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Landtag

 

Plenarprotokoll

Nordrhein-Westfalen

16/108

16. Wahlperiode

16.03.2016

 

108. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 16. März 2016

Mitteilungen der Präsidentin. 11065

1   Wahl des Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11443. 11065

Ergebnis. 11066

Marc Olejak (PIRATEN) 11066

Ergebnis. 11067

Marc Olejak (PIRATEN) 11067

Unterbrechung des TOP 1     
Fortsetzung und Ergebnis
im Anschluss an TOP 2                    11068

2   Einbruchs- und Taschendiebstahl auf Rekordniveau – NRW leidet unter steigender Kriminalität und geringem Aufklärungserfolg  – Landesregierung muss schnell Handlungsfähigkeit beweisen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11467. 11068

Marc Lürbke (FDP) 11068

Andreas Bialas (SPD) 11069

Peter Biesenbach (CDU) 11071

Verena Schäffer (GRÜNE) 11073

Dirk Schatz (PIRATEN) 11074

Minister Ralf Jäger 11076

Armin Laschet (CDU) 11078

Christian Dahm (SPD) 11080

Marc Lürbke (FDP) 11081

Verena Schäffer (GRÜNE) 11083

Dirk Schatz (PIRATEN) 11084

Minister Ralf Jäger 11085

1   Wahl des Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen (Fortsetzung)

Wahlvorschlag  
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11507. 11087

Lutz Lienenkämper (CDU) 11087

Michele Marsching (PIRATEN) 11087

Ergebnis. 11088

3   Kriminalitätsbekämpfung intensivieren: Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen („Schleierfahndung“) ermöglichen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11307. 11088

Theo Kruse (CDU) 11088

Christian Dahm (SPD) 11089

Verena Schäffer (GRÜNE) 11091

Marc Lürbke (FDP) 11091

Dirk Schatz (PIRATEN) 11093

Minister Ralf Jäger 11093

Ergebnis. 11094

4   Gesetzlicher Mindestlohn ist gut für die Beschäftigten und die Gesellschaft – Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung weiter eingrenzen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11425. 11094

Rainer Bischoff (SPD) 11095

Martina Maaßen (GRÜNE) 11095

Peter Preuß (CDU) 11096

Ulrich Alda (FDP) 11097

Torsten Sommer (PIRATEN) 11100

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 11101

Ergebnis. 11102

5   Logistikland NRW nicht auf das Abstellgleis fahren – Hafen- und Flughafenstandorte im Landesentwicklungsplan sichern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11417. 11102

Holger Ellerbrock (FDP) 11102

Jochen Ott (SPD) 11103

Klaus Voussem (CDU) 11104

Arndt Klocke (GRÜNE) 11105

Oliver Bayer (PIRATEN) 11107

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 11108

Holger Ellerbrock (FDP) 11109

Jochen Ott (SPD) 11110

Ergebnis. 11111

6   Lobbyismus transparent machen – Einführung eines Lobbyregisters in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11414. 11111

Michele Marsching (PIRATEN) 11111

Marion Warden (SPD) 11111

Bernd Krückel (CDU) 11112

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE) 11113

Angela Freimuth (FDP) 11114

Minister Ralf Jäger 11115

Michele Marsching (PIRATEN) 11116

Ergebnis. 11117

7   Gesetz zum Erlass eines Landesbibliotheksgesetzes und zur Änderung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11436

erste Lesung. 11117

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU) 11117

Andreas Bialas (SPD) 11118

Oliver Keymis (GRÜNE) 11119

Ingola Schmitz (FDP) 11120

Lukas Lamla (PIRATEN) 11121

Ministerin Christina Kampmann. 11122

Ergebnis. 11123

8   Pluralität und Meinungsbildung der Elternverbände in der Schullandschaft respektieren – Partizipationsmöglichkeiten der Elternvertretungen vor Ort stärken

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11418. 11123

Yvonne Gebauer (FDP) 11123

Renate Hendricks (SPD) 11124

Klaus Kaiser (CDU) 11125

Sigrid Beer (GRÜNE) 11126

Monika Pieper (PIRATEN) 11127

Ministerin Sylvia Löhrmann. 11128

Ergebnis. 11130

9   Umsetzung der Inklusion darf nicht zur Exklusion führen – Landesregierung muss Entwicklungen beim Aussetzen des Schulbesuchs erfassen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11419. 11130

Vertagung. 11130

10 Nordrhein-Westfalen ist bundesweiter Vorreiter für gute Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11428

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11502. 11130

Dietmar Bell (SPD) 11130

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE) 11131

Dr. Stefan Berger (CDU) 11132

Angela Freimuth (FDP) 11133

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 11134

Ministerin Svenja Schulze. 11135

Ergebnis. 11136

11 Fragestunde

Mündliche Anfrage
Drucksache 16/11240. 11136

Mündliche Anfrage 76

„Andauernde Probleme und Kapitalverzehr beim defizitären staatlichen Glücksspielanbieter – Welche strukturellen Maßnahmen ergreift der Finanzminister endlich zur Beseitigung der ökonomischen Schieflage bei WestSpiel?“ 11136

des Abgeordneten
Ralf Witzel (FDP)

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 11138

12 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag – Versöhnungs- und Freundschaftswerk der Heimatvertriebenen und Aussiedler würdigen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11430

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11491. 11147

Heiko Hendriks (CDU) 11147

Josef Neumann (SPD) 11148

Stefan Engstfeld (GRÜNE) 11149

Angela Freimuth (FDP) 11150

Michele Marsching (PIRATEN) 11151

Minister Franz-Josef Lersch-Mense. 11152

Ergebnis. 11153

Zur Geschäftsordnung

Michele Marsching (PIRATEN) 11153

13 „Die Energiewende braucht Bürgerenergie – Ausschreibungen verhindern Bürgerenergie“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11415

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11492

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11503. 11154

Kai Schmalenbach (PIRATEN) 11154

Frank Sundermann (SPD) 11155

Josef Hovenjürgen (CDU) 11156

Wibke Brems (GRÜNE) 11157

Andreas Terhaag (FDP) 11158

Minister Johannes Remmel 11160

Ergebnis. 11161

14 „Räume der Stille“ erhalten und ermöglichen – Flagge zeigen gegen religiösen Fundamentalismus – Eintreten für unsere freiheitlich-demokratischen Werte

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11432. 11161

Dr. Stefan Berger (CDU) 11161

Gabriele Hammelrath (SPD) 11162

Ali Bas (GRÜNE) 11163

Angela Freimuth (FDP) 11164

Dr. Joachim Paul (PIRATEN) 11165

Ministerin Svenja Schulze. 11166

Ergebnis. 11167

15 Die Spätaussiedler sind ein gut integrierter Teil unserer Gesellschaft – Nordrhein-Westfalen würdigt ihre Lebens- und Integrationsleistung und verurteilt alle Versuche der Polarisierung und Desinformation

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11431. 11167

Werner Jostmeier (CDU) 11167

Elisabeth Müller-Witt (SPD) 11168

Jutta Velte (GRÜNE) 11169

Dr. Joachim Stamp (FDP) 11170

Michele Marsching (PIRATEN) 11170

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans. 11171

Ergebnis. 11171

16 Gründung eines Beirates für die Niederdeutsche Sprache

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11433. 11171

Vertagung. 11171

17 Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10493

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/11444

zweite Lesung. 11171

Markus Herbert Weske (SPD)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 11171

Theo Kruse (CDU)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 11171

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 11171

Dietmar Schulz (PIRATEN)
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 11171

Minister Dr. Norbert Walter-Borjans
zu Protokoll (siehe Anlage 1) 11171

Ergebnis. 11171

18 Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2016

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11309

erste Lesung. 11172

Minister Ralf Jäger
zu Protokoll (siehe Anlage 2) 11172

Ergebnis. 11172

19 Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/11440. 11172

Ergebnis. 11172

20 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 39
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/11445. 11172

Ergebnis. 11172

21 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/41
gem. § 97 Abs. 8 GO.. 11172

Anlage 1. 11173

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorungsgesetzes“ – zu Protokoll gegebene Reden

Markus Herbert Weske (SPD) 11173

Theo Kruse (CDU) 11173

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE) 11173

Dietmar Schulz (PIRATEN) 11174

Minister Ralf Jäger 11174

Anlage 2. 11177

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2016“ – zu Protokoll gegebene Rede

Minister Ralf Jäger 11177


Entschuldigt waren:

 

Minister Garrelt Duin    
(bis 16:30 Uhr)

Minister Michael Groschek

Minister Franz-Josef Lersch-Mense      
(ab 19:00 Uhr)

Ministerin Sylvia Löhrmann

     (ab 16.00 Uhr)

Minister Rainer Schmeltzer

Brigitte Dmoch-Schweren (SPD)

Heike Gebhard (SPD)

Helene Hammelrath (SPD)

Gerda Kieninger (SPD)

Lothar Hegemann (CDU)          
(bis 13:00 Uhr)

Claudia Middendorf (CDU)

Ina Scharrenbach (CDU)           

     (ab 16:00 Uhr)

Bernhard Schemmer (CDU)

Horst Becker (GRÜNE)

Rolf Beu (GRÜNE)

Reiner Priggen (GRÜNE)

 


Beginn: 10:04

Präsidentin Carina Gödecke: Guten Morgen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 108. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Ich freue mich, dass ich auch heute jemandem zum Geburtstag gratulieren darf, nämlich dem Fraktionsvorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Herrn Kollegen Norbert Römer.

(Beifall von allen Fraktionen)

Lieber Herr Kollege Römer, ganz herzlichen Glückwunsch im Namen des Hohen Hauses! Wir wünschen Ihnen alles Gute. Die Hoffnung, dass der Plenartag nicht allzu lang wird, ist zwar schön, aber im Moment wohl etwas trügerisch. Von daher feiern Sie eben Ihren Geburtstag heute mit uns.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch bekannt geben, dass die im Landtag vertretenen Fraktionen sich zwischenzeitlich einvernehmlich darauf verständigt haben, den in der heutigen Plenarsitzung als Tagesordnungspunkt 18 vorgesehenen Antrag der Fraktion der Piraten „Kontrolle der NRW.BANK durch den Landtag sicherstellen“, Drucksache 16/8975, nicht zu beraten.

Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte verschieben sich entsprechend. Die neue Nummerierung der Tagesordnungspunkte sowie die geänderten Richtzeiten sind in der aktuellen Tagesordnung im Internetauftritt des Landtags abrufbar.

Mit dieser Vorbemerkung treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Wahl des Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11443

Mit der vorgenannten Drucksache hat die Fraktion der Piraten vorgeschlagen, den Abgeordneten Olaf Wegner zum Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen zu wählen.

Die Vizepräsidentinnen bzw. Vizepräsidenten des Landtags werden gemäß § 3 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung nach Feststellung der Beschlussfähigkeit des Landtags in getrennten Wahlgängen in geheimer Wahl für die Dauer der Wahlperiode gewählt.

Beschlussfähig ist der Landtag nach Art. 44 Abs. 1 unserer Landesverfassung bzw. nach § 40 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung, wenn mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitglieder anwesend ist. – Wenn wir uns umschauen – ich bitte die beiden Schriftführer, das auch zu tun –, sehen wir: Das ist der Fall. Ihr Einvernehmen vorausgesetzt, stellen wir damit die Beschlussfähigkeit des Landtags fest.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass für die vorzunehmende Wahl die Abstimmungsregelungen gemäß Art. 44 Abs. 2 der Landesverfassung bzw. § 43 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung gelten. Danach fasst der Landtag seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Das bedeutet, der Wahlvorschlag ist dann angenommen, wenn mehr Abgeordnete mit Ja als mit Nein stimmen. Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen zählen nicht mit. Diese bleiben also bei der Ermittlung, ob eine Stimmenmehrheit vorliegt, unberücksichtigt.

Für die Durchführung der geheimen Wahl benötigen wir zusätzlich zu der derzeitigen Schriftführerin Frau Lück und dem derzeitigen Schriftführer Herrn Solf weitere Schriftführerinnen und Schriftführer. Ich bitte die eingeteilten Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Positionen an den Tischen zur Ausgabe der Wahlunterlagen sowie an den Wahlkabinen und Wahlurnen bereits jetzt einzunehmen.

Vor dem eigentlichen Wahlvorgang möchte ich Ihnen noch einige Hinweise zum Wahlverfahren geben:

Die Ausgabe der Wahlunterlagen erfolgt an den hierfür vorgesehenen Tischen. Nach Aufruf Ihres Namens erhalten Sie dort einen Stimmzettel, mit dem Sie mit Ja, Nein oder Enthaltung stimmen können.

Für die Stimmabgabe benutzen Sie bitte die hinten links und rechts aufgestellten Wahlkabinen, die so platziert worden sind, dass die Durchführung einer geheimen Wahl sichergestellt ist.

Ihren Stimmzettel werfen Sie bitte anschließend in die Wahlurnen. Diese Anordnung ist gewählt, um den Wahlvorgang korrekt und zugleich zügig abzuwickeln.

Beim Ausfüllen der Stimmzettel bitte ich Sie, nur die in den Wahlkabinen ausliegenden Dokumentenstifte zu benutzen. Eine anderweitige Kennzeichnung mit Tinte, Kugelschreiber oder Farbstift gewährleistet nicht mehr die Geheimhaltung der Wahl, da in einem solchen Fall die Stimmabgabe dem Stimmberechtigten zugeordnet werden könnte. Deshalb müssen derartige Stimmzettel als ungültig gewertet werden.

Ebenfalls als ungültig gewertet werden leere, mehrfach oder anderweitig gekennzeichnete Stimmzettel.

Gibt es zu dem Wahlverfahren noch Fragen oder etwaige Unklarheiten? – Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich den Wahlvorgang, und ich bitte Frau Lück, mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Der Namensaufruf zur Stimmabgabe erfolgt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Namensaufruf abgeschlossen ist und die Stimmzettel an die anwesenden Landtagsabgeordneten ausgegeben wurden, bitte ich jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Stimme abzugeben.

(Die Schriftführerinnen und Schriftführer geben ihre Stimme ab.)

Nachdem nun auch die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimme abgegeben haben, frage ich noch einmal vorsichtshalber, ob auch alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimme abgegeben haben. – Das ist offenbar der Fall.

Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Herrn Bialas, Herrn Hans-Peter Müller, Frau Kopp-Herr, Frau Güler, Frau Thönnissen, Frau Korte, Frau Scharrenbach, Herrn Marquardt, Frau Preuss-Buchholz, Herrn Bolte, Frau Maaßen, Herrn Alda und Herrn Terhaag, die Auszählung der Stimmen vorzunehmen. Die Auszählung wird aus organisatorischen Gründen im Empfangsraum stattfinden.

Ich unterbreche die Sitzung für eine ganz kurze Zeit bis zur Bekanntgabe dieses Wahlergebnisses. Da erfahrungsgemäß die Auszählung nicht lange dauern wird, bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, während der Unterbrechung im Plenarsaal zu bleiben bzw. sich nicht weit entfernt davon aufzuhalten. – Vielen Dank.

Die Sitzung ist kurz unterbrochen.

(Unterbrechung von 10:25 Uhr bis 10:30 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Abstimmungsergebnis liegt vor. Daher eröffne ich die unterbrochene Sitzung wieder und gebe Ihnen das Ergebnis der Wahl bekannt.

Wie Sie wissen, gehören dem Landtag 237 Abgeordnete an. Neun Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt. An der Wahl haben sich insgesamt 209 Abgeordnete beteiligt. Es gab 209 gültige Stimmen und demzufolge keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 27 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 175 Abgeordnete gestimmt. Es hat sieben Enthaltungen gegeben.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde die erforderliche Mehrheit für die Wahl des Abgeordneten Olaf Wegner zum Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen nicht erreicht.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Piratenfraktion hat, wie ich gerade gehört habe, um das Wort gebeten. Herr Kollege Olejak, bitte. – Vom Platz aus? – Bitte, das Mikro ist frei.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte hiermit eine kurze Unterbrechung der Sitzung beantragen, damit ich die Möglichkeit habe, mich noch einmal ganz kurz mit den Fraktionsvorsitzenden und den Geschäftsführern der anderen Fraktionen zu unterhalten.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es gehört: Die Piratenfraktion hat durch ihren Parlamentarischen Geschäftsführer gemäß § 39 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung eine Sitzungsunterbrechung beantragt.

Dazu ist ein Mehrheitsbeschluss notwendig. Hier im Haus ist es aber geübte Praxis, dem Antrag einer Fraktion auf Sitzungsunterbrechung auch stattzugeben. Deshalb frage ich, ob jemand gegen die Sitzungsunterbrechung stimmen möchte. – Das ist nicht der Fall. Damit unterbrechen wir die Sitzung.

Herr Kollege Olejak, sind Sie mit einer Unterbrechung von zehn Minuten einverstanden?

(Marc Olejak [PIRATEN]: Ja!)

Jetzt haben wir 10:32 Uhr. Dann werden wir versuchen, die Sitzung um 10:45 Uhr fortzuführen. – Die Sitzung ist bis 10:45 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung von 10:32 Uhr bis 10:45 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben 10:45 Uhr. Demzufolge eröffne ich die gerade unterbrochene Sitzung wieder. Wir befinden uns in Tagesordnungspunkt 1: „Wahl des Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen“.

Herr Kollege Olejak hat erneut um das Wort gebeten. Das Mikro ist freigeschaltet, Herr Kollege.

Marc Olejak (PIRATEN: Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wir würden dann einen zweiten Wahlgang beantragen.

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. – Sie haben es gehört, ein zweiter Wahlgang wurde beantragt. Ich gehe davon aus: mit demselben Kandidaten.

Diesen zweiten Wahlgang werden wir dann jetzt auch durchführen. Ich halte es allerdings nicht für erforderlich, dass ich Ihnen die gesamten Hinweise zum Wahlverfahren noch einmal vortrage.

(Beifall von der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Aus meiner Sicht reicht völlig der Hinweis, dass die Erläuterungen zum ersten Wahlgang auch im zweiten Wahlgang gelten.

Damit eröffne ich den zweiten Wahlgang und bitte die Schriftführerin, Frau Lück, die Namen erneut aufzurufen. – Entschuldigung, natürlich muss ich zuvor die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, ihre Plätze an den Ausgabeplätzen, an den Wahlurnen, an den Wahlkabinen einzunehmen. Die Unterlagen müssen zur Verfügung gestellt werden. Da jetzt alles bereit ist, kann Frau Lück mit dem Namensaufruf beginnen.

(Der Namensaufruf zur Stimmabgabe erfolgt.)

Da der Namensaufruf abgeschlossen ist und offensichtlich alle Landtagsabgeordneten gewählt haben, bitte ich nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, auch ihre Stimme abzugeben, damit wir den Wahlgang gleich schließen können.

(Die Schriftführerinnen und Schriftführer geben ihre Stimme ab.)

Wie ich sehe, haben nun auch die Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Stimme abgegeben. – Gibt es jemanden hier im Raum, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat und das nachholen möchte? – Das ist nicht der Fall.

Dann schließe ich an dieser Stelle den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer erneut, die Stimmen im Empfangsraum auszuzählen. Wir unterbrechen erneut für diesen kurzen Moment die Sitzung.

(Unterbrechung von 11:00 Uhr bis 11:05 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Stimmergebnis liegt vor. Damit hebe ich die Unterbrechung der Sitzung auf, und wir fahren fort.

Das Ergebnis lautet folgendermaßen: Wir sind 237 Abgeordnete. Neun Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt. An diesem zweiten Wahlgang haben sich 216 Abgeordnete beteiligt. Es hat 213 gültige Stimmen gegeben und demzufolge drei ungültige Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 26 Abgeordnete, mit Nein 182, und es gab fünf Enthaltungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem eben mitgeteilten Abstimmungsergebnis wurde die erforderliche Mehrheit für die Wahl des Abgeordneten Olaf Wegner zum Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen auch im zweiten Wahlgang nicht erreicht.

Herr Kollege Olejak hat erneut um das Wort gebeten. Dieses Mal spricht er, wie mir gesagt wurde, vom Redepult aus. Bitte schön, Herr Kollege.

Marc Olejak (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In einer freien und geheimen Wahl wurde der Kollege Wegner nicht gewählt. Dies mag einigen Leuten nicht nachvollziehbar erscheinen. Mir selbst ist es nicht nachvollziehbar.

Da das Ganze offensichtlich rein an der Person des Herrn Abgeordneten Wegner liegt, möchte ich Ihnen daher einen anderen Kandidaten vorschlagen.

(Zuruf von der CDU: Mich!)

Ich möchte Ihnen hiermit den Vorschlag unterbreiten, der Wahl des Abgeordneten Dietmar Schulz zum Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen zuzustimmen. Ich werde diesen Antrag nunmehr für einen weiteren Wahlgang einreichen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Olejak.

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben es gehört: Die Fraktion der Piraten hat einen dritten Wahlgang beantragt, allerdings mit einem anderen Kandidaten. So wie sich – wie Sie eben bemerkt haben – die Fraktion der Piraten auf eventuelle Szenarien vorbereitet hat, haben wir das im Sitzungspräsidium natürlich auch getan.

Ich halte einen solchen Antrag für zulässig. Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass wir die Stimmzettel für den dritten Wahlvorgang jetzt erst vorbereiten müssen; sie sind noch nicht vorbereitet. Das werden wir jetzt, da der Kandidat benannt wurde, umgehend veranlassen.

Für diesen Zeitraum werden wir die Sitzung nicht unterbrechen, sondern wir werden die Beratung dieses Tagesordnungspunktes unterbrechen. Ich würde, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, den Tagesordnungspunkt 2 aufrufen und komplett durchführen lassen. Danach – davon gehe ich aus – liegen die Stimmzettel vor. Dann können wir den dritten Wahlvorgang am heutigen Tag vornehmen. Anschließend werden wir sehen, wie wir die Tagesordnung fortsetzen. – Die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer nicken; ihr Einverständnis setze ich damit voraus.

Dann unterbreche ich an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 1, um ihn später wieder aufzurufen.

Ich rufe auf:

2   Einbruchs- und Taschendiebstahl auf Rekordniveau – NRW leidet unter steigender Kriminalität und geringem Aufklärungserfolg – Landesregierung muss schnell Handlungsfähigkeit beweisen

Aktuelle Stunde
auf Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11467

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat jetzt für die antragstellende Fraktion der FDP Herr Kollege Lürbke das Wort.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, seit 2010 verantworten Sie eine dramatische Kriminalitätsentwicklung in Nordrhein-Westfalen. Auch die aktuellen Zahlen offenbaren erneut in aller Deutlichkeit: Nordrhein-Westfalen verkommt unter Ihrer Verantwortung immer mehr zum Selbstbedienungsladen für Kriminelle – und das mit fatalen Folgen!

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Bürger fühlen sich unter Ihrer Regierung nicht mehr sicher. Die Polizeibeamten fühlen sich unter Ihrer Regierung im Stich gelassen; sie schütteln mittlerweile ganz offen den Kopf.

Die Zahlen sind besorgniserregend. Seit 2010 ist unter Ihrer Regierung die Zahl der Wohnungseinbrüche in Nordrhein-Westfalen um 39 % angestiegen. Seit 2010 ist die Zahl der Taschendiebstähle in Nordrhein-Westfalen um 34 % angewachsen. Nie gab es schlechtere Zahlen in Nordrhein-Westfalen!

Herr Minister, vielleicht schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit?

(Minister Ralf Jäger: Ich bin immer da!)

Ich sage bewusst: Sie verantworten diese Entwicklung. Ich sage nicht, dass Sie schuld daran sind. Da gibt es viele Faktoren. Sie sind auch nicht persönlich in jede Wohnung eingestiegen. Aber die Verantwortung tragen Sie.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die Verantwortung für diese vernichtende Bilanz trägt die Landesregierung.

Gleichzeitig scheint dieser Landesregierung die innere Sicherheit – mit fatalen Folgen für das Sicherheitsgefühl der Menschen in unserem Land –Tag für Tag ein Stück mehr zu entgleiten. Die Einbruchs- und die Straßenkriminalität stellt doch einen erheblichen Eingriff in die unmittelbare Privatsphäre dar und wirkt – gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse der Silvesternacht – bei einer Vielzahl von Opfern ganz massiv nach.

Die der Öffentlichkeit und dem Parlament lange verheimlichten dramatischen Zahlen der Auswerte- und Analyseprojekte „NAFRI“ und „Casablanca“ mit über 4.000 Personen bei den einschlägigen Tätergruppierungen bringen die Landesregierung in ziemliche Erklärungsnot. Deswegen haben wir heute mehr denn je die Aufgabe, den Menschen die tatsächliche Verfügbarkeit der inneren Sicherheit und die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats zu beweisen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir als FDP haben früh gewarnt. Wir haben gemahnt; wir haben gefordert und appelliert. Aber es musste ja quasi erst der polizeiliche Notstand in Nordrhein-Westfalen ausgerufen werden, bevor Sie endlich mit einem Nachtragshaushalt nachgesteuert haben. Das ist ein erster richtiger Schritt, das will ich zugestehen, aber es liegen noch viele weitere Schritte vor Ihnen.

Frau Ministerpräsidentin, ich will es deutlich sagen: Sie haben eine Bringschuld gegenüber den Bürgern und gegenüber den Beamten unseres Landes, die über einen hektischen 15-Punkte-Plan und über einen Nachtragshaushalt weit hinausgeht. Nordrhein-Westfalen gleicht vielfach einem innenpolitischen Scherbenhaufen. Da wird ein wenig Sekundenkleber an all den betroffenen Stellen nicht allzu viel ausrichten.

(Beifall von der FDP)

Deswegen sind Sie da gefordert.

(Beifall von der FDP)

Frau Ministerpräsidentin, ich möchte Sie auch bitten: Sagen Sie den Menschen im Land, wie die Lage tatsächlich ist. Die zunehmenden Aufgaben der Polizei und die gleichzeitige Unterbesetzung in den Polizeibehörden vor Ort lassen doch kaum mehr ausreichende Polizeipräsenz und notwendige Ermittlungen zu.

(Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Die Ermittler müssen heute bei gleichem Personal fast 18.000 Wohnungseinbrüche und gut 14.000 Taschendiebstähle mehr bearbeiten als im Jahr 2010, und das bei gleichem Personal. Eigentlich ist die Lage sogar noch schlimmer: Durch interne Verlagerungen, beispielsweise zur Terrorbekämpfung, steht sogar weniger Personal zur Verfügung.

(Minister Ralf Jäger: Quatsch! – Weitere Zurufe)

Nur 14% der Einbrüche im Land werden aufgeklärt; örtlich sind es gar nur 5 %. Nur einer von 100 Wohnungseinbrechern in Nordrhein-Westfalen geht für seine Taten ins Gefängnis. Fahndungsdruck und Kontrolldruck im Zusammenhang mit Wohnungseinbrüchen ist in Nordrhein-Westfalen also faktisch nicht vorhanden.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Warum regelt so etwas nicht der freie Markt?)

Nicht ohne Grund haben die Kripobeamten – und zwar zu Recht – endlich massiv aufbegehrt und kundgetan, dass sie mit diesem Kurs des Innenministers nicht mehr zufrieden sind und sich auch nachhaltig im Stich gelassen fühlen. Der Bund der Deutschen Kriminalbeamten – der BDK –, die Praktiker der Kripo, sie sagen in Ihre Richtung, Herr Minister: Die Ursachen der hohen Wohnungseinbrüche kann man beheben, wenn man will.

Ergo heißt das im Umkehrschluss: Sie wollen offenbar nicht. – So der Vorwurf an Sie, Herr Minister.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Lürbkes Logik!)

– Herr Körfges, Sie wissen es doch genau:

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen habe ich wirklich Ahnung!)

Die Wahrheit in Nordrhein-Westfalen ist folgende: Der Wach- und Wechseldienst ist am Limit, die Kripo ist hoffnungslos überlastet. Die MEKs wurden zum LKA abgezogen, SEKs wurden aufgelöst. Die Hundertschaften sind vielfach ausgebrannt. Das ist ein eklatanter Schiefstand! Die Gleichung muss doch vielmehr lauten: Wir brauchen motivierte Ermittler und frustrierte Täter.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mit Ihrer Politik produzieren Sie aber genau das Gegenteil.

Herr Minister, ebenso erschreckend wie die aktuellen Zahlen ist Ihre Reaktion darauf. Das mit diesen hohen Einbruchszahlen zeitgleich präsentierte Einbruchsradar verdeutlicht doch im Grunde Ihre ganze Hilflosigkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie raten den Bürgern zu mehr Sensibilität, aber im Grunde liefern Sie den Kriminellen die Daten gleich mit. Die Polizeibehörden Aachen, Düren, Heinsberg werten dieses Polizeiradar als Planungshilfe für Banden, für künftige Einbrecher.

Wenn es nur das wäre – obwohl es ja schon schlimm genug ist –: Hinzu kommt, dass die Polizeibehörden noch nicht einmal von Ihnen erfahren haben, dass sie jetzt auf dieses Mittel setzen sollen; vielmehr haben sie das offenbar aus der Presse erfahren. Herr Minister, bei allem Respekt – das will ich will ganz deutlich sagen –: Das ist nur noch unprofessionell und wird der Lage ganz sicher nicht mehr gerecht.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie vermitteln den Bürgern die, wie ich finde, fatale Botschaft: Die Regierung passt nicht auf das Land auf; deshalb müssen die Bürger auf ihr Zuhause selbst aufpassen. – Das ist ein Offenbarungseid. Sie laufen der Lage im Grunde nur noch hinterher, anstatt mal wieder vor die Lage zu kommen.

Wirksame Gegenkonzepte? – Weiter Fehlanzeige! Stattdessen haben Sie in den letzten Jahren vor allen Dingen Konzepte gestrickt, die mehr für die Öffentlichkeit gedacht waren statt sich gegen die Täter zu richten. Sie haben sich mehr um die Vermarktung der Überschriften statt um die tagtägliche Umsetzung der Maßnahmen gesorgt. Nicht ohne Grund fühlen sich die Polizeibeamten in diesem Land jetzt von Ihnen im Stich gelassen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit.

Marc Lürbke (FDP): Ich komme zum Schluss.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nordrhein-Westfalen braucht ein Innenministerium, das seinen Polizeibehörden den Rücken stärkt, das die Expertise der Führungskräfte nutzt, das sensibel führt, steuert und reagiert. Herr Minister, legen Sie dazu endlich überzeugende Konzepte vor. Setzen Sie diese um, weisen Sie endlich Erfolge auf, und geben Sie den Menschen im Land Sicherheit. Das wäre Ihr Job. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Bialas.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben sich in den letzten Wochen wieder einmal sehr bemüht, medial ein Spitzenvokabular der Verunsicherung zu verbreiten. Da war von „Scheitern“, vom „Eldorado“, von „Vertuschen“, von „Entgleiten“ die Rede. Ich möchte mit Ihnen gerne zurück auf eine sachliche Ebene der Auseinandersetzung, wo ich ja weiß, dass auch Sie gerne auf diese Ebene gehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Kriminalitätsbilanz des letzten Jahres und der gesamten letzten Jahre ist sowohl positiv als auch negativ. Die Bilanz zeigt ein Absinken weitestgehend im Bereich der Gewaltdelikte, der Umweltdelikte, der Sachbeschädigung und der Jugendkriminalität. Sehr erfreulich ist die Entwicklung, dass immer weniger Kinder und Jugendliche Opfer von Straftaten werden. Unsere Kinder leben in NRW in einer für sie immer sicherer werdenden Region.

NRW ist insgesamt eine der sichersten Regionen der Welt. An wenigen anderen Stellen der Erde gibt es einen vergleichsweise hohen Schutz besonders der körperlichen Unversehrtheit und Integrität.

(Unruhe von der CDU und der FDP – Hans-Willi Körfges [SPD]: Dass Sie das nicht hören wollen, ist klar!)

Daran ändern auch die scheußlichen Übergriffe in der Silvesternacht nichts. Kaum woanders ist die körperliche Unversehrtheit derartig geschützt wie in Nordrhein-Westfalen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Und kaum woanders verfügen Sie über eine derart kompetente und fleißige Polizei. Dort beschäftigt man sich nämlich nicht mit Abheften und Abhaken – wie Sie es bezeichnen –, sondern dort stellt man sich den Aufgaben, und zum Glück sind es bald wieder deutlich mehr Polizisten. Verunsichern Sie also nicht die Bürgerinnen und Bürger mit der Behauptung, dass sie hier in NRW nicht sicher leben würden – das Gegenteil ist der Fall!

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Kriminalitätsbilanz des letzten Jahres ist aber auch negativ. Das vertuscht übrigens niemand. Gerade einmal die Hälfte aller anderen Länder hat bisher ihre Statistik für 2016 vorgelegt. Die Statistik in NRW zeigt für das letzte Jahr einen Anstieg, ja, auch einen schnellen und erheblichen Anstieg im Bereich der Wohnungseinbrüche und des Taschendiebstahls. Diese Deliktsbereiche beunruhigen uns in der Tat sehr. Ich werde darauf später noch genauer eingehen. Aber auch hier bitte ich um eine angemessene Einordnung in einen zeitlichen Gesamtzusammenhang. Den gebe ich Ihnen ebenfalls gerne:

Seit 2002 gibt es keine wesentlichen Ausreißer im Bereich der Gesamtkriminalität und auch der Aufklärungsquote. Die Zahl der Gesamtdiebstähle ist leider wieder so hoch, wie sie es bereits in den Jahren 2006 und 2007 war. Die Zahl der Diebstähle unter erschwerten Bedingungen – also inklusive der Wohnungseinbrüche – ist in 2015 übrigens immer noch niedriger als in den Jahren 2006, 2007 und 2008.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Hört! Hört!)

Die Zahl der Ladendiebstähle ist ebenfalls niedriger als im Jahre 2006. Der deutliche Anstieg bei den Taschendiebstählen trifft seit 2007 zu, vorrangig in den Städten Köln, Düsseldorf, Dortmund, Wuppertal und Münster. Das kann uns an dieser Stelle nicht beruhigen, das soll es auch gar nicht; aber es stellt die Realitäten über die verschiedenen Regierungskonstellationen dar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das sehen Sie auch bei einem Gesamtblick auf die Bundesrepublik. Bei diesen Delikten haben wir es in NRW beileibe nicht mit Sonderfällen zu tun. In NRW haben wir hingegen anderweitige Sondersituationen, nämlich eine hervorragend ausgebaute und nutzbare Infrastruktur, zahlreiche Großstädte mit fehlender Sozialraumkontrolle.

Leider entwickeln sich die Delikte hier so wie im gesamten Bundesgebiet. Bayern hatte 2015 beispielsweise noch einen deutlichen Zuwachs von über 38 % im Jahr zuvor zu vermelden. Die aktuellen Zahlen für Bayern für das Jahr 2015 kennen wir leider noch nicht; die Statistik liegt noch nicht vor.

Für Sachsen- Anhalt – da wurde gerade gewählt; daher nenne ich dieses Land, gerade auch, weil dort ein CDU-Ministerpräsident und ein CDU-Innenminister tätig sind – schreibt der Innenminister Holger Stahlknecht im Zusammenhang mit Wohnungseinbrüchen:

„Seit dem Jahr 2009 setzt sich damit ein kontinuierlicher Anstieg fort, der auch bundesweit feststellbar ist.“

Im letzten Jahr sank in Nordrhein-Westfalen die Anzahl der Wohnungseinbrüche, in diesem Jahr steigt sie wieder an – sogar deutlich. Leider entwickeln wir uns nicht gegen den jährlichen bundesweiten Trend; leider liegen wir ziemlich genau in diesem bundesweiten Trend. Es gibt also keine länderspezifischen Besonderheiten, mit Ausnahme solcher Faktoren wie Grenznähe, Infrastruktur, Besiedelung und Verstädterung.

Sie sehen über die Jahre, dass verschiedene Länder jahresweise unterschiedliche Entlastungen zu verzeichnen haben, andere hingegen Belastungen. Das scheint sehr deutlich auf die Tatsache hinzuweisen, dass wir es nicht mehr mit regional ansässigen Tätern zu tun haben, sondern mit Tätergruppen, die das gesamte Bundesgebiet als Beschaffungsort betrachten.

Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, wir brauchen mehr Polizisten; darin sind wir uns immer wieder einig. Aber: Wir sind gerade wieder dabei, personell nachzurüsten. Ich darf Sie daran erinnern: Von 2000 bis 2005 haben wir ca. 7.000 Polizisten eingestellt, von 2005 bis 2010 – die Zeit wird Ihnen in Erinnerung sein – haben wir 3.500 Polizisten eingestellt und von 2010 bis 2015 wiederum ca. 7.000 Polizisten.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: So ist es!)

Wir haben in den letzten beiden Jahren mehr Polizisten eingestellt als Sie in Ihrer gesamten Legislaturperiode.

(Widerspruch von der CDU)

Ich komme zurück auf die Delikte. Warum beunruhigen uns Taschendiebstähle und Wohnungseinbrüche derart?

Ich beginne bei den Taschendiebstählen. Bei den Taschendiebstählen entscheiden sich die Täter meistens für Opfer, bei denen das unmittelbare Entdeckungsrisiko minimiert ist. Daher geraten häufig ältere Menschen in den Fokus. Bei ihnen ist der finanzielle Schaden meist ärgerlich; noch ärgerlicher sind jedoch die damit verbundenen Wege zur Neubeschaffung der Papiere.

Das Schlimmste aber ist, dass sich ältere Menschen eine Mitschuld insoweit geben, als sie glauben, sie hätten das Ganze verhindern können, wenn sie nur jünger gewesen wären. Sie fühlen sich in ihrem Alter und in ihrer zunehmenden Hilflosigkeit angegriffen und insofern ausgeliefert. Sie fühlen sich schwach und ziehen sich zum Teil aus dem öffentlichen Leben zurück. Sie gehen nicht mehr an Orte, wo sie möglicherweise bestohlen werden können. Es ist der Diebstahl der Lebensqualität, der hier in der Regel am schwersten wiegt.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

Daher ist es wichtig, neben konsequenter Strafverfolgung und Kriminalitätsbekämpfung die Aufklärung, das Gespräch und auch den Hinweis auf Selbstschutz besonders in den Fokus zu nehmen.

Bei den Wohnungseinbrüchen geht das Ganze sogar noch ein Stück weiter. Hier geht es in der Regel nicht zuerst um den Verlust der finanziellen Werte; das wirkt zusätzlich bedrückend, das kommt hinzu. Betroffen ist vor allem das zutiefst verletzende Gefühl, dass in den unmittelbar intimen Lebens- und vor allem in den als sicher identifizierten Wohnbereich eingedrungen wurde.

Auch hier gilt neben konsequenter Strafverfolgung und Kriminalitätsbekämpfung, dass Beratungen zum Schutz erfolgen müssen; denn zum Glück bleiben über 43 % der Wohnungseinbrüche mittlerweile im Versuchsstadium stecken – auch weil die Täter kein Interesse daran haben, entdeckt zu werden und diesen Begegnungen daher aus dem Weg gehen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit ist überschritten!

Andreas Bialas (SPD): Es wurden und werden zahlreiche Maßnahmen ergriffen: Die Projekte „Riegel vor!“ und MOTIV, Auswerteverbünde, grenzübergreifende Zusammenarbeit, Schwerpunktbereiche und Vernetzungen von Behörden. Weitere Redner werden darauf noch eingehen. – Ich darf mich herzlich bedanken.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abgeordneter Biesenbach.

Peter Biesenbach (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist die bekannteste und auch wichtigste Kriminalstatistik in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen war es in den letzten Jahren guter Brauch, dass der Landesinnenminister die PKS im Rahmen einer rechtzeitig angekündigten Pressekonferenz veröffentlicht und sich anschließend den Rückfragen der Journalisten stellt. Aber trotz der Vorfälle in Köln hat der Innenminister in diesem Jahr einen anderen Weg gewählt. Er hat schlicht gekniffen.

(Beifall von der CDU)

Er hat einen Termin gewählt, an dem er keine Rückfragen gestattete. Er hat nachmittags um 16:11 Uhr, zu einem Zeitpunkt, an dem die meisten Redaktionen ihre Tagesarbeit schon beendet haben, eine Pressemitteilung versandt, in der er einzelne Zahlen veröffentlichte – ohne Erklärung und ohne Gelegenheit zu Rückfragen.

Er hat einen Termin an einem Nachmittag gewählt, wo am nächsten Tag der Innenausschuss tagte. Diesem war damit die Möglichkeit abgeschnitten, fristwahrend eine Aktuelle Viertelstunde zu diesem Thema einzuberufen. Herr Jäger, lassen Sie sich das deutlich sagen: Das, was Sie da veranstaltet haben, ist eines Innenministers unseres Landes unwürdig.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber Sie hatten ja einen Grund: Die Zahlen – der Kollege Lürbke hat hier die meisten schon erwähnt – dokumentieren nicht nur Ihr persönliches Totalversagen, sondern auch das Totalversagen der gesamten rot-grünen Landesregierung im Bereich der inneren Sicherheit.

(Beifall von der CDU)

Lieber Herr Kollege Bialas, wenn Sie meinen, es gebe keine länderspezifischen Besonderheiten, sollten Sie vielleicht mal ein Stückchen gründlicher recherchieren. Nordrhein-Westfalen nimmt einmal mehr die Spitze ein, nämlich bei der mageren Aufklärungsquote, und zwar die Spitze am Ende der Statistik! Wir sind das Flächenland, das erneut – wie in vielen Jahren vorher – den letzten Platz bei der Kriminalitätsbekämpfung einnimmt. Nicht einmal die Hälfte aller Taten bei uns wird aufgeklärt.

Sie haben Bayern und Baden-Württemberg genannt. Dort liegt die Aufklärungsquote im Vergleich zu unserer Aufklärungsquote immerhin um 50 % höher. Nach diesen Zahlen sollten wir uns richten, nicht nach Ihren Beschwichtigungsversuchen.

(Beifall von der CDU)

Tatsächlich ist die Gesamtzahl der hier registrierten Straftaten auf 1,52 Millionen angestiegen. So viele Straftaten – weil Sie doch vergleichen wollen – gab es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr, seitdem die rot-grüne Regierung Steinbrück im Jahr 2005 abgewählt worden ist. Dazwischen waren die Zahlen besser.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Ich gehe noch einmal kurz auf den Ländervergleich ein. In Nordrhein-Westfalen verzeichnen wir eine viertel Million Straftaten mehr als in Bayern und in Baden-Württemberg zusammen, obwohl in Bayern und Baden-Württemberg zusammen rund 5,7 Millionen Menschen mehr wohnen als bei uns. Das ist die Bilanz in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Was ist das denn für ein Vergleich?)

Nehmen wir eine weitere Zahl; die Zahlen sprechen doch für sich. Wenn Sie die Fallzahlen ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl setzen, dann stellen Sie fest: Das Risiko, in Nordrhein-Westfalen Opfer einer Straftat zu werden, ist 1,5 Mal so hoch wie in Baden-Württemberg und 1,7 Mal so hoch wie in Bayern. Das sind die Fakten. Über die sollten wir heute reden. Dem müssen Sie sich schlicht stellen.

(Beifall von der CDU)

Ihre Bilanz, Herr Jäger, ist doch deutlich. Wiederholen wir, weil sie so schön passt, die Zahl der Wohnungseinbrüche, die wir schon mal gehört haben: In Ihrer Amtszeit hat sich die Zahl der Wohnungseinbrüche um fast 40 % erhöht.

Ich zitiere die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“:

„Ein Anstieg um fast 40 % … lässt nicht mehr viel politischen … Spielraum.“

Recht hat sie. In Nordrhein-Westfalen wird nur einer von 100 Wohnungseinbrechern zu einer Haftstrafe verurteilt. Das habe ich immer so genannt und nenne es auch heute so: Das ist das Eldorado für Kriminelle. Dagegen haben Sie weiß Gott wenig unternommen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Zeitungen machen es deutlich. Die „Rheinische Post“ spricht davon:

„Ein Landeskonzept mit … Regelungen fehlt …

Es ist ein Versäumnis, das eines so wichtigen Ministeriums nicht würdig ist und auch einfach nicht passieren darf. Denn die Panne vermittelt den Eindruck, dass bei den Sicherheitsbehörden die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut.“

Die „Neue Rheinzeitung“ schreibt:

„Etwas hilflos appelliert Minister Jäger an die Bürger, ihre vier Wände selbst besser zu schützen.“

Das ist nicht der Weg. Es ist die originäre Aufgabe des Staates, für unsere Sicherheit zu sorgen.

Deshalb heißt es im „Westfalen-Blatt“ vom 10. März 2016:

„Peinlich auch, dass Jäger wieder einmal ausländische Banden als Täter ausgemacht hat, die schlecht zu fassen sein sollen. Dabei hat Jägers eigenes Landeskriminalamt herausgefunden, dass die meisten Einbrecher vor Ort leben.

Dieses Land hat kein wirksames Konzept. Leider.“

Da kann man der Zeitung nur zustimmen – leider.

(Beifall von der CDU)

Wir haben weiter gehört – Herr Lürbke hat es angesprochen –: Was machen wir in der Situation? Die Menschen sollen sich mehr schützen, dann gehen wir präventiv vor: mehr Vorsorge, mehr Sicherheit.

Wenn Sie das wollen, taucht die nächste Frage auf: Wie wollen Sie den Menschen das Konzept „Einbruchsradar“ schmackhaft machen? Was sollen sie damit machen? Was soll dieses Konzept den Bürgern nützen? Sollen sie sich bewaffnen? Sollen sie ihre Häuser nicht mehr verlassen? Oder sollen sie zweimal abschließen und das Weite suchen, weil es in der Nachbarschaft so unsicher geworden ist? Was wollen Sie damit erreichen?

Der Weg muss ein anderer sein. Den zeigen uns andere Länder. Wir brauchen mehr Polizeibeamte, und wir brauchen wirksame Konzepte. Es reicht nicht aus, unsere Polizeibeamten, unsere Kriminalisten in den Gärten der Häuser, in die eingebrochen worden ist, Gipsabdrücke von den Fußspuren nehmen zu lassen. Das sind Methoden von gestern, und wir haben nicht die Mannschaften.

Wir haben Ihnen deutlich gemacht, wie unsere Konzepte aussehen. Die Ministerpräsidentin hat einige in ihr 15-Punkte-Programm übernommen. Übernehmen Sie doch alles! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg, und Ihre Statistik würde sich ein Stückchen ändern.

(Beifall von der CDU)

Die Ministerpräsidentin ist gerade nicht da. Frau Ministerpräsidentin, Sie müssen diese Bilanz heute so lesen, dass eindeutig feststeht: Ihr Kronprinz Ralf Jäger ist entzaubert.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP – Zurufe von der SPD: Och! – Zurufe von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] und Norwich Rüße [GRÜNE])

– Herr Mostofizadeh, aus dem einst schneidigen Jäger 90 ist doch ein fußkranker Bruchpilot geworden. Das ist die Wahrheit in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Marketingvokabeln, mit denen er groß herauskommt – Riegel vor!, MOTIV, Augen auf und Tasche zu!, Wegweiser, Crash Kurs NRW –, sind nichts anderes als heiße Luft. Es hilft kaum, aber es ist eine schöne Marketinggeschichte, die deutlich macht: Bei diesem Innenminister gibt es viel Tünche, viel Lärm, aber wenig Substanz. Das ist der Weg.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit.

Peter Biesenbach (CDU): Liebe Frau Ministerpräsidentin, der Bund der Kriminalbeamten hat es Ihnen schon ins Buch geschrieben: Dafür sind auch Sie verantwortlich.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Biesenbach.

Peter Biesenbach (CDU): Ich bin gleich fertig. – Eine verantwortungsbewusste und vor allem handlungsfähige Regierungschefin hätte einen Innenminister mit dieser Bilanz längst nach Hause geschickt. Wir warten darauf. Es wird Zeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Die Redezeit ist wirklich deutlich überschritten. – Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lürbke, ich finde die Formulierungen in Ihrem Antrag insgesamt, aber vor allem die Formulierung – ich zitiere –: „So unsicher waren die Menschen in NRW lange nicht mehr“, grob fahrlässig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Grob fahrlässig, weil sie jeglicher Grundlage entbehrt und keinem Faktencheck standhält. Nehmen wir den Faktencheck vor und gehen wir in die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2015! Ja, es stimmt, die Zahl der Straftaten ist insgesamt leicht gestiegen: um 1,1 %.

Aber, wenn man sich die Straftaten ansieht, so sind Straftaten gegen das Leben, also Mord, Totschlag, um 6,2 % gesunken. Das ist der niedrigste Stand seit 20 Jahren.

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind um 2,9 % gesunken.

Die Straßenkriminalität ist auf dem zweitniedrigsten Stand seit 1992.

Und Sie reden davon, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen noch nie so unsicher waren. – Das finde ich absolut unredlich.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Das ist nicht nur unredlich, sondern falsch. Das schürt Ängste, das schürt Unsicherheit, es ist faktenfrei. Und in Kombination mit dem Zitat in Ihrem Antrag, dass die Polizei funktionsunfähig sei und die Sicherheit nicht gewährleisten könnte, ist es nicht nur falsch, sondern spielt auch den Falschen in die Hände.

Es ist Aufgabe der Opposition, die Probleme und Herausforderungen, die wir in der Innenpolitik haben, zu benennen – ja, das gestehe ich Ihnen zu –, und es ist unsere Aufgabe als Parlament darüber zu diskutieren.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Aktuelle Stunde!)

– Entschuldigung, hat sich erledigt. Fehlalarm.

Verena Schäffer (GRÜNE): Aber so einen Diskurs in der aktuellen Situation zu befeuern, einen Diskurs, dass angeblich der Rechtsstaat nicht handlungsfähig sei, das Gewaltmonopol nicht durchzusetzen sei, das finde ich wirklich fahrlässig; das finde ich gefährlich. Ich bitte Sie, von einem solchen Populismus abzusehen und zur Realität zurückzukehren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU)

– Ja, ich rede über die Realität. Gucken Sie sich doch mal die Polizeiliche Kriminalstatistik an! Ich habe Ihnen gerade die Zahlen der Kriminalentwicklung vorgelesen. Ich sage Ihnen: Auch ich habe Sorgen, wenn ich mir anschaue, wie sich die Einbruchskriminalität weiterentwickelt. Es ist ja nicht so, als würde ich das wegreden wollen. Natürlich gucken wir da kritisch drauf und nehmen die Steigerung mit Sorge wahr.

Ich finde es deshalb so wichtig, darüber zu reden, weil wir nicht nur über nackte Zahlen reden, über eine Steigerung der Einbruchskriminalität, sondern wir reden über Menschen, die Opfer von Einbrüchen werden, von Menschen, die zum Teil traumatische Erfahrungen machen, die dort, wo sie sich am sichersten fühlen sollten – zu Hause –, einen Eingriff in ihre Privatsphäre erleben. Das Thema nehmen wir sehr ernst.

Natürlich bereiten uns diese Zahlen auch Sorgen. Aber ich finde, wenn man seriös über dieses Thema diskutieren will – ich glaube, diesen Anspruch sollten wir alle hier im Parlament haben –, dann muss man sich Zahlen und Fakten anschauen, dann muss man sich auch die Lage von Nordrhein-Westfalen noch einmal anschauen.

In Nordrhein-Westfalen befindet sich mit der Metropolregion Rhein-Ruhr die bevölkerungsreichste Region in Deutschland. Hier gibt es ein gut ausgebautes Autobahnnetz, das natürlich schnelle Fluchtwege, schnelle Reisewege ermöglicht. Die Situation in unserem Bundesland ist, Herr Biesenbach, auch aufgrund der Struktur und der Bevölkerungsdichte nicht mit der in anderen Flächenländern wie Bayern oder Baden-Württemberg vergleichbar. Ich finde es unredlich, solche Vergleiche anzustellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es ist ja auch nicht so, als würden wir nicht reagieren und als würde das Innenministerium nicht reagieren. Es gibt mit MOTIV – Mobile Täter im Visier – ein Programm, das für verbesserte Erkenntnislagen, für einen Ermittlungsdruck gegen Intensiv- und Serientäter sorgt. Dieses Konzept MOTIV wurde ja auch von der Innenministerkonferenz als Vorbild für andere Bundesländer genannt. Das nehme ich sozusagen als Vertrauensbeweis der Innenministerkonferenz und als Lob wahr, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.

Den Bereich der Prävention tun Sie ja immer ein Stück weit ab. Aber ich finde, man muss auch darüber reden. Wenn wir uns die Zahlen ansehen, stellen wir fest, dass nach der Polizeilichen Kriminalstatistik immerhin 43,7 % der Einbrüche eben nicht gelingen, dass sie im Versuchsstadium stecken bleiben. Das finde ich wichtig. Der Anteil der versuchten Einbrüche ist im Vergleich zum Vorjahr, zu 2014, noch einmal gestiegen. Dieser Weg von „Prävention vor Repression“ ist aus meiner Sicht der richtige.

An die Adresse der FDP gerichtet will ich noch sagen: Es ist interessant, dass eine Partei, die sonst immer davon redet, dass wir einen schlanken Staat brauchen, die „Privat vor Staat“ propagiert, die fordert, Sparen über alles zu stellen,

(Zurufe von der FDP)

dass diese FDP an dieser Stelle meint, wir hätten bei der Polizei einen Personalmangel. – Den haben wir nicht! Ich will hier noch einmal klarstellen: Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist in der Lage, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen, und das macht sie auch.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir stellen allein in diesem Jahr 1.920 neue Polizeibeamtinnen und -beamte ein. Das ist ein Rekordwert an neuen Einstellungen.

Auch mit dem Nachtragshaushalt, der sich derzeit noch in der Beratung befindet, stellen wir Tarifbeschäftigte ein. Wir sorgen durch eine verlängerte Lebensarbeitszeit dafür, dass mehr Polizeibeamtinnen und -beamte auf der Straße, aber auch in den Kommissariaten im Bereich der Straßen- und Einbruchskriminalität zur Verfügung stehen.

Ich finde, das sind die richtigen Ansätze, die wir hier wählen, und die werden wir so auch weiterverfolgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe wirklich lange überlegt, mit welchem Tenor ich diese Rede hier gestalte: Steige ich eher in diesen angstmachenden Tenor dieses Antrages ein – ein bisschen Polemik –, oder berufe ich mich doch eher auf die empirische Faktenlage?

Eine der absoluten Kernforderungen der Piraten war bisher immer: evidenzbasierte Politik. Und wenn ich mir jetzt die Ergebnisse der Landtagswahlen anschaue, bei denen offen agierende Nazis in weitere Parlamente eingezogen sind, dann muss ich zu dem Schluss kommen: Das ist der richtige Weg: evidenzbasiert, keine Politik mit Angstmache, so, wie Sie es hier tun.

(Beifall von den PIRATEN)

Kritik am Regierungshandeln ist natürlich richtig – das ist unsere Aufgabe als Opposition –, aber bitte faktenbasiert – dumme Sprüche führen genau da hin, wohin wir nicht wollen –; alles andere ist schlechter Stil.

Wo wir gerade bei dem Thema „Schlechter Stil“ sind: Herr Lürbke, Sie schreiben in Ihrem Antrag im letzten Satz – ich zitiere –:

„Vor diesem Hintergrund muss der Landtag … über die besorgniserregende Kriminalitätsentwicklung in NRW und etwaige Strategien und Maßnahmen einer … Kriminalitätsbekämpfung diskutieren.“

Ich habe viel über die besorgniserregende Entwicklung gehört, aber nichts über Strategien und Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe)

Deshalb jetzt zu den Fakten: Ja, die Zahlen sind gestiegen; das kann man nicht abstreiten. Und wenn man sich jetzt einmal den Verlauf seit 2005 anschaut, dann kann man sich auch nicht darauf berufen, das Dunkelfeld hätte sich erhellt oder wir hätten es mit einem geänderten Anzeigeverhalten zu tun. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen tatsächlich gestiegen sind.

Sicherlich ist Wohnungseinbruch keine leichte Kriminalität. Man darf ihn und natürlich auch seine Folgen für die Opfer nicht bagatellisieren. Nichtsdestotrotz müssen wir festhalten, dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben.

(Beifall von Frank Herrmann [PIRATEN])

Auch wenn Wohnungseinbruch kein leichtes Delikt ist, darf man ihn – so wenig man ihn bagatellisieren darf – auch nicht über Gebühr dazu nutzen, Angst in der Bevölkerung zu schüren.

Wir müssen festhalten – das ist nun einmal Fakt –: Trotz der gestiegenen Zahlen macht Einbruchskriminalität nur ca. 2,5 % der Gesamtkriminalität aus.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja!)

Wir hatten es in den 90er-Jahren schon mit weitaus höheren Zahlen zu tun – wirklich weitaus höheren Zahlen – als jetzt. Das haben wir überlebt, und wir werden auch diese jetzige Hochphase überleben. Davon bin ich überzeugt.

Mir stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, warum wir, obwohl wir über lange Zeit einen Rückgang hatten, jetzt wieder quasi eine Renaissance des Einbruchs erleben. Sind das wirklich diese heraufbeschworenen osteuropäischen Einbrecherbanden? Ich meine, natürlich gibt es die – das bestreitet niemand –, aber – das ist halt wissenschaftlich belegt – nicht einmal ansatzweise in dem Umfang, den Sie hier ständig irgendwie propagieren.

Wenn Sie jetzt behaupten, dass der Anstieg hauptsächlich auf derartige Banden zurückzuführen ist, dann machen Sie nichts weiter, als im Trüben zu fischen – nichts weiter. Eine Aufklärungsquote von 13,8 % bedeutet automatisch, dass Sie bei 86,2 % der Taten gar keine Ahnung haben, gar nicht wissen, wer dafür verantwortlich ist. Sie können Vermutungen anstellen, aber empirisch belegen können Sie gar nichts.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN] und Frank Herrmann [PIRATEN])

Genauso könnte ich behaupten, die CDU- und die FDP-Fraktion seien für den Anstieg verantwortlich, um den Innenminister zu ärgern. Diese Aussage hat genauso viel Qualität wie die von den osteuropäischen Banden.

(Beifall von den PIRATEN)

Fakt ist: Ein Großteil der Einbrüche wird im sozialen Umfeld begangen, und zwar nicht in Villenvierteln, sondern in sozial benachteiligten Gegenden. Je größer der Ort und je geringer die informelle Kontrolle innerhalb der Nachbarschaft sind, desto häufiger kommt das vor. Das erklärt auch die hohen Zahlen hier im Ruhrgebiet. Gar nicht mal so selten kommt das bei Nachbarn, Verwandten, Freunden, Bekannten vor. Wir wissen zum Beispiel aus einer Ruhrgebietsstudie, dass in fast 40 % aller Fälle bereits vor der Tat irgendeine Art von Täter-Opfer-Beziehung bestand. Aus anderen Studien geht Ähnliches hervor.

Die Frage ist jetzt aber: Wie können wir auf Grundlage dieser Erkenntnisse den Anstieg erklären und vor allem bekämpfen? Nur gibt es nicht einfach die Erklärung. Man muss da von einem multifaktoriellen Ansatz ausgehen.

Ich möchte einmal ein Beispiel – nur ein Beispiel – nennen, mit dem wir den Anstieg vermutlich erklären können. Wie ich bereits sagte, gab es bis 2005 einen Rückgang, dann folgte bis 2008 ein Plateau auf niedrigem Niveau, und ab 2008 war wieder ein Anstieg zu verzeichnen. 2008 – jetzt überlege ich einmal kurz –, was war da noch einmal? Wann war die Finanzkrise? Ach, 2007 – na, wenn das mal ein Zufall ist.

Jetzt gehen Sie einmal ins Internet – das habe ich gemacht – und suchen Sie sich einmal Liniendiagramme heraus, ein Liniendiagramm für den Armutsquotienten, ein Liniendiagramm für den Wohnungseinbruchsdiebstahl. Legen Sie die einmal übereinander, und Sie werden interessante Korrelationen feststellen. Die Armut hat zugenommen. Dementsprechend nimmt dann natürlich auch die Eigentumskriminalität zu.

Aber das ist nur ein Beispiel. Es gibt sicherlich viele weitere kumulierende Aspekte, die den Anstieg erklären. Die Einbrecherbanden sind ein Faktor, aber mit Sicherheit nicht der Hauptfaktor.

Die Frage ist: Wie gehen wir mit diesem Wissen um, wenn wir feststellen, dass die allermeisten Einbrüche eben nicht durch Profibanden begangen werden, sondern häufig doch durch den drogensüchtigen Nachbarn? In dem Fall bekämpfen wir den Einbruch nun einmal am effektivsten mit präventiven Maßnahmen, mit entsprechender Sicherheitstechnik.

Herr Minister, ich muss mich vorab entschuldigen. Ich weiß, Ihnen ist es mit Sicherheit genauso unangenehm wie mir, aber ich muss Ihnen recht geben,

(Heiterkeit von Minister Ralf Jäger)

wenn Sie sagen: Die Bürger müssen bessere Fenster und Türen einbauen. Das hat auch nichts mit Zweiklassensicherheit zu tun. Natürlich können sich die Mieter in den Gegenden, in denen die Einbrüche hauptsächlich stattfinden, diese Technik nicht leisten; das ist mir völlig klar. Aber das ist auch gar nicht deren Aufgabe. Dafür sind die Vermieter zuständig. Und sie haben das Geld, sie wollen es nur nicht ausgeben.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir einmal ehrlich sind: So hoch sind die Mehrkosten nicht. Ich fordere die Landesregierung auf, das in den Blick zu nehmen. Ändern Sie endlich die entsprechenden Bauvorschriften dahin gehend, dass zum Beispiel bei Neubauten oder entsprechenden Renovierungen derartige Sicherheitstechniken zwingend vorgeschrieben sind.

Liebe CDU, kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, das Sie gerade schon gebracht haben, dass wir den Bürgern nicht die Kosten für das auferlegen können, was eigentlich Aufgabe der Polizei wäre. Zunächst einmal: Die Polizei kann gar nichts dafür, dass die Aufklärungsquote so gering ist.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das liegt in der Natur der Delikte. Ich sage sogar voraus – das ist auch wissenschaftlich belegt –: Gerade bei den spontanen Einzeltätern wird mehr Polizei nicht mehr Aufklärung bringen. Da, wo es keinen Ermittlungsansatz gibt, kann auch nichts ermittelt werden, ob es nun ein Beamter feststellt oder zwei. Das macht keinen Unterschied. Das muss man einfach einmal aussprechen. Also müssen wir uns auf präventive Maßnahmen konzentrieren.

Das wäre auch nicht das erste Mal. Was glauben Sie wohl, wie viele Zusatzkosten aufgrund von Sicherheitstechnik in Ihrem Auto stecken? Da höre ich komischerweise niemanden herumkrakeelen: Die Zusatzkosten sind mir zu hoch, da stecke ich nichts rein. Warum ist das so? – Weil es die absolut richtige Maßnahme ist. Seit 1993 ist die Anzahl der Diebstähle von Kfz um 83 % gesunken, und zwar von 215.000 auf nunmehr ca. 36.000 Fälle, und sie sinkt weiter, und zwar wegen der Sicherheitstechnik.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich sage Ihnen deshalb voraus: Wenn wir bei Häusern und Wohnungen ebenfalls so vorgehen, werden die Einbruchszahlen auf lange Sicht genauso sinken. Aber das ist Ihre Aufgabe, dafür sind Sie verantwortlich. Da passiert aber nichts. Deswegen: Tun Sie etwas dagegen!

Bleiben wir bei den Profis. Natürlich gibt es die Profibanden; das bestreitet niemand. Auch darum müssen wir uns kümmern. Ich glaube sogar, dass in diesen Fällen mehr Beamte mehr Aufklärung bringen. Denn je mehr Taten eine solche Bande verübt, desto deutlicher wird das Täterprofil und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Fehlern.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, ich darf an die Redezeit erinnern.

Dirk Schatz (PIRATEN): Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wenn man dann ordentlich ermittelt, kommt man zumindest einem Teil der Täter auf die Spur. Die Frage ist: Wie können wir die Zahl der Kriminalbeamten jetzt erhöhen?

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, die Redezeit ist deutlich überschritten.

Dirk Schatz (PIRATEN): Ja, ich komme zum Schluss. – Denn wenn wir auf der einen Seite etwas dazugeben, dann müssen wir auf der anderen Seite etwas wegnehmen. Aufgrund der Zeit möchte ich mich auf ein Beispiel beschränken. Herr Minister, ich habe es schon einmal gesagt, ich sage es noch einmal: Wir haben 350 Sachbearbeiter, die Einbruchskriminalität bekämpfen. Ungefähr genauso viele bekämpfen BTM-Kriminalität. Geben Sie endlich Ihre BTM-Politik auf und legalisieren Sie Cannabis.

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh! – Weitere Zurufe von der CDU)

Hören Sie auf, 16-jährige Kiffer zu jagen. Sorgen Sie lieber dafür, dass Sie die richtig Kriminellen bekämpfen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns heute noch einmal die Zeit nehmen, um über die steigende Zahl von Einbrüchen in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in Europa zu reden. Wenn ich die Debatte Revue passieren lasse, habe ich allerdings nicht den Eindruck, dass es allen Rednern tatsächlich um die Opfer dieser Einbrüche geht.

(Beifall von der SPD)

Wenn man sich einmal in die Lage der Opfer versetzt – ich habe versucht, mit möglichst vielen darüber zu reden –,

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh, dann mussten Sie ja viel unterwegs sein!)

dann kann man sehen, dass alle Einbrüche eines eint: Es kommt völlig unverhofft. Man kommt abends von der Arbeit nach Hause, freut sich auf die Couch, auf das, was man möglicherweise als Hobby ausübt, und plötzlich stellt man fest: Alles ist durchwühlt. Persönliche Gegenstände sind berührt. Die Wohnung ist durchsucht. Bargeld, Schmuck, Handy sind weg. Erst dann begreifen die Menschen: Ich bin Opfer eines Einbruchs geworden. Und plötzlich werden die gestohlenen Wertsachen völlig zweitrangig.

(Zuruf von der CDU: Da hat Ihre Politik versagt!)

– Ich habe das Gefühl, manche verwechseln die Plenardebatte hier mit dem heimischen Stammtisch.

Die Wertsachen sind zweitrangig. Das Gefühl, in der Intimsphäre, in der Privatsphäre verletzt worden zu sein, wiegt sehr viel schwerer, wirkt lange nach. Das nimmt einem die Freiheit und die Unbeschwertheit, auch wenn Hausratversicherungen möglicherweise vieles, manchmal auch alles zahlen. Wegen dieser Verletzbarkeit sind Wohnungseinbrüche so heimtückisch und schlimm.

Das ist der Grund, warum wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Entwicklung stemmen müssen. Wir haben vieles unternommen: die Spurensuche verbessert, die Analyse verbessert, Fahndungskonzepte entwickelt, Präventionskonzepte entwickelt, MOTIV entwickelt, das von anderen Bundesländern kopiert wird.

Herr Schatz, ich muss Ihnen widersprechen: Die Anstiege bei den Wohnungseinbrüchen gehen im Wesentlichen auf abgestimmte Bandenstrukturen zurück, auf Banden, die heute hier und morgen in anderen Ländern der Europäischen Union operieren. Trotzdem ist es uns gelungen, 800 Täter zu identifizieren.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Verhaften!)

– Herr Hovenjürgen, 500 von Ihnen saßen oder sitzen in Haft.

Wir haben die Kriminalpolizei gestärkt. Waren es 2005 noch 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung bei der nordrhein-westfälischen Polizei, sind es heute 9.600.

Aber was die Kriminalitätsstatistik eben nicht oder auch zeigt – und das wollen Sie nicht wahrnehmen, meine Damen und Herren, weil Sie mit einer eingeengten politischen Schablone durch eine Kriminalitätsstatistik gehen auf der Suche nach den Bereichen, in denen die Zahlen angestiegen sind, alles andere außer Acht lassend; das ist eher kleines Pepita als Gesamtüberblick –, ist: Sie beschäftigen sich bei der Einbruchskriminalität mit rund 4,3 % aller Straftaten in Nordrhein-Westfalen. Das ist schlimm genug. Einbrüche sind neben Gewalttaten, neben Sexualdelikten einer der tiefsten Grundrechtseingriffe. Sie verdienen besondere Aufmerksamkeit, aber sie machen gerade einmal 4,3 % der Straftaten in Nordrhein-Westfalen aus.

Sie wollen oder können einfach nicht hinnehmen: Seit 2010 sind die Straftaten gegen das Leben, also Mord und Totschlag, um 15 % zurückgegangen. Seit 2010 sind Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung um mehr als 20 % zurückgegangen. Handtaschenraub ist seit 2010 um 30 % zurückgegangen, Körperverletzung um 5 %. Gewaltdelikte sind seit 2010, meine Damen und Herren von FDP und Union, um 10 % zurückgegangen. Was mich besonders freut, ist, dass die Jugendkriminalität, Sorgenkind über viele Jahre, seit 2010 um fast 30 % zurückgegangen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich denke, dieses Land ist sicher im Rahmen der Möglichkeiten. Aber das Sicherheitsempfinden vieler Menschen sieht anders aus, und das müssen wir ernst nehmen. Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Ich habe das in vielen Veranstaltungen gelernt: Diesem Sicherheitsempfinden kann man nicht unbedingt nur mit Statistik begegnen, sondern dem muss man mit Handeln begegnen. Wir nehmen diese Sorgen wirklich ernst.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: Das ist das, was wir gerne hätten! – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

– Herr Stamp, Sie sind doch Mitglied im Innenausschuss. Wir haben Ihnen dort umfangreichste Konzepte vorgetragen. Darauf möchte ich gerne in der zweiten Runde im Detail zu sprechen kommen, Herr Dr. Stamp.

Ich erläutere kurz, wie wichtig die Prävention ist. Natürlich muss man – wie in allen anderen Bundesländern – einen Anstieg der Wohnungseinbruchskriminalität auch in Nordrhein-Westfalen verzeichnen. Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass inzwischen 44 % im Versuchsstadium stecken bleiben und Prävention das einzige Mittel ist, um diesen Anteil weiter zu erhöhen.

Da ich sehe, dass ich nur noch zwei Minuten Restredezeit habe, möchte ich nur noch auf die heutige Debatte eingehen. – Herr Lürbke, Herr Biesenbach, ich habe mitgeschrieben: NRW verkommt zum Selbstbedienungsladen für Kriminelle. Es herrscht polizeilicher Notstand. Ein persönliches Totalversagen des Ministers Jäger, ein Totalversagen der Landesregierung.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Nordrhein-Westfalen ist ein Eldorado für Kriminelle.

Meine Damen und Herren, Sie haben zu früh applaudiert. Wenn man den Realitätscheck durchführt, ist die Einbruchskriminalität in Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2010, Herr Biesenbach, um exakt 39,2 % gestiegen; von Nord nach Süd, von Ost nach West, also in der ganzen Bundesrepublik, im gleichen Zeitraum um 37,8 %. Würde man Ihre Logik zugrunde legen, gäbe es ein Totalversagen aller Landesregierungen, es würde in ganz Deutschland polizeilicher Notstand herrschen.

(Zurufe von der FDP)

Und, meine Damen und Herren, ganz Deutschland wäre ein Eldorado für Kriminelle.

Ich finde, Sie sollten sich diesem Thema mit mehr Verantwortung nähern.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie es vorher schon nicht wussten, aber spätestens seit dem letzten Sonntag sollten Sie wissen: Menschen Angst machen, Katastrophen- und Krisenrhetorik – das nützt immer nur den Populisten.

Ich finde, ein solches Thema, bei dem es um ein Grundbedürfnis, um ein Grundgefühl der Menschen geht, ob sie in diesem Land sicher oder nicht sicher leben, taugt nicht zu kleinlichen Versuchen, politisch Gelände zu gewinnen. Deshalb, meine Damen und Herren: Machen Sie den Leuten nicht weiter Angst, schüren Sie nicht weiter Angst. Sie werden davon nicht politisch profitieren. Das ist Ihre Zukunft.

Nordrhein-Westfalen ist ein Land, in dem die Bürgerinnen und Bürger sicher leben können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: So wie in Köln!)

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Laschet.

Armin Laschet (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schluss Ihrer Rede, Herr Minister, und das, was die Redner von SPD und Grünen hier vorgetragen haben, ist genau das Problem Ihrer Innenpolitik.

(Beifall von der CDU)

Ich sage das klipp und klar: Defizite der inneren Sicherheit zu benennen, zu kritisieren, was in diesem Land falsch läuft, ist nicht das, was den Populisten in die Hände spielt, sondern Ihre Politik, Ihr Versagen spielt den Populisten in die Hände.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Und so sehr wir jeden Konflikt mit der Ministerpräsidentin, mit der Regierung vermeiden, wo wir in der Flüchtlingskrise Kurs halten, umso wichtiger ist es, dass man bei dem Kernthema der inneren Sicherheit im Land die Defizite offen ausspricht, dass man nach Köln nicht drei, vier Tage braucht, ehe man es benennt, sondern es sofort benennt,

(Beifall von der CDU und Dietmar Brockes [FDP])

dass so etwas wie Köln gar nicht stattfindet. Das hätte das innenpolitische Klima rund um Flüchtlinge wesentlich besser gestalten können, als wenn solche Sachen stattfinden. So ist das.

(Zuruf von der SPD: Das war die Verantwortung der Kölner Oberbürgermeisterin!)

– Die Kölner Oberbürgermeisterin – das ist doch wieder Ihr Wegschieben!

(Beifall von der CDU – Zurufe von der SPD: Nein!)

– Lieber Herr Stotko, das ist doch exakt das Problem, was die Leute quält, dass es einen Innenminister gibt, der sagt, er sei hier nicht der Arzt, der operiert, dass Sie dazwischen rufen, die Kölner Oberbürgermeisterin sei verantwortlich für die Kölner Silvesternacht. Ich sage Ihnen: Die bayerische Polizei hätte nicht eine Stunde solche Zustände geduldet, wie Sie in der Silvesternacht geduldet haben. Nicht eine Stunde!

(Beifall von der CDU und der FDP – Widerspruch von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Das ist ja lächerlich! Unverschämt! Schämen sollten Sie sich! – Zuruf von Thomas Stotko [SPD])

Ja, so ist das! – Nicht eine einzige Stunde! Und ich wünsche mir, Herr Stotko, dass nicht immer durch Hooligans in Köln oder die Silvesternacht in Köln ein negatives Bild unseres Bundeslandes in die Welt transportiert wird!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Durch all Ihre Zwischenrufe und die Schlussbemerkung des Ministers haben Sie es genau auf den Kern zurückgeführt: Es gibt hier eine Regierungswirklichkeit. Der Minister sagt sogar, er kann in der Versammlung nicht mit Statistiken argumentieren. Nein, wenn die Statistiken so sind wie sie sind, können Sie eine Versammlung damit auch nicht überzeugen. Das ist ja das Problem.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Thomas Stotko [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Lächerlich!)

Es gibt eine Wirklichkeit, die Sie wahrnehmen, und dann gibt es die Wirklichkeit, die die Menschen, die die Polizeibeamten und viele andere wahrnehmen.

Wir haben das am Wochenende erleben können – fast exemplarisch. Peter Biesenbach hat eben die Zeitungen zitiert, die um 16:11 Uhr Feierabend machen. Das war eine nette Bemerkung über den journalistischen Beruf. Die Zeitungen haben trotzdem alle noch am nächsten Morgen titeln können. „Westfalenpost“: Offenbarungseid; „Rheinische Post“: Marketing-Gag; „Neue Rhein Zeitung“: Hilflos appelliert Minister Jäger an die Bürger; „WAZ“: Ohnmächtig gegen Banden; „Westfalen-Blatt“: Kein Konzept. – So wird das, was Sie vortragen, im Land wahrgenommen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Jetzt gibt es die Sendung „WESTPOL“ am Sonntagabend. Da wird die Wirklichkeit geschildert. Ich weiß; wenn man zugeschaltet wird, weiß man nicht immer, wie der Bericht vorher war. Die Ministerpräsidentin wurde nachher zugeschaltet und hat dann gesagt: Wir haben uns das Thema „innere Sicherheit“ vorgenommen; wir haben die richtigen Konzepte. – Weil das aus Berlin war, kann man ihr das in der Tat nicht vorwerfen. Aber der Bericht vorher hat genau das Gegenteil beschrieben: Die Aufklärungsquote ist schlecht. Die Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen ist trister als im Kölner „Tatort“.

Das SPD-Mitglied Fiedler, Vorsitzender des BDK, sagt: „Wir sind so überlastet wie noch nie“, und der Minister erklärt im Innenausschuss, es gebe höchstens situative Überlastungen von Polizeibeamten. – Was die Menschen draußen sagen und was Sie sagen, passt nicht mehr zusammen!

(Beifall von der CDU und der FDP)

Dann sagt er weiter: Jetzt will er ein Einbruchsradar machen. Diese Botschaft ist unfassbar. Das geht so überhaupt nicht. Viele Kreispolizeibehörden haben erst aus der Zeitung erfahren, dass es ein Einbruchsradar geben soll. Hier stellt sich die Frage: Wie organisiert man eigentlich die innere Sicherheit in diesem Land?

(Jochen Ott [SPD]: Lächerlich!)

Hinzu kommt die Frage der Videoüberwachung. Wir haben jetzt Köln erlebt und danach einen 15-Punkte-Plan der Landesregierung bekommen. Das sind alles Dinge, die wir Ihnen schon seit Jahren gesagt haben, die man längst hätte machen können. So, jetzt kommt die Videoüberwachung,

(Britta Altenkamp [SPD]: Sie werden sich schon entscheiden müssen! Ist das jetzt gut oder schlecht?)

aber sie wird nicht auf kriminalitätsbegünstigende Faktoren ausgedehnt. Da gehen Sie nicht den Schritt, den andere Bundesländer gehen.

Wir haben die Frage der Bodycams. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen setzt sie ein. Auch die Bundespolizei führt sie jetzt ein – mit Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Dann machen Sie doch das Gleiche wie Ihre Kollegen in Berlin!

(Beifall von der CDU)

Im Zusammenhang mit der Beschreibung des Innenministers kommt immer das Beispiel: Wir haben in Nordrhein-Westfalen doch so viele Städte. – Schaut man sich die Stadt-Statistik in den anderen Ländern an, sieht man, dass zum Beispiel in München, Nürnberg und Augsburg – alles Städte – die Kriminalität niedriger und die Aufklärungsquote höher ist.

Dann wird argumentiert: Wir haben hier ja Nachbarn; wir haben ja offene Grenzen. – Glauben Sie denn, die offene Grenze von Brandenburg zu Polen, die offene Grenze von Sachsen zu Tschechien und Polen oder die offene Grenze von Bayern zu Tschechien sei eine weniger gefährliche Grenze, was ost- und mitteleuropäische Banden angeht? Die Lage ist in vielem vergleichbar. Aber wir sind immer Schlusslicht. Und das muss sich ändern!

(Beifall von der CDU)

Die Aufklärungsquote bei Kfz-Diebstählen liegt in Bayern bei 80 %, im Bund bei 66 % und in Nordrhein-Westfalen bei 53 %. So können Sie das durch die ganze Statistik verfolgen.

Jetzt kommt meine letzte Bemerkung, weil die Redezeit gleich zu Ende ist.

(Zuruf von Thomas Stotko [SPD])

Was auch fehlt, Herr Stotko – und das erschüttert ebenfalls Vertrauen –, ist die Wertschätzung für die Polizeibeamten.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Minister Ralf Jäger – Thomas Stotko [SPD]: Sie loben doch gerade die bayerische Polizei, aber nicht die NRW-Polizei!)

2012 hat die Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung eine Woche des Respekts angekündigt.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Die wird auch kommen! Machen Sie sich keine Sorgen!)

– Die wird auch kommen, rufen Sie, Frau Kraft. Sie haben das 2012 angekündigt. 2012 ist es nicht gekommen; 2013 ist es nicht gekommen; 2014 ist es nicht gekommen; 2015 ist es nicht gekommen. Jetzt kündigen Sie es wieder an. Wir hoffen, dass Sie nicht nur reden, sondern dass es 2016 endlich mal kommt!

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vier Jahre ist nichts gekommen. Jetzt kann es sein, dass man das nun mal macht. Dann haben Sie uns auch an Ihrer Seite.

Aber Polizeibeamte brauchen grundsätzlich die Rückendeckung ihres Ministers. Sie bewegen sich immer weiter weg. Sie fühlen sich immer mehr verlassen.

Wenn in Ihrem Koalitionsvertrag das Hauptproblem die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte ist und eben nicht die Rückendeckung, dann wissen Sie nicht, wie man in diesen schweren Zeiten Rückendeckung gibt, wie man Respekt erzeugt und wie man die Kriminalität bekämpft. Diese grundfalsche Wahrnehmung, die Sie da haben, ist einer der Gründe dafür, dass die Stimmung in der Polizei so schlecht ist, wie sie ist.

Ich werde heute Nachmittag wieder 16 Polizeikommissare aus Aachen empfangen und ahne jetzt schon, was sie mir schildern werden. Das ist die Lage überall im Land.

Wir fordern Sie auf: Machen Sie einen Kurswechsel – nicht nur mit 15 Punkten, sondern in Richtung der Bekämpfung, damit wir von Platz 16 unter den deutschen Ländern wegkommen. Das ist unser Ziel.

(Lebhafter Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Laschet. – Nun spricht für die SPD-Fraktion Herr Kollege Dahm.

Christian Dahm (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu einigen Punkten etwas sagen, die hier angesprochen worden sind, insbesondere von Herrn Lürbke.

Wenn Sie hier ausführen, in Nordrhein-Westfalen sei der polizeiliche Notstand eingetreten; die Sicherheit sei in Nordrhein-Westfalen in Gefahr; die Menschen seien verunsichert, dann sage ich Ihnen: Mit den Ängsten und Sorgen der Menschen in Nordrhein-Westfalen spielt man nicht. Das machen wir nicht mit. Das lassen wir nicht gelten.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Was mir Angst bereitet, ist, wenn die FDP sich zum Fürsprecher der Gewerkschaften macht und sich hier als Wortführer des BDK, des Bundes Deutscher Kriminalbeamten, aufspielt, Herr Lürbke.

(Beifall von der SPD)

Das macht mir große Sorgen.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Was für Klischeevorstellungen haben Sie denn?)

Wenn Sie ansprechen, Herr Lürbke – auch das will ich hier anführen –, dass mit Ihren Konzepten mehr Einbrüche aufgeklärt werden könnten: Ich habe hier kein Wort davon gehört, welche Konzepte Sie haben. Ich habe von Ihnen bisher kein Wort im Innenausschuss dazu gehört, welche Konzepte zu mehr Aufklärungsquoten bei Einbrüchen geführt hätten, Herr Lürbke. Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Machen Sie doch einen Vorschlag, wie die Polizei optimaler, effektiver und effizienter aufgestellt werden kann! Dazu haben wir von Ihnen bisher gar nichts gehört. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben den Polizei-Expertenbericht vorliegen. Sie haben kürzlich gesagt: Setzen Sie es um! Von Ihnen ist bisher kein einziger Vorschlag gekommen, der für Sie in Betracht kommt.

Lassen Sie mich einen Satz sagen zu Herrn Laschet. Bei Ihnen und in der CDU-Fraktion muss die Not ja sehr, sehr groß sein, Herr Laschet, wenn bei Ihnen der Fraktionsvorsitzende schon in die Bütt geht.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Herr Laschet, ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich finde es unerträglich, wenn Sie den Vergleich mit Bayern an dieser Stelle heute Morgen anstellen, insbesondere die Vergleiche zur Silvesternacht, und wenn Sie dann noch sagen, wir sollten die Wertschätzung gegenüber unseren Polizisten deutlich machen. Das, was Sie heute Morgen dargestellt haben, ist eine Ohrfeige für unsere Polizei in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Herr Laschet, ich finde es unerträglich, wenn Sie sich hier an das Rednerpult stellen und sagen, die Polizei in Bayern hätte es besser gemacht. Denen wäre das nicht passiert.

(Armin Laschet [CDU]: Das weiß auch jeder! – Zurufe von der SPD)

Wir wissen doch, wo die Probleme gelegen haben in der Silvesternacht. Die Kolleginnen und Kollegen der Polizei, die in der Silvesternacht vor Ort waren auf der Domplatte, in den Ringen um Köln haben einen hervorragenden Job im Rahmen ihrer Möglichkeiten gemacht. Gerade den Polizisten

(Unruhe – Glocke)

ist es doch ungemein peinlich, dass sie nicht vor Ort helfen konnten. Das ist doch die Wahrheit, und das gehört zur Aufklärung mit dazu.

Richtig ist: Die Pauschalkritik, Herr Lürbke, die Sie heute Vormittag hier äußern, greift zu kurz. Es ist durchsichtig, was Sie hier machen, nicht nur vonseiten der FDP, sondern auch vonseiten der CDU-Fraktion. Das ist rein politisch motiviert und für Sie entlarvend. Das liegt doch völlig auf der Hand.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Richtig ist doch, dass die Straftaten in Nordrhein-Westfalen um 1,1 % angestiegen sind. Richtig ist auch, dass wir seit Jahren bei aufgeklärten Straftaten einen Prozentsatz haben von 49,68 % – annähernd gleich hoch, das ist konstant seit Jahren, auch unter Ihrer Regierungsverantwortung, Herr Laschet. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Ich finde es erfreulich – das hat der Minister eben angesprochen –, dass wir insbesondere im Bereich der Jugendkriminalität einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen haben. Das zeigt doch, dass die Präventionskonzepte wirken und dem Einhalt geboten wird.

(Beifall von Michael Hübner [SPD])

Klar ist auch, dass Handlungsbedarf besteht, gerade im Bereich der Wohnungseinbrüche. Das wird auch nicht in Abrede gestellt. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass jeder zweite Einbruchsdiebstahl im Versuch steckenbleibt. Das heißt, auch hier greift das Konzept, nämlich „Riegel vor!“

Herr Biesenbach, wenn Sie den Vergleich anstellen zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen, zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, dann wissen Sie doch genauso gut wie ich, dass dieser Vergleich hinkt. Das Ganze ist ein Problem der Großstädte und insbesondere der Städteregion. Schauen Sie sich das doch an, Herr Laschet.

(Armin Laschet [CDU]: Wir haben auch Großstädte!)

Gucken Sie sich die Metropolregion Rhein-Ruhr an mit den schnellen Reisewegen und den idealen Tatstrukturnetzen, dem dichten Autobahnnetz! Nordrhein-Westfalen ist eine der fünf größten Metropolregionen Europas. Rund 40 % unserer Städte mit über 200.000 Einwohnern liegen in Nordrhein-Westfalen.

Nach unserer Auffassung reicht es nicht aus, nur mehr Polizei einzustellen, sondern man muss auch Präventionskonzepte machen wie „Riegel vor! Sicher ist sicherer“. Ich habe es angesprochen. Jeder zweite Einbruch bleibt im Versuch stecken. Ich halte das für richtig. Den Einbruchsradar hat der Minister jetzt vorgestellt. Ich finde es richtig, die Menschen aufzuklären und zu sensibilisieren. Wir müssen viel mehr auf unsere Nachbarn achten und sie schützen.

(Marc Lürbke [FDP]: Man sollte lieber die Polizeibehörden unterstützen!)

Maßnahmen gegen Taschendiebstahl sind angesprochen worden, aber auch die Präventionsmaßnahmen für unsere jugendlichen Intensivtäter, das Zusammenspiel zwischen Polizei, Justiz und Jugendamt. Ich will hier das Haus der Jugend in Köln, aber auch in Paderborn ansprechen. Beides wirkt, wie ich finde, ganz hervorragend.

(Marc Lürbke [FDP]: Davon gibt es nur zwei!)

Auch die Videobeobachtung haben Sie angerissen. Ja, das bauen wir weiter aus, Herr Laschet. Gerade in Brennpunkten sind wir bereits in guten Gesprächen.

Mit dem Nachtragshaushalt beschließen wir das 15-Punkte-Sicherheitsprogramm. Wir stärken die innere Sicherheit, wir stärken Polizei und Justiz. Und das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie reden, und wir handeln. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dahm. – Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion Herr Lürbke.

Marc Lürbke (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dahm, ich bleibe direkt bei Ihnen. Sie haben gerade gesagt, Sie würden handeln und wir würden nur reden. Das ist mitnichten so. Ich bleibe mal bei dem 15-Punkte-Plan. Er wurde hier angekündigt. Wir haben gesagt, vieles davon ist gut. Aber jetzt geht es doch genau darum, dass Sie das auch umsetzen. Bisher ist davon herzlich wenig umgesetzt. Nun ist die Frage, ob Sie das überhaupt so schnell umsetzen können.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Gucken Sie mal in den Nachtragshaushalt!)

Sie sagen, wir bringen 500 Polizeibeamte jetzt zusätzlich auf die Straße. Dann frage ich im Innenausschuss nach, und dann kann uns der Innenminister

(Zurufe von der SPD)

noch nicht einmal glaubhaft sagen, wie das denn überhaupt funktionieren soll – etwa mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Das ist an der Stelle dann auch nicht glaubhaft, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Da werden Sie auch dem Anspruch nicht gerecht.

Herr Dahm, Sie haben gesagt – und das ärgert mich wirklich ganz persönlich –, Sie hätten von uns keinen einzigen Vorschlag gehört. Da frage ich mich: Wo waren Sie denn die letzten Jahre im Innenausschuss?

(Beifall von der FDP und der CDU)

Wir haben doch mehrfach Anträge in dieser Richtung gehabt. Wir haben ein sehr umfassendes Programm „Beute zurück“ – vielleicht erinnern Sie sich – in die parlamentarische Diskussion eingebracht. Wir haben mit den Sachverständigen darüber diskutiert.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja, ich kann mich an die Anhörung erinnern!)

Die große Zahl der Sachverständigen hat gesagt: Das ist genau der richtige Weg.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das habe ich anders in Erinnerung!)

Ihr müsst die Beute, ihr müsst auch die Absatzwege austrocknen. – Passiert ist bis heute an dieser Stelle nichts.

Es geht aber auch darum, nicht nur die Absatzwege auszutrocknen, sondern auch die Infrastruktur. Ja, klar müssen wir auch die gute Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen im Blick haben. Deswegen fordern wir doch seit Jahren – ich habe es persönlich mehrfach im Innenausschuss auf die Tagesordnung setzen lassen –, dass wir entsprechend schlagkräftige Ermittlertrupps auch auf den Straßen, auch auf den Autobahnen haben, dass wir sie vor Ort haben.

Ich meine, das gehört doch alles zur Wahrheit dazu. Das muss man hier einmal sagen, Herr Minister.

(Beifall von der FDP)

Ich werfe Ihnen das wirklich vor. Sie rühmen sich für „MOTIV“, für „Mobile Täter im Visier“. Das Programm wäre auch gar nicht schlecht, wenn man es wirklich umsetzen würde. Aber ich werfe Ihnen vor, dass Sie nicht sicherstellen, dass solche vorhandenen Konzepte vor Ort in den Behörden auch umgesetzt werden können.

(Beifall von der FDP)

Wir haben das doch parlamentarisch abgefragt: Wie personalstark sind denn die Einsatztrupps der Autobahnpolizei? Ihre Antwort war: Sie haben kaum Personal. Wir haben nachgefragt, wie viele spezialisierte Ermittler Sachfahndungen nach Beute in Nordrhein-Westfalen betreiben. Kein Einziger, lautete Ihre Antwort. Wir haben nachgefragt, wie oft denn Schwerpunktkontrollen gegen Einbrüche in Nordrhein-Westfalen stattfinden. Da mussten Sie, Herr Minister, mir im Innenausschuss peinlich gestehen, dass selbst in Einbruchshochburgen wie Köln nur ein einziger Schwerpunkteinsatz gegen Einbrecher pro Halbjahr stattfindet.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: So ist das!)

So sieht nämlich die Realität aus, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Bleiben wir doch mal beim Realitätscheck, Herr Minister; ich glaube, das waren Ihre Worte.

(Minister Ralf Jäger: Ja!)

Ich meine, man kann sich Problemen wirklich nur dann stellen und sie lösen, wenn man sich dieser Probleme erst einmal auch bewusst wird, wenn man sie anerkennt. Wir haben heute oft gehört, Nordrhein-Westfalen sei ein sicheres Land. Es gibt sicherlich auch Erfolge in der Kriminalitätsstatistik; jemand hat die Jugendkriminalität angesprochen. Das ist sicher ein guter Erfolg.

(Minister Ralf Jäger: Und Gewaltdelikte, Körperverletzung!)

Aber die Wahrheit ist doch: In zentralen Kriminalitätsfeldern hinkt Nordrhein-Westfalen hinterher. Nehmen Sie die Rockerkriminalität. Unter Ihrer Amtszeit hat sich die Anzahl der Delikte verdreifacht. Nehmen Sie die Straftaten im Zusammenhang mit Salafisten. Unter Ihrer Amtszeit hat sich die Anzahl vervierfacht.

(Minister Ralf Jäger: Das ist Extremismus und nicht Kriminalität!)

Die Menschen haben Sorge. No-go-Areas und Familienclans sind in Nordrhein-Westfalen auf Expansionskurs. Auch das gehört hier zur Wahrheit hinzu.

(Beifall von der FDP – Jochen Ott [SPD]: Wo gibt es denn No-go-Areas? Wo denn? – Minister Ralf Jäger: Salafismus und Extremismus! Nicht Kriminalität!)

Das führt dazu, dass sich die Menschen Sorgen machen.

(Jochen Ott [SPD]: Schwachsinn!)

Die Menschen haben Angst; das haben Sie eben zu Recht gesagt. Insofern muss die Antwort doch sein, dass staatliches Handeln wieder Vertrauen in den Rechtsstaat schafft. Diesem Anspruch werden Sie bisher nicht gerecht. Die Menschen haben Angst, und das liest man auch an der Anzahl der Kleinen Waffenscheine ab. Pfefferspray ist seit Monaten ausverkauft, und Rocker fühlen sich berufen, für die Sicherheit in diesem Land zu sorgen.

Insofern stellt sich die Frage, inwieweit das Gewaltmonopol durch den Staat in jedem Winkel und zu jeder Uhrzeit in Nordrhein-Westfalen ausreichend gesichert ist.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Herr Minister, Sie gestehen sich diese Probleme nicht ein, und dann legen Sie auch noch eine gewisse Arbeitsverweigerung an den Tag. Wir sind nicht bereit, das länger zu akzeptieren. Sie haben als Innenminister den Auftrag der Bürger, die Problemlage hinsichtlich Einbruch und Taschendiebstähle zu lösen, aber nicht permanent Ausflüchte zu suchen, über die Situation in anderen Bundesländern zu reden oder die Verantwortung auf andere abzuwälzen.

Ich möchte den Vergleich einmal anstellen; von München war hier gerade schon die Rede. München hat doppelt so viele Polizisten auf der Straße als Köln, und ein bayerischer Kripobeamter hat halb so viele Fälle auf dem Schreibtisch wie sein Kollege in Nordrhein-Westfalen.

(Dirk Schatz [PIRATEN]: Wie hoch ist die Aufklärungsquote?)

Also, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben. Werden Sie sich der Probleme bewusst! Nur dann werden wir in der Frage der inneren Sicherheit auch weiterkommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Lürbke. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lürbke, Herr Laschet, ich finde es wirklich ekelhaft, wie Sie hier Ängste schüren und eine Unsicherheit herbeireden. Das halte ich für absolut unangemessen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Armin Laschet [CDU]: Mein Gott! Was soll das denn? Wo leben Sie denn? – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: In welcher Welt leben Sie denn?)

Ich hatte vorhin schon auf die Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik hingewiesen. Ja, es stimmt, es gibt eine Unsicherheit in der Bevölkerung. Aber ich finde, es liegt auch in unserer Verantwortung als Politik, genau das aufzunehmen

(Armin Laschet [CDU]: Genau! Wir haben Verantwortung für die Bürger! – Gegenruf von Jochen Ott [SPD]: Sie haben Verantwortung? – Gegenruf von Armin Laschet [CDU]: Dass Sie in Köln leben und die Probleme vor Ihrer Haustür nicht sehen, ist schlecht! Sie wissen es doch!)

und auch zu zeigen, dass dies nicht für alle Stellen gilt, und darauf hatte der Innenminister anhand der Zahlen hingewiesen. Die Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik belegen es.

(Zurufe von der FDP: Nein!)

Ja, ich gebe Ihnen recht: Wir haben ein Problem beim Thema „Einbruchskriminalität“. Das nehmen wir wahr, und das nehmen wir auch ernst. Deshalb gibt es Konzepte wie „Riegel vor!“ und „MOTIV“, die gut funktionieren. Dies gilt gerade für „Riegel vor!“: Wenn man sich die hohe Anzahl an versuchten Einbrüchen anschaut, die gerade im Versuchsstadium stecken bleiben, dann sieht man, dass dieses Präventivkonzept funktioniert.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Und dabei geht es nicht darum, den Bürgerinnen und Bürgern die Verantwortung für die Sicherheit anzulasten, sondern darum, wirksam gegen Einbruchsdelikte vorzugehen. Ich finde, die Forderungen, die auch von Kollegen der Piratenfraktion gestellt wurden, sind sehr bedenkenswert. Soweit ich weiß, gibt es eine Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft, im Rahmen derer man gemeinsam schaut, wie man den Einbruchsschutz von Wohnungen gewährleisten kann.

Ich sage Ihnen auch noch einmal: Sie haben Köln angesprochen. Ja, wir arbeiten Fehler beim Einsatz in der Silvesternacht in Köln sauber ab. Aber das unterscheidet uns eben auch: Wir arbeiten Fehler, die passiert sind, und auch das Thema „Einbruchskriminalität“ sauber ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der CDU und der FDP)

Sie machen es aber nicht. Sie versuchen, auf populistische Weise Geländegewinn zu erzielen. Ich finde es unverantwortlich, was Sie hier betreiben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herr Laschet, Sie haben gerade in Ihrer Rede einen Kurswechsel gefordert. Das haben Sie hier mehrfach gesagt. Sie haben aber nicht gesagt, wie ein solcher Kurswechsel aussehen soll. Sie liefern keine Antworten.

(Armin Laschet [CDU]: Wir machen Vorschläge!)

– Nein, das machen Sie nicht. Sie haben hier keine einzige Antwort geliefert. Wie lautet denn Ihre Antwort?

(Henning Rehbaum [CDU]: Anträge ohne Ende!)

Ihre Antwort auf das Thema „Einbruchskriminalität“ ist Schleierfahndung? Meinen Sie das ernst?

(Armin Laschet [CDU]: Ja, ja, ja!)

Das meinen Sie doch nicht ernst.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie sagen, wir bräuchten eine Ausweitung der Videoüberwachung. Sie sagen, wir sollten alle Grenzen, die es im Polizeigesetz gibt, über Bord werfen. Das bringt doch nur Scheinsicherheit. Ja, wir arbeiten das Thema „Videobeobachtung“ sauber ab. Wir prüfen Standorte daraufhin ab, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Videoüberwachung vorliegen, allerdings eingebettet in ein Gesamtkonzept mit Beamtinnen und Beamten, die am Bildschirm sitzen und tatsächlich für mehr Sicherheit sorgen, wenn sie ihre Kolleginnen und Kollegen zu Einsatzorten lotsen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Was Sie wollen, ist eine anlasslose, flächendeckende Videoüberwachung in ganz Nordrhein-Westfalen, die außer Scheinsicherheit gar nichts bringt. Auch das unterscheidet uns: Wir reden darüber, wie wir die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen stärken können, statt nur über Scheinsicherheit zu diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte mich auch an die FDP wenden. Sie reden immer vom Sparen. So hat Herr Witzel in der letzten Haushaltsdebatte Einsparungen von 700 Millionen € im Landeshaushalt gefordert. Das geht aber nur, wenn man auch beim Personal spart, und das würde bedeuten: auch bei Polizei.

(Widerspruch von der FDP – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie wollen also bei der Polizei sparen, und wir stellen mehr ein – das will ich hier noch einmal festhalten –, und zwar allein in diesem Jahr 1.920 neue Polizeibeamtinnen und -beamte!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Schatz das Wort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Die FDP geht zur Kasse, will aber nicht bezahlen! Das ist das Problem!)

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich möchte nur noch einmal auf die einzelnen Dinge eingehen, die hier geäußert wurden, zum einen von Herrn Kollegen Laschet. Er sagte – ich sage es sinngemäß, denn ich habe mir das Zitat nicht wortwörtlich aufgeschrieben –, es sei nicht die Kritik, die Menschen in die Hände der Populisten treibe, sondern es sei die Politik.

Ich gebe Ihnen nur zum Teil recht; denn es ist weder das eine noch das andere. Es ist vielmehr die Art und Weise, in der das geschieht. Es ist die Art und Weise der Kritik, und es ist die Art und Weise der Politik. Beides machen Sie hier falsch, und zwar schon seit Jahrzehnten.

(Beifall von den PIRATEN)

Gerade Ihre Kritik, dieses Schüren von Angst, ist die Art und Weise, die nicht mehr geht.

Herr Biesenbach hat Baden-Württemberg und Bayern als Beispiele angeführt. Ja, dort gibt es insgesamt mehr Einwohner als in Nordrhein-Westfalen. Das mag sein. Vielleicht gibt es dort trotzdem weniger Kriminalität. Aber vergleichen Sie doch einmal die Fläche: Baden-Württemberg und Bayern sind zusammen dreimal so groß wie Nordrhein-Westfalen. Die Einwohnerzahl ist geringfügig höher, aber Bayern und Baden-Württemberg haben eine wesentlich größere Fläche.

(Armin Laschet [CDU]: Na und?)

– Das ist genau das Problem, wenn man sich mit der Kriminalität nicht auskennt. Es gibt Faktoren, die für die Entwicklung von Kriminalität verantwortlich sind, unter anderem Großstädte und Ballungsgebiete.

(Armin Laschet [CDU]: Haben die keine Großstädte?)

– Ja, aber deutlich weniger. Die haben doch deutlich weniger Großstädte. Schauen Sie sich das doch einmal an, was hier ist! Das ist das Problem. Dann müssen Sie keine Angst schüren.

Das nächste Problem – das erkennt man, wenn man sich einmal wissenschaftlich damit auseinandersetzt – betrifft das Einbruchsradar. Die Art und Weise, wie er das gemacht hat, kann man kritisieren. Das ist keine Frage. Das war schlecht, und dass man das den Polizeibehörden nicht vorher mitteilt, ist eine andere Sache. Aber man sollte sich doch zumindest einmal anschauen, wie dieses Instrument funktioniert. Es gibt nämlich den Effekt der sogenannten Near Repeats. Das sind quasi Wiederholungseinbrüche in derselben Gegend. Die Einbrecher schauen sich die Gegend an, fühlen sich in dem sozialen Umfeld wohl, und deshalb können sie dort gut einbrechen.

Vor diesem Hintergrund müssen wir die Bürger vielleicht auch sensibilisieren. Das kann klappen, kann aber auch nicht klappen. Aber es ist doch einen Versuch wert. Dann muss man nicht so draufhauen. Das ist totaler Quatsch.

Draufhauen sollte man vielmehr – und das ist faktenbasiert – bei den Einstellungszahlen der Polizei. Ja, wir brauchen mehr Polizisten – da sind wir uns alle einig –, allein schon um die Beamten zu entlasten. Wenn man aber bedenkt, dass knapp 2.000 Einstellungen erfolgen sollen und es jetzt sogar noch mehr werden sollen, wir aber gerade einmal etwas mehr als 2.000 Bewerber haben, die überhaupt für den Polizeiberuf geeignet sind, dann stoßen wir an eine faktische Grenze, sodass wir gar nicht mehr einstellen können.

Was die Qualität dieser Leute anbetrifft, gibt es immerhin eine Rangliste. Wir haben schließlich nicht umsonst eine Bestenauslese. Der Erste auf dieser Rangliste ist der Beste, und der Schlechteste auf der Rangliste ist vielleicht gerade eben noch geeignet, aber nicht mehr so gut.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Deshalb müssen wir uns fragen: Wen wollen wir in Zukunft bei der Polizei haben? Diese Regierung ist dafür verantwortlich, für mehr Bewerber zu sorgen, zum Beispiel, indem wir wieder Realschüler einstellen und entsprechend weiterqualifizieren, damit sie ein Studium absolvieren können.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich möchte auf die Aufgabenkritik im Allgemeinen zu sprechen kommen. Ich hatte in diesem Zusammenhang bereits einen Aspekt angesprochen. Die Beamten müssen keine 16-jährigen Kiffer jagen. Mit diesen Beamten können wir echte Kriminalität bekämpfen.

Die Kritik an den Blitzmarathons ist ebenfalls völlig berechtigt. Der Nutzen ist in keiner Weise nachgewiesen, trotzdem werden damit ständig Beamte belastet. Bei uns in der Fraktion hat er schon den Spitznamen „Radar-Ralle“. Das müssen wir einfach verhindern.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Das habe ich nicht verstanden!)

– Radar-Ralle.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Radar-Ralle!?)

– Ja.

(Minister Ralf Jäger: Ralf?)

– Nein, nicht Ralf, sondern Ralle. Selbstverständlich.

Da kann man aufgrund empirisch vorliegender Daten faktenbasiert ansetzen. Aber dieser populistische Unsinn, den sie hier manchmal heraushauen, trägt genau dazu bei, dass die AfD jetzt in drei weiteren Landtagen sitzt. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Daniel Sieveke [CDU]: Nee, ist klar!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Schatz. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Laschet, diesen Vergleich, dass bayerische Polizeibeamtinnen und -beamte in der Silvesternacht diese Situation in nur einer Stunde gelöst hätten, haben Sie seinerzeit schon in der Sondersitzung des Landtages vorgetragen, und ich habe das seinerzeit nicht kommentiert.

Sie haben das heute zweimal wiederholt, allerdings anschließend mit Zwischenrufen versucht, das wieder zu relativieren.

Um es deutlich zu sagen, Herr Laschet: Ich empfinde das gegenüber 40.000 sehr gut ausgebildeten, hoch motivierten Polizeibeamtinnen und -beamten in Nordrhein-Westfalen als respektlos.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was Sie mit den Kölnern gemacht haben, ist respektlos!)

Ich empfinde das gegenüber den Beamtinnen und Beamten, die in der Silvesternacht alles gegeben haben – dies gilt für Bundespolizisten genauso wie für NRW-Polizisten –, als eine Unverschämtheit, um es deutlich zu sagen.

Wenn Sie gleichzeitig larmoyant nach Wertschätzung für die Polizei rufen, ist Ihr Verhalten eigentlich nur noch bigott.

(Beifall von der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich, was Sie hier machen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich versuche, es jetzt noch einmal an einer Stelle zu versachlichen: Entwicklung der Kriminalität von 2010 bis zum 31.12.2015, Entwicklung der inneren Sicherheit in Nordrhein-Westfalen. Gewaltdelikte: minus 10 %,

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ja!)

Jugendkriminalität: minus 30 %

(Armin Laschet [CDU]: Alles toll!)

– ja, alles toll –,Taten gegen das Leben, also Mord und Totschlag: minus 15 %, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Herr Laschet: minus 20 %, Körperverletzung: minus 5 %. Das ist die Entwicklung der inneren Sicherheit zwischen 2010 und 2015 in diesen Kriminalitätsfeldern.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Jetzt sagen Sie: Aber bei den Einbrüchen war das anders.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Genau!)

Sie nehmen also genau 4,3 % aller Straftaten, die in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr geschehen sind, und sagen, dadurch sei die innere Sicherheit bedroht.

In der Tat, bei der Entwicklung der Einbrüche in Nordrhein-Westfalen verzeichnen wir seit 2010 einen Anstieg um 39,2 %, bundesweit sind es im gleichen Zeitraum plus 37,8 %. Sich mit Einbrüchen auseinanderzusetzen, ist gut. Es ist nämlich kein nordrhein-westfälisches Problem ist, es ist auch kein deutschlandweites Phänomen, sondern es ist ein europaweites Phänomen.

Überall in Westeuropa verzeichnen wir steigende Einbruchszahlen. Das hat sehr viel damit zu tun, dass ein Europa mit freien Grenzen, in dem Waren, Dienstleistungen und auch Menschen ohne Einschränkungen verkehren können, auch von Kriminellen genutzt wird.

(Zuruf von Wilhelm Hausmann [CDU])

Wenn wir uns diesem Phänomen entgegenstemmen wollen, müssen wir international denken, wir müssen vernetzter denken. So wie die kriminellen Banden – die im Wesentlichen zu dem Anstieg der Zahlen beigetragen haben – vernetzt arbeiten,

(Hendrik Schmitz [CDU]: Das wissen Sie doch gar nicht!)

müssen auch die Polizeibehörden vernetzt arbeiten. Gemeinsame Ermittlungskommissionen mit den Niederländern und den Belgiern, ein bundeslandübergreifender Datenaustausch, mehr DNA-Kontrollen in unseren Laboren – alles das muss im Bereich der Repression geschehen.

Wenn man sich diesem Phänomen entgegenstemmen will, ist die Prävention mindestens genauso wichtig. Die Prävention hat immerhin bewirkt, dass heute bereits 44 % der Einbrüche, deren Anstieg Sie kritisieren – was Sie zu Recht dürfen –, und die nur einen ganz kleinen Teil der inneren Sicherheit betreffen, im Versuch stecken bleiben.

Wenn wir dieses Kriminalitätsphänomen wirksam bekämpfen wollen, müssen Polizei und die Bürgerinnen und Bürger zusammenarbeiten. Wachsame Nachbarn, geschlossene Türen und Fenstern sind mindestens genauso wichtig wie die Präsenz der Polizei vor Ort und gestärkte Kriminalkommissariate. Wir brauchen das alles zusammen. Nur so kann es konzeptionell funktionieren, wenn wir uns dieser Entwicklung entgegenstemmen wollen.

Im Bereich der Prävention ist das Einbruchsradar angesprochen worden. Herr Laschet, das Einbruchsradar hat Ihr selbsternannter Polizeiexperte, Herr Golland – der Kollege Golland –, am 16. Februar in der Presse landesweit gefordert.

(Zuruf von der CDU: Da haben Sie es noch abgelehnt, Herr Jäger!)

– Herr Golland, dieses Einbruchsradar verhindert keinen einzigen Einbruch.

(Zuruf von der CDU: Das haben wir nie behauptet!)

Es ist übrigens auch keine Bauanleitung, Herr Lürbke, für zukünftige Einbrüche.

(Marc Lürbke [FDP]: Das sagen Ihre Behörden!)

Dieses Einbruchsradar dient als ein weiterer Baustein der Prävention dazu, die Sensibilität der Menschen in diesem Land dafür zu erhöhen, sich selbst zu schützen. Deshalb wird nicht nur eine Karte veröffentlicht, Herr Lürbke, sondern darunter fallen auch alle weiteren Präventionsangebote der Polizei in Nordrhein-Westfalen – selbstverständlich einschließlich einer kostenlosen Beratung für jeden Hauseigentümer und für jeden Mieter, um vor Ort feststellen zu lassen, wo und wie man sich besser sichern kann. Dazu dient dieses Einbruchsradar. Die Visualisierung des Risikos und präventive Angebote werden direkt dahinter gelegt.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ich würde ganz gern noch einen weiteren Punkt ansprechen. Herr Laschet, ich verzeihe Ihnen nicht – im Sinne der Kolleginnen und Kollegen – den Vergleich mit der bayerischen Polizei. Ich verzeihe Ihnen den Versuch, die innere Sicherheit für ein Zerrbild zu benutzen, um politische Geländegewinne zu erzielen.

(Armin Laschet [CDU]: Ach! – Daniel Sieveke [CDU]: Man darf hier nichts mehr kritisieren! – Weitere Zurufe)

Das mag man tun. Aber, Herr Laschet, kommen wir jetzt doch mal zu Ihrer eigenen Rolle bei der Frage der inneren Sicherheit. Im Jahr 2010 – ich meine, am 15. Juli – bin ich von der Ministerpräsidentin als Minister ernannt worden und habe meine Urkunde bekommen. Ich glaube, drei oder vier Tage später ist mir der Altersbericht zur nordrhein-westfälischen Polizei – in Auftrag gegeben von meinem Vorvorgänger Fritz Behrens im Jahre 2004 – überreicht worden. Dieser Bericht lag der schwarz-gelben Landesregierung seinerzeit seit 2006 vor.

(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Ja!)

Vier Jahre lang ist dieser Bericht unter Verschluss gehalten worden.

(Marc Lürbke [FDP]: Sie sind sechs Jahre im Amt!)

Vier Jahre lang – ein Bericht, in dem deutlich stand: Wir müssen in diesem Land dringend etwas tun. Wir müssen die Polizei stärken, sonst laufen wir auf eine demografische Lücke zu.

(Zurufe von der CDU und von der FDP – Gegenrufe von der SPD, den GRÜNEN und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft)

Herr Laschet, um es deutlich zu sagen: Sie haben mit am Kabinettstisch gesessen bei der Entwicklung der Strategie, diesen Bericht unter Verschluss zu halten.

(Armin Laschet [CDU]: Nee, nee!)

Sie haben mit am Tisch gesessen beim Zustandekommen von „Privat vor Staat“ und dem Beschluss, nur 500 Einstellungen vorzunehmen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft – Fortgesetzt Zurufe von der CDU und der FDP)

Sie haben mit am Kabinettstisch gesessen, als 460 Stellen bei der Polizei abgebaut worden sind. Und heute machen Sie den Robin Hood der inneren Sicherheit – das ist genauso bigott, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von der CDU und von der FDP)

Um es deutlich zu sagen: In diesem Land sind inzwischen 600 Polizeibeamtinnen und -beamte mehr auf der Straße. 500 weitere Stellen werden in diesem Jahr folgen. 1.920 Einstellungen in diesem Jahr – so viele wie noch nie.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Dass Sie sich nicht schämen! Unglaublich!)

Wir handeln in Sachen der inneren Sicherheit. Sie haben es verpennt, Herr Laschet!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Widerspruch von der CDU und der FDP – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ein feiger Schauspieler, nichts anderes!)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen nicht vor. Das bleibt auch so. Dann schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 2, zur Aktuellen Stunde.

Ich rufe jetzt den zuvor unterbrochenen TOP

1   Wahl des Vierten Vizepräsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen (Fortsetzung)

Wahlvorschlag   
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11507

auf, so wie wir das vorhin miteinander verabredet haben. Sie erinnern sich: Die Piratenfraktion hat einen dritten Wahlgang zur Wahl des Vierten Vizepräsidenten beantragt. Sie hat Herrn Kollegen Schulz als Kandidaten für diesen Wahlgang vorgeschlagen.

Wir haben die Beratung dieses Tagesordnungspunktes unterbrochen, um die Stimmzettel zu drucken. Die Stimmzettel sind zwischenzeitlich gedruckt. Damit könnten wir in den dritten Wahlgang einsteigen.

Zuvor hat sich allerdings Herr Kollege Lienenkämper von der CDU-Fraktion zur Geschäftsordnung gemeldet.

Lutz Lienenkämper (CDU): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Position des Vierten Vizepräsidenten des Landtags von Nordrhein-Westfalen steht in der Geschäftsordnung. Der Versuch, diese Position zu besetzen, ist deswegen legitim; alle Vorschläge dafür sind ebenfalls legitim.

Wir haben im Laufe des heutigen Tages erlebt, dass der Kollege Wegner bei einer sehr kurzfristig anberaumten Kandidatur keine Mehrheit im Parlament gefunden hat. Im Laufe dieser Parlamentssitzung ist der Kandidat dann ausgetauscht worden.

Wir – und auch andere Fraktionen – haben den Piraten ausdrücklich angeboten, den neuen Kandidaten in unsere Fraktion einzuladen, wo wir uns mit ihm unterhalten, um ihn noch näher kennenzulernen und seine Vorstellungen von diesem Amt zu erfahren und mit ihm zu besprechen. Ich nehme mit Bedauern zur Kenntnis, dass die Piraten dieses Angebot offenbar nicht annehmen wollen und schließe daraus, dass es möglicherweise nicht das unbedingt erklärte Ziel ist, diesen Kandidaten heute durchzubringen. Ich bedaure das ausdrücklich.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Lienenkämper, auch wenn der Beifall der Kolleginnen und Kollegen Ihnen in der Sache offensichtlich recht gibt, war Ihr Redebeitrag – und das wissen Sie – an der Grenze dessen, ob es sich um einen wirklichen Geschäftsordnungsantrag und eine Meldung dazu handelt.

Herr Kollege Marsching hat jetzt um das Wort gebeten.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wie Sie alle wissen, gibt es laut Geschäftsordnung diesen Posten des Vierten Vizepräsidenten. Wir haben das Recht, diese Wahl durchzuführen. Das werden wir entsprechend wahrnehmen. Herr Lienenkämper, zu Ihrem Beitrag: Es geht es natürlich nicht darum, den Kandidaten kennenzulernen. Herr Wegner hat dem Präsidium bereits als Schriftführer geholfen. Er war bekannt. Das hat nichts mit der Person zu tun.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Zurufe von der CDU)

Wenn ich jetzt von Ihnen höre, dass es ein großes Problem sei, wenn wir diesen Wahlgang durchführen wollen, und dass ein Kandidat wählbar wäre, wenn er sich nur vorstellen würde, dann kann ich nur sagen: Wenn er wählbar ist, dann ist er jetzt auch vorstellbar. Der Kollege Schulz sitzt dort. Sie kennen ihn. Er braucht hier sicher kein Wort mehr zu sagen.

(Zurufe)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für Sie gilt dasselbe, was ich gerade auch Herrn Kollegen Lienenkämper vorgehalten habe.

Bevor es weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung gibt, will ich darauf hinweisen, dass Wahlen in aller Regel und auch laut Geschäftsordnung definitiv ohne Aussprache vorzunehmen sind. Ich werde daher auch jetzt keine Aussprache – in welcher veränderten und verkappten Form auch immer – zu diesem Punkt zulassen.

(Zurufe: Oh!)

In diesem Sinne bitte ich jetzt die vorhin bereits für den ersten und zweiten Wahlgang eingeteilten Schriftführerinnen und Schriftführer, erneut ihre Plätze einzunehmen.

Ich wiederhole noch einmal, dass ich alle Regularien als bekannt voraussetze, die für die Wahlgänge hier im Hohen Hause gelten, zumal wir sie bei dem ersten Wahlgang ausdrücklich noch einmal vorgetragen und Sie sie zur Kenntnis genommen haben.

Ich bitte die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, dafür Sorge zu tragen, dass die Kolleginnen und Kollegen schlichtweg wissen, dass wir in den dritten Wahlgang eintreten.

Sobald die Schriftführerinnen und Schriftführer mit den zuvor fertiggestellten Wahlzetteln ihre Plätze an den Ausgabetischen, an den Wahlurnen und an den Wahlkabinen eingenommen haben, können wir mit dem Namensaufruf beginnen. Herr Kollege Bialas, möchten Sie ihn durchführen? – Gut, dann bitte ich Frau Kollegin Lück, ihren Dienst an einer anderen Stelle zu verrichten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt so weit. Wir treten damit in den dritten Wahlgang zur Wahl des Vierten Vizepräsidenten ein. Herr Kollege Bialas wird jetzt mit dem Namensaufruf beginnen.

(Der Namensaufruf zur Stimmabgabe erfolgt.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Namensaufruf beendet ist, bitte ich jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihrerseits wählen zu gehen, damit wir den Wahlgang gleich abschließen können.

(Die Schriftführerinnen und Schriftführer geben ihre Stimme ab.)

Nachdem nun auch die Schriftführerinnen und Schriftführer gewählt haben, frage ich vorsichtshalber: Haben noch Kolleginnen und Kollegen den Plenarsaal betreten, die gern ihre Stimme abgeben möchten, weil sie das noch nicht getan haben?

Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich den Wahlgang und unterbreche die Sitzung erneut kurz für die Auszählung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer wie zuvor schon zweimal, im Empfangsraum die Stimmen auszuzählen.

(Unterbrechung von 12:55 Uhr bis 13:01 Uhr)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben das Auszählen beendet. Es liegt also das Ergebnis für den dritten Wahlgang vor. Damit eröffne ich die unterbrochene Sitzung wieder und gebe Ihnen das Ergebnis der Wahl bekannt:

Wir sind 237 Abgeordnete; neun haben sich ganztägig für die heutige Sitzung entschuldigt. An der Wahl haben sich insgesamt 204 Abgeordnete beteiligt. Es hat 203 gültige Stimmen gegeben, demzufolge eine ungültige Stimme. Auf Ja entfielen 41 Stimmen. Mit Nein haben 158 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Enthaltungen gab es vier.

Mit diesem Wahlergebnis ist Herr Kollege Dietmar Schulz, der im dritten Wahlgang für den Vierten Vizepräsidenten kandidiert hat, nicht gewählt worden, weil er die erforderliche Stimmenmehrheit nicht erzielt hat.

Wenn an dieser Stelle keine Wortmeldungen erfolgen – das bleibt so –, schließe ich Tagesordnungspunkt 1.

Wir kommen zu:

3   Kriminalitätsbekämpfung intensivieren: Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen („Schleierfahndung“) ermöglichen!

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11307

Für die antragstellende Fraktion der CDU hat Herr Kollege Kruse das Wort. Vielleicht warten Sie noch einen kleinen Moment, bis die Tische hinausgetragen wurden. – Ich danke unseren Haustechnikern ganz herzlich, dass Sie das zwischenzeitlich für uns tun.

Theo Kruse (CDU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Wegfall der Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen hat der Freistaat Bayern 1995 als erstes Bundesland die sogenannte Schleierfahndung eingeführt. Dabei handelt es sich um verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen zum Zwecke der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und des unerlaubten Aufenthalts.

Nach dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz darf die Polizei entsprechende Kontrollen im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km sowie auf Durchgangsstraßen und in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs durchführen. Bis zum heutigen Tage sind fast alle Bundesländer dem Beispiel Bayerns gefolgt und haben ebenfalls entsprechende Rechtsgrundlagen zur Durchführung der Schleierfahndung in ihren Polizeigesetzen geschaffen.

(Beifall von der CDU)

Auch im Bundespolizeigesetz existiert bereits seit 1998 eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage, deren Anwendungsbereich im Jahr 2001 auf Betreiben der damaligen rot-grünen Bundesregierung sogar noch ausgeweitet worden ist.

Die beiden einzigen Bundesländer, die bis heute keine Rechtsgrundlage für die Durchführung der Schleierfahndung in ihre Polizeigesetze eingefügt haben, sind Bremen und Nordrhein-Westfalen. Zufälligerweise sind dies auch die beiden rot-grün regierten Bundesländer, die im weiten Bereich der Kriminalitätsbekämpfung im Bundesvergleich regelmäßig am schlechtesten abschneiden.

(Beifall von der CDU)

Die Kriminalitätsstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2015 haben wir vorhin im Rahmen der Aktuellen Stunde diskutiert. Sie ist in der vergangenen Woche bekannt geworden. Ich sage noch mal bewusst: bekannt geworden. Denn vor einer offiziellen Bekanntgabe der Zahlen gegenüber der Landespressekonferenz drückte sich Herr Minister Jäger bereits im zweiten Jahr in Folge, weil die Zahlen so verheerend sind.

Diese Kriminalitätsstatistik belegt, dass Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr erneut von einer heftigen Einbruchswelle überrollt worden ist. Sie mussten selber zugeben, Herr Minister, dass es sich seit 2010 um einen Anstieg von fast 40 % handelt.

Im WDR-2-Interview vom 10. März 2016 haben Sie, Herr Minister Jäger, diese Entwicklung wie folgt wiedergegeben – ich zitiere –:

„Wir haben es mit Profis zu tun: gut organisierte Banden, die aus Südosteuropa kommen, hoch spezialisiert, die heute in Köln sind und morgen in Amsterdam – die sind nur schwer zu fassen.“

Wenn das so ist, Herr Minister Jäger, fragen wir als CDU-Fraktion Sie: Wieso weigern Sie und die rot-grüne Koalition in diesem Hause sich nach wie vor beharrlich, der nordrhein-westfälischen Polizei endlich das Instrument der Schleierfahndung in die Hand zu geben,

(Beifall von der CDU)

mit dem der Bund und andere Länder seit knapp 20 Jahren erfolgreich grenzüberschreitende Kriminalität bekämpfen? Orientieren Sie sich in Fragen der inneren Sicherheit endlich mal am Klassenprimus Bayern und nicht am Klassenletzten Bremen!

(Beifall von der CDU)

Ein Hinweis noch, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wie erfolgreich die Schleierfahndung in Bayern ist, hat sich während des G-7-Gipfels auf Schloss Elmau im vergangenen Sommer eindrucksvoll gezeigt. Während dieses zweitägigen Gipfels hat die Polizei in Bayern mittels Schleierfahndung 150 Straftaten aufgedeckt, 60 Haftbefehle vollstreckt, 8.600 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz festgestellt und 430 Personen die Einreise verweigert. Diese beeindruckende Bilanz macht aus unserer Sicht deutlich, welches Potenzial die Schleierfahndung besitzt.

Ergänzend möchte ich in diesem Zusammenhang auch auf eine Presseveröffentlichung der bayerischen Polizei vom 4. März 2016 hinweisen, in der das Erfolgsmodell am Beispiel der Polizeiinspektion Rosenheim erläutert wird. Dort wurden durch entsprechende Kontrollen allein im vergangenen Jahr nicht nur eine Vielzahl von Serieneinbrechern samt Beute gefasst, sondern auch in erheblichem Umfang Rauschgiftschmuggel, Schleuserkriminalität, Kfz-Diebstähle und andere schwere Straftaten aufgedeckt.

Damit auch die Polizei in Nordrhein-Westfalen künftig Schleierfahndung betreiben kann, starten wir heute mit diesem Antrag eine weitere Initiative zur Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung in diesem Bundesland. Dies ist aus unserer Sicht dringend geboten. Deswegen liegt der Antrag vor.

Natürlich stimmen wir der Überweisung in den zuständigen Fachausschuss zu. Wir freuen uns auf intensive Beratungen und hoffen natürlich am Ende auf Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Kruse. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dahm das Wort.

Christian Dahm (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Ein Gruß gilt ganz besonders meiner Besuchergruppe. Ein herzliches Willkommen!

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, darf ich Sie …

Christian Dahm (SPD):Ja, dafür gibt es eine Rüge. Das weiß ich.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: … bei aller Freundlichkeit darauf aufmerksam machen, dass wir als Kollegialorgan innerhalb des Parlaments debattieren und keine Grußbotschaften an die Zuhörerinnen und Zuhörer außerhalb richten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das ist das geübte Verfahren der parlamentarischen Beratung. – Jetzt haben Sie das Wort, um es an die Abgeordneten zu richten.

Christian Dahm (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Zum Thema: Um unseren demokratischen und sozialen Rechtsstaat sowie die Menschen, die bei uns miteinander leben, zu schützen, ist es, wie ich finde, auf jeden Fall angebracht und zielführend, über das richtige Verhältnis von Freiheit auf der einen Seite und Sicherheit auf der anderen Seite in den politischen Wettstreit einzutreten – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen.

Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, fordern mit Ihrem Antrag, dass auch in Nordrhein-Westfalen die sogenannte Schleierfahndung eingeführt werden soll und führen dabei mal wieder das Beispiel aus Bayern an.

Bei Schleierfahndung – ich bin heute Morgen gefragt worden: Was ist das überhaupt? – können Personen und Autos ohne konkreten Verdacht in Grenznähe auf den Autobahnen, Bahnhöfen oder Flughäfen kontrolliert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen – so ist es beispielsweise in Bayern; das ist dort im Gesetz verortet – kann auch eine Durchsuchung von Personen oder der Sachen erfolgen, ohne dass ein Anfangsverdacht vorliegt – beispielsweise nur bei ausländischem Aussehen.

Sie haben es angesprochen, Herr Kruse – ich sehe ihn jetzt gar nicht –, aber Bremen und Nordrhein-Westfalen sind nicht die einzigen Bundesländer, die die Schleierfahndung nicht haben – nein, Berlin hat sie mittlerweile wieder abgeschafft.

Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich halte die Schleierfahndung für äußerst bedenklich. Gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem Tausende von Menschen hier bei uns Zuflucht und Schutz suchen, wollen Sie die gesetzlichen Möglichkeiten deutlich erweitern. Sie vermitteln damit das Bild, als würden mit der Flüchtlingszuwanderung scharenweise Straftäter in unser Land eindringen und eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. Das ist doch mitnichten so – das wissen wir doch alle.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Sie setzen – das wissen wir auch –, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, doch nur einen Beschluss Ihres Bundesvorstandes aus der sogenannten Mainzer Erklärung vom Januar nach den Ereignissen in Köln um, auf dessen Basis Sie jetzt die Schleierfahndung als Gefahrenprävention einführen wollen.

Ich sage Ihnen hier, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion: Auch mit einer Schleierfahndung wären die Vorfälle in Köln nicht zu verhindern gewesen. Das wissen wir doch sicherlich alle.

Eines haben Sie in Ihrem Antrag, Herr Kruse, nicht erwähnt: In Bayern wurden für die sogenannte Schleierfahndung im letzten Jahr 500 Schleierfahnder zusätzlich eingesetzt. Einen Hinweis darauf und damit verbunden eigentlich auch die entsprechende Forderung für Nordrhein-Westfalen vermisse ich in Ihrem Antrag.

Wir stärken die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfahlen mit unserem 15-Punkte-Maßnahmenpaket, das im Nachtragshaushalt vorgesehen ist. Dadurch schaffen wir 806 zusätzliche Stellen bei der Polizei und der Justiz. Wenn Sie das weiterhin unterstützen wollen, dann sollten Sie dem beitreten und dem zustimmen. Das haben Sie gestern im Unterausschuss Personal nicht gemacht und stellen sich damit gegen die Stärkung der inneren Sicherheit in Nordrhein-Westfalen.

Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, nehme ich eines vorweg – wir werden der Überweisung in den Innenausschuss gleich zustimmen und dort weiter beraten –, mache für die SPD-Fraktion eines klar und will einige Wegmarken skizzieren:

Erstens. Wir haben in Nordrhein-Westfalen bereits eine bewährte und effektive Rechtsgrundlage für Personen- und Fahrzeugkontrollen, beispielsweise das Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen. Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen keine Rechtslücken.

Zweitens. Was verdachtsunabhängige Personenkontrollen anbelangt, welche unabhängig vom Anlass, vom Ereignis und Ort vorgenommen werden, so haben die Europäische Union, namhafte Verfassungsrechtler, und unsere Rechtsprechung sehr unterschiedliche Standpunkte entwickelt. Dabei ist die Schleierfahndung gerade hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit und des Datenschutzes nicht als vergleichsweise geringfügiger Eingriff zu bagatellisieren, so, wie Sie es in Ihrem Antrag formuliert haben.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Hier bestehen zum Teil erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Und drittens: Eine Schleierfahndung so nach dem bajuwarischen Vorbild – wie Sie es hier bezeichnen – befördert doch geradezu das Stigma des Generalverdachts bei jeder Personenüberprüfung aufgrund der kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit.

Ein Mehr an Verunsicherung führt unweigerlich zu weniger gefühlter und ebenso tatsächlicher Sicherheit.

Viertens. Die Menschen in unserem Land haben einen Anspruch darauf, dass Maßnahmen einerseits konsequent, andererseits schonend und verhältnismäßig sind und damit wirklich zu mehr Sicherheit führen.

Mit solchen Maßnahmen wollen wir den Menschen hierzulande nicht die Sicherheit versprechen. Ich freue mich auf die weitere Beratung in unserem Innenausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Dahm. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Schäffer.

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade schon sehr intensiv über das Thema „Einbruchskriminalität“ diskutiert, auch über grenzüberschreitende Kriminalität, die wir hier zu verzeichnen haben. Dem setzt die nordrhein-westfälische Polizei das Projekt MOTIV entgegen; sie hat da ein sehr wirksames Konzept entwickelt. Deshalb gibt es aus meiner Sicht keinen Anlass für die Schleierfahndung, sondern es gibt ziemlich viele gute Gründe, die dagegensprechen, sie einzuführen.

Zum einen ist es ein erheblicher Grundrechtseingriff in die Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger, die kontrolliert werden. Es wird quasi jede und jeder unter Generalverdacht gestellt, wenn anlasslose Kontrollen möglich werden.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – wir haben gerade darüber gesprochen –, dass subjektiv ein Gefühl der Verunsicherung in der Bevölkerung besteht, stellt sich für die Politik die Frage – da sehe ich uns alle in der Verantwortung, auch die Fraktionen der Opposition –: Wie schaffen wir es, das Vertrauen in unsere Behörden, in die Polizei, in die Justiz, also in unseren Rechtsstaat, wieder zu stärken? – Unser Rechtsstaat funktioniert; darüber haben wir vorhin lange und ausführlich diskutiert.

Ich glaube, wir stärken das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht, indem wir jetzt anlasslose Kontrollen ermöglichen, sodass jede und jeder befürchten muss, immer und überall kontrolliert zu werden. Ganz im Gegenteil!

(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])

Zum anderen muss man auch darüber reden: Wie personalintensiv ist denn eigentlich die Schleierfahndung? Sie schreiben ja in Ihrem Antrag, wie viele Polizeibeamtinnen und -beamte in Bayern damit beschäftigt sind. Natürlich ist das personalintensiv. Folgerichtig wäre es eigentlich, wenn Sie mit Ihrem Antrag zusätzliche Polizeibeamtinnen und -beamte für diese Aufgabe fordern würden, wenn wir nicht Prioritäten bei der Polizeiarbeit verschieben wollen, was ich, ehrlich gesagt, falsch fände. Dazu sehe ich auch keinen Anlass. Das tun Sie aber nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Weil die Schleierfahndung so personalintensiv ist, müssen Sie Kriterien festlegen: Wer wird denn eigentlich kontrolliert? Wenn jede und jeder immer kontrolliert werden kann, stellt sich die Frage der Kriterien; das hat auch mein Kollege schon angesprochen. Das birgt natürlich die Gefahr von Diskriminierungen. Ja, natürlich! Denn Sie müssen sich überlegen: Welche Gruppen mit welchen bestimmten Merkmalen kontrolliere ich, wenn ich nicht jeden kontrollieren will? Da kommen wir in eine Diskussion, die durchaus diskriminierungsanfällig ist und die wir Grüne hochproblematisch finden.

Man muss auch noch einmal sagen, dass man bei gewissen Anhaltspunkten heute schon Personenkontrollen durchführen kann. Das wird auch gemacht.

Insofern halte ich für die Grünen noch einmal fest: Die Schleierfahndung ist zum einen nicht verhältnismäßig, weil die Erfolge keinen Grundrechtseingriff rechtfertigen. Zum anderen besteht kein Bedarf dafür, weil die heutige Gesetzesgrundlage schon Personenkontrollen ermöglicht.

Der Überweisung an den Ausschuss werden wir natürlich zustimmen, aber ich kann hier schon ankündigen, genauso wie es die SPD getan hat, dass wir diesen Antrag nicht mittragen können und dagegenstimmen werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schäffer. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lürbke das Wort.

Marc Lürbke (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eben schon intensiv über das Thema diskutiert. Für uns Freie Demokraten ist klar: Ja, wir brauchen mehr Kontrolldruck auf unseren Autobahnen, auf unseren Zufahrtsstraßen – ich habe es bereits ausgeführt –; ansonsten wird es ungleich schwieriger, potenzielle Gefährder – Einbrecher, Drogenschmuggler, die Bankautomatenbande, Diebesbanden – tatsächlich aufzuspüren.

Auch wir sind der Ansicht: Es kann nicht sein, dass unser Innenminister die gute Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen als Grund für die hohe Zahl an Straftaten nennt, sie aber dann den Tätern als Tatinfrastruktur ohne ausreichende Kontrolle überlässt.

Um den Kontrolldruck ist es in Nordrhein-Westfalen offensichtlich nicht gut bestellt. Die entscheidende Frage ist: Woran liegt das? Meine Kleinen Anfragen und Anfragen im Innenausschuss haben ergeben, dass wesentliche Bausteine des Konzeptes MOTIV, Herr Minister, mangels Personals gar nicht umgesetzt werden. Herr Minister, jetzt schütteln Sie den Kopf. Aber Sie mussten mir doch selbst im Innenausschuss darlegen – ich habe es eben erwähnt –, dass in Köln beispielsweise nur ein einzelner Schwerpunkteinsatz pro Halbjahr stattfindet, und das in einer Einbruchshochburg wie Köln. An der Stelle scheitert es schon am Personal.

(Zuruf von Minister Ralf Jäger)

Auch dass die Einsatztrupps der Autobahnpolizei sehr schwach besetzt sind, haben Sie mir schwarz auf weiß in Antworten auf Anfragen darlegen müssen.

(Beifall von der FDP und Daniel Sieveke [CDU])

Meine Damen und Herren, das ist für die Bewertung der Frage nicht unerheblich. Liegt fehlender Kontrolldruck an fehlendem Personal oder an einer fehlenden Rechtsgrundlage für eine Schleierfahndung? Das müssen wir uns im Ausschuss genauer anschauen.

Ich habe da so meine Vermutung; denn wir haben bereits heute verschiedene Rechtsgrundlagen – das Polizeigesetz, die Straßenverkehrsordnung oder auch die Strafprozessordnung –, nach denen die Polizei Personenkontrollen oder allgemeine Verkehrskontrollen, Überprüfungen von Fahrzeugen durchführen kann.

Befugnisse zu anlassabhängigen Kontrollen bestehen in Nordrhein-Westfalen. Bei Verdacht auf Mitführung von Drogen können Sie heute schon kontrollieren. Sie können Schwerpunktkontrollen aufbauen, verdächtige Fahrzeuge rauswinken.

Herr Minister, würden Sie Ihre Hausaufgaben machen und die Einsatztrupps der Autobahnpolizei auch personell gut aufstellen, dann hätten wir vielleicht nicht diese Debatte über die Schleierfahndung.

Deswegen sage ich ganz deutlich: Wer schon heute nicht ausreichend Personal für verdachtsabhängige Kontrollen einsetzt, dem hilft dann per se auch keine anlasslose Kontrollmöglichkeit.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Körfges zulassen?

Marc Lürbke (FDP): Ja, gerne.

Hans-Willi Körfges (SPD): Herr Kollege Lürbke, mir ist bis jetzt noch ein bisschen verborgen geblieben, wie Ihre Meinung zum Thema „Schleierfahndung“ ist. Würden Sie die Meinung der FDP-Generalsekretärin Frau Beer teilen, dass Schleierfahndung ein unzulässiger Eingriff in die bürgerlichen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten ist?

(Marcel Hafke [FDP]: Lassen Sie ihn doch erst mal ausreden!)

– Er redet jetzt schon ein bisschen länger und hat zu dem eigentlichen Thema noch keine Meinung geäußert.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Körfges, die Frage ist angekommen, sie ist klar formuliert, und jetzt wird Herr Kollege Lürbke sie beantworten.

Marc Lürbke (FDP): Herr Körfges, vielen Dank für die Frage. Ich freue mich, dass Sie mir gut zuhören und es nicht mehr abwarten können, die Meinung der FDP in dieser Frage kennenzulernen.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja oder nein?)

– Ich habe es gerade gesagt. Wir gehen der Sache auf den Grund. Wir fragen: Liegt es am Personal? Liegt es am Vollzugsdefizit?

Ich teile die Einschätzung, dass die Schleierfahndung einen erheblichen Grundrechtseingriff mit sich bringt. Aber natürlich müssen wir das im Ausschuss prüfen. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es Rechtslücken gibt, die Täter nutzen und die Polizeibeamte an ihrer Arbeit hindern, dann müssen wir das natürlich auch überprüfen. Aber bisher – und das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit – ist dieser Beweis für mich – auch durch die CDU nicht – noch nicht erbracht worden. Dieser Beweis ist noch nicht geführt.

(Beifall von der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist die Verschleierung der FDP!)

Welchen Mehrwert hat das? – Herr Körfges, hören Sie mir doch bitte weiter zu. – Welchen Mehrwert soll das haben? – Da bin ich ja eher bei Ihnen als bei der CDU.

(Zurufe von der SPD)

Welchen Mehrwert soll die Schleierfahndung denn haben?

Bedenken gibt es reichlich. Die EU-Kommission steht dem Ganzen skeptisch gegenüber, weil man darin auch verdeckte Grenzkontrollen vermutet. Ja, damals wurden auch verfassungsrechtliche Bedenken genannt. Die muss man auch ernst nehmen, auch deshalb, weil dann in der polizeilichen Praxis vor allem ausländisch aussehende Personen kontrolliert würden und somit Verhältnismäßigkeit und Gleichheitsgrundsatz fragwürdig tangiert würden.

Fakt ist auch – das gehört auch dazu: Außer Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen haben alle anderen Länder entsprechende Rechtsgrundlagen.

Wir sollten die Debatte im Ausschuss führen; wir werden uns das sehr genau anschauen. Ich freue mich auf die weitere Debatte. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Werner Jostmeier [CDU])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Lürbke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Schatz.

Dirk Schatz (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mal wieder typisch, dass die CDU jetzt hier die Schleierfahndung in Bezug zum Wohnungseinbruchsdiebstahl bringt. Gerade in der Debatte zu TOP 2 hat sie im Prinzip schon gesagt, was genau das Ziel ist, vor allem mit Blick auf ausländische Tätergruppen.

Ich frage mich dabei, ehrlich gesagt, ob Sie sich damit nicht selbst ins eigene Bein geschossen haben. Ich möchte erläutern, warum.

Nehmen wir den typischen osteuropäischen Bandeneinbrecher, von dem immer so viel gesprochen wird, der aus Belgien nach NRW kommt, um hier einzubrechen. Wie wird der wohl kommen? – Zu Fuß? – Ich vermute mal nein. Mit dem Zug? – Vielleicht. Das sieht aber bestimmt lustig aus, wenn er mit einer großen blauen IKEA-Tasche im Zug sitzt und die Tatbeute nach Belgien bringt. Also wird es vermutlich das Auto sein. Typischerweise kommt er mit dem Auto hierhin.

Werte CDU, ich kann Sie beruhigen. Wenn es Ihnen im Rahmen der Schleierfahndung darum geht, in die Kfz schauen zu können, gibt es so etwas Ähnliches bereits: Werfen Sie einen Blick in die Straßenverkehrsordnung, und zwar in § 36 Abs. 5. Dort steht:

„Polizeibeamte dürfen Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit und Verkehrserhebung anhalten.“

Weiter heißt es:

„Die Verkehrsteilnehmer haben die Anweisungen der Polizeibeamten zu befolgen.“

Das heißt für die Praxis: Mit dieser Vorschrift kann ich völlig rechtmäßig und verhältnismäßig in jedes Auto hineinschauen. Das ist überhaupt kein Problem.

Ich kann den Innenraum in Augenschein nehmen. Allein schon aus Eigensicherungsgründen – ich denke, das versteht sich von selbst – muss ich prüfen, ob irgendwelche Sachen auf dem Sitz sind usw. Ich kann unter den Wagen und unter die Motorhaube schauen, alleine schon, weil eventuell Veränderungen durch den Besitzer vorgenommen wurden, die die Betriebssicherheit und die Zulassung gefährden könnten. Das muss ich alles überprüfen können. Es gibt Kollegen, die machen das. Die haben da richtig Ahnung von, die haben daran richtig Spaß.

Und ich kann gerade bei Lkw und Kleintransportern, um die es hier hauptsächlich gehen dürfte, auf die Ladefläche schauen; denn ich muss die Ladungssicherheit kontrollieren können.

Jetzt gibt es so gut wie keinen Ort mehr an diesem Fahrzeug, den ich nicht hätte überprüfen können. Es gibt hier keine Regelungslücke. Hinzu kommen die schon erwähnten weiteren Vorschriften. Wir brauchen also keine Schleierfahndung.

Wenn sich bei diesen Durchsuchungen ein Verdacht ergibt, dann darf ich selbstverständlich auch weitere Durchsuchungen durchführen, und zwar sämtlicher Insassen, die im Auto sind, und im gesamten Fahrzeug.

Aber unabhängig davon ist die Befugnis auch im Ganzen abzulehnen, denn die Wirksamkeit ist bisher in keiner Weise empirisch nachgewiesen. Eine Wirksamkeit wird zwar immer behauptet, aber ob es wirklich etwas bringt, ob es einen deutlichen Mehrwert im Verhältnis zum Grundrechtseingriff bringt, ist bisher nicht nachgewiesen worden. Von daher ist es schon dem Grunde nach abzulehnen.

Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift will ich hier gar nicht weiter thematisieren. Das wurde von den Vorrednern alles benannt.

Dann gibt es noch die Gefahr des sogenannten Racial Profiling, wenn Kontrollen völlig anlassunabhängig erlaubt werden. Auch das ist bisher noch nicht untersucht worden, vor allem auch nicht in NRW. Ich habe gehört, dass es hier einmal eine Anfrage gegeben hat, das Thema „Racial Profiling“ zu untersuchen; das ist abgelehnt worden. Es wäre interessant, das hier entsprechend zu untersuchen.

Generell widerspricht eine derartige Vorschrift meinem grundsätzlichen Verständnis von freiheitlicher und rechtsstaatlicher Demokratie. Ich bin der Meinung: Wer keinen Verdacht in dieser Demokratie erregt, der muss auch nicht damit rechnen, durch den Staat in seiner Freiheit beeinträchtigt zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Schatz. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Kruse konnte offensichtlich nicht weiter an der Debatte teilnehmen; ist auch nicht schlimm.

(Zuruf von der CDU: Er hat eine Besuchergruppe, Herr Jäger!)

– Ja. Nur hat er zu Beginn von der katastrophalen Kriminalitätsstatistik in Nordrhein-Westfalen gesprochen. Ich möchte die Zahlen aus dem Tagesordnungspunkt 2 wiederholen. Entwicklung der Kriminalität in Nordrhein-Westfalen seit 2010: Gewalttaten minus 10 %, Jugendkriminalität minus 30 %, Taten gegen das Leben minus 15 %, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen minus 20 %, Körperverletzung minus 5 %, Einbrüche in Nordrhein-Westfalen seit 2010 plus 39,2 %, bundesweit plus 37,8 %. – So viel dazu, meine Damen und Herren.

Wir haben es in der Tat, und das bezieht sich insbesondere auf die Entwicklung bei den Einbrüchen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit mit einer Entwicklung zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Anstieg in den letzten Jahren im Wesentlichen durch mobile Täter, die grenzüberschreitend sehr professionell agieren, zu begründen ist. Insbesondere kommen diese Täter, verantwortlich für den zunehmenden Anstieg seit dem Jahr 2009, aus Südosteuropa. Das gehört zur Transparenz und Ehrlichkeit dazu.

Die Erkenntnisse der Ermittler belegen, dass diese Täter Straftaten überregional begehen. Sie sind sehr mobil, sie handeln überwiegend gemeinschaftlich, agieren in überörtlichen Bandenstrukturen und sind in Tatvorbereitung und Tatausführung hochprofessionell.

Diese Täter sind insbesondere für Tatserien verantwortlich, hinterlassen wenig Spuren und erzielen eine höhere Beute, Herr Schatz, als örtliche Täter sie in der Regel erzielen können.

Wir stellen uns diesem Problem übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Es ist immer wieder Thema in der Innenministerkonferenz, mit möglichst abgestimmten Konzepten vorzugehen. Zu diesen abgestimmten Konzepten gehört auch das nordrhein-westfälische Konzept, das unter dem Namen MOTIV firmiert. MOTIV ist erfolgreich. Knapp 800 dieser Intensivtäter konnten identifiziert werden. 500 von ihnen waren oder sind zurzeit in Haft. Diese Zahlen sprechen für dieses Projekt. Man muss aber auch klar und deutlich sagen: Es ist nur ein einziger Baustein für eine überregionale und grenzüberschreitende Bekämpfung der Kriminalität.

Meine Damen und Herren, die CDU hat recht, wenn sie sagt, dass das Instrument der Schleierfahndung unserer Polizei nicht zur Verfügung steht. Das ist richtig. Das ist aber aus guten Gründen so. Eine völlig anlasslose Überprüfung – und nichts anderes ist die Schleierfahndung: ein wahlloses Herausgreifen und Überprüfen von Personen, ein Durchsuchen dieser Personen ohne einen einzigen Anhaltspunkt, dass sie auch nur im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben – ist mit unserer Auffassung eines Rechtsstaates und der Grundrechte, die dort verankert sind, eigentlich nicht vereinbar, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Dirk Schatz [PIRATEN]: Das ist Willkür!)

Vor allem ist es ausschließlich dem Zufall überlassen, ob eine solche Kontrolle überhaupt zum Erfolg führt. Dieser Zufall bindet allerdings in erheblichem Maße Personal der Polizei, das dann bei Kontrollen auf der Straße fehlen würde, an Brennpunkten, wo wir die Polizei brauchen, da, wo sie präsent sein sollte, insbesondere dort, wo es darum geht, bestimmte Tätertypen, beispielsweise bestimmte Fahrzeugtypen, grundsätzlich zu überprüfen.

Fakt ist auch: Die Schleierfahndung ist in keinem anderen Bundesland die Lösung der Probleme, wie Sie es hier darzustellen versuchen. Ich habe gerade die Entwicklung der Einbruchszahlen seit 2010 deutlich gemacht: in Nordrhein-Westfalen plus 39,2 % und bundesweit plus 37,8 %, obwohl einige Bundesländer über das Instrument der Schleierfahndung verfügen.

(Gregor Golland [CDU]: Wie sind denn die Aufklärungsquoten im Vergleich?)

Das macht deutlich, dass das kein Allheilmittel ist, sondern ganz im Gegenteil einen tiefen Grundrechtseingriff darstellt, der Polizei an einer Stelle bindet, obwohl wir sie an anderen Stellen gut gebrauchen könnten. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11307 an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer für diese Überweisungsempfehlung ist, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Stimmt jemand dagegen – oder enthält sich? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4   Gesetzlicher Mindestlohn ist gut für die Beschäftigten und die Gesellschaft – Niedriglohnsektor und prekäre Beschäftigung weiter eingrenzen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11425

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende SPD-Fraktion Herrn Kollegen Bischoff das Wort. Er ist schon eilenden Fußes unterwegs. Bitte.

Rainer Bischoff (SPD): Danke schön. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Nach vielen, wie ich fand, überflüssigen, unsachlichen, zum Teil unsäglichen Anträgen, die es zum Thema „Mindestlohn“ hier im Hause gab, und zwar immer aus einer Nische heraus, aus einer Ecke heraus – beispielsweise wurde im Sportausschuss von der FDP ein Antrag gestellt, der impliziert, die Sportvereine gingen durch den Mindestlohn zugrunde; das ist jetzt meine Interpretation –, haben wir heute hier einen sachlichen Antrag vorliegen, in dem wir als Regierungskoalition nach einem Jahr Mindestlohn Bilanz ziehen. Der Mindestlohn ist am 1. Januar 2015 eingeführt worden. Jetzt ziehen wir Bilanz. Das neudeutsche Wort wäre „evaluieren“. Wir gucken also: Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert?

Ich kann schon vorweg sagen: Diese Bilanz ist ausgesprochen positiv. Es ist durch den Mindestlohn gelungen, dass eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – das sind wissenschaftliche Zahlen, nicht meine – in NRW eine Lohnerhöhung bekommen haben. Wann haben wir als Gesetzgeber jemals ein Gesetz gemacht, das eine solche Folge hatte? Ich kann es auch in Personen umsetzen. Jeder siebte Arbeitnehmer, jede siebte Arbeitnehmerin in NRW – das verbirgt sich hinter der Zahl von einer Million – hat vom Mindestlohn profitiert.

Im Bereich des Niedriglohnsektors, also bei den Personen, die ganz gering bezahlt werden, haben wir natürlich erhebliche Fortschritte erzielen können. Das betrifft vor allen Dingen auch Frauen. Von Lohndumping und Niedriglohn sind insbesondere Frauen betroffen. Damit kommen wir dem Ziel „Equal Pay“ durch den Mindestlohn ein Stückchen näher.

Wir haben – das ist wichtig für die Menschen unter uns, die in die Sozialversicherung einzahlen – weniger Aufstocker, also weniger Menschen, die arbeiten und gleichzeitig Sozialmittel beziehen müssen, also gleichzeitig noch Unterstützung von der Arbeitsagentur bzw. dem Jobcenter brauchen, weil der Mindestlohn das Niveau anhebt. Deswegen wird auch die Sozialversicherung ein Stück weit entlastet.

Neben der Sicherung der Sozialsysteme haben wir vor allen Dingen auch einen verbesserten Wettbewerb. Wir Sozialdemokraten haben schon oft von diesem Pult aus gesagt: Wir wollen, dass Wettbewerb bei verschiedenen Angeboten von Unternehmen stattfindet – aber bitte nicht über Lohndumping, also nicht darüber, dass man die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer drückt, sondern darüber, dass die Qualität besser ist als bei dem Konkurrenten oder Wettbewerber. Das erreichen wir eben auch dadurch, dass es den Mindestlohn gibt.

Zudem haben wir die Zahl der Minijobs erheblich reduziert. Es war immer unser Verdacht, dass Minijobs auch ein Stück weit zu Lohndumping genutzt werden. Wir haben nichts gegen Minijobs; das ist gar nicht die Frage. Nur: Wenn der Arbeitgeber den Minijob einführt, damit er keinen regulären Lohn bezahlen muss, weil der Minijobber möglicherweise gar nicht darüber informiert ist, dass er dieselben Rechte hat wie jeder andere Arbeitnehmer auch, dann ist das natürlich kein richtiges Instrument. Und siehe da: Wenn man sich die Kurven anguckt, sieht man eine hohe Korrelation zwischen der Einführung des Mindestlohns und dem Abbau von Minijobs. Offensichtlich ist ein hoher Anteil solcher Jobs also genau zu dem genutzt worden, was wir nicht wollen. Das haben wir abgeschafft.

Wir haben also wirklich eine gute Bilanz. Vor allem haben wir auch die negativen Prophezeiungen widerlegen können.

Vor der Einführung des Mindestlohns gab es Unkenrufe, der Mindestlohn werde zu einer Konjunkturdelle führen. Das ist nicht passiert.

Es wurde argumentiert, er werde die Inflation anheizen, weil durch die Einführung des Mindestlohns bestimmte Preise erhöht würden. Die EZB hat den Leitzins gerade auf 0,0 % gesenkt, weil es im Euroraum und damit auch in Deutschland überhaupt keine Inflation gibt.

Wir haben auch nicht erlebt, dass ein Bürokratiemonster aufgebaut worden ist. Auch diese Unkenrufe kamen von interessierter Seite – das konnte man vorher schon einschätzen –, nämlich von denen, die nicht bereit waren, den Mindestlohn zu zahlen.

Wir stellen diesen Antrag zur Diskussion. Ich freue mich auf die Diskussion. Wir wollen zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Aber ich sage auch ganz sachlich und ganz selbstbewusst: Aus unserer Sicht ist die Einführung des Mindestlohns eine wahre Erfolgsgeschichte. Wir freuen uns, dass es demnächst mit einer Erhöhung des Mindestlohns auch so weitergehen kann.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich danke schon für den Applaus, bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche den Debatten einen erfolgreichen Verlauf.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Maaßen.

Martina Maaßen (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Januar 2016 war der erste Geburtstag des Mindestlohngesetzes. Dies ist aus unserer Sicht wahrlich ein Grund zum Feiern. Die Zustimmung zum Mindestlohn liegt unverändert hoch bei 86 % aller Befragten.

Jobkiller, Bürokratiemonster, Preistreiber – kaum ein Argument ließen die Gegner des gesetzlichen Mindestlohns aus, um Stimmung gegen die Lohnuntergrenze zu machen. Keines der Horrorszenarien ist eingetreten. Meine Damen und Herren, die Mythen der Mindestlohnkritiker haben sich nicht bewahrheitet.

Mythos eins: Der Mindestlohn kostet Jobs. – Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um mehrere Hunderttausend gestiegen, vor allem in traditionellen Niedriglohnbranchen. Die Minijobs gingen spürbar zurück. Es sind mehr Jobs entstanden, mehr reguläre, weniger atypische Beschäftigung. Der Mindestlohn ist ein Instrument, Altersarmut zu bekämpfen und insbesondere Frauen aus der Niedriglohnfalle zu führen.

Mythos zwei: Der Mindestlohn treibt die Preise. – Der Mindestlohn macht das Leben für Verbraucherinnen und Verbraucher mitnichten unerschwinglich. Die Preise sind bisher in einigen Bereichen, zum Beispiel im Taxigewerbe oder in der Gastronomie, moderat gestiegen, jedoch Millionen Beschäftigte verdienen nun mehr Geld. Leichte Preisanstiege sind somit kein Problem.

Mythos drei: Der Mindestlohn bringt den Beschäftigten nicht viel. – Meine Damen und Herren, der Mindestlohn kommt besonders Geringqualifizierten zugute, Beschäftigte in Niedriglohnbranchen in Ostdeutschland sowie den Minijobbern in ganz Deutschland. Die Löhne der Un- und Angelernten in Ostdeutschland sind um fast 10 % gestiegen, auch der Verdienst der Geringbeschäftigten steigerte sich bei uns um 5 %. Des Weiteren ist die Zahl der Aufstocker gesunken, im Osten um 10 %, im Westen um 2 %.

Der Mindestlohn – Mythos vier – ist schädlich für die Wirtschaft. – Im Gegenteil: Die Konsumlaune ist im Jahr 2015 gestiegen. Gerade Geringverdiener können nun mehr ausgeben. Es ist Kaufkraftgewinn entstanden, die Inlandsfrage ist gestärkt und neue Beschäftigung entsteht.

Mythos fünf: Der Mindestlohn ist ein Bürokratiemonster. – Da möchte ich Sie ganz persönlich ansprechen, Herr Uli Alda. Es gibt keine neue Bürokratie. Die Arbeitsstunden mussten schon in der Vergangenheit aufgezeichnet werden. Gerade wenn ein Arbeitgeber seine Beschäftigten korrekt und ehrlich nach tatsächlich geleisteter Arbeit bezahlen will, ist die Erfassung und die Dokumentation der Arbeitsstunden selbstverständlich. Zudem reicht es aus, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handschriftlich einen Stundenzettel ausfüllen. Hier kann man wahrlich nicht von einem Bürokratiemonster sprechen.

Kommen wir zur aktuellen Debatte über eine Absenkung oder Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge. Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktchancen für Flüchtlinge erhöhen sich dadurch nicht. Was sich erhöhen würde, ist der Missbrauch als Billigarbeitskräfte und das Ausspielen gegen andere Beschäftigte. Dadurch wird Integration nicht vorangetrieben, sondern Diskriminierung und Unfrieden geschürt. Für uns Grüne macht es keinen Unterschied, woher die Beschäftigten kommen, die in Deutschland arbeiten. Dumpinglöhne für Flüchtlinge sind mit uns nicht zu machen.

(Beifall von Karin Schmitt-Promny [GRÜNE])

Zum Schluss möchte ich die Ausnahmeregelung für langzeitarbeitslose Menschen ansprechen. Arbeitssuchenden, die bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter arbeitslos gemeldet sind, kann der Mindestlohn vorenthalten werden. Hiermit geht Deutschland einen Sonderweg. Aus keinem anderen europäischen Land mit gesetzlichem Mindestlohn ist dies bekannt. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass der Mindestlohn die Chancen der Langzeitarbeitslosen auf Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verschlechtern.

Meine Damen und Herren, dies ist eine Mutmaßung. Gibt es hier nicht eher den Anreiz, nach sechs Monaten zu entlassen und dann wieder jemand Billigeren einzustellen? Gibt es hier nicht einen Wettbewerbsvorteil für nicht tarifgebundene Unternehmen?

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der gesetzliche Mindestlohn hat sich als wirkungsvolle Untergrenze und als Stütze der Tarifpolitik erwiesen. Der Mindestlohn ist ein arbeitsmarktpolitischer Meilenstein. Rund 3,6 Millionen Menschen profitieren von der gesetzlichen Lohnuntergrenze. Wir Grünen wollen eine Anhebung des Mindestlohns. Der Mindestlohn muss existenzsichernd sein, nicht nur für Alleinstehende, auch für Familien. Wir Grünen wollen keine Herabsenkung für Flüchtlinge, und wir wollen zukünftig keine Ausnahmen für Langzeitarbeitslose. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Maaßen. – Für die CDU erteile ich Herrn Kollegen Preuß das Wort.

Peter Preuß (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den vorliegenden Antrag zum ersten Mal las, habe ich mich gefragt: Aus welchem Anlass wird der Antrag gestellt? Gibt es Handlungsbedarf? Was ist die Absicht dieses Antrages? Nach den Reden meiner Vorredner, insbesondere von Herrn Kollegen Bischoff, ist mir klar, dass das eine Feierstunde sein sollte – eine Bilanz, wie Herr Kollege Bischoff gesagt hat, ohne dass erkennbar geworden ist, welcher weitere Handlungsbedarf in dem Bereich möglicherweise besteht.

Wir wissen, das Mindestlohngesetz ist seit Januar 2015 in Kraft. Es ist das Ergebnis der Vereinbarung der Großen Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag. Es ist möglich geworden, nachdem die CDU Deutschlands auf ihrem Leipziger Bundesparteitag im November 2011 die Einführung einer flächendeckenden Lohnuntergrenze beschlossen hatte. Daran war der uns allen bekannte Karl-Josef Laumann als Bundesvorsitzender der CDA wesentlich beteiligt,

(Beifall von der CDU)

dass diese Beschlussfassung zustande gekommen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was den Antrag angeht, so wird durchweg ein positives Bild seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns am 1. Januar 2015 gezeichnet. Ich stelle das in keiner Weise in Abrede, will aber der guten Ordnung halber wiederholen, was der Kollege Bischoff gesagt hat: Schutz vor Dumpinglöhnen, mehr Wettbewerb, Verringerung der Zahl der Aufstocker, also derjenigen, die ansonsten Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssten, flächendeckende Einführung spätestens 2018, eine Million Beschäftigte, insbesondere Frauen, sollten davon profitieren, Stabilität in den Sozialversicherungssystemen, keine signifikanten Preissteigerungen. Dokumentationen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen natürlich aus Gründen der Kontrolle sein.

Jetzt kann man nach einem Jahr Bilanz ziehen. Aber Tatsache ist auch, dass am Ende die Fakten zählen, und dafür sieht das Gesetz eine Evaluierung im Jahre 2020 vor. Dann wird man sehen, wie die Auswirkungen dieses Gesetz tatsächlich sind.

Das Mindestlohngesetz ist also längst beschlossen, und die Auswirkungen sind erkennbar. Warum das heute zum Gegenstand einer parlamentarischen Initiative oder Debatte gemacht wird, ist auf der einen Seite verwunderlich.

(Jochen Ott [SPD]: Nein!)

Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass dadurch die rot-grüne Landesregierung eine Schwäche offenbart. Denn man muss ja ein solches Thema nicht ins Parlament bringen, wenn es keinen Handlungsbedarf gibt oder wenn es ein solches Erfolgsrezept ist, wie es im Einzelnen dargestellt worden ist.

(Inge Howe [SPD]: Wir wollten Ihnen nur zeigen, welchen Erfolg es hat!)

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhangt interessiert sicherlich auch die Frage, was aus den vom nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium im Januar 2015, also unmittelbar nach Einführung des Mindestlohngesetzes, angekündigten flankierenden Maßnahmen zur Durchsetzung des Mindestlohnes geworden ist. Was ist denn auf der Grundlage des damals gefassten Beschluss seitdem gemacht worden? Gab es wirklich Handlungsbedarf? Mit welchem Erfolg sind welche Maßnahmen durchgesetzt worden?

Es entstand der Eindruck, dass der damalige Minister davon ausging, dass sich die vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen nicht gesetzestreu verhalten würden. An dieser Stelle muss ich sagen: Dieses Misstrauen, das hier gestreut wird, ist an keiner Stelle gerechtfertigt, und das weisen wir auch zurück.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss. Da werden wir sicherlich auch hören, welche Ergebnisse sich aus den sogenannten flankierenden Maßnahmen ergeben haben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Preuß. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Alda.

Ulrich Alda (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Feiern ja – aber es soll auch einmal die andere Sicht dargestellt werden, und dafür stehe wahrscheinlich ich hier,

(Martina Maaßen [GRÜNE]: Nein!)

in etwa in Anlehnung an den Kollegen Preuß. Was ich hier kritisieren muss, ist, dass hier von Ihrer Seite aus wieder Einfluss auf die Mindestlohnkommission genommen werden soll. Das ist genau eine der Befürchtungen, die wir gehabt haben, und diese bewahrheitet sich jetzt. Sie mischen sich schon wieder in die Tarifhoheit ein, und das kann ich einfach nicht akzeptieren.

(Beifall von der FDP)

Die Fraktionen von SPD und Grünen bringen einen Antrag zum Mindestlohn ein. Aus meiner Sicht – ich glaube, Kollege Preuß hat gerade Ähnliches formuliert – spricht dies vor allem dafür, dass Sie landespolitisch keine erfolgversprechenden Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik mehr haben. Das kann ich nach vier Jahren hier auch bestätigen.

(Inge Howe [SPD]: Mit einem parlamentarischen Antrag?)

Sie wollen stattdessen die bundespolitischen Projekte von Andrea Nahles als vermeintliche Erfolgsgeschichten feiern und von Ihrem Versagen in NRW ablenken.

Ich möchte erneut daran erinnern: Jeder dritte Langzeitarbeitslose in Deutschland lebt in NRW. Das sind rund 300.000 Personen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Unser Bundesland leidet wie kaum ein anderes Land insbesondere in Westdeutschland unter der hohen, verfestigten strukturellen Arbeitslosigkeit. Es gelingt Ihnen einfach nicht, die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern. In fast allen Arbeitsmarktstatistiken liegt NRW auf den hinteren Plätzen.

Doch die Landesregierung hat trotz aller Maßnahmen und Förderprogramme – deren gibt es reichlich – kein wirksames Rezept, um neue Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe, insbesondere im Mittelstand, zu schaffen und auch Menschen mit geringerer Qualifikation Beschäftigung zu geben.

(Inge Howe [SPD]: Das muss der Mittelstand schaffen, nicht die Politik!)

Der Mindestlohn hilft jedenfalls nicht, den Einstieg in den Arbeitsmarkt für diese Menschen zu erleichtern. Dazu bräuchte es weniger und nicht mehr Belastung durch bürokratische Regulierungen.

Sie reden viel vom Abbau sogenannter prekärer Beschäftigung. Doch gleichzeitig werden die Hürden für diejenigen höher, die draußen stehen, die aufgrund vielfältiger Vermittlungshemmnisse keinen Arbeitsplatz finden – nach wie vor nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Alda, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Maaßen zulassen?

Ulrich Alda (FDP): Gerne, immer.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Aber nur in Maßen!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Martina Maaßen (GRÜNE): Danke schön, Herr Kollege. – Wie ist denn das Rezept der FDP zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit? Ich habe in den Ausschussdiskussionen noch nicht erleben dürfen,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

dass Sie dazu konstruktive Vorschläge gemacht haben.

Ulrich Alda (FDP): Wenn der Präsident mir noch ungefähr 25 Minuten dazugibt, kann ich es gerne erläutern,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

und zwar aus Sicht der Praxis, was hier überhaupt nicht geschieht.

(Achim Tüttenberg [SPD]: Das ist so kompliziert, dass es nicht schneller geht? – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das war es?)

– Sie dürfen auch gerne eine Zwischenfrage stellen. Ja, das war es. Das war meine Antwort.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Doch so viel Antwort!)

Der Mindestlohn mag aktuell keine negativen Auswirkungen auf die bundesweiten Arbeitsmarktzahlen haben. Da haben wir das Glück, dass die Einführung in einer konjunkturellen Hochphase erfolgt ist; das kann von Ihnen auch niemand bestreiten. Und wir profitieren noch immer von den Reformen der Agenda 2010, mit denen die Flexibilität des deutschen Arbeitsmarktes deutlich erhöht wurde.

Doch was passiert, wenn sich die konjunkturelle Entwicklung mal abschwächt? Welche Antworten haben Sie dann? Wie gehen wir mit den großen Herausforderungen bei der Integration der Flüchtlinge um, und wie bieten wir ihnen eine Perspektive zum Einstieg in den Arbeitsmarkt?

Ich warne vor den Gefahren einer Politik, die statt auf mehr Flexibilität auf immer weitere Regulierungen setzt. Und darum geht es doch eigentlich in Ihrem Antrag.

Sie behaupten, dass der Mindestlohn keine der vorab diskutierten negativen Auswirkungen zeigen würde. Schauen wir uns das aber einmal an:

Die Aufzeichnungspflichten sollten aus Ihrer Sicht kein Bürokratiemonster sein. Sicher hat Andrea Nahles ein halbes Jahr nach der Einführung einzelne Regelungen in der Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung entschärft. Aber sprechen Sie doch einmal mit den Praktikern im Hotel- und Gaststättengewerbe, und sprechen Sie über die Probleme durch die gesetzliche Auftraggeberhaftung für die Mindestlohnzahlung von Subunternehmen und auch Lieferanten.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Alda, Herr Kollege Hübner würde Ihnen gern noch eine Frage stellen.

Ulrich Alda (FDP): Ah, deswegen schaut er gerade so scharf. Gut, okay.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie lassen die Frage also zu. – Herr Kollege Hübner hat das Wort.

Michael Hübner (SPD): Vielen Dank, Herr Alda, dass Sie die Frage zulassen. – Ich habe genau zugehört, auch was Ihren Vorschlag in Bezug auf die Flüchtlinge betrifft. Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass Sie für eine Absenkung des Mindestlohns für Flüchtlinge eintreten?

Eigentlich darf ich nur eine Frage stellen, aber ich schließe die zweite einmal an. Vielleicht haben Sie die Chance, sie zu beantworten. Sehen Sie auch im Gastronomiewesen eine Absenkung des Mindestlohns als geeignetes Instrument ist, um mehr Beschäftigung zu schaffen?

Ulrich Alda (FDP): Zu Ihrer Frage eins: Ja, wir sind erst einmal für eine Anpassung des Mindestlohnes bei Flüchtlingen, um ihnen Chancen für den Einstieg zu geben.

Zu Frage zwei: Machen Sie bitte den Tucholsky-Verifizierer. Der hat einmal gesagt: Der Mensch hat vier Grundbedürfnisse: essen, schlafen, trinken und nicht zuhören. – Herr Kollege, ich habe nur über die Bürokratie gesprochen, nicht über den Mindestlohn.

(Beifall von Christof Rasche [FDP] – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich darf dann fortfahren: Der Mindestlohn soll angeblich keine flächendeckenden Preissteigerungen gebracht haben.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie wäre es, einmal zum Thema zu sprechen!)

Hier in Düsseldorf sind allein die Taxipreise um 16 % gestiegen. In anderen Städten sind die Taxipreise um 7 bis 30 % gestiegen. Und diese Taxitarife reichen oft nicht aus, um am Ende den Mindestlohn zu erwirtschaften.

Sie hatten dargestellt, dass durch den Mindestlohn Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden seien. Dazu sollten wir uns die Zahlen genauer ansehen:

Das IWF hat die Zu- und Abgänge bei geringfügiger Beschäftigung vor und nach Einführung des Mindestlohns verglichen. Danach gibt es 33.000 weniger Zugänge, also weniger neu geschaffene Minijobs, und fast 41.000 Abgänge aus Minijobs, ohne dass ein Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erfolgt ist. Fast die Hälfte des gesamten Rückgangs der geringfügigen Beschäftigung ist also mit einem effektiven Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden. Warum tauchen die nicht in der Arbeitslosenstatistik auf? – Weil es in aller Regel Schüler, Studenten, Rentner, hinzuverdienende Ehepartner oder Arbeitslose sind, die das ausfüllen.

(Jutta Velte [GRÜNE]: „Hinzuverdienende Ehepartner“!)

– Genau, Ehepartner. Das unterstreichen wir. Das können auch Männer sein. Sie sind doch so für Gender.

(Jochen Ott [SPD]: Sie etwa nicht?)

Das habe ich hier geschrieben.

(Lachen von Jochen Ott [SPD])

Zuletzt möchte ich noch auf die Auswirkungen auf die Praktika eingehen. Viele Betriebe bieten explizit nur noch Pflichtpraktika gemäß Studien- oder Prüfungsordnung an. Damit gibt es immer weniger Möglichkeiten, berufliche Erfahrungen zu sammeln.

Die tatsächliche Politik von Rot- und Schwarz-Grün bedeutet hingegen immer mehr Bürokratie und Regulierung, obwohl Frau Nahles zurzeit schreibt, wir müssten den Arbeitsmarkt flexibler gestalten. Vor diesem Hintergrund kann ich meine Rede hier im Prinzip mit der Frage beenden: Ja, was denn nun? – Das werden wir dann im Ausschuss diskutieren. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. Bleiben Sie bitte noch einen Moment vorn; denn Sie haben Frau Kollegin Maaßen mit Ihren Ausführungen inspiriert, eine Kurzintervention anzumelden. Sie bekommt jetzt für 90 Sekunden das Wort, und – Sie kennen die Regeln – dann können Sie anderthalb Minuten lang antworten. – Frau Kollegin Maaßen, bitte.

Martina Maaßen (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Alda, Sie haben mich tatsächlich herausgefordert mit Ihrer Bemerkung, dass Sie 25 Minuten bräuchten, um uns Ihr FDP-Konzept zur Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt von Nordrhein-Westfalen zu erläutern. Ich ermögliche Ihnen jetzt mit dieser Intervention anderthalb Minuten.

Sie haben recht damit, dass wir in NRW ein großes Problem mit der Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen haben. Es gibt viele, die gering qualifiziert sind oder denen eine Ausbildung oder Qualifizierung fehlt. Das ist ein besonderes Problem in Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommt ein hoher Anteil Zugewanderter, die zunächst qualifiziert werden müssen. Dem stellen wir uns, aber das ist eine Problemlage, die nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist. Daher freue ich mich, dass Sie ebenfalls ein Konzept haben. Ich bitte Sie darum, diese anderthalb Minuten, die Sie zur Verfügung haben …

(Zuruf)

– Nein, ich muss nicht fragen. Das ist eine Zwischenintervention, Herr Kollege. Daher darf ich hier meine Meinung äußern.

(Michael Hübner [SPD]: Du musst nicht fragen!)

– Ich frage zusätzlich Herrn Alda jetzt ein zweites Mal, ob er zumindest einige Leitlinien des FDP-Konzeptes darlegen kann. – Danke schön.

Ulrich Alda (FDP): Danke, Frau Kollegin. Dazu möchte ich sagen, dass Sie lediglich Ihre Meinung gesagt und nicht gefragt haben. Aber das ist alles okay. Ich akzeptiere das, und zwar auch ohne die Zwischenrufe.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Das ist aber nett!)

– Das ist nett, oder, Herr Bischoff? Sehen Sie, auch ich bin geweiht.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Ich war das!)

– Ach, Sie waren das. Bei Ihnen akzeptiere ich das auch noch.

Ich hatte hier und auch im Ausschuss bereits einmal gesagt: Mein Gott, lasst doch mal das Misstrauen weg, das wir in alle diese Systemen haben! Wir haben Tausende von Systemen hier in Nordrhein-Westfalen, mit denen man Langzeitarbeitslose in den Betrieb bringen will. In der Praxis sieht es aber so aus: Dem Arbeitgeber wird gesagt: Nimmst du diese Person, dann bekommst du die und die Förderung. Egal, was in der Zeit dann passiert, ob er nicht mehr zur Arbeit kommt, ob er ein Problem hat, sei es ein Alkoholproblem oder sonst etwas – das wird gar nicht beachtet. Geht es nicht weiter, fällt die Förderung weg.

Da sieht unser Konzept ganz klar vor, dass wir mit Coaches auf den einzelnen Arbeitgeber zugehen und fragen: Wo können wir dir helfen? Wo können wir den Mann oder die Frau hier in deinem Betrieb integrieren?

Wir müssen ganz klar über die Probleme reden. Ich habe dies selbst erlebt: Wenn jemand einmal nicht in meinen Betrieb kam und ich den Sozialarbeiter daraufhin angerufen habe, habe ich folgende Antwort bekommen: Datenschutz! Sie bekommen keine Antwort von uns. – Ich wusste noch nicht einmal, was da los war.

(Michael Hübner [SPD]: Das ist doch falsch!)

Das gilt im Übrigen nicht nur für Kranke und Behinderte, sondern auch für Strafgefangene, die man wieder in den Job integrieren will. Versuchen Sie einmal, mit einem Bewährungshelfer zu reden, wenn Sie mit dem Betreffenden ein Problem haben! Sie bekommen dann keine Auskunft.

Wir wollen unser Konzept praxisnäher gestalten. Reicht das? – Danke.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Sommer.

(Michael Hübner [SPD]: Das erklärt uns jetzt Herr Sommer!)

Torsten Sommer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne

(Inge Howe [SPD]: Die dürfen nicht gegrüßt werden!)

und natürlich auch im Livestream! Lieber Uli Alda, was du zum Ende deiner regulären Redezeit gesagt hast: „Ja, was denn?“, hätte eigentlich die Überschrift deiner Rede werden müssen: Ja, was denn? – Keine Lösungen vonseiten der FDP, null!

(Beifall von den PIRATEN)

In den gesamten vier Jahren, in denen ich bisher im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales arbeiten durfte, ist vonseiten der FDP nicht einmal eine Lösung zur Integration von langzeitarbeitslosen Menschen auch nur angesprochen worden – nicht ein einziges Mal. Null!

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Sich dann hierhinzustellen und mit Fingern auf andere zu zeigen, ist unredlich; das ist nicht richtig.

(Beifall von den PIRATEN)

Kommen wir zurück zum Antrag von Rot-Grün. Ich möchte dem Kollegen Preuß völlig recht geben: Ein bisschen ist das eine Feierstunde, und dass es überhaupt einen Mindestlohn gibt, ist tatsächlich ein kleiner Grund, um zu feiern.

Man muss aber auch sagen: Rot-Grün hat vorher mit der Einführung des Hartz-IV-Systems eine Menge kaputt gemacht. Die Einführung eines Mindestlohns ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit,

(Zuruf von der SPD: Selbstverständlich war das nicht!)

die man nicht unbedingt feiern muss, sondern das hätte eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten die Regel sein müssen. Außerdem ist der aktuell existierende Mindestlohn nicht ausreichend. Aktuell verhindert er nicht, dass viele Menschen noch aufstocken müssen oder Mietwohnzuschüsse benötigen. All das funktioniert zurzeit noch nicht.

Was wir wirklich brauchen, ist ein Mindestlohn, der Transferleistungen unnötig macht. Den haben wir zurzeit nicht, er wird sich im Bund wahrscheinlich auch nicht durchsetzen lassen. Das finde ich sehr schade; denn das müsste das Ziel sein, das müsste eine Selbstverständlichkeit sein.

Das Selbstverständnis dieser Republik müsste so aussehen: Jemand, der die gesamte Woche lang in Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn leben können, ohne dass er irgendwo zusätzliches Geld erbetteln muss – egal, ob beim Staat oder bei irgendwem anders. Das geht so nicht.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Hinzu kommt, dass selbst der aktuelle Mindestlohn – der um mindestens 4 € pro Stunde zu niedrig angesetzt ist –noch nicht einmal flächendeckend kontrolliert wird. Ich beziehe mich dabei ausdrücklich nicht auf den WDR-Bericht, sondern auf Statistiken aus dem ersten Halbjahr 2015. Da fanden 25.000 Kontrollen durch die entsprechende Zollabteilung statt.

Der Mindestlohn betrifft aber geschätzte vier bis fünf Millionen Menschen. Die Kontrolldichte in diesem Bereich ist weitaus geringer als bei sonstigen Regelungen. Egal ob beim Verkehr, bei der Gesundheit oder sonst wo – es gibt kaum irgendwo eine geringere Kontrolldichte. Das ist völlig unzureichend, das schafft keine Sicherheit beim Arbeitnehmer. Vielmehr lässt sich der Arbeitnehmer – weil er weiß, dass sowieso nicht kontrolliert wird – wieder auf Stundenlöhne ein, die noch unter dem Mindestlohn liegen. Ich kann Ihnen jederzeit diverse Anstellungsverhältnisse zeigen, bei denen 4 bis 5 € pro Stunde gezahlt werden – immer noch, in 2016, trotz Mindestlohn. Das müssen wir ändern.

Übrigens fanden dann im zweiten Halbjahr 2015 nicht noch einmal 25.000 Kontrollen statt, sondern – auf das ganze Jahr gerechnet – die Kontrollzahl ist insgesamt um 50 % zurückgegangen.

Da möchte ich Herrn Robert Feiger, Vorsitzender der IG Bau, zitieren:

„Diese viel zu geringe Kontrolldichte ist geradezu eine Einladung für betrügerische Betriebe, ihre Beschäftigten illegal im Lohn zu drücken.“

Das ist nicht nur schlecht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern das „ist katastrophal für einen sauberen Wettbewerb in der Branche“. Genau zu dieser katastrophalen Wirkung auf den Wettbewerb würde es kommen, wenn wir weitere Ausnahmen hinzufügten, zum Beispiel eine Ausnahme für Geflüchtete. Schon die Ausnahme für Langzeitarbeitslose gehört nicht da hinein und muss weg.

Schon seit Längerem ist versprochen, dass der Zoll insgesamt 1.600 Stellen mehr bekommt, um Kontrollen durchzuführen. Das ist bisher nicht passiert, und das wird wohl auch nicht passieren. Inzwischen spricht man schon – gering angesetzt – von fast 1 Milliarde € Schaden durch die illegale Beschäftigung und die Nichteinhaltung des Mindestlohnes. Das kann unser Ziel nicht sein. Wir müssen den Mindestlohn anheben. Wir müssen ihn durchsetzen. Die Ausnahmen müssen wegfallen.

Zum Vergleich: Wir haben derzeit einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 €. Ich habe mir die Zahlen einmal herausgeschrieben; sie stammen aus dem Jahr 2011. Danach gilt bei einer 38-Stunden-Woche: Pfändungsfreigrenze: 8,62 € ...

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Torsten Sommer (PIRATEN): Ich komme sofort zum Ende, Frau Präsidentin.

... SGB-II-Bezug: 8,91 €, Armutsschwelle: 10,74 €. Die Europäische Sozialcharta spricht bereits 2011 von einem Mindestlohn von 12,24 € pro Stunde. Das ist fast 50 % über dem jetzigen gesetzlichen Mindestlohn. Hier besteht Handlungsbedarf. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Christof Rasche [FDP]: Warum nicht 20 €?)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Dr. Walter-Borjans in Vertretung für Herrn Minister Schmeltzer.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Erwerbstätige sollen von ihren Löhnen leben können und gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit erhalten.“

Das ist ein Zitat aus der Regierungserklärung der Ministerpräsidentin vom 12. September 2012.

(Torsten Sommer [PIRATEN]: Das haben wir aber noch nicht, leider!)

Die Verhinderung von Lohndumping, die Sicherung fairer Löhne und die Gleichstellung von Frauen und Männern bleiben auch weiterhin wichtige Ziele der Landesregierung. Das kann Politik aber nicht allein sicherstellen, sondern das ist auch eine wichtige Aufgabe der Tarifvertragsparteien – und das ist auch gut so.

Aufgabe der Politik ist es allerdings, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das auch gelingt. Da haben wir schon einiges getan. Die Feststellung, die hier getroffen worden ist, ist richtig: Da ist aber auch noch einiges zu tun. Deswegen war es uns so wichtig, dass es endlich einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland gibt.

Herr Preuß, wenn Sie sagen, das alles sei verbunden mit großem Misstrauen gegenüber der Wirtschaft, dann frage ich mich: Wie kann es denn dann sein, dass dieser Mindestlohn solche Auswirkungen hatte und dass über eine Million Menschen davon profitieren, wenn alles andere vorher ohne jedes Misstrauen von selbst auch so gekommen wäre?

Ich glaube, hier spielt wieder das eine Rolle, was wir immer wieder erleben: Wenn man eine Regelung schafft, die bislang wohl noch nicht freiwillig eingehalten worden ist, wird das gleich als ein Generalverdacht dargestellt. In Wirklichkeit geht es darum, den Freiraum zu behalten, das Ganze so zu gestalten, wie man es für richtig hält.

Ein gesetzlicher Mindestlohn – ich stelle das klar – ist noch lange kein fairer Lohn. Er ist lediglich eine Untergrenze, über die man im Laufe der Zeit auch noch reden kann und reden muss. Aber immerhin war es ein ganz wichtiger Meilenstein, diese Untergrenze von 8,50 € überhaupt hinbekommen zu haben.

Faire Löhne müssen in Tarifverträgen ausgehandelt werden. Auch wenn ich in Vertretung des Kollegen Schmeltzer spreche, möchte ich an dieser Stelle als Finanzminister sagen: Wir sind doch gemeinsam der Auffassung, dass die Menschen das Existenzminimum verdienen und in der Lage sein sollen, mit ihrem Geld auskommen zu können. Es gibt aber Wirtschaftsbranchen, die keinen Mindestlohn zahlen wollen oder das nicht für nötig halten.

Daraus muss man doch die Schlussfolgerung ziehen, dass diese Branchen der Meinung sind, jemand anders als sie solle dafür aufkommen, dass die Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Wenn das aber nicht innerfamiliär geklärt wird, können das doch nur die Steuerzahler sein. Gerade von denjenigen, die eigentlich wollen, dass die Steuern noch weiter gesenkt werden, wird also immer wieder gefordert, dass hier die Steuerzahler eintreten sollen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Genauso intensiv, wie wir uns in der Vergangenheit für die Einführung des Mindestlohns eingesetzt haben, werden wir auch die Umsetzung des Mindestlohngesetzes begleiten. Ich habe es eben schon gesagt, und es ist heute schon häufiger erwähnt worden: Immerhin profitieren davon eine Million Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Dass die Zahl der Minijobs zurückgegangen ist und parallel ein Anstieg an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen verzeichnet wird, spricht dafür, dass durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns erfolgreich Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umgewandelt worden sind.

Jetzt geht es darum, das Ganze konsequent umzusetzen und fortzusetzen. Hierzu informiert die Landesregierung seit Ende 2014 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen in Ergänzung zu den Angeboten des Bundes und der Gewerkschaften im Internet über die Hotline „Faire Arbeit“, aber auch auf anderen öffentlichkeitswirksamen Wegen.

Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass die Arbeitsschutzverwaltungen in Nordrhein-Westfalen im Rahmen ihres Überwachungsauftrags, insbesondere bei Arbeitszeitkontrollen, die für die Überwachung des Mindestlohns zuständigen Behörden – insbesondere die Finanzkontrolle Schwarzarbeit – unterstützen und die gute Zusammenarbeit intensivieren.

Wir werden uns auf Bundesebene auch weiterhin dafür einsetzen, dass wir im Gesetzgebungsverfahren weiterkommen und dass die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande umgesetzt werden kann. Insofern ist das ein sinnvoller Antrag, der Unterstützung verdient und der dieses Ziel, das wir gemeinsam haben sollten, voranbringt. – Ganz herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit kann ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 4 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11425 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Dieser Ausschuss erhält die Federführung. Die Mitberatung soll an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk gehen. Die abschließende Abstimmung erfolgt dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Das ist beides nicht der Fall. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

5   Logistikland NRW nicht auf das Abstellgleis fahren – Hafen- und Flughafenstandorte im Landesentwicklungsplan sichern

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11417

Ich begrüße ganz herzlich Herrn Kollegen Ellerbrock von der FDP, der bereits am Rednerpult steht und jetzt auch das Wort erhält.

Holger Ellerbrock (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wir haben enorme Sozialtransfers zu bewältigen. Wir haben es mit einer maroden Infrastruktur zu tun: Straßen, Schiene, Wasserstraße, Breitband. Im Bildungsbereich haben wir enorme Investitionen zu tätigen: Schule, Hochschule, inklusive Grundlagenforschung. Im Bereich der sozialen Verpflichtungen – zum Beispiel beim Wohnungsbau – liegt eine Menge an Aufgaben vor uns. Und die Punkte „Inklusion“ und „Flüchtlinge“ spielen in diesem finanziellen Zusammenhang noch nicht einmal die Hauptrolle.

Wie sollen wir das denn finanzieren? Einfach die Geldmaschine anzuwerfen funktioniert wegen der Schuldenbremse nicht mehr. Also sind wir auf eine florierende Wirtschaft mit Steuerzahlern angewiesen. Schwarze Zahlen für die Wirtschaft sind gute Zahlen; denn sie bedeuten Steuereinnahmen für den Staat, um die angesprochenen Dinge finanzieren zu können.

Warum jetzt ein Landesentwicklungsplan? – Der Landesentwicklungsplan soll erwünschte Entwicklungen fördern und unerwünschte Entwicklungen verhindern. Im Landesentwicklungsplan müssen wir allgemeinverständliche Formulierungen finden, um so deutlich Ja zur steuerzahlenden Wirtschaft, zum selbstständigen Handwerk usw. zu sagen. Es reicht nicht aus, dass das, was im Landesentwicklungsplan steht, richtig ist, sondern wir haben auch die Aufgabe, dass es von der anderen Seite richtig verstanden wird. Daran hakt es beim Landesentwicklungsplan aber immer noch in großem Umfang.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ein Beispiel sind die Häfen und die Flughäfen. Die Rheinhäfen haben wir insgesamt als „landesbedeutsam“ definiert. Über die Häfen am Kanal wird jedoch gar nichts gesagt: weder über Nachbarschaftsschutz noch über Ziele.

Sicherlich ist das allgemeine Ziel „Nachbarschaftsschutz“ enthalten; das kann der Minister gleich darstellen. Nur wird das vor Ort nicht so verstanden. Wir haben die Aufgabe, das Ganze verständlich zu formulieren, auch wenn wir mit dem Landesentwicklungsplan eine Norm einführen. Daran müssen wir noch eine Menge tun.

Meine Damen und Herren, wir tun gut daran, unsere Wirtschaft zu fördern – Logistik ist ein wesentlicher Bestandteil davon – und Nachbarschaftsschutz zu gewährleisten. Das gilt gerade bei den Kanalhäfen; denn die Kanalhäfen leisten einen wichtigen Beitrag zur Mobilisierung von Brachflächen, die in den Büchern der Unternehmen der Umgebung mit hohen Werten fixiert sind. Diese Werte können aber nicht realisiert werden, also werden die Flächen gar nicht verkauft.

Wir müssen den Häfen – ebenso wie den Flughäfen – ihre Entwicklungschancen geben und planerisch sichern; wir müssen alles tun, damit andere konkurrierende Nutzungen die Hafennutzung nicht erschweren oder gar unmöglich machen.

(Beifall von der FDP)

Herr Minister, das wäre eventuell eine Formulierung, die wir laufend aufgreifen könnten. Das gilt für alle Häfen, nicht nur für die Rheinhäfen.

Schauen wir uns die Flughäfen an. Bei den Flughäfen ist klar: Es gibt drei ganz wichtige Flughäfen; das sind Düsseldorf, Köln und auch Münster mit der Vernetzung nach Frankfurt, München und in besonderem Maße nach Istanbul. Dieser Flughafen verzeichnet eine Größe von 800.000 Passagieren. Paderborn/Lippstadt hat eine ähnliche Größenordnung; Weeze und Dortmund haben 1,9 Millionen Passagiere.

Und denen wollen wir letztendlich Entwicklungschancen nehmen oder sie begrenzen? – Nein, das kann nicht richtig sein. Wer Ja zur steuerzahlenden Wirtschaft sagt, der wird auch sagen: Wir müssen weg von der einschränkenden Funktion, nach der das eine landesbedeutsam ist und das andere nicht. Vielmehr sind alle landesbedeutsam; alle sind wichtig. Deswegen müssen wir hier zu Änderungen kommen. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Ott das Wort.

Jochen Ott (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Der LEP ersetzt keine Konzepte im Bereich der Flughafen- und Hafenpolitik.

Zweite Vorbemerkung: Global denken, lokal handeln – das ist angesagt!

(Beifall von Martin Börschel [SPD])

Deshalb gibt es die gute Nachricht vorneweg: Die Landesregierung bietet den Kommunen die Option, ihre Häfen und Flughäfen weiterzuentwickeln. Die Option ist da – es gibt keine Bremse, es gibt auch keinen Stopp. Die Landesregierung ermöglicht mit diesem LEP eine vernünftige Entwicklung.

Wir beschäftigen uns in diesen Tagen mit dem Hafenkonzept. Zur Veranstaltung wurde bereits eingeladen. Im Ausschuss sind schon erste Hinweise zum Hafenkonzept gegeben worden. Darin steht ausdrücklich, dass das Hafenkonzept mit diesem LEP synchronisiert ist. Das heißt, alles, was da drinsteht, bezieht sich auf das Hafenkonzept. Für alle in Nordrhein-Westfalen besteht die Möglichkeit, ihre Häfen zu entwickeln.

Beim Flughafenkonzept ist das anders. Der LEP bezieht sich auf das Luftverkehrskonzept, das leider nicht mehr so aktuell ist. Wir haben uns bisher darauf verständigt und halten es auch für richtig, dass ein Luftverkehrskonzept nicht nur dringend nötig ist, sondern in Abstimmung mit dem Bund entwickelt werden soll. Beim Luftverkehr kann man nicht nur ein reines NRW-Konzept erstellen.

Der Bund hat das Ganze bereits verschiedentlich verschoben. Jetzt hat Dobrindt wieder angekündigt, das Luftverkehrskonzept solle Ende März/Anfang April kommen. Wenn das der Fall ist, dann wird es auch in NRW umzusetzen sein. Insofern muss man sich Gedanken darüber machen, was das für Nordrhein-Westfalen bedeutet. Im LEP steht, dass Änderungen in einem Luftverkehrskonzept Berücksichtigung finden müssen und dass es gegebenenfalls zu Veränderungen kommt.

Natürlich müssen auch alle Fragen rund um den Luftverkehr systematisch bearbeitet werden, so wie es beim Hafenkonzept bereits gelungen ist. Dabei gibt es alle Möglichkeiten zur Verknüpfung. Insofern bietet dieser LEP die Möglichkeit für alle, die das wollen, vor Ort etwas zu entwickeln, die Wirtschaft zu stärken und ihre Chancen zu nutzen. Das heißt aber auch, dass alle Parteien eine klare Linie haben müssen und sich einig sein sollten, was sie eigentlich wollen und was nicht. Denn vor Ort muss nicht nur verstanden werden, sondern vor Ort muss auch umgesetzt werden.

Um es klar zu sagen: Vor der Position der Grünen habe ich Respekt; sie beziehen beispielsweise im Hinblick auf einen landesbedeutsamen Hafen wie Godorf seit 20 Jahren eine klare Position. Die Grünen haben ihre Position immer aufrechterhalten. Es ist nicht verwerflich, dafür zu streiten. Verwerflicher ist es allerdings, wenn Parteien, die wie die CDU und die FDP hier das Credo der Wirtschaft singen, dann aber vor Ort, wenn es hart auf hart kommt und tatsächlich ein Hafen entwickelt werden soll, sagen: Nein, das ist uns jetzt aber unangenehm. Das könnte ja schlechte Wahlergebnisse bringen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich sage mit aller Klarheit: Ein Ja zur Wirtschaft bedeutet, auch dann zu einer Position zu stehen, wenn es vor Ort einmal unangenehm wird.

(Beifall von der SPD)

Dazu gehört auch, zu dieser Position zu stehen, wenn die Wirtschaft und die Gewerkschaften sagen, dass es notwendig ist. Ich finde es richtig, dann auch Gutachten abzuwarten und objektiv zu entscheiden.

Am Ende hat diese Landesregierung eines getan: Sie hat das Motto „Global denken, lokal handeln“ ernst genommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Kommunen die Möglichkeit haben, im Hafen- und Flughafenbereich ihre Chancen zu nutzen. Das sollten sie auch tun.

Die seit zwei Jahren währende Wiederholung dieses Antrags, überwiesen an verschiedene Ausschüsse, macht ihn deshalb nicht produktiver und sinnvoller. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Voussem.

Klaus Voussem (CDU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Detthold Aden hat als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der BLG-Logistikgruppe einmal gesagt:

„Was nützen die besten Konzepte und clevere Logistik, wenn die Lastkraftwagen im Stau steckenbleiben?“

Das heißt, bevor wir über Hafen- und Flughafenstandorte reden, müssen wir uns erst einmal über die Zufahrtswege zu diesen Standorten unterhalten.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Die besten Häfen und die besten Flughäfen nützen nichts, wenn die Güter dort nicht mehr wegkommen, weil die Zufahrtsstraßen verstopft sind. Und das wird jährlich immer schlimmer. 2015 gab es in Nordrhein-Westfalen rund 323.000 km Stau. Das heißt, seit dem Jahr 2012 – damals waren es 161.000 km Stau –, in nur drei Jahren, haben sich die Staukilometer im verkehrsreichsten Bundesland verdoppelt. Brauchte ein Schwerlastkraftwagen auf der Strecke von Siegen nach Duisburg im Jahr 2008 noch eine Nacht, braucht er heute mehrere Tage.

Alle diese Probleme sind hausgemacht, weil der Straßenbau seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen sträflich vernachlässigt wird.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Große Defizite gibt es daher beim Autobahnausbau, insbesondere bei Lückenschlüssen und beim Ausbau von sogenannten Nadelöhren, beispielsweise auf der A1.

(Jochen Ott [SPD]: Deshalb wollen Sie das Nadelöhr Leverkusener Kreuz auch verkleinern!)

In Nordrhein-Westfalen haben wir einen Investitionsstau, weil die rot-grüne Landesregierung bei der Baureife von Straßen den anderen Ländern hinterherhinkt.

Hier die ernüchternde Bilanz Ihrer rot-grünen Verkehrspolitik: Im Jahre 2013 gingen 48 Millionen € wegen fehlender Planungen an den Bund zurück. Im Juli 2015 bekam Nordrhein-Westfalen nicht einmal 5 % der 2,7 Milliarden Bundesmittel für die neuen Bundesfernstraßen der nächsten Jahre. 2015 flossen aus dem Sonderprogramm des Bundes zur Brückenmodernisierung nach Nordrhein-Westfalen nicht einmal halb so viele Mittel wie nach Hessen.

(Jochen Ott [SPD]: Thema verfehlt!)

Hessen, das nur ein Drittel der Einwohner von Nordrhein-Westfalen zählt, bekam mehr als doppelt so viel. Die traurige Bilanz des Jahres 2015 – Ihre Bilanz –: Nordrhein-Westfalen konnte viel weniger Bundesmittel abrufen als noch im Jahr 2014.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die investiven Mittel sind gegenüber dem Vorjahr um rund 80 Millionen € zurückgegangen. So, meine Damen und Herren, werden Sie es schwer haben, den neuen Bundesverkehrswegeplan in Nordrhein-Westfalen auch nur im Ansatz abzuarbeiten.

(Beifall von der CDU – Jochen Ott [SPD]: Abwarten! Nachdem Ihr Straßen.NRW kaputtgemacht habt, haben wir es wieder aufgebaut!)

Nun zurück zum Antrag:

(Zurufe von der SPD: Ah!)

Das Wasserstraßenverkehrs- und Hafenkonzept Nordrhein-Westfalen von 2004 wurde im Jahr 2008 fortgeschrieben. Nun hat die Landesregierung – acht Jahre später! – dieses Konzept weiter fortgeschrieben. Das hat sehr lange gedauert. An diesem neuen Konzept ist grundsätzlich nichts auszusetzen.

(Jochen Ott [SPD]: Sehr großzügig!)

Allerdings hätte dieses Konzept auch in die neue Landesplanung, also in den Landesentwicklungsplan, einbezogen werden müssen. Daher kritisiert die FDP in ihrem Antrag vollkommen zu Recht, dass die Landesplanung auf überholten Vorstellungen beruht. Hier muss also noch einmal dringend nachgearbeitet werden.

Die Landesregierung hat bereits bewiesen, dass sie beim Landesentwicklungsplan lernfähig ist und durchaus nacharbeiten kann. Das zeige ich Ihnen einmal am Beispiel des Hafens Emmerich. Der Hafen Emmerich hat ein riesiges Einzugsgebiet, bis hinein in die Niederlande. Dieses umfasst das Westmünsterland und den Niederrhein. Trotzdem war der Emmericher Rheinhafen im ersten LEP-Entwurf nicht unter den sogenannten landesbedeutsamen Häfen gelistet.

Die positive Entwicklung, die der Hafen in den vergangenen Jahren genommen hat, und seine Bedeutung für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum wurden durch diese Zuordnung zunächst ignoriert. Die Intervention der Wirtschaft und diejenige von uns fand schließlich Gehör. Die rot-grüne Landesregierung hat sich bewegt und den Hafen Emmerich als landesbedeutsam eingestuft.

Es bleibt spannend, wie der dritte Entwurf des Landesentwicklungsplans gestaltet sein wird und wo noch Bewegung stattfindet – hoffentlich auch bei der Luftfahrt.

Die im Antrag formulierte Kritik am fehlenden Luftverkehrskonzept teilen wir. Das letzte Luftverkehrskonzept stammt aus dem Jahr 2000 mit einer Datenlage aus den 90er-Jahren und ist bereits 2010 ausgelaufen. Dabei hat sich der Luftverkehr in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen in der Zwischenzeit rasant verändert.

(Jochen Ott [SPD]: Dann machen Sie einmal Druck in Berlin!)

Einzig auf diesem verstaubten und völlig veralteten Konzept beruht die Einteilung von Flughäfen im neuen Landesentwicklungsplan. Das ist unserer Auffassung nach unseriös.

(Beifall von der CDU)

Nun rächt sich erneut die jahrelange Verweigerung der rot-grünen Landesregierung, das Luftverkehrskonzept fortzuschreiben. Die Frage ist: Wie lange wollen Sie uns noch hinhalten? Wie lange noch wollen Sie uns noch mit Ausreden vertrösten?

(Jochen Ott [SPD]: Der Luftverkehr findet doch nicht innerhalb von Nordrhein-Westfalen statt!)

Der Verlierer Ihrer Hinhaltetaktik steht schon heute fest: die Luftfahrt in Nordrhein-Westfalen, der verlässliche Daten für ihre zukünftige Entwicklung fehlen. – Meine Damen und Herren, der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir gern zu. Wir freuen uns auf intensive Beratungen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Herr Kollege Klocke.

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Voussem, ich habe ja mal einige Semester auf Lehramt studiert, habe das dann aber nicht weiter verfolgt. Hätte ich das Studium weitergeführt, hätte ich heute zumindest zum ersten Teil Ihrer Rede sagen müssen: Thema verfehlt. – Das waren die üblichen rhetorischen Stanzen, die Sie wahrscheinlich immer bei verkehrspolitischen Reden bringen. Im zweiten Teil wurde es dann aber dem Antrag der FDP-Fraktion durchaus angemessen.

Der Landesentwicklungsplan, der gerade in der Diskussion ist, wird den bisherigen Landesentwicklungsplan aus dem Jahr 1995 ablösen. Eigentlich soll man ein solches Werk alle zehn bis 15 Jahre vorlegen. Jedenfalls hätten Sie das, lieber Herr Ellerbrock – Sie lauschen ja aufmerksam –, durchaus auch in Ihrer Regierungszeit machen können. Dazu sind Sie zwischen 2005 und 2010 aber nicht gekommen.

(Beifall von der SPD)

Jetzt bringen Sie einen Antrag ein, mit dem entsprechend Druck gemacht werden soll.

Der Landesentwicklungsplan ist auf einem guten Weg. Es gibt verschiedene Phasen der Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir befinden uns gerade in der zweiten Phase. Allgemein wird von Verbänden, Kommunalparlamenten und Regionalräten gelobt, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Landesentwicklungsplan gut ist. Daher würde ich sagen: Der ganze Landesentwicklungsplan ist erst einmal auf einem guten Weg. Die Landesregierung hat auch den festen Vorsatz, ihn in dieser Legislaturperiode abzuschließen und dann vorzulegen.

Ich komme jetzt auf die konkreten Themen „Häfen“ und „Flughäfen“ zu sprechen, die Sie in dem Antrag thematisiert haben. Bei den Flughäfen sichert – was Sie kritisieren – der Landesentwicklungsplan alle sechs Flughafenstandorte in diesem Land – die größeren Verkehrsflughäfen – landesplanerisch für die nächste Dekade.

(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)

Der Landesentwicklungsplan sieht ausdrücklich nicht vor – das ist in Ihrem Antrag falsch wiedergegeben –, dass ein Flughafen andere Flughäfen um Genehmigung bitten muss, was Ausweitungen oder weitere planerische Schritte angeht. Das ist nicht vorgesehen.

Man kann die Frage stellen, warum der Flughafen Münster – das hat Herr Kollege Ott aufgegriffen –, ein Flughafen mit einem sehr überschaubaren Maß – ich habe vorhin noch einmal nachgesehen: zehn Starts am Tag, insgesamt etwa 800.000 Passagiere im Jahr –, landesplanerisch gleich eingestuft wird wie der Flughafen Köln/Bonn und der Flughafen Düsseldorf. Das wurde zu Recht angemerkt. Geschuldet ist das Ganze dem bisher gültigen Luftverkehrskonzept und der Einstufung als internationaler Verkehrsflughafen durch die Deutsche Flugsicherung. Münster ist einer der drei Flughäfen, die entsprechendes Luftsicherheitspersonal für Nordrhein-Westfalen vorhalten.

Wir sind nicht der Auffassung – darüber gilt es, im Ausschuss zu debattieren –, dass man für einen Flughafen wie Paderborn/Lippstadt mit aktuell fünf Starts und Landungen am Tag die gleichen landesplanerischen Voraussetzungen schaffen sollte – das betrifft die Flächenreserven, die verkehrliche Anbindung, die Entwicklungspotenziale in der Region – wie für einen internationalen Großflughafen wie Köln/Bonn oder Düsseldorf. Darüber kann man streiten.

Mich würde sehr interessieren, warum Sie vonseiten der FDP-Fraktion meinen, dass ein sicherlich relevanter Regionalflughafen wie beispielsweise Paderborn/Lippstadt die gleichen landesplanerischen Voraussetzungen haben sollte wie internationale Großflughäfen.

Aus unserer Sicht ist das ein Strohhalm, an den sich insbesondere IHKen und Flughafengeschäftsführung angesichts zurückgehender Fluggastzahlen und schwieriger wirtschaftlicher Prognosen klammern, indem sie glauben, dass die Flugbewegungen auf einmal exorbitant anwachsen würden, wenn sie nur die gleichen landesplanerischen Entwicklungspotenziale hätten wie ein Flughafen Düsseldorf.

Wir halten es für landespolitisch und landesrechtlich relevant, darauf zu achten, dass es bei Flughäfen keinen Wildwuchs gibt. Schauen Sie sich doch einmal Projekte wie beispielsweise Kassel-Calden in Hessen an – 70 Kilometer von Paderborn entfernt –, oder den Flughafen Dortmund mit einem sehr hohen jährlichen Defizit von 20 Millionen €, sehr nah am Flughafen Paderborn/Lippstadt gelegen. Wir müssen darüber debattieren und uns darüber austauschen, ob man für alle Flughäfen die gleichen landesplanerischen Voraussetzungen bereitstellen sollte.

Ich komme jetzt noch schnell auf die Häfen zu sprechen; denn ich sehe, meine Redezeit wird knapp. Wir haben insgesamt 120 Hafenstandorte; davon sind etwa 20 öffentlich, die anderen sind Industriehäfen und private Häfen. Meine Frage an die FDP-Fraktion lautet: Meinen Sie denn, dass alle diese 120 Hafenstandorte – auch die kleineren Industrieanlegestellen – über einen Landesentwicklungsplan für die nächste Dekade landesplanerisch zu schützen sind?

Nach dem jetzigen LEP-Entwurf werden die großen öffentlichen Standorte landesplanerisch – auch mit der entsprechenden Abstandsregelung – für die weitere Entwicklung geschützt; die anderen Hafenstandorte aber unterliegen kommunalen Regelungen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!

Arndt Klocke (GRÜNE): Das heißt: Es ist den Kommunalparlamenten oder auch den Regionalräten unbenommen, entsprechende Regelungen auch für kleinere Häfen vorzuhalten.

Wir glauben, dass es richtig ist, im LEP starke Häfen zu sichern und die anderen über 100 im Land vorhandenen Häfen den Kommunalen und den Regionalräten zu überlassen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte und landesbedeutsame Zuschauer! Vorab: Man könnte, wenn man sich die Nachrichtenlage ansieht, fordern, alle Güterbahnhöfe müssten landesbedeutsam werden. Das wäre passend, weil sie gerade abgebaut werden.

Zum Antrag: Ein ähnlicher Antrag wie dieser …

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Vielleicht beschäftigen Sie sich mal mit der Sache!)

– Ich beschäftige mich gerade mit der Sache.

Ein ähnlicher Antrag wie dieser befindet sich noch in der Beratung im Ausschuss. In seinem Beschlussteil steht: „im neuen Landesentwicklungsplan auf eine Unterscheidung zwischen landesbedeutsamen und regionalbedeutsamen Hafenstandorten zu verzichten“.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Auch andere Elemente des Antrags sind bekannt. Das ist nicht weiter schlimm und spricht auch nicht gegen den Antrag. Ein guter Remix in neuer Situation – warum nicht?

Zu den veralteten Grundlagen: Die FDP hat recht, auch der jetzige LEP-Entwurf fußt auf einer völlig veralteten Landesluftverkehrskonzeption und einem alten Hafenkonzept. Das bestätigt auch die Landesregierung selbst in den Antworten auf zahlreiche Kleine Anfragen.

Jetzt liegt ein Entwurf eines neuen Hafenkonzepts vor, und es macht Sinn, im LEP darauf aufzubauen. Natürlich ist es sinnvoll zu wissen, wie und ob sich auch kleine Häfen entwickeln können. Wir brauchen aber auch – und nicht nur deshalb – ein neues Landesluftverkehrskonzept, bevor ein fertiges Bundeskonzept vorliegt. Sonst macht das für NRW keinen Sinn. Das haben die FDP und wir bereits letztes Jahr gefordert.

(Zuruf von der SPD: Es ist aber trotzdem falsch!)

Im LEP-Entwurf werden Ziele genannt. Aber in Sachen Luftverkehr stützt sich der Entwurf auf Zahlen aus den 90er-Jahren aus der Luftverkehrskonzeption 2010 aus dem Jahr 2000. Weeze ist da noch ein voraussichtlich frei werdender Militärflugplatz.

Die Landesregierung rühmt sich des Klimaschutzgesetzes, und dazu gehören auch ein Landesluftverkehrskonzept und ein LEP. Denn mit seinen Zielen und hohen Anforderungen muss NRW auch den Mut haben, voranzugehen und Ansprüche vorzulegen. NRW muss also Leitlinien formulieren sowie ein Landesluftverkehrskonzept und einen Landesentwicklungsplan vorlegen.

Denn das Gleiche, was ich für das Luftverkehrskonzept sagte, gilt natürlich auch für den LEP. Auch hier müssen die harten Ziele der Landesregierung und des Landes klar und konkret zu sehen sein. Es bringt gar nichts, wenn sich Rot-Grün für tolle Ziele rühmt, doch diese durch einen weichgespülten LEP überhaupt nicht umgesetzt werden können. Entweder richtet sich der LEP nach den Zielen oder Sie vergessen das mit dem Klimaschutzplan, mit dem Credo „Güter auf die Schiene oder auf die Binnenschiffe!“ und andere Ziele, die entsprechende Regelungen und Prioritäten brauchen. Weichspülen und gleichzeitig damit unvereinbare Prioritätensetzungen ausrufen, das geht leider nicht.

Dazu gehört auch eine Differenzierung. Sonst ist alles eine Soße, und das wäre kein Plan.

Die FDP hat auf Landesebene grundsätzlich Probleme mit einem neuen LEP bzw. mit jeder einschränkenden Funktion – so hieß es eben –, jeder planerischen Vorgabe. Natürlich ist das ideologisch begründet, und die FDP braucht wahrscheinlich keine Landesplanung – wenn, dann höchstens einen WEP, einen Wirtschaftsentwicklungsplan. Okay.

Dass sich aber so viele Menschen, Institutionen und Organisationen an der Debatte zum neuen LEP beteiligt haben, beweist, wie wichtig Landesplanung ist. Dass hier widerstreitende Auffassungen und Interessen miteinander zu vereinbaren sind, macht den Job nicht einfacher.

Ich meine schon, dass der LEP zu wichtig für kurzfristige und einzelne Interessen ist. Wenn wir eine lebenswerte Welt auch für unsere Kinder schaffen und erhalten wollen, dürfen wir übergeordnete Ziele nicht ganz nach hinten stellen, nämlich dorthin, wo man erst dann etwas tut, wenn alle anderen Interessen berücksichtigt sind. Das darf nicht passieren.

Eine Debatte zum LEP hatten wir schon häufiger im Haus; es ist wohl auch nicht das letzte Mal. Wichtig bleibt: Natürlich haben sich Flughäfen und Häfen in einen politisch gewollten und demokratisch legitimierten Rahmen zu fügen. Es ist von politischer Seite mit allen Betroffenen darüber ins Gespräch zu treten, ob Härten vermeidbar und alle Ziele zu verfolgen sind.

Der erneute Antrag der FDP hängt auch mit der offensichtlichen Uneinigkeit in der Landesregierung zusammen. Denn wenn sich die Ressorts nicht einig sind und jedes sein eigenes Süppchen kocht, müssen wir uns nicht wundern, dass draußen erwartungsvoll eine von Lobbyverbänden getriebene Debatte stattfindet, die von der FDP ins Parlament getragen wird – was aus ihrer Sicht richtig ist.

Wir sprechen im Ausschuss weiter darüber. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich glaube, es ist kein Zufall, dass in den vorausgegangenen Wortmeldungen mehr über die Verkehrspolitik als über den LEP gesprochen wurde.

Herr Ellerbrock, wenn ich Sie als Antragsteller richtig verstanden habe, haben Sie eben gesagt, dass wir mit dem neuen LEP-Entwurf vieles richtig gemacht hätten und es nur noch umfassender und richtiger erklären müssten. – Wir sind für Ihre Hinweise, wie wir das noch besser machen können, immer dankbar.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Zunächst halten wir gerne fest, vieles richtig gemacht zu haben.

Beim LEP sind wir jetzt in einem zweiten Beteiligungsverfahren. Natürlich kann ich der Auswertung des zweiten Beteiligungsverfahrens nicht vorgreifen. Wir werden die Auswertung in Kürze abgeschlossen haben und uns dann im Kabinett abschließend mit dem LEP befassen.

Erlauben Sie mir vorweg noch eine allgemeine Anmerkung. Wir haben bisher die Beteiligungsverfahren sehr ernst genommen, sie transparent gestaltet und auch unsere Bewertung der Einwendungen und Stellungnahmen transparent gemacht. Da finde ich es schon etwas merkwürdig, Herr Ellerbrock, wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren, die Landesregierung habe sich gezwungen gesehen, Änderungen am LEP-Entwurf vorzunehmen. Das ist, ehrlich gesagt, nicht unser Verständnis von demokratischen Beteiligungsprozessen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Im Gegenteil, wir nehmen Stellungnahmen ernst. Wenn sie sinnvoll sind und zu vernünftigen Vorschlägen führen, erklären wir uns auch bereit, Änderungen vorzunehmen. Dazu muss uns niemand zwingen. Herr Ellerbrock, das machen wir ganz freiwillig, weil wir es für eine demokratische Notwendigkeit halten.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Nun aber zu Ihren kritischen Anmerkungen betreffend Logistikstandorte. Die im Entwurf des LEP vorgenommene Einstufung der Flughäfen in landes- und regionalbedeutsam basiert – darauf ist schon hingewiesen worden – auf der geltenden Luftverkehrskonzeption. Danach sind eben Düsseldorf, Köln/Bonn und Münster/Osnabrück landesbedeutsame Flughäfen und als solche eingestuft. Das ist nun einmal die fachliche Grundlage, an der wir uns im LEP zu orientieren haben. Dass sie veraltet ist, wird von niemandem bestritten.

Aber genauso wenig kann doch bestritten werden – Herr Ott hat darauf hingewiesen –, dass eine Luftverkehrskonzeption als regionale Konzeption keinen Sinn macht, sondern dass wir hier auf die neue Luftverkehrskonzeption des Bundes warten müssen. Wir werden, sobald diese vorliegt, eine eigene Luftverkehrskonzeption erarbeiten, und diese wird dann natürlich auch Grundlage der Landesplanung sein.

Wir haben in der neuen Fassung in Satz 3 des Ziels eine Klarstellung vorgenommen, die wichtig ist. Wir haben nämlich unmissverständlich klargestellt, dass auch regionalbedeutsame Flughäfen Entwicklungsmöglichkeiten haben und haben sollen; sie müssen sich in ihrer Entwicklung eben nicht mit den Betreibern der landesbedeutsamen Flughäfen abstimmen. Vielmehr ist lediglich erforderlich, dass die Landesregierung – nur die Landesregierung – prüft, ob diese Planungen für die regionalbedeutsamen Flughäfen mit der Entwicklung der landesbedeutsamen Flughäfen in Einklang stehen. Es ist, glaube ich, unbestreitbar notwendig, dass es zu einer Gesamtkonzeption kommt und Fehlplanungen vermieden werden können.

Zu den landesbedeutsamen Häfen: Der LEP-Entwurf enthält in Ziel 8.1.9 Vorgaben zu den landesbedeutsamen Häfen, um diese in ihrer Funktion planerisch zu sichern. Landesbedeutsame Häfen sind diejenigen Häfen, die eine für das Land insgesamt herausragende Rolle einnehmen: aufgrund der Höhe ihres Umschlagvolumens oder des wasserseitigen Containerumschlags bzw. aufgrund ihrer besonderen standortpolitischen Bedeutung. Hierzu liegen Untersuchungen …

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Minister Lersch-Mense, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Dr. Bergmann würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Ja, bitte. Gern.

Dr. Günther Bergmann (CDU): Das ist nett. Vielen Dank dafür. – Ich würde gern – ohne auf die Punkte, die Sie gerade genannt haben, einzugehen; bei dem ersten Entwurf war noch vieles anders, als Sie es jetzt für den zweiten Entwurf darstellen, womit Sie sich im Grunde ein Stück weit widersprechen – auf die Frage kaprizieren: Ist Ihnen bekannt, dass in den Niederlanden – die Niederlande sind gleich groß und ähnlich strukturiert wie Nordrhein-Westfalen, dicht besiedelt, 18 Millionen Einwohner usw. – ganz bewusst ein anderer Weg gewählt worden ist, nämlich der Weg der Kooperation der landesbedeutsamen, also der für ganz Niederlande bedeutsamen Flughäfen – Schipol zum Beispiel –, mit den Regionalflughäfen, um dort planerisch Vorgaben zu machen, Entlastungen und Entzerrungen vornehmen zu können? Es ruft in Nordrhein-Westfalen in Anbetracht der Tatsache, dass es zumindest in Düsseldorf doch eine Ballung des Verkehrs mit vielen Belastungen für die Bürger im Umland gibt, im Grunde genommen danach.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Vielen Dank für diese Frage. – Natürlich ist uns das bewusst. Deshalb haben wir ja auch formuliert, dass die Entwicklung der regionalbedeutsamen im Einklang mit den landesbedeutsamen Flughäfen stattzufinden habe. Das bedeutet, dass wir gerade hier eine planerische Abstimmung vornehmen wollen, aber nicht im Sinne einer Hierarchisierung, dass die regionalbedeutsamen sich mit den landesbedeutsamen abstimmen müssen, sondern dass sich das beides einordnen muss, dass sich die Entwicklungsperspektiven einordnen müssen in eine gesamtverkehrsplanerische Konzeption, die nur auf Landesebene erstellt werden kann.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Thema „Häfen“ zurückkehren und noch einmal klarstellen: Auch die übrigen Häfen sind natürlich in ihrer Entwicklung – auch wenn sie im LEP nicht ausdrücklich erwähnt werden – geschützt. Sie unterliegen dem allgemeinen Umgebungsschutz, der sie vor heranrückenden empfindlichen Nutzungen schützt. Damit genießen sie den Entwicklungsschutz, der hier zu Recht gefordert ist, durch allgemeine Bestimmungen auch des LEP. Hier bedarf es also auch keiner zusätzlichen Erwähnung und keiner zusätzlichen Regelung.

Meine Damen und Herren, wir werden sicher noch mehrfach Gelegenheit haben, Einzelregungen des LEP und hoffentlich in Kürze auch den LEP insgesamt zu beraten. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den wesentlichen Fragen einen großen Konsens erzielen werden. – Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. – Für die FDP spricht noch einmal Herr Kollege Ellerbrock.

Holger Ellerbrock (FDP): Herr Kollege Ott, Sie haben es nicht verstanden. Wenn Sie in einem Landesentwicklungsplan für die landesbedeutsamen Häfen Ziele formulieren und zu nicht landesbedeutsamen, die Sie gar nicht aufführen, nichts sagen, wird daraus in der Öffentlichkeit etwas ganz anderes, als – das gestehe ich Ihnen gerne zu – Sie eigentlich wollen. Aber wir sind auch dafür verantwortlich, dass es richtig verstanden wird. Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint. Und dieser LEP ist an dieser Stelle gut gemeint. Er bringt das Ziel nicht heraus; das ist die Sache.

(Beifall von der FDP)

Der nächste Punkt ist, Kollege Klocke – das gilt auch für den Minister –: Wenn wir gesagt haben, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung im Erarbeitungsverfahren gut war, so heißt das nicht zwangsläufig inzidenter, dass der LEP gut ist. Da haben wir durchaus unterschiedliche Meinungen. Das Marketing, das Sie machen, ist gut; über den Inhalt reden wir am besten nicht. Aber den Inhalt diskutieren wir hier, und da haben wir etwas zu ändern. Das ist die andere Sache.

(Beifall von der FDP)

Der nächste Punkt ist, meine Damen und Herren: Die Industriehäfen haben eine genauso große arbeitsplatzsichernde Bedeutung wie sämtliche öffentliche Häfen.

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Holger Ellerbrock (FDP]: Und es besteht eben die Chance, dass wir, wenn wir auch die Kanalhäfen unter einen besonderen Schutz stellen, wenn wir ihre Entwicklungschancen hervorheben, dass wir wesentlich zur Flächenmobilisation beitragen können, weil wir die umgebenden Grundstücke aufwerten, in eine höhere Wertstufe bringen …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Holger Ellerbrock (FDP]: … und damit letztendlich besser verkaufen können.

Herr Lersch-Mense, das, was Sie gesagt haben, unterstreiche ich sofort. Der allgemeine Umgebungsschutz steht drin.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ellerbrock, schauen Sie doch mal auf die Uhr. Die blinkt schon eine ganze Weile.

Holger Ellerbrock (FDP): Aber die Stellungnahmen aus Wirtschaft und Kommunen zeigen doch, dass es missverstanden wird. Es wird nicht gelesen. Es ist Ihre Aufgabe, das deutlich zu machen. – Ich danke.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Bitte schön. – Für die SPD-Fraktion Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Ich wusste doch, dass Herr Ellerbrock spart, also habe ich auch gespart. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will es noch einmal deutlich machen, Herr Ellerbrock: Es gibt keinen Entwicklungsstopp. Alles, was entwickelt werden soll, soll entwickelt werden.

Ich sage Ihnen einmal, was Ihr Problem ist: Die Glaubwürdigkeit in der Politik erhöht man dadurch, dass die einzelnen Ebenen mit einer Sprache sprechen und nicht unterschiedliche Ebenen unterschiedlich agieren. Wenn Sie nun mal dazu beigetragen haben, dass beispielsweise das Leverkusener Kreuz verkleinert werden soll – jedenfalls als Vorschlag zur Planfeststellung – und gleichzeitig sagen: „Der Hafen drum herum soll ausgebaut werden“, dann widerspricht sich das und ist nicht in Ordnung.

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ott.

Jochen Ott (SPD): Nein, jetzt nicht.

(Heiterkeit von allen Fraktionen)

Wenn Sie A sagen und immer wieder deutlich machen, dass Sie für den Klimaschutz mehr Güter von der Straße auf die Wasserstraße bringen wollen, dann müssen Sie auch B sagen, wenn es um die Frage der Häfen geht. Deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit: Eine konsequente Politik heißt, hier im Landtag keine Diskussionen zu führen, die man dann vor Ort nicht halten kann, sondern da muss man eine klare Linie fahren und darf nicht wackeln.

Was den Luftverkehr angeht, wiederhole ich mich: Niemand fliegt, wenn er nicht umgeleitet wird, weil er abends zu spät gekommen ist, innerhalb von Nordrhein-Westfalen mit dem Flugzeug. Eine Luftverkehrskonzeption funktioniert nur für ein ganzes Land, in dem Fall für die Bundesrepublik. Darauf werden wir in Nordrhein-Westfalen setzen. Alles andere ist einfach nicht sinnvoll, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. Ein simples Nein hätte auch gereicht. – Jetzt bin ich mir unsicher, Herr Kollege Ellerbrock. Wollten Sie eine Kurzintervention starten?

(Holger Ellerbrock [FDP]: Ja!)

– Okay, dann machen wir das ausnahmsweise einmal so herum. Das Mikrofon ist offen.

(Jochen Ott [SPD]: Ich war gerade so schön in Fahrt!)

Holger Ellerbrock (FDP): Der Kollege Ott ist so selten in Fahrt, deswegen muss er das einmal ausnutzen. Das kann ich auch verstehen.

Kollege Ott, Sie hatten eben den Strauß von unterschiedlichen lokalpolitischen Vorstellungen angesprochen. Ich möchte Ihren Erkenntnishorizont erweitern: In Krefeld zum Beispiel ist die SPD dafür, neben Covestro – das ist im CHEMPARK – Wohnbebauung einzuführen, weil es ja so sinnvoll ist, direkt neben einem Industriegebiet Wohngebiete aufzubauen, damit dann die Nutzungsmöglichkeiten des Industriegebietes auf die eines Gewerbegebietes reduziert werden. Das ist ein tolles lokalpolitisches Thema, nur als Beispiel. Duisburg plant „Wohnen am Rhein“. Ich wollte das nur vervollständigen.

Herr Kollege, ich wiederhole es noch einmal – das ist dann auch das letzte Mal, dass ich es versuche –: Sie haben es missverstanden. Wenn ich zu den dargestellten nichtlandesbedeutsamen Häfen nichts sage, dann wird da hineininterpretiert, dass es dort Hemmnisse gibt, weil ja nur die landesbedeutsamen einen besonderen Schutz erfahren. Ob das jetzt tatsächlich so ist oder der Herr Minister es so meint – ich glaube ihm ja, dass er es nicht so meint. Aber es wird draußen so verstanden. Das müssen wir ändern.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Dann sollten wir keine Prioritäten mehr setzen!)

Hinsichtlich seines Marketings muss er noch auf den Inhalt achten. Denn das beste Marketing ist bei schlechtem Inhalt letztendlich auch nicht tragfähig.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Ott, Sie haben jetzt auch 90 Sekunden.

Jochen Ott (SPD): Herr Ellerbrock, das Erste ist: Das ist der Grund, warum das Bundeskabinett letzte Woche darüber gesprochen und entschieden hat, dass es urbane Mischgebiete geben soll. Wir müssen dringend darüber reden, wie wir insbesondere das Verhältnis von Wohnungsbau zu Industrie und Gewerbe neu regeln. Damit wird die Bundesregierung den Kommunen ein Instrument an die Hand geben, um genau diese Fragen klären zu können. Inwiefern dann in einzelnen Kommunen Wohnungsbau und Häfen miteinander kompatibel sind, werden auch wieder die Kommunen für sich entscheiden.

Man kann in anderen Ländern sehen, dass eine Mischung, ein Zusammengehen der verschiedenen Bereiche durchaus sinnvoll sein kann, auch für die Lebendigkeit. Daher halte ich es grundsätzlich nicht für falsch, Wohnungsbau und Gewerbe miteinander zu kombinieren.

Das Zweite ist: Sie verwechseln den LEP mit einer Konzeption für Häfen oder einer Konzeption für Flughäfen. An dieser Stelle geht es doch um Folgendes: Der LEP ist das eine, aber die Frage, welche Wertigkeit und welche Chancen in den Häfen stecken, ist das andere, und die wird im Hafenkonzept beantwortet. Dieses Hafenkonzept wird gerade öffentlich diskutiert, es wird jetzt vorgelegt. Das heißt, alle haben die Möglichkeit, sich im Rahmen dieses Hafenkonzepts wiederzufinden.

Die Kommunen können das sehr wohl verstehen. Die Frage ist nur, wie Sie darüber kommunizieren. Vielleicht können Sie dazu beitragen – der Minister hat es ja angeboten –, dass die Kommunikation besser wird. Dann kommen wir einen Schritt voran.

Aber ich bleibe dabei: Am Ende, Herr Ellerbrock, wird es darauf ankommen, die Glaubwürdigkeit dadurch zu erhöhen, dass man stringent agiert und nicht auf jeder politischen Ebene etwas anderes erzählt. Das verwirrt die Leute auch. Du kannst den Leuten nicht auf kommunaler Ebene etwas anderes zu Häfen und Flughäfen erzählen als auf Landes- und auf Bundesebene. Das verwirrt die Menschen irgendwann, und dann sagen sie: Wofür stehst du eigentlich? – Vielleicht können wir uns wenigstens auf diesen Grundsatz verständigen.

(Beifall von der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Ott. – Damit sind wir am Ende der Aussprache. Da niemand sonst Redezeiten aufgespart hat, bleibt das auch so.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11417 an den Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr. Dieser Ausschuss bekommt die Federführung. Die Mitberatung geht an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Stimmt jemand gegen die Überweisung? – Nein. Enthaltungen? – Auch nicht. Dann haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

6   Lobbyismus transparent machen – Einführung eines Lobbyregisters in NRW

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11414

Ich eröffne die Aussprache. Herr Kollege Marsching hat das Wort.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Lobbyisten am Stream und auf der Tribüne! Lobbyist ist jeder, mindestens in eigener Sache. Lobbyismus ist auch nicht per se schlecht. Milliardenschwere Unternehmen machen genauso Lobbyismus wie Nichtregierungsorganisationen. Intransparenter Lobbyismus ist aber per se schlecht. Denn es ist völlig in Ordnung, Kontakt zur Politik zu pflegen. Es ist nicht in Ordnung, wenn der Bürger nicht weiß, wer Kontakt zur Politik pflegt.

(Beifall von den PIRATEN)

Unser Antrag fordert die Einführung eines Lobbyregisters für Nordrhein-Westfalen, zunächst für die Landesregierung und im Weiteren auch für den Landtag. Damit sollen nicht Lobbyisten an den Pranger gestellt werden. Ja, zugegeben, das Wort „Lobbyismus“ ist negativ belastet.

Aber es soll eigentlich nur der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben werden, sich zu informieren und durchzublicken. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes haben ein Recht darauf zu wissen, welche Interessengruppen welche Forderungen in einem politischen Prozess gestellt haben.

Wer viel Geld hat, kann auch viel Einfluss auf Politik nehmen. Ein Lobbyregister würde hier Transparenz schaffen, wer Einfluss auf Gesetze nimmt, wer seine Interessen in den politischen Diskurs einbringt, und würde zu einer offeneren und transparenteren Arbeitsweise der Landesregierung und auch des Landtags führen.

Nicht mehr und nicht weniger fordert unser Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Warden das Wort.

Marion Warden (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lobbyismus, ein Begriff – das hat der Kollege Marsching eben schon erwähnt–, der uns immer wieder in der öffentlichen Diskussion begegnet, meist mit negativen Assoziationen wie Beeinflussung, Parteinahme, ungerechtfertigte Vorteile erlangen usw. Lobbyismus wird als Mittel eingesetzt – so scheint es jedenfalls –, um eigene, oft eigennützige Ziele zu erreichen, welche sich damit der eigentlichen demokratischen und transparenten Meinungs- und Willensbildung entziehen.

Der Begriff Lobbyismus impliziert im allgemeinen Verständnis auch, dass durch die Einflussnahme Dritter in den Entscheidungsprozessen sich der Entscheider einer Regierung, eines Parlaments in der Abwägung nur von diesen Interessen leiten lasse und die eigene sachliche und ausgewogene Meinungsbildung im Entscheidungsprozess nicht mehr stattfindet.

Aber wie stellt sich der eigentliche Lobbyismus in der täglichen Arbeit dar? Wer oder was sind denn mit Blick auf unsere Arbeit die Lobbyisten? – Sind es die Gewerkschaften mit ihrem Kampf um Löhne und Arbeitsplätze? Sind es die Elternverbände mit ihrem Engagement für Unterrichtsinhalte und Lehrkräfte? Die Erzieherinnen oder Erzieher der Kita im Streik für neue Tarife? Die Träger der freien Wohlfahrtspflege wie Caritas, AWO, Diakonie und viele andere, wenn es um ein neues Pflegegesetz in Nordrhein-Westfalen geht? Sind es Wirtschaftsunternehmen bei der Frage nach neuen Standorten? Die Handwerkskammern? – Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Vielleicht macht meine kleine Aufzählung die Komplexität eines solchen Themas deutlich.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass sich Abgeordnete sach- und fachkundig machen, bevor weitreichende Entscheidungen getroffen werden, und dass sich ihre Entscheidungen alleine an der Sache orientieren.

Um das zu gewährleisten, nutzen wir auch externe Beratungen und Informationen. Und wer ist besserer Experte, wenn nicht der, den es selbst betrifft? Es gehört zu unserem parlamentarischen Alltag, die verschiedensten Fachleute, und zwar immer auf Vorschlag der einzelnen Fraktionen, zu Sachverständigenanhörungen und Expertengesprächen einzuladen. Alle diese Gremien tagen übrigens öffentlich.

Was will ich damit sagen? – Lobbyismus spielt sich nicht immer nur im dubiosen Rahmen ab. Viele gesellschaftlich anerkannte Interessengruppen haben ihre eigene Vertretung, ihre Lobby, die natürlich für ihre Interessen eintritt: Bürgerinitiativen, Vereine – alle engagieren sich für ihre Anliegen. Und das gehört auch gesagt: Die Verbände sind an allen Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen.

Unsere Aufgabe in Regierung und Parlament liegt darin, ausgewogen zwischen den diversen Interessen zu unterscheiden. Unsere Aufgabe liegt darin, zu erkennen, wo die ungerechtfertigte Einflussnahme Dritter zugunsten von Einzelinteressen liegt und wo es tatsächlich um eine Entscheidung im Sinne unseres Gemeinwohls geht.

Ob uns in dieser Abwägung ein Lobbyregister NRW unterstützen kann, wird die weitere Beratung des Antrags in den Fachausschüssen zeigen. Dabei werden wir dann vermutlich Sachverständige zum Thema Lobbyismus heranziehen und anhören, womit wir dann auch schon mitten im Thema wären. Der Überweisung stimmen wir als SPD-Fraktion natürlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Danke schön. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Krückel das Wort.

Bernd Krückel (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörer! Ich möchte für die CDU-Fraktion deutlich machen, dass wir dem Thema des Beratungsgegenstandes der Piraten „Lobbyismus transparent machen“ grundsätzlich positiv gegenüberstehen.

Die Piraten beantragen, den Antrag federführend an den Hauptausschuss zu überweisen und den Innenausschuss zur Mitberatung vorzusehen. Wir begrüßen die Überweisung ausdrücklich, da dieser Antrag mit seinen umfangreichen Forderungen im Abschnitt II in diesem Plenum in einer Block-I-Debatte kaum sachgerecht behandelt werden kann.

Deshalb möchte ich heute nicht auf Ihre konkreten Forderungen eingehen. Das machen wir im Ausschuss ohne Zeitdruck. Ich möchte auf zwei Parallelen zum Antrag hinweisen:

Erste Parallele. Die Kollegen im Deutschen Bundestag haben am 19. März 2015, also ziemlich genau vor einem Jahr, den interfraktionellen Antrag „Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“ beraten. Der Antrag hatte Änderungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Gegenstand, die bereits ein seit dem Jahr 1972 bestehendes und bis heute fortgeführtes und immer wieder aktualisiertes Lobbyregister vorsieht.

In diesem Register werden zurzeit von rund 2.000 Verbänden die Namen, die Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, der Interessenbereich, die Mitgliederzahlen und weitere Daten geführt. Die Eintragung in dieses Register ist die Voraussetzung dafür, bei Anhörungen im Deutschen Bundestag eingeladen zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion hat eine große Sympathie für eine analoge Regelung zu der im Deutschen Bundestag. Diese Regelungen sollten wir aber in aller Ruhe diskutieren.

Damit komme ich zur zweiten Parallele: Mit Datum vom 6. Oktober 2009 hat die SPD-Fraktion hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Einführung eines Transparenzgesetzes gefordert. Die Tatsache, dass wir heute, nach sechs Jahren Regierungszeit von Rot-Grün, keinen Bericht kennen, der den damaligen Ansprüchen der SPD genügt, macht deutlich, dass die derzeitige Landesregierung wenig Engagement in dieser Sache entwickelt hat.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Hieran hat ein Antrag der Piraten mit der Überschrift „NRW braucht ein Transparenzgesetz“, der am 9.  November 2012 hier im Plenum beraten wurde, nichts geändert.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Leider!)

Wenn wir in den zurückliegenden sechs Jahren keine Lösung zur Handhabung insbesondere des Lobbyismus gefunden haben, habe ich Zweifel, dass uns das sachgerecht bis zum Ende dieses Jahres gelingen wird, wie die Piraten dies fordern.

Die CDU-Fraktion stimmt der Überweisung des Antrags zu und erwartet eine sachgerechte Diskussion im Ausschuss. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Krückel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen traurig darüber, dass die Piratenfraktion dieses Thema hier jetzt doch einigermaßen lustlos angegangen ist; denn halte es für ein sehr beachtliches Thema, das wir sehr differenziert diskutieren sollten. Wir Grünen stehen auch ganz eindeutig für mehr Transparenz in der Politik.

(Beifall von den GRÜNEN – Michele Marsching [PIRATEN]: Dann: Go! – Weitere Zurufe von den PIRATEN)

– Jetzt sind Sie wach geworden. Ich weiß gar nicht, warum. Das hätten Sie einmal vorhin bei der Rede machen sollen – und vielleicht auch beim Verfassen des Antrags.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Haben wir!)

Wir stehen für einen Dialog mit der Gesellschaft. Da möchte ich allerdings schon an das anknüpfen, was Kollegin Warden von der SPD gesagt hat. Lobbyismus ist für sich nicht immer etwas Schlechtes.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das habe übrigens ich gesagt!)

Ganz im Gegenteil: Es ist wichtig, dass Menschen hier im Landtag gegenüber den Politikerinnen und Politikern ihre Interessen vortragen können, dass Sozialverbände, Gewerkschaften oder auch Initiativen Zugang nicht nur zum Parlament, sondern auch zu einzelnen Abgeordneten haben.

Wichtig ist dabei aber etwas anderes – darauf hat die Kollegin auch hingewiesen –: Wir brauchen Transparenz darüber. Da sind wir mit der Zielrichtung Ihres Antrags sehr einig. Die Transparenz ist besonders dann wichtig, wenn Vertreterinnen der Regierung direkt und unmittelbar angesprochen werden und wenn diese Kontakte stattfinden. Wir sind sehr dafür, dass diese Kontakte dann transparent gemacht werden, damit der Austausch klar ist und auch klar wird, woher dieses Ansinnen kommt. Da sind wir sehr nah bei Ihnen.

Allerdings sind wir auch sehr dafür, dass wir das differenziert diskutieren. Ihr Antrag bietet dafür keine besonders gute Grundlage. Deswegen ist es vernünftig, wenn er an den Hauptausschuss und die anderen beratenden Fachausschüsse verwiesen wird.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf etwas anderes hinweisen. Mir macht es schon Probleme, wenn ich mir einige Kolleginnen und Kollegen anhören muss, die Politik als Ware verkaufen, die vom Markendesign in der Politik sprechen und die eher Designsprache benutzen, die also auf die Marke Politik setzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihre Partei scheint da besonders anfällig zu sein.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Als letzten Punkt möchte ich ansprechen – schließlich ist das hier im Landtag gar nicht furchtbar lange her; es war im Jahr 2010 vielleicht auch nicht ganz wahlunentscheidend –, dass die CDU sich damit einen Namen gemacht hat, dass man sich den Zugang zu Ministerpräsident Rüttgers – damals firmierte das unter „Rent-a-Rüttgers“ – auf Parteitagen offenbar in einem Konzept erkaufen konnte.

Das sind Auswüchse, liebe Kolleginnen und Kollegen die wir ausdrücklich nicht haben wollen. Deswegen setzen wir uns für Transparenz ein.

Dass Interessenvertretung auch nicht eins zu eins sinnvoll ist, sehen wir unter anderem am VW-Skandal. All das, was dort vorgetragen worden ist, all das, was angeblich zu mehr Vertretung der Interessen der Firmen führen sollte, war ein kurzfristiger Erfolg, weil die Normen so gemacht worden sind, wie sich VW das vorgestellt hat. Der volkswirtschaftliche Schaden, der entstanden ist, ist, glaube ich, weitaus größer als das, was durch Transparenz und mehr Diskussion in der Öffentlichkeit hätte eintreten können.

Ich will auch nicht verschweigen, dass ich es einigermaßen merkwürdig finde, wenn beispielsweise Eckart von Klaeden erst die Interessen im Bundestag vertritt und dann wenige Monate später Autolobbyist werden kann.

Alle diese Dinge können wir als Politikerinnen und Politiker nicht gutheißen. Daher ist dieser Antrag sinnvoll. Deswegen stimmen wir auch der Überweisung ausdrücklich zu.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Krückel zulassen?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Bitte.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte.

Bernd Krückel (CDU): Herr Kollege Mostofizadeh, wenn Sie den Kollegen von Klaeden ansprechen, frage ich Sie: Ist es für Sie ein Unterschied, ob zum Beispiel Arbeitnehmervertreter in Ministerien wechseln – wie das im Bundesarbeitsministerium bei vier Parlamentarischen Staatssekretären der Fall ist, die dort ihre Interessenarbeit als Ex-Gewerkschafter fortsetzen – oder ob Leute aus der Politik in die Wirtschaft wechseln?

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Kollege Krückel, vielleicht hätten Sie jetzt auch Ross und Reiter nennen können. Dann wäre das transparenter gewesen.

(Bernd Krückel [CDU]: Ich liefere Ihnen die Namen der Staatssekretäre gerne nach!)

– Ja, selbstverständlich; gerne. – Mir geht es aber um etwas anderes. Mir geht es um folgenden Vorgang: Eckart von Klaeden war im Bundeskanzleramt tätig und hat mit dafür gesorgt, dass die EU-Abgasnormen verwässert worden sind. Kurze Zeit später wechselte dieser Eckart von Klaeden als Autolobbyist in die Wirtschaft. Das hat einen eindeutig negativen Nachgeschmack. Und das möchte ich hier so nicht haben, Herr Kollege.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich mache da auch keinen Unterschied, ob das jemand von CDU, Grünen oder SPD ist.

Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, hat eine wichtige Zielrichtung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Piraten. Er hat allerdings relativ wenig Substanz.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Die CDU sagt, er habe zu viel Substanz!)

Deswegen muss er in die Ausschüsse hinein.

Ich weise noch auf einen anderen Punkt hin. Wir müssen uns auch immer überlegen: Wie viel Aufwand treiben wir mit der Transparenz, und wie viel Nutzen haben wir davon? Wir haben einen hohen Aufwand getrieben, um sehr früh – als erste Fraktion, deutlich vor Ihnen – beispielsweise unsere Einkünfte transparent zu machen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Das ist doch kein Aufwand! Das rechnet man einmal aus und veröffentlicht es dann!)

Sie sehr dezidiert bis auf den Euro auszuweisen, ist ein sehr hoher Aufwand. Die Zugriffe, die auf diese Daten genommen werden, sind allerdings eher überschaubar.

Deswegen ist es sinnvoll, wenn sich die Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Fraktionen Gedanken darüber macht, wie dieses Register aussehen kann. Mit Ihrem Antrag wird das nicht ausreichend sein. Die Zielrichtung ist richtig. Wir sollten uns Gedanken machen und am Ende des Tages ein vernünftiges Konzept vorlegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dietmar Schulz [PIRATEN]: Ihr wollt ja nur einen eigenen Antrag haben! Das ist doch der Punkt!)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lobbying ist Interessenvertretung und gut, richtig und auch notwendig in einer lebendigen Demokratie. Wie gerade schon richtig erwähnt worden ist, geht es eben auch um den Dialog mit der Gesellschaft, auf den jeder von uns hier im nordrhein-westfälischen Landtag, aber auch in allen anderen Parlamenten angewiesen ist.

Durch den technologischen Fortschritt und die mit ihm einhergehende zunehmende Zahl verfügbarer, für eine Entscheidungsfindung regelmäßig notwendiger Informationen sind die Strukturen moderner Gesellschaften, aber auch parlamentarischer Entscheidungsprozesse in den vergangenen Jahrzehnten immer komplexer geworden. Informationen sind die Grundlage parlamentarischer Abwägungen und Entscheidungen – auch bei jedem einzelnen Abgeordneten.

Aufgrund der zunehmend komplexeren zu entscheidenden Sachverhalte verlangen die Entscheidungsnotwendigkeiten oftmals weniger den Generalisten, sondern zunehmend auch spezialisierte Abgeordnete. Und die Informationsbeschaffung erfolgt dann eben auch typischerweise unter Rückgriff auf externen Sachverstand.

Man hat es allein schon in den vergangenen Jahren bei uns im Landtag beobachten können: Die Zahl der Sachverständigenanhörungen und Expertengespräche hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Wir fragen immer mehr externe Sachverständige um Rat. Herr Kollege Krückel, ich möchte mir gerne, wie, glaube ich, alle anderen Fraktionen hier im Hause, auch die Freiheit nehmen, die Sachverständigen und Experten einzuladen, die wir dafür für notwendig erachten, und diese nicht davon abhängig machen, ob sie in ein Register eingestellt sind oder nicht; auch weil die Anhörungen ja öffentlich sind, ist Transparenz gegeben.

Meine Damen und Herren, diese Praxis der Sachverständigenanhörungen ist aus meiner Sicht auch nicht zu beanstanden, auch die individuelle Hinzuziehung von externem Sachverstand nicht, weil die Entscheidung durch die Abgeordneten selbst erfolgt und eben nicht durch die zur Informationsgewinnung herangezogenen Dritten.

Der Antrag der Piraten drückt nicht nur den Zweifel an der Entscheidungssouveränität der Abgeordneten aus, sondern offenbart auch ein massives Misstrauen gegenüber jenen dritten Personen, deren Sachverstand sich das Parlament, seine Fraktionen oder die einzelnen Abgeordneten auch zunutze machen wollen. Es wird nicht unterschieden, aus welchem Grund es zum Beispiel zu einer Kontaktaufnahme oder Kommunikation zwischen den Mitgliedern des Parlamentes oder der Landesregierung und einem Dritten kommt. Die Reduktion auf Kennzahlen berührt das freie Mandat aller Abgeordneten, indem dazu gezwungen werden soll, jeden einzelnen Kontakt mit Angaben zu der Initiative in das Register einzustellen.

Möchte beispielsweise der oder die Abgeordnete sich des vermuteten Fachwissens eines Verbandsvertreters bedienen, wäre der auf Initiative des oder der Abgeordneten angebahnte Kontakt anschließend im Register zu vermerken. Meine Damen und Herren, ich habe dazu in der Tat ein anderes Verständnis der freien Mandatsausübung.

(Dietmar Schulz [PIRATEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

– Danke, ich möchte gerne in diesem Kontext auch fortfahren, Herr Kollege Schulz.

Ich sehe in dem Antrag der Piraten sicherlich einen sinnvollen Anstoß, hier eine Diskussion darüber zu beginnen, wie nachvollziehbar Partikularinteressen und ihre Interessenvertretungen in den parlamentarischen Entscheidungsprozessen abgebildet werden können, weil wir als Abgeordnete eben den Interessen des Gemeinwohls verpflichtet sind.

Wenn aber die in dem Piratenantrag geäußerte Grundannahme von fremdbestimmten Abgeordneten hier greifen sollte …

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Es geht um die Landesregierung, nicht um die Abgeordneten!)

– Herr Kollege, dann schreiben Sie es in Ihren Antrag auch ausdrücklich nur so rein!

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Das steht da drin!)

Hier geht es nämlich auch um das Parlament und nicht nur um die Regierung. Sie nehmen Anleihen an dem EU-Transparenzregister. Im Unterschied zu dem EU-Transparenzregister sollen die von Ihnen angedachten nordrhein-westfälischen Regelungen pflichtig sein und nicht freiwillig ausgestaltet werden.

Bei der EU-Regelung gibt es im Übrigen für die Kommission, was dann vergleichbar wäre mit der Regierung, auch strengere Verpflichtungen. Dem kann man in der Tat folgen. Allerdings würde, wenn man Ihrem Antrag an der Stelle entsprechen wollte, hier ein bürokratisches Monster entstehen, was wir auch auf der europäischen Ebene nicht haben und für NRW auch nicht wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das notwendigerweise im Ausschuss weiter und detaillierter diskutieren. Ich glaube, der Antrag der Piraten greift erheblich zu kurz. Das Anliegen, dass wir unsere Entscheidungsprozesse in den Parlamenten stärker den Bürgerinnen und Bürgern erklären wollen, diese besser nachvollziehbar machen wollen, sollte uns einen. Aber der Antrag hier beinhaltet leider keine zielführenden Regelungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Jäger das Wort.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales: Herzlichen Dank! – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Transparenz ist ein Wert an sich, für diese Landesregierung allemal. Wir gehen mit Open.NRW, mit dieser Strategie einen wichtigen Schritt in Richtung Transparenz. Wir haben weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Es ist von verschiedenen Rednern schon festgehalten worden, dass Lobbyismus erst einmal nichts grundsätzlich Verwerfliches ist. Dieses Parlament, diese Landesregierung können nicht mit 18 Millionen Nordrhein-Westfalen darüber reden, wie sie ihr Leben organisieren möchten, was die Landesregierung dafür tun soll. Es ist gut, dass sich Interessen immer bündeln und so sprachfähig werden gegenüber der Politik.

Es gibt auch gesellschaftlich hoch anerkannte Interessengruppen wie die Wohlfahrtsverbände, wie die Kirchen, wie die Gewerkschaften, wie die Arbeitgeberverbände und nicht zuletzt die kommunalen Spitzenverbände, die diese Funktion wahrnehmen.

Meine Damen und Herren, wir sind schon jetzt mit der gemeinsamen Geschäftsordnung für alle Ministerien auf dem Weg, diese Transparenz auch darzustellen. Auch mit unseren Aktivitäten im Bereich der Korruptionsbekämpfung, der Korruptionsprävention haben wir für die notwendige Sensibilität unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesorgt. Wir verschärfen regelwidrige und unerwünschte Einflussnahmen.

Meine Damen und Herren von den Piraten, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass immer weniger Menschen zur Wahl gehen. Das mit einem solchen Lobbyregister abzuwenden oder zu ändern – ich glaube, diese Erwartungserhaltung ist sehr hoch. Dennoch sollte man bezüglich der dahinter liegenden Anliegen des Antrages der Piratenfraktion offen sein. Ich persönlich stelle mir einige rechtliche, aber auch praktische Fragen, wie das Ganze umzusetzen wäre. Die konkrete Ausgestaltung hoffen wir in den Ausschüssen diskutieren zu können. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Piratenfraktion hat Herr Kollege Marsching noch einmal ums Wort gebeten. Das bekommt er natürlich auch.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich habe noch drei Minuten Zeit. Ich habe extra wenig geredet; denn ich wollte ein bisschen hören, was die anderen Fraktionen sagen. Herr Kollege Mostofizadeh, das war nicht lustlos. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Vielleicht sollte ich den Antrag hier steppen oder so. Ich weiß es nicht.

Frau Kollegin Freimuth, Sie haben gerade über das freie Mandat und ganz viel über Abgeordnete geredet. Ich möchte Sie bitten, den Antrag tatsächlich zu lesen. – Sie haben den Finger schon auf dem Drücker; das finde ich gut. Dann lesen Sie doch einmal vor, was in dem Antrag unter II. steht und wer diese Transparenzregeln zuerst durchsetzen und umsetzen soll. Erst dann reden wir unter III. darüber, wozu sich der Landtag selbst verpflichten soll.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Freimuth nimmt Ihre Ansprache gerne auf und möchte Ihnen eine Frage stellen. Ich bin mir sicher, Sie lassen diese zu.

Michele Marsching (PIRATEN): Natürlich.

Angela Freimuth (FDP): Herr Kollege Marsching, stimmen Sie mir zu, dass in Ihrem Antrag unter III. der Satz „Zusätzlich werden alle Beratungen in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Fraktionen erfasst“ elementar den Kernbereich des Parlaments und damit auch der Abgeordneten betrifft?

Michele Marsching (PIRATEN): Ja, ich stimme Ihnen zu, dass mit einem Lobbyregister, das für diesen Landtag gelten würde, in diesen Kernbereich eingegriffen würde, dass offengelegt würde, welche Gesprächspartner man hier empfängt und mit wem man hier geredet hat. Es wurde eben schon gesagt, dass Anhörungen öffentlich sind und alles protokolliert wird. Es ist aber nicht öffentlich, mit wem man unten sitzt, einen Kaffee trinkt und über welches Thema man spricht. Ich glaube aber, dass Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, das zu erfahren.

(Beifall von den PIRATEN)

Frau Kollegin Freimuth, Sie haben eben von dem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Politik geredet. Ich glaube, dass eine Politik, die sich selbst abschottet, die unter sich sein will, ein viel größeres Misstrauen hervorruft als eine Politik, die offen ist und darstellt, dass sie mit Verbänden redet; das kann man auch in den Anhörungsprotokollen nachlesen. Wir möchten allerdings eine Politik, die auch sagt, mit wem sie spricht, der es nicht geschafft hat, einen der fünf begehrten Plätze bei der Expertenanhörung zu ergattern. Wir möchten, dass sie sich bekennt und sagt: Wir haben auch mit dem und dem geredet, und die haben sich auch noch zu diesem Thema geäußert.

Ihr Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender, Herr Kollege Lindner, hat schon 2012 gesagt, dass die Bürger eigentlich eine bessere Fehlerkultur fordern, dass sie mehr Offenheit wollen, dass sie mehr Transparenz vom Parlament wollen.

(Dietmar Schulz [PIRATEN]: Deswegen war es eine Rede genau gegen Ihren Vorsitzenden!)

Das, was Sie gerade gesagt haben, war sehr protektionistisch, so nach dem Motto: Wir müssen erst einmal gucken und dürfen nicht allzu viel herausgeben.

Jetzt möchte ich mich aber nicht nur an Ihnen abarbeiten. Ich habe nämlich noch zwei, drei Hinweise in Richtung der Kollegin Warden. Sie haben gesagt, das Einholen von Sach- und Fachkunde sei sehr wichtig. Ich finde das auch okay. Ich wiederhole es noch einmal: Lobbyismus ist nicht per se schlecht.

Die Abgeordneten, haben Sie gesagt, müssen zwischen Interessen abwägen. Ja, aber was hindert uns denn daran, zu sagen, dass der Bürger am Ende überprüfen kann, ob diese Abwägung auch stattgefunden hat oder ob nur einseitig Interessen gehört wurden? Ein solches Register wäre der richtige Schritt, so etwas offensichtlich zu machen.

Ja, die Anhörungen sind öffentlich, und man kann den Einfluss sehen, aber nicht – ich habe es schon gesagt – das Kaffeetrinken in der Cafeteria.

Herr Kollege Krückel, erst einmal vielen Dank für die Zustimmung. Sie haben gesagt, Sie sehen noch nicht, dass es bis Ende des Jahres möglich ist. Ich sage: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. – Anscheinend sagen alle: Na ja, die Idee ist gut. – Wenn die Idee gut ist, dann nehmen wir doch diesen Antrag als Grundlage. Dann machen wir zusammen etwas daraus. Sie haben einen Vorschlag gemacht, nämlich die Bundestagsregelung eventuell entsprechend anzuwenden. Man kann so etwas machen, wenn der Wille tatsächlich vorhanden ist. Ich habe das gerade herausgehört.

Noch ein Letztes zum Kollegen Mostofizadeh. Sie haben gerade lauter Beispiele genannt. Sie haben „Rent a Rüttgers“ und den Politikerkollegen von Klae-den erwähnt. Ich kann es erweitern. Ich kann über den Kollegen Koch reden, über den Kollegen Pofalla. Also, dass Politiker in die Wirtschaft gehen, um die Wirtschaft zu beraten, genauso wie umgekehrt, ist öffentlich. Deswegen können wir uns ja darüber aufregen. Wenn sie aber hier sitzen, mit ehemaligen Kollegen reden und eventuell tatsächlich Einfluss auf diese ausüben, dann geschieht dies nicht öffentlich. Und hier setzen wir an: Wir wollen, dass das veröffentlicht wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Marsching. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11414 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Jeweils nicht. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

7   Gesetz zum Erlass eines Landesbibliotheksgesetzes und zur Änderung weiterer Rechtsvorschriften

Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11436

erste Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Prof. Dr. Sternberg das Wort. Bitte.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir legen hier heute den Entwurf für ein wichtiges Spartengesetz aus dem Kulturbereich vor.

Ein bisschen zum Hintergrund: Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages hatte 2007 Empfehlungen verabschiedet – übrigens fraktionsübergreifend –, dass ein solches Bibliotheksgesetz in den Ländern notwendig sei. Mittlerweile haben sechs Länder ein solches verabschiedet. Ein siebtes Land ist gerade dabei, wir könnten also das achte werden.

SPD und Grüne haben das 2010 in ihr Wahlprogramm geschrieben, allerdings erst, nachdem wir ganz am Schluss jener Legislaturperiode, in der Kulturpolitik noch etwas galt, einen Bibliotheksgesetzentwurf vorgelegt hatten. Das sollte dann alles im Kulturfördergesetz, KFG, geregelt werden; das war die Ansage.

Im Ergebnis sieht das anders aus. Das Kulturfördergesetz hatte zwar den Anspruch, die komplexen Belange des Bibliothekswesens zu regeln, aber geblieben ist der schmale § 10. Im Kommentar zum Gesetz heißt es dann auch zu § 10: Das allgemeine KFG kann nicht zugleich die Funktion eines speziellen Bibliotheksgesetzes übernehmen. – Zitat Ende.

Ja, so ist es. Das kann es tatsächlich nicht. Bereits in der Beschränkung allein auf öffentliche Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft und die Landesbibliotheksaufgaben ist es dem Anspruch umfassender bibliotheksrechtlicher Regelungen nicht gerecht geworden, und es thematisiert die immensen Herausforderungen des digitalen Wandels nur durch sehr allgemeine Aussagen.

Jetzt gibt es einen Verweis auf Förderrichtlinien des Landes. Das soll also durch eine Förderrichtlinie geregelt werden. Das halten wir für falsch. Denn wesentliche Leitlinien der Kulturpolitik gehören ins Parlament und müssen vom Parlament beschlossen werden, nicht durch Förderrichtlinien.

(Beifall von der CDU)

Es geht schließlich nicht um irgendeine Kultureinrichtung. Bibliotheken haben in diesem Land mehr Besucher als alle Spiele der 1. und 2. Bundesliga zusammen.

Wir legen deshalb in Ergänzung des Kulturförderungsgesetzes nach dem ersten Anlauf 2010 erneut einen Entwurf für ein Bibliotheksgesetz vor. Dieser enthält grundlegende strukturelle Aussagen, benennt Zielpunkte für künftige Entwicklungen und sieht einige rechtlich notwendige, aber immer versäumte Bestimmungen im Bereich des Datenschutzes und Gebührenrechtes vor.

Insgesamt ist es ein übersichtlicher Gesetzentwurf, der das nordrhein-westfälische Bibliotheksrecht bündelt. Es handelt sich somit nicht um zusätzliches Recht, sondern um eine Bündelung.

Vier Punkte des Gesetzentwurfes möchte ich herausstellen.

Erstens: Bibliotheken als dritter Ort. Als niederschwellige und meistbesuchte Kultureinrichtungen haben Bibliotheken trotz ihrer Informationsmöglichkeiten über das Internet eine große Bedeutung als konkrete Orte der Begegnung und Bildung. Öffentliche Bibliotheken stehen für kulturelle Bildung, selbstbestimmtes Lernen, demokratische Teilhabe und auch gesellschaftliche Integration.

Aber die Aufgaben wandeln sich. Durch Kooperationen mit anderen Einrichtungen kann der Wandel gestaltet werden. Solche dritten Orte geben den Kommunen die Möglichkeit, ihre Verantwortung für Kultur und Bildung mit Blick auf ihre spezifischen lokalen Bedürfnisse zu gestalten.

Übrigens haben wir letztes Jahr bei unserem Kulturausschussausflug nach Spanien in Bilbao ein solches Kulturzentrum gesehen. Wie wenig das in Deutschland durch die verschiedenen Zuständigkeiten möglich ist, ist eine andere Frage – aber dass sich so etwas zu Orten mit unterschiedlichen Funktionen entwickelt, ist meines Erachtens wichtig.

Zweitens: die Initiierung und Projektierung einer Landesspeicherbibliothek. Die gedruckten Bestände verlieren in den Bibliotheken mittlerweile an Bedeutung. Sie werden zu Begegnungsorten umgebaut, und dabei fallen klassischen Magazin- und Regalflächen weg. Seit unserem damaligen Antrag im Jahr 2010 sind nach Aussage der Bibliotheksstatistik in unserem Land über zehn Millionen Medieneinheiten in den Bibliotheken ausgeschieden worden.

Das ist ein Prozess, den man in einer kulturstaatlichen Verantwortung gestalten muss und nicht einfach passieren lassen kann. Unsere Lösung ist die Initiierung einer Landesspeicherbibliothek, in der die Medien auch physisch bewahrt und konserviert werden, die aber gleichzeitig die einzelne Bibliothek entlastet. Wie das funktioniert, kann man im Moment übrigens in der Schweiz im Kanton Luzern ganz gut beobachten, wo eine solche Speicherbibliothek für die gesamte Schweiz mit der Zielgröße von 14 Millionen Einheiten entsteht.

Drittens: Wissenschaftliche Bibliotheken gehören dazu. Lange Zeit gab es in Nordrhein-Westfalen mit Bonn, Köln, Münster und Aachen nur vier Hochschulbibliotheken. Inzwischen sind es über 30. Es liegt auf der Hand, dass diese Bibliotheken für die Informationsversorgung im Land ein ganz wichtiger Bestandteil sind. Deshalb muss man sie hier auch kulturpolitisch mit vorsehen und einbinden. Wir wollen das korrigieren und diesen engen Zusammenhang nicht durch die Zuständigkeit von zwei Ministerien aus dem Blick fallen lassen.

Viertens: Wir sprechen uns für ein Landesbibliothekszentrum als Dienstleister für alle Bibliotheken im Land aus. Das hat vor allen Dingen mit der Digitalisierung zu tun; denn die betrifft alle Bibliothekssparten und stellt unsere Bibliotheken vor eine große Herausforderung, die bewältigt werden muss. Dazu ist eine moderne Fachstellenarbeit notwendig. Ob man das an einer Fachstelle macht oder, wie wir es früher einmal vorgeschlagen hatten, an den zwei Einrichtungen der Landschaftsverbände, ist im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens noch zu analysieren und zu klären.

Ich denke, wir haben hier einen Impuls gesetzt, der die Lähmung bzw. Stagnation der Kulturpolitik in diesem Land aufbrechen kann, und ich freue mich auf die Beratungen. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Prof. Sternberg. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bialas das Wort.

Andreas Bialas (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann diese Vorlage nur begrüßen, denn eine Diskussion um ein Bibliotheksgesetz ist immer gut. Warum ist sie immer gut? – Weil die Diskussion um Bibliotheken immer gut ist. Da wir gerade über Lobbyarbeit gesprochen haben, möchte ich erwähnen, dass ich die freudige Nebentätigkeit ausübe, dem Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen als Präsident vorzustehen.

Bibliotheken sind schlicht und ergreifend demokratierelevant. Mir fällt kaum eine andere Kultursparte ein, die eine derartige Relevanz aufweist. Darum ist dieser Hort vom Wort für uns absolut unverzichtbar.

Zum Umgang damit: Beim letzten Mal – schließlich bringen Sie jetzt schon zum zweiten Mal den Entwurf eines Bibliotheksgesetzes ein – hatten wir uns darauf geeinigt, möglichst kein Spartengesetz, sondern ein allgemeines Kulturfördergesetz zu machen und dann zu schauen, inwieweit die Angelegenheiten für die Bibliotheken dort Berücksichtigung finden oder nicht. Darauf werden wir ganz genau schauen. Das ist in der Tat in § 10 geregelt. Dort geht es auch um die Frage, inwieweit Richtlinien weiterhin Regelungsbedarfe klarstellen oder nicht.

Natürlich wird es eine Diskussion darüber geben, ob die Richtlinien ausreichen oder ob es ein Gesetz werden muss. Dabei müssen wir natürlich aufpassen, welche Konkurrenzen es mit dem Kulturförderplan, den Archivgesetzen, dem Pflichtexemplargesetz, aber auch dem Hochschulfreiheitsgesetz gibt. Sie haben aber auch Ihr Bibliotheksgesetz bereits als Artikelgesetz angelegt.

Ich komme jetzt zu Ihrer Vorlage. Etliches daraus ist bereits bekannt. Es ist ein sehr gutes Zusammenführen der verschiedensten Aspekte. Es handelt sich um eine aktualisierte Vorlage, und es ist auch einiges Neue darin enthalten. Insoweit haben wir viel Stoff zur Diskussion – übrigens auch im Verband, den ich dazu nur herzlich einladen kann.

Einzelne Punkte möchte ich noch ansprechen. Die Aufhängung der zentralen Beratungsstellen ist für uns zunächst einmal geklärt.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Kosten. In Teil A sprechen Sie von Kostenneutralität, die natürlich nicht gegeben ist. In Teil B – schließlich muss man auch das Kleingedruckte lesen – stellen Sie mit einer Summe von 10 Millionen € an jährlicher Unterstützung statt der genannten 6 Millionen € wieder eine Untergrenze hinein, die nicht in Teil A steht. Ich habe große Sympathien dafür, aber natürlich sind wir auch der jährlichen Haushaltsführung unterworfen. Den kreativen Vorschlag, woher wir das Geld nehmen können, habe ich natürlich auch gelesen.

Darüber hinaus geht es natürlich wieder um die Frage, wo die Linie zwischen den staatlichen und den kirchlichen Bibliotheken verläuft. Bisher haben wir es an einem gewissen Qualitätsstandard festgemacht. Außerdem habe ich ein Stück weit Probleme damit, dass Nutzungsgelder oder auch Eintrittsgelder für öffentliche Bibliotheken gesetzlich geregelt werden sollen. Dieses, kann ich Ihnen sagen, möchten wir auf keinen Fall.

Interessant ist, wie gesagt, insbesondere das Zusammenführen der verschiedensten Aspekte, was auch eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Bibliotheksbereiche wie Uni, Schule, wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken deutlicher in den Fokus nimmt. Diese Kooperation wollen wir übrigens im Verband immer stärker forcieren.

Des Weiteren stellt sich dann die Frage, die Sie auch ansprechen: Wie sieht es aus mit Digitalisierungsprogrammen? Die werden wir im Kulturförderplan abbilden, natürlich auch für den Bereich der Bibliotheken. Wir werden zusehen, dass der Bibliotheksentwicklungsplan ebenfalls erarbeitet und auf den Weg gebracht wird, ohne dass dafür ein spezifisches Gesetz notwendig wäre.

Das heißt: In vielen inhaltlichen Ausrichtungen sind wir uns da sehr einig, und wir werden an der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit auch kontrovers diskutieren. Für uns ist nach wie vor die große Diskussion: Brauchen wir dafür ein eigenes Gesetz, das über die Regelungen, die wir an anderer Stelle treffen können, letztlich nur eine Art Strahlkraft entwickelt, oder nicht?

Ich freue mich auf die Diskussion. Sie wird mit Sicherheit spannend und fachlich wahrscheinlich sehr versiert geführt werden. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für diesen Antrag, der ja eine Überarbeitung des Antrags aus dem Jahr 2010 darstellt, Herr Kollege Sternberg. Ich finde es immer gut, wenn wir uns mit Kulturfragen befassen. Das tut das Parlament nicht so häufig, weil ja vieles vernünftig läuft und man nicht dauernd etwas thematisieren muss, was schon gut funktioniert.

Es ist also sinnvoll, etwas zu thematisieren, wenn man es verbessern will. Dazu machen Sie jetzt einen Vorschlag. In § 10 Kulturfördergesetz werden im Prinzip die wichtigsten Aussagen zur Bibliotheksförderung gemacht. Wir sind uns alle darüber einig, welche Bedeutung Bibliotheken haben. Sie haben das eben eindrucksvoll mit Zahlen belegt, die ich nicht noch einmal vortragen muss.

Bibliotheken sind nicht nur Orte der Weiterbildung, sondern auch Lernorte für die Jüngsten und Kleinen. Bibliotheken sind Orte der Unterhaltung; Orte, an denen sich man Dinge leihen, aber auch in Dinge hineinschauen kann. Bibliotheken sind häufig auch wichtige Medienanlaufstellen. Das heißt: Die Menschen können sich dort – weil das meiste auch digital angeboten wird – im Rahmen ihrer Digitaltechniken mit allem, was sie interessiert, versorgen; und das ist gut so. Es gibt Spezialbibliotheken zu den verschiedensten Bereichen, zum Beispiel in Düsseldorf eine Bibliothek mit einem großen Schwerpunkt auf Musik.

Wir wissen, dass unsere Städte und Gemeinden, die Bibliotheken unterhalten, gerade diese Einrichtungen besonders pflegen. Sie wissen, was sie an ihnen haben. Und die Menschen gehen gerne hin.

Bibliotheken sind aber auch interkulturelle Lernorte. Ich habe vor einiger Zeit ein sehr gutes Beispiel in Mönchengladbach-Rheydt besuchen können, wo Menschen verschiedenster Nationen zusammenkommen, um gemeinsam in den Bibliotheken zu arbeiten, zusammenzusitzen, Erfahrungen zu sammeln und sich auszutauschen. Die Bibliothek ist also auch ein Ort des Austauschs, ein Ort für Treffen. Da kann man sich gemeinsam weiterbilden und gemeinsame Erfahrungen machen.

Ihr Vorstoß ist gut und interessant, aber ich glaube, dass wir uns darüber noch einmal im Detail unterhalten müssen. Das werden wir im Ausschuss tun. Wir stimmen dieser Überweisung also zu.

Ich will Ihnen aber einen Punkt mit auf den Weg geben, dessen Regelung ich leider Gottes eher in Berlin als bei uns im Landtag von Nordrhein-Westfalen verortet sehe, und zwar das Thema „Sonntagsöffnung der Bibliotheken“. Jetzt steht hier jemand vor Ihnen, der jahrelang in diesem Hohen Hause dafür geworben hat, sonntags möglichst viele Einrichtungen geschlossen zu halten.

Ich bin ein großer Freund des stillen Sonntags, also des Sonntags als Tag der Unterbrechung vom Üblichen. Vor diesem Hintergrund haben wir Grüne im Landtag von Nordrhein-Westfalen immer die Öffnung von Videotheken an Sonntagen abgelehnt, weil wir gesagt haben: Dieses kommerzielle Zeug muss nicht noch sonntags dort verkauft, vertrieben oder verliehen werden. Das kann man auch samstags leihen; dann hat man für den Sonntag alles, was man braucht.

Bei Bibliotheken ist das jedoch etwas anders: Im Unterschied zu den Ausleihvideotheken geht man in die Bibliotheken, um sich dort mit Medien zu befassen – manchmal auch, um sie zu leihen, aber eben auch, um darin zu blättern und zu studieren.

Ich stelle mir vor, dass wir eine Initiative in Berlin erleben – vielleicht angetrieben von der CDU als großem Koalitionspartner dort –, mit der man endlich die nachmittägliche Sonntagsöffnung der Bibliotheken – sodass keine Konkurrenz zu den kirchlichen Veranstaltungen am Vormittag entsteht – vorantreibt. Dies ist rechtlich nicht auf Landesebene zu regeln.

Aber, Herr Sternberg – Sie haben eben schon die Enquetekommission und die Bundestagsaktivitäten zur Kultur erwähnt –, das wäre doch etwas, wo sich der Bundestag relativ schnell zu einer Entscheidung durchringen könnte. Es würde zum Beispiel unserer Mönchengladbacher Bibliothek, von der ich vorhin sprach, technisch enorm weiterhelfen, wenn das erlaubt wäre und wenn man dort das offiziell machen könnte, was man zum Teil schon jetzt den Bürgerinnen und Bürgern inoffiziell anbietet.

Also: Es gibt viel zu diskutieren. Ergreifen Sie die Initiative in Berlin, wo Sie Macht und Einfluss haben. Nutzen Sie die Gelegenheit, um für alle in Nordrhein-Westfalen etwas zu tun, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Sonntagnachmittag für die Bibliotheken. So wie am Sonntag die Museen geöffnet sind oder Theater gespielt wird, sollten es auch die Bibliotheken am Sonntagnachmittag und Sonntagabend – wie auch immer es die Zeitkontingente der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hergeben – den Menschen ermöglichen, diese Orte der Kultur, diese Lernorte aufsuchen zu können. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Ich danke Ihnen, Herr Kollege Keymis, und erteile für die FDP-Fraktion Frau Kollegin Schmitz das Wort.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor beinahe anderthalb Jahren haben wir an dieser Stelle über das Kulturfördergesetz debattiert. Die FDP-Fraktion war seinerzeit skeptisch und sieht sich in dieser Skepsis bestätigt. Denn das Kulturfördergesetz hat bei allem guten Willen und möglicherweise noblen Absichten nicht zur Stärkung der kulturellen Vielfalt und des kulturellen Erbes in Nordrhein-Westfalen beigetragen.

Vielmehr ist es eine eher administrativ-bürokratische Hülle geblieben, von der kein wirklicher Impuls für Kunst und Kultur in unserem Land ausgegangen ist. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die von der rot-grünen Regierungskoalition vorgenommene massive Kürzung der Kulturfördermittel im Haushalt 2013 sowie die faktische Einstellung der Denkmalförderung bis heute nicht ansatzweise kompensiert worden sind.

Das Kulturfördergesetz ist somit ein Stück weit zu einer leeren Hülle verkommen; denn es hilft der Kulturlandschaft und den Kulturschaffenden in Nordrhein-Westfalen nicht, theoretische Fördermodalitäten zu kennen, wenn kein Geld für ebendiese Förderung vorhanden ist.

Eine ähnliche Befürchtung habe ich bei einem Landesbibliothekengesetz. Dass wir dabei noch einmal gesondert über ein Bibliotheksgesetz sprechen würden, wurde bereits aus den Redebeiträgen zum Kulturfördergesetz deutlich.

Die FDP-Fraktion steht diesem gesetzgeberischen Impuls durchaus wohlwollend gegenüber; denn er würde einen Prozess weiterbringen, den die CDU/FDP-geführte Regierung bereits vor fast zehn Jahren angestoßen hatte. Dieser Prozess hatte nicht nur eine massive Aufstockung der von Rot-Grün seinerzeit doch eher kläglich bemessenen Bibliotheksförderung beinhaltet, sondern eben auch einen umfangreichen Bestands- und Entwicklungsbericht, den wir veranlasst hatten.

Auf dieser Grundlage wäre ein Bibliotheksgesetz, das den zahlreichen wichtigen Kultureinrichtungen Planungssicherheit gibt, die folgerichtige Maßnahme. Die rot-grün-geführte Landesregierung hat auf diese Maßnahme dann allerdings zugunsten des Kulturfördergesetzes verzichtet. Herr Bialas, Sie haben es gesagt: Es wurde ein allgemeines Kulturfördergesetz geschaffen; man hat auf ein Spartengesetz verzichtet.

Daraus hat sich jedoch das Problem ergeben, dass der Großteil der Kultur über einen Kamm geschoren wurde. Eine Bibliothek ist nun einmal kein Theater, und ein Museum ist kein Kino. Die spezifischen Ansprüche und Besonderheiten verschiedener Kultursparten können in einem solchen Gesetz gar nicht berücksichtigt werden; da will ich SPD und Grünen noch nicht einmal groß einen Vorwurf machen.

Dennoch ist es bemerkenswert, dass einige wichtige Fragen zur Struktur und zur Entwicklung von Bibliotheken im Kulturfördergesetz ausgeklammert sind. Der CDU-Antrag nennt – wie schon umfassend ausgeführt – zu Recht Themen wie etwa private Einrichtungen und die allgegenwärtige Digitalisierung.

Ob das hier nun vorgelegte Bibliotheksgesetz allerdings tatsächlich sichere Weichen für die Zukunft stellt, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen; ich hatte eingangs darauf hingewiesen. Auf den Punkt brachte es der Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich in seiner Rede beim Bibliothekskongress Leipzig im Jahr 2013:

„Wenn kein Geld da ist, kann man sich kein Bibliotheksgesetz leisten. Wenn Geld da ist, braucht man kein Bibliotheksgesetz.“

Dass bei SPD und Grünen kein Geld für Kultur vorhanden ist, haben die Regierungsfraktionen leider hinlänglich bewiesen. Die FDP-Fraktion gibt jedoch die Hoffnung nicht auf, dass die Koalition doch noch ihr Herz für die Kultur entdeckt. Dann könnte sich aus dieser hier vorgelegten Initiative ein für uns und für die Kultur in Nordrhein-Westfalen fruchtbarer und gewinnbringender Prozess entwickeln. Daher bin ich schon auf die weiteren Beratungen mit Ihnen, aber auch mit den einschlägigen Experten und Vertretern des nordrhein-westfälischen Bibliothekwesens gespannt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitz. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Lamla das Wort.

Lukas Lamla (PIRATEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren hier im Saal, auf der Tribüne und zu Hause! Ich bin erst seit 2012 im Landtag. Diese Diskussion ist aber schon um einiges älter; das hörten wir eben. Der erste Entwurf eines Bibliotheksgesetzes wurde von der CDU im Jahre 2010 eingebracht, und damals wurde darüber diskutiert. Einige Bestandteile dieser Idee fanden auch im rot-grünen Kulturfördergesetz Einzug.

Offensichtlich hat das Ganze aber nicht ausgereicht; denn in der großen Anhörung zum Kulturfördergesetz wurde der Wunsch nach einem eigenen Bibliotheksgesetz seitens der einschlägigen Verbände geäußert. Das ist vermutlich auch einer der Gründe für den erneuten Aufschlag der CDU-Fraktion zu einem neuen Bibliotheksgesetz auf Landesebene. Ich bin mir sicher, wir werden darüber ausführlich im Ausschuss beraten.

Was ich an dem vorliegenden aktuellen Entwurf sehr interessant finde, ist die Anerkennung der sogenannten Dritten Orte als Teil des Aufgabenspektrums der Bibliotheken in NRW. Herr Prof. Sternberg, Sie haben scheinbar sehr genau zugehört, als wir Anfang des letzten Jahres Vertreter der Hackerspaces und Makerspaces im Ausschuss hatten, die diese Dritten Orte als einschlägige wichtige Faktoren einer kulturellen Infrastruktur von morgen betrachteten.

Es gibt bereits Bibliotheken, die sich mit dem Thema „Makerspace“ beschäftigen; in NRW ist das zum Beispiel in Köln der Fall. Sie erwähnten auch unseren Besuch in Bilbao und San Sebastián. Am Beispiel von Tabakalera sieht man, was passieren kann, wenn man diese verschiedenen und für sich eigenständigen Einrichtungen und Gruppen unter ein Dach bringt. Man erkennt, welche positiven Effekte ausgelöst, welche Innovationen und welch großartige Räume entstehen können.

Auch in NRW gibt es so etwas, wenn auch in kleinerer Form. Die Stadtbibliothek in meiner Heimatstadt Neuss hat im letzten Jahr die sogenannte Spiel-Unke eingeführt. Das ist ein Raum innerhalb der Stadtbibliothek, in dem Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, Videospiele unter Anleitung, alleine oder in Gruppen ausprobieren können. Das ist wirklich großartig. Häufig werden dort nach der Schule Hausaufgaben gemacht. Danach spielt man in der Gruppe zusammen Videospiele. Dort entstehen wirklich spannende Konzepte.

Die Diskussion um die explizite Förderung dieser innovativen Projekte und Ideen wird im Ausschuss vielleicht auch ein bisschen mehr Raum gewinnen. Darüber würde ich mich persönlich sehr freuen.

Ich möchte jedoch anmerken, dass es im Sinne der Dritten Räume eventuell besser wäre, die Förderung im Kulturfördergesetz zu verankern, nicht nur bei den Bibliotheken. Aber darüber müssen wir, wie gesagt, noch beraten. Wir müssen uns grundsätzlich über die verstärkte finanzielle Förderung von Bibliotheken unterhalten. Das steht nun einmal auch mit dem Kulturförderplan in Verbindung. Wir müssen darüber reden, dass die Bibliotheken mit mehr Geld ausgestattet werden müssen, um ihre Aufgaben in Zeiten der Zuwanderung und im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts zufriedenstellend erfüllen zu können.

Ich möchte betonen, dass es heute mehr denn je nötig ist, der Kulturförderung einen neuen Stellenwert zu geben. Sie ist nicht nur ein schönes Extra im Etat, sondern sie ist zugleich Teil der unglaublich wichtigen Prävention im Zusammenhang mit der Gewalt, dem Hass und auch der Angst, die derzeit im Land und im Bund um sich greifen. Der Möglichkeitsraum Kultur muss jenseits der verschärften tagespolitischen Debatten stärker zum Platz der Menschlichkeit werden. Dabei, meine Damen und Herren, ist es egal, ob wir aus Detmold oder aus Damaskus kommen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Lamla. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Kampmann das Wort.

Christina Kampmann, Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP beschränkt sich mal wieder darauf, zu sagen, was sie alles nicht will, ohne Vorstellungen darüber einzubringen, wie sie sich die Bibliotheksförderung in Nordrhein-Westfalen eigentlich vorstellt.

Ich finde, es reicht nicht, nur auf finanzielle Aspekte zu verweisen, sondern ich hätte mir auch Ideen dazu gewünscht, wie Sie sich die Bibliothek als Raum der Zukunft vorstellen, liebe Frau Schmitz.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Wir sind der Meinung, dass Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen zur kulturellen Grundversorgung dieses Landes gehören, weil sie die am meisten besuchten kulturellen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind.

Bibliotheken stehen für eine „Kultur für alle“ wie keine andere Kultureinrichtung, und – davon bin ich überzeugt; das klang auch gerade schon an – sie werden in Zukunft mit Sicherheit noch wichtiger werden. In einer Gesellschaft, in der Kultur und Bildung mehr denn je zu den zentralen Ressourcen gehören, brauchen wir umso leistungsfähigere und umso modernere Bibliotheken. Deshalb unterstützen wir Bibliotheken dabei, sie zu multimedialen Kommunikationszentren zu entwickeln.

Was Bibliotheken für eine Gesellschaft im Digitalisierungsprozess leisten können, das zeigt in Nordrhein-Westfalen auf eine sehr beeindruckende Art und Weise zum Beispiel die Kölner Stadtbibliothek, die 2015 zu Recht zur Bibliothek des Jahres gekürt worden ist. Hier findet man neben dem Bücherregal den 3D-Drucker und die Virtual-Reality-Brille. Bibliotheken sind so ein offener Raum für Begegnungen mit Literatur und mit anderen Menschen. Sie sind ein öffentlicher Raum für Wissen zum Anfassen, fürs Mitmachen und Mitgestalten, für neue Ideen und für neue Potenziale.

Die Landesregierung sieht die Bibliothek als einen Ort der Zukunft. „Ein Ort, an dem ich Anschluss an das Leben bekomme“, – das hat Gert Scobel als Laudatio auf die Bibliothek des Jahres 2015 gesagt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die reiche und vielfältige Bibliothekslandschaft in unserem Land – ich glaube, darin sind wir uns alle einig – muss natürlich erhalten bleiben, und wir müssen sie vor allem weiterentwickeln. In NRW wird deshalb schon seit längerer Zeit – auch das ist heute an verschiedensten Stellen schon angeklungen – über die Notwendigkeit eines Bibliotheksgesetzes gesprochen.

Weil Kulturpolitik eben auch in dieser Legislaturperiode etwas gilt, Herr Prof. Sternberg, geht Nordrhein-Westfalen an dieser Stelle einen anderen Weg. Wir haben als erstes Bundesland statt einzelner Spartengesetze ein umfassendes Kulturfördergesetz entwickelt. In diesem Kulturfördergesetz haben die öffentlichen Bibliotheken einen hohen Stellenwert. Die detaillierte Ausgestaltung der Regelungen erfolgt deshalb nicht im Gesetz selbst, sondern durch Förderrichtlinien. Diese Richtlinien für die Bibliotheksförderung werden derzeit erarbeitet. Das Ganze wird zudem durch einen Kulturförderplan geregelt. Auch hier soll die Bibliotheksförderung einen sehr hohen Stellenwert erhalten.

Für die öffentlichen Bibliotheken haben wir mit dem Kulturfördergesetz – davon bin ich zutiefst überzeugt – eine gute und ausreichende gesetzliche Grundlage geschaffen. Vor allem haben wir mit dem Kulturfördergesetz eine moderne und zukunftsorientierte Ausrichtung der Bibliotheken zugrunde gelegt.

Das ist etwas, was man von dem Bibliotheksbild in Ihrem Entwurf nicht unbedingt behaupten kann, liebe CDU. Wir sind uns sicherlich alle einig – der Kollege Keymis hat es eben auch noch mal gesagt –: Bibliotheken werden immer mehr zum gemeinsamen Treffpunkt, zu Kommunikationszentren. Das wird in dem Gesetzentwurf zwar auch als Ziel beschrieben, aber der Weg dahin fehlt. Deshalb, lieber Herr Lamla, finde ich, dass die Anerkennung, dass es denn so sein soll, eben nicht notwendig und nicht ausreichend ist, wenn der Weg dahin nicht aufgezeigt wird. Auch das hätte in diesen Gesetzentwurf gehört.

Darin finden die Herausforderungen der Digitalisierung, die diese gerade für die öffentlichen Bibliotheken bedeuten, kaum einen Niederschlag. Diese Herausforderungen beschränken sich eben nicht auf die Digitalisierung analoger Werke und die Langzeitarchivierung, sondern sie erfordern eine ganz neue Ausrichtung der Bibliotheken. So ist zum Beispiel das einzig Neue im gesamten § 5 Ihres Gesetzentwurfs die Nennung der Lippischen Landesbibliothek, die auch ohne gesetzliche Regelung schon immer erhebliche Landesmittel für ihre Aufgaben erhalten hat.

Mit § 6 soll das Hochschulbibliothekszentrum in ein Landesbibliothekszentrum umgewandelt werden, dem die Fachstelle für öffentliche Bibliotheken angeschlossen werden soll. Nachdem genau diese Organisation unter der schwarz-gelben Regierung eben nicht gelungen ist, haben wir jetzt mit der zentralen Fachstelle bei der Bezirksregierung Düsseldorf, die im Kulturfördergesetz geregelt ist, eine sehr gute Lösung geschaffen.

Lassen Sie mich kurz zusammenfassen. Wir haben ein gemeinsames Ziel: Wir möchten die Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen stärken und für die Zukunft ausrichten; aber wir haben offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie das zu regeln und zu erreichen ist. Während wir Bibliotheken als Räume der Zukunft begreifen, lässt Ihr Entwurf neue Impulse vermissen und eben keine durchgreifenden Verbesserungen erkennen. Deshalb sollten wir jetzt erst einmal das Kulturfördergesetz konkret umsetzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir damit einen guten Rahmen gesetzt haben und auf einem sehr guten Weg sind. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/11436 an den Ausschuss für Kultur und Medien – federführend –, an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend, an den Ausschuss für Kommunalpolitik, an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung, an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Kann ich nicht erkennen. Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

8   Pluralität und Meinungsbildung der Elternverbände in der Schullandschaft respektieren – Partizipationsmöglichkeiten der Elternvertretungen vor Ort stärken

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11418

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die antragstellende FDP-Fraktion Frau Kollegin Gebauer das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Yvonne Gebauer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines vorweg sagen: Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass am vergangenen Dienstag – dem Tag der gemeinsamen Pressekonferenz der verschiedenen Landeselternschaften und des Einbringens unseres Antrags – Rot-Grün zu einem Treffen der kommunalen Pfleg-schaften für den 6. April 2014 eingeladen hat.

Ich gehe davon aus, dass dieses Treffen schon weit vor dem Bekanntwerden der gemeinsamen Pressekonferenz und des massiven Widerstandes gegenüber dieser durchgewählten Landeselternschaft geplant gewesen ist, und man in den diversen Gesprächen, zu denen Rot-Grün eingeladen hat, schlicht und ergreifend vergessen hat, dieses Treffen zu erwähnen. Wäre ich jetzt Französin, würde ich sagen: Honi soit qui mal y pense.

Ich komme auf unseren Antrag zu sprechen und möchte kurz erklären, worum es geht. Bereits heute sind die Elternverbände schulgesetzlich in die Verbändebeteiligung eingebunden. Sie bewerten Entwürfe geplanter rechtlicher Änderungen, und sie äußern sich zu den Gesetzentwürfen.

Wenn es aber nach dem Willen von Rot-Grün gehen soll, soll es diese vielfältigen fachlichen Hinweise zukünftig nicht mehr geben. Laut Pressemitteilung will die SPD nun eine Elternvertretung auf – ich zitiere – demokratischer Basis etablieren. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich empfinde eine solche Aussage als einen ungeheuerlichen Affront gegenüber den vielen engagierten Eltern, die wir hier im Land Nordrhein-Westfalen haben.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Die generelle Vereinigungsfreiheit ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Anscheinend hört das Demokratieverständnis der SPD bei den Gewerkschaften auf.

Elternvertretungen auf demokratischer Basis etablieren zu wollen, heißt nämlich im Umkehrschluss nichts anderes, als dass diese Elternvertretungen Ihrer Meinung nach bisher undemokratisch und illegitim gearbeitet haben. Das widerspricht jedem demokratischen Grundverständnis.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Ich möchte aber wegkommen vom Aspekt der Demokratie und mich hin zur Praxis wenden. Neben der Möglichkeit der politischen Einflussnahme – und dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, wenn hier von „Planstellen“ oder sogar von „Sitzungsgeldern“ gesprochen wird – durch dann nur eine Person halten wir eine Einheitsvertretung insbesondere auch aus fachlichen Gründen für falsch.

Die jeweiligen Elternverbände bringen nämlich eine sehr hohe Fachkompetenz ein. Diese an den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder ausgerichtete Kompetenz würde schlicht und ergreifend verloren gehen, bzw. sie käme nicht mehr zum Tragen. Diese wichtige Kompetenz ist jedoch auch für unser politisches Handeln wichtig.

Ich möchte Ihnen gerne sagen, was der Vertreter der Katholischen Elternschaft in der Pressekonferenz vom vergangenen Dienstag geäußert hat. Er hat gesagt, dass auf seine Frage an Sie, Frau Beer, und an Sie, Frau Hendricks, ob es zukünftig nur noch eine Stellungnahme geben würde bzw. nur noch eine Stellungnahme abgegeben werden solle, Ihre Antwort ein klares Ja gewesen sei.

Angesichts dieser Äußerung kann ich nun überhaupt keine besseren Mitwirkungsmöglichkeiten erkennen. Im Gegensatz zu dem, was immer suggeriert wird, sollen vielmehr die bisherigen Beteiligungen massiv eingeschränkt werden. Das ist keine Politik des Einladens, wie immer verkündet wird – ganz im Gegenteil, das ist ein Ausladen unliebsamer Gäste.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Im Gegensatz zu Rot-Grün will die FDP-Fraktion die beratende Funktion von Elternvertretungen in den kommunalen Ausschüssen verbindlicher fassen. Den Eltern soll nicht, wie zum Beispiel in der Heimatstadt unserer Schulministerin, Solingen, eine weitere beratende Beteiligung verweigert werden. Gerade vor Ort ist eine gesicherte Einbindung der Betroffenen dringend geboten.

Deshalb lautet unsere Forderung, die Forderung der FDP-Fraktion, heute an Rot-Grün: Stärken Sie die Elternvertretungen auf kommunaler Ebene, und nehmen Sie Abstand von einer durchgewählten Landeselternschaft. Nehmen Sie Abstand von einem gezielten Angriff auf die Meinungsvielfalt und von einer massiven Einschränkung von Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Gebauer. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Hendricks das Wort.

Renate Hendricks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Gebauer, mit Ihrem Antrag greifen Sie in der Tat ein Thema auf, das Rot-Grün am Herzen liegt. Sowohl meine Kollegin Beer als auch ich sind lange Jahre in unterschiedlichen Funktionen in der Elternvertretung Nordrhein-Westfalens – und ich auch auf der Bundesebene – unterwegs gewesen. Wir wissen, was landesweite Elternvertretung bedeutet. Wir wissen, wie man sie organisiert. Wir wissen, wie man sich Gehör verschafft. Wir wissen aber auch um alle Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.

Uns geht es – anders, als Sie es in Ihrem Antrag darstellen – nicht darum, die Pluralität der Verbände einzuschränken. Nein, wir wollen den Eltern an der Basis von Nordrhein-Westfalen eine gewichtige Stimme gegenüber dem Landtag und dem Ministerium verschaffen – eine Stimme, die nicht Lobbyismus ist, sondern die abgestimmte Interessen von Eltern an die Landesregierung und an den Landtag heranträgt, und das übrigens so, wie in 14 anderen Bundesländern auch, in denen es eine durchgewählte Landeselternvertretung gibt.

Das hat auch in der Anhörung hier im Landtag die damalige Vorsitzende des Landeselternbeirats Baden-Württemberg sehr deutlich gemacht. Sie hat gesagt: Es geht in Baden-Württemberg nicht um Schulformen und nicht um Interessenkonflikte, sondern um Bildungsfragen, die alle Eltern gemeinsam berühren. Es geht darum, zu gemeinsamen Positionen zu kommen.

Eine gemeinsame Elternposition ist übrigens für die Politik und für das MSW viel weniger zu übersehen als die Vielzahl von Positionen, die uns derzeit erreichen. Die Meinungsvielfalt der Verbände führt zwar zu pluralen Stellungnahmen, aber nicht zu eindeutigen Positionierungen.

Uns geht es nicht darum, ob ein einzelner Verband ordentlich demokratisch legitimiert ist. Die Verbände haben ihre eigenen demokratischen Strukturen. Uns geht es um eine basisdemokratisch legitimierte Elternvertretung. Wir wollen den Eltern der Schulen die Möglichkeit geben, bis auf die Landesebene herauf ihre Interessen zu vertreten.

Frau Gebauer, im Kitabereich sind wir gerade dabei, eine derartige Landeselternvertretung aufzubauen. Ich habe mir noch einmal die Stellungnahmen angesehen, die in diesem Bereich auch von der Opposition gekommen sind. Es gab keine Stellungnahmen, in denen sich dagegen ausgesprochen wurde. Genau im Kitabereich funktioniert das zurzeit ganz gut.

Ja, Frau Gebauer, es ist richtig: Für den 6. April 2016 haben wir zu einem Treffen eingeladen. Dieses Treffen ist bereits lange vorher angekündigt gewesen. Dazu brauchte es auch nicht die Anregung der Opposition, weil wir in unserem Tun durchaus selbstständig sind.

Aber, Frau Gebauer, Sie haben darauf hingewiesen, wie gut die Stadtschulpflegschaften vor Ort arbeiten. – Ich kann Ihnen nur sagen: Ja, genau, das stimmt. Ich war 15 Jahre lang Vorsitzende der Stadtschulpflegschaft Bonn, und ich weiß, was die Stadtschulpflegschaft an guter basisdemokratischer Arbeit auch in der Vertretung im Schulausschuss praktiziert. Genau diese Stadtschulpflegschaft, genau dieses Portfolio der dort arbeitenden Eltern würden wir gerne auf die Landesebene übertragen. Es geht also darum, die bereits auf kommunaler Ebene gut verankerten Strukturen auf die Landesebene zu ziehen.

Sie haben also recht, dass wir im Zuge einer landesweiten gemeinsamen Elternvertretung die Stadt- und Kreisschulpflegschaften werden unterstützen müssen. An der Stelle sind wir völlig einig.

Dennoch ist festzustellen, dass die seit 2004 bestehenden Möglichkeiten der Stadtelternräte längst nicht in allen Kommunen praktiziert werden. Heute bestehen in NRW große Unterschiede in der Schlagkraft der Verbände, in ihren Unterstützungs- und Informationsmöglichkeiten und auch in ihren Strukturen. Die Eltern sind privatrechtlich organisiert, und die Unterschiedlichkeit und die Ungerechtigkeit, die sich aufgrund von strukturellen Voraussetzungen ergeben, nehmen wir als Politik bisher billigend in Kauf.

Es müsste also durch ein Gesetz die Möglichkeit geschaffen werden, die Infrastruktur für die Eltern zu verbessern, die Stadtschulpflegschaften als Portfolio zu nehmen und damit zukünftig auf Landesebene Eltern stärker die Möglichkeit zu geben, sich tatsächlich basisdemokratisch zu organisieren, nach Schulform und schulformübergreifend zu agieren und gleichzeitig all den Verbänden, die wir heute haben, die Mitsprachemöglichkeit nicht zu nehmen. Das ist unser Ziel. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Kollegin Hendricks. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kaiser.

Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion ist der FDP-Fraktion dankbar, dass sie diesen Antrag gestellt hat. Wir hätten das Thema sogar gerne in einer Aktuellen Stunde erörtert. Denn hier wird angesprochen, dass die rot-grüne Landesregierung einen massiven Angriff auf die Rechte der Elternverbände in Nordrhein-Westfalen plant.

(Beifall von der CDU)

Denn es bedarf schon großer Naivität, zu glauben, das Ziel dieses Vorhabens einer einheitlich durchgewählten Landeselternvertretung sei, die Schlagkraft der Elternvertretungen zu erhöhen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn wir haben in der letzten Anhörung erfahren, dass die Elternvertretungen in großen Teilen mit der Bildungspolitik dieser Landesregierung in keiner Weise mehr einverstanden sind. Unterrichtsausfall, mangelhafte Umsetzung der Inklusion, die Flüchtlingsbeschulung, die Lehrerversorgung, die Inhalte, all das sind Themen, mit denen sich die Elternverbände befassen und an denen sie starke Kritik üben.

Wenn es nur noch eine Vertretung gibt, gibt es auch höchstens eine kritische Stimme. Deshalb steht hinter den Plänen der Landesregierung die einfache Absicht, die Vielstimmigkeit und Vehemenz der Kritik der Elternvertretungen aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Bei den Plänen der Landesregierung geht es, einfach ausgedrückt, nicht darum, die Schlagkraft der Elternverbände zu erhöhen, sondern die andauernde Kritik an der rot-grünen Bildungspolitik durch die Elternverbände einzudämmen. Hier geht es nicht um die Verbesserung der Elterninteressen, sondern um das Durchregieren von Rot-Grün in der Bildungspolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Aber wenn wir uns ernsthaft mit dem Ansatz dieser Intention befassen, fragen wir uns doch einfach mal: Ist dieser Ansatz überhaupt modern? – Wir sind der festen Überzeugung, dass dieser Ansatz ein formaler und, wenn man die Rede von Frau Hendricks gehört hat, ein sehr formaler, im eigentlichen Sinne aber auch ein bürokratischer und – nach der Rede von Frau Hendricks – ein überaus bürokratischer Ansatz ist.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Denn diese Landesregierung denkt in Gremien und Institutionen. Hier geht es nicht um die einzelne selbstständige Schule oder um die unterschiedlichen Schulformen. Nein, hier werden alle Schulen über einen Kamm geschert.

Wenn wir die demokratischen Entwicklungen der neuesten Zeit wie etwa die Flüchtlingsbetreuung betrachten, sehen wir, was in der Zivilgesellschaft an bürgerschaftlichem und freiwilligem Engagement stattfindet. In dieser Tradition stehen die verschiedenen Elternverbände, die Beratung und Unterstützung für die einzelne Schule organisieren.

Dieses Engagement soll nun ausgebremst werden. Die Elternverbände haben das pressemäßig entsprechend dargestellt. Für mich ist es unglaublich, dass die Partei der Grünen, die einmal durch basisdemokratische Ansätze groß geworden ist, hier in plumpes Funktionärsdenken abgleitet. Selbstständige Schule und freie und nicht zwangsorganisierte Eltern und Elternverbände gehören zusammen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Hendricks?

Klaus Kaiser (CDU): Ja, natürlich.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das habe ich mir gedacht. – Bitte, Frau Hendricks.

Renate Hendricks (SPD): Herr Kaiser, Sie haben gerade darauf Bezug genommen, dass die Elternverbände Stellung genommen haben. Die Elternverbände sind das nicht gewesen. Vielleicht sind Sie so lieb, uns zu sagen, welche Elternverbände es gewesen sind. Denn nach meinem Kenntnisstand waren das bis auf einen Elternverband Elternverbände, die nicht nach Schulform organisiert sind.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Klaus Kaiser (CDU): Es gibt insgesamt 16 Elternverbände, wenn ich das richtig im Kopf habe. Es geht darum, ob sich die Elternverbände auf Dauer plural äußern können. Die Zahl ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass sie ihre verschiedenen Interessen auch unterschiedlich formulieren können. Genau das soll beschnitten werden.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf: Nein!)

Die CDU sieht in der Vielzahl der Elternverbände eine Chance und einen konstitutiven Bestandteil unseres vielfältigen Schulsystems. Eines wollen wir sicherlich nicht: eine einheitliche Funktionärsmeinung in der Elternschaft

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

und ein Einheitsschulsystem. Das ist eben nicht unser Interesse.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Es geht um Vielfalt statt um Funktionärstum und Gremienorientiertheit.

Wer die Presseäußerung der SPD-Vertreter zum Thema verfolgt, weiß, dass die Überschrift, die angeblich die Elternvertretung stärken will, das genaue Gegenteil von dem ausdrückt, was dabei herauskommen wird.

Rot-Grün sollte sich noch einmal folgenden Satz aus dem Koalitionsvertrag 2012 vor Augen führen – ich zitiere –:

„SPD und Grüne denken Bildung nicht von der Institution, sondern von Kindern und Jugendlichen, dem Menschen aus.“

Bezogen auf die Pläne zur geplanten Elternvertretung heißt das, die rot-grünen Pläne zur Schwächung der Elternvertretung gehören vom Tisch. Sie schwächen die Eltern.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Moderne Bildungspolitik braucht aber eine starke, vielfältige und auch vielstimmige Elternbeteiligung. Und an einer stärkeren Beteiligung – die auch im FDP-Antrag angesprochen wird – sind wir immer interessiert; wir unterstützen diese.

Deshalb: Vielfalt und Vielstimmigkeit tun unseren Schulen gut. Das, was Sie vorhaben, wird unseren Schulen nicht guttun. – Herzlichen Dank.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kaiser. – Die grüne Fraktion wird nun von Frau Kollegin Beer vertreten.

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wetter ist viel zu gut, meine Laune ist viel zu gut,

(Vereinzelt Heiterkeit – Klaus Kaiser [CDU]: Meine auch!)

und deswegen – ja, genau, Herr Kollege Kaiser – werde ich auf die Unterstellung von Motiven überhaupt nicht eingehen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will mich freuen, dass auch die Fraktion der FDP eben in der Obleuterunde meinem Anliegen zugestimmt hat, dass wir eine Anhörung dazu durchführen. Dann wird es vielleicht auch deutlicher werden, wie differenziert die Lage in Nordrhein-Westfalen ist und dass es überhaupt nicht zuträglich ist, was hier an Polarisierung – und das ist interessant – in der Orchestrierung durch einen Lehrerverband produziert worden ist.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen einmal ein bisschen aus unserem Gespräch und der Veranstaltung zu der ersten Einladung der schulformbezogenen Elternverbände erzählen. Wir hatten ganz bewusst die Katholische Elternschaft Deutschlands auch dazu eingeladen, weil wir gesagt haben: „Wir suchen nach einem Modell. Wir möchten mit ihnen darüber reden, wie eine Konstruktion aussehen könnte, damit auch die Ersatzschulen und die Schulen der freien Träger mitberücksichtigt sind. Wie können wir das eigentlich erreichen?“ Und wir hatten dazu auch Elternvertreter aus anderen Bundesländern – aus Baden-Württemberg und aus Niedersachsen – eingeladen.

Das Interessante ist – wenn man sich das Ergebnis des Vortrags angehört hat, hat man dies erfahren; das werden wir dann noch einmal gemeinsam erleben, Herr Kaiser –,

(Zuruf von Klaus Kaiser [CDU])

dass sie erklärt haben: Das ist eine starke Stimme. Wir können schulformübergreifend und schulformbezogen die Anliegen der Eltern mit einer Stimme deutlich machen. Das ist kein Einheitsvotum, das ist kein undifferenziertes Votum, sondern das stärkt die Eltern.

Dass wir in Nordrhein-Westfalen die Eltern stärken wollen, haben wir eigentlich gleich 2010 sehr deutlich gemacht, indem wir nämlich die Drittelparität in den Schulkonferenzen wiederhergestellt haben,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

sodass Eltern sowie Schülerinnen und Schüler ihre Stimme dann auch erheben können, und zwar vor Ort. Dieses Prinzip möchten wir gerne fortsetzen.

Ich glaube, man kann, wenn man mit den Stadtschulpflegschaften ins Gespräch kommt, sehr deutlich vernehmen, dass es auch dort gelingt, auf der einen Seite schulformbezogene Aspekte sehr stark zu betonen und auf der anderen Seite den Dingen aus der Elternperspektive wirklich Gewicht zu verleihen.

Und, Herr Kollege Kaiser, ich will auch noch darauf verweisen – Frau Hendricks hat es schon angedeutet –: Wir beide gehören zu denjenigen, die die Stadtschulpflegschaften hier im Land, die Landeselternkonferenz mit befördert, ins Leben gerufen haben. Da kann man nun wirklich nicht sagen, dass das ein unkritischer Elternverband gegenüber jeglicher Landesregierung wäre. Meine Güte, das ist doch Realitätsverweigerung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Also: Hier ist versucht worden, eine ganze Menge subversiv zu erzählen – leider hat das keine Substanz. Daher lässt mich das jetzt erst einmal sehr ruhig bleiben; außerdem wollen wir das ja in der Anhörung noch einmal miteinander entfalten.

Natürlich gehört dazu auch, dass privatrechtliche Vereine privatrechtliche Vereine sind. Die können arbeiten, und die können Stellungnahmen abgeben. Aber natürlich! Das wird in keinster Weise beschnitten. Ich bin selber sieben Jahre lang Vorsitzende eines solchen Elternvereins gewesen, nämlich des Landeselternrats der Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen. Natürlich werden Eltern aus ihrer Perspektive da auch weiterhin ihr Votum abgeben.

Aber ob wir die Eltern institutionell stärken können, indem wir den Stadtschulpflegschaften auf der Bezirksebene und auf der Landesebene eine starke Stimme geben, ist in der Tat eine Frage. Diese wollen wir gerne gemeinsam im Dialog erörtern. Und niemand wird in irgendeine Konstruktion hineingezwungen.

Aber auf einen Punkt will auch ich noch einmal eingehen – das hat Kollegin Hendricks auch schon angedeutet –: Bei dieser Konstruktion der privatrechtlichen Vereine darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich manche Elternvereine leisten können, eine Elternvertretung zu haben, und es sich andere Eltern nicht leisten können, auf der Landesebene eine Elternvertretung zu haben. Das müsste uns als Demokratinnen und Demokraten eigentlich auch zu denken geben.

Von daher freue ich mich auf den Dialog in der Anhörung mit einem vielstimmigen Elternvotum, das wir dann erleben werden. Denn zum Beispiel die Grundschuleltern sind da ganz anderer Auffassung als der Gymnasialverband.

Wie gesagt, mich stimmt bedenklich, dass ein Lehrerverband diese Pressekonferenz orchestriert. Ob das wirklich die Elterninteressen sind, frage ich mich dann auch. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Und schon steht Frau Pieper für die Piratenfraktion am Pult. Bitte schön.

Monika Pieper (PIRATEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Beer, Sie haben gerade noch die Kurve bekommen und die Debatte so ein bisschen gerettet.

Worüber sprechen wir hier eigentlich? – Wir sprechen über Partizipation und Mitbestimmung. Die meisten stellen sich hin und wissen ganz genau, was für die Eltern in unserem Land das Beste ist. Wofür brauchen wir eine Anhörung, wenn jetzt schon klar ist, dass wir eine durchgewählte Elternvertretung brauchen oder sie nicht brauchen. Der einzige Weg, um das herauszufinden, ist tatsächlich, mit den Eltern zu sprechen

(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Mit den Eltern sprechen! Genau!)

und zu schauen: Was möchten die Eltern? Und wie kommen wir zusammen auf einen guten Weg, damit die Mitbestimmung der Eltern in diesem Land weiter erhalten bleibt und ausgebaut wird.

(Beifall von den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Wir setzen uns hier im Landtag, in der Politik, an jeder Stelle immer und überall für Mitsprache und Teilhabe ein, so natürlich auch in den Schulen und in der Schulpolitik. Insofern finde ich es erst einmal nicht verkehrt, dass der Antrag gestellt worden ist. Denn ich glaube, dass dies ein wichtiges Thema ist.

Partizipationsmöglichkeiten sind für uns enorm wichtig. Wir unterhalten uns alle mit Lehrerverbänden, wir hören sie bei Anhörungen. Wir kommen dann natürlich auch zu dem Thema von vorhin, dem Lobbyismus: Natürlich gibt es auch guten Lobbyismus, beispielsweise wenn wir, weil wir meinen, die Eltern müssen eine Stimme haben, mit den Eltern sprechen.

Die Frage ist natürlich: Wie erreichen wir das? Kann eine durchgewählte Landeselternvertretung wirklich einen Beitrag leisten?

Ich sehe einige Argumente, die durchaus dafür sprechen. Wenn man ihnen mehr Rechte einräumt, dann könnten sie, glaube ich, eine starke Stimme sein.

Aber ich sehe auch Argumente der anderen Fraktionen, was die Einwände betrifft. Ist es nicht so, dass sich die Fragestellung, wenn wir hier diskutieren, häufig nur auf eine Schulform bezieht, zu der dann ganz spezielle Dinge erörtert werden? Ich habe große Zweifel, ob eine Vertretung dann tatsächlich der richtige Weg ist.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal schildern, wie es am „Runden Tisch G8/G9“ gelaufen ist. Wir haben nur eine SchülerInnenvertretung, aber zig Elternverbände, zig Lehrerverbände, alle möglichen Leute sind organisiert. Wenn an dem „Runden Tisch G8/G9“ die gesamte Schülerschaft mit nur einer Stimme sitzt, dann ist das einfach wenig. Auch die Anzahl von Leuten spielt in einer wie immer gearteten Versammlung durchaus eine Rolle, um sich da Gehör zu verschaffen. Insofern finde ich das nicht abwegig. – Wie gesagt, das ist nur gemeinsam mit den Elternverbänden zu klären.

Ich freue mich darüber, dass wir uns gerade schon auf eine Anhörung verständigt haben. Dabei wird die Polemik hoffentlich ein bisschen verschwinden, sodass wir wirklich überlegen können: Wie können wir die Elternrechte, die Partizipation der Eltern stärken? Wie bringen wir das gemeinsam auf einen guten Weg? – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Frau Pieper. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Löhrmann.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich rate auch dazu, dass wir uns sachlich auseinandersetzen: Wie kann man welche Mechanismen, welche Beteiligungsformen verbessern? Aus meiner Sicht lohnt sich das auch.

Die FDP vermengt in der Überschrift ihres Antrags verschiedene Gesichtspunkte, die unterschiedliche Sachverhalte berühren; ich komme noch einmal darauf.

Rechtliche Grundlage für den Dialog mit den Elternverbänden – dazu haben die meisten bisher gesprochen – ist § 77 Schulgesetz. Hiernach beteiligt das Ministerium für Schule und Weiterbildung die Elternverbände in allen „schulischen Angelegenheiten von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung.“ Darüber hinaus werden die Elternverbände „mindestens halbjährlich zu einem Gespräch“ geladen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung bin ich gerne und vielfach und auch über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus nachgekommen.

Ich habe dem ohnehin schon intensiven Dialog mit der Bildungskonferenz ein weiteres Forum gegeben, das den Elternverbänden eine Vernetzung mit anderen relevanten Akteuren, zum Beispiel Gewerkschaften und Schulleitungsvereinigungen oder der LandesschülerInnenvertretung, ermöglicht. Damit haben wir eine Diskurskultur in Nordrhein-Westfalen etabliert, die bundesweit ihresgleichen sucht. Ohne diesen Diskurs wäre zum Beispiel der Schulkonsens in Nordrhein-Westfalen nicht möglich gewesen. Das möchte ich noch einmal ausdrücklich festhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Trotz dieser gesetzlichen Regelungen und der Praxis lohnt doch das Nachdenken, ob man Dinge noch verbessern kann. Es gibt die LandesschülerInnenvertretung, der man hoffentlich auch vonseiten CDU und FDP nicht undemokratisches Agieren vorwerfen will, die auch die Landesregierung kritisiert, wenn das aus ihrer Sicht gerechtfertigt erscheint. Es gibt in 14 anderen Bundesländern – darauf hat Frau Hendricks hingewiesen – eine andere Beteiligungsstruktur der Elternschaft. Ich hoffe doch, dass Sie den Eltern dort nicht vorwerfen, dass es bei ihnen undemokratischer sei und dass das nicht in Ordnung sei; sonst hätten deren Regierungen das ja abschaffen und ändern müssen. Ich möchte das hier ein bisschen geraderücken.

(Beifall von den GRÜNEN – Klaus Kaiser [CDU]: Wir haben „bürokratisch“ gesagt, nicht „undemokratisch“!)

Der Vorwurf von CDU und FDP, hier würde Pluralität verhindert, lässt sich auch anders deuten: teile und herrsche. – Schließlich hat Schwarz-Gelb 2006 den vorgesehenen Landeselternbeirat gekippt. Ich erinnere auch daran, dass Schwarz-Gelb die Drittelparität, obwohl sie überhaupt noch nicht zur Anwendung gekommen war, flugs wieder abgeschafft hat. Das waren echte demokratische Beteiligungsprozesse. Ich bin froh, dass wir sie wieder eingeführt haben, damit man sich vor Ort in den Schulen demokratisch austauschen kann.

(Beifall von den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Rot-Grün gegen alle Eltern!)

Von Unkenntnis zeugt im Übrigen der Vorwurf der CDU, eine Landeselternvertretung sei nicht in der Lage, die Interessen der verschiedenen Schulformen zur Geltung zu bringen.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Wollen Sie etwa einzelnen Elternvertretungen, zum Beispiel der Landeselternkonferenz, absprechen, dass sie die Vorhaben der Landesregierung genauso kritisch und sachbezogen …

(Christof Rasche [FDP]: Sie sprechen denen doch was ab!)

– Ich spreche denen überhaupt nichts ab.

(Christof Rasche [FDP]: Natürlich! Allen Eltern!)

– Sehr geehrter Herr Rasche, ich möchte Sie fragen – Sie können mir ja eine Zwischenfrage stellen, sonst frage ich gleich noch mal –: Finden Sie, dass die Landeselternkonferenz undemokratisch agiert und unkritisch gegenüber der Landesregierung oder der Landespolitik ist? Ich möchte, dass Sie dazu stehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Klaus Kaiser [CDU]: Darum geht es doch gar nicht! – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Mit Herrn Kaiser sind die Gäule ja dermaßen durchgegangen, dass er sogar Exekutive und Legislative durcheinandergebracht hat. Er sprach ständig von der Landesregierung. Die Landesregierung hat überhaupt keine Initiative in dieser Weise ergriffen. Das möchte ich hier auch noch einmal ganz deutlich feststellen.

In den Gesprächen, die ich regelmäßig und gerne mit der Elternschaft habe – das werden die Ihnen auch alle bestätigen,

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

da bringen Sie mich gar nicht aus dem Konzept, lieber Herr Rasche –, führe ich den Diskurs.

Es gab schon mal eine Initiative aus der Elternschaft. Da waren zum Teil andere Vorsitzende beteiligt. Da waren die Eltern fast so weit, dass sie das selber wollten, und zwar einschließlich der Landeselternschaft der Gymnasien. Denn ich habe immer gesagt: Liebe Eltern, ich mache das nur, wenn Sie mir einen gemeinschaftlichen Vorschlag machen. – Das war für mich immer die Bedingung. Dazu stehe ich weiterhin.

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Ministerin.

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Jetzt treibt es Herrn Kaiser – ich sehe es ja schon –, mich etwas zu fragen. Ich freue mich darauf.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das hört sich gut an. – Bitte schön, Herr Kollege Kaiser.

Klaus Kaiser (CDU): Frau Ministerin, da ich in Staatsbürgerkunde gerne von Ihnen belehrt werde, erlaube ich mir folgende Frage: Ist es richtig, dass es die Absicht ist, einer von unten durchgewählten Landeselternvertretung eine Stimme zu geben, die dann in Anhörungsverfahren Ansprechpartner für die Landesregierung ist? Ist es richtig, dass damit ein Ansprechpartner für die Landesregierung identifizierbar ist?

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ein Modell ist gar nicht entschieden! – Christof Rasche [FDP]: Kann die Ministerin gar nicht!)

Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Herr Kaiser, das kann ich gar nicht beantworten, weil ich zum Beispiel an den Gesprächen, die die Fraktionen führen, gar nicht beteiligt bin.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie unterstellen offensichtlich ein Agieren, das Ihre Ministerin gepflegt hat, die nur noch das ausgeführt hat, was sich die Fraktionen mal ausgedacht haben.

(Zurufe von der CDU)

Wir haben hier eine klare Gewaltenteilung. Damit treffen Sie mich überhaupt nicht, Herr Kaiser.

(Klaus Kaiser [CDU]: Das höre ich gerade! – Christof Rasche [FDP]: Aber Ihre Glaubwürdigkeit!)

– Um meine Glaubwürdigkeit brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Fragen Sie bitte alle Eltern, ob ich in den Elterngesprächen, die ich regelmäßig führe, das gesagt habe – mir wurde ja erklärt, ich möge das bitte durchsetzen; die Frage ist mir ja von einzelnen Eltern gestellt worden, die das nämlich gerne so wollten; das habe ich aber abgelehnt.

Insofern ja, diese Baustelle ist nicht meine Baustelle. – Ich werde eine Initiative nicht ergreifen, wenn es nicht einen breiten Konsens innerhalb der Elternschaft gibt. Punkt – Aus – Ende. Das habe ich immer gesagt, und dafür gibt es auch Zeugen. Ansonsten würden die Leute die Unwahrheit sagen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Danke für die Zwischenfrage; das möchte ich hier ausdrücklich festhalten.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])

Ich möchte bei der Gelegenheit, meine Damen und Herren, weil das angesprochen wurde – das kann ich jetzt aufgrund der Redezeit nicht mehr ausführen – sagen, dass ich das Modell der kommunalen Elternschaften, der Stadtschulpflegschaften, die sich vor Ort konstituieren, aber sehr unterschiedlich konstituieren, als ein gutes Modell ansehe. Deswegen finde ich es gut, dass darüber gesprochen wird. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Stadtelternpflegschaften, aber auch den Elternverbänden, die sich kritisch einbringen, die vielfach ehrenamtlich organisiert sind,

(Beifall von den GRÜNEN)

mein großes Dankeschön auszusprechen, weil es für die demokratische Kultur in Nordrhein-Westfalen wichtig ist. Und keiner hat ein Interesse daran, das zu ändern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, und wir kommen damit zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11418 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer hat etwas dagegen? – Niemand. Gibt es jemanden, der dafür ist? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist einstimmig so überwiesen, wie zu erwarten war.

9   Umsetzung der Inklusion darf nicht zur Exklusion führen – Landesregierung muss Entwicklungen beim Aussetzen des Schulbesuchs erfassen

Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 16/11419

Ich darf Ihnen etwas mitteilen: Die Fraktionen haben sich – aus mir völlig unerklärlichen Gründen –

(Heiterkeit)

verständigt, drei Punkte anders zu bearbeiten, als zunächst vorgesehen:

Der Tagesordnungspunkt 9 wird vertagt und heute nicht beraten.

Dasselbe Verfahren, nämlich Vertagung, wenden wir für den Tagesordnungspunkt 16 an.

Und der Tagesordnungspunkt 17 wird zu Protokoll gegeben.

Begründungen dafür liegen nicht vor. Aber da die Fraktionen das autonom entscheiden können, haben sie sich entsprechend darauf verständigt. Das habe ich hiermit so bekannt gegeben.

Damit darf ich aufrufen:

10 Nordrhein-Westfalen ist bundesweiter Vorreiter für gute Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen

Antrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11428

Entschließungsantrag
der Fraktion der PIRATEN

Drucksache 16/11502

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bell das Wort.

Dietmar Bell (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das ist ein guter Zeitpunkt, um über das Thema „Gute Arbeit an Hochschulen“ zu diskutieren, weil mittlerweile alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen die Vereinbarung, die im Rahmen des Kodex „Gute Arbeit“ fundiert worden sind, als entsprechende Vereinbarung vor Ort unterzeichnet haben. Alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen haben sich damit dem Ziel, gute Arbeits- und gute Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen umzusetzen, verpflichtet und entsprechende Regelungen mit ihren Personalrätinnen und -räten getroffen.

Das ist ein wirklich bemerkenswerter, guter Tag, wenn man sich noch einmal zurück erinnert, wie dieser Prozess entsprechend gestaltet war und gelaufen ist.

Wir haben in den Koalitionsvereinbarungen zwischen Rot und Grün verabredet, dass wir das Thema „Gute Arbeit“ auch an den Hochschulen zum inhaltlichen Thema unserer gemeinsamen Arbeit machen wollen.

Was war der Grund? – Der Grund war, dass wir mittlerweile an den Hochschulen zum Teil prekäre Beschäftigungsverhältnisse hatten. Wir hatten Befristungen, die schlichtweg sachlich nicht gerechtfertigt waren, und wir hatten durchaus Erkenntnisse durch Studien, dass es extrem schwer geworden ist, qualifiziertes Personal für die Hochschulen zu finden und es entsprechend zu binden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn wir auch die vielen Gespräche Revue passieren lassen, die wir mit jungen Menschen an den Hochschulen geführt haben, wo die Frage war: Wollt ihr die wissenschaftliche Laufbahn an Hochschulen entsprechend fortsetzen?, so war doch häufig die Antwort: Das ist uns zu wenig planbar. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist damit nicht gegeben. Wir erwarten einfach, dass ihr euch dieser Fragestellung entsprechend nähert, um hier zu Veränderungen zu kommen.

Es war dann ein mühsamer Weg, mit heftigen Kontroversen in diesem Haus. Ich will an die emotionalen Debatten über das Hochschulzukunftsgesetz in diesem Plenum erinnern, die aus meiner Sicht auch bei der Frage, welchen Stellenwert eigentlich gute Arbeitsbedingungen an Hochschulen einnehmen, nicht immer sachgerecht geführt worden sind. Denn natürlich ist für die Zukunftsfähigkeit von Hochschulstandorten in Nordrhein-Westfalen die Gewinnung von gutem Personal wichtig.

Wir haben dann den Weg gewählt, meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Punkt im Gesetz zu regeln und auf freiwillige Vereinbarungen zwischen den Hochschulen und ihren Personalräten zu setzen. Die Grundbedingungen für diese freiwilligen Vereinbarungen sind im letzten Jahr durch vom Land moderierte Verhandlungen gefunden worden.

Ich will mich bei allen Beteiligten sehr, sehr herzlich bedanken: bei den Rektorenkonferenzen, die sich sehr intensiv in die Verhandlungen eingebracht haben, bei den Personalräten der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Beschäftigten, bei den Vertretern der Gewerkschaften, hier vor allem Antonia Kühn. Ich will mich durchaus auch beim Staatssekretär, Herrn Grünewald, bedanken, der die oftmals leidvolle, aber notwendige Aufgabe übernommen hat, die Parteien zu einem guten, gemeinsam getragenen Kompromiss zu bewegen.

(Beifall von Arif Ünal [GRÜNE])

Ich will auch noch einmal dem neuen Sprecher der Landesrektorenkonferenz, Herrn Prof. Sagerer, meinen Dank aussprechen, weil er sich sehr intensiv dafür eingesetzt hat, dass der gefundene Kompromiss dann auch in die Umsetzung überführt wird. Auch das war keine Selbstverständlichkeit. Sie erinnern sich durchaus an die Auseinandersetzung, die wir noch im letzten Jahr hatten.

(Beifall von der SPD)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das heute ein guter Tag für entsprechend qualifiziertere Beschäftigungsbedingungen an unseren Hochschulen.

Lieber Joachim Paul, wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, in dem steht, Nordrhein-Westfalen sei mit seinen unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschäftigungsverhältnisse das Schlusslicht in Deutschland, dann kann ich nur sagen: Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, dass wir mit den von uns formulierten Rahmenbedingungen die weitreichendsten Regelungen für Gute Arbeit an Hochschulen in ganz Deutschland geschaffen haben.

Das wird auch durch den Bundesrat und die Debatte über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz durchaus entsprechend realisiert und wahrgenommen. Ich erinnere nur an den Besuch des Wissenschaftsrates im letzten Jahr in Bielefeld, bei dem dies noch einmal ausdrücklich gewürdigt worden ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen, alle Hochschulen haben unterschrieben, „Gute Arbeit“ jetzt auch an Hochschulen, Umsetzung unserer Fraktionsverabredungen, gute Arbeit unserer Landesregierung! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Bell. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Kollegin Dr. Seidl.

Dr. Ruth Seidl (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz aller Skepsis der Opposition im Vorfeld – wir haben das eben auch von Herrn Bell gehört – liegt mit dem Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen nicht nur ein respektables Verhandlungsergebnis auf dem Tisch; inzwischen haben auch alle – mit dem heutigen Tag wirklich alle – Hochschulleitungen in Nordrhein-Westfalen das Vertragswerk unterzeichnet. Das zeugt von einer hohen Bereitschaft der Verantwortlichen an den Hochschulen, die Arbeitsbedingungen für das wissenschaftliche und für das nichtwissenschaftliche Personal fair und gerecht auszugestalten.

Diese Bereitschaft konnte man bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, bislang leider nicht erkennen. Dabei brauchen unsere Hochschulen arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die ausreichend Raum für Innovationsentwicklung und gute Nachwuchsförderung lassen.

Wir müssen auch konstatieren, dass es bislang in keinem anderen Bundesland ein so aussagekräftiges landesweites Regel- oder Vertragswerk zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen gibt, das eben über das gesetzliche Mindestmaß hinausgeht. Der nordrhein-westfälische Rahmenkodex ist konkreter und weitgehender als die meisten Selbstverpflichtungen in anderen Ländern. Er geht auch über die Selbstverpflichtungen der Hochschulrektorenkonferenz und der TU9 hinaus. Insofern sind wir in Nordrhein-Westfalen, was das Thema „Gute Arbeit im Wissenschaftsbereich“ angeht, bundesweit sehr gut aufgestellt.

Der Rahmenkodex leistet vor allen Dingen einen wichtigen Beitrag zum Abbau befristeter Beschäftigungen. Unter anderem sind Arbeitsverträge des wissenschaftlichen Personals künftig auf mindestens zwölf Monate und Postdoc-Stellen auf mindestens drei Jahre zu befristen. Beschäftigungsverhältnisse von Promovierenden müssen über mehrere Jahre laufen und den Abschluss einer Promotion wirklich ermöglichen. Vielfache kurze Arbeitsverträge, sogenannte Kettenarbeitsverträge, sind nicht mehr zulässig.

Die Hochschulen werden verpflichtet, dem wissenschaftlichen Mittelbau Beratungs- und Fortbildungsangebote zu machen.

Für die Tätigkeit von studentischen Hilfskräften gilt, dass sie ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt werden sollen und möglichst nicht mit Aufgaben betraut werden, die grundsätzlich dem unbefristet beschäftigten Hochschulpersonal obliegen.

Teilzeitbeschäftigung muss sachlich begründet werden und beträgt in der Regel mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit. Der Wunsch von Teilzeitbeschäftigten auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll ebenfalls berücksichtigt werden.

Schließlich regelt ein NRW-weiter Hochschularbeitsmarkt, dass es keine Benachteiligung für Mitarbeiterinnen beim Wechsel von einer Hochschule zu einer anderen Hochschule hinsichtlich Entgelt oder Bewährungsaufstieg geben darf.

Damit geht der Rahmenkodex in Nordrhein-Westfalen an vielen Stellen weiter als das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Bundesebene.

Das war uns auch ein besonderes Anliegen; denn die jetzt erreichte Verbesserung der Beschäftigungsmodalitäten ist nicht nur für jeden einzelnen Nachwuchswissenschaftler oder jede einzelne Nachwuchswissenschaftlerin wichtig, sondern trägt auch dazu bei, unsere Hochschulen als Arbeitgeber attraktiver zu machen. Das wiederum stärkt natürlich den Innovationsstandort Nordrhein-Westfalen.

Mit einer Bundesratsinitiative – Sie erinnern sich vielleicht noch – haben die Länder Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Baden-Württemberg, Bremen und Niedersachsen bereits am 3. Mai 2013 die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angestoßen. In seinem Beschluss vom 16. Oktober 2015 hat der Bundesrat auch Stellung zu dem Gesetzentwurf bezogen und auf wichtige Aspekte zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen hingewiesen. Leider hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf nicht entsprechend den Empfehlungen der Länder verbessert.

Der Bundesrat begrüßt allerdings – ich zitiere –,

„dass in einzelnen Ländern Maßnahmen getroffen wurden, die über die jetzt anstehende Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hinausgehend weitere Verbesserungen der Beschäftigungsbedingungen des an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen beschäftigten Personals bewirken werden.“

Beispielhaft nennt er für Nordrhein-Westfalen den Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich kann deshalb nur feststellen: Es war keineswegs im Sinne der Beschäftigten an unseren Hochschulen, dass Sie unseren Antrag zum Rahmenkodex im vergangenen Jahr abgelehnt haben.

In Richtung Piraten möchte ich nur noch einmal betonen, dass wir die rechtliche Verselbstständigung der Hochschulen auf keinen Fall rückgängig machen werden, wie Sie das jetzt wieder in Ihrem Entschließungsantrag fordern. Aber das wissen Sie ja nicht erst seit der Debatte im letzten Juni zu diesem Thema.

Vor diesem Hintergrund haben Sie heute alle noch einmal eine zweite Chance, zu zeigen, dass Ihnen die Situation der Beschäftigten an den Hochschulen tatsächlich am Herzen liegt. Sie sind herzlich eingeladen, unserem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Berger.

Dr. Stefan Berger (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Thema kann man es relativ kurz machen. Als ich den Antrag gelesen hatte, hatte ich ein Déjà-vu, also ein Gefühl, eine Situation schon einmal erlebt zu haben.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das kommt öfter vor!)

Das hatte ich auch bei meinen beiden Vorrednern. Im Juni 2015 haben Sie nämlich einen Antrag eingebracht, der dem heutigen Antrag ziemlich gleicht. Auch Ihre Reden waren ziemlich die gleichen wie vor einem halben Jahr. Es waren die üblichen Floskeln von Ihnen über „Gute Arbeit“, die üblichen Angriffe auf die Opposition – wobei Sie als regierungsragende Fraktionen ja einen Antrag vorgelegt haben und darin direkt auch noch die Opposition beschimpft haben – und natürlich die üblichen Huldigungsadressen an die Landesregierung. Das Einzige, was sich bei Ihrem Antrag verändert hat, ist die Überschrift.

Meine Damen und Herren, offensichtlich haben Sie inhaltlich nichts weiter mehr im Köcher, sonst würden Sie Ihre alten Anträge hier nicht wieder zur Debatte stellen. Das wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf Ihre Ideenlosigkeit, sondern auch ein Licht auf Sie als Parlamentarier, denn wir finden es einfach nicht gut, wenn Sie einen Antrag nehmen und in diesem Antrag auch noch die Opposition beschimpfen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bell?

Dr. Stefan Berger (CDU): Ja, bitte.

Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist gut. – Bitte schön, Herr Bell.

Dietmar Bell (SPD): Herr Kollege Berger, nehmen Sie zur Kenntnis, dass sich substanziell seit Juli letzten Jahres etwas verändert hat, nämlich dass alle Hochschulen mittlerweile diese Rahmenverbindungen entsprechend unterzeichnet haben?

(Angela Freimuth [FDP]: Deswegen steht in Ihrem Antrag, dass die anderen das auch noch tun?!)

Dr. Stefan Berger (CDU): Genau, da haben Sie schon direkt die Antwort. Ich sage einfach, das gilt auch für einen anderen Punkt: Natürlich sind einige Monate weitergegangen. Aber dann hätten Sie Ihren Antrag auch aktuell halten müssen.

(Nadja Lüders [SPD]: Sollen noch mehr als alle unterschreiben?)

Es ist nicht okay, einen solchen Antrag vorzulegen und dabei die Opposition zu beschimpfen, denn die Debatte um die Hochschulfreiheit hat zunächst einmal nichts mit den Arbeitsbedingungen an den Hochschulen zu tun. Im Übrigen gilt in der Bundesrepublik auch ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

Wenn Sie also, Herr Bell, dem sinnvollen Anliegen „gute Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen“ gerecht werden wollen, dann ist es eigentlich ganz einfach: Statten Sie die Hochschulen endlich finanziell vernünftig aus! Dann können die Hochschulen ihren Beschäftigten auch gute Arbeitsverträge anbieten.

(Beifall von der CDU und den PIRATEN)

Dazu hätte es auch durchaus Chancen gegeben, wenn Sie das denn gewollt hätten, beispielsweise als der Bund die 278 Millionen € über die Zahlung von BAföG-Geldern dem Land erspart hat. Aber statt dieses Geldes, das Nordrhein-Westfalen dauerhaft zur Verfügung steht, den Hochschulen zu geben, unter anderem auch für „Gute Arbeit“, haben Sie es absprachewidrig dazu benutzt, Ihre Haushaltslöcher zu stopfen.

(Dietmar Bell [SPD]: Totaler Realitätsverlust!)

Aus diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Berger. – Jetzt hätte ich mich so gerne mal selber zu einer Zwischenfrage zugelassen, Herr Kollege Abel.

(Heiterkeit)

Das war leider nicht drin. Vielen Dank, dass ich meinen Namen hier auch mal lesen darf. Das ist wirklich schön; es passiert mir ganz selten hier oben.

Schon am Pult? Frau Freimuth für die FDP-Fraktion hat das Wort. Bitte schön.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, wir hatten bereits im vergangenen Sommer dazu die Debatte und haben das Thema auch immer wieder mal in den letzten Jahren auf der Agenda gehabt.

Ich habe für die FDP immer ganz klar festgestellt, dass attraktive Beschäftigungsbedingungen auch im Interesse der Hochschulen, im Interesse von Forschung, Wissenschaft und Lehre sind; denn unsere Hochschulen können und dürfen es sich nicht erlauben, Nachwuchswissenschaftler zu verlieren.

Gerade habe ich mit dem Zwischenruf schon gesagt, dass der Antrag der antragstellenden Fraktionen offensichtlich schon gar nicht mehr à jour ist, weil offensichtlich alle Hochschulen – jedenfalls hat das der Kollege Bell gerade so dargestellt – inzwischen die Vereinbarung unterzeichnet haben.

Ich will auch nicht auf das Dauerthema der Piraten mit der Rückabwicklung der rechtlichen Verselbstständigung der Hochschulen eingehen. Dazu habe ich, glaube ich, Hinreichendes gesagt. Die Autonomie der Hochschulen und die Verselbstständigung der Hochschulen hat sich bewährt und hat Gutes für Wissenschaft, Forschung und Lehre hervorgebracht. Unsere Hochschulen sind sehr verantwortungsvoll mit dieser Autonomie und Freiheit umgegangen.

Aber ich finde es immer wieder bemerkenswert, dass hier doch ein Zerrbild gezeichnet wird, wenn Hochschulen als Ausbeuter skizziert werden, wenn mit den kurzen Arbeitsverträgen und dem Vorwurf, hier würde Hire and Fire gefrönt, argumentiert wird und gesagt wird, dass deswegen strenger reguliert werden müsste. Das ist immer dieses Zerrbild. Das entspricht nun auch nicht den Tatsachen.

Wenn wir uns damit auseinandersetzen, warum Hochschulen letztlich Beschäftigung befristet haben, dann doch nicht, weil sie ihre exzellenten Nachwuchsforscher nach Belieben austauschen oder verheizen wollen; es liegt wesentlich an der Finanzierungsstruktur der Hochschulen, weil unter Rot-Grün die Grundmittel nicht mit den Studierendenzahlen mitgewachsen sind. Die Grundmittel pro Studierendem sind in den vergangenen Jahren gesunken. Da liegt doch der Hase im Pfeffer.

Nun müssen die Hochschulen vermehrt aus befristeten Mitteln finanzieren, für die es auch keine langfristigen Planungen gibt. Drittmittel sind ein Beispiel, für die es keine Anschlussgarantie gibt. Auch die Hochschulpaktmittel sind befristet. Ganz aktuell hat die rot-grüne Landesregierung auch noch hinter die Exzellenz-Unis ein sehr großes Fragezeichen gesetzt. Es kann doch dann nicht verwundern, dass vor diesem Hintergrund die Hochschulen mit den Mitteln aus der Exzellenzinitiative auch nur befristete Stellen schaffen können.

Meine Damen und Herren, in keiner Weise gehen Sie im Übrigen in Ihrem Antrag – das hätte ich mir gewünscht – auf die rechtlichen Bedenken gegenüber dem Kodex ein, die im Rechtsgutachten der Landesrektorenkonferenz auch aufgezeigt werden, unter anderem zum Beispiel, ob die Landesregierung hier eine Regelung vornehmen darf, da der Bund mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz

(Nadja Lüders [SPD]: Das haben alle unterschrieben!)

bereits Regelungen getroffen hat.

Dem Vorwurf, in die Tarifautonomie einzugreifen, widersprechen Sie kompliziert, weil Sie nicht in die Vertragsgestaltung, sondern nur in die Motivbildung des Arbeitgebers eingreifen. Dann frage ich Sie aber, warum dann die Personalräte den Kodex auch noch unterzeichnen müssen. Ihr Kodex bringt damit die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung völlig durcheinander.

Am meisten steht jedoch infrage, wie freiwillig und verlässlich diese Vereinbarungen sind. Sie können den Kodex ja für allgemeinverbindlich erklären, wenn nur die Hälfte der Hochschulen diese Verabredung unterzeichnet hat.

(Nadja Lüders [SPD]: Die haben alle unterschrieben!)

Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bell?

Angela Freimuth (FDP): Nein, das tue ich nicht.

Vizepräsident Oliver Keymis: Tun Sie nicht, gut.

Angela Freimuth (FDP): Damit bleibt den Hochschulen letztlich nichts anderes übrig, als die Vereinbarung zu unterzeichnen. Ansonsten hat man doch ganz schnell den Ruf des Querulanten.

Meine Damen und Herren, wir wollen beste Forschungs- und Lehrbedingungen an den nordrhein-westfälischen Hochschulen. Das ist doch gar nicht die Frage. Dazu gehört natürlich auch eine verlässliche Karriereplanung. Da liegen wir in Deutschland im Übrigen im Vergleich zu vielen anderen Ländern, die für uns auch beispielgebend sein können, zurück.

In den USA ist Tenure Track bereits viel verbreiteter, und damit ist auch die Karriereplanung deutlich verlässlicher.

Darüber würde ich gerne inhaltlich in den Diskurs eintreten. Vielleicht schaffen wir das irgendwann einmal im Wissenschaftsausschuss; denn verlässliche und planbare Karrieren in der Wissenschaftslaufbahn sind für gute Wissenschaft und Lehre eine zwingende Voraussetzung. Sie greifen nicht die Ursachen für die unzureichenden Bedingungen auf, sondern drohen und pressen die Hochschulen in ein Korsett, das letztlich nicht passen kann und wird. Deswegen können wir Ihrem Antrag auch nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Freimuth. – Herr Dr. Paul für die Piratenfraktion. Bitte schön.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte hochschulbesorgte Damen und Herren! Dieser Antrag ist ein Selbstlob, das seinesgleichen sucht. Daher muss ich leider den Partycrasher spielen und ein bisschen Waser in den Wein gießen. Denn das, was hier abgefeiert werden soll, ist nach unserer Auffassung kein Erfolg für die Beschäftigten an den nordrhein-westfälischen Hochschulen

Dieser sogenannte Rahmenkodex „Gute Arbeit“ ist ein hochschulpolitisches Leerrohr. Wir finden Leerrohre eigentlich gut – aber nur, wenn darin Glasfaser liegt. Dieser Kodex entspricht aber eher einem 56k-Modem.

Die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hier zu feiern, ist grotesk. Sie haben nur minimale Verbesserungen – das will ich gar nicht leugnen – erreichen können und feiern diese, als ob gerade das Rad neu erfunden wäre. Dem ist mitnichten so. Wir befürchten, dass es leider auch weiterhin prekäre Beschäftigung an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen geben wird. Stellen werden weiterhin sachgrundlos befristet bleiben; denn die Hochschulen haben immer noch die Hoheit über das Personal.

An dieser Stelle, Frau Freimuth, kann ich mit dem Mythos aufräumen, dass wir für eine Rücknahme der selbstständigen Hochschule sind. Wissenschaftsautonomie scheint sich für Sie in Personalverantwortung zu erschöpfen. Wir haben immer gesagt, dass wir damit etwas ganz anderes meinen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

Darüber hinaus – auch das hat Herr Bell gesagt – möchte die Landespersonalrätekonferenz der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Landes NRW die Beschäftigten zurück im Landesdienst wissen, ebenso die GEW und Frau Kühn vom DGB. Na ja, der DGB ist ein Dachverband; da wird auch viel ausgehandelt. Die Leute im Bundesrat sind Ihre eigenen Leute; die müssen das ja auch toll finden.

Die Mutlosigkeit, dem New Public Management wirklich etwas konstruktiv-innovativ Neues entgegenzusetzen, drückt sich eben in diesen Befristungen aus. Das ist nach unserer Auffassung höchst innovationshemmend und auch wissenschaftspolitisch unverantwortlich.

Wir bleiben dabei: Erstens. Die Verankerung des „Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen“, wie er im Rahmen des Hochschulzukunftsgesetzes festgelegt wurde, ist keine wirkliche Verpflichtung zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse.

Zweitens. Durch den „Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen“ wurde kein NRW-Stand-ortvorteil für die Beschäftigten geschaffen, da es sich lediglich um eine Absichtserklärung handelt, die arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar ist.

Drittens. Die Entscheidung im neuen Hochschulzukunftsgesetz, das Personal nicht in den Landesdienst zurückzuversetzen – ich sagte es schon –, war falsch und stellt im Sinne des Grundsatzes der Verbesserung von Beschäftigungsbedingungen wirklich keine Weiterentwicklung dar.

Es ist also kein Grund zum Feiern, sondern eigentlich beschämend für den Wissenschaftsstandort NRW. Denn gute Beschäftigung an Hochschulen hat auch etwas mit Sicherheit zu tun, nämlich der Sicherheit, dass man sich im Sinne einer wirklichen Wissenschaftsautonomie völlig auf Forschung und Lehre konzentrieren kann, anstatt permanent durch Existenzängste und Existenzkampf und die Notwendigkeit, in Jahresfristen immer wieder neu zu planen, von seinen innovativen Aufgaben abgelenkt zu werden. Das ist innovationsfeindlich, und wir lehnen diese Augenwischerei ab.

(Beifall von den PIRATEN)

Unser Entschließungsantrag – ich weiß, Sie werden dem jetzt nicht zustimmen –

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja, das stimmt!)

soll nur ein kleines Zeichen setzen und Ihnen zumindest formal die Gelegenheit haben, hier noch umzusteuern. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Schulze das Wort.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin den Koalitionsfraktionen wirklich dankbar für die deutlichen Worte,

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

die dieser Antrag hier gefunden hat. Ich bin dafür insbesondere angesichts der Widerstände dankbar, auf die ein so wichtiges Thema wie „Gute Arbeit“ immer wieder vor allen Dingen hier im Haus stößt. Das bestätigt mich noch einmal darin, wie wichtig es ist, dass wir uns mit den Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen auseinandersetzen, und es bestätigt auch noch einmal, was für einen Meilenstein wir da bundesweit gesetzt haben.

Die Erkenntnis, dass die Beschäftigungsbedingungen wichtig sind, hat sich inzwischen auch im Bund durchgesetzt. Sie hat sich in den anderen Bundesländern durchgesetzt. Auch dort gewinnt die Diskussion um die Beschäftigungsbedingungen an Fahrt.

Vielen ist inzwischen sehr klar geworden, dass gute Beschäftigungsbedingungen eine wesentliche Voraussetzung für ein zukunftsfähiges Wissenschaftssystem sind, weil wir nur so die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler langfristig davon überzeugen können, an unseren Hochschulen und nicht an einem anderen Standort zu forschen und zu lehren. Die Hochschulen befinden sich schon lange in einem internationalen Wettbewerb. Ich bin sehr froh, dass wir in Nordrhein-Westfalen da jetzt Fakten schaffen konnten.

Der Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen wird sie in dem Wettbewerb ebenso stärken wie die auch von uns vorangetriebene Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, auch wenn wir uns bei diesem Gesetz aus nordrhein-westfälischer Sicht mehr gewünscht hätten.

Wenn man sich einmal klarmacht, worum es denn im Kern geht, dann mag man kaum glauben, dass man für so ein Thema so intensiv werben muss, wie wir das hier in Nordrhein-Westfalen getan haben.

Ein Abbau befristeter Beschäftigung beim wissenschaftlichen Personal gibt Nachwuchsforscherinnen und -forschern eine gewisse Planungssicherheit, soweit dies im Wissenschaftssystem überhaupt möglich ist. Dass sich hervorragend ausgebildete Menschen, die gar nicht mehr so jung sind, wenn sie im Wissenschaftssystem an diese Stelle kommen, wenn sie ihre Karriere beginnen, das wünschen, dürfte wohl jedem klar sein. Gleiches gilt natürlich für die Möglichkeit, zwischen den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen wechseln zu können, ohne Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Meine Damen und Herren, wenn der DGB in einer Befragung zu dem Ergebnis kommt, dass viele Beschäftigte unzufrieden sind und ein Viertel der Befragten sogar den Arbeitsplatz Hochschule verlassen will, dann können wir das nicht einfach so stehen lassen und infrage stellen, ob diese Untersuchung methodisch überhaupt korrekt ist. Wer unsere Geschichte ein wenig kennt, der weiß: „Gute Arbeit“ kommt nicht von alleine, und das gilt auch an den Hochschulen.

Deshalb ist dieser Vertrag für gute Beschäftigungsbedingungen ein richtiger und wichtiger Schritt in die Zukunft. Der aktuelle Stand heute ist, dass alle Hochschulen unterzeichnet haben, und dabei ist niemandem gedroht oder gepresst worden, wie Frau Freimuth hier eben behauptet hat. Diese Vertragungsunterzeichnungen sind von allen Hochschulen zusammen mit ihren Personalvertretungen freiwillig getätigt worden, und das ist ein sehr gutes Ergebnis.

Aber – das sage ich hier auch ganz deutlich – das ist nur eine weitere Etappe auf dem Weg, den wir konsequent fortsetzen werden. Wir werden das Thema in Nordrhein-Westfalen weiter voranbringen.

Wir werden mit den Beteiligten im Gespräch bleiben – mit Ihnen hier im Parlament genauso wie mit den Akteuren an den Hochschulen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir alle hier im Parlament davon überzeugen, wie wichtig gute Beschäftigungsbedingungen sind. Wir haben eine ständige Kommission mit allen Beteiligten ins Leben gerufen, die die Umsetzung des Vertrages begleitet und die Vereinbarung auch mit Leben füllen wird.

Dass die Rahmenbedingungen hier in Nordrhein-Westfalen sehr gut sind, haben wir bei den Haushaltsverhandlungen bzw. bei der Einbringung des Haushalts bereits darlegen können.

Wenn seit 2010 die Mittel für die Hochschulen um 40 % steigen, dann, lieber Herr Berger, ist es mit den 270 Millionen € für die BAföG-Erhöhung nicht getan. Wenn der Finanzminister uns nur diese Erhöhung zugestanden hätte, dann hätten wir ein wirkliches Problem an den Hochschulen.

(Beifall von der SPD)

Wir haben weitaus mehr Mittel bekommen, die den Hochschulen zur Verfügung stehen. Das BAföG-Geld ist in die Bildung geflossen, auch wenn Sie hier hundertmal etwas anderes behaupten. Schauen Sie einfach in den Haushalt! Die Zahlen müssen Sie doch lesen können.

Meine Damen und Herren, die Debatte um gute Beschäftigungsbedingungen ist wichtig. Wir werden sie weiter fortsetzen. Nordrhein-Westfalen ist Vorreiter, und wir werden Vorreiter bleiben. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Ministerin Schulze. – Es sind keine weiteren Redebeiträge angemeldet.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/11428 ab. Die antragstellenden Fraktionen haben direkte Abstimmung beantragt. Wer stimmt dem Antrag so zu? – SPD und Grüne stimmen zu. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Piratenfraktion, der fraktionslose Kollege Schwerd sowie CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen. Damit ist der Antrag Drucksache 16/11428 mit Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen.

Zweitens stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der Piraten Drucksache 16/11502 ab. Wer stimmt dieser Entschließung zu? – Die Fraktion der Piraten. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne, CDU, FDP. Wer enthält sich? – Es enthält sich der fraktionslose Kollege Schwerd. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 16/11502 bei einer Enthaltung mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe einen unserer Höhepunkte im Hohen Haus auf:

11 Fragestunde

Mündliche Anfrage
Drucksache 16/11240

Dazu begrüße ich die beiden Stammgäste dieser Runde,

(Heiterkeit und Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herrn Kollegen Witzel und Herrn Finanzminister Dr. Walter-Borjans.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wir freuen uns darauf. Mit der Drucksache 16/11240 liegt Ihnen die

Mündliche Anfrage 76

des Abgeordneten Witzel von der FDP vor. Das Thema lautet – und jetzt wird es sicher wieder ganz ernst –:

„Andauernde Probleme und Kapitalverzehr beim defizitären staatlichen Glücksspielanbieter – Welche strukturellen Maßnahmen ergreift der Finanzminister endlich zur Beseitigung der ökonomischen Schieflage bei WestSpiel?“

Der landeseigene Glücksspielanbieter WestSpiel macht bereits seit Jahren im operativen Geschäft beträchtliche Verluste. Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans sieht nach eigenen Bekundungen mindestens auch noch für die restlichen Jahre in diesem Jahrzehnt keine Perspektive, wieder ein verlustfreies Betriebsergebnis zu erreichen.

Die Bruttospielerträge sind seit dem Jahr 2010 stark gesunken. Es ist für alle vier bestehenden Standorte in Nordrhein-Westfalen der Regelfall, dass auch die Planvorgaben nicht erreicht werden.

Infolge dieses Umsatzrückgangs ist ebenfalls die Spielbankenabgabe, mit deren Hilfe anteilig die Arbeit etlicher wohltätiger Organisationen finanziert wird, kontinuierlich zurückgegangen: von 39,9 Mio. Euro auf zuletzt 28,0 Mio. Euro. Der Planungsansatz für 2010 hat noch einen Betrag von 63,9 Mio. Euro vorgesehen. Aufgrund der anhaltend negativen geschäftlichen Entwicklung hat der Finanzminister unlängst sogar die Abgabensätze der Spielbanken abgesenkt, um seine staatlichen Casinos nicht zu überfordern. Als am stabilsten galt bislang der Standort Duisburg, doch auch dort hat sich allein zwischen 2012 und 2014 die Spielbankenabgabe von 26,6 Mio. Euro auf 12,7 Mio. Euro mehr als halbiert.

Der letzte verfügbare Jahresabschluss der WestSpiel GmbH für das Jahr 2014 weist nach dortiger Gewinnabschöpfung (§ 14 SpielbG NRW) einen Jahresüberschuss von 4,4 Mio. Euro aus. Der Überschuss vor Gewinnabschöpfung betrug 86,4 Mio. Euro. Obwohl das operative Ergebnis deutlich negativ gewesen ist (vgl. Vorlage 16/3294, S. 10), konnte der Überschuss formal durch den Verkauf zweier Warhol-Kunstwerke erreicht werden, die in der Summe einen außerordentlichen Ertrag von 111,3 Mio. Euro erbracht haben.

Diese Gewinnabschöpfung – die durch eine stille Beteiligung der NRW.BANK zum überwiegenden Teil wieder an deren Beteiligungsunternehmen WestSpiel zurückgeflossen ist – hätte offenkundig jedoch noch größer ausfallen können, wenn die Personalaufwendungen nicht von rund 32,2 Mio. Euro im Jahr 2013 um 40 Prozent auf 45,4 Mio. Euro im Jahr 2014 angestiegen wären (+13,2 Mio. Euro). Insbesondere wuchs dabei der Aufwand für Altersversorgung um 6,5 Mio. Euro. Die Ursachen für diesen rasanten Anstieg des Personalaufwands bleiben auch durch die Erläuterungen in diesem Jahresabschluss unklar.

Darüber hinaus wird auch eine Veränderung der Darstellungsweise der Beschäftigtenstruktur (vgl. Vorlage 16/3294, S. 24) nicht erläutert. Während die ausgewiesene Anzahl der Beschäftigten in der Unternehmenszentrale und im Management steigt, sinkt sie beim Automatenspiel deutlich. Jedoch gibt es seit dem Jahr 2014 eine neue Kategorie für „Rezeption/Automatenspiel/Kasse“ mit immerhin 50 Beschäftigten. Der Hintergrund für die neue Darstellungsweise der Beschäftigtenstruktur bleibt im Jahresabschluss unkommentiert und ist daher ohne weitere Angaben nicht nachvollziehbar.

Ein Vergleich mit den Casinogesellschaften in den anderen Bundesländern legt die Folgerung nahe, dass die Unternehmenszentrale von WestSpiel personell überbesetzt ist und dies die strukturellen Kosten ebenfalls unnötig in die Höhe treibt.

Ferner hält WestSpiel einen überdimensionierten Fahrzeugpool mit mehreren Dutzend Fahrzeugen vor, die Beschäftigten häufig auch für rein private Nutzungen zur Verfügung gestellt werden. Auch dies ist im bundesweiten Vergleich völlig unüblich.

Auch Freistellungen, die jeweils mit beträchtlichen Abfindungszahlungen verbunden sind, existieren bei WestSpiel in weit überdurchschnittlichem Maß. Nach Aussagen verschiedener Beschäftigter sind personelle Seilschaften bei WestSpiel wichtiger als die gemeinsame Orientierung am Betriebserfolg.

Negativ ist auch die Entwicklung in der WestSpiel-Gastronomie, deren Erlöse im Jahr 2014 um rund ein Drittel zurückgegangen sind. Die für WestSpiel typische Reaktion hierauf hat einmal mehr in der kostenträchtigen Neubesetzung und Ausweitung von Führungspositionen gelegen, ohne dass in diesem Bereich eine ökonomische Verbesserung bislang bekannt geworden wäre.

Es stellt sich ferner die Frage, ob die zahlreichen oft millionenschweren Restrukturierungen an den einzelnen Casinostandorten sich bislang auch nur ansatzweise finanziell gerechnet oder zumindest bei den Besucherzahlen als erfolgreich erwiesen haben. Aus Unternehmenskreisen werden hierzu gegenüber der Politik eher verschiedene Beispiele teurer gescheiterter Restrukturierungen benannt.

Wenn sich die Ertragslage in staatlichen Casinos offenbar so verlustreich darstellt wie in den letzten Jahren praktiziert, stellt sich berechtigterweise die Frage, warum gerade die Ausweitung der Anzahl von Standorten die richtige betriebswirtschaftliche Reaktion auf diese Problematik darstellen soll.

Angesichts der nun bereits seit zahlreichen Jahren aufgetretenen Verluste bei WestSpiel und der noch für etliche Jahre vom Finanzminister erwarteten fortgesetzten Schieflage ist das bei WestSpiel in mehrerlei Hinsicht fragwürdige Finanzgebaren nicht länger akzeptabel und bedarf schnellstens einer eingehenden Prüfung und Erörterung. Der Finanzminister sollte das Parlament aus all den zuvor genannten Gründen umfassend informieren, welche Konsolidierungsstrategie er nun verfolgt.

Welche strukturellen Maßnahmen ergreift der Finanzminister endlich zur Beseitigung der ökonomischen Schieflage bei WestSpiel?

Die Landesregierung hat uns, wie zu erwarten war, angekündigt, dass Herr Minister Dr. Walter-Borjans antworten wird. – Herr Minister, Sie haben das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Herr Witzel! Meine Damen und Herren! Es geht – es tut mir leid, das hier sagen zu müssen – wie so oft um eine Feststellung von Herrn Witzel, die man in einigen Punkten korrigieren muss.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist nichts Neues!)

Es geht auch nicht darum, dass hier ein Mitarbeiter des Managements von WestSpiel gegenüber einem Aufsichtsrat von WestSpiel Stellung nimmt. Diese Rollen haben wir beide nicht, aber das wird offenbar doch hierhin verlagert.

Ich möchte zunächst sagen, dass ich dies ebenso wie die wirtschaftliche Entwicklung WestSpiels und die ergriffenen Restrukturierungsmaßnahmen bereits in zahlreichen Antworten zu Kleinen Anfragen und Vorlagen für den Haushalts- und Finanzausschuss in jüngster Zeit dargelegt habe. Ich darf daran erinnern, dass es allein zu diesem Thema 2015 und 2016 vier Kleine Anfragen von Herrn Witzel sowie achtmal einen Tagesordnungspunkt im Haushalts- und Finanzausschuss gegeben hat. Wir haben somit eigentlich schon sehr viel dazu dargestellt.

Es ist nicht der Finanzminister, der grundsätzlich für strukturelle Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage WestSpiels zuständig ist, sondern die Geschäftsführung, die unmittelbare Gesellschafterin und damit die NRW.BANK und der neu eingerichtete Aufsichtsrat. Diese Akteure arbeiten auch zurzeit an einem Restrukturierungsprozess.

Trotzdem berichtige ich Sie an dieser Stelle gern noch einmal. Herr Witzel, Sie stellen die wirtschaftliche Situation erheblich verkürzt und dadurch unzutreffend dar. Die Bruttospielerträge sind im Jahr 2015 im Vergleich zum Jahr 2014 nicht gesunken, sondern um 9 % auf 79,6 Millionen € gestiegen. Dies geschah nach einer langen Phase sinkender Erträge jetzt erkennbar durch das Wirken von Maßnahmen, die ergriffen worden sind. Damit lagen sie auch über den Planvorgaben von 77 Millionen €.

Abgesehen davon kann eine Bewertung der Profitabilität von WestSpiel nur unter Berücksichtigung der Abgaben nach dem Spielbankengesetz erfolgen. Ohne diese Abgaben – das haben wir auch oft genug besprochen – würde WestSpiel ein positives Ergebnis erzielen.

Ich bin auch hier falsch zitiert worden damit, dass ich für ein Jahrzehnt noch das Problem sähe, dass es keinen positiven Beitrag gebe. Man kann auch nicht sagen, es sei immer so, dass man nachsteuern bzw. sich die Abgaben anschauen müsse. In diesem Fall gibt es eine Besonderheit. Es gibt eine Abgabe auf die Bruttospielerträge. Wäre es eine ertragsabhängige Abgabe, dann hätte WestSpiel kein Minus, sondern ein Plus zu verzeichnen.

Das ist gewollt. Das ist auch richtig so. Aber dadurch kommt ein Minusergebnis zustande, das sich nicht im Einzelnen aus dem Spielbetrieb ergibt.

Im Jahr 2015 hat WestSpiel rund 30 Millionen € an das Land abgeführt – auch das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr –; davon gingen 9,5 Millionen € an die Spielbankgemeinden. Mit über 20 Millionen € wird die Stiftung Wohlfahrtspflege gefördert.

Die Ertragssituation der WestSpiel-Gruppe kann man nicht isoliert betrachten. WestSpiel betreibt die Spielbanken in Nordrhein-Westfalen für das Land. Dabei gibt es auch andere Ziele des Spielbankgesetzes, etwa Spielsuchtbekämpfung, Anbieten eines begrenzten Glücksspielangebots, Jugendschutz usw. Deshalb ist WestSpiel an den Zielen des Spielbankgesetzes NRW zu messen, und nicht nur an der Profitabilität.

Unabhängig davon gehen WestSpiel, die NRW.BANK und die beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften davon aus, dass der WestSpiel-Konzern durch die veranlassten umfangreichen Restrukturierungsmaßnahmen wieder positive Jahresergebnisse erzielen kann. Zu diesen Maßnahmen gehören: Verschlankung der Gruppenstruktur, Aufgabe bzw. Veräußerung von Standorten, Verstärkung der gästeorientierten Attraktivität, Personalmaßnahmen, Revitalisierung des Standortes Aachen – im Übrigen mit einem so zunächst gar nicht erwarteten Erfolg –, Etablierung des neuen Spielbankstandortes in Köln.

Dass ein Unternehmen, das sich gerade in der Restrukturierung befindet, gelinde gesagt, etwas üppigere Weihnachtsfeiern veranstaltet, habe ich selbst deutlich als einen Schritt kritisiert, den man so nicht machen sollte. Ich gönne jedem Unternehmen und seinen Mitarbeitern Betriebsfeste. Diese Dinge sind in der gewerblichen Wirtschaft, aber auch im öffentlich-rechtlichen Bereich, bei Unternehmen durchaus üblich und nicht ungewöhnlich. Größenordnung und Art müssen aber schon in die Zeit passen. Sie müssen sich am wirtschaftlichen Ergebnis eines Unternehmens orientieren, und sie müssen auch einen gewissen Instinkt dafür zeigen, in welchen Zusammenhang das Ganze möglicherweise gesetzt werden kann.

Das hat man dann auch ausreichend getan, indem das mit Warhol verknüpft wurde, wofür es hier überhaupt keinen Anlass und überhaupt keine Ansatzpunkte gibt – erst recht nicht, wenn das nicht nur 2014, sondern auch 2015 geschieht. Ich habe das Unternehmen über die NRW.BANK um Sachverhaltsaufklärung gebeten.

Ich weise nur darauf hin, damit klar ist, welche Position ich selbst dazu habe: Auch in Ministerien gibt es Zusammenkünfte anlässlich des bevorstehenden Weihnachtsfestes oder zu Karneval. Bei uns ist es ganz üblich, dass der Minister, der Staatssekretär und die leitenden Beamten durch ihren persönlichen Beitrag die Finanzierung sicherstellen und das Ganze nicht zu einem vom Unternehmen bezahlten Betriebsfest wird.

Dass es in der Wirtschaft auch andere Varianten und Versionen gibt und dass das dann sozusagen ein zusätzlicher Gehaltsbestandteil ist, der auch versteuert wird, kann ich nicht grundsätzlich von der Hand weisen und kritisieren. Aber noch einmal: Ich halte schon etwas davon, dass man sich immer über den Rahmen, in dem etwas passiert – und zwar zeitlich, wirtschaftlich sowie mit Blick auf die gesamten Umstände – ein paar Gedanken mehr machen sollte. – So viel zum Einstieg.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Witzel hat eine erste Frage. Bitte schön, Herr Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Dr. Walter-Borjans, vielen Dank für Ihre erste Antwort.

Meine Frage leitet sich genau daraus ab. Sie haben zuletzt dem Haushalts- und Finanzausschuss auch schriftlich mitgeteilt, dass Sie positive betriebliche Ergebnisse erst wieder im nächsten Jahrzehnt, nämlich in 2021 sehen. Nichts anderes habe ich wiedergegeben. Sie haben zugleich gesagt, die letzten verfügbaren Zahlen seien die des veröffentlichten Jahresabschlusses für das Jahr 2014; das sei daher die aktuelle Datenbasis, die dem Parlament vorliege.

Deshalb frage ich Sie, gerade weil Sie sich – anders als zum Beispiel die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen – entschieden haben, bewusst diese staatliche Verantwortung mit einem staatlichen Unternehmen im Glücksspielbereich wahrnehmen zu wollen, ob Sie sich bei der Vielzahl der immer wieder neu aufkommenden Sachverhalte bei WestSpiel als zuständiger Minister hinreichend vom Unternehmen informiert fühlen.

Ich will diese Frage ausdrücklich so verstanden wissen, dass Sie natürlich nicht jedes operative Detail regeln können. Aber wenn man sich staatlich bewusst entscheidet, ein solches Unternehmen zu betreiben, darf man solchen Unternehmen eben auch nicht solche grenzenlose Freiheiten lassen, dass sie sich in einer Weise entwickeln, dass es dem Steuerzahler und der Allgemeinheit nicht guttut. Genau das ist meine Frage: Sehen Sie hier kommunikativen und informativen Verbesserungsbedarf des Unternehmens auch Ihnen als Eigentümer gegenüber?

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, bitte schön.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Witzel, ich bleibe dabei, dass es nicht zur operativen Tätigkeit eines Ministers gehört, einem Tochterunternehmen eines Unternehmens, das dem Land gehört, sozusagen die Hand bei jedem einzelnen Schritt zu führen, das es unternimmt.

Dass es offenbar so ist, dass operative Entscheidungen, wenn sie skandalisierungsfähig sind, unter anderem auch von Ihnen auf die politische Ebene hochgezogen werden, um sie damit zu verknüpfen, ist nicht zu leugnen. Das sehen wir. Insofern werde ich dann auch tätig.

Ich halte es nicht für meine Aufgabe, in jedem operativen Bereich nachzufragen, wo eine einzelne Entscheidung unter solchen Gesichtspunkten hinterher zu einer Nachricht zu machen ist oder nicht. Ich erwarte allerdings, dass man in diesem Unternehmen und auch bei der Beaufsichtigung dieses Unternehmens durch die dafür zuständigen Gremien und die Muttergesellschaft ein Stück weit darauf achtet, dass man unabhängig von festgelegten Regeln einen gewissen Instinkt dafür entwickelt, dass Missgriffe dieser Art nicht in dieser Weise öffentlich breitgetreten werden.

Deswegen bin ich natürlich tätig geworden, und deswegen habe ich die NRW.BANK in aller Deutlichkeit darum gebeten, diesen Sachverhalt aufzuklären. Inwiefern es immer wieder im täglichen Geschäft Sachverhalte geben kann, die in dieser Weise medial oder kommunikativ darstellbar sind, kann ich Ihnen nicht sagen.

Ansonsten kann ich dem Unternehmen bescheinigen, dass es in der letzten Zeit eine Reihe von Schritten unternommen hat, die die Perspektiven eindeutig verbessern. Das ist das, was mich interessiert. Ich schaue darauf, ob man den Aufgabenstellungen des Spielbankgesetzes auf Dauer gerecht werden kann. Was im Augenblick dort passiert, deutet in die richtige Richtung.

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister. – Frau Schneider hat eine Frage.

Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Walter-Borjans, im Casino Hohensyburg steht wieder eine millionenschwere Restrukturierung an, nachdem bereits vor wenigen Jahren Beiträge in Millionenhöhe in die Revitalisierung dieses Standortes investiert worden sind.

Für wie betriebswirtschaftlich profitabel und für den Standort erfolgreich halten Sie die diversen Revitalisierungen inklusive der aktuellen Maßnahmen in Hohensyburg?

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Können Sie den Gesamtzusammenhang der Frage erklären?)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich kann nur noch einmal sagen, dass sich WestSpiel mit den einzelnen Standorten auseinandersetzt und die Revitalisierung jetzt ganz offenbar Früchte trägt.

Es gab nach meiner Einschätzung sogar noch einen kritischeren Standort, nämlich in Aachen. Auch dieser Standort zeigt durch den Standortwechsel innerhalb der Stadt jetzt deutlich bessere Ergebnisse. Noch einmal: Selbst Aachen mit dem schwächsten Ergebnis ist in den schwarzen Zahlen, wenn man die Spielbankenabgabe nicht abzieht.

Wir wollen insgesamt eine Profitabilität, die uns in die Lage versetzt, das zu tun, warum wir unter anderem an dem Thema „Spielbanken“ festhalten. Damit werden ganz wesentliche Beiträge für einen wichtigen sozialen Bereich erwirtschaftet, eben auch für die Stiftung Wohlfahrtspflege. Natürlich bin ich daran interessiert, die Schritte zu unterstützen, die dazu führen, dass dieser Bereich von WestSpiel später wieder in einem stärkeren Maße unterstützt werden kann.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Schmitz.

Ingola Schmitz (FDP): Vielen Dank für das Wort, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, infolge des geschäftlichen Niedergangs bei WestSpiel kritisiert der Landesrechnungshof, dass in den Casinostandorten dauerhaft viel zu viele Finanzbeamte vor Ort sind. Der Landesrechnungshof fordert von der Finanzverwaltung eine Stellenreduktion um 50 Planstellen, die die Landesregierung bislang nicht umgesetzt hat.

Aus welchen Gründen folgt die Landesregierung nicht dem plausiblen Einsparvorschlag des Landesrechnungshofs, mehrere Dutzend Planstellen von Finanzbeamten in den Casinos abzubauen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Weil sich so etwas nicht von heute auf morgen auf einen Schlag erledigen lässt, sondern das vielmehr zu dem Gesamtkonzept gehört, an dem WestSpiel arbeitet.

Noch einmal: Im Augenblick ist WestSpiel dabei, seine Ergebnisse deutlich zu verbessern. In diesem Zuge ist mit darauf zu achten, wie viel Personal das Unternehmen selbst benötigt und wie viel Personal zur Beaufsichtigung benötigt wird. Wir werden die notwendigen Schritte daraus ziehen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Alda, bitte.

Ulrich Alda (FDP): Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, die Landesregierung schmückt sich gerne mit ihrer Imagekampagne „Gute Arbeit in NRW“, die einen wertschätzenden Umgang mit Beschäftigten und gute Arbeitsbedingungen propagiert. Beim Staatsunternehmen WestSpiel hingegen sind die Arbeitsbeziehungen – weit über Einzelfälle hinaus – mit am konfliktreichsten.

Herr Minister Walter-Borjans, wie bewerten Sie das WestSpiel-Personalmanagement mit seinen zahlreichen Arbeitsgerichtsprozessen und Rekordabfindungen vor dem Hintergrund der Erwartungen an sogenannte gute Arbeit, die die Landesregierung von privaten Arbeitgebern erwartet?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Alda, zur guten Arbeit gehört es auch, dass in Leitungsbereichen ein anständiger Umgang herrscht und es dort ein leistungsbezogenes Arbeiten gibt. Bei dem, was Sie als „Rekordabfindungen“ beschreiben, geht es um Abfindungen in einem absolut üblichen Bereich. Diese beruhen im Übrigen auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen, die nicht von mir – jedenfalls nicht in allen Einzelteilen – und auch nicht in meiner Regierungszeit getroffen worden sind.

Ich kann nur sagen: Man kann in einem Unternehmen zu dem Ergebnis kommen, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht sinnvoll ist und sie weder dem Unternehmen dient noch der Zielsetzung folgt, gute Arbeit sicherzustellen. In diesem Zusammenhang hat es ganz offenbar einige Personalentscheidungen gegeben. Sie sprechen vermutlich auf die Personalentscheidung an, die von Ihnen oder jedenfalls von Ihrer Fraktion in der letzten Zeit hinreichend medial begleitet worden ist.

In diesem Zusammenhang wurde immer wieder die Frage laut, warum jemand mit einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis entlassen und nicht anderweitig eingesetzt wird. Diese Frage kann man damit beantworten, dass es Fälle gibt, in denen man denjenigen eben anderweitig nicht für einsetzbar hält oder ihn anderweitig nicht einsetzen möchte. Dann kann es nicht nur im öffentlich-rechtlichen Bereich zu solchen Ergebnissen kommen, sondern in jedem privaten Unternehmen auch.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Nückel.

Thomas Nückel (FDP): Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, bei der damaligen Entscheidung der Landesregierung, den zusätzlichen Casinostandort in Köln zu eröffnen, ist eine europaweite Ausschreibung der Konzession unterblieben. Automatisch wurde daher das Staatsunternehmen WestSpiel mit dem Betrieb des fünften Standorts beauftragt, obwohl man vom Land her vielleicht auch bessere und risikolosere Lösungen in einem Bieterverfahren hätte finden können. Deswegen frage ich: Aus welchen einzelnen Gründen haben Sie sich gegen eine wettbewerbliche Ausschreibung für die fünfte Casinokonzession entschieden?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Länger als diese Regierung im Amt ist, gab es bereits Überlegungen der NRW.BANK und von WestSpiel, einen Standort in Köln zu planen. Diese Planung ist nicht von dieser Landesregierung erfunden worden. Das kann ich Ihnen auch belegen. Ich war in meiner Zeit als Kölner Wirtschaftsdezernent – also in der Zeit, in der hier eine schwarz-gelbe Landesregierung tätig war – einmal von der NRW.BANK eingeladen, um über geeignete Standorte in Köln zu sprechen. Es ist also belegt, dass diese Überlegungen nicht erst in meiner Zeit als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen entstanden sind. So.

In der Planung des Unternehmens ist immer unwidersprochen gewesen, dass die entscheidende Größe zur Verbesserung des Ergebnisses darin liegt, dass man den veränderten Marktbedingungen folgt. Diese bestehen darin, dass man an einen Standort gehen muss, an dem das sogenannte Laufpublikum stärker vertreten ist. Eine andere Art des Spiels ist in den Vordergrund getreten. Insofern war der Weg, wie man WestSpiel im Einzelnen auf eine neue Bahn bringt, schon zu einem erheblichen Teil entwickelt, als ich die Verantwortung übernommen habe. Das haben wir weiterbetrieben.

Sämtliche Aussagen der damit Beschäftigten deuten darauf hin, dass dieser Schritt das Betriebsergebnis von WestSpiel erheblich verbessern wird.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, die Arbeits- und Tarifverträge sowie Betriebsvereinbarungen stehen derzeit aus Sicht unterschiedlicher Spielbankmanager einer leistungsgerechten Besoldung und einer zukünftigen Personalentwicklung oft im Wege. Deshalb frage ich Sie: Sehen Sie, Herr Finanzminister, zusammen mit WestSpiel einen Änderungsbedarf, um zu mehr Flexibilität beim Personaleinsatz und dessen Entlohnung zu kommen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Ich sehe, ehrlich gesagt, keinen Bedarf, mich als Finanzminister mit diesen Einzelfragen zu beschäftigen. Ich bin stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender der NRW.BANK. Ich habe mir anzuschauen, was die NRW.BANK mit ihren Beteiligungen macht. In diesem Zusammenhang lassen wir uns berichten – im Übrigen in einer Weise, die den Aufsichtsbehörden teilweise sogar schon zu intensiv war. Aus diesem Grund erwarte ich ein Ergebnis von WestSpiel, und das muss optimal sein muss. Darüber wird man dann in den zuständigen Gremien reden. Ich werde mich nicht im Einzelnen damit beschäftigen, welche konkreten Personalplanungen von WestSpiel vorgenommen werden.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Wedel.

Dirk Wedel (FDP): Vielen Dank. – Herr Minister, WestSpiel ist damit aufgefallen, Arbeitsgerichtsprozesse jahrelang durch mehrere Instanzen zu betreiben, selbst wenn die Erfolgsaussichten des Arbeitgebers als eher gering eingeschätzt wurden. Dadurch werden jahrelang hohe Verfahrenskosten und Vergütungen fällig, denen keine erbrachte Arbeitsleistung gegenübersteht. Für wie sinnvoll erachten Sie die von WestSpiel praktizierte Verfahrensweise?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Wedel, ich bleibe bei der eben bereits genannten Einschätzung. Ich bin nicht im Detail vertraut mit der Frage, was zu dieser Trennung geführt hat und warum man diese Trennung auch durchfechten will. Ich muss annehmen und nehme an, dass die Unternehmensführung gute Gründe dafür hatte. Sie ist am Ende verantwortlich für einen erfolgreichen Betrieb.

Die Schritte, die sie indirekt über die NRW.BANK auch mir als Verwaltungsratsmitglied vorzulegen hat und auch vorlegt, sind plausibel. Ich kann nicht im Einzelnen darüber reden, warum jemand aus einem Arbeitsverhältnis entlassen worden ist und warum man durch mehrere Instanzen gehen will, um diese Entscheidung auch durchzubekommen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, was Ihnen ja vermutlich bekannt sein dürfte, ist der Umstand, dass öffentliche und private Spielbanken in anderen Bundesländern ökonomisch erfolgreicher sind, dass sie also bessere Kennziffern haben als WestSpiel. Sie brauchen beispielsweise weniger Verwaltungspersonal, sie haben eine bessere Besucherentwicklung, sie brauchen weniger Investitions- oder Restrukturierungsaufwand und erfüllen trotzdem den Glücksspielstaatsvertrag.

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Haben Sie Erkenntnisse aus einem solchen Benchmarkvergleich mit Häusern in anderen Bundesländern? Wenn ja: Welche sind es? Wenn nein: Warum nicht, bzw. scheuen Sie einen entsprechenden Vergleich?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Bombis, ich scheue den Vergleich nicht, ich nehme ihn aber auch nicht vor, sondern das hat das Unternehmen zu machen, und das haben die Aufsichtsgremien des Unternehmens einzufordern.

Ich weiß aus den Vergleichen, die offenbar vorgenommen worden sind, dass es in vielen Bereichen keine Vergleichbarkeit gibt und dass man die Vorgehensweise der Länder, die andere Wege gewählt haben, was die Zielsetzung ihrer jeweiligen Glücksspielverträge und Staatsverträge angeht, durchaus mal hinterfragen darf.

Aber Sie haben recht: Es gibt möglicherweise auch andere Organisationsformen, um die Glücksspielabgabe für die Haushalte bzw. für die sozialen Zwecke zu bekommen. Ich habe mich nie einer Diskussion darüber verschlossen, welche Alternativen es geben kann.

Unsere Entscheidung steht aber an diesem Punkt fest: Wir haben eine Glücksspiellandschaft, eine Casinolandschaft, und wir haben die Entscheidung getroffen, die Verbesserung des Betriebsergebnisses durch den zusätzlichen Standort Köln zu erreichen. Das, was im Moment an Entwicklungen absehbar ist, sieht gut aus.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, in der Gewinn- und Verlustrechnung des Jahresabschlusses 2014 ist der Personalaufwand ausgewiesen. Dieser stieg um 40 % im Vergleich zum Vorjahr. Der Aufwuchs setzt sich zusammen aus einem Anstieg der Löhne und Gehälter um 6,2 Millionen € sowie der Sozialabgaben und Aufwendungen für Altersversorgung und für Unterstützung in Höhe von 6,5 Millionen €. Insbesondere die Aufwendungen für die Altersversorgung wuchsen von 1,4 Millionen € in 2013 auf 7,9 Millionen € in 2014. In 2011 hat die Aufwendung nur 211.000 € betragen. Wie ist der Anstieg von jeweils über 6 Millionen € einerseits bei den Gehältern und andererseits bei der Altersversorgung im Detail zu erklären?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Er ist weder durch eine enorme Ausweitung von Stellen noch durch eine enorme Aufstockung von Gehältern zu erklären. Das ist ja das, was mit diesen Zahlen, wenn sie transportiert werden, offenbar insinuiert werden soll.

Ich kann Ihnen sagen: Die Gründe für den Aufwuchs 2014 gegenüber 2013 in einer Größenordnung von rund 13,2 Millionen € liegen genau in der Umstrukturierung, die WestSpiel vorgenommen hat und derzeit noch vornimmt. Darin sind zum einen 5,7 Millionen € für eine Rückstellung für das Umstrukturierungsprogramm enthalten, und zum anderen sind 6 Millionen € für Altersaufwendungen angefallen; die bestehen zu 3 Millionen € aus der Dotierung einer Rückstellung und zu 3 Millionen € aus der Neubewertung der Anlagen der Altersversorgung aufgrund von Marktzinsrückgängen.

Das sind die Gründe für die jeweiligen Aufstockungen, die mit dem Kurswechsel und der Umstrukturierung notwendig geworden sind. Es handelt sich dabei – wenn man es auch anders darstellen möchte – nicht um eine ausufernde Vergrößerung von Stellen oder Gehältern.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben eben eine interessante Aussage gemacht, und zwar haben Sie gesagt: Wenn WestSpiel die Spielabgabe nicht zahlen müsste, dann würde man dort Gewinn machen. – Das ist natürlich hochgradig interessant für jedes Privatunternehmen. Wenn man keine Steuern zahlen müsste, dann könnte man auch Gewinn machen. Das ist meines Erachtens eine etwas schräge Betrachtung.

2012 sind Sie der WestSpiel ja schon einmal entgegengekommen, nämlich mit einer Reduzierung der Spielbankabgabe. Mich würde interessieren, was seit 2012 passiert ist, ob die WestSpiel und die NRW.BANK noch einmal zu einer Reduzierung der Abgaben an Sie herangetreten sind.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Hafke, ich freue mich natürlich immer, wenn ich für Sie interessante Aussagen ausmachen kann, nur haben Sie am Anfang nicht zugehört. Nennen Sie mir einmal das private Unternehmen, das von seinem Bruttoumsatz eine Abgabe bezahlen muss, die im Übrigen keine normale Steuer ist, die jedes Unternehmen bezahlen muss, sondern die von vornherein festgelegt wird.

So ist das auch bei WestSpiel. Es geht nicht darum, dass WestSpiel erst dann schwarze Zahlen schreibt, wenn es seine Steuern nicht mehr bezahlt. Die Steuern werden bezahlt. Alle normalen Steuern, die ein Unternehmen zu bezahlen hat, und die im Normalfall ertragsabhängig sind, können bezahlt werden. Das Unternehmen ist dann immer noch in den schwarzen Zahlen.

Es geht hier um die Sonderform, dass ein uns indirekt gehörendes Unternehmen an uns – das Land – eine vom Bruttospielertrag abzuführende Abgabe zu bezahlen hat und dass die Abgabe in dieser Größenordnung aus dem Betriebsergebnis nicht zu bewältigen ist.

Da muss man zwei Dinge machen: Entweder Sie senken diese Abgabe – das haben wir im Verlauf der Spielerträge in den letzten Jahren gemacht –, oder Sie stellen auf eine Systematik um – Sie können argumentieren und werden dann feststellen, es sind schwarze Zahlen –, bei der man etwas vom Ertrag abführt.

Das möchte ich nur deshalb nicht, weil ich letztlich auch daran interessiert bin, dass das Unternehmen in seinen Bemühungen nicht nachlässt, den Bruttospielertrag zu erzielen, um die Möglichkeiten, die wir damit finanzieren, weiterhin erhalten zu können.

(Marcel Hafke [FDP]: Das war nicht die Beantwortung meiner Frage. Ich habe gefragt, was seit 2012 passiert ist! Sind WestSpiel und die NRW.BANK an Sie herangetreten, um zu einer Reduzierung der Abgabe zu kommen?)

– Nein, wir haben jetzt eine Spielbankenabgabe, die gilt. Wir schauen uns derzeit die Entwicklung an. Im Augenblick sieht es so aus, dass sich die Entwicklung dreht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit ihrer zweiten Frage erhält Frau Kollegin Schmitz das Wort.

Ingola Schmitz (FDP): Herr Minister, das Marktpotenzial für Glücksspielumsätze im Präsenzbetrieb und deren Kundschaft ist begrenzt und leidet zunehmend unter neuen Onlineangeboten. Warum soll ausgerechnet der zusätzliche Kölner Standort unter Beibehaltung aller bisherigen Einrichtungen angesichts der Marktlage zum großen Kassenschlager für das betriebliche Gesamtergebnis von WestSpiel werden?

(Zuruf von den GRÜNEN: Die Frage hat er schon beantwortet!)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Frau Schmitz, die Frage habe ich eben schon beantwortet. Das Spielverhalten des Publikums hat sich geändert. Sie haben recht: Zu einem erheblichen Teil geht es in Richtung Onlinespiel. Da aber, wo wir die Möglichkeit haben, einen Teil der Glücksspielerlöse – ich sage jetzt mal – für sinnvolle öffentliche Aufgaben der Wohlfahrtspflege zu erhalten, sollten wir uns ansehen, ob die Marktveränderungen nicht auch da Raum lassen. Duisburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Casino, das an der richtigen Stelle liegt und das richtige Angebot hat, durchaus positive Ergebnisse erzielen kann.

Noch einmal: Das ist bezogen auf Köln nicht erst in meiner Zeit als Finanzminister so gesehen worden. Ich habe schon darauf hingewiesen: Ich bin von der NRW.BANK schon in Zeiten eingeladen worden, in denen Sie noch die Regierung gestellt haben. Auch damals hat man ganz offenbar das Potenzial gesehen, das darin steckt, in Köln einen Spielbankenstandort zu eröffnen.

Ich sehe im Übrigen auch über die zeitliche Entwicklung der letzten Jahre keine Veränderung, etwa zu sagen: Zwischen 2005 und 2010 hätte es ja sinnvoll sein können, aber seit 2010 nicht mehr. Dafür gibt es keine Hinweise.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit seiner zweiten Frage erhält Herr Kollege Alda das Wort.

Ulrich Alda (FDP): Herr Minister, obwohl für den neuen Kölner Spielbankenstandort eine beträchtliche Anzahl neuer Beschäftigter gesucht wird, beabsichtigt WestSpiel einen großflächigen Arbeitsplatzabbau über kostspielige Vorruhestandsmodelle bei älteren Arbeitnehmern. Uns interessieren Details dieser eigentlich widersprüchlichen Konzeption hinsichtlich Umfang und Modalitäten.

Herr Minister Walter-Borjans, welche Einzelheiten sind Ihnen zur Konzeption und Dimensionierung der Personalabbau- bzw. Frühverrentungsprogramme bei WestSpiel bekannt?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die sind mir im Detail nicht bekannt, weil ich weder im Aufsichtsrat noch im Management von WestSpiel bin. Das hat dieses Unternehmen in seiner Wirtschaftsplanung der Muttergesellschaft zu erklären. Dann hat man dort Schritte zu unternehmen, wenn man dort der Auffassung sind, dass es nicht plausibel ist.

Dass es eine groß angelegte Umstrukturierung gibt, die das Ziel hat – ich sage einmal –, die geschäfts- oder erfolgsträchtigen Standorte zu stärken und zu erneuern, halte ich für richtig. Was im Einzelnen geplant wird, ist wirklich nicht Sache des Finanzministers.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Nückel mit seiner zweiten Frage.

Thomas Nückel (FDP): Herr Minister, wenn man in den Jahresabschluss 2014 schaut, erblickt man bei der Personalstruktur eine neue Kategorie unter dem Titel „Rezeption/Automatenspiel/Kasse“ mit immerhin 50 Beschäftigten, die dort vorgesehen ist. Nachvollziehbare Gründe für diese Veränderung oder Zuordnung der Beschäftigten im Management und in der Unternehmenszentrale sind mir jetzt nicht ersichtlich.

Deshalb frage ich: Welche Strukturanpassungen der WestSpiel GmbH hat es gegeben, die eine Versetzung bzw. Verlagerung von 50 Beschäftigten notwendig gemacht haben?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Nach meinem Kenntnisstand ist es schlicht und ergreifend eine Veränderung in der Aufbauorganisation. Die Bereiche Rezeption/Automatenspiel/Kasse wurden zu einem Bereich zusammengefasst. Dadurch wurden eine größere Flexibilität beim Personaleinsatz und eine attraktivere Arbeitsplatzgestaltung für die Mitarbeiter erreicht. Insofern ist hier nicht Personal umgesetzt bzw. in einem großen Maße abgebaut und wieder aufgebaut worden. Es handelt sich vielmehr um eine Veränderung der Zuordnung des Personals, um so innerhalb dieses größeren zusammengefassten Bereichs flexibler zu sein.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Wedel mit seiner zweiten Frage.

Dirk Wedel (FDP): Herr Minister, im Bestätigungsvermerk des Jahresabschlusses 2014 weist der Wirtschaftsprüfer darauf hin, dass es für den Fortbestand des WestSpiel-Konzerns maßgebend ist, dass das Gesamtkonzept der Restrukturierung wie geplant umgesetzt werden kann. Die Eröffnung der Kölner Spielbank bis 2020 ist ein wichtiger Bestandteil davon, hinkt aber bereits fast ein Jahr hinter dem Zeitplan her. Die Anforderungen des Wirtschaftsprüfers sind damit offenbar nicht erfüllt.

Von welchen negativen Folgen dieser zeitlichen Verzögerung bei der Eröffnung der Spielbank in Köln gehen Sie in Bezug auf die Einnahmeausfälle und für die gesamte Konzernentwicklung bei WestSpiel aus?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Die Einzelzahlen kann ich Ihnen als Nichtmitglied des Aufsichtsrats von WestSpiel nicht nennen. Ich kann Ihnen Folgendes sagen: Die NRW.BANK hat mir gegenüber deutlich gemacht, dass man trotz der Verzögerung im zweiten Quartal 2020/2021 mit einer Eröffnung in Köln rechnet, was diese Erfolgserwartungen durchaus noch einmal unterstreicht. Das ist für mich die maßgebliche Aussage.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Die zweite Frage von Herrn Kollegen Bombis.

Ralph Bombis (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, der Bereich, der selbstverständlich nicht dem ordnungspolitischen Auftrag des Glückspielstaatsvertrags unterliegt, ist der Gastronomiezweig von WestSpiel. Deshalb sind die zuletzt aufgetretenen Einbrüche in diesem Bereich und die für die öffentliche Hand zukünftig verbleibenden Risiken für mich nicht nachvollziehbar. Umgekehrt könnten aus diesem Bereich zukünftig mit Sicherheit verlässliche Pachteinnahmen erzielt werden.

Daher frage ich Sie: Aus welchen Gründen setzen Sie bzw. Ihr Haus sich in den entsprechenden Gremien nicht dafür ein, diese offensichtlichen Wagnisse des Gastronomiebetriebs in kompetente private Hände abzugeben und aus dieser Gestaltung sicher und dauerhaft Einnahmen zu erzielen?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Bombis, die Gründe sind folgende:

Erstens. Ich habe schon eine Menge inkompetente Hände im Gastronomiebereich erlebt

(Zustimmung von Britta Altenkamp [SPD]

und folge nicht der Auffassung, dass bei Privaten automatisch Kompetenz gegeben ist.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Zweitens. Die Erträge der WestSpiel-Gastronomien sind vor allen Dingen zurückgegangen, weil man sich in Aachen vom Cateringgeschäft getrennt hat. Das war im Übrigen die Entscheidung, dieses Geschäft nicht auch noch aus dem öffentlichen Bereich von Aachen aus zu betreiben. Dieser Teil der Aufwendungen betrug 2013 noch 747.000 € und entsprach 45 % am Gastronomieumsatz in Aachen und 12 % am Gastronomieumsatz der gesamten WestSpiel.

2015 sind nach dieser Ausgliederung oder Trennung vom Catering die Umsätze der Gastronomie wieder um 3 % gestiegen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Garbrecht.

Günter Garbrecht (SPD): Ich will mal die FDP-Fragestunde ein bisschen durchbrechen. – Herr Minister, manchmal geht eine zu enge betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise ein bisschen fehl. Sie haben zu Anfang auf die Spielbankabgabe hingewiesen. Aber das scheint den Fragestellern von der FDP noch immer nicht so ganz eingängig zu sein.

Zur Frage von Herrn Bombis zu einem Benchmark muss man konstatieren, dass die Spielbankgesetze der Länder unterschiedlich sind.

Erstens. Können Sie dem Hohen Haus mitteilen, welches Spielbankgesetz anderer Länder eine solche Spielbankabgabe wie Nordrhein-Westfalen vorsieht?

Zweitens. Können Sie dem Hohen Hause vielleicht an ein paar Fakten darstellen – als Vorsitzender des Stiftungsrats könnte ich das auch machen –, wie hoch die Spielbankabgabe seit Bestehen des Spielbankgesetzes in Nordrhein-Westfalen ist und wie viel davon sozialen Zwecken, nämlich der Stiftung Wohlfahrtspflege, zugutekommt?

Wenn Sie die Spielbankabgabe …

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Garbrecht, das waren mindestens zwei Fragen. Wollen wir dem Minister nicht Gelegenheit geben, sie zu beantworten?

Günter Garbrecht (SPD): Ich sehe, dass der Minister sich erst noch erkundigen muss. Von daher will ich ihm diese Zeit lassen, Herr Präsident. – Aber jetzt kann er wohl antworten, und ich höre auf zu fragen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Dann geben wir ihm die Chance. – Herr Minister, bitte.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Den Ländervergleich kann ich im Einzelnen nicht direkt vornehmen – wenigstens nicht hier vor Ort. Das gilt auch für eine Summenbildung, wie viel bisher schon beigetragen worden ist. Es ist nur ein enorm hoher Betrag, mit dem wir die Stiftung Wohlfahrtspflege haben unterstützen können.

Das ist auch nur ein Teil, weil auch die Spielbankgemeinden einen erheblichen Betrag bekommen.

Um deutlich zu machen, wer für diese Zwecke so viel aus der Spielbankabgabe zahlt wie Nordrhein-Westfalen: Mir ist nicht bekannt, dass jemand 49 % des gesamten Bruttospielertrags an Abgaben bekommt. Das wären bei 79 Millionen im vergangenen Jahr knapp 40 Millionen und davon 20 Millionen für die Stiftung Wohlfahrtspflege.

Außerdem gibt noch einen Betrag für die Spielbankgemeinden. Und vor allen Dingen ist ein erheblicher Betrag an Umsatzsteuer zu bezahlen, der sowohl dem Bund als auch dem Land zugutekommt.

Wenn wir diese Leistungen weiter erbringen wollten, müssten sie aus Steuergeldern bezahlt werden. Das heißt, sie wären vom Steuerzahler zu tragen. Da bringt uns die Spielbankabgabe – auch in der jetzigen Größenordnung – eine enorme Entlastung.

Das ist ein wichtiger Punkt – nicht nur hinsichtlich der Spielbankabgabe bei WestSpiel, sondern auch bei der Lotterieabgabe. Das weiß ich, weil ich in dieser Woche den bisherigen Geschäftsführer von WestLotto verabschiedet habe.

Mit Teilen dieses „Beitrags“ der „spielenden“ Bevölkerung werden wirklich sinnvolle Aufgaben unterstützt und denen geholfen, die viel zu wenig im Licht stehen. Wenn der Staat dieses System aufgeben würde und damit die Einnahmen Privaten überließe, würde sich das Spielen nicht verringern, aber die Unterstützung von guten Zwecken würde wegfallen. Dann müsste der Steuerzahler einspringen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Herr Kollege Witzel mit seiner zweiten Frage.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Finanzminister Dr. Walter-Borjans, Sie haben eben – wie häufig in der Vergangenheit – eine rituelle Verteidigung der Dinge, die bei WestSpiel passieren, vorgenommen und vieles von dem, was öffentlich kritisch diskutiert wird, als Einzelfälle dargestellt. Das ist für Sie immer der Einzelfall, der dann vielleicht gerade auch einmal die Öffentlichkeit erreicht hat.

Sie müssten eigentlich wissen, dass das nicht so ist und dass das strukturelle Probleme beim Finanzgebaren sind, die sich unter anderem zeigen bei der wiederholt erfolgten Auswahl von Führungskräften ohne einschlägige Qualifikation oder überhaupt ohne Berufsabschluss, bei der privaten Fahrzeugnutzung, bei der immensen Kündigungsintensität und der Welle von Arbeitsgerichtsverfahren, die es dort gibt. Gerade weil dies keine Einzelfälle sind, frage ich Sie: Interessiert Sie all das als Eigentümer nicht, wenn Sie strukturelle Probleme identifizieren müssen, die in einem Landesunternehmen erkennbar größer dimensioniert sind als im Rest der öffentlichen Landschaft?

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Witzel, es tut mir leid, aber rituell ist die Veranstaltung, die wir hier heute machen und die wir – wie der Präsident ja schon deutlich gemacht hat – hier ja ziemlich regelmäßig machen. Das hat ja auch etwas von Ritus.

(Zuruf von der FDP)

– Nein. Ich will Ihnen einmal sagen: Was wir hierhin verlagern, ist die Diskussion von operativem Geschäft und von Aufsichtsratsdebatten, die in die Aufsichtsräte gehören.

(Zuruf von der FDP: Steuergelder!)

– Ja, da sind Steuergelder. Aber wenn wir die Größenordnung, über die wir jetzt bezüglich eines Tochterunternehmens der NRW.BANK reden, vergleichen mit den Größenordnungen in jedem einzelnen Teil der NRW.BANK, stellen Sie fest, dass wir dazu auch nicht jedes Mal Fragestunden durchführen. Vielmehr machen Sie dies deshalb, weil Sie eine Möglichkeit sehen, Skandalisierung zu betreiben.

(Zuruf von der FDP)

– Nein, es geht nicht um Steuergelder. Um Steuergelder geht es bei einem Unternehmen mit einer Bilanzsumme von 140, 150 Milliarden € an so vielen Einheiten in der Größenordnung von WestSpiel, dass wir, wenn wir das hier im Landtag in Fragestunden beraten wollten, Jahre zu tun hätten. Von daher werden wir uns darauf verständigen müssen, dass wir einem Unternehmen und einer Unternehmensführung bitte schön die Verantwortung übergeben, anständig zu wirtschaften. Und wenn Veränderungsbedarf angezeigt ist, dann ist es völlig klar, dass das Management des Unternehmens oder aber der Muttergesellschaft sich darum zu kümmern hat.

Wenn Sie da zum Beispiel die private Fahrzeugnutzung hineinrühren, dann wollen wir uns einmal anschauen, in wie vielen öffentlichen, aber eben auch privaten Unternehmen Dienstfahrzeugverträge immer so gestaltet sind, dass jemandem, wenn er das bezahlt, wenn er dafür Steuern bezahlt, wenn das als geldwerter Vorteil versteuert wird, die Nutzung eines Dienstfahrzeuges üblicherweise auch privat möglich ist. Das ist alles andere als ein Skandal, wird aber als ein solcher dargestellt.

Wir können gerne über sämtliche Verträge mit Management mit Führungsaufgaben reden: Wer kommt in den Genuss? In welcher Weise ist das ausgestaltet? Das alles wird gerne so verstanden, als wenn das etwas ganz Furchtbares wäre, aber es ist definitiv normal.

Es gibt in ein paar Bereichen Dinge, die zu verbessern und zu verändern sind. Diese Verbesserungen und Veränderungen sind auch vorgenommen worden. Dazu gehört beispielsweise, dass man sich gegebenenfalls auch von Arbeitnehmern trennt. Das ist dann auch ein Teil dieser Umstrukturierung und der Reaktion. Nur: Wenn dies dann so geschehen ist, dann stricken Sie daraus das nächste Thema.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit seiner zweiten Frage Herr Kollege Hafke.

Marcel Hafke (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Es ist schon interessant, Herr Minister, dass Sie sagen, dass so etwas nicht in das Parlament hineingehört, aber zum Beispiel Warhol-Kunstwerke von WestSpiel in eine Kunstauktion gehen und es dann im Ergebnis auch um Steuergelder geht.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Was? Wer hat das denn gemacht?)

Es geht um 111 Millionen €, die „Warhol-Erlöse“. Das sind Steuergelder, und damit gehört das auch in ein Parlament, damit man nachfragen kann, wie die Situation aussieht. Daher bitte ich Sie, vielleicht einmal darzulegen, wie diese 111 Millionen € zwischen Landeshaushalt und WestSpiel genau verteilt wurden und was insbesondere von dem Anteil von WestSpiel im Moment noch da ist und wofür er verwendet wurde.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das können Sie nachlesen! – Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Lesen bildet auch in diesem Fall!)

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Hafke, ich kann nur noch einmal wiederholen, dass ich mich jedes Mal freue, wenn ich interessante Aussagen für Sie mache. Nur geht es bei den 111 Millionen € nicht um Steuergelder. Es geht darum, dass ein Unternehmen vor Jahren zu einem Betrag von einigen Hunderttausend Euro Kunst erstanden hat.

(Zuruf von der FDP: Steuergelder!)

– Nicht der Steuerzahler, sondern das Unternehmen hat diese Kunst aus seinen Gewinnen erstanden. Wir können darüber reden, dass der erhebliche Wertzuwachs dann auch dem Steuerzahler zugutekommt. Das ist ja in Ordnung. Aber es geht nicht um Steuergelder. Es geht darum …

(Zuruf von der FDP)

– Für Sie ist auf einmal alles, was in der WestLB-Zeit zum Beispiel an Gewinn entstanden ist, Steuergeld gewesen. So ist es nicht, sondern es war eine Bank, die Gewinne erzielt hat.

(Ralf Witzel [FDP]: War doch öffentliches Eigentum!)

– Das ist ja etwas anderes. – Im Übrigen ist es Eigentum eines Unternehmens, das in öffentlichem Besitz ist. So. Es gibt Gewinnabführungsregeln, die besagen, dass, wenn das Unternehmen WestSpiel, in dessen Eigentum die Kunstwerke waren,

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

diese Kunstwerke veräußert und damit außergewöhnliche Erträge erzielt, die über die NRW.BANK an das Land abzuführen sind, und dass im Gegenweg dann auch das Betriebsergebnis einschließlich der Verpflichtungen zur Spielbankabgabe und zur Restrukturierung der Spielbankstandorte, dass damit das Unternehmen gestützt worden ist. Darüber reden wir.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit seiner zweiten Frage Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die Personalstärke in der Unternehmenszentrale ist in den letzten Jahren stark angestiegen und damit deutlich größer als bei anderen Kasinobetreibern in anderen Bundesländern.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Deshalb lautet meine Frage an Sie, ob Sie nicht auch Bedarf zur Straffung beim Verwaltungspersonal in der Unternehmenszentrale sehen.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Fest steht, dass es zwischen 2013 und 2014 einen Aufwuchs um insgesamt vier Mitarbeiter gegeben hat und dass ein Vergleich zwischen den Unternehmenszentralen verschiedener Spielbankgesellschaften dann auch berücksichtigen muss, welche Aufgaben zentral und welche in den Spielbanken vollzogen werden. Insofern ist der Vergleich nicht richtig, wie Sie ihn vornehmen. Jedenfalls ist der unterstellte Personalaufwuchs nicht erfolgt. Im Vergleich zu 2013 gab es 2014 vier Stellen mehr.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Mit seiner dritten und letzten Frage Herr Kollege Witzel.

Ralf Witzel (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich muss die Frage, die Ihnen mein Kollege Marcel Hafke gerade gestellt hat, noch einmal wiederholen, weil Sie sie ausdrücklich nicht beantwortet haben, sondern an der wichtigen und auch öffentlich interessanten Frage der Warhol-Verkäufe vorbeigeantwortet haben. Ich unterstelle Ihnen da keine weitergehende Absichten, bitte Sie aber schon, dem Parlament gegenüber in der Präzision, wie uns das nach meiner festen parlamentarischen Auffassung auch zusteht, Auskunft zu geben.

Ich darf deshalb noch einmal wiederholen. Der Verkauf der Warhol-Kunstwerke hat 120 Millionen € Erlös gebracht. Nach Abzug der Provision, die Christie’s, New York, bekommen hat, sind 111,3 Millionen € übrig geblieben. Ein kleiner Teil ist im Ergebnis im Landeshaushalt verblieben, der Großteil ist an WestSpiel gegangen.

Die Frage des Kollegen Hafke war: Wie viel von diesen über 111 Millionen € hat WestSpiel schon verbraucht, und wie viel steht dort konkret noch für die nächsten Jahre für welche Aufgaben zur Verfügung? Wie die Verwendung dieser 111 Millionen € gelaufen ist – wie wenig der Landeshaushalt behalten hat und wie viel WestSpiel bekommen hat –, das sollten Sie hier bitte auch darstellen und die Frage beantworten.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Das ist eine Frage des Jahresabschlusses von 2015. Das werde ich Ihnen noch einmal im Einzelnen vorlegen; das kann ich jetzt nicht beantworten.

Tatsache ist – darüber haben wir im Haushalts- und Finanzausschuss schon vielfach gesprochen –: Es hat einen Erlös gegeben. Dieser Erlös ist über die NRW.BANK an das Land geflossen. Das Land hat für die Restrukturierung und den Bedarf, unter anderem auch den Neubaubedarf in Köln, die Gelder zurücküberwiesen. Es war von vornherein klar: Es ging nicht darum, aus dem Verkauf von Kunst der WestSpiel den Landeshaushalt zu stärken, sondern es ging darum, dass WestSpiel – das habe ich in einer der Fragestunden hier auch schon gesagt –

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das kann auch zwei- oder dreimal sein!)

bitte schön die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, ihre Restrukturierung zu finanzieren, und das nicht zulasten des Steuerzahlers. Das ist eben die unterschiedliche Sichtweise darüber, was Steuergelder sind und was nicht. WestSpiel hatte die Möglichkeit und hat sie genutzt. Aus diesem Grund sind wir jetzt auf dem Weg hin zu einer Neuaufstellung des Unternehmens.

Was die einzelnen Zahlen angeht: Soweit sie uns vorlagen, weiß ich, dass wir sie Ihnen schon einmal geliefert haben. Sofern es um neue Zahlen geht, die wir jetzt erst mit dem Jahresabschluss zur Kenntnis bekommen, werden wir Ihnen die auch noch vorlegen.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Nachfragen liegen mir nicht vor. Ich stelle deshalb fest, dass die Mündliche Anfrage 76 beantwortet ist.

Weitere Anfragen liegen in der Fragestunde nicht vor, die ich deshalb schließe.

Wir kommen zu:

12 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag – Versöhnungs- und Freundschaftswerk der Heimatvertriebenen und Aussiedler würdigen

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11430

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11491

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Hendriks das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Heiko Hendriks (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag – wahrlich ein Grund zu feiern. Dieser Nachbarschaftsvertrag ist eine Erfolgsgeschichte, weil er mit Leben gefüllt worden ist. Im Vertrag vom 17. Juni 1991 heißt es in Art. 29 Abs. 1 – ich zitiere –:

„… daß die Entwicklung zwischenmenschlicher Kontakte eine unerläßliche Voraussetzung für die Verständigung und Versöhnung beider Völker ist, …“

Genau dies ist in den 25 Jahren eingetreten. Sowohl auf der polnischen als auch auf der deutschen Seite haben sich Akteure – Menschen, Organisationen, Institutionen – engagiert, um den Vertrag mit Leben zu füllen. Das wollen wir würdigen, meine Damen und Herren.

Aus Sicht der CDU-Fraktion geht es dabei besonders um eine Gruppe, einen Akteur von vielen: die deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler, insbesondere diejenigen, die sich organisiert haben. Denn obwohl die Heimatvertriebenen und Aussiedler im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag keine Erwähnung finden, haben sie sich in diesen 25 Jahren engagiert für die deutsche Verständigung mit Polen eingesetzt, Brücken gebaut. Sie waren somit oftmals Initiatoren für Schul- und Städtepartnerschaften.

Heute können wir mit Stolz sagen, dass über 190 Schulen in Nordrhein-Westfalen Partnerschulen in Polen haben und dass knapp 100 Städte bzw. Gemeinden in Nordrhein-Westfalen Partnerstädte bzw. Partnergemeinden in Polen haben, übrigens vorwiegend in Oberschlesien und in der Woiwodschaft Schlesien. Somit haben die Heimatvertriebenen und Aussiedlerinnen und Aussiedler die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen insbesondere im kulturellen, wirtschaftlichen und auch karitativen Bereich befruchtet.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist auch wichtig zu erwähnen: Sie haben auch politisch Brücken gebaut. Ich denke in diesem Zusammenhang gerne daran zurück, dass am 22. August 2009 auf einer Veranstaltung der Landsmannschaft der Oberschlesier in Ratingen zum Beispiel die Rolle von Solidarno?? beim Fall des Eisernen Vorhangs respektive beim Mauerfall gewürdigt worden ist. Dies hat sogar Niederschlag in den polnischen Medien gefunden.

Das heißt, es wurden Brücken gebaut. In dieser Außenpolitik im Kleinen ist es gelungen, sich zu verständigen und Verständnis für die jeweils anderen Positionen zu entwickeln.

Somit ist es an der Zeit, gerade für diese Gruppe der deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedlerinnen und Aussiedler, die eben nicht im Nachbarschaftsvertrag erwähnt wird, eine entsprechende Würdigung zu gewährleisten.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen: Das, was die Heimatvertriebenen und Aussiedler gemacht haben, kann man als ein Versöhnungs- und Freundschaftswerk betrachten. Insbesondere die Rolle der Institutionen ist hier zu würdigen.

Zum einen sind die Oberschlesier als Patenlandsmannschaft zu nennen, zum anderen aber auch Institutionen wie das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen, das Haus Schlesien in Königswinter sowie die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus hier in Düsseldorf.

Über das Wie sollten wir in den Ausschüssen diskutieren, meine sehr geehrten Damen und Herren. Dass wir das machen sollten, steht für die CDU-Fraktion außer Frage. Deshalb freuen wir uns auf die Beratungen in den Ausschüssen und hoffen auf eine Übereinstimmung in den Ausschüssen, dass wir gemeinsam auch diese Personenkreise, diese Institutionen, diese Organisationen entsprechend hier im Landtag würdigen können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Ihnen, Herr Kollege Hendriks. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Neumann.

Josef Neumann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekonsul Gembiak! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schmerz, Schrecken, Scham sind untrennbar mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Polen und all seinen Folgen verbunden. Umso mehr empfinden wir unendliche Dankbarkeit für das Geschenk der deutsch-polnischen Freundschaft nach dem Massenmord an der polnischen Bevölkerung, darunter Millionen polnische Juden, nach Ausschwitz, nach den Massenexekutionen im ländlichen Raum, nach dem Warschauer Ghetto und nach der Zerstörung Warschaus – nach alle dem.

Der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag, dessen 25-jähriges Jubiläum wir am 17. Juni feiern, dokumentiert höchst eindrucksvoll das neue und bis dato historisch einmalige Miteinander, diesen Willen zur praktischen, konkreten Versöhnung. Diesem gingen intensive Versöhnungsschritte auf beiden Seiten voraus, sie wären ohne den Kniefall Willy Brandts, ohne die neue Ostpolitik undenkbar.

(Beifall von Jochen Ott [SPD])

Der Nachbarschaftsvertrag, hervorgegangen aus der damaligen Zeit und dem Zeitgeist, erwuchs aus einer Vergangenheit, die nicht vergeht. Er ist gleichermaßen der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet. Vertragswerke müssen leben, wir haben sie mit Leben zu erfüllen und jeweils neu zu lesen, um sie in die Zukunft zu übersetzen. Der Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen ist ein großartiger Beitrag zur europäischen Einheit, von höchster Aktualität, und er ist Ermahnung und Aufgabe, dem Ziel der Einheit im Geiste der Ostpolitik gerecht zu werden.

Unser Entschließungsantrag ist von dieser Überzeugung getragen.

Der Antrag der CDU würdigt indes nur die Leistungen der Vertriebenenverbände. Uns allen sind die Verdienste und die Situation der Vertriebenen und Aussiedler wohlvertraut. Diese werden von uns allen, so denke ich, ausdrücklich anerkannt, und da, wo es geht, werden diese Gruppen auch unterstützt.

Der CDU-Antrag reduziert eine große, erfolgreiche Vision, derer wir in der Zeit der Krise in Europa und der Migration von Millionen von Flüchtlingen nach Europa so sehr bedürfen, auf einen Teilaspekt und eine Personengruppe. Ihr Vorwurf an den Vertrag, die Vertriebenen nicht zu berücksichtigen, ist ein Vierteljahrhundert nach Vertragsschluss erstaunlich. Denn ich bin davon überzeugt, dass der Europäer Helmut Kohl genau wusste, was er tat, als er diesen Vertrag unterschrieben hat.

(Beifall von der SPD und den PIRATEN)

50.000 gemeinsame Projekte von zwei Millionen Jugendlichen im deutsch-polnischen Jugendwerk, intensive bürgerschaftliche Kontakte und Vernetzungen, zahlreiche Schulpartnerschaften und Schulkontakte sprechen eine eindeutige Sprache. Das Weimarer Dreieck, bestehend aus Nord-Pas de Calais, Woiwodschaft Schlesien und Nordrhein-Westfalen, schreibt die Erfolgsgeschichte einer vertrauensvollen Partnerschaft zwischen den Regionen, deren Staaten eine viel zu lange Vorgeschichte des Krieges, der Feindschaft und des Misstrauens verbindet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die besondere Qualität dieses deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages liegt darin, Vergangenheitsbewusstsein mit Gegenwarts- und Zukunftsfähigkeit zu verbinden.

Ein kritischer Blick auf das Hier und Heute ist im Auftrag der Zeitgeschichte und Aktualität geschuldet. Besorgt blicken wir auf gegenwärtige Entwicklungen in Polen in Hinsicht auf Rechtsstaatlichkeit und Medienvielfalt und hoffen, dass die Europäische Kommission, respektive der Europarat, mit ihren Instrumenten Rechtsstaatlichkeitsprüfung, respektive Venedig-Kommission, einen wirkungsvollen Dialogprozess initiiert haben.

Die Sprache von Art. 8 Abs. 1 des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages ist eindeutig und entschieden. Sie lautet: Verpflichtung unser aller auf das überragende Ziel der europäischen Einheit auf Grundlage von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. – Erweisen wir uns genau dieser Sprache als würdig.

Wir stimmen selbstverständlich der Überweisung in die Ausschüsse zu und setzen auf konstruktive Beratungen in den Ausschüssen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Neumann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Herrn Kollegen Engstfeld das Wort.

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages jährt sich im nächsten Jahr zum 25. Mal. Am 17. Juni 1991 setzten die Außenminister Polens und Deutschlands in Bonn ihre Unterschrift unter den Nachbarschaftsvertrag, nachdem einige Monate zuvor, am 14. November 1990, beide Regierungen den Grenzvertrag unterzeichnet hatten.

Damit erkannte Deutschland die Oder-Neiße-Grenze als westliche Grenze Polens endgültig an. Das war sicherlich ein Meilenstein für die Entwicklung der historisch belasteten Beziehungen zwischen beiden Nationen. Das war ein Meilenstein auf dem Weg der Versöhnung vor dem Hintergrund der deutschen Kriegsschuld.

Die CDU-Fraktion hat das anstehende Jubiläum nun zum Anlass genommen, einen Antrag einzubringen, der einen Einzelaspekt intensiver beleuchtet: die Würdigung des Beitrags der Vertriebenen und Aussiedler sowie ihrer Institutionen bei der deutsch-polnischen Versöhnungspolitik.

Wir, also die SPD-Fraktion und meine Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, haben deswegen einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht, der wesentlich umfassender die deutsch-polnischen bzw. die nordrhein-westfälisch-polnischen Beziehungen in den Blick nimmt.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich finde es sehr angemessen, anlässlich des 25. Jubiläums des Nachbarschaftsvertrages eine umfängliche Analyse der Beziehungen vorzunehmen und nicht nur einen Einzelaspekt zu betrachten. Zudem ist es aus unserer Sicht heute nicht möglich, über die Beziehungen zu Polen zu sprechen, ohne die aktuellen Entwicklungen in Polen selbst zu thematisieren. Liebe CDU-Fraktion, das fehlt in Ihrem Antrag leider völlig.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Meine Damen und Herren, heute, im Jahr 2016, sind die deutsch-polnischen Beziehungen von Freundschaft und Partnerschaft, von Anerkennung und Austausch sowie von der Begegnung zwischen den Menschen geprägt. Die Republik Polen und die Bundesrepublik Deutschland sind enge Freunde und Partner innerhalb eines friedlichen, freien und geeinten Europas. Die Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen sind gut.

Weil das so ist, betrachten viele Menschen bei uns die aktuellen Entwicklungen bei unseren polnischen Freundinnen und Freunden mit großer Sorge. Nach dem Sieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit – PiS –, die seit Mitte November 2015 mit absoluter Mehrheit in Polen regiert, werden dort in atemberaubendem Tempo Gesetze beschlossen, bei denen es laut PiS um die Reparatur des Staates geht.

Das Verfassungsgericht muss jetzt nach einer seit Ende letzten Jahres geltenden Reform seine Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit statt wie bislang mit einfacher Mehrheit treffen. Das neue Mediengesetz erlaubt der Regierung die Besetzung von Führungsposten bei öffentlich-rechtlichen Medien. Die nationalkonservative PiS argumentiert, unter der bisherigen liberalkonservativen Regierung seien Medien parteiisch gewesen. Nun gelte es, Korrekturen zu schaffen und neue inhaltliche Akzente zu setzen, etwa im Programm die nationale Identität zu stärken. Dagegen wehren sich Politikerinnen und Politik aus ganz Europa.

Am Wochenende sind wieder Tausende von Polen auf die Straße gegangen, um gegen das Gesetz zur Verfassungsgerichtsbarkeit zu demonstrieren; denn die Gegner dieser Entscheidung befürchten – nicht ganz zu Unrecht, glaube ich – eine Aufhebung der Gewaltenteilung und eine Gleichschaltung der Medien.

In Bezug auf das Verfassungsgericht wird befürchtet, dass eine so breite Zweidrittelmehrheit selten zustande kommen wird und das Gericht deswegen seine Rolle als Kontrollinstanz der Regierung verlieren könnte.

In Bezug auf das Mediengesetz wird befürchtet, die Regierung habe nun zu starken Einfluss auf die Programmgestaltung und auf die Programmmacherinnen und -macher. Zudem wird politischer Druck auf die bei den Sender arbeitenden Journalistinnen befürchtet.

Wir alle haben – der Kollege Neumann hat es auch schon erwähnt – letzte Woche die Stellungnahme der Venedig-Kommission zur polnischen Justizreform vernommen. Dass die Venedig-Kommission attestiert, eine Schwächung des Verfassungsgerichts könnte das demokratische System des Landes gefährden, wodurch Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ins Wanken geraten könnten, ist in der Tat nicht nur ernst zu nehmen, sondern auch besorgniserregend.

Ich appelliere an die polnische Regierung, die Kritik der Venedig-Kommission ernst zu nehmen, sie anzunehmen und den Empfehlungen der Kommission zu folgen. Sie hatte ja extra um eine Bewertung gebeten. Das alles fordern wir auch in unserem Antrag.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die grüne Landtagsfraktion wird sich wie bisher aktiv in die deutsch-polnische Zusammenarbeit einbringen. Das Bekenntnis zu den gemeinsamen europäischen Werten wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit sowie Unabhängigkeit von Justiz und Medien ist für unser Engagement wie auch für die Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen die Grundlage – auch und gerade im Jubiläumsjahr der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages.

Auch wir – ich komme zum Schluss – stimmen der Überweisung an die Ausschüsse zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Frau Kollegin Freimuth von der FDP hält jetzt den nächsten Redebeitrag.

Angela Freimuth (FDP): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Juni jährt sich zum 25. Mal die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages, in dem insbesondere eine Verständigung über die grenznahe und regionale Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Bildung sowie kulturelle und zivilgesellschaftliche Beziehungen gelungen ist.

Dabei ist Grundlage des Vertrages und der deutsch-polnischen Beziehungen insgesamt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte. Dazu gehört das deutsche Bekenntnis zur Schuld an den Leiden der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg, das durch den Kniefall des Bundeskanzlers Willy Brandt vor dem Denkmal für die Helden des Warschauer Gettos symbolisiert wurde.

Die Versöhnung unserer Völker wäre ohne die Bereitschaft zur Vergebung, wie sie zum Beispiel durch den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder 1965 zum Ausdruck gebracht wurde, und ohne die Bereitschaft zum Verzicht auf eigene Forderungen, wie sie etwa in der Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland im selben Jahr gezeigt wurde, nicht denkbar gewesen.

Dieser verantwortungsvolle Umgang mit der Vergangenheit verlangt Wissen um Zusammenhänge, Empathie und den Gestaltungswillen für ein gemeinsames, friedliches Europa.

Gleichwohl ist auch heute Sensibilität angezeigt. Deutlich wurde dies zum Beispiel, als Anfang dieses Jahrhunderts durch eine Landsmannschaft eine Gesellschaft unter der Firma „Preußische Treuhand“ Eigentumsansprüche Ostvertriebener behauptet und gerichtlich geltend gemacht wurden. Das deutsch-polnische Verhältnis wurde dadurch durchaus belastet, auch wenn zahllose Beschwerden dieser Gesellschaft vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teils schon aus formalen Gründen abgewiesen wurden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter Hinweis auf den gerade geschilderten Einzelfall wäre es aus meiner Sicht auch angemessen, die Beiträge der Vertriebenenverbände im deutsch-polnischen Aussöhnungsprozess differenzierter darzustellen, als es in diesem Antrag erfolgt. Dabei will ich ausdrücklich unterstreichen, dass es zahlreiche positive Beispiele der Versöhnungsförderung und des wechselseitigen Austauschs und des Kontakts auch seitens der Vertriebenenverbände gegeben hat und gibt. Das Jubiläum des Nachbarschaftsvertrages sollte aus unserer Sicht weitaus umfassender und unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen gewürdigt werden, wie es jenem Einigungswerk auch angemessen wäre.

Dies kommt in dem Entschließungsantrag von Rot-Grün in gewisser Weise auch zum Ausdruck. Auffällig ist allerdings, dass dieser Antrag im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Vorlage 16/3737 der Landesregierung zum Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages enthält. Wirklich Neues bieten die regierungsragenden Fraktionen insofern nicht an. Die einzige Abweichung von der Vorlage der Landesregierung besteht in der Kritik an der aktuellen polnischen Regierung.

Viele Initiativen der polnischen Regierung werfen derzeit ernste Fragen auf zur Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen und damit mit jenen Grundwerten, die als gemeinsamer Besitzstand aller EU-Mitgliedstaaten zu betrachten sind: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Meinungsfreiheit sind für uns nicht verhandelbar. Die EU-Organe selbst sind insofern auch um Prüfung und Abhilfe bemüht.

Ob das allerdings zum Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages passt? Ich möchte anregen, noch einmal zu überdenken, was für das gemeinsame europäische Haus konstruktiv ist.

Sowohl der Antrag der Fraktion der CDU als auch der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen weisen sprichwörtlich Licht und Schatten auf. In den Beratungen des Ausschusses gelingt es ja möglicherweise, ein gemeinsames starkes Signal für die deutsch-polnische und insbesondere die nordrhein-westfälisch-polnische Verbundenheit in einer freiheitlichen europäischen Wertegemeinschaft zu senden. Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Piraten spricht jetzt Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne und im Livestream! Sehr geehrter Herr Dahm! Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.06.1991 gehört zu den politischen Höhepunkten in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen.

Der Vertrag wurde in einer Zeit des Völkerfrühlings geschlossen. Da gab es vor allen Dingen eine Entspannungs- und eine Umgestaltungspolitik des letzten Generalsekretärs der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion, Gorbatschow, und es gab den Reformwillen der osteuropäischen Völker. Dadurch wurde dieser Vertrag ermöglicht.

Angesichts der zahlreichen internationalen Spannungen und Krisen, mit denen wir es seit Jahren zu tun haben, kann man wehmütig auf diese Zeit der Außenpolitik zurückblicken. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Das deutsch-polnische Verhältnis war, historisch betrachtet, über Jahrhunderte von Unterdrückung und von Feindseligkeit geprägt. Preußen hat im Rahmen der sogenannten polnischen Teilung im 18. Jahrhundert große Teile Polens annektiert.

Das Deutsche Reich hat während des Zweiten Weltkriegs eine völkermörderische Besatzungspolitik in Polen betrieben. Und aus Polen wiederum wurden in Umsetzung des Potsdamer Abkommens Millionen von Deutschen vertrieben. Die Voraussetzungen für eine deutsch-polnische Aussöhnung waren also denkbar schlecht.

Der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion vermittelt den Eindruck, dass es vor allen Dingen die Heimatvertriebenen und die Aussiedler waren, die das Eis gebrochen haben und die deutsch-polnische Aussöhnung initiiert und vorangetrieben hätten. Diesem Eindruck muss ich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, widersprechen. Dazu darf ich aus einer Stellungnahme aus einer Sachverständigenanhörung des Hauptausschusses vom 03.04.2014 zu einem Antrag der CDU-Fraktion zitieren. Dort heißt es zutreffend – Zitat –:

Freilich muss man hinzufügen, dass der im CDU-Antrag erwähnte Punkt der Verständigung mit dem Nachbarn im Osten nicht von Anfang an ein unumstrittener Bestandteil dieser früheren Vertriebenenpolitik gewesen ist. Denn zumindest der bis zur neuen Ostpolitik der Ära Brandt/Scheel, formal sogar bis 1991 aufrechterhaltene rhetorische und juristische Revisionismus in Bezug auf Vertreibungen und Gebietsverluste im Osten stand dieser Verständigung mit osteuropäischen Nachbarvölkern deutlich entgegen. – Zitat Ende.

Damit bin ich bei meinem zweiten Kritikpunkt. Wenn von der Versöhnung zwischen Deutschland und Polen die Rede ist, dann dürfen die Außenpolitik der Bundesregierung Brandt/Scheel und der Warschauer Vertrag von 1970 nicht unerwähnt bleiben. Mit dem Warschauer Vertrag hatte Westdeutschland die Grenzen Polens und insbesondere die Oder-Neiße-Grenze anerkannt und auf die Erhebung von Gebietsansprüchen gegenüber Polen verzichtet. Erst dadurch wurde eine Versöhnung zwischen Polen und Deutschland möglich. Allerdings – und das gehört zur Wahrheit dazu – haben die Heimatvertriebenen den Warschauer Vertrag heftigst bekämpft.

Mit diesen Anmerkungen sollen die Ausführungen im vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion zum Engagement von Heimatvertriebenen und Aussiedlern nach 1991 für die Verständigung zwischen Deutschland und Polen nicht ignoriert werden. Im Gegenteil: Wir freuen uns darauf, dass wir wahrscheinlich im Rahmen einer Anhörung im federführenden Ausschuss mehr über das historische Engagement und das aktuelle Engagement der Vertriebenenverbände und der Aussiedler im Hinblick auf die deutsch-polnische Aussöhnung und Verständigung erfahren können. Von daher stimmen wir der Überweisung selbstverständlich zu.

Ein letzter Satz zum Entschließungsantrag von SPD und Grünen: Natürlich wird dieser Antrag mit überwiesen. In der vorliegenden Version könnten wir uns bei diesem Antrag nur enthalten, denn er ist tatsächlich erst jetzt eingebracht. Uns fehlt die Zeit, diesen tatsächlich mit Ihnen zu diskutieren. Ich hoffe, dass wir das im Ausschuss hinbekommen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Lersch-Mense.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Beziehungen zu Polen sind und bleiben für das Land Nordrhein-Westfalen von zentraler Bedeutung. Die Verbundenheit mit Polen und insbesondere mit unserer Partnerregion Schlesien ist natürlich auch durch die gemeinsame Bergbautradition eine historisch gewachsene Partnerschaft. Sie bleibt aber auch, unabhängig von der Geschichte, aktuell für uns von Bedeutung hier in Nordrhein-Westfalen und auch im europäischen Kontext.

2016 feiern wir das 25-jährige Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages. Das Jubiläumsjahr bietet uns die Chance, auf die erfolgreiche Zusammenarbeit und die Vernetzung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen 20 Jahren zurückzublicken und gemeinsam aber auch Ziele für die Zukunft zu formulieren.

In Nordrhein-Westfalen leben mehr als eine halbe Million Bürgerinnen und Bürger polnischer Herkunft. Polen bleibt damit, wenn man von der jüngeren Entwicklung absieht, das wichtigste Zuwanderungsland. Das jährliche Handelsvolumen zwischen Nordrhein-Westfalen und Polen beläuft sich inzwischen auf mehr als 16 Milliarden €.

Herr Abgeordneter Hendriks hat schon darauf hingewiesen: Rund 90 Städte- und Kreispartnerschaften, 193 Schulpartnerschaften, mehr als 180 Hochschulkooperationen unterstreichen die Bedeutung unserer Beziehungen.

Diese vielfältigen Beziehungen, die gerade in unserem Land sehr lebendig sind, zeugen von einem wachsenden Geist der Freundschaft. Er ist essenziell für die Fortentwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität. Gerade in Krisenzeiten, denke ich, ist es wichtig, auf ein gemeinsames Fundament aufzubauen zu können, das von wechselseitigem Engagement getragen wird und in den jeweiligen Gesellschaften tief verankert ist.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ein großes Interesse, diese freundschaftlichen Beziehungen zu Polen auch weiter zu pflegen. Auch wenn der neue Kurs der seit November 2015 mit absoluter Mehrheit regierenden nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ zu heftigen Debatten in Polen, aber auch in Europa und mit der Europäischen Kommission geführt hat, bleibt dies richtig.

Für unsere Zusammenarbeit haben Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit höchste Bedeutung, ebenso wie das Ziel der europäischen Einheit, dem sich Deutschland und Polen im Art. 8 Abs. 1 des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit unmissverständlich verpflichtet haben.

Zudem werden wir die intensiven Kontakte zu unserer Partnerregion Schlesien weiter stärken. Diese Zusammenarbeit verstehen wir als wichtigen Beitrag zu einem vereinten Europa. Angesichts der aktuellen Herausforderungen und Zerreißproben in der Europäischen Union kann die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene durchaus ein stabilisierender Faktor für Europa insgesamt sein.

Meine Damen und Herren, im Landtag habe ich einen Bericht „25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag – Bilanz der Zusammenarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen mit Polen“ vorgelegt. Er ist am 11. März Gegenstand der Beratungen im Ausschuss für Europa und Eine Welt gewesen. In diesem Bericht wird im Detail ausgeführt, dass die Beziehungen Nordrhein-Westfalens zu Polen aufgrund der vielfältigen lebendigen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verbindungen heute enger denn je sind und der deutsche-polnische Nachbarschaftsvertrag durch eine Vielzahl von Projekten und Kooperationen mit Leben gefüllt wird.

Dass dabei auch Heimatvertriebene und ihre Organisationen und Institutionen wichtige Beiträge zur Verständigung und Versöhnung beider Völker und in verschiedenen Ebenen der Zusammenarbeit geleistet haben, ist unbestritten und unbestreitbar. Aber sie sind es nicht alleine gewesen. Deshalb greift der Ansatz in dem CDU-Antrag historisch sicherlich zu kurz, um es vorsichtig zu formulieren. Auf die umfassenden historischen Zusammenhänge haben die Vorredner schon hingewiesen.

Es ist eine Tatsache, dass die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen nur gelingen konnte, weil auch weite Teile der Gesellschaft insgesamt diesen Prozess mitgetragen und gefördert haben.

Meine Damen und Herren, der deutsche-polnische Nachbarschaftsvertrag wird durch eine Vielzahl von Projekten und Kooperationen von beteiligten Akteuren mit Leben gefüllt. Es ist vor allem die Vielfalt …

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien: … dieser Beziehungen, die die Qualität unserer heutigen Freundschaft ausmacht. Daran gilt es auch in Zukunft anzuknüpfen.

Ich darf sagen, ich würde mir für die Landesregierung sehr wünschen, dass es in den anstehenden Ausschussberatungen gelingt, als Landtag durch einen gemeinsamen Antrag ein gemeinsames Zeichen für die Fortsetzung dieser freundschaftlichen Beziehungen zu setzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister Lersch-Mense. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 12.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags mit der Drucksachennummer 16/11430 an den Hauptausschuss. Dieser bekommt die Federführung. Die Mitberatung soll an den Ausschuss für Europa und Eine Welt gehen. Die abschließende Abstimmung wird dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen.

Der Entschließungsantrag Drucksachennummer 16/11491, eingereicht von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, soll ebenfalls entsprechend überwiesen werden.

Herr Marsching hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Nee! Das muss nicht sein!)

Ich will nur darauf aufmerksam machen: Wir befinden uns in einem Überweisungsvorgang und nicht in einer abschließenden Abstimmung. – Bitte schön, Herr Kollege Marsching.

Zur Geschäftsordnung

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Anscheinend gibt es unterschiedliche Auffassungen, ob eine Überweisung nicht auch ein Abstimmungsvorgang ist.

Zur Geschäftsordnung. Ich – wie soll ich das jetzt sagen? –

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sagen Sie einfach gar nichts!)

würde die Beschlussfähigkeit dieses Landtags im Moment anzweifeln. Der Antrag, den die CDU hier gestellt hat, kann noch so nicht gewürdigt werden, aber dass so wenige Abgeordnete bei der Überweisung anwesend sind, ist schon schwierig.

(Henning Rehbaum [CDU]: Hammelsprung!)

Machen Sie sich einfach Ihre eigenen Gedanken dazu. Laut Geschäftsordnung müssten wir in diesem Moment die Beschlussfähigkeit des Landtags anzweifeln.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Ich habe keinen eindeutigen Geschäftsordnungsantrag

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich stelle ihn nicht!)

im Hinblick auf die Feststellung der Beschlussfähigkeit gehört, sondern eine Konjunktivformulierung und eine Aussage.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich stelle ihn nicht!)

Von daher gehe ich davon aus, dass das jetzt eine Bemerkung zur Geschäftsordnung war,

(Michele Marsching [PIRATEN]: Ist okay!)

aber kein Antrag.

Damit fahre ich jetzt in dem Abstimmungsvorgang fort. Wir waren an der Stelle, dass ich gesagt habe, dass der Entschließungsantrag ebenfalls überweisen werden soll. Ich frage, ob jemand dieser Überweisung widersprechen möchte. – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Auch nicht der Fall. Dann haben wir den Antrag und den Entschließungsantrag entsprechend überwiesen.

Ich rufe auf:

13 „Die Energiewende braucht Bürgerenergie – Ausschreibungen verhindern Bürgerenergie“

Antrag
der Fraktion der PIRATEN
Drucksache 16/11415

Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 16/11492

Entschließungsantrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11503

Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion der Piraten hat Herr Kollege Schmalenbach das Wort.

Kai Schmalenbach (PIRATEN): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer hier und im Stream! Bevor ich anfange, möchte ich eine persönliche Anmerkung machen, die mir hoffentlich genehmigt wird. Nach über einem Jahr Krankheit bin ich nun wieder hier und rede das erste Mal seitdem.

(Beifall von allen Fraktionen)

Ich muss sagen, dass ich sehr dankbar bin für die Anteilnahme und den Zuspruch, den ich in dieser Zeit erfahren habe. Viele Leute haben sich nach mir erkundigt. Das fand ich einfach toll und überwältigend. Ich kann Ihnen nur sagen, dass man das draußen bei keinem normalen Arbeitgeber so erlebt. Also erst einmal vielen Dank dafür!

(Beifall von allen Fraktionen)

Danken möchte ich extra auch noch Herrn Römer für seine Rede am 29.01., über die sich die CDU so empört hat. Ich glaube aber, die CDU hat das zu dem Zeitpunkt falsch verstanden. Nicht Sie hier waren gemeint, sondern einzelne Menschen bzw. einzelne Abgeordnete Ihrer Partei. Es liegt mir einfach richtig schwer im Magen, dass das so quergegangen ist. Herr Römer hat nämlich absolut recht, dass wir in unseren Reihen keine Teppichausroller für die AfD haben dürfen. Die dürfen wir einfach nicht dulden. Es war mir wichtig, das noch anzumerken.

(Beifall von den PIRATEN)

Zum Thema! Wir reden über eine Energiewende, die aktuell mit der neusten Novelle 2016 im Referentenentwurf wieder einmal weiter ausgebremst werden soll. Wir reden darüber, dass sich die Regierung in Berlin nach den Ergebnissen des Klimagipfels in Paris, die wir und alle Umweltpolitiker hier gefeiert haben, hinstellt und die Energiewende weiter einbremsen will. Das tut sie in einer Weise, durch die insbesondere diejenigen Bürger, die diese Energiewende nach vorne gebracht, sie gestaltet und überhaupt erst möglich gemacht haben, tatsächlich aus dem Wettbewerb herausgedrückt werden.

In den Wettbewerb hereingenommen werden sollen stattdessen diejenigen, die die Energiewende verschlafen und dagegen agiert haben, nämlich Konzerne. Wir erleben wieder einmal eine Konzernpolitik, die ich nicht nachvollziehbar finde. Ich finde es eigentlich total daneben, dass jetzt mit Ausschreibungsmodellen und Ausbaukorridoren das Ganze gebremst wird und auch noch dafür gesorgt wird, dass der Bürger aus der Energiewende ausgegrenzt wird.

Ich möchte ein Zitat vorlesen, das ich für sehr wahr halte: „Von Deutschland ging die Energiewende aus. Wir sollten sehen, dass wir sie zurückholen.“

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Diesen Satz habe ich von einer Tagung von MetropolSolar mitgenommen. Dort gab es auch noch viele andere interessante Meinungen. Eine Bürgerenergiegenossenschaft zum Beispiel sagte zum Thema „Ausschreibung“: Wir sagen: Jetzt Gas geben und anschließend den Kopf einziehen. – Das ist ein Originalzitat und bedeutet so viel wie: Wenn die Ausschreibungen erst einmal da sind, sind wir verloren. Dagegen wollen wir angehen.

Es gab aber auch die Aussage: Okay, wir nehmen diese Herausforderung an; wir sind konkurrenzfähig. – Es war ein positives Signal vonseiten der Energiegenossenschaften, zu sagen: Wir sind konkurrenzfähig gegenüber den großen Playern und den Konzernen, aber dafür müssen wir uns zusammenschließen. Und was passiert dann, wenn wir uns zusammenschließen? Es entsteht ein neuer großer Player, und wieder ist der Bürger derjenige, der außen vor bleibt. – Das kann auch niemand wollen.

Zum Dank dafür, dass Gabriel und seine Spießgesellen Konzernpolitik vom Allerfeinsten betreiben, stellen sich die Konzerne jetzt hin und wollen uns für den Atomausstieg verklagen. Aber gegen wen klagen sie? Sie verklagen nicht Herrn Gabriel oder Frau Merkel, sondern sie verklagen jeden einzelnen Bürger. Jedem einzelnen Bürger werden sie in die Tasche greifen, wenn sie Geld für den Atomausstieg abgreifen. Das ist unsäglich.

(Beifall von den PIRATEN)

Es ist ein fatales Zeichen, denn die Bürger haben die Energiewende bisher betrieben. Sie haben diese Energiewende geschaffen. Die Konzerne hingegen haben sie ignoriert und bekämpft, und jetzt sollen die Bürger deswegen herausgehalten und die Konzerne erneut bevorzugt werden. Wem will man eine solch verkorkste Politik erklären?

Die beiden Anträge von CDU und Rot-Grün haben wir wohlwollend zur Kenntnis genommen. De-minimis war uns nicht genug. Deswegen wurde dieser Antrag hier eingebracht, und deswegen war es auch unerheblich, ob Grün noch einmal einen Entschließungsantrag gestellt hat.

Ich kann nicht unbedingt sagen, dass ich mich auf die Beratung im Ausschuss freue, weil ich diesen Satz einfach unerträglich finde.

(Beifall von den PIRATEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Schmalenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Sundermann.

Frank Sundermann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne jetzt mit dem Satz, mit dem man eigentlich aufhört. Ich freue mich schon auf die Beratung im Ausschuss; denn hier liegen drei Anträge vor, die alle so interessant sind, dass es sich lohnt, darüber zu beraten. Vielen Dank.

(Beifall von der SPD – Michele Marsching [PIRATEN]: Na ja, einer nicht!)

Meine Damen und Herren, wir reden über den Ausbau der Windenergie. Ich glaube, dass wir uns mittlerweile fast alle einig sind, dass das Gelingen der Energiewende wirklich vom Ausbau der Windenergie abhängt. Ausnehmen muss ich an dieser Stelle die FDP, die in dieser Hinsicht immer noch etwas quer im Stall steht und ab und zu die Melodie der Atomkraft pfeift. Ich hoffe jedoch, dass auch die FDP so ein Damaskus-Erlebnis haben wird wie Herr Hovenjürgen von der CDU. Schauen wir einmal, wie die Diskussion an dieser Stelle weitergeht.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

– Ja, wir hören gleich gerne noch etwas von Ihnen, Herr Hovenjürgen. Vielleicht erzählen Sie uns dann, was für ein Erlebnis das gewesen ist.

Ich möchte mit den Zielen anfangen, die wir haben. Im Jahr 2020 sollen 15 % des Stroms aus Windenergie und im Jahr 2030 30 % des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt werden, davon ein großer Teil aus Wind. Bis dahin müssen wir noch eine ganze Menge tun, und dafür brauchen wir vernünftige Rahmenbedingungen.

Ich glaube, dass wir als Land in den letzten Jahren bereits einiges getan haben, um die Rahmenbedingungen zu optimieren. Auch wenn man das vielleicht gleich infrage stellen wird, sprechen die Fakten eine andere Sprache: Im letzten Jahr haben wir 420 MW ausgebaut. Damit belegen wir Platz zwei unter allen Bundesländern, nur die Schleswig-Holsteiner liegen vor uns.

Aber die Rahmenbedingungen machen nicht nur wir hier in Nordrhein-Westfalen, sondern die Rahmenbedingungen werden hauptsächlich in Berlin geschaffen, und zwar beim Erneuerbare-Energien-Gesetz. Aktuell liegt eine Novelle auf dem Tisch, und es existiert auch ein fortgeschriebenes Eckpunktepapier aus dem Februar dieses Jahres.

Was ist nun grundsätzlich neu in dieser Konfektionierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes? – Grundsätzlich neu ist, dass wir uns über Ausschreibungen unterhalten. Es wird ausgeschrieben. Es werden nicht mehr feste Sätze bezahlt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Windenergieprojekte. Darauf möchte allerdings ein bisschen später zu sprechen kommen.

Neu an diesem Vorschlag ist nämlich auch, dass Wind an Land im Prinzip nur noch zur Restgröße degenerieren soll. Wie viel Windkraft an Land produziert wird und wie hoch der entsprechende Ausbau sein darf, wird vom Ausbau auf See und vom Erreichen der Ziele bei der Fotovoltaik abhängig gemacht.

Uns ist wichtig, dass es durch diese Regelung nicht zu einem Ausbaustopp in Nordrhein-Westfalen kommt. Vielmehr brauchen wir den Ausbau. Wir brauchen aber auch Repowering; das darf daher auch nicht eingerechnet werden. Wir brauchen, um es mit einer Zahl zu verbinden, 2.500 MW netto aus einem echten Aus- bzw. Neubau, um die Ziele zu erreichen, die wir uns gesetzt haben.

Zusätzlich ist es auch wichtig, dass die Erzeugung nah am Stromverbrauch existiert, damit wir nicht in fünf bis zehn Jahren auch noch über neue Netze reden müssen. Das ist uns an dieser Stelle auch sehr wichtig. Deswegen haben wir diesbezüglich in unserem Entschließungsantrag nachgesteuert.

Jetzt zu den Bürgerwindprojekten: Man sieht im Antrag der Piraten, im Entschließungsantrag der CDU sowie im Entschließungsantrag der Grünen und von uns, dass diese Bürgerwindprojekte extrem wichtig sind für die Akzeptanz von Windenergieanlagen in diesem Land.

(Beifall von Michael Hübner [SPD] und Josef Hovenjürgen [CDU])

Sie sorgen auch dafür, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt und nicht woanders landet, so wie Sie es vorhin skizziert haben. Deswegen ist uns das ganz wichtig.

Uns reicht es nicht, dass man im Erneuerbare-Energien-Gesetz sagt: Ausgenommen von den Ausschreibungen werden nur Anlagen mit kleinen MW-Zahlen. – Das entspricht sicherlich nicht mehr dem Stand der Technik und ist nicht das, was wir für ökonomisch sinnvoll erachten.

Uns reicht es aber auch nicht, den Bürgerwindanlagen beim Ausschreibungsdesign kleinere Erleichterungen zu geben; das hatten Sie ausgeführt. Wir sind der Meinung: Es ist besser, an dieser Stelle die Bürgerwindprojekte komplett herauszunehmen, und die De-minimis-Regelung nach EU-Beihilferecht anzuwenden. Das ist unser Ansatz, der vom Land in einer Bundesratsinitiative im November letzten Jahres auch schon in den Bundesrat gebracht wurde. Er ist auch so akzeptiert worden.

Wir sind der Meinung, dass die Anwendung der De-minimis-Regelung im Prinzip ein faires, transparentes und einfaches Verfahren ermöglicht. So können wir zum Schluss sagen: Die Windenergie ist der Schlüssel zum Gelingen der Energiewende, und die Bürgerwindanlagen sind der Schlüssel zum Gelingen eines starken Windkraftausbaus. – In diesem Sinne: Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Ganz herzlichen Dank, Herr Kollege Sundermann. – Für die CDU spricht Herr Kollege Hovenjürgen.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Jupp, komm nach Bayern! – Michael Hübner [SPD]: Das ökologische Gewissen der CDU!)

Josef Hovenjürgen (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Sundermann, erst einmal ist es so: Wenn man sich zu etwas entschlossen hat, muss man am Ende auch dazu stehen. Insofern sind, wenn man eine Energiewende beschließt, auch alle Dinge auf den Weg zu bringen, sodass man sie umsetzen kann. Deswegen sind wir in dieser Frage alle nicht weit auseinander.

Lieber Kollege Kai, sage ich einmal an dieser Stelle:

(Heiterkeit von Kai Schmalenbach [PIRATEN])

Schön, dass Sie wieder da sind, dass du wieder da bist. Ich hätte mir aber ein bisschen mehr Substanz in der Rede gewünscht.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Ach, komm! – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ich denke, das ist das Problem! – Michael Hübner [SPD]: Herzlich willkommen! Jetzt warten wir mal auf die Substanz von Herrn Hovenjürgen!)

Aber erst einmal ist es gut, dass du wieder da bist und dass du hier reden konntest. Das kann heute aber schon alles gewesen sein. Viel Substanz habe ich in der Rede leider nicht feststellen können.

Lassen Sie uns jedoch zum Thema kommen. Wir haben eine Situation, dass wir durch ein Ausschreibungsmodell Restriktionen auf den Weg bringen wollen, die dazu führen werden, dass Bürgerwindprojekte für diejenigen, die sie vor Ort betreiben wollen – die haben in der Regel nur ein einziges Projekt vor der Brust – ein Risiko darstellen, das sie nicht stemmen können.

So bootet man sie aber aus. Das kann nicht gewollt sein; denn der Effektivitätsgewinn in der Windkraft geht auch mit einer anderen Dimension von Anlagen einher, als sie vor zehn bis 15 Jahren gebaut wurden. Also muss man für diese Anlagen, die sicherlich Landmarken darstellen, auch in den Regionen, in denen sie erstellt werden, Akzeptanz erreichen können. Dies ist am ehesten darstellbar, wenn die Menschen, die in dieser Region mit den Anlagen leben müssen, auch einen Profit daraus erhalten können. Das ist mithilfe von Bürgerwindparkprojekten in der Regel am einfachsten zu erzielen.

Was hierzu im Bund geplant wird, hilft in dieser Situation nicht weiter. Natürlich braucht man eine gewisse Steuerung des Zuwachses, damit er volkswirtschaftlich sinnvoll gesteuert und eingesetzt werden kann. Aber man darf dabei das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Deswegen: Ja, wir müssen hier gemeinsam dafür kämpfen – alle Anträge zeigen dies auch –, dass wir Bürgerwindprojekte in der Realität ermöglichen. Da kann man über Größenordnungen streiten, aber 18 MW können zum Beispiel schon auf institutionelle Anleger etc. zurückgehen. Insofern: Was der richtige Weg ist, um Bürgerwindprojekte zu etablieren – darüber lassen Sie uns noch diskutieren

Deswegen ist es gut, dass alle Anträge beratungsfähig in den Ausschuss kommen. Ich freue mich deshalb auch auf diese Beratungen. Lasst uns über den besten Weg streiten. Denn am Ende muss herauskommen, dass wir den Windkraftausbau – die Windkraft ist zurzeit die effektivste Art der regenerativen Stromerzeugung – ermöglichen und dass er von den Menschen akzeptiert wird.

Dazu gehört es aber auch, dass man bereit ist, politische Rahmenbedingungen zu setzen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, auf die wir derzeit treffen, sind in der Regel durch Urteile zustande gekommen und nicht durch politische Willensbildung auf den Weg gebracht. Jedes neue Urteil löst bei allen Planungsbehörden erneute Überprüfungen der Planungsabfolgen aus und führt zur Frage: Können wir jetzt noch wie gehabt weiter genehmigen oder müssen wir neue Hinweise beachten, weil es diesen politischen Rahmen nicht gibt?

Deswegen noch einmal mein Appell Richtung Landesregierung: Sorgen Sie doch dafür, dass wir zu einer Berechenbarkeit der Planungsabläufe kommen. Wenn die Städte, die dort Rahmen setzen wollen, sich nur aussuchen können, von welcher Seite sie verklagt werden – von denen, die bauen wollen, und, wenn sie Vorrangzonen ausweisen, von denen, die nicht wollen, dass Vorrangzonen ausgewiesen werden –, und gleichzeitig wiederum von denen verklagt werden, die gern außerhalb der Vorrangzonen gebaut hätten, dann kommt man in der Sache nicht weiter.

Wenn das dann noch dazu führt, dass die Gebietsentwicklungspläne den politischen Landeswillen –zum Beispiel den Wald bei nicht vorhandener Fläche im Außenbereich mit in die Betrachtung einzubeziehen – nicht aufnehmen, dann hat auch die Landesregierung noch nachzuarbeiten. Nur so können die Fragen, die man in der politischen Umsetzung erreichen möchte, auch die Befähigung erhalten, durch Verwaltungen umgesetzt werden zu können. Da darf man die Verwaltungen mit diesen Fragenstellungen nicht alleine lassen.

Das können also interessante Beratungen im Ausschuss werden. Die Idee vom Bürgerwindpark ist eine mögliche Hilfe, um vor Ort Akzeptanz zu erreichen. Sie muss am Leben erhalten werden. All das, was in Berlin im Moment auf dem Tisch liegt, ist jedenfalls nicht ausreichend.

Die 2.500 MW, die dort brutto – also inklusive Repowering – als mögliche Dimension des Bieterverfahrens in Aussicht gestellt werden, stehen nach unserer Kenntnis schon wieder infrage, weil der zu erwartende Zubau in diesem Jahr und im ersten Halbjahr des nächsten Jahres eine Dimension erreicht, die diese Größenordnung verfrühstücken würde.

Vieles ist nach wie vor unsicher. Es ist nicht klar, was dort passieren soll. Ich hoffe, dass Herr Baake hier ein Einsehen hat. Lassen Sie mich im Übrigen den Hinweis geben, dass man erst dann an einer Ausschreibung teilnehmen kann, wenn man im Besitz einer BImSch-Genehmigung ist. Ich bitte Herrn Baake, sich mal genau anzuschauen, wie lange es dauert, bis man eine BImSch-Genehmigung erhält und welchen Weg man beschreiten muss, bis man diese erhält. Das alles scheint mir sehr praxisfern zu sein. Ich hoffe, dass wir dies im Ausschuss lösen können und zu guten Ergebnissen kommen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Hovenjürgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Brems.

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erzähle Ihnen gewiss nichts Neues, wenn ich sage: Die Energiewende ist eine Erfolgsgeschichte. Die Entwicklung der erneuerbaren Energien hat vor 15 Jahren keiner so vorhergesehen. Das gilt erst recht, wenn ich Ihnen sage, dass aktuell in Deutschland in diesem Bereich mehr als 370.000 Arbeitsplätze bestehen. In Nordrhein-Westfalen sind es mehr als 50.000 Arbeitsplätze. Allein in der Windbranche waren es 2014 in Nordrhein-Westfalen 14.600 Mitarbeiter mit einer Wertschöpfung von 1 Milliarde €.

In Nordrhein-Westfalen fußt diese Branche auf mittelständischen Zulieferern, die in der Windenergiebranche unterwegs und somit auch von den Entscheidungen der Bundesregierung zur Windenergie abhängig sind. Ich habe das Gefühl, dass der Bundesregierung die Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien selbst gerade etwas unheimlich wird und sie deshalb nun zu anderen Mitteln greift. Die Bundesregierung will den Anteil der erneuerbaren Energien am Strom auf Gedeih und Verderb auf 45 % im Jahr 2025 begrenzen. Dabei haben wir im letzten Jahr im Strombereich schon ein Drittel aus erneuerbaren Energien bezogen.

Wenn man sich die Zahl bis 2025 und die Dynamik im Fotovoltaikbereich auch in den nächsten Jahren anschaut – obwohl in dem Bereich schon viel von den Vorgängerregierungen kaputt gemacht wurde –, wenn man sich die Ausbauziele der Bundesregierung für Offshorewind und das ansieht, was immer noch im Bereich der ebenfalls kleingemachten Biomasse geschieht, dann darf man feststellen, dass nur noch ein Rest beim Onshorewind verbleibt. Das heißt, die Windenergie ist zu einem Restposten verkommen.

Mit den jetzigen Planungen zum Erneuerbare-Energien-Gesetz soll die Windenergie aufs Abstellgleis gestellt werden; die Binnenländer wie Nordrhein-Westfalen werden dann mit allen negativen Konsequenzen einfach abgehängt. Angefangen damit, dass wir in Nordrhein-Westfalen unsere Ausbauziele für die erneuerbaren Energien im Allgemeinen und für Windenergie im Speziellen nicht mehr erreichen, hat das eben eine ganz klare Auswirkung auf die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Für die mittelständischen Firmen in der Branche, für deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist es nämlich ein Schlag ins Gesicht, was gerade in Berlin passiert.

Liebe CDU, liebe FDP, wenn Sie einmal Gespräche mit den Zulieferern und den Branchen führen würden, so wie Sie es mit Großkonzernen und Hoteliers gewohnt sind, dann würden Sie hören, wie wichtig der Heimatmarkt Deutschland und wie wichtig der Heimatmarkt Nordrhein-Westfalen für Windenergiefirmen und Zulieferer ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Dann würden Sie und auch die Bundesregierung nicht so mit dieser Branche umgehen; denn hier geht es auch um Investitionssicherheit und um Arbeitsplätze. Diese Verantwortung sollte auch die Bundesregierung annehmen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Weitere negative Konsequenzen des Abhängens Nordrhein-Westfalens von anderen Binnenländern und von der Windenergie bestehen in einem massiven Netzausbau, mit dem wir es potenziell in den nächsten Jahrzehnten zu tun haben werden. Man muss sich nur einmal die aktuellen Planungen im Netzentwicklungsplan anschauen. Wenn man sich die Szenarien mit einem erhöhten Ausbau von Offshorewindenergie bis 2035 ansieht, dann stellt man fest: Das bedeutet einen massiven Netzausbau von Nord nach Süd durch Deutschland, und damit auch durch Nordrhein-Westfalen. Das müssen wir verändern.

Das alles zeigt, dass wir den Windenergieausbau dort benötigen, wo Industrie ist, wo die Zulieferer sind, wo es den hohen Stromverbrauch gibt und wo die Arbeitsplätze angesiedelt sind. Da soll ein ganz klares Signal an die Bundesregierung gehen: Wir benötigen den Windenergieausbau in Nordrhein-Westfalen.

Das Rückgrat der Energiewende sind die Bürgerinnen und Bürger; das haben wir eben auch schon von den Vorrednern gehört. Die Bürgerinnen und Bürger haben mit ihren Projekten und ihrem Engagement die Energiewende groß gemacht. Während Energieriesen noch über die erneuerbaren Energien gelacht haben, haben die Bürgerinnen und Bürger zugepackt und etwas auf die Beine gestellt. Und jetzt passiert etwas, ganz nach Wilhelm Busch, der sagte:

„Kaum haste mal ein bisschen was, gibt es wen, den ärgert das!“

Die großen Energieversorger, die vorher die Energiewende verpennt haben, merken jetzt: Da ist doch was zu holen. Auf einmal wollen sie die Bürgerenergie ausbremsen, und die Bundesregierung macht ganz klar mit.

Da muss ich ganz klar in Richtung CDU sagen: Ihr Entschließungsantrag hilft an dieser Stelle auch nicht wirklich weiter. Gerade die Kollegen Hovenjürgen und Fehring sollten wissen, dass die Größenordnungen, von denen man bei der Windenergie redet, nicht mit dem kompatibel sind, was Sie hier beantragt haben.

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

Bürgerenergieprojekte leisten einen wichtigen Beitrag zum Gelingen und die Akzeptanz der Energiewende. Das ist ein wichtiges Signal. Dieses Signal im Entwurf des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist negativ und fatal für uns alle. Wenn das EEG 2016 so kommt, wie es der Entwurf erwarten lässt, gefährdet das die Energiewende von unten. Es gefährdet den wichtigen Zweig der NRW-Wirtschaft und den Erneuerbare-Energien-Standort Nordrhein-Westfalen.

Das kann nicht in unser aller Sinn sein. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass es nicht so kommt!

(Beifall von den GRÜNEN)

Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Wibke Brems (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – Daher haben wir einen Entschließungsantrag ins Verfahren eingebracht, der eben all diese Aspekte umfassend beleuchtet – umfassender, als das der Piratenantrag tut. Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam ein starkes Signal nach Berlin senden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Brems. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Terhaag.

Andreas Terhaag (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag „Die Energiewende braucht Bürgerenergie – Ausschreibungen verhindern Bürgerenergie“ greifen die Piraten die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf. Was ist der Anlass für die Novelle?

Die Verbraucher werden in diesem Jahr mit rund 23 Milliarden € für die Subventionierung der erneuerbaren Energien zur Kasse gebeten. Das bedeutet für eine vierköpfige Familie eine Belastung von 285 € im Jahr. Diese extrem hohen Kosten sind bedingt durch das Fördersystem des EEG mit seinen garantierten Vergütungssätzen. Die Bundesregierung will mit der Novelle die bisherige Förderung im Grundsatz durch eine Ausschreibungsförderung ablösen. Das macht sie im Übrigen nicht, weil Union und SPD die Sorge um den Geldbeutel der Bürger umtreibt, sondern allein deshalb, um die Vorgaben der Europäischen Kommission aus ihren Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien zu erfüllen.

In der Tat ist es nicht einfach, die Umstellung auf ein Ausschreibungssystem kompatibel für Bürgerprojekte zu machen, damit auch Bürgerwindparks, wenn sie vor Ort gewollt sind, möglich bleiben. Gegen die Umstellung auf diese Ausschreibungen wenden sich nun die Piraten mit ihrem heutigen zweiten Antrag, der zur Debatte steht. Nachdem Sie heute bereits die Einführung eines zentralen Lobbyregisters gefordert haben, dachte ich allerdings, Sie würden nun selbst mit gutem Beispiel vorangehen und offen und ehrlich sagen, was Sie wirklich wollen.

(Beifall von der FDP)

Denn wenn man es genau betrachtet, beraten wir hier eigentlich über die Argumente und Forderungen des Landesverbandes Erneuerbare Energien zur laufenden EEG-Reform. Eine entsprechende Pressemitteilung des Landesverbandes aus dem Februar 2016 haben die Piraten nun zu diesem Antrag aufgepumpt und schmücken sich ungeniert mit fremden Federn. Das ist meiner Meinung nach unseriöse Politik, meine Damen und Herren von den Piraten!

(Beifall von der FDP)

Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie zugeben, dass es Ihnen in Wahrheit nicht um eine praxisgerechte Ausgestaltung der Sonderregelung für Bürgerenergie geht, sondern darum, die Umstellung auf Ausschreibungen generell zu verhindern. Nichts anderes beinhaltet Ihre Forderung: Windenergie- und insbesondere Photovoltaikfreiflächenanlagen bis 18 MW von Ausschreibungen zu befreien. Sie wollen Anreize schaffen für Umgehungskonstruktionen, um unter dem Deckmantel der Bürgerenergie der Ausschreibungspflicht zu entgehen.

Meine Damen und Herren von den Piraten, nehmen Sie die energiewirtschaftliche Realität des Jahres 2016 endlich zur Kenntnis!

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Rede bitte nicht von der Realität! Das ist albern!)

Wir sind nicht mehr im Jahr 2000, als die Erneuerbaren noch ein kleiner Nischenmarkt waren, die die Anschubfinanzierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit garantierten Vergütungssätzen brauchten. Inzwischen hat das EEG sein Ziel, die Markteinführung erneuerbarer Energien, längst erreicht. Es ist allerhöchste Zeit, die Erneuerbaren in den Wettbewerb zu entlassen.

(Beifall von der FDP)

Für uns Freie Demokraten ist klar: Wir wollen die Vielfalt der Akteure bei der Energiewende erhalten. Das bedeutet natürlich auch: Es darf keine Diskriminierung von Bürgerenergieprojekten geben.

Aber man darf auch nicht vergessen: Die Energiewelt wird immer komplexer. Nehmen Sie nur die aktuelle Gesetzgebung auf Bundesebene, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende oder das Strommarktgesetz. Auf Stromproduzenten kommen immer neue Anforderungen zu. Wer Strom anbieten will, muss sich professionalisieren. Da sollte man sich ganz genau überlegen, ob man Bürgerprojekten mit einer großzügigen Sonderregelung beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, dafür aber mit Belastungen an anderer Stelle, insgesamt hilft. Ich denke eher, dass auch bei Bürgerprojekten vermehrt über Kooperationen mit Projektpartnern nachgedacht werden sollte.

Lassen Sie mich kurz noch auf den Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen eingehen. Ihnen geht es hierbei wieder einmal allein um die Erfüllung Ihrer selbstgesteckten Ausbauziele für NRW. Ausschreibungen sind ein Instrument für mehr Wettbewerb, Transparenz und Wirtschaftlichkeit. Das setzt natürlich voraus, dass unbürokratische Vergabevorschriften gelten.

Sie aber wollen dieses Modell von den Grundprinzipien so sehr entkernen, dass die windarmen Regionen in Nordrhein-Westfalen gegenüber den besseren Standorten bevorzugt und höher subventioniert werden können. Dieses Vorgehen tarnen Sie auch noch auf Kosten der Verbraucher, indem Sie behaupten, Sie würden faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Das ist schon abenteuerlich. Hierfür haben wir Freie Demokraten kein Verständnis.

(Beifall von der FDP – Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich!)

Ich komme zum Schluss. Bürgerenergie ist wesentlich mehr als der Zubau von Windkraftanlagen. Die Anträge von den Piraten, aber auch von Rot-Grün greifen hier viel zu kurz.

(Kai Schmalenbach [PIRATEN]: Wo ist denn euer Antrag?)

Die Vielfalt der Akteure bei der Energiewende zu erhalten, ist ein vielschichtiges Thema und bedeutet wesentlich mehr als EEG-Förderung. So müssen vor allem die Hürden bei der Direktvermarktung des eigenerzeugten Stroms abgebaut und die energetische Gebäudesanierung endlich vorangebracht werden. Über diese wichtigen Aspekte wird im Ausschuss zu beraten sein. Der Überweisung stimmen wir daher gerne zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Terhaag. – Da Herr Kollege Terhaag erst vor einiger Zeit nachgerückt ist, hat es sich hier um seine erste Rede gehandelt. Herzlichen Glückwunsch dazu!

(Beifall von allen Fraktionen)

Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Remmel.

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, dass der Landtag heute über ein so wichtiges Thema wie den Ausbau der erneuerbaren Energien – hier insbesondere die Bürgerenergie – diskutiert; denn in diesem Jahr steht in der Tat die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf der Tagesordnung.

Wir müssen in diesem Jahr auf der Ebene der Bundesregierung die Vorgaben der Europäischen Kommission in den Energiemarktleitlinien erfüllen – das ist der Ansatz –, ansonsten wird es schwierig, ab dem 1. Januar 2017 unter den jetzigen Bedingungen weitere Ausbauschritte zu unternehmen. Deshalb gibt es eine Verpflichtung, ein solches Gesetzgebungsverfahren anzugehen, auch wenn man das vielleicht nicht will. Das ist auch eine Tatsache, die wir berücksichtigen müssen.

Ich merke an dieser Stelle an, dass das keiner anderen Branche in diesem Jahrzehnt so passiert ist wie der Erneuerbare-Energien-Branche.

Zum dritten Mal innerhalb von jetzt sechs Jahren eine Novellierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen – das führt zu Verunsicherung und schafft keine Investitionssicherheit da, wo Investitionssicherheit dringend geboten werden müsste. Hier werden Investitionen getätigt, die in der Perspektive nötig sind, um ab 2022/2025 die Korridore einzunehmen, die durch das Abschalten anderer Kraftwerke hinterlassen werden.

Deshalb ist es so dringend notwendig – und vielleicht für manchen schizophren –, jetzt die Investitionen auf den Weg zu bringen und für die Zukunft Sicherheit zu schaffen. Dafür braucht es aber für diejenigen, die Geld in die Hand nehmen – wir wollen gerade, dass die Bürgerinnen und Bürger das tun, weil das mit Akzeptanz verbunden ist –, sichere Rahmenbedingungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Ansprüche der Europäischen Kommission ausgesprochen widersprüchlich sind. Das muss man erwähnen dürfen. Für Deutschland klare Ausschreibungen zu fordern, gleichzeitig aber sogenannte Feed-in-Tarife für neue Atomenergieanlagen in Großbritannien zu genehmigen, die von der Sicherheit und vom Zeitlauf her weit über das hinausgehen, was das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz vorschreibt, ist im Sinne eines europäischen Wettbewerbs nicht in Ordnung und muss dringend korrigiert werden.

Das Gleiche gilt für Marktzugänge, die wir nicht überall in Europa haben. Schauen wir uns unseren europäischen Nachbarn Frankreich an: Hier gilt ein staatsmonopolitischer Zugang nach wie vor als sehr schwierig. Wir müssen da aber auch europäisch diskutieren, wenn wir gleiche Wettbewerbsbedingungen haben wollen.

Im Übrigen erlaubt die Europäische Kommission – auch das ist eine Crux – durchaus eine Orientierung an einer Größenordnung von 18 MW, um Bürgerprojekte unter eine sogenannte De-minimis-Regel fallen zu lassen. Die Landesregierung hat das im Bundesrat schon längst beantragt. Es gibt eine große Mehrheit im Bundesrat, genau diese Regel anzuwenden. Genauso wäre es wichtig, endlich die Ermächtigung im Erneuerbare-Energien-Gesetz, nämlich die sogenannte Grünstromverordnung auf den Weg zu bringen, um Bürgerenergieprojekte zu befördern. Die Bundesregierung macht davon leider keinen Gebrauch.

Eine dringende Bitte hätte ich an dieser Stelle schon: Die Diskussion im Land ist wichtig. Es ist auch absolut wichtig, die Interessenlage zu formulieren. Noch viel wichtiger aber wäre es, mit den Kolleginnen und Kollegen der großen Koalition in Berlin entsprechende Gespräche zu führen – im Wahlkreis und darüber hinaus –, weil die Hauptwiderstände – Herr Hovenjürgen ist jetzt leider nicht mehr im Saal; ich müsste es ihm vielleicht noch einmal persönlich sagen – gegen bessere Bedingungen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegen. Ich nenne auch die Kollegen, die dort maßgeblich sind: Herr Dr. Fuchs und Herr Bareiß – nicht Herr Dr. Baake – sind die Ansprechpartner, um für einen Korridor zu werben, der die Windenergie in Nordrhein-Westfalen ermöglicht.

Wenn wir uns einig wären – und das sind wir offensichtlich –, dass es keinen Deckel geben darf – 2.500 Megawatt plus Repowering-Anlagen sind uns versprochen und müssen in den gesetzlichen Grundlagen verankert werden –, dann bitte ich Sie, dringend mit den Abgeordneten des Bundestages zu reden, damit hier auch Unterstützung für nordrhein-westfälische Interessen signalisiert und organisiert werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Widersprechen muss ich den Aussagen der FDP-Fraktion. Nordrhein-Westfalen hat selbstverständlich gute Standorte. Das beweisen alle Untersuchungen, die wir gemacht haben. Wir haben sehr gute Standorte. Darüber hinaus ist es wichtig, diese Standorte auch anzugehen. Das zeigt die Diskussion über den aktuellen Netzentwicklungsplan Richtung 2030. Würden wir da auf einen Ausbau verzichten, wo Strom gebraucht wird, entstünde automatisch die Diskussion nach neuen Übertragungsleitungen und großen Netzleitungen.

Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit!

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Dort wird diskutiert, drei zusätzliche große Übertragungsnetzleitungen auf den Weg zu bringen, wenn wir nicht auch verbrauchsnah den Ausbau voranbringen. Deswegen ist das eine Investition in die Zukunft sowohl bei unseren Bürgerinnen und Bürgern als auch bei der Frage, standortnahe Windenergie und Erneuerbare-Energien-Anlagen auszubauen.

Ich möchte eine letzte Bemerkung machen, wenn es darum geht, auch nordrhein-westfälische Interessen bei der Novelle des EEG zu vertreten. Nicht nur die Frage Wind sollte im Vordergrund stehen, sondern auch die Möglichkeit, gerade in Nordrhein-Westfalen Mieterstrommodelle auf den Weg zu bringen und da mehr zu ermöglichen. Hier müssen Barrieren abgebaut werden. Es muss möglich sein, gerade auch im Mietwohnungsbau, den direkten Bezug von Strom für die Mieterinnen und Mieter herzustellen und die sogenannte Sonnensteuer, die für bestimmte Unternehmen nicht gilt, die aber für Mieterinnen und Mieter Barrieren darstellt, abzubauen. Das ist eine soziale Frage, die mit den erneuerbaren Energien und dem Ausbau vor Ort verbunden ist.

Da würde ich mich für Ihre Unterstützung bedanken und mich freuen, wenn wir hier gemeinsam etwas erreichen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Minister. – Der Minister hat seine Redezeit um 1 Minute 46 Sekunden überzogen. Möchten die Fraktionen noch einmal reden? Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11415 an den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk – federführend – sowie an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mitberatend. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Selbstverständlich werden die Entschließungsanträge Drucksachen 16/11492 und 16/11503 entsprechend überwiesen. – Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Nein. Dann haben wir so überwiesen. –

Ich rufe auf:

14 „Räume der Stille“ erhalten und ermöglichen – Flagge zeigen gegen religiösen Fundamentalismus – Eintreten für unsere freiheitlich-demokratischen Werte

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11432

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält für die CDU-Fraktion Herr Dr. Berger das Wort.

Dr. Stefan Berger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Räume der Stille sind Orte zur Einkehr, zum Gebet, zum stillen Verweilen. Sie stehen für alle offen.

(Beifall von der CDU)

Wie nun bekannt geworden ist, wurden diese Räumlichkeiten an verschiedenen Hochschulen missbraucht. Entgegen den Nutzungsordnungen wurden Gebetsteppiche und Korane gelagert.

Es wurden Flugblätter mit Belehrungen ausgelegt, die auch Hinweise enthielten, wie sich Frauen zu kleiden und zu benehmen hätten. Es wurden Raumteiler zur Geschlechtertrennung aufgestellt, und Nichtangehörige der Universität nutzten den Raum für unbekannte Gruppenveranstaltungen.

Meine Damen und Herren, ich finde es lobenswert, wenn Hochschulen ihren Studierenden Räume der Stille anbieten. Immerhin verfügt der Landtag Nordrhein-Westfalen ebenfalls über einen solchen Raum. Diese Räume müssen von allen, die das wollen, genutzt werden können.

Ich kann auch verstehen, wenn Hochschulen diese Räume nach den diversen Vorkommnissen wieder schließen. Was ich nicht verstehe, ist, dass die Landesregierung die Hochschulen in diesem Augenblick alleine lässt.

(Beifall von der CDU)

In einem Moment,

(Zuruf von der SPD: Unfug!)

in dem der Staat klare Kante gegenüber religiösen Fundamentalisten, gegen Geschlechterdiskriminierungen und wie in diesem Fall bei der Diskriminierung durch muslimische Studenten zeigen müsste, zieht sich der Staat zurück. Das ist das falsche Signal für eine offene Gesellschaft.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Während diese Landesregierung sonst alles regeln will, was an den Hochschulen vorgeht – die Anwesenheit von Studierenden, die Inhalte der Lehrveranstaltungen, die Beschäftigungsverhältnisse, über die wir eben gesprochen haben, die Zusammensetzung der Gremien –, lässt sie die Hochschulen im Stich, wenn es darum geht, Flagge bei der Wahrung von gesellschaftlichen Grundrechten zu zeigen.

(Zuruf von der SPD: Zweiter grober Unfug!)

Es handelt sich um elementare Rechte unserer offenen Gesellschaft, und ihre Missachtung kann nicht mit dem lapidaren Verweis auf Hochschulautonomie ignoriert werden.

(Beifall von der CDU)

Räume der Stille müssen offen bleiben. Dabei müssen wir und die Landesregierung die Hochschulen personell und finanziell unterstützen.

(Zuruf von der SPD: Sicherheitsdienste!)

Meine Damen und Herren, fragen Sie sich selbst: Was würden wir im Landtag wohl tun, wenn ein Einzelner – oder eine Fraktion – unseren Raum der Stille im Landtag okkupieren und dort sein Bild von Religion, Rasse oder Geschlechtertrennung ausleben würde? Würden wir ihn gewähren lassen? Würden wir diesen Raum einfach schließen? Denken Sie darüber nach! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Recht herzlichen Dank, Herr Kollege Dr. Berger. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Hammelrath das Wort. Bitte schön.

Gabriele Hammelrath (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Ja, Räume der Stille bieten Inseln im hektischen und unruhigen Alltag – Inseln für die Suche nach innerer Ruhe und Besinnung. Solche Räume sind wichtig, und ich begrüße sehr, dass sie nicht nur hier im Landtag, sondern auch in vielen Universitäten entstanden sind. Aktuell entsteht ein solcher Raum zum Beispiel in der größten Universität des Landes, in meiner Heimatstadt Köln. Doch da endet auch schon die Übereinstimmung mit Ihrem Antrag.

Denn bereits der Titel Ihres Antrags zeigt die Problematik seines Inhalts und der damit verbundenen Forderungen auf. Denn die CDU-Fraktion will nicht nur die Wiedereröffnung von Räumen der Stille in unseren Hochschulen ermöglichen – eigentlich müsste man sagen: erzwingen –, sondern sie holt zu einem Rundumschlag aus. Denn es geht nicht allein um Räume, in denen Menschen jeder Religion die Ruhe zum Gebet finden können, sondern vielmehr darum, den Hochschulen vorzuschreiben, wie sie ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen haben.

Jetzt muss ich ausgerechnet Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, an Art. 5 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes erinnern, der die Freiheit von Lehre und Forschung gewährleistet? Das wundert mich insbesondere, wenn ich an Ihre Rede, Herr Dr  Berger, zum Hochschulzukunftsgesetz im November 2014 denke.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Damals haben Sie fälschlicherweise behauptet, die Regierungsfraktionen betrachteten die Hochschulen nicht nur als Ort von Lehre und Forschung, sondern als Stätten zur Realisierung ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen. Das haben Sie gerade in Ihrer Rede noch mal bestätigt.

Völlig unangebracht war damals wie heute von Entmündigung die Rede, die wir vornehmen würden. Wer nimmt denn heute eine so übergriffige Entmündigung vor? Ihre Forderung, die Bedeutung von zentralen Normen und Verfassungsgrundsätzen verstärkt an unseren Hochschulen zu vermitteln, stellt einen wirklich tiefen Eingriff in die Hochschulfreiheit dar.

Außerdem suggeriert diese Forderung, dies würde bisher nicht ausreichend geschehen. Sie ignorieren völlig die Arbeit der Hochschulen an den vielen Instituten für Politik- und Gesellschaftswissenschaften und den Lehrstühlen für Friedens- und Konfliktforschung. Ich nenne beispielhaft die Lehrstühle in Duisburg-Essen, Bonn oder Witten-Herdecke.

Hinzu kommt, dass sich dieser Antrag nicht etwa auf eine solide Recherche stützt. Sie vermitteln ein einseitiges Bild und ignorieren Veröffentlichungen, wie zum Beispiel bei „SPIEGEL ONLINE“, die die Situation differenziert abbilden. Stattdessen beziehen Sie sich auf vereinzelte Medienberichte, in denen der Islam einmal mehr zum Problem abgestempelt wird.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Genau das tun Sie auch. Besonders deutlich wird das in der Forderung, die Wiedereröffnung der Räume durch die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden zu gewährleisten. Stellen wir uns das doch einmal bildlich vor! Sicherheitskräfte führen als Türsteher Einlasskontrollen durch oder kontrollieren regelmäßig die Räume. Was soll das?

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Was bedeutet denn Ihre Forderung, die multireligiöse Nutzung dieser Räume zu gewährleisten? Wollen Sie Gebetsanteile festlegen,

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

quantifiziert nach den jeweiligen Anteilen der Religionen in der Bevölkerung? Wer soll das wie sicherstellen und überprüfen?

So weit ist es nur unsinnig. Schlimmer aber ist: In Ihrem Antrag ist nichts zu lesen vom friedlichen Miteinander der Kulturen, nichts von einem Ausgleich unterschiedlicher Interessen,

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

wie er an vielen Universitäten ständig stattfindet, wie etwa in Hannover und Paderborn, nichts vom interreligiösen Dialog, keinerlei positive Vision, sondern im Gegenteil: Sie entfalten ein Bedrohungsszenario.

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

Es besteht kein Zweifel, dass religiöser Fundamentalismus bekämpft werden muss. Dafür gibt es die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und das Eingreifen des Staatsschutzes.

Mindestens ebenso wichtig aber ist die Vorbeugung. Da wird in Nordrhein-Westfalen viel getan: mit dem Aussteigerprogramm Islamismus ebenso wie mit dem Präventionsprogramm Wegweiser unseres Innenministeriums mit Beratungs- und Betreuungsangeboten bereits jetzt in sieben Kommunen.

Übrigens leisten unsere Hochschulen auch im Bereich Salafismus ihren Beitrag. An der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf werden dazu Seminare angeboten.

Denn das brauchen wir: aufmerksame Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen und Professoren, die als Teil einer starken Zivilgesellschaft ihren Beitrag für unsere demokratische Gesellschaftsordnung leisten.

Was wir jedoch nicht brauchen, sind eine unzulässige Einmischung in die inneren Hochschulangelegenheiten und eine gefährliche Vermischung von Islam und Islamismus.

Zu Ihrer Frage, was wir denn tun würden, wenn hier unser Raum der Stille missbraucht worden wäre: Wir würden uns an die Landtagsverwaltung wenden;

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

denn die können das. Wir bräuchten nicht etwa einen parlamentarischen Eingriff. Vielmehr ist das das normale Geschäft, und das wird von den Hochschulen gut betrieben. Schauen Sie, wie die Hochschulen das geregelt haben; die schaffen das nämlich alleine.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Ja eben nicht!)

Ich kann nur hoffen, dass wir bei der Diskussion im Ausschuss Gelegenheit haben, dieses Thema substanzieller zu behandeln.

(Zuruf von der SPD)

Selbstverständlich werden wir der Überweisung zustimmen.

(Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Hammelrath. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bas.

Ali Bas (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt sie im Landtag, es gibt sie in der Arena auf Schalke, und es gibt sie auch an zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen in unserem Land. Man geht dorthin, um zur Ruhe zu kommen, zu meditieren, um zu beten. Die Rede ist von den sogenannten Räumen der Stille.

Gerade an den Hochschulen wurden diese Räume in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr eingerichtet – nicht, weil Hochschulen dazu verpflichtet sind, sondern als freiwilliges Angebot an eine zunehmend diverser werdende Studierendenschaft und für den offenen Umgang mit Glauben und Ruhebedürfnissen im Alltag von Hochschulen.

Vor einigen Wochen haben Medien über Probleme mit den Räumen der Stille an der TU Dortmund und an der Universität Duisburg-Essen berichtet, darunter auch die im CDU-Antrag aufgeführte Sendung „Westpol“, das ZDF-Magazin „Forum am Freitag“, „FOCUS online“, „SPIEGEL“ und die „WAZ“.

Wenn man sich die Berichterstattung anschaut, wird man höchst unterschiedliche Schilderungen über die Vorfälle in den beiden Unistädten feststellen – von sachlich bis reißerisch. Hinzu kommt noch eine Welle antimuslimischer Schimpftiraden im Internet zu diesem Thema.

Fest steht, dass weder in Dortmund noch in Essen irgendwelche salafistischen Gruppen versucht haben, die dortigen Räume der Stille für sich zu beanspruchen, so wie der vom „Westpol“-Bericht inspirierte CDU-Antrag suggeriert. Vielmehr haben sich in Dortmund einzelne muslimische Besucher des dortigen Raumes der Stille nicht an die vereinbarte Nutzungsordnung gehalten, was unter anderem die nicht erlaubte Veränderung des Raumes beinhaltete und die gar nicht tolerierbare Abweisung von Nutzerinnen des Raumes. Als Folge davon wurde der Raum nun geschlossen – zum Leidwesen der muslimischen, christlichen und anderen Studierenden, die sich bisher an die Regeln dort gehalten haben.

In Essen stellte sich die Lage aber wiederum anders da. Dort hatten sich sowohl Vertreter der Studierendenschaft, aber auch der Hochschulleitung von Berichten distanziert, die vor einer Schließung des Raumes aufgrund von angeblichen Problemen mit radikal-religiösen Nutzern sprachen. Der bereits seit vielen Jahren in Nutzung befindliche Gebetsraum ist laut Auskunft der Uni aufgrund von Sanierungsarbeiten im Gebäude geschlossen worden. Stattdessen soll ein freundlicher gestalteter Raum der Stille für alle Studierenden entstehen –

(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])

eine interessante Darstellung der Situation, die auf der Website der Uni Essen übrigens abrufbar ist.

Ähnliches geschieht derzeit übrigens auch an der Uni Köln, wie gerade berichtet, und bald auch am Standort für Islamische Theologie in Münster.

Aus eigener Erfahrung mit Räumen der Stille kann ich sagen, dass ein solcher Raum am besten funktioniert, wenn dieser im Dialog zwischen Hochschule und Studierendenschaft, zu der auch konfessionelle Hochschulgemeinden wie KSHG, ESG oder IHV gehören, entwickelt und verantwortet wird. Die vielen gelungenen Beispiele für funktionierende Räume der Stille zeigen, dass es ohne Dialog nicht geht.

Wie bereits eingangs erwähnt, sind Hochschulen nicht verpflichtet, solche Räume bereitzustellen. Wenn sie diese Räume anbieten, muss man den Hochschulen aber auch zutrauen, bei Problemen mit der Nutzung auch dementsprechend besonnen zu reagieren. Dazu bedarf es aber nicht einer Anordnung aus Düsseldorf oder gar der ständigen Konsultation des Verfassungsschutzes, wie es der CDU-Antrag vorschlägt.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Steht doch gar nicht drin!)

Ich glaube, dass ein solches Misstrauen der eigentlichen Intention des Raumes der Stille, Studierenden einen würdevollen Rückzugsort zum Abschalten, Beten oder Meditieren zu bieten, zuwiderläuft.

Der Überweisung in den Ausschuss stimmen wir natürlich zu; dem Antrag an sich werden wir im Ausschuss nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Freimuth.

Angela Freimuth (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Antrag liegt eine Annahme zugrunde, die wir nicht teilen. Denn in Ihrem Antrag heißt es:

„,Räume der Stille‘ sind ein wichtiges Instrument, religiöse Praxis im öffentlichen Raum zu ermöglichen …“

Meine Damen und Herren – Kollegin Hammelrath hat es gerade auch schon ausgeführt –, Räume der Stille sollen die Möglichkeit bieten, Ruhe und Einkehr in einer sehr hektischen Welt zu finden. Das kann selbstverständlich jeder Mensch für sich auch gestalten; kann meditieren, beten – zu wem auch immer –, innehalten, nachdenken oder einfach auch nur einmal in Ruhe durchatmen und abschalten.

Für eine tatsächliche religiöse Praxis sind die Räume zumeist auch nicht geeignet. Es handelt sich eben nicht um kleine Kapellen oder Gebetsräume. Im Gegenteil: Diese Räume sind ja auch bewusst weltanschaulich und bekenntnisneutral gehalten.

Der Irrtum zeigt sich dann auch am Ende Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie noch einmal von „multireligiöser Nutzung dieser Räume“ durch Katholiken, Protestanten oder sonstige Religionsgruppen schreiben. Denn Atheisten, Agnostiker, religiös Indifferente und einige mehr klammern Sie damit nämlich komplett aus.

(Vereinzelt Beifall von der FDP, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Selbstverständlich stehen die Räume der Stille auch diesen Menschen offen.

Sie selbst fordern in dem Antrag eine säkulare Gesellschaft. Die Ausübung einer Religion – oder eben auch nicht – ist für jeden Menschen eine sehr individuelle Angelegenheit. Niemand hat den Anspruch darauf, seine Religion in öffentlichen Einrichtungen ausüben zu können. Die Entscheidung, ob es einen Raum der Stille in einer Hochschule gibt, sollte daher auch die Hochschule allein in ihrer Autonomie und Verantwortung treffen. Weiteren Handlungsbedarf sehen wir hier nicht.

(Beifall von der FDP)

Ihre Forderung nach einer Übersicht über die Aktivitäten von Salafisten an Hochschulen ist dabei allerdings grundsätzlich eine sinnvolle. Denn dadurch können bei allen Hochschulangehörigen durchaus auch das Bewusstsein und die Sensibilität geschärft werden, womit vielleicht auch präventiv einiges auf den Weg gebracht wird.

(Beifall von Daniel Sieveke [CDU])

Etwas nebulös ist die Forderung, die Hochschulen im Umgang mit den religiösen Gruppen zu unterstützen, die sich nicht an Regeln für die Räume der Stille halten. Ich weiß nicht ganz genau, was die CDU hier konkret anspricht. Die Hochschulen haben das Hausrecht, und wer die Regeln des Hauses bricht, bekommt Hausverbot. Das Instrumentarium gibt es.

(Beifall von der FDP, der SPD und den PIRATEN)

Wird das ignoriert, dann dürfte wohl ein Hausfriedensbruch vorliegen und damit auch ein Fall für die Justiz. Das gilt im Übrigen nicht nur für die religiösen Gruppen, wie es dann schon wieder in dem Antrag heißt.

Aufgrund des Auftretens salafistischer Gruppierungen will die CDU Verfassungsgrundsätze an unseren Hochschulen verstärkt vermitteln. Auch hier stellt sich mir die Frage: Was konkret ist damit gemeint? Soll etwa ein Zusatzmodul namens Wertevermittlung in alle Prüfungsordnungen integriert werden? Nach meiner Beobachtung und auch nach Meinung vieler Experten ist der akademische Nachwuchs in der überwiegenden Mehrheit mündig, aufgeklärt und ein wesentlicher Träger unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Unsere Studierenden sind wahrscheinlich die Letzten, die wir noch mit extra Staatskunde belehren müssen, zumal viele der berichteten Salafisten möglicherweise gar nicht Angehörige der Hochschulen waren und sind.

Meine Damen und Herren, gerade das friedliche Zusammenleben an den Hochschulen ist doch Gott sei Dank gelebte Praxis. Die vielen multikulturellen studentischen Initiativen und internationalen Teams an den Hochschulen sind doch die besten Vorbilder dafür.

In dem Antrag wird außerdem mehr Geld für die engere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden gefordert, damit die Nutzung der Räume der Stille reibungslos funktionieren kann. Auch an der Stelle einfach die Frage: Was meinen Sie damit?

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Um das Hausrecht durchzusetzen!)

Sicherheitsfirmen, die die Räume der Stille schützen? Meine Damen und Herren, das ist nicht unser Ansatz. Der Rechtsstaat hat Hausfriedensbruch mit Polizei und Justiz zu verfolgen, wenn die Hochschulen ein Hausverbot verhängt haben.

Wir Freien Demokraten sehen bei diesem Antrag noch viel Diskussionsbedarf. Ich freue mich insoweit auf die Beratungen im Fachausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP, der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Freimuth. – Für die Piratenfraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Paul das Wort.

Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank. – Verehrter Herr Präsident! Ich muss sagen: Das ist schon sensationell. Dass ich bei einem Beitrag von Frau Freimuth mal klatsche, hätte ich heute nicht erwartet. Aber gut.

(Angela Freimuth [FDP]: Herr Paul, Sie sehen mich auch zutiefst beunruhigt!)

– Nein, das müssen Sie nicht sein.

Zunächst einmal, Herr Dr. Berger, ernsthaft: Ich kann Ihre Sorgen verstehen. Aber im Subtext Ihres Antrags scheint ein Alarmismus durch, der einer souveränen CDU hochschulpolitisch nicht ansteht. Wir haben ja in der Bundesrepublik zurzeit leider viel zu viel mit Alarmismen und Populismen zu tun.

(Beifall von den PIRATEN und den GRÜNEN)

Auf der anderen Seite: Waren Sie es nicht, die den Hochschulen die Freiheit schenken wollten? Und jetzt sollen sie das selber nicht geregelt kriegen? Da gibt es ein paar Aufläufe und ein bisschen Verärgerung, und Sie rufen nach dem Staat? Für mich passt das nicht zusammen. Die Hochschule ist autonom. Wir Piraten stehen dahinter. Die bekommen das schon geregelt, vor allen Dingen mit ihren Mitteln.

Ich würde jetzt nicht so weit gehen und wie Frau Freimuth sagen – sie hat es ja deutlich erklärt –: Versammlungsräume für religiöse Gruppen. Sie haben Atheisten und Agnostiker angesprochen. Die gehen zum Meditieren wahrscheinlich eher in die Bibliothek, was auch gut ansteht. Das ist auch richtig so. Da muss das Ministerium nach meiner und nach Auffassung der Piraten nichts reglementieren.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Auf der anderen Seite dürfen sich Leute natürlich versammeln.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Aber die dürfen nicht Frauen den Zutritt verwehren!)

Was den von Ihnen im Antrag konkret angesprochenen Salafismus angeht: Ich gehe einmal davon aus, Sie sind über den Unterschied zwischen Salafiyya und Wahh?b?ya informiert. Ja?

Auf Bundesebene werden gerade – ich weiß, dass es im internationalen diplomatischen Miteinander Zwänge gibt – Waffen nach Saudi-Arabien verkauft. Die Salafisten, die dort aktiv sind, lachen über uns. Meine Auffassung ist: Dieses Lachen muss aufhören. Wir müssen auch an unseren Hochschulen anfangen, offensiv zu werden.

Es gab einmal eine Phase der arabischen Aufklärung. Das hat der arabische Kulturkreis leider ein bisschen vergessen und verdrängt; für ihren Untergang sind ja immer die Kreuzzügler verantwortlich. Dabei war das ein Mongole, Hülegü, der Bruder von Kublai Khan. Der eine hat China erobert, der andere hat Bagdad abgeschlachtet, also das Abbasidenregime. Da gab es diese Aufklärung. Da gab es auch Bildung.

(Daniel Düngel [PIRATEN]: Jetzt gibt es Nachhilfeunterricht!)

– Ja. Unsere Aufgabe wäre es nach meiner Auffassung, die Kommentare, die es dort gegeben hat, aufzuarbeiten und den Menschen aus diesen Ländern, die an unseren Universitäten studieren, zur Verfügung zu stellen.

Ich würde sogar offensiv werden und möchte Frau Ministerin einen Vorschlag machen, wenn es darum geht, wertekonsistente Politik zu betreiben. Waffenverkäufe an Saudi-Arabien sind das sicher nicht. Aber wir könnten damit anfangen, an den Hochschulen einen Wertekanon an Studenten aus dem Ausland zu verteilen. Ein ganz wichtiger Kandidat wäre für mich der Aufsatz von Immanuel Kant über die Aufklärung. Es gibt gute iranische Kommentare dazu. Das wäre mal ein Anfang, um eine Brücke zu schlagen.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir können diese Mentalitäten auch verstehen. Wir müssen nur wissen, dass sie anders ticken. Sie kommen in vielen Fällen nicht aus institutionellen Gesellschaften, sondern aus eher stammesorientierten Gesellschaften. Da heißt es dann, wie Khalil Gibran, der große libanesische Maler, Philosoph und Dichter gesagt hat: „Vertrauen ist eine Oase des Herzens, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.“

Uns stünde es gut an, uns eines alten arabischen Sprichworts zu besinnen, das im Übrigen auch ein amerikanisches Sprichwort ist. Es ist übersetzt worden mit: Vertraue auf Allah, aber binde dein Kamel fest. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN – Heiterkeit von den PIRATEN, der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Paul. – Das Wort hat Ministerin Schulze.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn staatliche Hochschulen Räume zur Verfügung stellen, in denen Anhänger aller Religionen einen Ort der Stille und des Rückzugs finden können, dann ist das Ausdruck unserer freien und offenen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die das Recht auf Glaubensfreiheit in ihrem Grundgesetz führt. Auch wenn niemand daraus den Anspruch ableiten kann, bei seiner Glaubensausübung staatlich unterstützt zu werden, so können die sogenannten Räume der Stille doch einen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander in unserer Gesellschaft sein. Sie sind überkonfessionell, sie stehen allen Menschen offen. Darum sollte unsere Debatte nicht, wie es der Antrag der CDU suggeriert, auf die Frage der islamischen Religionspraxis verengt werden.

Räume der Stille können Orte der Begegnung sein, können dazu beitragen, andere Glaubensrichtungen besser zu verstehen. Verständnis füreinander ist ein wesentlicher Schlüssel für eine funktionierende Gemeinschaft. Voraussetzung dafür sind Respekt, Toleranz und Offenheit. Voraussetzung dafür ist das Einhalten von Regeln.

Unser Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit für christliche Kirchen wie für andere Religionsgemeinschaften, auch für den Islam. Es hat aber niemand das Recht, unter Berufung auf seinen Glauben die Grundrechte anderer zu verletzen. Auch das garantiert das Grundgesetz. Dazu gehört, andere religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zu respektieren, und dazu gehört natürlich die Gleichberechtigung von Frau und Mann.

Wer in unserer Gesellschaft lebt, der wird diese und andere Werte anerkennen müssen, und zwar nicht nur dann, wenn er oder sie einen allen Menschen offenstehenden Raum der Stille an einer öffentlichen Hochschule nutzen möchte. Unsere Werte gelten schließlich nicht nur dort. Sie sind allgemeine Grundsätze für das Zusammenleben in unserem Land.

Dass es an einzelnen Hochschulen zu Auseinandersetzungen um die Nutzung der Räume der Stille gekommen ist, ist deshalb sehr bedauerlich. Zur Schließung einzelner Räume kam es, weil die Hochschule trotz mehrfacher Gespräche und Ermahnungen an die Nutzerinnen und Nutzer nicht sicherstellen konnte, dass die Räume bestimmungsgemäß von allen gleichermaßen genutzt werden können.

Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Hochschulleitungen in den im Antrag genannten Fällen vorschnell, unüberlegt oder gar rechtswidrig gehandelt hätten oder dass sie überfordert gewesen wären und unsere Hilfe brauchen.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Doch!)

Deshalb halte ich das von der CDU geforderte Eingreifen auch für deutlich überzogen. Es ist kein Trend zu erkennen, der zu einer flächendeckenden Schließung der Räume der Stille an unseren Hochschulen führt. Im Gegenteil, die Universität Köln wird gerade erst wieder einen eröffnen.

Meine Damen und Herren, wir werden unserer Werte nicht dadurch stärken, dass wir nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ verfahren und unsere Hochschulen anhalten, Räume der Stille einzurichten oder sie mit allen Mitteln offen zu halten, ganz abgesehen davon, dass wir die Hochschulen auch gar nicht dazu verpflichten können, dies zu tun. Man kann die Autonomie der Hochschulen eben nicht nur dann hochhalten, wenn es einem gerade passt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Es bringt uns auch nicht weiter, ein nicht vorhandenes Thema hochzukochen. Es gibt aktuell kein flächendeckendes Problem mit Salafismus an unseren Hochschulen – weder in NRW noch in anderen Bundesländern. Vor Panikmache kann ich an dieser Stelle nur warnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Dr. Berger zulassen?

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Nein, heute nicht.

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Nein.

Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung: Die Herausforderungen, denen sich eine immer vielfältiger werdende Gesellschaft stellen muss und die auch in den Auseinandersetzungen um die Räume der Stille offenbar werden, will ich damit gar nicht wegdiskutieren. Im Gegenteil, wir müssen die Diskussion darüber führen. Wir sollten uns dabei bewusst machen, welchen besonderen Wert es hat, wenn in einer vielfältigen Gesellschaft Menschen friedlich miteinander leben, die unterschiedliche Weltanschauungen oder religiöse Überzeugungen haben. Das muss immer wieder neu ausgelotet und gelebt werden. Das ist natürlich anstrengend, aber es lohnt sich.

Dabei hilft uns, wie bei allen großen gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, wissenschaftliche Expertise. Die im Antrag angesprochenen salafistischen Strömungen beispielsweise haben wir als Teil dieser Herausforderungen im Blick.

Aktuell bauen wir ein Kompetenznetzwerk zur Erforschung des extremistischen Salafismus in Nordrhein-Westfalen auf. Das ist ja hier durch das Parlament, durch die regierungstragenden Fraktionen ermöglicht worden. Das ist ein Netzwerk herausragender Forscherinnen und Forscher, das sich mit hochkomplexen Fragen rund um Salafismus als Bewegung, um Ursachen für Radikalisierung und Gewalt oder um den Religionskontext in seiner Bedeutung für Radikalisierungsprozesse befassen wird. Die Konstituierung ist bereits für Mitte April vorgesehen.

Meine Damen und Herren, wissenschaftliche Arbeit wie in diesem Netzwerk trägt dazu bei, dass wir den Wandel unserer Gesellschaft besser verstehen können. Eine Grundvoraussetzung, um ihn zu verstehen, ist, ihn zu gestalten, und zwar immer unter der Prämisse, dass die Werte unseres Grundgesetzes für das Zusammenleben in unserem Land maßgeblich sind. Nur so werden wir Konflikte, wie wir sie an einigen Hochschulen in den Räumen der Stille erlebt haben, auch langfristig lösen können.

Ich denke, das ist ein wichtiges Thema, das lohnt, im Ausschuss noch einmal vertieft diskutiert zu werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und Dr. Joachim Paul [PIRATEN])

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11432 an den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung – federführend – sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

15 Die Spätaussiedler sind ein gut integrierter Teil unserer Gesellschaft – Nordrhein-Westfalen würdigt ihre Lebens- und Integrationsleistung und verurteilt alle Versuche der Polarisierung und Desinformation

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11431

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende CDU-Fraktion Herrn Kollegen Jostmeier das Wort.

Werner Jostmeier (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir es ganz kurz machen wollen, dann könnte ich sagen, wenn das ganze Hohe Haus und das gesamte Plenum zu dem Titel, den der Präsident gerade verlesen hat, Ja sagen, dann könnten wir an dieser Stelle schon schließen und den Punkt in den Hauptausschuss verweisen.

Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, dass Herr Putin und der Kreml zurzeit nicht gerade ein hilfreicher Friedensfaktor weltweit sind. Und vor allen Dingen durch die Propaganda, die von diesen Stellen ausgeht, werden weltweit sehr viel Schaden anrichtende Wirkungen erzielt, nicht zuletzt auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.

Diese Art der Propaganda richtet sehr viel Schaden an – bei uns, bei den Spätaussiedlern, bei den Deutschen, die aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion kommen und hier bei uns in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen heimisch geworden sind.

Es werden beachtliche Summen für Schauspielerinnen und Schauspieler bezahlt, die im postsowjetischen Fernsehen Dinge über uns, über Deutschland und die Aussiedler, über die Flüchtlingssituation verbreiten, die mit der Wahrheit nichts zu tun haben und die nur ein Ziel haben: unsere Gesellschaft zu destabilisieren und zu spalten.

Sie kennen wahrscheinlich alle das Beispiel des angeblich vergewaltigten Mädchens aus Berlin-Marzahn, einer Spätaussiedlertochter. Am 1. Februar 2016 hatten die Staatsanwaltschaft, die Familie und das Mädchen selber gesagt: Nein, ich bin nicht vergewaltigt worden; ich war in der Nacht bei meinem Freund. – Noch fünf Tage später hat Außenminister Lawrow es zugelassen, dass diese Lüge, das Mädchen sei hier vergewaltigt worden, durch die Propaganda weiter verbreitet worden ist.

Meine Damen und Herren, diese Propaganda hat natürlich bei den bei uns lebenden Spätaussiedlern auch eine ganz gehörige Wirkung. Ich bin Herrn Staatssekretär Klute sehr dankbar dafür, dass er Vorschläge der Aussiedler, der Deutschen aus Russland, bei einer Sondersitzung des Landesbeirates für Vertriebenen-, Flüchtlings- und Spätaussiedlerfragen aufgegriffen hat, zu der er die Parteien auch eingeladen hat. Dort ist dieses Thema in der sogenannten Düsseldorfer Erklärung zusammengefasst worden. Darin haben die Verantwortlichen der 620.000 Spätaussiedler, die wir in NRW haben, deutlich gemacht: Nein, wir wollen uns von dieser Propaganda hier nicht spalten lassen. Wir wollen dafür sorgen, dass wir zusammenbleiben.

(Beifall von der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Ich bin deshalb dafür dankbar, meine Damen und Herren, weil es bei uns in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland keine andere in den letzten Jahrzehnten eingewanderte Gruppe gibt, die so gut integriert ist, die in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur so gut Fuß gefasst hat und die einen so wertvollen Beitrag geleistet hat, wie es die 620.000 Spätaussiedler bei uns in Nordrhein-Westfalen tun und getan haben.

Deshalb ist es uns, der CDU, ein Anliegen, das aufzugreifen, was dort unter Leitung von Staatssekretär Klute einstimmig verabschiedet worden ist, parteiübergreifend verabschiedet worden ist, und auch im Landtag Nordrhein-Westfalen ein entsprechendes Signal zu setzen und zu sagen: Wir wollen es nicht zulassen, dass die Spätaussiedler über diesen Kamm geschert werden, dass sie hier schlechtgemacht werden und so getan wird, als seien das alles verkappte Nazis.

Es gibt keine Gruppe – ich kann mich da nur wiederholen –, die so gut integriert ist. Wir möchten die Arbeit der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler bei uns würdigen. Wir möchten mit diesem Antrag ein Zeichen setzen und es nicht zulassen, dass diese wertvolle, willkommene Gruppe bei uns weiterhin durch politische Kräfte so instrumentalisiert wird, wie sie es nicht verdient hat.

Deswegen wäre ich dankbar für eine Zustimmung aller Fraktionen. Ansonsten können wir dieses Thema im Hauptausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen behandeln. Ich hoffe und wünsche nicht – ich weiß es ja nicht –, dass es dazu auch Entschließungsanträge der anderen Parteien gibt. Wenn doch, wäre ich auf die Begründung schon sehr gespannt. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Jostmeier. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Müller-Witt. Bitte.

Elisabeth Müller-Witt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 1950 sind rund 4,5 Millionen Spätaussiedler in die Bundesrepublik eingewandert. Diese große Gruppe der Bevölkerung ist heute, wie schon zuvor Millionen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg, integriert und selbstverständlich Teil der hier lebenden Bevölkerung. Allein in Nordrhein-Westfalen haben weit mehr als 600.000 Spätaussiedler eine neue Heimat gefunden.

Angesichts des selbstverständlichen Miteinanders ist es umso befremdlicher, wenn versucht wird, diese Menschen zu instrumentalisieren und für eigene Ziele zu missbrauchen. Die jüngste Eskalation aufgrund von Behauptungen in sozialen Medien zeigt, dass die alleinige Information vieler Menschen über diese Medien zu einer völligen Desinformation bis hin zur üblen Nachrede führen kann. Der Pressekodex des Deutschen Presserates gilt zwar für journalistische Onlineveröffentlichungen, erfasst aber nicht die teilweise anonymen Einzelpersonen, die diese Nachrichten verbreiten.

Deshalb begrüßt die SPD-Fraktion ausdrücklich die am 5. Februar 2016 verabschiedete und veröffentlichte Düsseldorfer Erklärung. Es ist allerdings bedrückend, wenn in der Erklärung festgestellt werden muss, dass sich viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion hier nicht vollständig anerkannt und akzeptiert fühlen. Die Düsseldorfer Erklärung setzt damit in zweierlei Hinsicht ein Signal: einerseits an die gesamte Bevölkerung unseres Landes für mehr Toleranz und Akzeptanz sowie gegen Diskriminierung und andererseits – und das steht im Mittelpunkt des vorliegenden Antrags – ein deutliches Signal an Rechtsextreme und andere interessierte Kreise, dass sich die Spätaussiedler eine Vereinnahmung durch diese Kräfte verbitten und sich ausdrücklich von ihnen distanzieren.

(Beifall von der SPD und Werner Jostmeier [CDU])

Die SPD-Fraktion kennt und schätzt den wirtschaftlichen und kulturellen Beitrag, den die Spätaussiedler und ihre Nachkommen für Nordrhein-Westfalen leisten – dies in gleichem Maße, wie Nordrhein-Westfalen schon immer ein Land des Willkommens für Zuwanderinnen und Zuwanderer war, woher auch immer sie kamen.

Als Bürgerinnen und Bürger eines Landes der Vielfalt der Kulturen ist es für uns nicht hinnehmbar, dass Menschen ausgegrenzt oder diskriminiert werden. Aus diesem Grund wenden wir uns gegen die Ausgrenzung oder auch die Instrumentalisierung von Minderheiten oder von Zuwanderern, egal aus welchem Land sie kommen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die vom Landtag initiierte Befassung mit § 96 BVFG, die auch die Gruppe der Spätaussiedler betrifft, inzwischen in Form eines ersten Konzeptes vorliegt. Dies wurde im Rahmen eines Workshops vom MFKJKS unter Hinzuziehung von Experten ausführlich diskutiert. Dieser Diskurs soll fortgesetzt werden.

Es soll im Rahmen eines partizipativen Prozesses ein neues Konzept erarbeitet werden.

Nun gilt es, der gelebten Willkommenskultur unter Einbeziehung der Betroffenen zeitgemäße Strukturen zu geben, und zwar auch für diejenigen, die sich hier noch nicht richtig willkommen fühlen.

Wir stimmen gern dem Antrag auf Überweisung in den Ausschuss zu.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Velte das Wort.

Jutta Velte (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich vorwegzunehmen: Die Düsseldorfer Erklärung findet auch die grüne Fraktion gut und richtig. Es ist schön, dass sie auf den Weg gebracht worden ist.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Herr Jostmeier, ich freue mich auch über die Leidenschaft, mit der Sie die hier vertreten haben.

Es ist richtig – das sagt auch der Titel des Antrags –, auf die Leistungen der Deutschen aus Russland und aus den GUS-Staaten explizit hinzuweisen. Denn man muss sich vorstellen: Es waren keine einfachen Zeiten, als sie als sogenannte Aussiedlerinnen und Aussiedler, Spätaussiedlerinnen zu uns nach NRW gekommen sind. Sie teilten damals mit vielen anderen Migrantinnen und Migranten die Erfahrung, teilweise Vorbehalten, Vorurteilen, Unverständnis seitens der hiesigen Bevölkerung ausgesetzt zu sein. Gleichzeitig mussten sie diese ganze Wanderung und die kulturellen Unterschiede auch bewältigen. Das war nicht einfach und ist den Deutschen aus Russland vorbildlich gelungen.

Mittlerweile leben 620.000 – Sie haben es erwähnt – Deutsche aus Russland in Nordrhein-Westfalen und sind vorzüglich integriert. Wie gut – auch darauf ist hingewiesen worden –, zeigt die Sonderauswertung des Ministeriums für Integration, aus der hervorgeht, dass die Deutschen aus Russland sehr gute Bildungserfolge aufweisen, dass sie sich in manchen Teilbereichen besser integrieren konnten als andere Einwanderungsgruppen und in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens gut integriert sind.

Es gibt auch sehr viele Deutsche aus Russland, die sich im Übrigen – das zeigt auch, welche Leistung es ist – um die Geflüchteten, die jetzt neu zu uns kommen, kümmern.

Umso irritierender sind die jüngsten Ereignisse, wenn plötzlich von einigen, vergleichsweise wenigen, die geleistete Aufbau- und Integrationsarbeit der Altvorderen, der Eltern und Großeltern durch ihre fremdenfeindlichen und ausländerfeindlichen Demonstrationen infrage gestellt werden.

Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass schnell reagiert wurde und Staatssekretär Klute dankenswerterweise zu einer Sondersitzung des Landesbeirats eingeladen hat und die Landsmannschaften sich auf dieser Sitzung nach ausführlicher und sehr intensiver Diskussion – wir waren beide dabei; das war eine sehr spannende Diskussion – in der Düsseldorfer Erklärung klar von Ausländerfeindlichkeit und rechtsradikalen Tendenzen distanziert haben. Das war und ist ein wichtiger Schritt.

Wer dabei war, hat auch gesehen, wie sehr die Demonstrationen die Deutschen aus Russland in ihrem Bestreben nach Normalität und ihrem Bekenntnis zu Vielfalt und Demokratie erschüttert haben.

Schwierig und bedenkenswert ist auch die Tendenz in den russischsprachigen Medien, gezielte Desinformationen zu betreiben, und gleichzeitig auch der Umstand, dass es offensichtlich einige gibt, die bereit sind, der Propaganda unreflektiert und entgegen der eigenen Anschauung Glauben zu schenken. Dies lenkt den Blick auch auf die Frage gelingender Demokratieerziehung, mit der wir uns in den Ausschüssen sicher nach der Überweisung noch einmal sehr intensiv auseinandersetzen müssen und werden.

Es ist unser gemeinsames Ziel, dass junge und selbstverständlich auch ältere Menschen in die Lage versetzt werden, klare Unterscheidungen zu treffen zwischen Propaganda, Desinformation und, wie Sie es in Ihrem Antrag nennen, seriöser Berichterstattung und verlässlichen Quellen. Bei der Aufarbeitung dieser Frage können und werden die Deutschen aus Russland sicher wichtige Partnerinnen und Partner sein und gleichzeitig gemeinsam Flagge gegen rassistische und menschenfeindliche Tendenzen und Organisationen zeigen können.

Auch wenn wir nicht alle Forderungen Ihres Antrags teilen – das betrifft vor allem die Frage der Verbotsprüfung; das ist rechtlich schwierig –, halten wir es doch für wichtig und richtig, dieses Thema in seiner ganzen Komplexität in den beiden Ausschüssen, nämlich im Hauptausschuss und im Integrationsausschuss, zu behandeln, um damit auch noch einmal den Blick auf die Einwanderungsgruppe der Deutschen aus Russland zu lenken. Ich freue mich auf die Diskussion. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Frau Kollegin Velte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Stamp das Wort.

Dr. Joachim Stamp (FDP): Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident! Lieber Herr Jostmeier! Ich kann für die Freien Demokraten sagen, dass sie jeden Satz, den sie hier gesagt haben, unterstreichen können. Das gilt auch für das Lob an den Staatssekretär. Es gilt dafür, dass Sie hier noch einmal herausgearbeitet haben, auch an dem konkreten Fall, wie die Putin-Administration versucht, Einfluss auf die Gruppe der Spätaussiedler hier in Deutschland zu nehmen. Es gilt auch für die Feststellung, dass rechtspopulistische und rechtsextremistische Kreise versuchen, diese Gruppe zu adressieren.

Das gilt aber auch ganz besonders für die Aussage, die Sie getätigt haben, dass die Spätaussiedler sehr, sehr gut in unserer Gesellschaft integriert sind – und das ist etwas, worüber wir uns, glaube ich, in diesem Hause sehr freuen.

Insofern haben wir bei Ihrem Antrag ein Fragezeichen, und das ist der vierte Punkt Ihres Antrags, in dem Sie darauf verweisen, dass es notwendig sei, die Integrationsarbeit für die Spätaussiedler stärker finanziell zu fördern. Das ist, glaube ich, etwas widersprüchlich, weil es hier bereits eine große Integrationsleistung gibt und wir uns bei beschränkten Mitteln darauf konzentrieren müssen, mit welchen Gruppen es besondere Schwierigkeiten der Integration gibt.

Sehr wohl sind wir der Meinung, dass wir ähnlich der Aktion oder dem Vorschlag, der in der Düsseldorfer Erklärung gemündet hat, von Staatssekretär Klute, weitere Instrumente brauchen, um der Propaganda, sei es der Russen, sei es der Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, entgegenzutreten, und dass wir mit guten Argumenten erklären müssen, wie wir hier solidarisch zu der Gemeinschaft der Spätaussiedler stehen.

Dafür brauchen wir Mittel; das ist völlig klar. Hinter die Forderung nach zusätzlichen Integrationsmitteln machen wir ein Fragezeichen. Wir sind aber gerne bereit, uns darüber im Fachausschuss zu unterhalten.

(Michele Marsching [PIRATEN]: In welchem der Fachausschüsse?)

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Marsching.

Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Livestream und auf der Tribüne! Bei allem Verständnis für die – sagen wir mal – traditionellen Bemühungen der CDU in Richtung der Vertriebenenverbände, Spätaussiedler und Russlanddeutschen in NRW stellt sich angesichts des vorliegenden Antrags dann doch die Frage, ob man jedes tagespolitische Ereignis dramatisieren

(Lothar Hegemann [CDU]: Das müssen Sie gerade sagen!)

und instrumentalisieren muss. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass seine solche Dramatisierung das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich zu bewirken vorgibt.

(Christian Haardt [CDU]: Das geben Sie uns hier vor?)

Die Ereignisse um die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens aus Berlin-Marzahn im Januar und die mediale und die politische Bearbeitung waren ein weiterer Beleg für die seit einiger Zeit doch sehr gestörten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation. Aber der deutsche Außenminister Steinmeier hat unserer Meinung nach dazu das Erforderliche gesagt.

Wir halten es daher nicht für zielführend, wenn im Landtag Nordrhein-Westfalen fast zwei Monate nach diesen Ereignissen ein Antrag eingebracht wird, der die Russlanddeutschen als besondere Gruppe auf eine Bühne stellt, deren Integration thematisiert, gleichzeitig höhere Mittel für Spätaussiedler fordert und obendrauf noch das Verbot von Vereinen fordert, ohne diese ganzen Punkte auch nur ansatzweise – denn die Begründung ist wirklich nur ein kleiner Part – angemessen zu begründen.

Wir werden der Überweisung natürlich zustimmen. Aber ich möchte schon heute meine deutlichen Bedenken äußern, ob dieser Antrag für uns zustimmungsfähig ist. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Danke, Herr Kollege Marsching. – Für die Landesregierung erteile ich in Vertretung für Minister Schmeltzer Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir natürlich besonders leicht, einen Kollegen zu vertreten, wenn es um einen Antrag der großen Oppositionsfraktion geht, in dem der Landtag beschließen soll, dass der Landtag die vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales geförderten Projekte zur Stärkung des Ehrenamtes unter den Spätaussiedlern begrüßt. Hier ist schon von Herrn Jostmeier und Herrn Stamp deutlich gemacht worden, dass dazu aller Anlass besteht und dass auch ein Dank zu richten ist an den Staatssekretär im Ministerium, der sehr beherzt und sehr schnell gehandelt hat.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])

Ich weite den Dank aus auf die Einigkeit und auf die Fraktionen von CDU und FDP. Die Einigkeit, die wir in dieser Frage hier zeigen können, ist ein wichtiges Signal nach draußen. Ich beziehe in diesen Dank erst recht die 620.000 Spätausgesiedelten in unserem Land ein, die sich nicht nur als ein Teil dieser Gesellschaft darstellen, sondern erheblich dazu beitragen, dass wir als Land Einigkeit zeigen und vorankommen. Insofern ist es aller Ehren wert, dass man diesen Antrag im Hauptausschuss weiter diskutiert.

Zu den Punkten, die aufgerufen worden sind, ist vielleicht noch kurz zu sagen, dass man gegen das, was die Landesregierung schon macht, wirklich nichts sagen kann.

Was die geforderte Erhöhung der Mittel angeht – das darf ich als Finanzminister an dieser Stelle sagen –, so haben wir schon Erhebliches geleistet, und die Integration ist sicherlich ein Ergebnis dieser eingesetzten Mittel. Insofern folge ich den Argumenten von Herrn Stamp.

Was den fünften Punkt angeht, zu prüfen, inwieweit ausländerfeindliche bzw. rechtsextreme Organisationen verboten werden können, liegt das, wie Sie wissen, nicht in der Zuständigkeit des Landes. Aber dennoch bewerten und analysieren die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben fortlaufend und sorgfältig die ihnen vorliegenden Informationen, insbesondere dann, wenn sie ausländerfeindliche oder extremistische Sachverhalte betreffen. Das müssen wir sicherlich nicht noch einmal zusätzlich beschließen; denn das ist Praxis.

Es ist leider zu beobachten, dass für die Menschen, die hier als Spätausgesiedelte ins Land gekommen sind, das Gleiche gilt wie für viele andere Gruppen. Hier wird offenbar jede Art von Verunsicherung genutzt, um Meinungsmache und Desinformation zu betreiben. Das ist betrüblich. Dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen. Ich glaube, da ist es ein gutes Signal, wenn das alle Fraktionen gemeinsam machen. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/11431 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Integrationsausschuss. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss wie üblich in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen. Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

16 Gründung eines Beirates für die Niederdeutsche Sprache

Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 16/11433

Die Fraktionen haben sich zwischenzeitlich einvernehmlich darauf verständigt, diesen Tagesordnungspunkt heute nicht zu beraten. Wir werden also zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen.

Ich rufe auf:

17 Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/10493

Beschlussempfehlung und Bericht
des Haushalts- und Finanzausschusses
Drucksache 16/11444

zweite Lesung

Alle fünf im Landtag vertretenen Fraktionen haben sich zwischenzeitlich darauf verständigt, die Reden  zu Protokoll zu geben. (siehe Anlage 1)

Wir kommen somit direkt zur Abstimmung. Der Haushalts- und Finanzausschuss empfiehlt in Drucksache


16/11444, den Gesetzentwurf Drucksache 16/10493 in der Fassung seiner Beschlüsse anzunehmen. Wer dieser Beschlussempfehlung des Haushalts- und Finanzausschusses folgen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Das sind SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung Drucksache 16/11444 angenommen und der Gesetzentwurf Drucksache 16/10493 in der Fassung der Beschlüsse des Haushalts- und Finanzausschusses in zweiter Lesung verabschiedet.

Ich rufe auf:

18 Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2016

Gesetzentwurf
der Landesregierung
Drucksache 16/11309

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs würde ich für die Landesregierung Herrn Minister Jäger das Wort erteilen, wenn er seine Rede (siehe Anlage 2) nicht bereits zu Protokoll gegeben hätte. – Vielen Dank, Herr Minister.

Eine weitere Aussprache ist heute nicht vorgesehen.

Wir kommen somit zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/11309 an den Haushalts- und Finanzausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Kommunalpolitik. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen. Herzlichen Dank.

Ich rufe auf:

19 Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II

Wahlvorschlag
der Fraktion der SPD
Drucksache 16/11440

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Wir kommen somit unmittelbar zur Abstimmung. Wer ist für den genannten Wahlvorschlag? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Wahlvorschlag Drucksache 16/11440 einstimmig angenommen ist.

Ich rufe auf:

20 In den Ausschüssen erledigte Anträge

Übersicht 39
gem. § 82 Abs. 2 GO
Drucksache 16/11445

Die Übersicht 39 enthält sieben Anträge, die vom Plenum nach § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung an einen Ausschuss zur abschließenden Erledigung überwiesen wurden, sowie einen Entschließungsantrag. Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wie üblich aus der Übersicht ersichtlich.

Ich lasse nun abstimmen über die Bestätigung des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen. Wer das Abstimmungsverhalten der Fraktionen in den jeweiligen Ausschüssen bestätigen möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Möchte jemand dieses Abstimmungsverhalten nicht bestätigen? – Dem ist nicht so. Möchte sich jemand enthalten? – Auch das ist nicht der Fall. Damit sind die in Drucksache 16/11445 enthaltenen Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einstimmig bestätigt.

Ich rufe auf:

21 Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 16/41
gem. § 97 Abs. 8 GO

Mit der Übersicht 41 liegen Ihnen Beschlüsse zu Petitionen vor.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen. Ist irgendjemand mit den Beschlüssen nicht einverstanden? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann stelle ich gemäß § 97 Abs. 8 unserer Geschäftsordnung fest, dass die genannten nachzulesenden Beschlüsse des Petitionsausschusses in Übersicht 16/41 hiermit bestätigt sind.

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe das Plenum wieder ein für morgen, Donnerstag, den 17. März, 10 Uhr. Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend. Wir sehen uns morgen früh.

Die Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen ist geschlossen.

Schluss: 19:56 Uhr

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*)    Von der Rednerin bzw. dem Redner nicht
überprüft (§ 102 GeschO)

Dieser Vermerk gilt für alle in diesem Plenarprotokoll so gekennzeichneten Rednerinnen und Redner.


Anlage 1

Zu TOP 17 – „Gesetz zur Änderung des Landesbeamtenversorungsgesetzes – zu Protokoll gegebene Reden

Markus Herbert Weske (SPD):

Es ist weder die Uhrzeit noch der Tagesordnungspunkt für parteipolitisches Gezänk. Insofern freue ich mich sehr, dass wir hier am Ende der Debatte wohl einstimmig die versorgungs- und besoldungsrechtlichen Regelungen für unsere Ruhestandsbeamtinnen und -beamten ändern werden.

Im Kern geht es um zwei Baustellen, die wir mit den Gesetzesänderungen auflösen wollen.

Zunächst einmal geht es um die Betreuung der Asyl- und Schutzsuchenden, die alle staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen vor besondere Herausforderungen stellt.

Die für diese Betreuung zuständigen Behörden schaffen es oft nicht, kurzfristig genügend Personal, das über eine entsprechende Qualifikation verfügt, für die Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe zu gewinnen. Daher halten wir es für erforderlich, auch ehemalige Beamtinnen und Beamten, die sich im Ruhestand befinden, in dem Bereich der Flüchtlingshilfe einzusetzen. Sie sind aufgrund ihrer früheren Tätigkeit im Besitz der für die Betreuung der Flüchtlinge erforderlichen Kenntnisse, Qualifikationen und Erfahrungen.

Das Problem ist, dass aufgrund der aktuell bestehenden Gesetzeslage im Beamtenversorgungsrecht Einkommen aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst, die Ruhestandsbeamtinnen und -beamte im Rahmen der Flüchtlingsbetreuung erzielen, bei Überschreiten bestimmter Höchstgrenzen auf die Versorgung anzurechnen sind.

Das hält im Zweifel die Ruhestandsbeamtinnen und -beamten davon ab, im öffentlichen Dienst im Bereich der Flüchtlingshilfe tätig zu werden. Diese demotivierende Verrechnung werden wir mit diesem Beschluss abschaffen und hoffen, dass die jeweils zuständigen Behörden dann viele weitere qualifizierte Kräfte zur Bewältigung der Aufgaben der Flüchtlingshilfe gewinnen werden.

Der zweite Teil der Gesetzesänderungen befasst sich mit den Folgen der gewalttätigen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und anderen Orten.

Die Landesregierung hat ein Maßnahmenpaket für mehr innere Sicherheit und bessere Integration vor Ort beschlossen. Danach soll zur Stärkung der inneren Sicherheit insbesondere die Präsenz der Polizei auf der Straße verstärkt werden. Wir wollen, dass möglichst schnell 500 Polizistinnen und Polizisten zusätzlich an den Kriminalitätsbrennpunkten der Ballungsräume eingesetzt werden können.

Bis aber die Verstärkungen durch ausgebildete Polizeianwärterinnen und -anwärter zur Verfügung stehen, wollen wir diesen Zeitraum auch durch die Verlängerung des Dienstes von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten, die kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand stehen, überbrücken.

Das wollen wir ermöglichen und gleichzeitig einen Anreiz schaffen: Wer seinen Ruhestand aufschiebt, soll mit einem zehnprozentigen Zuschlag belohnt werden.

Die hier vorliegenden Regelungen erleichtern es also, zur Bewältigung der aktuellen Ausnahmesituation sofort einsetzbares Personal mit einschlägigen Vorkenntnissen und Erfahrungen für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst auch im Bereich der Polizeibehörden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewinnen.

Theo Kruse (CDU):

Die CDU-Fraktion stimmt sowohl dem gemeinsamen Änderungsantrag als auch dem Gesetzentwurf in geänderter Fassung zu.

Wir haben dafür gesorgt, dass die Nichtanrechnung von Einkünften bei Versorgungsträgern im Rahmen der Betreuung von Flüchtlingen um ein Jahr erweitert wird, so wie es auch im Bund geregelt ist.

Allerdings läuft der Ansatz der Landesregierung ins Leere, 250 Polizisten durch ein freiwilliges Hinausschieben der Altersgrenze zu gewinnen. Hieran lassen die bisher vorliegenden Zahlen keinen Zweifel zu.

Die CDU-Fraktion hat bereits Anfang März öffentlich erklärt, dass wir uns für eine Gesetzesänderung einsetzen werden, die es ermöglicht, bereits pensionierte Polizistinnen und Polizisten wieder zu aktivieren.

Dieser Ankündigung folgen hiermit Taten.

Wir verschließen uns nicht der Lösung, übernehmen für unser Land Verantwortung, haben allerdings erhebliche Zweifel, dass der eingeschlagene Weg zum Erfolg führen wird.

Martin-Sebastian Abel (GRÜNE):

In diesem Jahr gibt das Land fast 2 Milliarden € für die Unterbringung, Versorgung und Integration aus. So hat Nordrhein-Westfalen 162 Millionen € der 2 Milliarden € des Bundes für die Flüchtlingsunterbringung direkt an die Kommunen weitergegeben. Im Flüchtlingsaufnahmegesetz haben wir den Stichtag, nach dem sich die Zuweisungen an die Kommunen richten, vom 1. Januar des Vorjahres auf den 1. Januar des laufenden Jahres verschoben. Wenn mehr Geflüchtete zu versorgen sind, dann erhalten die Kommunen von uns auch zeitnah das Geld.

Insgesamt sehen wir mehr als 4 Milliarden € für Ausgaben an die Kommunen vor. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Anteil erinnern, den der Bund an diesen Ausgaben hat. Es sind 796 Millionen €.

Das zeigt ganz deutlich: Wir stehen in der Verantwortung. Wir werden unserer Verantwortung gerecht. Was wir auf Landesebene tun können, haben wir schnell und unmittelbar gewährleistet. Insofern müssen wir stärker darüber reden, wie Länder und Kommunen entlastet werden können. Wir werden aber unserer Verantwortung mit über 4 Milliarden € gerecht.

Trotz dieser immensen Anstrengungen ist völlig klar: Ohne die Unterstützung Zehntausender EhrenamtlerInnen in unserem Land könnten wir die Herausforderungen nicht stemmen. Das Engagement dieser Menschen ist ein herausragendes Exempel für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Wir können alle stolz sein und müssen diesen engagierten Menschen dankbar sein und Anerkennung zukommen lassen. Neben diesen ehrenamtlichen HelferInnen brauchen wir aber auch erfahrene VerwaltungskennerInnen und VermittlerInnen, die zwischen den zu uns kommenden Menschen, den EhrenamtlerInnen und den Behörden vermitteln und die Arbeit unterstützen können.

Bei Besuchen in Flüchtlingsunterkünften in meinem Wahlkreis im Düsseldorfer Süden habe ich viele Menschen getroffen, die sich entweder nach ihrer Arbeitszeit in Behörden des Landes oder der Stadtverwaltung oder aber freigestellt in Flüchtlingsunterkünften engagiert haben. Darunter waren auch BeamtInnen, die bereits im Ruhestand sind und ihre Kenntnisse und Erfahrungen zur Verfügung stellen.

Ich bin daher sehr dankbar, dass wir, GRÜNE, SPD und CDU, eine gemeinsame Initiative mit ergänzenden Maßnahmen für mehr innere Sicherheit und stärkere Anreize, aber auch Anerkennung für die Menschen schaffen, die sich aus dem Ruhestand heraus einbringen möchten.

Wir ziehen damit mit Regelungen des Bundes gleich, die eine Weiterarbeit über die Ruhestandsgrenze hinaus anerkennen und die Anrechenbarkeit und eine Steigerung des Grundgehalts beinhalten.

Insbesondere bei der Polizei gehen in den nächsten Monate und Jahren viele erfahrene und arbeitswillige Beamt*Innen in den Ruhestand. Mit der von uns eingebrachten Initiative hoffen wir, dass wir noch mehr Menschen bewegen können, über den Ruhestand hinaus weiterzuarbeiten und uns bei dieser Herausforderung zu unterstützen.

Dietmar Schulz (PIRATEN):

Vorab darf ich bekannt geben, dass die Piratenfraktion diesem Gesetzesentwurf zustimmen wird. Die Zielsetzung des originären Entwurfes ist wichtig und braucht auch unsere Unterstützung. Angesichts des aktuellen Personalbedarfs wird mit dieser hier vorliegenden Lösung eine sinnvolle Möglichkeit geschaffen, dass fähiges und geschultes Personal, das sich freiwillig für einen wichtigen Dienst meldet, vom Land beschäftigt werden kann. Somit wird hiermit auf ein Problem eingegangen, das uns die letzten Monate beschäftigt hat.

Im Haushalts- und Finanzausschuss ist dann noch durch einen Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, der Grünen und der CDU die eigentliche Zielsetzung erweitert worden. Der so geänderte Entwurf findet aber auch unsere Zustimmung. Dies haben wir im Ausschuss durch unser Votum gezeigt. Natürlich wollen wir an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es noch andere Bereiche gibt, wo man mit einer solchen Regelung befristete Maßnahmen einleiten könnte, um die Gesamtsituation zu verbessern, aber dazu werden wir noch an anderer Stelle zu einem späteren Zeitpunkt kommen.

Wichtig ist uns Piraten, dass das ganze Programm auf intrinsisch motivierten Freiwilligen beruht und die zeitliche Befristung dafür sorgt, dass es nicht zu einem Dauerzustand wird. Wir lassen das Land und die Landesregierung nicht aus der Pflicht, in Zukunft für ausreichend Personal zu sorgen, aber erkennen an, dass die vorliegende Maßnahme geeignet ist, eine gewisse Flexibilität im Umgang mit dem aktuellen Personalbedarf abzubilden.

Abschließend möchte ich einen Appell an alle hilfswilligen Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalens richten, die über eine geeignete Qualifikation verfügen, dieses Angebot wahrzunehmen, und bedanke mich gleichzeitig noch einmal bei den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die bisher Unglaubliches geleistet haben im Bereich der Flüchtlingsarbeit.

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Die stark gestiegene Zahl von Asyl- und Schutzsuchenden in Deutschland stellt alle staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen vor besondere


Herausforderungen, die in kurzer Zeit bewältigt werden müssen.

Wir stellen uns der Herausforderung der Flüchtlingsintegration. Gegenüber den Flüchtlingsausgaben von zwei Milliarden Euro im Jahr 2015 wird sich der Ansatz für 2016 verdoppeln. In den 4 Mrd. Euro sind rund 2,6 Mrd. Euro an Zuweisungen an die Kommunen enthalten. Davon kommen nur 800 Mio. Euro vom Bund. Den Rest bringt das Land auf. Von klebrigen Händen kann also keine Rede sein.

Geld alleine reicht aber nicht. Wir brauchen auch Menschen, die das alles umsetzen. Ich finde es toll, wie viele Menschen ehrenamtlich helfen. Aber auch das alleine reicht nicht.

Neben den ehrenamtlichen Helfern brauchen wir Menschen mit administrativer Erfahrung, die die ehrenamtlichen Helfer unterstützen Viele Menschen in meinem privaten und dienstlichen Umfeld haben mir berichtet, wie wichtig – neben dem ehrenamtlichen Engagement – die Arbeit der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist, die mit ihrer Erfahrung und ihren organisatorischen Fähigkeiten die Übersicht behalten und gelegentlich auch klare Ansagen machen. Gerade hier werden die Professionalität und die Qualität unseres öffentlichen Dienstes besonders deutlich. Mein Besuch in einem Flüchtlingsheim, in dem auch freiwillige Helfer meiner Finanzverwaltung arbeiten, hat diesen Eindruck bestätigt.

Ruhestandsbeamteninnen und -beamte verfügen über die notwendigen Kenntnisse, Qualifikationen und Erfahrungen, um die Aufgaben der Flüchtlingshilfe ohne große Einarbeitung oder zusätzliche Schulungen zu erledigen. Vor diesem Hintergrund müssen wir vorübergehend eine versorgungsrechtliche Ausnahmeregelung schaffen, die die Anrechnung von Einkommen aus einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst im Bereich der Flüchtlingshilfe auf die Versorgungsbezüge aussetzt und damit einen zusätzlichen Anreiz schafft.

Nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln hat die Landesregierung ein 15-Punkte-Programm für mehr innere Sicherheit und bessere Integration vor Ort beschlossen, mit dem unter anderem die Polizeipräsenz vor Ort ausgeweitet werden soll. Es sollen zum Beispiel möglichst schnell 500 Polizistinnen und Polizisten zusätzlich an den Kriminalitätsbrennpunkten der Ballungsräume eingesetzt werden können.

Die Landesregierung begrüßt in diesem Zusammenhang die Initiative der Fraktionen der SPD und der Grünen sowie der CDU, durch die zwei weitere wichtige ergänzende Maßnahmen für mehr innere Sicherheit mit dem Gesetz geregelt werden.

Beide von den Fraktionen vorgeschlagenen Maßnahmen – Aussetzung der Anrechnung von Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit bei Polizeibehörden von Ruhestandsbeamtinnen und -beamten auf die Versorgung und der 10-%-Zuschlag auf das Grundgehalt für eine Weiterarbeit über die Ruhestandsgrenze hinaus bei ganz besonderem öffentlichem Interesse – sind geeignet, eine Übergangszeit zu überbrücken, bis insbesondere die Verstärkungen durch ausgebildete Polizeianwärterinnen und -anwärter zur Verfügung stehen. Der Zuschlag wird nur gezahlt, wenn der Höchstruhegehaltssatz schon erreicht ist, da nur in diesen Fällen ein zusätzlicher Anreiz zur Weiterarbeit notwendig ist.

Ich würde begrüßen, wenn dieses Gesetzesvorhaben zur Stärkung des öffentlichen Dienstes für mehr innere Sicherheit eine breite Mehrheit finden würde.


Anlage 2

Zu TOP 18 – „Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2016 – zu Protokoll gegebene Rede

Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales:

Mit dem Gesetzentwurf korrigieren wir eine fehlerhafte Anlage zum GFG 2016, nämlich die Anlage 5.

In diese haben sich falsche Beträge der Abwas-sergebührenhilfe eingeschlichen – die Folge ist, dass eine Stadt eine zu hohe Zuweisung erhält, die übrigen 37 Kommunen werden demgegenüber benachteiligt.

Wir haben die notwendige Korrektur dieses Versehens bereits mit den kommunalen Spitzenverbänden besprochen und die betroffenen Kommunen informiert – Kritik oder Unverständnis an der beabsichtigten Änderung ist uns gegenüber nicht geäußert worden. Zumal die Gesamtsumme der Abwassergebührenhilfe 2016 unverändert bleibt.

Ich hoffe daher auf eine zügige, unproblematische Beratung.