aber genau das passiert doch in unserem Land.

Falsch und unzutreffend in Ihrem Antrag ist, dass nicht das Asylpaket II dafür sorgt, dass Syrer vermehrt subsidiären Schutz erhalten, sondern ganz einfach die Umstellung der Praxis beim BAMF, das weg von einem schriftlichen Verfahren und hin zu einer echten Anhörung gekommen ist.

Das halten wir für richtig. Denn auch syrische Flüchtlinge sollen bei einem Anhörungstermin ihr Asylgesuch vortragen können, damit es nicht in einem reinen Papierverfahren zu einer Entscheidung kommt. Und auch aus sicherheitsrelevanten Gründen wollen wir nicht zurück zu der Praxis von vor einem Jahr.

Jetzt komme ich zu den Gründen, wieso das BAMF diese Umstellung vorgenommen hat.

Erstens. Schriftliche Verfahren für Antragsteller aus Syrien haben sich als zu grobmaschig und unter dem Gesichtspunkt der Identifizierung und der öffentlichen Sicherheit in Deutschland als zu lückenhaft erwiesen.

Zweitens. Die Erfassung der Staatsangehörigkeit beruht nur auf Angaben der Asylsuchenden selbst, insbesondere wenn keine Identitätsdokumente vorgelegt werden. Das Problem ist aber – das wissen Sie auch –, dass es ganz viele Menschen gegeben hat, auch im letzten Jahr, die sich als Syrer ausgegeben haben, aber letztendlich gar keine Syrer waren.

(Zuruf von Simone Brand [PIRATEN])

Richtig ist, Frau Brand, dass durch eine Praxisumstellung nun häufig kein Asyl bzw. Flüchtlingsschutz nach geltendem Aufenthaltsgesetz gewährt werden kann, sondern für Syrer vermehrt der sogenannte subsidiäre Schutz gewährt wird. Richtig ist, dass sich SPD und CDU auf Bundesebene darauf verständigt haben, den Familiennachzug für die Gruppe der subsidiär Schutzbedürftigen bis zum 16. März 2018 auszusetzen.

Dies war und ist – zugegeben – eine harte Entscheidung. Aber sie war gleichzeitig notwendig – darauf ist Herr Körfges in seiner Rede auch eingegangen –, um eine Überbelastung der Aufnahmesysteme in Deutschland zu verhindern, die in den letzten Monaten unstrittig in einen Notfallmodus gekommen sind. Sie ist angemessen, um zu vermeiden, dass Eltern ihre Kinder vorschicken, um anschließend selbst nachzukommen. Alleine aus diesem Grund war und ist diese Umstellung auch nach wie vor richtig.

Bereits bis zum 1. August 2015 war der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige ausgesetzt. Somit war dies eine Rückkehr zu dem Rechtszustand vor dem 1. August 2015. Auch das sei hier einfach noch einmal angemerkt. Deshalb stellt sich auch die Frage: Zu welcher Regelung wollen Sie eigentlich zurück?

(Simone Brand [PIRATEN]: Zu der von 2015! – Torsten Sommer [PIRATEN]: Das hat sie doch gesagt!)

Vielleicht ist es einfach notwendig, dass man die Gründe für Schutzsuchende hier noch einmal auflistet. Das erscheint an dieser Stelle wichtig. Das ist Artikel 16a Grundgesetz, wonach denjenigen, die politisch verfolgt werden, Schutz gewährt wird. Das sind die allerwenigsten, wie Sie auch wissen.

Die meisten bekommen den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Das gilt natürlich auch für Syrer, sofern sie nachweisen können, dass sie beispielsweise vor der Terrormiliz IS flüchten.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Kriegen die da einen Stempel und Passierschein?)

Das ist heute auch noch möglich. Sie wissen auch, dass viele Schutzbedürftige nach dieser Regel anerkannt werden.

Dann sind wir beim subsidiären Schutz. Der betrifft alle, die zu befürchten haben, dass ihr Leben im Herkunftsland bedroht wird. Das sind aufgrund des dortigen Bürgerkrieges nun einmal die meisten, die aus Syrien kommen.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Inzwischen auch in der Türkei! Demnächst auch in den USA! Danke!)

Deshalb, Frau Brand, noch einmal: Ihr Antrag ist gut gemeint, enthält aber handwerkliche Fehler; denn rechtlich gesehen können Sie gar keine Argumente gegen den subsidiären Schutz bringen. Ich habe Ihnen die Gründe gerade noch einmal genannt.

Deshalb werden wir an dieser Stelle heute auch Ihren Antrag ablehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Güler. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort.

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen teilen im Wesentlichen die Kritik am Asylpaket II. Ja, auch wir halten es für grundsätzlich falsch, diesen schwächeren Schutzstatus, diesen subsidiären Schutz damit zu verbinden, dass der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt wird; denn der Schutz von Familie muss auch für Flüchtlinge gelten, sodass sie ihre Kernfamilie nachholen können. Es ist ja auch richtig so. Diese haben sie zumeist in Elend oder in größter Not zurückgelassen, und sie sind zum Teil dort, wo sie leben, auch nicht versorgt.

Zum anderen halten wir es integrationspolitisch für verfehlt, die Familien nicht nachzuholen. Ich habe selbst im Gespräch mit Betroffenen erlebt, wie jemand seine Familie weiterhin in großer Not weiß. Hier wird jetzt der Anspruch formuliert: Gehe zu deinem Deutschkurs und sei ganz motiviert und integriere dich hier. – Derjenige hat seine Familie ein oder zwei Jahre nicht gesehen und weiß nicht, ob sie es überhaupt noch schafft, herzukommen und diese Situation durchsteht.

In der Analyse finden wir also diese Regelung falsch. Als sie verabschiedet war – welch Zufall –, stiegen dann auch die Zahlen derjenigen an, die den schwächeren Schutzstatus bekamen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Natürlich ist das BAMF bei dieser Entscheidungspraxis im Hintergrund verstärkt auf den subsidiären Schutz gegangen, um den Familiennachzug zu drosseln. Wie gesagt, aus den genannten Gründen finden wir das falsch.

Leider werden es die Gerichte entscheiden. Das sehe ich in der Tat so. Der Bundestag hat es entschieden. Im Bundesrat – der Kollege Körfges hat es gesagt – war es eben nicht zustimmungspflichtig. Wir hatten die Debatte hier auch schon einmal im Landtag. Es ist müßig, jetzt über den Bundesrat zu lamentieren. Er konnte am Ende dieses Gesetz nicht verhindern. Das war nun einmal so.

Wir Grünen hätten sicher, wenn es denn zustimmungspflichtig gewesen wäre, hier auch noch einmal alles in die Waagschale geworfen, um gerade diesen Passus rauszubekommen. Das war es nicht, sodass jetzt am Ende die Gerichte an der Reihe sind. Leider haben die Verfahren auch nordrhein-westfälische Verwaltungsgerichte sehr stark belastet. Wir sehen, dass das nach und nach jetzt bei den Oberverwaltungsgerichten landet. Das BAMF geht auch regelmäßig in Berufung, wenn das Verwaltungsgericht den Anspruch akzeptiert, Familie nachzuholen, und einen anderen Schutzstatus zuerkennt. Am Ende wird es beim Bundesverwaltungsgericht landen, und dann wissen wir mehr. Leider, das sage ich hier ganz ehrlich für meine Fraktion, ersetzen hier die Gerichte die Unfähigkeit von Politik, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin.

Monika Düker (GRÜNE): Das haben wir häufig. Aber deswegen haben wir auch die dritte Gewalt. Wir hier im Landtag – Frau Brand, das ist jetzt hart, aber das muss ich Ihnen auch sagen – können an dieser Situation nichts mehr ändern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin.

Monika Düker (GRÜNE): Das ist so. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen, weil wir hier derzeit keinerlei Einflussmöglichkeit haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Düker, würden Sie noch eine Zwischenfrage der von Ihnen soeben namentlich erwähnten Frau Kollegin Brand zulassen?

Monika Düker (GRÜNE): Bitte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Simone Brand (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Düker, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben jetzt ganz deutlich gesagt: Das müssen die Gerichte klären, und wir haben hier keine Einflussnahme. – Können Sie mir dann bitte erklären, warum sich sowohl die Grünen auf Bundesebene als auch wie eben erwähnt die SPD und die Grünen gemeinsam in Schleswig-Holstein auch in Form eines Antrages für die Abschaffung des Paragrafen einsetzen, wenn das offensichtlich komplett sinnlos ist?

Monika Düker (GRÜNE): Ich habe hier für meine Fraktion erklärt, dass wir gegen diese Regelung sind. Herr Körfges hat hier die Position der SPD dargestellt. Daraus können Sie sich zusammenreimen, wie die Position von Rot-Grün aussieht. Ich glaube, das haben wir sehr deutlich gemacht. Kollege Körfges hat es etwas differenzierter ausgeführt, aber durchaus auch Kritik geäußert. Ich sage es etwas klarer. Also, das ist hier die Äußerung von Rot-Grün. Im Bundestag hat die Fraktion der Grünen dem Asylpaket nicht zugestimmt. Insofern sind die Grünen da sehr klar in der Aussage.

Ich teile aber Ihre Feststellung nicht. Sie sagen hier, dass umgehend zur Praxis des Jahres 2015 zurückgekehrt werden soll. Diese Schlussfolgerung halte ich für falsch. Denn im Jahre 2015 wurden Anerkennungen allein aufgrund eines schriftlichen Anhörungsverfahrens ausgesprochen, und dann eine 100-%-Quote. Das halte ich auch für falsch. Ein individuelles Anhörungsverfahren gehört nämlich für mich zu einer Entscheidung, ob jemand in unserem Land bleiben darf oder nicht, immer auch dazu. Also, eine Rückkehr zu diesem Verfahren lehnen auch wir ab.

Am Ende muss man auch sagen, dass über dieses schriftliche Anhörungsverfahren letztlich auch Missbrauch – der gehört auch nun einmal zur Wahrheit – Tür und Tor geöffnet wird. Wir wissen auch, dass Sicherheitsaspekte bei diesen Entscheidungen eine große Rolle spielen. Deswegen meine ich, dass eine Praxis wie 2015 abzulehnen ist.

Wir wollen ein vernünftiges, individuelles Anhörungsverfahren, ein rechtsstaatliches Verfahren, und dann bekommt jeder, der hier perspektivisch bleiben darf – ob subsidiären Schutz oder einen vollen GFK-Schutz oder sogar eine Asylanerkennung –, das Recht, seine Familie nachzuholen; denn nach unserem Grundgesetz gilt der Schutz von Ehe und Familie auch für Flüchtlinge und hilft auch der Integration. Unsere Position habe ich, denke ich, ausreichend klargemacht. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Piraten hier schon ein bisschen die Finger in die Wunde gelegt haben. Und so, wie ich das – ich darf das einmal so despektierlich sagen – Geeiere vom Kollegen Körfges eben gehört habe,

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

wie man sich gewunden hat, warum sich auf einmal die Zahlen beim subsidiären Schutz so entwickelt haben, ist das ein Thema, das durchaus diskutabel ist. Es war dann ja auch wiederum bemerkenswert, dass die Kollegin Güler versucht hat, den Dilettantismus von Herrn de Maizière im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu rechtfertigen. Mal gab es die schriftliche Anhörung, mal war es wieder die mündliche – immer ein bisschen saisonal, wie es gerade medial gefordert war

(Beifall von Torsten Sommer [PIRATEN])

und wie gerade die Stimmung im Land gewesen ist.

Aber das alles zeigt doch, dass wir letztendlich in der Situation sind, dass wir für Bürgerkriegsflüchtlinge eigentlich einen eigenen Status brauchen. Wir haben Ihnen dazu bereits vor einem Jahr einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Die Kollegen in Schleswig-Holstein haben das dort mit Mehrheit von SPD, Grünen, Südschleswigschem Wählerverband und Freien Demokraten entsprechend beschlossen.

Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, eine gemeinsame Bundesratsinitiative für einen eigenen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge auf den Weg zu bringen, der nach der entsprechenden Sicherheitsüberprüfung für den Zeitraum des Krieges einen vorübergehenden humanitären Schutz vorsieht und wo bei entsprechender Integration die Chance besteht, sich im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes auch für einen dauerhaften Verbleib hier zu bewerben.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Körfges zulassen?

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ja, natürlich.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Dr. Stamp, ich bedanke mich dafür, dass ich an der Stelle eine Zwischenfrage stellen kann. Diese bezieht sich auf das Verhältnis der Genfer Flüchtlingskonvention zu diesem subsidiären Schutz. Wie beurteilen Sie denn die bisher vorliegende Rechtsprechung, die zu 90 % in den angeblich subsidiären Fällen die Genfer Flüchtlingskonvention zur Anwendung bringt mit der Folge, dass es da keine Beschränkung des Familiennachzugs gibt? Das zeigt doch, dass Ihre Initiative ins Leere läuft.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Nein, das zeigt ja nur, dass es notwendig ist, dass wir hier einmal eine vernünftige Rechtssicherheit schaffen. Es ist doch völliger Unsinn, dass wir alle Kriegsflüchtlinge durch das Asylverfahren schicken. Es wäre viel sinnvoller, hier einen einfacheren Titel, der dann auf die Zeit der Notwendigkeit des Schutzes begrenzt ist, zu verleihen, um nicht jeden Flüchtling das komplizierte Asylverfahren durchlaufen zu lassen.

Bei unserem Modell ist übrigens der Familiennachzug auch temporär möglich. Das wäre dann im Sinne des Anliegens, wie es Frau Brand hier vorgetragen hat, aber eben befristet auf den Zeitraum des Krieges.

Das ist unser Modell. Damit wir hier nicht wie bei den bosnischen Flüchtlingen in den 90er-Jahren die Situation haben, dass diejenigen, die sich hier optimal integriert haben, alle wieder nach Hause müssen, wollen wir über eine Einwanderungsregelung geklärt wissen, dass diejenigen, die sich optimal integriert haben, auch bei uns bleiben können. Das ist systematisches Herangehen. Das ist etwas, was wir bei der Bundesregierung vermisst haben – nicht nur bei Thomas de Maizière, sondern auch bei seinem CSU-Vorgänger, der sich in den Talkshows immer ganz besonders hervortat.

Wir haben den Antragsstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit 2008. Da sind schlichtweg die Aufgaben nicht erledigt worden, wie man es von einer vernünftigen Amtsführung erwarten kann. Deswegen sind wir der Meinung, dass wir jetzt den gesamten Komplex der Bürgerkriegsflüchtlinge vernünftig systematisieren müssen.

Wir laden Sie hierzu noch einmal ein. Wir können uns gut vorstellen, das in einem Gesamtpaket als gemeinsame Bundesratsinitiative zu machen, mit einem Einwanderungsgesetz, sodass wir den gesamten Komplex der humanitären Verantwortung und der demografisch notwendigen Zuwanderung in ein geordnetes System bringen, das dann in der Bevölkerung auch breite Akzeptanz finden wird.

Nach meinem Empfinden von dieser Woche, was aus der SPD-Bundestagsfraktion gekommen ist, was zum Teil an Kommentierungen vorliegt, wäre dafür vielleicht ein Ansatz gegeben. Denken Sie alle noch einmal darüber nach. Wir stehen Ihnen für diese Bundesratsinitiative jederzeit zur Verfügung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Landesregierung spricht einmal mehr in Vertretung von Herrn Minister Jäger Frau Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Sie haben schon gemerkt: Wir bewegen uns in dieser Debatte in einem Bereich, der ausschließlich in die Zuständigkeit der Bundesbehörden fällt. Auch die Entscheidung, ob im Einzelfall subsidiärer Schutz oder die Eigenschaft als Flüchtling zuerkannt wird, trifft eine Bundesbehörde, nämlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz das BAMF.

Das BAMF hat Ende 2014 vorübergehend ein schriftliches Verfahren ohne persönliche Anhörung angewandt, um über die hohe Zahl der Anträge syrischer Asylsuchender schneller entscheiden zu können. Das hat in der Folge zu einer hohen Zahl von Flüchtlingsanerkennungen geführt.

Anfang 2016 ist das BAMF dann zum regulären Verfahren mit persönlicher Anhörung und Prüfung des Einzelfalls zurückgekehrt mit der Folge, dass wieder vermehrt Bürgerkriegsschicksale, aber keine individuellen Verfolgungsschicksale ermittelt worden sind. Die Gefährdung durch die Bürgerkriegssituation allein kann nach geltender Rechtslage aber nur einen subsidiären Schutz begründen.

Dass mehrere Gerichte unabhängig von einem Umstand des Einzelfalls Flüchtlingsschutz zuerkennen, ist dem BAMF bekannt. Das Bundesamt strebt in dieser Frage eine obergerichtliche bzw. höchstrichterliche Klärung an.

§ 104 Abs. 13 wurde in das Aufenthaltsgesetz eingefügt, um auch die Integration der nachziehenden Menschen leisten zu können. Dies führt zu einer zeitlichen Verzögerung der Möglichkeit des Familiennachzugs, nicht aber zu dessen Ausschluss.

Was die Kritik am EU-Verteilmechanismus angeht: Ab September dieses Jahres stellt Deutschland monatlich jeweils bis zu 500 Umsiedlungsplätze für Griechenland und Italien zur Verfügung. Ziel ist es, die Umsiedlung innerhalb von zwei Monaten nach erfolgter Tranchen-Meldung abzuschließen. Die entsprechenden Aufnahmekapazitäten sind vorhanden. Hierzu wird auch Nordrhein-Westfalen seinen Beitrag leisten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

 Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Piratenfraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Zu der kommen wir dann auch, und zwar über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/13303. Ich darf fragen, wer dem Antrag der Piratenfraktion zustimmen möchte. – Das ist die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 16/13303 abgelehnt ist.

Ich rufe auf:

11 Beteiligung der WestLB an Cum-Ex-Geschäften umgehend lückenlos aufklären – Eigentümer Land muss zeitnah Offenlegung des umstrittenen angeblich entlastenden Prüfberichts von Ernst & Young vornehmen und sein Aufklärungshandeln darlegen

Eilantrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13390

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 16/13417

Die FDP-Fraktion hat mit Schreiben vom 7. November 2016 fristgerecht diesen Eilantrag eingebracht.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden FDP-Fraktion Herrn Kollegen Witzel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab bekanntlich am letzten Donnerstag eine bemerkenswerte Razzia der Staatsanwaltschaft Düsseldorf mit ihrer Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafrecht bei dem zu 100 % im Landeseigentum befindlichen Unternehmen Portigon AG als Rechtsnachfolger der WestLB.

Der Verdacht auf Durchführung unlauterer Cum-Ex-Geschäfte steht im Raum, was eine besonders perfide Konstruktion ist, sich Steuern erstatten zu lassen in einer Höhe, wie sie selber niemals gezahlt worden sind, und die deshalb unsere ganz besondere Aufmerksamkeit verdient.

Dem Vernehmen nach stehen die Durchsuchungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Steuerfahndung nach einem der zahlreichen Datendiebstähle von Bankdaten, die der Finanzminister auswerten lässt. Es ist schon bezeichnend, wenn der Eigentümer Land erst durch dubiose Datendiebe Kenntnis von den Vorgängen und Zuständen in seinen eigenen Unternehmen erlangt.

Mangelndes Problembewusstsein kann es jedenfalls bei der Landesregierung und auch bei dem Finanzminister als Aufsichtsratsmitglied nicht gegeben haben. Denn spätestens seit Mitte 2013 müssen die Diskussionen über das umstrittene Dividendenstripping dem Finanzminister bekannt sein, da ihn die FDP-Landtagsfraktion schriftlich über die Verdachtsmomente der Marktkreise informiert und dazu auch befragt hat, was in Landtagsdrucksachen dokumentiert ist.

Daher muss der Finanzminister uns die Frage hier im Landtag beantworten, ob bei seinem Anspruch der größtmöglichen Verfolgung von verwerflichen Steuergestaltungen auch im Rahmen seiner eigenen Aufsichtsverantwortung alles Notwendige unternommen worden ist.

Die Exkulpation der WestLB wird dabei insbesondere auf einen Analysebericht von Ernst & Young zu den Cum-Ex-Aktiendeals gestützt. Der Finanzminister sollte deshalb nun als Eigentümer veranlassen, dass dieser Bericht auch veröffentlicht wird, um transparent Umfang, Methodik und Ernsthaftigkeit der dortigen Recherchen nachvollziehen zu können. Bislang wurde unserem diesbezüglichen Wunsch, der auch verschiedentlich hier vorgetragen worden ist, nicht gefolgt.

Laut Internetangaben der Portigon AG handelt es sich bei Ernst & Young im Übrigen auch um den regulären Abschlussprüfer. Ein unbefangener Dritter als Kontrolleur dürfte zu den Kontrollzwecken sicherlich sinnvoller gewesen sein. Welcher Wirtschaftsprüfer räumt schon gern ein, in zurückliegenden Jahren problematische Steuersachverhalte möglicherweise zunächst nicht als solche erkannt zu haben?

Erst mit der Veröffentlichung des Ernst-&-Young-Berichtes kann nachvollzogen werden, ob eine reine Belegprüfung stattgefunden hat oder auch Zeugen befragt worden sind und wie umfangreich die Stichprobe für die Kontrolle gewesen ist. Der Finanzminister sollte uns deshalb auch im Landtag darlegen, ob er aus heutiger Sicht im Jahr 2013 bereits alles Notwendige zur Sachverhaltsaufklärung veranlasst hat.

Da sich die WestLB-Bestände bei der Portigon AG bekanntlich in Abwicklung befinden und es jedes Jahr damit verbunden zahlreiche Personalabgänge gibt, stellt sich die Frage, ob möglicherweise mehrere Jahre an wertvoller Arbeitszeit verloren gegangen sind und heute überhaupt noch alle Unterlagen und seinerzeit handelnde Personen verfügbar sind.

Sie haben, Herr Finanzminister, am letzten Donnerstag im Haushalts- und Finanzausschuss erklärt, es sei doch nachvollziehbar, dass man erst mit einer kleiner dimensionierten Untersuchung startet, um möglicherweise später im Rahmen einer größeren Aufarbeitung noch nachzulegen. Wichtig ist aber die Information für uns, dass bei diesem Vorgehen keine Informationen unwiederbringlich verloren gegangen sind, weil die letzten Jahre vielleicht nicht alles schon gesichert worden ist.

Falls sich die im Raum stehenden Verdachtsmomente bestätigen sollten und auch Anlass für die Erörterung von Strafzahlungen der Bank besteht, dürfte das dem Land wenig Freude bereiten, weil Zahlungen nur in Teilen in der Landeskasse landen, aber letztlich zu 100 % aus Mitteln des Steuerzahlers des Landes erbracht werden müssen.

Wir sehen einmal mehr, der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Die WestLB hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten diesem Land wenig Freude bereitet und Milliardenkosten – auch für die öffentliche Hand – mit sich gebracht. Es wäre sicher besser gewesen, als Staat früher unserer Empfehlung zu folgen, die Dienstleistungen, die am Markt vorhanden sind, auch dort einzukaufen und nicht ständig alle Risiken und die damit verbundenen Umstände beim Staat und damit in der Haftung des Steuerzahlers zu belassen.

(Zuruf von Alexander Vogt [SPD])

Eines ist uns wichtig, dass Sie, Herr Finanzminister, wenn sich die Verdachtsmomente bestätigen sollten, dafür sorgen, dass niemand Unfallflucht begeht – weder von den Vorständen noch von den verantwortlichen Aufsichtsratsmitgliedern. Aus diesem Grund lehnen wir die Entschließung von SPD und Grünen ab. Wir wollen heute keinen Persilschein ausstellen.– Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Zimkeit das Wort.

Stefan Zimkeit*) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Witzel, wenn Sie von Persilschein sprechen, können Sie unseren Antrag augenscheinlich nicht gelesen haben. Aber das ist auch nicht so entscheidend.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das glauben Sie doch bei Herrn Witzel nicht ernsthaft, dass er Ihren Antrag nicht liest!)

– Dann kann es ja nur daran liegen, dass er ihn nicht verstanden hat. Das kann natürlich auch das Problem sein, Herr Stamp. Ich bin positiv davon ausgegangen, dass er ihn nicht gelesen hat, weil die Inhalte andere sind.

Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung steht im Mittelpunkt der Politik dieser Landesregierung – das haben wir ausführlich diskutiert –, und sie tut das ohne Ansehen der Personen und der Gesellschaften. Deshalb wird genauso konsequent gegen private wie auch gegen staatliche mutmaßliche Steuerhinterziehung vorgegangen.

Manchmal habe ich den Eindruck – das unterscheidet die jetzige Landesregierung von dem, was Sie thematisieren, Herr Witzel –, bei Steuerhinterziehungen von Privaten hören wir viel von Bagatellisierung, während Skandalisierung im öffentlichen Bereich stattfindet. Das passt aus meiner Sicht nicht zusammen.

Es ist ein Skandal, dass über diese Cum-Ex-Geschäfte Steuern hinterzogen werden. Da wir Ihre Analyse, was das besondere Vorgehen bei Steuerrückerstattungen im Rahmen von Cum Ex angeht, teilen, Herr Witzel, haben wir ausdrücklich diesen Teil Ihres Antrags, den wir sehr gut fanden, in unseren Antrag übernommen.

Ich möchte noch mal unterstreichen, dass die Ermittlungen nur möglich geworden sind – da war vorhin ein Widerspruch – durch die Politik dieser Landesregierung und dieses Finanzministers, der dazu steht, alle rechtlich gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ohne diese Datenträger, die andere oder Sie hier im Hause nicht benutzen würden, wäre es nicht dazu gekommen, einen mutmaßlichen Steuerbetrug bei der WestLB aufzudecken. Insofern bestätigt auch das aus unserer Sicht dieses Vorgehen.

Wir wissen – Sie haben es erwähnt, Herr Witzel –, dass zu den Vorgängen ein Gutachten von Ernst & Young vorliegt, das zu dem Ergebnis gekommen ist: Es ist zu keinen weiteren Anhaltspunkten für entsprechende Steuerhinterziehungen gekommen. – Das Gutachten ist Ihnen zugänglich gemacht worden.

Wir teilen durchaus die Auffassung, die auch der Minister mehrmals im Ausschuss deutlich gemacht hat: Dieses Gutachten kann und sollte veröffentlicht werden. Sie, Herr Witzel, erwecken aber bewusst einen falschen Eindruck, wenn Sie sagen, der Finanzminister bräuchte die Veröffentlichung nur zu veranlassen. Sie wissen, dass diese Aussage nicht richtig ist.

Die Veröffentlichung ist eine Entscheidung der Portigon, die möglicherweise von Finanzbeziehungen zum Gutachter abhängen kann. Es gibt viele Gutachter – auch das wissen Sie –, die eine Veröffentlichung ihrer Gutachten ablehnen. Deswegen vermitteln Sie bewusst einen falschen Eindruck, wenn Sie so tun, als wenn die Veröffentlichung ausschließlich vom Wunsch der Landesregierung oder des Finanzministers abhängen würde.

Wir wissen, dass hier Aufklärung geboten ist. Deswegen fordern wir alle Beteiligten auf, sich an dieser Aufklärung zu beteiligen – keine schöne Formulierung, aber trotzdem so gewählt. Wir fordern insbesondere auch diejenigen auf, sich zu beteiligen, die in den Zeiträumen Verantwortung getragen haben. Es ist berichtet worden, dass die Datensätze, auf die sich bezogen wird, aus den Jahren 2006/2007 stammen. Ich kann nur alle Beteiligten der damaligen Regierung, die Verantwortung getragen haben, auffordern, zur Aufklärung beizutragen.

SPD und Grüne haben angeregt, Herrn Linssen, der damals Verantwortung getragen hat, in den HFA einzuladen, damit er Gelegenheit hat, Stellung zu nehmen. Dies hat der Vorsitzende leider abgelehnt. Wir hätten es gerne gesehen, wenn auch dieser Teil der Aufklärung möglich geworden wäre. Vielleicht haben wir jetzt noch Gelegenheit dazu.

Für uns bleibt es dabei: Wir werden alle rechtlich gegebenen Mittel ausschöpfen, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen – ohne Ansehen von Personen und Gesellschaften. Dies ist aus unserer Sicht der richtige Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Zimkeit. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Möbius.

Christian Möbius (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Zimkeit, Sie wissen ganz genau, dass ich Ihren Antrag, den früheren Finanzminister in den Haushalts- und Finanzausschuss einzuladen, ablehnen musste, weil rechtliche Hürden vorhanden sind. Er ist Aufsichtsratsmitglied der WestLB gewesen und unterliegt einer Schweigeverpflichtung. Er braucht eine Aussagegenehmigung der amtierenden Landesregierung. Es war in der Kürze der Zeit nicht möglich, diese Genehmigung einzuholen.

(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])

Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag thematisiert die am 3. November 2016 durchgeführte Durchsuchung der Geschäftsräume der Portigon AG. Diese Durchsuchung wurde in einem rechtsstaatlichen Verfahren angeordnet, um zu prüfen, ob der Rechtsvorgänger der Portigon AG, die WestLB, in Cum-Ex-Geschäfte involviert war.

Die Cum-Ex-Geschäfte beschäftigen Justiz und Politik schon seit vielen Jahren. Bei diesen Cum-Ex-Geschäften haben Banken bzw. Investoren Aktiengeschäfte mit dem Ziel getätigt, sich die Kapitalertragsteuer zweimal erstatten zu lassen, obwohl diese nur einmal tatsächlich gezahlt wurde.

Grundlage dieses – in Anführungszeichen – „Geschäfts“ war ein Handel mit Aktien rund um den Dividendentermin: kurz davor mit Dividende, also cum Dividende, und danach ohne Dividende, also ex Dividende. Durch Leerverkäufe und das gezielte Ausnutzen von Fristen fielen der rechtliche und wirtschaftliche Eigentümer der Aktie auseinander. So wurde die Kapitalertragsteuer doppelt bescheinigt und eine Mehrfacherstattung ermöglicht.

Ob sich die WestLB an diesen Geschäften überhaupt beteiligt hat, ist bis heute nicht bewiesen. Eine durchgeführte steuerliche Betriebsprüfung durch das zuständige Finanzamt hat keinerlei Erkenntnisse ergeben, dass die WestLB tatsächlich Cum-Ex-Geschäfte getätigt hat. Auch haben die von der Portigon beauftragten Wirtschaftsprüfer diesbezüglich keinerlei Nachweise gefunden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Vorlagen 16/3492 und 16/3963 des Finanzministeriums, in denen dazu ausführlich Stellung genommen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns gilt der politische Grundsatz, dass wir zu laufenden Strafermittlungsverfahren keine Stellungnahme abgeben. Eine politische Bewertung würde Einfluss auf die laufenden Ermittlungen nehmen. Das wollen wir ausdrücklich nicht.

Entscheidend ist für uns, dass es keine Sonderbehandlung für die Portigon AG gibt.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Die Portigon AG muss sich genauso wie private Kreditinstitute den Ermittlungen stellen.

Dabei ist für uns wichtig, dass hier rückhaltlos aufgeklärt wird, dies aber mit aller gebotenen Sorgfalt. Es helfen keine Schnellschüsse, sondern es ist ein Umfeld erforderlich, in dem die Ermittlungsbehörden in Ruhe ihre Arbeit tätigen können.

Dafür ist es auch gut und richtig, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Portigon AG aktiv an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken.

Daher ist der Wunsch der FDP nach vollständiger und schnellstmöglicher Aufklärung der Frage, ob die WestLB in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war, nur zu unterstützen.

Auch kann ich grundsätzlich den Wunsch der FDP nachvollziehen, den Prüfbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu erhalten. Allerdings hat der Landtag keinen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema eingesetzt bzw. den WestLB-Untersuchungsausschuss nicht mit dieser Frage befasst.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Bringen Sie Herrn Witzel nicht auf komische Ideen!)

Eine öffentliche Diskussion über den angeforderten Prüfbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft würde einer ordnungsgemäßen, objektiven und sauberen Aufklärung durch die Ermittlungsbehörden nach unserer Auffassung im Wege stehen. Politische Bewertungen und politisch erzeugte Unruhe wären in diesem Falle kontraproduktiv.

Darüber hinaus stehen auch beachtenswerte Geschäftsgeheimnisse der Portigon AG, der WestLB sowie beteiligter Dritter und nicht zuletzt vertragliche Vereinbarungen mit der beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dem Wunsch nach Vorlage des Prüfberichts entgegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Verantwortlichen einer Aufklärung in irgendeiner Weise im Wege stehen. Im Gegenteil! Das sage ich ausdrücklich. Dies hat der Vorstand der Portigon AG im Haushalts- und Finanzausschuss deutlich gemacht, aber auch der Finanzminister in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der Portigon AG.

Ich gehe davon aus, dass der Finanzminister den Haushalts- und Finanzausschuss über die weiteren Entwicklungen in dieser Sache auf dem Laufenden halten wird. Daher empfehle ich dringend, zunächst die Ermittlungsergebnisse abzuwarten und erst dann über mögliche politische Konsequenzen und Forderungen zu debattieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Strafermittlungsbehörden auch weiterhin ohne politische Einflussnahme zielgerichtet und zielführend arbeiten können, werden wir uns beim Antrag der FDP der Stimme enthalten. Aus den Augen verlieren werden wir die Angelegenheit aber sicherlich nicht.

Das Gleiche gilt für den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Auch bei diesem werden wir uns der Stimme aus den dargestellten Gründen enthalten. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Möbius. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Jahre lang wurden die Kassen von großen Banken geplündert, Herr Witzel, von J. P. Morgan über UBS bis zu BNP Paribas. Das sind die Namen. Ja, es war wohl auch die WestLB dabei. Aber angesichts der Ausmaße, die durch den Untersuchungsausschuss im Bundestag zutage treten, und gemessen an dem, was in den Zeitungen zu lesen war, jetzt wieder so zu tun und pauschal zu sagen, der Staat sei nicht der bessere Unternehmer, finde ich schon sehr einseitig von Ihnen.

Wir haben erlebt, dass zehn Jahre lang mit diesem dreisten Trick, nämlich Leerverkäufen und doppelter Erstattung der Kapitalertragsteuer, der öffentlichen Hand ein Schaden in Höhe von geschätzt 12 Milliarden € entstanden ist. Es sind 12 Milliarden € Steuerrückerstattungen geflossen, die keine Berechtigung haben. Das ist Betrug im großen Stil.

Wir haben erst dadurch Kenntnis darüber erhalten, dass diese Landesregierung konsequent in dem Bereich Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorgeht und weiterhin konsequent Datensätze ankauft. Deswegen haben wir überhaupt Kenntnis davon, dass in den Jahren bis 2006 die ehemalige WestLB auch ihre Finger im Spiel hatte – wie so oft, wenn es um Schweinereien im Finanzsektor geht.

Die Botschaft, die bei Bekanntwerden vom Finanzminister und von der Landesregierung ausging und die wiederholt wurde, als bekannt wurde, dass am vergangenen Donnerstag die Durchsuchungen bei der Portigon stattfanden, ist eine, die wir als Parlament eigentlich mittragen und nach außen verteidigen müssten, nämlich: Es gibt keinen Unterschied, ob die Steuerhinterziehungen durch öffentliche Hand oder durch Privatbanken geschehen.

Deswegen ist es richtig, dass der Finanzminister es damals in den Interviews gesagt hat. Deswegen wäre das ein gutes Signal. Meines Erachtens ist es nicht richtig, fatal und fast schon postfaktisch, hier so zu tun, wie Sie es damals gemacht haben: Oh, schau mal, die Regierung hat ein Eigentor geschossen.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Regierung hat konsequent aufgeklärt. Wir haben nach wie vor den Entschluss, konsequent gegen Steuerhinterziehung vorzugehen. Deswegen ist es richtig, wenn wir hier allen Leuten draußen sagen: Es gibt keinen Unterschied; es ist egal, ob privat oder öffentlich; wenn es Hinweise gibt, dann gehen wir ihnen nach; dann gehen die Behörden auch in aller Härte dagegen vor.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Auf den Vorwurf der Eigentore und den Unterschied der privaten Banken bin ich bereits eingegangen. Es geht jetzt darum, alle Infos transparent zu machen.

Im Grunde muss dem Vorsitzenden zugestimmt werden, wenn er sagt, dass es keinen Untersuchungsausschuss im Landtag gibt. Auf Drängen der Grünen wurde im Deutschen Bundestag ein solcher Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Wir als regierungstragende Fraktionen haben aber den Wunsch, darauf zu reagieren, wenn hier vonseiten einer Fraktion zumindest versucht wird, draußen den Anschein zu erwecken, es würden nicht alle Informationen veröffentlicht und nicht alles, was man weiß, auf den Tisch gelegt.

Deswegen findet sich in unserem Entschließungsantrag auch die Bitte, dass der Finanzminister als Aufsichtsratsvorsitzender weiterhin darauf drängt, dass das vorliegende Ernst-&-Young-Gutachten veröffentlicht wird, damit das vom Tisch ist und es keinen Grund für irgendjemanden hier im Hause oder darüber hinaus gibt, zu behaupten, es gebe Informationen, die nicht herausgerückt würden. Deswegen ist in aller Entschiedenheit diese Aufforderung nach Transparenz in unserem Entschließungsantrag enthalten. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Herr Kollege Kern.

Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kollegen haben es schon angesprochen, und ich möchte es auch noch einmal betonen: Für die Piraten besteht der zugrunde liegende Skandal darin, dass es möglich war, auf quasi legalem Wege – ich formuliere es einmal so – den Steuerzahler um 12 Milliarden € zu schröpfen.

Ich finde, dass in diesem Zusammenhang „Steuerhinterziehung“ eigentlich noch eine zu euphemistische Formulierung ist. Steuerhinterziehung bedeutet ja: Ich habe Einnahmen gehabt; darauf entfällt eine Steuer, sodass ich etwas davon abgeben muss. – Wie die Kollegen schon richtig angesprochen haben, ist der Vorgang hier noch etwas perfider: Ich habe gar nichts eingenommen, greife aber dem Steuerzahler noch zusätzlich in die Tasche. – Das ist ein Geschäftsmodell, wie es im wahrsten Sinne des Wortes asozialer nicht sein kann.

Was da geschieht, ist gemeingefährlich, weil es die Grundfeste unserer Gesellschaft angreift. Denn ansonsten haben wir demnächst folgendes Problem: Welcher ehrliche Steuerzahler soll das noch verstehen? Warum soll er sich noch verpflichtet fühlen, an das Gemeinwesen Steuern zu zahlen?

Das ist das zugrunde liegende Problem. Deswegen ist dieser Vorgang, den wir jetzt hier besprechen, auch besonders sensibel. Denn hierdurch ist Misstrauen entstanden, und eine ganze Branche hat mitgemacht oder zumindest zugesehen.

Insofern möchte ich dem Kollegen Abel widersprechen. Man konnte diesen Skandal nicht nur durch den Ankauf von Steuer-CDs aufdecken. Ich will das nicht weiter vertiefen. Aber es gab nun wirklich etliche Hinweise darauf – das ist noch und nöcher besprochen worden –, dass das Bundesfinanzministerium hätte handeln müssen. Und es hat nicht gehandelt.

Das erklärt vielleicht auch, warum es hier im Hause unterschiedliche Sichtweisen gibt. Die Parteien, die in dem betreffenden Zeitraum an den Bundesregierungen beteiligt waren, äußern sich diesbezüglich wesentlich vorsichtiger als kleinere Oppositionsparteien, die noch nicht in dieser Lage waren. Das könnte durchaus damit zusammenhängen.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Es könnte daran liegen, dass Sie das vielleicht nicht verstehen!)

Ich finde es zumindest interessant, dass wir jetzt diesen Antrag besprechen können. Als am Donnerstag diese Nachricht kam, habe ich es im Haushalts- und Finanzausschuss angesprochen und den Minister zu einer Stellungnahme veranlasst. Damals hat der Kollege Möbius als Vorsitzender es noch abgetan und gesagt, es würden ständig Banken durchsucht; das sei ein ganz normaler Vorgang. Zu meiner Freude können wir hier feststellen, dass es doch nicht so normal ist, weil es immerhin zu einem Eilantrag der FDP geführt hat, der zugelassen wurde. Das beruhigt mich.

Herr Minister, ich möchte hier noch einmal betonen: Niemand, auch ich nicht, wirft Ihnen persönlich in Bezug auf die Cum-Ex-Geschäfte Fehlverhalten vor. Aber wir haben hier doch ein Interesse daran, dass diese Vorgänge lückenlos aufgeklärt werden. Darum geht es. Wir sollten auch jeden Anschein vermeiden, dass hier irgendetwas unter der Decke gehalten wird und irgendetwas nicht aufgeklärt wird.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Sie machen es trotzdem!)

Insofern stehen wir dem Antrag der FDP wohl geneigt gegenüber.

Der Entschließungsantrag von Rot-Grün ist ein Loblied auf Ihren Minister. Das können wir verstehen, aber müssen wir nicht mittragen.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Kern, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Es gibt zweimal den Wunsch nach einer Zwischenfrage – zum Ersten bei Herrn Kollegen Möbius und zum Zweiten bei Herrn Kollegen Abel. Möchten Sie beide zulassen oder eine zulassen?

Nicolaus Kern (PIRATEN): Ja.

Präsidentin Carina Gödecke: Die erste.

Christian Möbius (CDU): Danke, Herr Kollege Kern, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich mich in keiner Weise als Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses in der Sitzung am vergangenen Donnerstag zu der Durchsuchung geäußert habe?

Nicolaus Kern (PIRATEN): Herr Kollege Möbius, ich habe ja ein Wortprotokoll beantragt. Das heißt, dass jeder Interessierte es unter dem Datum vom 3. November 2016 nachlesen kann. Es sind die Worte gefallen, dass es ein normaler Vorgang sei und was das Aufheben darum überhaupt solle – sinngemäß. Das kann jeder nachlesen. Das ist ja in Ordnung.

(Christian Möbius [CDU]: Ich habe mich gar nicht zur Sache geäußert!)

Und die andere Zwischenfrage?

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich bekomme, ehrlich gesagt, zwei Sachen nicht übereinander. Sie haben damals mit dem Kollegen Schulz versucht, den Ankauf des betreffenden Datenträgers gerichtlich zu unterbinden. Und jetzt stellen Sie kritisch in den Raum, dass nicht alle Informationen veröffentlicht werden.

Dieser Tatbestand, über den wir reden, der Gegenstand der Debatte ist, ist doch nur durch den Ankauf, den Sie verhindern wollten, bekannt geworden. Wie ist Ihre Aussage und Ihr Vorwurf, hier würden Leute Informationen zurückhalten, zu erklären?

Nicolaus Kern (PIRATEN): Lieber Kollege Abel, ich habe die Ausführungen gemacht, um klarzustellen, dass dieser Skandal, den ich beschrieben habe und den wir alle hier gemeinsam so bewerten, wie er zu bewerten ist – da haben wir überhaupt keine Differenzen –, schon lange öffentlich oder zumindest teilöffentlich war, und zwar insofern, als dass die Fachleute ihn erkannt haben und davor gewarnt haben. Aus diesem Grund bedurfte es keines Ankaufs einer Steuer-CD.

Dass der Finanzminister und ich und vielleicht auch Herr Schulz unterschiedlicher Ansicht in der Güterabwägung sind, ist ja nun allgemein bekannt.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Das müssen wir hier nicht noch einmal aufwärmen.

Ich bin hier an einer Sachdebatte interessiert. Wenn Sie die Diskussion von vor einem Jahr oder zwei Jahren noch einmal führen wollen, können wir das gerne tun. Ich habe da nichts zurückzuhalten. Unsere Fraktion ist schließlich für eine Aufklärung. Darin sind wir uns mit den Grünen und der FDP durchaus einig. Ich sehe zwar gewisse Differenzen mit der SPD und der CDU. Aber das ist an dieser Stelle vielleicht auch ganz gut. Wir können unsere unterschiedlichen Ansichten auch gleich im Abstimmungsverhalten deutlich machen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Kern. – Bevor ich dem Finanzminister für die Landesregierung das Wort erteile, würde ich gerne klarstellen, dass die Zulassung von Eilanträgen in § 83 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung geregelt ist und formalen Kriterien Genüge tut, dass damit aber in keinerlei Weise Aussagen über den im Eilantrag angesprochenen Sachverhalt getroffen werden. Aus der reinen Zulassung eines Eilantrages kann man keine Rückschlüsse auf die inhaltliche Richtigkeit, Falschheit oder Sonstiges ziehen. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute einen Eilantrag zu einem Thema vorzulegen, das wir, solange ich mich an dieses schöne Amt erinnern kann, immer wieder aufgeworfen und diskutiert haben, nämlich, wie wir gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung vorgehen, finde ich schon bemerkenswert.

Ich habe den Äußerungen des Vorsitzenden des Haushalts- und Finanzausschusses nicht viel hinzuzufügen, was die Frage angeht, wie das insgesamt zu bewerten ist. Vielleicht würde ich den Inhalt der von Opposition und Regierung gestellten Anträge etwas anders beurteilen.

Ansonsten kann ich nur sagen: Herr Möbius, Sie haben recht. Erst einmal gibt es überhaupt keinen Anlass zur Vorverurteilung. Es gibt staatsanwaltliche Ermittlungen. Diese staatsanwaltlichen Ermittlungen werde ich an jeder Stelle unterstützen. Sie wird auch – und darauf lege ich Wert – das Unternehmen, die Portigon, unterstützen.

Deshalb habe ich, was meine Person angeht, auch überhaupt nichts dagegen, das Gutachten von Ernst & Young zu veröffentlichen. Ich lege allerdings Wert darauf, dass die Staatsanwaltschaft dieses Gutachten mit beschlagnahmt hat. Deswegen greife ich natürlich nicht vor und gefährde jetzt die Ermittlungen, indem ich zusage, parallel dazu Unterlagen herauszugeben. – Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Herr Witzel, Sie versuchen, und zwar von hinten durchs Knie ins Auge, Vorwürfe zu bringen, die nicht zielführend sind und die hier auch nichts zu suchen haben. Diese Vorwürfe zielen darauf ab, dass wir Datenträger erworben haben, die doch erst dazu geführt haben, dass eine ganze Reihe von Unternehmen identifiziert werden können. Sie sagen wieder, der Staat sei nicht der bessere Unternehmer.

Aber wenn in einer ersten Tranche aufgrund des erworbenen Datenträgers gegen 57 Banken ermittelt wird und in diesem Zusammenhang Namen wie Commerzbank oder Deutsche Bank und andere zu nennen sind, dann haben Sie sicher keinen Anlass für die Feststellung, dass der Private der bessere Unternehmer im Bankbereich ist. Ich habe meine Zweifel, ob man es daran festmachen kann, wer Eigentümer ist.

Ich habe immer gesagt: Ich unterstelle nicht, dass sich jemand wegen eines anderen Eigentümers in der Vergangenheit in diesem Geschäft anders verhalten hat. Wenn er sich nicht gesetzlich verhalten hat oder wenn er sich verwerflich verhalten hat, dann ist das aufzudecken und, wo immer möglich, auch zu ahnden.

Ich kann nur noch einmal Folgendes sagen: Ich könnte Ihnen jetzt eine Chronologie der Ereignisse vorstellen, die nicht erst mit den Anfragen beginnen, die Sie gestellt haben, die von 2013 an von uns veröffentlicht worden sind: Was hat die Betriebsprüfung ermittelt? Was ist vom Unternehmen gemacht worden? An wie vielen Stellen haben diejenigen, die sich die Daten angeguckt haben, jedenfalls zunächst einmal keine Hinweise gefunden?

Ich habe immer wieder gesagt, dass ich zwei Aufgaben habe. Zum einen bin ich im Aufsichtsrat und werde an jeder Stelle Wert darauf legen, dass das Unternehmen Ermittlungen und Untersuchungen unterstützt. Zum anderen habe ich als Finanzminister auch die Möglichkeit, deutlich zu machen, dass eine Steuerfahndung, wenn sie Anlass hat, tätig zu werden, es bei einer Portigon nicht anders handhabt als bei jedem anderen Unternehmen auch.

Ich habe mir allerdings im Zusammenhang mit den von Ihnen immer wieder vorgetragenen Fragen, warum das nicht alles in dieser Regierungszeit noch besser aufgeklärt worden sei, auch ein paar Protokolle von früheren Sitzungen angeschaut, aus denen ich nicht zitieren darf.

Dazu muss ich aber zumindest Folgendes sagen: Herr Beckmann, der damalige Portigon-Chef, hat im Haushalts- und Finanzausschuss deutlich gemacht, dass 2007 schon einmal sehr öffentlich über diese Frage diskutiert worden ist. Wenn man sich zudem anschaut, wie dann im Protokoll von Aufsichtsratssitzungen darüber berichtet wird, könnte man auch die Frage stellen, ob denn damals sensibel mit diesen Informationen umgegangen worden ist oder ob man nicht auch daraus hätte weitere Fragen stellen können.

Wir haben zu jedem Zeitpunkt, zu dem Fragen auftauchten, Fragen gestellt. Ich habe Aufträge erteilt. Und ich habe zu verantworten, dass die Datenträger erworben worden sind, auf deren Grundlage jetzt Untersuchungen ins Rollen kommen.

Insofern kann ich nur sagen: Das ist alles gut so. Wir sollten weiter daran arbeiten; denn die Bewertung, was Cum-Ex ist, ist hier häufig genug vorgetragen worden. Das muss ich nicht wiederholen. Und die Frage, wie wir jetzt damit umgehen sollten, bewerte ich so wie Sie, Herr Möbius. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht noch einmal Herr Kollege Abel.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich an meinen Platz zurückkam, haben mich die Kollegen darauf hingewiesen, dass ich versehentlich gesagt habe, der Finanzminister sei der Aufsichtsratsvorsitzende der Portigon. Das ist er natürlich nicht. Der Vorsitzende ist Herr Dr. Plogmann. – Das wollte ich als Erstes klarstellen.

Zweitens. Herr Kollege Kern, Sie haben in Ihrer Rede behauptet, es gebe Nuancierungen im Aufklärungswillen von Fraktionen. Sie haben das davon abhängig gemacht, wer schon einmal an einer Bundesregierung beteiligt war oder nicht. Ich kann hier nur noch einmal sagen, dass es im Deutschen Bundestag einen Untersuchungsausschuss gibt, eingesetzt von Grünen und Linken, der das aufarbeitet.

Drittens. Ohne den vom Minister gerade geschilderten Ankauf der Daten-CD – Sie waren damals dagegen; Sie wollten das sogar gerichtlich verhindern –

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ja, das stützt das ja!)

könnten wir heute gar nicht über diesen Sachverhalt reden.

Deswegen finde ich Ihre Rede mehr als merkwürdig, Herr Kollege Kern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Abel. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar erstens über den Eilantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/13390. Über einen Eilantrag ist, wie Sie wissen, direkt abzustimmen. Diese direkte Abstimmung führen wir jetzt durch. Wer dem Eilantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die FDP-Fraktion und die Fraktion der Piraten. Wer stimmt dagegen? – SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Die CDU enthält sich, wie von Herrn Kollegen Möbius angekündigt. Damit ist der Eilantrag Drucksache 16/13390 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis abgelehnt worden.

Ich komme zweitens zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/13417. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Piraten und die FDP. Auch in diesem Fall enthält sich die CDU-Fraktion. Dann ist mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis der Entschließungsantrag Drucksache 16/13417 angenommen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 11 und rufe auf:

12 Fragestunde

Drucksache 16/13330

Dazu liegt die

Mündliche Anfrage 86

des Abgeordneten Andreas Terhaag von der Fraktion der FDP vor:

Spielbanken in Nordrhein-Westfalen – Welche Maßnahmen hat der Finanzminister in Reaktion auf die Kritik des Landesrechnungshofs nun endlich eingeleitet?

Bereits im Jahresbericht des Landesrechnungs-hofs Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2015 hat dieser deutliche Kritik an der mangelnden Effizienz der Finanzaufsicht über die Spielbanken geäußert. Die vier Spielbanken unterliegen in Nordrhein-Westfalen der Finanzaufsicht durch die Finanzverwaltung. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe sind an den vier Spielbankstandorten des Landes rund 100 Bedienstete der Finanzverwaltung betraut.

Die Kritik des Landesrechnungshofs stützt sich auf eine Untersuchung der Organisation und Durchführung der Finanzaufsicht seitens der Finanzverwaltung. Das Fazit des Landesrechnungshofs ist deutlich:

Die Kontrolle gesetzlicher Regelungen kann mit erheblich weniger Personal auskommen.

In der Sitzung vom 20. Oktober 2015 des Ausschusses für Haushaltskontrolle hat der zuständige Vertreter des Landesrechnungshofs die Überkapazitäten quantifiziert: Rund 50 % der für die Überwachung der vier Spielbanken eingesetzten Finanzbeamten könnten bei einer verbesserten Organisation und Durchführung der Finanzaufsicht sinnvoller in anderen Bereichen der Finanzverwaltung eingesetzt werden (APr 16/1027, S. 13).

Finanzminister Dr. Walter-Borjans hat daraufhin nach eigener Aussage im Haushalts- und Finanzausschuss vom 29. Oktober 2015 diese „kritische Anmerkung“ des Landesrechnungshofes angenommen und angekündigt, dass das Finanzministerium sich mit diesem Sachverhalt beschäftigen werde und er davon ausgehe, dass daraus Konsequenzen gezogen werden (APr 16/1056, S. 78 f).

Seit über einem Jahr hat die Landesregierung zu dieser Aufgabenstellung dem Landtag gegenüber noch keinen einzigen Lösungsansatz präsentiert, geschweige denn Maßnahmen vorgestellt. Dies ist umso erstaunlicher, da nach Informationen des LRH bereits vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe beim Finanzministerium zur Strukturoptimierung eingesetzt worden ist, in der Bedienstete aus dem Finanzministerium, der Oberfinanzdirektion sowie der für die Spielbanken zuständigen Finanzämter vertreten sind.

Spielbanken werden in Nordrhein-Westfalen ausschließlich öffentlich vom Anbieter WestSpiel betrieben. Das Land ist damit über die NRW.BANK Alleineigentümer seiner Staatscasinos und hat auch unmittelbar Einfluss auf die Strukturen und Geschäftsprozesse der vier Betriebsstätten.

Das Unternehmen WestSpiel hat seinerseits schon vor längerer Zeit versichert, dass durch umfangreiche Vorkehrungen auch im technischen Betriebsablauf und durch Dokumentation kriminelles Verhalten oder Spielmanipulationen kaum noch vorstellbar seien. Verdachtsmomente, die in früheren Jahren bestanden haben, dürften demnach heute nicht mehr vergleichbar gegeben sein.

Auch vor diesem Hintergrund sollte der Finanzminister transparent darlegen, wie viele Fälle von Entdeckungen unkorrekter Handlungen und dar-aus resultierender Anzeigen durch Finanzbeamte vor Ort in Casinos es in den letzten Jahren über-haupt gegeben hat. Insider aus Casinobetrieben berichten eher von besonderen Annehmlichkeiten dieser Tätigkeit der Finanzverwaltung, die in vielen anderen Bereichen deutlich herausfordernder ist.

Vor diesem Hintergrund mag es nachvollziehbar sein, dass sich eine Veränderungsbereitschaft der betroffenen Finanzbeamten zu neuen Arbeitsorten jenseits der glitzernden Casinowelt in Grenzen hält. Dieser Umstand entbindet den Finanzminister aber keinesfalls von seiner Verpflichtung, sinnvolle organisatorische Veränderungen angesichts der kritischen LRH-Befunde umzusetzen und damit die Effizienz des Verwaltungshandelns zu erhöhen.

Im Kontext mit dem seit Jahrtausendbeginn stark rückläufigen Geschäft hat WestSpiel im Gegen-satz zur Finanzverwaltung seinen Personalbestand deutlich reduziert. So ist das Personal in den vier Spielbankstandorten im Zeitraum von 2001 bis 2012 von einst 1.014 Beschäftigten auf 644 Kräfte und damit um über 40 % reduziert worden.

Da das sogenannte Effizienzteam der rot-grünen Koalition kaum nennenswerte eigene Vorschläge zur Effizienzsteigerung des Verwaltungsapparates entwickelt hat, sollte der Finanzminister umso dankbarer und beherzter die Einsparhinweise des Landesrechnungshofes aufgreifen und umsetzen.

Es stellt sich deshalb die Frage, welche konkreten Konsequenzen von der Landesregierung mit jeweils welchem Erfolg in den letzten zwei Jahren erarbeitet worden sind und an welchen Stellen die Umstrukturierung der Finanzaufsicht in Casinos bereits eingeleitet oder erprobt worden ist.

Welche Maßnahmen hat der Finanzminister in Reaktion auf die Kritik des Landesrechnungshofs nun endlich eingeleitet?

Die Landesregierung hat angekündigt, dass Herr Minister Dr. Walter-Borjans antworten wird. Herr Minister, Ihr Mikrofon ist jetzt freigeschaltet. Ich lasse es auch die ganze Fragestunde über offen. Bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Herr Witzel! Meine Damen und Herren! Zu der von Herrn Witzel gestellten Frage kann ich Folgendes mitteilen:

Die Landesregierung hat mit der Prüfung der Empfehlungen des Landesrechnungshofs eine Arbeitsgruppe beauftragt. Diese Arbeitsgruppe hat gearbeitet und auch einen Abschlussbericht vorgelegt. Dieser Bericht liegt seit Ende 2015 vor. Darin spricht sich die Arbeitsgruppe für eine weitgehende Umsetzung der Vorschläge und damit eine stärker risikoorientierte Arbeitsweise der Finanzaufsicht aus.

Eine Personalreduzierung ist unter anderem durch eine Beschränkung der Anwesenheitszeiten der Finanzaufsicht auf die reinen Öffnungszeiten der Spielbanken und einen geringeren Überwachungsaufwand im Automatenspiel zu erreichen.

Das ermöglicht, den Empfehlungen des Landesrechnungshofs folgend, den Abbau des Personalbestandes sozialverträglich über Altersabgänge sowie Wechsel in andere Bereiche der Finanzverwaltung zu realisieren.

Allerdings muss die Umsetzung des neuen Gesamtkonzepts zur Durchführung der Finanzaufsicht in den Spielbanken auch durch die Betreiberin WestSpiel begleitet werden. An den einzelnen Standorten sind Investitionen in unterschiedlicher Höhe, zum Beispiel für eine eigenständige Videoüberwachung für die Finanzaufsicht und für Umrüstungen der Schließsysteme, vorzunehmen. Die Abstimmung im Einzelnen erfolgt aktuell im Rahmen standortbezogener Gespräche mit der Betreiberin.

Die an die geänderte Arbeitsweise angepasste neue Systematik zur Berechnung des Personalbedarfs berücksichtigt die spielbankspezifischen Besonderheiten und die arbeitsrechtlichen Vorgaben. Der Personalabbau ist bereits eingeleitet. Mit dem Haushalt 2017 wurden bereits 31 kw-Vermerke etatisiert. Der Landesrechnungshof hat bereits mit Schreiben vom 14. Juli 2016 das Prüfungsverfahren zur Organisation und Durchführung der Finanzaufsicht in den Spielbanken für abgeschlossen erklärt.

Wir sind also frühzeitig und auch handelnd auf die Vorschläge des Landesrechnungshofs eingegangen. Verbunden damit ist – das muss man sagen –, dass dann auch nicht mehr die vollständige Begleitung sichergestellt werden kann, sondern so, wie auch angeregt, auf eine risikoorientierte Begleitung umgestellt wird. Es ist nicht nur vorgesehen, dass in den nächsten Jahren erst Personal abgebaut wird. Vielmehr ist damit bereits begonnen worden. Es sind auch schon Stellen abgebaut worden.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Darf ich Sie noch darauf aufmerksam machen, dass es entgegen Ihrer Annahme, es handele sich um eine Anfrage des Herrn Kollegen Witzel, eine Anfrage des Herrn Kollegen Terhaag war?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das nehme ich mit Bedauern zurück und korrigiere mich.

Präsidentin Carina Gödecke: Es zur Kenntnis zu nehmen, würde reichen.

(Zuruf von Christian Möbius [CDU])

Herr Kollege Ellerbrock stellt Ihnen die erste Frage.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Minister Walter-Borjans, Sie haben den Personalabbau angesprochen. Ich kann verstehen, dass man da auch eine sozialverträgliche Verpflichtung hat, dass man das vernünftig machen will. Wie sieht es eigentlich mit der Qualifikation und der Ausbildung dieser Leute aus? Können sie nur im Bereich Spielbankaufsicht und vor Ort tätig werden? Oder können die auch anders als zur Überwachung des Kleinen Spiels eingesetzt werden?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Diese Frage habe ich auch sehr frühzeitig gestellt.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Bitte?)

– Ich habe diese Frage auch sehr frühzeitig gestellt, weil wir natürlich auch in anderen Bereichen durchaus Engpässe haben und man sich vorstellen könnte, dass man, wenn man diese Möglichkeiten hat, sehr schnell durch Umsetzungen die Vorschläge des Landesrechnungshofs auch umsetzen kann.

Allerdings muss man dazusagen, dass es natürlich eine sehr spezifische Tätigkeit ist, die die Personen, die dort arbeiten, schon seit Langem vollziehen, sodass die Möglichkeiten einer wirklichen Umsetzung verhältnismäßig gering sind. Man wird da, wo es möglich ist, darauf zurückgreifen. Das fände ich auch richtig.

Ansonsten wird man darauf setzen müssen, dass ein großer Teil auch altersbedingt relativ bald ausscheiden wird. Bis 2023 wird das 55 Stellen und damit 47 % betreffen. Es wird also eine Halbierung der Stellen gerben. Man muss allerdings auch sagen, dass bereits 31 Stellen realisiert worden sind.

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Herr Kollege Terhaag, bitte.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Minister. Es ist Macht der Gewohnheit, denke ich einmal, weil die Fragen sehr häufig von Herrn Witzel kommen. Umso mehr freue ich mich, dass Sie meine Fragen beantworten.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Er gewöhnt sich aber auch an Sie!)

– Ich denke, das bekommen wir hin.

Das Finanzministerium hat mit zwei Erlassen die Finanzaufsicht in den Spielbanken geregelt. Sie sind aus den Jahren 2004 und 2008. Gibt es von dieser Arbeitsgruppe jetzt schon neue Erlasse? Oder wann wird es solche Erlasse geben? Wann ist das geplant?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Neue Erlasse gibt es bislang nicht, aber es gibt, wie gesagt, zusammen mit der bislang erfolgten Reduzierung des Personals und mit den weiteren Schritten zur Reduzierung des Personals, die noch vorgesehen sind, auch organisatorische Umstellungen, die sich damit beschäftigen, dass die notwendigen Kontrollen stärker risikoorientiert, aber nach Automatenspiel und anderem Spiel entsprechend organisiert werden. Das ist nicht in Form eines Erlasses erfolgt, sondern durch die organisatorische Umstrukturierung im Unternehmen selbst.

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Herr Kollege Wedel, ist es korrekt, dass Sie Ihren Fragewunsch zurückgenommen haben? – Gut. Dann ist jetzt der Kollege Witzel dran.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Finanzminister, bei dem, was ich von Ihren Ausführungen eingangs gelernt habe, ist das Volumen, das zur Umsetzung ansteht, nämlich die 31 kw-Stellen, deutlich weniger als das, was der Landesrechnungshof auf dem Wege der Halbierung vorgeschlagen hat. Dann wären wir bei etwa 50 Stellen. „Kw“ heißt ja noch nicht, dass die Arbeitsressourcen jetzt anderweitig verwendet würden, sondern nur, dass man perspektivisch das Ziel hat, die Stellen entfallen zu lassen.

Deshalb frage ich Sie, ob möglicherweise besondere Rücksichtnahmen oder Annehmlichkeiten, die mit dem Job verbunden sind, mit dazu führen, dass es vielleicht keine hohe Wechselbereitschaft gibt. Was aus Marktkreisen vorgetragen wird, sind durchaus angenehme Umstände der Arbeitserbringung, angeblich inklusive einer viertelstündigen Pause pro Arbeitsstunde, ähnlich wie das bei den Croupiers sein soll. Gibt es solche regulatorischen Punkte, die der Flexibilität einer anderen Personalverwendung schneller und konsequenter Personalmaßnahmen entgegenstehen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Erst einmal kann ich dazu sagen: Der Landesrechnungshof ist von der Möglichkeit ausgegangen, den Stellenbestand zu halbieren. Was jetzt angestrebt ist und als umsetzbar erscheint, ist eine Reduktion des Stellenists um 47 %. Das bedeutet, dass es künftig noch 63 Arbeitskräfte sein werden.

Wie gesagt: Schon zum 1. Januar 2016 ist eine Reduktion auf 87 Arbeitskräfte vollzogen worden. Das heißt: Ein erheblicher Teil – deutlich mehr als die Hälfte dessen, was bis 2023 erzielt werden soll – ist schon umgesetzt. Das beantwortet auch die Frage, wie das mit der Bereitschaft aussieht. Das betrifft zum großen Teil ohnehin Personen, die durch Erreichen der Altersgrenze ausscheiden werden.

Zum anderen muss man sagen: Ich wäre der Letzte, der, nur weil besondere Annehmlichkeiten mit der Ausübung eines Amtes verbunden sind, diesen Personenkreis nicht dort einsetzen würde, wo wir an anderer Stelle ordentlichen Bedarf dafür hätten. Es muss aber passen. Deswegen kann man genauso wenig, wie Sie das mit dem Thema „Portigon“ immer bringen, einfach entscheiden: „Das setze ich jetzt um“, wenn das Profil nicht mit dem zusammenpasst, wo jemand gesucht wird.

Wir sind dabei, diese Reduktionen zu vollziehen. Der Landesrechnungshof hat von sich aus festgestellt, dass seine Vorstellungen damit erfüllt werden. Das ist ein Weg, der sich sehen lassen kann.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister, Sie werden es wahrscheinlich gar nicht glauben, aber kann Ihnen danken für die Beantwortung …

(Ralf Witzel [FDP] meldet sich zu Wort.)

– Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Ich habe noch eine Frage zum bisherigen Personaleinsatz. Wie ich aus der Anfrage gesehen habe, war ausdrücklich danach gefragt worden, in welchem Umfang bislang dort Tätigkeiten und Feststellungen seitens der Finanzbeamten angefallen sind, was unkorrekte Handlungen und deren Dokumentation angeht.

Ist aus Ihrer Sicht zutreffend, was WestSpiel sagt, dass die Vielzahl der technischen Kontrollsysteme, die in letzten Jahren eingeführt worden sind, einen erheblichen Beitrag dazu leistet, dass Aufgaben, die früher vom Personal wahrgenommen worden sind, nun durch technische Dokumentations-, Überwachungs- und Zugangssysteme so gehandhabt werden, dass es ohne Qualitätsverlust und ohne die Gefahr einer Verschlechterung des Ordnungsrahmens für das Spiel möglich ist, das Personal weiter zurückzuführen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich hoffe das sehr. Ich kann nur sagen: Wir werden die technischen Möglichkeiten, die sich bieten, nutzen. Wir kommen – und das ist nicht erst jetzt bzw. in den letzten Jahren so entstanden – aus einer Zeit, in der man die Auffassung vertreten hat – das war auch in der Zeit so, in der Sie die Regierung gestellt haben –, sozusagen eins zu eins die Sicherung begleiten zu müssen, damit in diesem Bereich des Spiels nichts falsch läuft.

Mittlerweile gibt es dazu eine andere Haltung. Das gilt auch für die gesamte Frage der Steuerverwaltung. Man sagt jetzt: In jedem anderen Bereich – auch bei Versicherungen und bei anderen gewerblichen Unternehmen – macht man eine Art Risikomanagement. Man schaut sich an: An welcher Stelle sind die neuralgischen Punkte? Wo kann ich am besten und effizientesten Personal einsetzen? Welche Möglichkeiten der technischen Sicherung gibt es? Diese Kombination wird jetzt umgesetzt.

Noch einmal: Der Landesrechnungshof hält das auch für ausreichend. Aber unabhängig vom Landesrechnungshof hätte ich immer, soweit ich Einfluss darauf nehmen kann, natürlich den Bedarf, dass das kontinuierlich beobachtet wird und dass das genutzt wird, was gerade beim Automatenspiel im Nachhinein technisch besser zu kontrollieren ist als beim Nichtautomatenspiel.

Präsidentin Carina Gödecke: Zweiter Versuch: Weitere Wünsche nach Nachfragen liegen nicht vor. – Das bleibt offensichtlich so. Ich danke Ihnen ganz herzlich, Herr Minister.

Ich erkläre, dass die Mündliche Anfrage 86 beantwortet ist. Da wir keine weiteren Mündlichen Anfragen vorliegen haben, kann ich auch die Fragestunde schließen.

Ich rufe auf:

13 Für eine Erprobung von Distanzelektroimpulsgeräten (Taser) bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13309

Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Kollegen Lürbke für die FDP-Fraktion das Wort. Ich bitte alle anderen Fraktionen, ihre nachfolgenden Rednerinnen und Redner zu verständigen.

Marc Lürbke (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wort „Distanzelektroimpulsgerät“ ist schwierig; ich werde daher jetzt manchmal das Wort „Taser“ benutzen, auch wenn es nicht deckungsgleich ist.

Wir haben uns als FDP-Fraktion nach reichlicher Überlegung und Abwägung entschlossen, uns für eine Erprobung von besagten Distanzelektroimpulsgeräten bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen auszusprechen. Bereits bei der Diskussion um Bodycams hatte ich das an diesem Pult vor einiger Zeit ja schon als Pilotprojekt angeregt.

Nun gibt es bei den Distanzelektroimpulsgeräten unbestritten ein Für und ein Wider. Wir haben das, wie ich finde, auch sehr detailliert in unserem Antrag dargestellt. Angesichts zunehmender Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte und zur Vermeidung von dramatischen und teilweise sogar traumatischen Einsatzverläufen wäre es doch sträflich, dieses Einsatzmittel nicht zu testen, nicht zu erproben. Es wäre auch sträflich, diese Diskussion hier erst gar nicht zu führen.

(Beifall von der FDP)

Auch wenn die Taser sicher kein Allheilmittel sind, können sie doch zum Schutz der Beamten und Beteiligten eine sinnvolle Ergänzung sein.

Fakt ist auch: Andere Bundesländer haben sich bereits genau aus diesen Gründen auf den Weg gemacht. Das Land Rheinland-Pfalz – bekanntermaßen regiert von einer Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen – hat sich für einen Testlauf im Streifendienst ausgesprochen. Im Frühjahr 2017 wird dort der einjährige Test mit den Tasern beginnen.

Auch Bayern prüft derzeit einen solchen Einsatz. Ich denke, wir sollten uns daher in Nordrhein-Westfalen nicht versperren, ebenfalls zeitnah dieses Einsatzmittel auf seine Möglichkeiten, auf seine Grenzen unter Einbeziehung von einsatztaktischen, medizinischen und rechtlichen Erwägungen mit der gebotenen Sorgfalt und Sensibilität zu testen.

Ohne Frage gilt es noch eine ganze Reihe von Punkten zu klären, beispielsweise ob ein Taser als Hilfsmittel oder als Waffe festgeschrieben wird. Zudem darf das Ganze nicht in rechtlicher Hinsicht dazu führen, dass der Einsatz der Dienstwaffe gegenüber etwa einem Messerangriff dann unverhältnismäßig wird, weil mit dem Taser womöglich noch ein milderes Abwehrmittel zur Verfügung gestanden hätte.

Diese Punkte müssen natürlich noch geklärt werden. Im Grunde fängt das aber auch schon bei ganz banalen Dingen im praktischen Einsatz an. Teilweise wird ja angeführt, dass für einen Taser am Gürtel der Polizeibeamten kein Platz mehr sei oder dass sich die Beamten in der hektischen Situation womöglich zwischen Dienstwaffe und Taser vergreifen könnten.

Ich kann Ihnen sagen: In Rheinland-Pfalz hat man ganz praktisch vorgeführt, dass die Geräte sehr wohl auch an den Gürtel passen. Es wird dort so gehandhabt, dass der Taser mit links gezogen wird, die Dienstwaffe mit rechts. Es gibt auch den Vorschlag der DPolG, den Taser im Fahrzeug in einer Vorrichtung vorzuhalten. All das kann man in einer Erprobungsphase – wie der Name ja schon sagt – erproben. Das sollten wir in Nordrhein-Westfalen auch tun und prüfen, wie ein solcher Einsatz sinnvoll genutzt werden kann.

Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Uns geht es hier darum, dieses Thema wirklich sachlich mit allen Fraktionen im Hause anzugehen. Es geht uns um die Sicherheit der eingesetzten Beamten und um die Vermeidung von schlimmen Folgen durch den Einsatz der Dienstwaffe. Gerade ein tödlicher Schusswaffengebrauch im Dienst stellt für alle Beteiligten eine wirklich schlimme Situation dar: für den Beamten, der zur Schusswaffe greifen musste, für die Angehörigen des Erschossenen und auch für unbeteiligte Zeugen, die den Einsatz miterleben mussten. Viele Beamte sind danach lange dienstunfähig und in medizinischer Behandlung.

Deswegen glaube ich, dass die Chancen, mittels dieser Technik Leben zu retten bzw. zu bewahren, deutlich vor den Risiken überwiegen, das Leben im Einsatzfall zu gefährden, zumal ansonsten an Stelle einer Gefährdung oftmals auch die Beendigung des Lebens des Angreifers durch den Schusswaffengebrauch die derzeitige Alternative darstellt.

Zum Schluss: Ja, es kann auch beim Einsatz von Tasern im Einzelfall zu unerwünschten Folgen kommen. Auch das haben wir meiner Meinung nach im Antrag sehr sauber dargestellt. Aber so etwas gibt es schließlich auch bei anderen Einsätzen und bei anderen Einsatzmitteln. Deswegen pochen wir hier auf strenge Vorgaben für die Anwendung.

Darüber sollten wir intensiv im Innenausschuss beraten. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Diskussion. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kossiski das Wort.

Andreas Kossiski (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht ganz genau, welchen Stellenwert die antragstellende FDP der Überschrift ihres Antrags beimisst, aber ich finde die Überschrift zumindest missverständlich; denn Distanzelektroimpulsgeräte – Abkürzung DEIG –, müssen wir bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen nicht mehr erproben, Herr Lürbke, weil die Polizei sie seit Anfang des Jahrtausends bereits besitzt.

(Marc Lürbke [FDP]: Bei den Spezialkräften!)

Worum es der FDP geht, wird erst am Ende des Antrages deutlich: die Erprobung der DEIGs im täglichen Einsatzgeschehen. Was das genau bedeuten soll, wie das genau geschehen soll, und was Sie sich genau unter einer Erprobung vorstellen, dazu lassen Sie sich in Ihrem langen Antrag allerdings nicht aus. Genau das sind jedoch die entscheidenden Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.

Nun ist dieses Thema nicht wirklich neu. Wenn ich richtig gezählt habe, gab es dazu in dieser Legislaturperiode bereits sechs Kleine Anfragen der CDU, wenn auch nicht von der FDP. In den sechs Antworten auf die Kleinen Anfragen wurde eigentlich umfassend dargestellt, weshalb DEIGs in Nordrhein-Westfalen – übrigens fast bundesweit – nur bei den SEKs eingesetzt werden.

Gerade weil Sie als Antragsteller diese Antworten sicherlich kennen – ich unterstelle das jetzt einfach mal –, wäre es schon sinnvoll gewesen, wenn Sie sich zu der eigentlichen Problemstellung ausgelassen hätten. Was wollen Sie erproben? Ob man dieses Einsatzmittel erfolgreich nutzen kann? – Die Antwort kennen wir aus den SEKs.

Sie schreiben, mit den DEIGs könnte die taktische Lücke zwischen Einsatzmehrzweckstock, Pfefferspray und Schusswaffe geschlossen werden. – Das ist, mit Verlaub gesagt, nun wirklich nichts Neues; denn gerade deshalb sind ja alle SEKs damit ausgerüstet.

(Marc Lürbke [FDP]: Ja, die SEKs!)

Und dann begründen Sie Ihren Antrag mit einer zunehmenden Gewalt gegen Einsatzkräfte. – An dieser Stelle habe ich mir die Frage gestellt, ob Sie eine Diskussion über Obergrenzen führen wollen: Bis zu einer bestimmten Anzahl von Angriffen braucht die Polizei dieses oder jenes Mittel zur Ausübung des unmittelbaren Zwanges, ab einer bestimmten Anzahl dann aber etwas anderes.

Das kann so nicht sein. Ich will mit diesen Anmerkungen nur verdeutlichen, dass es zu diesem Thema – da bin ich bei Ihnen – sehr viel zu diskutieren gibt, und zwar mehr, als wir hier in der Kürze der Zeit besprechen können: zum Beispiel Rechtsfragen oder die Einordnung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Sie haben das in Ihrem Antrag richtigerweise als Problem dargestellt.

Es muss dringend diskutiert werden, worin eigentlich der entscheidende Unterschied in der Anwendung dieses Einsatzmittels besteht: hier eine Streifenwagenbesatzung mit einem Beamten oder einer Beamtin, da ein gesamtes SEK-Kommando. Wir können auch gerne über die Erkenntnisse aus dem Abschlussbericht der NRW-Studie „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“ diskutieren.

Ich zitiere: Eine Einführung des Distanzelektroimpulsgerätes oder anderer nicht tötender Waffen wünschen sich unabhängig voneinander 1,6 % der Polizeivollzugsbeamten – ich wiederhole: 1,6% der Polizeivollzugsbeamten. Wir als SPD stimmen der Überweisung an den Innenausschuss natürlich zu. Wir wollen darüber diskutieren.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine kleine Anmerkung, Herr Lürbke, für Sie von der FDP als Antragsteller. Wenn Sie schon eine – Zitat – „herstelleroffene Ausschreibung“ fordern, dann finde ich es schon merkwürdig, dass Sie, angefangen bei der Überschrift bis zum letzten Satz Ihres Antrages, ausschließlich Werbung für die Herstellerfirma Taser machen. Berufen Sie sich jetzt bitte nicht auf meine Oma, die immer „Rama“ gesagt hat, wenn sie Margarine gemeint hat. Taser ist eine Firma. – Vielen Dank. Teaser ist was anderes.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Golland jetzt das Wort.

Gregor Golland (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende FDP-Antrag greift ein wichtiges Thema auf, das allerdings nicht ganz neu ist. Auch die politische Bewertung in Bezug auf den Einsatz von sogenannten Distanzelektroimpulsgeräten – oder auch umgangssprachlich „Tasern“ genannt – im Polizeivollzugsdienst ist seit Jahren hinlänglich bekannt.

Die CDU-Fraktion steht einer Erprobung dieses Einsatzmittels bekanntlich positiv gegenüber. Wir haben dazu seit dem Jahr 2014 insgesamt sechs Kleine Anfragen an die rot-grüne Landesregierung gerichtet, zuletzt die Anfrage vom 6. September 2016 mit dem Titel „Berlins Innensenator will Taser im Polizeialltag testen. Werden nun Elektroimpulswaffen auch in NRW endlich getestet?“ – Drucksache 16/12868.

Innenminister Jäger hat in den Antworten auf unsere Anfragen wiederholt deutlich gemacht, dass die Landesregierung den Einsatz dieser Waffen im Wachdienst vermutlich aus ideologischen Gründen ablehnt. SPD und Grüne stellen sich damit einmal mehr gegen den erklärten Willen aller drei Polizeigewerkschaften in Nordrhein-Westfalen, die sich, wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen, inzwischen alle für eine Erprobung von Elektroimpulswaffen bei der nordrhein-westfälischen Polizei aussprechen.

Für den Einsatz von Tasern im Polizeialltag gibt es in der Tat zahlreiche gute Gründe. So ist die Gewalt gegen Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren in unerträglicher Weise angestiegen. Wie die Vertreter der Polizeigewerkschaften vor knapp zwei Wochen im Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht übereinstimmend ausgeführt haben, ist die Zahl verbaler oder körperlicher Attacken auf Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen seit 2011 um sage und schreibe 41 % – ich wiederhole: 41 %! – gestiegen. Inzwischen wird in unserem Bundesland sogar alle 90 Minuten ein Polizist angegriffen, so ein Zitat aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 27. Oktober 2016.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Golland, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Körfges würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Gregor Golland (CDU): Später. – Ein Taser als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt hat eine enorme psychologische und respektverschaffende Wirkung bei potenziellen Angreifern und Tätern. Stellen Sie sich eine Situation vor, in der zum Beispiel eine 50 kg schwere Polizistin einem 100 kg schweren kampftrainierten Rocker gegenübersteht. Welche Maßnahmen soll diese Polizistin ergreifen, um den Angreifer beispielsweise zu fixieren oder zu fesseln?

Pfefferspray oder Schlagstock wären wohl kaum geeignet, würden zudem eine hohe Selbstgefährdung implizieren und könnten rechtlich, je nach Situation, unangemessen sein. Hier schließt der Taser eine Fähigkeits- und Einsatzmittellücke bei der Polizei.

Ein Taser – das zeigen viele Erfahrungsberichte aus anderen Staaten – hat eine enorm erfolgreiche, aber eben nicht letale Wirkung, auch gegen alkoholisierte und unter Drogeneinfluss stehende Menschen. Oft reicht schon die Androhung der Nutzung dieses Einsatzmittels aus, um potenzielle Angreifer bzw. Täter zur Aufgabe und Folgeleistung der polizeilichen Maßnahmen zu bewegen.

Der nordrhein-westfälischen Polizei fehlt bis heute eine nicht tödliche Distanzwaffe. Das heißt: Wird ein Polizeibeamter im Streifendienst attackiert, steht er vor der Wahl, den Angreifer im wahrsten Sinne des Wortes bis auf Schlagdistanz an sich herankommen zu lassen, oder ihn durch den Einsatz seiner Dienstpistole kampfunfähig zu schießen.

(Christian Dahm [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Im Ergebnis wird den Beamten damit das Risiko aufgezwungen, entweder selbst schwer verletzt, vielleicht sogar getötet zu werden, oder selbiges dem Angreifer zuzufügen.

Erinnern darf ich in diesem Zusammenhang auch daran, dass die Polizei im vergangenen Monat binnen 48 Stunden – das ist kein Quatsch, Herr Kollege, hören Sie mal gut zu! – In Moers und Hagen gleich zwei mit Messern bewaffnete Angreifer erschießen musste, weil diese Personen anderweitig nicht gestoppt werden konnten.

Der Einsatz von Elektroimpulswaffen, mit denen Angreifer nur vorübergehend außer Gefecht gesetzt werden können, wäre demgegenüber sicherlich die vorzugswürdige Alternative gewesen. Da werden Sie sicherlich zustimmen. Denn selbst wenn ein möglicher Schutzwaffengebrauch rechtmäßig ist, muss der ausführende Polizeibeamte dies psychisch verarbeiten. Er muss sein Leben mit der Gewissheit verbringen, jemanden schwer verletzt oder sogar getötet zu haben.

Hinzu kommt, dass in 107 Staaten dieser Erde schon heute Elektroimpulswaffen bei der Polizei zugelassen sind. Nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft setzen 95 % dieser Staaten solche Taser sogar im operativen Dienst ein, darunter demokratische Länder wie Großbritannien, Frankreich, Polen, Österreich und die Schweiz.

Aus diesem Grund freue ich mich darauf, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten im Innenausschuss vertieft über dieses Einsatzmittel beraten können. Es wäre schön, wenn SPD und Grüne dazu ausnahmsweise einmal ihre ideologischen Scheuklappen ablegten, faktenbasiert diskutieren und eine Entscheidung zum Wohle der 40.000 Polizeibeamtinnen und -beamten in unserem Land treffen würden.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Gregor Golland (CDU): Die CDU-Fraktion stimmt deshalb der Überweisungsempfehlung zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer*) (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Angesichts dieses Antrages fragt man sich einmal mehr: Was ist bloß aus der ehemaligen Bürgerrechtspartei FDP geworden? – Dass die CDU die Taser fordert, ist, ehrlich gesagt, keine Überraschung. Herr Golland, ich würde mir auch mal wünschen, dass Sie uns nicht ideologische Scheuklappen vorwerfen, sondern dass auch Sie faktenbasiert und differenziert mit uns diskutieren. Ich finde, das kann man auch von Ihnen erwarten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

In der Problembeschreibung sind wir ja gar nicht so weit auseinander, dass nämlich Polizeibeamtinnen und -beamte immer wieder in schwierige, in gefährliche Situationen geraten und dass es Fälle von gezielter Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gibt, die natürlich nicht hinnehmbar sind. Ich glaube, in dieser Problembeschreibung sind wir uns einig.

Es ist unsere Pflicht als Landesparlament und auch die Pflicht der Landesregierung, unsere Polizei gut auszustatten. Genau das tut diese Landesregierung. Wir legen einen hohen Wert auf eine gute Qualifikation, auf Fortbildungen und natürlich auf die Ausstattung der Polizei. Den Polizistinnen und Polizisten im Streifendienst stehen deshalb zum Beispiel der Einsatzmehrzweckstock und auch die Dienstwaffe als entsprechende Mittel zur Verfügung.

Was ich aber nicht will, das ist eine martialische Aufrüstung von Polizei. Die NRW-Polizei steht, wie ich finde, zu Recht für eine deeskalierende Einsatztaktik und für ihre Bürgernähe. Ich will an genau diesem Leitbild festhalten, und ich will keine Polizei nach amerikanischem Vorbild.

Ich möchte aber auch – dazu ist hier noch gar nichts gesagt worden – das Thema „gesundheitliche Risiken“ zumindest einmal ansprechen. Denn die gesundheitlichen Folgen von Tasern sind nach wie vor sehr umstritten, auch in der Wissenschaft. Es gibt immer wieder Berichterstattungen darüber, dass es beim Einsatz von Tasern auch zu Todesfällen kommt. Das heißt, so risikofrei, wie das hier dargestellt wird, sind Taser dann eben doch nicht.

Sicher kann man auch eine Menge Studien finden, die zu dem Schluss kommen: So gefährlich sind sie eigentlich gar nicht. – Dann würde ich aber auch mal darum bitten, darauf zu achten, wer diese Studien eigentlich macht und von wem sie finanziert werden.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD] – Torsten Sommer [PIRATEN]: Taser?)

Wenn man sich mal die Berichterstattung dazu anschaut, in welchem Maße die Firma Taser Lobbyismus betreibt und Forschungsvorhaben finanziert, dann muss man das in der Debatte ebenfalls berücksichtigen. Ich bin selber in den letzten Monaten gleich zweimal von der Firma Taser angeschrieben worden, die natürlich auch gegenüber uns Landtagsabgeordneten Lobbyismus betreibt.

Ich finde das, ehrlich gesagt, ganz schön krass, nicht in dem Fall von Tasern, sondern in dem Fall von Bodycams, also von Schulterkameras, die ja auch von der Firma Taser hergestellt werden. Die Firma Taser geht ganz schön krass vor, was das Thema „Lobbyismus“ angeht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das muss man in dieser ganzen Diskussion mit betrachten.

Zu den Themenbereichen „gesundheitliche Risiken“ und „Herzerkrankungen“ muss man noch sagen, dass auch die Firma Taser mittlerweile empfiehlt, nicht auf den Brustkorb zu zielen, sondern auf den Rücken, auf den Bauch oder auf die Oberschenkel, was ja ganz offensichtlich nahelegt, dass auch die Firma Taser Bedenken dabei hat, was mögliche Herzerkrankungen angeht.

Natürlich werden Experimente allein schon aus ethischen Gründen nur an gesunden Personen vorgenommen, und nicht an Personen, die unter Drogen- und Medikamenteneinfluss stehen, nicht an Schwangeren, nicht an Personen mit Herzerkrankungen. Natürlich gibt es diese Versuche nicht. Das ist ja auch gut so. Aber ich frage mich ernsthaft, wie ein Polizeibeamter im Einsatz ad hoc erkennen soll, ob er eine Schwangere oder eine Person mit einer Herzerkrankung vor sich hat. Da muss man einfach unter dem Strich sagen – das will ich hier für uns festhalten –, dass Taser keine risikofreien Waffen sind.

Ja, man kann zu Recht sagen: Auch Schusswaffen, Dienstwaffen sind nicht risikofrei. – Das ist ja völlig klar. Meine Sorge ist jedoch, dass, wenn wir Taser einführen, dann bei den vermeintlich ungefährlichen Tasern auch ein Stück weit die Hemmschwelle zum Einsatz sinkt. Das ist meine Befürchtung.

Unsere Einsatzkräfte bei der Polizei im Wach- und Wechseldienst sind außerdem auch im Umgang mit der Schusswaffe geschult. Das SEK ist selbstverständlich auch im Umgang mit den Tasern geschult. Aber der Wach- und Wechseldienst ist doch nicht geschult im Umgang mit Tasern. Man müsste erst umfangreiche Aus- und Fortbildungen durchführen. Außerdem müssten die Taser, die relativ teuer sind, angeschafft werden. Ich halte das für zu aufwendig, für zu teuer und für nicht gerechtfertigt.

Das sind die verschiedenen Gründe. Wir können gerne im Innenausschuss darüber diskutieren. Aber ich halte für mich und als Grüne fest, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine Polizei haben wollen, die für Deeskalation steht und nicht für eine martialische Aufrüstung. Wir wollen Bürgernähe, und das soll auch in Zukunft so bleiben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Andreas Kossiski, ich weiß, du wolltest nicht, dass ich „Taser“ sage, aber das Ganze ist nun einmal in der Öffentlichkeit als „Taser“ bekannt, auch wenn du natürlich völlig recht hast, dass das nicht der richtige Begriff ist.

Liebe FDP, wenn man nur die erste Seite Ihres Antrages liest, dann wird dem Leser irgendwie das Gefühl vermittelt – zumindest mir ging das so –, dass wir bei den Tasern über eine Art besseren Schusswaffenersatz reden, der nur dann angewendet werden soll und angewendet werden darf, wenn man theoretisch auch die Schusswaffe einsetzen dürfte, nach dem Motto: lieber den Taser als die Schusswaffe, denn der ist nicht ganz so gefährlich, da kann auch nicht ganz so viel passieren, und deswegen ist der eigentlich besser.

Das Problem ist: In dem Antrag gehen Sie im Prinzip von der falschen Sachlage aus, oder Sie versuchen vermutlich sogar ganz bewusst, ein falsches Bild zu vermitteln. Der Taser ist eben kein ungefährlicherer Schusswaffenersatz. Sie verzerren damit die Sach- und Rechtslage völlig. Gerade in Ihrer Rede wurde das ein bisschen relativiert, aber so richtig eben auch nicht, weil der Antrag ja unverändert besteht.

Ich könnte mir – aber auch nur wirklich ganz abstrakt – vorstellen, ernsthaft darüber zu diskutieren – und auch wirklich nur darüber diskutieren –, Taser für den alltäglichen Polizeidienst einzuführen, wenn diese Grundannahme, die in dem Antrag so ein bisschen suggeriert wird, auch rechtliche Realität in NRW wäre, wenn also quasi der Tasereinsatz dem Schusswaffeneinsatz gleichgestellt wäre und tatsächlich unter denselben strengen rechtlichen Voraussetzungen wie der Schusswaffeneinsatz stünde, also den §§ 63 ff. Polizeigesetz. Genau das ist aber eben nicht der Fall.

Wenn es aber so wäre, dann würde sich die Frage stellen: Macht der Taser-Einsatz generell überhaupt noch Sinn? Der Taser ist keine Schusswaffe. Er ist, zumindest hier in Nordrhein-Westfalen, nicht einmal eine Waffe. Hier in NRW ist er ein einfaches Hilfsmittel körperlicher Gewalt. Er ist also rein rechtlich zum Beispiel dem Pfefferspray oder den Handfesseln gleichgestellt. Er unterliegt keinerlei besonderen Anwendungsvoraussetzungen, außer natürlich den allgemein, bei allen Maßnahmen immer anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsprüfungen. Das ist klar.

Im Prinzip ist es sogar noch schlimmer. Das Anlegen von Handfesseln ist speziell geregelt, nämlich in § 62 Polizeigesetz. Das heißt, selbst die Voraussetzungen zur Anwendung von Handfesseln sind im Polizeigesetz strenger geregelt als die Anwendung des Tasers.

Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass der Einsatz in NRW ausschließlich für das SEK vorgesehen ist. Denn die gehen schon per se gar nicht in irgendwelche normalen Einsatzsituationen hinein, sondern immer in Extremlagen. Dafür sind die da. Deshalb macht der Taser dort durchaus auch Sinn.

Es wurde schon einiges gesagt, auch was die Gesundheit angeht. Es wurde schon einiges gesagt, was mit den ganzen Extremlagen ist.

Wir haben ganz einfach ein Problem: Wenn der Taser unter den jetzigen rechtlichen Voraussetzungen und Bedingungen für den allgemeinen Polizeieinsatz freigegeben wird, dann kann es durchaus passieren, wenn wir einmal die Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgehen, dass der Taser in vielen allgemeinen Einsatzsituationen von der Rechtsprechung als verhältnismäßig angesehen wird. Dann haben wir unter Umständen das große Problem, dass der Taser eben nicht mehr die Ausnahme, sondern der Regelfall ist. Genau das wollen wir alle nicht. Deswegen müssen wir zunächst einmal dafür sorgen, dass die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Wir hatten auch schon die anderen Sachen angesprochen. Wie wirkt sich das zum Beispiel auf die Verhältnismäßigkeit des Schusswaffengebrauches aus? Das haben Sie gerade angesprochen. Das steht auch in dem Antrag.

Das Problem ist, da können Sie nicht einfach einen Test machen. Das geht so nicht. Sie müssen das rechtlich vorbereiten. Wie gesagt, ich stelle die Mindestanforderung, dass der Taser-Einsatz – um überhaupt nur darüber nachzudenken, wohlgemerkt – unter die Voraussetzungen gestellt wird, die auch für den Schusswaffeneinsatz gelten. Ob er dann aber überhaupt noch sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Ich bezweifle das.

Von daher gehe ich davon aus, dass wir den Taser hier nicht benötigen. Sind wir einmal ehrlich: Der tägliche Einsatz beweist ja auch, dass wir den Taser nicht benötigen. Die Polizisten kommen klar. Sie verrichten ihre Arbeit mit Pfefferspray, mit Schusswaffe, mit Einsatzmehrzweckstock.

Es ist überhaupt kein Problem. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo Sie die taktische Lücke sehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Schulze in Vertretung für Herrn Minister Jäger.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lürbke, Sie weisen in Ihrem Antrag selbst darauf hin, wie schwierig und umstritten dieses Thema ist. Das betrifft nicht nur die Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzmittels. Ich denke, dass sich der Fachausschuss diesen und vielen weiteren Fragen stellen muss und das auch kritisch bewerten wird. Das ist bei diesem Thema auch absolut angemessen.

Aus der Sicht der Landesregierung gibt es weitere Bedenken. Distanzelektroimpulsgeräte werden derzeit in NRW nur von Beamten der Spezialeinsatzkräfte, des SEK, geführt. Sie werden auch nur im Rahmen der mit dem Polizeiführer abgestimmten Zugriffskonzeption mit entsprechenden Vorbereitungszeiten eingesetzt.

Die eingehende Fortbildung beinhaltet eine Einweisung in die Bedienung, die Wirkungsweise und die medizinischen Risiken des Einsatzes. Darin lernen die Beamten auch, was zu tun ist, wenn zum Beispiel einmal etwas schiefgeht, zum Beispiel Geräte versagen, Fehlschüsse oder unzureichende Wirkung auftreten. Solche Fälle treten nicht selten auf. Die Spezialkräfte sind darin geschult, alternative Techniken und Taktiken einzusetzen. Um es kurz auszudrücken: Bevor ein solches Gerät angewendet wird, erfolgt eine gründliche Planung im Vorfeld.

Eine solche Planung ist bei Einsätzen des Wachdienstes gar nicht möglich. Scheinbar harmlose Einsätze können plötzlich und unerwartet eskalieren. Stellen wir uns einmal einen Einsatz bei häuslicher Gewalt vor. Ein Kollege und eine Kollegin stellen den Verdächtigen zur Rede. Der zieht plötzlich ein Messer, stürmt auf einen Beamten zu. Der zieht das Distanzelektroimpulsgerät und feuert ab. Fehlschuss! Welche Möglichkeiten hat dann noch die Kollegin? Mit der Schusswaffe auf den Täter zu zielen, obwohl der bereits beim Kollegen angekommen ist? Die Folge wäre bei einem solchen Fall doch, dass die Gefahr steigt, und zwar für alle Beteiligten, vor allen Dingen für den Kollegen, der das Distanzelektroimpulsgerät abgefeuert hat.

Ich glaube, wir sollten die Erwartungshaltungen hier nicht zu hoch schrauben. Diese notwendigen taktischen Konzepte und entsprechenden Fortbildungskonzeptionen, wie sie bei den Spezialeinheiten in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind, stehen dem Wachdienst momentan schlichtweg nicht zur Verfügung. Darüber hinaus sei auch noch der Hinweis erlaubt, dass auch in den anderen Ländern diese Geräte bislang nur von den Spezialeinsatzkommandos verwendet werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich schließe an dieser Stelle die Aussprache zum Antrag der FDP.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/13309 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Niemand, der dagegen stimmt? – Und niemand, der sich enthält? – Das ist so. Dann haben wir überwiesen.

Ich rufe auf:

14 Zweites Gesetz zur Änderung des Beitreibungserleichterungsgesetzes/ Kfz-Zulassung

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12783

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr
Drucksache 16/13325

zweite Lesung

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Reden zu Protokoll die Reden  zu Protokoll zu geben. (Anlage 1) Das ist auch erfolgt.

Damit kommen wir sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr empfiehlt in Drucksache 16/13325, den Gesetzentwurf mit der Drucksachennummer 16/12783 unverändert anzunehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen? – Das sind die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten, die CDU und die FDP. Möchte jemand dagegen stimmen? – Sich enthalten? – Enthaltung beim fraktionslosen Abgeordneten Schwerd. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/12783 mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen und in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

15 Erstes Gesetz zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/12784

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit,
Gesundheit und Soziales
Drucksache 16/13326

zweite Lesung

Auch hier haben sich alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen darauf verständigt, die Reden zu Protokoll zu geben. (Anlage 2) Das ist erfolgt.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfiehlt in Drucksache 16/13326, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer möchte dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben? – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Piraten, die Fraktion der FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 16/12784 in zweiter Lesung mit dem eben festgestellten Abstimmungsergebnis angenommen und verabschiedet.

Ich rufe auf:

16 Neuntes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/13260

erste Lesung

Frau Ministerin Schulze hat in Vertretung für Herrn Minister Jäger angekündigt, die Rede zu Protokoll zu geben. (Anlage 3) Das ist erfolgt.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Eine weitere Aussprache ist heute sowieso nicht vorgesehen gewesen.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/13260 an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Dieser bekommt die Federführung, und der Innenausschuss erhält die Mitberatung. Jemand gegen diese Überweisung? – Enthaltungen? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

17 Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Freien Berufe in Nordrhein-Westfalen anerkennen und fördern

Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/13307 – Neudruck

Eine Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/13307Neudruck – an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Aussprache und Abstimmung soll dann nach Vorlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses erfolgen. Jemand gegen diese Überweisung? – Enthaltung? – Beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

18 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im 2. Quartal des Haushaltsjahres 2016

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß Artikel 85 Absatz 2 LV
Vorlage 16/4254

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/13082

Eine Aussprache ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in der eben genannten Drucksache, die in Vorlage 16/4254 beantragte Genehmigung zu erteilen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Vorlage 16/4254 selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer dieser Vorlage zustimmen möchte, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – Die Piraten, die CDU, die FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Vielen Dank. Damit ist mit dem eben festgestellten Abstimmungsergebnis die Vorlage 16/4254 angenommen und die beantragte Genehmigung erteilt.

Ich rufe auf:

19 Veräußerung von Liegenschaften des Sondervermögens Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) – Liegenschaft in Siegburg

Antrag
des Finanzministeriums
gemäß § 64 Absatz 2 LHO
Vorlage 16/4361

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/13327

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache 16/13327, in die in Vorlage 16/4361 näher beschriebene Veräußerung eines Grundstückes einzuwilligen. Wir kommen somit zur Abstimmung über die Vorlage selbst und nicht über die Beschlussempfehlung.

Wer der Vorlage seine Zustimmung geben möchte, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Piraten, CDU und FDP und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Mit dem gerade festgestellten Abstimmungsergebnis ist die Vorlage 16/4361 angenommen und die beantragte Einwilligung erteilt.

Ich rufe auf:

20 Organstreitverfahren der PIRATEN-Partei im Landtag Nordrhein-Westfalen gegen den Landtag Nordrhein-Westfalen wegen Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit als politische Partei und auf Gleichheit der Wahl durch Einführung der 2,5-vom-Hundert-Sperrklausel für die Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten sowie den Kreistagen

VerfGH 11/16
Vorlage 16/4326

Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses
Drucksache 16/13213

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in der eben genannten Drucksache, in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Stellung zu nehmen. Wir kommen damit zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung Drucksache 16/13213.

Wer der Beschlussempfehlung zustimmen möchte, bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die CDU, die FDP, die Piraten und … – Kein fraktionsloser Abgeordneter im Raum. Damit ist dann mit dem festgestellten Abstimmungsergebnis, das „einstimmig“ lautet, die Beschlussempfehlung Drucksache 16/13213 angenommen, und wir werden Stellung nehmen.

Ich rufe auf:

21 Nachwahl eines ordentlichen und eines stellvertretenden Mitglieds des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II (WestLB)

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13328

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion der Piraten. Wer diesem Wahlvorschlag seine Zustimmung geben möchte, bitte ich um das Handzeichen. – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und die Piraten selbst. Möchte jemand dagegen stimmen? – Nein. Sich enthalten? – Auch nicht. Damit ist auch hier der Wahlvorschlag Drucksache 16/13328 einstimmig angenommen und Herr Kollege Kern als Nachfolger für Herrn Schulz gewählt und Herr Kollege Olejak das neue stellvertretende Mitglied. Herzlichen Glückwunsch!

Ich rufe auf:

22 Wahl eines Mitglieds des Parlamentarischen Beirats der NRW.BANK

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/13329

Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen.

Wir kommen sofort zur Abstimmung über den Wahlvorschlag der Fraktion der Piraten. Wer möchte diesem Wahlvorschlag zustimmen? – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und die Piraten selbst. Jemand dagegen? – Stimmenthaltungen? – Beides nicht der Fall. Dann ist auch dieser Wahlvorschlag Drucksache 16/13329 einstimmig angenommen, und auch hier können wir Herrn Kollegen Kern gratulieren, der neues Mitglied im Parlamentarischen Beirat der NRW.BANK geworden ist.

Ich rufe auf:

23 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 46
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/13331

Die Übersicht enthält neun Anträge, die vom Plenum gemäß § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie drei Entschließungsanträge. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen ist aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nunmehr abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen entsprechend der Ihnen vorliegenden Übersicht.

Wer das Abstimmungsverhalten in den Ausschüssen bestätigen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP, die Piraten und der fraktionslose Abgeordnete Schwerd. Möchte jemand dagegen stimmen? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann ist auch das einstimmig, und die in der Übersicht 46 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse wurden soeben von Ihnen bestätigt.

Ich rufe auf:

24 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/48
gemäß § 97 Abs. 8
der Geschäftsordnung

Hier gibt es die Übersicht 48, und in der liegen Ihnen die Beschlüsse zu Petitionen vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Ist jemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Das ist auch nicht der Fall. Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass damit diese Beschlüsse zu Petitionen in der Übersicht 16/48 bestätigt worden sind.

Ich will Sie gerne daran erinnern, dass wir morgen im Laufe der Donnerstags-Plenartagesordnung den Halbjahresbericht des Petitionsausschusses hören, und es wäre schön, wenn den viele Kolleginnen und Kollegen durch ihre Anwesenheit auch entsprechend würdigen würden.

Mit dieser kleinen Bemerkung sind wir dann am Ende unseres heutigen Plenartages.

Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, 10. November 2016, 10 Uhr. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 19:15 Uhr

_______________________________________

*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.

 

Anlage 1

Zu TOP 14 – Zweites Gesetz zur Änderung des Beitreibungserleichterungsgesetzes/Kfz-Zulassung – zu Protokoll gegebene Reden

Andreas Becker (SPD):

Angesichts der Tatsachen, dass zum einen die Reden zu Protokoll gegeben werden sollen und zum anderen nach der Beratung im Fachausschuss eine einstimmige Verabschiedung in Aussicht steht, möchte ich mich kurz fassen.

Mit dem bisherigen Gesetz zur Entbürokratisierung der Betreibung von Gebühren- und Auslagenrückständen bei der Zulassung von Fahrzeugen war es möglich, die Zulassung von Fahrzeugen von der Entrichtung rückständiger Verwaltungsgebühren abhängig zu machen.

Diese Regelung hat sich offensichtlich aus mehreren Gründen bewährt. Die Anzahl der verwaltungsaufwendigen Zwangsverfahren wird reduziert, den Kommunen entgehen weniger Einnahmen und ihnen wird auch in gewisser Weise ein erzieherisches Instrument zur Verfügung gestellt.

Dass es sich um ein gutes, sinnvolles und erfolgreiches Gesetz handelt, ist auch daran erkennbar, dass die kommunalen Spitzenverbände von der ihnen eingeräumten Möglichkeit, eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf abzugeben, überhaupt keinen Gebrauch gemacht haben.

Damit diese Regelung weiter wirken kann, ist zum einen die Fortschreibung und zum Zweiten sinnvollerweise die zeitgleiche Entfristung der gesetzlichen Grundlage vorzunehmen.

Aus diesen Gründen wird die SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmen.

Klaus Voussem (CDU):

Um was geht es im vorliegenden Gesetzentwurf?

Die Landesregierung will die Zulassung eines Fahrzeugs von der Begleichung der Verwaltungsgebühren abhängig machen.

Dabei handelt es sich um Verwaltungsgebühren für behördliche Zwangsmaßnahmen zur Stilllegung von Fahrzeugen aufgrund vorliegender Mängel. Diese Mängel sind zum Beispiel eine fehlende Haftpflichtversicherung oder die Nichtentrichtung der Kraftfahrzeugsteuer.

Durch die fehlende Entrichtung solcher Gebühren entstanden bei den Kommunen beträchtliche Einnahmeausfälle. Durch die geplante Fortschreibung und gleichzeitigen Entfristung der geltenden Gesetzesgrundlage soll es weiterhin dauerhaft ermöglicht werden, neue Zulassungen abzulehnen, wenn die entsprechenden Kosten aus zurückliegenden Zulassungsverfahren nicht bezahlt worden sind.

Darüber hinaus soll dadurch die Anzahl der verwaltungsaufwändigen Zwangsverfahren dauerhaft erheblich verringert werden. Zudem soll die oben genannte Regelung noch eine zusätzliche positive Wirkung entfalten: Die Behörden bekommen ein wirksames erzieherisches Instrument in die Hand.

Wer seine Gebühren noch nicht bezahlt, kann kein weiteres Fahrzeug zulassen und ist daher sehr motiviert, diese Rechnungen baldmöglichst zu begleichen.

Wir begrüßen diesen ordnungspolitischen Ansatz der Landesregierung ausdrücklich. Schließen möchte ich daher mit einem Zitat von Herrn Bundespräsidenten Gauck aus dem Jahr 2014:

„Ordnungspolitik ist heute mehr denn je eine Aufgabe […]“

Arndt Klocke (GRÜNE):

Die bewährten Regelungen des Beitreibungserleichterungsgesetzes sollen fortgeschrieben und entfristet werden. Es ist die Grundlage, neue Zulassungen abzulehnen, wenn die entsprechenden Kosten aus vorangegangenen Zulassungsverfahren nicht beglichen worden sind.

Damit wird eine praktikable Lösung umgesetzt, die auch die Behörden erheblich entlastet und den Aufwand für Zwangsverfahren reduziert. Ebenso hat die Maßnahme eine deutliche Lenkungswirkung.

Daher werden wir dem Gesetz in der vorgelegten Form zustimmen.

Christof Rasche (FDP):

Grundsätzlich ist es sinnvoll, Gesetze zu befristen und regelmäßig auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Haben sie sich in der Praxis über einen längeren Zeitraum bewährt, ist es genauso sinnvoll, die Befristung wieder aufzuheben.

Dies gilt für die gesetzliche Regelung, die Zulassung eines Fahrzeugs von der Entrichtung rückständiger Verwaltungsgebühren aus früheren Zulassungsvorgängen abhängig zu machen. Dies führt sowohl zu einer finanziellen Entlastung der Kommunen als auch zu einer erheblichen Reduzierung der Arbeitsbelastung durch verwaltungsaufwändige Zwangsverfahren. Eine dauerhafte Anwendung des Gesetzes wird daher von der FDP-Fraktion ausdrücklich begrüßt.

Oliver Bayer (PIRATEN):

Dem Gesetzentwurf der Landesregierung stimmen wir zu, weil es hierbei im Wesentlichen um formale Aspekte geht. Das bestehende Gesetz wird mit dem darauf bezogenen Änderungsentwurf entfristet. Darüber hinaus wird ein redaktioneller Fehler behoben.

Gegen beide Aspekte sind keine Einwände vorzubringen.

Im Einzelnen stellt sich das Problem nach Auffassung der Landesregierung so dar:

Durch die Einführung des bisherigen Gesetzes zur Entbürokratisierung der Beitreibung von Gebühren- und Auslagenrückständen bei der Zulassung von Fahrzeugen war es möglich, die Zulassung eines Fahrzeugs von der Entrichtung rückständiger Verwaltungsgebühren abhängig zu machen.

Bei nicht antragsgebundenen, jedoch vom Fahrzeughalter verursachten gebührenpflichtigen Amtshandlungen bestand vor Einführung des vorliegenden Gesetzes keine Möglichkeit, die Zulassung eines Fahrzeugs von der Entrichtung der Verwaltungsgebühren abhängig zu machen. Es handelt sich hierbei um Verwaltungsgebühren für behördliche Zwangsmaßnahmen zur Außerbetriebsetzung von Fahrzeugen, die Mängel aufweisen, die nicht haftpflichtversichert sind oder für die keine Kraftfahrzeugsteuer entrichtet wurde. Durch die Nichtentrichtung dieser Gebühren entstanden den Kommunen erhebliche Einnahmeausfälle.

Und so stellt sie sich die Lösung vor:

Durch die vorgesehene Fortschreibung und gleichzeitige Entfristung der bestehenden gesetzlichen Grundlage ist es weiterhin dauerhaft möglich, neue Zulassungen abzulehnen, wenn die entsprechenden Kosten aus vorangegangenen Zulassungsverfahren nicht beglichen worden sind. Außerdem wird die Anzahl der verwaltungsaufwändigen Zwangsverfahren dadurch auf Dauer erheblich reduziert.

Daneben hat diese Regelung den weiteren positiven Effekt, dass den Behörden hiermit ein erzieherisches Instrument zur Verfügung gestellt wird. Der Betroffene wird es sich nach Durchführung der entsprechenden Maßnahmen gegen ihn zukünftig genau überlegen, ob er noch einmal ein ähnliches Risiko durch entsprechendes Fehlverhalten eingeht.

Ganz ohne Kritik ist unsere Zustimmung mit diesem so begründeten Lösungsansatz dann doch nicht zu haben: Uns ist schon sehr sauer aufgestoßen, in welcher „Oberlehrermanier“ in der Begründung eine erzieherische Wirkung reklamiert und sogar in den Mittelpunkt gestellt wird. Angesichts der aus sich selbst heraus wirkenden Sinnhaftigkeit einer Entfristung, die noch dazu kurzfristig in Kraft zu treten hat, wäre auf diesen Zeigefinger leicht zu verzichten gewesen. Ohne Not wird die Moralkeule ausgepackt.

Sei’s drum.

Inhaltlich haben wir keine Einwände.

Michael Groschek, Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr:

Seit zehn Jahren werden aufgrund des vorliegenden Gesetzes von den Zulassungsbehörden nur noch Zulassungen von Fahrzeugen durchgeführt, wenn die Antragsteller vorher alle rückständigen Verwaltungsgebühren aus früheren Zulassungsvorgängen beglichen haben. Aufgrund der vorhandenen Befristung würde das Gesetz zum Jahresende auslaufen.

Dieses Gesetz hat für die Kommunen eine Rechtssicherheit geschaffen, die es so vorher nicht gab. Den Kommunen wurde ein spürbarer Rückgang bei den Rückstandsfällen und dadurch eine erhebliche Entlastung bei der Arbeitsbelastung der Vollstreckungsstellen verschafft.

Gerade in einer Zeit, in denen den Kommunen zusätzliche erhebliche finanzielle Lasten übertragen werden, bietet dieses Gesetz die Möglichkeit, den Kommunen eine Entlastung zu verschaffen. Und ein Aspekt darf hier nicht unterschätzt werden. Die Regelung hat sich herumgesprochen! Wer Gebührenschulden hat, versucht erst gar nicht, ein Fahrzeug auf sich zuzulassen. Er zahlt seine rückständigen Gebühren oder er verzichtet eben auf die Zulassung eines Fahrzeugs, für dessen Unterhalt er offensichtlich nicht genügend Geld hat. Er erspart sich und der Allgemeinheit damit Ärger und Folgekosten.

Aufgrund der erfolgreichen Anwendung in der Verwaltungspraxis und den weiterhin entstehenden Verwaltungsverfahren aufgrund von zwangsweisen Außerbetriebsetzungen von Fahrzeugen in den Kommunen erscheint eine Befristung nicht mehr zeitgemäß. Die Kommunen benötigen dieses Gesetz zur dauernden Anwendung und damit letztendlich zur Reduzierung ihres Verwaltungsaufwandes. Die kommunalen Spitzenverbände haben dies in jeder Anhörung bestätigt.

 

Anlage 2

Zu TOP 15 – Erstes Gesetz zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes Nordrhein-Westfalen – zu Protokoll gegebene Reden

Angela Lück (SPD):

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes soll die Anerkennung der sogenannten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote für pflegebedürftige Personen nach §45 SGB XI auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen werden.

Mit diesen Entlastungsleistungen, die mit dem 1. Pflegestärkungsgesetz eingeführt wurden, soll der Erhalt und die Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen gefördert und die pflegenden Angehörigen entlastet werden.

Bisher hat die Bezirksregierung Düsseldorf die Aufgaben aus der Verordnung über niederschwellige Hilfe- und Betreuungsangebote für Pflegebedürftige wahrgenommen.

Die Übertragung dieser Aufgaben auf die Kreise und die kreisfreien Städte ist ein sinnvoller Schritt, denn bei ihnen liegt die Kenntnis um die örtliche Situation, sie kennen die Angebote und die Leistungserbringer und wissen um die Bedarfe der Menschen vor Ort.

Wir alle wissen, dass fast alle Menschen im Alter dort leben wollen, wo Sie zu Hause sind!

Mit niedrigschwelligen Angeboten und Unterstützungsleistungen wie zum Beispiel Begleitung zum Frisör, zur Apotheke, beim Einkaufen oder auch zu Veranstaltungen bei der AWO!

Sie wollen bei ihrem Hausarzt bleiben und in ihrer Nachbarschaft! Das heißt nicht nur mehr Selbstbestimmung, sondern für alle Betroffenen mehr Lebensqualität!

Deshalb müssen Netzwerke vor Ort entstehen, und die können nur kommunal sinnvoll gesteuert werden.

Deshalb ist es gut und richtig, wenn die Kreise und die kreisfreien Städte sich nun darum kümmern!

Diese kennen die örtlichen Gegebenheiten und die Strukturen in den Gemeinden für die möglichen Angebote zur Unterstützung im Alltag sehr genau. Das ist auch erforderlich, um eine zeitnahe Bearbeitung zu gewährleisten und damit dem Bedarf der anspruchsberechtigten Personen auf eine angemessene Bearbeitung nachzukommen.

Zudem wird mit der Aufgabenübertragung dem bundesgesetzgeberischen Willen, nämlich der Stärkung der Rolle der Kommunen, Rechnung getragen.

Der Gesetzentwurf wird von den kommunalen Spitzenverbänden unterstützt.

Im Ausschuss haben wir uns in der vergangenen Woche mit der Änderung des Alten- und Pflegegesetzes beschäftigt. Deshalb gehe von einer breiten Unterstützung bei der heutigen Abstimmung aus.

Norbert Post (CDU):

Das Pflegestärkungsgesetz des Bundes bietet den Pflegenden und Pflegebedürftigen weitere Unterstützung und Beratung.

Auch werden die Kommunen als Vermittler der Leistungen und Kenner der örtlichen Beratungs- und Unterstützungskultur benannt.

Daher ist es folgerichtig, die Aufgaben nach Weisung von der Bezirksregierung auf die Kommunen zu übertragen.

Die Leistungen nach den §§ 45 a ff SGB XI werden näher an die Menschen gebracht und deren Qualität wird besser prüfbar gemacht.

Auch soll durch die größere Nähe zum Empfänger die Möglichkeit, vermehrt niedrigschwellige Angebote zu machen, verstärkt werden.

Eine Bitte an das Ministerium: Es sollten Handreichungen für die Durchführung an die Kommunen gegeben werden, damit bestimmte Qualitätsmaßstäbe erreicht werden.

Dadurch werden die Träger Anregungen für ihre Angebote erhalten, Konzepte für Schulungen werden ermöglicht und Vorgaben zur Qualität sind möglich.

Eine Evaluation nach zwei Jahren gibt uns die Chance zur Prüfung.

Arif Ünal (GRÜNE):

Selbstbestimmt und in der gewohnten Umgebung wohnen und leben bleiben – das wünschen sich die meisten Menschen, wenn sie auf Unterstützung, Begleitung oder Pflege angewiesen sind
oder es irgendwann mal sein werden. Um diese Versorgungssicherheit zu schaffen, bedarf es eines gut ausgebauten Unterstützungs- und Versorgungsnetzes.

In Nordrhein-Westfalen haben wir vielerorts bereits ein umfassendes Angebot hierzu. Insbesondere auch für Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Wohnen, Beratung, unterstützende Dienste bis hin zu niedrigschwelligen Angeboten für Menschen mit Demenz und deren Angehörige, die helfenn die Anforderungen des Alltags zu bewältigen.

Bislang wird allerdings die Umsetzung der Förderung niedrigschwelliger Hilfen und Angebote für Demenzerkrankte zentral von der Bezirksregierung Düsseldorf durchgeführt.

Mit dem heute eingebrachten Änderungsgesetz soll diese Aufgabe den Kreisen und kreisfreien Städten übertragen werden. Dies ist ein sinnvoller Schritt. Denn in den Kommunen ist das Wissen um die örtliche Situation sowie über die Angebote und Netzwerke und nicht zuletzt über die Bedarfe der Menschen vor Ort.

Den Kommunen kommt bereits heute bei der Daseinsvorsorge für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf eine besondere Rolle zu. Sie sind verantwortlich für die regelmäßige Berichterstattung und kommunale Pflegeplanung vor Ort.

Mit dem Instrument der „Verbindlichen Pflegebedarfsplanung“ haben wir bereits die Kommunen gestärkt bei der Planung und Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur und Quartiersentwicklung vor Ort.

Mit der Zuständigkeit für die Anerkennung der niedrigschwelligen Dienste werden die Kommunen und Kreise nun weiter gestärkt.

Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Landesregierung mit der Drucksache 16/12784 in zweiter Lesung zu.

Susanne Schneider (FDP):

Wir beraten heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Alten- und Pflegegesetzes in zweiter Lesung. Eigentlich beinhaltet die Gesetzesänderung nur eine neue Ermächtigungsgrundlage verbunden mit zusätzlichen Bestimmungen zu Zuständigkeiten bei der Aufsicht. Über diesen Punkt besteht auch weitgehender Konsens. Ich möchte dennoch auf einige Hintergründe und die Diskussion im Ausschuss näher eingehen.

Der Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote richtet sich an Personen mit einem erheblichen Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung – also vor allem an Menschen mit Demenz. Und wir stehen bei die Pflege von Demenzkranken vor enormen Herausforderungen. Gerade weil Demenz mehr bedeutet als nur eine Störung des Gedächtnisses und der geistigen Fähigkeiten und mit ihr vielfältige Verhaltensänderungen wie Apathie, Aggressionen, Orientierungsverlust, zielloses Herumirren, Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus und Essstörungen verbunden sind, werden Angehörige und soziales Umfeld bei der Pflege von Demenzkranken stark belastet. Hier kann der Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote sicher eine wertvolle Unterstützung darstellen.

Der liberale Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hatte mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz bereits erste Schritte eingeleitet, um die vorher rein somatisch ausgerichtete Bewertung von Pflege zu ergänzen. Die Einführung der Pflegestufe „null“ und die Aufschläge in den Pflegestufen I und II haben erstmals den erhöhten Pflegebedarf bei eingeschränkter Alltagskompetenz in der Pflegeversicherung berücksichtigt und somit für rund 500.000 Pflegebedürftige mit Demenz eine Verbesserung ihrer Pflegeleistungen gebracht.

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung sollen Aufgaben im Zusammenhang mit der Anerkennung der niedrigschwelligen Betreuungsangebote auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen werden. Auch aus Sicht der FDP-Fraktion ist es grundsätzlich sinnvoll, dass diese Aufgaben auf die kommunale Ebene verlagert werden. Die Kreise und kreisfreien Städte kennen die örtlichen Gegebenheiten am besten und sie sind auch zuständig für die kommunale Pflegeplanung. Wenn es also nur um diese Zuständigkeitsübertragung gehen würde, hätten wir der Gesetzesänderung auch zustimmen können.

Wir hätten aber gerne die Chance genutzt, zumindest einen weiteren Punkt im Alten- und Pflegegesetz zu korrigieren und die kommunale Bedarfsplanung zu entbürokratisieren. Vonseiten der Kommunen wurde an uns herangetragen, dass sich der Aufwand bei der Erstellung der örtlichen Pflegeplanung oft problematisch gestaltet. Im Rahmen der verfügbaren Zeit- und Personalkapazitäten ist es häufig nicht möglich, alle sinnvollen Themenwünsche in der Pflegeplanung abzuhandeln. Ein zweijähriger Turnus auch bei der verbindlichen Bedarfsplanung gemäß § 7 Absatz 6 APG NRW wie bei der örtlichen Pflegeplanung nach § 7 Absatz 4 APG NRW könnte hier Abhilfe schaffen und die Kommunen von bürokratischem Aufwand entlasten.

Eine zweijährige Bedarfsplanung sollte in der Regel auch ausreichen, um auf Veränderungen der Versorgungsstruktur angemessen reagieren zu können. Planungs- und Bauzeiten für stationäre Einrichtungen erstrecken sich in der Regel über mehrere Jahre. Die Erhebungen für die Bundespflegestatistik erfolgen ebenfalls alle zwei Jahre. Diese Argumente sind aus unserer Sicht überzeugend genug, um hier auch schnell zu einer Entlastung der Kommunen zu kommen.

Wir haben deshalb im Ausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht, der leider nicht auf Ihre Zustimmung gestoßen ist. Da Sie diese Chance nicht nutzen wollten, werden wir uns bei der Abstimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf enthalten.

Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter:

Heute beraten wir über den Gesetzesentwurf, der einen wesentlichen Grundstein legt für die zukünftige Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag – sogenannte niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote nach § 45b SGB XI.

Wie Sie wissen, wird die Anerkennung dieser Angebote landesrechtlich in einer Verordnung geregelt. Für die zukünftige Aufgabenerfüllung durch die Kreise und kreisfreien Städte bedarf es jedoch einer gesetzlichen Regelung.

Die Landesregierung begrüßt die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 2.11.2016, den Gesetzesentwurf anzunehmen. Mit der Annahme der Gesetzesänderung wird der Weg bereitet für die Erweiterung der niedrigschwelligen Angebote um Entlastungsleistungen, die pflegenden Angehörigen sowie Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege zugute kommen sollen.

Damit wird der Auf- und Ausbau einer breiten und qualitativ gut aufgestellten Angebotslandschaft ermöglicht, die als wichtiger Baustein das ambulanten Versorgungssetting ergänzt und den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglicht. Daher sind mir diese Angebote auch so wichtig, denn sie fördern den Erhalt der Selbstständigkeit und die Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen und entlasten pflegende Angehörige.

Wie bereits im Rahmen der Einbringung des Gesetzesentwurfs dargelegt, handelt es sich bei den Entlastungsangeboten zum Beispiel um die Begleitung zum Einkauf, zum Gottesdienst
oder zum Besuch auf dem Friedhof, um Unterstützung im Haushalt und beim Umgang mit Behördenangelegenheiten sowie bei der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte.

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf sollen die Aufgaben der Anerkennung künftig auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen werden. Das ist wichtig zunächst angesichts der Vielzahl der Angebote – NRW verfügt bereits über ca. 2.300 anerkannte niedrigschwellige Betreuungsangebote. Die Entlastungsangebote werden die Zahl der Angebote deutlich erhöhen und auch den Kreis der Anbieterinnen und Anbieter vergrößern.

Darüber hinaus – und das ist wohl zentral – sind die Kommunen auch die Experten der Versorgungsstrukturen und Versorgungsbedarfe vor Ort. Daher ist es nur konsequent, die Rolle der Kommunen in NRW zu stärken. Genau so wie wir es jetzt machen, hat es deshalb die gemeinsame Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände beschlossen. Wir in NRW nehmen hiermit bei deren Umsetzung sicherlich eine Vorreiterrolle ein.

Wie Ihnen bereits aus der ersten Lesung am 16. September bekannt ist, wurde die Aufgabenübertragung im Vorfeld mit den Kommunen abgestimmt und die Konnexitätsfrage geklärt. Der Annahme des Gesetzesentwurfs steht also nichts mehr im Wege.

Die FDP hat zwar eine Änderung des Gesetzesentwurfs vorgeschlagen, der die verbindliche Bedarfsplanung der Kommunen betrifft. Hierbei ging es um die Lockerung der Vorgaben, konkret die Verlängerung des Planungsturnus von einem auf zwei Jahre. Dieser Vorschlag stand nicht in Verbindung zu den dargestellten Inhalten des Gesetzesentwurfs.

Auch wenn ich die Zielsetzung des Antrags, die Kommunen vor zu hoher Verwaltungsbürokratie zu entlasten, teile, ist es aus meiner Sicht gut, dass der Ausschuss sich zunächst zugunsten einer größeren Rechtssicherheit und gegen die Annahme der Änderung ausgesprochen hat.

Ich kann Ihnen zusagen, dass wir die Kommunen bereits in der Vergangenheit beraten haben, wie sie auch die jährliche verbindliche Bedarfsplanung mit vertretbarem Aufwand bewerkstelligen können. Und wir werden sicher in der neuen Legislaturperiode, wenn uns mehr Erfahrungen gerade mit dem neuen Instrument der vom Landtag geforderten verbindlichen Bedarfsplanung und etwaigen Gerichtsverfahren hierzu vorliegen, auch die Regelungen zur Pflegeplanung nochmal auswerten und dann gemeinsam ggf. über Änderungen auf einer besseren Erkenntnisgrundlage diskutieren können.

Ich freue mich daher nun auf die heutige Beratung und darauf, dass der Landtag der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales folgt und den Gesetzesentwurf der Landesregierung annimmt. Die Landesregierung wird dann schnellstmöglich die neue Verordnung zu den Betreuungs- und Entlastungsangeboten veröffentlichen.

Hiermit gehen wir dann gemeinsam einen wichtigen Schritt in die Zukunft und die Entwicklung einer noch besseren altengerechten Quartiersversorgung.

 

Anlage 3

Zu TOP 16 – Neuntes Gesetz zur Änderung der gesetzlichen Befristungen im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Inneres und Kommunales – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Dieser Gesetzentwurf enthält einen Vorschlag zur weiteren Behandlung befristeter Vorschriften.

Im Einzelnen zielt dieser darauf ab, nicht mehr notwendige Berichtspflichten im Kommunalwahlgesetz sowie im Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen zu streichen.

Das Kommunalwahlgesetz hat sich als unverzichtbar für die Durchführung von Wahlen auf kommunaler Ebene erwiesen und hat sich in der Praxis bewährt. Es wird jeweils zu den Wahlen einer Überprüfung unterzogen und regelmäßig an aktuelle Entwicklungen angepasst. Der Landtag wird somit unmittelbar mit den notwendigen Gesetzesänderungen befasst.

Im Mai 2016 ist die EU-Datenschutz-Grundverordnung in Kraft getreten. Als unmittelbar geltende europäische Datenschutznorm wird sie mit Wirkung zum 25. Mai 2018 das bisherige nationale Datenschutzrecht zu großen Teilen ersetzen bzw. verdrängen.

Das Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen wird in seiner bisherigen Fassung aufgrund des nur noch begrenzten Gestaltungsspielraums für den Landesgesetzgeber grundlegend überarbeitet werden müssen, um den neuen europäischen Vorgaben zu entsprechen.

Die bislang vorgesehenen Berichtspflichten für beide Gesetze werden somit entbehrlich.

Aus Gründen der Verwaltungsökonomie ist es daher geboten, von den Berichtspflichten abzusehen.

Die Streichung von Berichtspflichten bedeutet nicht, dass wir als Landesregierung zukünftig auf die Prüfung und Evaluierung dieser Gesetze verzichten.

Ganz im Gegenteil: Auch künftig werden wir die Gesetze in unserem Land sorgfältig beobachten.

Sollte sich daraus der Bedarf für notwendige Änderungen und Reformen ergeben, werden wir diese im Dialog auf den Weg bringen.